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https://de.wikipedia.org/wiki/Computermonitor
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Computermonitor
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Ein Computermonitor ist ein Bildschirm, der primär zum Anschluss an einen Computer gedacht ist.
Insbesondere in den Jahren zwischen 1985 und 2005 entwickelten sich Fernsehgeräte und Computermonitore sehr weit auseinander (Qualität, Bildraten, Signale, Pegel, Stecker), seit 2010 wachsen diese wieder zusammen.
Geschichte
Ausgabegeräte der Anfangszeit
In der Anfangszeit der Computer gab es keine Computer-Monitore und auch keine Computer-Tastaturen und -Mäuse. Eingabe und Ausgabe erfolgten über Lochkarten(stapel) oder Lochstreifen. Diese wurde mit Lochkartenstanzern (oder Lochstreifenstanzern) erstellt. Drucker (eigentlich Fernschreiber) sorgten schließlich für die Ausgabe der Daten, die auf den Lochkarten oder -streifen gespeichert waren oder vielmehr aus diesen Daten errechnet wurden (Listenausgabe).
Ab Anfang der 1960er Jahre kamen Mainframe-Systeme wie die IBM-S/360-Serie auf den Markt, die mit Hilfe von Text-Kommandos über eine Tastatur bedient werden konnten, wobei die Ausgabedaten mit Hilfe eines Anschlagdruckers auf Endlos-Papier visualisiert wurden. Da für den Ausdruck lediglich die binären Steuercodes für die zu druckenden Zeichen übermittelt werden mussten, war dieses Verfahren im Gegensatz zur digitalen Modulation von Bilddaten bereits vor der Erfindung des Monitors realisierbar. Die ersten Computer-Terminals waren so konzipiert, dass sie dieselben Steuerdaten wie ein damaliger Drucker interpretieren konnten, um daraus eine Textausgabe auf dem Bildschirm zu generieren.
Computerterminals
Anfang der 1970er tauchten zunehmend Computerterminals auf. Typische Vertreter waren z. B. die IBM-3270-Terminals oder VT100-Terminals. Der Umweg über Lochkarten und Bänder verschwand, man konnte mit Hilfe solcher Terminals direkt mit einem Computer kommunizieren. Als charakteristische Eigenschaft blieb, dass die Kommunikation immer noch gewisse Ähnlichkeiten mit Fernschreibern und Lochstreifen hatten. Sie wurden meist, analog zu Fernschreibern, seriell mit Text- und Steuerzeichen angesteuert. Eingaben wurden gesammelt dem Zentralcomputer (mit seiner kostbaren Rechenzeit) übermittelt.
Als Monitore selbst kamen meist weiße, grüne oder orange Monochrommonitore basierend auf Kathodenstrahlröhren (CRTs) wie bei Fernsehern zum Einsatz. Die Terminals hatten meist 80 oder 132 Zeichen je Zeile bei 24 oder 43 Zeilen. Die Auflösung lag zwischen 240 und 350 Zeilen, Bildraten bei 50 oder 60 Hz, häufig mit nachleuchtendem Phosphor, um das Flimmern durch den Bildrasteraufbau zu minimieren.
Aufkommende Heimcomputer, Anfänge des PCs
Für Heimcomputer griff man auf vorhandene Technik zurück – den heimischen Fernseher. Etwas besser waren spezielle Computermonitore.
Die Darstellungsqualität hängt dabei auch von der benutzten Schnittstelle zwischen Computer und Fernseher ab; in aufsteigender Reihenfolge:
Ansteuerung über einen HF-Modulator. Üblich sind maximal 40 Zeichen pro Zeile.
Ansteuerung mittels FBAS-Signal über einen Video-Eingang, der u. a. auch für Videorecorder gedacht war.
Ansteuerung mittels getrenntem Farb- und Helligkeitssignal (S-Video).
Ansteuerung mittels RGB-Signal (meist über SCART).
Je weiter unten in der Liste das Verfahren steht, desto weniger – der eigentlich nur für die Fernsehübertragung via Antenne notwendigen – Signalverarbeitungsstufen sind bei der Übertragung involviert; dementsprechend entfällt die jeweils innewohnende Limitierung der Signalqualität durch Bandbreitenbegrenzung oder Modulationsartefakte. Allerdings war zu Beginn der Heimcomputer-Ära am vorhandenen Fernseher ein anderer Eingang als der für das HF-Signal (Antenneneingang) nicht selbstverständlich, weshalb über den HF-Modulator praktisch jeder Fernseher für die Ausgabe geeignet ist. Auf der anderen Seite basiert das Bildsignal vieler Heimcomputer gar nicht auf einem RGB-Signal; sie erzeugen direkt ein FBAS- oder S-Video-Signal, weswegen dort ein RGB-Monitor nicht genutzt werden kann.
Aufkommen von hochauflösenden Computermonitoren
Sowohl für Heimcomputer wie den C64 wie auch für Büro-Computer wie die IBM-PCs gab es Computermonitore. Während der folgenden Jahrzehnte entwickelten sich die Darstellungsstandards bei der IT-Technik beständig weiter, während aufgrund der bestehenden Normen der Fernsehübertragung dort (abseits von Detailverbesserungen) praktisch kein Fortschritt stattfand. Dies führte dazu, dass sich über knapp 20 Jahre Computermonitore und Fernseher extrem auseinanderentwickelten. Mit dem ersten Schritt weg vom fernsehkompatiblen Heimcomputer war die Darstellung eines Computerbildes auf einem Fernseher praktisch unmöglich. Die Fortschritte im Bereich der Digitaltechnik ermöglichten später jedoch vergleichsweise einfach eine qualitativ gute Normenwandlung. Dadurch können einerseits Fernsehsignale aus Computerbilddaten erzeugt werden, zum anderen war das eine Voraussetzung für die Weiterentwicklung von Fernsehnormen unter Beibehaltung von Abwärts- und Aufwärtskompatibilität, wodurch sich Computer- und Fernsehtechnik wieder einander annähern.
Flachbildschirme
Um das Jahr 2000 tauchten sowohl im Computer- wie im Fernsehbereich Flachbildschirme auf. Bei Fernsehern kamen am Anfang Plasmabildschirme zum Einsatz, bei Computermonitoren Flüssigkristallbildschirme (LCDs) mit Dünnfilmtransistoren (TFT).
Hochauflösende Flachbildschirme in Monitoren müssen in der Lage sein, eine sehr große Anzahl von Bildelementen (Pixels) sowohl horizontal als auch vertikal darzustellen. Dazu waren die ursprünglichen Flüssigkristallanzeigen (LCDs) mit passiver Matrixansteuerung nicht geeignet. Die Kombination von Dünnfilmtransistoren mit jedem Pixel eines LCDs brachte den technologischen Durchbruch, um mit solchen Aktiv-Matrix-Displays Anzeigen mit hohem Informationsinhalt zu verwirklichen. Seit etwa 2015 gibt es ebenfalls Aktiv-Matrix-Monitore mit OLEDs anstelle von LCDs.
Mit DVI bei Computern und HDMI bei Fernsehern wurden sehr ähnliche Standards der Ansteuerung von binären Displays entwickelt.
Anschlüsse
TV und Heimcomputer
Im Bereich der Heimcomputer kommen die zu ihrer Hochzeit in den 1980er-Jahren üblichen Verbindungstechniken für Trägerfrequenzsignale (via HF-Modulator), Video- und RGB-Signale zum Einsatz (z. B. Belling-Lee-Steckverbinder, BNC-, Cinch-, DIN- oder SCART-Stecker).
Monitore
Die Übertragung von Videosignalen wechselte mehrfach.
Ära 1: Videosignale wurden genauso wie beim Fernsehgerät analog übertragen. Beliebig viele Farben konnten übertragen werden. Synchronisation wird mit dem Helligkeitskanal bzw. mit dem Grünkanal übertragen.
Ära 2: Der IBM-PC favorisierte die digitale Übertragung mit getrennter Übertragung der Synchronsignale.
Monochrom-Monitore wurden über zwei Signale angesteuert (Video, Intensity) und zwei Synchronsignale (HSync+ und VSync−)
Color Graphics Adapter-Monitore über vier Signale (Red, Green, Blue, Intensity) und zwei Synchronsignale (HSync+ und VSync−)
Enhanced Graphics Array-Monitore über sechs Signale (Red, Green, Blue, Red-Intensity, Green-Intensity, Blue-Intensity) und zwei Synchronsignale (HSync+ und VSync−)
Ära 3: Beim Video Graphics Array wurde von IBM pro Farbe (Rot, Grün, Blau) wieder nur eine Leitung verwendet, über die die Intensität analog übertragen wurde. Dabei wurden bis zu 218 Farben unterstützt. Die beiden Synchronsignale blieben erhalten.
Ära 4: Digitale Übertragung von analogen Signalen als digitale Daten über 1 oder 2 Leitungen. Synchronsignale als spezielle Codeworte im digitalen Datenstrom.
Ära 5: In Ära 4 wird das Signal mit dem exakten Timing aus Ära 3 übertragen. Man löst sich auch von dieser Gewohnheit und überträgt Videodaten als asynchrone Pakete.
Synchronsignale
Computermonitore benötigen meist separat übertragene Synchronsignale (HSYNC + VSYNC).
Selten werden beide Signale zusammen übertragen (CSYNC). Das Übertragen mit dem Helligkeitssignal (YUV) oder Sync-on-Green, der Standard bei Video, wird nicht verwendet.
Digital Visual Interface
Digital Visual Interface (DVI) ist eine Schnittstelle zur Übertragung von Videodaten. Im PC-Bereich entwickelte sich DVI zu einem Standard für den Anschluss von TFT-Monitoren an die Grafikkarte eines Rechners.
DVI beinhaltet die gleichzeitige Ausgabe von analogen (DVI-A oder DVI-I) wie digitalen Video-Signalen (DVI-D und DVI-I). DVI ist in weiten Bereichen kompatibel zum später entstandenen HDMI.
High Definition Multimedia Interface
High Definition Multimedia Interface (HDMI) ist eine ab Mitte 2002 entwickelte Schnittstelle für die volldigitale Übertragung von Audio- und Video-Daten in der Unterhaltungselektronik. Sie vereinheitlicht existierende Verfahren, erhöht gegenüber diesen die Qualitätsmerkmale, und bietet außerdem auch ein zusammenhängendes Kopierschutz-Konzept (DRM).
DisplayPort
DisplayPort (DP) ist ein durch die VESA genormter universeller und lizenzfreier Verbindungsstandard für die Übertragung von Bild- und Tonsignalen. Anwendungsbereiche sind im Wesentlichen der Anschluss von Bildschirmen und Fernsehgeräten an Computern und ähnlichen Geräten.
Quo vadis
Der Weg ist klar vorgezeichnet hin zu einer allgemeinen Schnittstelle, die sowohl zur Stromversorgung und zur Datenübertragung wie auch zur Ausgabe von Videodaten befähigt ist. Siehe USB 3.1 mit Stecker Typ C, Mobile High-Definition Link (MHL) und Thunderbolt.
Analoges TV
Serial Digital Interface
Das Serial Digital Interface (SDI) ist eine serielle digitale Schnittstelle, primär zur Übertragung von unkomprimierten und unverschlüsselten Videodaten über Koaxialkabel oder Lichtwellenleiter. Es kommt hauptsächlich im Bereich professioneller Fernsehstudios und bei Fernsehsendern zum Einsatz.
Die SDI-Schnittstelle wird von der Society of Motion Picture and Television Engineers (SMPTE) spezifiziert und stellt eine Weiterentwicklung der analogen Videostandards wie dem PAL beziehungsweise NTSC-Verfahren dar.
Technische Typen nach Art des Bilddarstellungsverfahrens
Rasterdisplays vs. Vektordisplays mit Kathodenstrahlröhren (CRTs)
Rasterdisplays überstreichen den gesamten Bildschirm in einem festen Raster. Der Elektronenstrahl wird je nach Darstellung hell- oder dunkelgetastet.
Vektorbildschirme arbeiten ähnlich einem Plotter. Es können schlecht Flächen, aber sehr gut Linien dargestellt werden. Ab einer gewissen Komplexität der Darstellung flimmert das Bild zunehmend, da das Zeichnen zu lange dauert und weniger als 40 Mal das Bild pro Sekunde geschrieben werden kann.
Flachbildschirme
Während neuere LCD-Computermonitore und HDTV-Monitor ausnahmslos quadratische Pixel besitzen, gibt es bei alten LCD-Computermonitoren und SDTV-Bildschirmen sowohl quadratische wie nichtquadratische Pixel. Nichtquadratische Pixel waren bei frühen CGA- und EGA-Laptop-Displays üblich. SDTV-Monitore orientierten sich häufig an der ITU-R BT.601 und hatten horizontal 352, 704 oder 720 Pixel. Weder bei 4:3 noch bei 16:9 noch bei PAL noch bei NTSC waren dann die Pixel quadratisch.
Twisted nematic (TN)
Das Twisted-Nematic-Display ist eine der ältesten und häufig günstigsten Arten von LC-Display-Technologien, die es gibt. TN-Displays profitieren von schnellen Pixel-Reaktionszeiten und weniger Smearing als andere LC-Display-Technologien, leiden aber unter schlechter Farbwiedergabe und eingeschränkten Betrachtungswinkeln, besonders in vertikaler Richtung. Die Farben verschieben sich, möglicherweise bis hin zur vollständigen Invertierung, wenn sie in einem Winkel betrachtet werden, der nicht senkrecht zum Display ist. Moderne, hochwertige Consumer-Produkte haben Methoden entwickelt, um die Unzulänglichkeiten der Technologie zu überwinden, wie z. B. RTC-Technologien (Response Time Compensation / Overdrive). Moderne TN-Displays können deutlich besser aussehen als ältere TN-Displays aus früheren Jahrzehnten, aber insgesamt hat TN im Vergleich zu anderen Technologien minderwertige Betrachtungswinkel und schlechte Farben.
TN-Panels können Farben mit nur sechs Bit pro RGB-Kanal oder insgesamt 18 Bit darstellen und sind nicht in der Lage, die 16,7 Millionen Farbschattierungen (24-Bit-True-Color) darzustellen, die mit 24-Bit-Farben möglich sind. Stattdessen zeigen diese Panels interpolierte 24-Bit-Farben mit einer Dithering-Methode an, die benachbarte Pixel kombiniert, um den gewünschten Farbton zu simulieren. Sie können auch eine Form des zeitlichen Dithering verwenden, das als Frame Rate Control (FRC) bezeichnet wird und bei jedem neuen Bild zwischen verschiedenen Farbtönen wechselt, um einen Zwischenfarbton zu simulieren. Solche 18-Bit-Panels mit Dithering werden manchmal als "16,2 Millionen Farben" beworben. Diese Farbsimulationsmethoden werden von vielen Menschen wahrgenommen und von einigen als sehr störend empfunden. FRC neigt dazu, bei dunkleren Tönen am stärksten aufzufallen, während Dithering die einzelnen Pixel des LCDs sichtbar zu machen scheint. Insgesamt ist die Farbwiedergabe und Linearität bei TN-Panels schlecht. Unzulänglichkeiten des Display-Farbumfangs (oft als Prozentsatz des NTSC 1953-Farbumfangs angegeben) sind auch auf die Hintergrundbeleuchtungstechnologie zurückzuführen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass ältere Bildschirme zwischen 10 % und 26 % des NTSC-Farbumfangs liegen, während andere Arten von Bildschirmen, die kompliziertere CCFL- oder LED-Phosphorformulierungen oder RGB-LED-Hintergrundbeleuchtungen verwenden, über 100 % des NTSC-Farbumfangs hinausgehen können, ein Unterschied, der für das menschliche Auge durchaus wahrnehmbar ist.
Der Transmissionsgrad eines Pixels eines LCD-Panels ändert sich typischerweise nicht linear mit der angelegten Spannung, und der sRGB-Standard für Computermonitore erfordert eine bestimmte nichtlineare Abhängigkeit der emittierten Lichtmenge als Funktion des RGB-Wertes.
In-plane Switching (IPS)
In-Plane-Switching wurde 1996 von Hitachi Ltd. entwickelt, um den schlechten Betrachtungswinkel und die schlechte Farbwiedergabe der damaligen TN-Panels zu verbessern. Der Name kommt von dem Hauptunterschied zu TN-Panels, dass sich die Kristallmoleküle parallel zur Paneelebene bewegen, anstatt senkrecht dazu. Diese Änderung reduziert die Lichtstreuung in der Matrix, was IPS seine charakteristischen weiten Betrachtungswinkel und gute Farbwiedergabe verleiht.
Die ersten Iterationen der IPS-Technologie zeichneten sich durch eine langsame Reaktionszeit und ein niedriges Kontrastverhältnis aus, aber spätere Überarbeitungen haben diese Mängel deutlich verbessert. Aufgrund des weiten Betrachtungswinkels und der akkuraten Farbwiedergabe (fast ohne Farbverschiebung außerhalb des Winkels) wird IPS häufig in High-End-Monitoren eingesetzt, die sich an professionelle Grafiker richten, obwohl sie mit dem jüngsten Preisverfall auch auf dem Mainstream-Markt zu finden ist. Die IPS-Technologie wurde von Hitachi an Panasonic verkauft.
Advanced fringe field switching (AFFS)
Dies ist eine von IPS abgeleitete LCD-Technologie von Boe-Hydis aus Korea. Bis 2003 als Fringe Field Switching bekannt, ist Advanced Fringe Field Switching eine ähnliche Technologie wie IPS oder S-IPS, die eine bessere Leistung und einen größeren Farbraum mit hoher Leuchtkraft bietet. Farbverschiebungen und -abweichungen, die durch Streulicht verursacht werden, werden durch die Optimierung des Weißumfangs korrigiert, wodurch auch die Weiß-/Grauwiedergabe verbessert wird. AFFS wurde von Hydis Technologies Co., Ltd, Korea (ehemals Hyundai Electronics, LCD Task Force) entwickelt.
Im Jahr 2004 lizenzierte Hydis Technologies Co., Ltd. sein AFFS-Patent an das japanische Unternehmen Hitachi Displays. Hitachi verwendet AFFS zur Herstellung von High-End-Panels in ihrer Produktlinie. Im Jahr 2006 lizenzierte Hydis sein AFFS auch an die Sanyo Epson Imaging Devices Corporation.
Multidomain Vertical Alignment (MVA)
Sie erreichte eine für die damalige Zeit schnelle Pixelreaktion, weite Betrachtungswinkel und einen hohen Kontrast auf Kosten der Helligkeit und der Farbwiedergabe. Moderne MVA-Panels bieten weite Betrachtungswinkel (an zweiter Stelle nach der S-IPS-Technologie), eine gute Schwarztiefe, eine gute Farbwiedergabe und -tiefe und schnelle Reaktionszeiten aufgrund der Verwendung von RTC-Technologien (Response Time Compensation). Wenn MVA-Panels schräg betrachtet werden, verschieben sich die Farben, aber viel weniger als bei TN-Panels.
Es gibt mehrere "Next-Generation"-Technologien, die auf MVA basieren, darunter P-MVA und AMVA von AU Optronics sowie S-MVA von Chi Mei Optoelectronics.
Gemusterte vertikale Ausrichtung (PVA)
Weniger teure PVA-Panels verwenden oft Dithering und FRC, während Super-PVA (S-PVA)-Panels alle mindestens 8 Bits pro Farbkomponente verwenden und keine Farbsimulationsmethoden einsetzen. S-PVA eliminiert auch weitgehend das winkelabhängige Glühen von Volltonschwärzen und reduziert die winkelabhängige Gammaverschiebung. Einige High-End-LCD-Fernseher von Sony BRAVIA bieten 10-Bit- und xvYCC-Farbunterstützung, zum Beispiel die Bravia X4500-Serie. S-PVA bietet außerdem schnelle Reaktionszeiten durch moderne RTC-Technologien.
Advanced Super View (ASV)
Advanced super view, auch achsensymmetrische vertikale Ausrichtung genannt, wurde von Sharp entwickelt. Es ist ein VA-Modus, bei dem sich die Flüssigkristallmoleküle im ausgeschalteten Zustand senkrecht zu den Substraten ausrichten. Das untere Subpixel hat durchgehend bedeckte Elektroden, während das obere eine kleinflächige Elektrode in der Mitte des Subpixels hat.
Wenn das Feld eingeschaltet ist, beginnen die Flüssigkristallmoleküle aufgrund des elektrischen Feldes in Richtung der Mitte der Subpixel zu kippen; dadurch entsteht eine kontinuierliche Pinwheel-Ausrichtung (CPA); der azimutale Winkel dreht sich kontinuierlich um 360 Grad, was zu einem hervorragenden Betrachtungswinkel führt. Der ASV-Modus wird auch als CPA-Modus bezeichnet.
Plane Line Switching (PLS)
Eine von Samsung entwickelte Technologie ist Super PLS, die Ähnlichkeiten mit IPS-Panels aufweist und mit verbesserten Betrachtungswinkeln und Bildqualität, erhöhter Helligkeit und niedrigeren Produktionskosten wirbt. Die PLS-Technologie debütierte auf dem PC-Display-Markt mit der Einführung der Monitore Samsung S27A850 und S24A850 im September 2011.
TFT-Dual-Transistor-Pixel (DTP) oder Zelltechnologie
Die TFT-Doppeltransistor-Pixel- oder -Zelltechnologie ist eine reflektierende Display-Technologie für den Einsatz in Anwendungen mit sehr geringem Stromverbrauch, wie z. B. elektronische Regaletiketten (ESL), Digitaluhren oder Messgeräte. DTP beinhaltet das Hinzufügen eines sekundären Transistor-Gates in der einzelnen TFT-Zelle, um die Anzeige eines Pixels über einen Zeitraum von 1s aufrechtzuerhalten, ohne dass das Bild verloren geht oder die TFT-Transistoren mit der Zeit degradieren. Durch die Verlangsamung der Bildwiederholrate der Standardfrequenz von 60 Hz auf 1 Hz behauptet DTP, die Leistungseffizienz um mehrere Größenordnungen zu erhöhen.
Datenübertragung
Der Anschluss beim TFT-Monitor ist nicht nur eine Frage der Kompatibilität, sondern auch der Qualität des Bildes. DVI ist eine digitale Schnittstelle für Grafikkarten und Monitore (Digital Visual Interface). VGA ist die analoge Schnittstelle (Video Graphics Array). Die Grafikdaten werden im PC digital verarbeitet, die dann in der Grafikkarte in analoge Signale umgewandelt werden.
Ein TFT-Monitor benötigt digitale Signale zur Darstellung der Bilder. Wird jetzt ein TFT-Monitor über einen VGA-Anschluss betrieben, muss im Monitor ein Analog-Digital-Wandler das analoge Signal in ein digitales Signal übersetzen. Durch die Umwandlung wird die Qualität des Bildes je nach verwendeten Bauelementen mehr oder weniger gedämpft. Leichte Unschärfe und Flimmern können die Folge sein. Die beste Kombination ist eine Grafikkarte mit digitalem DVI-Ausgang und ein Monitor mit DVI-Eingang.
Per DVI-VGA-Adapter kann auch ein TFT-Monitor, der lediglich einen VGA-Anschluss besitzt, an einer Grafikkarte mit DVI-Anschluss betrieben werden, jedoch wird bei diesem Verfahren das Bild weiterhin analog übertragen.
Moderne Computerbildschirme dunkeln sich nach einer gewissen Zeit von unveränderten Datensignalen ab oder gehen in einen Stand-by-Modus um Strom zu sparen. (Siehe auch: Green IT)
Standardauflösungen
Im Bereich existieren sowohl Grafikstandards, wie auch typische Auflösungen für Grafikmodi, wobei die meisten über die VESA standardisiert sind.
Die Bildschirme sind werksseitig auf ein Gamma von 2,2 und eine Farbtemperatur von 6500 K justiert. Mittels Farbmanagement-Software lassen sich diese Werte (soweit darstellbar) anpassen.
Flachbildschirme haben wie Röhrenbildschirme mit Kathodenstrahlröhren eine maximale und minimale darstellbare Bildschirmauflösung. Während bei einem Röhrenmonitor keine Auflösung genau über die native Lochmaske passt und daher alle Auflösungen entsprechend unscharf wiedergegeben werden. Die meisten anderen Auflösungen müssen interpoliert werden und erscheinen daher weniger scharf. Ausnahmen sind Auflösungen, die in Höhe und Breite Teiler der Maximalauflösung darstellen und bei denen daher keine Zwischenpixel interpoliert werden müssen, wie etwa die Hälfte oder ein Viertel der nativen Auflösung. Die native Auflösung wird in der Typenbeschreibung des Monitors angegeben.
Als Desktop-Bildschirmauflösung des Betriebssystems ist daher heute die native (= maximale) Bildschirmauflösung des verwendeten Flachbild-Monitors besonders zu empfehlen. Moderne Betriebssysteme übernehmen die Skalierung der Bildschirmdarstellung in die gewünschte Darstellungsgröße selbst und ermöglichen der Grafikkarte so, den Flachbildschirm in seiner nativen Auflösung anzusteuern.
Bildschirmmaße
Bei TFT-Monitoren wird die exakte Bildschirmdiagonale angegeben. Bei früheren Röhrenmonitoren wurde die (nicht vollständig nutzbare) Diagonale des Glaskolbens angegeben. Diese Diagonale war etwa 2,5 bis 4 cm größer als die wirklich nutzbare Diagonale.
Das Seitenverhältnis bei Röhrenmonitoren war fast(?) ausnahmslos 4:3. Bei Flachdisplays war dies anfangs auch so. 17-Zoll- und 19-Zoll-Geräte gab es meist mit 1280×1024er Auflösung und einem Seitenverhältnis von 5:4.
Ab dem Aufkommen von 24-Zoll-Geräten um die Jahrtausendwende kamen 16:10 und seit 2008 16:9-Geräte dazu. Letztere haben mittlerweile einen Marktanteil von etwa 90 Prozent.
Eine weitere Größe war bei Röhrengeräten die maximale Zeilenfrequenz bzw. die maximale Bildfrequenz bei gegebener Auflösung. Seit der Ära TFT ist diese von geringerer Bedeutung geworden und beträgt meist 60 Hz. Flimmern hat nichts mehr mit der Auffrischrate des Bildinhalts zu tun.
Bekannte Hersteller von Computermonitoren
Siehe auch
Braillezeile
Displayschutzfolie
Screenreader
Bildschirmarbeitsplatz
Breitbildmonitor
Einzelnachweise
Bildschirm
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Q5290
| 261.4207 |
21109
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https://de.wikipedia.org/wiki/Moostierchen
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Moostierchen
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Moostierchen (Ectoprocta (Gr.: mit äußerem After)), auch Bryozoa oder Polyzoa genannt, sind vielzellige Tiere, die im Wasser leben. Aufgrund ihrer mikroskopischen Größe sind Einzeltiere schwer auszumachen, ausgedehntere Kolonien sind aber leicht als flächige Struktur, zum Beispiel auf angeschwemmtem Seetang, zu erkennen.
Moostierchen gehören zu den Lophotrochozoen, also einer Großgruppe der Urmünder (Protostomia). Ihr genaues Verwandtschaftsverhältnis zu anderen Lophotrochozoa-Stämmen ist zurzeit unklar. Weder die häufig vermutete Beziehung zu den Kelchwürmern (Entoprocta), noch zu den Hufeisenwürmern (Phoronida) und Armfüßern (Brachiopoda) konnte durch molekulargenetische Testmethoden bestätigt werden.
In älteren Lehrbüchern findet man sie aber oft mit den Phoronida und Brachiopoda zum Stamm der Tentaculata vereinigt.
Bau
Moostierchen bilden meist Kolonien (Zoarium) aus mehreren Einzeltieren (Zooiden). Das einzelne Zooid besteht aus einem Weichkörper und einer schützenden Schale, dem es umgebenden, extrazooidalem, Skelett (Zooecium). Der Weichkörper besteht aus dem Polypid (= Vorderkörper; frei bewegliche Teile) und dem Cystid (= Hinterkörper; in den das Polypid mittels Rückziehmuskeln komplett eingezogen werden kann). Das Polypid wird aus dem Cystid gebildet. Das Verdauungssystem ist in Mund, Mitteldarm, Enddarm und After gegliedert. Der After ist dabei nicht endständig, sondern kommt durch den U-förmigen Darm in der Nähe des Mundes außerhalb des Tentakelkranzes (Lophophor) zu liegen. Den Mund umgeben Tentakel, die auf einem kreisförmigen oder zweiteiligen Lophophor sitzen. Die Darmkanäle der Einzeltiere stehen nicht wie bei den Nesseltierkolonien miteinander in Verbindung.
Innerhalb der Kolonien kommt es zu Arbeitsteilungen. Stark rückgebildete Tiere bilden Stielglieder, Ranken oder Wurzelfäden. Andere Einzeltiere bilden Geschlechtszellen, wieder andere werden zu Ammentieren oder zu vogelkopfähnlichen Avicularien oder Vibrakularien, die das Festsetzen von Fremdorganismen auf der Kolonie verhindern. Bei den spezialisierten Tieren der Kolonie sind sowohl die Tentakelkrone als auch meist der Darm zurückgebildet.
Fortpflanzung und Entwicklung
Die Tiere können sich geschlechtlich oder ungeschlechtlich fortpflanzen.
Geschlechtliche Fortpflanzung
Aus der geschlechtlichen Fortpflanzung gehen zwei verschiedene Typen von Larven hervor: Die als Cyphonaut bezeichnete planktotrophe Larve stellt die „primitive“ Form dar. Sie ernährt sich über Wochen oder sogar Monate hinweg im Plankton. Die lecitothrophe Larve setzt sich schon nach einigen Stunden mit der Ventralfläche fest. Durch Metamorphose entsteht Ancestrula, die ersten 1–6 Zooide einer neuen Kolonie. Darauf folgt dann die ungeschlechtliche Fortpflanzung, durch welche die Kolonie weiter wächst.
Ungeschlechtliche Fortpflanzung
Die ungeschlechtliche Fortpflanzung geschieht durch Knospen, ähnlich wie bei einer Pflanze, die bei den Süßwasserarten als Statoblasten bezeichnet werden. Dadurch können große Kolonien entstehen. Die durch ungeschlechtliche Fortpflanzung entstandenen Zooide innerhalb einer Kolonie sind folglich Klone, genetisch identische Nachkommenschaft der Ursprungs-Larve.
Vorkommen
Es sind heute ca. 5.600 rezente und 16.000 fossile Arten von Moostierchen in Süß- und Salzwasser beschrieben. Die Klasse der Süßwassermoostierchen (Phylactolaemata) umfasst alle limnischen Arten.
In der Geologie haben sie aufgrund der weiten Verbreitung seit dem Ordovizium (Cyclostomata und Ctenostomata) eine hohe Bedeutung als Leitfossilien und für stratigraphische Bestimmungen.
Wirtschaftliche Bedeutung
Über 125 Arten verursachen durch starkes Wachstum Schäden bzw. Unterhaltungskosten an Schiffen, Hafenanlagen und wasserwirtschaftlichen Anlagen (z. T. auch im Süßwasser).
Andererseits produzieren Bryozoen chemische Wirkstoffe, die hinsichtlich ihrer Wirkung Gegenstand medizinischer Forschung sind, darunter das mögliche Antikrebsmittel Bryostatin 1.
Weblinks
Moostierchen (Bryozoa). Die große Organisation in Richtung des kleinsten Raumes Senckenbergische Naturforschende Gesellschaft
Recent and Fossil Bryozoa Datenbank zu Bryozoen taxa (auf Englisch)
IBA, International Bryozoology Association Internationale Gesellschaft für Bryozoologie (auf Englisch)
Glossary Begriffe rund um Bryozoa (auf Englisch)
University of California Museum of Paleontology – Introduction to the Bryozoa Allgemeine Einleitung mit Angaben zu wirtschaftlicher Bedeutung (auf Englisch)
Literatur
Hayward, P.J., & Ryland, J.S., 1999: Cheilostomatous Bryozoa. Part 2. Hippothoidea – Celleporoidea. Synopses of the British Fauna (New Series), 14: 1–416, (Barnes, R.S.K., & Crothers, J.H., editors). Field Studies Council, Shrewsbury.
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Q148134
| 447.173452 |
84619
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tannine
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Tannine
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Die Tannine (von franz. tanin Gerbstoff) sind pflanzliche Gerbstoffe, die in einigen bedecktsamigen Stauden, Sträuchern und Baumblättern und anderen Pflanzenteilen besonders der Tropen und Subtropen weit verbreitet sind und von pflanzenfressenden Säugetieren aufgenommen werden. Diese Verbindungen haben eine molare Masse von 500–3000 g/mol. Als Monomer tritt häufig die Gallussäure auf.
Tannine gehören zu den so genannten quantitativen pflanzlichen Sekundärstoffen. Sie haben im Gegensatz zu qualitativen Wirkstoffen (Alkaloiden) ein weiteres Abwehrspektrum gegen Pflanzenfresser (Herbivore), da sie wahrscheinlich hauptsächlich die Verdauung beeinflussen, indem sie Proteine deaktivieren.
Zusammensetzung und Eigenschaften
Chemisch gesehen handelt es sich um Polyhydroxyphenole. Sie sind in Wasser, Ethanol und Aceton löslich und enthalten ausreichend ortho-ständige phenolische Hydroxygruppen, um Quervernetzungen zwischen Makromolekülen wie Proteinen, Cellulose und Pektin ausbilden zu können. Solche Vernetzungen können die Aktivität von Pflanzenenzymen und -organellen hemmen und sorgen in der Lederherstellung für Haltbarkeit und Schutz vor Mikroorganismen (Gerben).
Die pflanzlichen Tannine variieren deutlich in ihrer chemischen Struktur und biologischen Aktivität. Tannine mit starken Absorptionseigenschaften sind im Allgemeinen in den Vakuolen zu finden, separiert vom Protoplasma der Pflanzen. Die physiologische Aktivität resultiert aus der selektiven Bindefähigkeit der Tannine zu Proteinen, besonders zu großen und prolinreichen Molekülen mit offener Konformation.
Tannine werden aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften in zwei Gruppen aufgeteilt
hydrolysierbare Tannine (Gallotannine und Ellagitannine) und
kondensierte Tannine (Catechin-Gerbstoffe); auch bekannt als kondensierte Proanthocyanidine
Erstere können zu Glucose, anderen mehrwertigen Alkoholen, Gallussäure oder Ellagsäure hydrolysiert werden. Als Beispiel für ein hydrolysierbares Tannin steht das Corilagin. Kondensiertes Tannin besteht aus miteinander polymerisierten flavonoiden Phenolen wie Catechinen, Epicatechin, Anthocyanen usw. Sie sind entsprechend Polymere, deren monomere Einheiten aus phenolischen Flavanen bestehen, meist Catechin (Flavan-3-ol).
Tannine können eine Vielzahl von Viren inaktivieren.
Vorkommen
Tannine gehören zu den Anti-Nährstoffen, mit denen sich verschiedene nährstoffreiche Pflanzen, die auch in der menschlichen Ernährung verwendet werden (Leguminosen wie Limabohnen), vor Fressfeinden schützen. Siehe auch: Pflanzliche Abwehr von Herbivoren
Man findet sie im Holz und der Rinde von Eichen, Birken und Kastanien, in der Fruchthülle der Walnuss, in den Hülsen des Divi-Divi-Baums (Caesalpinia coriaria), in Sumachgewächsen, in der Frucht des Kaki-Baums und des Speierlings, Kirschpflaumen, Trillo, Valonea, Blutwurz, in Weintrauben, Quitten sowie in Pflanzengallen. Diese Stoffe werden außerdem von Akazien wie dem Gummiarabikumbaum produziert, um potenzielle Fressfeinde abzuschrecken. Monomere Gruppen der Tannine sind auch im Hopfen sowie in schwarzem und grünem Tee enthalten, im Tee zum Beispiel das Catechin. Der Tanningehalt in Lebensmitteln wird meistens in Milligramm pro 100 Gramm angegeben.
Tannine in Lebensmitteln
Wein
Der Gehalt an Tanninen und ihre Struktur sind ein ausschlaggebender Faktor für die Qualität eines Weines. Teils wird irrtümlich angenommen, dass Rotweine abhängig vom Tanningehalt länger oder weniger lang haltbar seien. Tannin verhindert zwar die Oxidation des Weines, was heutzutage aber auch durch Zugabe von Kaliumdisulfit (Kaliumpyrosulfit) erreicht werden kann. Tannin verleiht dem Wein eine charakteristisch raue Note von Trockenheit, die sogenannte Adstringenz.
Es wird auch aus Eichenfässern auf Wein übertragen (Barrique), wenn diese nicht weingrün gemacht wurden. Jedoch fördert die Sauerstoffzufuhr auch die Polymerisation mit Anthocyanen, so dass der Tanningehalt des Weines nach dem Barrique-Ausbau meist geringer ist als vorher. Der Tanningehalt eines Weines entscheidet weniger über die Lagerfähigkeit als vielmehr über dessen Lagerbedürftigkeit: Im Laufe der Flaschenreife polymerisieren die Tannine mit Anthocyanen zu nicht adstringierend wirkenden, langkettigen Molekülen. Die Adstringenz des Weines geht dabei stetig zurück, wodurch sich der Wein angenehmer trinken lässt (siehe Trinkreife). Voraussetzung dafür ist das Vorhandensein einer ausreichenden Konzentration von Anthocyanen (Farbstoffen).
Die Önologie kennt heute über 30 verschiedene Tannine. Manche sind für die Qualität des Weines von Bedeutung, andere werden als ungünstig eingestuft. Grundsätzlich spielen Tannine bei Rotweinen eine größere Rolle als bei Weißweinen, da mit den Farbstoffen immer auch Gerbstoffe aus den Beerenhäuten extrahiert werden. Späte Weinlese und hohe physiologische Reife sorgen für reifere und als weich empfundene Tannine. Unreife Gerbstoffe hingegen schmecken grün, aggressiv und pelzig.
Tee
Schwarzer und mehr noch grüner Tee enthalten ebenfalls Tannine, was deren herben Geschmack erklärt. Die Tannine werden erst nach einer gewissen Ziehzeit (mehr als zwei Minuten) freigesetzt.
Kaffee
Auch Kaffee enthält Tannine. Der Tanningehalt von gerösteten Kaffeebohnen liegt deutlich höher als der Tanningehalt von ungerösteten Kaffeebohnen.
Beeren
Auch viele Beeren enthalten Tannine. Vor allem Heidelbeeren, Himbeeren und Brombeeren enthalten Tannine. Der Tanningehalt von Heidelbeeren liegt bei 160 mg pro 100 g, der von Himbeeren bei 120 mg pro 100 g und der von Brombeeren bei 78 mg pro 100 g. Diese Beeren enthalten auch viele andere Antioxidantien.
Gesundheitliche Auswirkungen
blähende und stopfende Wirkung
Behinderung der Resorption bestimmter Arzneistoffe (wie Digitalis) durch die Darmschleimhaut
Behinderung der Resorption von Eisen
Behinderung der Resorption von Calcium
Verwendung
Die technische Hauptverwendung der Tannine liegt in der Ledererzeugung (Vegetabilgerbung), wo sie als Gerbstoffe zur Vernetzung der Kollagenmoleküle und damit zur Erhöhung der Haltbarkeit und dem Schutz vor Mikroorganismen eingesetzt werden. Tannine werden weiterhin als Rostumwandler eingesetzt, wobei die Wasserlöslichkeit und Umweltverträglichkeit gegenüber anderen Wirkstoffen vorteilhaft ist. In der chemischen Industrie werden Tannine zur Gewinnung von Gallussäure und Pyrogallol genutzt.
Durch Kondensation mit geeigneten Vernetzungsmitteln (beispielsweise Formaldehyd) zu hochmolekularen Kondensationsprodukten lassen sich Bindemittel zur Verklebung von Holzwerkstoffen herstellen. Diese Bindemittel konnten sich jedoch technisch und wirtschaftlich gegenüber den Aminoplasten bislang nicht durchsetzen.
Als ausgeprägte Antioxidantien finden sie als Nahrungsergänzungsmittel Verwendung und werden auch zur Lebensmittelkonservierung eingesetzt. Sie wirken zudem antiviral und antibakteriell.
In der Medizin werden Tannine wegen ihrer adstringierenden Wirkung als Hämostatikum, als Antiseptikum oder zur Behandlung des übermäßigen Speichelflusses (Hypersalivation) verwendet. In der Volksmedizin wird zudem die auswurffördernde Wirkung genutzt, durch Eichenrinde in Europa (für Bäder) und die Rinde des Gummiarabikumbaums in Afrika.
Weblinks
Tannine – Alles über die Gerbstoffe im Wein, Trinkreif.de
Tannin, Weinkenner.de
The Tannin Handbook – Tannin Chemistry (englisch)
Einzelnachweise
Stoffgruppe
Tannine
Wein als Thema
Tannine
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Q187607
| 87.617439 |
41842
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https://de.wikipedia.org/wiki/Dewey-Dezimalklassifikation
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Dewey-Dezimalklassifikation
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Die Dewey-Dezimalklassifikation (engl. Dewey Decimal Classification, kurz DDC) ist die international am weitesten verbreitete Klassifikation für die Sacherschließung von Bibliotheksbeständen. Sie ist nach dem US-amerikanischen Bibliothekar Melvil Dewey benannt, der 1876 die erste Ausgabe veröffentlichte, und wird hauptsächlich im englischen Sprachraum eingesetzt. Die DDC ist aber auch darüber hinaus in mehr als 30 Sprachen übersetzt worden und wird in mehr als 135 Ländern in über 200.000 Bibliotheken weltweit eingesetzt. In über 60 Ländern wird die Nationalbibliografie nach der DDC gegliedert. Sie hat daher eine große Bedeutung für den internationalen Datenaustausch zwischen Bibliotheken. Die Deutsche Nationalbibliothek setzt die DDC seit 2004 zur Gliederung der Sachgruppen ein, seit 2006 schrittweise auch für die klassifikatorische Inhaltserschließung, seit 2007 für die Veröffentlichungen des Verlagsbuchhandels (Reihe A der Deutschen Nationalbibliografie). Die Klassifikation wird seit 1998 von der Organisation OCLC lizenziert; die deutsche Übersetzung steht seit 2010 unter der Creative-Commons-Lizenz CC-BY-NC-ND 3.0 zur Verfügung.
Geschichte
Die DDC beruht auf einer Dezimalklassifikation, die ursprünglich von Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) erdacht wurde und die der US-amerikanische Bibliothekar Melvil Dewey (1851–1931) als Student am Amherst College weiterentwickelte.
Im Oktober 2005 erschien die durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft unterstützte deutsche Übersetzung der DDC, die seit Januar 2006 von der Deutschen Nationalbibliothek verwendet wird. Die DNB hatte von 2002 bis 2005 dieses Projekt gemeinsam mit der Fachhochschule Köln entwickelt. Der in MelvilSearch dargestellte Teil der Dewey-Dezimalklassifikation ist seit Februar 2010 unter der Creative-Commons-Lizenz „CC-BY-NC-ND 3.0“ frei verfügbar.
Abgrenzung der DDC von der Universellen Dezimalklassifikation
Außerhalb des anglo-amerikanischen Sprachraums existiert noch die Universelle Dezimalklassifikation (UDC), die von den belgischen Bibliothekaren Paul Otlet und Henri La Fontaine 1895 als europäische Variante kreiert wurde (in Deutschland vom Deutschen Normenausschuss/DIN als DK verbreitet), weil die DDC für den internationalen Gebrauch teilweise zu speziell amerikanisch war. Es existieren also zwei Systeme, die DDC und die UDC. Für das Internet entwickelte der Amerikaner David A. Mundie das System CyberDewey. In Japan wird sie als Basis der Nippon Decimal Classification (NDC) verwendet, die seit August 1995 in der 9. Auflage aktuell ist.
Die DDC unterscheidet sich von der UDC unter anderem in folgenden Punkten:
Die DDC verwendet angehängte Nullen, um auch auf den beiden obersten Gliederungs-Ebenen dreistellige Notationen zu erhalten
Die oberste Gliederungsebene unterscheidet sich in der Behandlung von Literatur und Linguistik:
DDC: 4[00] = Sprache/Linguistik; 8[00] = Literatur
UDC: 4 = unbesetzt; 8 = Linguistik und Literatur (UDC sieht die Trennung von Literatur und Linguistik als unzulässig an)
Auf den tieferen Gliederungs-Ebenen haben sich im Laufe der Jahrzehnte teilweise erhebliche Unterschiede entwickelt
Sowohl DDC als auch UDC besitzen eine Reihe von Hilfstafeln zur Untergliederung nach Raum, Zeit, Sprache, Form etc. Die DDC verwendet auch bei den Hilfstafeln ausschließlich die Ziffern 0 bis 9, während die UDC eine Vielzahl von Symbolen verwendet und sich so bereits optisch von der DDC deutlich unterscheidet.
Aufbau der Klassifikation
Die Klassifikation besteht aus ca. 36.000 Klassen (sog. Haupt- bzw. Hilfstafeln). Diese ermöglichen durch Notationssynthese die Bildung von ca. einer Milliarde synthetischer Notationen. Einzelne Notationen sind dabei numerisch und bestehen aus mindestens 3 und in Sonderfällen bis zu über 20 Ziffern. Die DDC ist unbegrenzt in tiefere Hierarchieebenen erweiterbar („hospitality in chain“), allerdings nur begrenzt auf gleicher Ebene („hospitality in array“).
Quelle:
Beispiele
Eine Suche bei der Deutschen Nationalbibliothek nach dem Stichwort Blog liefert den Sachbegriff Weblog und die DDC-Notation 006.752. Der Begriff schlüsselt sich wie folgt auf:
Weitere Beispiele:
Eichhörnchen = 599.362: Naturwissenschaften → Tiere (Zoologie) → Einzelne taxonomische Gruppen von Tieren → Verschiedenen Ordnungen von Eutheria (Plazentatiere) → Sciuridae (Hörnchen) → Sciurus (Eichhörnchen)
Gummibärchen werden eingeordnet unter 641.853 und 664.153. 641.853: Technik → Hauswirtschaft & Familie → Essen und Trinken → Kochen einzelner Arten von Gerichten und Zubereitung von Getränken → Konfitüren und Süßwaren → Süßwaren. 664.153: Technik → Chemische Verfahrenstechnik → Lebensmitteltechnologie → Zucker, Sirup, daraus entstandene Produkte → Zuckerprodukte → Süßwaren.
Quelle:
Literatur
Heidrun Alex: DDC-Sachgruppen der Deutschen Nationalbibliografie: Leitfaden zu ihrer Vergabe; Leipzig 2004, ISBN 3-933641-57-8
Karl W. Bührer, Adolph Saager: Die Welt-Registratur. Das Melvil-Deweysche Dezimal-System. Seybold, Ansbach 1912 (Digitalisat)
Lois Mai Chan, Joan S. Mitchell: Dewey-Dezimalklassifikation: Theorie und Praxis. Saur, München 2006, ISBN 978-3-598-11747-3 (Lehrbuch zur DDC 22)
Melvil Dewey: A Classification and Subject Index for Cataloguing and Arranging the Books and Pamphlets of a Library. (Dewey Decimal Classification). 1876, E-Text (Project Gutenberg; englisch)
Dewey-Dezimalklassifikation und Register: DDC 22;, begründet von Melvil Dewey, hrsg. von J. S. Mitchell unter Mitwirkung von J. Beall, G. Martin, W. E. Matthews, Jr., G. R. New (deutsche Ausgabe), 4 Bände, Saur, München 2005, ISBN 3-598-11651-9.
Britta Haßelmeier: Die Dewey Decimal Classification: Eine Einführung im Zusammenhang mit dem Projekt „DDC Deutsch“; PDF – informative Hausarbeit 2003/2004
Konrad Umlauf: Einführung in die bibliothekarische Klassifikationstheorie und -praxis; Webdokument (Stand: 20. Juli 2003, Zugriff: 1. März 2004, nl)
Walther Umstätter: DDC in Europa. Hat der Einsatz in der Deutschen Nationalbibliothek … weitergebracht? … In: Bibliotheksdienst 42, S. 1194–1221. 2008.
Weblinks
Offizielle deutsche DDC-Website
Lizenz und Pflege der DDC
Konsortium der UDC
DDC-Suche: Deutsche Nationalbibliothek
Liste der ersten drei Ebenen der DDC
DeweyDigger
https://deweysearchde.pansoft.de/webdeweysearch/ (Suchmaschine für DDC-Klassen)
Projektseite des DFG-Projekts DDC Deutsch
Einzelnachweise
Bibliotheksklassifikation
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Q48460
| 792.083219 |
360809
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https://de.wikipedia.org/wiki/G%C9%99nc%C9%99
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Gəncə
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Gəncə (), eingedeutscht auch Gandscha oder Gändschä (ehemals Jelisawetpol – Elisavetpolʹ oder Elizavetpolʹ, dann Kirowabad – Kirovabad, überlieferter persischer Name , ), ist mit 335.800 Einwohnern (Stand: 2021) die drittgrößte Stadt Aserbaidschans. Das Stadtgebiet umfasst eine Fläche von 110 km².
Geografie
Gəncə liegt im Nordwesten des Landes am Fuße des Kleinen Kaukasus. Der gleichnamige Bach, der in den Kura mündet, trennt die Stadt in zwei Hälften. Der ältere Stadtteil ist der westliche. Dort stehen alte Befestigungsanlagen und eine Moschee aus der Zeit Abbas’ I. Das Klima eignet sich gut für den Anbau von Wein, Früchten, Gemüse und Tabak. Die Stadt ist auch ein Zentrum der Seidenraupenzucht.
Geschichte
Gəncə wurde im Jahre 859 von Arabern gegründet. Anfangs nur ein kleiner Ort, wurde Gəncə mit dem Niedergang der Stadt Bərdə zur neuen Hauptstadt der Region Arrān. Im Mittelalter war die Stadt vom 10. bis zum 13. Jahrhundert ein blühender Handelsplatz an der Seidenstraße auf dem Weg nach Tiflis. Von 951 bis 1174 herrschten hier die kurdischen Schaddadiden. 1138 wurde Gəncə von einem Erdbeben, das hunderttausende Opfer forderte, zerstört, um anschließend wenige Kilometer weiter westlich wieder aufgebaut zu werden. Die Georgier im Norden nutzen dies aus und plünderten unter König Demetre I. die Stadt, wobei sie auch eines der Stadttore mitnahmen. Das Tor ist heute im georgischen Kloster Gelati verbaut. Nach den Schaddadiden herrschten die Atabegs von Aserbaidschan über die ganze Region. Bei den Auseinandersetzungen zwischen den Georgiern und den Atabegs wurde Gəncə oft angegriffen. 1221 standen die Mongolen vor der Stadt, konnten aber gegen die starken Befestigungsanlagen nichts ausrichten. Trotzdem ließen sie sich ihren Rückzug mit Geld und Geschenken bezahlen. 1225 eroberte der Choresm-Schah Dschalal ad-Din, der ständig auf der Flucht vor den Mongolen war, die Stadt und setzte der Eldigüziden-Herrschaft ein Ende. Später gelang es den Mongolen doch noch, die Stadt einzunehmen und niederzubrennen. Gəncə konnte seinen alten Status danach nicht wiedererlangen.
Unter den Safawiden wurde die Stadt im 16. Jahrhundert Teil Persiens. Die Verwalter der Stadt erhielten den Titel Khan. 1588 eroberten die Rivalen der Safawiden, die türkischen Osmanen, die Stadt. Nach einer sechsmonatigen Belagerung holten sich die Perser die Stadt 1606 zurück. Schah Abbas verlagerte sie an einen höheren Platz im Südwesten. 1723 eroberten wieder die Osmanen die Stadt, wurden dann aber 1735 von Nadir Schah vertrieben. 1747 wurde Gəncə Hauptstadt des gleichnamigen Khanats und blieb nominell bis zum Russisch-Persischen Krieg (1804–1813) persisch. Am 3. Januar 1804 wurde sie von den Truppen des russisch-georgischen Generals Zizianow eingenommen. Mit dem Frieden von Gulistan verlor Persien all seine Territorien nördlich des Flusses Aras. Nach der Eroberung durch Russland im Jahr 1804 hieß Gəncə bis 1918 Jelisawetpol (Elizavetpolʹ), benannt nach Zar Alexanders Frau Jelisaweta. Im nächsten Russisch-Persischen Krieg (1826–1828) versuchten die Perser die Stadt zurückzuerobern, wurden jedoch am 25. September 1826 vor Gəncə besiegt.
Am 24. Dezember 1905 wurde Jelisawetpol in Zusammenhang mit Massakern zwischen Armeniern und „Tataren“ (als Tataren wurde im Russischen Kaiserreich in dieser Periode pauschal die turksprachige Bevölkerung bezeichnet; hier also vorrangig die heutigen Aserbaidschaner) fast völlig zerstört. 2000 Menschen kamen bei diesen ethnischen Unruhen ums Leben.
Nach Gründung der Demokratischen Republik Aserbaidschan war das von der aus Tiflis zurückgekehrten Müsavat-Regierung rückbenannte Gəncə von Mai bis September 1918 Hauptstadt der Republik, solange sich Baku in der Hand der Roten Armee befand.
Ende Mai 1920 war Gəncə Schauplatz einer der größten antisowjetischen Revolten im Südkaukasus, die jedoch blutig niedergeschlagen wurde.
Von 1935 bis 1989 trug die Stadt den Namen Kirowabad (Kirovabad), benannt nach dem sowjetischen Politiker Sergei Kirow (1886–1934). In der Stadt bestand das Kriegsgefangenenlager 223, Kirovabad für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.
In der Nähe der Stadt liegen Göygöl, ehemals als Helenendorf erste und größte deutsche Kolonie auf dem Territorium des heutigen Aserbaidschans, von Aussiedlern aus Württemberg 1819 gegründet, wie auch Şəmkir, das frühere Annenfeld, mit der Ruinenstätte des mittelalterlichen Alt-Şəmkir.
2014 betrug die Einwohnerzahl etwa 324.700.
Wirtschaft und Verkehr
Die Stadt ist der industrielle (Aluminiumwerke, Textilien, Maschinen, Seife, Nahrungsmittel, Wein, Baumwollsamenöl) Mittelpunkt des Gebietes.
Gəncə besitzt einen Abzweigbahnhof an der Bahnstrecke Poti–Baku, von dem eine Strecke nach Xanlar abzweigt.
Kultur
Gəncə ist auch der kulturelle Mittelpunkt des Gebiets (Hochschulen, Musikschule, Philharmonie). Die Stadt besitzt einige sehenswerte Moscheen. Im 27.000 Zuschauer fassenden Gəncə-Stadtstadion spielt der Fußballverein PFK Kəpəz.
Städtepartnerschaften
Gəncə ist mit folgenden Städten durch eine Städtepartnerschaft verbunden:
Söhne und Töchter der Stadt
Mahsati, Dichterin
Nezāmi (1141–1209), Dichter
Mirza Schaffy Wazeh (1794–1852), Dichter
Cahangir bəy Kazımbəyov (1885–1955), Offizier, Anführer des Aufstandes von Gəncə (1920)
Xəlil bəy Xasməmmədov (1875–1947), Politiker
Haro Stepanjan (1897–1966), Komponist
Fikrət Əmirov (1922–1984), Komponist
Murtuz Alasgarow (1928–2012), Rechtswissenschaftler und Politiker
Artjom Terjan (1930–1970), sowjetisch-armenischer Ringer
Artur Rasizadə (* 1935), Politiker
Aydın İbrahimov (1938–2021), Ringer
Faiq Həsənov (* 1940), Schachschiedsrichter, -funktionär und Fernsehmoderator
Galib Mammadov (* 1946), Komponist
Juri Schtschekotschichin (1950–2003), russischer Journalist und Politiker
Witali Jelissejew (* 1950), sowjetischer Ruderer
Toğrul Əsgərov (* 1992), Ringer
Rüfət Hüseynov (* 1997), Boxer im Halbfliegengewicht
Klimatabelle
Siehe auch
Pogrom in Kirowabad (1988)
Literatur
The Encyclopaedia of Islam. New Edition, Artikel Gandja von Wilhelm Barthold
Weblinks
Website der Stadt Gəncə (englisch/aserbaidschanisch/russisch)
Einzelnachweise
Ort in Aserbaidschan
Verwaltungsbezirk (Aserbaidschan)
Ehemalige Hauptstadt (Aserbaidschan)
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Q131290
| 86.173929 |
46743
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https://de.wikipedia.org/wiki/Schnecken
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Schnecken
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Schnecken (Gastropoda, griechisch für ‚Bauchfüßer‘), von althochdeutsch snahhan, ‚kriechen‘, sind eine Tierklasse aus dem Stamm der Weichtiere (Mollusca).
Es ist die artenreichste der acht rezenten Klassen der Weichtiere und die einzige, die auch landlebende Arten hervorgebracht hat. Die meisten Schneckenarten leben in Gewässern. Die Körpergröße der adulten Schnecken variiert von unter 0,5 mm (Ammonicera rota, Familie Omalogyridae) bis zu über 90 cm (Große Rüsselschnecke Syrinx aruanus).
Merkmale
Der weiche Körper einer Schnecke besteht aus Kopf und Fuß (zusammen als Kopffuß bezeichnet) sowie dem rückenliegenden (dorsalen) Eingeweidesack, der von der Gewebeschicht des Mantels geschützt wird.
Zellen im Mantel bilden die harte Schale, die zwar im Grundaufbau anderen Weichtierschalen ähnelt, aber im Gegensatz zu diesen meist asymmetrisch zu einer Seite des Körpers gewunden ist. Napfschnecken besitzen eine Schale, die eher an Muschelschalen als an die „typischen“ Schneckenhäuser erinnert, bei Nacktschnecken ist gar kein Gehäuse zu finden. Sie haben ihr Gehäuse im Lauf der Evolution wieder zurückgebildet. Deutlich erkennbar ist aber der Mantelsack am Kopfende, der ursprünglich den Schneckenkörper im Gehäuse umhüllte. Schnegel enthalten im Mantelsack noch ein kleines rudimentäres Kalkplättchen. Auch Glasschnecken und Daudebardien tragen ein deutlich zurückgebildetes Gehäuse, in das sie sich nicht mehr vollständig zurückziehen können.
Die Asymmetrie der Schneckenschale entsteht durch einen entwicklungsbiologischen Vorgang, den man als Torsion bezeichnet, bei dem der Eingeweidesack mit dem Mantel sich nach rechts dreht, so dass die ursprünglich hinten liegende Mantelhöhle mit den Atemorganen nach vorne wandert (sogenannte Vorderkiemerschnecken, Prosobranchia). Zur Platzersparnis winden sich der Eingeweidesack und damit auch Mantel und Schale anschließend zur bekannten Spirale zusammen.
Bei den Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia) führt eine weitere Drehung dazu, dass die Mantelhöhle wieder nach hinten zu liegen kommt. Die Atemorgane (sogenannte Kammkiemen oder Ctenidien) werden dann sekundär zurückgebildet – die Atmung findet über andere Organe statt (zum Beispiel die dorsalen Fiederkiemen der meereslebenden Nacktkiemer, Nudibranchia).
Bei einigen Wasserschneckengruppen entstand nach Rückbildung der Kiemen eine funktionelle Lunge. Diese Entwicklung ermöglichte den Lungenschnecken (Pulmonata) die Besiedelung des trockenen Landes. Die anschließende adaptive Radiation und Anpassung an die vielfältigen Lebensräume des trockenen Landes führte zu einer großen Vielfalt.
Schale oder Gehäuse
Die als Schneckenhaus bekannte Schale der Schnecken besteht wie bei den übrigen Schalenweichtieren aus Kalk (Calciumcarbonat), unterscheidet sich aber durch ihre asymmetrisch spiralige Windung deutlich von diesen und kann so zum Beispiel von der Schale einer Muschel unterschieden werden. Während die Grundlagen der Schneckenschale (die ersten, als Primordialgewinde bezeichneten 1½ Windungen) bereits im Ei gelegt werden, wächst die übrige Schale bis zur Geschlechtsreife des Tieres. Der Kalk zum Schalenaufbau wird mit der Nahrung aufgenommen, kann aber zum Teil auch durch den Sohlenschleim aus dem Boden gelöst werden oder durch Anraspeln von anderen Weichtierschalen gewonnen werden.
In vielen Schneckengruppen verschließt nach dem Zurückziehen des Körpers ein Schalendeckel (Operculum) die Mündungsöffnung. Bei Strandschnecken kann so die Schale bei Niedrigwasser abgedichtet und die Schnecke gegen Austrocknung geschützt werden. Auch Landdeckelschnecken (Pomatiidae) schützen sich mit einem Operculum gegen Austrocknung. Aber auch zur Zeit der Winterstarre wird die Schneckenhausöffnung bis zum Erwachen im Frühjahr verschlossen. Der Schalendeckel der Landlungenschnecken wie zum Beispiel der Weinbergschnecke, das sogenannte Epiphragma, ist jedoch eine komplett andere Bildung, die im Frühling wieder abgeworfen wird.
Grundsätzlich ist die Windungsrichtung der Schneckenschale (bei den meisten Arten nach rechts) für jede Art spezifisch und wird matroklin (dem Genom des Muttertiers folgend) vererbt. Die Ausnahme bilden Abweichlinge, bei denen die Schale entgegengesetzt gewunden ist. Bei Weinbergschnecken bezeichnet man diese seltenen Exemplare als Schneckenkönige.
Fortbewegung und Orientierung
Der beim aktiven Tier außerhalb des Gehäuses sichtbare Körper der Schnecke ist auf der Bauchseite (ventral) zu einer Sohle abgeflacht, die der Fortbewegung dient und folgerichtig als Fuß bezeichnet wird.
Am vorderen Ende läuft der Fuß in den Kopf aus, an dem Fühler der Schnecke zur Orientierung dienen. Während manche Schneckenarten nur zwei Fühler mit Augen an der Basis besitzen, haben die Landlungenschnecken (Stylommatophora) vier Fühler, deren größeres Paar jeweils ein Auge (siehe Weinbergschnecke) trägt. Nur bei diesen sind die Fühler einziehbar.
Während die Fortbewegung bei kleinen Wasserschnecken auf einem Wimperteppich stattfindet, kriechen die größeren und vor allem die landlebenden Arten auf einem Schleimteppich. Hierfür sondern Drüsen am vorderen Kopfende Schleim ab, über den sie mit raupenartigen Bewegungen der Sohle kriechen. Der Schleim besteht aus Polysacchariden und Proteinen und ist strukturviskos. Das bedeutet, dass der Schleim bei geringen Dehnungen elastisch ist und bei höheren Dehnungen flüssig wird, was anhand des Schleimes der Bananenschnecke (Ariolimax columbianus) untersucht worden ist. Es wurde festgestellt, dass der Schleim dehnungsabhängig zwischen einem viskoelastischen Zustand mit einem Schermodul von 100…300 Pa und einer Flüssigkeit mit einer Viskosität von 30…50 poise wechselt. Die verschiedenen Strukturzustände der Schleimschicht wandern wellenförmig unter der Schnecke, indem sie Teile des Fußes vorschiebt. Schnecken können aufgrund dessen sogar an glatten Flächen emporsteigen.
Während die Landlungenschnecken (Stylommatophora) sich mit einer wellenförmigen Sohlenbewegung fortbewegen, nutzen zum Beispiel die Landdeckelschnecken ihren zweigeteilten Fuß für eine Art zweifüßigen Schreitgang.
Der Schleim bleibt als Schleimspur zurück, u. a. daher ist die Fortbewegung der Schnecken sehr material- und energieaufwendig.
Der Fuß ist äußerst beweglich und kann zum Graben oder zum Formen von Eipaketen genutzt werden. Manche Wasserschnecken schwimmen mit Hilfe des Fußes, andere (zum Beispiel Schlammschnecken, Lymnaeidae) können an der Unterseite der Wasseroberfläche kriechen. Napfschnecken (zum Beispiel Patellidae) können sich mit großer Kraft am Felsen festsaugen und so fast unbehelligt das Niedrigwasser überdauern, ohne auszutrocknen. Nachts lösen sie sich von ihrem angestammten Ruheplatz und gehen auf Nahrungssuche, um anschließend wieder zurückzukehren. Andere Arten haben sich an eine sessile Lebensweise ähnlich den Muscheln angepasst.
Ernährung
Unter den Schnecken gibt es Pflanzenfresser, Aasfresser und Raubschnecken, wobei Pflanzenfresser oft auch Aas, und Aasfresser oft auch Pflanzen fressen, also Allesfresser sind.
Die Nahrungsaufnahme findet mit Hilfe eines spezialisierten Organs statt, das ausschließlich innerhalb der Weichtiere entstanden ist und so im Tierreich einzigartig ist: Eine mit Zähnchen besetzte Raspelzunge (Radula). Ähnlich dem Gebiss anderer Tiere ist die Radula der Schnecken der Ernährung angepasst: Pflanzenfresser besitzen eine Vielzahl gleichförmiger Raspelzähnchen, mit denen Pflanzenmaterial abgeraspelt werden kann.
Räuberische Arten besitzen oft weniger, lange, dolchartige Raspelzähnchen, mit denen die Beute festgehalten werden kann und Fleischstücke herausgerissen werden.
Bei den meeresbewohnenden, räuberischen Kegelschnecken (Conidae), bilden sich nur wenige harpunenförmige Zähnchen, mit denen der Beute ein Gift injiziert und sie dadurch schnell genug gelähmt wird, um sie am Stück zu verschlingen.
Fortpflanzung
Hermaphroditismus
Im Gegensatz zu den meisten meereslebenden Schnecken sind neben manchen Wasserschnecken die Landlungenschnecken (Stylommatophora) ausschließlich Zwitter (Hermaphroditen): Geschlechts- und Hilfsorgane befinden sich in einem gemeinsamen Genitalapparat. Während viele meereslebende Schnecken sich über frei schwimmende Larven vom Veliger-Typ entwickeln, entwickeln sich die Landschnecken vollständig innerhalb des Eies und schlüpfen als beschalte Jungschnecken.
Einige festsitzende Arten der Wurmschnecken (Vermetidae) vermehren sich mit Hilfe des Wasserstroms. Andere sessile Arten wie die Pantoffelschnecke haben ein besonderes Zwittertum entwickelt: Abhängig vom Alter des Tieres reifen die Geschlechtsorgane, so dass sie in jungen Jahren männliche und in älteren weibliche Funktionen erfüllen. Da sie festsitzen und sich demnach nicht fortbewegen, setzt sich die Nachkommenschaft mit Vorliebe im beweglichen Stadium der Veligerlarve rechts auf ein älteres Tier. Nach Reifung der Larve zur erwachsenen männlichen Schnecke kann sie sich mit der älteren weiblichen Schnecke vermehren und das Spiel kann mit der Nachkommenschaft von vorne beginnen.
Liebesspiel und Paarung am Beispiel der Weinbergschnecke
Die Paarung der Weinbergschnecke findet nach einem mehrstündigen Liebesspiel statt, bei dem sich die Schnecken zunächst mit den Fühlern betasten, und mit den Fußsohlen aneinander hoch kriechen. Im Verlauf des Liebesspiels kann es zur Anwendung eines so genannten Liebespfeils kommen, mit dem ein hormonales Sekret übertragen wird, das die Fortpflanzungschancen der Samenzellen der betreffenden Spenderschnecke verbessert. Nach mehreren meist erfolglosen Begattungsversuchen kommt es schließlich zur eigentlichen Begattung, die bei Weinbergschnecken gleichzeitig und wechselseitig stattfindet, im Gegensatz zu anderen, auch zwittrigen, Schneckenarten, bei denen einer der beiden Partner als Männchen und der andere als Weibchen wirkt. Nach der Begattung bleiben die beiden Schnecken verbunden und tauschen ein Samenpaket, die so genannte Spermatophore, aus. Die darin enthaltenen Samenzellen werden im Genitalapparat der Schnecke in der Befruchtungstasche gespeichert. Später, unabhängig von der Paarung, entstehen in der Gonade (da sie auch die Samenzellen produziert, wird sie als Zwitterdrüse bezeichnet) Eizellen, die mit den gespeicherten Samenzellen befruchtet werden. Auf ihrer Wanderung durch den Eisamenleiter zum Genitalausgang entwickeln sich die befruchteten Eizellen zu Eiern, die bei der Weinbergschnecke auch über eine schützende Eierschale verfügen und in einer eigens gegrabenen Legehöhle abgelegt werden.
Verbreitung und Artenzahl
Über die genaue Artenzahl der Gastropoden liegen lediglich Schätzungen vor, welche teilweise weit voneinander abweichen. Während die meisten Schätzungen von etwa 100.000 Schneckenarten ausgehen, finden sich in manchen Publikationen Angaben, die von höchstens 43.000 Schneckenarten ausgehen, andere Quellen nennen hingegen Zahlen von bis zu 240.000 allein für die marinen Arten. Unbestritten ist allerdings, dass die Schnecken den überwiegenden Anteil der Weichtiere ausmachen. Die Anzahl an Land lebender Schnecken wird auf ca. 25.000 Arten geschätzt.
In Deutschland leben ca. 260 Arten Landlungenschnecken.
Der Grund für die stark divergierenden Angaben liegt offensichtlich im Fehlen einer kritischen Gesamtrevision der Schnecken-Taxonomie. In jüngerer Zeit sind infolge der Anwendung molekularer Analysemethoden bisher getrennte Arten zusammengefasst, andere auch in mehrere aufgetrennt worden. Einige bislang weitgehend unbearbeitete Lebensräume – z. B. die Tiefsee oder kleine Inselgruppen im Pazifik – beherbergen außerdem zahlreiche noch unbekannte Arten, die einer wissenschaftlichen Beschreibung harren.
Paläontologie
Älteste fossile Schnecken stammen dem frühen Kambrium vor ca. 530 Millionen Jahren, wobei bei den allerältesten Stücken nicht endgültig geklärt ist, ob sie wirklich zur Klasse der Schnecken zu zählen sind. Im Erdaltertum verbreitet waren Arten der Gattung Bellerophon. Echte Süßwasser- und Land-Lungenschnecken sind mit Sicherheit erst ab dem Erdmittelalter (Jurazeit) bekannt, doch dürften in früheren Erdperioden (Trias, spätes Paläozoikum) durchaus auch schon Schnecken auf dem Festland oder im Süßwasser gelebt haben.
Systematik
Bei der äußeren Systematik sind die nächstverwandten Klassen innerhalb der Weichtiere noch nicht eindeutig identifiziert. Die anderen noch lebenden sieben Klassen der Weichtiere sind Muscheln, Kahnfüßer, Furchenfüßer, Schildfüßer, Käferschnecken, Einschaler und Kopffüßer.
Die früher teilweise vermutete nahe Verwandtschaft zu den Einschalern (Monoplacophora) gilt heute als überholt. Diskutiert wird die nahe Verwandtschaft im Sinne eines Schwestergruppenverhältnisses entweder zu den Kahnfüßern (Scaphopoda) oder zu den Kopffüßern (Cephalopoda). Als systematisches und primäres Kennzeichen der Schnecken gelten (neben molekularen Markern) die Ausbildung einer Streptoneurie durch Torsion, die Ausbildung einer rein vorderen Mantelhöhle, die Ausbildung von nur einem Paar Schalenmuskeln und nur einer (der rechten) Gonade, ferner die Ausbildung von einem Paar Kopftentakel.
Die innere Systematik der Schnecken wird in vielen Zügen noch immer kontrovers diskutiert. Einigkeit besteht aber darin, dass das traditionelle System als veraltet gilt, da es nicht auf monophyletischen Einheiten beruht (siehe die zweite Liste weiter unten). Die traditionell verwendeten Hauptgruppen – Prosobranchia (Vorderkiemerschnecken), Opisthobranchia (Hinterkiemerschnecken) und Pulmonaten (Lungenschnecken) – beschreiben Organisationsniveaus und werden nur noch als deskriptive Einheiten auf informeller Basis verwendet. Veraltet ist freilich auch die Unterteilung, etwa durch Pedanios Dioskurides, in Landschnecken, Meerschnecken und Feldschnecken.
Moderne Systematik
Neuere morphologische und genetische Merkmale bringen zunehmend neue Erkenntnisse bezüglich der Verwandtschaftsverhältnisse zwischen den einzelnen Schneckengruppen. Eine erste phylogenetische Analyse wurde von Ponder & Lindberg (1997) veröffentlicht. In diesem System wurden möglichst nur strikt monophyletische Gruppen beibehalten, soweit sie den Autoren als solche erkennbar waren.
Auch diese Analyse gilt heute allerdings infolge jüngerer Untersuchungen als stellenweise überholt. So werden inzwischen die „Basommatophora“ nur noch als informelle Gruppe betrachtet und nicht mehr als monophyletisches Taxon, sie umfassen nach Bouchet & Rocroi (2005) auch nicht mehr die Glacidorboidea. Diese und viele weitere aktuelle Befunde werden hier noch nicht dargestellt, weil die Schneckensystematik noch im Fluss ist.
Klassifikation der Schnecken nach Ponder & Lindberg (1997)
Schnecken (Gastropoda) (Cuvier, 1797)
Incertæ sedis
Ordnung Bellerophontida (fossil)
Ordnung Mimospirina (fossil)
Unterklasse Eogastropoda (Ponder & Lindberg, 1996) (ehemals Prosobranchia)
Ordnung Euomphalida de Koninck 1881 (fossil)
Überfamilie Macluritoidea
Überfamilie Euomphaloidea
Ordnung Patellogastropoda Lindberg, 1986 (echte Napfschnecken)
Unterordnung Patellina Van Ihering, 1876
Überfamilie Patelloidea Rafinesque, 1815 (Napfschnecken)
Unterordnung Nacellina Lindberg, 1988
Überfamilie Acmaeoidea Carpenter, 1857
Überfamilie Nacelloidea Thiele, 1891
Unterordnung Lepetopsina McLean, 1990
Überfamilie Lepetopsoidea McLean, 1990
Unterklasse Orthogastropoda Ponder & Lindberg, 1996 (ehemals Prosobranchia, Opisthobranchia & Pulmonata)
Incertæ sedis
Ordnung Murchisoniina Cox & Knight, 1960 (fossil)
Überfamilie Murchisonioidea Koken, 1889
Überfamilie Loxonematoidea Koken, 1889
Überfamilie Lophospiroidea Wenz, 1938
Überfamilie Straparollinoidea Wagner, 2002
Grade Subulitoidea Lindström, 1884
Überordnung Cocculiniformia Haszprunar, 1987
Überfamilie Cocculinoidea Dall, 1882
Überfamilie Lepetelloidea Dall, 1882 (Tiefsee-Napfschnecken)
Überordnung ‘Hot Vent Taxa' Ponder & Lindberg, 1997.
Ordnung Neomphaloida Sitnikova & Starobogatov, 1983
Überfamilie Neomphaloidea McLean, 1981 (Hydrothermal-Schnecken)
Überfamilie Peltospiroidea McLean, 1989
Überordnung Vetigastropoda Salvini-Plawen, 1989
Überfamilie Fissurelloidea Flemming, 1822
Überfamilie Haliotoidea Rafinesque, 1815 (Seeohren)
Überfamilie Lepetodriloidea McLean, 1988 (Hydrothermal-Schnecken)
Überfamilie Pleurotomarioidea Swainson, 1840 (Schlitzbandschnecken)
Überfamilie Seguenzioidea Verrill, 1884
Überfamilie Trochoidea Rafinesque, 1815 (Kreiselschnecken)
Überordnung Neritimorpha Koken, 1896 (= Neritopsina)
Unsichere Stellung (alle Gruppen nur fossil)
Überfamilie Nerrhenoidea Bandel & Heidelberger, 2001
Überfamilie Oriostomatoidea Koken, 1896
Überfamilie Palaeotrochoidea Knight, 1956
Überfamilie Platyceratoidea Hall, 1879
Ordnung Cyrtoneritomorpha (fossil)
Ordnung Cycloneritimorpha Frýda, 1998
Überfamilie Helicinoidea Férussac, 1822
Überfamilie Hydrocenoidea Troschel, 1857
Überfamilie Neritoidea Lamarck, 1809
Überfamilie Neritopsoidea Gray, 1847
Überfamilie Symmetrocapuloidea Wenz, 1938
Überordnung Caenogastropoda Cox, 1960
Ordnung Architaenioglossa Haller, 1890
Überfamilie Ampullarioidea J. E. Gray, 1824 (unter anderem Apfelschnecken)
Überfamilie Cyclophoroidea J. E. Gray, 1847 (operculate Landschnecken)
Ordnung Sorbeoconcha Ponder & Lindberg, 1997
Unterordnung Discopoda P. Fischer, 1884
Überfamilie Campaniloidea Douvillé, 1904
Überfamilie Cerithioidea Férussac, 1822
Unterordnung Hypsogastropoda Ponder & Lindberg, 1997
Teilordnung Littorinimorpha Golikov & Starobogatov, 1975
Überfamilie Calyptraeoidea Lamarck, 1809 (unter anderem Calyptraeidae)
Überfamilie Capuloidea J. Fleming, 1822
Überfamilie Pterotracheoidea Rafinesque, 1814 (ehemals Heteropoda und Carinarioidea)
Überfamilie Cingulopsoidea Fretter & Patil, 1958
Überfamilie Cypraeoidea Rafinesque, 1815 (unter anderem Kaurischnecken und Eischnecken)
Überfamilie Ficoidea Meek, 1864 (Ficidae)
Überfamilie Laubierinoidea Warén & Bouchet, 1990
Überfamilie Littorinoidea (Children), 1834 (Strandschnecken, Grübchenschnecken, Landdeckelschnecken)
Überfamilie Naticoidea Forbes, 1838 (Mondschnecken)
Überfamilie Rissooidea J. E. Gray, 1847
Überfamilie Stromboidea Rafinesque, 1815 (unter anderem Strombidae)
Überfamilie Cassoidea Latreille, 1825 (syn. Tonnoidea Suter, 1913; unter anderem Cassidae, Ranellidae (Cymatiidae) und Personidae)
Überfamilie Trivioidea Troschel, 1863 (Triviidae)
Überfamilie Vanikoroidea J. E. Gray, 1840
Überfamilie Velutinoidea J. E. Gray, 1840
Überfamilie Wurmschnecken (Vermetoidea) Rafinesque, 1815
Überfamilie Xenophoroidea Troschel, 1852 (Träger-Schnecken)
Teilordnung Ptenoglossa J. E. Gray, 1853
Überfamilie Eulimoidea Philippi, 1853
Überfamilie Janthinoidea Lamarck, 1812
Überfamilie Triphoroidea J. E. Gray, 1847
Teilordnung Neuschnecken (Neogastropoda) Thiele, 1929
Überfamilie Buccinoidea (zum Beispiel Buccinidae, Columbellidae)
Überfamilie Cancellarioidea Forbes & Hanley, 1851
Überfamilie Conoidea Rafinesque, 1815 (Kegelschnecken)
Überfamilie Muricoidea Rafinesque, 1815 (unter anderem Olivenschnecken)
Überordnung Heterobranchia J. E. Gray, 1840
Ordnung Heterostropha P. Fischer, 1885
Überfamilie Architectonicoidea J. E. Gray, 1840
Überfamilie Nerineoidea Zittel, 1873 (fossil)
Überfamilie Omalogyroidea G.O. Sars, 1878
Überfamilie Pyramidelloidea J. E. Gray, 1840
Überfamilie Rissoelloidea J. E. Gray, 1850
Überfamilie Valvatoidea J. E. Gray, 1840
Ordnung Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia) Milne-Edwards, 1848
Unterordnung Cephalaspidea P. Fischer, 1883
Überfamilie Acteonoidea D’Orbigny, 1835
Überfamilie Bulloidea Lamarck, 1801
Überfamilie Cylindrobulloidea Thiele, 1931 (has to be included in the Sacoglossa)
Überfamilie Diaphanoidea Odhner, 1914
Überfamilie Haminoeoidea Pilsbry, 1895
Überfamilie Philinoidea J. E. Gray, 1850
Überfamilie Ringiculoidea Philippi, 1853
Unterordnung Sacoglossa Von Ihering, 1876
Überfamilie Oxynooidea H. & A. Adams, 1854
Unterordnung Seehasen (Anaspidea) P. Fischer, 1883
Überfamilie Akeroidea Pilsbry, 1893
Überfamilie Aplysioidea Lamarck, 1809
Unterordnung Notaspidea P. Fischer, 1883
Überfamilie Tylodinoidea J. E. Gray, 1847
Überfamilie Pleurobranchoidea Férussac, 1822
Unterordnung Thecosomata Blainville, 1824
Teilordnung Euthecosomata Meisenheimer, 1905
Überfamilie Limacinoidea Gray, 1840
Überfamilie Cavolinioidea Gray, 1850
Teilordnung Pseudothecosomata Meisenheimer, 1905
Überfamilie Peraclidoidea Gray, 1840
Überfamilie Cymbulioidea Gray, 1840
Unterordnung Gymnosomata Blainville, 1824
Familie Clionidae Rafinesque, 1815
Familie Cliopsidae Costa, 1873
Familie Hydromylidae Pruvot-Fol, 1942
Familie Laginiopsidae Pruvot-Fol, 1922
Familie Notobranchaeidae Pelseneer, 1886
Familie Pneumodermatidae Latreille, 1825
Familie Thliptodontidae Kwietniewski, 1910
Unterordnung Nacktkiemer (Nudibranchia) Blainville, 1814
Teilordnung Anthobranchia Férussac, 1819
Überfamilie Doridoidea Rafinesque, 1815
Überfamilie Doridoxoidea Bergh, 1900
Überfamilie Onchidoridoidea Alder & Hancock, 1845
Überfamilie Polyceroidea Alder & Hancock, 1845
Teilordnung Cladobranchia Willan & Morton, 1984
Überfamilie Dendronotoidea Allman, 1845
Überfamilie Arminoidea Rafinesque, 1814
Überfamilie Metarminoidea Odhner in Franc, 1968
Überfamilie Aeolidioidea J. E. Gray, 1827
Ordnung Lungenschnecken (Pulmonata) Cuvier in Blainville, 1814
Unterordnung Systellommatophora Pilsbry, 1948
Überfamilie Onchidioidea Rafinesque, 1815
Überfamilie Otinoidea H. & A. Adams, 1855
Überfamilie Rathouisioidea Sarasin, 1889
Unterordnung Wasserlungenschnecken (Basommatophora) Keferstein in Bronn, 1864
Überfamilie Acroloxoidea Thiele, 1931
Überfamilie Amphiboloidea J. E. Gray, 1840
Überfamilie Chilinoidea H. & A. Adams, 1855
Überfamilie Glacidorboidea Ponder, 1986
Überfamilie Lymnaeoidea Rafinesque, 1815
Überfamilie Planorboidea Rafinesque, 1815
Überfamilie Siphonarioidea J. E. Gray, 1840
Unterordnung Eupulmonata Haszprunar & Huber, 1990
Teilordnung Acteophila Dall, 1885 (= früher Archaeopulmonata)
Überfamilie Melampoidea Stimpson, 1851
Teilordnung Trimusculiformes Minichev & Starobogatov, 1975
Überfamilie Trimusculoidea Zilch, 1959
Teilordnung Landlungenschnecken (Stylommatophora) A. Schmidt, 1856
Unterteilordnung Orthurethra
Überfamilie Achatinelloidea Gulick, 1873
Überfamilie Cochlicopoidea Pilsbry, 1900
Überfamilie Partuloidea Pilsbry, 1900
Überfamilie Pupilloidea Turton, 1831
Unterteilordnung Sigmurethra
Überfamilie Acavoidea Pilsbry, 1895
Überfamilie Achatinoidea Swainson, 1840
Überfamilie Aillyoidea Baker, 1960
Überfamilie Arionoidea J. E. Gray in Turnton, 1840
Überfamilie Buliminoidea Clessin, 1879
Überfamilie Camaenoidea Pilsbry, 1895
Überfamilie Clausilioidea Mörch, 1864
Überfamilie Dyakioidea Gude & Woodward, 1921
Überfamilie Gastrodontoidea Tryon, 1866
Überfamilie Helicoidea Rafinesque, 1815
Überfamilie Helicarionoidea Bourguignat, 1877
Überfamilie Limacoidea Rafinesque, 1815
Überfamilie Oleacinoidea H. & A. Adams, 1855
Überfamilie Orthalicoidea Albers-Martens, 1860
Überfamilie Plectopylidoidea Moellendorf, 1900
Überfamilie Polygyroidea Pilsbry, 1894
Überfamilie Punctoidea Morse, 1864
Überfamilie Rhytidoidea Pilsbry, 1893
Überfamilie Sagdoidea Pilsbry, 1895
Überfamilie Staffordioidea Thiele, 1931
Überfamilie Streptaxoidea J. E. Gray, 1806
Überfamilie Zonitoidea Mörch, 1864
? Überfamilie Athoracophoroidea P. Fischer, 1883 (= Tracheopulmonata)
? Überfamilie Succineoidea Beck, 1837 (= Heterurethra)
Traditionelle Systematik
Das traditionelle (und veraltete) System unterteilt die Schnecken hingegen in die drei Hauptgruppen Vorderkiemerschnecken (Prosobranchia), Lungenschnecken (Pulmonata) und Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia) mit diversen Untergruppen. Diese Untergliederung wird vielfach noch verwendet und soll daher hier kurz dargestellt werden. Einige Beispielarten sind ebenfalls angeführt.
Modifizierte traditionelle Systematik
Vorderkiemerschnecken (Prosobranchia)
Archaeogastropoda – Altschnecken
Haliotis sp. – Seeohren
Mikadotrochus sp. – Millionärsschnecke
Patella sp. – Napfschnecke
Pleurotomaria sp. – Schlitzbandschnecke
Theodoxus fluviatilis – Flussnixenschnecke
Mesogastropoda – Mittelschnecken
Ampullariidae – Apfelschnecken
Viviparus sp. – Sumpfdeckelschnecke
Littorina sp. – Strandschnecke
Turritella communis – Turmschnecke
Hydrobia ulvae – Wattschnecke
Crepidula fornicata – Pantoffelschnecke
Cypraea sp. – Kaurischnecken
Neogastropoda – Neuschnecken
Murex brandaris – Herkuleskeule
Nucella lapillus – Nordische Purpurschnecke
Buccinum undatum – Wellhornschnecke
Conus sp. – Kegelschnecken
Madagaskaris spec. – Riesenschnecke von Madagaskar
Allogastropoda
Architectonica spec. – Sonnenuhrschnecke
Odostomia sp. – Pyramidenschnecke
Omalogyra sp. (kleinstes Gehäuse 0,1 mm)
Lungenschnecken (Pulmonata)
Archaeopulmonata – Altlungenschnecken
Ovatella myosotis – Mausohrschnecke
Carychium spec. – Zwergschnecke
Onchidella celtica
Siphonaria pectinata
Trimusculus reticulatus
Basommatophora – Wasserlungenschnecken
Acroloxus lacustris – Teichnapfschnecke
Lymnaea stagnalis – Spitzschlammschnecke
Galba truncatula – Kleine Schlammschnecke
Planorbarius corneus – Posthornschnecke
Ancylus fluviatilis – Flussmützenschnecke
Stylommatophora – Landlungenschnecken
Succinea putris – Bernsteinschnecke
Achatina fulica – Große Achatschnecke
Arion ater – Schwarze Wegschnecke
Limax cinereo-niger – Schwarzer Schnegel
Limax maximus – Großer Schnegel oder Tigerschnegel
Limax sarnensis – Sarner Schnegel
Discus rotundatus (O. F. Müller)
Discus ruderatus
Helicella itala – Große Heideschnecke
Cepaea spec. – Bänderschnecken
Helix pomatia – Weinbergschnecke
Arianta arbustorum – Gefleckte Schnirkelschnecke
Ariolimax dolichophallus – Bananenschnecke
Hinterkiemerschnecken (Opisthobranchia)
Cephalaspidea (Bullomorpha) – Kopfschildschnecken
Acteon tornatilis
Retusa obtusa
Acochlidiacea
Microhedyle lactaea
Saccoglossa – Schlundsackschnecken
Berthelinia sp.
Midorigai spec.
Thecosomata – Seeschmetterlinge
Criseis acicula – Seeschmetterling
Gymnosomata – Ruderschnecken
Clione limacina
Anaspidea
Aplysia sp. – Seehase
Umbraculomorpha – Schirmschnecken
Umbraculum sinicum
Pleurobranchmorpha – Seitenkiemer
Pleurobranchus californicus
Nudibranchia – Nacktkiemer
Doridoidei – Sternschnecken
Polycera faeroensis – Färöische Hörnchenschnecke
Archidoris pseudoargus – Meerzitrone
Dendronotoidei – Bäumchenschnecken
Dendronotus frondosus – Zottige Bäumchenschnecke
Arminodei – Furchenschnecken
Aelidoidei – Fadenschnecken
Facelina auriculata – Fadenschnecke
Drummonds Fadenschnecke – Facelina bostoniensis
Flabellina affinis – Violette Fadenschnecke
Aerola kobaldis – Blaue Flugschnecke
Tobacco blanca – Weiße Tabakschnecke
Schnecken als Überträger von Parasiten
Schnecken sind Nahrungsgrundlage zahlreicher Tiere und Zwischenwirte vieler Parasiten und Krankheitserreger. Die Arten der Gattungen Biomphalaria und Bulinus sind die Zwischenwirte für verschiedene Arten des Pärchenegels, die die Schistosomiasis (früher auch Bilharziose genannt) beim Menschen verursachen. Diese Parasiten leben gewöhnlich in tropischen Ländern. Die Bernsteinschnecke ist Zwischenwirt für den Saugwurm Leucochloridium paradoxum, der Vögel befällt. Andere Arten verbreiten Pflanzenpathogene, wie zum Beispiel viele Nacktschnecken. Kommt es durch das Wirken des Menschen zu einem Ungleichgewicht zwischen Schnecken und deren natürlichen Fressfeinden, kann Massenvermehrung zu negativen Effekten führen, die durch Monokulturen in der Landwirtschaft verstärkt werden. Auch Neozoen sind problematisch. Es sind vorwiegend Nacktschnecken, wie zum Beispiel die in den 1970er Jahren aus Westeuropa eingeschleppte Spanische Wegschnecke (Arion vulgaris), die viele Pflanzen bis zum Kahlfraß schädigen können, wohingegen Gehäuseschnecken in vielen Fällen Welkfutter den Frischpflanzen vorziehen.
Schnecken als Nahrungsmittel
Einige Schneckenarten, vor allem Weinbergschnecken, gelten seit der Antike als Delikatesse. Sie werden vornehmlich in Südeuropa (Frankreich, Italien, Spanien und Portugal) geschätzt, es gibt aber auch tradierte süddeutsche Schneckenrezepte (zum Beispiel die Badische Schneckensuppe). Auch Meeresschnecken landen auf der Speisekarte, beispielsweise Seeohren, die Große Fechterschnecke in der Karibik oder Napfschnecken als traditionelles Gericht „Lapas“ auf Madeira.
Inzwischen wurde die Weinbergschnecke in die Liste der geschützten Tierarten nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen aufgenommen, da ihr Bestand in einigen Gegenden stark abgenommen hatte oder sie nicht mehr vorhanden waren. Die Tiere werden in Schneckenfarmen aufgezogen und im Lebensmittelhandel verkauft.
Verwandte Themen
Schneckenkönig, Schnecken mit umgekehrter Schraubrichtung ihres Hauses
Jüngst wurde auf Hawaii eine Schmetterlingsart, Hyposmocoma molluscivora entdeckt, deren Raupen auf die Jagd auf Schnecken spezialisiert sind.
Literatur
R. T. Abbott: Compendium of Landshells. A color guide to more than 2,000 of the World’s Terrestrial Shells. American Malacologists, Melbourne FL / Burlington MA 1989, ISBN 0-915826-23-2.
R. T. Abbott, S. P. Dance: Compendium of Seashells. A full-color guide to more than 4,200 of the world’s marine shells. Odyssey Publishing, El Cajon CA 1998, ISBN 0-9661720-0-0.
Ludger Buse, Dora Godan: Nacktschnecken – Auf leisen Sohlen durch die Welt. Edition Liberacion, Georgsmarienhütte 1999, ISBN 3-923792-44-1.
R. Fechter, G. Falkner: Steinbachs Naturführer – Weichtiere. Mosaik-Verlag, München 1989.
M. P. Kerney, R. A. D. Cameron, J. H. Jungbluth: Die Landschnecken Nord- und Mitteleuropas. Verlag Paul Parey, Hamburg/ Berlin 1983, ISBN 3-490-17918-8.
B. Parkinson, J. Hemmen, K. Groh: Tropical Landshells of the World. Verlag Christa Hemmen, Wiesbaden 1987, ISBN 3-925919-00-7.
W. F. Ponder, D. R. Lindberg: Towards a phylogeny of gastropod molluscs: an analysis using morphological characters. In: Zoological Journal of the Linnean Society. 119, 1997, S. 83–265.
A. Robin: Encyclopedia of Marine Gastropods. Verlag ConchBooks, Hackenheim 2008, ISBN 978-3-939767-09-1.
S. Sailer: Pflanzen, die Schnecken mögen oder meiden sowie Abwehrtipps gegen Schnecken. Verlag Susanne Sailer, Sulz a. N. 2004, ISBN 3-9809229-0-1.
V. Wiese: Die Landschnecken Deutschlands. Finden – Erkennen – Bestimmen. 2. Auflage. Quelle & Meyer Verlag, Wiebelsheim 2016, ISBN 978-3-494-01686-3.
Otto Grunert: Die Scaphopoden und Gastropoden der deutschen Trias. A. Vollrath, Erlangen 1898, .
Weblinks
Schnecken (Gastropoda) auf weichtiere.at
Fressgeräusch einer Weinbergschnecke mit anatomischen Erläuterungen und Spektrogramm
Einzelnachweise
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q4867740
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bildungspflicht
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Bildungspflicht
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Als Bildungspflicht (je nach konkreter Umsetzung und Land auch Unterrichts- oder Lernpflicht genannt) wird die Verpflichtung der Eltern verstanden, dafür zu sorgen, dass ihre Kinder bestimmte Bildungsanforderungen erreichen, z. B. durch eine Schule, Hausunterricht oder andere Bildungsformen. Je nach Land und Regelung können dafür entsprechende Nachweise verlangt werden, in der Regel durch Leistungsnachweise in Form einer Prüfung. Sie unterscheidet sich von einer Schulpflicht dahingehend, dass nicht zwingend eine Schule besucht werden muss, an der die geforderten Leistungsnachweise erbracht werden. Stattdessen können Leistungsnachweise auch außerhalb einer Schule in Form von Externisten-Prüfungen erbracht werden. In einigen Ländern, wie z. B. Kanada, erhalten Familien, deren Kinder außerhalb einer Schule lernen, einen Zuschuss vom Staat.
Eine Schulpflicht kann wie eine Bildungspflicht wirken. Allerdings gewährleistet ein Schulbesuch nicht unbedingt die dort vorgesehene Bildung. So werde beispielsweise bei einer Bildungspflicht sichergestellt, dass Kinder tatsächlich gebildet werden, während bei einer Schulpflicht lediglich sichergestellt wird, dass das Kind eine Schule besucht, ungeachtet davon, ob es dort effizient und nachhaltig lernen kann.
In den meisten Ländern Europas herrscht eine Bildungspflicht (siehe Hausunterricht #Ländervergleiche). In Deutschland hingegen besteht für Minderjährige eine gesetzliche Schulpflicht (siehe Schulpflicht (Deutschland)). Nach dem Ende der Altersgrenze für Schulpflichtige ist allerdings ein Schulabgang ohne Bildungsabschluss möglich, wenn die in der Schule geforderten Leistungsnachweise nicht erbracht wurden.
Ziele, Gründe und Befürworter
In Deutschland setzt sich seit 2006 die Initiative Netzwerk Bildungsfreiheit für eine Bildungspflicht für Kinder und Jugendliche anstelle der Schulpflicht ein.
Diesem Netzwerk sind z. B. der Bundesverband Natürlich Lernen! e. V., die Stiftung Netzwerk Hochbegabung, das Europäische Forum für Freiheit im Bildungswesen (effe), der Verein Schulbildung in Familieninitiative e. V., die Initiative Deutschhilfe für Ausländer und andere angeschlossen, sowie Universitätsprofessoren, Pädagogen, Ärzte, Juristen, Psychologen, Therapeuten sowie Eltern und Schüler aus dem religiösen bis alternativen Lager der Homeschooler.
Auch die Piratenpartei Deutschland setzt sich dafür ein, die Schulpflicht in Deutschland durch eine Bildungspflicht zu ersetzen. Als Argument wird angeführt, dass „[...] Bildung auch außerhalb von Institutionen erworben werden kann.“ Nach Meinung der Partei hindert die Schulpflicht Menschen daran, „alternative Bildungswege [zu] beschreiten“. Des Weiteren habe „Jeder Mensch [...] das Recht auf freien und selbstbestimmten Zugang zu Wissen und Bildung.“ Außerdem müsse „Der Erwerb von Abschlüssen [...] unabhängig davon möglich sein, wie und wo gelernt wurde [...]“. Durch Besuche solle schließlich sichergestellt werden, dass „[...] die Lernenden sich tatsächlich und mit hinreichendem Erfolg bilden.“
Der Vorsitzende des Jugendverbands der FDP Junge Liberale Matti Karstedt plädiert dafür, die Schulpflicht in Brandenburg durch eine Bildungspflicht zu ersetzen, „[...] damit Familien die größtmögliche Freiheit in Bildungsfragen ihrer Kinder erhalten.“ Zweimal jährlich sollen bei alternativen Bildungsformen außerhalb einer Schule Leistungsnachweise erbracht werden müssen. Werden die Bildungsanforderungen nicht erfüllt oder die Nachweise nicht erbracht, so soll zu Beginn des nächsten Schuljahres für diese Kinder eine Schulpflicht einsetzen.
Auch die Kleinparteien Allianz Deutscher Demokraten, Die Violetten, Deutsche Mitte und Bündnis C fordern die Einführung einer Bildungspflicht anstelle der Schulpflicht in Deutschland.
Befürworter der Bildungspflicht berufen sich insbesondere auf den Artikel 26 (3) der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in dem festgeschrieben ist: sowie auf die Versammlungsfreiheit. Die Initiative hat im Februar 2006 dem UN-Bildungskommissar Vernor Muñoz auf seiner Reise durch Deutschland berichtet.
Ein weiterer Aspekt der Befürworter der Bildungspflicht ist die Auswahl des sozialen Umfelds für ihr Kind. Ohne diese Wahlmöglichkeit sei eine Erziehung als aktives Verhalten der Eltern nicht möglich.
Siehe auch
Deschooling
Unschooling
informelles Lernen
Literatur
Dagmar Neubronner: Die Freilerner – Unser Leben ohne Schule. Genius Verlag, 2008, ISBN 978-3934719347
Ralph Fischer und Volker Ladenthin (Hg.): Homeschooling. Tradition und Perspektive. Ergon, Würzburg, 2006. ISBN 3-89913-482-6
Stefanie Mohsennia: Schulfrei: Lernen ohne Grenzen. Anahita-Verlag, 2004, ISBN 3-937797-03-3
Olivier Keller: Denn mein Leben ist lernen. Arbor-Verlag, 1999, ISBN 3-933020-06-9
Raimund Pousset: Schafft die Schulpflicht ab! VTR, Nürnberg, 2011 (2. überarbeitete und ergänzte Aufl.). ISBN 978-3-941750-47-0
Ulrich Klemm: Lernen ohne Schule. Argumente gegen Verschulung und Verstaatlichung von Bildung. SPAK-Bücher, München 2001, ISBN 3-930830-22-1
Johannes Heimrath: Tilman geht nicht zur Schule. Eine erfolgreiche Schulverweigerung. Drachen Verlag, Wolfratshausen 1991, ISBN 3-927369-02-0
Thomas Schirrmacher: Bildungspflicht statt Schulzwang – Staatsrecht und Elternrecht angesichts der Diskussion um den Hausunterricht. VKW, Bonn/VTR, Nürnberg, 2005, ISBN 3-937965-27-0
Einzelnachweise
Schulrecht
Bildungspolitik (Deutschland)
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Q511009
| 112.73919 |
136116
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https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%96lmalerei
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Ölmalerei
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Bei der Ölmalerei werden Pigmente mit einem trocknenden Öl als Bindemittel zu Ölfarbe angerieben und auf einen Bildträger (über einer Grundierung) aufgetragen. Als trocknende Öle verwendet man Lein-, Walnuss- und Mohnöl. Zusätze zum Bindemittel sind metallische Sikkative und Harze.
Die Ölmalerei gilt als die „klassische Königsdisziplin“ der Malerei, die insbesondere bei Porträt-, Landschafts-, Stillleben- und Genremalerei zur Anwendung kommt. Die Haltbarkeit und Farbbrillanz der Ölmalerei ist unübertroffen.
Farbeigenschaften
Künstler schätzen die Ölmalerei aufgrund ihrer guten maltechnischen Eigenschaften. Für die Ölmalerei wird Balsam-Terpentinöl, Harzfirnis (Dammar- oder Mastix-Harzlösung) und/oder Öl als Malmittel verwendet. Als Verdünnungsmittel dient Terpentin. Ein Ölgemälde entsteht nach der alten Malerregel „fett auf mager“. Durch eine fehlerhafte Malweise, beispielsweise durch zu viel Öl oder einen zu stark saugenden Malgrund, kann das Ölbild Runzeln oder Risse bekommen. Glatt geschliffene Ölbilder neigen leichter zur Rissbildung, der Krakelüre. Bei älteren Ölbildern treten häufig Alterssprünge auf, die sich netzartig über das Bild ausdehnen. Mit der Zeit gilbt ein Ölgemälde je nach den verwendeten Ölen und Harzen. Ohne Sonneneinstrahlung, etwa bei Lagerung, verstärkt sich dieser Prozess und kann im Gegenzug durch erneute Lichteinwirkung teilweise wieder rückgängig gemacht werden. Das Ölgemälde kann nach vollständiger Trocknung und Aushärtung aller Farbschichten (oft erst nach über einem Jahr) mit einem die Oberfläche schützenden Firnis überzogen werden.
Geschichte
Diese Form der Malerei ist bereits seit dem 13. Jahrhundert bekannt und wurde später vor allem von Jan van Eyck weiterentwickelt, auch aus dem Bedürfnis heraus, die Grenzen der eher linear betonten Technik der Temperamalerei zu überwinden. Die ältesten bekannten Rezepte finden sich im Straßburger Malerbuch.
Die entscheidende Vervollkommnung dieser neuen Technik und wesentliche Impulse zu deren Verbreitung werden vor allem Jan van Eyck zugeschrieben.
Antonello da Messina brachte sie nach Italien, wo sie sich zunächst wesentlich langsamer als in Nordeuropa verbreitete. Noch während des 16. Jahrhunderts war es dort üblich, die Technik mit Temperafarben zu kombinieren, aber auch andere Maler wie beispielsweise Rubens verwendeten parallel Temperafarben.
Spuren von Ölgemälden wurden auch im Bamiyan-Tal in Afghanistan gefunden. Die ältesten dieser Gemälde stammen aus dem 7. Jahrhundert.
Maltechniken
Trennung von Form und Farbe
Die im Mittelalter übliche, vor allem von Jan van Eyck entwickelte und bis Tizian gebräuchliche Maltechnik der Trennung von Form und Farbe ermöglichte die Bildgestaltung auch in Werkstätten als überschaubaren handwerklichen Prozess. Die Technik erlaubt eine äußerst naturnahe und detailgetreue Darstellung von Formen und wurde deswegen auch in der Moderne von Surrealisten wie Dali verwendet.
Nach einer Risszeichnung, die vom Meister angefertigt und – meist von einem Lehrling – auf die Bildfläche (mit Kreidegrund weiß grundierte Holztafel oder mit dünnem Leinen bespannte Holztafel) übertragen wurde, entwickelte der Künstler die Schattenform. Dies geschah mit Eitemperafarbe, zum Beispiel Siena, Ultramarin oder Schwarz, je nach gewünschtem Effekt – heute nimmt man oft Japantusche dazu. Als nächster Arbeitsschritt erfolgt ein erster dünner, durchscheinender Überzug, die Lasur, aus magerer Harzölfarbe zur Entwicklung eines sogenannten Mitteltones und Gesamttones. Diese erste Schicht heißt Imprimitur. Der Gesamtton bestimmt den späteren Bildcharakter, ob kalt oder warm, gedämpft oder dunkel etc.
Der Mittelton, der zwischen dem dunkelsten und dem hellsten Ton des Bildes liegt (es handelt sich oft um eine Erdfarbe, bei Dürer z. B. Ocker, oder bei Bartholomäus Bruyn eine grüne böhmische Erdfarbe) gestattet die nun folgende Entwicklung der Formen durch Auftragen der lichten Stellen, die sogenannte Weißhöhung. Mit weißer Tempera wird das Licht gemalt, es entsteht die Plastizität und Dreidimensionalität des Bildes. Der Wechsel von Lasur und Weißhöhung erlaubt ein behutsames Entwickeln des Bildes und ermöglicht viele Korrekturschichten. Es können so Bilder von großer Tiefe und innerer Lebendigkeit gemalt werden. Von Tizian wie auch von Stefan Lochner weiß man, dass sie bis zu 150 Schichten auftrugen, in Lochners Fall zum Teil sogar noch mehr.
Der Abschluss dieser formalen Seite des Bildes wird auch Grisaille genannt, bis zu diesem Punkt hat das Bild im Wesentlichen erst Ocker, Schwarz und Weiß als Farben.
Erst jetzt erfolgt die tatsächliche Farbgebung durch Farblasuren in Öl- oder Öl-Harz-Farbe in zum Teil mehreren Schichten bis zur Vollendung des Bildes. Zunächst wird mit Leinöl oder Dammar ein Firnis aufgetragen (der sogenannte Zwischenfirnis), der in vier bis fünf Tagen durchtrocknet. Danach werden die einzelnen Formpartien mit der gewünschten Farbe lasiert (Lokalfarbe). Die Lokalfarben können durch mehrfachen lasierenden Auftrag von Schichten, die jedes Mal trocknen müssen, vertieft werden. Die Untermalung soll immer durchscheinen, es darf also nicht oder nur sehr vorsichtig mit Körperfarbe, das heißt mit Weiß vermischter Farbe, gemalt werden. Schließlich können die Licht- und Schattenformen noch durch Spitzen vertieft und damit das Bild vollendet werden.
Maltechnisch gesehen ist die Farbgebung der einfachere Malvorgang. Grundsätzlich gilt, dass die Farbgebung umso leichter und müheloser gelingt, je kräftiger und vollkommener die Untermalung ist.
Da alle Malschichten jeweils durchtrocknen müssen, kann die Entstehung eines Bildes in der hier beschriebenen Technik sehr lange, Monate bis Jahre, dauern.
Ton-in-Ton-Malerei
Die Ton-in-Ton-Malerei ist eine Art abgekürztes Verfahren, wobei die Trennung von Form und Farbe weitgehend aufgehoben ist und nur noch rudimentär zur Korrektur verwendet wird. Die Technik wurde etwa im 16. Jahrhundert zur Gestaltung großer repräsentativer Formate entwickelt. Vor allem Tizian war entscheidend an der Entwicklung dieser Technik beteiligt. Sie wurde in modifizierter Form auch von Pablo Picasso (blaue oder rosa Periode) und Max Beckmann verwendet. Gemalt wird auf farbigem Grund mit toniger Farbe (meist Erdfarben); solche Gründe heißen Bolusgründe. Die Zeichnung wird locker mit dunkler Erdfarbe oder farbigem Grau aufgetragen und trocknen gelassen. Es wird sofort mit Weißhöhung aus Eitempera begonnen, das Weiß ist schon eingetönt. So können die Tendenzen der Lokalfarben durch Untermischen von Rot, Blau usw. festgelegt werden. Beckmann arbeitete z. B. viel auf rotem Grund, darin war die Zeichnung mit dunklerem Ton locker eingearbeitet. Es folgt ein farbiger Zwischenfirnis im Grundton. Korrekturschichten, die auch Farbe enthalten, können aufgetragen werden, bis der Künstler mit dem Ergebnis zufrieden ist. Von Tizian weiß man, dass er 40–50 Schichten auftrug. Am Ende folgt die farbige Vertiefung des Bildes durch mehrfache Lasuren.
Die Ton-in-Ton-Malerei erlaubt erstmals die Formsuche im Bild während des Malens und gestattet sehr freies Gestalten, so dass ein Bild, wie es Rembrandt van Rijn oft gemacht hat, völlig umgeworfen und neugestaltet werden kann.
Primamalerei
Der Begriff Primamalerei oder Alla-prima-Malerei ist abgeleitet von ital. prima „aufs erste“ oder von prima vista „auf den ersten Blick“. Mit dem Aufkommen von Tubenölfarben und der an Bedeutung zunehmenden Freilichtmalerei wurde die Primamalerei eine der häufigsten Öltechniken. Die Primamalerei bezeichnet ein Vorgehen, bei dem versucht wird, die Farbe gleich auf Anhieb in einem Arbeitsgang auf die richtige Stelle zu platzieren ohne spätere Korrekturen wie Retuschierung oder das Auswischen von feuchter Farbe. Das Mischen der Farbe erfolgt überwiegend auf der Palette; somit sind die einfach gehaltenen, auf wenige Farben beschränkten Farbmischungen unkompliziert wiederzufinden. Der Maler hat bei der Primamalerei bereits die Endfassung des Bildes im Kopf und setzt jede Farbe als letztgültigen Farbton ein. Ihr Gegenstück ist die Schichtenmalerei, z. B. die Lasurmalerei mit ihrer Untermalung, die ihre Höhepunkte in der italienischen Renaissance und im niederländischen Barock hatte.
Der Alla-prima-Malerei verwandt ist die Nass-in-Nass-Technik. Als ein Meister der Alla-prima-Malerei gilt Cézanne.
Philipp Otto Runge beklagte sich, dass „Leute wie aus dem Kalkeimer malen“. Anfänger der Malerei wollen oft alla prima malen, weil man direkt ein Ergebnis sieht. Dabei wird leicht übersehen, dass diese Technik Erfahrung erfordert, deren Fehlen zu betrüblichen Ergebnissen führt.
Mischtechnik
Die Mischtechnik ist eine Maltechnik in der Ölmalerei, die verschiedene Bindemittel innerhalb eines Bildes verwendet. Sie ist als spezifische Errungenschaft der schaffenden Künstler in Europa ein bedeutsames europäisches Kulturerbe.
Glanzzeit war die niederländische Barockmalerei, die Ölfarbe mit Harzen versetzte, um den emailleartigen Tiefenglanz zu erzielen. Von den Niederlanden ausgehend verbreitete sich diese Technik über ganz Europa und war lange Zeit die maßgebliche Maltechnik für Ölgemälde. Sie wurde von der Alla-prima-Malerei verdrängt und von den Impressionisten abgelehnt, so dass die Kenntnis davon praktisch vergessen wurde.
Otto Dix war z. B. Meister dieser Technik. Er malte in die nasse Ölfarbe mit einer Ei-Tempera-Farbe und erreichte damit seine farbliche Tiefe. Ein besonderer Kenner und Anwender der Mischtechnik im 20. Jahrhundert war Egon von Vietinghoff, der sie sich in 35 Jahren autodidaktisch erarbeitete und neben seinem umfangreichen Œuvre seine Werkerfahrungen im Handbuch zur Technik der Malerei zusammenfasste.
Einzelnachweise
Literatur
Max Doerner, Thomas Hoppe: Malmaterial und seine Verwendung im Bilde. Freiburg 2006
Knut Nicolaus: DuMont’s Bildlexikon zur Gemäldebestimmung. Köln 1982
Knut Nicolaus: DuMont’s Handbuch der Gemäldekunde. Köln 2003
Egon von Vietinghoff: Handbuch zur Technik der Malerei. DuMont, Köln 1983 (1991)
Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. Stuttgart 2005
Günther Sponheuer: Ölmalerei – Landschaften. Englisch-Verlag, Wiesbaden 2003 ISBN 978-3-8241-1254-8
Matthias Ruf: Ölmalerei. Frechverlag, ISBN 3-7724-2410-4
Weblinks
Olmalerei
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https://de.wikipedia.org/wiki/Regenbogenpresse
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Regenbogenpresse
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Unter dem Begriff Regenbogenpresse werden illustrierte Wochenzeitschriften verstanden, die sich inhaltlich häufig mit Themen aus dem Hochadel oder dem Showbusiness beschäftigen. Der Name ist hergeleitet von der in allen Farben des Regenbogens gestalteten Aufmachung der Kopfleiste und der Titelseite. Eine weitere Bezeichnung ist bunte Blätter. Sie wird manchmal auch der Yellow Press zugeordnet, einem Begriff, der eher die tägliche Sensationspresse kennzeichnet. Zu Lebzeiten der persischen Kaiserin Soraya hatte sich auch die Bezeichnung Soraya-Presse für dieses Genre herausgebildet. Im Verlagsjargon werden die Regenbogenblätter zu den „unterhaltenden Frauenzeitschriften“ gerechnet.
Format, Verbreitung, Zielpublikum und Machart
Die Wochenblätter bilden einen beachtlichen Teil der Presse-Landschaft. Im Segment der Frauenzeitschriften (mit 2001 ca. 21,6 Millionen verkauften Exemplaren pro Auflage) belegen sie 44 Prozent Marktanteil (2003). Etwa 9 Millionen dieser Zeitschriften werden Woche für Woche verkauft. Die wöchentlichen Blätter werden dabei von klassischen, vierzehntäglich erscheinenden Frauenzeitschriften und von täglich erscheinenden Boulevarderzeugnissen unterschieden. Ursprünglich und bis in die 1960er Jahre hatten die Blätter der Regenbogenpresse tatsächlich Zeitungsformat und nicht das heute übliche Heft- oder Illustriertenformat, weshalb sich auch der Ausdruck Regenbogenzeitungen einbürgerte.
Viele Regenbogenblätter wenden sich ausdrücklich an Frauen und sind „ganz und gar auf die vermuteten Unterhaltungs- und Klatschbedürfnisse älterer Frauen zugeschnitten“. Allerdings wird bereits seit den 1960er Jahren angenommen, dass die tatsächliche Reichweite der Blätter weit über das angegebene Zielpublikum hinausreicht. Nach Analysen der Leserschaftsstruktur sind und waren Regenbogenblätter prinzipiell in allen Bevölkerungsschichten präsent, wobei ein weibliches, eher der Unterschicht zugerechnetes Publikum ab einem Alter von etwa 49 Jahren tatsächlich überrepräsentiert ist. Durch Mehrfachrezeption soll in den 1980er Jahren ein die Auflagezahlen deutlich übersteigendes Lesepublikum von rund 32 Millionen Bundesbürgern (damals knapp die Hälfte der Bevölkerung Westdeutschlands) Regenbogenblätter konsumiert haben. Der Anteil ist jedoch in den vergangenen 20 Jahren stark zurückgegangen, weshalb sich viele Verlage um ein jugendlicheres Erscheinungsbild oder entsprechende Ersatzprodukte bemühen, von denen sich jüngere Frauen stärker angesprochen fühlen.
Themenauswahl und Aufbereitung der Regenbogenpresse unterscheiden sich grundsätzlich nicht wesentlich vom Boulevardjournalismus und den Boulevardmedien, die Grenzen sind fließend. Ein Großteil der Berichterstattung der Regenbogenpresse ist auf Personen aus prominenten Kreisen fokussiert, denen normalerweise ein bestimmtes, von den Redaktionen kreiertes und nicht selten auch mit den Betroffenen selbst abgestimmtes Image unterstellt und durch wiederkehrende Berichterstattung gefestigt wird. Die Berichterstattung über Farah Diba, Silvia von Schweden, Lady Di, Caroline von Monaco oder Letizia von Spanien steht sinnbildlich für viele andere prominente Adelige in Europa.
Generell wird sehr stark mit emotionalen Inhalten und Botschaften gearbeitet, die reißerisch verbreitet und zu erheblichen Teilen auf unbewiesene oder frei erfundene Mutmaßungen gestützt werden. Häufige Themen sind Liebesbeziehungen, öffentliche „Skandale“ und persönliches Leid wie etwa Krankheiten, Unfälle oder das Altern.
Neben emotionaler Berichterstattung über Prominentenschicksale sowie allerlei Klatsch und Tratsch dienen Mode-, Kosmetik-, Diät- und Reisetipps, Gesundheitsthemen sowie Ratgeber- und Lebenshilferubriken zur Auflockerung der Lesekost.
Das vermittelte Lebensbild in diesen Zeitschriften trägt in der Regel konservative Züge. Der Leserschaft wird das Festhalten an überkommenen Werten als Lösung zur Bewältigung der Realität angeboten. Neben dieser oft auch nur unterschwellig vermittelten Werteorientierung soll die Lektüre der Ablenkung und Zerstreuung dienen.
Wegen der hohen Absatzzahlen und des breiten Publikums ist die Regenbogenpresse für die Werbewirtschaft und PR-Branche ein gefragter und stark umkämpfter Markt. Besonders die Pharmaindustrie investiert große Summen in die Anzeigenschaltung in diesem Printsegment, wobei die Pharmahersteller zielgruppengerecht vorrangig frei verkäufliche Medikamente und gesundheitsfördernde Mittel bewerben. Entsprechend dieser Ausrichtung des Werbemarktes spielen Medizinthemen in der sachbezogenen Berichterstattung der Regenbogenpresse eine gewichtige Rolle.
Aus der deutschen Geschichte
1725/26 gibt der Leipziger Professor Gottsched „Die vernünftigen Tadlerinnen“ heraus und respektiert damit erstmals die Frau als Leserin mit ihren eigenen Vorstellungen von interessantem Lesestoff.
1932 – Der Welt am Sonnabend Verlag vertreibt mit dem Titel „Neue Welt“ einen Vorläufer der nach dem Zweiten Weltkrieg aufkeimenden Regenbogenpresse.
Deutschsprachige Zeitschriftentitel
Kritik
„Freizeit Magazin Royale“
In einer Satire-Aktion stellte der Entertainer Jan Böhmermann in seiner Sendung ZDF Magazin Royale am 16. April 2021 ein von ihm produziertes Heft mit dem Titel „Freizeit Magazin Royale“ vor, in dem das Privatleben der Verleger großer Medienhäuser, in denen Zeitschriften der Regenbogenpresse erscheinen, analog wie das Privatleben Prominenter in den handelsüblichen Blättern abgehandelt wird. Das vom ZDF in Kooperation mit dem Onlinemagazin Übermedien mit einer Auflage von angeblich 500.000 Stück hergestellte Heft wurde am Samstag nach der Ausstrahlung der Sendung tatsächlich im Zeitschriftenhandel angeboten. Bei den betroffenen Verlagen stieß die Aktion auf Kritik.
Siehe auch
Paparazzo
Pressegeschichte
Witwenschütteln
Literatur
Walter Nutz: Die Regenbogenpresse. Eine Analyse der deutschen bunten Wochenblätter. Westdeutscher Verlag, Opladen 1971.
Christa Kodron-Lundgren, Christoph Kodron: 20000000 unterm Regenbogen. Zur Inhaltsanalyse der Regenbogenpresse (= Reihe Hanser 210 Kommunikationsforschung). Mit einem Vorwort von Jürgen Ritsert. Hanser, München u. a. 1985, ISBN 3-446-12204-4.
Johannes Raabe: Regenbogenpresse. In: Günter Bentele, Hans-Bernd Brosius, Otfried Jarren (Hrsg.): Lexikon Kommunikations- und Medienwissenschaft. Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-13535-X, S. 243.
Oskar Stodiek: Die Medien-Agenda in der Medizinpublizistik der „Regenbogenpresse“. Thematisierungsmuster einer Printmediengattung. Lit Verlag, Berlin 2009 (Dissertation, Bochum 2008), ISBN 978-3-643-10054-2.
Weblinks
Topf voll Gold, Watchblog über die Regenbogenpresse auf Übermedien
Freizeit Magazin Royale (abgerufen am 21. April 2021)
Christian Schertz: Den Lügen der Boulevardpresse müssen Grenzen gesetzt werden. In: Der Tagesspiegel, 24. April 2021
Einzelnachweise
Presse
!Regenbogenpresse
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bantusprachen
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Bantusprachen
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Die Bantusprachen bilden eine Untergruppe des Volta-Kongo-Zweigs der afrikanischen Niger-Kongo-Sprachen. Es gibt mehr als 500 Bantusprachen, die von ca. 240 Mio. Menschen gesprochen werden. Um die 30 % der afrikanischen Bevölkerung sprechen eine Bantusprache. Sie sind im gesamten mittleren und südlichen Afrika verbreitet und dort in allen Staaten die meistgesprochenen Sprachen, wenn auch als Amtssprache in der Regel Englisch, Französisch oder Portugiesisch verwendet wird.
Im Nordwesten grenzt das Bantu-Gebiet an die übrigen Niger-Kongo-Sprachen, im Nordosten an nilosaharanische und afroasiatische (genauer semitische und kuschitische) Sprachen. Im Südwesten bilden die Khoisansprachen eine Enklave innerhalb des Bantu-Gebiets (siehe Karte).
Die Wissenschaft von den Bantusprachen und den damit verbundenen Kulturen und Völkern wird Bantuistik genannt. Sie ist ein Teilgebiet der Afrikanistik.
Das Wort Bantu
Die Bezeichnung Bantu wurde (in der Schreibung Bâ-ntu) von W. H. I. Bleek 1856 in die sprachwissenschaftliche Diskussion als Bezeichnung für die afrikanische Sprachengruppe eingeführt.
Es handelte sich dabei um eine Rekonstruktion des vermuteten Begriffs für «Menschen» in der angenommenen gemeinsamen Vorform dieser Sprachen. Dabei steht das Nominalklassenpräfix ba- für «Menschen, Leute, Personen» und die Wurzel -ntu- für «irgend; beliebige».
In den 1980er Jahren wurde seitens einer Gruppe von südafrikanischen Linguisten die Kritik vorgebracht, der Name Bantu eigne sich daher nicht als Bezeichnung für eine Sprachfamilie, das Präfix ba- bezeichnet nur Menschen, während Sprachen mit dem Präfix ki- für kulturelle Objekte bezeichnet werden müssten.
Die Sprachfamilie müsse daher in KiNtu umbenannt werden. Das Wort kintu existiert tatsächlich in einigen Bantusprachen, hat aber eine sehr allgemeine Bedeutung von «Dinge», teilweise sogar mit abwertender Bedeutungsnuance. Der Begriff Kintu wurde in Südafrika mindestens bis in die 1990er Jahre gelegentlich weiter verwendet, hat sich aber international nicht durchgesetzt.
Die sprecherreichsten Bantusprachen
Die bekannteste und als Verkehrssprache am häufigsten gesprochene Bantusprache ist Swahili (auch Suaheli, Kiswahili oder Kisuaheli). Die folgende Tabelle enthält alle Bantusprachen mit mindestens 3 Millionen Sprechern und gibt eine Schätzung für die Zahl ihrer Sprecher, ihre Einordnung innerhalb des Guthrie-Systems (siehe unten) und ihr Hauptverbreitungsgebiet an.
Einige dieser Sprachen sind sogenannte Verkehrssprachen, die nicht nur muttersprachlich (als Erstsprache) erlernt, sondern von vielen Sprechern als Zweit- oder Drittsprache erworben werden, um eine Kommunikation in einem größeren Gebiet über die Sprachgrenzen einzelner Volksgruppen hinweg zu ermöglichen.
Die Klassenpräfixe für Sprachnamen (z. B. ki-, kinya-, chi-, lu-, se-, isi-) werden in der sprachwissenschaftlichen Literatur heute üblicherweise nicht mehr verwendet. Auch in diesem Artikel wird die Kurzform ohne Präfix benutzt, also z. B. Ganda statt Luganda.
Es gibt zahlreiche weitere Bantusprachen mit mehr als 1 Million Sprechern. Für die meisten Sprachen liegt gar keine präzise Schätzung für die Anzahl der Sprecher vor.
Eine Übersicht über Bantusprachen mit mindestens 100.000 Sprechern bietet der Anhang „Bantusprachen nach Guthrie-Zonen“ am Ende dieses Artikels.
Forschungsgeschichte und heutige Position der Bantusprachen
Überblick der Forschungsgeschichte
Bereits 1659 erschien von Giacinto Brusciotto eine lateinisch geschriebene Grammatik der Sprache Kongo. Wilhelm Bleek beschrieb erstmals 1856 die Nominalklassen der Bantusprachen (siehe unten) und prägte den Begriff Bantu. Carl Meinhof erarbeitete ihre erste vergleichende Grammatik (1901). Malcolm Guthrie hat sie 1948 klassifiziert und 1967–71 in 16 geografische Zonen eingeteilt, die er mit den Buchstaben A–S (ohne I, O, Q) bezeichnete. Innerhalb dieser Zonen sind die Sprachen in Zehnereinheiten gruppiert und durchnummeriert (siehe: Einteilung der Bantusprachen nach Guthrie). Guthrie hat auch das Proto-Bantu als hypothetische Vorgängersprache aller heutigen Bantusprachen rekonstruiert. Joseph Greenberg klassifizierte die Bantugruppe als eine Unter-Unter-Einheit der Niger-Kongo-Sprachen (siehe unten). Zuvor wurden die Bantusprachen, insbesondere von Carl Meinhof und seinen Schülern, als eine eigene Sprachfamilie angesehen, welche im Verbreitungsgebiet der schwarzafrikanischen Sprachen den Sudansprachen gegenübergestellt wurden.
Entwicklung der Theorien über die Herkunft der Bantusprachen
Mit der Frage der Herkunft (Urheimat) und Entstehung der Bantusprachen beschäftigten sich seit 1860 zahlreiche Sprachforscher. Einige historisch wichtige Hypothesen sind hier aufgeführt, um den schwierigen Prozess bis hin zur heutigen Erklärung des Bantu als einer Untereinheit der Niger-Kongo-Sprachen deutlich zu machen.
Richard Lepsius
Der Ägyptologe Richard Lepsius ging 1880 in der Einleitung zu seiner Nubischen Grammatik in Afrika von drei Sprachzonen aus, wobei er die Khoisan-Gruppe nicht berücksichtigte: (1) Bantusprachen im südlichen Afrika, die Sprache der eigentlichen „Neger“, (2) gemischte „Negersprachen“ zwischen Äquator und Sahara, die Sudansprachen, (3) hamitische Sprachen (Ägyptisch, Kuschitisch, Berberisch) im nördlichen Afrika.
Primäre Merkmale dieser Sprachgruppen seien das Klassensystem der Bantu und das Genussystem der Hamiten, die von Westasien nach Afrika eingewandert seien. Durch ihr Vordringen drängten sie Teile der Vorbevölkerung nach Südafrika ab (eben die Bantu, die ihre „reine“ Sprachform behielten); andere Gruppen vermischten sich mit den Hamiten und bildeten Mischsprachen aus – die Sudansprachen –, die weder ein ausgeprägtes Klassen- noch Genussystem aufwiesen. Ihre Grammatik bezeichnete er als „formlos“, „zurückgegangen“ und „entblättert“.
August Schleicher
Der Indogermanist August Schleicher hatte eine ganz andere Vorstellung, die er 1891 veröffentlichte. Seiner Meinung nach war Afrika zunächst unbewohnt und wurde von Südwestasien aus in vier großen Wellen bevölkert:
die „Buschmänner“ (eigentlich San) und „Hottentotten“ (eigentlich Khoikhoi)
die „Negervölker“ des Sudan, die sog. „Nigriten“
die Bantu
die „Hamiten“.
Dabei ging er davon aus, dass die sudanischen Nigriten bereits ein rudimentäres, unvollkommenes Klassensystem gehabt hätten, das dann die Bantuvölker vervollkommnet und ausgeprägt haben. Für ihn war also das Nigritische oder Sudanische ein evolutionärer Vorläufer des Bantu, und nicht ein Ergebnis des Zerfalls wie bei Lepsius.
Carl Meinhof
Der Afrikanist Carl Meinhof äußerte sich zwischen 1905 und 1935 mehrfach über die Entstehung der Bantusprachen; er steht in deutlichen Gegensatz zu den Hypothesen von Lepsius und Schleicher. Für ihn sind nicht die Bantusprache, sondern die Sudansprachen ur-nigritisch. Bantu sei eine Mischsprache mit nigritischer „Mutter“ (Substrat) und hamitischem „Vater“ (Superstrat). Die Besiedlung Afrikas erfolgte nach Meinhof also in drei sprachlichen Schichten: (1) die nigritischen Sudansprachen, (2) die hamitischen Sprachen und (3) die Bantusprachen als Mischform des Nigritischen und Hamitischen.
Diedrich Westermann und Joseph Greenberg
Diedrich Westermann ging zunächst als Meinhof-Schüler von einem gemeinsamen nigritischen Substrat der Sudan- und Bantusprachen aus. Ab 1948 war er aber zunehmend von der genetischen Urverwandtschaft der westlichen Sudansprachen und der Bantusprachen überzeugt, wie er in mehreren Veröffentlichungen dargelegt hat. Damit bereitete er den Boden für Greenbergs Niger-Kongo-Ansatz.
Joseph Greenberg setzte die Ansätze Westermanns konsequent fort und etablierte 1949 das Niger-Kongo-Phylum als eine große Sprachfamilie im westlichen und südlichen Afrika, die die Bantusprachen mit einbeschließt und die aus einem westsudanischen „nigritischen“ Kern hervorgegangen ist. Die Struktur dieser Familie hat sich seit diesem ursprünglichen Ansatz noch mehrfach geändert; die letzte Greenbergsche Fassung ist sein Werk „Languages of Africa“ von 1963.
Auch nach Greenberg wurde der innere Aufbau des Niger-Kongo-Phylums noch mehrfach geändert (siehe Niger-Kongo-Sprachen), allerdings stimmen alle Fassungen – auch die aktuellen (z. B. Heine-Nurse 2000) – darin überein, dass die Bantusprachen eine Unter-Unter-Einheit des Niger-Kongo darstellen, die am nächsten mit den sogenannten bantoiden Sprachen Ostnigerias und Westkameruns verwandt sind.
Die Position der Bantusprachen innerhalb des Niger-Kongo
Die große Bedeutung der Bantusprachen innerhalb der Niger-Kongo-Sprachen (und damit im Kontext der afrikanischen Sprachen generell) zeigen folgende Zahlen:
Von den etwa 1400 Niger-Kongo-Sprachen gehören 500 zur Bantugruppe; das ist mehr als ein Drittel.
Von den etwa 350 Millionen Sprechern einer Niger-Kongo-Sprache sprechen 200 Millionen – also fast 60 % – eine Bantusprache.
Dennoch stellt nach heutigen Erkenntnissen, die vor allem auf den Arbeiten von Joseph Greenberg beruhen, die Bantugruppe nur eine Unter-Unter-Einheit des Niger-Kongo dar. Die genaue Position der Bantugruppe innerhalb der Niger-Kongo-Sprachen zeigt das folgende etwas vereinfachte genetische Diagramm:
Position des Bantu innerhalb des Niger-Kongo
Niger-Kongo
Kordofanisch
Mande
Atlantisch
Dogon
Ijoid
Volta-Kongo
Nord-Volta-Kongo
Kru
Gur (Voltaisch)
Senufo
Adamawa-Ubangi
Süd-Volta-Kongo
Kwa
Benue-Kongo
West-Benue-Kongo
Ost-Benue-Kongo
Platoid (Zentral-Nigerianisch)
Bantoid-Cross-River
Cross-River
Bantoid
Nord-Bantoid
Süd-Bantoid
diverse kleinere Gruppen
Grasland
Bantu
Die komplexe Abstammungslinie der Bantusprachen lautet also mit allen Zwischengliedern:
Niger-Kongo > Volta-Kongo > Süd-Volta-Kongo > Benue-Kongo > Ost-Benue-Kongo >Bantoid – Cross River > Bantoid > Süd-Bantoid > Bantu.
Zur detaillierten Klassifikation der Bantusprachen innerhalb der Guthrie-Gruppen mit Angabe der Sprecherzahlen siehe den Abschnitt am Ende des Artikels „Bantusprachen nach Guthrie-Zonen“ (für Sprachen mit mindestens 100.000 Sprechern) und den unten angegebenen Weblink (für alle Bantusprachen).
Urheimat und Ausbreitung
Alle Theorien über die Herkunft der Bantusprachen machen explizit oder implizit Aussagen über ihre Urheimat und spätere Ausbreitung bis in die heutigen Siedlungsgebiete der Bantuvölker.
Urheimat der Bantusprachen
Gemäß seiner Klassifikation – Bantu als eine Untergruppe der sonst in Nigeria und Kamerun verbreiteten bantoiden Sprachen – setzte Joseph Greenberg die Urheimat der Bantusprachen im mittleren Benue-Tal (Ostnigeria) und im westlichen Kamerun an. Das ist die heute von den meisten Forschern akzeptierte und vertretene Meinung.
Malcolm Guthrie dagegen äußerte noch 1962 auf Basis einer Wort-Sach-Argumentation (Zusammenhang zwischen archäologisch greifbaren Gegenständen oder angebauten Pflanzenarten und den sprachlichen Bezeichnungen dafür), Proto-Bantu sei in einem Gebiet südöstlich des äquatorialen tropischen Regenwaldes entstanden. Aus diesem Kerngebiet seien sternförmig Migrationen in die heutigen Siedlungsgebiete erfolgt. Das Problem der verwandten bantoiden Sprachen im weitentfernten Westafrika löste er durch die Annahme, dass einige Prä-Bantu-Gruppen den Urwald mit Hilfe von Booten nach Norden durchdrungen hätten. Diese Position Guthries spielt in der heutigen Forschung keine Rolle mehr; allgemein wird eine Urheimat der Bantu nördlich des tropischen Regenwaldes angenommen, die große Mehrheit stimmt Greenbergs Ansatz Ostnigeria-Westkamerun zu.
Ausbreitung der Bantuvölker
Westliche und östliche Ausbreitungsrouten
Die Ausbreitung der Bantuvölker von ihrer westafrikanischen Urheimat ins gesamte subsaharanische Afrika ist eine der größten Wanderungsbewegungen der Menschheit. Zur Frage, welche Wege die Bantu-Gruppen nun von ihrer Urheimat aus eingeschlagen haben, gibt es zwei Theorien, die sich aber nicht gegenseitig ausschließen, sondern nur unterschiedliche Schwerpunkte setzen. Die erste besagt (z. B. Heine-Hoff-Vossen 1977), dass die frühen Bantu hauptsächlich küstennah „am Regenwald westlich vorbei“ nach Süden gezogen seien, eine weitere Gruppierung am Nordrand des Regenwaldes zunächst in östlicher, dann südlicher Richtung gewandert sei. Die westliche Hauptgruppe habe dann einen neuen Nukleus am Unterlauf des Kongos gebildet, aus dem die Mehrzahl der Bantustämme in der Savanne und im ostafrikanischen Hochland hervorgegangen sei. Die zweite Theorie geht hauptsächlich von einer nördlichen Umgehung des Regenwaldes aus. Diese Gruppen seien dann später vom Gebiet der großen ostafrikanischen Seen nach Süden gezogen und hätten dann den Kongo-Nukleus gebildet (oder sich mit ihm vereinigt), von dem aus die weitere Besiedlung Südost- und Südafrikas erfolgt sei. Generell geht man von frühen westlichen und östlichen Bantugruppen aus, die den beiden Hauptwanderungswegen entsprechen.
Chronologie der Ausbreitung
Nach Vansina (1995) und Iliffe (1995) kann man aus dem rekonstruierten Proto-Bantu-Vokabular (Landwirtschaft, Keramikherstellung), den archäologischen Funden (vor allem der Keramik) und den von frühen Bantugruppen landwirtschaftlich genutzten Produkten (Ölpalme, Yams, aber noch kein Getreide) schließen, dass die erste Auswanderung aus der westafrikanischen Urheimat in Ostnigeria nach der Einführung von Landwirtschaft und Töpferei erfolgt sein muss. Damit ergibt sich aus der Archäologie Ostnigerias und Westkameruns als wahrscheinlicher Zeitraum etwa 3000–2500 v. Chr. als Beginn der Auswanderungsbewegung. Zunächst wanderten die frühen Bantu ins Kameruner Grasland, wo weitere Begriffe für Landwirtschaft, Viehhaltung (Ziege, Rind), Fischzucht und Bootsbau das Vokabular bereicherten.
1500–1000 v. Chr. gab es dann eine Abwanderung von Bantugruppen westlich des trockener werdenden Regenwaldes nach Süden bis zum Unterlauf des Kongo. Dort werden Bantukulturen archäologisch etwa 500–400 v. Chr. greifbar. Sie kannten noch keine Metallverarbeitung. Manche dieser Gruppen wanderten weiter nach Süden bis nach Nordnamibia, andere schwenkten nach Osten, zogen durch die großen Flusstäler und vereinigten sich mit der östlichen Gruppe im Kongo-Nukleus (siehe unten).
Die (wahrscheinlich größere) östliche Gruppe zog ab 1500 v. Chr. von Kamerun am Nordrand des Regenwaldes entlang bis in das Gebiet der großen Seen Ostafrikas. Dort gibt es ab 1000 v. Chr. Belege für den ersten Getreideanbau (Sorghum), intensive Viehhaltung und – ab 800 v. Chr. – erste archäologische Belege für die Metallverarbeitung und Eisenherstellung (Schmelzöfen in Ruanda und Tansania). Begriffe für Metalle und Metallverarbeitung spiegeln sich auch sprachlich im Proto-West-Bantu wider, während das Proto-Bantu sie noch nicht kannte. Möglicherweise erfolgte dieser kulturelle Aufschwung der Bantuvölker in Landwirtschaft, Viehzucht und Metallverarbeitung durch den Einfluss nilosaharanischer Gruppen aus dem oberen Niltal, wo diese Kulturstufe deutlich früher erreicht wurde. Die Bantuvölker stellen offensichtlich den Kern der eisenzeitlichen Urewe-Kultur dar, die im Gebiet der großen ostafrikanischen Seen verbreitet war. Mit der intensiveren landwirtschaftlichen Nutzung durch Brandrodung und dem Bedarf an Brennholz für die Eisenherstellung geht eine weitgehende Abholzung der Wälder im ostafrikanischen Seengebiet einher, also eine erste großflächige Umgestaltung der Natur Afrikas durch den Menschen.
Vom Gebiet der großen Seen aus zogen die Urewe-Bantu (ausweislich ihrer spezifischen Keramik) etwa ab 500 v. Chr. nach und nach in alle Gebiete Ost- und Südafrikas. Am Sambesi ist Urewe-Keramik ab 300 v. Chr. nachweisbar. Im ersten nachchristlichen Jahrhundert werden Angola, Malawi, Sambia und Simbabwe erreicht, im 2. Jahrhundert Mosambik, schließlich um 500 n. Chr. Südafrika. Sesshafte Lebensformen (mit Brachland-Rekultivierung) bildeten die Bantuvölker erst ab 1000 n. Chr. aus, vorher zwang sie die Brandrodungstechnik zu ständigem Weiterzug und der Aufgabe der ausgelaugten Flächen.
Dem Druck der Bantuvölker mussten die Khoisan weichen, die damals noch wesentlich größere Gebiete Südafrikas besiedelten als heute. Ihr Rückzugsgebiet wurden die Wüsten- und Steppenzonen Südangolas, Namibias und Botswanas, die für den Anbau von Sorghum ungeeignet und damit für die Bantu unbrauchbar waren. Auch die als „Pygmäen“ zusammengefassten Volksgruppen bewohnten wahrscheinlich größere zusammenhängende Gebiete Zentralafrikas, ehe sie von den Bantu auf wenige kleinere Gebiete zurückgedrängt wurden. Sie sprechen heute die Sprachen der jeweiligen benachbarten Bantuvölker, dies jedoch mit einigen lautlichen und lexikalischen Besonderheiten, die möglicherweise auf frühere eigene Sprachen zurückgehen.
Sprachliche Charakteristik
Trotz ihrer Verbreitung über ein riesiges Gebiet zeigen die Bantusprachen einen hohen Grad grammatischer Ähnlichkeit. Besonders charakteristisch sind die Bildung von Nominalklassen – alle Substantive werden je nach Sprache in zehn bis zwanzig Klassen eingeteilt, die Klasse des Nomens wird durch ein Präfix gekennzeichnet –, der Einfluss dieser Klassen auf Kongruenz oder Konkordanz aller grammatischen Kategorien (d. h., die Klasse des Nomens überträgt sich auf seine Attribute und die des Subjekts auf die Formen des Prädikats) sowie komplexe, in allen Sprachen ähnlich konstruierte Verbalformen. Sowohl Nominal- als auch Verbalbildung sind im Wesentlichen agglutinativ; es werden sowohl Präfixe als auch Suffixe verwendet.
Die Bantusprachen teilen einen großen gemeinsamen Wortschatz, so dass mehrere hundert Proto-Bantuwurzeln rekonstruiert werden konnten, deren Nachkommen in fast allen Zonen des Guthrie-Schemas auftreten. Wortarten sind in den Bantusprachen nach ihrer syntaktischen Verwendung, nicht nach äußerer Form zu unterscheiden. Außer den schon genannten Nomina und Verben gibt es relativ wenige eigenständige Adjektive (die meisten sind Ableitungen von Verben), ein unvollständiges System von Zahlwörtern (7, 8, und 9 sind in der Regel Fremdwörter) und ein reichhaltiges Inventar von Pronomen, wobei die Demonstrativpronomen bis zu vier verschiedene Stufen der Nähe und Ferne ausdrücken können („dieser“, „jener“ und weitere).
Die Syntax ist stark morphosyntaktisch bestimmt, insbesondere durch das Nominalklassensystem und die damit verbundene Konkordanz in der Nominalphrase und zwischen Subjekt und Prädikat. Die übliche Wortfolge ist Subjekt – Prädikat – Objekt (SVO).
Phonologie
Historisch haben die Bantusprachen eine einfache Phonetik. Die Wörter bestehen aus offenen Silben, Verschlusslaute können pränasaliert sein (z. B. mb- oder nd-). Das Konsonanteninventar bestand ursprünglich aus stimmlosen, stimmhaften, nasalen und pränasalierten Verschlusslauten: //, außerdem enthielt es . Diese Phoneme blieben auch in den heutigen Bantusprachen weitgehend erhalten. Protobantu hatte offensichtlich keine weiteren Frikative, in den modernen Bantusprachen sind allerdings // weit verbreitet. Somit erhält man folgenden Konsonantenbestand, von dem einzelne Sprachen aber nicht alle Phoneme besitzen (z. B. oder , oder ; Pränasalreihe 1 oder 3, 2 oder 4):
Die Ejektivlaute entsprechen der deutschen Aussprache von b, d und g. Die Implosivlaute – im Swahili drei, im Shona zwei, im Xhosa und Zulu nur das – werden in der Schrift zumeist mit ihren ejektiven Pendants wiedergegeben. Diese werden teilweise orthografisch unterschieden, beispielsweise durch ein nachgestelltes h.
Einige südliche Bantusprachen haben durch Kontakt mit Khoisan-Sprachen auch deren Klicklaute übernommen. Dies betrifft vor allem Sprachen der Guthrie-Gruppen S40 und S50, insbesondere Zulu (12 Klicklaute) und Xhosa (15). Aber auch Yeyi (oder Yeye) (R40) hat bis zu 20 Clicks, während nahverwandte und benachbarte Sprachen, die auch Kontakt mit den Khoisan-Sprachen hatten und haben (z. B. Herero), keine Spuren von Klicklauten aufweisen. Wahrscheinlich ist das darauf zurückzuführen, dass die Herero erst sehr viel später als die Xhosa und andere östlich der Kalahari wohnende Völker mit den Khoisan-Sprachen in Kontakt gekommen sind.
Das Vokalsystem des Protobantu bestand aus den sieben Vokalen //. Es ist noch heute in den nordost- und nordwest-zentralen Bantusprachen erhalten, während es bei den übrigen (etwa 60 %) auf die fünf Vokale // reduziert wurde. In etlichen rezenten Bantusprachen sind auch die Unterschiede zwischen langen und kurzen Vokalen phonemisch relevant. Ob es sich dabei um eine Eigenschaft des Protobantu oder um eine Innovation in bestimmten Teilgruppen handelt, ist bisher nicht entschieden worden.
Das Protobantu war sicherlich eine Tonsprache, das heißt, dass die Tonhöhe einer Silbe bedeutungsrelevant ist. Ein großer Teil der Bantusprachen (97 % laut Nurse 2003) haben diese Eigenschaft bewahrt. Die meisten Bantusprachen haben nicht mehr als zwei differenzierende Töne, die entweder als hoch-tief oder hoch-neutral charakterisiert werden können. Es gibt aber auch komplexere Systeme mit bis zu vier verschiedenen Tonhöhen. Einige wenige Sprachen, darunter Swahili, haben ihre Tondifferenzierung verloren.
In einigen Bantusprachen gibt es eine Form der Vokalharmonie, die sich auf die Vokalisierung von bestimmten Ableitungssuffixen auswirkt. Zum Beispiel erhält im Kikuyu das Umkehrungssuffix -ura hinter der Verbalwurzel hing („öffnen“) die Form hing-ura („schließen“), hinter dem Verb oh („binden“) aber die Form oh-ora („losbinden“). Eine Dissimilation anlautender Konsonanten des Nominalklassenpräfixes und des Nominalstamms zeigt gerade die Eigenbezeichnung des Kikuyu als Gi-kuyu, die regelmäßig gebildet Ki-kuyu lauten müsste (die Schreibweise Kikuyu ist als Endonym falsch, jedoch gerechtfertigt als allgemeine Vorsilbe zur Benennung von Bantusprachen, wie z. B. in Kikongo, Kiluba, Kituba, Kiswahili, Kirundi und mehr als 100 weiteren Bantu-Sprachnamen).
Der Akzent liegt in fast allen Bantusprachen auf der zweitletzten Silbe.
Nominalmorphologie
Nominalklassen
Ein besonderes Merkmal der Bantusprachen ist die Einteilung der Nomina in sogenannte Klassen. Dieses Merkmal teilen sie allerdings mit einer Vielzahl anderer Niger-Kongo-Sprachen und auch mit Sprachen ganz anderer genetischer Herkunft, z. B. kaukasischen, jenisseischen oder australischen Sprachen. Die Zuordnung eines Nomens zu einer Klasse erfolgte ursprünglich nach der Bedeutungskategorie eines Wortes, erscheint aber in den heutigen Bantusprachen oft zufällig. Auch das grammatische Geschlecht z. B. in vielen indogermanischen Sprachen lässt sich als Klasseneinteilung interpretieren (so könnte man das Lateinische als eine 6-Klassen-Sprache auffassen: Maskulinum, Femininum und Neutrum, jeweils im Singular und Plural).
Es gab im Protobantu etwa zwanzig Klassen. Diese Anzahl hat sich bei einigen der heutigen Bantusprachen erhalten (z. B. im Ganda), in anderen wurde sie bis auf etwa zehn Klassen reduziert. Die Nominalklassen werden ausschließlich durch Präfixe (die Klassenpräfixe) markiert. Die Klassen von Nomina und zugehörigen Attributen sowie von Subjekt und Prädikat müssen in der Konstruktion eines Satzes übereinstimmen (Konkordanz), allerdings können die Präfixe einer Klasse bei Nomen, Zahlwort, Pronomen und Verb unterschiedlich sein. In den meisten Bantusprachen bilden die Klassen – und die sie markierenden Präfixe – paarweise den Singular oder Plural eines Wortes (siehe unten die Beispiele aus den Sprachen Ganda und Swahili).
In vielen Bantusprachen gibt es zwei Formen des Klassenpräfixes, eine einsilbige und eine zweisilbige, wobei bei letzterer ein zweites Präfix vor die einsilbige Form des Präfixes gesetzt wird. Dieses vordere Präfix heißt Augment, im Englischen auch pre-prefix. Sehr oft besteht es nur aus dem Vokal des einsilbigen Präfixes oder einer offeneren Variante davon. Die Kontexte, in denen das Präfix mit Augment verwendet wird, variieren sehr stark von Sprache zu Sprache, wobei vielfach Augmente eher in definiten Kontexten vorkommen. In der Sprache Swahili, aus der viele der nachfolgenden Beispiele stammen, gibt es keine Augmente.
Beispiele für Nominalklassen
Beispiele für Nominalklassen in der Sprache Ganda:
zur Wurzel -ganda:
mu-ganda „ein(e) Ganda“
ba-ganda „die Ganda-Leute“ (Plural der mu-Klasse)
bu-ganda „das Land der Ganda“
lu-ganda „die Sprache der Ganda“
ki-ganda „kulturelle Dinge der Ganda“ (z. B. Liedgut)
zur Wurzel -ntu:
mu-ntu „Mensch“
ba-ntu „Menschen“
ka-ntu „kleines Ding“
gu-ntu „Riese“
ga-ntu „Riesen“
Die in diesem Artikel durchgehend zur Verdeutlichung gesetzten Bindestriche zwischen Präfix und Stamm werden in der normalen Bantuschreibung nicht verwendet.
Beispiele aus dem Swahili zeigen die weitverbreitete Dopplung der Klassen in eine Singular-Klasse und eine zugehörige Plural-Klasse.
Adjektive und Konkordanz in der Nominalphrase
Es gibt nur relativ wenige echte Adjektivwurzeln in den Bantusprachen, offensichtlich ein Erbe der Ursprache. Die meisten Adjektive sind von Verben abgeleitet. In vielen Fällen verwendet man Relativkonstruktionen, also z. B. „der Mann, der stark ist (vom Verbum stark sein)“ statt „der starke Mann“. Die attributiven Adjektive folgen ihrem Kopfnomen, dabei wird das Nominalpräfix der Nominalklasse des Nomens dem Adjektiv vorangestellt, es gilt also die Klassenkonkordanz. Dazu Beispiele aus dem Swahili:
m-tu m-kubwa „große Person“ (m-tu „Mensch“, kubwa „groß“)
wa-tu wa-kubwa „große Leute“ (die wa-Klasse ist der Plural der m-Klasse)
ki-kapu ki-kubwa „großer Korb“ (ki-kapu „Korb“)
vi-kapu vi-kubwa „große Körbe“ (die vi--Klasse ist der Plural der ki-Klasse)
Sämtliche Glieder einer Nominalphrase, also neben dem Nomen auch Possessivpronomina, Adjektive, Demonstrativpronomina und Zahlwörter, unterliegen dabei der Klassenkonkordanz (außer einigen Zahlwörtern, die aus fremden Sprachen übernommen wurden, siehe unten). Dazu einige Beispiele:
wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le „Menschen“ (-tu) „gute“ (-zuri) „zwei“ (-wili) „jene“ (-le), "jene guten zwei Menschen"
ki-kapu ki-dogo ki-le „Korb“ (ki-kapu) „kleiner“ (-dogo) „jener“ (-le), "jener kleine Korb"
vi-kapu vi-dogo vi-tatu vi-le „Körbe“ (vi-kapu) „kleinen“ (-dogo) „drei“ (-tatu) „jene“ (-le), "jene drei kleinen Körbe".
Konkordanz von Subjekt und Prädikat
Die Klasse des Subjekts muss vom Prädikat eines Satzes kongruent aufgenommen werden, es herrscht also auch hier Konkordanz. Folgende Beispiele aus dem Swahili zeigen das Prinzip (Details zur Verbalkonstruktion siehe unten):
ki-kapu ki-kubwa ki-me-fika „der große Korb ist angekommen“ (ki-kapu „Korb“, -fika „ankommen“, -me- Perfekt-Marker)Hinweis: gleiche Klassenpräfixe ki- bei Nomen und Verb, sog. Alliteration
m-toto m-kubwa a-me-fika „das große Kind“ (m-toto) „ist angekommen“Hinweis: verbales a-Präfix entspricht der nominalen m-Klasse; also verschiedene Präfixmorpheme bei gleicher Klasse
wa-tu wa-zuri wa-wili wa-le wa-me-anguka „jene“ (wa-le) „zwei“ (wa-wili) „guten“ (wa-zuri) „Menschen sind niedergefallen“ (-anguka)
wa-geni wa-zungu w-engi wa-li-fika Kenya
lit. „Fremde“ (wa-geni) „europäische“ (wa-zungu) „viele“ (w-engi < *wa-ingi) „kamen an“ (-li- Vergangenheitsmarker) „in Kenia“
„viele Europäer kamen in Kenia an“
Possessivkonstruktion
Possessivkonstruktionen der Art „das Haus des Mannes“ (Haus = Besitz; Mann = Besitzer, im Deutschen Genitivattribut) haben in den Bantusprachen in der Regel folgende Form:
Besitz + [Adjektivattribut des Besitzes] + (Klassenmarker des Besitzes + a) + Besitzer
Die Verbindung des Klassenmarkers (Präfix der Nominalklasse) mit dem suffigierten -a führt dabei häufig zu Kontraktionen und sonstigen lautlichen Veränderungen des Bindegliedes.
Beispiele aus dem Swahili:
wa-tu wa (< *wa-a) Tanzania „die Leute von Tansania“
ki-tabu cha (< *ki-a) m-toto „das Buch“ (kitabu) „des Kindes“
vi-tabu vya (< *vi-a) wa-toto „die Bücher der Kinder“
ny-umba ya (< *ny-a) m-tu „das Haus“ (nyumba) „des Mannes“
ny-umba n-dogo ya m-tu „das kleine“ (-dogo) „Haus des Mannes“
Klasse und Bedeutung
Obwohl die Klassenzugehörigkeit von Nomina heutiger Bantusprachen nur sehr schwer semantisch bestimmbar ist (siehe obige Beispiele), wurde in vielen Forschungsarbeiten zu diesem Thema eine Liste der Bedeutungsfelder der einzelnen Nominalklassen erarbeitet. Eine Zusammenfassung dieser Ergebnisse geben Hendrikse und Poulos (1992), hier zitiert nach Nurse (2003). Neben den rekonstruierten Protobantu-Klassenpräfixen (nach Meeussen 1967) sind als Beispiel die Ganda-Präfixe aufgeführt, hier erweitert durch die vokalischen Prä-Präfixe, die sogenannten Augmente. Die Ganda-Präfixe entsprechen – wie man sieht – den rekonstruierten Protobantu-Präfixen weitgehend. Dazu werden einige charakteristische Beispielwörter aus der Ganda-Sprache angegeben. Die letzte Spalte beschreibt die Bedeutungsfelder der einzelnen Klassen.
Ein Blick in diese Tabelle zeigt viele Überschneidungen der Bedeutungsfelder der einzelnen Klassen, z. B. können Tiere den Klassen 3–4, 5–6, 7–8, 9–10 und anderen zugeordnet werden. Somit ist fast nie vorhersagbar, zu welcher Klasse ein Nomen einer bestimmten Bedeutungskategorie gehört. Eine Ausnahme stellen die Personenbezeichnungen dar, die fast immer den Klassen 1 und 2 zugeordnet sind.
Pronomina
Neben den abhängigen Personalenklitika für pronomiales Subjekt und Objekt, die in Verbalkonstruktionen verwendet werden (siehe dort), gibt es in den Bantusprachen auch selbständige Personalpronomina. Sie werden zur besonderen Betonung (Emphase) der Person eingesetzt, in der Regel nur als Subjekt. Die Possessivpronomina sind nicht enklitisch, sondern werden dem zu bestimmenden Nomen mit Klassenkonkordanz (siehe oben) als eigenständiges Wort nachgestellt. Die beiden Pronomina lauten im Swahili:
Einige Beispiele zum Possessivpronomen:
vi-tabu vy-angu (< *vi-angu) „meine Bücher“
ki-tabu ki-le ni ch-angu (< *ki-angu) „jenes Buch ist mein“
ny-umba y-etu „unser Haus“
wa-toto w-angu w-ema „meine guten (-ema) Kinder (-toto)“
Die Demonstrativa bieten im Protobantu ein differenziertes drei- oder sogar vierstufiges System der Nähe und Ferne des Verweises (während z. B. im Deutschen nur ein zweistufiges System mit „dieser“ und „jener“ existiert):
Stufe 1: Verweis den unmittelbaren Nahbereich des Redenden: dieser hier
Stufe 2: Verweis auf den relativen Nahbereich des Redenden: dieser
Stufe 3: Verweis auf den Nahbereich des Angesprochenen: jene dort in der Nähe
Stufe 4: Verweis auf Dritte fern von den Gesprächspartnern: jene dort hinten, in der Ferne
Zum Beispiel haben sich in der Sprache Venda (S20) alle vier Stufen erhalten. Durch lautliche Verbindung mit den Klassenmarkern entwickeln die Demonstrativa für jede Klasse eine besondere Form. Sie lauten im Venda in den Klassen 1 und 2 (Personenklassen, vereinfachte Phonetik):
Allerdings haben sich in vielen Bantusprachen davon nur zwei Stufen erhalten, z. B. im Swahili Klassenmarker+le „jener“, hV+Klassenmarker „dieser“ („V“ Vokal in Harmonie mit dem Klassenmarker). Ausnahmsweise wird beim Nah-Demonstrativum hV- der Klassenmarker nicht als Präfix, sondern als Suffix verwendet. Dazu einige Beispiele aus dem Swahili:
ki-jiji hi-ki „dieses Dorf (-jiji)“
vi-jiji hi-vi „diese Dörfer“
wa-toto ha-wa „diese Kinder“
ki-jiji ki-le „jenes Dorf“
vi-jiji vi-le „jene Dörfer“
wa-toto wa-le „jene Kinder“
Während Possessiv- und Demonstrativpronomina der Klassenkonkordanz (siehe oben) unterworfen sind, unterscheidet das Fragepronomen in den Bantusprachen nur die Kategorien „Person“ und „Sache“, z. B. im Swahili nani „wer?“, nini „was?“.
Zahlwörter
Die Zahlwörter für 1–5 und 10 stammen in vielen Bantusprachen vom Urbantu und sind immer noch relativ ähnlich, für 6–9 sind sie unterschiedlicher Herkunft (Arabisch, europäische Sprachen, afrikanische Nicht-Bantu-Sprachen) und variieren in den einzelnen Sprachen stark. In den Sprachen Swahili und isiZulu lauten die Zahlenwörter wie folgt:
Beim Swahili werden die Zahlwörter für 1–5 und 8 wie Adjektive behandelt und nehmen an der Klassenkordanz teil (siehe oben). Die Zahlwörter für 6, 7 und 9 (kursiv) stammen aus dem Arabischen und unterliegen nicht der Konkordanz, sie erhalten also keine Klassenpräfixe (siehe oben). Die Zehner (außer „10“) und Hunderter sind ebenfalls arabischer Herkunft.
Beispiele aus dem Swahili:
vi-su vi-tatu „drei Messer“ (Konkordanz vi-Klasse)
vi-su saba „sieben Messer“ (keine Konkordanz)
wa-toto wa-nne „vier Kinder“
wa-toto kumi na m-moja „elf Kinder“
Beim isiZulu werden die Zahlwörter für 1–5 ebenso wie Adjektive behandelt und können mit unterschiedlichen, vorne angehängten, Präfixen etwas anderes aussagen. Die weiteren Zahlwörter ergeben sich hingegen aus einer spezifischen Zählweise der Finger.
isithupha der Daumen der rechten Hand; Die Nummer sechs
isikhombisa der Zeigefinger der rechten Hand; der "Zeiger"; Die Zahl Sieben
isishiyagalombili die Anzahl der "zwei zurückgelassenen Finger (von zehn)"; Die Zahl Acht
isishiyagalolunye die Zahl des "einen zurückgelassenen Fingers"; Die Zahl Neun
ishumi Die Zahl Zehn
Beispiele aus dem isiZulu:
isikhombisa „sieben“
yisikhombisa „es sind sieben“
abayisikhombisa „sieben Leute“
bayisikhombisa „sie sind sieben / es gibt sieben von ihnen“
Verbalmorphologie
Verbalderivationen, Aspekt und Tempus
Verbalderivationen
Durch verschiedene Suffixe am Verbalstamm können abgeleitete Verben (Derivate) gebildet werden, davon machen die meisten Bantusprachen regen Gebrauch. Einige der Derivationsendungen haben sich aus protosprachlichen Vorgängern entwickelt. Dazu zwei Beispiele:
Der protosprachliche Reziprok-Marker (reziprok = wechselseitig) „-ana“ hat sich in vielen Bantusprachen erhalten, z. B.
Swahili: pend-ana „sich gegenseitig lieben“
Lingala: ling-ana „sich gegenseitig lieben“
Zulu: bon-ana „sich gegenseitig sehen“
Ganda: yombag-ana „miteinander kämpfen“
Der Kausativ-Marker „-Vsha“ erscheint als -Vsha im Swahili, -ithia im Kikuyu, -isa im Zulu, -Vtsa im Shona, -Vsa im Sotho und -isa im Lingala. („V“ steht hier für einen beliebigen Vokal.)
Eine Übersicht über die Derivationssuffixe gibt die folgende Tabelle mit einigen Beispielen (nach Möhlig 1980).
Aspekt, Modus und Tempus
Aspekte und Modi werden durch Suffixe markiert, die meisten Bantusprachen haben sieben Aspekte bzw. Modi: Infinitiv, Indikativ, Imperativ, Konjunktiv, Perfektiv, Kontinuativ und Subjunktiv. (In der Bantuistik spricht man in der Regel nur von „Aspekten“.)
Tempora werden durch Präfixe gekennzeichnet, die zwischen dem Klassenpräfix (siehe oben) und Stamm eingefügt werden (konkrete Beispiele im nächsten Abschnitt). (In der afrikanistischen Literatur werden die Tempuspräfixe häufig fälschlich als „Tempusinfixe“ bezeichnet.) Die Tempora und ihre markierenden Präfixe variieren in den einzelnen Bantusprachen sehr stark, so dass sie sich kaum aus gemeinsamen protosprachlichen Morphemen entwickelt haben, sondern erst später in den einzelnen Zweigen der Bantusprachen mehr oder weniger unabhängig voneinander entstanden sind.
Verbalkonstruktion im Swahili
Im Folgenden werden einige Verbalkonstruktionen des Swahili dargestellt.
Infinitiv
Infinitive werden als ku + Stamm + Endvokal gebildet; der Endvokal ist -a, wenn es sich um ein originales Bantuverb handelt (außer -keti), jedoch sind -e/-i/-u, wenn ein aus einer anderen Sprache (hauptsächlich aus dem Arabischen) stammendes Fremdverb vorliegt. Beispiele:
ku-fany-a „tun, machen“
ku-fikir-i „denken“
Imperativ
Der Imperativ wird im Singular durch den Stamm + Endvokal, im Plural durch Anhängen von -eni an den Stamm ausgedrückt.
som-a „lies!“
som-eni „lest!“
Indikativ
Finite Verbalformen des Indikativs haben die Gestalt
Subjektmarker + Tempuspräfix + Objektmarker + Stamm
Subjektmarker ist das Klassenpräfix (s. o.) des nominalen Subjekts, allerdings werden für Subjekte der Personenklassen m- /wa- (nominal und pronominal) besondere Subjektmarker verwendet. Gleiches gilt für die Objektmarker, die sich auf ein direktes oder indirektes Objekt beziehen können. Subjekt- und Objektmarker der Personenklassen sind in der folgenden Tabelle zusammengestellt.
Bei allen anderen Klassen sind Subjekt- und Objektmarker identisch und entsprechen dem jeweiligen Klassenmarker, z. B. ki- „es“, vi- „sie (pl.)“ in der ki-/vi-Klasse. Die folgende Tabelle stellt die Tempuspräfixe des Swahili zusammen.
Einige Konstruktionsbeispiele für den Indikativ
a-li-ni-pa SUBJ – TEMP – OBJ – STAMM „er (m-Klasse) – VERG – mir (m-Klasse) – geben“ > „er gab (es) mir“
ni-li-ki-nunua SUBJ – TEMP – OBJ – STAMM „ich – VERG – etwas (ki-Klasse) – kaufen“ > „ich kaufte etwas (was der ki-Klasse angehört)“
ni-li-m-sikia „ich hörte ihn“ (-sikia hören)
a-li-ni-sikia „er hörte mich“
ni-na-soma „ich lese (gerade)“ (-na- Präsens-Präfix, -soma „lesen“)
ni-ta-soma „ich werde lesen“ (-ta- Futur-Präfix)
ki-me-fika „es ist angekommen“ (-me- Perkekt-Präfix, -fika ankommen, ki- Subjekt ki-Klasse)
ni-ki-kaa „wenn ich warte“ (-ki- Konditionalis, -kaa „warten“)
Benefaktiv
Um zu verdeutlichen, dass die Handlung zum Vorteil für eine Person geschieht, wird zusätzlich zum Objektmarker nach dem Verbstamm (aber vor dem Endvokal -a) ein sog. Benefaktivsuffix -i- oder -e- eingefügt. Beispiel:
a-li-ni-andik-i-a barua
Analyse: SUBJ (er) – TEMP (Verg.) – OBJ (mir) – STAMM (andik „schreiben“) – BENEFAK – ENDVOKAL + OBJ (barua „Brief“)
„er schrieb mir einen Brief“
Relativkonstruktion
Relativkonstruktionen der Form „das Kind, das ein Buch las“ werden im Swahili durch das Relativpräfix -ye- ausgedrückt, das dem Tempuspräfix folgt. Beispiele:
m-toto a-li-ye-soma kitabu „das Kind, das ein Buch las“
ni-na-ye-ki-soma kitabu „ich, der (ich) das Buch gerade lese“
Passiv
Das Passiv wird bei transitiven Verben durch Einfügen von -w- oder -uliw- vor dem Infinitiv-Endvokal (in der Regel -a) gekennzeichnet. Beispiele:
ku-som-a „lesen“ > ku-som-w-a „gelesen werden“
ku-ju-a „wissen“ > ku-ju-liw-a (< *ku-ju-uliw-a) „bekannt sein“
Kausative
Kausative werden durch Anfügen des Suffixes -sha am Stamm gebildet. Beispiel:
ku-telem-ka „hinuntergehen“ > ku-telem-sha „erniedrigen“.
Die Beispiele sind teilweise aus Campbell (1995) übernommen.
Bemerkungen zu Schrift und Literatur
Keine Bantusprache hat eine eigene Schrift entwickelt. Nur Swahili hatte bereits in vorkolonialer Zeit – vielleicht schon seit dem 10. Jahrhundert – die arabische Schrift zur Fixierung einer überwiegend islamisch-religiösen Literatur übernommen. Neben theologischen Ausführungen gab es aber auch Rechtstexte, Chroniken, Geographica, Märchen, Lieder und Epen. Diese Epen (z. B. „Das Geheimnis der Geheimnisse“, das „Herkal-Epos“) sind inhaltlich und formal nach arabischen Vorbildern geschaffen, weisen aber auch Einflüsse der ostafrikanischen Bantukultur auf. Die Bedeutung der arabisierten Swahili-Literatur kann man mit der der Literaturen in den Sprachen Hausa, Ful, Kanuri und Berber vergleichen, die ebenfalls frühzeitig (im 10.–14. Jahrhundert) arabisch verschriftet wurden. Seit dem späten 19. Jahrhundert wurde Swahili wie alle anderen verschriftlichten Bantusprachen in lateinischer Schrift geschrieben.
Auch ohne Schrift besaßen und besitzen die Bantuvölker eine reichhaltige orale Literatur, die Mythen, Märchen, Fabeln, Sprichwörter, Lieder und Stammesgeschichten umfasst. Unter europäischem – insbesondere missionarischem – Einfluss wurde vor allem für die größeren Bantusprachen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts das lateinische Alphabet eingeführt (meist mit kleineren sprachspezifischen Modifikationen), häufig waren Bibelübersetzungen die ersten schriftlichen Texte in einer Sprache. Seit dieser Zeit setzte auch eine rege Sammeltätigkeit von Missionaren, Verwaltungsbeamten und Sprachwissenschaftlern ein, die sakrales und profanes Liedgut, Spruch- und Rätseldichtungen, Mythen, Märchen, Sagen und Epen der Bantuvölker zusammentrugen und in den Originalsprachen aufzeichneten. In Europa sind davon in der Regel nur Übersetzungen bekannt geworden.
Inzwischen hat sich eine recht umfangreiche und vielseitige neue schwarzafrikanische Literatur entwickelt, allerdings bevorzugen die meisten modernen Autoren eine der Kolonialsprachen als Vehikel ihrer Werke, da sie damit eine wesentlich größere Zielgruppe erreichen können. Die orale Bantuliteratur spielt aber sowohl inhaltlich als auch formal eine wichtige Rolle als Grundlage für große Bereiche der neoafrikanischen Literatur.
Typologie und geographische Verteilung
Die Bantusprachen liegen in zahlreichen Dialekten und Dialektgruppen vor, so dass eine objektive Einteilung in Einzelsprachen nicht möglich ist. Die Anzahl der Bantusprachen liegt dabei aber gewiss bei mehreren Hundert. Ethnologue (2015) listet eine Gesamtzahl von 538 Sprachen. Ebenfalls keine präzisen Angaben sind möglich zur Anzahl der Sprecher, sie liegt aber gewiss im dreistelligen Millionenbereich, etwa 200 Millionen Sprecher um das Jahr 2000 (oder etwa 3,5 % der damaligen Weltbevölkerung).
Malcolm Guthrie hat die Bantusprachen 1948 in 16 Gruppen („Zonen“) eingeteilt, die er mit den Buchstaben A – S (ohne I, O, Q) bezeichnete, zum Beispiel ist Zone A = Bantusprachen aus Kamerun und Äquatorialguinea. Innerhalb jeder Zone sind die Sprachen in Zehnereinheiten gruppiert, so sind etwa A10 = Lundu-Balong-Gruppe und A20 = Duala-Gruppe. Die einzelnen Sprachen sind in jeder Zehnergruppe durchnummeriert; zum Beispiel ist A11 = Londo und A15 = Mbo. Dialekte werden durch kleine Buchstaben gekennzeichnet, z. B. A15a = Nordost-Mbo. Das System von Guthrie ist geografisch orientiert. Die Anordnung nach geographischen Regionen hat durchaus eine Korrelation mit den vermuteten genetischen Verwandtschaftsverhältnissen der Sprachen, die Guthrie-Codes sind allerdings nicht durch eine solche Verwandtschaft definiert, und sie bleiben auch bestehen, wenn sich die Auffassung über solche Verwandtschaftsverhältnisse verändern sollte.
Im Folgenden werden die einzelnen Zonen mit ihren Zehnergruppen aufgeführt und die Sprachen mit mindestens 100.000 Sprechern innerhalb der Zehnergruppen angegeben. Auf die Einzelnummerierung der Sprachen wird verzichtet, da sie je nach Autor unterschiedlich ausfällt. Details über diese Sprachen findet man in Ethnologue, das auch die Hauptquelle für die Sprecherzahlen ist.
Die Angaben zur Sprecherzahl sind teilweise stark veraltet; sie stammen aus der Ausgabe von 2015 von Ethnologue, sind dort aber teilweise aus Publikationen der 1960er bis 1980er Jahre bezogen. Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums in der Region können diese Angaben nach fünf Jahrzehnten ein Mehrfaches (bis um die 500 %) von der aktuellen Situation abweichen.
Die Zonen A, B und C werden als Nordwest-Bantu, die übrigen als Zentral-Süd-Bantu klassifiziert. Sprachen mit mindestens 1 Mio. Sprecher sind in Fettdruck angegeben. In der Regel ist die Anzahl der muttersprachlichen Sprecher S1 angegeben, S2 ist die Sprecherzahl einschließlich der Zweitsprecher (wird nur angegeben, wenn sie signifikant von S1 abweicht).
Nordwest-Bantu
Zone A – Kamerun, Äquatorialguinea – 53 Sprachen mit 5,1 Mio. Sprechern
A10 Lundu-Balong: Akoose (110 Tsd.); Oroko (110 Tsd.)
A20 Duala: Duala (90 Tsd.)
A30 Bube-Benga
A40 Basaa: Basaa (230 Tsd.)
A50 Bafia: Bafia
A70 Beti-Fang: Beti (2 Mio.); Fang (450 Tsd.), Ewondo (600 Tsd.), Bulu (860 Tsd.)
A80 Makaa-Njem
A90 Kako: Kako (120 Tsd.)
Zone B – Gabun, DR Kongo, Republik Kongo – 40 Sprachen mit 1,6 Mio. Sprechern
B10 Myene
B20 Kele: Kélé
B30 Tsogo: Tsogo
B40 Shira: Punu (130 Tsd.)
B50 Njebi: Njebi (130 Tsd.)
B60 Mbere: Mbere (100 Tsd.)
B70 Teke: Teke (200 Tsd.); Teke-Tsaayi (130 Tsd.)
B80 Yansi: Mpuono (160 Tsd.), Ding (150 Tsd.)
Zone C – Zentralafrikanische Republik, DR Kongo, Republik Kongo – 69 Sprachen mit 6,2 Mio. Sprechern
C10 Ngando
C20 Ngundi
C30 Mbosi: Mbosi (110 Tsd.)
C40 Lingala-Ntomba: Lingala (2 Mio., S2 9 Mio.), Bangala (2 bis 3,5 Mio.), Budza (250 Tsd.); Ntomba (100 Tsd.); Bangi (110 Tsd.), Bolia (100 Tsd.)
C50 Ngombe: Ngombe (200 Tsd.), Bwa (Libua) (200 Tsd.), Kele (200 Tsd.), Foma (160 Tsd.)
C60 Mongo: Mongo-Nkundu (400 Tsd.), Ngando (220 Tsd.)
C70 Tetela: Tetela (750 Tsd.), Kela (200 Tsd.)
C80 Bushong: Bushong (160 Tsd.)
Zentral-Süd-Bantu
Zone D – DR Kongo, Uganda, Tansania – 36 Sprachen mit 2,3 Mio. Sprechern
D10 Enya: Mbole (100 Tsd.), Lengola (100 Tsd.)
D20 Lega-Kalanga: Lega-Shabunda (400 Tsd.), Zimba (120 Tsd.)
D30 Bira-Huku: Komo (400 Tsd.), Budu (200 Tsd.), Bera (120 Tsd.)
D40 Nyanga: Nyanga (150 Tsd.)
D50 Bembe: Bembe (250 Tsd.)
Zone E – Kenia, Tansania – 36 Sprachen mit 16 Mio. Sprechern
E10 Kuria: Gusii (Kisii) (2 Mio.), Kuria (350 Tsd.); Suba (160 Tsd.)
E20 Kikuyu-Meru: Kikuyu (Kikuyu) (5,5 Mio.), Kamba (2,5 Mio.), Embu-Mbere (450 Tsd.); Meru (1,3 Mio.), Tharaka (120 Tsd.)
E30 Chagga: Chagga (400 Tsd.), Machame (300 Tsd.), Vunjo (300 Tsd.), Mochi (600 Tsd.), Rwa (100 Tsd.)
E40 Nyika: Nyika (Giryama) (650 Tsd.), Digo (300 Tsd.), Duruma (250 Tsd.), Chonyi (120 Tsd.); Taita (200 Tsd.)
Zone F – Tansania – 16 Sprachen mit 7 Mio. Sprechern
F10 Tongwe: Mambwe-Lungu (400 Tsd.), Fipa (200 Tsd.)
F20 Sukuma-Nyamwesi: Sukuma (3,2 Mio.), Nyamwesi (1,2 Mio.), Sumbwa (200 Tsd.)
F30 Nyilamba-Langi: Nyaturu (550 Tsd.), Nilamba (Ramba) (450 Tsd.), Langi (Rangi) (350 Tsd.)
Zone G – Tansania, Komoren – 32 Sprachen mit 82 Mio. Sprechern
G10 Gogo: Gogo (1,3 Mio.), Kagulu (200 Tsd.)
G20 Shambala: Shambala (700 Tsd.), Asu (500 Tsd.)
G30 Zigula-Zalamo: Luguru (Ruguru) (700 Tsd.), Zigula (350 Tsd.), Ngulu (130 Tsd.), Kwere (100 Tsd.)
G40 Swahili: Swahili (Suaheli, Kisuaheli, Kiswahili) (3 Mio., S2 80 Mio.), Komorisch (650 Tsd.)
G50 Pogoro: Pogoro (200 Tsd.)
G60 Bena-Kinga: Hehe (Hehet) (750 Tsd.), Bena (700 Tsd.), Pangwa (100 Tsd.), Kinga (140 Tsd.)
Zone H – DR Kongo, Republik Kongo, Angola – 22 Sprachen mit 12,5 Mio. Sprechern
H10 Kongo: Kongo (Kikongo) (3 Mio.), Yombe (1 Mio.), Suundi (120 Tsd.); Kituba (Munuktuba) (5,4 Mio., S2 6,2 Mio.) Kreolsprache
H20 Mbundu: Luanda Mbundu (Kimbundu, Loanda) (3 Mio.)
H30 Yaka: Kiyaka (1 Mio.), Sonde (100 Tsd.)
H40 Hungana
Zone J – Uganda, Kenia, Tansania, DR Kongo, Ruanda, Burundi – 45 Sprachen mit 35 Mio. Sprechern
J10 Nyoro-Ganda: Ganda (Luganda) (3 Mio., S2 7 Mio.), Chiga (1,5 Mio.), Nyankore (Nkole) (1,7 Mio.), Soga (Lusoga) (1,4 Mio.), Nyoro (500 Tsd.), Tooro (500 Tsd.), Kenyi (400 Tsd.), Gwere (300 Tsd.), Hema (130 Tsd.)
J20 Haya-Jita: Haya (OluHaya, Ziba) (1,2 Mio.), Nyambo (440 Tsd.), Jita (200 Tsd.), Zinza (150 Tsd.), Kara (100 Tsd.), Kerebe (100 Tsd.), Kwaya (100 Tsd.), Talinga-Bwisi (100 Tsd.)
J30 Luyia: Luyia (3,6 Mio.), Bukusu (650 Tsd.), Idhako-Isukha-Tiriki (300 Tsd.), Logooli (200 Tsd.), Nyore (120 Tsd.); Masaba (750 Tsd.), Nyole (250 Tsd.)
J40 Nandi-Konzo: Nandi (1 Mio.), Konzo (350 Tsd.)
J50 Shi-Havu: Shi (650 Tsd.), Havu (500 Tsd.), Fuliiru (300 Tsd.), Hunde (200 Tsd.), Tembo (150 Tsd.)
J60 Ruanda-Rundi: Rwanda (Kinyarwanda) (7,5 Mio.), Rundi (Kirundi) (5 Mio.), Ha (1 Mio.), Hangaza (150 Tsd.), Shubi (150 Tsd.)
Zone K – Angola, Sambia, DR Kongo, Namibia – 27 Sprachen mit 4,6 Mio. Sprechern
K10 Holu: Phende (450 Tsd.)
K20 Chokwe: Chokwe (1 Mio.), Luvale (700 Tsd.), Luchazi (200 Tasd), Mbunda (250 Tsd.), Nyemba (250 Tsd.), Mbewela (220 Tsd.)
K30 Salampasu-Lunda: Lunda (Chilunda) (400 Tsd.), Ruund (250 Tsd.)
K40 Kwangwa: Luyana (110 Tsd.)
K50 Subia
K60 Mbala: Mbala (Rumbala) (200 Tsd.)
K70 Diriku
Zone L – DR Kongo, Sambia – 14 Sprachen mit 10,6 Mio. Sprechern
L10 Bwile
L20 Songye: Songe (1 Mio.), Bangubangu (170 Tsd.), Binji (170 Tsd.)
L30 Luba: Luba-Kasai (Chiluba, West-Luba, Luba-Lulua, Luva) (6,5 Mio.), Luba-Katanga (Kiluba, Luba-Shaba) (3 Mio.), Sanga (450 Tsd.), Kanyok (200 Tsd.), Hemba (180 Tsd.)
L40 Kaonde: Kaonde (300 Tsd.)
L50 Nkoya
Zone M – Tansania, DR Kongo, Sambia – 19 Sprachen mit 9 Mio. Sprechern
M10 Fipa-Mambwe
M20 Nyika-Safwa: Nyiha (Nyika) (650 Tsd.), Nyamwanga (250 Tsd.), Ndali (220 Tsd.), Safwa (200 Tsd.)
M30 Nyakyusa-Ngonde: Nyakyusa-Ngonde (1 Mio.)
M40 Bemba: Bemba (ChiBemba, IchiBemba, Wemba) (3,6 Mio.), Taabwa (300 Tsd.), Aushi (100 Tsd.)
M50 Bisa-Lamba: Lala-Bisa (400 Tsd.), Seba (170 Tsd.); Lamba (200 Tsd.)
M60 Tonga-Lenje: Tonga (Chitonga) (1,5 Mio.), Lenje (170 Tsd.)
Zone N – Malawi, Tansania, Sambia, Mosambik – 13 Sprachen mit 13,8 Mio. Sprechern
N10 Manda: Ngoni (200 Tsd.), Tonga (170 Tsd.), Matengo (150 Tsd.)
N20 Tumbuka: Tumbuka (ChiTumbuka) (1,3 Mio.)
N30 Nyanja: Nyanja (ChiNyanja, Chewa, Chichewa) (9,5 Mio.)
N40 Sena-Senga: Sena (1,2 Mio.), Nyungwe (250 Tsd.), Kunda (200 Tsd.); Nsenga (Senga) (600 Tsd.)
Zone P – Tansania, Malawi, Mosambik – 23 Sprachen mit 12,6 Mio. Sprechern
P10 Matumbi: Ngindo (220 Tsd.), Rufiji (200 Tsd.), Ndengerenko (110 Tsd.), Ndendeule (100 Tsd.)
P20 Yao: Yao (2 Mio.), Makonde (1,4 Mio.), Mwera (500 Tsd.)
P30 Makua: Makhuwa (Makua, EMakua) (5 Mio.), Lomwe (Ngulu) (1,5 Mio.), Chuwabo (600 Tsd.), Kokola (200 Tsd.), Takwane (150 Tsd.), Lolo (150 Tsd.), Manyawa (150 Tsd.)
Zone R – Angola, Namibia, Botswana – 12 Sprachen mit 5,8 Mio. Sprechern
R10 Süd-Mbundu: Umbundu (4 Mio.), Nyaneka (300 Tsd.), Nkhumbi (150 Tsd.)
R20 Ndonga: Ndonga (700 Tsd.), Kwanyama (Ovambo, Oshivambo) (400 Tsd.), Kwangali (180 Tsd.)
R30 Herero: Herero (150 Tsd.)
R40 Yeye
Zone S – Simbabwe, Mosambik, Botswana, Namibia, Südafrika – 26 Sprachen mit 58 Mio. Sprechern
S10 Shona: Shona (ChiShona) (11 Mio.) (inkl. Manyika (1 Mio.) und Kalanga (850 Tsd.)), Ndau (700 Tsd.), Tewe (250 Tsd.), Nambya (100 Tsd.)
S20 Venda: Venda (ChiVenda) (1 Mio.)
S30 Sotho-Tswana: Sotho (Süd-Sotho, Sesotho) (5 Mio.), Pedi (Nord-Sotho, Sepedi, Transvaal-Sotho) (4 Mio.), Süd-Ndebele (600 Tsd.); Tswana (Setswana) (4 Mio.); Lozi (600 Tsd.)
S40 Nguni: Zulu (isiZulu) (15 Mio.), Xhosa (isiXhosa) (8 Mio.), Nord-Ndebele (1,6 Mio.), Swati (Siswati, Swazi) (1,7 Mio.)
S50 Tswa-Ronga: Tsonga (Xitsonga, Thonga, Shangaan) (3,3 Mio.), Tswa (700 Tsd.), Ronga (700 Tsd.)
S60 Chopi: Chopi (800 Tsd.), Gitonga-Inhambane (250 Tsd.)
Literatur
Bantusprachen
Rev. F. W. Kolbe: A Language-Study based on Bantu. Trübner & Co., London 1888. Reprint 1972.
Malcolm Guthrie: The Classification of the Bantu Languages. London 1948. Reprint 1967.
Bernd Heine, H. Hoff und R. Vossen: Neuere Ergebnisse zur Territorialgeschichte der Bantu. Zur Sprachgeschichte und Ethnohistorie in Afrika. In: W.J.G. Möhlig u. a. (Hrsg.): Neue Beiträge afrikanistischer Forschung. Reimer, Berlin 1977.
Derek Nurse und Gérard Philippson: The Bantu Languages. Routledge, London 2003.
A.P. Hendrikse und G. Poulos: A Continuum Interpretation of the Bantu Noun Class System. In: D.F. Gowlett: African Linguistic Contributions. Pretoria 1992.
A.E. Meeussen: Bantu Grammatical Reconstructions. Africana Linguistica 3:80–122, 1967.
Wilhelm J.G. Möhlig: Die Bantusprachen im engeren Sinne.In: Bernd Heine u. a. (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981.
David Phillipson: Die Wanderungen der Bantuvölker.In: Marion Kälke (Hrsg.): Die Evolution der Sprachen. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 2000.
J. Vansina: New Linguistic Evidence and ‚The Bantu Expansion‘. Journal of African History (JAH) 36, 1995.
Benji Wald: Swahili and the Bantu Languages.In: Bernard Comrie (Hrsg.): The World’s Major Languages. Oxford University Press 1990.
Afrikanische Sprachen
George L. Campbell: Compendium of the World’s Languages. Routledge, London 2000 (2. Auflage)
Joseph Greenberg: The Languages of Africa. Mouton, The Hague and Indiana University Center, Bloomington 1963
Bernd Heine und andere (Hrsg.): Die Sprachen Afrikas. Buske, Hamburg 1981
Bernd Heine und Derek Nurse (Hrsg.): African Languages. An Introduction. Cambridge University Press 2000
John Iliffe: Geschichte Afrikas, 2. Auflage: C. H. Beck, München 2003, ISBN 3-406-46309-6
Lexika
A.E. Meeussen: Bantu Lexical Reconstructions. Tervuren, MRAC 1969, Reprint 1980
A. Coupez, Y. Bastin und E. Mumba: Bantu Lexical Reconstructions 2. 1998
Nicholas Awde: Swahili – English / English – Swahili Dictionary. Hippocrene Books, New York 2000
Weblinks
Ernst Kausen, Die Klassifikation sämtlicher Bantusprachen innerhalb der Niger-Kongo-Sprachen (DOC; 227 kB)2007 aktualisierte Klassifikation sämtlicher Bantusprachen nach Guthrie mit Sprecherzahlen aus Ethnologue 2005.
List of Bantu Language Names with Synonyms ordered by Guthrie Number (Liste der Namen von Bantusprachen mit Synonymen)
Jacky Maniacky, Les langues bantoues – The Bantu Languages (Die Bantusprachen, französische und englische Version)
Introduction to the Languages of South Africa (Einführung in die Sprachen Südafrikas)
Journal of West African Languages (Eine Zeitschrift für westafrikanische Sprachen)
Comparative Bantu OnLine Dictionary (CBOLD) (Vergleichendes Bantu-Internet-Wörterbuch, englisch)
Einzelnachweise
Sprachfamilie
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Q33146
| 227.61042 |
333460
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bedfordshire
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Bedfordshire
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Bedfordshire ist eine Grafschaft in England. Bedfordshire grenzt an die Grafschaften Cambridgeshire, Northamptonshire, Buckinghamshire (mit Milton Keynes) und Hertfordshire.
Luton war bis 1997 Teil der Grafschaft, dann wurde es zum eigenständigen Stadtkreis (Unitary Authority). Am 1. April 2009 wurde im Zuge einer Verwaltungsreform der bis damals in Bedford ansässige Grafschaftsrat von Bedfordshire aufgelöst. Seitdem existiert Bedfordshire lediglich noch als zeremonielle Grafschaft mit den administrativ selbständigen Unitary Authoritys Luton, Central Bedfordshire und Bedford. Die ehemaligen Districts Mid Bedfordshire und South Bedfordshire wurden zur neuen UA Central Bedfordshire vereinigt und Bedford von einem District zu einer UA erhoben.
Orte
Aldworth, Ampthill, Aspley Guise
Barton-le-Clay, Bedford, Biggleswade
Carlton, Cranfield
Dunstable
Felmersham, Flitwick
Great Barford
Harrold
Kempston
Leighton Buzzard
Northill
Old Warden
Sandy, Sharnbrook, Shefford, Silsoe, Stewartby, Studham
Thurleigh
Wixams, Woburn
Sehenswürdigkeiten
Chicksands
Dunstable Downs
Elstow Moot Hall
Houghton House, Herrenhaus nahe Ampthill
Leighton Buzzard Light Railway
Luton Hoo
Shuttleworth Collection
Stevington Windmill
Stewartby Lake
Warden Abbey
Whipsnade Wildlife Park
Willington Dovecote and Stables, Teil des National Trust
Woburn Abbey
Woburn Wildlife Park
Wrest Park, Herrenhaus in Silsoe
Weblinks
Einzelnachweise
Englische Grafschaft
Geographie (East of England)
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Q23143
| 163.674142 |
17662
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https://de.wikipedia.org/wiki/Utrecht
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Utrecht
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Utrecht (, ) ist eine niederländische Gemeinde und die Hauptstadt der Provinz Utrecht. Am betrug die Einwohnerzahl (Agglomeration: 660.000). Die viertgrößte Stadt der Niederlande liegt zentral im Lande, weswegen dem Bahnhof Utrecht Centraal große Bedeutung für Fernverbindungen zukommt. Utrecht verfügt über eine bedeutende Universität, eine Musikhochschule (Conservatorium) und eine Fachhochschule (Hogeschool). Die Stadt ist Sitz sowohl eines römisch-katholischen als auch eines altkatholischen Erzbischofs und ist Geburtsort von Papst Hadrian VI.
Geschichte
Römerzeit
Obwohl es Anzeichen für eine frühere Besiedlung der Region von Utrecht in der Bronzezeit gibt, wird gewöhnlich das unter Kaiser Claudius (regierte 41–54 n. Chr.) am niedergermanischen Limes im Gebiet des heutigen Zentrums von Utrecht angelegte römische Kastell Traiectum als ältester Siedlungskern angesehen. Sein Ursprung stand wohl im Zusammenhang mit der Verstärkung des niedergermanischen Limes unter der Statthalterschaft des Gnaeus Domitius Corbulo im Jahr 47 n. Chr. Das Kastell lag am südlichen Ufer des ehemaligen Kromme Rijn, vermutlich nahe einer Furt, wie der Name Traiectum („Flussübergang“) andeutet. 69 wurde es nach dem archäologischen Befund durch einen wohl infolge des Bataveraufstands ausgelösten Brand zerstört, aber bald wiedererbaut. Ende des 2. Jahrhunderts wurde die Holz-Erde-Befestigung des für etwa 500 Soldaten ausgelegten, eine Fläche von etwa 1,7 Hektar umfassenden Militärlagers von einer Mauer aus Tuffstein abgelöst. Im Osten und Westen des Kastells fanden sich Überreste der mit diesem verbundenen Zivilsiedlung (Vicus). Als Ortsname wird Traiectum bereits im Itinerarium Antonini aufgeführt. Das Fort scheint einige Jahrzehnte vor dem Einfall der Franken 270 n. Chr. zerstört worden zu sein; eine dauerhaft besetzte römische Fortifikation gab es danach nicht mehr.
Frühmittelalter
Über die Geschichte Utrechts in der Zeit des 4. bis zum Ende des 6. Jahrhunderts ist wenig bekannt. Eine im ehemaligen römischen Kastell in Utrecht errichtete Kirche dürfte bereits seit Anfang des 7. Jahrhunderts bezeugt sein, zu welchem Zeitpunkt die Stadt unter der Herrschaft der Könige des fränkischen Reichs Austrasien stand. König Dagobert übertrug das Utrechter Gotteshaus um 630 an Bischof Kunibert von Köln, der die Friesen missionieren sollte. Allerdings ließen sich die Friesen anfangs nicht christianisieren, sondern setzten sich 650 in den Besitz von Utrecht. Auch spätere Bekehrungsversuche, u. a. 678/679 von Bischof Wilfrid von York initiiert, fruchteten wenig. Größeren und nachhaltigen Erfolg hatte hingegen der heilige Willibrord, der 695 von Papst Sergius I. zum Erzbischof des friesischen Volks ernannt wurde und in Utrecht einen der römischen Kirche unterstellten Bischofssitz einrichten sollte. Da die Friesen 715/716 wieder vordrangen, sah sich Willibrord zum Rückzug in sein Kloster Echternach gezwungen. 719/722 eroberte Karl Martell das ehemals fränkische Friesland wieder, woraufhin Willibrord erneut missionieren konnte.
Der Ort bekam den Namen Ultra Traiectum („jenseits des Flussübergangs“)/uut Trecht („außerhalb Trajectums“), vergleiche niederländisch uit („aus“). In alten Drucken findet sich im Impressum die Ortsangabe Trajecti ad Rhenum oder auch Traiecti Batavorum.
Im Jahr 834 wurde die Stadt erstmals von Wikingern angegriffen und geplündert. Der Bischof sah sich 857 aufgrund der Bedrohung durch heidnische Wikinger und Friesen genötigt, die Stadt zu verlassen. Sein Bistum wurde über 60 Jahre lang von Deventer aus verwaltet. Otto I. gewährte der Stadt 936 das Marktrecht; Utrechts wirtschaftliche Bedeutung wuchs durch den Niedergang des 20 Kilometer entfernten Dorestad. Ein letzter Angriff durch Wikinger fand noch im Jahr 1007 statt.
Hoch- und Spätmittelalter
Im 12. Jahrhundert wurde Utrecht eine ummauerte Stadt. Die Stadtrechte wurden ihr von Kaiser Heinrich V. im Jahr 1122 verliehen. Als Bischofssitz war die Stadt von größter Bedeutung; deshalb ist sie reich an mittelalterlichen Kirchen, auch wenn einige wie die Mariakerk die Zeit nicht überdauert haben. Infolge des regen Bauens von Kirchen, Klöstern und Abteien entwickelte sich in Utrecht eine starke Präsenz von Bildhauern, Steinmetzen und Bildschnitzern, die mit der Ausstattung der religiösen Gebäude beschäftigt waren. Ihre Kunst, die zum Teil auch nicht-religiöse Inhalte hatte, wurde auch von wohlhabenden Kaufleuten und Bürgern erworben. Die Arbeiten erreichten eine hohe Qualität, sodass viele Skulpturen bis an den Niederrhein und nach Spanien, in die Normandie und nach Norwegen exportiert wurden. Die Rohstoffe für die Kunstwerke wurden aus entfernten Ländern Europas importiert: Hochwertiges Eichenholz kam per Schiff aus Polen und Litauen, Baumberger Kalksandstein aus dem Münsterland, Bentheimer Sandstein aus der Grafschaft Bentheim und Avesnerstein aus Avesnes-le-Sec in Nordfrankreich. Zu dieser Zeit war Utrecht ökonomisch, politisch, religiös und kulturell das Zentrum der nördlichen Niederlande.
Frühe Neuzeit
Der erste Bildersturm erreichte die Stadt 1566, bis 1580 sollten noch zwei weitere folgen. Damit wurden viele Kunstwerke, die Kirchen und Klöster geschmückt hatten, zerstört. Im Jahr 1559 wurde Utrecht vom Bistum zum Erzbistum und damit vom Erzbistum Köln unabhängig. Dies geschah auf Betreiben von König Philipp II., der die Verkleinerung der Bistümer als kirchenpolitisches Instrument gegen die Reformation betrachtete. Im Jahr 1576 gab es während des Achtzigjährigen Krieges in der Stadt einen Aufstand gegen die Herrschaft der Spanier in den Niederlanden, und die Zitadelle Vredenburg wurde eingenommen und später geschleift; die Trümmer wurden für andere Bauten wiederverwendet. Mit der Reformation und dem daraus folgenden Bildersturm sowie den andauernden politischen Spannungen zwischen der Krone und der Stadt endete die Blütezeit der Utrechter Bildhauerkunst.
1579 wurde hier die Utrechter Union abgeschlossen.
Im Jahre 1636 wurde die Universität gegründet. Am 1. August 1674 zerstörte ein Tornado Kirchtürme, Dächer und fast das ganze Schiff des Utrechter Doms. Die Stadt verlor vorübergehend an Bedeutung, wuchs aber wieder stark, nachdem sie im 19. Jahrhundert Eisenbahnanschlüsse u. a. nach Kampen, Boxtel und 1855 nach Rotterdam erhalten hatte.
Utrecht als Ort von Friedensschlüssen
Der Name Utrecht erscheint mehrfach bei Verhandlungen und Verträgen von historischer Bedeutung. Der Frieden von Utrecht von 1474 beendete den Hansisch-Englischen Krieg, sicherte den Stalhof der Hanse in London und beschränkte den Handel englischer Fernkaufleute im Ostseeraum. Der Frieden von Utrecht von 1713 beendete die spanischen Erbfolgekriege.
Utrecht als Sitz der römisch-katholischen Kirche der alt-bischöflichen Klerisei
Im Jahr 1723 kam es zum Schisma zwischen dem Klerus des Erzbistums Utrecht und dem Heiligen Stuhl, wodurch die römisch-katholische Kirche der alt-bischöflichen Klerisei entstand. Sie wurde oft einfach Kirche von Utrecht genannt. Erst 1853 wurde Utrecht auch wieder Sitz eines nicht-romgetrennten römisch-katholischen Erzbischofs, so dass es dort zwei „römisch-katholische“ Erzbischöfe gab. Im Kulturkampf nutzte die Kirche von Utrecht ihre Weihevollmacht und setzte sich an die Spitze der altkatholischen Kirchen.
20. Jahrhundert
Im Ersten Weltkrieg waren die Niederlande neutral; gleichwohl hatte der Krieg großen Einfluss auf die Lebensumstände.
1931 wurde in Utrecht die faschistische Nationaal-Socialistische Beweging (NSB) gegründet. Bis zum Mai 1945 hatte sie ihren Hauptsitz im Gebäude Maliebaan 35.
Am 10. Mai 1940 überfiel das Deutsche Reich die Niederlande. Utrecht war fünf Jahre von der Wehrmacht besetzt. Schon im Sommer 1940 begann die Entrechtung der jüdischen Bürger Utrechts durch die Besatzer. 1942 wurde Bürgermeister Gerard Abraham Willem ter Pelkwijk amtsenthoben und durch Cornelis van Ravenswaay ersetzt, einen Bürgermeister von deutschen Gnaden aus den Reihen der Nationaal-Socialistische Beweging. Im selben Jahr begann die Deportation der Utrechter Juden. Sie wurden vom Bahnhof Utrecht Maliebaan ins Durchgangslager Westerbork verbracht und von dort in das Vernichtungslager Auschwitz. 900 der 1200 Utrechter Juden wurden ermordet. Am 13. Oktober und am 6. November 1944 bombardierte die Royal Air Force Utrecht. Dabei wurden unter anderem der Bahnhof, die Städtische und Universitätsklinik sowie Wohnviertel schwer getroffen. Diese Angriffe verbitterten die Bevölkerung. Als Ersatz für das schwer beschädigte Hauptkrankenhaus der Stadt wurden die Kinos der Stadt für die Krankenversorgung genutzt. Nach der Teilkapitulation der Wehrmacht für Nordwestdeutschland, Dänemark und die Niederlande am 5. Mai 1945 rückten am 7. Mai kanadische Truppen in Utrecht ein.
21. Jahrhundert
Leidsche Rijn ist ein Stadtteil im Westen der Stadt, der rund um Vleuten-De Meern liegt. Mit einer Bevölkerung von 47.092 Einwohnern in Leidsche Rijn und 51.299 Einwohnern in Vleuten-De Meern ist dieser Stadtteil zu einem wichtigen Wohn- und Arbeitsort geworden. Das Projekt, das in den 2010er und 2020er Jahren realisiert wurde, hat dazu beigetragen, eine dynamische Gemeinschaft in der Region zu schaffen. Besonderes Augenmerk wurde auf die Schaffung einer vielfältigen Siedlungsstruktur gelegt, die durch zahlreiche Eigenheime entlang zahlreicher Kanäle gekennzeichnet ist. Die Bewohner von Leidsche Rijn und Vleuten-De Meern profitieren von einer gut entwickelten Infrastruktur, einschließlich Schulen, Kindertagesstätten, Einkaufszentren sowie Freizeit- und Sporteinrichtungen. Innerhalb der EU verzeichnet Utrecht die stärkste Bevölkerungsveränderung aller NUTS-2 Regionen, mit einem jährlichen Zuwachs von 31,3 Einwohnern pro 1000 Einwohner und Jahr.
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Festival Alte Musik
In Utrecht findet jährlich das Festival Oude Muziek statt, im Jahr 2019 vom 23. August bis zum 1. September unter dem Motto Napoli – de vergeten hoofdstad van de muziek.
Museen
Catharijneconvent, ein bedeutendes Museum für Religionsgeschichte, befindet sich im ehemaligen Katharinenkloster neben der St.-Katharinen-Kathedrale
Nederlands Spoorwegmuseum, das niederländische Eisenbahnmuseum
Universitätsmuseum
Museum Speelklok, ein Museum für Spieluhren und Drehorgeln
Centraal Museum Utrecht für alte und moderne Kunst
Rundfahrten
Es werden Rundfahrten über die Grachten durch die Altstadt angeboten, mit Haltestellen an vielen Museen, z. B. Niederländisches Eisenbahnmuseum, Universitätsmuseum, Museum Speelklok und dem Centraal Museum Utrecht.
Sakralbauten
Der Utrechter Dom ist eines der bedeutendsten Kirchengebäude der Niederlande. Seit das Langhaus 1674 durch einen Tornado einstürzte, klafft eine Lücke zwischen der Vierung und dem Westturm, mit 112,5 Meter der höchste Kirchturm des Landes. Er hat ein Hemony-Glockenspiel aus dem 17. Jahrhundert.
St.-Katharinen-Kathedrale, 1560 im spätgotischen Übergangsstil als dreischiffige Basilika mit Querhaus fertiggestellt
St. Willibrord (Utrecht), neugotische Kirche von Alfred Tepe, fertiggestellt 1877, reiche und farbenfrohe Innenausstattung
Weitere Kirchen: unter anderem die Buur-, Jans-, St.-Petri-, Nikolai-, Jacobi-, Geerte- (= Gertrudis-)kirche, St.-Paulus-Abtei
die Doopsgezinde Kerk, eine versteckte Kirche (Schuilkerk) der Utrechter Taufgesinnten.
Profanbauten
Haus Oudaen, um 1300
Im Papsthaus (Paushuize) wurde 1459 der spätere Papst Hadrian VI. geboren
alte Häuser und Stadtschlösser
Rietveld-Schröder-Haus, 1924 von Gerrit Rietveld im Stil der frühen Moderne (De Stijl) erbaut, seit 2000 Weltkulturerbe.
Hauptpostamt Utrecht, ein eindrucksvolles Bauwerk der Amsterdamer Schule
TivoliVredenburg, Musikzentrum, das 2014 neu eröffnet wurde
Die Universität Utrecht, die größte der Niederlande, hat neben der Universitätsbibliothek Utrecht und einer Reihe historischer Gebäude in der Altstadt einen ausgedehnten, architektonisch bedeutenden Campus im Osten der Stadt: De Uithof. Dort u. a.:
Educatorium von Rem Koolhaas
Minnaert-Gebäude von Neutelings Riedijk
von UNStudio entworfenes Laborgebäude
Basketbar von NL Architects
Studentenwohnheim De Bisschoppen
Stadion Galgenwaard am Ostrand der Stadt, in dem der Profifußballverein FC Utrecht spielt.
Prins Clausbrug, Schrägseilbrücke von 2003, Architekt Ben van Berkel. Die Brücke erhielt den Namen nach dem gerade verstorbenen Prins Claus.
Die Turmwindmühle Rijn en Zon von 1913 im Nordosten der Stadt ist die höchste Windmühle in der Provinz Utrecht und eine der fünf höchsten in den Niederlanden. Ihre Vorgängerin wurde 1745 erbaut.
Theater
Das Beatrix Theater ist ein Musicaltheater.
Die Paardenkathedraal ist eine historische Reithalle, die heute das Theater Utrecht beherbergt.
Stolpersteine
In der Stadt Utrecht wurden bis November 2021 rund 120 Stolpersteine, entworfen vom deutschen Künstler Gunter Demnig, verlegt. Sie erinnern an die jüdischen Bürger der Stadt, die im Zuge des Holocaust in den Niederlanden vom deutschen NS-Regime vertrieben, verschleppt und ermordet wurden.
Auch in einer Reihe umliegender Gemeinden wurden und werden Stolpersteine verlegt, siehe Liste der Stolpersteine in der Provinz Utrecht.
Politik
Als viertgrößte Gemeinde der Niederlande kann der Gemeinderat von Utrecht das Maximum von 45 Sitzen vollständig ausschöpfen. Dieses Maximum an Ratssitzen kann in den Niederlanden bereits ab einer Bevölkerungszahl von 200.000 Einwohnern erreicht werden.
Gemeinderat
Der Gemeinderat wird seit 1982 folgendermaßen gebildet:
Anmerkungen
Städtepartnerschaften
Brünn, Tschechien
León, Nicaragua
Des Weiteren bestand von 1971 bis 1976 eine Partnerschaft mit Hannover.
Wirtschaft und Infrastruktur
Wirtschaft
Utrecht ist Sitz von mehr als 58.000 Unternehmen und Einrichtungen, die zusammen 301.240 Arbeitsplätze bieten. Von diesen 58.000 Unternehmen haben 47.590 weniger als 10 Beschäftigte. Die Wirtschaft von Utrecht zeichnet sich durch eine vielfältige Beschäftigungsstruktur aus, die sich im Laufe der Jahre verändert hat. Besonders bemerkenswert sind die Entwicklungen in den verschiedenen Dienstleistungssektoren. Im Handelssektor verzeichnet Utrecht einen deutlichen Anstieg der Beschäftigtenzahl von 28.850 im Jahr 2011 auf 38.900 im Jahr 2022, was das wachsende Geschäftsumfeld und die Bedeutung des Handels für die Stadt widerspiegelt. Auch im Bereich der Unternehmensdienstleistungen (B2B) verzeichnet die Stadt ein beachtliches Wachstum. Die Zahl der Beschäftigten stieg von 41.980 im Jahr 2011 auf 56.990 im Jahr 2022, was die Rolle Utrechts als Zentrum für Unternehmen und Dienstleistungen unterstreicht. Auch im öffentlichen Sektor ist ein deutlicher Anstieg der Beschäftigtenzahl von 18.420 im Jahr 2011 auf 29.790 im Jahr 2022 zu verzeichnen, was das Engagement der Stadtregierung zur Stärkung der öffentlichen Dienstleistungen und Verwaltungsaufgaben widerspiegelt. Hervorzuheben ist auch der Gesundheitssektor, der von 36.110 Beschäftigten im Jahr 2011 auf 43.940 Beschäftigte im Jahr 2022 wachsen wird. Utrecht ist bekannt für seine hochwertigen medizinischen Einrichtungen und die wachsende Bedeutung des Gesundheitstourismus.
Viele Versicherungsgesellschaften, die zweitgrößte niederländische Bank Rabobank und einige kleinere Banken, u. a. auch der niederländische Teil der Fortis-Gruppe, die Software-Abteilung der deutschen Wincor Nixdorf, Energieversorger wie Econcern, der Mischkonzern SHV Holdings, viele Institutionen wie die Gewerkschaften der Niederlande sowie die niederländische Eisenbahngesellschaft Nederlandse Spoorwegen haben in Utrecht ihren Hauptsitz. 1916 wurde der Jaarbeurs, die Utrechter Messe gegründet. Das Universitätskrankenhaus UMC Utrecht ist mit mehr als 12.000 Beschäftigten und einem Jahresumsatz von 1,54 Milliarden Euro einer der größten Arbeitgeber und Wirtschaftsschwerpunkte der Stadt.
Utrecht ist die am schnellsten wachsende Stadt des Landes.
Verkehr
Im Jahr 2017 entschied Utrecht, den historischen Innenstadtbereich in eine „Zero Emission“-Zone umzubauen. Verbrennungsmotoren sollen komplett ausgesperrt werden; als Fahrzeuge sollen nur noch Elektromobile und Fahrräder zugelassen werden.
Schienenverkehr
Der Bahnhof Utrecht Centraal ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt in den Niederlanden und spielt eine zentrale Rolle im Schienenverkehrssystem. Seit etwa 2000 gab es Pläne, den Bahnhof zu einem modernen und zukunftssicheren Terminal für den öffentlichen Nahverkehr umzubauen. Der Stadtrat von Utrecht hat den endgültigen Entwurf für den neuen "OV-Terminal" genehmigt, der die Abfertigung von Zügen, Straßenbahnen und Bussen in einem Gebäude ermöglicht. Mit einer geplanten Kapazität von 100 Millionen Fahrgästen pro Jahr wird er voraussichtlich der verkehrsreichste Bahnhof der Niederlande bleiben.
Die Umbauarbeiten begannen 2011 und dauerten fünf Jahre. Der Umbau wurde im Rahmen der Neuen Schlüsselprojekte initiiert, die darauf abzielen, Bahnhöfe zu hochwertigen Standorten für Wohnen, Arbeiten und Dienstleistungen zu entwickeln. Der Bahnhof Utrecht Centraal wurde speziell für die geplante Hochgeschwindigkeitsstrecke HSL-Ost ausgebaut, die später jedoch aufgegeben wurde. Die umfassende Entwicklung des Bahnhofsgeländes wurde jedoch fortgesetzt, um den steigenden Bedarf aufgrund des Bevölkerungswachstums und der Umstrukturierung des Stadtzentrums zu decken.
Der endgültige Entwurf des neuen Bahnhofs stammt von Benthem Crouwel Architects und Movares. Der Bahnhof zeichnet sich durch ein rechteckiges Plateau mit einem geschwungenen Dach aus, das eine überdachte Passage zwischen dem Stationsplein und dem Jaarbeursplein bildet. Das Terminal integriert auch Bus- und Straßenbahnsteige auf beiden Seiten der Gleise und bietet den Fahrgästen mehr Übersicht. Mit der Eröffnung der renovierten Bahnhofshalle im Dezember 2016 wurden die umfangreichen Bauarbeiten abgeschlossen.
Der Bahnhof Utrecht Centraal ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt mit direkten Zugverbindungen in fast alle anderen Provinzhauptstädte. Seit der Eröffnung der ersten Eisenbahnlinie im Jahr 1843 wurde das Schienennetz kontinuierlich erweitert, um die Anbindung an verschiedene Städte und Regionen zu verbessern. Mit der Modernisierung des Bahnhofs Utrecht Centraal wurde die Kapazität deutlich erhöht, um dem steigenden Fahrgastaufkommen gerecht zu werden.
Straßenverkehr
Die Stadt ist an drei Seiten von Autobahnen umgeben. Im Westen der Stadt verläuft die A2, im Süden die A12 und im Osten die A27. Die wichtigsten Autobahnkreuze sind Oudenrijn, Lunetten und Rijnsweerd. Unmittelbar westlich des letztgenannten Autobahnkreuzes beginnt eine vierte Autobahn, die A28 in Richtung Norden nach Amersfoort, Zwolle, Assen und Groningen. Nördlich von Utrecht wird der Autobahnring durch die N230 geschlossen.
In den 1960er und 1970er Jahren wurde im Rahmen der damals vorherrschenden autogerechten Stadtplanung ein Teil der die Altstadt umgebenden Gracht mit einem Deckel versehen und darüber eine Schnellstraße, die Catherijnebaan, gebaut. Schon während der Bauphase formierte sich Bürgerprotest, und 2002 sprach sich in einem Referendum eine Mehrheit für den Rückbau der Straße und die Wiederherstellung des Catharijnesingel aus. Doch erst 2020 konnte der Grachtenring um die Altstadt wieder geschlossen werden. Damit ist Utrecht eine der ersten Städte weltweit, die Teile ihrer zentralen autogerechten Infrastruktur nicht nur umgestaltet, sondern ersatzlos zurückgebaut hat.
Radverkehr
Utrecht ist die Stadt mit dem weltweit höchsten Anteil fahrradnutzender Personen, über 50 % der Einwohner nutzen das Fahrrad. Nach dem Copenhagenize Index ist Utrecht die drittfahrradfreundlichste Stadt weltweit, hinter Kopenhagen und Amsterdam. Der Grund hierfür liegt in den weltweit führenden Ausgaben der Stadt für Radverkehr, pro Jahr gibt die Stadt 132 Euro pro Einwohner für Fahrradwege aus. Das Ziel der Gemeindeverwaltung ist die Zehn-Minuten-Stadt, in der Wohnen, Einkaufen und andere Aktivitäten so nah beieinander liegen, dass kein Weg länger als zehn Minuten dauert. Bereits heute werden in der Stadt 60 % aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, 94 % aller Haushalte besitzen ein Fahrrad. In einer Einwohnerbefragung hat die Gemeinde Utrecht erhoben, dass nur 5 % der Menschen das Auto benutzen, um in die Innenstadt zu kommen, der Großteil (56 %) benutzt das Fahrrad. Innerhalb der Stadt gibt es zahlreiche Fahrradstraßen, auf denen der Auto- dem Radverkehr untergeordnet ist. Die Brücken über den Amsterdam-Rijnkanaal haben neben Auto- und Busspuren auch breite Fahrradwege, um allen Verkehrsteilnehmern eine sichere Teilnahme am Verkehr zu ermöglichen. Das Netz in Utrecht wird weiter ausgebaut und insbesondere um Radschnellwege in die umliegenden Städte ergänzt. So sollen Amersfoort, IJsselstein, Houten und andere Städte durch insgesamt 150 km Radschnellweg mit der Provinzhauptstadt Utrecht verbunden werden. Die Provinz Utrecht plant, die ersten Radschnellwege im Jahr 2023 zu eröffnen. Innerhalb der letzten zehn Jahre wurden zahlreiche Straßen in Utrecht saniert, wobei diese, sofern möglich, von vier auf zwei Autospuren reduziert wurden. Der freigewordene Platz wurde genutzt, um breite Grünstreifen anzulegen, mehr Bäume am Straßenrand zu pflanzen, breite Fahrradwege in beide Richtungen einzurichten, breitere Fußwege bereitzustellen und eine Vorrangschaltung der Ampeln für Fahrräder und den ÖPNV einzurichten.
Am Bahnhof Utrecht Centraal entstand auf drei Etagen das größte Fahrradparkhaus der Welt mit Platz für mehr als 12.500 Fahrräder. Die Kosten beliefen sich auf 30 Millionen Euro, getragen von der Gemeinde Utrecht, dem Staat sowie der Niederländischen Staatsbahn und dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen ProRail. Das Parkhaus bietet 12.500 Stellplätze, eingecheckt wird mit der auch im ÖPNV und Zug genutzten OV-Chipkaart. Die ersten 24 Stunden sind wie in allen Fahrradparkhäusern der Stadt kostenlos. Entlang der gut ausgebauten Radwege stehen elektronische Anzeigen für freie Stellplätze in den 16 Fahrradgaragen der Innenstadt mit rund 22.500 Stellplätzen. Über den Gleisen des Hauptbahnhof ist eine Fußgänger- und Fahrradbrücke errichtet worden, um südlich des Hauptbahnhofs das Überqueren der Gleise zu erlauben und den neuen Stadtteil Merwede anzubinden.
Öffentlicher Personennahverkehr
Das städtische Busnetz in Utrecht wird von Qbuzz unter der Marke U-OV betrieben. Die Stadt verfügt über ein großes Busnetz, das mehrere Knotenpunkte verbindet. Der wichtigste Knotenpunkt in der Stadt ist der Hauptbahnhof, an dem beinahe alle Linien halten. Weitere Knotenpunkte finden sich im Science Park, an den Bahnhöfen Overvecht, Leidsche Rijn und Vaartsche Rijn sowie an den P+R Parkhäusern am Stadtrand.
Die Straßenbahn in Utrecht hat eine lange Geschichte, die 1879 mit der Pferdebahn zwischen Utrecht, De Bilt und Zeist begann. Die erste elektrische Straßenbahn gab es im Jahr 1906 und das Straßenbahnnetz wuchs schnell auf fünf Linien im Jahr 1921. Die Verbreitung des Busses und des Autos beendeten dieses erste Zeitalter der Straßenbahn in Utrecht im Jahr 1949. Erst im Jahr 1983 kam die Straßenbahnen zurück in die Stadt und verbanden die rapide wachsenden Städte Nieuwegein und IJsselstein mit Utrecht. Im Jahr 2019 wurde die Uithoflijn eröffnet, die die Innenstadt und den Hauptbahnhof mit dem Campus der Universität Utrecht und der Hogeschool Utrecht verbindet. Mit einem Preis von 64.375 Euro pro Meter handelt es sich hierbei um die teuerste Straßenbahnlinie Europas. Im Jahr 2022 wurden die beiden Straßenbahnlinien im Hauptbahnhof verbunden, sodass nun vom Utrecht Science Park die Linien 20, 21 und 22 bis zum Hauptbahnhof fahren, von wo aus die 20 und 21 weiter ins Stadtzentrum von Nieuwegein fahren. Ab dort fährt die Linie 20 nach Nieuwegein-Zuid, während die Linie 21 nach IJsselstein-Zuid weiterfährt. Zusätzlich sind die Straßenbahnen auch ein wichtiger Zubringer zum Stadion, das sich in der Nähe des Science Park befindet.
Schiffsverkehr
Auch der Merwede-Kanal und dessen Erweiterung zum Amsterdam-Rhein-Kanal sind wichtig für Utrecht. In der Innenstadt werden Gaststätten und Restaurants regelmäßig mit Elektrobooten, wie dem Bierboot und dem Ecoboot, über den Kanal beliefert. Auch der Müll wird auf diesem Weg entsorgt.
Flugverkehr
Der Flughafen Schiphol der Hauptstadt Amsterdam ist etwa 40 Kilometer und 30 Minuten mit dem Zug, der Flughafen Rotterdam Den Haag ist etwa 65 Kilometer und der Flughafen Eindhoven ca. 90 Kilometer entfernt.
Militär
In Westen der Stadt liegt die Kromhoutkazerne. Die neue Kaserne, die von 2008 bis 2010 gebaut wurde, erstreckt sich über eine Fläche von insgesamt fast 19 Hektar. Die Kaserne besteht aus Büros, in denen das Hauptquartier der Königlichen Niederländischen Armee, die Defence Materiel Organisation und das Defence Support Command untergebracht sind. Insgesamt bietet die Kaserne über 3.300 Arbeitsplätze. Darüber hinaus wurden auf dem Kasernengelände Sport-, Versammlungs-, Restaurant- und Armeeeinrichtungen realisiert.
Öffentliche Einrichtungen
Die meisten Gebäude der Universität Utrecht (niederländisch: Universiteit Utrecht – UU, vormals Rijksuniversiteit Utrecht – RUU) liegen im Universitätszentrum De Uithof am Südostrand der Stadt an der Autobahn Richtung De Bilt und Arnheim.
Persönlichkeiten
Bekannte, in Utrecht geborene Persönlichkeiten sind unter anderem Papst Hadrian VI., die Schriftstellerin Isabelle de Charrière, der Architekt und Designer Gerrit Rietveld, die Autorin und Politikerin Anja Meulenbelt, der Fußballspieler und -trainer Marco van Basten, König Willem-Alexander sowie die Fußballspieler Wesley Sneijder und Ibrahim Afellay.
Sonstiges
Es gibt eine Niederlassung des Holland Casino in Utrecht.
Am 8. September 2003 wurde in einem Vorort von Utrecht bei Baumarbeiten aus Versehen ein 45 Meter hoher Sendemast gefällt.
In der Stadt wurde 1986 das sogenannte Utrechter Modell eingeführt, das zum Schutz von Straßenprostituierten vor Gewalttaten und anderen Formen der Kriminalität die Ausübung ihrer Arbeit in einem geschützten und kontrollierten Bereich ermöglicht.
Einige ehemalige Stadtbahnfahrzeuge der Type E6/c6, welche in Wien die Linie U6 befuhren, wurden nach Utrecht verkauft, um im dortigen Straßenbahnnetz eingesetzt zu werden.
Von Georg Friedrich Händel gibt es das Utrechter Te Deum und Jubilate, das er im Auftrag von Queen Anne zur Feier des Friedens von Utrecht 1713 komponierte.
Der zehnte „libertäre Boekenmarkt“ („libertärer Büchermarkt“) fand im Dezember 2008 statt im Rahmen der Libertäre Buchmessen mit Lesungen, Workshops und Dokumentarausstellungen.
Der Fußball-Erstligist FC Utrecht trägt seine Heimspiele im Stadion Galgenwaard aus.
Im neu entstehenden Stadtteil „Cartesius“, wird ein V2G-Netz installiert, um damit im Bedarfsfall Netzschwankungen auszugleichen.
Literatur
Weblinks
Website der Gemeinde Utrecht (niederländisch, englisch)
Touristeninformationen (niederländisch, englisch)
Illustration von Daniel Meisner von 1623: Ütrecht; Considera, Quid, Cui Et Quo ()
Einzelnachweise
Gemeinde in der Provinz Utrecht
Niederländische Provinzhauptstadt
Ort in der Provinz Utrecht
Ehemalige Hauptstadt (Niederlande)
Hochschul- oder Universitätsstadt in den Niederlanden
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Stadt in den Niederlanden
Stadtrechtsverleihung 1122
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Q803
| 330.571143 |
8397945
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kleinplanet
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Kleinplanet
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Kleinplaneten (engl. ) oder Planetoiden sind astronomische Objekte, die sich auf einer direkten Umlaufbahn um die Sonne bewegen, aber die Kriterien zur Einstufung als Planet nicht erfüllen – weil sie ihre Umlaufbahn nicht entsprechend freigeräumt haben – und darüber hinaus auch nicht als Komet oder Meteoroid eingeordnet werden können. Kleinplaneten, deren Masse und Gravitation ausreicht, um Kugelgestalt erlangt zu haben, werden als Zwergplaneten bezeichnet. Kleinplaneten können Asteroiden wie Zentauren und Trojaner sein, oder auch transneptunische Objekte wie Kuipergürtelobjekte. Bis 2019 wurden die Umlaufbahnen von 794.832 Kleinplaneten bestimmt. Der zuerst entdeckte Kleinplanet war im Jahr 1801 Ceres.
Begriffsabgrenzung
Historisch gesehen sind die Begriffe Asteroid, Kleinplanet und Planetoid mehr oder weniger synonym. Das Problem ist aber dadurch komplizierter geworden, dass zahlreiche Kleinplaneten außerhalb der Jupiterbahn, insbesondere aber der Neptunbahn, entdeckt wurden, für welche der Begriff Asteroiden nicht gebräuchlich ist. Zudem gibt es Kleinplaneten, die „ausgasen“ und zugleich auch als Komet klassifiziert werden.
Vor 2006 verwendete die IAU offiziell den Begriff . Während der Tagung 2006 wurde eine Unterteilung der minor planets in Zwergplaneten und (SSSB) eingeführt. Objekte werden Zwergplaneten genannt, wenn ihre Masse ausreicht, um ein hydrostatisches Gleichgewicht zu erreichen, was sich oft darin ausdrückt, dass sie eine annähernd kugelförmige Gestalt aufweisen. Die IAU legte fest, dass der Begriff 'minor planet' weiterhin verwendet werden darf, dass aber der Begriff „“ vorgezogen werden solle, was jedoch im Sprachgebrauch bisher keine Resonanz erfahren hat. Es wird auch weiterhin zur Nummerierung und Benennung die traditionelle Unterscheidung zwischen Kleinplaneten und Kometen verwendet.
Klassifikation
Kleinplaneten können hauptsächlich nach den Bereichen ihres Vorkommens in verschiedene Kategorien eingeteilt werden:
Asteroiden
Erdnahe Asteroiden sind diejenigen Asteroiden, deren Umlaufbahn sie innerhalb der Marsumlaufbahn bringt. Für weitere Unterteilungen dieser gemäß ihren Bahndistanzen werden verwendet:
Aten-Asteroiden haben eine Halbachse, die weniger als eine Erdumlaufbahn und dessen Aphel (weiteste Entfernung von der Sonne) größer als 0,983 AE ist.
Amor-Asteroiden sind diejenigen erdnahen Asteroiden, die von außerhalb kommend sich der Erdumlaufbahn nähern, aber sie nicht kreuzen. Ihr Perihel ist kleiner als 1,382 (oder nach einer anderen Definition 1,300) AE und größer als 1,017 AE.
Apollo-Asteroiden sind diejenigen Asteroiden, deren Hauptachse größer ist als die der Erde, während ihre Periheldistanz zur Erde nicht mehr als 1,017 AE sind. So wie die Aten-Asteroiden kreuzen sie die Erdumlaufbahn.
Atira (Apohele)-Asteroiden bewegen sich innerhalb der Periheldistanz der Erde und befinden sich somit zur Gänze innerhalb der Erdumlaufbahn.
Asteroiden des Asteroidengürtels: die ursprüngliche und am besten bekannte Gruppe von Asteroiden bzw. Kleinplaneten.
Planeten-Trojaner bewegen sich um die Lagrange-Punkte 4 und 5 jeweils 60° vor bzw. hinter dem Planeten.
Die Mars-Trojaner teilen sich die Bahn mit dem Mars.
Die Jupiter-Trojaner sind Asteroiden, die die Umlaufbahn Jupiters teilen.
Die Uranus-Trojaner haben wegen der Bahnstörungen durch Saturn und Jupiter keine langfristig stabilen Bahnen. Bis jetzt ist erst ein solches Objekt bekannt.
Neptun-Trojaner sind Himmelskörper, die Neptuns Umlaufbahn mit ihm teilen und gravitativ an ihn gebunden sind. Obwohl nur einige wenige bekannt sind, gibt es Hinweise, dass sie sowohl zahlreicher sind als die Asteroiden im Asteroidengürtel als auch die Jupiter-Trojaner.
Zentauren sind Himmelskörper, die sich im äußeren Sonnensystem zwischen den Umlaufbahnen von Jupiter und Neptun befinden. Durch den gravitativen Einfluss der Gasriesen haben sie instabile Umlaufbahnen. Deshalb müssen sie von woanders gekommen sein, möglicherweise von außerhalb der Neptunbahn.
Transneptunische Objekte sind Himmelskörper, deren Umlaufbahn sich außerhalb der neptunischen Umlaufbahn befindet.
Kuipergürtel-Objekte:
Klassische Kuipergürtelobjekte mit einer Halbachse größer als 30 AE und kleiner als 50 AE.
Plutinos sind Himmelskörper wie Pluto, die sich in einer 2:3-Resonanz mit Neptun und anderen resonanten transneptunischen Objekten befinden.
Die Scattered Disk Objects wie (136199) Eris sind Objekte mit einer Halbachse größer als 50 AE außerhalb des Kuipergürtels und einem Perihel kleiner als 50 AE. Von ihnen wird angenommen, dass sie von Neptun gravitationell gestreut wurden.
Detached Objects wie (90377) Sedna bei denen sowohl das Aphel als auch das Perihel außerhalb des Edgeworth-Kuipergürtels liegen.
Benennung
Das Minor Planet Center registrierte bis Ende Juni 2016 über 152.000.000 Beobachtungen von knapp 719.000 Objekten, von denen circa 715.000 als Kleinplaneten und annähernd 4.000 als Kometen eingeordnet wurden, von denen wiederum fast 470.000 genügend genaue Bahnbestimmungen aufwiesen, so dass ihnen permanente offizielle Nummern vergeben werden konnten. Von diesen Kleinplaneten hatten zum gleichen Zeitpunkt über 20.000 offizielle Namen erhalten.
Nummerierung
Einem neuentdeckten Kleinplaneten wird eine vorläufige Bezeichnung vergeben (wie z. B. ), die aus dem Entdeckungsjahr und einem alphanumerischen Code besteht, wobei der alphanumerische Code den Halbmonat der Entdeckung und die Sequenzierung innerhalb dieses Halbmonats wiedergibt. Sobald die Asteroidenumlaufbahn bekannt ist, bekommt er als Bezeichnung eine Nummer und kann später auch mit einem Namen (wie z. B. (433) Eros) versehen werden. Mit der steigenden Schnelligkeit der Neuentdeckungen sind es sechsstellige Nummerierungen geworden. Das Wechseln von fünf- auf sechsstellig geschah mit dem Rundschreiben Minor Planet Circular (MPC) vom 19. Oktober 2005, als die Zahl der nummerierten Kleinplaneten von 99.947 auf 118.161 anwuchs. Die formale Nomenklatur verwendet Klammern um die Nummern, aber diese auszulassen ist gängig. Informell wird häufig die Nummer komplett weggelassen oder steht nach der ersten Erwähnung nicht mehr in einem Text, wenn der Name dort wiederholt wird.
Kleinplaneten, die mit einer Nummer statt einem Namen versehen wurden, behalten ihre vorläufige Bezeichnung, wie z. B. (29075) 1950 DA. Da moderne Entdeckungsmethoden eine große Anzahl von neuen Asteroiden finden, werden immer mehr nicht benannt. Die älteste Entdeckung, die lange ohne Namen geblieben war, ist (3360) 1981 VA, die jetzt (3360) Syrinx heißt; seit September 2008 ist der Älteste dieser Art (3708). Selten wird die vorläufige Bezeichnung eines kleinen Objekts selbst als Name verwendet: der lange unbenannte hieß bis ins Jahr 2018 provisorisch (15760) 1992 QB1 und das führte lautmalerisch („Q B one“) zum Namen „Cubewanos“ einer Gruppe der Kuipergürtelobjekte, die als klassische Kuipergürtelobjekte bekannt sind.
Einige wenige Objekte werden sowohl als Asteroiden als auch als Kometen geführt, wie z. B. (4015) Wilson-Harrington, der auch als 107P/Wilson–Harrington aufgelistet wird.
Namensquellen
Die ersten Asteroiden wurden nach Gestalten der griechischen und römischen Mythologie benannt, aber als diese Namen ausgingen, wurden Namen von bekannten Menschen, literarische Figuren, Ehegattinen und Kindern der Entdecker sowie Namen aus Film und Fernsehen verwendet.
Der erste Asteroid, der einen nichtmythologischen Namen bekam, war (20) Massalia, der nach dem griechischen Namen der Stadt Marseille benannt wurde. Derjenige, der als erster einen ganz und gar nicht klassischen Namen bekam, war (45) Eugenia, der nach der Frau von Napoleon III., Kaiserin Eugénie de Montijo, benannt wurde. Einige Zeit wurden nur weibliche (oder verweiblichte) Namen verwendet; Alexander von Humboldt war der erste Mann, nach dem ein Asteroid benannt wurde, aber sein Name wurde zu (54) Alexandra verweiblicht. Diese unausgesprochene Tradition blieb, bis (334) Chicago benannt wurde; selbst dann erschienen verweiblichte Namen noch jahrelang.
Als die Anzahl der Asteroiden in die Hunderte und schließlich in die Tausende ging, hatten Entdecker damit begonnen, ihnen immer willkürlichere Namen zuzuweisen. Die ersten Vorboten dessen waren (482) Petrina und (483) Seppina, die nach den Haushunden der Entdecker benannt wurden. Diesbezüglich gab es jedoch kaum Kontroversen, bis 1971 als (2309) Mr. Spock (der Name der Katze des Entdeckers) vergeben wurde. Obwohl der IAU anschließend die Vergabe von Haustiernamen verbot, werden ungewöhnliche Asteroidennamen wie z. B. (4321) Zero, (6042) Cheshirecat, (9007) James Bond, (13579) Allodd und (24680) Alleven und (26858) Misterrogers immer noch vorgeschlagen und akzeptiert.
Eine etablierte Regel ist, dass im Unterschied zu Kometen Kleinplaneten nicht nach ihrem/ihren Entdecker/n benannt werden dürfen. Eine Art, diese Regel zu umgehen ist, den Asteroiden Namen anderer Kleinplanetentdecker zu geben. Eine Ausnahme zu dieser Regel ist (96747) Crespodasilva, der nach seiner Entdeckerin Lucy d’Escoffier Crespo da Silva benannt wurde, weil sie sich kurz nach der Entdeckung im Alter von 22 Jahren das Leben nahm.
Von Anfang an wurden Namen an verschiedene Sprachen angepasst. (1) Ceres, wobei Ceres der anglo-lateinische Name war, wurde eigentlich Cerere benannt, was der italienischen Form des Namens entspricht. Arabisch, Deutsch, Französisch und Hindi verwenden ähnliche Formen wie im Englischen, wohingegen Russisch Tserera verwendet, das dem Italienischen ähnlich ist. In Griechisch wurde der Name in Δήμητρα (Demeter) übersetzt, der griechischen Entsprechung der römischen Göttin Ceres. Während der Anfangszeit, als Asteroiden nach römischen Gestalten benannt wurden, wurden sie im Allgemeinen ins Griechische übersetzt; andere Beispiele sind Ἥρα (Hera) für Juno, Ἑστία (Hestia) für Vesta, Χλωρίς (Chloris) für Flora und Πίστη (Pistis) für Fides. Im Chinesischen werden sie nicht nach den Namen der chinesischen Formen der Gottheiten benannt, sondern haben typischerweise ein oder zwei Silben für die Gestalt der Gottheit oder Person, gefolgt von oder , wenn nur eine Silbe, plus , sodass die meisten Asteroidennamen mit drei chinesischen Schriftzeichen geschrieben werden. Folglich wird Ceres , Pallas ist usw.
Besondere Regeln
Es gibt Populationen von Kleinplaneten, für die bezüglich der Namensquellen Regeln entwickelt wurden, z. B. Zentauren (die zwischen Saturn und Neptun umlaufen) werden alle nach mythologischen Zentauren benannt; Jupiter-Trojaner nach Helden des Trojanischen Krieges; resonante transneptunische Objekte nach Unterweltwesen und nichtresonante TNO nach Schöpfungsgottheiten.
Erfassung der physischen Eigenschaften
Die Kommission 15 der Internationalen Astronomischen Union übernimmt die physikalische Erforschung von Kometen und Kleinplaneten. Die Daten zu Kleinplaneten und Kometen sind im PDS Asteroid/Dust Archive zu finden – die Eigenschaften von Binärsystemen, Okkultationszeiten und Durchmesser, Masse, Dichte, Rotationsperiode, Oberflächentemperatur, Albedo, Spin-Vektor, Taxonomie und absolute Größe sowie Steigung. Zusätzlich dazu verwaltet die Europäische Asteroid Research Node (E.A.R.N.), eine Assoziation der Asteroidenforschungsgruppen, eine Datenbank der physikalischen und dynamischen Eigenschaften von erdnahen Asteroiden.
Siehe auch
Quasisatelliten
Plutoide
Kleinkörper
Weblinks
Minor Planet Center (englisch)
Anmerkungen
Einzelnachweise
Planetologie
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Q1022867
| 192.190377 |
145013
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hordaland
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Hordaland
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Hordaland war eine Provinz (Fylke) in Norwegen. Auf 15.436 km² lebten hier 524.495 Menschen (Stand: 1. Januar 2019). Die Hauptstadt von Hordaland war Bergen. In Hordaland lag mit dem Hardangerfjord einer der längsten und tiefsten Fjorde an der norwegischen Küste.
Vor der Reform von 1919 hieß die Provinz Søndre Bergenhus amt (Süd-Bergenhus, nach der Festung Bergenhus). Die Stadt Bergen gehörte erst seit 1972 dazu und bildete vorher eine eigene Provinz.
Zum 1. Januar 2020 schloss sich Hordaland mit Sogn og Fjordane (ohne die Kommune Hornindal) zum neuen Fylke Vestland zusammen. Grundlage für das Zusammengehen war ein Beschluss des Storting, des norwegischen Parlaments, vom 8. Juni 2017, der im Zuge einer Regionalreform eine Reduzierung auf elf Fylke vorsah.
Kommunen von Hordaland
Literatur
Nils Georg Brekke (red): Kulturhistorisk vegbok Hordaland. Bergen 1993.
Weblinks
Hordaland auf snl.no im Store norske leksikon (norwegisch)
Fylkets offisielle brosjyre om Hordaland (PDF; 1,8 MB)
Hordaland Statistik zu Hordaland auf hordaland.no
Fylkesmannen in Hordaland auf fylkesmannen.no
Bergen byleksikon zu Hordaland fylkeskommune auf bergenbyarkiv.no
Kulturnett Hordaland
Hordaland auf miljostatus.no
Touristinformation – Hordaland Reiseliv auf hordalandreiseliv.no
Einzelnachweise
Ehemaliges norwegisches Fylke
Geschichte (Vestland)
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Q50625
| 435.550936 |
14703
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https://de.wikipedia.org/wiki/Aufmerksamkeit
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Aufmerksamkeit
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Aufmerksamkeit ist die Zuweisung von (beschränkten) Bewusstseinsressourcen auf Bewusstseinsinhalte. Das können z. B. Wahrnehmungen der Umwelt oder des eigenen Verhaltens und Handelns sein, aber auch Gedanken und Gefühle.
Als Maß für die Intensität und Dauer der Aufmerksamkeit gilt die Konzentration. Aufmerksamkeit, die auf das Eintreffen bestimmter Ereignisse gerichtet ist, bezeichnet man als Vigilanz.
Neurophysiologische und kognitive Aspekte
Das Phänomen der Aufmerksamkeit rückte aufgrund des technischen Fortschritts im Zweiten Weltkrieg in den Forschungsfokus: Die Soldaten waren häufig nicht in der Lage, die neuen Geräte adäquat zu bedienen, obwohl sie daran geschult waren. Das Gehirn hat eine eingeschränkte Verarbeitungskapazität, es kann nicht sehr viele Reize gleichzeitig verarbeiten. Daher muss es selektieren, welche Informationen für den Organismus von Bedeutung sind und mit Aufmerksamkeit bedacht werden müssen und welche Informationen weniger relevant sind und daher ausgeblendet werden können. Einige Reize wie ein plötzlicher Knall ziehen automatisch Aufmerksamkeit auf sich (bottom up gesteuert), andererseits kann die Aufmerksamkeit absichtlich gesteuert werden (top down gesteuert). Wird einer Information nicht innerhalb von fünf Sekunden Aufmerksamkeit geschenkt, geht sie verloren (zum Ultrakurzzeitgedächtnis siehe sensorisches Gedächtnis).
Der Prozess der Aufmerksamkeitszuwendung ist dabei gekennzeichnet durch Zuwendung (Orientierung) und Auswahl (Selektivität) der Gegenstände und der damit verbundenen Unaufmerksamkeit gegenüber anderen Gegenständen. Die Zuwendung ist durch eine gesteigerte Wachheit und Aktivierung charakterisiert, während die Selektivität die Funktion eines Filters hat, um wichtige und unwichtige Informationen voneinander zu trennen.
Vom Gehirn als relevant eingestuft werden zuallererst Gefahrensignale, außerdem Unbekanntes. So werden einerseits neuartige Reize mit Aufmerksamkeit bedacht (Orientierungsreaktion, Neugier). Andererseits richtet sich die Aufmerksamkeit auf emotional belegte Informationen, die ein indirekter Marker für die Wichtigkeit für den Organismus sind. Je emotionsgeladener eine Wahrnehmung ist, desto leichter fällt es uns, unsere Aufmerksamkeit darauf zu richten. Bedürfnisse, Interessen, Einstellungen und Motive spielen daher bei der Entstehung und Verteilung der Aufmerksamkeit eine große Rolle.
In der Forschung werden verschiedene Komponenten der Aufmerksamkeit unterschieden:
selektive Aufmerksamkeit (Fähigkeit, sich ausschließlich auf bestimmte Reize zu konzentrieren und gleichzeitig das Bewusstsein für konkurrierende Ablenkungen zu unterdrücken)
anhaltende Aufmerksamkeit (Fähigkeit, die Aufmerksamkeitsaktivität über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten)
geteilte Aufmerksamkeit (Fähigkeit, zwei oder mehr Aufgaben gleichzeitig Aufmerksamkeitsressourcen zuzuweisen) und
wechselnde Aufmerksamkeit (Fähigkeit, den Fokus von einer Aufgabe zur anderen zu verlagern).
Neurophysiologisch werden Aufmerksamkeitsprozesse an Variationen der P3-Komponente bei Untersuchungen von ereigniskorrelierten Potentialen festgemacht. Hierbei kann es zu Veränderungen in Latenz und Amplitude kommen. Provoziert wird die P3 in Oddballparadigmen.
Aufmerksamkeit und Bewusstsein
Die Aufmerksamkeit ist eng mit unserem Bewusstsein verbunden: Die Zuwendung der Aufmerksamkeit zu einem Reiz oder einem Gedanken ist erst die notwendige Bedingung dafür, dass uns dieser bewusst wird. Dennoch verarbeitet das Gehirn auch Reize, auf die wir nicht unsere Aufmerksamkeit richten. Diese Verarbeitung findet jedoch unbewusst statt.
Regelmäßige bewusste Lenkung der Aufmerksamkeit auf einzelne Körperteile oder den gesamten Körper führt zu einer besseren Durchblutung, einer Stärkung des Immunsystems und allgemein zu einem verbesserten Gesundheitszustand. Dies wird u. a. im Taijiquan und Yoga zur Gesunderhaltung genutzt.
Aufmerksamkeit als Wahrnehmungsfokus
Bestimmte Ereignisse im phänomenalen Erlebnisraum verursachen eine Fokussierung der Aufmerksamkeit auf einzelne Objekte des Wahrnehmungsbereiches. Zumeist erfolgt diese Aufmerksamkeitsfokussierung, wenn kein eindeutiges Reaktionsmuster auf einen Reiz existiert und bewusste Verarbeitung notwendig wird. Indem die Wahrnehmung sich mit einem reduzierten Wahrnehmungsbereich beschäftigt, ergibt sich zugleich die Abgrenzung gegen andere Aufmerksamkeitsauslöser niedrigerer Priorität.
Die Zuwendung der Aufmerksamkeit hängt von bestimmten Eigenschaften der Objekte ab, vor allem vom Ausmaß der Abweichung von einer Mittellage:
Größe und Reizintensität (heiß-kalt, hungrig-satt)
Bewegung (Abweichen der Bewegung eines Objekts von anderen Objekten, sich nähernde Objekte usw.)
Farbigkeit (Fokussierung auf Kontraste, bestimmte Farbkombinationen)
Kontrast zur Umgebung
scharfe und regelmäßige Begrenzung
auffällige Symmetrie
eine Position an bestimmter Stelle des Gesichtsfeldes, z. B. links oben
Von der Werbeindustrie werden diese Zusammenhänge genutzt, um Werbung optimal zu gestalten, z. B. Plakate, Inserate oder Prospekte.
Umfang der Aufmerksamkeit
Der Umfang der visuellen Aufmerksamkeit wird durch die Anzahl gleichartiger Gegenstände bestimmt, die mit einem Blick, d. h. in etwa 200 Millisekunden wahrgenommen werden können. Beim Erwachsenen sind das 6 bis 12, im Mittel 8 Objekte, bei Kindern weniger. Der Aufmerksamkeitsumfang hängt auch ab von:
der Art der wahrzunehmenden Gegenstände,
der Bekanntheit der Gegenstände,
der Beleuchtungsintensität auf die Gegenstände,
dem Kontrast, unter dem die Gegenstände erkennbar sind,
der subjektiven Einstellung des Beobachters zu den Typen der Gegenstände.
Es ist nahezu unmöglich, gleichzeitig einen optischen und einen taktilen Reiz zu beurteilen, wie Richard Pauli (1914) zeigte. Das stützt auch die als Enge des Bewusstseins bezeichnete Annahme, dass sich die Aufmerksamkeit jeweils nur einem Inhalt zuwenden kann (von Michael Posner als spotlight-(Scheinwerfer)-Modell bezeichnet.) Mehrfachleistungen beruhen offenbar auf einem schnellen Wechsel der Zuwendung von einer Aufgabe zu einer anderen. Das ist anstrengend und führt rasch zur Ermüdung. Diese Ermüdung der Aufmerksamkeit und der rasche Wechsel verschiedener Aufmerksamkeitstypen (von auditiv zu visuell usw.) machen sich auch die so genannten Pfänderspiele zunutze, die aber auch ein gutes Training derselben bedeuten.
Beurteilung von Aufmerksamkeitstypen
Bei sehr schwachen Reizen, z. B. beim leisen Ticken einer entfernten Armbanduhr, sind periodische Schwankungen der Aufmerksamkeit nachweisbar. Viktor Urbantschitsch (1875) stellte eine Phasenlänge von 5 bis 8 Sekunden fest. Individuelle Besonderheiten des aufmerksamen Verhaltens führten zur Unterscheidung von Aufmerksamkeitstypen:
die fixierende Aufmerksamkeit beschränkt sich auf ein Detail, hat einen engen Umfang, ist einseitig, starr und analytisch.
die fluktuierende Aufmerksamkeit hat einen weiten Umfang, ist vielseitig, gleitend, ganzheitlich und synthetisch.
Es wird von fluktuierender Aufmerksamkeit gesprochen, wenn sich die Aufmerksamkeit einer Person nicht auf einen bestimmten Reiz oder ein Detail richtet, sondern rasch von einem Reiz zum nächsten gleitet. Auf fluktuierende Art aufmerksam zu sein, bedeutet, sich einen Überblick zu verschaffen. Es werden viele verschiedene Objekte oder Reize in kurzer Zeit wahrgenommen, sodass sie ein Gesamtbild ergeben. Während die fixierende Aufmerksamkeit analytisch ist, da sie die Wahrnehmung einzelner Objekte und ihre Zerlegung bis ins Detail begünstigt, ist die fluktuierende Aufmerksamkeit synthetisch. Das Wahrnehmungsspektrum ist weit und die einzelnen Eindrücke werden miteinander verbunden.
Beispiele für Befindlich- und Tätigkeiten, die tendenziell eine fluktuierende Aufmerksamkeit begünstigen, finden sich etwa beim Aufräumen, bei der Teilnahme am Straßenverkehr, bei der Interaktion mit größeren Gruppen oder in der Umgebung von Menschenmengen.
Seit Ernst Meumann (1913) unterscheidet man bei Bevorzugung bestimmter Sinnesgebiete visuelle, auditive und motorische Aufmerksamkeit.
Modelle zur Erklärung der Aufmerksamkeit
Zur Erklärung der Aufmerksamkeit wurden zahlreiche Theorien aufgestellt. Die Erklärungsversuche durch Gottfried Wilhelm Leibniz (1704) und Wilhelm Wundt (1873) gehen von der Annahme aus, die Aufmerksamkeit sei ein innerer Willensprozess und diene der selektiven Ausgliederung von Bewusstseinsinhalten und der Apperzeption von Vorstellungen. Die Theorien von Georg Elias Müller (1924), H. Henning (1925) und H. Rohrbacher (1953) nehmen im Zentralnervensystem physiologische Mechanismen an, die eine spezifische Erregbarkeitssteigerung bestimmter Bereiche der Hirnrinde und Bahnungseffekte bewirken.
Die Gestaltpsychologen negieren die Aufmerksamkeit als eigenständigen Prozess. Pjotr Jakowlewitsch Galperin (1968) betrachtete die Aufmerksamkeit als eine besondere Form der psychischen Tätigkeit, nämlich als Kontrolltätigkeit, die den Vollzug geistiger Handlungen steuert.
Modernere Modelle gehen von verschiedenen Filtersystemen des Wahrnehmungssystems aus (z. B. Donald Broadbent 1958), die an unterschiedlichen Stellen des Wahrnehmungsprozesses eingreifen und die Information selektieren. So wird die Aufmerksamkeit bei starker persönlicher Relevanz automatisch fokussiert (Beispiel Cocktailparty-Effekt: Im Stimmengewirr kann man sich bewusst auf eine Stimme fokussieren; wird der eigene Name auf einer lauten Party genannt, zieht dies automatisch die Aufmerksamkeit auf sich). Ähnliches gilt für den so genannten Pop-out-Effekt: Auf einer Fläche mit gleichförmigen geometrischen Figuren (z. B. Strichen) fällt eine andersartige Figur (Kreis) sofort ins Auge. Dieser Effekt ist bis zu einer gewissen Komplexität und Ähnlichkeit der geometrischen Figuren trainierbar, und es gibt diesen Effekt nicht nur in ähnlicher Weise auf Farben (Textilfacharbeiter können bis zu 300 Rottöne unterscheiden), Töne usw., sondern auch auf semantischer Ebene (z. B. der Cocktailparty-Effekt). Ebenso sind die Fokussierung auf bestimmte charakteristische Details und die Aufmerksamkeitsfokussierung nur in einem bestimmten Wahrnehmungsbereich (hinter mir, rechte Ecke des Monitors) in Untersuchungen bestätigt. Nicht immer ist uns bewusst, was die Aufmerksamkeit steuert. Unbewusst aufgenommene Informationen können einen steuernden Effekt haben und die Aufmerksamkeit lenken. Man kann dabei in bewusstseinsfähige und -unfähige Informationen unterteilen. Erstere können häufig durch gezielte Analyse entdeckt und so manches „Expertenwissen“ zum Allgemeingut werden lassen. Ein Anwendungsbeispiel ist die Produktplatzierung in der Werbung. Bewusstseinsunfähige Informationsaufnahme, zum Beispiel ultrakurzzeitige Einblendung bestimmter Signale, sind im Allgemeinen gesetzlich verboten, da sie unbewusste manipulative Effekte haben können.
Erwecken von Aufmerksamkeit
Weil die Aufmerksamkeit im Umfang beschränkt ist, gleichzeitig aber einen gesellschaftlichen Wert darstellt, ist das Erreichen der Aufmerksamkeit einer oder mehrerer Personen für viele ein wichtiges Ziel. Möglich wird es auf sehr unterschiedliche Weise, zum Beispiel durch Auftreten in Presse, Rundfunk oder Fernsehen. Sehr schnell erreichen Skandale eine große öffentliche Aufmerksamkeit. Veränderung erweckt schneller Aufmerksamkeit als Bleibendes, bereits die Ankündigung kann Aufmerksamkeit erregen. Das wird zum Beispiel von Politikern im „Sommerloch“ genutzt, aber auch von Künstlern, die Skandale nutzen, um Aufmerksamkeit zu erwecken.
Das Erwecken von Aufmerksamkeit kann auch im Rahmen eines Ablenkungsmanövers eingesetzt werden. Diese Taktik machen sich unter anderem Redner, Sportler, Zauberkünstler und Taschendiebe zunutze.
Aufmerksamkeit als psychologisches Konstrukt
Allgemein stellt Aufmerksamkeit die Konzentration der Wahrnehmung auf bestimmte Stimuli unserer Umwelt dar. Ein wesentlicher Bestandteil von Aufmerksamkeit ist die Auswahl von Informationen (Selektion), um sie dem Bewusstsein zugänglich zu machen und das Denken und Handeln zu steuern. Ursache dieses Mechanismus ist die Beschränkung der menschlichen Kapazität für die Verarbeitung von Reizen.
Frühe Forschung
Diese Tatsache belegte Alan T. Welford 1952 mit dem Paradigma zur Untersuchung der Psychologischen Refraktärperiode (psychological refractory period PRP). In diesen Untersuchungen wurden Versuchspersonen zwei Reize hintereinander präsentiert, auf die sie jeweils so schnell wie möglich reagieren sollten. Es stellte sich heraus, dass sich die Reaktionszeit auf den zweiten Reiz veränderte, in Abhängigkeit vom Zeitintervall zwischen dem Einsetzen des ersten Reizes und dem Einsetzen des zweiten Reizes (stimulus onset asynchrony SOA). Kürzere SOAs (Zwischenintervalle) forderten längere Reaktionszeiten auf den zweiten Reiz. Als Erklärung dieser Befunde gilt der so genannte „Engpass“ (bottleneck) im menschlichen Verarbeitungssystem. Da die Verarbeitung von Reizen seriell erfolgt, muss der erste Reiz bereits verarbeitet sein, bevor die Verarbeitung des zweiten Reizes beginnen kann (vgl. Aufmerksamkeitsblinzeln).
Colin Cherry folgte 1953 mit seinen Tests zum „Dichotischen Hören“. Den Versuchspersonen wurde jeweils eine Nachricht auf dem linken und dem rechten Ohr präsentiert (zwei Nachrichten gleichzeitig). Die Nachricht einer Seite sollte laut nachgesprochen werden. Es zeigte sich, dass sich die Probanden bei diesem Test nicht an die zweite, unbeachtete Nachricht erinnern konnten (shadowing). Auffällig jedoch war, dass beispielsweise ein Wechsel des Geschlechts der Sprecher oder präsentierte Beep-Töne wahrgenommen werden konnten.
Ein weiteres Paradigma ist das Split-Span-Paradigma von Donald Broadbent aus dem Jahr 1954. Den Versuchspersonen wurden Ziffernpaare simultan nach dem Prinzip des Dichotischen Hörens präsentiert. Dabei zeigte sich, dass die Wiedergabe bevorzugt nach Ohr und nicht nach Paaren erfolgte. Aus diesem Ergebnis und dem von Cherry schlussfolgerte Broadbent, dass ein Abblocken aufgabenirrelevanter Nachrichten erfolgt und dass physikalische Reizmerkmale (Reizort, Frequenz) als effektive Hinweisreize fungieren.
Weitere Untersuchungen zum Thema der selektiven Aufmerksamkeit wurden von Broadbent, Treisman und Deutsch & Deutsch vorgenommen, deren Theorien im Folgenden erläutert werden sollen.
Informationsverarbeitungstheorien
Aus den Erkenntnissen der Paradigmen entwickelte Broadbent 1958 die Filtertheorie der Aufmerksamkeit. Sie besagt, dass gleichzeitig dargebotene Inputs parallel bzw. simultan in einen sensorischen Speicher gelangen. Jedoch kann nur ein Input auf der Basis seiner physikalischen Merkmale den so genannten selektiven Filter passieren. Weitere Inputs werden abgeblockt, verbleiben jedoch für Sekundenbruchteile im Speicher für eventuelle spätere Zugriffe. Da es sich um ein strikt serielles Verarbeitungsmodell handelt, ist ein Filter nötig, um dieses vor Überlastungen zu schützen. Aber nur Informationen, die diesen Filter zur weiteren Verarbeitung passiert haben, werden dem Menschen bewusst und können Bestandteil des Langzeitgedächtnisses werden.
1960 entwickelte Anne Treisman die Attenuations- (Dämpfungs-)theorie der Aufmerksamkeit. Sie entwickelte diese Theorie unter anderem, weil einige Forschungsergebnisse durch Broadbents Filtertheorie nicht ausreichend erklärt werden konnten. Hiermit ist zum Beispiel gemeint, dass beim „Split-Span-Paradigma“ auf der nicht beachteten Seite einige Reize doch bemerkt und erinnert werden konnten (Beep-Töne, Sprachwechsel). Auch der sogenannte Cocktailparty-Effekt konnte noch nicht erklärt werden. Treismans Theorie zufolge funktioniert der Filtermechanismus nicht nach dem Alles-oder-Nichts-Prinzip, sondern vielmehr nach dem Prinzip eines Dämpfers, indem er die Reizstärke auf dem unbeachteten Kanal reduziert. Folglich können diese Informationen in abgeschwächter Form weitergeleitet und, je nach ihrer Bedeutung, bis zu einem gewissen Grad semantisch verarbeitet werden.
Entgegen Broadbents und Treismans Vorstellungen gingen Deutsch & Deutsch 1963 mit ihrer Theorie der späten Selektion davon aus, dass alle sensorischen Signale das gleiche (höchste) Verarbeitungsniveau erreichen, unabhängig davon, ob Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist oder nicht. Durch einen parallelen multiplen Vergleichsprozess wird daraufhin das Signal bestimmt, welches für die aktuelle Aufgabe die größte Relevanz besitzt. Folglich wird nur das wichtigste Signal bewusst und bewirkt eine Reaktion. Nach dieser Theorie erfolgt die Selektion somit erst nach der vollen Verarbeitung der Signale und auf Grundlage ihrer inhaltlichen Bedeutung.
Aktuelle Forschungsgebiete
Jüngere Forschung führte zu der Erkenntnis, dass selektive visuelle Aufmerksamkeit ortsbasiert, objektbasiert oder dimensionsbasiert sein kann. Diese Annahme konnte mit Hilfe von Funktionelle Magnetresonanztomographie–Studien zur Aufmerksamkeitsmodulation von Brefczynski und DeYoe (1999) bestätigt werden. Es wurden Hinweise dafür gefunden, dass visuelle Aufmerksamkeit die Aktivität der Großhirnrinde beeinflusst. Bei Verschiebung der Aufmerksamkeit verändert sich die Aktivität in der Großhirnrinde des Hinterkopfs retinotop, also dem Sehmuster auf der Netzhaut entsprechend.
Diese Beobachtung wurde schon früher mit dem Elektroenzephalogramm (EEG) gemacht. Werden die Augen geschlossen und somit Aufmerksamkeit vom Sehsinn abgezogen, zeigt sich dies in einem verstärkten Vorherrschen des Alpha-Rhythmus (siehe nebenstehende Tabelle) an den Elektroden des Hinterkopfs.
Arbeitsgedächtnis
Es konnte auch ein Zusammenhang zwischen Aufmerksamkeit und Arbeitsgedächtnis beschrieben werden. Bildgebende Verfahren (fMRT) und EEG-Studien zeigen, dass beide Prozesse sehr ähnliche neuronale Aktivitäten hervorrufen und insbesondere im primären visuellen Cortex simultan Modulationen kontralateral zum präsentierten Reiz bewirkt werden. Daraus kann gefolgert werden, dass sich räumliches Arbeitsgedächtnis und räumliche Aufmerksamkeit ähnlicher Mechanismen bedienen bzw. dass es sich um überlappende Prozesse handelt.
Mehrfachaufgabenperformanz
Die Forschung der Mehrfachaufgabenperformanz beschäftigt sich mit der Ausführung parallel durchgeführter Doppel- oder Mehrfachhandlungen.
Die Aufgaben werden also nicht seriell abgearbeitet, sondern es wird beispielsweise während der Autofahrt telefoniert oder während einer Fernsehshow eine E-Mail geschrieben. Oft wird dies auch Multitasking genannt. Mehrfachaufgabenperformanz ist zuletzt auch deshalb nicht uninteressant, weil sie Rückschlüsse auf die Funktionsweise und Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitungstheorien (siehe oben) zulässt.
Zitate
Siehe auch
Achtsamkeit (mindfulness)
Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Aufmerksamkeitsgaffen
Awareness (Bewusstheit/Gewahrsein; besonders in der Gestalttherapie)
Gleichschwebende Aufmerksamkeit in der Psychoanalyse
Guided Search, Theorie der gesteuerten Aufmerksamkeit
Komparatorsystem neurophysiologische Theorie von Aufmerksamkeit bei Neuem
Konzentrationsstörung (Ablenkung)
Negatives Priming, Forschungsparadigma der Aufmerksamkeitsforschung
Pseudoneglect
Sluggish cognitive tempo (SCT)
Split-Attention-Effekt
Unaufmerksamkeitsblindheit (inattentional blindness)
Veränderungsblindheit
Literatur
Historisches
R. Pauli: Über eine Methode zur Untersuchung und Demonstration der Enge des Bewußtseins sowie zur Messung der Geschwindigkeit der Aufmerksamkeitswanderung. (= Münchener Studien zur Psychologie und Philosophie. Band 1). Spemann, Stuttgart 1914.
Eugen Bleuler: Lehrbuch der Psychiatrie. 15. Auflage. bearbeitet von Manfred Bleuler unter Mitarbeit von J. Angst u. a. Springer Verlag, Berlin 1983, S. 77.
H. Henning: Die Untersuchung der Aufmerksamkeit. In: E. Abderhalden (Hrsg.): Handbuch der biologischen Arbeitsmethoden. Abt. VI, Teil 3. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1925.
H. Henning: Die Aufmerksamkeit. Urban & Schwarzenberg, Berlin 1925.
Donald Broadbent: The role of auditory localization in attention and memory span. In: Journal of Experimental Psychology. 47, 1954, S. 191–196.
D. E. Broadbent: Perception and Communication. Pergamon Press, London 1958.
E. C. Cherry: Some experiments on the recognition of speech, with one and with two ears. In: Journal of the Acoustical Society of America. 25, 1953, S. 975–979.
A. T. Welford: The ‘psychological refractory period’ and the timing of high-speed performance – a review and a theory. In: British Journal of Psychology. 43, 1952, S. 2–19.
J. Deutsch, Diana Deutsch: Attention: Some theoretical considerations. In: Psychological Review. 70, 1963, S. 80–90 (PDF).
Ulrich Neisser: Cognitive Psychology. 1967.
Ingeborg Wagner: Aufmerksamkeitstraining mit impulsiven Kindern. 1976 und 1981.
Neuere Arbeiten und Übersichtsartikel
J. A. Brefczynski, E. A. DeYoe: A physiological correlate of the spotlight of visual attention. In: Nature Neuroscience. 1999, S. 370–374.
C. Bundesen: A theory of visual attention. In: Psychological Review. 97, 1990, S. 523–547.
E. A. Styles: Psychology of Attention. Taylor & Brands, Hover 1997 (Kapitel 2). (2. Auflage. Hove u. a.: Psychology Press, 2006)
M. Trautmann, F. D. Zepf: Attentional Performance, Age and Scholastic Achievement in Healthy Children. In: PLoS ONE. 7(3), 2012, Art. Nr. e32279, doi:10.1371/journal.pone.0032279.
Moore T, Zirnsak M: Neural Mechanisms of Selective Visual Attention. Annu Rev Psychol. 2017 Jan 3;68:47-72. doi:10.1146/annurev-psych-122414-033400.
Lehrbücher und Lexika
David G. Myers: Psychologie. 3. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-642-40781-9, S. 132
K. Merten: Aufmerksamkeit. In: Leon R. Tsvasman (Hrsg.): Das große Lexikon Medien und Kommunikation. Kompendium interdisziplinärer Konzepte. Ergon, Würzburg 2006.
Jochen Müsseler, Wolfgang Prinz (Hrsg.): Allgemeine Psychologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002.
Dirk Hartmann: Aufmerksamkeit. In: Philosophische Grundlagen der Psychologie. WBG, Darmstadt 1998, II. Die Grundlagen der Allgemeinen Psychologie. Kap. 2.2, S. 123–146 (PDF; 17,1 MB).
Bernhard Waldenfels: Phänomenologie der Aufmerksamkeit. Suhrkamp, Frankfurt 2004.
Weblinks
Ingo-Wolf Kittel: In: connection spirit, Juli 2008, S. 16–19.
(englisch)
Einzelnachweise
ADHS
Kognitionswissenschaft
Allgemeine Psychologie
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Q6501338
| 103.578728 |
2328904
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https://de.wikipedia.org/wiki/Unterarm
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Unterarm
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Der Unterarm (lat. Antebrachium) ist der untere Abschnitt der oberen Extremität, also des Armes zwischen Ellbogen- und Handgelenk. Die dem Unterarm entsprechende Körperregion wird als Regio antebrachii bezeichnet.
Knochen
Der Unterarm des Menschen (und den meisten anderen Tetrapoda) besteht aus zwei langen Knochen, der Elle (Ulna) und der Speiche (Radius). Zwischen beiden Knochen liegt ein Spalt (Spatium interosseum antebrachii). Beide sind über ein Band (Ligamentum anulare radii) und eine feste bindegewebige Platte (Membrana interossea antebrachii) miteinander verbunden.
Angrenzende Gelenke
Das Ellbogengelenk (Articulatio cubiti) ist ein aus drei Teilgelenken zusammengesetztes Gelenk, das die Verbindung zum Oberarm herstellt.
Das Handgelenk (Articulatio manus oder Articulatio carpi) ist ein aus zwei Teilgelenken zusammengesetztes Gelenk und verbindet den Unterarm mit der Hand (bzw. Vorderfuß oder Pfote bei Tieren).
Gelenke
Zwischen den beiden Unterarmknochen selbst sind zwei Gelenke ausgebildet: Das körpernahe (proximale) und das körperferne (distale) Speichen-Ellen-Gelenk (Articulatio radioulnaris proximalis und Articulatio radioulnaris distalis). Sie ermöglichen Drehbewegungen der Speiche um die Elle (Pronation und Supination). Diese Drehbewegung ist vor allem für komplexe Bewegungen (z. B. Klettern, Greifen) wichtig. Bei Säugetieren mit vorwiegender Laufbewegung (z. B. Pferde, Wiederkäuer) sind die Speichen-Ellen-Gelenke zurückgebildet und die beiden Knochen miteinander verschmolzen (so genannte Synostose).
Muskeln und Faszien
Die Muskeln des Unterarmes werden ihrer Lage nach in zwei Gruppen unterteilt: Die Muskeln, die am lose hängenden Arm innen liegen und somit den Arm anbeugen (Flexoren) und die Muskeln, die außen liegen und den Arm strecken (Extensoren). Diese beiden Gruppen bestehen jeweils aus zwei einzelnen Schichten, die von der Körperoberfläche in die Tiefe gehen.
Die Unterarmfaszie (Fascia antebrachii) grenzt die einzelnen Muskelbäuche voneinander ab. Außerdem teilt sie zusammen mit der Bandhaft zwischen den beiden Unterarmknochen (Membrana interossea antebrachii) die Unterarmmuskeln in eine Beuger- und eine Streckerloge. Im Bereich des Handgelenkes ist sie auf der Handrückenseite durch querverlaufende Faserzüge (Retinaculum extensorum) verstärkt. Diese Verstärkung dient als Haltevorrichtung der Streckersehnen. Auf der Handflächenseite verschmilzt die Unterarmfaszie mit den vorderen Faserzügen (Retinaculum flexorum), welche den Karpaltunnel bilden, durch den die Sehnen der Fingerbeugemuskeln verlaufen. Von dem Musculus biceps brachii geht eine zusätzliche Verstärkung der Faszie aus (Lacertus fibrosus).
Arterien
Der Unterarm erhält sein Blut zum größten Teil durch die vom Oberarm kommende Oberarmarterie (Arteria brachialis). Diese gabelt sich in der Ellenbeuge in zwei Gefäßäste, die an seiner Speichenseite (Arteria radialis) bzw. Ellenseite (Arteria ulnaris) zur Hand laufen.
Die Äste der Speichenarterie im Unterarm sind
Arteria recurrens radialis (rückläufige Speichenarterie)
Die Äste der Ellenarterie im Unterarm sind
Arteria recurrens ulnaris anterior und posterior (vordere und hintere rückläufige Ellenarterie)
Arteria interossea communis (gemeinsame Zwischenknochenarterie)
Arteria interossea anterior (vordere Zwischenknochenarterie)
Arteria interossea posterior (hintere Zwischenknochenarterie)
Etwa 30 % der Menschen verfügen über eine dritte Unterarmarterie, die Arteria mediana (Median-Arterie). Sie wird im frühen menschlichen Embryo angelegt und verschwindet bei den meisten Menschen aber wieder etwa in der achten Schwangerschaftswoche, sobald die Ellen- und Speichenarterie entstanden sind. Um 1880 hatten nur etwa 10 % der Menschen die Median-Arterie. Der Anteil nimmt so stark zu, dass Hochrechnungen für das Jahr 2100 davon ausgehen, dass nahezu alle Menschen mit einer dritten Unterarmarterie geboren werden.
Venen
Vom hinteren Venennetzwerk der Hand geht auf der Speichenseite die äußere Vene (Vena cephalica) und auf der Ellenseite die innere Vene (Vena basilica) ab. Weiterhin verläuft die mittlere Unterarmvene (Vena intermedia antebrachii) auf der oberen Vorderseite des Armes. In der Ellenbeuge besteht eine Verbindung zwischen der äußeren und der inneren Vene, die gemeinsam als mittlere Ellenbeugenvene bezeichnet wird (Vena mediana cubiti). Diese wird häufig zur intravenösen Injektion oder zur Blutentnahme verwendet.
Nerven
Die Innervation der Unterarmmuskulatur erfolgt vor allem über die aus dem Plexus brachialis stammenden Fasern des Nervus radialis, Nervus medianus und Nervus ulnaris.
Der Nervus radialis innerviert die Muskeln des Unterarmrückens, die Strecker und außerdem die Haut von Teilen des Daumens und des Handrückens.
Der Nervus medianus innerviert die meisten Muskeln der Beuger und außerdem die Haut auf der Innenseite der Hand zwischen Daumen und Ringfinger.
Der Nervus ulnaris innerviert nur den Musculus flexor carpi ulnaris und Teile des Musculus flexor digitorum profundus und außerdem die Haut auf Handfläche und -rücken zwischen Ringfinger und Handkante.
Verletzungen
Ein Bruch der Speiche am handnahen Ende (distale Radiusfraktur) ist mit 10 bis 25 % der häufigste Bruch des menschlichen Körpers. Betroffen sind meistens junge Menschen durch Sport und Arbeitsunfälle oder ältere Menschen durch Stürze.
Weitere Frakturen der Speiche sind die Radiusschaftfraktur, die Galeazzi-Fraktur sowie der Radiuskopfbruch. Bei einem Bruch der Elle (Ulnafraktur) bei Kindern ist immer an eine Monteggia-Fraktur (Kombinationsbruch mit Luxation des Radiuskopfes) zu denken. Daher muss nicht nur eine Röntgenaufnahme des Frakturbereiches, sondern immer des ganzen Unterarmes mit Abbildung von Handgelenk und Ellenbogengelenk angefertigt werden.
Fehlbildungen
Verschiedene angeborene Fehlbildungen können vorkommen:
Radiusfehlstellung bei Atelosteogenesis, Cornelia-de-Lange-Syndrom
Madelung-Deformität bei Dyschondrosteose Léri Weill
Radiusaplasie bei Holt-Oram-Syndrom
Radioulnare Synostose bei Kampomele Dysplasie, Klinefelter-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom
Literatur
Michael Schünke: Prometheus Allgemeine Anatomie und Bewegungssystem. 2. Auflage. Thieme, Stuttgart, New York 2007.
Weblinks
Einzelnachweise
Obere Extremität
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Q228537
| 101.222043 |
327506
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pantelleria
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Pantelleria
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Pantelleria ist eine italienische Insel im Mittelmeer südwestlich von Sizilien. Sie bildet mit einigen vorgelagerten Felsen die Gemeinde Pantelleria mit Einwohnern (Stand ) im sizilianischen Freien Gemeindekonsortium Trapani. Die Phönizier nannten die Insel Hiranin, die Römer Cossyra. Der Name Pantelleria stammt aus dem Arabischen und bedeutet „Tochter der Winde“ ().
Geographie
Geologisch gehört die Vulkaninsel Pantelleria zum afrikanischen Kontinent. Sie liegt ungefähr 60 km östlich von der tunesischen Halbinsel Kap Bon und 100 km südwestlich von Sizilien, inmitten der Straße von Sizilien. Sie hat eine Fläche von ca. 83 km² bei maximal 14 km Länge und 8 km Breite. Ihre untermeerische Basis besitzt einen Durchmesser von etwa 20 km.
Die höchste Erhebung der Insel ist die Montagna Grande (836 m).
Im Osten sind einige winzige Nebeninseln und Felsen vorgelagert, zumeist im Abstand von weniger als 100 Metern zur Küste, darunter (von Nord nach Süd):
Faraglione Tracino
Scoglio di Punta del Duce
Scogli del Formaggio
Faraglione Dietro l’Isola
Die Insel Ferdinandea (Nerita) war eine 1831 durch einen vulkanischen Ausbruch entstandene, aber bald darauf wieder verschwundene Insel. Sie war rund 60 km von der Südwestküste Siziliens entfernt und lag zwischen Pantelleria und der sizilianischen Stadt Sciacca. Nach neuesten Untersuchungen war sie Teil des Unterseevulkans Empedocle (Empedokles).
Schutzgebiete
Auf der Insel liegt der 2016 gegründete Nationalpark Pantelleria. Zudem ist mit den beiden Flora-Fauna-Habitat-Gebieten „Isola di Pantelleria: Montagna Grande e Monte Gibele“ und „Isola di Pantelleria – Area Costiera, Falesie e Bagno dell’Acqua“ sowie dem Vogelschutzgebiet „Isola di Pantelleria e area marina circostante“ ein großer Teil der Insel und der umgebenden Meeresfläche Bestandteil des europäischen Schutzgebietsnetzes Natura 2000.
Geologie
Der vulkanische Ursprung der Insel und ihrer vorgelagerten Felsen hängt zusammen mit der Herausbildung des Pantelleria-Riftes, der ab dem Miozän als Teil eines lang gestreckten Systems von Gräben und Horsten im Gefolge von Verschiebungen der afrikanischen und der europäischen Kontinentalplatten im Schelfbereich zwischen Sizilien und Afrika entstand. Am nordwestlichen Ende dieses Riftes drang in einem Becken direkt über der Grabenachse seit etwa 300.000 Jahren mehrmals Magma empor und bildete die Vulkaninsel Pantelleria.
Vor etwa 50.000 Jahren entstanden bei einer Reihe von Eruptionen flächig abgelagerte grüne Tuffe, welche die gesamte Insel überdeckten und heute noch in weiten Teilen verbreitet sind. Jüngere Ausbrüche vor etwa 35.000 Jahren bauten über diesen Tuffen und in den ihnen zugeordneten Kratern mehrere Vulkankegel auf, deren größter der heute 700 Meter hohe Monte Gibelè ist. Dessen nördlicher Teil wurde später um etwa 275 Meter gehoben und bildet mit der heute 836 Meter hohen Montagna Grande die höchste Erhebung der Insel.
Im flach auslaufenden Norden der Insel reihten sich basaltische Eruptionszentren entlang von NW-SE verlaufenden Bruchzonen. Die Basalte von Punta San Leonardo besitzen ein Alter von etwa 29.000 Jahren, die von Mursia von wenigen tausend Jahren.
Die Riftbildung und der mit ihr verbundene Vulkanismus dauerten auch in jüngster Zeit noch an. Das zeigt beispielsweise ein submariner Vulkan, der im Jahre 1831 wenige Kilometer westlich von Pantelleria entstand und die Insel Ferdinandea schuf, die jedoch einige Jahrzehnte später wieder verschwand. Im Osten befindet sich der submarine Vulkan Empedocles. Postvulkanische Erscheinungen sind die heute noch verbreiteten Niedrig-Temperatur-Fumarolen und warmen Quellen Pantellerias.
Die Insel wird zudem als Typlokalität des Minerals Anorthoklas angegeben.
Klima
Auf Pantelleria herrscht subtropisches Klima mit heißen, trockenen Sommern und mäßig warmen, feuchten Wintern. Das Temperaturmaximum liegt mit einem Tagesdurchschnitt von 25 °C im August, das Maximum der Niederschläge mit 80 mm im Dezember. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 17,5 °C. Die Jahresniederschläge haben eine Höhe von 485 mm. Fast immer weht ein Wind, meist entweder der kühle Mistral aus dem Nordwesten oder der heiße Scirocco aus dem Süden.
Vegetation
Vor allem die vulkanischen Böden der bergigen Insel und die durch die hohe Luftfeuchtigkeit der marinen Zone gemilderte Aridität des mediterranen Klimas bestimmen die Pflanzengesellschaften, die sich auf Pantelleria herausgebildet haben:
In den höchsten Zonen, so auf den südexponierten Hängen von Montagna Grande und Monte Gibele, wächst ein mit Baumheide (Erica arborea) durchsetzter Steineichenwald (Quercus ilex).
Weiter verbreitet ist ein Pinienwald (Pinus pinaster) mit Ginster (Genista aspalathoides) im buschigen Unterwuchs. Eine wärmeliebende Variante dieses Waldes, in der als Leitpflanzen Rosmarin (Rosmarinus officinalis) und Kopfiger Thymian (Thymbra capitata) zu finden sind, beschränkt sich auf die Hänge in eingegrenzten westlichen Küstenzonen.
Wo die Wiederbesiedelung von Lavagesteinen noch im Gange ist, entwickelte sich eine sehr wärmeliebende Macchie, für die Baum-Wolfsmilch (Euphorbia dendroides) und Schmalblättrige Baumschlinge (Periploca angustifolia) charakteristisch sind.
Auf marinen Kliffen hält sich der endemische Pantelleria-Strandflieder (Limonium cosyrense) als Charakterpflanze einer niedrig wachsenden Pflanzengesellschaft, die weiter im Innern der Insel ersetzt wird durch eine an den Unterwuchs des Steineichenwaldes erinnernde Gesellschaft, in der Strohblumen (Helichrysum rupestre var. errarae, endemische Varietät) und Levkojen (Matthiola incana subsp. pulchella) aspektbildend sind.
Weniger dauerhafte, krautige Pflanzengesellschaften sind beispielsweise von einer endemischen Varietät des Schwarzwerdenden Klee (Trifolium nigrescens var. dolychodon) dominiertes Grasland, einige, von Sukkulenten bestimmte, Trockenheit liebende Assoziationen, außerdem eher seltene, Feuchtigkeit liebende Assoziationen mit Durieus Brachsenkraut (Isoetes durieui) und Wenigblütigem Hahnenfuß (Ranunculus parviflorus) und als Besonderheit eine Assoziation bei den Fumarolen der Insel, für die das Schraubige Tännelkraut (Kickxia cirrhosa) typisch erscheint.
Eine besondere Vegetation weisen der Bagno dell'Acqua und seine Uferzonen auf, wo durch das Thermalwasser besondere chemische Verhältnisse herrschen. Am Ufer wächst beispielsweise ein endemischer Strandflieder (Limonium secundirameum). Im brackigen Wasser bilden Glattes Zypergras (Cyperus laevigatus) und eine mediterrane Unterart der Strand-Teichsimse (Schoenoplectus litoralis subsp. thermalis) größere Bestände.
Auf den degradierten Felsen der ariden Meeresküste können sich nur besonders widerstandsfähige Arten wie zum Beispiel eine Unterart des Bartgrases (Hyparrhenia hirta subsp. pubescens) halten.
Eine Seltenheit stellen an wenigen geeigneten, kurzen Küstenabschnitten sandliebende Pflanzengesellschaften mit Leitpflanzen wie Kali-Salzkraut (Salsola kali) und Strand-Wolfsmilch (Euphorbia paralias) dar.
Eine besondere Vegetationsdynamik ergibt sich auf aufgegebenen Wein- und Kapernterrassen. Es lassen sich fünf Altersklassen von Brachen unterscheiden. Nach 50 bis 80 Jahren besteht die Vegetation bereits aus dichten Macchie-Gesellschaften. Am Ende der Sukzession stellt sich wahrscheinlich Steineichenwald ein. An manchen Stellen verhindern einige Pflanzenarten eine rasche Sukzession und bilden monospezifische Aspekte, so verschiedene Zistrosen (Cistus), Mittelmeer-Brombeere (Rubus ulmifolius), Zweiähriges Bartgras (Andropogon distachyos) und Behaartes Bartgras (Hyparrhenia hirta).
Fauna
Durch seine relativ isolierte Lage gibt es auf Pantelleria 21 endemische Tiere, d. h. Arten bzw. Unterarten, die ausschließlich auf der Insel vorkommen. Dazu gehören auch zwei Wirbeltiere, eine Unterart der Nordafrikanischen Hausspitzmaus (Crocidura pachyura cossyrensis Contoli, 1990) und eine Unterart der Waldmaus (Apodemus sylvaticus hermani Felten et Storch, 1970). Des Weiteren sind zwölf Käferarten, drei Wanzenarten und jeweils eine Art der Ameisen, Maulwurfsgrillen und Landasseln endemisch. Erstaunlicherweise gibt es auf der Insel keine endemischen Reptilien und nur eine endemische Landschnecke (Marmorana muralis insularis (Benoit, 1857)).
Geschichte
Bis zum Ende der Antike
Der Obsidian von Pantelleria war bereits im Neolithikum ein begehrter Rohstoff und gelangte ins nahe Sizilien und nach Tunesien, aber auch nach Süditalien, Malta und an den Golfe du Lion.
Man findet turmartige Strukturen, Sesi genannt, welche wahrscheinlich neolithische Grabstätten waren (5. Jahrtausend v. Chr.). Die Ruinen einer bronzezeitlichen Siedlung wurden bei Mursia entdeckt.
Die Insel war ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. einer der frühesten und wichtigsten Stützpunkte der Phönizier und Karthagos, ehe sie im Ersten Punischen Krieg 255 v. Chr. von Rom erstmals und 217 v. Chr. endgültig erobert wurde. Im 5. Jahrhundert v. Chr. umfasste der Machtbereich Karthagos die Küsten Nordafrikas, das südliche Spanien, den Westteil Siziliens sowie weite Teile Sardiniens und Malta. Zisternen und Terrassen aus punischer Zeit finden sich auf der süßwasserarmen Insel. Unter dem Dammuso auf der höchsten Spitze des Berges San Marco liegen drei komplett erhaltene, monumentale ovale Zisternen, die punischen Ursprungs sind. Weitere Zisternen finden sich im gesamten Hügelbereich. Auffällig sind die Reste mehrerer monumentaler Terrassen- und Befestigungsmauern aus sorgfältig behauenen Trachytquadern, die den oberen Bereich des San Marco- und Santa Teresa-Hügels umziehen. In einer modernen Mauer fanden sich zahlreiche antike Bauglieder, die vermutlich von einem Monumentalbau auf der Akropolis stammen. Mosaikböden und andere Funde bezeugen die Anwesenheit der Römer auf der Insel, die sie Cossyra nannten. So wurden unter anderem im Spätsommer 2003 auf dem Hügel San Marco drei Marmorbüsten aus dem 1. Jahrhundert gefunden. Die Porträts werden Caesar, Titus und Antonia Minor zugeordnet.
Mittelalter und frühe Neuzeit
Die Insel wurde in der Zeit der Völkerwanderung von den Vandalen eingenommen und von den Truppen Kaiser Justinians im Rahmen seiner Restauratio imperii zurückerobert. Die Herrschaft der Byzantiner wiederum endete 806 mit wiederholten Überfällen und Plünderungen durch die Araber. Diese verschleppten dabei christliche Mönche in die Sklaverei, um deren Freilassung sich Karl der Große selbst bemühte. Schließlich besiedelten die Araber Pantelleria dauerhaft, und ab 845 war die Insel Teil des Emirats Sizilien. Die Araber führten den Baumwollanbau und die Tuchproduktion ein, im Mittelalter und in der frühen Neuzeit die wichtigste Einnahmequelle der Inselbewohner. Die meisten Einwohner waren Juden. Das Arabische prägt bis heute den auf Pantelleria gesprochenen sizilianischen Dialekt. Im Jahr 1123 eroberten die Normannen unter Roger II. die Insel und gliederten sie ins Königreich Sizilien ein. Seither teilt sie politisch das Schicksal der großen Nachbarinsel. Mit ihr fielen Pantelleria und Malta im Spätmittelalter an das spanische Königreich Aragón. Deswegen mussten 1492 alle Juden die Inseln verlassen oder konvertieren.
Aufgrund seiner Lage zwischen christlichem Europa und islamischer Welt war Pantelleria auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder Überfällen von See her ausgesetzt. Im Juni 1488 plünderten osmanische Truppen die Insel und entführten 80 ihrer damals 250 Einwohner in die Sklaverei. Auch Korsaren der Barbareskenstaaten stellten lange eine Bedrohung dar. Besonders verheerend war 1553 ein Korsaren-Überfall unter dem osmanischen Admiral und Bey von Tripolis Turgut Reis: Die Inselhauptstadt wurde völlig zerstört, die Einwohner getötet oder versklavt. Das auf normannischen Grundmauern errichtete Castello Barbacane im Hafen von Pantelleria stammt aus dieser Zeit.
Mit dem vom Haus Aragon beherrschten Sizilien fiel Pantelleria 1504 für mehr als 200 Jahre an die spanische Krone.
Vom 18. Jahrhundert bis heute
Seit 1735 regierte eine Nebenlinie der spanischen Bourbonen das Königreich Sizilien und Pantelleria. Unter ihrer Herrschaft wurde die Insel zu einer Strafkolonie. Die Funktion als Gefängnisinsel und Verbannungsort behielt sie auch nach ihrer 1861 erfolgten Eingliederung ins Königreich Italien bei und endete erst mit dem Sturz Mussolinis und des faschistischen Regimes.
Im Zweiten Weltkrieg war die Insel, die Mussolini hatte zur Festung ausbauen lassen, das erste Ziel der alliierten Invasion Italiens. Zwischen dem 18. Mai und dem 11. Juni 1943 wurden bei der Operation Corkscrew 6200 Tonnen Bomben über Pantelleria abgeworfen, mehr als bei den Angriffen auf Dresden mit 3900 Tonnen. Am 11. Juni 1943 mittags ergab sich die Garnison, die Alliierten landeten auf der Insel und 78 deutsche und 11.621 italienische Soldaten gingen in Gefangenschaft.
Seit 1998 nimmt die Zahl der Boots-Flüchtlinge aus Tunesien nach Europa jährlich zu. Es kommt in dem Seegebiet um die Insel immer wieder zu Schiffsunglücken mit Todesfällen.
Am Abend des 10. September 2021 zog ein Tornado über die Insel und forderte ersten Berichten zufolge mindestens 2 Tote und 9 Verletzte.
Bevölkerung und Gemeinde
Pantelleria zählt heute rund 7.500 Einwohner. Dazu gehören etwa 300 Arbeitsmigranten aus Rumänien, was einem Bevölkerungsanteil von ca. 4 % entspricht. Die gesamte Insel bildet eine Gemeinde Pantelleria, die sich wiederum in 25 Ortsteile (frazioni) gliedert: Balata dei Turchi, Buccuram, Bugeber, Campobello, Contrada Venedise, Cufurá, Gadir, Garitte Karuscia, Kamma, Karuscia, Khaddiuggia, Khamma di Fuori, Madonna delle Grazie, Martingana, Reckhale, San Michele, Santa Chiara, San Vito, Scauri, Scauri Basso, Sciuvechi, Sibà, Sopra Gadir, Tracino und Villaggio Tre Pietre.
1) Wohnanlage
Verkehr
Zwei Fährlinien verbinden die Insel täglich mit Trapani auf Sizilien. Vom Flughafen Pantelleria aus gibt es Verbindungen nach Trapani, Palermo und nach Rom und (Sommer 2014 wöchentlich mit Volotea) Venedig.
Weinanbau
Der Weinanbau auf Pantelleria erfolgt auf kleinen Parzellen, die mit nachhaltigen Methoden bewirtschaftet werden. Eine alte Anbauweise von Rebstöcken, die traditionell beim Weinbau auf der Insel gepflegt wird und eine Art der Buscherziehung darstellt, wird Vite ad alberello genannt. Sie wurde 2014 in das Immaterielle Kulturerbe der UNESCO aufgenommen.
Sehenswürdigkeiten
Der Specchio di Venere (Spiegel der Venus) ist ein Binnensee vulkanischen Ursprungs, der vor 16.000 Jahren entstanden ist. Er ist die einzige größere natürliche Süßwasseransammlung auf der Insel. Der See wird durch heiße Quellen gespeist (34 bis 56 °C) und verliert sein Wasser ausschließlich durch Verdunstung. Am etwa 20 ha großen und 12 m tiefen See kommen sechs Libellen-Arten (Odonata) und acht Wasserkäferarten vor, Fische gibt es keine. Der See ist der einzige bekannte Fundort der afrikanischen Oasen-Pechlibelle (Ischnura fountaineae) in Europa.
Beim Ort Pantelleria befindet sich der Parco Archeologico delle antiche Capitali di Pantelleria. Die Stadt und Akropolis auf dem Doppelhügel von San Marco e Santa Teresa können besichtigt werden. Das Castello Barbacane ist eine Festung, deren Ursprung unbekannt ist.
Die Meeresgrotten Grotta della Storto können nur mit dem Boot erreicht werden.
Schauplatz in Literatur und Film
Die Insel Pantelleria ist Schauplatz der Kurzgeschichte Der glückliche Sommer der Frau Forbes von Gabriel García Márquez. Eine kolumbianische Familie verbringt dort ihre Ferien. In Abwesenheit ihrer Eltern entspinnt sich zwischen den beiden Kindern und der deutschen Erzieherin Frau Forbes ein Drama. Außerdem diente die Insel als Handlungsort für den Film A Bigger Splash.
Literatur
Vicenzo Francaviglia: Ancient obsidian sources on Pantelleria (Italy). In: Journal of Archaeological Science. Band 15, Nr. 2, 1988, S. 109–122, DOI: 10.1016/0305-4403(88)90001-5.
John E. Guest, Paul Cole, Angus Duncan, David Chester: Volcanoes of southern Italy. Geological Society, London 2003, ISBN 1-86239-138-6.
Claus-Dieter Reuther: Das Pantelleria Rift: Kinematik miozäner bis rezenter Krustendehnungsprozesse bei konvergenter Intraplattentektonik im zentralen Mittelmeer. Karlsruhe 1985 (Habilitation Universität Karlsruhe 1985, [2], 124 Bl.: Illustriert).
Alwyn Scarth, Jean-Claude Tanguy: Volcanoes of Europe. Oxford University Press, Oxford u. a. 2001, ISBN 0-19-521754-3.
Massimo Osanna, Thomas Schäfer, Rainer-Maria Weiss (Hrsg.): Caesar in der Stadt. Die neuentdeckten Marmorbildnisse aus Pantelleria. In: Veröffentlichungen des Helms-Museums. Band 90, 2004, ISBN 3-931429-08-3, 55 S. (Ausstellungskatalog Helms-Museum Hamburg und Museum Schloss Hohentübingen).
Otto Steinfatt: Vogelwelt und Vogelzug auf der Insel Pantelleria. Zugleich Teil V vom „Vogelzug im Mittelmeergebiet“. In: Journal für Ornithologie. Band 82, Nr. 3, 1934, S. 409–419, DOI: 10.1007/BF01905415.
David A. Neave, Gareth Fabbro, Richard A. Herd, Chiara M. Petrone, Marie Edmonds: Melting, Differentiation and Degassing at the Pantelleria Volcano, Italy. In: Journal of Petrology. Band 53, Nr. 3, 2012, S. 637–663, DOI:10.1093/petrology/egr074 (englisch).
Weblinks
Homepage der Insel (italienisch)
Carola Frentzen: Reisebeschreibung - Schwarze Perle des Mittelmeers SPIEGEL ONLINE vom 1. November 2006.
Ausgrabungen auf der Akropolis von S. Marco und S. Teresa und deren sensationelle Funde
Immer mehr Boots-Flüchtlinge erreichten die Inseln Lampedusa und Pantelleria. Hamburger Abendblatt vom 22. August 2006.
Barbara A. Vargo: Characterization Of Obsidian Sources In Pantelleria, Italy (2003)
Gareth Fabbro: Pantelleria, A Volcano with A Trapdoor. Science 2.0, 24. November 2011 (Blogeintrag des Geologen auf seinem Blog, englisch).
Gareth Fabbro: Pantelleria, Its Magma Chamber And Possible Impact On Global Climate. Science 2.0, 26. Februar 2012 (englisch).
Einzelnachweise
Ort in Sizilien
Insel (Europa)
Insel (Sizilien)
Insel (Mittelmeer)
Obsidianvorkommen
Straße von Sizilien
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Q481758
| 133.358517 |
10151
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https://de.wikipedia.org/wiki/Neurotransmitter
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Neurotransmitter
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Neurotransmitter, auch kurz Transmitter genannt, sind Botenstoffe, die an chemischen Synapsen die Erregung von einer Nervenzelle auf andere Zellen übertragen (synaptische Transmission).
Die Transmittersubstanzen werden in der sendenden Nervenzelle produziert – häufig im Zellkörper und danach im Axon transportiert – sowie in deren präsynaptischen Endigungen innerhalb synaptischer Bläschen vorrätig gehalten. Bei neuronaler Erregung verschmelzen einige von diesen mit der Zellmembran des Neurons, sodass per Exocytose bestimmte Mengen an Neurotransmitter in den synaptischen Spalt freigesetzt werden und auf die postsynaptische Membran der empfangenden Zelle einwirken. Die Wirkung ist abhängig von deren Membranausstattung mit Rezeptoren und Ionenkanälen sowie der einwirkenden Menge an Neurotransmitter. Abbau oder Wiederaufnahme der Botenstoffe begrenzen die Einwirkdauer auf kurze Zeitspannen.
Der Ausdruck Neurotransmitter ist abgeleitet von „Sehne, Nerv“ und „hinüber schicken, übertragen“.
Wirkungsweise
Neurotransmitter sind Botenstoffe von Nervenzellen, mit denen die (präsynaptischen) elektrischen Signale eines Neurons an einer Synapse in chemische Signale umgebildet werden, die bei der nachgeordneten Zelle wieder (postsynaptische) elektrische Signale hervorrufen können.
In die präsynaptische Membranregion des Neurons fortgeleitete elektrische Impulse, Aktionspotentiale, veranlassen über kurzzeitigen Calciumeinstrom die Ausschüttung der Botenstoffe aus Vorratsspeichern, den synaptischen Vesikeln. Dieser Vorgang ist eine Exozytose: Durch Fusion der Vesikelmembranen mit der präsynaptischen Membran wird das je enthaltene Quantum an Transmittermolekülen in den (extrazellulären) synaptischen Spalt freigesetzt und gelangt per Diffusion zu den Rezeptoren auf der postsynaptischen Membran der nachgeschalteten Zelle.
Diese Membranproteine der subsynaptischen Region erkennen den jeweiligen Transmitter spezifisch an seiner molekularen räumlichen Struktur und Ladungsverteilung durch komplementäre Strukturen. Die Bindung eines Transmittermoleküls führt zur strukturellen Veränderung des Rezeptorproteins, wodurch direkt (ionotrop) oder mittelbar (metabotrop) bestimmte Ionenkanäle in dieser Region vorübergehend geöffnet werden.
Abhängig von der Zahl an Rezeptoren mit gebundenem Transmitter entstehen so Ionenströme verschiedener Stärke mit entsprechenden postsynaptischen Potentialdifferenzen (PSP). Diese sind nun – festgelegt über die Zuordnung von Rezeptoren in der Membran zu Ionenkanälen bestimmter Ionensorte – entweder depolarisierend, so dass sie als exzitatorisches postsynaptisches Potential (EPSP) eine Erregung der nachgeschalteten Zelle fördern bzw. zur Bildung eines Aktionspotentials führen, oder aber so, dass sie als inhibitorisches postsynaptisches Potential (IPSP) jene hemmen bzw. eine Erregung verhindern. Damit wird zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Synapsen unterschieden.
Neben dem eigentlichen Neurotransmitter werden nicht selten noch Kotransmitter ausgeschüttet (Kotransmission), welche die Erregungsübertragung auf verschiedene Weise als Neuromodulatoren beeinflussen können. Die Bindung von Transmittern an Rezeptormoleküle ist in der Regel reversibel, nach Ablösung somit erneut möglich. Begrenzt wird ihre Wirkung nicht allein durch Diffusion, sondern durch enzymatische Spaltung (z. B. Cholinesterasen), Aufnahme in Gliazellen, präsynaptische Wiederaufnahme in das Neuron oder auch eine postsynaptische Internalisation samt Rezeptor (als Endozytose). Daneben ist postsynaptisch die prompte Inaktivation von Ionenkanälen (Desensitivierung) möglich. Weiterhin können präsynaptisch gelegene Autorezeptoren für den Transmitter dessen Freisetzung negativ rückgekoppelt beschränken. Darüber hinaus sind zahlreiche weitere präsynaptische Rezeptoren bekannt, überwiegend metabotrop G-Protein-gekoppelte Rezeptoren, womit sich vielfältige Modifikationen synaptischer Übertragung ergeben.
Für die Wirkung einer synaptischen Transmission ist nicht die präsynaptisch als Transmitter ausgeschüttete chemische Substanz entscheidend, sondern die postsynaptisch ausgebildete Empfänglichkeit der nachgeordneten Zelle. Beispielsweise ruft der gleiche Transmitter Acetylcholin im Skelettmuskel – vermittelt über ionotrope nikotinische NM-Cholinozeptoren – eine Depolarisation hervor, jedoch im Herzmuskel – vermittelt über metabotrope muskarinische M2-Cholinozeptoren – eine Hyperpolarisation. In einem Fall führt dies zu einer Erregung von Skelettmuskelfasern, im anderen Fall zu einer Abnahme der Erregbarkeit von Herzmuskelzellen.
Beispiele
Der wichtigste Transmitter im peripheren Nervensystem ist Acetylcholin, so nicht nur an der motorischen Endplatte von Muskelfasern, sondern auch im parasympathischen Teil des vegetativen Nervensystems sowie präganglionär im sympathischen Teil, postganglionär wird hier meist Noradrenalin ausgeschüttet (doch sind z. B. die Schweißdrüsen cholinerg innerviert).
Der wichtigste Neurotransmitter im zentralen Nervensystem (ZNS) ist Glutamat, mit erregender Wirkung; die wichtigsten Transmitter inhibitorischer Synapsen sind Gamma-Aminobuttersäure (GABA) und Glycin. Andere häufige Neurotransmitter sind Dopamin und Serotonin neben Acetylcholin und Noradrenalin, auch bei Synapsen im ZNS. Eine wichtige Rolle spielen diese Substanzen in Theorien zur Entstehung und Behandlung von psychischen Störungen (z. B. Dopaminhypothese der Schizophrenien).
Chemische Zuordnung
Biochemisch betrachtet sind die meisten bekannten Neurotransmitter neben Acetylcholin (aus Cholin, cholinerge Übertragung) entweder
Derivate von Aminosäuren (durch bzw. nach Decarboxylierung) – wie Dopamin bzw. Noradrenalin und Adrenalin (aus Tyrosin, katechol-aminerge) oder Histamin (aus Histidin, histaminerge) oder γ-Aminobuttersäure (GABA) (aus Glutamat, GABAerge) bzw. Serotonin (aus Tryptophan, serotoninerge) – oder es sind
α-Aminosäuren – wie Glycin (glycinerge) oder Glutamat (glutamaterge) – oder es sind
Oligopeptide, also kurze Ketten zusammengesetzter Aminosäuren, (peptiderge) – so etwa Oxytocin, Vasopressin (ADH), Somatostatin (SIH), Tachykinin, Cholecystokinin, Neurotensin und auch die opioid wirkenden Neuropeptide, Opioidpeptide, wie beispielsweise die Endorphine.
Daneben fungieren Phosphorsäureester von Purinen wie Adenosinmonophosphat (AMP), Adenosindiphosphat (ADP), Adenosintriphosphat (ATP) sowie Uridindiphosphat (UDP) und Uridintriphosphat (UTP) auch an Synapsen als (Ko-)Transmitter.
Einteilung
Neurotransmitter können zunächst nach Stoffklassen eingeteilt werden.
Lösliche Gase
Stickstoffmonoxid
Kohlenstoffmonoxid
Schwefelwasserstoff
Amine
quartäre Amine:
Acetylcholin
Biogene Amine
(Klassische) Monoamine
Katecholamine:
Noradrenalin
Adrenalin
Dopamin
Indolamine:
Serotonin
Melatonin
Imidazolamine:
Histamin (biochemische Struktur jedoch von anderen biogenen Aminen verschieden)
Spurenamine
Phenethylamine:
Phenethylamin (PEA)
Tyramin
Indolamine:
Tryptamin
Aminosäuren
Inhibitorische Aminosäuretransmitter
γ-Aminobuttersäure = GABA = 4-Aminobuttersäure
Glycin
β-Alanin
Taurin
Exzitatorische Aminosäuretransmitter
Glutaminsäure
Asparaginsäure
Cystein
Homocystein
Neuropeptide
Endorphine und Enkephaline
Somatostatin
Insulin
Glucagon
α-Endopsychosin
Tachykinine
Substanz P
Neurokinin A (Substanz K)
Neuropeptid K (Neurokinin K)
Neuropeptid γ (Neuropeptid gamma)
Neurokinin B
Hemokinin-1
Endokinin A, B, C und D
Endocannabinoide
Anandamid
2-Arachidonylglycerol
O-Arachidonylethanolamid
Siehe auch
Hormon
Monoamine
Nervenwachstumsfaktor
Liste von Neurotransmittern
Weblinks
Ben Best: Brain Neurotransmitters (englisch)
Drogen und Gehirn (niederländisch)
Synthesewege von Neurotransmittern (PDF; 1,4 MB)
Einzelnachweise
Molekularbiologie
Neurochemie
Signaltransduktion
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Q162657
| 123.650516 |
8892
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https://de.wikipedia.org/wiki/Feuer
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Feuer
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Das Feuer (von gleichbedeutend mittelhochdeutsch viur, althochdeutsch fiur) bezeichnet „die sichtbare Erscheinung einer Verbrennung“ unter Abgabe von Wärme und Licht, wobei ein Feuer „je nach Aggregatzustand des brennbaren Stoffes [...] als Flamme und/oder Glut auftreten“ kann. Voraussetzungen für das Entstehen und das Aufrechterhalten eines Feuers sind vier Dinge: ein brennbarer Stoff, Sauerstoff und die Mindesttemperatur für die Verbrennung sowie das richtige Mengenverhältnis von brennbarem Stoff zum Sauerstoff.
Als Umweltfaktor spielen regelmäßige Brände in den meisten Biomen der Erde eine wichtige Rolle. Waldbiome trockener Regionen (viele tropische Savannen und alle subtropischen Hartlaubbiome) gelten als Feuerklimax, da ihre Entstehung und Erhaltung zwingend vom Feuer abhängig ist. Diese Zusammenhänge einschließlich des anthropogenen Einflusses werden von der Feuerökologie untersucht.
Die Erzeugung von Feuer durch den Menschen zählt zu den Kulturtechniken. Die Nutzung und zunehmende Beherrschung des Feuers war ein wichtiger Faktor der Menschwerdung und ist mindestens seit dem Jungpaläolithikum ein Bestandteil aller Kulturen.
Chemisch-physikalischer Hintergrund
Chemisch gesehen ist Feuer eine Oxidationsreaktion mit Flammenerscheinung. Dies ist eine exotherme Reaktion, das heißt, dass mit Feuererscheinung verlaufende Reaktionen mehr Energie in Form von Wärme an die Umgebung abgeben, als zum Entzünden benötigt wird. Feuer ist heiß, weil die Umwandlung der relativ schwachen Doppelbindung im Sauerstoffmolekül, O2, in die stärkeren Bindungen in den Verbrennungsprodukten (Kohlenstoffdioxid und Wasser) Energie freisetzt (418 kJ pro 32 g O2); die Bindungsenergien im Brennstoff spielen nur eine untergeordnete Rolle.
Zur Entfachung bzw. Aufrechterhaltung eines Feuers werden allgemein ein brennbarer Stoff, ein Oxidationsmittel und Zündenergie (Wärme, mechanische Funken, Elektrizität) benötigt. Dieser Zusammenhang kann in einem Verbrennungsdreieck anschaulich dargestellt werden. Mangelt es an einer der drei Komponenten, erlöscht das Feuer. Dies kann man sich zur Brandbekämpfung zunutze machen.
Bei der Verbrennung von organischen Materialien werden beispielsweise Kohlenwasserstoffe mit dem Oxidationsmittel Sauerstoff aus der Luft bei einer vollständigen Verbrennung zu Kohlenstoffdioxid und Wasser umgesetzt. Auch partielle Verbrennungen sind möglich, wobei Kohlenstoffmonoxid und andere, nur teilweise oxidierte Stoffe entstehen und nicht oxidierte Stoffe wie Ruß zurückbleiben können. Das Oxidationsmittel kann jedoch in manchen Fällen auch bereits dem Brennstoff beigemischt sein, beispielsweise in Form von Salpeter.
Da die entstehenden Verbrennungsgase aufgrund ihrer hohen Temperatur eine geringere Dichte haben als die umgebende Luft, steigen sie bei einer frei brennenden Flamme durch natürliche Konvektion nach oben (Kamineffekt). Der entstehende Unterdruck saugt von unten und von der Seite Frischluft an. Der darin enthaltene Sauerstoff erhält die weitere Verbrennung aufrecht. Bei extrem großen Feuern kann der so entstehende Luftzug Orkanstärke erreichen. Dieses Phänomen wird als Feuersturm bezeichnet.
Da in der Schwerelosigkeit die Dichteunterschiede keine Konvektion verursachen, ist die Zufuhr von neuem Sauerstoff gestört und nur durch Diffusion möglich, weshalb sich beispielsweise bei einer in einem Raumschiff brennenden Kerze nur eine relativ schwache und annähernd kugelförmige Flamme ausbildet.
Ist die natürliche Konvektion für den gewünschten Zweck nicht ausreichend, können bei technischen Anwendungen sowohl die Luftzufuhr als auch die Abfuhr der Verbrennungsgase auch künstlich erfolgen, beispielsweise mit Hilfe von Gebläsen (siehe auch Saugzug).
Das Licht des Feuers ist eine physikalische Erscheinung. Elektronen der erhitzten Teilchen erlangen kurzzeitig ein höheres Energieniveau und fallen nach kurzer Zeit unter Abgabe (spontaner Emission) von Energie in Form eines Lichtquants (Photons) auf ihre ursprünglichen Energieniveaus zurück. Nicht jede solche Emission ist für das menschliche Auge sichtbar, es entsteht auch Infrarotstrahlung (siehe Flammenfärbung).
Mit den chemischen und physikalischen Vorgängen in einem Feuer befasst sich die Verbrennungslehre.
Wortherkunft
Das neuhochdeutsche Wort Feuer lässt sich – über mittelhochdeutsch und althochdeutsch fiur und älter fuir – zurückverfolgen bis zum bedeutungsidentischen indogermanischen peu̯ōr, pū̌r, Genitiv punés (vergleiche auch altgriechisch πῦρ/pyr, armenisch hur, hethitisch pahhur, gotisch fon und umbrisch pir).
Feuernutzung durch Tiere
Nahrungssuche nach Buschfeuern
Die Äthiopische Grünmeerkatze und der Westafrikanische Schimpanse (Pan troglodytes verus) leben in Savannen und durchstreifen auf Nahrungssuche bevorzugt Gebiete, die kurz zuvor abgebrannt sind.
Verbreitung von Feuer durch Raubvögel in Australien
Auf natürliche Weise in Grasland entstandene Buschfeuer in Australien werden einem 2017 publizierten Forschungsbericht zufolge gelegentlich durch Schwarzmilane, Keilschwanzweihen und Habichtfalken verbreitet. Demnach ergreifen diese Vögel brennende Zweige in ihrem Schnabel oder ihren Klauen, fliegen mit ihnen davon und lassen sie an anderer Stelle fallen, so dass neue Brandherde entstehen. Daraufhin fliehen kleine Vögel, Eidechsen und Insekten vor dem Feuer und können von den Greifvögeln erbeutet werden.
Prähistorische Feuernutzung
Die Zähmung von Wildfeuern (beispielsweise aus Blitzschlägen oder Erdbränden) und später die Kunstfertigkeit, Feuer zu entfachen, waren wichtige Schritte der Menschwerdung. Bei Zunahme der fleischlichen Ernährung, die für Homo habilis, mehr noch für Homo rudolfensis mit Veränderungen an Gebiss und Gehirn belegt ist, war die Verwertung dieser Nahrung durch Garen wesentlich effizienter. Erhitzung – durch Braten über offenem Feuer oder Kochen in heißen Quellen – erleichtert den enzymatischen Aufschluss der Nahrung und entlastet damit den Verdauungstrakt. Außerdem konnte Nahrung durch Räuchern länger haltbar gemacht werden (was anhand von Tierleichen nach einem Buschbrand oder sonstigem verbranntem Fleisch erlernt werden konnte). Das Erhitzen verringerte ferner die Belastung der Nahrung durch krankmachende Parasiten, Bakterien und Viren.
Feuer bot zugleich Wärme, Licht und Schutz vor Raubtieren und Insekten. Feuer ermöglichte die Härtung von Holz und Stein und später (in der Jungsteinzeit) von Ton oder Lehm zu Keramik und (noch später) zur Schmelze von Erzen.
Seit kurzem wird auch erforscht, welchen Beitrag die Notwendigkeit, Feuerstellen zu bewachen und das Feuer zu bewahren sowie den Verzehr der Jagdbeute bis zum Abschluss des Garvorgangs aufzuschieben, zur Entwicklung der menschlichen Kommunikation geleistet hat.
Alt- und Mittelsteinzeit
Sehr frühe archäologische Belege der Feuernutzung durch Australopithecina (vor 4–1,5 Millionen Jahren) ebenso wie durch Homo habilis (vor 2,5–2 Millionen Jahren) sind bis heute umstritten. Prominente Beispiele solch zweifelhafter Belege sind Koobi Fora am Turkana-See (Kenia), Swartkrans (Südafrika), Yuanmou (China), Gongwangling-Stätte (China; vgl. Lantian-Mensch) und Pandalja 1 bei Pula (Kroatien). Die Indizien von Feuerstellen in Swartkrans bestehen im Grad der Erhitzung des Sediments, indem mittels Elektronenspinresonanz belegt wird, dass die Brenntemperatur in der Feuerstelle höher war als bei einem natürlichen Grasbrand. Ein weiterer umstrittener Fundplatz liegt im kenianischen Chesowanja, nahe dem Baringosee. Dort wurden Tierknochen und Oldowan-Werkzeuge neben über fünfzig verbrannten Lehmbrocken sowie eine feuerstellenähnliche Anordnung von Steinen gefunden.
Die ältesten gesicherten Feuerstellen, die zweifelsfrei durch Menschen (Homo erectus) angelegt wurden, stammen aus der Wonderwerk-Höhle in Südafrika und sind rund eine Million Jahre alt. Als Indiz dienen verbrannte Knochensplitter und Pflanzenreste tief im Inneren der Höhle. Eine Feuerstelle mit verbrannten menschlichen Nahrungsresten liegt auch von Gesher Benot Ya’aqov im Norden Israels vor, die mit Werkzeugen von Homo erectus in Verbindung steht und etwa 790.000 Jahre alt ist. Neben kleinformatigen gebrannten Steingeräten, deren räumliche Verteilung auf Feuerstellen schließen lässt, wurden hier auch verbrannte Reste essbarer Pflanzen gefunden: Wilde Gerste (Hordeum spontaneum) sowie Holz Wilder Olivenbäume (Olea europaea subsp. oleaster) und Wilder Weinreben (Vitis sylvestris). Viele Forscher gehen davon aus, dass die Besiedelung Ostasiens durch Homo erectus bzw. des nordalpinen Europa durch Homo heidelbergensis (synonym für den späten Homo erectus in Europa) vor etwa 600.000 Jahren nur mit Hilfe von Feuernutzung möglich war. Dennoch sind einige früher für Homo erectus angeführte Belege heute widerlegt, wie in der Höhle von Zhoukoudian (China), wo die Laminierung der Sedimentschichten mit Schluffen, organischen Partikeln und Holzkohlen stattdessen deren natürlichen Eintrag beweist.
Als älteste gesicherte Nachweise Europas gelten rund 400.000 Jahre alte Feuerstellen aus der englischen Beeches Pit, Terra Amata bei Nizza und Vértesszőlős in Ungarn. Die Fundplätze werden in mittelpleistozäne Interglaziale datiert, die mit den marinen OIS 9, 11 oder 13 gleichgesetzt werden, was bedeuten könnte, dass gerade in ausgeprägten Kaltzeiten die Nutzung von Feuer unterblieb. In denselben Zeithorizont sind Feuerstellen in der Qesem-Höhle in Israel zu stellen sowie ein 350.000 Jahre alter Befund aus der Tabun-Höhle.
Umstritten sind dagegen die Befunde vom thüringischen Fundplatz Bilzingsleben, wo „Holzkohlefeuer“ und erhitzte Travertinbrocken als Beleg eines Living floors beschrieben wurden. Andere Forscher gehen von umgelagerten Hölzern aus, die durch Waldbrände verkohlt wurden. Auch Manganausfällungen können infolge der Schwarzfärbung von Gesteinen wie Travertin die Existenz von Feuerstellen vorspiegeln. Kontrovers wird auch die Feuernutzung im niedersächsischen Schöningen diskutiert. Ein als „Bratspieß“ bezeichneter Fichtenholzstab im Umfeld der Schöninger Speere wurde möglicherweise bewusst im Feuer gehärtet, von anderen Autoren wird der kontrollierte Umgang mit Feuer an diesem etwa 300.000 Jahre alten Fundplatz jedoch bezweifelt. Die vermutete Feuerhärtung von Hölzern wird auch für die etwa gleich alte Lanzenspitze von Clacton-on-Sea und die eemzeitliche Lanze von Lehringen in Frage gestellt. Beispiele aus dem Zeithorizont der „klassischen“ Neandertaler der Würm-Kaltzeit liegen mit der Grotte XVI, dem Abric Romaní, dem Roc de Marsal und aus Italien vor.
Da es jedoch auch Lagerplätze aus diesen frühen Epochen gibt, an denen keine Belege für Feuerstellen gefunden wurden, ist ungeklärt, ob damals bereits gewohnheitsmäßig oder nur sporadisch Feuer entfacht wurde.
Feuerhärtung dominiert bei Homo sapiens seit 72.000 Jahren bei Steingeräten aus Hornstein wie Feuerstein, sie tritt seit 164.000 Jahren (Fundort Pinnacle Point in Südafrika) auf (Tempern von Feuerstein). Die älteste Pyritknolle als Teil eines steinzeitlichen Schlagfeuerzeugs wurde aus einer Brandschicht der württembergischen Vogelherdhöhle beschrieben, die der archäologischen Kultur des typischen Aurignacien zugeordnet wird und auf rund 32.000 Jahre datiert wird. Diese Knolle, deren Schichtzugehörigkeit wegen der ungenauen Ausgrabung im Jahre 1931 nicht zweifelsfrei erwiesen ist, wäre der mit Abstand älteste Beweis für das „Feuerschlagen“ und damit eines Feuerzeugs. Dazu gehört neben einer Pyrit- oder Markasitknolle im Weiteren ein Schlagstein (meist Feuerstein) und ein Stück Zunderschwamm (Fomes fomentarius) oder anderer Baumschwamm (zum Beispiel Birkenporling). Bei der Mehrzahl der archäologischen Funde ist jedoch unklar, ob es sich um Pyrit oder Markasit handelt, daher sollte der neutrale Begriff Schwefelkies verwendet werden. Weitere altsteinzeitliche Belege angeschlagener Schwefelkiesknollen gibt es aus Laussel (Schichtzuordnung unklar, Solutréen?) und aus dem belgischen Chaleux (Magdalénien). Solche „Feuerschlag-Sets“ sind in der Mittelsteinzeit und der jüngeren Vorgeschichte dann gehäuft gefunden worden. Gut datierte Belege aus der frühen Mittelsteinzeit liegen vom englischen Fundplatz Star Carr vor, wo sowohl Zunderschwamm als auch Markasit-Stücke gefunden wurden. Der Nachweis konnte auch durch Rückstände (Residuen) von Pyrit an Schlagsteinen nachgewiesen werden, wie in den spätmittelzeitlichen Fundplätzen Henauhof-Nord bei Bad Buchau und am Ullafelsen im Fotschertal.
Nutzung aus Flächenbrandlegung
Die ältesten Hinweise auf gezielt gelegte Flächenbrände, die das Ökosystem langfristig veränderten, stammen aus dem Middle Stone Age von Malawi und sind rund 90.000 Jahre alt. Feuer wurden vermutlich bei der Treibjagd auf flüchtiges Wild eingesetzt; archäologische Indizien dafür gibt es allerdings nicht. Jedoch verwendeten die steinzeitlichen Ureinwohner Nordamerikas sowie Australiens vor Einflussnahme durch Europäer Feuer zur nicht-agrarwirtschaftlichen Landnutzung. Henry T. Lewis zählte etwa siebzig verschiedene Gründe für die Brandsetzung durch Indianer auf. Treibjagden auf größeres Wild scheinen durch Feuersetzungen nicht zu profitieren, dagegen können nach einem Flächenbrand zahlreiche Kleintiere (hauptsächlich durch Frauen) eingesammelt werden. Feuer wurde später (vermutlich ab der Jungsteinzeit) gezielt zu Rodungszwecken eingesetzt, um Agrarflächen zu schaffen.
Jüngere Vorgeschichte
Im Zuge der Neolithisierung bildete das Feuer die Basis wichtiger Kulturtechniken, etwa des Brennens von Keramik (Töpferei) und der Metallschmelze (seit der Kupfersteinzeit). Die Standardmethode der Jungsteinzeit ist das „Schwefelkies-Feuerzeug“, wie an diversen Funden der Linearbandkeramischen Kultur belegt werden kann. „Markasit-Feuerzeuge“ sind auch während der Bronzezeit nachgewiesen.
Ab der Eisenzeit ersetzt nach und nach der Feuerstahl die Schwefelkiesknolle. Im Gräberfeld von Bescheid wurde im Hügel 78/2 ein Roteisenstein und eine Feuersteinklinge gefunden, was in dieser Kombination als Feuerzeug gedeutet wird.
Ahlenförmige Feuerstähle wurden unter anderem auf dem Nydamboot gefunden. In Norddeutschland sind während der Eisenzeit schiffchenförmige Quarzitobjekte bekannt, die ebenso wie Feuerstein zur Funkenproduktion dienen.
Die Funkenerzeugung in Verbindung von Eisen und Feuerstein bleibt bis in die Neuzeit die am weitesten verbreitete Art des Feuermachens in Europa. Dieses Prinzip wird auch beim Steinschloss-Prinzip der Flinten angewandt.
Entfachen eines Feuers
Soll ein Feuer entfacht werden, muss neben dem Vorhandensein von Brennstoff und Sauerstoff dafür gesorgt werden, dass genügend Sauerstoff an den Brennstoff gelangt und die Verbrennungsprodukte abziehen können (Kaminwirkung). Für das Entfachen ist eine Initialzündung notwendig, um die Zündtemperatur zu erreichen, wofür vorindustrielle Völker verschiedene Methoden kannten:
Reibung
Das technisch anspruchsloseste Verfahren zum Entfachen eines Feuers basiert auf dem Erzeugen von Hitze durch Reibung. Die einfachste Form besteht darin, zwei Stöcke aneinander zu reiben. Weitere Entwicklungen sind das Feuerpflügen, Feuersägen und Feuerbohren. Dabei wird glühender Holzstaub erzeugt, der anschließend auf ein Zundernest geschüttet werden kann, um eine Flamme zu entfachen.
Funkenschlag
Um Funken zu erzeugen, wird ein Funkenschläger wie Feuerstein gegen einen Funkenspender wie Pyrit, Markasit oder Feuerstahl geschlagen. Der Funke fällt dann auf einen Zunder wie Feuerschwamm. Ebenso eignet sich der Birkenporling. Andere Pilze, wie Kellertuch, Netzstieliger Hexen-Röhrling und Boviste (Lycoperdon bovista), müssen zuvor „nitriert“, das heißt in Salpeterlösung getränkt werden. Nitrierte Rohrkolbenwatte ist ebenfalls als leicht entzündliches Material geläufig. Ein Set aus Funkenschläger, Funkenspender und Zunder nennt man Schlagfeuerzeug.
Luftkompression
Dieses Verfahren wird in Hinterindien mit der Feuerpumpe angewandt.
Lichtbündelung
Mit Hilfe eines Brennglases (Lupe) oder eines Hohlspiegels kann Sonnenlicht auf einen Punkt fokussiert werden, sodass an dieser Stelle die Zündtemperatur von z. B. Holz oder Papier erreicht wird.
Geübte Menschen können ein Feuer mit solchen Methoden in etwa einer Minute entfachen; siehe dazu auch Survival. Heutzutage werden Feuer meist mit dem Feuerzeug oder mit Streichhölzern entfacht. Gegebenenfalls wird ein Fidibus verwendet, um unzugängliche Stellen zu entzünden.
Frühe naturwissenschaftliche Konzepte
Im antiken Griechenland wurde dem Element Feuer das Tetraeder als einer der fünf Platonischen Körper zugeordnet. Feuer ist eines der Elemente sowohl der klassischen Vier-Elemente-Lehre als auch der chinesisch-japanischen Fünf-Elemente-Lehre.
Religiöse Bedeutung
Die Bedeutung des Feuers spiegelt sich in zahlreichen Mythen wider, etwa dem der Feuerbringer Prometheus und Huschang oder des Vogels Phönix.
Die alte Religion des persischen Religionsstifters Zarathustra wirkte nachhaltig in die dortige Volkskultur hinein. Auch heute noch lebt diese Religion als Parsismus bzw. Zoroastrismus fort. Viele persische Vornamen nehmen auf das Feuer Bezug.
Die Römer verehrten Vesta, die Göttin und Hüterin des Herdfeuers, mit einem eigenen Frauenkult (den Vestalinnen).
Judentum / Christentum: Im Alten Testament der Bibel sind Feuer, Rauch und Beben Begleiterscheinungen einer Theophanie (Gotteserscheinung, vgl. z. B. 2. Buch Mose, Kapitel 3). Nach dem Zeugnis der Apostelgeschichte zeigte sich der Heilige Geist „in Zungen wie von Feuer“(vgl. Apg. 2 Pfingsten). In der Osternacht wird am Osterfeuer die Osterkerze, Sinnbild der Auferstehung Jesu Christi, entzündet. Der Brauch des Osterfeuers hat vermutlich vorchristliche Wurzeln. Bei Johannes nennt sich Jesus selbst das Licht der Welt. Dem Feuer wird außerdem reinigende Wirkung zugesprochen (siehe auch: Fegefeuer). So wurden in der frühen Neuzeit angebliche Hexen auf dem Scheiterhaufen verbrannt, um ihre sündigen Seelen reinigen zu lassen.
Im Hinduismus ist Agni, das Feuer, die Verkörperung Gottes, der auf der Erde in Flammenform erscheint. Feuer spielt im Gottesdienst sowie in allen anderen religiösen Riten eine herausragende Rolle: Die populärste tägliche Zeremonie ist das Arati, wo man ein Butterlicht vor dem Altar schwenkt. Das Feueropfer, Yaggya (auch Yajna) genannt, war ursprünglich wahrscheinlich das wichtigste Opferritual, bei dem die Opfergaben in das heilige Feuer geworfen wurden.
Auch heute noch spielt das Feuer im Glaubensleben der Hindus eine wichtige Rolle: Zu bestimmten Anlässen, ganz besonders wenn es um Reinigungszeremonien wie Einweihung von Wohnungen, Geschäften oder dergleichen geht, entzündet der Priester unter Gebeten rituell das heilige Feuer. Im Feueropfer, heute auch Homa oder Havan genannt, verehrt er Agni. Bei einer Wohnungseinweihung etwa trägt der Priester oder der Besitzer anschließend die Schüssel mit dem glimmenden Feuer segnend durch die Räume. Besonders bei allen hinduistischen Sakramenten ist immer die lebendige Anwesenheit des Göttlichen in seiner Flammenform notwendig: Ein hinduistisches Paar schließt die Ehe, indem es gemeinsam siebenmal um das Feuer herumgeht.
In manchen ethnischen Religionen gibt es einen oder mehrere Feuergeist(er). Im finnischen Epos Kalevala spielt der Raub der Feuermühle Sampo aus dem „Nordort“ (Pohjola) eine bedeutende Rolle, nach der auch die finnische Streichholz-Marke „Sampo“ benannt ist.
Kategorisierung
Zweckfeuer/Nutzfeuer
Zweckfeuer ist – im Gegensatz zu Schadfeuer – das beabsichtigte und kontrollierte Feuer, das zum Erwärmen oder Verbrennen von Gegenständen oder anderem gedacht ist, zum Beispiel das Kaminfeuer, Lagerfeuer, Grillfeuer und Schwedenfeuer.
Der Mensch hat schon sehr lange gelernt, das Feuer zu beherrschen, und nutzt es bis heute, zum Teil indirekt in Form des elektrischen Stroms. Aber auch in damit betriebenen Anlagen wird der Begriff Feuer verwendet, zum Beispiel in Befeuerung und Leuchtfeuer. In der Technik bezeichnet man eine technische Vorrichtung, die mit Hilfe von Feuer Wärme erzeugen soll, als Feuerung. Bei flüssigen oder gasförmigen Brennstoffen kommt meist ein Brenner zum Einsatz.
Dass der unsachgemäße Umgang mit offenem Feuer sehr gefährlich ist, war spätestens im 18. Jahrhundert bekannt. Durch die für auch weitere deutsche Gebiete beispielhafte Gesamtverordnung zur Brandverhütung vom 27. November 1783 im Kurfürstentum Trier erging an die Einwohner gemäß § 11, dass „gleichergestalten das freye und offene Tragen des Feuers aus einem Haus in das andere“ verboten und „die Aufbehaltung der Asche in einem leicht feuerfangendem Geschirr“ nach § 12 strafbar ist.
Schadfeuer
Das Schadfeuer – auch Brand genannt – ist ein zerstörerisches, meist unbeabsichtigtes Feuer. Es verbrennt ungewollt Gegenstände und ist erst kontrollierbar, nachdem es eingedämmt wurde. Brandbekämpfung von Schadfeuern ist die originäre Aufgabe der Feuerwehren.
Versicherungen definieren den Begriff Brand üblicherweise als Feuer, welches ohne einen bestimmungsgemäßen Herd entstanden ist oder diesen verlassen hat und sich selbständig auszubreiten vermag. Bestimmungsgemäßer Herd kann hier jedes Objekt sein, welches dafür bestimmt ist, Hitze (Backofen, Bügeleisen) oder Feuer zu erzeugen. Absichtliche Schadfeuer können durch Pyromanie entstehen.
Mit Hilfe von Brandwaffen kann Feuer im Kampf auch zur gezielten Schädigung eines Gegners genutzt werden.
Siehe auch
Feuerbrauchtum
Phlogiston
Literatur
Kulturgeschichte
Helmut Gebelein: Das Element Feuer in Haushalt und Familie. In: Trude Ehlert (Hrsg.): Haushalt und Familie in Mittelalter und früher Neuzeit. Sigmaringen 1991, S. 137–151. ISBN 978-3-7995-4156-5.
Johan Goudsblom: Feuer und Zivilisation. 2. Auflage, Springer VS, Wiesbaden 2016, ISBN 978-3-658-06505-8.
Katharine MacDonald et al.: Middle Pleistocene fire use: The first signal of widespread cultural diffusion in human evolution. In: PNAS. Band 118, Nr. 31, 2021, e2101108118, doi:10.1073/pnas.2101108118.
Fire and the Genus Homo. Themenheft von: Current Anthropology. Band 58, Nr. S16, August 2017, S. S163–S370, Themenübersicht und Links zum freien Volltext.
Claudia Sticher: Feuer. Symbol des Lebens und des Glaubens. Verlag Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-460-27192-0.
Technik
Adam Merschbacher: Brandschutz: Praxishandbuch für die Planung, Ausführung und Überwachung. Verlagsgesellschaft Rudolf Müller, 2005, ISBN 3-481-02054-6.
Jürgen Warnatz et al.: Verbrennung. 3. Auflage, Springer, Berlin Heidelberg 2001, ISBN 3-540-42128-9.
Weblinks
Einzelnachweise
Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/1950
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1950
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Im Jahr 1950 geht die institutionelle Verfestigung der Teilung der Welt in zwei Lager weiter, der Kalte Krieg nimmt an Intensität zu. Im Koreakrieg stehen sich die beiden Lager das erste Mal militärisch gegenüber. Auch die Innenpolitik der USA wird davon bestimmt, in der sogenannten McCarthy-Ära.
Überblick
Deutschland/Bundesrepublik/DDR
Die Teilung der Welt in zwei Lager gilt auch für die jungen beiden deutschen Staaten, die im Vorjahr gegründet worden waren. In der Bundesrepublik läuft die Verwendung von Lebensmittelmarken aus; die CDU gibt sich eine bundesweite Organisation unter Führung von Konrad Adenauer; der Bundesgerichtshof nimmt in Karlsruhe seine Tätigkeit auf; die ersten diplomatischen Vertreter der Bundesrepublik im Ausland werden akkreditiert. Unterdessen wird Walter Ulbricht zum Generalsekretär der SED bestimmt und die Nationale Front bei der Wahl zur Volkskammer der DDR mit 98,5 % bestätigt; im Görlitzer Abkommen mit Polen wird die Oder-Neiße-Grenze als endgültige „Friedensgrenze“ anerkannt, ein Schritt, der im Westen scharf kritisiert wird.
Einen ersten Schritt zur Gleichberechtigung der Bundesrepublik stellt der Schuman-Plan des französischen Außenministers dar, der eine gemeinsame deutsch-französische Verwaltung der Kohle- und Stahlindustrie vorsieht und der von Adenauer sofort begrüßt wird. Differenzen bleiben zwischen Frankreich und Deutschland allerdings in der Saarfrage bestehen: Die Einbeziehung des Saarlandes in den französischen Wirtschaftsraum stößt in allen politischen Lagern der Bundesrepublik auf Ablehnung, zumal das Saarland und die Bundesrepublik getrennte Einladungen zum Europarat erhalten.
Europa
Während in Frankreich die bürgerlichen Parteien die Politik bestimmen – auf die Regierung von Georges Bidault folgt im Juli das kurzlebige Kabinett Henri Queuille, gefolgt von René Pleven – wird in Großbritannien, wenn auch knapp, die Labour-Regierung von Clement Attlee im Amt bestätigt, gegen die Winston Churchill angetreten war. In Belgien kommt es unterdessen zu Demonstrationen und Unruhen anlässlich der Rückkehr von König Leopold III. aus dem Exil; eine Volksabstimmung hatte zwar eine knappe Mehrheit für seine Rückkehr gebracht, der Druck auf ihn, dem mangelnder Widerstandswille gegen die deutschen Besatzer im Zweiten Weltkrieg vorgeworfen wurde, gibt er aber schließlich nach, indem er zurücktritt und seinem Sohn Baudouin I. den Thron überlässt. Einen neuen Monarchen bekommt auch Schweden, wo Gustav VI. Adolf dem verstorbenen Vater Gustav V. nachfolgt.
Koreakrieg
Die zweite Jahreshälfte steht ganz im Schatten des Koreakrieges. Nordkoreanische Truppen überschreiten den 38. Breitengrad und drängen die Truppen Südkoreas innerhalb weniger Wochen auf einen kleinen Brückenkopf um Pusan zurück. Zwar wird im UNO-Sicherheitsrat (der zu diesem Zeitpunkt vom sowjetischen Vertreter Malik boykottiert wird) der Überfall scharf verurteilt und rasch eine Interventionstruppe beschlossen. Die USA als Ordnungsmacht im Fernen Osten waren aber bereits dazu übergegangen, ihre militärische Präsenz in Südkorea und Japan drastisch zu reduzieren und ist nun gezwungen, erhebliche Mittel für die Bereitstellung von neuen Truppen und modernem Kriegsmaterial bereitzustellen. So zeigen sich die US-amerikanischen Strahljäger den MiG-15 aus sowjetischer Produktion meist unterlegen und Nordkorea weiß sich zudem der Unterstützung der Volksrepublik Chinas sicher, das zum selben Zeitpunkt Tibet annektiert.
Dem amerikanischen Oberbefehlshaber über die UN-Truppen, Douglas MacArthur gelingt aber mit der gewagten Landung bei Incheon im Rücken der vorstoßenden nordkoreanischen Armee ein Überraschungserfolg, der die kommunistischen Truppen zum Rückzug zwingt. Als bereits einige UN-Einheiten im Oktober die koreanische Nordgrenze am Yalu erreichen, greift jedoch China in das Geschehen ein und drängt die Interventionsarmee wieder nach Süden zurück. Am Ende des Jahres stabilisiert sich die Front zum Stellungskampf unweit der Ausgangspositionen am 38. Breitengrad.
Antikommunistische Stimmung
Der Koreakrieg schürt in Amerika und Westeuropa die Angst vor einem Angriff des Ostblocks und wirft die Frage nach einem westdeutschen Verteidigungsbeitrag auf. In den USA wird die Innenpolitik von der Sorge der Unterwanderung durch Kommunisten und ihre Sympathisanten bestimmt, denen man durch teilweise inquisitorisch anmutende Befragungen Verdächtiger vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe zu begegnen hofft; besonders Senator Joseph McCarthy, der der gesamten Ära seinen Namen gibt, tut sich dabei hervor. Zur antikommunistischen Atmosphäre tragen auch Spionage-Prozesse wie die gegen Klaus Fuchs und Alger Hiss bei.
Die sogenannten Hollywood Ten, 10 Regisseure und Drehbuchschreiber aus einer „schwarze Liste“ von etwa 100 Persönlichkeiten Hollywoods, müssen 1950 6- bis 12-monatige Haftstrafen antreten, nachdem sie unter der Berufung auf den ersten Zusatzartikel der US-Verfassung (Meinungsfreiheit) vor dem Komitee für unamerikanische Umtriebe die Aussage verweigerten und wegen Missachtung des Kongresses verurteilt wurden.
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
BRD
21. Januar: Gründung der Deutschen Reichspartei (DRP) durch Fusion des niedersächsischen Landesverbandes der DKP-DRP mit der NDP.
1. März: Die britische Besatzungsmacht ordnet die Demontage der Salzgitter-Werke an.
3. März: Saar-Abkommen zwischen dem französischen Außenminister Robert Schuman und dem Ministerpräsidenten des Saarlandes, Johannes Hoffmann. Das Abkommen sieht eine engere Anlehnung des Saarlands an Frankreich vor, das die außenpolitische Vertretung übernimmt und die Kohlegruben kontrolliert; auch die Preise und Löhne werden dem französischen Standard angeglichen.
1. April: Die Deutsche Bundespost wird gegründet.
8. April: Die Lieferung westdeutscher Steinkohle in die DDR wird wegen des Ausbleibens von Ausgleichslieferungen eingestellt.
30. April: Die letzten Lebensmittelmarken (für Zucker) verlieren in Westdeutschland ihre Gültigkeit; in der DDR sind Lebensmittelmarken noch bis 1958 in Gebrauch.
11. Mai: Die CDU formiert sich in Königswinter auf Bundesebene und wählt Kanzler Konrad Adenauer zu ihrem Bundesvorsitzenden.
15. Juni: Der Bundestag beschließt mit 220:152 Stimmen den Beitritt der Bundesrepublik zum Europarat.
18. Juni: Bei den Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen wird die Regierung von Ministerpräsident Karl Arnold (CDU) bestätigt.
4. Juli: Sendebeginn von Radio Free Europe in München.
8. Juli: Hans Globke wird Personalchef im Kanzleramt und engster Vertrauter Adenauers. Er gerät wegen seiner Rolle als Kommentator der Nürnberger Rassegesetze von 1935 in die Kritik.
9. Juli: Die SPD erleidet bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein massive Verluste, die vor allem zu Gunsten des BHE gehen, der mit 23,7 % zweitstärkste Partei hinter der SPD wird. Neuer Ministerpräsident wird Walter Bartram (CDU) an der Spitze einer Koalition aus CDU, BHE, DP und FDP.
19. Juli: Der Zentralrat der Juden in Deutschland wird gegründet.
21. Juli: Der Elefant Tuffi springt aus der fahrenden Wuppertaler Schwebebahn.
5. August: Veröffentlichung der Charta der deutschen Heimatvertriebenen.
11. August: Die Beratende Versammlung des Europarates verabschiedet eine Resolution, in der angesichts des Koreakrieges die Bildung einer europäischen Armee gefordert wird. Dabei soll auch die Bundesrepublik mit einbezogen werden. Bundeskanzler Konrad Adenauer begrüßt die Initiative und beginnt entsprechende Verhandlungen mit den westlichen Alliierten, doch weist der Hohe Kommissar John Jay McCloy am 24. August zunächst auf das Besatzungsstatut hin, das eine Wiederbewaffnung Deutschland ausschließt. In Deutschland wird Adenauers Vorstoß nicht nur von der SPD, sondern auch von Innenminister Gustav Heinemann kritisiert.
22. August: Gründung des THW (Technisches Hilfswerk).
25. August: Friedrich Flick wird begnadigt.
1. September: In West-Berlin stellen die Britischen Streitkräfte den Watchmen´s Service der German Service Organisation Berlin auf, aus dem 1982 die 248 German Security Unit hervorgeht.
13. September: Die erste Volkszählung in der Bundesrepublik Deutschland wird durchgeführt.
19. September: Die Bundesrepublik beschließt die Entlassung von Mitgliedern als verfassungsfeindlich eingestufter Organisationen aus dem öffentlichen Dienst („Adenauer-Erlass“). Betroffen sind die KPD, die FDJ, die VVN und die SRP.
8. Oktober: In Karlsruhe beginnt die Tätigkeit des Bundesgerichtshofs.
9. Oktober: Rücktritt des deutschen Innenministers Gustav Heinemann wegen des Bestrebens des Kanzlers Konrad Adenauer nach Wiederbewaffnung.
18. Oktober: Erich Köhler (CDU), erster deutscher Bundestagspräsident, tritt zurück. Sein Nachfolger wird Hermann Ehlers, der ebenfalls der CDU angehört.
24. Oktober: Im Rathaus Schöneberg, das seit der Teilung Berlins als Sitz der West-Berliner Stadtregierung dient, wird die von den USA gestiftete Freiheitsglocke eingeweiht.
18. November: Bei den Landtagswahlen in Württemberg und Hessen wird die SPD jeweils stärkste Partei, die CDU muss starke Verluste hinnehmen. Auch bei den Wahlen in Bayern eine Woche darauf verliert die Union stark, kann hier aber knapp ihre Führungsposition behaupten.
1. Dezember: In West-Berlin nimmt der durch die Britischen Streitkräfte am 1. September 1950 aufgestellte Wachtmen’s Service der German Service Organisation seinen Dienstbetrieb auf.
9. Dezember: Bei den Abgeordnetenhauswahlen in West-Berlin wird die SPD klar stärkste Partei.
14. Dezember: Georg-August Zinn (SPD) wird Ministerpräsident von Hessen; er hat das Amt bis 1969 inne.
18. Dezember: Der CSU-Vorsitzende Hans Ehard wird als Ministerpräsident von Bayern wiedergewählt; er steht einer CSU-SPD-Regierung vor.
DDR
8. Februar: Das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) wird gegründet. Zum Minister für Staatssicherheit wird zunächst Wilhelm Zaisser benannt, Erich Mielke wird sein Stellvertreter.
13. März: In der Haftanstalt Bautzen I tritt die Mehrheit der Häftlinge in den Hungerstreik, der in einen Häftlingsaufstand mündet.
27. Mai: Beim Pfingsttreffen der FDJ in Ost-Berlin kommen 462.000 Teilnehmer zusammen. Ein geplanter Zug durch den Westteil der Stadt wurde nach Protesten der West-Berliner abgesagt.
6. Juli: Im Görlitzer Abkommen zwischen der DDR und der Volksrepublik Polen wird die Oder-Neiße-Linie als neue polnische Westgrenze festgelegt.
25. Juli: In der DDR wird Walter Ulbricht auf der konstituierenden Sitzung des neuen Zentralkomitees der SED Generalsekretär.
31. August: Die Zeugen Jehovas werden in der DDR verboten, worauf es zu Hunderten von Verhaftungen und Schauprozessen kommt.
1. September: Wegen ihrer Kontakte zu Noel Field werden die SED-Funktionäre Paul Merker, Leo Bauer (Chefredakteur des Deutschlandsenders) und Bruno Geldhammer (Chefredakteur des Berliner Rundfunks) aus der Partei ausgeschlossen.
7. September: Im Stadtzentrum Berlins wird auf Anordnung von Walter Ulbricht mit der Sprengung des Berliner Schlosses begonnen.
29. September: Die DDR wird Mitglied im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe.
1. Oktober: Ab diesem Tag erhalten Eltern in der DDR für die Geburt eines Kindes ein Begrüßungsgeld.
15. Oktober: Bei den Wahlen zur DDR-Volkskammer erhält die Einheitsliste der Nationalen Front 99,7 % der Stimmen. Im Westen Deutschlands kommt es zu Protestdemonstrationen gegen die gelenkte Wahl.
1. Dezember: Otto Grotewohl, Ministerpräsident der DDR, schlägt Konrad Adenauer die Bildung eines Gesamtdeutschen Rates vor.
Europa
1. Januar: Max Petitpierre wird Bundespräsident der Schweiz.
6. Januar: Die britische Regierung erkennt die Volksrepublik China diplomatisch an.
12. Februar: in Torquay wird die Europäische Rundfunkunion gegründet.
15. Februar: Juho Kusti Paasikivi wird als Staatspräsident Finnlands wiedergewählt.
23. Februar: Die Labour Party gewinnt die Unterhauswahlen in Großbritannien; Clement Attlee wird als Premierminister bestätigt.
1. März: In London wird Klaus Fuchs, vormals am Manhattan-Projekt beteiligt, wegen Geheimnisverrat an die Sowjetunion verurteilt.
15. März: Der 1948 ausgearbeitete Kopenhagener Wellenplan tritt in Kraft. Da Deutschland in diesem Plan nur wenige Frequenzen im Mittelwellenbereich zugeteilt werden, wird der zügige Aufbau der UKW-Sendernetze favorisiert.
20. März: Die polnische Regierung beschließt die entschädigungslose Enteignung des Kirchenbesitzes (375.000 ha).
6. April: Der Weltfriedensrat fordert in Stockholm die Ächtung der Atombombe.
27. April: Großbritannien erkennt den Staat Israel diplomatisch an.
9. Mai: Der französische Außenminister Robert Schuman präsentiert den nach ihm benannten Schuman-Plan; danach soll die französische und die deutsche Produktion von Kohle und Stahl einer gemeinsamen Oberbehörde unterstellt werden, die als Kernelement für die europäische Einigung dienen soll. Der Plan wird 1951 in Form der EGKS (Montanunion) umgesetzt.
11. Mai: Beginn der Außenministerkonferenz der Westmächte in London. Auf ihr wird der Schuman-Plan begrüßt und die Sowjetunion zur Rückführung aller deutschen Kriegsgefangenen aufgefordert.
24. Juni: In Frankreich tritt Georges Bidault als Regierungschef zurück; Amtsnachfolger wird zunächst Henri Queuille, der aber bereits am 12. Juli von René Pleven abgelöst wird.
1. August: Nach seiner Rückkehr aus dem Exil wird der belgische König Leopold III. vielerorts von feindseligen Demonstranten empfangen, die ihm sein Verhalten während des Zweiten Weltkrieges vorwerfen. Leopold gibt dem Druck nach und tritt zu Gunsten seines Sohnes Baudouin zurück.
5. September: Folketingswahl in Dänemark
19. September: In Paris wird das Abkommen zur Schaffung der Europäischen Zahlungsunion unterzeichnet.
29. Oktober: Gustav VI. Adolf wird nach dem Tod seines Vaters, Gustav V., neuer König von Schweden.
1. November: Papst Pius XII. verkündet das Dogma von der leiblichen Himmelfahrt Marias.
4. November: Die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wird unterzeichnet.
4. November: Die Vereinten Nationen beenden die diplomatische Isolierung des Franco-Regimes in Spanien.
19. Dezember: Die NATO gibt die Bildung eines Oberkommandos für Europa bekannt, das von Dwight D. Eisenhower übernommen wird.
Nordamerika
17. Januar: In Boston wird von einer elfköpfigen Bande das Geldtransportunternehmen Brink's ausgeraubt. Die Täter erbeuten beim bis dahin größten bewaffneten Raubüberfall in den USA Bargeld von mehr als 1,2 Millionen sowie Schecks und Wertpapiere von mehr als 1,5 Millionen US-Dollar. Das Ereignis wird im Jahr 1978 als Das große Dings bei Brinks mit Peter Falk in der Hauptrolle verfilmt.
21. Januar: Der Anwalt Alger Hiss wird in den USA wegen Meineids zu fünf Jahren Haft verurteilt. Der Fall spaltet die amerikanische Öffentlichkeit.
31. Januar: US-Präsident Harry S. Truman ordnet den Bau der Wasserstoffbombe an.
9. Februar: Senator Joseph McCarthy erklärt, dass das US-Außenministerium von 205 Kommunisten unterwandert sei.
5. März: In den USA wird ein zweimonatiger Streik der Bergarbeiter beendet.
14. März: In den Vereinigten Staaten veröffentlicht das FBI die erste Liste der zehn meistgesuchten Flüchtigen.
2. Mai: Die Vereinigten Stabschefs der USA empfehlen ihrer Regierung in einer Stellungnahme in der Wiederbewaffnungsdiskussion, die Politik der Abrüstung und Entmilitarisierung in Westdeutschland zu beenden. US-Präsident Harry S. Truman verhält sich dazu in der Folge abwartend.
19. September: Auf der Außenministerkonferenz der drei Westmächte in New York wird die Bundesregierung in Bonn als einzige „freie und gesetzlich konstituierte“ Regierung Deutschlands anerkannt.
1. November: Ein puerto-ricanischer Nationalist versucht ein erfolgloses Attentat gegen US-Präsident Truman.
16. Dezember: Wegen des Koreakriegs ruft Präsident Truman für die USA den nationalen Notstand aus.
Südamerika
3. Oktober: Getúlio Dornelles Vargas wird zum Staatspräsidenten von Brasilien gewählt; er hatte das Land bereits während des Zweiten Weltkriegs regiert.
13. November: Der venezolanische Präsident Carlos Delgado Chalbaud, der zugleich der regierenden Militärjunta angehört, wird entführt und ermordet.
Naher Osten
4. Januar: Israel erklärt Jerusalem zur Hauptstadt von Israel.
24. Mai: Das haschemitische Königreich Jordanien wird ausgerufen. Transjordanien gliedert sich dabei das Westjordanland an.
5. Juli: Israel: Die Knesset verabschiedet als erstes israelisches Gesetz das Rückkehrgesetz, das allen Juden in der Welt das Recht gibt, nach Israel einzuwandern.
Südostasien
11. Januar: Die marxistische Guerilla-Bewegung Hukbalahap unternimmt in der philippinischen Provinz Bataan eine Reihe von Angriffen.
5. Mai: Bhumibol Adulyadej wird als Rama IX zum König von Thailand gekrönt.
4. Oktober: Frankreich verliert im Indochinakrieg die Festung Cao Bằng an die Aufständischen.
5. Oktober: Die indonesische Regierung unterdrückt Unruhen auf den Molukken.
Koreakrieg
25. Juni: Beginn des Koreakriegs: Nordkoreanische Truppen fallen in Südkorea ein.
27. Juni: Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschließt die Aufstellung von Interventionstruppen im Koreakrieg. Der Vertreter der Sowjetunion war der Sitzung ferngeblieben.
28. Juni: Nordkoreanische Truppen nehmen Seoul ein. Am 5. Juli gelingt ihnen in der Schlacht von Osan südlich von Seoul der Durchbruch zur Südküste Koreas.
7. Juli: US-General Douglas MacArthur übernimmt den Oberbefehl über die UN-Truppen im Koreakrieg.
11. Juli: Die USA gewähren Südkorea 1,2 Mrd. Dollar Militärhilfe.
18. Juli: Südkorea räumt die Stadt Daegu vor den anrückenden Nordkoreanern.
31. Juli: In der Resolution 85 autorisiert der UNO-Sicherheitsrat das militärische Eingreifen einer UNO-Truppe im Koreakrieg.
15. September: Mit der Landung bei Incheon beginnt die Gegenoffensive der alliierten Truppen im Koreakrieg.
26. September: Die USA erklären die zwei Tage zuvor geschehene Bombardierung der Stadt Dandong (Mandschurei) zum Irrtum und erklären sich zu Schadensersatz gegenüber der Volksrepublik China bereit.
30. September: Südkoreanische Truppen überschreiten den 38. Breitengrad; das Vorgehen wird erst am 7. Oktober durch die UNO gebilligt, in der eine einheitliche und unabhängige Regierung in Korea gefordert wird. Zugleich fordert General Douglas MacArthur, der Oberbefehlshaber der UNO-Truppen, Nordkorea zur Kapitulation auf.
19. Oktober: Im Koreakrieg nehmen die UN-Verbände die Stadt Pjöngjang ein. Am selben Tag beginnt mit der Überschreitung des Grenzflusses Yalu durch Freiwilligenverbände die Teilnahme der Volksrepublik China am Koreakrieg. Im Oktober marschiert China außerdem in Tibet ein und beendet dessen Autonomie.
25. Oktober: Die in Nordkorea eingerückte chinesische „Freiwilligenarmee“ hat im Koreakrieg Feindberührung und liefert sich das erste Gefecht mit einer südkoreanischen Infanterieeinheit.
8. November: Über dem nordkoreanischen Luftraum kommt es zwischen einer amerikanischen Lockheed P-80 und einer nordkoreanischen MiG-15 zum ersten Luftkampf zwischen zwei Düsenjagdflugzeugen in der Geschichte.
26. November: Beginn der Schlacht um das Chosin-Reservoir: Den kommunistischen Verbänden gelingt es unter schweren Verlusten, die UN-Truppen zurückzuwerfen; diese ziehen sich auf den Brückenkopf von Hŭngnam zurück, von wo sie bis Ende Dezember nach Südkorea evakuiert werden.
30. November: US-Präsident Harry S. Truman droht angesichts des gegnerischen Vormarschs im Koreakrieg mit dem Einsatz der Atombombe.
5. Dezember: Die Amerikaner müssen die Stadt Pjöngjang vor den heranrückenden Nordkoreanern und Chinesen räumen.
Asien und Russland
26. Januar: Mit Inkrafttreten der neuen Verfassung (verabschiedet 26. November 1949) wird Indien offiziell zur Republik. Erster Präsident wird Rajendra Prasad.
14. Februar: Die Sowjetunion und die Volksrepublik China schließen ein Verteidigungsbündnis auf 30 Jahre ab. Stalin sagt die Zahlung von 330 Mio. Dollar und den Rückzug aus Port Arthur und Dairen zu.
1. März: Chiang Kai-shek verkündet auf Taiwan, dem Rückzugsgebiet der Kuomintang nach dem Bürgerkrieg, das fortbestehen der Republik China.
17. Juli: Afghanistan. 1. Transit-Abkommen mit der UdSSR.
1. August: Jakow Alexandrowitsch Malik, der Vertreter der Sowjetunion in der UNO, kehrt wieder in den Sicherheitsrat zurück, den die UdSSR zeitweise boykottiert hatte.
7. Oktober: Die chinesische Volksbefreiungsarmee dringt nach Tibet vor. Die tibetische Armee kann ihr bei Chamdo keinen großen Widerstand entgegensetzen.
21. Oktober: Die Truppen der Vietnamesischen Volksarmee unter Võ Nguyên Giáp erobern die Festung Lang Son von den französischen Kolonialtruppen. Frankreich gerät im Indochinakrieg zunehmend in die Defensive.
Afrika
28. Januar: Somaliland wird von der UNO Italien als Treuhandgebiet zugesprochen.
27. April: Mit dem Group Areas Act beschließt die Regierung Südafrikas die Einrichtung nach Hautfarbe getrennter Wohn- und Arbeitsgebiete im Rahmen der Apartheidspolitik.
26. Juni: In Südafrika wird der Suppression of Communism Act vom Parlament beschlossen. Er tritt am 17. Juli in Kraft. Das Gesetz ermöglicht umfassende Beschränkungs- und Verbotsmaßnahmen gegen als kommunistisch eingestufte Organisationen, Personen und Aktivitäten. Der Begriff Kommunismus wird dabei sehr weitläufig definiert, richtet sich gegen jegliche kritischen und oppositionellen Haltungen im Apartheidssystem, sogar auf Personen mit klar antikommunistischen Positionen und dient zur Schaffung politischer Straftatbestände sowie der allgemeinen Kriminalisierung des Widerstandes gegen die Apartheid.
7. Juli: In Südafrika wird mit der Umsetzung des Population Registration Act begonnen. Das Gesetz definiert drei verschiedene Bevölkerungsgruppen (white, coloured, native und im späteren Erweiterungen noch weitere Gruppen) und ist eine Stütze der Apartheidspolitik.
Organisationen
2. Januar: Guatemala wird Mitglied in der UNESCO.
10. Januar: Panama wird Mitglied in der UNESCO.
23. Januar: Schweden wird Mitglied in der UNESCO.
23. März: Mit dem Inkrafttreten der Gründungskonvention entsteht die World Meteorological Organization, die in der Folge eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen wird.
19. Mai: Costa Rica wird Mitglied in der UNESCO.
27. Mai: Indonesien wird Mitglied in der UNESCO.
14. Juni: Jordanien wird Mitglied in der UNESCO.
14. Juni: Republik Korea wird Mitglied in der UNESCO.
28. September: Indonesien wird Mitglied bei den Vereinten Nationen
14. Dezember: Unter der Bezeichnung Hoher Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen richtet die UN-Vollversammlung eine Nachfolgeorganisation für eine entsprechende Institution des inzwischen aufgelösten Völkerbundes ein.
Wirtschaft
15. Februar: Remington Rand übernimmt die Eckert-Mauchly Computer Corporation, die den Computer UNIVAC I entwickelt.
1. April: Das Versandhandelsunternehmen Neckermann wird gegründet.
27. April: Der belgische Unternehmer Gérard Blitz gründet den Club Méditerranée als Non-Profit-Organisation und realisiert seine Idee eines Urlaubs all inclusive für Reisende noch im selben Jahr.
10. Mai: In Barcelona wird der Automobilhersteller SEAT von der spanischen Staats-Holding Instituto Nacional de Industria, Banken und dem italienischen Fiat-Konzern gegründet.
3. Juni: Der Bayernkurier, die wöchentlich erscheinende Parteizeitung der Christlich-Sozialen Union (CSU), bringt ihre Erstausgabe auf den Markt. Als Herausgeber und Chefredakteur fungiert Generalsekretär Franz Josef Strauß.
9. Juni: Die ARD wird von den Landesrundfunkanstalten BR, HR, RB, SDR, SWF und NWDR sowie – mit beratender Stimme – RIAS Berlin gegründet.
Wissenschaft und Technik
14. Januar: Der Prototyp des sowjetischen Jagdflugzeugs MiG-17 hebt zum Erstflug ab.
14. März: Der Rover Jet 1 absolviert seine ersten Fahrten. Es handelt sich um das weltweit erste Rennauto mit Gasturbinenantrieb.
10. Mai: Gründung der National Science Foundation.
26. Mai: Der deutsche Ingenieur und Erfinder Engelbert Zaschka meldet sein Faltrad zum Patent an.
Mai: Erstmaliges stattfinden der Intel International Science and Engineering Fair.
24. Juli: Vom Raketenstartgelände Cape Canaveral Air Force Station wird mit der Bumper 8 der erste Flugkörper gestartet.
13. Oktober: Die Lockheed Super Constellation, ein viermotoriges Propellerflugzeug, absolviert ihren Erstflug.
Kultur
15. März: In Philadelphia wird die Oper The Consul von Gian Carlo Menotti uraufgeführt.
12. April: An den Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main wird das Musikalische Lustspiel Der Mann mit dem Zylinder von Just Scheu und Ernst Nebhut uraufgeführt.
14. Mai: An der Staatsoper in Stuttgart wird die Oper Don Juan und Faust von Hermann Reutter uraufgeführt.
16. Mai: Die musikalische Komödie Feuerwerk von Paul Burkhard wird in München uraufgeführt.
1. August: Gründung von Progress Film-Verleih in Berlin, heute einer der ältesten aktiven Filmverleiher Deutschlands.
7. September: Mit Schwarzwaldmädel hat der erste deutsche Farbfilm nach Kriegsende in Stuttgart Premiere. Er leitet eine Ära des Heimatfilms in Westdeutschland ein.
25. September: In Hamburg nimmt der Nordwestdeutsche Rundfunk den ersten Fernsehsender in Betrieb. Zunächst wird von einem ehemaligen Bunker in Hamburg-Heiligengeistfeld ein Testbetrieb gesendet. Ein reguläres Programm wird erst Ende 1952 ausgestrahlt.
15. November: Am Theater der Stadt Heidelberg wird die Operette Liebe im Dreiklang von Walter Wilhelm Goetze uraufgeführt.
Eine Forschungsgruppe der UNESCO kommt zu dem Ergebnis, dass der Rassebegriff wissenschaftlich nicht haltbar ist.
Die „Freien Protestanten“ benennen sich in Deutsche Unitarier Religionsgemeinschaft um (siehe Unitarier).
Lafayette Ronald Hubbard, Gründer Scientologys, veröffentlicht sein Hauptwerk „Dianetics: The Modern Science of Mental Health“.
In Berlin wird das Georg-Kolbe-Museum eröffnet.
Der Große Österreichische Staatspreis wird erstmals vergeben.
Rabbit’s Moon, ein Kurzfilm von Kenneth Anger, erscheint.
das Comic Beetle Bailey erscheint.
Gesellschaft
24. März: Der Raubmörder Johann Trnka wird, verurteilt nach österreichischem Recht, in Wien als Letzter am Würgegalgen hingerichtet.
Dezember: Gründung der John S. and James L. Knight Foundation
Religion
12. März: In der Enzyklika Anni sacri verlangt Papst Pius XII. vom Klerus ein Programm zur Bekämpfung des weltweiten Atheismus.
2. Juli: Im Nordwesten der japanischen Stadt Kyōto fällt in der Kinkaku-ji-Tempelanlage der aus dem Jahr 1397 stammende Goldene Pavillon der Brandstiftung eines buddhistischen Mönchs zum Opfer.
30. Oktober: Papst Pius XII. wird nach eigenen Angaben in den Vatikanischen Gärten zum ersten Mal mit dem erlebten Sonnenwunder konfrontiert.
1. November: Die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel wird von Papst Pius XII. als Dogma der römisch-katholischen Kirche verkündet.
6. Dezember: In der Enzyklika Mirabile illud ruft Papst Pius XII. zu öffentlichen Gebeten für den Weltfrieden auf.
Sport
13. Mai bis 3. September: Austragung der 1. Formel-1-Weltmeisterschaft
13. Mai: Der Große Preis von Großbritannien in Silverstone wird als erstes Rennen in der neu konzipierten Formel-1-Weltmeisterschaft ausgetragen. Es gewinnt der spätere Weltmeister Giuseppe Farina.
25. Juni: Der VfB Stuttgart wird deutscher Fußballmeister.
Juni: Austria Wien wird österreichischer Fußballmeister.
Juni: Die komplette Mannschaft des Fußballvereins SG Dresden-Friedrichstadt, darunter auch Helmut Schön, flüchtet aus der DDR nach West-Berlin.
3. Juni: Erstbesteigung der Annapurna und des ersten Achttausenders, des zehnthöchsten Berges der Erde.
3. August: Gründung von Olympique Lyon
16. Juli: Die Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien gewinnt das Nachbarland Uruguay gegen Brasilien mit 2:1.
2. September: Der Deutsche Turnerbund wird wieder gegründet.
3. September: Mit seinem Sieg beim Großen Preis von Italien auf dem Autodromo Nazionale di Monza wird Giuseppe Farina erster Formel-1-Weltmeister nach den sieben Rennen der Saison.
22. November: Die als Verursacher des Zweiten Weltkriegs vom internationalen Spielverkehr im Fußball bislang ausgeschlossenen Deutschen tragen ihr erstes Nachkriegsländerspiel aus. Die DFB-Elf gewinnt 1:0 gegen die Schweiz.
Katastrophen
15. August: Erdbeben der Stärke 8,6 in Assam, Indien, 1.530 Tote
23. August: Der Subansiri-Dammbruch verursacht in Indien eine sieben Meter hohe Flutwelle, die in mehreren Dörfern insgesamt 532 Menschen in den Tod reißt.
Geboren
Januar
1. Januar: Morgan Fisher, britischer Keyboarder
1. Januar: Steve Ripley, US-amerikanischer Country- und Blues-Gitarrist († 2019)
2. Januar: Johannes Riedl, deutscher Fußballspieler († 2010)
2. Januar: David Shifrin, US-amerikanischer Klarinettist und Musikpädagoge
3. Januar: Beth Anderson, US-amerikanische Komponistin
3. Januar: Christoph Delz, Schweizer Komponist und Pianist († 1993)
3. Januar: Robert Robbers, niederländischer Ruder
4. Januar: Christel Happach-Kasan, deutsche Politikerin und MdB
5. Januar: Jakob Brunnschweiler, Schweizer Politiker
5. Januar: Chris Stein, Gitarrist und Mitbegründer der Band Blondie
5. Januar: Krzysztof Wielicki, polnischer Bergsteiger
6. Januar: Constanze Engelbrecht, deutsche Schauspielerin († 2000)
7. Januar: Harry Böseke, deutscher Schriftsteller († 2015)
7. Januar: Erin Gray, US-amerikanische Schauspielerin
7. Januar: Stanley Grenz, US-amerikanischer Theologe und Ethiker († 2005)
8. Januar: Rubén Ayala, argentinischer Fußballspieler und -trainer
8. Januar: Jacques Géron, belgischer Comiczeichner(† 1993)
8. Januar: Jerzy Zieliński, polnischer Kameramann
9. Januar: Alec John Jeffreys, britischer Genetiker
9. Januar: Carlos Kardinal Aguiar Retes, mexikanischer Erzbischof
9. Januar: Gisbert Haefs, deutscher Schriftsteller
9. Januar: Rio Reiser, deutscher Rockmusiker († 1996)
9. Januar: Wolfgang Rohde, deutscher Musiker († 2016)
9. Januar: Willi Zylajew, deutscher Politiker
10. Januar: Winfried Schäfer, deutscher Fußballtrainer
10. Januar: Carlo Siliotto, italienischer Komponist
11. Januar: Erhard Köllner, deutscher Erziehungswissenschaftler
11. Januar: Gwen Norman, US-amerikanische Sprinterin
12. Januar: Sinaida Stepanowna Amossowa, russische Skilangläuferin
12. Januar: Heinrich Fischer, Schweizer Ruderer
13. Januar: Denis Bédard, kanadischer Organist und Komponist
13. Januar: Wolfgang Holzhäuser, deutscher Fußballfunktionär
13. Januar: Bernd Wippich, deutscher Sänger und Musiker († 2014)
14. Januar: Hanne Haller, deutsche Schlagersängerin, Komponistin, Texterin († 2005)
15. Januar: Uli Frommer, deutscher Fußballspieler
15. Januar: Rudi Rauer, deutscher Handballspieler († 2014)
15. Januar: Kurt Schulzke, deutscher Maler, Musiker und Autor († 2017)
15. Januar: Marius Trésor, französischer Fußballspieler
16. Januar: Debbie Allen, US-amerikanische Schauspielerin
16. Januar: Damo Suzuki, deutscher Sänger japanischer Herkunft
17. Januar: Fritz Gautier, deutscher Politiker (SPD)(† 2017)
17. Januar: Paul Rishell, US-amerikanischer Bluesgitarrist
18. Januar: Gilles Villeneuve, kanadischer Formel-1-Rennfahrer († 1982)
19. Januar: Pier Carlo Padoan, italienischer Wirtschaftswissenschaftler und Politiker
20. Januar: Mahamane Ousmane, nigrischer Politiker und Präsident des Niger
20. Januar: Udo Röbel, deutscher Journalist und Autor
21. Januar: Agnes van Ardenne, niederländische Politikerin
21. Januar: Marion Becker, deutsche Leichtathletin
21. Januar: Andrzej Chłopecki, polnischer Musikwissenschaftler und -kritiker († 2012)
21. Januar: Patrick Leclercq, deutscher Journalist († 2011)
21. Januar: Gary Locke, US-amerikanischer Politiker
21. Januar: Silke Maier-Witt, Krankenschwester, Psychologin, RAF-Terroristin
21. Januar: Billy Ocean, Popsänger aus Trinidad
22. Januar: Paul Bew, nordirischer Historiker und Politiker
22. Januar: Werner Schulz, deutscher Politiker († 2022)
23. Januar: Richard Dean Anderson, US-amerikanischer Schauspieler
23. Januar: Danny Federici, US-amerikanischer Musiker († 2008)
23. Januar: Hans-Joachim Sopart, deutscher Politiker
23. Januar: Luis Alberto Spinetta, argentinischer Rockmusiker und -komponist († 2012)
24. Januar: Daniel Auteuil, französischer Schauspieler
24. Januar: Becky Hobbs, US-amerikanische Country-Sängerin
24. Januar: Laura Kelly, US-amerikanische Politikerin
25. Januar: Jean-Marc Ayrault, französischer Politiker und Premierminister
26. Januar: Jörg Haider, österreichischer Politiker († 2008)
26. Januar: Ivan Hlinka, tschechischer Eishockeyspieler und -trainer († 2004)
27. Januar: Ulrich Deppendorf, deutscher Journalist
27. Januar: Hans-Joachim Eckstein, deutscher evangelischer Theologe
27. Januar: Günter Gloser, deutscher Politiker und MdB
28. Januar: Hamad ibn Isa Al Chalifa, König von Bahrain
28. Januar: Anselm Glück, österreichischer Schriftsteller
28. Januar: Bruno Gollnisch, französischer Politiker
28. Januar: Heinz Wewering, deutscher Trabrennfahrer und -trainer
29. Januar: Herbert Langemann, deutscher Schauspieler († 1987)
29. Januar: Jody Scheckter, südafrikanischer Automobilrennfahrer
30. Januar: Barbara Magdalena Ahren, österreichisch-schweizerische Schauspielerin und Theaterregisseurin († 2021)
30. Januar: Hélène Gagné, kanadische Cellistin und Musikpädagogin
30. Januar: Karlheinz Weimar, deutscher Politiker und MdL
31. Januar: Robert Grubb, australischer Schauspieler
31. Januar: Jan Hofer, deutscher Nachrichtensprecher
31. Januar: Wilfried Nippel, deutscher Althistoriker
31. Januar: Leili Pärnpuu, estnische Schachspielerin († 2022)
Februar
1. Februar: Mike Campbell, US-amerikanischer Musiker und Gitarrist
1. Februar: Barbara Büchner, österreichische Schriftstellerin
1. Februar: Tsui Hark, chinesisch-vietnamesischer Regisseur und Produzent
2. Februar: Barbara Sukowa, deutsche Schauspielerin
2. Februar: Serafim Urecheanu, moldawischer Politiker und Bürgermeister
3. Februar: Christian Martin, deutscher Dramatiker, Hörspiel- und Märchenautor
3. Februar: Markku Tuomas Puputti, finnischer Schlagersänger
4. Februar: Leo Dautzenberg, deutscher Politiker
4. Februar: Freya Klier, deutsche Autorin und Regisseurin
5. Februar: Franz Schausberger, österreichischer Politiker
6. Februar: Ağaxan Abdullayev, aserbaidschanischer Mughamsänger und Musikpädagoge († 2016)
6. Februar: Natalie Cole, US-amerikanische Sängerin und Filmschauspielerin († 2015)
6. Februar: Timothy Kardinal Dolan, Erzbischof von New York
6. Februar: René Fasel, Schweizer Eishockeyspieler, Präsident der IIHF
6. Februar: Paul Gentilozzi, US-amerikanischer Automobilrennfahrer und Rennstallbesitzer
7. Februar: Hans-Peter Annen, deutscher Diplomat
7. Februar: Mauro Bellugi, italienischer Fußballspieler († 2021)
7. Februar: Marilyn Cochran, US-amerikanische Skirennläuferin
8. Februar: Paul Kind, liechtensteinischer Radsportler
8. Februar: Jochen Leiß, deutscher Tischtennisspieler
8. Februar: Marcel Ospel, Schweizer Manager, UBS-Verwaltungsratspräsident († 2020)
9. Februar: Shizuka Ijūin, japanischer Schriftsteller
10. Februar: Horst Spengler, deutscher Handballspieler und Handballtrainer
10. Februar: Mark Spitz, US-amerikanischer Schwimmer, Olympiasieger
11. Februar: Tomasz Bugaj, polnischer Dirigent und Musikpädagoge
11. Februar: Jewgeni Sweschnikow, russisch-lettischer Schachmeister († 2021)
12. Februar: Maulana Badruddin Ajmal, indischer Politiker
12. Februar: Angelo Branduardi, italienischer Musiker
12. Februar: Steve Hackett, britischer Musiker
12. Februar: Josef Pešice, tschechischer Fußballspieler und -trainer († 2017)
13. Februar: Bob Daisley, australischer Bassist
13. Februar: Peter Gabriel, britischer Pop-Musiker
13. Februar: Keiko Takemiya, japanische Mangaka
15. Februar: Berthold Huber, deutscher Gewerkschafter
16. Februar: Robert Farle, deutscher Politiker
17. Februar: Fritz Amann, österreichischer Politiker
17. Februar: Wolfgang Hofer, österreichischer Schlagersänger, Komponist und Liedtexter
17. Februar: Ingrid Schubert, österreichische Politikerin
18. Februar: John Hughes, US-amerikanischer Filmregisseur († 2009)
18. Februar: Shahram Nazeri, kurdisch-iranischer Sänger und Komponist
19. Februar: Takanohana Kenshi, japanischer Sumo-Ringer († 2005)
19. Februar: Andy Powell, britischer Gitarrist
20. Februar: Bernhard R. Appel, deutscher Musikwissenschaftler
20. Februar: Ruslan Nuralijewitsch Aschuralijew, sowjetischer Ringer († 2009)
20. Februar: Walter Becker, US-amerikanischer Musiker († 2017)
20. Februar: Tony Wilson, britischer Musikmanager, Nachtclubbetreiber und TV-Journalist († 2007)
21. Februar: Richard Tarnas, Professor für Philosophie and Psychologie
21. Februar: Bruce Vogt, kanadischer Pianist und Musikpädagoge
22. Februar: Aun Schaukat al-Chasauneh, jordanischer Diplomat und Jurist
22. Februar: Julius Erving, US-amerikanischer Basketballspieler
22. Februar: Lenny Kuhr, niederländische Sängerin
22. Februar: Miou-Miou, französische Schauspielerin
22. Februar: Simon Schobel, rumänisch-deutscher Handballspieler und -trainer
22. Februar: Julie Walters, britische Schauspielerin
22. Februar: Peter Zwegat, deutscher Schuldnerberater, Sozialarbeiter und TV-Darsteller
23. Februar: Jean-Herbert Austin, haitianischer Fußballspieler
23. Februar: Klaus Brasch, deutscher Schauspieler († 1980)
23. Februar: Michel Meynaud, französischer Musiker († 2016)
24. Februar: Miguel Arias Cañete, spanischer Politiker
24. Februar: Richard Bandler, Mitentwickler der Neurolinguistischen Programmierung
24. Februar: Klaus Brusch, deutscher Fußballspieler
24. Februar: Michael Greiling, deutscher Schauspieler
24. Februar: George Thorogood, US-amerikanischer Bluesrock-Musiker
25. Februar: Neil Jordan, irischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Produzent
25. Februar: Néstor Kirchner, argentinischer Politiker und Staatspräsident († 2010)
25. Februar: Francisco Fernández Ochoa, spanischer Skirennläufer († 2006)
26. Februar: Kym Anderson, australischer Ökonom
26. Februar: Ott Arder, estnischer Dichter, Kinderbuchautor und Übersetzer († 2004)
26. Februar: Helen Clark, neuseeländische Politikerin und ehemalige Premierministerin
26. Februar: Don Shanks, US-amerikanischer Schauspieler und Stuntman indianischer Abstammung
27. Februar: Gilla, österreichische Sängerin
27. Februar: Pol D. Spanos, US-amerikanischer Ingenieur
28. Februar: Thomas Duttenhoefer, deutscher Bildhauer
28. Februar: Walentyna Kowpan, sowjetische Bogenschützin
März
1. März: Riley Odoms, US-amerikanischer American-Football-Spieler
1. März: Ðuro Savinović, jugoslawischer Wasserballspieler († 2021)
2. März: Abdel Rahim el-Kib, libyscher Politiker († 2020)
2. März: Bernard Kręczyński, polnischer Radsportler
2. März: Nick MacKenzie, niederländischer Sänger
3. März: Stélio Craveirinha, mosambikanischer Leichtathlet und Leichtathletiktrainer († 2020)
3. März: Karl Goldammer, österreichischer Maler († 2020)
3. März: Peter Lovett, britischer Automobilrennfahrer
4. März: Wolfgang Arendt, deutscher Mathematiker
4. März: Rick Perry, US-amerikanischer Politiker
6. März: Felix Genn, Bischof von Essen
6. März: Arthur Roche, britischer Kurienkardinal
6. März: Berthold Tillmann, deutscher Politiker, Oberbürgermeister von Münster
6. März: Walter Vesti, Schweizer Skirennfahrer
7. März: Iris Chacón, puerto-ricanische Tänzerin, Sängerin und Entertainerin
7. März: Billy Joe DuPree, US-amerikanischer American-Football-Spieler
7. März: Reinhard Kaiser, deutscher Schriftsteller und Übersetzer
7. März: Paul Krüger, deutscher Politiker
9. März: Danny Sullivan, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
10. März: Karlheinz Klotz, deutscher Leichtathlet
11. März: Katia Labèque, französische Pianistin (Duo Katia und Marielle Labèque)
11. März: Bobby McFerrin, US-amerikanischer Vokalkünstler
11. März: Dieter Schiele, deutscher Jagd- und Pferdemaler
11. März: Carlo Schmid-Sutter, Schweizer Politiker
12. März: Manfred Jäger, deutscher Endurosportler
12. März: Leo Wieland, deutscher Journalist
13. März: Robert Brandom, US-amerikanischer Professor für Philosophie
13. März: André Brie, deutscher Politiker, Mitglied des Europäischen Parlaments
13. März: Charles Krauthammer, US-amerikanischer Kolumnist († 2018)
13. März: William H. Macy, US-amerikanischer Schauspieler
14. März: Jo Ann Endicott, australische Tänzerin
15. März: Kurt Koch, Schweizer Kardinal
16. März: Joe Bugner, ungarisch-englisch-australischer Schwergewichtsboxer
16. März: Kate Nelligan, kanadische Schauspielerin
16. März: Andrzej Szewczyk, polnischer Maler und Bildhauer († 2001)
17. März: Rötger Feldmann, deutscher Comiczeichner
18. März: James Conlon, US-amerikanischer Dirigent
18. März: Brad Dourif, US-amerikanischer Schauspieler
18. März: Peter Funke, deutscher Althistoriker
18. März: Kay Kohlmeyer, deutscher Vorderasiatischer Archäologe
18. März: Larry Perkins, australischer Automobilrennfahrer
18. März: Claudia Winterstein, deutsche Politikerin
19. März: Kirsten Boie, deutsche Schriftstellerin
19. März: Sergei Timofejew, sowjetischer Ringer († 2021)
19. März: Kurt Weigel, katholischer Priester, Urlauberseelsorger und Buchautor
20. März: Linda Jane Aronson, britische Schriftstellerin
20. März: William Hurt, US-amerikanischer Schauspieler († 2022)
20. März: Carl Palmer, britischer Rockmusiker
20. März: Franz Josef Radermacher, deutscher Mathematiker und Wirtschaftswissenschaftler
20. März: Stanisław Wołodko, polnischer Leichtathlet († 2021)
21. März: Manfred Aschke, deutscher Richter und Jurist († 2023)
21. März: Elvira Grudzielski, Thüringer Heimatforscherin
21. März: Roger Hodgson, britischer Musiker
21. März: Horst Hoffmann, deutscher Schriftsteller
21. März: Sergei Lawrow, russischer Diplomat und seit 2004 Außenminister
21. März: Tiger Okoshi, japanisch-amerikanischer Jazztrompeter
22. März: Hugo Egon Balder, deutscher Schauspieler und Kabarettist
22. März: Pieke Biermann, deutsche Krimi-Schriftstellerin und Übersetzerin
22. März: Goran Bregović, bosnischer Musiker und Komponist
22. März: Ryszard Kubiak, polnischer Ruderer († 2022)
22. März: Herman Weigel, deutscher Film-Produzent und Drehbuchautor
23. März: Barbara von Minckwitz, deutsche Rechtsanwältin
23. März: James David Archibald, US-amerikanischer Zoologe
23. März: Corinne Cléry, französische Schauspielerin
23. März: Michael Easley, US-amerikanischer Politiker und Gouverneur von North Carolina
24. März: Johanna Arenhövel, deutsche Politikerin
24. März: Claudia Lux, deutsche Bibliothekarin
26. März: Peter Paul Ahrens, deutscher Politiker († 2023)
26. März: Martin Short, Schauspieler, Drehbuchautor und Produzent
26. März: Alan Silvestri, US-amerikanischer Komponist
27. März: Tony Banks, britischer Musiker
27. März: David Edgar, US-amerikanischer Schwimmer und Olympiasieger
27. März: Burk Mertens, deutscher Radiomoderator und Karnevalist († 2004)
28. März: Roland Andersson, schwedischer Fußballspieler und -trainer
29. März: Werner Fischer, deutscher Bürgerrechtler
29. März: Mory Kanté, guineischer Musiker († 2020)
30. März: Robbie Coltrane, britischer Schauspieler († 2022)
30. März: Bernd Grimmer, deutscher Volkswirt und Politiker († 2021)
31. März: András Adorján, ungarischer Schachspieler († 2023)
April
1. April: Lothar Binding, deutscher Politiker und MdB
1. April: Paolo Conti, italienischer Fußballspieler
1. April: Billy Currie, britischer Musiker und Songwriter
1. April: Loris Kessel, Schweizer Automobilrennfahrer († 2010)
1. April: Jürgen Liminski, deutscher Journalist und Autor († 2021)
1. April: Ed Nijpels, niederländischer Politiker
2. April: Klaus Arp, deutscher Komponist, Dirigent und Musikpädagoge († 2016)
3. April: Diether Dehm, deutscher Politiker, auch Liedermacher und Autor
3. April: Georges Christoffel Maria Evers, niederländischer Pflegewissenschaftler († 2003)
3. April: Roswitha Müller-Piepenkötter, deutsche Politikerin
4. April: Klaus Kreuzeder, deutscher Saxophonist († 2014)
5. April: Bent Åserud, norwegischer Komponist
5. April: Agnetha Fältskog, schwedische Sängerin
5. April: Harpo, schwedischer Popsänger
6. April: Nelson Dawidjan, sowjetischer Ringer († 2016)
6. April: Tina Engel, deutsche Schauspielerin
6. April: Sue Schell, schweizerisch-amerikanische Sängerin
7. April: Tor Fuglevik, norwegischer Journalist und Medienmanager
7. April: Günther Friedrich Nolting, deutscher Politiker († 2008)
7. April: Cyriak Schwaighofer, österreichischer Politiker
7. April: Franz Wittmann, österreichischer Rallyefahrer
8. April: Hans-Rudolf Bachmann, Schweizer evangelisch-reformierter Pfarrer und Autor
8. April: Martin Grzimek, deutscher Schriftsteller
8. April: Grzegorz Lato, polnischer Fußballspieler
8. April: Margrit Wetzel, deutsche Politikerin und MdB († 2021)
9. April: Zbigniew Kicka, polnischer Boxer († 2022)
9. April: Wolfram Kuschke, deutscher Politiker und Minister des Landes Nordrhein-Westfalen
10. April: Kurt Edler, deutscher Lehrer und Hamburger Politiker († 2021)
10. April: Eddie Hazel, US-amerikanischer Gitarrist († 1992)
11. April: Paul Fromin, französischer Komponist und Dirigent
12. April: Georgi Ananiew, bulgarischer Politiker († 2021)
12. April: Flavio Briatore, italienischer Formel-1-Teamchef
12. April: David Cassidy, US-amerikanischer Schauspieler und Sänger († 2017)
12. April: Emilio Del Guercio, argentinischer Rockgitarrist und -bassist
12. April: Joachim Knape, deutscher Professor für Allgemeine Rhetorik
13. April: Ron Perlman, US-amerikanischer Schauspieler
13. April: Dieter Perlowski, deutscher Schriftsteller
14. April: Péter Esterházy, ungarischer Schriftsteller († 2016)
14. April: Lester Francel, kolumbianischer Gewichtheber († 2021)
15. April: Abd ar-Rahman ibn Hamad al-Attiyya, katarischer Diplomat und Politiker
15. April: Ujal Singh Bhatia, Mitglied des WTO Appellate Body
15. April: Paul Lüönd, Schweizer Schwyzerörgeler und Politiker († 2014)
15. April: Azmi Mohamed Megahed, ägyptischer Volleyballspieler († 2020)
16. April: Luqman Arnold, britischer Manager
16. April: Thierry Perrier, französischer Automobilrennfahrer
18. April: Philip Akin, kanadischer Schauspieler
18. April: Grigori Sokolow, russischer Pianist
18. April: Wolfram Tschiche, DDR-Oppositioneller und Philosoph
19. April: Harald Hein, deutscher Fechter († 2008)
20. April: Humberto Coelho, portugiesischer Fußballspieler und -trainer
20. April: Detlef Helling, deutscher Politiker
20. April: Alexander Iwanowitsch Lebed, russischer Politiker und Gouverneur von Krasnojarsk († 2002)
20. April: Georg Memminger, deutscher Autorennfahrer und Unternehmer
21. April: Benedikt Dyrlich, sorbischer Schriftsteller, Politiker und Chefredakteur
21. April: Michail Schereschewski, russisch-bulgarischer Schachspieler, -trainer und Buchautor
22. April: Peter Frampton, britischer Rockmusiker
23. April: Maria Böhmer, deutsche Politikerin und MdB
24. April: Rob Hyman, US-amerikanischer Musiker
24. April: Anita Lochner, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin
24. April: Helmut Rau, deutscher Politiker und MdL
25. April: Helmut Draxler, österreichischer Manager
25. April: Steve Ferrone, britischer Soul-Schlagzeuger
25. April: Peter Hintze, deutscher Politiker († 2016)
25. April: Heribert Rech, deutscher Politiker
26. April: Patrick Artero, französischer Jazztrompeter, Kornettist und Flügelhorn-Spieler
26. April: Elizabeth Chase, südafrikanisch-simbabwische Hockeyspielerin († 2018)
26. April: L. Shankar, indischer Violinist und Komponist
27. April: Paolino Pulici, italienischer Fußballspieler
27. April: Reinhard Wolf, deutscher Geograph, Natur- und Denkmalschützer, Sachbuchautor
28. April: Martin Asphaug, norwegischer Filmregisseur und Drehbuchautor
28. April: Brian Brett, kanadischer Schriftsteller und Dichter
28. April: Jay Leno, US-amerikanischer Komiker und Fernsehmoderator
29. April: Hans Altherr, Schweizer Politiker
29. April: Karlheinz Hartmann, deutscher Mundartschauspieler († 2023)
29. April: Phillip Noyce, australischer Regisseur
29. April: Yonehara Mari, japanische Schriftstellerin († 2006)
29. April: Bjarne Reuter, dänischer Schriftsteller
30. April: Ursula Auerswald, deutsche Ärztin und Politikerin († 2004)
30. April: Pedro Barceló, spanisch-deutscher Althistoriker
30. April: Iris Davis, US-amerikanische Sprinterin († 2021)
30. April: Christine Hohmann-Dennhardt, deutsche Politikerin und Richterin am Bundesverfassungsgericht
Mai
2. Mai: Ulrich Goll, deutscher Politiker
2. Mai: Angela Krauß, deutsche Schriftstellerin
2. Mai: Manfred Maurenbrecher, deutscher Liedermacher und Autor
2. Mai: Eve Kosofsky Sedgwick, US-amerikanische Gender-Theoretikerin und Autorin († 2009)
3. Mai: Dag Syver Arnesen, norwegischer Pianist
3. Mai: Wolfram Bodag, deutscher Bluesmusiker, Textautor und Komponist
3. Mai: Mary Hopkin, britische Sängerin
3. Mai: Helmuth Pree, österreichischer Kirchenrechtler
4. Mai: Julien Sanchez, französischer Automobilrennfahrer
5. Mai: Maggie MacNeal, niederländische Sängerin
5. Mai: Morton Rhue, US-amerikanischer Schriftsteller
5. Mai: Barbara Salesch, deutsche Richterin
6. Mai: Jeffery Deaver, US-amerikanischer Schriftsteller
6. Mai: Stelian Moculescu, rumänisch-deutscher Volleyballspieler und -trainer
6. Mai: Rainer Potschak, deutscher Fußballspieler
7. Mai: Anna Elisabeth Achatz, österreichische Landwirtin und Politikerin
7. Mai: Hendrik Arnst, deutscher Schauspieler
7. Mai: John Coates, australischer Jurist und Sportfunktionär
7. Mai: Elisabeth Gürtler-Mauthner, österreichische Unternehmerin
7. Mai: Bernd Tauber, deutscher Schauspieler
8. Mai: José Ángel Gurría, mexikanischer Politiker und OECD-Generalsekretär
8. Mai: Nancy Telfer, kanadische Komponistin und Chorleiterin
9. Mai: Luciano Spinosi, italienischer Fußballspieler
11. Mai: Rolf Gith, deutscher Maler, Grafiker und Designer
12. Mai: Bruce Boxleitner, US-amerikanischer Schauspieler
12. Mai: Gabriel Byrne, irischer Filmschauspieler
12. Mai: Günter „Holly“ Holwas, deutscher Bluesmusiker († 2014)
12. Mai: Renate Stecher, deutsche Leichtathletin
13. Mai: Sleiman Hajjar, libanesischer Bischof in Kanada († 2002)
13. Mai: Danny Kirwan, britischer Musiker († 2018)
13. Mai: Stevie Wonder, US-amerikanischer Pop-Sänger
14. Mai: Mark Blum, US-amerikanischer Schauspieler († 2020)
14. Mai: Veljko Barbieri, kroatischer Autor
15. Mai: Ernst Dörfler, deutscher Autor, Umweltschützer und Mitbegründer der Grünen Partei in der DDR
15. Mai: Loucif Hamani, algerischer Boxer († 2021)
15. Mai: Bernd Schröder, deutscher Politiker († 2013)
16. Mai: Johannes Georg Bednorz, deutscher Physiker
16. Mai: Siemen Rühaak, deutscher Schauspieler, Sänger und Regisseur
17. Mai: Howard Ashman, US-amerikanischer Autor und Produzent († 1991)
17. Mai: Janez Drnovšek, slowenischer Politiker und Staatsmann († 2008)
17. Mai: Werther Lohse, deutscher Rockmusiker
17. Mai: Algirdas Martinaitis, litauischer Komponist
17. Mai: Walerija Nowodworskaja, russische radikal-liberale Politikerin und Publizistin († 2014)
17. Mai: Lena Wixell, ehemalige schwedische Kinderdarstellerin
18. Mai: Thomas Gottschalk, deutscher Fernsehmoderator und Schauspieler
18. Mai: Mark Mothersbaugh, US-amerikanischer Musiker, Komponist und Sänger
19. Mai: Peter Ponger, österreichischer Jazzpianist und Filmkomponist
19. Mai: Tadeusz Ślusarski, polnischer Leichtathlet († 1998)
19. Mai: Austin Stevens, südafrikanischer Abenteurer und Dokumentarfilmer
20. Mai: Ray Bellm, britischer Automobilrennfahrer
20. Mai: Victor Lewis, US-amerikanischer Jazz-Schlagzeuger
22. Mai: Michio Ashikaga, japanischer Fußballspieler
23. Mai: Matthias Holtmann, deutscher Hörfunk-Redakteur
23. Mai: Karl Knaup, deutscher Schauspieler und Sprecher
25. Mai: Otomar Kvěch, tschechischer Komponist und Musikpädagoge († 2018)
25. Mai: Thomas Osman, eritreischer Bischof
26. Mai: Jewgeni Gorstkow, sowjetischer Boxer († 2020)
26. Mai: Ewa Klamt, deutsche Politikerin und Mitglied des Europäischen Parlaments
27. Mai: Dee Dee Bridgewater, US-amerikanische Jazz-Sängerin
27. Mai: Rita Grießhaber, deutsche Politikerin
27. Mai: Heinz Lanfermann, deutscher Politiker
29. Mai: Oskar Ansull, deutscher Schriftsteller und Rezitator
29. Mai: Matthias Siegfried Augustin, deutscher Theologe
29. Mai: Lothar Hay, deutscher Politiker
29. Mai: Rebbie Jackson, US-amerikanische Sängerin und Musikerin
30. Mai: Bertrand Delanoë, französischer Politiker, Bürgermeister von Paris
30. Mai: Peter van Roye, deutscher Ruderer
31. Mai: Volker Anding, deutscher Regisseur, Multimediakünstler, Grimmepreisträger und Hochschullehrer
31. Mai: Jorge Enrique Taiana, argentinischer Politiker
Mai: Abu Ubaida al-Banschiri, ägyptischer Terrorist († 1996)
Juni
1. Juni: Tim Bishop, US-amerikanischer Politiker
1. Juni: Gennadi Manakow, sowjetischer Kosmonaut († 2019)
1. Juni: Roger Van Gool, belgischer Fußballspieler
1. Juni: Peter Hans, deutscher Politiker († 2007)
1. Juni: Annemarie Jorritsma, niederländische Politikerin
2. Juni: Nicos Apostolidis, deutsch-griechischer Musiker
2. Juni: Edmond Brooks, australischer Wasserballspieler († 2022)
2. Juni: Jonathan Evans, britischer Politiker
3. Juni: Marianne Bachmeier, deutsche Frau, die den Mörder ihrer Tochter erschoss († 1996)
3. Juni: Melissa Mathison, US-amerikanische Drehbuchautorin († 2015)
3. Juni: Suzi Quatro, US-amerikanische Sängerin
3. Juni: Deniece Williams, US-amerikanische R&B- und Gospel-Sängerin
5. Juni: Avi Assouly, französischer Fußballspieler, Sportjournalist und Politiker
5. Juni: Albrecht Beutelspacher, deutscher Mathematiker
5. Juni: Thea Dückert, deutsche Politikerin
5. Juni: Ronnie Dyson, US-amerikanischer Popsänger († 1990)
5. Juni: Johannes Voggenhuber, österreichischer Politiker
6. Juni: Chantal Akerman, belgische Filmregisseurin und Professorin für Film († 2015)
8. Juni: Sônia Braga, brasilianische Schauspielerin
9. Juni: Ulrich Adam, deutscher Politiker und MdB
9. Juni: Trevor Bolder, englischer Rockbassist († 2013)
9. Juni: Angelika Buck, deutsche Eiskunstläuferin
10. Juni: Hans Hugenholtz Junior, niederländischer Automobilrennfahrer und Unternehmer
10. Juni: Anna Jantar, polnische Schlagersängerin († 1980)
10. Juni: Marcel Khalifé, libanesischer Musiker und Komponist
12. Juni: Klaus Eberhartinger, österreichischer Musiker und Comedian
12. Juni: Wjatscheslaw Iwanowitsch Polunin, russischer Clown
13. Juni: Nick Brown, britischer Politiker und Minister
13. Juni: Gerd Zewe, deutscher Fußballspieler
14. Juni: Cosey, Schweizer Comic-Zeichner und Illustrator
14. Juni: Rowan Williams, Erzbischof von Canterbury
15. Juni: Alan Feinberg, US-amerikanischer Pianist und Musikpädagoge
15. Juni: Christine Hunt, australische Speerwerferin († 2020)
15. Juni: Lakshmi Mittal, indischer Stahlmagnat
16. Juni: Paweł Anweiler, deutscher Theologe
16. Juni: Klaus Lage, deutscher Musiker
17. Juni: Thomas Freitag, deutscher Kabarettist
17. Juni: Rudolf Mang, deutscher Gewichtheber († 2018)
18. Juni: Annelie Ehrhardt, deutsche Leichtathletin
18. Juni: Mike Johanns, US-amerikanischer Politiker
18. Juni: Jackie Leven, britischer Komponist und Folk-Musiker († 2011)
19. Juni: Ann Wilson, Frontsängerin der Gruppe Heart
20. Juni: Gudrun Landgrebe, deutsche Schauspielerin
21. Juni: Rainer Arnold, deutscher Politiker und MdB
21. Juni: Anne Carson, kanadische Dichterin, Essayistin, Übersetzerin und klassische Philologin
21. Juni: John Paul Young, australischer Popsänger
22. Juni: Adrian Năstase, rumänischer Politiker
22. Juni: Zenonas Petrauskas, litauischer Völkerrechtler und Politiker († 2009)
23. Juni: Dave Butz, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2022)
23. Juni: Pavel Gililov, russischer Pianist
23. Juni: Wolfgang Herrmann, deutscher Sänger, Komponist, Texter und Arrangeur
23. Juni: John Katzenbach, US-amerikanischer Schriftsteller
23. Juni: Dieter Kley, deutscher Jurist
23. Juni: Orani João Kardinal Tempesta, Erzbischof von Rio de Janeiro
24. Juni: Wilfried, österreichischer Sänger († 2017)
25. Juni: Dietmar Aschenbach, deutscher Skispringer und Trainer
25. Juni: Paul Breuer, deutscher Politiker, Landrat von Siegen-Wittgenstein
25. Juni: Michel Côté, kanadischer Schauspieler († 2023)
25. Juni: Uğur Erdener, türkischer Sportfunktionär
26. Juni: Peter Gaymann, deutscher Cartoonist und Autor
26. Juni: Klaus Schlagheck, deutscher Handballspieler
27. Juni: Clay Blaker, US-amerikanischer Country-Musiker
27. Juni: Renate Gradistanac, deutsche Politikerin
27. Juni: Ursula Kabas, österreichische Schriftstellerin
28. Juni: Ulvi Arslan, deutscher Bauingenieur
28. Juni: Guttorm Guttormsen, norwegischer Jazzmusiker
28. Juni: Ernst Kranz, deutscher Politiker
28. Juni: Marlene Streeruwitz, österreichische Schriftstellerin
29. Juni: Gerald Thalheim, deutscher Politiker
30. Juni: Bodo Fürneisen, deutscher Filmregisseur und Drehbuchautor
30. Juni: Kris Tompkins, US-amerikanische Unternehmerin und Umweltschützerin
30. Juni: Leonard Whiting, britischer Schauspieler
Juli
1. Juli: Elke Aberle, deutsche Schauspielerin
1. Juli: Konrad Breitenborn, deutscher Historiker und Politiker, MdL
1. Juli: Reinhard Mirmseker, deutscher Eiskunstläufer
2. Juli: Annika Thor, schwedische Schriftstellerin
3. Juli: James Hahn, US-amerikanischer Politiker, Bürgermeister von Los Angeles
5. Juli: Huey Lewis, US-amerikanischer Musiker und Schauspieler
5. Juli: Manfred Schütz, deutscher Unternehmer
6. Juli: Gabriele Albertini, italienischer Politiker
6. Juli: Hans-Joachim Andree, deutscher Fußballspieler
6. Juli: Rainer Osmann, deutscher Handballspieler und -trainer
7. Juli: Vaughn Armstrong, US-amerikanischer Filmschauspieler
7. Juli: Gerda Hasselfeldt, deutsche Politikerin
9. Juli: Wiktor Janukowytsch, ukrainischer Politiker
9. Juli: Adriano Panatta, italienischer Tennisspieler
9. Juli: Ignatius Suharyo Hardjoatmodjo, indonesischer Erzbischof und Kardinal
10. Juli: Prokopis Pavlopoulos, griechischer Staatspräsident
10. Juli: James Anthony Walker, US-amerikanischer Komponist
11. Juli: Petras Ancelis, litauischer Jurist, Kriminalist, Rechtswissenschaftler und Professor
12. Juli: Eric Carr, US-amerikanischer Musiker und Schlagzeuger († 1991)
12. Juli: Helmut Rieder, deutscher Mathematiker
13. Juli: Leonid Gosman, russischer Politiker
14. Juli: Frank Carillo, US-amerikanischer Rockmusiker
15. Juli: Lam Akol Ajawin, sudanesischer Politiker
16. Juli: Gerd Christian, eigentlich Gerd-Christian Biege, deutscher Schlagersänger
17. Juli: Anthony Ríos, dominikanischer Sänger und Komponist († 2019)
17. Juli: Phoebe Snow, US-amerikanische Sängerin († 2011)
17. Juli: Andreas Troge, deutscher Volkswirtschaftler, Präsident des Umweltbundesamtes
18. Juli: Richard Branson, englischer Unternehmer, Ballonfahrer
18. Juli: Robert Harold Bredl, australischer Dokumentarfilmer, Wildparkbesitzer und Reptilienspezialist
18. Juli: Jack Layton, kanadischer Politiker († 2011)
18. Juli: Jakob Tanner, Schweizer Neuzeithistoriker
18. Juli: Mark Udall, US-amerikanischer Politiker
19. Juli: Per-Kristian Foss, norwegischer Politiker
19. Juli: Craig Siebert, US-amerikanischer Automobilrennfahrer († 1999)
20. Juli: Elfriede Kern, österreichische Schriftstellerin
21. Juli: Ubaldo Fillol, argentinischer Fußballspieler
21. Juli: Hans-Kurt Hill, deutscher Politiker
22. Juli: Josef Falkinger, österreichischer Volkswirt
23. Juli: Igor Giorgadse, georgischer Staatssicherheitsminister
23. Juli: Konrad Nabel, deutscher Politiker († 2021)
24. Juli: Walter Schachermayer, österreichischer Mathematiker
24. Juli: James Glickenhaus, US-amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor, Produzent und Investment-Manager
25. Juli: Gerold Amelung, deutscher Diplomat
25. Juli: Juan Roca, kubanischer Basketballspieler († 2022)
28. Juli: Hellmut Königshaus, deutscher Politiker und MdB
28. Juli: Isidore Battikha, syrischer Erzbischof
29. Juli: Monika Auweter-Kurtz, deutsche Physikerin
29. Juli: Jenny Holzer, US-amerikanische Konzeptkünstlerin
29. Juli: Maricica Puică, rumänische Leichtathletin und Olympiasiegerin
29. Juli: Helmut Schmitzberger, österreichischer Komponist und Dirigent
29. Juli: Radu Voina, rumänischer Handballspieler und -trainer
30. Juli: Erroll Fraser, Eisschnellläufer von den Britischen Jungferninseln († 2002)
30. Juli: Frank Stallone, US-amerikanischer Schauspieler und Sänger
31. Juli: Michel Gonneville, kanadischer Komponist
31. Juli: Reinhard Kluth, deutscher Kirchenmusiker († 2020)
31. Juli: Gérard Tremblay, französischer Automobilrennfahrer
August
1. August: Annegrit Arens, deutsche Schriftstellerin und Drehbuchautorin
1. August: Stephan Braunfels, deutscher Architekt
1. August: Roy Williams, US-amerikanischer Basketballtrainer
2. August: Jussi Adler-Olsen, dänischer Autor
2. August: Joan Albert Amargós, spanischer Dirigent und Komponist
2. August: Mathieu Carrière, deutscher Schauspieler
2. August: Ted Turner, britischer Gitarrist
3. August: Waldemar Cierpinski, deutscher Marathonläufer
3. August: John Landis, US-amerikanischer Filmregisseur und Drehbuchautor
3. August: Ernesto Samper, kolumbianischer Politiker, Staatspräsident der Republik Kolumbien
4. August: Giulia Follina, deutsche Schauspielerin
4. August: István Jónyer, ungarischer Tischtennisspieler
4. August: Danny Williams, kanadischer Politiker
5. August: Dieter Ammer, deutscher Manager
5. August: Rosi Mittermaier, deutsche Skirennläuferin († 2023)
5. August: Frank Terletzki, deutscher Fußballspieler
6. August: Damião António Franklin, angolanischer Erzbischof von Luanda († 2014)
7. August: Rodney Crowell, US-amerikanischer Country-Sänger, Songwriter und Produzent
7. August: Éric Graham, französischer Automobilrennfahrer
7. August: Michael Stein, deutscher Schlagersänger († 2021)
7. August: Dave Wottle, US-amerikanischer Mittelstreckenläufer und Olympiasieger
8. August: Martine Aubry, französische Politikerin und Bürgermeisterin von Lille
8. August: W. Craig Broadwater, US-amerikanischer Jurist († 2006)
8. August: Ken Kutaragi, japanischer Manager
8. August: Jamie O’Hara, US-amerikanischer Country-Sänger und -Songwriter († 2021)
9. August: Anémone, französische Schauspielerin († 2019)
9. August: Ulla Brede-Hoffmann, deutsche Politikerin
9. August: Mauro Corona, italienischer Alpinist, Bildhauer und Schriftsteller
10. August: Patti Austin, US-amerikanischer Soul-, R&B und Jazzsängerin
10. August: Rémy Girard, kanadischer Schauspieler
11. August: Elmar Kraushaar, deutscher Journalist und Schriftsteller
11. August: Steve Wozniak, US-amerikanischer Computeringenieur und Unternehmer, Mitbegründer von Apple Computer
12. August: Iris Berben, deutsche Schauspielerin
12. August: George McGinnis, US-amerikanischer Basketballspieler
14. August: Gary Larson, US-amerikanischer Comic-Zeichner und Cartoonist
14. August: Joseph Pehrson, US-amerikanischer Komponist und Pianist († 2020)
15. August: Kurt Andermann, deutscher Historiker und Archivar
15. August: Neil J. Gunther, australischer Wissenschaftler
15. August: Anne, Princess Royal, englische Prinzessin und Tochter von Elisabeth II.
15. August: Jorma Ollila, finnischer Unternehmer
15. August: Gaylen Ross, US-amerikanische Filmschaffende und ehemalige Schauspielerin
15. August: Erwin Stricker, italienischer Skirennläufer und Unternehmer († 2010)
16. August: Hasely Crawford, Leichtathlet aus Trinidad und Tobago
16. August: Wiltrud Drexel, österreichische Skirennläuferin
16. August: Josef Göppel, deutscher Politiker († 2022)
17. August: Christian Kohlund, Schweizer Schauspieler
18. August: Jeffrey Burns, US-amerikanischer Komponist und Pianist († 2004)
18. August: Jerry Martin, US-amerikanischer Skispringer
18. August: Fusanosuke Natsume, japanischer Mangaka und Mangakritiker
18. August: Wjatscheslaw Semenow, sowjetischer Fußballspieler († 2022)
18. August: Ingo Stawitz, deutscher Politiker
19. August: Anita Ammersfeld, österreichische Sopranistin, Schauspielerin und Theaterdirektorin
20. August: Manfred Wittrock, deutscher Psychologe
20. August: Petra Kandarr, deutsche Sprinterin († 2017)
20. August: Irena Kukutz, deutsche Politikerin, Künstlerin und Publizistin
21. August: Patrick Juvet, Schweizer Sänger, Pianist und Songschreiber († 2021)
22. August: Elisabeta Lazăr, rumänische Ruderin
22. August: Lewis Libby, US-amerikanischer Jurist und Politiker
23. August: Luigi Delneri, italienischer Fußballspieler und -trainer
25. August: Nugsar Bagration-Grusinski, Chef des georgischen Königshauses
25. August: Willy DeVille, US-amerikanischer Musiker († 2009)
26. August: Hans-Christoph Ammon, deutscher Brigadegeneral
26. August: Ahmet Özhan, türkischer Sänger der klassischen türkischen und mystischen Musik
27. August: Mario Benusiglio, italienischer Automobilrennfahrer († 2014)
28. August: Roberto Appratto, uruguayischer Schriftsteller und Literaturkritiker
28. August: Michael Anthony Arthur, britischer Diplomat
29. August: Wolfgang Albert, deutscher Arzt
29. August: Norbert Rüther, deutscher Politiker
29. August: Manfred Zöllmer, deutscher Politiker
30. August: Horacio Cabarcos, argentinischer Kontrabassist und Tangomusiker
30. August: Dana, irische Sängerin und Politikerin
30. August: Li Zhanshu, chinesischer Politiker
30. August: Micky Moody, britischer Gitarrist
31. August: Irene Gruss, argentinische Lyrikerin († 2018)
August: Mamady Keïta, guineischer Musiker († 2021)
September
1. September: Wagit Jusufowitsch Alekperow, russischer Unternehmer
1. September: Oscar Cantoni, italienischer Kardinal, Bischof von Como
1. September: Michail Jefimowitsch Fradkow, Ministerpräsident von Russland
1. September: Johann Gärtner, deutscher Politiker
1. September: Stefan Junge, deutscher Leichtathlet
1. September: Neithard Resa, deutscher Bratschist
1. September: Per-Inge Walfridsson, schwedischer Autosportler
2. September: Michael Rother, deutscher Musiker
2. September: Zvonimir Serdarušić, deutscher Handballtrainer
3. September: Jean-Pierre Abelin, französischer Politiker
5. September: Julien Andavo Mbia, kongolesiser Bischof von Isiro-Niangara
6. September: Uwe Kagelmann, deutscher Eiskunstläufer
6. September: Charlie Nearburg, US-amerikanischer Unternehmer und Automobilrennfahrer
6. September: Christoph Sramek, deutscher Musikhistoriker und -kritiker
7. September: Mário Sérgio Pontes de Paiva, brasilianischer Fußballspieler und Journalist († 2016)
8. September: James N. Mattis, US-amerikanischer Militär und Verteidigungsminister
8. September: Léa Pool, schweizerisch-kanadische Filmregisseurin und Drehbuchautorin
8. September: Zachary Richard, US-amerikanischer Singer-Songwriter und Autor
9. September: Ulrike Arnold, deutsche Künstlerin
9. September: Mario Zoryez, uruguayischer Fußballspieler
10. September: Babette Cole, britische Kinderbuchautorin und Illustratorin († 2017)
10. September: Anthony Joseph „Joe“ Perry, US-amerikanischer Musiker
11. September: Barry Sheene, britischer Motorradrennfahrer († 2003)
12. September: Gustav Brunner, österreichischer Formel-1-Konstrukteur
13. September: Josef Arnold, schweizerischer Politiker
13. September: Włodzimierz Cimoszewicz, polnischer Politiker
13. September: Peter Larisch, deutscher Handballspieler
14. September: Paul Kossoff, englischer Rock- und Blues-Gitarrist († 1976)
14. September: Eugene Huu-Chau „Gene“ Trinh, US-amerikanischer Astronaut
14. September: Lukas Beckmann, deutscher Politiker
15. September: Mirza Masroor Ahmad, Khalifat ul-Massih V.
16. September: Arthúr Björgvin Bollason, isländischer Journalist, Schriftsteller und Übersetzer
16. September: Loyola de Palacio, spanische Politikerin († 2006)
17. September: Viktor Lois, ungarischer Bildhauer, Installations- und Multimediakünstler
18. September: Shabana Azmi, indische Filmschauspielerin und Sozialaktivistin
18. September: Luis Contreras, US-amerikanischer Schauspieler († 2004)
19. September: Erkki Liikanen, finnischer Politiker
19. September: André Lombard, Schweizer Meister im Schach
20. September: Hassan Aref, ägyptisch-US-amerikanischer Ingenieur und Physiker († 2011)
20. September: Hans-Peter Wetzel, deutscher Politiker
21. September: Charles Clarke, britischer Politiker
21. September: Bill Murray, US-amerikanischer Schauspieler
21. September: Hans Demant, deutscher Ingenieur und Vorstandsvorsitzender der Adam Opel AG
22. September: Max Färberböck, deutscher Filmregisseur
22. September: Gerd Frähmcke, deutscher Leichtathlet
23. September: Niels Henrik Arendt, dänischer Bischof († 2015)
23. September: George Garzone, US-amerikanischer Jazzsaxophonist und -lehrer
23. September: Ilona Grübel, deutsche Schauspielerin
23. September: Timothy Keller, US-amerikanischer presbyterianischer Theologe, Pastor, Gemeindegründer und Bestsellerautor († 2023)
23. September: Dietmar Lorenz, deutscher Judoka und Olympiasieger († 2021)
24. September: Samuel Joseph Aquila, US-amerikanischer Erzbischof
24. September: Philippe Dermagne, französischer Automobilrennfahrer
24. September: Harriet Walter, britische Schauspielerin
25. September: Jan Paul Niederkorn, österreichischer Historiker
25. September: Helmut Schmiedt, deutscher Literaturwissenschaftler
26. September: Helmut Ahrens, deutscher Biograf und Journalist
26. September: Bärbel Struppert, deutsche Leichtathletin
26. September: Rolf Töpperwien, deutscher Sportreporter
27. September: Fabienne Pakleppa, Schweizer Schriftstellerin
27. September: Emil Sänze, deutscher Betriebswirt und Politiker
28. September: Irene Bereuter, ehemalige österreichische Politikerin (ÖVP) und Landwirtin
28. September: John Sayles, US-amerikanischer Filmregisseur, Drehbuchautor, Produzent und Schauspieler
28. September: Josef Tošovský, tschechischer Bankier und Politiker
29. September: Tom Deininger, deutscher Radiomoderator, Schauspieler und Synchronsprecher († 2022)
30. September: Mariano García Remón, spanischer Fußballtrainer
Oktober
1. Oktober: Uschi Bauer, deutsche Sängerin volkstümlicher Musik
1. Oktober: Randy Quaid, US-amerikanischer Schauspieler
2. Oktober: Pietro Algeri, italienischer Radrennfahrer und Trainer
2. Oktober: Ian McNeice, britischer Schauspieler
2. Oktober: Mike Rutherford, britischer Bassist und Gitarrist
3. Oktober: Dennis Holmes, US-amerikanischer Schauspieler
3. Oktober: Andrzej Szarmach, polnischer Fußballspieler und Fußballtrainer
3. Oktober: Siegfried Voigt, deutscher Handballspieler
4. Oktober: Stefan Bajohr, deutscher Politiker und Sozialwissenschaftler († 2022)
4. Oktober: Michael Heubach, deutscher Rockmusiker und Komponist
4. Oktober: Klaus Scheer, deutscher Fußballspieler
5. Oktober: Paola Felix, Schweizer Sängerin
5. Oktober: Laura Gemser, niederländisch-indonesische Schauspielerin
5. Oktober: Hugo Hovenkamp, niederländischer Fußballspieler
5. Oktober: James Rizzi, US-amerikanischer Künstler († 2011)
6. Oktober: Pierre-Yves Asselin, französischer Organist und Musikpädagoge
6. Oktober: David Brin, US-amerikanischer Science-Fiction-Autor
6. Oktober: Alois Rhiel, hessischer Wirtschaftsminister
8. Oktober: Johanna Auer, österreichische Politikerin
8. Oktober: Miguel Angel Brindisi, argentinischer Fußballspieler
9. Oktober: Thorsten Johansson, schwedischer Sprinter († 2021)
9. Oktober: Jody Williams, US-amerikanische Lehrerin und Menschenrechts-Aktivistin, Nobelpreisträgerin
10. Oktober: Nora Roberts, US-amerikanische Roman-Autorin
10. Oktober: Takashi Yorino, japanischer Automobilrennfahrer
11. Oktober: Albert „Al“ Anderson, US-amerikanischer Gitarrist
12. Oktober: Susan Anton, US-amerikanische Sängerin und Filmschauspielerin
12. Oktober: Roland Asch, deutscher Rennfahrer
12. Oktober: Horst Friedrich, deutscher Politiker
12. Oktober: Andrzej Mitan, polnischer Sänger, Komponist, Konzept- und Videokünstler, Lyriker, Kunstveranstalter und -verleger († 2018)
13. Oktober: Hans Wilhelm Kristofer Agrell, schwedischer Historiker und Schriftsteller
13. Oktober: Mayke de Jong, niederländische Historikerin
13. Oktober: Simon Nicol, britischer Folkrockmusiker
13. Oktober: Annegret Richter, deutsche Leichtathletin
13. Oktober: Rolf Rüssmann, deutscher Fußballspieler und -manager († 2009)
14. Oktober: Kurt Jara, österreichischer Fußballspieler und -trainer
15. Oktober: Horst Stachelhaus, deutscher Bassist und Journalist († 1999)
17. Oktober: Philippe Barbarin, Erzbischof von Lyon und Kardinal der römisch-katholischen Kirche
17. Oktober: Peter Eichstädt, deutscher Politiker
17. Oktober: Erich Kühnhackl, deutscher Eishockeyspieler und -trainer
17. Oktober: Wayne Wong, kanadischer Freestyle-Skier
18. Oktober: Mervyn Africa, britischer Jazzmusiker
18. Oktober: Gudrun Kopp, deutsche Politikerin
18. Oktober: Alexander McLean, neuseeländischer Ruderer
18. Oktober: Annamaria Morini, italienische Musikerin († 2016)
18. Oktober: Wendy Wasserstein, US-amerikanische Dramatikerin († 2006)
20. Oktober: Tom Petty, US-amerikanischer Musiker († 2017)
20. Oktober: Christine Schnell, deutsche Schauspielerin und Theaterpädagogin
21. Oktober: Riccardo Agusta, italienischer Unternehmer und Automobilrennfahrer († 2018)
22. Oktober: Bernd-Ulrich Hergemöller, Historiker und Professor für mittelalterliche Geschichte
22. Oktober: Bill Owens, US-amerikanischer Politiker, Gouverneur von Colorado
23. Oktober: Fidèle Agbatchi, beninischer Erzbischof
23. Oktober: Lothar Doering, deutscher Handballspieler und -trainer
23. Oktober: Wiesław Hartman, polnischer Springreiter († 2021)
23. Oktober: Harry Sacksioni, niederländischer Musiker und Komponist
24. Oktober: Helmut Brandt, deutscher Politiker
24. Oktober: Bert Pronk, niederländischer Radrennfahrer († 2005)
25. Oktober: Chris Norman, britischer Singer-Songwriter
25. Oktober: Fernando Areas Rifan, brasilianischer Bischof
26. Oktober: Jens Asendorpf, deutscher Psychologe
26. Oktober: Anne Bärenz, deutsche Sängerin und Pianistin († 2005)
26. Oktober: Pavel Trávníček, tschechischer Schauspieler und Synchronsprecher
27. Oktober: Richard Clarke, US-amerikanischer Terrorexperte
28. Oktober: Sihem Bensedrine, tunesische Journalistin
28. Oktober: Annette Humpe, deutsche Pop-Sängerin und Musik-Produzentin
29. Oktober: James Dillon, englischer Komponist
29. Oktober: Abdullah Gül, türkischer Politiker
29. Oktober: Inge Höger-Neuling, deutsche Politikerin und MdB
30. Oktober: Adamos Adamou, zyprischer Politiker
30. Oktober: Erika Ober, deutsche Politikerin
31. Oktober: John Candy, kanadischer Komiker und Schauspieler († 1994)
31. Oktober: Harald Ganzinger, deutscher Informatiker († 2004)
31. Oktober: Zaha Hadid, irakisch-britische Architektin und Professorin († 2016)
November
1. November: Robert B. Laughlin, US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger
1. November: Julio F. Largacha, argentinischer Pianist und Professor für Klavier († 2006)
1. November: Mitch Kapor, US-amerikanischer Softwareentwickler und Unternehmer
2. November: Frank Diez, deutscher Gitarrist, Komponist, Texter und Produzent
2. November: Ljubomir Ljubojević, serbischer Schachmeister
2. November: Erika Mann, deutsche Politikerin und MdEP
2. November: Jürgen Wilhelm, deutscher Fußballspieler
3. November: Hias, österreichischer Sänger, Entertainer und Ziehharmonikaspieler († 2007)
4. November: Jon W. Finson, US-amerikanischer Musikwissenschaftler
4. November: Charles Frazier, US-amerikanischer Schriftsteller
4. November: Karlheinz Steinmüller, deutscher Schriftsteller
5. November: Manni von Bohr, deutscher Musiker
5. November: Thorbjørn Jagland, norwegischer sozialdemokratischer Politiker
5. November: Walter Plathe, deutscher Schauspieler
6. November: Lothar Kurbjuweit, deutscher Fußballspieler
6. November: Leonardo Ulrich Steiner, brasilianischer Kardinal, Erzbischof von Manaus
7. November: Lindsay Duncan, britische Schauspielerin
7. November: Robert Redl, deutscher Fußballspieler († 2016)
9. November: Tahani al-Gebali, ägyptische Richterin († 2022)
9. November: Johannes Schmoelling, deutscher Musiker
12. November: Barbara Fairchild, US-amerikanische Country-Sängerin und Songwriterin
12. November: Charlotte Kerner, deutsche Schriftstellerin und Journalistin
12. November: Ulrich Schulze, deutscher Schachspieler
12. November: Coen van Vrijberghe de Coningh, niederländischer Schauspieler († 1997)
15. November: Otis Armstrong, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2021)
16. November: Harvey Martin, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2001)
17. November: Adalbert Durrer, Schweizer Politiker († 2008)
17. November: Christine Heindl, österreichische Politikerin
17. November: Roland Matthes, Weltrekordhalter und vierfacher Olympiasieger im Schwimmen († 2019)
18. November: Graham Parker, britischer Musiker und Songschreiber
20. November: Edward Bozek, US-amerikanischer Fechter († 2022)
20. November: Siegfried Kauder, deutscher Politiker
21. November: Alberto Juantorena, kubanischer Leichtathlet
21. November: Günter Rosenke, deutscher Politiker
21. November: Gennadi Michailowitsch Karponossow, russischer Eiskunstläufer
22. November: Franjo Marincic, deutscher Schauspieler († 2022)
22. November: Steven Van Zandt, US-amerikanischer Musiker, Musikproduzent und Schauspieler
23. November: Manfred Miethe, schweizerisch-deutscher Schriftsteller und Übersetzer
24. November: Marco Biagi, italienischer Professor für Arbeitsrecht († 2002)
24. November: Nikica Valentić, kroatischer Politiker (Premierminister 1993–1995) und Rechtsanwalt († 2023)
25. November: Eckhard Cordes, deutscher Manager
25. November: Giorgio Faletti, italienischer Autor, Moderator, Komponist und Schauspieler († 2014)
26. November: Stefan Bartmann, deutscher Regisseur
26. November: Joël Brachet, französischer Autorennfahrer († 2018)
26. November: Dieter Burdenski, deutscher Fußballspieler
27. November: Wayne Eagling, kanadischer Balletttänzer und Choreograph
27. November: Philippe Delerm, französischer Schriftsteller
27. November: Bernd Hackländer, deutscher Hörspielautor († 2001)
28. November: Emanuel Ammon, Schweizer Fotograf
28. November: Hans Fassnacht, deutscher Schwimmer
28. November: Ed Harris, US-amerikanischer Schauspieler, Regisseur und Produzent
28. November: Russell Hulse, US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger
28. November: Andrä Wolter, deutscher Erziehungswissenschaftler
29. November: Jean-François Baldé, französischer Motorradrennfahrer
29. November: Ian Hideo Levy, amerikanisch-japanischer Schriftsteller und Übersetzer
29. November: Dietmar Danner, deutscher Fußballspieler
29. November: Georg Quander, deutscher Opern- und Filmregisseur, Musikjournalist, Autor und ehemaliger Staatsopernintendant der Deutschen Staatsoper Berlin, Kulturmanager und seit 2005 Kulturdezernent der Stadt Köln
29. November: Einar Henning Smebye, norwegischer Pianist und Musikpädagoge
30. November: Robert Goodin, US-amerikanischer Politikwissenschaftler und politischer Philosoph
30. November: Wolfgang Niersbach, deutscher Sportjournalist und Fußballfunktionär
30. November: Claudia Rieschel, deutsche Schauspielerin
30. November: Alberto Valdés Lacarra, mexikanischer Springreiter († 2020)
30. November: Paul Westphal, US-amerikanischer Basketballspieler und -trainer († 2021)
Dezember
1. Dezember: Absalom Themba Dlamini, Premierminister von Swasiland
1. Dezember: Wolfgang Kreissl-Dörfler, deutscher Politiker
1. Dezember: Ueli Maurer, Schweizer Politiker
1. Dezember: Paul Vincent, deutscher Musiker und Komponist († 2016)
2. Dezember: Otto Georgens, Weihbischof im Bistum Speyer
2. Dezember: Ursela Monn, Schweizer Schauspielerin
4. Dezember: Renate Augstein, deutsche Juristin und Ministerialdirektorin
4. Dezember: Barry Blue, britischer Sänger, Songschreiber und Produzent
4. Dezember: Pierino Gavazzi, italienischer Radrennfahrer
4. Dezember: Ingo Wegener, deutscher Informatiker († 2008)
6. Dezember: Guy Drut, französischer Sportler
6. Dezember: Chris Hodgetts, britischer Automobilrennfahrer
6. Dezember: Hisaishi Joe, japanischer Komponist
7. Dezember: Rimas Andrikis, litauischer Jurist
7. Dezember: Wiesław Kwaśny, polnischer Geiger, Bratschist und Musikpädagoge
8. Dezember: Dan Hartman, US-amerikanischer Musiker († 1994)
8. Dezember: Arthur König, deutscher Politiker, Oberbürgermeister der Hansestadt Greifswald
9. Dezember: Joan Armatrading, britische Sängerin
9. Dezember: Wolfgang Fierek, deutscher Schauspieler und Schlagersänger
9. Dezember: Alan Sorrenti, italienischer Sänger, Gitarrist und Songschreiber
12. Dezember: Heiner Flassbeck, deutscher Wirtschaftswissenschaftler
12. Dezember: Richard Galliano, französischer Jazz-Akkordeonist und Komponist
13. Dezember: Tom Vilsack, Gouverneur von Iowa
14. Dezember: Tamás Holovits, ungarischer Regattasegler († 2023)
14. Dezember: Christiane Krause, deutsche Leichtathletin
14. Dezember: Beatrix Weber-Monecke, deutsche Juristin
15. Dezember: Alain Flotard, französischer Automobilrennfahrer
15. Dezember: Jerry Grossman, US-amerikanischer Cellist
15. Dezember: Boris Gryslow, russischer Politiker
15. Dezember: Stjepko Gut, serbischer Jazztrompeter und -flügelhornist
15. Dezember: Rainer Gutjahr, deutscher Kameramann
15. Dezember: Sophy, puerto-ricanische Sängerin
16. Dezember: Mark Alan Adler, US-amerikanischer Mathematiker
16. Dezember: Krzysztof Baculewski, polnischer Komponist und Musikpädagoge
17. Dezember: Solomon Amanchukwu Amatu, nigerianischer Bischof von Okigwe
17. Dezember: Carlton Lloyd „Carlie“ Barrett, jamaikanischer Schlagzeuger († 1987)
18. Dezember: Gillian Armstrong, australische Regisseurin
18. Dezember: Rolf Gaßmann, deutscher Politiker
18. Dezember: Leonard Maltin, US-amerikanischer Filmkritiker
19. Dezember: Hans-Jürgen Andexer, deutscher Fußballspieler
19. Dezember: Walter Frosch, deutscher Fußballspieler († 2013)
19. Dezember: Jürgen Fuchs, deutscher Bürgerrechtler und Schriftsteller († 1999)
19. Dezember: Imerio Testori, italienischer Motorradrennfahrer († 1976)
20. Dezember: Bongi Makeba, südafrikanische Sängerin und Songwriterin († 1985)
21. Dezember: Thomas Hürlimann, Schweizer Schriftsteller
21. Dezember: Jeffrey Katzenberg, US-amerikanischer Filmproduzent
22. Dezember: Roland Stegmayer, deutscher Fußballspieler
23. Dezember: Vicente del Bosque, spanischer Fußballtrainer und Fußballspieler
23. Dezember: Cyro Baptista, brasilianischer Jazzperkussionist
23. Dezember: Axel Kählert, deutscher Handballspieler
24. Dezember: Jürgen Achtel, deutscher Fußballspieler
24. Dezember: Dana Gioia, US-amerikanischer Lyriker, Essayist und Literaturkritiker
24. Dezember: Urs Kliby, Schweizer Bauchredner
25. Dezember: Karl Rove, US-amerikanischer Parteistratege und Spin Doctor
26. Dezember: Raja Pervez Ashraf, pakistanischer Politiker
27. Dezember: Joe Armstrong, britischer Informatiker († 2019)
27. Dezember: Roberto Bettega, italienischer Fußballspieler
27. Dezember: Terry John Bozzio, US-amerikanischer Schlagzeuger
28. Dezember: Nikolai Jurjewitsch Anfimow, sowjetischer Boxer
28. Dezember: Hugh McDonald, US-amerikanischer Musiker
29. Dezember: Edip Akbayram, türkischer Komponist und Sänger
29. Dezember: Isabel Weicken, deutsche Schauspielerin, Sängerin und Musicaldarstellerin
30. Dezember: Dave Stewart, britischer Keyboarder, Arrangeur und Produzent
30. Dezember: Bjarne Stroustrup, dänischer Informatiker
31. Dezember: Karl Addicks, deutscher Politiker
31. Dezember: Inge Helten, deutsche Leichtathletin und Olympionikin
31. Dezember: Tomás Herrera, kubanischer Basketballspieler († 2020)
Tag unbekannt
Gadschi Achmedowitsch Abaschilow, russischer Journalist und Politiker († 2008)
Ziad Abu Amr, palästinensischer Politiker, Autor und Mitglied des Palästinensischen Legislativrates
Josef Aichholzer, österreichischer Filmproduzent
Musa Khan Akbarzada, afghanischer Politiker
Makio Akiyama, japanischer Astronom
As-Sayyid al-Badawi Schahata, ägyptischer Geschäftsmann und Politiker
Hama Amadou, nigrischer Politiker
Jean-François Amiguet, Schweizer Filmregisseur und Drehbuchautor
Thomas E. Ammann, Schweizer Kunsthändler († 1993)
Mario Angelo, österreichischer Autor und Regisseur († 2015)
Karl Michael Armer, deutscher Herausgeber und Autor
Giuma Ahmed Abdallah Attaiga, libyscher Politiker
Miguel Ausili, argentinisch-italienischer Bildhauer
Maïssa Bey, algerische Schriftstellerin
Kees Boeke, niederländischer Komponist sowie Gambist und Blockflötist
Eckart Brandt, deutscher Pomologe
Stephan Breith, deutscher Cellist
Jorge Gabriel Fontenla, argentinischer Dirigent, Chorleiter und Musikpädagoge
Michael Friedrichs-Friedlaender, deutscher Künstler, fertigt die Stolpersteine an
Larry Gaab, US-amerikanischer Komponist
Heinz Geisler, deutscher Rockmusiker und Komponist
Guo Gengmao, chinesischer Politiker
Angelika Glodde, deutsche Rennreiterin und Galopptrainerin
Qin Guangrong, chinesischer Politiker
Michael Hametner, österreichisch-deutscher Journalist, Redakteur, Sprecher und Kritiker
Thomas Hartmann, deutscher Maler
Bernd Kleinow, deutscher Mundharmonikaspieler
Jörg-Michael Koerbl, deutscher Schriftsteller, Dramaturg, Regisseur und Schauspieler
Etyen Mahçupyan, armenisch-türkischer Journalist
Jean-Jacques Milteau, französischer Bluessänger und Mundharmonikaspieler
Joel Raaen, US-amerikanischer Komponist, Arrangeur, Chorleiter, Posaunist und Musikpädagoge
Ciro Scarponi, italienischer Klarinettist und Komponist († 2006)
Roland Schaeffer, deutscher Musiker
John Schneider, US-amerikanischer Gitarrist
Bruce Roberts, US-amerikanischer Singer-Songwriter
Stefan Siller, deutscher Journalist und Radiomoderator
Andy Statman, US-amerikanischer Mandolinist, Klarinettist, Klezmer-, Jazz- und Bluegrassmusiker
Lukas Stepanik, österreichischer Regisseur und Produzent
Wolfram Syré, deutscher Organist und Musikwissenschaftler
Frieder Venus, deutscher Schauspieler
Marion Verbruggen, niederländische Blockflötistin
Nils Vigeland, US-amerikanischer Komponist
Irena Wisełka-Cieślar, polnische Organistin und Musikpädagogin
Sus Zwick, Schweizer Künstlerin
Gestorben
Januar
2. Januar: Emil Jannings, deutscher Schauspieler (* 1884)
5. Januar: Herbert Bellmer, deutscher Lehrer und Schriftsteller (* 1895)
5. Januar: Oswald Bumke, deutscher Psychiater und Neurologe (* 1877)
5. Januar: John Rabe, deutscher Kaufmann, der 250.000 Chinesen rettete (* 1882)
8. Januar: Joseph Schumpeter, österreichischer Ökonom und Autor (* 1883)
14. Januar: Alma Karlin, österreichisch-jugoslawische Journalistin und Reiseschriftstellerin (* 1889)
15. Januar: Henry Harley Arnold, amerikanischer General (* 1886)
16. Januar: Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, deutscher Diplomat, Leiter des Krupp-Konzerns (* 1870)
21. Januar: Julius Lips, deutscher Ethnologe und Rechtssoziologe (* 1895)
21. Januar: George Orwell, britischer Schriftsteller und Essayist (* 1903)
23. Januar: Wassil Kolarow, bulgarischer Politiker (* 1877)
27. Januar: Orlando Spreng, Schweizer Postbeamter und Schriftsteller (* 1908)
28. Januar: Joe McCoy, US-amerikanischer Blues-Gitarrist und Sänger (* 1905)
30. Januar: Franz Friedrich Andreae, deutscher Bankier (* 1873)
30. Januar: Eugen Ottowitsch Gunst, russischer Komponist (* 1877)
31. Januar: Alfonso Esparza Oteo, mexikanischer Komponist, Pianist und Sänger (* 1894)
Februar
1. Februar: Buddy Stewart, US-amerikanischer Jazzsänger (* 1922)
2. Februar: Elisabeth Brönner, deutsche Politikerin und Mitglied der Weimarer Nationalversammlung (* 1880)
2. Februar: Constantin Carathéodory, deutscher Mathematiker griechischer Herkunft (* 1873)
3. Februar: Karl Seitz, österreichischer Politiker (* 1869)
4. Februar: Charlot Strasser, Schweizer Psychiater und Schriftsteller (* 1884)
6. Februar: Georges Imbert, deutsch-französischer Erfinder (* 1884)
8. Februar: Arthur Kampf, deutscher Historienmaler (* 1864)
8. Februar: Ralph Roese, deutscher Motorrad- und Automobilrennfahrer (* 1900)
10. Februar: Marcel Mauss, französischer Ethnologe (* 1872)
10. Februar: Armen Tigranjan, armenischer Komponist (* 1879)
11. Februar: Friedrich Lindemann, deutscher Schriftsteller und Journalist (* 1898)
12. Februar: Dirk Coster, niederländischer Physiker (* 1889)
12. Februar: Friedrich (Fritz) Gansberg, deutscher Schriftsteller, Volksschullehrer und Reformpädagoge (* 1871)
13. Februar: Rafael Sabatini, italienisch-britischer Schriftsteller (* 1875)
14. Februar: Karl Guthe Jansky, US-amerikanischer Physiker und Radioingenieur (* 1905)
14. Februar: Jean Charles Naber, niederländischer Rechtswissenschaftler (* 1858)
15. Februar: Erich Nehlhans, Vorsitzender der jüdischen Gemeinde zu Berlin (* 1899)
16. Februar: Victor Julius Franz, deutscher Zoologe (* 1883)
20. Februar: Carl Burger, deutscher Bildhauer (* 1875)
25. Februar: George Richards Minot, US-amerikanischer Arzt, Nobelpreisträger (* 1885)
27. Februar: Herbert Assmann, deutscher Internist und Hochschullehrer (* 1882)
27. Februar: Yvan Goll, deutsch-französischer Dichter (* 1891)
27. Februar: Heinrich Waderé, deutscher Bildhauer und Medailleur (* 1865)
März
2. März: George Hively, Us-amerikanischer Drehbuchautor und Filmeditor (* 1889)
3. März: Eugen Klöpfer, deutscher Schauspieler (* 1886)
4. März: Johanne Dybwad, norwegische Schauspielerin (* 1867)
6. März: Albert Lebrun, französischer Politiker und letzter Präsident der Dritten Republik (* 1871)
6. März: Wladimir Wettschinkin, sowjetischer Aerodynamiker (* 1888)
7. März: Sebastian Fichtner, deutscher Generalleutnant des Dritten Reichs (* 1894)
9. März: Felix Buttersack, deutscher Militärarzt und Schriftsteller (* 1865)
11. März: Heinrich Mann, deutscher Schriftsteller (* 1871)
12. März: Howard Sutherland, US-amerikanischer Politiker (* 1865)
15. März: Josef Andre, deutscher Politiker (* 1879)
15. März: Alice Blackwell, US-amerikanische Journalistin und Frauenrechtlerin (* 1857)
15. März: Luise Fleck, österreichische Regisseurin (* 1873)
19. März: Edgar Rice Burroughs, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1875)
20. März: Walter Eucken, deutscher Ökonom (* 1891)
23. März: Josef Schatz, österreichischer Germanist und Mundartforscher (* 1871)
24. März: James Rudolph Garfield, US-amerikanischer Politiker (* 1865)
27. März: Johann Michael Bossard, Schweizer Künstler (* 1874)
27. März: Leopold Hennet, österreichischer Agrarier, Beamter und Minister (* 1876)
27. März: Artur Mahraun, Gründer und „Hochmeister“ des Jungdeutschen Ordens, Begründer der Nachbarschaftsbewegung (* 1890)
28. März: Ernst Hellinger, deutscher Mathematiker (* 1883)
29. März: Jakub Appenszlak, polnischer Journalist, Literaturkritiker und Übersetzer (* 1894)
30. März: Léon Blum, französischer Politiker (* 1872)
30. März: Brynolf Wennerberg, schwedischer Plakatkünstler und Maler (* 1866)
April
2. April: Friedrich Schönauer, deutscher Politiker (* 1904)
3. April: Kurt Weill, deutscher Komponist (* 1900)
8. April: Vaslav Nijinsky, polnisch-russischer Balletttänzer und Choreograph
9. April: Cemil Cem, türkischer Karikaturist und Herausgeber (* 1882)
11. April: Bainbridge Colby, US-amerikanischer Politiker und ehemaliger Außenminister (* 1869)
14. April: Ramana Maharshi, indischer Spiritueller und Yogi (* 1879)
15. April: August Konermann, deutscher römisch-katholischer Pfarrer und Publizist (* 1881)
18. April: Lazarus Goldschmidt, Orientalist (* 1871)
18. April: Wilhelm Scharrelmann, deutscher Lehrer und Schriftsteller (* 1875)
20. April: Warwick Deeping, britischer Schriftsteller (* 1877)
21. April: Johannes Hohlfeld, deutscher Genealoge und Historiker (* 1888)
22. April: Jean Errecaldé, französischer Automobilrennfahrer (* 1893)
23. April: Julian F. Abele, US-amerikanischer Architekt (* 1881)
23. April: Gemma Bellincioni, italienische Opernsopranistin (* 1864)
24. April: Richard Weissbach, deutscher Verleger (* 1882)
27. April: Karl Straube, deutscher Organist und Chorleiter (* 1873)
28. April: Oakes Ames, US-amerikanischer Botaniker (* 1874)
30. April: Palmièri, kanadischer Schauspieler (* 1871)
30. April: Josef Reither, österreichischer Politiker (* 1880)
Mai
2. Mai: Abraham Asscher, niederländischer Diamantenhändler und Politiker (* 1880)
2. Mai: Victor Crumière, französischer Maler (* 1895)
2. Mai: Paul Eugen Sieg, deutscher Physiker und Schriftsteller technischer Zukunftsromane (* 1899)
4. Mai: William Rose Benét, US-amerikanischer Dichter und Herausgeber (* 1886)
10. Mai: Vasile Aftenie, rumänisch Weihbischof (* 1899)
17. Mai: Eduardo Fabini, uruguayischer Komponist (* 1882)
17. Mai: Anton Kolig, österreichischer Maler (* 1886)
19. Mai: Giuseppe Garibaldi der Jüngere, italienischer Abenteurer und Revolutionär (* 1879)
20. Mai: Leopold Andres, österreichischer General, Kartograph und Geodät (* 1866)
21. Mai: Harry L. Davis, US-amerikanischer Politiker (* 1878)
21. Mai: Edgar Herfurth, deutscher Zeitungsverleger (* 1865)
22. Mai: Agnes von Zahn-Harnack, deutsche Lehrerin, Schriftstellerin und Frauenrechtlerin (* 1884)
24. Mai: Trigant Burrow, US-amerikanischer Psychiater (* 1875)
25. Mai: Niels Clemmensen, dänischer Pianist und Komponist (* 1900)
29. Mai: Wilhelm Bendow, deutscher Schauspieler und Komiker (* 1884)
29. Mai: Hermann Gretsch, deutscher Gestalter (* 1895)
30. Mai: William Lemke, US-amerikanischer Politiker (* 1878)
Juni
4. Juni: Ahmad Tajuddin, Sultan von Brunei (* 1913)
16. Juni: Arnold Eucken, deutscher Physikochemiker (* 1884)
17. Juni: Fritz Arnold, deutscher Politiker (* 1883)
18. Juni: Kurt Witte, deutscher Altphilologe (* 1885)
21. Juni: Leopold Ziegenbein, deutscher Seemann (* 1874)
22. Juni: Kurt Fischer, deutscher Politiker (* 1900)
22. Juni: Julio Fonseca, costa-ricanischer Komponist (* 1885)
23. Juni: Franz Springer, deutscher Komponist und Dirigent (* 1881)
27. Juni: Milada Horáková, tschechoslowakische Frauenrechtlerin (* 1901)
27. Juni: Záviš Kalandra, tschechoslowakischer Historiker, Journalist, Publizist und Schriftsteller (* 1902)
29. Juni: Melitta Bentz, Unternehmensgründerin; Erfinderin des Kaffeefilters (* 1873)
Juli
1. Juli: Pjotr Spiridonowitsch Agafoschin, russischer Gitarrist und Musikpädagoge (* 1874)
1. Juli: Émile Jaques-Dalcroze, Komponist und Musikpädagoge (* 1865)
1. Juli: Eliel Saarinen, finnischer Architekt (* 1873)
2. Juli: Eligio Pometta, Schweizer Politiker und Heimatforscher (* 1865)
3. Juli: David Whitworth, britischer Motorradrennfahrer (* 1904)
5. Juli: Salvatore Giuliano, sizilianischer Bandit und Separatist (* 1922)
7. Juli: Fats Navarro, US-amerikanischer Jazztrompeter (* 1923)
15. Juli: Rudolf Friedrich Arnold, deutscher Politiker und Widerstandskämpfer (* 1896)
15. Juli: Heinz-Wolfgang Schnaufer, deutscher Major und Pilot der Wehrmacht (* 1922)
16. Juli: Herman Felhoelter, US-amerikanischer Franziskanerpater und „Kriegsheld“ (* 1913)
16. Juli: Reinhold Wulle, deutscher Politiker und Publizist (* 1882)
19. Juli: Henri Miro, kanadischer Komponist spanischer Herkunft (* 1879)
20. Juli: Albert Riemenschneider, US-amerikanischer Bachforscher und Musikpädagoge (* 1878)
21. Juli: Rex Ingram, irisch-amerikanischer Filmregisseur (* 1892)
22. Juli: William Lyon Mackenzie King, kanadischer Politiker (* 1874)
25. Juli: Elisabeth Langgässer, deutsche Schriftstellerin (* 1899)
26. Juli: Charlie McCoy, US-amerikanischer Blues-Gitarrist, Sänger und Mandolinen-Spieler (* 1909)
29. Juli: Joe Fry, britischer Automobilrennfahrer (* 1915)
30. Juli: Alfred Wiłkomirski, polnischer Geiger, Bratschist und Musikpädagoge (* 1873)
August
2. August: Luigi Lavitrano, Erzbischof von Palermo und Kardinal (* 1874)
4. August: Charles Genequand, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1869)
5. August: Emil Abderhalden, Schweizer Physiologe (* 1877)
5. August: William Emerson Brock, US-amerikanischer Politiker (* 1872)
8. August: Nikolai Mjaskowski, russischer Komponist (* 1881)
18. August: Walter Hubert Weiss, Jazz- und Bigbandmusiker (* 1910)
22. August: Ferdinand Herbst, deutscher evangelischer Theologe (* 1890)
22. August: Jan Johannes Blanksma, niederländischer Chemiker (* 1875)
23. August: Dionisio Anzilotti, italienischer Jurist (* 1867)
24. August: Arturo Alessandri, chilenischer Politiker (* 1868)
24. August: Ernst Wiechert, deutscher Schriftsteller (* 1887)
25. August: Dezyderiusz Danczowski, polnischer Cellist und Musikpädagoge (* 1891)
26. August: Samuel Guyer, Schweizer Kunsthistoriker (* 1879)
26. August: Ransom Eli Olds, US-amerikanischer Autopionier, Gründer des Automobilherstellers Oldsmobile (* 1864)
27. August: Cesare Pavese, italienischer Schriftsteller (* 1908)
29. August: Albert Michael Koeniger, deutscher Kirchenhistoriker und Kanonist (* 1874)
September
2. September: Anton Apold, österreichischer Hütteningenieur (* 1877)
2. September: Edward H. Moore, US-amerikanischer Politiker (* 1871)
5. September: Fritz Steuri, Schweizer Bergführer und Skisportler (* 1879)
6. September: Olaf Stapledon, englischer Science-Fiction-Schriftsteller (* 1886)
8. September: Victor Hémery, französischer Automobilrennfahrer (* 1876)
10. September: Raymond Sommer, französischer Automobilrennfahrer (* 1906)
10. September: Piet Valkenburg, niederländischer Fußballspieler (* 1888)
11. September: Jan Christiaan Smuts, südafrikanischer Staatsmann und General (* 1870)
13. September: Käthe Mahr-Köster, deutsche Malerin (* 1886)
16. September: Robert Gradmann, deutscher Pfarrer, Geograph, Botaniker und Landeskundler (* 1865)
20. September: Melchior Dürst, Schweizer Lehrer, Theatergründer, Regisseur und Bühnenautor (* 1886)
21. September: Anton Kippenberg, deutscher Verleger (* 1874)
22. September: Ralph Carr, US-amerikanischer Politiker (* 1887)
22. September: Friedrich Veiel, deutscher evangelisch-pietistischer Geistlicher, Missionar, Inspektor und Leiter der Pilgermission St. Chrischona (* 1866)
24. September: Rudolf Grashey, Röntgenologe und Arzt (* 1876)
24. September: Viktoria von Hessen-Darmstadt, Prinzessin von Hessen-Darmstadt (* 1863)
27. September: Emmy Gotzmann, deutsche Malerin des Nachimpressionismus (* 1881)
28. September: Joë Bousquet, französischer Schriftsteller (* 1897)
29. September: Duarte Leite Pereira da Silva, portugiesischer Historiker, Journalist, Diplomat und Politiker (* 1864)
29. September: Robert F. Rockwell, US-amerikanischer Politiker (* 1886)
30. September: Hugo Bieber, deutscher Journalist und Literaturhistoriker (* 1883)
30. September: Friedrich Fehér, österreichischer Schauspieler und Filmregisseur (* 1889)
Oktober
2. Oktober: John F. Fitzgerald, US-amerikanischer Politiker (* 1863)
5. Januar: Eugène Flaud, französischer Automobilrennfahrer (* 1881)
5. Oktober: Helen Taylor, US-amerikanische Komponistin, Pianistin und Musikpädagogin (* 1915)
6. Oktober: Albert Perrot, französischer Autorennfahrer (* 1894)
7. Oktober: Willis Carrier, US-amerikanischer Ingenieur und Erfinder (* 1876)
7. Oktober: Louis Halphen, französischer Historiker (* 1880)
9. Oktober: Nicolai Hartmann, deutscher Philosoph (* 1882)
9. Oktober: Dimitri Usnadse, georgischer Wissenschaftler (* 1886)
10. Oktober: Josef Straßberger, deutscher Gewichtheber und Olympiasieger (* 1894)
11. Oktober: Friedrich Ranke, deutscher Germanist und Volkskundler (* 1882)
14. Oktober: António Maria da Silva, portugiesischer Politiker und mehrmaliger Ministerpräsident Portugals (* 1872)
18. Oktober: Paul Krause, deutscher Politiker (* 1905)
18. Oktober: Eugen Neufeld, österreichischer Schauspieler (* 1882)
19. Oktober: Edna St. Vincent Millay, US-amerikanische Schriftstellerin (* 1892)
20. Oktober: Lucien Martin, kanadischer Violinist und Dirigent (* 1908)
22. Oktober: Paul Samuel Leon Johnson, Gründer der Laien-Heim-Missionsbewegung (* 1873)
23. Oktober: Al Jolson, US-amerikanischer Sänger und Entertainer (* 1886)
27. Oktober: Ernst Falkner, deutscher Politiker (* 1909)
29. Oktober: Gustav V., König von Schweden von 1907 bis 1950 (* 1858)
November
1. November: Heinrich Tessenow, deutscher Architekt und Professor (* 1876)
2. November: George Bernard Shaw, irischer Schriftsteller (* 1856)
2. November: Piet van Wijngaarden, niederländischer Motorradrennfahrer (* 1898)
3. November: Herman Schmalenbach, deutscher Philosoph (* 1885)
4. November: Theodor Duesterberg, Funktionär und Vorsitzender des Stahlhelmbundes (* 1875)
5. November: Faiyaz Khan, indischer Sänger klassischer hindustanischer Musik und Komponist (* 1886)
4. November: Eliseo Grenet, kubanischer Pianist und Komponist (* 1893)
7. November: Josef Hassid, polnischer Violinist (* 1923)
11. November: Valentin Appel, deutscher Schauspieler und Regisseur (* 1883)
11. November: Pierre-Jules Boulanger, französischer Manager (* 1885)
12. November: Lesley T. Ashburner, US-amerikanischer Hürdenläufer (* 1883)
14. November: Carl Heinrich Apstein, deutscher Zoologe (* 1862)
16. November: Robert Holbrook Smith, US-amerikanischer Arzt (* 1879)
20. November: Francesco Cilea, italienischer Komponist und Musiklehrer (* 1866)
21. November: Erich Klabunde, deutscher Politiker (* 1907)
22. November: Jorge González Bastías, chilenischer Lyriker (* 1879)
23. November: Hermann Haller, Schweizer Bildhauer (* 1880)
23. November: Schmuel Persow, sowjetisch-jiddischer Schriftsteller (* 1890)
25. November: Johannes Vilhelm Jensen, dänischer Schriftsteller und Nobelpreisträger (* 1873)
25. November: Christian Riecken, deutscher Ingenieur und Automobilrennfahrer (* 1880)
26. November: Hedwig Courths-Mahler, deutsche Schriftstellerin (* 1867)
26. November: Willem Willeke, niederländisch-amerikanischer Cellist, Pianist und Musikpädagoge (* 1879)
30. November: Erich Ziegel, deutscher Schauspieler, Regisseur, Intendant und Bühnenautor (* 1876)
Dezember
1. Dezember: Charles Engelhard, US-amerikanischer Industrieller (* 1867)
1. Dezember: Ernest John Moeran, englischer Komponist (* 1894)
2. Dezember: Dinu Lipatti, rumänischer Pianist und Komponist (* 1917)
5. Dezember: Aurobindo, indischer Politiker, Philosoph und Guru, Entwickler des Integralen Yoga (* 1872)
6. Dezember: Pietro Lana, italienischer Fußballspieler (* 1888)
10. Dezember (andere Angaben: 9. oder 11. Dezember): Georg Hann, österreichischer Kammersänger (Bass) (* 1897)
11. Dezember: Hantaro Nagaoka, japanischer Physiker (* 1865)
12. Dezember: Robert Krups, deutscher Lokalpolitiker (* 1887)
15. Dezember: Vallabhbhai Patel, indischer Staatsmann (* 1875)
19. Dezember: Théodore Steeg, französischer Politiker (* 1868)
21. Dezember: Konrad Graf von Preysing, Kardinal (* 1880)
22. Dezember: Julius Weismann, deutscher Komponist (* 1879)
23. Dezember: Vincenzo Tommasini, italienischer Komponist (* 1878)
24. Dezember: Adolf Attenhofer, schweizerischer Schriftsteller und Indologe (* 1879)
25. Dezember: Rudolf Schwander, Staatssekretär im Reichswirtschaftsamt (* 1868)
25. Dezember: Leopold Stocker, österreichischer rechtsgerichteter Verleger (* 1886)
26. Dezember: John W. Harreld, US-amerikanischer Politiker (* 1872)
26. Dezember: Liane de Pougy, französische Ballett-Tänzerin und Schriftstellerin (* 1869)
27. Dezember: Max Beckmann, deutscher Maler und Graphiker (* 1884)
29. Dezember: Reinhard Süring, deutscher Meteorologe (* 1866)
30. Dezember: Billy Burch, US-amerikanischer Eishockeyspieler (* 1900)
31. Dezember: Charles Koechlin, französischer Komponist (* 1867)
31. Dezember: Karl Renner, österreichischer Politiker (* 1870)
Tag unbekannt
Auguste Aramini, französischer Sänger (* um 1875)
Ernest Archdeacon, französischer Rechtsanwalt und Luftfahrtpionier (* 1863)
Paul Glowka, deutscher Fußballtorhüter (* 1910)
Héctor J. Díaz, dominikanischer Schriftsteller und Komponist (* 1910)
Ferruccio Scattola, italienischer Maler (* 1873)
Agustín Undurraga, chilenischer Maler (* 1875)
Wissenschaftspreise
Nobelpreise
Physik: Cecil Powell
Chemie: Otto Paul Hermann Diels und Kurt Alder
Medizin: Edward Calvin Kendall, Tadeus Reichstein und Philip Showalter Hench
Literatur: Bertrand Russell
Friedensnobelpreis: Ralph Bunche
Fields-Preise
Laurent Schwartz, für die Entwicklung der Theorie der Distributionen (Funktionalanalysis).
Atle Selberg, für die Verallgemeinerung der Siebmethoden von Viggo Brun, Resultate zu den Nullstellen der Riemannschen ζ-Funktion und, parallel zu Paul Erdős, elementarer Beweis und Verallgemeinerung des Primzahlsatzes (Zahlentheorie).
Weblinks
Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD
Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung (1950) im Bundesarchiv
Zeitzeugnisse zur Alltagskultur des Jahres 1950 im Wirtschaftswundermuseum
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Q18597
| 2,219.289139 |
6776
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https://de.wikipedia.org/wiki/1782
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1782
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Amerikanischer Unabhängigkeitskrieg
25./26. Januar: Die Seeschlacht von St. Kitts in Westindien zwischen einer britischen und einer französischen Flotte endet mit einem Sieg der Briten unter Samuel Hood, 1. Viscount Hood. Trotzdem gelingt den Franzosen unter François Joseph Paul de Grasse die Eroberung der Insel St. Kitts.
8. März: Beim Gnadenhütten-Massaker von Ohio erschlagen amerikanische Soldaten 96 christliche Indianer, die zwischen die Fronten des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges geraten sind.
12. April: Bei der karibischen Inselgruppe Îles des Saintes kommt es zur Schlacht von Les Saintes, bei der die britische Flotte unter George Brydges Rodney, 1. Baron Rodney die Franzosen unter François Joseph Paul de Grasse besiegt. Damit endet die französische Bedrohung der British West Indies.
25. Mai bis 12. Juni: Crawford-Feldzug
30. November: Zwischen den dreizehn nordamerikanischen Kolonien und der britischen Krone wird ein vorläufiges Friedensübereinkommen zur Beendigung des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges unterzeichnet.
Heiliges Römisches Reich
15. Januar: Joseph II. hebt die Leibeigenschaft in den Österreichischen Erblanden auf.
2. November: Kaiser Joseph II. erlässt im Rahmen des Josephinismus das Toleranzpatent für die Juden, das ihnen bessere wirtschaftliche Betätigung eröffnet und Beschränkungen in der Religionsausübung aufhebt.
Weitere Ereignisse in Europa
1. Juli: Der Dress Act, mit dem in Schottland das Tragen von Plaid und Kilt sowie die Verwendung von Tartans verboten wurde, wird aufgehoben
Englisch-Niederländischer Krieg (1780–1784)
Asien
6. April: König Taksin wird nach einer Rebellion hingerichtet, Rama I. besteigt als König den Thron von Siam und begründet die Chakri-Dynastie.
21. April: König Rama I. verlegt den Regierungssitz von Thonburi nach Rattanakosin auf das gegenüberliegende Flussufer, und beginnt das Gebiet gemeinsam mit dem Dorf Bang Kok zur Hauptstadt des Königreichs Siam auszubauen.
Wirtschaft
7. Januar: Die private Bank of North America nimmt als erstes kommerzielles Kreditinstitut und als erste Zentralbank in den Vereinigten Staaten ihre Arbeit auf.
2. Juni: In Madrid wird mit Erlaubnis und unter dem Patronat von König Karl III. die Banco Nacional de San Carlos gegründet. Aus ihr entsteht die Zentralbank Banco de España.
Wissenschaft und Technik
Kaiser Joseph II. gründet das Institutum Geometrico-Hydrotechnicum in Budapest.
Der Naturforscher und Mineraloge Franz Joseph Müller von Reichenstein entdeckt das Element Tellur.
Der Astronom Wilhelm Herschel beginnt gezielt mit der Suche nach nebligen Himmelsobjekten.
Charles-Joseph Panckoucke beginnt mit der Herausgabe der Encyclopédie méthodique.
Kultur
Literatur
23. März: In Frankreich erscheint die Erstausgabe des von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos verfassten Briefromans Les Liaisons dangereuses (Gefährliche Liebschaften). Nach vier Wochen sind die gedruckten 2.000 Exemplare ausverkauft.
Musik und Theater
13. Januar: Friedrich Schillers Drama Die Räuber wird im Nationaltheater Mannheim uraufgeführt. Das öffentliche Interesse ist groß, da bereits die ein Jahr zuvor erschienene Druckausgabe großes Aufsehen wegen ihrer offenen Kritik am Feudalsystem erregt hat. Theaterdirektor und Regisseur Wolfgang Heribert von Dalberg will die Handlung dadurch entschärfen, dass er sie 300 Jahre in die Vergangenheit verlegt. Hauptdarsteller August Wilhelm Iffland tritt jedoch in der Rolle des Franz Moor mit zeitgenössischer Kleidung auf. Die Aufführung löst einen Skandal aus.
25. Januar: Uraufführung der Oper Armida abbandonata von Luigi Cherubini in Florenz
16. April: Uraufführung der Oper Adriano in Siria von Luigi Cherubini in Livorno
16. Juli: Wolfgang Amadeus Mozarts deutschsprachige komische Oper Die Entführung aus dem Serail hat ihre Uraufführung im Wiener Burgtheater. Das Libretto von Johann Gottlieb Stephanie basiert auf einem Singspiel von Christoph Friedrich Bretzner, der gegen die unautorisierte Umarbeitung seines Werkes protestiert.
2. September: Das Comoedienhaus in Frankfurt am Main wird eröffnet.
15. September: Die opera buffa Il barbiere di Siviglia von Giovanni Paisiello nach dem Schauspiel Le Barbier de Séville von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais hat ihre Uraufführung in St. Petersburg. Das Werk ist äußerst erfolgreich, bis es im 19. Jahrhundert durch Rossinis Vertonung des gleichen Stoffs fast vollständig aus dem Repertoire der Opernbühnen verdrängt wird.
30. September: Uraufführung der Oper Cora och Alonzo von Johann Gottlieb Naumann an der Hofoper in Stockholm
6. Oktober: Uraufführung der musikalischen Komödie La ballerina amante von Domenico Cimarosa am Teatro dei Fiorentini in Neapel
6. Dezember: Die Uraufführung der Oper Orlando paladino (Der Ritter Roland) von Joseph Haydn erfolgt in Esterház. Das Libretto von Nunziato Porta geht auf eine Episode aus dem Weltbestseller Orlando furioso von Ludovico Ariosto aus dem Jahre 1516 zurück. Das Stück – zu einem geplanten, aber nicht erfolgten Besuch des russischen Großfürsten Paul und seiner deutschen Gemahlin Maria Fjodorowna in Anwesenheit von Kaiser Joseph II. geschrieben und inszeniert – wird bald überall in Europa nachgespielt.
14. September: Uraufführung der Oper Fra due Littiganti il terzo gode von Giuseppe Sarti am Teatro alla Scala di Milano in Mailand
Große Messe in c-Moll von Wolfgang Amadeus Mozart
Das Nibelungenlied erscheint nach Wiederentdeckung im Jahre 1755 in der ersten vollständigen Ausgabe in einem Sammelband von Christoph Heinrich Myller.
Gesellschaft
13. Juni: Anna Göldi wird in Glarus wegen eines angeblichen Giftmordes verurteilt und am gleichen Tag mit dem Schwert hingerichtet. Im Urteil werden die Worte Hexe und Hexerei vermieden, dennoch gilt Göldi als letztes Opfer der Hexenverfolgung in der Schweiz.
16. Juli bis 1. September: Beim großen Freimaurer-Konvent in Wilhelmsbad planen 35 hohe Mitglieder der Organisation die zukünftige Struktur der Organisation. Es soll verstärkt wohltätige Arbeit geleistet und der Name der Strikten Observanz geändert werden.
4. August: In Wien heiraten Wolfgang Amadeus Mozart und Constanze Weber.
3. Oktober: Der Orden des Heiligen Wladimir wird in Russland anlässlich des 20-jährigen Regierungsjubiläums der Zaritza Katharina II. als Verdienstauszeichnung für alle Stände in ursprünglich vier Klassen gestiftet.
Religion
4. Mai: Papst Pius VI. weilt in Augsburg und feiert in der Basilika St. Ulrich und Afra eine Messe.
Katastrophen
4. August: Der britische Ostindienfahrer Grosvenor erleidet vor der südafrikanischen Ostküste Schiffbruch. 15 Menschen kommen bei dem Untergang ums Leben. Nur sechs Überlebende erreichen nach einer Odyssee durch das Hinterland eine niederländische Siedlung.
28. August: Das britische Linienschiff Royal George (100 Kanonen) kentert und sinkt, während es im Solent vor Anker liegt. Zwischen 800 und 950 Menschen ertrinken, darunter Vizeadmiral Richard Kempenfelt und eine große Anzahl von Kindern und Frauen. Der Untergang ist bis heute das schwerste Schiffsunglück in Friedenszeiten in der Geschichte der Royal Navy.
Historische Karten und Ansichten
Geboren
Erstes Quartal
1. Januar: Johann Gottfried Abraham Frenzel, deutscher Maler, Kupferstecher und Kunst-Schriftsteller († 1855)
3. Januar: Juan José de los Reyes Martínez Amaro (El Pípila), mexikanischer Minenarbeiter und Nationalheld († 1863)
4. Januar: Charles K. Williams, US-amerikanischer Politiker († 1853)
11. Januar: Sebastian Rinz, deutscher Stadtgärtner in Frankfurt am Main († 1861)
14. Januar: Carl Ferdinand Langhans, deutscher Architekt († 1869)
15. Januar: Ōkubo Tadazane, Daimyō von Odawara und Rōjū († 1837)
18. Januar: Daniel Webster, US-amerikanischer Politiker, US-Senator und Außenminister († 1852)
19. Januar: Heinrich August Wilhelm von Bülow, Oberforstmeister († 1839)
20. Januar: Josef von Hormayr, österreichischer Geschichtsschreiber († 1848)
20. Januar: Erzherzog Johann, österreichischer Prinz († 1859)
20. Januar: Adolf Theodor Roscher, deutscher Industrieller († 1861)
21. Januar: Jakob Cederström, schwedischer General und Politiker († 1857)
25. Januar: Johann Michael Ackner, österreichischer Archäologe und Naturforscher († 1862)
26. Januar: Cornelius P. Van Ness, US-amerikanischer Politiker († 1852)
29. Januar: Daniel-François-Esprit Auber, französischer Komponist († 1871)
31. Januar: Franz Sinesius Weissenbach, Schweizer Jurist und Politiker († 1848)
1. Februar: Afanassi Grigorjewitsch Grigorjew, russischer Architekt († 1868)
2. Februar: James Chalmers, schottischer Druckereibesitzer und Zeitungsverleger in Dundee († 1853)
4. Februar: Carl Heinrich Aster, deutscher Militärschriftsteller († 1855)
14. Februar: Johann Werner Henschel, deutscher Bildhauer († 1850)
17. Februar: Fjodor Tolstoi, russischer Adeliger, Armeeoffizier, berüchtigter Abenteurer und Duellant († 1846)
19. Februar: Pauline von Sagan, Fürstin von Hohenzollern-Hechingen († 1845)
23. Februar: John Wilson Campbell, US-amerikanischer Richter und Politiker († 1833)
23. Februar: Johann Baptist Emanuel Pohl, österreichischer Botaniker († 1834)
4. März: Johann Rudolf Wyss, Schweizer Autor († 1830)
7. März: Angelo Mai, italienischer Kardinal und Philologe († 1854)
7. März: Franz Sartori, österreichischer Arzt und Schriftsteller († 1832)
14. März: Thomas Hart Benton, US-amerikanischer Politiker († 1858)
18. März: Johann Ludwig Hartz, deutscher Kaufmann, Ratsherr und Stifter in Leipzig († 1833)
17. März: Sophie von Kühn, deutsche Verlobte von Novalis († 1797)
18. März: John C. Calhoun, amerikanischer Politiker und Vizepräsident († 1850)
25. März: Caroline Bonaparte, Schwester von Napoleon Bonaparte, Königin von Neapel († 1839)
24. März: Orest Kiprenski, russischer Maler († 1836)
31. März: Samuel Prentiss, US-amerikanischer Politiker († 1857)
Zweites Quartal
17. April: Friedrich Hellwig, deutscher Sänger, Schauspieler und Regisseur († 1825)
18. April: August Goldfuß, deutscher Paläontologe und Zoologe († 1848)
18. April: Oldwig Anton Leopold von Natzmer, preußischer General († 1861)
21. April: Friedrich Fröbel, deutscher Pädagoge († 1852)
22. April: Karl Henrik Anckarswärd, schwedischer Oberst und Politiker († 1865)
26. April: Maria Amalia von Neapel-Sizilien, Königin der Franzosen († 1866)
3. Mai: Pius Alexander Wolff, deutscher Schauspieler und Schriftsteller († 1828)
6. Mai: Ernst von Krosigk, preußischer Generalleutnant († 1872)
15. Mai: Christoph Bernoulli, Schweizer Naturforscher und Wirtschaftswissenschaftler († 1863)
18. Mai: Ludwig Adolf Wilhelm von Lützow, preußischer General († 1834)
19. Mai: Iwan Paskewitsch, Warschauer Fürst und russischer Generalfeldmarschall († 1856)
22. Mai: Hirose Tansō, japanischer Gelehrter, Pädagoge und Schriftsteller († 1856)
23. Mai: Franz Joseph Konstantin Schömann, deutscher Rechtswissenschaftler († 1813)
25. Mai: Johann Gottlieb Lehmann, deutscher Pädagoge und Philologe († 1837)
26. Mai: Joseph Drechsler, böhmischer Komponist und Musikpädagoge († 1852)
30. Mai: Michail Woronzow, russischer Kommandeur, Generalgouverneur, Vizekönig († 1856)
4. Juni: Christian Martin Joachim Frähn, deutscher Orientalist und Numismatiker († 1851)
9. Juni: Michael von Erdelyi, österreichischer Tierarzt und Hochschullehrer († 1837)
16. Juni: Aimée Davout, Ehefrau von Louis-Nicolas Davout und Schwester von Charles Victoire Emmanuel Leclerc († 1868)
29. Juni: Hans Christian Lyngbye, färöischer Herausgeber des ersten Buchs in färöischer Sprache († 1837)
Juni: Ludwig von Welden, österreichischer Feldzeugmeister († 1853)
Drittes Quartal
2. Juli: Cesare Arici, italienischer Dichter († 1836)
6. Juli: Maria Luisa von Spanien, Königin von Etrurien und Herzogin von Lucca († 1824)
14. Juli: Maximilian Joseph von Österreich-Este, österreichischer Erzherzog, Hochmeister des deutschen Ordens († 1863)
16. Juli: Joachim Heinrich Wilhelm Wagener, deutscher Bankier und Mäzen († 1861)
21. Juli: Ernst von Grossi. deutscher Mediziner und Hochschullehrer († 1829)
24. Juli: John Fox Burgoyne, britischer Feldmarschall († 1871)
26. Juli: John Field, irischer Komponist und Pianist († 1837)
29. Juli: Jesse Wharton, US-amerikanischer Politiker († 1833)
1. August: Eugen von Mazenod, französischer, katholischer Heiliger und Ordensgründer († 1861)
6. August: Hermann Diedrich Piepenstock, deutscher Kaufmann und Fabrikant († 1843)
10. August: Charles James Napier, britischer General, Oberbefehlshaber der Truppen der Ostindien-Kompanie († 1853)
18. August: Marcellin de Marbot, französischer General († 1854)
22. August: Julius August von Bernuth, deutscher Beamter († 1857)
24. August: Kilian Joseph Fischer, deutscher römisch-katholischer Theologe († 1848)
3. September: Christian Ludwig Nitzsch, Mediziner und Biologe († 1837)
14. September: Christian Magnus Falsen, norwegischer Politiker († 1830)
16. September: Daoguang, Kaiser von China († 1850)
18. September: José Tomás Boves, venezolanischer Caudillo († 1814)
19. September: Karl von Fischer, deutscher Architekt († 1820)
19. September: Robert Henry Sale, englischer General († 1845)
23. September: Jacques Féréol Mazas, französischer Violinist und Violinpädagoge († 1849)
23. September: Maximilian zu Wied-Neuwied, deutscher Naturforscher und Ethnograph († 1867)
29. September: Heinrich Ernst von Hoff, deutscher Offizier und Beamter († 1851)
Viertes Quartal
1. Oktober: Bernhard Joseph Docen, deutscher Germanist, Bibliothekar und Schriftsteller († 1828)
3. Oktober: David Johnson, US-amerikanischer Politiker († 1855)
6. Oktober: Karl August Weinhold, deutscher Mediziner († 1829)
7. Oktober: James Lucas Yeo, britischer Marineoffizier († 1818)
9. Oktober: Lewis Cass, US-amerikanischer Militäroffizier, Politiker und Außenminister († 1866)
11. Oktober: Steen Steensen Blicher, deutscher, evangelisch-lutherischer Pfarrer und dänischer Schriftsteller († 1848)
12. Oktober: Henry Dodge, US-amerikanischer Politiker († 1867)
14. Oktober: Anton Dominik Aschbacher, Tiroler Freiheitskämpfer († 1814)
14. Oktober: Christoph Friedrich Dörr, württembergischer Maler und Zeichenlehrer († 1841)
25. Oktober: Levi Lincoln junior, US-amerikanischer Politiker († 1868)
27. Oktober: Niccolò Paganini, italienischer Komponist und Geigenvirtuose († 1840)
1. November: Frederick John Robinson, britischer Politiker († 1859)
5. November: Iossif Iwanowitsch Charlemagne, russischer Architekt († 1861)
12. November: William Hendricks, US-amerikanischer Politiker († 1850)
13. November: Joseph Kornhäusel, österreichischer Architekt († 1860)
13. November: Esaias Tegnér, schwedischer Lyriker († 1846)
17. November: Conrad Graf, deutscher Klavierbauer († 1851)
26. November: Carl Karsten, deutscher Mineraloge und Metallurge († 1853)
5. Dezember: Martin Van Buren, US-amerikanischer Politiker und 8. Präsident der Vereinigten Staaten († 1862)
7. Dezember: Anton Apponyi von Nagy-Apponyi, österreichischer Diplomat († 1852)
8. Dezember: Johann Jakob Sulzer, Schweizer Glockengießer und Unternehmer († 1853)
16. Dezember: Louis-Barthélémy Pradher, französischer Pianist, Komponist und Musikpädagoge († 1843)
23. Dezember: William Armstrong, US-amerikanischer Politiker († 1865)
30. Dezember: Jonas Anton Hielm, norwegischer Jurist und Politiker († 1848)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
William George Keith Elphinstone, britischer Generalmajor († 1842)
George A. Waggaman, US-amerikanischer Politiker († 1843)
Gestorben
Januar bis April
1. Januar: Johann Christian Bach, deutscher Komponist (* 1735)
1. Januar: Juan Crespí, spanischer Franziskaner und Missionar (* 1721)
4. Januar: Ange-Jacques Gabriel, französischer Architekt (* 1698)
18. Januar: John Pringle, britischer Mediziner (* 1707)
20. Januar: Christian Ernst Simonetti, deutscher lutherischer Theologe (* 1700)
28. Januar: Jean-Baptiste Bourguignon d’Anville, französischer Geograf und Kartograf (* 1697)
9. Februar: Giuseppe Luigi Assemani, Priester, Orientalist und Liturgiker
10. Februar: Friedrich Christoph Oetinger, deutscher Theologe, führender Pietist (* 1702)
11. Februar: Phaungkaza Maung Maung, König des birmanischen Königreichs Ava (* 1763)
14. Februar: Manuel d’Amat i de Junyent, spanischer Offizier, hoher Beamter, Gouverneur von Chile und Vizekönig von Peru (* 1704 oder 1707)
16. Februar: Heinrich Carl von Schimmelmann, deutscher Politiker (* 1724)
1. März: John Treutlen, US-amerikanischer Politiker (* 1734)
16. März: Johann Friedrich Schönemann, deutscher Schauspieler und Theaterdirektor in Schwerin (* 1704)
17. März: Daniel Bernoulli, Schweizer Mathematiker und Physiker (* 1700)
18. März: Ernst Jakob Danovius, deutscher lutherischer Theologe (* 1741)
22. März: Joachim Martin Falbe, deutscher Bildhauer, Radierer und Zeichner (* 1709)
30. März: Johann Gehmacher, Salzburger Steinmetzmeister und Bildhauer (* 1716)
März: Johan Vibe, norwegischer Dichter (* 1748)
6. April: Johann Tobias Krebs, deutscher Philologe und Pädagoge (* 1718)
6. April: Taksin, König von Siam (* 1734)
12. April: Pietro Metastasio, italienischer Dichter und Librettist (* 1698)
22. April: Josef Seger, böhmischer Komponist (* 1716)
27. April: John Campbell, 4. Earl of Loudoun, britischer Peer, Politiker und General (* 1705)
Mai bis Juli
6. Mai: Johann Michael Strickner, österreichischer Steinmetzmeister und Bildhauer (* 1717)
8. Mai: Sebastião José de Carvalho e Mello, Marquês de Pombal, portugiesischer Regierungschef (* 1699)
13. Mai: Friedrich Albrecht Augusti, deutscher Theologe und Geistlicher (* 1691)
13. Mai: Johann August von Hellfeld, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1717)
13. Mai: Daniel Solander, schwedischer Botaniker (* 1733)
15. Mai: Philipp Friedrich von Rieger, württembergischer General (* 1722)
15. Mai: Richard Wilson, walisischer Landschaftsmaler (* 1714)
20. Mai: Christoph Gottlieb Schröter, deutscher Komponist (* 1699)
22. Mai: Friederike Caroline Luise von Hessen-Darmstadt, Herzogin von Mecklenburg-Strelitz (* 1752)
22. Mai: Daniel Triller, deutscher Mediziner und Schriftsteller (* 1695)
22. Mai: Friedrich Gottlieb Zoller, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1717)
24. Mai: Carl Friedrich Weidemann, deutscher Flötist und Komponist (* um 1704)
25. Mai: Johann Caspar Goethe, deutscher Jurist und Vater von Johann Wolfgang von Goethe (* 1710)
28. Mai: Ernst Friedrich Wernsdorf, deutscher lutherischer Theologe und Kirchenhistoriker (* 1718)
11. Juni: Juan de Torrezar Díaz y Pimienta, spanischer Offizier, Kolonialverwalter und Vizekönig von Neugranada (* nach 1700)
21. Juni: Georg Wilhelm von Hessen-Darmstadt, hessischer Prinz und General (* 1722)
24. Juni: Anna Göldi, Schweizer Magd, hingerichtet als eine der letzten Hexen Europas (* 1734)
1. Juli: Charles Watson-Wentworth, britischer Premierminister (* 1730)
15. Juli: Isaak Iselin, schweizerischer publizistisch tätiger Geschichtsphilosoph (* 1728)
21. Juli: Placidus von Camerloher, deutscher Komponist (* 1718)
August bis Dezember
6. August: Nicolas Chédeville, französischer Komponist und Oboist (* 1705)
7. August: Andreas Sigismund Marggraf, deutscher Chemiker (* 1709)
10. August: Johann Gottlob Thierbach, deutscher Pädagoge (* 1736)
14. August: Christian Gottfried Struensee, Rektor des Domgymnasiums Stephaneum in Halberstadt (* 1717)
19. August: Francesco de Mura, italienischer Maler (* 1696)
25. August: Marianne von Auenbrugger, österreichische Pianistin und Komponistin (* 1759)
27. August: Henriette Maria Luise von Hayn, deutsche Dichterin geistlicher Lieder (* 1724)
14. September: Nicholas Cooke, US-amerikanischer Politiker (* 1717)
16. September: Farinelli, italienischer Sänger (* 1705)
24. September: Jules Crozet, französischer Entdecker (* 1728)
2. Oktober: Charles Lee, britischer Soldat, General der Kontinentalarmee im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg (* 1732)
23. Oktober: Joseph Riepel, österreichisch-deutscher Musiktheoretiker (* 1709)
9. November: Anna Dorothea Therbusch, deutsche Malerin (* 1721)
21. November: Jacques de Vaucanson, französischer Ingenieur, Erfinder und Flugpionier (* 1709)
24. November: Stefano Evodio Assemani, arabischer Orientalist (* 1711)
2. Dezember: Christian Friedrich Polz, deutscher Logiker und evangelischer Theologe (* 1714)
13. Dezember: Carl Friedrich Aichinger, deutscher Sprachwissenschaftler (* 1717)
26. Dezember: Wilhelm Anton von der Asseburg, Fürstbischof von Paderborn (* 1707)
26. Dezember: Scipione Borghese, Kardinal der katholischen Kirche (* 1734)
Genaues Todesdatum unbekannt
Friedrich Ludwig Abresch, niederländischer Philologe (* 1699)
Anna Maria dal Violin, italienische Violinistin und Geigenpädagogin (* 1696)
Mathias Etenhueber, deutscher Dichter (* 1722)
Franz Joseph Steinböck österreichischer Steinmetzmeister und Bildhauer, Obervorsteher der Wiener Bauhütte (* 1732)
Weblinks
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Q7740
| 298.952198 |
493053
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https://de.wikipedia.org/wiki/1901
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1901
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Das Jahr 1901 markiert den Beginn des 20. Jahrhunderts. Es werden das erste Mal Nobelpreise vergeben. Zu den Preisträgern gehören Wilhelm Conrad Röntgen für die Entdeckung der Röntgenstrahlung und Emil von Behring für die Erforschung der Diphtherie. Henri Dunant erhält zusammen mit dem „Apostel des Friedens“ Frédéric Passy den Friedensnobelpreis.
Die Suffragetten feiern ihren ersten Erfolg: In Norwegen wird das Frauenwahlrecht bei den Kommunalwahlen eingeführt.
Auf der Südhalbkugel wird eine neue Nation gegründet: Die bislang selbständigen Gebiete New South Wales, Victoria, Queensland, South Australia, Western Australia und Tasmanien schließen sich zum Bundesstaat Australien (Commonwealth of Australia) zusammen.
Nach der Niederschlagung des Boxeraufstandes durch die westlichen Kolonialmächte, Japan und Russland wird China zur Unterzeichnung des erniedrigenden Boxerprotokolls gezwungen.
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Deutsches Reich
7. Januar: In Berlin wird die Gesellschaft für soziale Reform gegründet. Hauptziel ist die Erweiterung des Arbeiterschutzes. Initiator und Vorsitzender ist der preußische Minister Hans Hermann Freiherr von Berlepsch. Weitere Gründungsmitglieder sind der Nationalliberale Ernst Bassermann und die zu den „Kathedersozialisten“ zählenden Nationalökonomen Lujo Brentano und Gustav von Schmoller.
17. Juni: In Berlin beginnt die II. Orthographische Konferenz, auf der unter Beteiligung von Konrad Duden Beratungen über die Einheitlichkeit der deutschen Rechtschreibung stattfinden. Am Ende der Konferenz einigen sich die Beteiligten auf ein amtliches Regelwerk für den Behördengebrauch.
Europa
1. Januar: Ernst Brenner wird Bundespräsident der Schweiz
22. Mai: Der Attentäter von Umberto I., Gaetano Bresci, stirbt in Haft durch Selbstmord oder durch Hand der Wachen.
28. Juni: Mit der Militärversicherung wird die erste Sozialversicherung der Schweiz gegründet.
27. September: In Basel wird auf dem Kongress der 1900 gegründeten Internationalen Vereinigung für gesetzlichen Arbeiterschutz beschlossen, die Arbeiterschutzgesetze aller Länder zu sammeln und in drei Sprachen herauszugeben.
Beginn eines Großstreiks in der Mine von Penrhyn (Wales), der damals weltgrößten Mine. Die Auseinandersetzung dauerte zwei Jahre und gehört zu den wichtigsten Arbeitskämpfen im frühen 20. Jahrhundert
Afrika
31. Januar: Die Briten beginnen in Südafrika mit dem Bau von Konzentrationslagern, in denen sie die Buren internieren.
23. Februar: Großbritannien und das Deutsche Reich einigen sich über den Grenzverlauf zwischen Njassa- und Tanganjikasee in Zentralafrika.
10. März: Französische Truppen besetzen die marokkanische Oase Talmima.
15. April: Gustav Adolf Graf von Götzen wird zum neuen Gouverneur der deutschen Kolonie Ostafrika ernannt.
17. Juli: Der belgische Staat sichert sich ein grundsätzliches Erwerbsrecht auf die im Privatbesitz des Königs befindliche Kongokolonie.
19. November: Deutsche Truppen unterdrücken in der Kolonie Kamerun bei Garua einen Aufstand der Fulbe.
28. November: Großbritannien und Italien einigen sich in Rom über die Abgrenzung ihrer Kolonien im Sudan und in Eritrea.
Amerika
5. Februar: Die USA und Großbritannien schließen den nach ihren Unterzeichnern benannten Hay-Pauncefote-Vertrag, der den Bau des Panamakanals unter US-amerikanischer Aufsicht regelt. Der Senat der Vereinigten Staaten verwirft allerdings Einschränkungen, z. B. das Verbot militärischer Befestigungen.
29. Juli: Die Socialist Party of America wird gegründet.
6. August: In den Vereinigten Staaten wird in Oklahoma Land der Kiowa zur Besiedlung durch Weiße freigegeben und ihr Indianerreservat damit de facto aufgelöst.
6. September: Der Anarchist Leon Czolgosz verübt auf der Panamerikanischen Ausstellung in Buffalo ein Attentat auf den US-Präsidenten William McKinley, der den Schussverletzungen 8 Tage später erliegt. An diesem Tag wird Theodore Roosevelt zum neuen Präsidenten vereidigt.
23. September: In Buffalo wird der Attentäter Leon Czolgosz des US-amerikanischen Präsidenten William McKinley, zum Tod durch den elektrischen Stuhl verurteilt. Die Hinrichtung findet am 29. Oktober statt.
25. September: Die Beulenpest bricht in Rio de Janeiro aus.
16. Oktober: Der neue US-Präsident Theodore Roosevelt empfängt den schwarzen Bürgerrechtler Booker T. Washington im Weißen Haus. Innerhalb der antiliberalen Öffentlichkeit sorgt der „Vorfall“ für Empörung. Nach wie vor wird die schwarze Bevölkerung in den USA diskriminiert.
18. November: Zweiter Hay-Pauncefote-Vertrag: Die USA sichern sich gegenüber Großbritannien das Alleinrecht auf den Bau des Panamakanals.
19. November: Um US-amerikanische Wirtschaftsinteressen durchzusetzen, wird das Gebiet der Panama-Eisenbahn in Kolumbien von Marinetruppen besetzt.
30. November: Zum Schutz deutscher Interessen entsendet das Deutsche Reich Marineeinheiten nach Venezuela.
Im Arizona-Territorium werden die Arizona Rangers nach dem Vorbild der Texas Rangers gegründet.
Sozialer Wohnungsbau in New York City: Mit dem Tenement House Act of 1901 wird der Neubau von Mietshäusern auf Grundstücken, die schmaler als 25 Fuß sind, verboten, und es müssen abgetrennte Toiletten mit Fenstern für jede zweite Wohnung zur Verfügung gestellt werden. Alte Wohnungen, in denen Zimmer kein Fenster haben, müssen nun eine mindestens 3×5 Fuß große Öffnung zu einem belüftbaren Raum haben.
Asien
10. Januar: China akzeptiert nach der Niederschlagung des Boxeraufstands, die von den Großmächten diktierten, für China sehr nachteiligen, Friedensbedingungen.
30. Januar: In Niederländisch-Indien besiegt eine niederländische Militärexpedition die Achinesen, deren Festung Batu Ilik erobert wird.
30. März: US-amerikanische Truppen nehmen den philippinischen Präsidenten und Rebellenführer Emilio Aguinaldo gefangen. Daraufhin kapitulieren mehrere Guerillagruppen.
2. Mai: Wegen finanzieller Probleme erklärt die Regierung des japanischen Ministerpräsidenten Itō Hirobumi ihren Rücktritt.
8. Juni: Oskar von Truppel wird neuer Gouverneur der deutschen Kolonie Kiautschou.
7. September: Unterzeichnung des Boxerprotokolls zwischen dem China der Qing-Dynastie und den westlichen Kolonialmächten sowie Japan und Russland.
Australien und Ozeanien
1. Januar: Die bislang selbständigen Gebiete New South Wales, Victoria, Queensland, South Australia, Western Australia und Tasmanien schließen sich zum Bundesstaat Australien (Commonwealth of Australia) zusammen. Gleichzeitig wird eine einheitliche Bundesverfassung verabschiedet. Als Vertreter der britischen Königin wird Lord John Adrian Hopetown als erster Generalgouverneur vereidigt. Premierminister der ersten Regierung wird Edmund Barton.
15. Juli: Francis James Gillen und Walter Baldwin Spencer gelingt die erste Durchquerung Westaustraliens von Süden nach Norden.
Die Cookinseln (seit 1888 britisches Schutzgebiet) kommen zu Neuseeland.
Wirtschaft
Erdölboom
10. Januar: Eine riesige Erdölfontäne schießt bei einer Bohrung am Spindletop Hill bei Beaumont in Texas in die Höhe, verdreifacht die US-Erdölförderung über Nacht und lässt die texanischen Mineralölunternehmen (unter anderem Texaco) entstehen.
28. Mai: William Knox D’Arcy erhält für 20.000 £ in bar und 20.000 £ in Aktien eine 60-jährige Konzession zur Erkundung von Erdöllagerstätten im Iran.
Geld- und Wirtschaftskrise
25. Juni: Die Insolvenz der Leipziger Bank stürzt den Bundesstaat Sachsen in eine schwere Wirtschafts- und Regierungskrise. Nach dem Skandal wächst im Deutschen Reich das Misstrauen gegenüber den Geldinstituten. Die Bank stellt am 26. Juni den Konkursantrag.
Unternehmensgründungen
Im Januar gründen George Hendee und Oscar Hedstrom den weltweit ersten Hersteller von Serienmotorrädern, die Firma Indian.
25. Februar: John Pierpont Morgan gründet nach dem Zukauf des Stahlunternehmens von Andrew Carnegie gemeinsam mit Elbert H. Gary die United States Steel Corporation. Sie beherrscht im Gründungsjahr zwei Drittel des US-Stahlmarkts.
1. Juli: In Neufchâtel gründen sechzehn schweizerische Schokoladenunternehmen die „Union libre des fabricants suisses de chocolat“ (heute: Chocosuisse). Erster Präsident wird Carl Russ-Suchard.
George Westinghouse übernimmt die in Schwierigkeiten geratene Hub Motor Company von Charles Berg und H. L. Irwin und beginnt mit seiner Westinghouse Electric & Manufacturing Company mit dem Bau von Elektrofahrzeugen.
Verkehr
1. Januar: Auf Madagaskar wird die erste Autostraße der Welt (Länge: 200 km) eingeweiht.
1. Januar: Die Große Berliner Straßenbahn führt auf ihren Straßenbahnlinien innerhalb des Berliner Weichbildes und diverser Vororte einen Einheitstarif von zehn Pfennig ein.
1. Januar: Die Schweizerische Centralbahn geht in das Bundeseigentum über. Am 1. Januar 1902 wird das Unternehmen in die Schweizerischen Bundesbahnen integriert.
1. März: In Elberfeld wird das erste Teilstück der Wuppertaler Schwebebahn für den Personenverkehr freigegeben. Die Schwebebahn nimmt auf der ersten Teilstrecke Zoologischer Garten – Kluse den Betrieb auf.
4. April: In Belfast läuft die Celtic als größtes Passagierschiff der Welt vom Stapel.
5. Mai: Nahe dem Piccadilly Circus entsteht Londons erstes Parkhaus, das sich über sieben Etagen erstreckt.
26. Mai: In Wien wird die II. Internationale Automobilausstellung eröffnet.
22. Oktober: Der Bau der Trasse für die Trans-Aral-Eisenbahn von Taschkent nach Orenburg beginnt offiziell.
1. November: Der russische Finanzminister Sergei Witte teilt Nikolaus II. den Abschluss des Baus der Ostsibirischen Eisenbahn bis Wladiwostok und Port Arthur telegraphisch mit. Obwohl für die abschließenden Arbeiten noch zwei Jahre benötigt werden, wird der provisorische Bahnverkehr sofort aufgenommen.
In Los Angeles wird die Standseilbahn Angels Flight in Betrieb genommen. Sie gilt zu diesem Zeitpunkt als die kürzeste Bahnstrecke der Welt.
Sonstige wirtschaftliche Ereignisse
27. Februar: Die Billigung des Achtstundentags für Bergarbeiter erfolgt durch das britische Unterhaus. Die entsprechende gesetzliche Regelung wird sieben Jahre später verabschiedet.
29. Juni: Die Banque de l'Afrique Occidentale für die französischen Kolonien in Westafrika wird gegründet.
30. November: Frank Hornby erhält in Großbritannien ein Patent auf den von ihm erfundenen Metallbaukasten. Unter dem Namen Meccano wird das Spielzeug zum Erfolg.
2. Dezember: King Camp Gillette stellt seinen ersten Rasierapparat mit auswechselbaren Klingen vor. Der wirtschaftliche Durchbruch der Gillette Company erfolgt im Jahr 1904.
10. bis 25. Dezember: Eines der Kernstücke beim Salon de l'automobile, du cycle, et des sports in Paris ist das noch in Bau befindliche Prallluftschiff Ville de Paris des französischen Industriellen Henri Deutsch de la Meurthe von der Société Mallet, Mélandri et de Pitray.
31. Dezember: Das erste europäische Fernheizwerk nimmt in Dresden seinen Betrieb auf.
Wissenschaft und Technik
Antarktisforschung
Goldenes Zeitalter der Antarktis-Forschung
6. August: Mit dem Auslaufen der RRS Discovery von der Isle of Wight beginnt die British National Antarctic Expedition unter der Leitung von Robert Falcon Scott.
11. August: Unter der Führung des Geophysikers Erich von Drygalski beginnt die erste deutsche Antarktis-Expedition.
16. Oktober: In Göteborg legt die Schwedische Antarktisexpedition unter der wissenschaftlichen Leitung Otto Nordenskjölds mit dem Schiff Antarctic zur Forschungsfahrt ab.
Naturwissenschaften
30. Juni: Der britische Gouverneur Henry Hamilton Johnston präsentiert Wissenschaftlern Schädelknochen und das Fell eines Okapis. Das in Zentralafrika neu entdeckte Tier gilt als wissenschaftliche Sensation und war bis dahin nur den Pygmäen bekannt.
31. Juli: Die deutschen Meteorologen Arthur Berson und Reinhard Süring erreichen im Gasballon Preussen die Weltrekordhöhe von 10.800 Metern. Ihre Temperaturmessungen ebnen den Weg zur Entdeckung der Stratosphäre im Jahre 1902.
8. September: In der Grotte Les Combarelles im Département Dordogne entdeckt ein Forschungsteam um Henri Breuil Felszeichnungen aus der Cro-Magnon-Zeit.
Entdeckung des Bacillus thuringiensis
Karl Landsteiner entdeckt das AB0-System der Blutgruppen, wofür er später den Nobelpreis bekommt.
Der Niederländer Hugo de Vries gibt eine Schrift zur Mutationstheorie heraus, wobei er Erkenntnisse von Gregor Mendel zur Evolution fortentwickelt.
Der deutsche Chemiker Emil Fischer isoliert erstmals die proteinogene Aminosäure Valin aus dem Protein Casein.
Psychologie
2. Januar: Sigmund Freud publiziert seine Arbeit Zur Psychopathologie des Alltagslebens, auf die sich die Redewendung Freud'scher Versprecher zurückführen lässt.
Sonstiges
25. März: Der erste Zweitakt-Dieselmotor wird in Guide Bridge bei Manchester getestet.
7. Mai: Die niederländische Regierung plant die Trockenlegung der Zuidersee. Für dieses Projekt veranschlagt sie Baukosten in Höhe von 95 Millionen Gulden und eine Arbeitsdauer von 18 Jahren.
26. Mai: Ein deutsch-britisches Telegraphenkabel wird zwischen Borkum und Bacton in Betrieb genommen.
3. Oktober: Wilhelm Kress unternimmt seinen Flugversuch mit einem Wasser-Flugzeug am Wienerwaldsee.
19. Oktober: Der Brasilianer Alberto Santos-Dumont umkreist mit einem lenkbaren Luftschiff den Pariser Eiffelturm.
21. Oktober: Die Akademie für Handels- und Sozialwissenschaft wird in Frankfurt am Main eröffnet.
24. Oktober: Die US-Amerikanerin Annie Edson Taylor überlebt als erster Mensch den Sturz über die Klippen der Niagara-Fälle in einem selbstgebauten Fass.
10. Dezember: Der schwedische König verleiht zum ersten Mal den nach seinem Stifter Alfred Nobel benannten Nobelpreis in Stockholm und Oslo.
12. Dezember: Auf Neufundland empfängt der Italiener Guglielmo Marconi erstmals drahtlose Signale aus Übersee. Damit ist die erste Funkverbindung über den Atlantik hergestellt.
Gründung der École française d’Extrême-Orient in Hanoi
Johan Korbuly erfindet Matador (Spielzeug).
Kultur
Architektur
4. Oktober: Die Drachenbrücke in Ljubljana wird nach über einjähriger Bauzeit feierlich eröffnet. Die in Melan-Bauweise errichtete Stahlbetonbrücke gilt als Meisterwerk der Jugendstil-Architektur. Ihr Name leitet sich von den vier geflügelten Drachen an den Enden der Brücke ab, die wiederum den Drachen im Wappen von Ljubljana verkörpern.
Bildende Kunst
15. Mai: Die Darmstädter Künstlerkolonie wird feierlich eröffnet.
15. August: In München wird eine Ausstellung der von Wassili Kandinsky gegründeten Künstlergruppe „Phalanx“ eröffnet.
Der spanische Maler Pablo Picasso malt die ersten Bilder der Blauen Periode.
Das Toledo Museum of Art wird gegründet.
Edvard Munch malt die erste Fassung des Ölgemäldes Mädchen auf der Brücke.
Max Liebermann malt zwei Gemälde mit dem Titel Zwei Reiter am Strand.
Um 1901: Paul Cézanne: Schädelpyramide
Literatur
26. Februar: Thomas Manns Gesellschaftsroman Buddenbrooks wird in zwei Bänden vom S. Fischer Verlag veröffentlicht.
August: In der englischen Zeitschrift The Strand Magazine erscheinen die ersten beiden Kapitel von Arthur Conan Doyles The Hound of the Baskervilles. Die Fans atmen auf – Sherlock Holmes ist zurück.
Die Romane der Gegenwart von Anatole France in Paris
Kim, ein Spionage-Roman für Jugendliche von Rudyard Kipling in New York City
Jerusalem von Selma Lagerlöf in Stockholm
Das philosophische Werk Das Leben der Bienen von Maurice Maeterlinck in Paris
Der sozialkritische Roman Der Oktopus von Frank Norris in New York
Stadt und Gebirge von José Maria Eça de Queiroz
Lieutenant Gustl von Arthur Schnitzler, im Vorjahr Zeitungsbeilage, erscheint nun als Buch in Berlin.
Einer der ersten englischen Science-Fiction-Romane erscheint: Die ersten Menschen auf dem Mond von Herbert George Wells.
Musik und Theater
31. Januar: Uraufführung des Dramas Drei Schwestern von Anton Tschechow in Moskau
9. März: UA des Passionsspiels Ostern von August Strindberg in Frankfurt am Main
16. März: UA der 1. Sinfonie von Alexander Skrjabin in Moskau
31. März: UA der lyrischen Oper Rusalka von Antonín Dvořák am Národní Divadlo
5. Oktober: UA der Operette Jadwiga von Rudolf Dellinger am Residenztheater in Dresden
11. Oktober: UA der Hochstapler-Komödie Der Marquis von Keith von Frank Wedekind in Berlin
19. Oktober: UA der Orchestermärsche Pomp and Circumstance von Edward Elgar in Liverpool
20. Oktober: Das Münchner Prinzregententheater wird eröffnet.
27. Oktober: UA des 2. Klavierkonzerts von Sergei Rachmaninow in Moskau
9. November: UA der spätromantischen Oper Die Rose vom Liebesgarten von Hans Pfitzner in Elberfeld
20. November: UA der Oper Grisélidis von Jules Massenet an der Opéra-Comique in Paris
25. November: UA der 4. Sinfonie von Gustav Mahler in München
9. Dezember: UA der melodramatischen Tragödie Francesca da Rimini von Gabriele D’Annunzio in Rom; seine Geliebte Eleonora Duse spielt die Titelrolle
UA des Schauspiels Totentanz von August Strindberg
Sonstiges
18. Januar: Ernst von Wolzogen gründet in Berlin mit dem Überbrettl das erste deutsche Kabarett
18. Dezember: Der Museumsneubau, der erste Bau des heutigen Pergamonmuseums, wird in Berlin eröffnet.
Gesellschaft
1. Januar: In Hamburg wird das Hafenkrankenhaus in Betrieb genommen.
11. Januar: Gründung der König-Friedrich-Stiftung durch die Berliner Stadtverordnetenversammlung. Sie wurde mit 1 Million Mark finanziert, um die schlechte Wohnsituation in der Reichshauptstadt zu verbessern.
7. Februar: Königin Wilhelmina heiratet in den Niederlanden den deutschen Herzog Heinrich zu Mecklenburg.
1. Mai: München erhält dank einer großzügigen Schenkung des Ingenieurs und Philanthropen Karl Müller das erste öffentliche Hallenbad. Das Müllersche Volksbad ist bei der Eröffnung das weltweit teuerste und größte Objekt seinesgleichen.
29. Oktober: Im Staatsgefängnis von Auburn (New York), wird auf dem elektrischen Stuhl Leon Czolgosz hingerichtet, der Attentäter des US-Präsidenten William McKinley. Im Sarg wird der Leichnam des Hingerichteten zusätzlich mit Schwefelsäure übergossen, die den Körper binnen 24 Stunden auflöst.
29. Oktober: Die US-amerikanische Polizei nimmt die Krankenschwester Jane Toppan fest, nachdem die angeordnete Obduktion von vier Leichen der Familie Davis Tod durch Gift ergeben hat. Toppan erweist sich anschließend als Serienmörderin, die dutzende Male tödliche Injektionen verabreicht hat.
4. November: Der Student Karl Fischer initiiert die Wandervogelbewegung. In Steglitz bei Berlin gründet er den Wandervogel-Ausschuß für Schülerfahrten e. V.
Religion
22. Februar: Der russische Schriftsteller Lew Nikolajewitsch Tolstoi wird wegen blasphemischer Äußerungen in seinem Roman Auferstehung aus der russisch-orthodoxen Kirche ausgeschlossen. Es kommt zu Menschenaufläufen und Demonstrationen für Tolstoi in Moskau und Sankt Petersburg.
22. März: Adalbert Endert, Bischof von Fulda, verkündete in einem Hirtenbrief, dass er Ehen zwischen Katholiken und Protestanten ablehnt und nur dulden wird, wenn eine katholische Trauung stattfinden wird und die zu erhoffenden Kinder katholisch getauft werden. Die evangelischen Landeskirchen kritisieren den Hirtenbrief scharf.
17. Mai: Die klerikale Presse droht mit Boykott des Schulunterrichts, nachdem die bayrische Staatsregierung das Vorhaben katholischer Bischöfe ablehnte, katholische Lehrer und Lehrerinnen, die in „Mischehen“ leben und ihre Kinder protestantisch erziehen lassen, aus dem Schuldienst zu entlassen.
30. Mai: Gründung des Bistums Altoona-Johnstown
9. Oktober: Die italienische Regierung untersagt dem Klerus, Kirchen für nichtreligiöse, vor allem für politische Zwecke zu nutzen.
17. Oktober: Aus konfessionellen Rücksichten besetzt die Universität Straßburg den Lehrstuhl für neuere Geschichte mit dem Protestanten Friedrich Meinecke und dem Katholiken Martin Spahn doppelt.
Katastrophen
22. Februar: Der amerikanische Passagierdampfer City of Rio de Janeiro sinkt in der Bucht von San Francisco nach der Kollision mit einem Unterwasserfelsen. 138 der 220 Menschen an Bord kommen ums Leben. Der Untergang der City of Rio de Janeiro gilt als das bis heute schwerste Schiffsunglück im San Francisco Bay Area.
3. Mai: In einer Matratzenfabrik in Jacksonville (Florida) bricht ein Feuer aus, dem man mit ein paar Eimern Wasser Herr zu werden glaubt. Die Flammen breiten sich rascher aus als gedacht, ein achtstündiger Brand zerstört schließlich 2.368 Häuser in der Stadt und macht etwa 10.000 Einwohner obdachlos.
15. August: Der kanadische Passagierdampfer Islander rammt im Lynn Canal einen Eisberg und sinkt innerhalb von 15 Minuten, wobei 40 Passagiere und Besatzungsmitglieder ihr Leben verlieren.
16. November: Bei schweren Stürmen sinken vor der britischen Küste 33 Schiffe, dabei ertrinken 187 Menschen.
Sport
9. Februar: In Stockholm werden die ersten Nordischen Spiele, die Vorläufer der Olympischen Winterspiele, eröffnet.
10. März: Die Berliner Kunstfahrer Paul und Otto Lüders stellen der deutschen Öffentlichkeit das Radball-Spiel vor. Erfunden hatte es der US-Amerikaner Nick Kaufmann zehn Jahre zuvor.
25. Mai: Der argentinische Fußballclub Club Atlético River Plate wird in Buenos Aires im Stadtteil La Boca gegründet.
27. Mai: Der Offenbacher Fußball Club Kickers 1901 e. V. wird gegründet.
29. Juni: Henri Fournier gewinnt die Automobilfernfahrt Paris – Aachen – Hannover – Berlin um den Kaiser-Wilhelm-Preis in einer Fahrzeit von 15 Stunden und 33 Minuten.
5. August: Der irische Leichtathlet Peter O’Connor springt in Dublin 7,61 Meter weit. Er wird später daher erster Weitspringer in der Weltrekordliste der IAAF.
12. August: Mit dem FC Luzern wird einer der wichtigsten Sportclubs der Schweiz gegründet.
14. September: In der Londoner Prinz-Albert-Hall findet der erste Bodybuilding-Wettbewerb („The Great Competition“), organisiert von Eugen Sandow, statt.
Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik.
Nobelpreise
1901 werden erstmals die von Alfred Nobel testamentarisch gestifteten Nobelpreise vergeben.
Geboren
Januar
1. Januar: Filippo Anfuso, italienischer Diplomat, Staatssekretär und Politiker († 1963)
1. Januar: Eiichi Ataka, japanischer Unternehmer († 1994)
1. Januar: Willibald Pschyrembel, deutscher Arzt und Autor († 1987)
3. Januar: George W. F. Hallgarten, US-amerikanischer Historiker († 1975)
3. Januar: Ngô Đình Diệm, erster Präsident der Republik Vietnam († 1963)
3. Januar: Eric Voegelin, Politologe und Philosoph († 1985)
3. Januar: Josef Schoiswohl, österreichischer Bischof († 1991)
3. Januar: Ngô Đình Diệm, erster Präsident von Südvietnam († 1963)
4. Januar: C. L. R. James, Kulturkritiker, Journalist, Theoretiker und Schriftsteller († 1989)
4. Januar: Hermann zu Leiningen, deutscher Automobilrennfahrer († 1971)
5. Januar: Klaus Bonhoeffer, deutscher Jurist und Widerstandskämpfer († 1945)
5. Januar: Walter Lüthi, reformierter Pfarrer († 1982)
6. Januar: Patrick Aherne, britischer Schauspieler († 1970)
6. Januar: José Gaspar d’Afonseca e Silva, brasilianischer Erzbischof († 1943)
7. Januar: Robert Neufang, deutscher Politiker und Fußballfunktionär († 1972)
7. Januar: Konrad von Schubert, deutscher Botschafter († 1973)
7. Januar: Elisabeth Schwarzhaupt, deutsche Politikerin († 1986)
8. Januar: Walter Dirks, deutscher Publizist, Schriftsteller und Journalist († 1991)
9. Januar: Ishman Bracey, US-amerikanischer Blues-Sänger und Gitarrist († 1970)
9. Januar: Chic Young, US-amerikanischer Cartoonist und Comiczeichner († 1973)
10. Januar: Henning von Tresckow, Generalmajor der deutschen Wehrmacht und Widerstandskämpfer († 1944)
11. Januar: Herbert Molwitz, deutscher Kupferstecher und Radierer († 1970)
12. Januar: Kurt Jooss, deutscher Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge († 1979)
13. Januar: Wilhelm Hanle, deutscher Physiker († 1993)
14. Januar: Bebe Daniels, amerikanische Schauspielerin († 1971)
14. Januar: Rudi Schiemann, Kabarettist und Schauspieler in der DDR († 1970)
15. Januar: Guido Schmidt, österreichischer Diplomat und Politiker († 1957)
16. Januar: Fulgencio Batista, Staatspräsident und Diktator von Kuba († 1973)
17. Januar: Herbert Grabert, deutscher Verlagsgründer († 1978)
17. Januar: William A. Mueller, US-amerikanischer Tontechniker († 1992)
18. Januar: Murayama Tomoyoshi, japanischer Schriftsteller und Theaterleiter († 1977)
18. Januar: Pem, deutsch-britischer Journalist und Schriftsteller († 1972)
19. Januar: Armand Schulthess, Schweizer Objekt- und Textkünstler († 1972)
19. Januar: Fred Uhlman, deutscher Rechtsanwalt, Maler und Schriftsteller († 1985)
20. Januar: Juan García Oliver, spanischer Anarchist und Syndikalist († 1980)
20. Januar: Karl Gilg, deutscher Schachspieler († 1981)
21. Januar: Charles Grant Loomis, US-amerikanischer Germanist und Folklorist († 1963)
21. Januar: Clärenore Stinnes, Weltreisende, Automobilrennfahrerin († 1990)
21. Januar: Ricardo Zamora, spanischer Fußballspieler († 1978)
22. Januar: Hans Erich Apostel, Komponist und Vertreter der Zweiten Wiener Schule († 1972)
22. Januar: Ken G. Hall, australischer Filmproduzent, -regisseur und Drehbuchautor († 1994)
23. Januar: Richard Bevan Austin, US-amerikanischer Jurist († 1977)
24. Januar: Walther Bullerdiek, deutscher Schauspieler, Hörspielsprecher und Komponist († 1971)
24. Januar: A. M. Cassandre, Grafikdesigner, Typograf, Maler, Bühnenbildner und Lehrer († 1968)
24. Januar: Willy Czernik, deutscher Operetten- und Filmkomponist († 1996)
24. Januar: Michail Iljitsch Romm, russischer Regisseur († 1971)
24. Januar: Karl-Eduard Wilke, deutscher Generalmajor († 1990)
25. Januar: Roman Cycowski, Mitglied der Comedian Harmonists († 1998)
27. Januar: Lilly Becher, deutsche Schriftstellerin und Publizistin († 1978)
27. Januar: Willy Fritsch, deutscher Schauspieler († 1973)
28. Januar: Takahashi Shinkichi, japanischer Lyriker († 1987)
29. Januar: Heinrich Anacker, schweizerisch-deutscher Schriftsteller († 1971)
29. Januar: Mary Eaton, US-amerikanische Schauspielerin († 1948)
30. Januar: Ramón Díaz Freeman, dominikanischer Komponist, Fagottist und Organist († 1976)
30. Januar: Hans Erich Nossack, deutscher Schriftsteller († 1977)
30. Januar: Rudolf Caracciola, deutscher Automobilrennfahrer († 1959)
30. Januar: William Kroll, US-amerikanischer Geiger, Komponist und Musikpädagoge († 1980)
31. Januar: Marie Luise Kaschnitz, deutsche Lyrikerin und Autorin von Erzählungen († 1974)
Februar
1. Februar: Clark Gable, US-amerikanischer Schauspieler († 1960)
2. Februar: Jascha Heifetz, Violinist († 1987)
2. Februar: Walter Vinson, US-amerikanischer Blues-Musiker († 1975)
4. Februar: Katharina Winter, Unterstützerin der Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 († 2005)
7. Februar: Hans Kossatz, deutscher Karikaturist, Comiczeichner und Illustrator († 1985)
8. Februar: Gustav Dahrendorf, deutscher Politiker und Journalist († 1954)
10. Februar: Stella Adler, US-amerikanische Bühnen- und Filmschauspielerin († 1992)
10. Februar: Arthur Jores, deutscher Mediziner († 1982)
10. Februar: Richard Brauer, deutsch-amerikanischer Mathematiker († 1977)
13. Februar: Max Kröckel, deutscher Sportler in den nordischen Skidisziplinen († 1986)
13. Februar: Paul Felix Lazarsfeld, österreichisch-amerikanischer Soziologe († 1976)
14. Februar: Petter Moen, norwegischer Mathematiker und im Widerstand gegen deutsche Besetzung († 1944)
14. Februar: Hans Schütz, deutscher Politiker († 1982)
15. Februar: André Parrot, französischer Archäologe († 1980)
15. Februar: Jupp Schmitz, deutscher Unterhaltungskünstler, Schlager- und Krätzchensänger († 1991)
15. Februar: Kokomo Arnold, US-amerikanischer Blues-Musiker († 1968)
16. Februar: Joseph Ackermann, Schweizer Politiker († 1987)
16. Februar: Eugen Huth, deutscher Politiker († 1976)
16. Februar: Reinhold Ebertin, deutscher Astrologe, Kosmobiologe und Esoteriker († 1988)
17. Februar: Kajii Motojirō, japanischer Schriftsteller († 1932)
18. Februar: Alfred Grünberg, deutscher Arbeiter und Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus († 1942)
19. Februar: Florence Green, letzte bekannte Veteranin des Ersten Weltkriegs († 2012)
19. Februar: Hans Grundig, Maler und Graphiker († 1958)
20. Februar: César Geoffray, französischer Komponist und Chorleiter († 1972)
20. Februar: Franz Wanderer, deutscher Marathonläufer († 1944)
21. Februar: Emilio Comici, italienischer Alpinist und Höhlenforscher († 1940)
21. Februar: Ivar Lo-Johansson, schwedischer Schriftsteller († 1990)
23. Februar: Ludwig Frederick Audrieth, US-amerikanischer Chemiker († 1967)
23. Februar: Edgar Ende, deutscher Maler († 1965)
25. Februar: Zeppo Marx, US-amerikanischer Komiker († 1979)
26. Februar: Alexandr Hořejší, tschechischer Dichter und Übersetzer († 1970)
26. Februar: Leslie Munro, neuseeländischer Botschafter von Neuseeland in den USA († 1974)
27. Februar: Elizabeth Hill, US-amerikanische Drehbuchautorin († 1978)
27. Februar: Marino Marini, italienischer Künstler († 1980)
27. Februar: Goffredo Zehender, italienischer Automobilrennfahrer († 1958)
28. Februar: Rudolf Nilsen, norwegischer Dichter († 1929)
28. Februar: Linus Pauling, US-amerikanischer Chemiker († 1994)
März
1. März: Tommy Jarrell, US-amerikanischer Fiddle- und Banjospieler und Sänger († 1985)
3. März: Otto Müller, deutscher Verleger († 1956)
3. März: Gwen Wakeling, US-amerikanische Kostümbildnerin († 1982)
4. März: Erwin Hartung, Refrainsänger, Schauspieler († 1986)
4. März: Hans Klüver, deutscher Schachproblemkomponist († 1989)
4. März: Piotr Perkowski, polnischer Komponist († 1990)
4. März: Jean-Joseph Rabearivelo, madagassischer Schriftsteller († 1937)
5. März: Louis I. Kahn, US-amerikanischer Architekt und Stadtplaner († 1974)
5. März: Leni Timmermann, deutsche Pianistin und Autorin († 1992)
6. März: Naum Iljitsch Achijeser, ukrainischer Mathematiker († 1980)
6. März: Ernest Gibson, US-amerikanischer Politiker († 1969)
6. März: Wladimir Pyschnow, sowjetischer Aerodynamiker († 1984)
7. März: Louis Mercier, US-amerikanischer Schauspieler französisch-algerischer Abstammung († 1993)
8. März: Karl Abenthum, deutscher katholischer Pfarrer († 1976)
8. März: Julius Bochmann, deutscher Lehrer und Philatelist, Begründer des Bochmann-Kataloges der deutschen Gelegenheitsstempel († 1957)
8. März: Wilhelm Pleyer, deutscher Autor († 1974)
9. März: Humberto Mello Nóbrega, brasilianischer Literaturhistoriker und Schriftsteller († 1978)
10. März: Jules Lavigne, belgischer Fußballspieler († 1957)
11. März: Josef Martin Bauer, deutscher Schriftsteller († 1970)
11. März: Wilton E. Hall, US-amerikanischer Politiker († 1980)
11. März: Karl Hoffmann, deutscher Politiker († 1981)
13. März: Beppo Afritsch, österreichischer Gartentechniker und Politiker († 1964)
13. März: Margaret Craven, US-amerikanische Schriftstellerin († 1980)
13. März: Gebhard Seelos, deutscher Politiker († 1984)
13. März: Norman Woodlieff, US-amerikanischer Old-Time-Musiker († 1985)
14. März: Sidney James Montford Atkinson, südafrikanischer Leichtathlet († 1977)
14. März: János Esterházy, ungarischer Adeliger und Politiker († 1957)
15. März: Erwin Balzer, deutscher evangelisch-lutherischer Theologe († 1975)
15. März: Erich Fiedler, deutscher Schauspieler († 1981)
15. März: Theo Uden Masman, niederländischer Pianist und Journalist († 1965)
16. März: Walter Erich Schäfer, deutscher Dramaturg und Generalintendant des Württembergischen Staatstheaters († 1981)
17. März: Christoph Aschmoneit, deutscher Schiffbauingenieur († 1984)
17. März: Alexander Bicks, US-amerikanischer Jurist († 1963)
17. März: Ludolf-Hermann von Alvensleben, Adjutant Heinrich Himmlers und Gruppenführer der SS († 1970)
18. März: Willi Ankermüller, deutscher Jurist und Politiker († 1986)
19. März: Josef Wirmer, Widerstandskämpfer, NS-Opfer († 1944)
20. März: Josef Adamczyk, deutscher Politiker († 1971)
21. März: Karl Arnold, deutscher Politiker († 1958)
21. März: Rudolf Harms, deutscher Schriftsteller († 1984)
22. März: Oliver Strunk, US-amerikanischer Musikwissenschaftler und -pädagoge († 1980)
24. März: Ub Iwerks, US-amerikanischer Trickfilmzeichner und -techniker († 1971)
24. März: Kim Peacock, britischer Schauspieler, Hörspielsprecher und Drehbuchautor († 1966)
24. März: Josef Pfitzner, deutscher Historiker († 1945)
25. März: Raymond Firth, neuseeländischer Ethnologe († 2002)
27. März: Carl Barks, US-amerikanischer Maler, Cartoonist und Texter († 2000)
27. März: Enrique Santos Discépolo, argentinischer Komponist († 1951)
27. März: George Dowty, britischer Industrieller und Erfinder († 1975)
27. März: Erich Ollenhauer, SPD-Parteivorsitzender und Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion († 1963)
27. März: Satō Eisaku, 61. bis 63. Premierminister Japans († 1975)
28. März: Märtha von Schweden, schwedische Prinzessin und Kronprinzessin von Norwegen († 1954)
29. März: Sidney Arodin, US-amerikanischer Jazz-Klarinettist und Komponist († 1948)
30. März: Ali Razmara, General und Premierminister des Iran († 1951)
31. März: Otto Kellerhals, Schweizer Staatsbeamter († 1990)
April
1. April: William Harding Anderson, britischer Eishockeyspieler († 1983)
1. April: Francisco Ascaso Budría, spanischer Anarchist († 1936)
1. April: Walther Böttcher, deutscher Politiker († 1983)
1. April: Hugo Geiger, deutscher Politiker († 1984)
2. April: Karl Höll, deutscher Lebensmittelchemiker († 1997)
4. April: Adam Adrio, deutscher Hochschullehrer und Musikwissenschaftler († 1973)
5. April: Curt Bois, deutscher Schauspieler († 1991)
5. April: Doggie Julian, US-amerikanischer Basketballtrainer († 1967)
5. April: Melvyn Douglas, US-amerikanischer Schauspieler († 1981)
5. April: Luigi Malipiero, deutscher Theaterregisseur und -intendant, Schauspieler und Bühnenbildner († 1975)
6. April: Marian Hemar, polnischer Dichter († 1972)
8. April: Jean Prouvé, französischer Architekt und Designer († 1984)
11. April: Alexander Alexandrowitsch Andronow, sowjetischer Physiker († 1952)
11. April: Theodor Rogalski, rumänischer Komponist († 1954)
13. April: Jacques Lacan, französischer Psychoanalytiker († 1981)
13. April: Paul Yü Pin, Erzbischof von Nanking und Kardinal der römisch-katholischen Kirche († 1978)
14. April: Max Dominicé, Schweizer evangelischer Geistlicher († 1975)
14. April: Antonie Straßmann, deutsche Schauspielerin, Besatzungsmitglied des Flugschiffes Dornier DO-X (D-1929) bei der Atlantiküberquerung († 1952)
14. April: Martin Kessel, deutscher Schriftsteller († 1990)
15. April: Joe Davis, englischer Snooker- und Billardspieler († 1978)
15. April: René Pleven, französischer Politiker († 1993)
17. April: Raúl Prebisch, argentinischer Entwicklungsökonom († 1986)
18. April: Hanns Arens, deutscher Schriftsteller, Lektor, Verleger und Kritiker († 1983)
19. April: Rose Oehmichen, deutsche Schauspielerin und Mitgründerin der Augsburger Puppenkiste († 1985)
20. April: Adolf Busemann, deutscher Aerodynamiker († 1986)
20. April: Martin Lohmann (Wirtschaftswissenschaftler), deutscher Wirtschaftswissenschaftler († 1993)
20. April: Karl Schlumprecht, Funktionär des NS-Regimes, Oberbürgermeister von Bayreuth († 1970)
20. April: Michel Leiris, französischer Schriftsteller und Ethnologe († 1990)
21. April: Julián Bautista, argentinischer Komponist († 1961)
25. April: Gottfried Amann, deutscher Forstwissenschaftler († 1988)
26. April: Harald Braun, deutscher Regisseur († 1960)
26. April: Henri de Costier, französischer Automobilrennfahrer († 1989)
26. April: Wolfgang von Wild, deutscher General († 1964)
27. April: Frank Belknap Long, US-amerikanischer Autor von Horror-, Science-Fiction, Fantasygeschichten († 1994)
28. April: Weaver Warren Adams, US-amerikanischer Schachspieler und -autor († 1963)
28. April: Ernst Roth, deutscher Politiker († 1951)
29. April: Kathrine Aurell, schwedisch-norwegische Schriftstellerin und Drehbuchautorin († 1986)
29. April: Hirohito, Tennō von Japan († 1989)
29. April: Clodwig Kapferer, deutscher Pionier auf den Gebieten Marktforschung († 1997)
29. April: Ceslas Spicq, französischer römisch-katholischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1992)
30. April: Simon Smith Kuznets, US-amerikanischer Ökonom, Nobelpreisträger († 1985)
30. April: György Orth, ungarischer Fußballspieler und -trainer († 1962)
Mai
1. Mai: Antal Szerb, ungarischer Schriftsteller († 1945)
2. Mai: Edouard Zeckendorf, belgischer Amateur-Mathematiker († 1983)
2. Mai: Willi Bredel, deutscher Schriftsteller und Präsident der deutschen Akademie der Künste († 1964)
3. Mai: Gino Cervi, italienischer Filmschauspieler († 1974)
3. Mai: Hugo Friedhofer, US-amerikanischer Filmkomponist († 1981)
4. Mai: Tominaga Tarō, japanischer Schriftsteller († 1925)
5. Mai: Blind Willie McTell, US-amerikanischer Bluesmusiker († 1959)
6. Mai: Fritz Levy, letzter Jude von Jever († 1982)
6. Mai: Urs Küry, christkatholischer Bischof der Schweiz († 1976)
7. Mai: Gary Cooper, US-amerikanischer Schauspieler († 1961)
7. Mai: Marcel Poot, belgischer Komponist und Professor († 1988)
7. Mai: Walther Wüst, deutscher Orientalist, Kurator der Forschungsgemeinschaft deutsches Ahnenerbe e. V. († 1993)
9. Mai: Elmer Raguse, US-amerikanischer Tontechniker († 1972)
9. Mai: Erik Olson, schwedischer Maler († 1986)
10. Mai: John Desmond Bernal, britischer Physiker († 1971)
10. Mai: Otto Höfler, österreichischer Germanist († 1987)
10. Mai: Guy Dollfuss, französischer Autorennfahrer († 1977)
11. Mai: Edwin Arnet, schweizerischer Schriftsteller und Journalist († 1962)
11. Mai: Rose Ausländer, deutsche Lyrikerin († 1988)
13. Mai: William S. Beardsley, US-amerikanischer Politiker († 1954)
14. Mai: Robert Ritter, deutscher nationalsozialistischer Rassentheoretiker († 1951)
15. Mai: Dorothy Hansine Andersen, US-amerikanische Kinderärztin und Pathologin († 1963)
15. Mai: Kurt Meister, deutscher Schauspieler, Regisseur, Autor und Hörspielsprecher († 1961)
15. Mai: Luis Monti, argentinisch-italienischer Fußballspieler († 1983)
16. Mai: Konrad Wachsmann, deutscher Architekt und Ingenieur jüdischer Abstammung († 1980)
16. Mai: Birch Monroe, US-amerikanischer Country-Musiker († 1982)
17. Mai: Werner Egk, deutscher Komponist († 1983)
18. Mai: Robert Ochsenfeld, deutscher Physiker († 1993)
18. Mai: Vincent du Vigneaud, US-amerikanischer Biochemiker († 1978)
19. Mai: Franz Ackerl, österreichischer Hochschulprofessor für Geodäsie und Fotogrammetrie († 1988)
19. Mai: Otto Ambros, deutscher Chemiker († 1990)
19. Mai: Kenneth Preston, britischer Regattasegler († 1995)
19. Mai: Hans Soenius, deutscher Motorradrennfahrer († 1965)
20. Mai: Max Euwe, niederländischer Schachspieler und der 5. Schachweltmeister († 1981)
20. Mai: Otto Waldis, österreichischer Schauspieler († 1974)
21. Mai: Hermann Andersen, deutscher Politiker († 1989)
21. Mai: Sergei Konstantinowitsch Tumanski, sowjetischer Triebwerkskonstrukteur († 1973)
22. Mai: Maurice J. Tobin, US-amerikanischer Politiker († 1953)
23. Mai: Harri Bading, deutscher Politiker und MdB († 1981)
23. Mai: Semjon Lwowitsch Ginsburg, russischer Musikwissenschaftler († 1978)
23. Mai: Charles W. Morris, US-amerikanischer Semiotiker († 1979)
23. Mai: Edmund Rubbra, englischer Komponist († 1986)
24. Mai: Arvid Harnack, deutscher Jurist, Nationalökonom und Widerstandskämpfer († 1942)
25. Mai: Emilio Amero, mexikanischer Maler, Grafiker und Fotograf († 1976)
25. Mai: Otto Aßmann, deutscher Politiker († 1977)
26. Mai: Bohumil Turek, tschechoslowakischer Motorrad- und Automobilrennfahrer († 1972)
26. Mai: Walter Zirpins, deutscher Sachverständiger im Reichstagsbrandprozess 1933 († 1976)
27. Mai: Georg-August Zinn, deutscher Politiker der SPD und hessischer Ministerpräsident († 1976)
27. Mai: Joseph Wendel, Erzbischof von München und Freising 1952 bis 1960 († 1960)
28. Mai: Karl Otto Stegmann, deutscher Motorradrennfahrer († 1930)
29. Mai: Erich Friedrich, deutscher Politiker († 1971)
29. Mai: Hermann Kopf, deutscher Politiker († 1991)
30. Mai: Mieczysław Fogg, polnischer Sänger († 1990)
30. Mai: Walter Felsenstein, österreichisch-deutscher Regisseur und ab 1947 Intendant der Komischen Oper, Ost-Berlin († 1975)
31. Mai: Franz Reichel, deutscher Architekt und Nürnberger Kulturpreisträger († 1965)
31. Mai: Friedrich Werber, deutscher Politiker († 1981)
Juni
1. Juni: Joop ter Beek, niederländischer Fußballspieler († 1934)
2. Juni: Franz Diener, deutscher Schwergewichtsboxer († 1969)
2. Juni: Owen Saunders-Davies, britischer Automobilrennfahrer († 1959)
4. Juni: Rudolf Petershagen, Kommandant der Universitätsstadt Greifswald, Politiker der DDR († 1969)
5. Juni: Carl Joachim Friedrich, deutsch-US-amerikanischer Staatsrechtsprofessor († 1984)
5. Juni: Bruce Hutchison, kanadischer Schriftsteller und Journalist († 1992)
6. Juni: Anton Cromme, deutscher Politiker († 1953)
6. Juni: Helmuth Stieff, deutscher Generalmajor und Chef der Organisationsgruppe der Abwehr († 1944)
6. Juni: Sukarno, indonesischer Politiker († 1970)
7. Juni: Laura Rodig, chilenische Malerin und Bildhauerin († 1972)
8. Juni: Ernst Mayer, deutscher Politiker († 1952)
9. Juni: Sammy Newsome, britischer Autorennfahrer († 1970)
10. Juni: Frederick Loewe, US-amerikanischer Komponist († 1988)
13. Juni: Emil Belzner, deutscher Journalist und Schriftsteller († 1979)
13. Juni: Tage Erlander, schwedischer Premierminister († 1985)
13. Juni: Paul Fässler, Schweizer Fußballspieler († 1983)
13. Juni: Michail Starokadomski, russischer Komponist († 1954)
14. Juni: Werner Hausmann, Schweizer Schauspieler, Fernsehmoderator, Autor, Hörspielregisseur und -sprecher († 1991)
14. Juni: Heinrich Rempel, deutscher Prähistoriker († 1978)
15. Juni: Lutz Mackensen, deutscher Philologe und Lexikograph († 1992)
16. Juni: Conrad Beck, Schweizer Komponist († 1989)
16. Juni: Henri Lefebvre, französischer marxistischer Soziologe, Intellektueller und Philosoph († 1991)
16. Juni: Otto Waffenschmied, österreichischer Illustrator und Comiczeichner († 1971)
18. Juni: Anastasia Nikolajewna Romanowa, Tochter des letzten russischen Zaren, Nikolaus II. († 1918)
19. Juni: Herbert Krebs, deutscher Forstmann und Jagdautor († 1980)
19. Juni: Erwin Henning, deutscher Maler († 1993)
19. Juni: Piero Gobetti, italienischer Publizist, Politiker, Antifaschist († 1926)
20. Juni: Willy Gebhardt, deutscher Redakteur und Politiker (SED) († 1973)
20. Juni: Ernest White, kanadischer Organist und Orgelbauer, Chorleiter und Musikpädagoge († 1980)
21. Juni: Red Dunn, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 1957)
22. Juni: Hans Hinkel, Journalist und Ministerialbeamter († 1960)
22. Juni: Luise Albertz, deutsche Politikerin († 1979)
22. Juni: Luís Armando Rivera, dominikanischer Komponist, Pianist und Geiger († 1986)
23. Juni: Franz Ruland, saarländischer Politiker der CVP († 1964)
23. Juni: Otto Heckmann, deutscher Astronom († 1983)
23. Juni: Paul Verhoeven, deutscher Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor († 1975)
24. Juni: Marcel Mule, französischer Saxophonist und Komponist († 2001)
25. Juni: Chester Arthur Arnold, US-amerikanischer Paläobotaniker und Botaniker († 1977)
26. Juni: Jean Boyer, französischer Regisseur und Drehbuchautor († 1965)
26. Juni: Leon Raszeja, Jurist, jüngerer Bruder von Franciszek Raszeja und Maksymilian Raszeja († 1939)
27. Juni: Merle Antony Tuve, US-amerikanischer Physiker und Geophysiker († 1982)
27. Juni: Rudolf Zender, Schweizer Maler, Grafiker und Zeichner († 1988)
28. Juni: Kurt Helbig, deutscher Gewichtheber († 1975)
28. Juni: Alfred Müller-Armack, deutscher Nationalökonom und Kultursoziologe († 1978)
30. Juni: Niklot Beste, Bischof in der DDR († 1987)
30. Juni: Rex Waite, britischer Luftwaffenoffizier († 1975)
Juli
3. Juli: Ruth Crawford Seeger, US-amerikanische Komponistin († 1953)
5. Juli: Akashi Kaijin, japanischer Dichter († 1939)
5. Juli: Ermenegildo Florit, Erzbischof von Florenz und Kardinal der römisch-katholischen Kirche († 1985)
5. Juli: Julio “Matador” Libonatti, argentinischer Fußballspieler († 1981)
5. Juli: Len Lye, neuseeländischer Bildhauer, Künstler, Schriftsteller und Filmemacher († 1980)
5. Juli: Sergei Obraszow, russischer Puppenspieler († 1992)
6. Juli: Roland Coty, französischer Unternehmer und Automobilrennfahrer († 1963)
6. Juli: Max Hinrichsen, deutsch-britischer Musikverleger († 1965)
7. Juli: Gustav Knuth, deutscher Schauspieler († 1987)
7. Juli: Hans Kudszus, deutscher Aphoristiker († 1977)
7. Juli: János Székely, ungarischer Schriftsteller und Drehbuchautor († 1958)
9. Juli: Barbara Cartland, Autorin romantischer Literatur († 2000)
9. Juli: Erich Rammler, deutscher Verfahrenstechniker († 1986)
14. Juli: Gerald Finzi, englischer Komponist († 1956)
15. Juli: Nicola Abbagnano, italienischer Philosoph († 1990)
16. Juli: Franz Solan Schäppi, Schweizer Kapuziner und Missionswissenschaftler († 1981)
16. Juli: Leon Shamroy, US-amerikanischer Kameramann und Regisseur († 1974)
16. Juli: Oscar Schellbach, deutscher Lebenslehrer und Begründer des Mental-Positivismus († 1970)
17. Juli: Luigi Chinetti, italienisch-US-amerikanischer Automobilrennfahrer († 1994)
17. Juli: Henri Germond, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1985)
18. Juli: Stanisław Mikołajczyk, polnischer Exilpremier († 1966)
19. Juli: Claude Aveline, französischer Schriftsteller († 1992)
19. Juli: Rosa Jochmann, österreichische Politikerin († 1994)
21. Juli: William Charles Andrews, britischer Filmarchitekt († 1986)
21. Juli: Marta Astfalck-Vietz, deutsche Fotografin und Künstlerin († 1994)
21. Juli: Ovila Légaré, kanadischer Schauspieler und Singer-Songwriter († 1978)
21. Juli: Nyanaponika, deutscher Mönch und Buddhist († 1994)
22. Juli: Marcel Collet, französischer Automobilrennfahrer († 1965)
23. Juli: Doc Walsh, US-amerikanischer Country-Musiker († 1967)
24. Juli: Konrad Pöhner, bayerischer Unternehmer, Verbandspräsident und Bayerischer Staatsminister der Finanzen († 1974)
25. Juli: Hans Herbert Schweitzer, im Dritten Reich Reichsbeauftragter für Künstlerische Formgebung († 1980)
26. Juli: Umberto Caligaris, italienischer Fußballspieler und -trainer († 1940)
29. Juli: Pancho Barnes, amerikanische Stuntpilotin in dem Film „Hells Angels“ von 1929 († 1975)
30. Juli: John A. Carroll, US-amerikanischer Politiker († 1983)
30. Juli: Walter Oehmichen, gründete 1948 die Augsburger Puppenkiste († 1977)
31. Juli: Lis Böhle, deutsche Mundartautorin († 1990)
31. Juli: Jean Dubuffet, französischer Maler und Bildhauer († 1985)
31. Juli: Renié, US-amerikanische Kostümbildnerin und Oscarpreisträgerin († 1992)
31. Juli: Rudolf Slánský, tschechoslowakischer Generalsekretär der KP (KPČ) († 1952)
August
1. August: Curt Wittenbecher, deutscher Maler, Zeichner und Graphiker († 1978)
2. August: Ignatius Kung Pin-Mei, Bischof von Shanghai und Kardinal († 2000)
3. August: Enrico Glori, italienischer Schauspieler († 1966)
3. August: Stefan Wyszyński, polnischer Geistlicher, langjähriger Primas v. Polen († 1981)
4. August: Renato Angiolillo, italienischer Journalist, Politiker und Filmregisseur († 1973)
4. August: Louis Armstrong, US-amerikanischer Jazztrompeter und Sänger († 1971)
5. August: Margarita Abella Caprile, argentinische Schriftstellerin († 1960)
5. August: Claude Autant-Lara, französischer Filmregisseur († 2000)
6. August: Dutch Schultz, US-amerikanischer Krimineller († 1935)
7. August: Konrad Heiden, deutscher Journalist und Schriftsteller († 1966)
8. August: Ernest O. Lawrence, US-amerikanischer Atomphysiker († 1958)
9. August: Felix Hurdes, österreichischer Politiker, Mitbegründer der ÖVP († 1974)
10. August: Mona Rüster, deutsche Tischtennisspielerin († 1976)
11. August: Guido Agosti, italienischer Pianist († 1989)
11. August: Karl Schulz, deutscher Fußballspieler († 1971)
12. August: Anton Lamprecht, deutscher Maler († 1984)
14. August: William Hutchinson, britischer Autorennfahrer († 1959)
14. August: Franz Konwitschny, deutscher Dirigent und Kapellmeister († 1962)
14. August: Alice Rivaz, Schweizer Schriftstellerin († 1998)
14. August: Mercedes Comaposada, spanische Pädagogin und Anarchistin († 1994)
14. August: Paul Senn, Schweizer Fotograf († 1953)
15. August: Pierre Caron, französischer Drehbuchautor, Filmregisseur und -produzent († 1971)
15. August: Arnulfo Arias, Präsident von Panama († 1988)
15. August: Hans Lorbeer, deutscher Schriftsteller († 1973)
17. August: Heðin Brú, färöischer Schriftsteller († 1987)
17. August: László Hartmann, ungarischer Automobilrennfahrer († 1938)
17. August: Irena Kurpisz-Stefanowa, polnische Pianistin und Musikpädagogin († 1994)
20. August: Salvatore Quasimodo, italienischer Lyriker und Kritiker († 1968)
21. August: Edward Thomas Copson, britischer Mathematiker († 1980)
22. August: Dmitri Tschetschulin, russischer Architekt († 1981)
23. August: Karl Bechert, deutscher Politiker († 1981)
25. August: Kjeld Abell, dänischer Schriftsteller († 1961)
26. August: Chen Yi, chinesischer Armeeführer und Politiker († 1972)
26. August: Maxwell Taylor, General und Diplomat der Vereinigten Staaten († 1987)
26. August: Tullio Campagnolo, italienischer Radsportler, Gründer der Firma Campagnolo († 1983)
27. August: Ernst Wilm, deutscher Pfarrer und Kirchenfunktionär († 1989)
27. August: Fritz Berg, Unternehmer, 1. BDI Vorsitzender nach 1945 († 1979)
27. August: Heinrich Hauser, deutscher Schriftsteller und Fotograf († 1955)
27. August: Pierre Villon, Résistance-Mitglied, Gründer der Zeitung L’Humanité, Politiker († 1980)
30. August: Felix Abraham, deutscher Arzt († 1937 oder 1938)
30. August: Wilhelm Szabo, französischer Dichter, Poet, Autor, Übersetzer und Lehrer († 1986)
September
1. September: Bolesław Filipiak, Kardinal der römisch-katholischen Kirche († 1978)
1. September: Theodor Maunz, deutscher Verwaltungsrechtler († 1993)
2. September: Adolph Rupp, US-amerikanischer Basketballtrainer († 1977)
2. September: Else Meidner, deutsche Grafikerin und Malerin († 1987)
3. September: José Bohr, Sänger, Komponist, Schauspieler und Regisseur († 1994)
3. September: A. E. Johann, Journalist, Schriftsteller († 1996)
4. September: Ahmet Kutsi Tecer, türkischer Dichter und Politiker († 1967)
4. September: William Lyons, Gründer der Automarke Jaguar († 1985)
6. September: Wildcat Wilson, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 1963)
8. September: Harold Joseph Connolly, kanadischer Journalist und Premierminister († 1980)
8. September: William Oliver, britischer Stadtkommandant († 1981)
8. September: Hendrik Frensch Verwoerd, südafrikanischer Soziologe und Politiker († 1966)
9. September: Lew Schubnikow, russischer Physiker († 1937)
10. September: Adolf Fux, Schweizer Politiker und Schriftsteller († 1974)
11. September: Hans Mühlenfeld, deutscher Politiker († 1969)
11. September: Joachim Maass, deutscher Schriftsteller und Lyriker († 1972)
12. September: Ernst Pepping, deutscher Komponist († 1981)
12. September: Ramón Serrano Súñer, spanischer Politiker († 2003)
13. September: Walter Menzel, deutscher Politiker († 1963)
14. September: Andrei Andrejewitsch Wlassow, russischer General († 1946)
14. September: Arthur Welti, Schweizer Radiopionier († 1961)
15. September: Walter Bader, deutscher Archäologe und Denkmalschützer († 1986)
15. September: Alfred Gille, deutscher Politiker († 1971)
15. September: Liselotte Welskopf-Henrich, deutsche Schriftstellerin und Althistorikerin († 1979)
16. September: Hans Joachim Breustedt, deutscher Maler und Grafiker († 1984)
17. September: Karl Albert Aberle, deutscher Verleger und Politiker († 1963)
17. September: Francis Chichester, britischer Weltumsegler und Luftfahrer († 1972)
17. September: Gunnar Kalén, schwedischer Motorradrennfahrer († 1934)
19. September: Ludwig von Bertalanffy, österreichischer Biologe und Naturforscher († 1972)
19. September: Hermann Heimpel, deutscher Historiker († 1988)
20. September: Rudolf Brunngraber, österreichischer Schriftsteller, Journalist, Maler († 1960)
20. September: Gus Edson, US-amerikanischer Cartoonist und Comiczeichner († 1966)
21. September: Georg Rasch, dänischer Statistiker († 1980)
21. September: Hans Hansen Palmus, niederdeutscher Heimatdichter († 1989)
22. September: Charles Brenton Huggins, kanadisch-US-amerikanischer Chirurg († 1997)
22. September: Pieter Muntendam, niederländischer Mediziner und Politiker († 1986)
23. September: Josef von Matt, Schweizer Schriftsteller in Nidwaldner Mundart, Buchhändler, Verleger und Antiquar († 1988)
23. September: Jaroslav Seifert, tschechischer Schriftsteller († 1986)
23. September: Ruth Andreas-Friedrich, Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus, Schriftstellerin († 1977)
24. September: Alexandra Adler, Neurologin, Psychiaterin und Spezialistin für Gehirn-Traumata († 2001)
24. September: Georg Appell, deutscher Politiker († 1970)
25. September: Robert Bresson, französischer Filmregisseur († 1999)
25. September: Carlos Suffern, argentinischer Komponist († 1991)
26. September: Edith Potter, amerikanische Pathologin († 1993)
26. September: George Raft, US-amerikanischer Schauspieler († 1980)
27. September: Alexander Camaro, deutscher Maler († 1992)
27. September: Verda James, US-amerikanische Politikerin († 1991)
28. September: Kurt Friedrichs, deutsch-amerikanischer Mathematiker († 1982)
29. September: Enrico Fermi, italienischer Kernphysiker († 1954)
28. September: Ed Sullivan, US-amerikanischer Entertainer und Moderator († 1974)
29. September: Lanza del Vasto, italienischer Philosoph und Dichter († 1981)
30. September: Paul Thalmann, Schweizer Autor und Widerstandskämpfer im Spanischen Bürgerkrieg († 1980)
30. September: Oskar Ritter, deutscher Fußballspieler († 1985)
Oktober
1. Oktober: José Leandro Andrade, uruguayischer Fußballspieler († 1957)
2. Oktober: Walther Aeschbacher, Schweizer Dirigent und Komponist († 1969)
2. Oktober: Thomas Henry Raymond Ashton, britischer Peer und Politiker († 1983)
2. Oktober: Alice Prin, französische Sängerin, Schauspielerin, Modell und Malerin († 1953)
3. Oktober: Jean Grémillon, französischer Filmregisseur († 1959)
4. Oktober: Alfred von Beckerath, deutscher Komponist und Dirigent († 1978)
4. Oktober: Tex Hamer, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 1981)
5. Oktober: John Alton, US-amerikanischer Kameramann, Oscar-Preisträger († 1996)
6. Oktober: Harry Adaskin, kanadischer Geiger und Musikpädagoge († 1994)
6. Oktober: Leslie John S. Arliss, britischer Drehbuchautor und Filmregisseur († 1987)
6. Oktober: Wolfgang Langhoff, deutscher Schauspieler, Regisseur und Kommunist († 1966)
7. Oktober: Murano Shirō, japanischer Lyriker († 1975)
8. Oktober: Mark Oliphant, australischer Physiker († 2000)
9. Oktober: Jack Dunfee, britischer Autorennfahrer († 1975)
10. Oktober: Alberto Giacometti, Schweizer Plastiker († 1966)
11. Oktober: Emil Hlobil, tschechischer Komponist und Musikpädagoge († 1987)
12. Oktober: Gabriel-Marie Garrone, Erzbischof von Toulouse und Kardinal († 1994)
12. Oktober: Hanns Seidel, deutscher Politiker († 1961)
12. Oktober: Reinhold Rehs, deutscher Politiker († 1971)
14. Oktober: Otto Busch, deutscher Organist, Komponist und Musikpädagoge († 1985)
14. Oktober: Harry Stuhldreher, US-amerikanischer American-Football-Spieler und -Trainer († 1965)
15. Oktober: Hermann Josef Abs, deutscher Bankmanager († 1994)
15. Oktober: Bernard von Brentano, deutscher Schriftsteller und Journalist († 1964)
15. Oktober: Franz Hartl, österreichischer Politiker († 1970)
16. Oktober: Fritz von Ameln, deutscher Politiker († 1970)
16. Oktober: Federico Munerati, italienischer Fußballspieler († 1980)
20. Oktober: Frank Churchill, US-amerikanischer Filmkomponist († 1942)
20. Oktober: Adelaide Hall, Jazz-Sängerin († 1993)
21. Oktober: Margarete Buber-Neumann, deutsche Publizistin († 1989)
22. Oktober: Jakob Annasohn, Schweizer Generalstabschef († 1983)
22. Oktober: Gustav Scheck, deutscher Flötist und von 1946 bis 1964 Direktor der Musikhochschule Freiburg († 1984)
23. Oktober: Albert Johann Anthony, deutscher Internist und Hochschullehrer († 1947)
23. Oktober: Willy Minz, Honorarprofessor der Universität zu Köln († 1972)
25. Oktober: Ike Mahoney, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 1961)
26. Oktober: Herman Auerbach, polnischer Mathematiker († 1942)
28. Oktober: Franz Miltner, österreichischer Althistoriker und Archäologe († 1959)
29. Oktober: Daniil Alexandrowitsch Amfiteatrow, russisch-US-amerikanischer Komponist, Orchesterleiter und Filmkomponist († 1983)
29. Oktober: Ana Vela Rubio, spanische Altersrekordlerin († 2017)
31. Oktober: Cornelis Gijsbert Gerrit Jan van Steenis, niederländischer Botaniker († 1986)
31. Oktober: Claude Perry, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 1975)
November
1. November: Hans Heinz Stuckenschmidt, Musikkritiker († 1988)
3. November: André Malraux, französischer Schriftsteller und Politiker († 1976)
3. November: Leopold III., König der Belgier († 1983)
4. November: Spyridon Marinatos, griechischer Archäologe († 1974)
5. November: Bruno Goller, deutscher Maler († 1998)
5. November: Kaionji Chōgorō, japanischer Schriftsteller († 1977)
6. November: Kathleen Mary Drew-Baker, britische Algologin († 1957)
7. November: Cecília Meireles, brasilianische Lyrikerin und Journalistin († 1964)
8. November: Gustave Antoine Abel, österreichischer Höhlenforscher († 1988)
8. November: Gheorghe Gheorghiu-Dej, rumänischer Politiker und Staatspräsident († 1965)
9. November: Eduard Marks, deutscher Schauspieler, Schauspiellehrer und Hörspielsprecher († 1981)
10. November: Paul Smets, deutscher Musikwissenschaftler, Glocken- und Orgelsachverständiger († 1960)
11. November: Magda Goebbels, Ehefrau von Joseph Goebbels († 1945)
11. November: Richard Lindner, US-amerikanischer Maler deutscher Herkunft († 1978)
12. November: Adolfo Mengotti, Schweizer Fußballspieler († 1984)
15. November: Gerhard Leibholz, deutscher Jurist († 1982)
15. November: Stanisław Szpinalski, polnischer Pianist und Musikpädagoge († 1957)
16. November: Fred von Hoerschelmann, deutscher Schriftsteller und Hörspielautor († 1976)
17. November: Lee Strasberg, Mitbegründer des 1931 entstandenen „Group Theatre“ († 1982)
17. November: Walter Hallstein, deutscher Politiker und Jurist († 1982)
17. November: Iwan Pyrjew, sowjetischer Filmregisseur († 1968)
19. November: Tadeusz Adamowski, polnischer Eishockeyspieler und -trainer († 1994)
19. November: Nina Bari, russische Mathematikerin († 1961)
19. November: Berta Drews, deutsche Schauspielerin († 1987)
19. November: Otway Herbert, britischer Offizier († 1984)
20. November: José Leandro Andrade, uruguayischer Fußballspieler († 1957)
21. November: Thawan Thamrongnawasawat, thailändischer Politiker und Premierminister († 1988)
22. November: Joaquín Rodrigo, spanischer Komponist († 1999)
23. November: Marieluise Fleißer, deutsche Schriftstellerin († 1974)
24. November: Hans Eiden, deutscher Politiker und Widerstandskämpfer († 1950)
24. November: Friedrich Heinrichsen, deutscher Schriftkünstler († 1980)
24. November: William Henry Vanderbilt III, US-amerikanischer Politiker († 1981)
25. November: Rudolf Höß, deutscher Kommandant des Vernichtungslagers Auschwitz († 1947)
25. November: Adele Kern, deutsche Opern- und Operettensängerin († 1980)
25. November: Arthur Liebehenschel, deutscher Nationalsozialist († 1948)
25. November: Tibor Serly, ungarischer Komponist († 1978)
28. November: Edwina Mountbatten, Countess Mountbatten of Burma, Ehefrau des letzten Vizekönigs von Indien († 1960)
28. November: Walter Havighurst, US-amerikanischer Schriftsteller und Historiker († 1994)
28. November: Robert Urquhart, britischer Offizier († 1988)
29. November: Rudolf Bäumer, deutscher Politiker († 1973)
30. November: Erich Burck, deutscher Altphilologe († 1994)
Dezember
2. Dezember: Ida Friederike Görres, Schriftstellerin († 1971)
2. Dezember: Raimundo Bibian Mumo Orsi, argentinisch-italienischer Fußballspieler († 1986)
4. Dezember: Michail Rafailowitsch Rauchwerger, russischer Komponist († 1989)
5. Dezember: Walt Disney, US-amerikanischer Trickfilm-Produzent, Erfinder von Micky Maus und Co († 1966)
5. Dezember: Hanns Jelinek, österreichischer Komponist und Musikpädagoge († 1969)
5. Dezember: Franz Königshofer, österreichischer Komponist und Professor († 1970)
5. Dezember: Werner Heisenberg, Physiker, Nobelpreisträger († 1976)
5. Dezember: Henri Trébor, französischer Automobilrennfahrer († 1969)
7. Dezember: Lily Abegg, Schweizer Journalistin und Autorin († 1974)
7. Dezember: Robert Bach, deutscher Politiker und MdB († 1976)
7. Dezember: Annemarie Marks-Rocke, deutsche Schauspielerin († 2004)
9. Dezember: Ödön von Horváth, österreichischer Schriftsteller († 1938)
9. Dezember: Lawrence Edward Watkin, US-amerikanischer Schriftsteller und Drehbuchautor († 1981)
10. Dezember: Karandasch, russischer Clown († 1983)
12. Dezember: Howard Koch, US-amerikanischer Drehbuchautor († 1995)
12. Dezember: Jean Rudolf von Salis, Schweizer Historiker, Schriftsteller und Publizist († 1996)
12. Dezember: Paul Sethe, deutscher Publizist und Journalist († 1967)
13. Dezember: Friedrich Gschweidl, österreichischer Fußballspieler und Trainer († 1970)
14. Dezember: Paul, griechischer König (von 1947 bis 1964) († 1964)
16. Dezember: Margaret Mead, US-amerikanische Anthropologin und Ethnologin († 1978)
17. Dezember: Friedrich Damann Andam, deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Filmmanager († 1969)
18. Dezember: Francis J. Myers, US-amerikanischer Politiker († 1956)
19. Dezember: Rudolf Hell, deutscher Erfinder († 2002)
19. Dezember: Kurt Friedrich, deutscher Motorradrennfahrer († 1995)
19. Dezember: Oliver La Farge, US-amerikanischer Anthropologe und Autor († 1963)
20. Dezember: Robert Jemison Van de Graaff, US-amerikanischer Physiker († 1967)
21. Dezember: Abraham Meister, deutscher evangelischer Theologe, Bibellehrer und Bibelübersetzer († 1990)
22. Dezember: Fritz Gils, deutscher Künstler († 1957)
23. Dezember: Jakub Berman, polnischer stalinistischer Politiker († 1984)
24. Dezember: Otto Basil, österreichischer Schriftsteller, Publizist und Journalist († 1983)
24. Dezember: Enrique Mejía Arredondo, dominikanischer Komponist und Dirigent († 1951)
25. Dezember: Alice, Herzogin von Gloucester, Tante von Königin Elisabeth II. († 2004)
25. Dezember: Eduard Bargheer, deutscher Maler († 1979)
25. Dezember: Milada Horáková, tschechoslowakische Frauenrechtlerin († 1950)
27. Dezember: Marlene Dietrich, deutsch-US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin († 1992)
27. Dezember: Stanley William Hayter, britischer Maler und Grafiker († 1988)
28. Dezember: Thomas Cooray, Erzbischof von Colombo und Kardinal († 1988)
31. Dezember: Lionel Daunais, kanadischer Sänger, Opernregisseur und Komponist († 1982)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Sabih Arca, türkischer Fußballspieler und -funktionär († 1979)
Roland Gregory Austin, britischer Altphilologe († 1974)
Ghulam Mohammad Farhad, afghanischer Politiker († 1984)
André Trottier, kanadischer Sänger (Bass) (Todesdatum unbekannt)
Gestorben
Erstes Quartal
1. Januar: C. W. Damodaram Pillai, tamilischer Philologe (* 1832)
1. Januar: Ignatius Donnelly, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1831)
1. Januar: Sophus Schandorph, dänischer Schriftsteller (* 1836)
6. Januar: James W. Bradbury, US-amerikanischer Politiker (* 1802)
11. Januar: Wassili Kalinnikow, russischer Komponist (* 1866)
13. Januar: Jules Cohen, französischer Komponist und Organist (* 1830)
14. Januar: Charles Hermite, französischer Mathematiker (* 1822)
15. Januar: Gottlieb Viehe, deutscher evangelischer Missionar (* 1839)
16. Januar: Arnold Böcklin, Schweizer Maler, Zeichner, Graphiker und Bildhauer (* 1827)
16. Januar: Hiram Rhodes Revels, US-amerikanischer Politiker (* 1827)
17. Januar: Jacob Georg Agardh, schwedischer Botaniker (* 1813)
19. Januar: Bernhard Danckelmann, deutscher Forstbeamter und Forstwissenschaftler (* 1831)
20. Januar: Zénobe Gramme, belgischer Elektriker und Konstrukteur (* 1826)
21. Januar: Elisha Gray, US-amerikanischer Lehrer, Erfinder und Unternehmer (* 1835)
22. Januar: Victoria, Königin von Großbritannien (* 1819)
27. Januar: Giuseppe Verdi, italienischer Komponist (* 1813)
7. Februar: Oskar Schlömilch, deutscher Mathematiker (* 1823)
8. Februar: Bernhard Schwarz, deutscher Afrikaforscher (* 1844)
9. Februar: Serhij Hruschewskyj, ukrainischer Slawist und Pädagoge (* 1830)
10. Februar: Max von Pettenkofer, deutscher Chemiker und Hygieniker (* 1818)
11. Februar: Ramón de Campoamor y Campoosorio, spanischer Dichter und Politiker (* 1817)
11. Februar: Milan I. Obrenović, serbischer König (* 1854)
11. Februar: Henry Willis, englischer Orgelbauer (* 1821)
14. Februar: Edward Stafford, Premierminister von Neuseeland (* 1819)
15. Februar: Karl Gottfried Mäser, deutscher mormonischer Theologe und Pädagoge (* 1828)
15. Februar: Gustav Hermann Schulze, sächsischer Jurist, Justizrat, Historiker und Heimatforscher der Oberlausitz (* 1833)
16. Februar: Truman Everts, US-amerikanischer Forscher (* 1816)
21. Februar: Emil Hübner, deutscher Altphilologe und Epigraphiker (* 1834)
22. Februar: Charles David Anderson, US-amerikanischer Plantagenbesitzer, Geschäftsmann, Jurist und General (* 1827)
22. Februar: George Francis FitzGerald, irischer Philosoph (* 1851)
22. Februar: Georg Friedrich Steinmeyer, deutscher Orgelbauer (* 1819)
26. Februar: Léonce Cohen, französischer Komponist (* 1829)
1. März: Karl Gustav Ackermann, deutscher Politiker (* 1820)
1. März: Bernhard Erdmannsdörffer, deutscher Historiker (* 1833)
5. März: Karl Biedermann, deutscher Politiker und Professor (* 1812)
13. März: Benjamin Harrison, 23. Präsident der USA (* 1833)
13. März: Max Georg Schubert, deutscher Industrieller (* 1840)
31. März: John Stainer, englischer Organist und Komponist (* 1840)
Zweites Quartal
1. April: Ernst Andolt, deutscher Schriftsteller, Jurist und Politiker (* 1826)
4. April: George Thomas Anderson, US-amerikanischer General (* 1824)
15. April: Václav Brožík, tschechischer Maler (* 1851)
15. April: Leopold Magenbauer, rumäniendeutscher Komponist, Chorleiter und Lehrer (* 1834)
16. April: Henry Augustus Rowland, US-amerikanischer Physiker (* 1848)
18. April: James Monroe Deems, US-amerikanischer Komponist und Brigadier-General im Sezessionskrieg (* 1818)
20. April: Charles C. Stockley, US-amerikanischer Politiker (* 1819)
30. April: Franz Susemihl, deutscher Altphilologe (* 1826)
5. Mai: Mariano Ignacio Prado, von 1865 bis 1868 und 1876 bis 1879 peruanischer Staatspräsident (* 1826)
7. Mai: Fritze Bollmann, Original (* 1852)
10. Mai: Georg Christian Dieffenbach, deutscher Pfarrer und Dichter (* 1822)
19. Mai: Marthinus Wessel Pretorius, erster Präsident der Südafrikanischen Republik (* 1819)
30. Mai: Victor D’Hondt, belgischer Jurist (* 1841)
11. Juni: William J. Samford, US-amerikanischer Politiker (* 1844)
13. Juni: Leopoldo Alas, spanischer Schriftsteller (* 1852)
13. Juni: Arthur Sturgis Hardy, kanadischer Politiker (* 1837)
18. Juni: Josip Murn, slowenischer Lyriker (* 1879)
19. Juni: Person Colby Cheney, US-amerikanischer Politiker (* 1828)
20. Juni: Alexander Forrest, australischer Entdecker und Forschungsreisender (* 1849)
28. Juni: Henry Appia, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1861)
Drittes Quartal
1. Juli: Viktor von Grumbkow, preußischer Generalmajor (* 1849)
1. Juli: James H. Kyle, US-amerikanischer Politiker (* 1854)
2. Juli: Theodor Arndt, deutscher Theologe (* 1850)
2. Juli: Heinrich Xaver Sieger, deutscher Unternehmer (* 1849)
4. Juli: Johannes Schmidt, deutscher Sprachwissenschaftler (* 1843)
6. Juli: Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst, deutscher Staatsmann (* 1819)
7. Juli: Johanna Spyri, Schweizer Schriftstellerin (* 1827)
12. Juli: Federico Errázuriz Echaurren, chilenischer Politiker (* 1850)
12. Juli: Richard B. Hubbard, US-amerikanischer Politiker (* 1832)
18. Juli: Alfredo Piatti, italienischer Cellovirtuose und Komponist (* 1822)
21. Juli: Félix Joseph Henri de Lacaze-Duthiers, französischer Physiologe und Zoologe (* 1821)
21. Juli: Isaak Mautner, böhmischer Textilindustrieller (* 1824)
22. Juli: Alfred Agricola, deutscher Reichsgerichtsrat (* 1824)
29. Juli: Adolf Bleichert, deutscher Unternehmer und Wegbereiter des Seilbahnbaus (* 1845)
30. Juli: Herbert Baxter Adams, US-amerikanischer Historiker und Hochschullehrer (* 1850)
30. Juli: Richard Felix von Arnim, preußischer Offizier (* 1831)
5. August: Kaiserin Victoria, preußische Königin und deutsche Kaiserin (* 1840)
8. August: Ferdinand Christian Gustav Arnold, deutscher Botaniker (* 1828)
8. August: William A. Newell, US-amerikanischer Politiker (* 1817)
10. August: Otto von Faber du Faur, deutscher Schlachtenmaler und Offizier (* 1828)
11. August: Francesco Crispi, italienische Revolutionär, Politiker und Ministerpräsident (* 1818)
12. August: Adolf Erik Nordenskiöld, finnisch-schwedischer Polarforscher (* 1832)
15. August: Karl Weinhold, deutscher Germanist (* 1823)
17. August: Edmond Audran, französischer Organist und Komponist (* 1840)
19. August: Josef Kaizl, tschechischer Politiker (* 1854)
21. August: Adolf Fick, deutscher Physiologe (* 1829)
24. August: Gunnar Wennerberg, schwedischer Dichter, Komponist, Beamter und Politiker (* 1817)
27. August: Rudolf Haym, deutscher Philosoph und Literaturhistoriker (* 1821)
28. August: William Black Anderson, US-amerikanischer Politiker (* 1830)
29. August: Charles A. Busiel, US-amerikanischer Politiker (* 1842)
8. September: Johannes von Miquel, preußischer Politiker und Reformator (* 1828)
9. September: Georg Wilhelm Schulze, deutscher Pastor (* 1829)
9. September: Andreas Franz Wilhelm Schimper, deutscher Botaniker und Universitätsprofessor (* 1856)
9. September: Henri de Toulouse-Lautrec, französischer Maler (* 1864)
14. September: William McKinley, 25. Präsident der USA (* 1843)
14. September: Heinrich Weidt, deutscher Komponist, Dirigent und Chorleiter (* 1824)
15. September: Carl Philipp Euler, deutscher Turnpädagoge und Schriftsteller (* 1828)
22. September: Ignacy Maciejowski, polnischer Schriftsteller, Dramatiker und Literaturkritiker (* 1835)
23. September: Alfred Pernice, Professor für römisches Recht (* 1841)
Viertes Quartal
1. Oktober: Abdur Rahman Khan, Emir von Afghanistan (* 1844)
4. Oktober: Georg Sibbern, norwegischer Politiker und Diplomat (* 1816)
10. Oktober: Lorenzo Snow, Präsident der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (* 1814)
12. Oktober: Georg Kaibel, deutscher Altphilologe (* 1849)
15. Oktober: Ida Seele, deutsche Kindergärtnerin des Fröbelkindergartens (* 1825)
17. Oktober: Michał Bałucki, polnischer Schriftsteller (* 1837)
23. Oktober: Georg von Siemens, deutscher Bankier (* 1839)
26. Oktober: Alfred Tysoe, britischer Leichtathlet und Olympiasieger (* 1874)
28. Oktober: Paul Rée, deutscher Philosoph, Empirist (* 1849)
29. Oktober: Leon Czolgosz, US-amerikanischer Arbeiter und Attentäter polnischer Herkunft (* 1873)
6. November: Kate Greenaway, englische Aquarellmalerin und Illustratorin von Kinderbüchern (* 1846)
7. November: Li Hongzhang, chinesischer General (* 1823)
9. November: Halil Rifat Pascha, Großwesir des Osmanischen Reiches (* 1827)
14. November: James Henry Mapleson, englischer Opernimpresario (* 1830)
16. November: Martin Blumner, deutscher Komponist und Musiktheoretiker (* 1827)
20. November: Ludwig Helfenstein, deutscher Jurist, Hochschullehrer, Publizist und Politiker (* 1825)
21. November: Adolf Brecher, deutscher Pädagoge und Historiker (* 1836)
23. November: Cella Thoma, Malerin und Ehefrau des Malers Hans Thoma (* 1858)
24. November: Heinrich Urban, deutscher Komponist, Geiger und Musikpädagoge (* 1837)
25. November: Josef Gabriel Rheinberger, Liechtensteiner Komponist (* 1839)
28. November: Heinrich Gottfried Philipp Gengler, deutscher Rechtshistoriker, Geheimrat und Universitätsprofessor (* 1817)
29. November: Francisco Pi i Margall, ein spanischer Politiker, Schriftsteller und Präsident der Ersten Spanischen Republik (* 1824)
29. November: Davis Waite, US-amerikanischer Politiker (* 1825)
30. November: Albrecht Weber, deutscher Indologe und Historiker (* 1825)
3. Dezember: Theodor von Lerber, Schweizer Pädagoge und Schulgründer (* 1823)
9. Dezember: Auguste Arens von Braunrasch, deutsche Schriftstellerin (* 1824)
13. Dezember: Johann Diepenbrock, deutscher Orgelbauer (* 1854)
15. Dezember: Elias Álvares Lôbo, brasilianischer Komponist (* 1834)
16. Dezember: William Gregory, US-amerikanischer Politiker (* 1849)
17. Dezember: Josep Manyanet i Vives, Heiliger, spanischer Priester und Ordensgründer (* 1833)
31. Dezember: Max Adamo, deutscher Historienmaler und Illustrator (* 1837)
Weblinks
https://www.dhm.de/lemo/jahreschronik/1901/ (Lebendiges virtuelles Museum Online)
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Q2035
| 1,404.743346 |
1543571
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Regime
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Regime
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Regime [] (Plural: die Regime [] oder die Regimes [], von französisch régime ‚Regierungsform‘, ‚Staatsform‘, [n.] ‚Lenkung‘, ‚Leitung‘, ‚Regierung‘; zu lateinisch regere ‚geraderichten‘, ‚lenken‘, ‚herrschen‘) ist in der Politikwissenschaft und in verschiedenen anderen Fachwissenschaften ein Begriff für Regelungs- und/oder Ordnungssysteme, die typischerweise Normen, Entscheidungsverfahren und Prinzipien beinhalten und den Umgang der beteiligten Akteure untereinander sowie mit bestimmten Aufgaben prägen. Die Bezeichnung wird aber auch im engeren Sinne synonym zu politische Leitung bzw. für die Beschreibung der Regierungsform genutzt und bezeichnet dann beispielsweise die Regierung oder die Ordnungsprinzipien eines politischen Systems. Im allgemeinen Sprachgebrauch findet ‚Regime‘ mit abwertender Konnotation vor allem für nicht demokratisch gebildete und kontrollierte Herrschaftsformen, etwa für Diktaturen oder Putschregierungen, Verwendung.
Internationale Beziehungen
In den Internationalen Beziehungen spielt der Regimebegriff eine wichtige Rolle. Robert O. Keohane entwickelte Ende der 1970er Jahre als Weiterentwicklung der Interdependenztheorie eine sogenannte „Regimetheorie“. Sogenannte internationale Regime sind institutionalisierte Arrangements zur Lösung von Problemen, die gleichzeitig die Interessen mehrerer Staaten oder auch die von nichtstaatlichen Akteuren betreffen. Ausgangspunkt eines Regimes ist das Interesse der Akteure an der gemeinsamen Lösung der Probleme, die politischer, ökonomischer, sozialer, ökologischer oder technischer Natur sein können. Auch wenn möglicherweise grundsätzlich unterschiedliche Interessen bestehen, soll mit Hilfe eines Regimes ein positives Ergebnis einer Kooperation der Akteure erzielt werden. In diesem Sinn dienen die Verfahrensweisen eines Regimes der institutionalisierten Regelungen von Konflikten. Entscheidendes Merkmal internationaler Regime ist, dass sie keine Instrumente zur Durchsetzung spezifischer Interessen einzelner Akteure sind, sondern Instrumente zur Durchsetzung kollektiver Interessen. Bei der Bildung eines Regimes werden völkerrechtlich bindende multinationale Mechanismen vereinbart, welche auf vertraglichen Regeln (d. h. Normen und Prinzipien) beruhen, sowie Entscheidungsprozeduren festgelegt, nach denen die Vertragspartner zusammenarbeiten. Internationale Regime können also als ein vertragliches Regelwerk angesehen werden. Sie sind demnach keine eigenständigen Akteure wie etwa internationale Organisationen.
In der politischen Theorie internationaler Kooperation und Verflechtung haben sich mehrere Schulen entwickelt:
die neorealistische Schule, die Regime machtanalytisch analysiert und im Prinzip hegemonial hergestellter Stabilität ein konstitutives Kriterium sieht;
neoliberale oder funktionale Regimetheorien;
kognitionstheoretische Regimetheorien, die die Lernprozesse bei den Akteuren betonen, die Regime hervorrufen oder sogar betonen, dass Regime umfassendere normative Strukturen für die Staatengesellschaft entwickeln.
Beispiele für Regime sind Wechselkursregime, Rüstungskontrollregime oder auch Menschenrechtsregime.
Vergleichende Politikwissenschaft
In der Vergleichenden Politikwissenschaft werden Regime als Ausprägung politischer Herrschaftsform verstanden. Der Regimetyp bzw. die Art des Regimes gibt Auskunft über den grundlegenden Charakter der Herrschaftsform, bezeichnet somit „allgemein eine Lebensweise, Ordnungs- und Regierungsform, also ein institutionalisiertes Set von Prinzipien, Normen und Regeln, das die Umgangsweise der Akteure in einem gegebenen Handlungszusammenhang grundlegend regelt“. Dieser Begriff des Regimes enthält dabei keine Abwertung, sondern wird wertneutral für alle Herrschaftsformen, auch demokratische, verwendet. Jedoch können De-facto-Regime, deren Herrschaftsausübung sich zwar nicht aus einem Rechtstitel ableiten lässt und die nicht als Staaten oder Regierungen Anerkennung gefunden, aber effektive Herrschaftsgewalt erlangt haben und in denen mithin tatsächliche Herrschaft ausgeübt wird, abgegrenzt werden: Ihr Herrschaftsbereich und damit das von ihnen effektiv kontrollierte Territorium ist de jure fremdes Staatsgebiet. Regime kann demnach definiert werden als
Oft werden mit Totalitarismus, Autoritarismus und Demokratie drei grundlegende Reintypen von Regimen bzw. Herrschaftsformen unterschieden, diese Reintypen können wiederum untergliedert werden.
Von ‚Regime‘ als einem allgemeinen Begriff für konkrete Vorkommnisse von Herrschaftsformen wird das Regierungssystem und die einzelne Regierung unterschieden. Das Regierungssystem ist in der vergleichenden Politikwissenschaft nur ein spezieller Bestandteil des gesamten Regimes. Zum Beispiel kann das Regierungssystem „parlamentarisch“ oder „präsidentiell“ organisiert sein, beide gehören aber zum Typ demokratischer Regime, einzelne Fälle eines bestimmten Regierungstyp können sich durch Konventionen, Prozesswege und unterschiedliche Institutionen stark unterscheiden. Als Regierung wird hingegen eine konkrete Institution im Regierungssystem bezeichnet oder dessen personelle Ausgestaltung. Der Regimebegriff erfasst politische Strukturen, nicht jedoch bestimmten Regierungsmitglieder oder Staatschefs, wie es alltagssprachliche Wendungen wie „das Assad-Regime“ implizieren.
Allgemeiner Sprachgebrauch
In der gemeinsprachlichen Verwendung des Terminus bezeichnet ‚Regime‘ eine diktatorische oder eine nicht demokratisch legitimierte Form der Herrschaftsausübung ohne scharfe Abgrenzung von der klar institutionalisierten Regierung mit einem Regierungschef an der Spitze. Dabei handelt es sich um ein totum pro parte gegenüber der ursprünglichen Bedeutung (jede Art konkreter Herrschaftsübung überhaupt oder jede verwirklichte Staats- und Herrschaftsform). Die Bezeichnung hat im Deutschen einen negativen Bedeutungswandel durchlaufen und ist vor allem in der Alltags- oder Gemeinsprache, teils aber auch in der Fachwelt oftmals negativ konnotiert (während in der englischsprachigen Transitionsforschung der Begriff „Regime“ deutlich eine neutrale Bedeutung besitzt und dort „verschiedene politische Herrschaftstypen“, worunter ebenso demokratische Regime fallen, bezeichnet).
Werden Dissidenten oder Aufständische als Regimekritiker bzw. Regimegegner bezeichnet, so verleiht ihnen das explizit eine Legitimation und hebt sie damit ausdrücklich von Randalierern, Störern oder gar Terroristen ab. Im allgemeinen Sprachgebrauch ist die Abgrenzung zu individuellen Regierungen unscharf. So hat sich der Ausdruck ‚Regime‘ für bestimmte historische Fälle eingebürgert, beispielsweise für
Ancien Régime,
NS-Regime,
Franco-Regime,
Vichy-Regime.
Siehe auch
Belegungsregime (medienrechtliche Festlegung verbreitungspflichtiger Programme)
Ústav pro studium totalitních režimů (Institut für das Studium totalitärer Regime)
Weblinks
Einzelnachweise
Herrschaft
Politikwissenschaft
|
Q5589178
| 96.744221 |
6793
|
https://de.wikipedia.org/wiki/1806
|
1806
|
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Europa
Ein deutsches „Epochenjahr“
Die deutschsprachige Geschichtsschreibung stuft das Jahr 1806 zum Teil als ein „Epochenjahr“ ein. Ursächlich hierfür ist das Ende des Heiligen Römischen Reiches: Am 6. August 1806 verkündete Kaiser Franz II. die Niederlegung der Reichskrone. Diese Zäsur wird oder wurde von Historikern als ein mögliches Enddatum der Geschichte der Frühen Neuzeit gewertet. Entsprechend widmeten sich 2006 – im 200. Jubiläumsjahr des Ereignisses – zahlreiche Publikationen und Ausstellungen dem Untergang des Reiches, beispielsweise etwa die Ausstellung Heiliges Römisches Reich Deutscher Nation im Kulturhistorischen Museum Magdeburg und im Deutschen Historischen Museum in Berlin. In Süddeutschland wurde vor allem an die Gründung der Königreiche Württemberg und Bayern erinnert. 1806 erlangten sie – ebenso wie Baden, Hessen-Darmstadt, Nassau und Berg – die politische Souveränität und konnten ihre Territorien zu weitgehend geschlossenen Einheiten vergrößern. Auf dieser Basis führten die Regierungen der genannten Staaten eine Reihe von Reformen und Modernisierungen durch. Zu einem Umbruch kam es auch in Norddeutschland: Im Jahr 1806 wurde die Region erstmals von den großen territorialen Veränderungen der napoleonischen Zeit erfasst. In Folge der Schlacht bei Jena und Auerstedt vom 14. Oktober 1806 erfolgte der Zusammenbruch des preußischen Staates. Die Historikerin Bettina Braun hält diese Entwicklung für eine nicht weniger relevante Zäsur als die Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II.
Politische Zäsuren
1. Januar: Die Herrscher Bayerns (Maximilian Joseph) und Württembergs (Friedrich) werden zu Königen.
12. bis 16. Juli: Auf Initiative Napoleons unterzeichnen 16 Abgesandte deutscher Reichsfürsten die Rheinbundakte und gründen damit den Rheinbund.
6. August: Kaiser Franz II. aus dem Hause Habsburg-Lothringen legt die Kaiserkrone nieder und erklärt das Heilige Römische Reich für erloschen. Als Franz I. bleibt er weiterhin Kaiser von Österreich.
9. Oktober: Friedrich Wilhelm III. erklärt Frankreich den Krieg.
10. Oktober: Der preußische General Louis Ferdinand Prinz von Preußen fällt in der Schlacht bei Saalfeld im Vierten Koalitionskrieg gegen Napoleon Bonaparte.
14. Oktober: Napoleon I. schlägt in der Schlacht bei Jena und Auerstedt die preußische Armee.
27. Oktober: Napoleon zieht mit seinen Truppen in die preußische Hauptstadt Berlin ein.
28. Oktober: Kapitulation des preußischen Heeres unter Fürst zu Hohenlohe-Ingelfingen an Napoleon Bonaparte bei Prenzlau
11. Dezember: Im Frieden von Posen mit Napoleon Bonaparte schließt sich Sachsen dem Rheinbund an, kommt es zu Gebietsarrondierungen, wird Kurfürst Friedrich August III. der Königstitel gewährt und fällt ihm später das Herzogtum Warschau zu.
20. Dezember: Der sächsische Kurfürst Friedrich August III. wird zum König proklamiert und lenkt die Geschicke des Königreichs Sachsen als Friedrich August I.
26. Dezember: Die Schlacht von Pultusk im Vierten Koalitionskrieg endet zwischen französischen und russisch-preußischen Truppen unentschieden.
Lokale Ereignisse
26. August: Der Buchdrucker Johann Philipp Palm wird wegen eines gegen Napoleon gerichteten Pamphlets in Braunau am Inn auf Befehl Napoleons hingerichtet.
30. August: Friedrich August von Nassau-Usingen und sein Vetter Friedrich Wilhelm von Nassau-Weilburg beschließen unter dem Druck Napoleons, ihre Fürstentümer zum Herzogtum Nassau zusammenzulegen.
6. September: Die Reichsstadt Frankfurt am Main wird in das Fürstentum Aschaffenburg einverleibt und nunmehr vom Fürstprimas des Rheinbunds, Karl Theodor von Dalberg, regiert.
15. September: Die Reichsstadt Nürnberg wird vom französischen Beauftragten Joseph-Mathieu Fririon offiziell an das neu gegründete Königreich Bayern übergeben.
16. Oktober: Die zu Preußen gehörende Stadt Erfurt kapituliert nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt gegenüber den Franzosen und wird bis 1814 von ihnen regiert.
6. November: Die Schlacht von Lübeck beendet den Rückzug Gebhard Leberecht von Blüchers.
7. November: Gebhard Leberecht von Blücher kapituliert nach der Schlacht bei Lübeck im Vierten Koalitionskrieg mit seinen preußischen Einheiten in Ratekau gegenüber den Franzosen unter Marschall Bernadotte. Die Lübecker Franzosenzeit beginnt.
19. November: Hamburg wird von napoleonischen Truppen besetzt. Es beginnt die Hamburger Franzosenzeit.
Aus Erfurt und den umliegenden Landen inklusive der Grafschaft Blankenhain wird das direkt dem Kaiser der Franzosen unterstehende Fürstentum Erfurt gebildet.
Großbritannien
11. Februar: William Wyndham Grenville, 1. Baron Grenville, wird als Nachfolger des am 23. Januar verstorbenen William Pitt zum britischen Premierminister ernannt. Da sich das Land im Krieg befindet, bemüht er sich um eine möglichst breite Koalition, die auch die Opposition unter Charles James Fox mit einschließt, die sogenannte „Regierung aller Talente“.
15. Februar: Im zwischen Napoleon Bonaparte und Christian von Haugwitz ausgehandelten Vertrag von Paris verpflichtet sich Preußen zur Sperre aller seiner Häfen für britische Schiffe und zur Besetzung Kurhannovers. Großbritannien erklärt daraufhin Preußen den Krieg.
27. Februar: Preußen proklamiert die Besetzung Kurhannovers, das in Personalunion mit Großbritannien verbunden war.
21. November: Napoleon erlässt das Berliner Dekret und errichtet damit die Kontinentalsperre gegen Großbritannien.
Russland
2. Juni: Beginn eines weiteren Russisch-Türkischen Krieges
28. November: Der russische Kaiser Alexander I. tritt in den Krieg gegen Napoleon mit ein. Am selben Tag besetzen während des Vierten Koalitionskrieges französische Einheiten das zu Preußen gehörende Warschau.
24. Dezember: Die vorausgegangene russische Besetzung der Donaufürstentümer Moldawien und Walachei löst die Kriegserklärung des Osmanischen Reiches an den Zaren aus.
30. Dezember: Nach der Kriegserklärung des Osmanischen Reiches besetzen die Russen Baku.
Der Großpolnische Aufstand beginnt.
Italien
Im 1805 gegründeten französisch dominierten Königreich Italien wird das französische Recht, insbesondere der Code civil eingeführt.
30. März: Joseph Bonaparte wird von seinem Bruder Napoleon zum König von Neapel ernannt.
Niederlande
5. Juni: Louis Bonaparte wird König des am 24. Mai durch Staatsvertrag zwischen Frankreich und der Batavischen Republik neu gegründeten Königreich Holland.
Andorra
Napoleon Bonaparte ernennt Andorra zur Republik.
Afrika
8. Januar: Die Kapkolonie wird zur britischen Kolonie. Großbritannien will damit seinen Seeweg nach Indien absichern.
19. Januar: Die Briten besetzen das Kap der Guten Hoffnung in der Kapkolonie. Sie eroberten elf Tage zuvor zur Sicherung ihres Seeweges nach Indien das Gebiet zurück, das sie 1803 der Batavischen Republik zurückgegeben hatten.
Amerika
23. März: Die Teilnehmer der Lewis-und-Clark-Expedition, der ersten Forschungsreise vom Osten Nordamerikas zur Pazifikküste, treten die Rückreise an.
30. Mai: In einem Duell tötet der spätere US-Präsident Andrew Jackson den regional bekannten Duellschützen Charles Dickinson, der Jacksons Frau verleumdet hat. Die nahe dem Herzen liegende Kugel Dickinsons bleibt lebenslang in Jacksons Körper.
25. Juni: Eine britische Invasion am Río de la Plata setzt mit der Eroberung der Stadt Quilmes durch Truppen unter dem Befehl General William Carr Beresfords ein. Zwei Tage später wird von ihnen Buenos Aires eingenommen.
15. Juli: Vereinigte Staaten: Die Pike-Expedition beginnt.
12. August: In Buenos Aires kapitulieren die durch eine britische Invasion im Land befindlichen Soldaten unter dem Befehlshaber William Carr Beresford gegenüber den spanischen Streitkräften des späteren Vizekönigs Santiago de Liniers.
Weitere Ereignisse weltweit
18. August: Der Walfänger und Kapitän Abraham Bristow entdeckt die Gruppe der Aucklandinseln.
Meuterei in Velur
Wirtschaft
22. März: Mit dem Kauf dreier Eisenhütten im Saardepartement, der Neunkircher Hütte, der Fischbacher Schmelze und dem Halberger Werk, begründen die Brüder Friedrich Philipp Stumm, Christian Philipp Stumm und Johann Ferdinand Stumm in Saarbrücken das Unternehmen Gebrüder Stumm.
1. Juni: In Preußen wird Papiergeld, sogenannte „Tresorscheine“, ausgegeben.
9. Oktober: In der Schweiz wird in Brig nach mehrjähriger Bauzeit die neue Straße über den Simplonpass eröffnet. Den Anstoß lieferte Napoleon Bonaparte, der bessere Alpenübergänge für seine Truppen wünscht.
Wissenschaft und Technik
23. März: Nach dem Überwintern an der Mündung des Columbia River tritt die US-amerikanische Lewis-und-Clark-Expedition den nach St. Louis führenden Heimweg an.
7. Oktober: Der Engländer Ralph Wedgwood erhält ein Patent für einen Apparat zur Verdoppelung von Schriftstücken, mit dem ein tintengetränktes Papier in Verbindung mit einem Metall-Schreibstift gemeint war. Die Produktion beginnt er einige Jahre später.
21. Dezember: Alexander von Humboldt berichtet erstmals von einem magnetischen Sturm.
Der amerikanische Publizist, Übersetzer und Schriftsteller Noah Webster veröffentlicht das Wörterbuch A Compendious Dictionary of the English Language. Auf dieses Werk geht der Großteil der Unterschiede zwischen dem amerikanischen und dem britischen Englisch zurück.
Kultur
Literatur
Clemens Brentano und Achim von Arnim veröffentlichen den ersten Band der Volksliedsammlung Des Knaben Wunderhorn. Das Werk enthält Liebes-, Soldaten-, Wander- und Kinderlieder vom Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert.
Johann Wolfgang von Goethe vollendet sein bekanntestes Werk Faust. Eine Tragödie.
Musik und Theater
15. Januar: Die zweite Fassung des Trauerspiels Stella von Johann Wolfgang von Goethe hat seine Uraufführung in Weimar.
25. Februar: Am Theater am Kärntnertor in Wien hat die Oper Faniska von Luigi Cherubini ihre Uraufführung und wird enthusiastisch gefeiert.
4. Oktober: Die Uraufführung der komischen Oper Philoclès von Victor Dourlen findet an der Opéra-Comique in Paris statt.
Herbst: Ludwig van Beethoven vollendet die Arbeit an seiner 4. Sinfonie.
23. Dezember: Ludwig van Beethoven bringt auf einem seiner Konzerte im Theater an der Wien bei Wien sein einziges Violinkonzert zur Uraufführung.
26. Dezember: Die Oper Adelasia ed Aleramo von Johann Simon Mayr auf das Libretto von Luigi Romanelli wird in der Karnevalssaison an der Mailänder Scala uraufgeführt. Unter anderem stehen Giacomo David, Teresa Belloc-Giorgi und Impératrice Sessi auf der Bühne.
Sonstiges
26. Februar: Kaiser Napoléon I. erteilt den Auftrag zum Bau eines Triumphbogens in Paris. Für den Arc de Triomphe du Carrousel steht der Konstantinsbogen in Rom Pate.
15. August: Der Grundstein für den Pariser Arc de Triomphe wird gelegt.
30. November: Gründung des Corps Bavaria in München
Gesellschaft
11. August: König Friedrich Wilhelm III. verfügt die Gründung der ersten preußischen Blindenschule als „Preußisch-Königliche Bildungsanstalt“.
19. Oktober: Johann Wolfgang von Goethe und Christiane Vulpius werden in der Sakristei der Weimarer Jakobskirche getraut.
Die Engländerin Anne Lister beginnt – zunächst nur auf einzelnen Papierfetzen – mit dem Verfassen ihrer Tagebücher.
Religion
30. Juli: Mit königlicher Genehmigung darf im katholischen München die erste protestantische Kirchengemeinde in der bayerischen Hauptstadt errichtet werden.
Katastrophen
2. September: Beim Bergsturz von Goldau, bei dem sich an der Südflanke des Rossberges im Kanton Schwyz beinahe 40 Millionen m³ Nagelfluhgestein von der Gnipenspitze auf einer circa 20° talwärts geneigten Gleitbahn über stark durchfeuchteten tonigen Zwischenschichten in Bewegung setzen und ungefähr 1000 Meter ins Tal stürzen, kommen 457 Menschen ums Leben, über 100 Häuser, 220 Ställe und Scheunen sowie zwei Kirchen und zwei Kapellen wurden zerstört. Die Dörfer Goldau und Röthen sind verschwunden, und der Lauerzersee verkleinert sich um ein Siebtel seiner Fläche. Augenzeugen berichten, der Bergsturz habe eine 20 Meter hohe Flutwelle ausgelöst. Es ist dies neben dem Basler Erdbeben 1356 die schwerste Naturkatastrophe in der Geschichte der Schweiz.
Geboren
Januar/Februar
1. Januar: Karl von Weber, deutscher Historiker († 1879)
1. Januar: Lionel Kieseritzky, französisch-polnischer Schachmeister († 1853)
3. Januar: Henriette Sontag, deutsche Opernsängerin († 1854)
9. Januar: Augustus Bradford, US-amerikanischer Politiker († 1881)
13. Januar: Michel Chevalier, französischer Ökonom und Freihändler († 1879)
14. Januar: John Bragg, US-amerikanischer Politiker († 1878)
14. Januar: Matthew Fontaine Maury, US-amerikanischer Marineoffizier und Hydrograph († 1873)
16. Januar: Bernhard von Neher, deutscher Maler († 1886)
18. Januar: Dorothea Pfeiffer, deutsche Malerin († 1864)
19. Januar: Wenzel Heinrich Veit, tschechischer Komponist († 1864)
22. Januar: Antonio Caccia der Ältere, Schweizer Schriftsteller italienischer Sprache († 1875)
27. Januar: Juan Crisóstomo de Arriaga, spanischer Violinist und Komponist († 1826)
28. Januar: William Aiken Jr., US-amerikanischer Politiker († 1887)
1. Februar: Ignaz Pallme, österreichischer Handelsreisender und Afrikaforscher († 1877)
2. Februar: Theodor Avé-Lallemant, deutscher Musikkritiker und Musikschriftsteller († 1890)
3. Februar: Ansel Briggs, US-amerikanischer Politiker († 1881)
9. Februar: Friedrich August Bouterwek, deutscher Historienmaler († 1867)
10. Februar: Orville Hickman Browning, US-amerikanischer Politiker († 1881)
15. Februar: Franz Xaver Haimerl, österreichischer Jurist und Hochschullehrer († 1867)
18. Februar: Georg Achleitner, österreichischer Jurist und Politiker († 1883)
18. Februar: Eduard Heis, deutscher Mathematiker und Astronom († 1877)
20. Februar: Johannes von Kuhn, deutscher Theologe († 1887)
21. Februar: Johann Georg Hiltensperger, deutscher Bauunternehmer († 1890)
23. Februar: Manfredo Fanti, italienischer General († 1865)
25. Februar: Friedrich Welwitsch, österreichischer Afrikaforscher und Botaniker († 1872)
26. Februar: Masanori Abe, japanischer Adeliger († 1823)
28. Februar: Gustav Eduard Benseler, deutscher Altphilologe und Lexikograf († 1868)
März/April
3. März: Emil Adolf Roßmäßler, deutscher Naturforscher und Volksschriftsteller († 1867)
3. März: Karl Theodor Albert Liebner, deutscher lutherischer Theologe, Philologe und Historiker († 1871)
6. März: Elizabeth Barrett Browning, englische Dichterin († 1861)
9. März: Wilhelm Lindenschmit der Ältere, deutscher (Historien-)Maler († 1848)
10. März: Eduard Friedrich Weber, deutscher Physiologe und Arzt († 1871)
11. März: Louis Boulanger, französischer Maler († 1867)
20. März: Désiré Nisard, französischer Literaturhistoriker († 1888)
21. März: Johannes Carl, deutscher evangelischer Theologe, Konsistorialrat und Dichter († 1887)
21. März: Benito Juárez, mexikanischer Präsident († 1872)
23. März: Hermann Ulrici, deutscher Philosoph († 1884)
28. März: Karl Friedrich Nägelsbach, deutscher Altphilologe († 1859)
28. März: Hans Victor von Unruh, preußischer Politiker und Regierungsrat († 1886)
2. April: Friedrich Halm, österreichischer Dichter und Dramatiker († 1871)
2. April: Gabriel Riesser, deutscher Rechtsanwalt und Politiker († 1863)
2. April: Giacomo Antonelli, römisch-katholischer Kardinal und Staatssekretär († 1876)
4. April: Claiborne Fox Jackson, US-amerikanischer Politiker († 1862)
6. April: Friedrich Ritschl, deutscher Sprachwissenschaftler († 1876)
8. April: Johann Maximilian von und zu Arco auf Valley, deutscher Gutsbesitzer und Politiker († 1875)
9. April: Isambard Kingdom Brunel, britischer Ingenieur († 1859)
10. April: Leonidas Polk, General der Konföderierten und anglikanischer Bischof († 1864)
11. April: Alexander Graf von Auersperg, österreichischer Dichter und Politiker († 1876)
11. April: Friedrich Constantin von Beust, deutscher Geologe und Jurist († 1891)
11. April: Pierre Guilleaume Fréderic Le Play, französischer Ingenieur, Ökonom, Soziologe und Sozialreformer († 1882)
11. April: Joseph A. Woodward, US-amerikanischer Politiker († 1885)
15. April: Émile Souvestre, französischer Roman- und Bühnendichter († 1854)
20. April: Niklaus Kaiser, Schweizer Förster und Politiker († 1869)
22. April: Moody Currier, US-amerikanischer Politiker († 1898)
23. April: Conrad Abée, kurhessischer Politiker und Minister († 1873)
23. April: Wilhelm Wackernagel, deutscher Schriftsteller und Germanist († 1869)
25. April: Robert von Prittwitz und Gaffron, preußischer Regierungspräsident in Schlesien († 1889)
25. April: Wilhelm, Herzog von Braunschweig († 1884)
27. April: Maria Christina von Neapel-Sizilien, Königin und Regentin von Spanien († 1878)
28. April: Rudolf Christian Böttger, deutscher Chemiker und Physiker († 1881)
29. April: Ernst von Feuchtersleben, österreichischer Popularphilosoph († 1849)
Mai/Juni
2. Mai: Charles Gleyre, Schweizer Maler († 1874)
3. Mai: Felipe Santiago de Salaverry, peruanischer General und Staatspräsident von Peru († 1836)
4. Mai: William Fothergill Cooke, englischer Erfinder († 1879)
6. Mai: Georg von Stockau, österreichischer Politiker und Gutsbesitzer († 1865)
8. Mai: António José de Ávila, portugiesischer Politiker († 1881)
8. Mai: Johann Friedrich Kittl, tschechischer Komponist († 1868)
12. Mai: Georg Adolf Erman, deutscher Physiker († 1877)
15. Mai: Christopher Robinson, US-amerikanischer Politiker († 1889)
20. Mai: John Stuart Mill, englischer Philosoph und Ökonom († 1873)
26. Mai: Louis-Marie-Joseph-Eusèbe Caverot, französischer Kardinal und Erzbischof von Lyon († 1887)
26. Mai: Vinzenz Jakob von Zuccalmaglio, deutscher Schriftsteller und Dichter († 1876)
29. Mai: Karl Bötticher, deutscher Architekt, Kunsthistoriker und Archäologe († 1889)
1. Juni: Samuel Arnold, US-amerikanischer Politiker († 1869)
1. Juni: Théodore Maunoir, Mitbegründer des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz († 1869)
2. Juni: Rudolf Anger, deutscher Theologe und Philosoph († 1866)
7. Juni: Domenico Consolini, italienischer Kurienkardinal († 1884)
9. Juni: Ernst von Bibra, Naturforscher und Schriftsteller († 1878)
9. Juni: Ludwig III., Großherzog von Hessen-Darmstadt († 1877)
11. Juni: Julius Köbner, Mitbegründer der deutschen Baptistengemeinden († 1884)
12. Juni: John Augustus Roebling, deutsch-amerikanischer Ingenieur († 1869)
13. Juni: Bernard ter Haar, niederländischer reformierter Theologe, Kirchenhistoriker und Dichter († 1880)
18. Juni: Abijah Gilbert, US-amerikanischer Politiker († 1881)
22. Juni: Magnús Eiríksson, isländischer Theologe und religiöser Schriftsteller († 1881)
22. Juni: Émile de Girardin, französischer Verleger († 1881)
24. Juni: John Cummins Edwards, US-amerikanischer Politiker († 1888)
24. Juni: Julius von Leypold, deutscher Landschaftsmaler († 1874)
27. Juni: Augustus De Morgan, englischer Mathematiker († 1871)
27. Juni: Carl August Dohrn, deutscher Entomologe († 1892)
Juli/August
4. Juli: Wilhelm Beckershoff, deutscher Kommunalpolitiker, Bauunternehmer und Steinbruchbesitzer († 1873)
6. Juli: Charles J. Faulkner, US-amerikanischer Politiker († 1884)
7. Juli: Michele Amari, italienischer Geschichtsforscher und Orientalist († 1889)
14. Juli: Benning W. Jenness, US-amerikanischer Politiker († 1879)
18. Juli: Erwin Speckter, deutscher Maler († 1835)
19. Juli: Alexander Dallas Bache, US-amerikanischer Physiker († 1867)
19. Juli: Lorenz Diefenbach, deutschnationaler Schriftsteller und Sprachwissenschaftler († 1883)
22. Juli: Johann Kaspar Zeuß, deutscher Philologe († 1856)
23. Juli: Charles Stoddart, britischer Diplomat († 1842)
28. Juli: Alexander Iwanow, russischer Landschaftsmaler († 1858)
28. Juli: Fridolin Josef Landolt, Schweizer Jurist († 1880)
2. August: Alexander von Soiron, Abgeordneter in der Frankfurter Nationalversammlung († 1855)
10. August: Arunah Shepherdson Abell, US-amerikanischer Verleger († 1888)
10. August: Carl Franz Wilhelm Edel, deutscher Jurist und Politiker († 1890)
10. August: Paul-Eugène Lequeux, französischer Architekt († 1873)
10. August: Julius Weisbach, deutscher Mathematiker und Ingenieur († 1871)
11. August: Willem Hendrik de Vriese, niederländischer Mediziner und Botaniker († 1862)
17. August: Johann Kaspar Mertz, slowakischer Komponist und Gitarrist († 1856)
17. August: Karl von Schrenck von Notzing, bayerischer Politiker († 1884)
20. August: Leopold Bornitz, deutscher Arzt und Schriftsteller († 1853)
21. August: Johannes Frederik Fröhlich, dänischer Komponist († 1860)
22. August: Thomas B. Butler, US-amerikanischer Politiker († 1873)
September/Oktober
5. September: Louis Juchault de Lamoricière, französischer General und Staatsmann († 1865)
7. September: Christian August Friedrich Peters, deutscher Astronom († 1880)
13. September: Carl Anton Christian Agthe, deutscher Theologe und Pädagoge († 1876)
16. September: Fjodor Fjodorowitsch Andresen, russischer Maler († 1880)
17. September: Guillaume-Benjamin Duchenne, französischer Physiologe († 1875)
18. September: Heinrich Laube, deutscher Schriftsteller und Dramatiker († 1884)
19. September: Fabre Geffrard, haitianischer Politiker († 1879)
27. September: Eberhard Anheuser, deutscher Unternehmer und Brauereibesitzer († 1880)
28. September: Francisco Malespín, Präsident von El Salvador († 1846)
29. September: Friedrich Feuerbach, Philologe und Philosoph († 1880)
3. Oktober: Oliver Cowdery, Mitbegründer der Mormonenbewegung († 1850)
9. Oktober: Anton von Stabel, badischer Staatsmann und Jurist († 1880)
13. Oktober: Otto Unverdorben, Kaufmann und Apotheker († 1873)
14. Oktober: Alexander Carl Friedrich von Arentschildt, hannoverscher und preußischer Generalleutnant († 1881)
14. Oktober: Preston King, US-amerikanischer Politiker († 1865)
16. Oktober: William P. Fessenden, US-amerikanischer Politiker († 1869)
24. Oktober: Friedrich Ludwig Niemann, Industrieller in Essen-Horst († 1889)
25. Oktober: Max Stirner, deutscher Philosoph und Journalist († 1856)
30. Oktober: Edward Junius Black, US-amerikanischer Politiker († 1846)
November/Dezember
8. November: Herman Merivale, englischer Staatsbeamter und Autor († 1874)
8. November: Emil Pfeifer war ein deutscher Unternehmer der Zucker- und Motorenindustrie († 1889)
20. November: Jean Hippolyte Michon, französischer Schriftsteller und Begründer der modernen Graphologie († 1881)
21. November: Adolf Harleß, deutscher protestantischer Theologe († 1879)
22. November: Lafayette S. Foster, US-amerikanischer Politiker († 1880)
23. November: Philipp Hoffmann, deutscher Architekt und Stadtbaumeister († 1889)
23. November: Francis Ormand Jonathan Smith, US-amerikanischer Politiker († 1876)
23. November: Johann Jakob Sulzer, Schweizer Eisengießer und Unternehmer († 1883)
24. November: William Webb Ellis, englischer Geistlicher, angeblicher Erfinder des Rugby († 1872)
24. November: Omar Pascha, türkischer General und Renegat († 1871)
2. Dezember: Hans Heinrich X. Fürst von Pless, deutscher Standesherr und Montanindustrieller († 1855)
4. Dezember: Portus Baxter, US-amerikanischer Politiker († 1868)
4. Dezember: Wilhelm Meyer, Schweizer Offizier und Bühnen- und Architekturmaler († 1848)
6. Dezember: Gilbert Duprez, französischer Operntenor und Komponist († 1896)
11. Dezember: Hermann von Abich, deutscher Mineraloge, Geologe und Forschungsreisender († 1886)
11. Dezember: Heinrich Aemilius August Danz, deutscher Rechtsgelehrter († 1881)
12. Dezember: François Blanc, französischer Mathematiker und Finanzier († 1877)
12. Dezember: Stand Watie, Angehöriger der Cherokee und General des konföderierten Heeres im Sezessionskrieg († 1871)
14. Dezember: Ernst Casimir II. zu Ysenburg und Büdingen, Fürst zu Ysenburg und Büdingen († 1861)
16. Dezember: Pierre Lachambeaudie, französischer Fabeldichter († 1872)
17. Dezember: Johann Christian Friedrich Tuch, deutscher Orientalist († 1867)
18. Dezember: Thomas Davis, US-amerikanischer Politiker († 1895)
20. Dezember: Joseph W. Chalmers, US-amerikanischer Politiker und Jurist († 1853)
23. Dezember: Marie von Augustin, österreichische Malerin und Schriftstellerin († 1886)
25. Dezember: Auguste Anicet-Bourgeois, französischer Theaterdichter († 1871)
26. Dezember: Karl Ernst Georges, deutscher Altphilologe, Lehrer und Lexikograf († 1895)
27. Dezember: Ramón Cabrera y Griño, Heerführer der spanischen Karlisten († 1877)
27. Dezember: Ferdinand Gustav Kühne, deutscher Schriftsteller und Literaturkritiker († 1888)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Alcée Louis la Branche, US-amerikanischer Politiker († 1861)
Carl Georg Wenner, Bürgermeister von Lörrach († 1863)
Gestorben
Januar bis März
6. Januar: Johann Heinrich Riesener, deutschstämmiger Ebenist und Möbelkünstler (* 1734)
12. Januar: Manuel Abad y Lasierra, spanischer Bischof (* 1729)
16. Januar: Nicolas Leblanc, französischer Arzt und Chemiker (* 1742)
21. Januar: Henry Ellis, britischer Forscher, Autor und Kolonialgouverneur der Province of Georgia (* 1721)
23. Januar: William Pitt der Jüngere, Premierminister von Großbritannien (* 1759)
26. Januar: Richard Law, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1733)
26. Januar: Jean-Joseph Mounier, französischer Politiker (* 1758)
26. Januar: Johann Christoph Friedrich Schulz, deutscher evangelischer Theologe (* 1774)
30. Januar: Ernst Ludwig Wilhelm von Dacheröden, deutscher Beamter (* 1764)
2. Februar: Daniel Rogers, US-amerikanischer Politiker (* 1754)
3. Februar: Nicolas Edme Restif de la Bretonne, französischer Schriftsteller (* 1734)
6. Februar: Abiel Foster, US-amerikanischer Politiker (* 1735)
11. Februar: Vincente Martín y Soler, spanischer Komponist (* 1750/54)
12. Februar: Andreas Stütz, österreichischer Geologe und Mineraloge (* 1747)
13. Februar: Sámuel Ambrózy, ungarischer Theologe (* 1748)
18. Februar: Brigida Banti, italienische Opernsängerin (* 1755)
19. Februar: Elizabeth Carter, englische Dichterin, Altertumswissenschaftlerin, Autorin und Übersetzerin (* 1717)
24. Februar: Carl Friedrich Hagemann, österreichischer Bildhauer (* 1772)
24. Februar: Collin d’Harleville, französischer Dramatiker (* 1755)
25. Februar: Heinrich Christian Boie, deutscher Schriftsteller und Herausgeber (* 1744)
26. Februar: Thomas Alexandre Dumas, französischer General, Vater von Alexandre Dumas dem Älteren und Großvater von Alexandre Dumas dem Jüngeren (* 1762)
5. März: George Benjamin von Arnold, deutscher Land- und Justizrat (* 1737)
10. März: François Denis Tronchet, französischer Jurist (* 1726)
13. März: James McLene, US-amerikanischer Politiker (* 1730)
16. März: Johann Clemens Tode, deutsch-dänischer Mediziner, Hochschullehrer und Schriftsteller (* 1736)
19. März: James Jackson, US-amerikanischer Politiker (* 1757)
23. März: George Frederick Pinto, englischer Komponist (* 1785)
30. März: Georgiana Cavendish, Duchess of Devonshire, englische Adelige (* 1757)
April bis Juni
2. April: Werner Marx, Generalvikar in Köln (* 1746)
2. April: Karl Heinrich Seibt, deutscher Pädagoge und katholischer Theologe (* 1735)
4. April: Carlo Gozzi, italienischer Autor und Dramatiker (* 1720)
6. April: Franz Anton von Blanc, österreichischer Beamter (* 1734)
8. April: Robert Barker, irischer Maler (* 1739)
9. April: Wilhelm V., Statthalter der Niederlande (* 1748)
9. April: Johann Ernst Schulz, deutscher evangelischer Theologe (* 1742)
10. April: Horatio Gates, US-amerikanischer General im Unabhängigkeitskrieg (* 1727)
22. April: Pierre de Villeneuve, französischer Admiral (* 1763)
26. April: Wenzel Bernard Ambrozy, böhmischer Historienmaler (* 1723)
27. April: Amalie von Gallitzin, Mitbegründerin des „romantischen“ Katholizismus (* 1748)
30. April: Onogawa Kisaburo, Sumōringer und fünfter Yokozuna (* 1758)
7. Mai: Heinrich Wilhelm von Huth, dänischer General der Artillerie (* 1717/1712?)
8. Mai: Robert Morris, britisch-US-amerikanischer Unternehmer und einer der Gründerväter der USA (* 1734)
9. Mai: Eiler Christopher von Ahlefeldt, deutsch-dänischer Amtmann (* 1736)
15. Mai: James Watson, US-amerikanischer Politiker (* 1750)
21. Mai: Maria Antonia von Neapel-Sizilien, Fürstin von Asturien und Infantin von Spanien (* 1784)
31. Mai: Urban Bruun Aaskow, dänischer Mediziner (* 1742)
31. Mai: George Macartney, britischer Staatsmann, Kolonialbeamter und Diplomat (* 1737)
31. Mai: Michael von Melas, österreichischer General (* 1729)
Mai: John Jordan Crittenden Sen., US-amerikanischer Offizier und Politiker (* 1754)
5. Juni: Gabriel François Doyen, französischer Maler (* 1726)
8. Juni: Johann La Roche, österreichischer Schauspieler (* 1745)
8. Juni: George Wythe, Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung der USA (* 1726)
21. Juni: Johann Ignaz Schiffermüller, österreichischer Autor und Zoologe (* 1727)
21. Juni: Xaver, sächsischer und polnischer Prinz (* 1730)
23. Juni: Mathurin-Jacques Brisson, französischer Zoologe und Naturphilosoph (* 1723)
23. Juni: Adolf Friedrich Harper, deutscher Maler (* 1725)
Juli bis September
4. Juli: Karl Ernst von Dobschütz, schlesischer Gutsbesitzer, Falschmünzer, Staatsverbrecher (* 1753)
7. Juli: Isaak Daniel Itzig, königlich preußischer Hoffaktor und -bankier (* 1750)
11. Juli: James Smith, Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung der USA (* um 1719)
25. Juli: Justus Arnemann, deutscher Medizinprofessor und Chirurg (* 1763)
25. Juli: Friedrich Gustav Arvelius, estnisch-deutschbaltischer Schriftsteller und Volksaufklärer (* 1753)
26. Juli: Karoline von Günderrode, deutsche Schriftstellerin (* 1780)
2. August: Johann Heinrich Vincent Nölting, deutscher Theologe und Philosoph (* 1736)
3. August: Michel Adanson, französischer Botaniker (* 1727)
4. August: Johann Gottfried Hagemeister, deutscher Schauspieler, Dichter, Publizist und Lehrer (* 1762)
10. August: Michael Haydn, österreichischer Komponist (* 1737)
18. August: Johann August Arens, deutscher Architekt, Landschaftsgestalter und Maler (* 1757)
20. August: Karl Ludwig, Fürst von Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym und niederländischer General (* 1723)
22. August: Jean-Honoré Fragonard, französischer Maler (* 1732)
23. August: Charles Augustin de Coulomb, französischer Physiker (* 1736)
26. August: Johann Philipp Palm, Nürnberger Büchhändler (* 1766)
6. September: Johann Wilhelm Christian Brühl, deutscher Mediziner und Hochschullehrer (* 1757)
9. September: William Paterson, US-amerikanischer Staatsmann, Richter am Supreme Court (* 1745)
10. September: Johann Christoph Adelung, deutscher Bibliothekar und Sprachforscher (* 1732)
10. September: Johann Anton Leisewitz, deutscher Autor, Jurist und Schriftsteller (* 1752)
13. September: Charles James Fox, britischer Staatsmann und Redner (* 1749)
19. September: Franz Samuel Karpe, slowenisch-österreichischer Philosoph und Hochschullehrer (* 1747)
27. September: Wolfgang Heribert von Dalberg, Intendant des Nationaltheaters in Mannheim (* 1750)
28. September: August von Sachsen-Gotha-Altenburg, Prinz aus der Linie Sachsen-Gotha-Altenburg (* 1747)
Oktober bis Dezember
9. Oktober: Friedrich August Brand, österreichischer Maler und Kupferstecher (* 1735)
10. Oktober: Louis Ferdinand von Preußen, Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen (* 1772)
10. Oktober: Theresa Concordia Maron, deutsche Malerin (* 1725)
17. Oktober: Jean-Jacques Dessalines, als Jacques I. Kaiser von Haiti (* 1758)
18. Oktober: Friedrich Wilhelm Carl von Schmettau, deutscher Kartograf (* 1743)
25. Oktober: Henry Knox, erster US-amerikanischer Kriegsminister (* 1750)
26. Oktober: John Graves Simcoe, Vizegouverneur von Oberkanada (* 1752)
27. Oktober: Helwig Bernhard Jaup, deutscher Jurist und Hochschullehrer (* 1750)
28. Oktober: Charlotte Turner Smith, englische Dichterin, Schriftstellerin und Übersetzerin (* 1749)
30. Oktober: Friedrich Gabriel Resewitz, deutscher Abt, Pädagoge und Bildungspolitiker (* 1729)
31. Oktober: Sophie Mereau, deutsche Schriftstellerin der deutschen Romantik (* 1770)
1. November: Johann Gottfried Kletschke, deutscher evangelischer Geistlicher (* 1748)
1. November: Ludwig Zöschinger, deutscher Geistlicher, Komponist und Organist (* 1731)
5. November: Franz Novotny, rumäniendeutscher Kirchenmusiker und Komponist (* 1748)
10. November: Karl Wilhelm Ferdinand, preußischer Feldmarschall (* 1735)
11. November: Fra Diavolo, eigentlich Michele Pezza, süditalienischer Straßenräuber und Widerstandskämpfer gegen die französische Vorherrschaft (* 1771)
11. November: Joseph Gottlieb Kölreuter, deutscher Botaniker und Professor (* 1733)
18. November: Claude-Nicolas Ledoux, französischer Architekt (* 1736)
1. Dezember: Johann August Urlsperger, deutscher Theologe und Prediger (Pietist) (* 1728)
9. Dezember: Franz, Herzog von Sachsen-Coburg-Saalfeld (* 1750)
14. Dezember: John Breckinridge, US-amerikanischer Politiker (* 1760)
29. Dezember: Charles Lennox, 3. Duke of Richmond, britischer Feldmarschall und Politiker (* 1735)
Genaues Todesdatum unbekannt
Martin Lampe, langjähriger Diener Immanuel Kants (* 1734)
Sakurada Jisuke I., japanischer Kabukiautor (* 1734)
Mungo Park, britischer Afrikareisender (* 1771)
Kitagawa Utamaro, japanischer Farbholzschnittkünstler (* 1753)
Literatur
Burgdorf, Wolfgang: Ein Weltbild verliert seine Welt. Der Untergang des Alten Reiches und die Generation 1806, München 2006.
Fesser, Gerd: 1806. Die Doppelschlacht bei Jena und Auerstedt, Jena/Quedlinburg 2006.
Hartmann, Peter C.; Schuller, Florian (Hgg.): Das Heilige Römische Reich und sein Ende 1806. Zäsur in der deutschen und europäischen Geschichte, Regensburg 2006.
Kraus, Hans-Christof: Das Ende des alten Deutschland. Krise und Auflösung des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, Berlin 2006.
Mazohl-Wallnig, Brigitte, Zeitenwende 1806: Das Heilige Römische Reich und die Geburt des modernen Europa, Wien 2006.
Schmettger, Matthias / Rolle, Christine (Hgg.): Epochenjahr 1806? Das Ende des Alten Reichs in zeitgenössischen Perspektiven und Deutungen, Zabern, Mainz 2008.
Taddey, Gerhard (Hrsg.): 1806 – Souveränität für Baden und Württemberg, Stuttgart 2007.
Einzelnachweise
Weblinks
Digitalisierte Zeitungen des Jahres 1806 im Zeitungsinformationssystem (ZEFYS) der Staatsbibliothek zu Berlin
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Q6903
| 550.735682 |
396955
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https://de.wikipedia.org/wiki/Realname
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Realname
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Der Realname oder Personenname ist der wirkliche Name einer natürlichen Person. Dieser Name steht in der Regel als voller Name im amtlichen Ausweis. In der Gemeinsamen Normdatei wird der Realname in Abgrenzung zum Pseudonym als wirklicher Name bezeichnet. In Literaturwissenschaft und Anthroponymie wird der Begriff Realname als Gegenteil eines Pseudonyms verwendet. Die Eigenschaft eines Werks, unter Realnamen des Autors zu erscheinen, wird als Onymität bezeichnet.
Abgrenzung zu anderen Begriffen
Bürgerlicher Name
Vom Realnamen wird der bürgerliche Name unterschieden, der auf Anschriften, in Verzeichnissen, Zeitungsberichten und im bürgerlichen Geschäftsverkehr genutzt wird. Ein Beispiel: Der frühere Verteidigungsminister zu Guttenberg heißt mit vollem Namen Karl-Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester Buhl-Freiherr von und zu Guttenberg (und stünde somit bei B im Anschriftenverzeichnis). Der bürgerliche Name hingegen ist Karl-Theodor zu Guttenberg und wird bei G eingeordnet. Halbjahres- und Arbeitszeugnisse sollen den bürgerlichen Namen tragen, Ausbildungs-Abgangszeugnisse den vollen Namen.
Geburtsname und Taufname
Der Begriff Geburtsname bezieht sich im Namensrecht auf den Familiennamen. Der Geburtsname ist im Bürgerlichen Gesetzbuch der Name, der in die Geburtsurkunde von Verlobten zur Zeit der Eheschließung einzutragen ist. Wird eine Geburtsurkunde ausgestellt, ist der Name einzutragen, den das Kind zur Zeit der Ausstellung der Urkunde als Geburtsname führt. Außerdem wird der Begriff „Geburtsname“ verwendet, um im Gegensatz zum Pseudonym den in der Geburtsurkunde eingetragenen Namen oder Taufnamen zu benennen.
Pseudonym
In Literaturwissenschaft und Anthroponymie wird der Begriff Realname als Gegenteil eines Pseudonyms verwendet. Weitere Namen, die keine Realnamen sind, sind Decknamen (im Bereich der Geheimdienste und der Polizei), Spitznamen (unter Freunden oder in der Familie) und Nicknames (beispielsweise in Internetforen). In diesem Zusammenhang nennt man einen Realnamen auch Klarname oder Orthonym. Ein Pseudonym kann zum Realnamen werden, siehe etwa Loriot (Künstlername), Lenin oder Stalin (Kampfnamen). In einigen sozialen Netzwerken im Internet gibt es eine intensive Diskussion um die Frage, ob ein Realname oder ein Nickname genutzt werden sollte.
Ähnliche Begriffe
Im Telemediengesetz wird in Abgrenzung zum Pseudonym der Begriff Klarname verwendet, der im Mittelpunkt der Debatte um Klarnamenszwang steht. Im Urheberrecht wird als Gegensatz zum Pseudonym auch der Begriff Orthonym verwendet. Die Eigenschaft literarischer Werke, den Realnamen des Autors zu tragen, wird in der Literaturtheorie in Abgrenzung zur Anonymität als Onymität bezeichnet.
Weblinks
Einzelnachweise
Personenname
Onomastik
Anonymität
Anthroponymie
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Q1071027
| 255.504961 |
13964
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lyon
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Lyon
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Lyon [] (, veraltet Lion, Leyden, Leiden, Welsch-Leyden oder Welsch-Leiden, ) ist eine Großstadt im Südosten Frankreichs. Sie ist Hauptort der Region Auvergne-Rhône-Alpes und der Gebietskörperschaft Métropole de Lyon, die seit dem 1. Januar 2015 existiert und die Aufgaben eines Départements ausübt. Lyon ist zudem Sitz der Präfektur des Départements Rhône, seit 2015 diesem jedoch nicht mehr zugehörig.
Mit 515.695 Einwohnern in der Kernstadt (Stand: Januar 2016) ist Lyon nach Paris und Marseille die drittgrößte Kernstadt des Landes. Lyon ist auch die Kernstadt der Métropole de Lyon, diese hat 1.398.892 Einwohner. Die gesamte Aire urbaine Lyon mit 2.323.221 Einwohnern ist nach Paris die zweitgrößte Frankreichs.
Die Altstadt Lyons und ein Teil der Halbinsel Lyon wurden 1998 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt.
Lyon ist Bischofssitz des Erzbistums Lyon der römisch-katholischen Kirche in Frankreich. Kathedralkirche ist die Kathedrale von Lyon in der Altstadt. Die Basilika Notre-Dame de Fourvière wurde in den Jahren 1872 bis 1884 auf dem Fourvière-Hügel errichtet. 2016 wurde Lyon als 61. Stadt der Ehrentitel „Reformationsstadt Europas“ durch die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa verliehen.
Die Lyoner Gastronomie genießt weltweiten Ruf. Die Vielfalt der traditionellen Küche findet in der seltenen Kombination aus Alpen-Nähe und schiffbarem Zugang zum Mittelmeer ihren Ursprung. Nördlich der Stadt liegt das Weinbaugebiet Beaujolais, südlich der Stadt schließen sich die Côtes du Rhône an. Historisch ist die Stadt eng mit den canuts, den Seidenwebern, verknüpft, deren Handwerk während der Industriellen Revolution die treibende Wirtschaftskraft war. Darüber hinaus ist Lyon als „Stadt des Lichtes“ bekannt, dem zu Ehren jährlich am 8. Dezember die Fête des Lumières gefeiert wird.
Lyon ist Sitz der internationalen Polizeibehörde Interpol und der Internationalen Agentur für Krebsforschung (International Agency for Research on Cancer, kurz IARC). Lyon ist nach Paris die zweitbedeutendste Stadt Frankreichs und gemäß GaWC eine Weltstadt mit dem Rang Beta − (Beta Minus).
Geographie
Lage
Die Stadt liegt am Zusammenfluss der Rhône und der Saône zwischen Jura im Nordosten, Alpen im Osten und Zentralmassiv im Südwesten. Das Siedlungsgebiet der eigentlichen Stadt geht nahtlos in das Gebiet angrenzender Städte und Gemeinden über, sodass sich hier eine dichte Metropolregion herausgebildet hat. Der größte „Vorort“ Lyons ist die Industriestadt Villeurbanne im Osten mit Einwohnern (Stand: ).
Während das alte Stadtzentrum zwischen den Flüssen und die Stadtquartiere östlich der Rhône in der breiten Schwemmebene angelegt sind, liegen die Wohngebiete westlich der Saône auf dem erhöhten Hügelgebiet über der Saôneschlaufe.
Nachbargemeinden von Lyon sind Collonges-au-Mont-d’Or und Caluire-et-Cuire im Norden, Villeurbanne und Bron im Osten, Vénissieux im Südosten, Saint-Fons und Pierre-Bénite im Süden, Oullins, La Mulatière und Sainte-Foy-lès-Lyon im Südwesten, Francheville, Tassin-la-Demi-Lune und Écully im Westen sowie Champagne-au-Mont-d’Or, Saint-Didier-au-Mont-d’Or und Saint-Cyr-au-Mont-d’Or im Nordwesten.
Lyon liegt etwa 470 km südlich von Paris, 320 km nördlich von Marseille, 160 km westlich von Genf und 280 km von Turin entfernt.
Klima
Wappen
Geschichte
Antike
Die zuvor keltische Siedlung wurde im Jahr 43 v. Chr. von den Römern unter dem keltischen Namen Lugdunum („Festung des Lug“) als Verwaltungszentrum Galliens gegründet. Diese Rolle hatte die Stadt über drei Jahrhunderte inne, bevor ihre Bedeutung im Zuge des Untergangs des Römischen Reiches zurückging. Der Name der Stadt wandelte sich im Laufe der Jahrhunderte sprachlich und hat folglich nichts mit dem Löwen () zu tun.
Im Jahr 177 wurde hier die Märtyrerin Blandina verbrannt, die später zur Stadtpatronin von Lyon erwählt wurde. Im 2. Jahrhundert lebte auch Irenäus von Lyon, der von 177 bis 202 Bischof war und als einer der bedeutendsten Kirchenväter und einer der ersten systematischen Theologen des Christentums gilt, in Lugdunum. Der spätere römische Kaiser Caracalla wurde am 4. April 188 im heutigen Lyon geboren, damals Verwaltungssitz der Provinz Gallia Lugdunensis, deren Statthalter sein Vater war. Er erhielt den Namen Septimius Bassianus. In der Spätantike bestand hier eine Hochschule, an der unter anderem auch Sidonius Apollinaris studierte. Lyon erhielt im 2. Jahrhundert den Bistumssitz und wurde im 3. Jahrhundert Erzbistum. Im Jahr 461 fiel die Stadt an die Burgunden und blieb bis zur fränkischen Eroberung 534 deren Königsresidenz. Die Stadt wurde 725 von den Arabern verwüstet, die aus Spanien kommend ins Frankenreich einfielen.
Mittelalter
Nach dem Tod Kaiser Ludwigs I. fiel der fränkische Reichsteil Burgund und damit auch Lyon bei der Teilung des Frankenreiches 843 an Kaiser Lothar I. bzw. dessen Mittelreich.
Als Kaiser Lothar I. kurz vor seinem Tod im September 855 in der Teilung von Prüm das Mittelreich unter seinen Söhnen aufteilte, erhielt Karl, der jüngste Sohn, die Provence sowie das südliche Burgund (Dukat Lyon). Aus diesen beiden Teilen ging später das hochmittelalterliche Königreich Burgund (Niederburgund oder auch Arelat genannt) hervor.
Karl starb jedoch bereits im Januar 863 ohne Nachkommen, und die beiden älteren Brüder teilten das Reich unter sich auf. Lothar II. erhielt den Dukat Lyon und Ludwig II. die Provence. Karl wurde im Nonnenkloster St. Petrus bei Lyon beigesetzt.
Als Lothar II. wenige Jahre später, 869, starb, wurde sein Reich 870 im Vertrag von Meerssen zwischen dem Westfrankenreich und Ostfrankenreich aufgeteilt. Lyon fiel damals an den westfränkischen König Karl den Kahlen. Als dieser sieben Jahre später starb, ergriff der burgundische Adlige Boso von Vienne die Gelegenheit, um ein eigenes Reich zu gründen. Er ließ sich mit päpstlicher Unterstützung 879 zum König von Burgund und der Provence ausrufen. Hauptstadt des Königreiches Niederburgund wurde jedoch nicht Lyon, sondern das weiter südlich gelegene Arles. Für Lyon resultierte daraus ein gewisser Bedeutungsverlust.
Erst im 11. Jahrhundert erlangte Lyon wieder größere überregionale Bedeutung, als Papst Gregor VII. am 20. April 1079 in der Päpstlichen Bulle Antiqua sanctorum patrum das Primat der Lyoner Kirche vor den Kirchen von Rouen, Tours, Sens und deren Suffraganen bestätigte und damit die Lyoner Kirche zur ersten unter allen Kirchen Galliens und damit zum Hauptsitz Galliens (), erklärte. Während die drei oben genannten Bischofssitze in Frankreich lagen, war Lyon einige Jahre zuvor, im Jahre 1032, als Teil des Königreichs Burgund (Arelat) an das Heilige Römische Reich gefallen. Daher stützte und stärkte Kaiser Friedrich I. diese vorrangige Stellung der Kirche Lyons in der darauf folgenden Zeit, indem er beispielsweise 1184 dem Erzbischof Johannes von Lyon Freiheit und Immunität für die Besitzungen seiner Kirche gewährte und ihn zum Exarchen der burgundischen Pfalz und obersten Fürsten seines Rates ernannte.
Der Erzbischof von Lyon, heute Philippe Barbarin, wird traditionell zum Kardinal erhoben und ist nach wie vor der Primas der katholischen Kirche in Frankreich. Im 13. Jahrhundert fanden zwei bedeutende Kirchenversammlungen statt, das erste (1245) und das zweite Konzil von Lyon (1274). Einer der Teilnehmer, der Kirchenlehrer Bonaventura, ist in der Église Saint-Bonaventure begraben.
1310 wurde die Stadt von französischen Truppen besetzt; die Pest wütete 1348 in Lyon.
Neuzeit
1529 kam es zu einem Aufstand der Armen in Lyon. Als Konsequenz gründeten die Bürger der Stadt eine Armenstiftung. 1536 begann in Lyon die Seidenweberei, die eine lukrative Einnahmequelle der Stadt wurde und industriell in den kommenden Jahrzehnten wuchs. Die Stadt war um 1550 Zentrum der Lyoneser Dichterschule. Während der Französischen Revolution war Lyon das Hauptwiderstandszentrum gegen den Nationalkonvent im südlichen Frankreich. Die Stadt war nicht nur ein Refugium für die Girondisten, die sich von den Jakobinern abgespalten hatten, sondern auch für Royalisten. Nachdem hier die jakobinische Stadtverwaltung verjagt worden war, entschloss sich der Nationalkonvent zu einem militärischen Vorgehen gegen die abtrünnige Stadt. Am 9. Oktober 1793 wurde Lyon nach 66 Tagen Belagerung von den Truppen des Nationalkonvents erobert. Unter Vorsitz der Konventsmitglieder Collot d’Herbois und Fouché folgte in den folgenden sechs Monaten ein blutiges Strafgericht, dem 1962 Stadtbewohner zum Opfer fielen. Schließlich ordnete der Nationalkonvent sogar an, dass die Häuser aller „Gegner der Revolution“ abzureißen seien. Lyon sollte zu einer „Ville sans Nom“ („Stadt ohne Name“) werden. Betroffen waren von dieser Maßnahme vor allem die Gebäude an der großen und zentralen Place Bellecour; sie wurde unter Napoleon Bonaparte wieder aufgebaut.
Im 19. Jahrhundert entwickelte sich Lyon zu einer bedeutenden Industriestadt, blieb aber auch weiterhin ein Zentrum der Seidenindustrie. In den Jahren 1831 und 1834 erlebte die Stadt zwei große Revolten der Seidenweber (), die vom französischen Militär niedergeschlagen wurden und jeweils hunderte Todesopfer forderten. Im Oktober/November 1840 litt die Stadt unter Überschwemmungen. Am 24. Februar 1848 entstand in Lyon ein Tumult, als die Nachricht von der Revolution in Paris eintraf. Am 15. Juni 1849 brach in Lyon ein Volksaufstand aus, der in Verbindung mit dem Pariser Tumult stand; die Revolte wurde durch die Truppen unter General Magnan niedergeworfen. Am 22. März 1871 kam es zu den blutigen Aufständen der Kommune, die das Rathaus besetzte. Dort wurde mit Unterstützung eines Teils der Offiziere, die sich mit der Pariser Kommune solidarisch erklärten, die zweite Kommune von Lyon proklamiert. Die Mehrheit der Armeeleitung setzte sich durch und beendete die Kommune am Morgen des 25. März 1871. Die Maurer und Steinmetze, die in der folgenden Zeit Lyon zur Industriemetropole ausbauten, stammten zumeist aus dem Limousin, sie waren im Syndicat des Maçons de Lyon et du Rhône organisiert. 1872 und 1894 fanden hier große Industrieausstellungen statt. Beim Besuch der letzteren wurde Präsident Carnot am 24. Juni 1894 ermordet.
Im Zweiten Weltkrieg wurde Lyon am 19. Juni 1940 von der Wehrmacht kampflos besetzt, den Vereinbarungen des Waffenstillstands entsprechend aber Anfang Juli wieder geräumt. Zur Zeit der deutschen Besatzung war die Stadt ein Mittelpunkt der Résistance. Am 3. September 1944 wurde Lyon durch die 1. Division der Forces françaises libres und die Forces françaises de l’intérieur befreit.
Unter dem langjährigen Bürgermeister Louis Pradel (1957–1976) kam es zu durchgreifenden Modernisierungen der städtischen Infrastruktur, aber auch zu Verlusten an historischer Substanz. Pradels Plan, durch das Stadtviertel Vieux Lyon, eines der größten erhaltenen Renaissanceviertel Europas, eine Schnellstraße zu bauen, führte zu Bürgerprotesten und zur Einführung des Gedankens des Ensembleschutzes ins französische Denkmalschutzrecht durch Kulturminister André Malraux.
Bevölkerungsentwicklung
Während in den letzten Jahrzehnten die Einwohnerzahl der Kernstadt stagniert bzw. leicht zurückgegangen ist, ist die Zahl der Einwohner der Metropolregion von 1.334.388 im Jahr 1962 auf 2.310.850 im Jahr 2016 gestiegen. Seit den 1990er Jahren steigt auch die Einwohnerzahl der Kernstadt wieder.
Wirtschaft und Infrastruktur
Wirtschaft
Laut einer Studie aus dem Jahr 2014 erwirtschafte Lyon ein Bruttoinlandsprodukt von 97 Milliarden US-Dollar in Kaufkraftparität. In der Rangliste der wirtschaftsstärksten Metropolregionen weltweit belegte die Stadt damit den 140. Platz. Das BIP pro Kopf liegt bei 43.316 US-Dollar (KKP).
Lyon ist eines der ältesten Zentren der französischen Fayence-Herstellung. Seit 1512 wird hier Fayence gefertigt, anfangs wohl von italienischen Einwanderern. Die Erzeugnisse des späten 16. Jahrhunderts erinnern an zeitgenössische Majoliken aus Urbino.
Das bekannteste Unternehmen aus Lyon ist wohl die Großbank Crédit Lyonnais, deren Hauptsitz sich in einem markanten Hochhaus namens Tour Part-Dieu im Osten der Stadt befindet. Das Gebäude wird wegen seiner Form Crayon (Bleistift) genannt.
Daneben ist Lyon ein wichtiger Standort des Pharma-Unternehmens Sanofi, dessen Vorläufer Rhône-Poulenc seinen Hauptsitz in Lyon hatte und Boehringer Ingelheim Animal Health. In der Stadt befindet sich die europäische Hauptgeschäftsstelle von Bayer CropScience. Mit Norbert Dentressangle ist einer der größten Logistikanbieter Frankreichs in Lyon ansässig.
Außerdem haben in Lyon der paneuropäische Fernsehsender Euronews und das Montanunternehmen Gindre Duchavany sowie der Softwarehersteller Cegid ihren Hauptsitz.
Ferner existieren Raffinerien und weitere Industrie.
In einer Studie des Beratungsunternehmens Mercer zur Lebensqualität in 231 Städten der Welt belegte Lyon den 40. Platz und lag damit einen Rang hinter Paris. (Stand: 2018)
Verkehr
Personennahverkehr
Bis in die 1950er Jahre gab es in Lyon ein umfassendes Netz von Trambahnlinien, die zum Teil weit über das Stadtgebiet, zum Teil bis in die Nachbardépartements reichten. Sie wurde von der städtischen Verkehrsgesellschaft Omnibus et tramways de Lyon (OTL) dominiert, die nach und nach Strecken von konkurrierenden Unternehmen übernahm, die nicht mehr selbständig arbeiten konnten. Begonnen hatte der Boom nach Konzessionen für die Öffentliche Personenverkehrsversorgung in den späten 1880er Jahren.
Die U-Bahn (Métro) umfasst heute vier Linien, von denen zwei fahrerlos (Linien B und D) und eine mit Zahnradbetrieb (Linie C) unterwegs ist. Daneben gibt es mit der Standseilbahn Saint-Jean–Saint-Just und der Standseilbahn Saint-Jean–Fourvière noch zwei von ehemals fünf Drahtseilbahnlinien (Funiculaire). Wegen des Seils haben sie den Spitznamen Ficelle (Bindfaden). Als Erweiterung des bestehenden Bus- und Oberleitungsbus-Netzes wurden ab 2000 sechs Straßenbahnlinien in Betrieb genommen. Seit einiger Zeit gibt es als Ergänzung zum klassischen ÖPNV ein System von Leihfahrrädern (Vélo’v), die als Vorbild für das 2007 in Paris eingeführte System Vélib zu sehen sind. Die Stationen sind über die ganze Stadt verteilt und in der ersten halben Stunde ist die Miete kostenlos.
Straßenverkehr
Die vielbefahrene Nord-Süd-Verbindung Autoroute du Soleil unterquert Lyon an der Westseite der Altstadt in einem Tunnel.
Schienenverkehr
Lyon ist Frankreichs zweitgrößter Eisenbahnknotenpunkt mit den Bahnhöfen Perrache und Part-Dieu sowie dem Rangierbahnhof Sibelin. 1981 war Lyon die erste Stadt, die mit Paris durch den TGV verbunden wurde. Seitdem ist die 466 Kilometer entfernte Stadt von Paris aus in zwei Stunden erreichbar. Die wichtige LGV-Méditerranée-Linie von Paris nach Marseille führt über den ebenfalls architektonisch bedeutsamen Bahnhof Lyon-Saint-Exupéry TGV. Lyon verfügt über eine Verladestelle für Autoreisezüge.
Wasserverkehr
Für die Rhoneschifffahrt befindet sich südlich der Stadt am östlichen Flussufer der große Frachtguthafen Port de Lyon Edouard Herriot mit multimodalen Umschlageinrichtungen. In der Nähe des Hafens liegt der Sitz der Infrastrukturfirma Compagnie nationale du Rhône, die den Lauf der Rhône von Lyon bis Marseille für die Schifffahrt und die Energiegewinnung ausgebaut hat.
Luftverkehr
Der internationale Flughafen Lyons liegt in Colombier-Saugnieu, etwa 25 km östlich der Stadt. Er ist nach Antoine de Saint-Exupéry benannt.
Bildung und Forschung
Zahlreiche Elitehochschulen, sogenannte Grandes écoles, haben hier ihren Sitz:
das politikwissenschaftliche Institut d’Études Politiques (Sciences-Po) de Lyon.
die bibliothekswissenschaftliche École nationale supérieure des sciences de l’information et des bibliothèques.
die Kunsthochschule École nationale supérieure des beaux-arts de Lyon (ENSBA Lyon)
die Wirtschaftshochschule École supérieure de commerce de Lyon (ESC Lyon), die jetzt École de Management (EMLYON Business School) heißt
die Wirtschaftshochschule École supérieure pour le développement économique et social
die Hochschule für Lehrer École normale supérieure de Lyon
die Hochschule École pour l’informatique et les techniques avancées
die Hochschule Institut polytechnique des sciences avancées
die Hochschule Institut Sup’Biotech de Paris, Campus Lyon
eine Hochschule mit Schwerpunkt Architektur, die École nationale supérieure d’Architecture de Lyon
das ingenieurwissenschaftliche Institut national des sciences appliquées de Lyon
die naturwissenschaftliche Hochschule École supérieure de chimie, physique, électronique de Lyon (CPE Lyon)
die Schauspielschule École nationale supérieure des arts et techniques du théâtre
Zum Verbund der Universität Lyon gehören
die naturwissenschaftlich ausgerichtete Université Claude Bernard Lyon 1,
die geisteswissenschaftlich ausgerichtete Université Lumière Lyon 2
und die Université Jean Moulin Lyon 3 mit Schwerpunkt Rechtswissenschaften.
Ferner gibt es die private Université Catholique de Lyon.
Außerdem bestehen folgende Hochschulen:
die IDRAC École de Commerce (IDRAC Lyon)
die École de commerce européenne de Lyon (ECE Lyon)
die École Centrale de Lyon
die private École catholique des arts et métiers (ECAM Lyon)
das tierärztliche Institut national d’enseignement supérieur et de recherche en alimentation, santé animale, sciences agronomiques et de l’environnement (VetAgro Sup)
die École nationale des travaux publics de l’État (ENTPE)
Kultur
Lyoner Küche
Lyon ist für seine Gastronomie berühmt. Die Lyoner Küche (auch Lyoneser Küche) ist einfach und beruht auf regionalen Produkten (Appellation d’Origine Contrôlée, abgekürzt: AOC) wie Geflügel aus der Bresse (Bressehuhn), Forellen aus den Flüssen der Alpen, aus den vielen Seen Hecht, Saibling, Felchen, Aal und Flusskrebse, Karpfen aus der Dombes, Obst aus den Monts Lyonnais und dem Rhônetal, Gemüse aus dem Flachland des Departements Ain, die Artischocken aus Vaulx-en-Velin, Käse aus der Dauphiné und dem Département Ardèche, Wein aus dem Beaujolais, aus der Region Côtes du Rhône, aus dem Bugey und dem Burgund.
Aus der Region um Lyon kommen auch viele weltbekannte Käse, darunter der Tomme de Savoie (ein milder Weichkäse) und der Beaufort (der Gruyère aus Savoyen), die Bergkäse Chevrotin des Alpes, Reblochon und Dauphinois, der Vacherin de Chambéry (ein cremiger Käse, der mit einem Löffel gegessen wird), die Blauschimmelkäse Bleu de Bresse und Bleu de Gex und der Ziegenkäse Chevretons du Beaujolais. In der Region gibt es nicht weniger als 17 Mineralquellen, darunter das Mineralwasser Evian. Der Chartreuse, ein Kräuterlikör, den Kartäusermönche der Großen Kartause bei Grenoble herstellen, stammt aus der Region.
Große Küchenchefs, wie Paul Bocuse, Pierre Orsi, Alain Chapel, Georges Blanc, Jean-Paul Lacombe, Guy Lassausaie oder Christian Têtedoie und auch der Mitbegründer der Restaurantkritik, Jean Anthelme Brillat-Savarin, haben zum guten Ruf der Lyoner Gastronomie beigetragen. Sie stehen in der gastronomischen Tradition der Mères Lyonnaises (Mütter von Lyon). Diese standen zuerst im Dienst großer Familien der Bourgeoisie und machten sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts selbstständig. Zu ihren Kunden gehörten Handwerkergesellen, die durch Frankreich reisten. Paul Bocuse hatte seine Karriere am Küchenherd der Mère Brazier begonnen, Georges Blanc ist ein direkter Nachfahre der Mère Blanc – andere berühmte Mères Lyonnaises sind: La Mère Vittet, la Mère Guy, la Mère Fillioux (Lehrmeisterin von Mère Brazier), la Mère Poupon, la Mère Brigousse, la Mère Léa und la Grande Marcelle.
Berühmte Gerichte, die in den typischen Bouchons, kleinen Restaurants mit traditioneller Küche, serviert werden, sind: Saladier lyonnais (ein Salat aus Schafsfüßen, Heringsfilets, Geflügelleber und hartgekochten Eiern), das Gratin dauphinois, die Pommes dauphine, die Lyoner Quiche, gebratene Froschschenkel, Poularde demi-deuil (Hähnchen mit Trüffeln unter der Haut), Poularde mit Flusskrebsen und Morcheln, Coq au Vin (Hahn in Wein geschmort), Tripes à la lyonnaise (Kutteln und ausgelöste Rinderfüße in Tomaten-Weißweinsauce), Quenelles (Fischklößchen, meist aus Hecht) an Sauce Nantua, Andouillette à la lyonnaise (Wurst aus Schweineinnereien und Kalbfleisch), Rosette de Lyon (eine luftgetrocknete, salamiartige Wurst), Rochen, Kaninchen mit Kastanien, Cardons à la moelle (Lauch mit Knochenmark), Cervelas Lyonnais (Brioche gefüllt mit einer Mischung aus Wurst, Trüffel und Pistazienkernen), Croquette de Valence (Crêpe gefüllt mit Schinken, Wildgeflügel und Pilzen), Walnuss-Torte, karamellisierte Äpfel und Bugnes de Lyon (Mini-Beignets mit Zitronenaroma). Die weltweit bekannteste Fleischwurst aus Lyon ist die Lyoner, dort wird sie einfach Cervelas genannt.
Architektur
Von den vielen bedeutenden Kirchengebäuden aus verschiedenen Epochen zählen die Kathedrale und Notre-Dame de Fourvière zu den Wahrzeichen der Stadt.
Auf dem Fourvière-Hügel im Westen der Stadt befindet sich ein Theater aus der Römerzeit, das auch heute noch für Aufführungen, vor allem in den Sommermonaten, genutzt wird sowie ein Odeon. Westlich der antiken Bauten liegt der Monumentalfriedhof Cimetière de Loyasse. Nordöstlich des Fourvière-Hügels, auf dem Croix-Rousse-Hügel stößt man auf die Reste des römischen Amphitheaters. Die Befestigungsanlagen aus dem 19. Jahrhundert (Ceintures de Lyon) wurden teilweise abgerissen (wie das Fort des Brotteaux), teilweise haben sie sich erhalten (wie das Fort Saint-Irénée, das Fort Montluc und das Fort Saint-Jean). Ein bemerkenswertes Bauwerk in Lyon ist der für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Tour métallique de Fourvière (Metallturm von Fourvière). Eine moderne Landmarke ist die Tour Part-Dieu.
Museen
In Lyon gibt es an die 30 Museen, so etwa das Musée des Confluences und das Musée des Beaux-Arts, die Stadtbibliothek mit 15 Abteilungen, ein Nationalorchester (Orchestre national de Lyon), ein Nationalkonservatorium sowie zahlreiche bedeutende Chöre.
Darstellende Kunst
Ein Lyoner Straßenname dürfte weltweit wohl einmalig sein: die Straße des ersten Films. Die Straße liegt im 8. Arrondissement und befindet sich an der Stelle, an der die Brüder Lumière 1895 den vermutlich ersten Film der Welt gedreht haben. Heute kann man in dieser Straße ein Museum zur Geschichte des Films im ehemaligen Wohnhaus der Familie Lumière besichtigen. In unmittelbarer Nähe wurde für das Institut Lumière (Lichtinstitut) ein modernes Kino erbaut, an der Stelle der ehemaligen Chemiefabrik der Gebrüder.
Neben zahlreichen Theatern und Kinos bietet Lyon auch ein Opernhaus (Opéra national de Lyon), das überregionale Bedeutung hat und dessen Architektur als Meisterwerk des Architekten Jean Nouvel gilt. Lyon ist auch bekannt für sein Marionettentheater, das sich um die stadtgeschichtlich geprägte Figur des französischen Kaspers (Guignol) rankt.
Eine weitere kulturelle Besonderheit ist das Maison de la Danse (Tanzhaus). Dieses bietet ein vollständig auf Tanz in all seinen Formen ausgerichtetes Programm an, von klassischem Ballett über modernen Tango bis zu experimentellem Tanztheater. Alle zwei Jahre organisiert das Maison de la Danse eine jeweils unter einem anderen Thema stehende Biennale, die die gesamte Stadt im September zwei Wochen lang in eine gigantische Tanzbühne verwandelt.
Am linken Saône-Ufer, nördlich des Stadtzentrums, befinden sich Les Subsistances. Der in einem alten Konvent untergebrachte Kulturkomplex widmet sich den aktuellen Ausdrucksformen artistischer Kreation, wie Tanz, Theater, neue Zirkusformen, Video und Computerperformances.
Wandmalerei
Die inzwischen weltweit tätige Lyoner Künstlergruppe CitéCréation wertete insbesondere den Stadtteil Les États-Unies (8. Arrondissement) mit großflächigen Fresken, Trompe-l’œils und weiteren Wandmalereien auf. Die Murals in Lyon bestehen inzwischen aus über 100 Kunstwerken auf Mauern und Gebäuden mit Motiven aus der Geschichte und dem Leben der Stadt. Die Wandbilder Fresque des Lyonnais aus den Jahren 1994/95 stellen auf einer Fläche von 800 Quadratmetern 24 historische und sechs zeitgenössische Personen aus Lyon dar. Dazu zählen Irenäus von Lyon, Antoine de Saint-Exupéry und Tony Garnier sowie unter den Zeitgenossen Abbé Pierre, Paul Bocuse und Bertrand Tavernier. Auf den Spuren der Wandbilder werden Stadtrundgänge organisiert.
Stadt der Rosen
Im 19. und frühen 20. Jahrhundert war Lyon ein Zentrum der Rosenzucht. Einige der Lyoneser Rosenzüchter waren weltberühmt und trugen Bedeutendes zur Entwicklung neuer Sorten bei. So züchtete Jean-Baptiste André Guillot (1827–1893) die berühmte Rose 'La France' (1867), die als erste Teehybride gilt, sowie die ersten Polyantha-Rosen. Der seinerzeit als „Zauberer von Lyon“ bekannte Joseph Pernet-Ducher (1859–1928) wurde für seine Rose 'Soleil d’Or' (1900) berühmt: Diese war die erste wiederholt blühende Teehybride von kräftig gelb-oranger Farbe und begründete eine als Pernetiana bezeichnete Rosenklasse. Andere in oder bei Lyon tätige Rosenzüchter waren Jacques Plantier (1792–1872), Jean-Baptiste Guillot (1803–1882), François Lacharme (1817–1887), Antoine Levet (1818–1891), Claude Ducher (1820–1874), Alexandre Bernaix (1831–1901), Jean Pernet (1832–1896), Joseph Schwartz (1846–1885), Francis Dubreuil (1842–1916). Einige der im 19. Jahrhundert begründeten und in Lyon beheimateten Familienunternehmen von Rosenhändlern und -züchtern existieren heute noch (Stand 2022), wie die von Jean-Baptiste Guillot begründete Roseraie Guillot und die durch Claude Ducher begründete Roseraie Ducher. Auch das von Antoine Meilland (1884–1971) und seinem Sohn Francis Meilland (1912–1958) begründete Rosen-Imperium Meilland hatte seine Wurzeln ursprünglich in Lyon.
Veranstaltungen
Die Biennale d’art contemporain de Lyon findet im Wechsel mit der Biennale de la danse de Lyon statt.
Auf Initiative des Lyoner Lichtplaners Roland Jéol wurde in Lyon 1989 der weltweit erste Lichtmasterplan in Kraft gesetzt. Jéol lässt seitdem Hunderte Bauwerke und andere Objekte in Lyon illuminieren. Nach dem Vorbild Lyons gibt es inzwischen mehr als 200 Städte in Frankreich mit plans lumières. Jéol wurde auch beauftragt, andere europäische Städte, beispielsweise Zürich und Gent systematisch zu illuminieren. Das Archipel Centre De Culture Urbaine zeigt, direkt neben dem Musée des Beaux-Arts, wechselnde Ausstellungen zur Architektur der Gegenwart und ein dauerhaft angebrachtes Stadtmodell im Maßstab 1/1000.
Sonstiges
Der Zoo von Lyon befindet sich im Parc de la Tête d’Or (Park des goldenen Kopfes), wo es auch einen See und einen botanischen Garten gibt.
2006 wurde das Lyoner Denkmal zum Völkermord an den Armeniern im Osmanischen Reich eröffnet.
Sport
In Lyon ist der Fußballverein Olympique Lyon zu Hause, dessen Männerteam von 2002 bis 2008 als erste Mannschaft sieben nationale Meisterschaften in Folge gewann. 2008 gelang zudem das erste Mal in der Vereinsgeschichte der Gewinn des Doubles (Meisterschaft und Coupe de France) durch einen 1:0-Sieg n. V. gegen Paris Saint-Germain. Das alte Heimstadion ist das Stade Gerland, das offiziell Stade Municipal de Gerland heißt und im 7. Arrondissement an der Avenue Jean Jaurès liegt. Seit 2016 spielt der Verein im Stade des Lumières im benachbarten Décines-Charpieu.
Auch Olympiques Frauenfußballerinnen haben ab 2007 bisher sechs französische Meistertitel in Folge gewonnen und sind darüber hinaus mit zwei europäischen Pokalsiegen (2011 und 2012) international sogar erfolgreicher als die Männer des Vereins. Hervorgegangen ist diese Abteilung aus den Frauenteams des FC Lyon, der in den 1990er Jahren selbst vier Mal die Landesmeisterschaft gewonnen hat.
Der Verein Lyon Olympique Universitaire spielt Rugby Union in der ersten Profiliga Top 14. Lyon war einer der Austragungsorte der Rugby-Union-Weltmeisterschaft 2007. Für die Rugby-Union-Weltmeisterschaft 2023 sind wieder Partien in Lyon geplant.
Politik
Lyon ist Sitz der Métropole de Lyon, dem mit 1.452.952 Einwohnern (Stand: 2007) zweitgrößten Ballungsraum Frankreichs. Dieser Kommunalverband umfasst 58 Gemeinden.
Bürgermeister und Stadtrat
Die Stadtverwaltung Lyons wird von einem Bürgermeister geleitet. Amtsinhaber war seit 2018 Gérard Collomb von der Parti socialiste, der das Amt bereits zwischen 2001 und 2017 innehatte und in der Zwischenzeit französischer Innenminister war. 2020 wurde Grégory Doucet von der linken Liste Union de la gauche zum Bürgermeister gewählt.
Der Stadtrat Lyons besteht aus 73 gewählten Mitgliedern.
Stadtviertel
Lyon ist seit der Eingemeindung umliegender Gemeinden im Jahr 1852 in neun städtische Arrondissements unterteilt. Die Organisation der Stadtverwaltung ist der von Paris und Marseille vergleichbar. Die Nummer des Arrondissements entspricht der letzten Stelle des Code Postal.
1. Arrondissement: Pentes de la Croix-Rousse, Les Terreaux, Saint-Vincent
2. Arrondissement: Cordeliers, Bellecour, Ainay, La Confluence
3. Arrondissement: La Part-Dieu, Villette, Montchat, La Guillotière
4. Arrondissement: La Croix-Rousse, Serin
5. Arrondissement: Saint-Jean-Saint-Paul – Saint-Georges, Saint-Just, Fourvière, Le Point-du-Jour, Ménival, Champvert, La Sarra, Saint-Irénée
6. Arrondissement: Les Brotteaux, Bellecombe, Tête d’Or
7. Arrondissement: La Guillotière, Gerland, La Mouche
8. Arrondissement: Monplaisir, Le Bachut, Mermoz, Les États-Unis, Le Grand Trou, Laënnec
9. Arrondissement: Vaise, La Duchère, Gorge de Loup, Saint-Rambert-l’Île-Barbe
Kantone
Lyon war bis zum 1. Januar 2015 der Hauptort von 14 Kantonen, die teilweise mit den städtischen Arrondissements zusammenfielen und teilweise diese weiter unterteilten.
Städtepartnerschaften
Lyon unterhält mit folgenden 24 Städten Partnerschaften:
Birmingham, Vereinigtes Königreich, seit 1951
Yokohama, Japan, seit 1959
Frankfurt am Main, Deutschland, seit 1960
Mailand, Italien, seit 1966
Montreal, Kanada, seit 1979
Be’er Scheva, Israel, seit 1981
Leipzig, Deutschland, seit 1981 sogenannter „Pacte d’amitié“ – Städtefreundschaft
Guangzhou, Volksrepublik China, seit 1988
Łódź, Polen, seit 1991
Jerewan, Armenien, seit 1992
Ouagadougou, Burkina Faso, seit 1993
Ho-Chi-Minh-Stadt, Vietnam, seit 1997
Porto-Novo, Benin, seit 1999
Addis Abeba, Äthiopien, seit 2002
Rabat, Marokko, seit 2003
Bamako, Mali, seit 2004
Barcelona, Spanien, seit 2004 Kooperationsvertrag
Jericho, Palästinensische Autonomiegebiete, seit 2004
Turin, Italien, seit 2004 Kooperationsvertrag
Haute Matsiatra, Madagaskar, seit 2006
Sétif, Algerien, seit 2006
Dubai, Vereinigte Arabische Emirate
Genf, Schweiz
Manchester, Vereinigtes Königreich
Persönlichkeiten
Berühmte Lyoner sind unter anderem der römische Kaiser Claudius, der Physiker André-Marie Ampère, der Schriftsteller Antoine de Saint-Exupéry, der Koch Paul Bocuse, die Gebrüder Lumière als Wegbereiter des modernen Kinos sowie der Chirurg und Nobelpreisträger Alexis Carrel.
Literatur
Alain Ferdière: Gallia Lugdunensis. Eine römische Provinz im Herzen Frankreichs (= Antike Welt. Sonderband. Zaberns Bildbände zur Archäologie). von Zabern, Mainz 2011, ISBN 978-3-8053-4284-1.
Jean-François Reynaud, Jörg Fündling: Lyon. In: Reallexikon für Antike und Christentum. Band 23. Hiersemann, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-7772-1013-1, Sp. 802–828.
().
Sebastian Redecke: Die Rückkehr der Plätze. Lyon, die zweitgrößte Stadt Frankreichs, schuf autofreie Stadträume. In: die waage. Zeitschrift der Grünenthal GmbH, Aachen. Band 36, 1997, Nr. 1, S. 23–29.
Filme
Märkte – Im Bauch von Lyon (4/5): La Croix-Rousse. Dokumentarfilm, Deutschland, 2012, 43 Min., Buch und Regie: Constanze von Hartmann, Ignacio Lantero, Alessandro Scalerandi, Stefano Tealdi, Produktion: Stefilm, Golden Girls Filmproduktion, Laokoon, Media 3.14 S.L., ZDF, Reihe: Märkte, deutsche Erstsendung: 21. Februar 2013 bei arte (Synopsis: ).
Diebe der Nacht. (OT: Les Voleurs.) Spielfilm, Frankreich, 1996, 117 Min., Buch: André Téchiné, Gilles Taurand, Michel Alexandre, Regie: André Téchiné, Produktion: Les Films Alain Sarde, TF1, Rhônes-Alpes Cinéma, Kinostart Frankreich: 21. August 1996, Deutschland: 24. April 1997, mit Catherine Deneuve und Daniel Auteuil in den Hauptrollen.
Der Uhrmacher von St. Paul. (OT: L’Horloger de Saint-Paul.) Spielfilm, Frankreich, 1974, 105 Min., Buch: Georges Simenon, Pierre Bost, Jean Aurenche, Bertrand Tavernier, Regie: Bertrand Tavernier, mit Jean Rochefort und Philippe Noiret in den Hauptrollen.
Weblinks
Webpräsenz der Stadt Lyon. (französisch und englisch)
Lyon: Was kann man dort sehen, erleben, probieren ?
Tourismus- und Kongressbüro
Webpräsenz des Großraums Lyon (französisch)
toolyon.com und , (Verzeichnisdienste; französisch).
Einzelnachweise
Ort in Auvergne-Rhône-Alpes
Hauptstadt einer französischen Region
Präfektur in Frankreich
Mitglied der Ehrenlegion (Stadt)
Ort an der Rhone
Ort an der Saône
Hochschul- oder Universitätsstadt in Frankreich
Stadt in Frankreich
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
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Q456
| 596.646262 |
9102
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https://de.wikipedia.org/wiki/Experiment
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Experiment
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Ein Experiment (bereits mittelhochdeutsch von lateinisch experimentum „das in Erfahrung Gebrachte; Versuch, Beweis, Prüfung, Probe“, von experiri „versuchen, ausprobieren, erproben, in Erfahrung bringen, erfahren“) im Sinne der Wissenschaft ist eine methodisch angelegte Untersuchung zur empirischen Gewinnung von Information (Daten). Im Unterschied zur bloßen Beobachtung oder der Demonstration eines Effekts werden im Experiment Einflussgrößen verändert. Experimente werden in vielen Wissenschaften benötigt und durchgeführt, beispielsweise in Naturwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Medizin, Psychologie und Soziologie. Meist sind Zählungen oder Messungen ein wichtiger Teil des Experiments.
Geschichte
Das Experiment ist ein wesentlicher Bestandteil im wissenschaftlichen Fortschrittsprozess. Mit der Entwicklung von Selbstverständnis der Wissenschaft, Methodik und Instrumentarium erlangte es nicht nur immer größere Bedeutung für die Gesellschaft, sondern es änderte damit auch seinen Charakter. Als Begründer der neuzeitlichen messenden Forschung mittels Experimenten wird oft Galileo Galilei angesehen. Daneben sind Experimente auch eine didaktische Methode geworden.
Einige der ersten experimentellen Versuche mit wissenschaftlichem Charakter führt der arabische Mathematiker, Optiker und Astronom Alhazen durch. Seine Erkenntnisse zur Optik gewinnt er durch seine Experimente mit der „Camera Obscura“ – angeregt insbesondere durch Ptolemäus’ mathematische und optische Erörterungen –, gleichzeitig verfasst er jedoch erstmals wissenschafts-methodologische Überlegungen zu induktiv-experimentellen Versuchen:
Eine streng geprüfte Versuchsdurchführung mit Sensibilität für die Subjektivität und Verfälschbarkeit der Ergebnisse durch die „menschliche Natur“ sei jedoch nicht genug, man müsse auch kritisch gegenüber den überlieferten Ergebnissen und Theorien sein:
Damit sei für ein objektives Experiment unumgänglich, überlieferte Ergebnisse mit experimentellen Erkenntnissen abzugleichen und gegebenenfalls Mut zum Verwerfen der Überlieferungen zu haben. In diesem Prozess dürfe aber nicht vergessen werden, dass der Mensch – als bedingender Faktor – zu subjektiven Meinungen sowie Hypothesenbildung neige und sich zur Objektivität durch gründliche Versuchsdurchführung sowie Selbstkritik führen müsse.
Definition und grundlegende Eigenschaften
Das Experiment stellt eine „Frage an die Natur“ dar (in den Sozialwissenschaften: an die gesellschaftliche Wirklichkeit). Dieser Frage muss, so die weit verbreitete Ansicht, eine bestimmte Hypothese zugrunde liegen, die man prüfen will. Immanuel Kant hat das experimentelle Verfahren so beschrieben: „Die Vernunft muß mit ihren Prinzipien, nach denen allein übereinkommende Erscheinungen für Gesetze gelten können, in einer Hand, und mit dem Experiment, das sie nach jenen ausdachte, in der anderen, an die Natur gehen, zwar um von ihr belehrt zu werden, aber nicht in der Qualität eines Schülers, der sich alles vorsagen läßt, was der Lehrer will, sondern eines bestallten Richters, der die Zeugen nötigt, auf die Fragen zu antworten, die er ihnen vorlegt.“ Carl Friedrich von Weizsäcker hat – aufbauend auf Kant – von einem „Verhör“ der Natur gesprochen. Das Experiment kann aber auch einfach darin bestehen, ohne bestimmte Hypothese eine bis dahin nicht beobachtete Situation herbeizuführen und sich vom Ergebnis „überraschen zu lassen“. In diesem Sinne handelt es sich um eine vorläufige Vorgehensweise ohne Gewissheit über ihren Ausgang. Derartige Experimente werden beispielsweise dann durchgeführt, wenn sich die Untersuchungsmöglichkeiten erweitert haben, etwa durch Einführung einer genaueren Messmethode oder Inbetriebnahme eines Teilchenbeschleunigers mit höherer Energie. Die Ergebnisse können dann Entdeckungen sein.
Jedes Experiment benötigt eine Versuchsanordnung; sind Versuchspersonen oder andere lebende Objekte beteiligt, spricht man auch vom Forschungsdesign. Manchmal wird die Anordnung selbst als „das Experiment“ bezeichnet, insbesondere z. B., wenn sie nur für ein einziges mögliches Experiment entworfen und hergestellt wird und dies den Großteil der experimentellen Arbeit ausmacht.
Bei vielen Experimenten fallen die Messdaten in Form stochastisch schwankender Zahlenwerte an und müssen dann mit statistischen Methoden einschließlich statistischer Tests ausgewertet werden.
Aus experimentellen Resultaten werden durch Schlussfolgerung Erkenntnisse gewonnen. Diese sind dann, oft im Zusammenspiel mit einem Modell oder auch als Grundlage eines neuen Modells, Grundlage einer Theorie.
Manche Experimente sind aus ethischer Sicht oder wegen nicht genügend berücksichtigter Gefahren unzulässig oder zumindest umstritten. Dies gilt vor allem in der Medizin (siehe Menschenversuch, Tierversuch), aber beispielsweise auch für Kernwaffentests und Gentechnik.
Vom Experiment zu unterscheiden ist die bloße wissenschaftliche Beobachtung – beispielsweise in Astronomie, Geologie, Biologie – bei der nicht in das beobachtete System eingegriffen wird. Experiment und wissenschaftliche Beobachtung haben gemeinsam, dass sie im Allgemeinen auf einer Theorie mit daraus folgenden Hypothesen fußen und dass sie planmäßig durchgeführt werden.
Besonderheiten in den einzelnen Wissenschaften
Physik, Chemie und verwandte Fächer
Die experimentelle Situation kann in den Naturwissenschaften i. A. willkürlich hergestellt und kontrolliert werden. Dementsprechend wird von den Ergebnissen die Reproduzierbarkeit – Nachvollzug mit gleichem Ergebnis durch andere Forscher, an anderem Ort, zu anderer Zeit – als Kriterium der Glaubwürdigkeit gefordert.
In vielen naturwissenschaftlichen Experimenten werden bestimmte Größen als unabhängige Variablen einer Situation systematisch verändert und die dadurch hervorgerufenen Änderungen anderer Größen, der abhängigen Variablen, gemessen. Andere, grundsätzlich veränderliche Größen, die aber im jeweiligen Experiment nicht variiert werden, werden oft als Parameter oder Einflussgrößen bezeichnet. Die klassische Physik ging davon aus, der Einfluss der Beobachtung selbst auf den beobachteten Gegenstand könne immer durch geeignete Maßnahmen vernachlässigbar klein gehalten werden. Die Einsicht, dass jeder Beobachter das Beobachtungsergebnis spezifisch beeinflusst, etwa durch Einbringen von Messungenauigkeiten, hat beispielsweise auf dem Gebiet der Astronomie zum Begriff der persönlichen Gleichung geführt. Bei Experimenten mit Quantenobjekten lässt sich der Einfluss der Beobachtung jedoch grundsätzlich nicht vermeiden.
Ein Experiment trifft unmittelbare Aussagen nur über die mit der Versuchsanordnung präparierte Situation. Jedoch können über den Begriff der Widerspruchsfreiheit auch Theorien überprüft werden, die Aussagen über prinzipiell Unbeobachtbares treffen, wie sie in der Theoretischen Physik und der Kosmologie auftreten.
Nach Karl Poppers kritischem Rationalismus lassen sich (Hypo-)Thesen grundsätzlich nicht beweisen (verifizieren), sondern nur widerlegen (falsifizieren). Widerlegt das Experiment die Hypothese nicht, kann dies als Stützung der Hypothese aufgefasst werden, sofern die Ergebnisse für die Hypothese relevant sind (siehe Falsifizierbarkeit).
Da das Experiment nur über den jeweils dargestellten Spezialfall Auskunft gibt, ist umstritten, ob es Naturgesetze im Sinne allgültiger Verallgemeinerungen überhaupt gibt. Im Sinne der empiristischen Regularitätstheorie sind Naturgesetze auch als Gesetze gewohnheitsmäßige Erfahrungen, die sich in jedem Experiment wieder bestätigen müssen. Axiome und Paradigmen sind zweckmäßige Annahmen. Sie werden nicht mehr explizit überprüft, spielen jedoch in folgenden Experimenten eine so große Rolle, dass eine Unstimmigkeit sofort bemerkt würde.
Gedankenexperimente sind Experimente, die in Gedanken, nicht in Wirklichkeit ausgeführt werden, um im Rahmen einer Theorie zu Erkenntnissen zu gelangen. Zuweilen kann ein Gedankenexperiment später bei verbesserten Versuchsmöglichkeiten als reales Experiment durchgeführt werden.
Ingenieurwissenschaften, Technik
Experimente in den Ingenieurwissenschaften und in der Technik ähneln manchmal in Ausführung und Eigenschaften den Experimenten der naturwissenschaftlichen Forschung, so beispielsweise die Experimente der Werkstoffprüfung, mit denen Materialkennwerte wie Festigkeit oder Härte ermittelt werden.
Wichtiger als Experimente sind in den Ingenieurwissenschaften jedoch die Tests. Im Gegensatz zu Experimenten sind Tests nicht kausal orientiert („welche Folgen entstehen aus gegebenen Ursachen?“), sondern oft final orientiert („durch welche Mittel wird ein gegebener Zweck erreicht?“). Während Experimente sich auf Theorien beziehen, prinzipiell ergebnisoffen sind – auch wenn es Vermutungen über den Ausgang gibt – und unter möglichst idealen Rahmenbedingungen, also mit möglichst geringem Einfluss der Umgebung durchgeführt werden, werden für Tests gerade realitätsnahe Rahmenbedingungen gewählt. Mittels Prototypen wird beispielsweise die Funktionstüchtigkeit geplanter Technik getestet. Nach der Fertigstellung einer Brücke erfolgt ein Belastungstest, in dem ermittelt wird, ob die Brücke den Belastungen tatsächlich standhält.
Wenn Tests aus wirtschaftlichen oder ethischen Gründen nicht durchführbar sind, werden Simulationen eingesetzt. Diese können je nach Fachgebiet sehr verschieden ausfallen. Häufig und universell einsetzbar ist z. B. die Finite-Elemente-Methode.
Psychologie, Sozialwissenschaften
Bei psychologischen und sozialwissenschaftlichen Experimenten sind die Einflussgrößen i. A. weniger exakt steuerbar. Die strenge Reproduzierbarkeit kann hier nicht gefordert werden; stattdessen werden die Validität und die Reliabilität betrachtet. Die Kontrolle von Störfaktoren ist ein entscheidender Teil des Experiments.
Für ein strenges Experiment ist das von R. A. Fisher entwickelte Prinzip der „Randomisierung“ als Konsequenz der „ceteris-paribus-Klausel“ kennzeichnend: Die experimentellen Behandlungsbedingungen werden den Versuchsgruppen, diesen wiederum die Probanden nach dem Zufall („randomisiert“) zugewiesen. Dadurch werden Scheinerklärungen ausgeschlossen, nach denen z. B. ein Verhalten als Effekt der experimentellen Behandlung bezeichnet wird, das tatsächlich bereits vorher bestanden hat – nicht die neue Unterrichtsmethode hat zu den besseren Ergebnissen geführt, die Probanden dieser Versuchsgruppe hatten schon vor der Untersuchung einen Lernvorsprung. Der Grad, in dem tatsächlich randomisiert wird, ist ein Merkmal zur Unterscheidung der Typen des Experiments. Diese Beschränkung ist insbesondere bei Experimenten in der Klinischen, Pädagogischen, Arbeits- und Organisationspsychologie von Belang. Häufig ist jedoch eine vollständige Randomisierung nicht möglich, da Klienten-, Schüler- oder Mitarbeiter-Gruppen aus organisatorischen Gründen vorgegeben sind.
Die verschiedenen Arten von Experimenten lassen sich folgendermaßen voneinander abgrenzen:
Laborexperimente gegen Feldexperimente: Laborexperimente ermöglichen eine weitgehende Kontrolle eventueller Störvariablen. Feldexperimente finden in der „natürlichen“ Umgebung statt. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es auch Web-Experimente (internetbasierte Experimente), die verschiedene Vorteile von Labor- und Feldexperiment vereinen.
Randomisierte Experimente gegen Quasi-Experimente: siehe Forschungsdesign
Das Problem der objektiv gültigen Messung stellt sich in den Sozialwissenschaften in verschärfter Weise, weil hier Beobachter und Beobachteter in einer sozialen Interaktion aufeinander einwirken.
Biologie, Medizin, Pharmakologie
Soweit Experimente in Biologie, Medizin, Pharmakologie usw. mit Gruppen von Individuen arbeiten, sind die oben genannten Begriffe des Forschungsdesigns auch hier wichtig. In der Medizin werden solche Experimente meist als klinische Studien bezeichnet (die als Interventionsstudie oder als Beobachtungsstudie durchgeführt werden können). In der Arzneimittelentwicklung dienen sie beispielsweise zur Ermittlung der Dosis-Wirkungs-Beziehung, aber auch der Nebenwirkungen.
Didaktik der Naturwissenschaften
Experimente dienen nicht nur dem Gewinn neuer Erkenntnisse in der Forschung, sondern auch der Vermittlung bereits bekannter Kenntnisse an Lernende in Schule, Hochschule und Berufsausbildung. Dabei unterscheidet man Demonstrationsexperimente, die vom Lehrenden vorgeführt und erläutert werden, und Praktikumsexperimente, die von den Lernenden selbst durchgeführt und ausgewertet werden.
Experimentatorik
Die Regeln für Anlage und Durchführung wissenschaftlicher Experimente und für ihre Dokumentation, d. h. geeignete schriftliche Darstellung (siehe Versuchsprotokoll) werden manchmal als Experimentatorik bezeichnet.
In einem Experiment unterscheidet sich die Beobachtung von der unsystematischen Wahrnehmung durch ihre angestrebte Beobachterunabhängigkeit. Bei jedem Versuch ist auszuschließen, dass die Erwartungen – oder sogar die bloße Anwesenheit – des Experimentators das Versuchsergebnis beeinflusst. Effekte, die zu Fehldeutungen führen können, wie der Konfundierungseffekt in der Psychologie oder ein Artefakt (Sozialforschung), aber auch etwa Gravitationskräfte, die eine Person auf eine physikalische Versuchsanordnung ausübt, müssen durch die konkrete Versuchsanordnung vermieden werden.
Die Dokumentation muss hinreichend aussagekräftig sein. Sie sollte u. a. bekannte oder mögliche Unsicherheiten und Messfehler nennen und diskutieren. Sie soll nicht nur über Fakten und herrschende Bedingungen, sondern auch über Hypothesen und Absichten Bescheid geben; zumindest darf nichts Wesentliches übergangen werden. Welche Tatsachen wesentlich sind und welche nicht, ist von Disziplin zu Disziplin verschieden. Während die Kleidung des Experimentators in einem physikalischen Experiment offensichtlich seiner Wahl überlassen werden kann, kann sie in psychologischen Experimenten das Verhalten der Versuchsperson beeinflussen (z. B. den Experimentator als respekteinflößend oder eben das Gegenteil erscheinen lassen).
Alle beobachteten Vorgänge müssen dokumentiert werden, auch fehlgeschlagene Versuche (kein Resultat) und solche, die ein anderes als das erwartete Resultat hervorbringen, denn auch oder gerade diese können Information liefern und manchmal zu neuen Hypothesen führen. Die Unterschlagung einzelner Versuchsdaten, die das Ergebnis beeinflussen würden, kann nahezu unbewusst geschehen; dies ist besonders wichtig bei Versuchen, die ein statistisches Argument aufbauen.
Entwicklung experimenteller Teilwissenschaften
Durch Fortschritte in Theorie, Experimentatorik und Interdisziplinarität haben sich in einigen Disziplinen speziell auf Experimente ausgerichtete Teilgebiete entwickelt, so die Experimentalphysik, die Experimentalpsychologie, die Experimentelle Ökonomie, die Experimentelle Philosophie oder die Experimentelle Archäologie. Auch kann die Numerische Mathematik als experimentelle Disziplin angesehen werden.
Die Astronomie musste in der Vergangenheit auf Experimente verzichten, abgesehen von Experimenten zur Verbesserung der Beobachtungstechnik. Heute kann die Raumfahrt als experimentelle Astronomie bezeichnet werden. Jede Raumfahrtmission hat experimentellen Charakter: So hatte z. B. die erste Generation der GPS-Satelliten eine Absicherung an Bord für den Fall, dass die allgemeine Relativitätstheorie nicht stimmt.
Die Biologie war lange Zeit eine rein beobachtende Wissenschaft. Heute jedoch gestattet das biologische Experiment beispielsweise, direkt die determinierenden Einwirkungen auf einen untersuchten Prozess zu bestimmen. Auch können Prozesse, die in der Natur zu langsam oder zu schnell verlaufen, im Experiment durch Beschleunigen bzw. Verlangsamen beobachtbar gemacht werden.
Berühmte Experimente
Alhazen – Versuche (965–1039) zur Optik mit der „Camera Obscura“
Galileo Galilei – Versuche (1623) zum freien Fall
Otto von Guericke (1663) – Magdeburger Halbkugeln (Effekte des Luftdrucks)
Ole Rømer – erste (1676) realistische Messung der Lichtgeschwindigkeit
Benjamin Franklin – Nachweis (1752), dass Blitze eines Gewitters elektrische Effekte sind
Luigi Galvani entdeckt 1780 den Galvanismus, dass sich Muskeln durch elektrische Spannung reizen lassen
Cavendish – Experiment (1797) zur Messung der Gravitationskonstante
Thomas Young – Doppelspaltexperiment (1802) zum Nachweis von Welleneigenschaften von Licht
Michael Faraday – Versuchsreihe (1831) zu Elektrizität und Magnetismus
Kreuzungsversuche (1865) mit Erbsen von Gregor Mendel
Michelson-Morley-Experiment (1881) zur Messung der Unabhängigkeit der Lichtgeschwindigkeit von der Bewegung der Erde
Heinrich Hertz – Nachweis (1886) der Übertragung elektromagnetischer Wellen
Wilhelm Conrad Röntgen – Entdeckung (1895) der Röntgenstrahlen
Schwärzung eines Films durch Radioaktivität (Becquerel 1896)
Millikan-Versuch (1910) zur Messung der Elementarladung von Robert Andrews Millikan
Ernest Rutherfords Streuversuche (1910), mit denen er den Atomkern nachwies
Franck-Hertz-Versuch als erster direkter Beleg für diskrete Energieniveaus in Atomen
Iwan Pawlows Experiment der Konditionierung von Hunden (bedingter Reflex)
Uranspaltung (1938) von Otto Hahn und Fritz Straßmann und die theoretische Deutung durch Lise Meitner und Otto Frisch
Thor Heyerdahls Nachbauten historischer Schiffe und seine Fahrten (1947), um das frühe Transportwesen zu erforschen
Miller-Urey-Experiment (1953) Erzeugung von Leben, Aminosäuren aus Uratmosphäre
Theodore Maiman und Charles Asawan realisieren den ersten Laser (1960)
Stanley Milgrams Experiment (1961) zur Untersuchung der Bereitschaft eines Menschen, einer (Pseudo-)Autorität zu folgen (Milgram-Experiment)
Benjamin Libets Experiment (1979) zum sogenannten freien Willen.
Psychologisches Experiment zu Unaufmerksamkeitsblindheit (auch als Inattentional Blindness bzw. Blindheit wegen Unaufmerksamkeit bekannt) von Simons und Chabris (1998)
Die Nichtdeterministischen Experimente nach Paul Watzlawick
Am LHC zeitigt die Suche nach dem Higgs-Teilchen 2012 erste Erfolge.
Das Experiment in der Kunst
Es gehört zum eigentlichen Wesen der europäischen Kunst, sich intensiv mit der Naturwissenschaft auseinanderzusetzen. Tatsächlich ist eine Trennung in Wissenschaft und Kunst noch nicht alt; bis in die Renaissance galten beide als unverzichtbare Bestandteile einer humanistischen Bildung.
Ein Aspekt der Beziehung zwischen Experiment und Kunst ist, dass Künstler aller Epochen versucht haben, die neuesten Erkenntnisse künstlerisch umzusetzen, also direkt an der Interpretation der Ergebnisse mitzuarbeiten. Als Beispiele seien hier genannt:
Die Erfindung der Zentralperspektive ist eigentlich der Kunst zuzuordnen, und wurde erst nach Albrecht Dürers Underweysung der messung mit dem zirckel un richtscheyt Untersuchungsgebiet der darstellenden Geometrie.
Herausragend ist die Arbeit von Leonardo da Vinci, dessen Werke als direkte Anwendung seiner Erfindungen und Experimente zu interpretieren sind.
Als künstlerisches Thema erscheint die Abbildung von Betrachtern – eine Beobachtung zweiter Ordnung – in der Zeit nach der Aufklärung, als die Romantik versuchte, ein Gegengewicht zu einem vom Menschen streng getrennten – und ihm überlegenen – Kosmos zu schaffen, so im Bildwerk von Caspar David Friedrich, bei denen der Betrachter der Werke sehr häufig Personen im Vordergrund beobachten kann, die selbst eine Landschaft o. ä. betrachten – nicht selten so platziert, dass diese mehr sehen können als er.
Émile Zola betrachtete seine Romane (Le roman expérimental, 1880) als experimentelle Anordnungen mit gleichsam sozialwissenschaftlichem Erkenntniswert. Damit begründete er den Naturalismus in der Literatur.
Die fotografischen Untersuchungen von Bewegungen von Eadweard Muybridge stellen sowohl ein wissenschaftliches als auch ein künstlerisches Experiment dar.
Die Werkserien von René Magritte und M. C. Escher kann man als erkenntnistheoretische Experimente sehen, wenn auch ohne methodische Auswertung.
Zum anderen ist Kunstschaffen in seinem Drang nach dem Neuen experimentell an sich. Im Gegensatz zum wissenschaftlichen Experiment ist das künstlerische nicht unbedingt reproduzierbar, teilweise verweigert es diese Forderung sogar absichtlich. Es soll dazu dienen, neue Möglichkeiten des Ausdrucks, des Mediums zu finden, Dinge auf eine Weise zu sehen oder zu tun, wie sie zuvor nicht gesehen oder getan wurden. Die Kreativität ermöglicht, neue Formen, Kombinationen, Perspektiven zu entwickeln. Es stellt also in ähnlicher Weise Grundlagenforschung dar und versucht, den Kunstbegriff zu erweitern oder zu überprüfen. Das künstlerische Experiment kann dabei auch scheitern, etwa an eigenen Ansprüchen oder Ablehnung des Publikums.
Beispiele finden sich im Experimentalfilm, in Teilen der zeitgenössischen Kunst, in der avantgardistischen oder Neuen Musik, aber auch in der Literatur. In der Postmoderne tragen auch Teile des Mainstreams experimentelle Elemente in sich (etwa im Musikvideo). Gleichzeitig werden dezidiert experimentelle Werke von einem Großteil des Publikums zurückgewiesen (Kulturindustrie) und kämpfen mit finanziellen Schwierigkeiten, Ausnahmen wie Kubricks Film 2001: Odyssee im Weltraum sind selten.
Beiden Formen ist aber gemeinsam, dass sie explizit eine Frage an die Welt darstellen und eine Gesamtheit aus Beobachter, Objekt und Beobachtung sind. Und mit der streng wissenschaftlichen Forschung teilen sie die hohen Anforderungen an Einfallsreichtum und Inspiration.
Literatur
Bernd Löbach-Hinweiser: „Kunst und Wissenschaft“, Band 4 – „Experimentelle Kunst“ (524 Seiten), Designbuch Verlag, Cremlingen 2016, ISBN 978-3-923971-84-8
Das Experiment im Recht
Rechtliche Problemlösungen werden oft experimentierend gesucht, d. h. in einem Vorgriff der produktiven Phantasie entworfen, anschließend überprüft und, wenn sie die Probe nicht bestehen, korrigiert. Bei dieser Suche nach möglichen Lösungen gibt das bisherige Recht die Ausgangsbedingungen und den Verständnishorizont für die experimentierende Praxis vor, d. h. für das versuchsweise Weiterschreiten in der Entwicklung des Rechts. Hierbei ist der Wunsch, das Recht dem Wandel der Lebensverhältnisse anzupassen, stets auch gegen das Interesse an Rechtssicherheit abzuwägen, also gegen das Interesse, überkommene Dispositionsgrundlagen nicht zu gefährden.
Die erwogenen „Verbesserungen“ des Rechts sind darauf zu prüfen, ob sie hinreichende Chancen haben, befolgt und durchgesetzt zu werden, und ob das gebotene Verhalten (z. B. eine Geschwindigkeitsbegrenzung im Straßenverkehr) geeignet ist, den rechtspolitischen Endzweck (z. B. eine erhebliche Verminderung der Unfälle) zu erreichen. Auch sind unerwünschte Nebenwirkungen einer Regelung zu bedenken (ein extensives Mieterschutzrecht kann z. B. dazu führen, dass weniger Mietwohnungen gebaut werden).
Darüber hinaus müssen die erwogenen Regelungen für das vernunftgeleitete Gerechtigkeitsempfinden der Mehrheit konsensfähig sein. Auch dürfen sie nicht im Widerspruch zum rechtlichen Kontext und auch nicht zum Zeitgeist, d. h. zu den Leitideen der jeweiligen Kultur stehen.
Siehe auch
Empirische Evidenz
Literatur
Gunhild Berg: Experimentieren, in: Ute Fritsch u. Jörg Rogge (Hrsg.): Über die Praxis des kulturwissenschaftlichen Arbeitens. Ein Handwörterbuch. Bielefeld 2013, S. 138–144.
Gunhild Berg: Zur Konjunktur des Begriffs „Experiment“ in den Natur-, Sozial-, und Geisteswissenschaften, in: Michael Eggers (Hrsg.): Wissenschaftsgeschichte als Begriffsgeschichte. Terminologische Umbrüche im Entstehungsprozess der modernen Wissenschaften. Bielefeld 2009, S. 51–82.
Steven Schwartz: Wie Pawlow auf den Hund kam. Die 15 klassischen Experimente der Psychologie. ISBN 3-407-85102-2.
Klaus Hentschel: Mythen um berühmte Experimente und Experimentatoren: Das Märchen vom Zauberer im weißen Kittel. In: Physik in unserer Zeit. 34(5), 2003, , S. 225–231.
Séverine Marguin, Henrike Rabe, Wolfgang Schäffner, Friedrich Schmidgall (Hrsg.): Experimentieren. Einblicke in Praktiken und Versuchsaufbauten zwischen Wissenschaft und Gestaltung. transcript, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4638-2. (Open Access)
Hans-Jörg Rheinberger: Experiment. Differenz. Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge. Basiliken-Presse, Marburg an der Lahn 1992.
Reto Rössler: Vom Versuch – Experiment und Essay. Bauteile zur Zirkulationsgeschichte einer impliziten Gattung der Aufklärung. Berlin (Kulturverlag Kadmos) 2017, ISBN 978-3-86599-332-8 [= Studie des DFG-Projekts 'Versuch' und 'Experiment'. Konzepte des Experimentierens zwischen Naturwissenschaft und Literatur (1700–1960) der Universität Innsbruck]
Reto U. Schneider: Das Buch der verrückten Experimente. München 2006, ISBN 978-3-442-15393-0.
Helmar Schramm et al. (Hrsg.): Spektakuläre Experimente. Praktiken der Evidenzproduktion im 17. Jahrhundert. Berlin, New York 2006, ISBN 978-3-11-019300-8.
G. Nieding, P. Ohler: Laborexperimentelle Methoden. In: R. Mangold, P. Vorderer, G. Bente (Hrsg.): Lehrbuch der Medienpsychologie. Hogrefe, Göttingen 2004, Kapitel 15.
Marcel Weber: Philosophy of Experimental Biology (Cambridge Studies in Philosophy and Biology), ed. M. Ruse, Cambridge/New York, Cambridge University Press, 2005, ISBN 978-0-521-14344-8.
Reinhold Zippelius: Die experimentierende Methode im Recht, Akademieabhandlung Mainz, 1991, ISBN 3-515-05901-6.
Weblinks
DFG-Forschungsprojekt zur Wissensgeschichte des Experiments
Zum Sozialexperiment The Third Wave: „Die Welle“-Lehrer bereut sein Faschismus-Experiment beim Pfalz Express. Abgerufen am 1. Mai 2021.
Einzelnachweise
Ereignistyp
Wissenschaftliche Methode
Erkenntnistheorie
Wissenschaftstheorie
Systemtheorie
Methode der Psychologie
Kunstgeschichte
Forschungsdesign
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Q101965
| 388.609492 |
20084
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https://de.wikipedia.org/wiki/Wehrpflicht
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Wehrpflicht
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Die Wehrpflicht ist die Pflicht eines Staatsbürgers, für einen gewissen Zeitraum in den Streitkräften oder einer anderen Wehrformation (zum Beispiel im Bereich der Polizei oder des Katastrophenschutzes) seines Landes zu dienen. Ob und für wen eine Wehrpflicht besteht, ist in verschiedenen Ländern unterschiedlich geregelt. Es kann einerseits zwischen einer allgemeinen Wehrpflicht, auch wenn sich die Wehrpflicht mit wenigen Ausnahmen wie Israel und teilweise China nur auf die männliche Bevölkerung erstreckt oder einer selektiven Wehrpflicht unterschieden werden, wenn nur ein Teil der Bevölkerung wie eine bestimmte Anzahl der Bürger (z. B. 20 % der Wehrfähigen) oder bestimmte Bildungs- und Berufsgruppen zum Dienst herangezogen werden, wie dies in Norwegen und Schweden der Fall ist.
Obwohl es sich definitionsgemäß um Zwangsarbeit handelt, die laut Europäischer Menschenrechtskonvention grundsätzlich verboten ist, fällt die Wehr- oder Ersatzdienst-Pflicht unter einen Ausnahmetatbestand in EMRK (dort als „militärische Dienstpflicht“) und ist somit nicht unmittelbar völkerrechtswidrig. Trotzdem ist sie unter Menschenrechtlern umstritten.
Eine allgemeine Dienstpflicht, bei der es primär um den Dienst beispielsweise im sozialen Sektor geht, wie sie etwa in Deutschland des Öfteren diskutiert wird, würde im Gegensatz zur Wehrpflicht nicht unter den Ausnahmetatbestand fallen und würde somit gegen die EMRK verstoßen.
Geschichte
Heere, die aufgrund einer allgemeinen Aushebung aller wehrfähigen Männer aufgestellt wurden, gab es in der Geschichte immer wieder, etwa das Heer der römischen Republik oder Bürgergarden in Städten. Auch im Antiken Griechenland waren Wehrpflichtsysteme wo alle „freien Männer“ verpflichtet waren im Kriegsfall für ihre Polys zu kämpfen sehr üblich. Oft war der Militärdienst an den Anspruch auf politische Rechte gekoppelt.
Im Mittelalter gab es in einigen Städten eine Art Wehrpflicht, Männer die in den Städten lebten, waren im Falle eines Angriffs verpflichtet diese mit zu verteidigen. Auch Preußen befand sich mit dem Kantonssystem im 18. Jahrhundert auf dem Weg zu einer Wehrpflichtigenarmee. Allgemein waren nach dem Zerfall des Lehnswesens des Mittelalters von der frühen Neuzeit bis zum Ende des 18. Jahrhunderts jedoch Söldnerheere die Regel, die wenig ideologische oder nationalitätsbedingte Verbindung zu ihren Dienstherren hatten.
In Schweden führte König Gustav II. Adolf um 1630 eine (selektive) Wehrpflicht ein, indem er Männer bestimmter Berufsgruppen vom Wehrdienst freistellte, Männer rekrutierte, die „starkgliedrig und, soweit festgestellt werden kann, tapfer waren – im Alter von 18 bis 30 Jahren“. Diese wurden aus Staatsmitteln ausgerüstet und bezahlt.
Das Frankreich der Französischen Revolution war der erste europäische Staat, der seine Armee mit der Levée en masse 1793 fast ausschließlich aufgrund einer allgemeinen Wehrpflicht organisierte, auch wenn es daneben noch Freiwillige gab.
Im neunzehnten Jahrhundert, unter anderem weil die Waffenherstellung wegen der Industrialisierung so produktiv geworden war, dass man Massenheere mit Gewehren ausrüsten konnte, wurde nach und nach in zahlreichen Nationen die Wehrpflicht eingeführt. In vielen Staaten betrug die Militärdienstzeit mehrere Jahre, anschließend waren die ehemaligen Soldaten oft noch für viele Jahre Reservisten die im Kriegsfall wieder eingezogen werden konnten.
Im deutschen Kaiserreich wurde 1871 die Wehrpflicht in der Verfassung festgelegt. In der Habsburgermonarchie wurde die Wehrpflicht 1868 in die Verfassung übernommen und löste das bis dahin übliche selektive Rekrutierungssystem, wo es für viele Schichten Ausnahmen gab, ab. Das System der allgemeinen Wehrpflicht, von der es kaum Befreiungen gab, führte auch dazu, dass der Militärdienst von großen Teilen der Gesellschaft ideologische Bedeutungen zugeschrieben bekam, und das Militär als Institution um Patriotismus und staatsbürgerliche Erziehung zu verbreiten gesehen wurde.
In Russland wurde durch das Gesetz vom 13. Januar 1874 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt.
Der Erste und der Zweite Weltkrieg sowie zahlreiche weitere größere Kriege wie etwa der Vietnamkrieg wurden großteils mit Wehrpflichtigen geführt, der Einsatz Wehrpflichtiger im Ausland war damals noch in vielen Staaten gang und gäbe. Im Kalten Krieg griffen ebenfalls die Staaten beider Seiten auf die Wehrpflicht zurück um ausreichend Soldaten zu rekrutieren. Üblich waren Dienstpflichtzeiten von mehreren Jahren. Ab den 1970er Jahren wurde nach und nach in vielen europäischen Staaten die Möglichkeit geschaffen, statt des Militärdienstes einen Militärersatzdienst, welcher oft deutlich länger dauerte, zu leisten. Zu Beginn war es eher die Ausnahme dass Männer sich dafür entschieden, dieser war mit gesellschaftlicher Stigmatisierung verbunden und setzte oft eine Gewissensprüfung voraus, in der man glaubhaft darlegen musste wieso man aus Gewissensgründen keinen Militärdienst leisten kann. Mit der Zeit wandelte es sich jedoch, die Gewissensprüfungen wurden in vielen Staaten abgeschafft, sodass man faktisch frei wählen konnte, und die gesellschaftliche Haltung sich auch entsprechend veränderte. Dies hatte auch zur Folge dass oft annähernd so viele – oder teilweise sogar mehr – Männer den Ersatzdienst leisteten als den Militärdienst, und nicht wie ursprünglich vorgesehen der Ersatzdienst lediglich eine Ausnahme darstellte.
Der Einsatz von Wehrpflichtigen in ausländische Konflikte geriet vor allem im Zuge des Vietnamkrieges in der westlichen Welt mehr und mehr in Verruf, sodass viele Staaten damit aufhörten, Wehrpflichtige gegen ihren Willen im Ausland einzusetzen.
Seit dem Ende des Kalten Krieges und dem damit einhergehenden Verzicht auf Massenarmeen haben immer mehr Länder die Wehrpflichtdauer nach und nach deutlich verkürzt, und schließlich ihre Armeen von Wehrpflichtarmeen auf Freiwilligen- und Berufsarmeen umgestellt. Dieser Trend ist bis heute ungebrochen. 2010 hatten 24 der 28 NATO-Staaten eine Berufsarmee. Von den bedeutenden Militärmächten innerhalb der NATO hält nur noch die Türkei an der Wehrpflicht fest. (Deutschland siehe unten). Oft wird argumentiert, dass mitten in der NATO weniger die direkte Landesverteidigung, sondern primär Auslandseinsätze wichtig sind, und dafür Wehrpflichtige ungeeignet sind.
In Europa halten nur noch die neutralen Staaten Österreich und Schweiz, sowie einige osteuropäische Staaten die einer gefährlicheren geopolitischen Lage ausgesetzt sind, an der Wehrpflicht fest. Jene Staaten wo die Wehrpflicht ausgesetzt wurde, behalten sich aber großteils in der Verfassung das Recht vor, selbige im Kriegsfall wieder zu aktivieren. Ob sich diese im Kriegsfall schnell genug reaktivieren lässt, ist jedoch insbesondere weil in vielen Staaten die Infrastruktur für eine große Anzahl von Soldaten nicht mehr vorhanden ist, und weil der Umgang mit modernen Waffen nicht in wenigen Monaten erlernt werden kann, politisch umstritten.
Insgesamt haben die weitaus meisten Länder der sogenannten Ersten Welt inzwischen auf die Wehrpflicht verzichtet, oder sind auf dem Weg dahin diese abzuschaffen, indem sie die Wehrdienstdauer immer weiter reduzieren und vermehrt darauf setzen Zeitsoldaten mittels Verträgen zu rekrutieren.
Am stärksten verbreitet ist die Wehrpflicht noch in sehr autoritären Staaten, sowie in Staaten die mit Nachbarstaaten verfeindet sind, oder zu diesen ein angespanntes Verhältnis haben. Außerdem halten oft neutrale Staaten eher an der Wehrpflicht fest, als Mitgliedsstaaten von Militärbündnissen, beispielsweise besteht diese in Österreich oder der Schweiz noch – beides keine NATO-Mitglieder – oder im (noch) neutralem Staat Schweden. Grund hierfür ist, dass militärisch neutrale Staaten in weniger Auslandseinsätze involviert sind und sich stärker auf die nationale Verteidigung fokussieren, bei der sie im Kriegsfall keinen völkerrechtlichen Anspruch auf direkte militärische Unterstützung anderer Staaten haben, während bei Auslandseinsätzen eher Berufssoldaten eingesetzt werden würden, würden bei der militärischen Landesverteidigung eine große Anzahl von Wehrpflichtigen bzw. Reservisten eingesetzt werden.
Kritik
Sexismus
Dass die Wehrpflicht in den meisten der Staaten, die sie noch kennen, nur für die männliche Bevölkerung gilt, wird von manchen als sexistisch kritisiert. Während junge Männer den in der Regel so gut wie überhaupt nicht bezahlten Wehrdienst oder Wehrersatzdienst ableisten müssen – oder in der Schweiz, sofern sie untauglich sind, eine zusätzliche Steuer bezahlen müssen – können Frauen in dieser Zeit bereits einem Beruf nachgehen, in dem sie regulär verdienen. Dem wird entgegengehalten, dass Frauen – vor allem durch Geburten und Kindererziehung – ebenso Zeit verlieren oder insgesamt weniger verdienen. Diese Vergleiche werden dahingehend kritisiert, dass Frauen nicht per Gesetz dazu verpflichtet sind, Kinder zu bekommen, und dass der sogenannte Gender-Pay-Gap lediglich eine statistische Größe darstellt, die Frauen zwar im Durchschnitt weniger verdienen lässt, dieser jedoch nicht – wie die Wehrpflicht – eine Ungleichheit vor dem Gesetz darstellt und auch nicht dem Gesetzgeber zugerechnet werden kann.
Bis auf wenige Ausnahmen wie etwa Schweden oder Norwegen gibt es kaum Staaten, in denen Männer und Frauen in Bezug auf die Wehrpflicht gleichberechtigt sind. In den wenigen Staaten, wo die Wehrpflicht für beide Geschlechter gilt, dauert der Militärdienst für Frauen oft kürzer als jener für Männer, in Israel etwa müssen Frauen zwei Jahre Militärdienst leisten und Männer zweieinhalb Jahre.
In vielen Staaten ohne aktive Wehrpflicht – beispielsweise nach wie vor in Deutschland – sieht die Verfassung die Möglichkeit vor, im Kriegsfall Männer zum Dienst an der Waffe einzuziehen, während Frauen auch im Kriegsfall unter keinen Umständen gegen ihren Willen zum Dienst an der Waffe verpflichtet werden können, sondern nur zu Tätigkeiten wie dem Sanitätsdienst.
Die Ungleichbehandlung in Bezug auf die Wehrpflicht erscheint heute stärker als in früheren Jahrhunderten, da heute in vielen Ländern freiwillig Frauen im Militär dienen können, während Männer es müssen.
Freiheit und Selbstbestimmung
Auch im Bezug auf die persönliche Freiheit wird die Wehrpflicht von ihren Gegnern kritisch gesehen. Bereits die Musterung wird von einigen – insbesondere im Bezug auf die darin enthaltene Intimuntersuchung – als eine sehr entwürdigende Prozedur wahrgenommen.
Sicherheitspolitische Notwendigkeit
Während es im Kalten Krieg in Europa primär darum ging, eine effektive Möglichkeit zur Landesverteidigung aufrechtzuerhalten, haben sich sicherheitspolitisch die Risiken verlagert. Hierbei wird argumentiert, dass Wehrpflichtige für Bedrohungen wie den Terrorismus oder für Auslandseinsätze nicht zu gebrauchen seien, und eine Invasion – für deren Abwehr eine große Anzahl an Infanteristen (und damit eine allgemeine Wehrpflicht) benötigt würde – zumindest bis zum Beginn des Ukraine-Krieges unwahrscheinlich schien.
Wirtschaftliche Gründe
Auch auf ökonomischer Basis wird häufig die Meinung vertreten, dass die Wehrpflicht mehr schadet als nützt. Für die betroffenen Männer gehen sehr viel Zeit und sehr viele Monatsgehälter verloren. Während des Wehrdiensts zahlen sie in der Regel keine Einkommenssteuer und verursachen Kosten für die militärische Ausbildung, die Unterbringung und Verpflegung.
Der Zivildienst wird auf ähnliche Weise kritisiert. Die betroffenen Männer stehen in dieser Zeit ihrem Arbeitgeber nicht zur Verfügung, sondern sind beispielsweise im Sozialbereich Tätigkeiten zugeteilt, für die sie oftmals nicht oder nur marginal ausgebildet wurden und/ oder nicht geeignet sind oder gar nicht wirklich gebraucht werden, so dass sie nur ganz einfache Hilfstätigkeiten erledigen können. Dazu kommt, dass die Zuweisung der Wehrpflichtigen ebenfalls mit viel Personalaufwand und Bürokratie verbunden und daher teuer ist. Hinzu kommt ferner, dass viele junge Männer vor Antritt des jeweiligen Dienstes häufig einige Zeit arbeitslos sind, da kein Arbeitgeber sie im Wissen, dass sie bald wieder weg müssen, einstellt.
Befürworter der Wehrpflicht argumentieren hingegen, dass ein Berufsheer viel mehr kosten würde und auch das Sozialsystem ohne die Zivildiener viel teurer wäre.
Andererseits stellt der zivile Ersatzdienst eigentlich die Ausnahme und nicht die Regel dar. Vor allem in Deutschland war in den letzten Jahren vor der Aussetzung der Wehrpflicht der Eindruck entstanden, die Wehrpflicht würde nur noch aufrechterhalten, um weiterhin Zivildienstleistende als preiswerte Arbeitskräfte im Sozialbereich zur Verfügung zu haben. Dieser Eindruck wurde vor allem dadurch hervorgerufen, dass zeitweilig sogar mehr Zivil- als Wehrdienstleistende im Einsatz waren. Allerdings spricht der Gesetzgeber ausdrücklich von einer Wehrpflicht, die ausnahmsweise im zivilen Bereich abgeleistet werden kann. Daher kann die Ausnahme nicht als Begründung für die Regel gelten.
Garant für Freiheit und Sicherheit?
Befürworter der Wehrpflicht argumentieren, dass mit der Wehrpflicht effektiv verhindert wird, dass eine Regierung das eigene Volk mit dem Militär unterdrückt. Diese wird auch als wichtiger Stützpfeiler der Demokratie und als Kontrollmechanismus, dass das Militär nicht von der Regierung missbraucht wird, gesehen.
Wehrpflichtgegner halten dem entgegen, dass eben dies nicht der Fall sei, da das Dritte Reich, Nordkorea, die UdSSR sowie auch aktuell Syrien eine Wehrpflichtigenarmee haben oder hatten und dort sehr wohl das eigene Volk unterdrückt wird bzw. wurde. Weiters habe die Wehrpflicht auch in der Geschichte stets für Aufrüstung und ideologische Kriege gesorgt, welche sich nicht auf Söldnerheere oder eher kleinere Berufsarmeen beschränkten, sondern wo alle jungen Männer mitgekämpft haben. Sowohl in der Zwischenkriegszeit als auch heute bezeichneten Wehrpflichtbefürworter die Wehrpflicht gerne als Schule der Nation oder als geeignetes Mittel, um junge Männer Zucht und Ordnung zu lehren. Gern wird die Wehrpflicht als eine Art Gegenleistung der Bürger an den Staat betrachtet, die Bürger sollen die Möglichkeit und Pflicht haben, ihre Freiheit im Kriegsfall selbst zu verteidigen und das Gemeinwohl vor das eigene zu stellen; Wehrpflichtgegner sehen diese Sichtweise als totalitär an.
Deutschland
Die Wehrpflicht wurde in der Bundesrepublik Deutschland am 21. Juli 1956 eingeführt. Die Möglichkeit der Kriegsdienstverweigerung sah das Grundgesetz schon in seiner Urfassung ab 1949 vor. Im März 1956 wurde die Wehrpflicht aufgenommen sowie die Möglichkeit eines Ersatzdienstes, der keineswegs länger dauern sollte als der Wehrdienst. 1968 wurde die Wehrpflicht mit dem Artikel 12a im Grundgesetz geregelt.
Am 15. Dezember 2010 wurde durch das Bundeskabinett eine Aussetzung der Wehrpflicht zum 1. Juli 2011 beschlossen. Die Wehrpflicht besteht also weiter, in Friedenszeiten werden aber keine Wehrpflichtigen mehr eingezogen. Zum 1. Januar 2011 wurden zum letzten Mal Wehrpflichtige zwangsweise einberufen, seit dem 1. März 2011 werden Wehrpflichtige nicht mehr gegen ihren Willen zum Dienst verpflichtet.
Wehrpflichtig sind grundsätzlich alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr an, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind, die Heranziehungsgrenze für den Grundwehrdienst war das 23. Lebensjahr.
Die Wehrpflicht wurde durch den Wehrdienst oder im Falle des des Kriegsdienstverweigerungsgesetzes vom 28. Februar 1983 durch den Zivildienst in Deutschland erfüllt. Die Dauer des Grundwehrdienstes und des Zivildienstes betrug zuletzt seit dem 1. Juli 2010 sechs Monate. Die vorher teilweise längere Dauer des Zivildienstes im Gegensatz zum Wortlaut des Grundgesetzes wurde damit gerechtfertigt, dass Wehrdienstleistende nach dem Grundwehrdienst als Reservisten zu Wehrübungen herangezogen werden konnten.
In der Praxis leisteten von den 440.000 erfassten Männern des Jahrganges 1980 137.500 (31,25 %) den Grundwehrdienst, 152.000 (34,54 %) Zivildienst oder einen anderen Ersatzdienst, und 150.500 (34,2 %) wurden ausgemustert oder aus anderen Gründen nicht zum Dienst herangezogen.
Ein Vergleich mit anderen Ländern und ihrer Praxis in Bezug auf die Wehrpflicht ist nur bedingt möglich. Aufgrund der geschichtlichen Erfahrungen Deutschlands wurde das Konzept der in ihrer Form in der damaligen Zeit einzigartigen „Inneren Führung“ und eng damit zusammenhängend des Leitbilds des „Staatsbürgers in Uniform“ geschaffen. Auch durch Einbindung in die allgemeine Gerichtsbarkeit wurde sichergestellt, dass sich – im Gegensatz zur Reichswehr, die mit eigener Gerichtsbarkeit und unmittelbar dem Reichspräsidenten unterstehend ein Staat im Staate war – die deutsche Armee niemals wieder zu einem „Staat im Staat“ entwickeln kann. Aus diesem Grund wurde auch die Institution des Wehrbeauftragten geschaffen. Als Parlamentsarmee, an deren Spitze nicht ein Militär, sondern ein Politiker steht, sollte die Bundeswehr das „Recht und die Freiheit des deutschen Volkes“ (Eid und Feierliches Gelöbnis) verteidigen.
Österreich
In Österreich gilt die allgemeine Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger vom 17. bis zum 50. Lebensjahr, für Offiziere und Unteroffiziere bis zum 65. Lebensjahr ( Bundes-Verfassungsgesetz; und Wehrgesetz). Bis zum 35. Lebensjahr können Wehrpflichtige zum Grundwehrdienst eingezogen werden. Seit 2006 beträgt die Dauer des Grundwehrdienstes sechs Monate. Davor waren es acht Monate, wobei zumindest sechs Monate ohne zeitliche Unterbrechung geleistet werden mussten. Die fehlenden Monate wurden über den Zeitraum von mehreren Jahren durch Waffenübungen ergänzt. Bis alle sechs Monate abgeleistet sind, befindet sich der Wehrpflichtige im Milizstand.
Gemäß dem im Verfassungsrang stehenden Abs 1 ZDG können Wehrpflichtige erklären, die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil sie es – von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen – aus Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden, und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würden, und deshalb Zivildienst leisten zu wollen. Dieser dauert neun Monate und kann bei verschiedenen Organisationen abgeleistet werden. Als Alternativen zum Zivildienst können länger andauernde Freiwilligendienste, wie jene beim Auslandsdienst, beim Europäischen Freiwilligendienst (EFD), als Freiwilliges Soziales Jahr oder als Freiwilliges Umweltjahr abgeleistet werden. Durch die Ablehnung des Dienstes an der Waffe ist es 15 Jahre ab diesem Zeitpunkt nicht möglich, bis auf wenige Ausnahmen, waffenrechtliche Dokumente zu beantragen.
Bis zum Jahr 1971 betrug der Grundwehrdienst neun Monate, wobei die letzten zwei Wochen eine automatische Dienstfreistellung darstellten. Unter Bundeskanzler Kreisky wurde die Verkürzung auf sechs Monate plus 60 Tagen Truppenübung (=8 Monate) beschlossen, was de facto eine Verkürzung von nur zwei Wochen darstellte, da die Dienstfreistellung wegfiel. Ebenfalls unter Kreisky wurde 1975 die bis dahin einfachgesetzliche allgemeine Wehrpflicht für Männer mit dem Bundesverfassungsgesetz vom 8. Juli 1975 (), gemeinsam mit dem neu geschaffenen Wehrersatzdienst (Zivildienst), in der Verfassung verankert. Wurden in den 1970er Jahren noch ein Großteil der Wehrpflichtigen zu sechs Monaten Grundwehrdienst einberufen und nur einige Spezialfunktionen mit Acht-Monat-Grundwehrdienern besetzt, so änderte sich das im Lauf der Jahre.
Ein Verzicht auf die österreichische Staatsbürgerschaft ist für Männer, die zwischen 16 und 35 Jahre alt sind, über die für andere Österreicher üblichen Bedingungen hinaus eingeschränkt, so dass eine Umgehung der Wehrpflicht auf diesem Wege erschwert ist. Er ist nur dann möglich, wenn sie eine andere Staatsbürgerschaft besitzen, wenn sie seit 5 Jahren außerhalb Österreichs leben oder den Dienst schon geleistet haben bzw. für untauglich befunden wurden ( Staatsbürgerschaftsgesetz).
Das Ende des Wehrdienstes wird als „Abrüsten“ bezeichnet.
Die Wehrpflicht wird in Österreich vor allem von der jüngeren Generation stark kritisiert, da sie im Widerspruch zur in der Verfassung verankerten Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau steht. Wäre die Wehrpflicht nicht selbst in der Verfassung verankert, so wäre sie verfassungswidrig, da sie gegen selbige verstößt, indem unsachlich wegen des Geschlechts diskriminiert wird.
Möglicherweise steht die Wehrpflicht ebenfalls im Widerspruch zum EU-Recht, nach welchem alle EU-Bürger gleich behandelt werden müssen, eine Beschwerde wurde im Juni 2020 beim Europäischen Gerichtshof eingereicht. Kritisiert wurde unter anderem, dass der Datenschutz sowie die Bewegungsfreiheit innerhalb der EU durch die Wehrpflicht verletzt werden. Da das EU-Recht über der österreichischen Verfassung steht, muss Österreich die Wehrpflicht möglicherweise abschaffen, wenn sich die Beschwerde als begründet heraus stellen sollte. Ein Urteil ist noch ausständig.
Im August 2022 wurde bekanntgegeben, dass die Bundesregierung plant, den Monatslohn von Grundwehr- und Zivildienern von derzeit 362 € auf 978 € im Monat zu erhöhen. Begründet wird dies damit, dass die Bezahlung nicht geringer als die Mindestsicherung sein sollte. Mit dieser Änderung würde das Gehalt der Verpflichteten nur noch etwa 500 € unter dem Gehalt liegen, welches ein Kollektivvertrag mindestens vorschreiben muss.
Im Oktober 2022 wurde beschlossen, dass der Sold zwar nicht auf knapp 1000 €, aber auf knapp 500 € erhöht wird. Die neue Regelung gilt seit dem 1. Jänner 2023.
Bundesheer und Corona
Im März 2020 wurde gleichzeitig mit dem Lockdown angekündigt, dass zum ersten Mal in der Zweiten Republik die Miliz eingezogen wird. Auf der Homepage des Bundesheeres wurden täglich neue Bereiche veröffentlicht und ein FAQ eingerichtet. Von den rund 25.000 Milizsoldaten plante man 3.000 einzuziehen, da jedoch die erste Welle bereits am Abflauen war, wurden dann doch nur etwa 1.400 der Soldaten Anfang Mai tatsächlich eingezogen. Die Soldaten wurden für Tätigkeiten wie Fiebermessen an den Grenzen oder als Hilfskräfte für Lebensmittelgeschäfte eingesetzt, ebenfalls war geplant, dass diese bei der Post arbeiten sollen. Einige wurden nach bereits einem Monat wieder entlassen, für die restlichen endete der Einsatz Ende Juli.
Die Grundwehrdiener, die Ende März fertig geworden wären, mussten 2 Monate länger bleiben.
Geschichte
Debatte um Abschaffung und Volksbefragung
Im Zuge des Wiener Wahlkampfs im Oktober 2010 stellte Wiens Bürgermeister Michael Häupl (SPÖ) die Wehrpflicht in Frage und forderte diesbezüglich eine Volksbefragung. Grüne, BZÖ und Team Stronach schlossen sich dieser Forderung an, ÖVP und FPÖ wollen die Wehrpflicht beibehalten. Gleichzeitig erstellte der Generalstab des österreichischen Bundesheers unterschiedliche Modelle zur Aussetzung der Wehrpflicht. Am 5. Jänner 2011 meldete der Kurier, es gäbe sieben verschiedene Modelle. Der Chef des Generalstabs, Edmund Entacher, dementierte die vom Kurier publizierten Zahlen noch am selben Tag und meinte, die tatsächlichen Modelle würden in den folgenden zwei Wochen veröffentlicht werden.
Im August 2012 gab ÖVP-Chef Michael Spindelegger bekannt, dass sich die ÖVP entgegen ihrer früheren Linie mit der SPÖ auf eine Volksbefragung zur Frage der Wehrpflicht geeinigt habe. Diese fand am 20. Jänner 2013 statt. Dabei sollten sich die Abstimmenden zwischen den von der SPÖ („Sind Sie für die Einführung eines Berufsheeres und eines bezahlten freiwilligen Sozialjahres?“) bzw. ÖVP („Sind Sie für die Beibehaltung der allgemeinen Wehrpflicht und des Zivildienstes?“) propagierten Modellen entscheiden.
Nach dem amtlichen Endergebnis stimmten 59,7 % für die Beibehaltung der Wehrpflicht und des Zivildienst und 40,3 % für ein Berufsheer.
Schweiz
In der Schweiz gilt für männliche Bürger gemäß Bundesverfassung Militärdienstpflicht für alle Schweizer. Im Abs. 1 dieses Artikels sieht die Verfassung seit 1992 einen zivilen Ersatzdienst vor (Zivildienst). Für Schweizerinnen ist der Militärdienst freiwillig. Die Wehrpflicht dauert gemäß Art. 13 Militärgesetz in der Regel vom 20. bis 34. Altersjahr (für Mannschaftsdienstgrade, Unteroffiziere und Offiziere bis Oberleutnant). Die Pflichtigen werden so lange zu jährlichen Wiederholungskursen aufgeboten, bis eine dienstgradbezogene Anzahl von anrechenbaren Tagen erreicht ist. Für die Mannschaftsdienstgrade beträgt diese Zahl höchstens 262 Tage (siehe Schweizer Armee). Für Grade ab Hauptmann gibt es keine fixe Obergrenze. Sie leisten grundsätzlich sämtliche Dienstleistungen ihrer Einteilungsformation. Hauptleute werden im Alter von 42 Jahren entlassen, Stabsoffiziere (Major, Oberstleutnant, Oberst) im Alter von 50 (vgl. die Verordnung über die Militärdienstpflicht (VMDP)).
Die Nichterfüllung der Militärdienstpflicht ist strafbar nach ff. des Militärstrafgesetzes. Erst seit 1996 besteht für Militärdienstpflichtige die Möglichkeit, ihre Wehrpflicht im Rahmen eines zivilen Ersatzdienstes (Zivildienst) zu erfüllen. Zwischen 1996 und 2009 mussten Wehrpflichtige, die sich für den Zivildienst entschieden, eine Gewissensprüfung ablegen, in der sie erklären mussten, wieso für sie der Militärdienst nicht in Frage käme. Seit 2009 muss diese Gewissensprüfung nicht mehr durchlaufen werden und es besteht für Wehrpflichtige somit freie Auswahl zwischen Militärdienst und Zivildienst; es wird argumentiert, dass die in Kauf genommene längere Dauer des Zivildienstes Beweis genug sei, dass jemand gute Gründe habe, keinen Militärdienst zu leisten.
Im Mai 2011 lehnte der Nationalrat mit 117 zu 53 Stimmen eine parlamentarische Initiative ab, die eine Sistierung der allgemeinen Wehrpflicht verlangt hat.
Die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) reichte im Januar 2012 die eidgenössische Volksinitiative «Ja zur Aufhebung der Wehrpflicht» ein. In der Volksabstimmung vom 22. September 2013 wurde die Initiative von 73,2 % der Abstimmenden abgelehnt – wie schon bei früheren Abstimmungen.
Genau wie in Österreich oder wie es in Deutschland bis 2011 der Fall war, gibt es auch in der Schweiz den Gleichheitsgrundsatz, welcher die Gleichheit von Mann und Frau vor dem Gesetz verlangt. Die in der Verfassung verankerte Wehrpflicht für Männer steht dazu im Widerspruch, doch hat sie als Lex specialis Vorrang. Legitimiert wird die Tatsache, dass die Wehrpflicht nur für Männer gilt, damit, dass Männer für das Militär grundlegend besser geeignet wären als Frauen.
In der Zeit, bevor Frauen dem Militär beitreten konnten, war das durchaus plausibel, doch erübrigt sich das Argument restlos, seit Frauen, sofern sie wollen, dem Militär uneingeschränkt beitreten können. Weiter wird argumentiert, dass es Sache des nationalen Gesetzgebers sei, ob die Landesverteidigung durch ein Berufsheer oder ein Wehrpflichtigenheer organisiert wird und wer dazu herangezogen wird. Eine Wehrpflicht, die Frauen mit einschließt, wurde nie ernsthaft erwogen. In der Tat ist es aus völkerrechtlicher Sicht jedem Nationalstaat überlassen, wie er seine Landesverteidigung organisiert. Allerdings sehen Menschenrechtler trotzdem die Wehrpflicht für Männer als Diskriminierung.
Wehrpflicht in nicht mehr existenten Staaten/Reichen (alphabetisch)
DDR
In der DDR bestand ab 1962, nachdem durch den Mauerbau sichergestellt worden war, dass keine Wehrpflichtigen vor dem Militärdienst fliehen, Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger ab 18 Jahren. Dieser dauerte 18 Monate, es gab die Möglichkeit einen Ersatzdienst als Bausoldat zu leisten. Dieser Ersatzdienst beinhaltete zwar keine militärische Ausbildung, allerdings waren die Betroffenen ebenfalls dem Militär untergeordnet. Wehrdienstverweigerer wurden mit bis zu drei Jahren Gefängnisstrafe bestraft, ab 1968 sah § 256 Strafgesetzbuch (DDR) bis zu fünf Jahres Freiheitsstrafe vor.
Deutsches Kaiserreich
Im deutschen Kaiserreich wurde mit der Bismarckschen Reichsverfassung die allgemeine Wehrpflicht verankert, diese galt für Männer ab 20 Jahren. Die Zeit als aktiver Soldat betrug zwei bis drei Jahre, je nach Waffengattung, danach folgte eine Zeit als Reservist, die aktive Dienstzeit und die Reservepflicht zusammen betrugen sieben Jahre. Möglichkeit für einen Ersatzdienst gab es nicht.
Drittes Reich
Die allgemeine Wehrpflicht wurde im Drittes Reich für alle männlichen Staatsbürger 1935 mit einjähriger Dauer eingeführt. 1936 verlängerte Hitler diese auf 2 Jahre. Begründet wurde dies mit der Bedrohung durch die Sowjetunion, von anderen Staaten wurde diese Aufrüstung mit hohem Misstrauen wahrgenommen. Es gab keine Möglichkeit für einen Wehrersatzdienst, Deserteure und Kriegsdienstverweigerer wurden oft hingerichtet, es ist keine genaue Zahl bekannt, jedoch gibt es Schätzungen, wonach etwa 30.000 Männer wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt, und etwa 20.000–23.000 tatsächlich hingerichtet wurden. Der Zweite Weltkrieg wurde großteils mit dem Einsatz von Wehrpflichtigen geführt.
Habsburgermonarchie
In der Zeit von Maria Theresia und Joseph II. gab es bereits Zwangsrekrutierungen, allerdings keine allgemeine Wehrpflicht der alle Männer eine bestimmte Zeit lang unterworfen waren.
Die allgemeine Wehrpflicht wurde in Österreich-Ungarn 1868 nach dem deutschen Krieg unter Kaiser Franz Joseph eingeführt. Im Ersten Weltkrieg wurden Wehrpflichtige in großer Anzahl eingesetzt.
Jugoslawien
In der Jugoslawischen Volksarmee, welche von 1945 bis 1992 bestand, gab es eine Wehrpflicht für die Dauer von 18 Monaten. In der „Armee Jugoslawiens“ welche von 1992 bis 2003 bestand, dauerte der verpflichtende Militärdienst 12 Monate.
Osmanisches Reich
Im osmanischen Reich gab es ab 1839 eine Art allgemeiner Wehrpflicht. Sie wurde nach der Zerschlagung der Janitscharen eingeführt. Zunächst wurden Wehrpflichtige nur für kleinere Übungen heimatnah einberufen. Als die Bevölkerung dieses System gewohnt war, wurde eine „richtige“ Wehrpflicht eingeführt, es dauerte aber Jahrzehnte, bis diese tatsächlich überall durchgesetzt wurde, in vielen Regionen und auch in Istanbul gab es Befreiungen. Anfangs galt die Wehrpflicht nur für Moslems, Nicht-Moslems waren befreit, aber mussten dafür eine Sondersteuer bezahlen. Muslimische Männer mussten zum Militär und hatten Zugang zu höheren Posten, nicht-muslimische Männer mussten nicht zum Militär, und durften auch nicht freiwillig Soldaten werden.
Mit der Machtübernahme der Jungtürken wurde die Wehrpflicht schließlich dahingehend vereinheitlicht, dass es keine Ausnahme für Nicht-Moslems mehr gab.
Die Wehrpflicht wurde staatlicherseits als ein Privileg dargestellt, das es gleichzeitig auch erlaubte, politisch teilzuhaben, teilweise wurde sie auch von der Bevölkerung so gesehen, es gab aber auch Widerstände, viele Wehrpflichtige versuchten sie etwa durch Auswanderung oder durch eine Verweigerung der behördlichen Erfassung der Bevölkerung zu vermeiden.
Der Militärdienst galt als sehr hart, insbesondere im Gebiet von Jordanien starben zahlreiche Wehrpflichtige.
Es gab keine Möglichkeit, einen zivilen Ersatzdienst zu leisten, allerdings gab es für Familien mit mehreren Söhnen die Möglichkeit, dass nicht alle Söhne zum Militär mussten.
Russisches Reich
1874 wurde im russisches Kaiserreich eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt, bei den Landstreitkräften betrug die Dienstzeit 6 Jahre, danach kamen 9 Jahre Reserve. Bei der Marine betrug die Gesamtzeit 10 Jahre, davon 7 Jahre im aktiven Dienst. Allerdings wurde nur etwa die Hälfte der Wehrpflichtigen tatsächlich eingezogen.
1876 wurde die Dauer des aktiven Dienstes auf 5 Jahre gesenkt, 1878 auf 4 Jahre, und 1905 auf 3 Jahre.
Sowjetunion
In der Sowjetunion gab es von 1918 bis zu ihrem Ende 1991 eine allgemeine Wehrpflicht, am Beginn ihrer Machtübernahme versuchten die Kommunisten kurz ein System des freiwilligen Militärdienstes, führten aber sehr schnell wieder eine Wehrpflicht ein. Zumindest dauerte diese 2 Jahre, 1939 wurde die Wehrpflicht als Reaktion auf den Beginn des Zweiten Weltkrieges auf drei Jahre erhöht, und das Mindestalter von 19 auf 17 gesenkt. In den darauffolgenden Jahrzehnten wurde die Dauer je nach Waffengattung mehrmals geändert. Im Zweiten Weltkrieg wurden teilweise auch Frauen eingezogen.
Ab den 1980er Jahren gab es starken Widerstand gegen die Wehrpflicht, da die miserablen Umstände – Misshandlungen, sexuelle Übergriffe und Körperverletzungen seitens Vorgesetzter an den Wehrpflichtigen waren an der Tagesordnung – immer mehr Bewusstsein in der Bevölkerung erfuhren. Das Komitee der Soldatenmütter entstand und setzte sich für die Rechte der Wehrpflichtigen ein.
Nach dem Ende der Sowjetunion wurde die Wehrpflicht von Russland als Fortsetzerstaat übernommen und fortgesetzt.
Wehrpflicht in der heutigen Zeit (alphabetisch nach Staaten)
Albanien
In Albanien bestand von 1945 bis 2010 Wehrpflicht, von 1945 bis 1954 dauerte der Militärdienst 4 Jahre, 1954 bis 1972 dauerte er 3 Jahre, ab 1972 waren es 27 Monate, 1992 wurde der Wehrdienst auf 18 Monate verkürzt, und 1996 auf ein Jahr. 2010 wurde die Wehrpflicht kurz nach dem NATO-Beitritt Albaniens abgeschafft.
Algerien
In Algerien besteht Wehrpflicht für männliche Staatsbürger ab 19 Jahren, bis 2014 dauerte der Wehrdienst 18 Monate, seitdem sind es 12 Monate.
Angola
In Angola besteht Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger ab 20 Jahren, der Militärdienst dauert 2 Jahre. Frauen können freiwilligen Militärdienst ab dem Alter von 20 Jahren leisten. Männer können freiwillig Militärdienst ab 18 leisten.
Australien
In Australien existierten von 1903 bis 1980 zwei Freiwilligenarmeen. Die heutige Armee, die Australian Defence Force, umfasst etwa 53.000 Soldaten. Die Wehrpflicht wurde 1972 aufgehoben.
Ägypten
In Ägypten besteht Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger, die Militärdienstdauer richtet sich nach Bildungsabschluss. Hochschulabsolventen müssen 12 Monate zum Militär, Abiturienten 24 Monate und alle anderen Männer 36 Monate. Es gibt keine Möglichkeit, den Militärdienst legal zu verweigern und stattdessen einen nicht militärischen Ersatzdienst zu leisten. Militärdienstverweigerer werden in der Regel inhaftiert und nach Freilassung erneut eingezogen. Neben Militärdienstverweigerung ist in Ägypten auch das Kritisieren der Streitkräfte strafbar und kann mit Haft bestraft werden. Die ägyptische Armee gilt als eine der stärksten auf dem afrikanischen Kontinent.
Bangladesch
In Bangladesch gab es nie eine Wehrpflicht.
Argentinien
In Argentinien gibt es theoretisch eine Wehrpflicht, seit 1994 wird diese allerdings nicht angewandt, sodass niemand gegen seinen Willen eingezogen wird.
Belarus
In Belarus besteht Wehrpflicht für die Dauer von 10,5 Monaten, wehrpflichtig sind alle männlichen Staatsbürger. Es gibt auch verpflichtende Übungen, zu denen Reservisten einberufen werden.
Belgien
Der Wehrdienst wurde in Belgien im Jahr 1995 abgeschafft. Belgien war damit einer der ersten europäischen NATO-Staaten, welche die Wehrpflicht abschafften.
Bolivien
In Bolivien besteht Wehrpflicht für männliche Staatsbürger, der Militärdienst dauert 12 Monate, allerdings werden nicht alle Wehrpflichtigen einberufen.
Bosnien und Herzegowina
Mit der Einführung einer einheitlichen Armee in Bosnien und Herzegowina wurde die allgemeine Wehrpflicht am 1. Januar 2006 aufgehoben.
Botswana
In Botswana hat es nie irgendeine Form der Wehrpflicht gegeben. Allerdings gibt es dort eine Art verpflichtenden Zivildienst von 12 Monaten, der 1980 zuerst auf freiwilliger Basis eingeführt wurde. Seit 1984 ist dieser sowohl für Männer als auch für Frauen, die studieren oder im öffentlichen Dienst arbeiten wollen, verpflichtend.
Brasilien
Laut Bundesgesetz Nr. 4375 existiert grundsätzlich eine Wehrpflicht für männliche Staatsbürger Brasiliens. Die tatsächliche Praxis orientiert sich jedoch am Personalbedarf der Streitkräfte, so dass die meisten Brasilianer keinen Wehrdienst ableisten müssen.
Bulgarien
In Bulgarien wurde die Wehrpflicht im Jahr 2008, 4 Jahre nach dem Beitritt zur NATO abgeschafft.
China
In China dauert die Wehrpflicht zwei Jahre. Alle männlichen Bürger, die vor dem 31. Dezember eines Jahres das 18. Lebensjahr vollenden, können zum aktiven Dienst rekrutiert werden. Studenten sind von der allgemeinen Wehrpflicht befreit, allerdings müssen Frauen wie Männer einen mehrwöchigen Grundkurs auf dem Campusgelände ihrer jeweiligen Universität absolvieren. Weibliche Bürger können gemäß der oben genannten Bestimmung zum aktiven Dienst rekrutiert werden, wenn die Armee sie braucht.
Die Volksbefreiungsarmee hat in Friedenszeiten eine Stärke von 2,3 Millionen Soldaten. Jedoch erreichen jedes Jahr mehr als 13 Millionen junger Männer das Wehrdienstalter. Durch Chinas riesige Bevölkerung und der dadurch großen Anzahl von Freiwilligen für die normale Armee hat Wehrpflicht praktisch kaum eine Bedeutung. Alle 18-Jährigen müssen sich selbst bei den Behörden einschreiben. Die vorwiegende Ausnahme in diesem System sind potentielle Studenten (männliche und weibliche), die militärisches Training (normalerweise für eine Woche oder mehr) mitmachen müssen, bevor ihre Studien beginnen oder – was öfter der Fall ist – ein Jahr nach Ende ihrer Studien (§ 43 des Wehrdienstgesetzes).
Dänemark
Jeder männliche dänische Staatsbürger ist nach § 81 des dänischen Grundgesetzes wehrpflichtig. Der Wehrdienst dauert in der Regel vier Monate. Es werden nur ca. 6.000 Personen (20 % der Wehrpflichtigen) eines Jahrgangs für die Armee benötigt. In den letzten Jahren haben sich dafür ausreichend Freiwillige gemeldet. Sonst würden zusätzliche Dienstpflichtige per Los bestimmt.
El Salvador
In El Salvador gibt es seit 1992 keine Wehrpflicht.
Finnland
In Finnland gilt eine allgemeine Wehrpflicht für Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren. Der Wehr- oder Zivildienst ist von Männern im Alter von 18 bis 30 Jahren abzuleisten. Nach dem Wehrdienst befinden sich Männer bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres in der Reserve. Der Wehrdienst dauert 165, 255 oder 347 Tage, Zivildienst dauert 347 Tage. Männern, die sowohl die Ableistung des Wehrdienstes als auch des Zivildienstes verweigern (sogenannte Totalverweigerer), drohen Haftstrafen von bis zu 181 Tagen. Seit 1995 können auch Frauen freiwillig Wehrdienst leisten.
Die Inselgruppe Åland hat einen demilitarisierten Status, weswegen die Einwohner mit åländischem Hembygdsrätt (Heimatrecht), die schon vor Vollendung des 12. Lebensjahres auf Åland gelebt haben, von der Wehrpflicht ausgenommen sind. Dieses Recht wird nur in Åland ansässigen finnischen Staatsangehörigen erteilt, die entweder aus Åland stammen oder dort seit längerem wohnhaft sind. Die Inhaber dieses Rechts können jedoch zu zivilen Diensten verpflichtet werden.
Frankreich
In Frankreich trat am 8. November 1997 das loi 97-1019 in Kraft, das für alle nach 1979 geborenen französischen Jugendlichen, Jungen wie Mädchen, im In- und Ausland einen Vorbereitungstag für die Landesverteidigung (Journée d'appel de préparation à la défense, JAPD) verpflichtend macht. Demnach hätten alle vor 1980 geborenen jungen Männer bis Ende 2002 zehn Monate Wehrdienst leisten müssen. In einem Dekret des Ministerrats vom 27. Juni 2001 wurde das Ende der Übergangsphase um ein Jahr vorverlegt. Die Jugendlichen nehmen daran zwischen ihrer Erfassung und ihrem 18. Geburtstag teil. Mitte 2010 wurde der Tag umbenannt in Journée défense et citoyenneté. Im Jahr 2019 wurde der Service national universel (SNU) bzw. der Allgemeine Nationaldienst eingeführt, der seit 2021 als einmonatiger Pflichtdienst für alle Staatsbürger zu leisten ist. Der SNU kann zum Teil auch beim Militär abgeleistet werden.
Georgien
In Georgien gibt es eine einjährige Wehrpflicht für männliche Staatsbürger. Nach dem Ende der Sowjetunion wurde die damals zweijährige Wehrpflicht für Georgien übernommen. 1996 wurde diese auf 18 Monate reduziert, und 2010 auf ein Jahr. 2012 wurde diese kurzzeitig wieder auf 15 Monate erhöht. 2016 wurde sie abgeschafft, allerdings 2017 wieder eingeführt, faktisch wurde lediglich eine Einberufungskampagne nicht durchgeführt, die Dauer beträgt weiterhin ein Jahr.
Griechenland
In Griechenland gilt eine allgemeine Wehrpflicht für Männer zwischen 18 und 45 Jahren, die Wehrdienstdauer für Wehrpflichtige beträgt seit Mai 2021 zwölf Monate. Verwitwete Väter bzw. ältere Brüder mit der Sorgepflicht für einen oder mehrere Minderjährige sind von der Wehrpflicht befreit. Für Auslandsgriechen, die auch im Ausland geboren sind, beträgt die Wehrdienstdauer nur drei Monate, sie können aber auch einen unbefristeten Aufschub erhalten. Andere Auslandsgriechen, Einwanderer mit griechischem Pass und Geschwister einer Familie mit sechs oder mehr Kindern haben das Recht auf eine auf sechs Monate reduzierte Wehrdienstdauer. Für den ältesten Bruder von drei Geschwistern, für die zwei ältesten Brüder von vier Geschwistern, und für Väter beträgt sie neun Monate. Für Frauen gilt keine Wehrpflicht, sie können jedoch ohne Einschränkungen dem Militär beitreten.
Indien
In Indien gab es nie eine allgemeine Wehrpflicht im heutigen Sinne.
Indonesien
In Indonesien ist die Möglichkeit einer Wehrpflicht in der Verfassung von 1945 vorgesehen, jedoch wird diese nicht angewandt und es gibt eine Berufsarmee, welcher sowohl Männer als auch Frauen beitreten können. Bis 2021 gab es für Anwärterinnen die sehr umstrittenen Zwei-Finger-Tests, Rekrutinnen mussten sich untersuchen lassen ob sie noch Jungfrauen sind wenn sie dem Militär beitreten wollten, Menschenrechtsorganisationen hatten diese Praxis immer wieder als sexistisch und diskriminierend verurteilt.
Irak
Im Irak wurde die Wehrpflicht 2003 abgeschafft.
Iran
Im Iran besteht Wehrpflicht für Männer, der entsprechende Militärdienst wurde in den vergangenen Jahren immer wieder verändert und dauert aktuell 24 Monate. Die Wehrpflicht ist dort sehr umstritten; im April 2021 haben 50.000 Menschen dafür unterschrieben, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird.
Israel
Israel zählt zu den wenigen Staaten der Welt, die praktisch jeden Wehrpflichtigen auch tatsächlich einberufen. Während die meisten Länder einen Großteil der Wehrpflichtigen gar nicht erst zur Musterung einbestellen, wird in Israel praktisch jeder Erwachsene in die Armee einberufen, was auf den prekären Status Israels als von feindlichen Staaten umgebenes Land zurückzuführen ist. Außerdem hat Israel, als einer von wenigen Staaten, die Wehrpflicht auf beide Geschlechter ausgedehnt. Hier sind Frauen verpflichtet, mindestens zwei Jahre Dienst in den Streitkräften abzuleisten, Männer müssen zweieinhalb Jahre dienen.
siehe: Frauen in den israelischen Streitkräften
Allerdings gibt es eine Reihe von Ausnahmen: alle verheirateten und alle nichtjüdischen oder schwangeren Frauen sind von der Wehrpflicht befreit; ebenso israelische Araber (Muslime und Christen, nicht jedoch Drusen). Bislang ist es grundsätzlich nur Frauen gestattet, dem Wehrdienst aus Gewissensgründen nicht nachzukommen und einen Ersatzdienst (National Service) zu leisten. Die Verweigerung des Wehrdienstes durch Männer ist mit gesellschaftlicher Ächtung und nicht selten auch mit einem Strafverfahren verbunden; gleichwohl ist ihre Tendenz steigend.
Bei der Gründung Israels wurden auch die ultraorthodoxen Juden, damals nur wenige hundert, von der Wehrpflicht freigestellt. Da sie Verhütungsmittel ablehnen und es als göttliches Gebot ansehen, möglichst viele Kinder zu haben, ist ihre Anzahl stark gestiegen. Dies hat zu gesellschaftlichen Konflikten mit dem Rest der Bevölkerung geführt. 2012 hat das Oberste Gericht entschieden, dass die Befreiung ultraorthodoxer Juden vom Militärdienst verfassungswidrig ist. Im März 2014 wurde ein Gesetz beschlossen, das es unter Strafe stellt, wenn Ultraorthodoxe ihrer Einberufung nicht Folge leisten. Diese Entscheidung wurde 2015 wieder aufgehoben; Ultraorthodoxe brauchen auch weiterhin keinen Militärdienst zu leisten. Im September 2017 wurde diese Regelung erneut vom Obersten Gericht als nicht verfassungskonform abgelehnt. Es wurde eine Frist von einem Jahr gesetzt, um sie zu ändern.
Italien
In Italien wurde die Wehrpflicht (und der zivile Ersatzdienst) zum 1. Juli 2005 ausgesetzt. Gleichzeitig wurde ein freiwilliger einjähriger Wehrdienst eingeführt. Dieser ist Voraussetzung für Weiterverpflichtungen bei der Armee und für Bewerbungen bei Polizei, Carabinieri und anderen Sicherheitsbehörden. Das „Nationale Amt für den Zivildienst“ bietet daneben einen freiwilligen einjährigen Zivildienst an.
2018 wurde vom italienischen Innenminister Salvini vorgeschlagen, die Wehrpflicht wiedereinzuführen. Im Vordergrund stand dabei die Disziplinierung der Jugend, der Vorschlag wurde abgelehnt.
Japan
Japan baute ab den 1870er Jahren (Meiji-Restauration) moderne Streitkräfte auf. 1873 wurde eine allgemeine Wehrpflicht eingeführt. Im Russisch-Japanischen Krieg (1904 bis 5. September 1905) besiegte erstmals in der Moderne eine asiatische Großmacht eine europäische Großmacht (Russisches Kaiserreich).
Japan hat seit seiner Niederlage im Zweiten Weltkrieg keine Wehrpflicht mehr und unterhält eine hoch gerüstete Berufsarmee, was auf dem asiatischen Kontinent relativ selten ist.
Jordanien
Jordanien hatte eine Wehrpflicht für männliche Staatsbürger, 1991 wurde diese ausgesetzt.
Kanada
Die Regierung Kanadas führte 1917 (während des Ersten) und 1944 (während des Zweiten Weltkriegs) jeweils die Wehrpflicht ein. Beide Male kam es zu innenpolitischen Krisen (Wehrpflichtkrise von 1917 und Wehrpflichtkrise von 1944). Mittlerweile existiert dort die Wehrpflicht nicht mehr.
Kenia
In Kenia gab es seit der Unabhängigkeit 1963 nie eine Wehrpflicht.
Kolumbien
In Kolumbien besteht Wehrpflicht für männliche Staatsbürger ab 18 Jahren. Die Dienstdauer ist je nach Waffengattung unterschiedlich. Beim Heer und bei der Luftwaffe beträgt diese 18 Monate, bei der Marine 24 Monate, und bei der Nationalpolizei 12 Monate. Es handelt sich dabei um eine selektive Wehrpflicht, in der Praxis werden hauptsächlich Männer aus sozial schwächeren Schichten eingezogen.
Ende Oktober 2022 wurde im Senat beschlossen, die Wehrpflicht in mittelfristiger Zukunft abzuschaffen, gleichzeitig wurde ein Vorschlag für einen „sozialen Friedensdienst“ angenommen, welcher einen Dienst vorschreibt, aber dabei eine Auswahl aus militärischen und nicht militärischen Dienstformen lässt.
Kosovo
Der Kosovo hat sich am 17. Februar 2008 für unabhängig erklärt. Die Sicherheitskräfte des Kosovo wurden am 21. Januar 2009 gegründet. Seitdem besteht keine Wehrpflicht.
Kroatien
Im Oktober 2007 beschloss das kroatische Parlament, dass ab dem 1. Januar 2008 nur noch Freiwillige zur kroatischen Armee einberufen werden.
Kuba
In Kuba besteht Wehrpflicht, rechtlich wären davon Männer und Frauen betroffen, aber in der Praxis werden nur Männer eingezogen. Der Militärdienst dauert 3 Jahre, darüber hinaus müssen Wehrpflichtige 45 Tage pro Jahr Militärübungen leisten.
Lettland
Lettland schaffte die Wehrpflicht nach seinem NATO-Beitritt (29. März 2004) ab. Die lettischen Streitkräfte bestehen seit 2007 aus Berufssoldaten. Außerdem gibt es eine Nationalgarde (Zemessardze); in dieser dienen Freiwillige.
Der damalige lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks (Kabinett Kariņš I) kündigte am 5. Juli 2022 an, 2023 werde eine Wehrpflicht für Männer wiedereingeführt. Kontext ist der russische Überfall auf die Ukraine, der am 24. Februar 2022 begann.
Das Parlament Lettlands beschloss am 5. April 2023, den Wehrdienst für Männer von 18 bis 27 von Mitte 2023 an schrittweise wieder einzuführen – zunächst auf freiwilliger Basis und ab 2024 dann verpflichtend.
Libanon
Im Libanon wurde die Wehrpflicht 2007 abgeschafft. Bis 2005 hatte der Militärdienst ein Jahr gedauert, von 2005 bis 2007 dauerte dieser 6 Monate.
Liechtenstein
In Liechtenstein wäre eine Wehrpflicht entsprechend der Verfassung des Fürstentums möglich. Allerdings hat Liechtenstein keine Armee, dementsprechend stellt sich die Frage nach einer aktiven Wehrpflicht nicht. Ein Abkommen mit der Schweiz überträgt dieser die Pflicht der Landesverteidigung des kleinen Fürstentums.
Litauen
Im März 2015 führte Litauen die Wehrpflicht aufgrund des Russisch-Ukrainischen Kriegs wieder ein, nachdem diese 2008 abgeschafft worden war. Die Dienstzeit beträgt neun Monate, rund 3500 Staatsbürger werden zur Litauischen Armee eingezogen.
Luxemburg
Luxemburg war ab dem 10. Mai 1940 von Truppen der Wehrmacht besetzt. Ab 1942 wurden einige Jahrgänge zwangsrekrutiert.
In Luxemburg wurde die Wehrpflicht 1944 von der Exilregierung in London beschlossen. Die Stadt Luxemburg wurde am 10. September 1944 von Truppen der US Army befreit.
Die Dauer des Wehrdienst wurde im Verlauf der Zeit von 12 Monaten auf 9 Monate und zuletzt 6 Monate herabgesetzt. Im Jahre 1967 wurde die Wehrpflicht wieder abgeschafft und die großherzogliche Armee in eine Berufsarmee umgewandelt. Viele Wehrpflichtige taten ihren Dienst als Teile der Besatzungstruppen in Deutschland, dies hauptsächlich in Bitburg.
Malaysia
In Malaysia wurde die Wehrpflicht 2015 wegen Sparmaßnahmen abgeschafft.
Malta
In Malta besteht keine Wehrpflicht, es gibt ein kleines Berufsheer.
Marokko
In Marokko besteht Wehrpflicht für Männer und Frauen für die Dauer von 12 Monaten.
1966 wurde die Wehrpflicht eingeführt, bis 1999 dauerte der Militärdienst 18 Monate, dann wurde dieser auf 12 Monate verkürzt und 2006 abgeschafft. 2018 wurde die Wehrpflicht wiedereingeführt, diesmal für Männer und für Frauen.
Moldau
In der Republik Moldau besteht eine Wehrpflicht für männliche Staatsbürger ab 18 Jahren. Eine Registrierung der Wehrpflichtigen wird bereits im Alter von 16 Jahren verlangt. Der Militärdienst dauert 12 Monate, es gibt die Möglichkeit einen zwölfmonatigen Ersatzdienst zu leisten. Für Hochschulabsolventen beträgt die Militärdienstdauer 3 Monate, und die Militärersatzdienstdauer 6 Monate. Eine Wehrpflichtabschaffung wird seit Jahren geplant, jedoch immer wieder verschoben.
Monaco
Monaco hat kein Militär und somit auch keine Wehrpflicht.
Mongolei
In der Mongolei besteht eine Wehrpflicht für die Dauer von 12 Monaten, diese gilt für alle männlichen Staatsbürger zwischen 18 und 25.
Montenegro
Montenegro schaffte die Wehrpflicht 2006 ab.
Namibia
In Namibia beziehungsweise Südwestafrika bestand vom 1. August 1980 bis zur Unabhängigkeit 1990 eine Wehrpflicht für Männer über 18 Jahre. Sie wurden in die South West African Territory Force (SWATF) einberufen und unter anderem zum Kampf gegen ihre eigenen Familien, die teilweise als Freiheitskämpfer der SWAPO (People’s Liberation Army of Namibia) dienten, eingesetzt.
Die Wehrpflicht wurde in die Verfassung Namibias nicht übernommen und somit ist die Namibian Defence Force eine reine Berufsarmee.
Nicaragua
In Nicaragua gibt es seit 1990 keine Wehrpflicht.
Niederlande
In den Niederlanden wurde die Wehrpflicht zum 1. Mai 1997 ausgesetzt. Sie wurde nicht offiziell abgeschafft. Seit Januar 2020 gilt die Wehrpflicht auch für Frauen, bleibt allerdings weiter ausgesetzt.
Niger
In Niger besteht eine selektive Wehrpflicht, ausgewählte Wehrpflichtige müssen 24 Monate lang Militärdienst leisten.
Nigeria
In Nigeria besteht keine Wehrpflicht.
Nordkorea
In Nordkorea besteht Wehrpflicht für alle Männer. Die Dienstzeit beträgt elf Jahre.
Seit 2015 sind auch Frauen in Nordkorea wehrpflichtig. Für sie dauert diese Pflicht sieben Jahre. In den Kasernen gibt es oftmals kein warmes Wasser und zu wenige Toiletten. Auch sexuelle Übergriffe auf die jungen Frauen seitens Vorgesetzter sind keine Seltenheit. Dies wäre theoretisch strafbar, doch wird es meist nicht verfolgt.
Mangelernährung ist ebenfalls häufig der Fall.
Norwegen
In Norwegen besteht eine Wehrpflicht für Männer und Frauen ab 19 Jahren, die Dienstzeit beträgt zurzeit zwölf Monate. Jährlich werden etwa 10.000 Wehrpflichtige einberufen. Seit 2009 sind auch Frauen verpflichtet, sich mustern zu lassen, der Wehrdienst blieb vorerst aber freiwillig. Im Oktober 2014 wurde im Parlament eine Gesetzesänderung beschlossen, wonach ab dem Jahr 2015 alle jungen Menschen, egal ob Mann oder Frau, einberufen werden können. Die ersten wehrpflichtigen Frauen wurden im Sommer 2016 einberufen. Laut Verteidigungsministerin Ine Eriksen Soreide sei es das Ziel, den Frauenanteil zu steigern; die Gesamtzahl der Soldaten solle gleich bleiben.
Pakistan
In Pakistan gab es nie eine Wehrpflicht. Freiwilliger Militärdienst ist ab 16 möglich, Kampfeinsätze sind ab 18 möglich.
Philippinen
Auf den Philippinen wäre eine Wehrpflicht laut der Verfassung grundsätzlich möglich, allerdings hat es bis heute nie einen verpflichtenden Militärdienst gegeben.
Polen
Im Herbst 2006 beschloss das polnische Parlament, die neunmonatige Wehrpflicht in Polen 2011 auslaufen zu lassen und spätestens 2012 eine reine Berufsarmee einzuführen. Dieser Plan wurde 2008 noch einmal von der Regierung beschleunigt, so dass seit 2010 in der polnischen Armee keine Wehrpflichtigen mehr Dienst tun. Volljährige Männer müssen trotzdem bei der Militärkommission (Komisja wojskowa) erscheinen und sich registrieren lassen, damit diese im Falle eines Krieges einberufen werden können. Dabei erfolgt eine medizinische Untersuchung, nach welcher bestimmt wird, inwiefern man zum Kriegsdienst überhaupt geeignet ist.
Portugal
Unter Diktator Salazar (ab 1932) gab es in Portugal eine 2-jährige Wehrpflicht. Unter ihm wurden auch Wehrpflichtige in die Kolonialkriege ab 1961 geschickt, was dazu führte, dass viele desertierten oder vor der Einberufung ins Ausland flohen.
In Portugal wurde 1999 beschlossen die Wehrpflicht auszusetzen, 2004 wurden die letzten Wehrpflichtigen entlassen, seither sind die Portugiesischen Streitkräfte eine reine Berufsarmee.
Rumänien
Seit 2007 besteht in der rumänischen Armee keine Wehrpflicht in Friedenszeiten mehr. Rumänische Männer müssen sich bei Vollendung des 18. Lebensjahres dennoch melden, da im Falle von Krieg oder Belagerung die Wehrpflicht im Alter von 20 bis 35 wieder eingeführt werden kann. Im Jahr 2002 war die Dauer des Wehrdienstes von zwölf auf acht Monate reduziert worden. Gleichzeitig mussten Universitätsabsolventen nur noch fünf statt bisher sechs Monate leisten.
Russland
Nach dem Zerfall der Sowjetunion wurde 1993 in Russland die Dienstdauer für Wehrpflichtige auf 18 Monate in der Armee und 2 Jahre in der Marine verkürzt. Bereits 1996 trat aufgrund des Ersten Tschetschenienkriegs ein neues Gesetz in Kraft, nach dem die Dienstdauer in Armee und Marine bis zu 2 Jahre betrug.
Ab 1. Januar 2008 wurde die Dienstzeit auf 12 Monate reduziert. Die Verfassung der Russischen Föderation garantiert ein Recht auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Zunächst hatten die Einberufungsbehörden – u. a. wegen des Fehlens von Ausführungsgesetzen – dieses Recht oft ignoriert. Der Dienst als Wehrpflichtiger in den russischen Streitkräften gilt als schwer erträglich bis lebensgefährlich und wird deshalb nach Möglichkeit, auch mithilfe von Korruption, umgangen. Für die in Russland wie anderen Nachfolgestaaten der Sowjetunion in den Reihen des Militärs üblichen Missstände und kriminellen Auswüchse (schikanöse Behandlung, Misshandlungen, Tötungen, echte und vorgetäuschte Selbstmorde) steht seit Jahrzehnten das Stichwort „Dedowschtschina“. Seit 2004 existiert ein Zivildienstgesetz, wonach der Ersatzdienst allerdings mit 21 Monaten fast doppelt so lang ist wie der Militärdienst, grundsätzlich heimatfern und auch als unbewaffneter Dienst in den Streitkräften abgeleistet werden kann. Akademiker müssen nur eine kurze militärische Grundausbildung statt des regulären Wehrdienstes absolvieren. Der Dienst beim sowjetischen Geheimdienst KGB und den paramilitärischen Truppen des sowjetischen Innenministeriums und deren heutigen russischen Nachfolgeorganisationen galt bzw. gilt als Wehrdienst. In Kriegseinsätze werden heute nur noch Freiwillige („Kontraktniki“) geschickt. Diese „Vertragssoldaten“ lassen sich in etwa mit den „freiwillig Längerdienenden“ in der Bundeswehr vergleichen. Im Zuge des völkerrechtswidrigen russischen Überfalls auf die Ukraine wurden zahlreiche Fälle von russischen Wehrdienstleistenden publik, die gegen ihren Willen und teilweise auch ohne ihr Wissen zum Kriegseinsatz gezwungen wurden.
Da sehr viele junge Männer Russland verlassen um der Wehrpflicht zu entkommen und dadurch ein Fachkräftemangel entsteht, wurde im April 2022 die Wehrpflicht für IT-Fachkräfte ausgesetzt.
Am 21. September 2022 wurde bekanntgegeben, dass von den rund 25 Millionen Reservisten 300.000 eingezogen werden sollten. Diese Teilmobilmachung ist die erste russische Mobilmachung seit dem Zweiten Weltkrieg. Nachdem dies bekannt wurde kauften sich viele wehrpflichtige Russen ein Flugtickets für Flüge in Nachbarländer, der Andrang war so groß, dass viele Flüge kurz darauf um ein vielfaches teurer oder ausgebucht waren.
Insbesondere nach Finnland und nach Kasachstan reisten sehr viele potentiell betroffene Russen aus, an den Grenzen kam es zu langen Staus. Es gab in mehreren russischen Städten Proteste gegen die Mobilmachung und eine Petition dagegen wurde von über 350.000 Menschen unterschrieben.
Gegen Ende Oktober wurde die Mobilmachung offiziell für beendet erklärt, offiziell heißt es, es wurden 300.000 Reservisten eingezogen. Allerdings gibt es westliche Schätzungen und Hochrechnungen, wonach weitaus mehr Männer eingezogen wurden, auch wird von Experten angenommen, dass die Mobilmachung gar nicht beendet ist, sondern weiter rekrutiert wird. Berichten zufolge gibt es auch Problem insofern, dass betroffene Soldaten ihren Sold nicht erhalten oder keine ordentliche Ausrüstung erhalten, auch wurden angeblich Männer eingezogen die gar keine Reservisten sind beziehungsweise gar nie militärisch ausgebildet wurden.
Im Dezember 2022 wurden aufgrund des andauernden Angriffskrieges gegen die Ukraine erstmalig auch Frauen eingezogen.
Im Juli 2023 wurde das Alter bis zu welchem Wehrpflichtige rekrutiert werden können auf 30 Jahre erhöht, Grund dafür war der andauernde Angriffskrieg auf die Ukraine und der damit verbundene Mangel an Soldaten.
Schweden
Im März 2017 teilte Verteidigungsminister Peter Hultqvist mit, dass Schweden die Wehrpflicht im Juli 2017 wieder einführen wird. Betroffen sind die Geburtsjahrgänge ab 1999. Von den 13.000 betroffenen Männern und Frauen sollen 4000 abhängig von ihren Fähigkeiten und ihrer Motivation am 1. Juli 2017 den elfmonatigen Wehrdienst antreten. Die Wehrpflicht umfasst also nur ca. 4 % eines Geburtenjahrgangs. Schweden müsse seine militärischen Fähigkeiten ausweiten, weil sich die Sicherheitslage geändert habe. Hintergrund sind Befürchtungen über eine zunehmende Bedrohung durch Russland seit der Krim-Annexion, dem Ukrainekrieg und russischen Militärübungen an der Grenze zum Baltikum.
Die seit 1901 bestehende Wehrpflicht für Männer war 2010 ausgesetzt worden. Auch damals dauerte der Wehrdienst elf Monate; zu ihm wurden 10 bis 15 % eines Jahrgangs eingezogen.
Die Armee war zwischen 2010 und 2017 eine Berufsarmee (= Soldaten auf Zeit und Berufssoldaten auf freiwilliger Basis). Die Truppenstärke betrug 15.000–20.000 Mann.
In Krisenzeiten hatte die schwedische Regierung die Möglichkeit, die allgemeine Wehrpflicht, aus Gründen der Gleichstellung nun auch für Frauen, per Beschluss wieder einzuführen.
Serbien
In Serbien wurde die Wehrpflicht 2011 abgeschafft. 2018 wurde debattiert, ob man sie wieder einführen sollte, jedoch wurde dies nicht umgesetzt. 2021 wurde das erneut vorgeschlagen.
Singapur
In Singapur besteht Wehrpflicht, dem Gesetz entsprechend gilt diese nicht ausdrücklich nur für Männer, jedoch werden nur Männer eingezogen. Die Dauer des Militärdienstes beträgt 2 Jahre. Es gibt keine Möglichkeit, statt des Militärdienstes einen Ersatzdienst wie beispielsweise einen Zivildienst zu leisten, auch eine Militärdienstverweigerung aus religiösen Gründen ist mit der Begründung, dass Singapur säkular sei und zwar das Recht auf Religionsfreiheit anerkenne, aber niemand wegen seiner Religion bevorteilt werden solle, nicht möglich. Wehrdienstverweigerer werden bei erstmaliger Wehrdienstverweigerung mit bis zu 15 Monaten Haft bestraft, bei erneuter Verweigerung mit bis zu 30 Monaten. Insbesondere Zeugen Jehovas – welche meistens aus Prinzip keine Waffen verwenden wollen – kommen immer wieder wegen Wehrdienstverweigerung ins Gefängnis, was international häufig kritisiert wird. Die Notwendigkeit der Wehrpflicht wird damit begründet, dass Singapur darauf angewiesen sei, um die Stadt beispielsweise gegen Terroristen zu beschützen und wegen der sehr geringen Bevölkerungsanzahl nicht genügend Berufssoldaten finde. Ebenfalls wird häufig kritisiert, dass männliche Staatsbürger von Singapur zwischen 13 und 40 Jahren eine Ausreisegenehmigung vom Regierungsrat der Streitkräfte benötigten; Kritiker sehen hier einen Verstoß gegen das Recht auf Personenfreizügigkeit.
Slowakei
In der Slowakei wurde die allgemeine Wehrpflicht eineinhalb Jahre nach dem NATO-Beitritt im Jahr 2005 abgeschafft. Im Jahr 2011 verfügte das Militär über 15.000 Soldaten. Das entspricht einem Viertel der Anzahl im Jahr 1993, dem ersten Jahr nach der Auflösung der Tschechoslowakei. Probleme haben die Streitkräfte in der notwendigen Rekrutierung von Fachkräften, wie Juristen oder Ärzten.
Spanien
In Spanien wurde die Wehrpflicht 2001 abgeschafft, da sie bereits davor sehr unbeliebt bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen war. Spanien hatte eine der höchsten Verweigererraten der Welt.
Sudan
Im Sudan gibt es eine zweijährige Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger.
Südafrika
Südafrika hat im August 1994 die Wehrpflicht abgeschafft. Während der Apartheid waren nur weiße männliche Personen ab 16 Jahren wehrpflichtig. Die Dienstzeit umfasste mehrere Jahre und wurde nicht hintereinander abgeleistet, sondern erfolgte mit teils großen Abständen zwischen den Einberufungen. Die Wehrpflichtigen wurden auch für den Dienst in der regulären Polizeitruppe des Landes eingesetzt und stellten zeitweise den Großteil der Polizisten im Lande. Ab 1984 existierte die „End Conscription Campaign“ (Kampagne zur Abschaffung der Wehrpflicht), die ihr Ziel nach den ersten freien und gleichen Wahlen 1994 erreichte. Es wird geschätzt, dass in den 1980er Jahren rund 50.000 südafrikanische (weiße) Jugendliche und junge Männer das Land nur aufgrund der Wehrverpflichtung verließen.
Südkorea
In Südkorea besteht die Wehrpflicht für alle Männer zwischen 18 und 28 Jahren. Die Dienstzeit beträgt zwei Jahre. Frauen können freiwillig zum aktiven Dienst rekrutiert werden oder als Reservistinnen dienen.
Syrien
In Syrien besteht Wehrpflicht, diese beträgt regulär je nach Bildungsabschluss entweder 18 oder 21 Monate, im syrischen Bürgerkrieg wurden, aufgrund eines erhöhten Bedarfs an Soldaten, Wehrpflichtige auch nach Beendigung ihrer vorgeschriebenen Dienstzeit nicht entlassen, sondern blieben weiterhin auf unbestimmte Zeit als Soldaten verpflichtet. Dies ist für viele junge Männer ein Grund Syrien zu verlassen. 2020 hat der Gerichtshof der Europäischen Union festgestellt, dass Wehrpflichtige weil die Ableistung des Militärdienstes in Syrien sie mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu zwingen würde, an Kriegsverbrechen teilzunehmen, ein Recht auf Asyl haben. Wie in den meisten Staaten im nahen Osten wo es eine Wehrpflicht gibt, gibt es auch in Syrien keine Möglichkeit einen Ersatzdienst statt des Militärdienstes zu leisten, somit gibt es für syrische Männer keine legale Möglichkeit, keinen Militärdienst leisten zu müssen.
Taiwan
In Taiwan besteht eine Wehrpflicht für die Dauer von 4 Monaten, 1981 wurde die Wehrpflichtdauer von zweieinhalb bzw. drei Jahren auf zwei Jahre verkürzt, 1991 wurde diese auf 22 Monate verkürzt, zwischen 2004 und 2008 wurden jedes Jahr um 2 Monate verkürzt, und 2013 wurde die Wehrdienstdauer schließlich von einem Jahr auf 4 Monate gekürzt. 2022 kam wegen der sich verschlechternden Beziehung zur Volksrepublik China bzw. Festlandchina der Vorschlag auf die Wehrpflichtdauer wieder auf ein Jahr zu verlängern.
Tansania
In Tansania besteht keine Wehrpflicht.
Thailand
In Thailand besteht Wehrpflicht für alle männlichen Staatsbürger ab 21 Jahren. Allerdings werden nicht alle eingezogen. Wehrpflichtige müssen ein Glücksspiel durchlaufen, indem sie einen Streifen ziehen, ein roter Streifen bedeutet, dass sie 2 Jahre Militärdienst leisten müssen, ein schwarzer Streifen bedeutet, dass sie befreit sind. Allerdings ist es auch möglich sich stattdessen „freiwillig“ für 6 Monate Militärdienst zu melden. Allerdings ist geplant, bis 2024 die Armee zu verkleinern, und weniger Wehrpflichtige einzusetzen.
Tschechien
Auf dem Gebiet des heutigen Tschechiens bestand etwa 140 Jahre lang eine Wehrpflicht. In der Tschechoslowakei dauerte sie zwei bis zweieinhalb Jahre. Nach 1989 wurde sie stufenweise auf ein Jahr reduziert. Nachdem Tschechien 1999 der NATO beitrat, wurde ein Prozess der Modernisierung der Tschechischen Armee eingeleitet, 2004 wurde die Wehrpflicht schließlich abgeschafft, seither hat Tschechien eine Berufsarmee.
Türkei
Der Wehr- bzw. sogenannte Vaterlandsdienst (vatan hizmeti) ist laut Art. 72 der türkischen Verfassung in Verbindung mit Art. 1 des Wehrdienstgesetzes (Gesetz Nr. 1111 vom 21. Juni 1927) Recht und insbesondere Pflicht jedes männlichen Staatsbürgers. Die Möglichkeit einer Verweigerung des Militärdienstes aus Gewissens- oder religiösen Gründen ist nicht vorgesehen, vgl. Art. 45 MilitärStGB (Gesetz Nr. 1632 vom 22. Mai 1930). Bereits abgeleisteter Wehr- oder Zivildienst, etwa vor einer Einbürgerung, wird seit 1993 mit dem Ministerratsbeschluss 93/4613 anerkannt.
Nach Art. 2 des Wehrdienstgesetzes beginnt die Wehrpflicht am 1. Januar des Jahres, in dem in das 20. Lebensjahr eingetreten wird (Geburtsjahr plus 19). Die Wehrpflicht endet mit Beginn des Jahres, in dem in das 41. Lebensjahr eingetreten wird (Geburtsjahr plus 40). Geschwister bzw. Kinder von im Dienst getöteten Soldaten sind nicht wehrpflichtig.
Seit 2014 dauert der Wehrdienst in der Türkei 12 Monate. Hochschulabsolventen dienen nur 6 Monate.
Für türkische Staatsbürger, die im Ausland leben und dort länger als drei Jahre (1095 Tage) berufstätig waren, besteht die Möglichkeit, den Militärdienst durch eine einmalige Zahlung von 1.000 Euro zu vermeiden.
2019 wurde der Militärdienst in der Türkei generell auf 6 Monate verkürzt. Dafür wird die Anzahl der Berufssoldaten erhöht, laut dem türkischen Präsidenten Erdogan plane man mittelfristig auf eine Berufsarmee umzusteigen.
Die Türkei ist der letzte europäische Staat mit aktiver Wehrpflicht, welcher keinen Wehrersatzdienst vorsieht.
Ukraine
Der Wehrdienst ist in der Ukraine gesetzlich geregelt und setzte mit Vollendung des 16. Lebensjahrs ein. Der Wehrdienst (gesetzliche Pflicht) dauert insgesamt neun Monate. Am 1. Februar 2022, bevor das russische Militär in die Ukraine einmarschierte, wurde bekannt gegeben, dass die allgemeine Wehrpflicht für ukrainische Staatsbürger mit 1. Januar 2024 abgeschafft, und die Armee in eine Berufsarmee verwandelt werden sollte.
Seit Beginn des Angriffskrieges von Russland auf die Ukraine werden zahlreiche Männer für die ukrainische Armee zwangsrekrutiert, Männer zwischen 18 und 60 Jahren dürfen das Land nicht verlassen. Ausnahmen gelten für Männer die mehr als drei Kinder unter 18 Jahren finanziell versorgen, Alleinerziehende mit Kindern unter 18 Jahren, oder Männern die die Verantwortung für ein behindertes Kind tragen.
Allerdings wird angestrebt, dass die Ukraine nach dem Krieg der NATO beitritt, in diesem Zuge ist – wie am 6. Juli 2023 bekanntgegeben worden ist – nach wie vor eine Abschaffung der Wehrpflicht und die Einführung einer Berufsarmee geplant.
Ungarn
In Ungarn wurde die allgemeine Wehrpflicht im Jahr 2004 136 Jahre nach ihrer Einführung abgeschafft. In den Jahren zuvor waren bereits immer weniger der Wehrpflichtigen eingezogen worden.
Während dies 1990 noch 77.000 pro Jahr waren, so waren es am Ende nur noch 6000 pro Jahr. Gegen Ende wurde die Wehrpflicht als immer nutzloser angesehen und war unter den Betroffenen verhasst.
USA
Die historische gewachsene Grundform des Wehrdienstes und damit der Wehrpflicht in den Vereinigten Staaten ist die Miliz. Bereits mit Beginn der Besiedlung in der kolonialen Zeit wurden lokale Milizen aufgeboten, um die neuen Siedlungen gegen Indianer zu verteidigen, auf deren Boden man diese Siedlungen errichtete. Die Siedler mussten die Miliz stellen und waren der Milizpflicht unterworfen. Für größere Feldzüge griff man auf Freiwillige zurück, die nur für den Feldzug angeworben wurden. Diese Mischung aus freiwilliger Miliz ergänzt durch Milizpflichtige auf Ebene der Einzelstaaten war die bestimmende Wehrform bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts und existiert mit der Nationalgarde, Staatsgarde und Reservemiliz noch heute.
Wehrpflicht auf Bundesebene
Erstmals wurde im Sezessionskrieg sowohl von den Vereinigten Staaten 1863 als auch von Konföderierte Staaten von Amerika 1862 eine bundesweite Wehrpflicht eingeführt, da die Truppenstellungen der Einzelstaaten nicht mehr ausreichten. Die Einführung der Wehrpflicht in den Nordstaaten löste im Juli 1863 die Draft Riots in New York City aus. Unmut erregte die Möglichkeit, sich vom Wehrdienst freizukaufen oder einen Ersatzmann zu stellen.
Als sich zu Beginn des Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg (Kriegserklärung am 6. April 1917) zu wenige Freiwillige für die US-Streitkräfte meldeten, wurde mit dem Selective Service Act of 1917 (in Kraft getreten am 18. Mai) die zweite Wehrpflicht auf Bundesebene eingeführt. Ersatzgestellung oder Freikauf waren nicht möglich. Von den 24 Millionen wehrpflichtigen Männern wurden drei Millionen von den Streitkräften eingezogen. Mit Ende des Krieges 1918 wurde die Wehrpflicht abgeschafft.
In den USA wurde am 16. September 1940 die dritte Wehrpflicht eingeführt. Vorbereitungen dazu gab es bereits in den 1920er Jahren. Sie war die erste Wehrpflicht auf Bundesebene in Friedenszeiten. Sie lief nach dem Zweiten Weltkrieg 1947 aus, wurde im beginnenden Kalten Krieg 1948 wieder eingeführt und 1973 erneut abgeschafft. Zuvor wurden Wehrpflichtige auch in großem Umfang in Kriegen eingesetzt, zuletzt im Vietnamkrieg. In diesem Selective Service System wurde nie besonders großer Wert auf Wehrgerechtigkeit gelegt, auch wegen eines Überangebots an Wehrpflichtigen. So wurde in den Jahren zwischen Korea- und Vietnamkrieg nur ein Bruchteil der wehrpflichtigen Bevölkerung eingezogen; die Dienstzeit betrug zwei Jahre.
Am 1. Dezember 1969 wurden vom „Selektiven Wehrdienstsystem“ der Vereinigten Staaten zwei Lotterieziehungen, die sogenannten „Draft Lotteries“, durchgeführt, um die Reihenfolge der jungen Wehrdienstpflichtigen festzulegen, die im Rahmen des Vietnamkonflikts den Dienst an der Waffe antreten mussten. Hierbei waren alle wehrpflichtigen Männer der Jahrgänge von 1944 bis 1950 betroffen und festgelegt wurden die Rekruten der Einberufungsjahrgänge 04/1969 und 1970. Durch das Ziehen der Geburtsdaten der Wehrpflichtigen, die auf blaue Kunststoffkarten gedruckt wurden, ergab sich die Reihenfolge der Einberufung. Diese Ziehung wurde 1942 nach einem anderen Prinzip durchgeführt („oldest man first“) und ist bis heute einzigartig in der Geschichte der Wehrpflicht der Vereinigten Staaten.
Alle männlichen Einwohner zwischen 18 und 25 Jahren mussten sich bei der Wehrerfassungsbehörde registrieren („Selective Service System“), auch Ausländer. Zu Kriegszeiten durften einberufene Ausländer zwar den Dienst verweigern, verloren dadurch aber die Möglichkeit einer Einbürgerung auf Lebenszeit. Seit 1980 müssen junge Männer sich immer noch registrieren, werden aber nicht mehr einberufen. Eine Einberufung ist nur noch für den Fall einer „nationalen Krise“ vorgesehen. Seit 1986 wird auch die Unterlassung dieser Registrierung nicht mehr strafrechtlich verfolgt; mittlerweile liefern die Bundesstaaten die entsprechenden Daten aus den Führerscheinregistern.
Milizpflicht der Bundesstaaten
Neben der Wehrpflicht für die Bundesstreitkräfte kennt die US-amerikanische Gesetzgebung heute immer noch die Milizpflicht. Während die Nationalgarde und die Staatsgarden inzwischen grundsätzlich aus Freiwilligen bestehen, gehören zur nichtorganisierten Miliz () oder Reservemiliz alle männliche US-Amerikaner oder Ausländer mit Einbürgerungsabsicht vom 17. bis 45. Lebensjahr sowie weibliche Angehörige der Nationalgarde. Die Aktivierung der unorganisierten Miliz unterliegt der Regelung der Einzelstaaten. Sie ist unterschiedlich geregelt und meist auf Kriegsfall und Notlagen beschränkt. Die Angehörigen können dann als Verstärkung für die Staatsgarde oder die Polizei herangezogen werden, wenn sie nicht in den aktiven Streitkräften dienen oder einer sonstigen Ausnahme unterliegen. Vorbereitungen zu einer Mobilmachung gibt es nur selten.
Venezuela
In Venezuela besteht Wehrpflicht für männliche Staatsbürger, der Militärdienst dauert 2 Jahre.
Vereinigtes Königreich
Im Vereinigten Königreich wurde die Wehrpflicht während der beiden Weltkriege eingeführt. In den ersten beiden Kriegsjahren des Ersten Weltkrieges ging man noch von ausreichend Freiwilligen aus, bis man die Wehrpflicht 1916 in England, Schottland und Wales, sowie im August 1918 in Irland (wo sie jedoch nie angewandt wurde) einführte. Nachdem sie bei Kriegsende 1918 wieder abgeschafft worden war, führte der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 zur Wiedereinführung, wobei ein Teil der Wehrpflichtigen, die sogenannten Bevin Boys, zur Arbeit in Kohlebergwerken verpflichtet wurde. Diesmal wurde die Wehrpflicht nach Kriegsende beibehalten, aber ab dem 1. Januar 1949 als National Service.
Am 17. November 1960 setzte das Kabinett Macmillan einen Kabinettsbeschluss von 1957 um und schaffte die allgemeine Wehrpflicht ab.
Vietnam
In Vietnam besteht Wehrpflicht für männliche Staatsbürger, die Dienstdauer beträgt im Heer und der Luftverteidigung 2 Jahren, in der Marine und der Luftwaffe beträgt sie 3 Jahre.
Zypern
In Zypern besteht Wehrpflicht. Die Dauer des Wehrdienstes in der Nationalgarde betrug früher 26 Monate. Er wurde auf 14 Monate verkürzt; Wehrübungen von 1–2 Tagen pro Jahr sind üblich. Auch nach 1960 geborene Männer „zyprischer Herkunft“ ohne Staatsangehörigkeit sind wie alle gesunden Männer von 16 bis 50 wehrpflichtig. Ein Ersatzdienst wurde eingeführt. Zyprioten zwischen 15 und 26 Jahren brauchen für Auslandsreisen ein Ausreisevisum.
In der Armee der international nicht anerkannten Republik Nordzypern beträgt die Dauer des Wehrdienstes 24 Monate.
Siehe auch
Wehrpflicht in Deutschland
Geschichte der Bundeswehr
Wehrdienst
Weißer Jahrgang
Totalverweigerung
Frauen im Militär
Einteilungswerk
Literatur
Detlef Bald: Der Mythos vom legitimen Kind der Demokratie. In:
Wehrpflicht und Miliz – Ende einer Epoche? Der europäische Streitkräftewandel und die Schweizer Miliz. In:
Wehrhafte Demokratie 2000 – zu Wehrpflicht und Wehrstruktur. In:
Ines-Jacqueline Werkner (Hrsg.): Die Wehrpflicht und ihre Hintergründe. Sozialwissenschaftliche Beiträge zur aktuellen Debatte (= Schriftenreihe des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr. Band 2). VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14273-9.
Ines-Jacqueline Werkner: Wehrpflicht oder Freiwilligenarmee? Wehrstrukturentscheidungen im europäischen Vergleich. Lang, Frankfurt am Main u. a. 2006, ISBN 3-631-54696-3.
Weblinks
Zweites Zivildienstgesetzänderungsgesetz ()
Bericht bei stern.de
(Deutschland)
Handhabung der Wehrpflicht in den NATO-Staaten
Online-Dossier „Verteidigungspolitik“ der Bundeszentrale für politische Bildung mit einer historischen Betrachtung der Wehrpflicht In: bpb.de
Einzelnachweise
Allgemeine Truppenkunde
Reserve (Militärwesen)
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| 276.411182 |
139686
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https://de.wikipedia.org/wiki/CONCACAF
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CONCACAF
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Die Confederation of North, Central America and Caribbean Association Football (kurz CONCACAF, ) ist eine der Kontinental-Konföderationen des Weltfußballverbandes FIFA. Der Verband wurde im Jahre 1961 mit der Fusion von CCCF und NAFC gegründet und hat seinen Sitz in Miami im US-Bundesstaat Florida.
Ihr gehören sämtliche selbständigen Staaten Nordamerikas und der Karibik an. Im Fußball zählen auch die auf dem südamerikanischen Kontinent befindlichen Staaten Suriname und Guyana zur Karibik, ebenso das französische Departement Französisch-Guayana. Außerdem sind einige Territorien europäischer Mutterstaaten oder der USA eigenständige Mitglieder und nehmen als solche an den Wettbewerben der CONCACAF und der FIFA teil. Beispiele hierfür sind Montserrat (britisch), Guadeloupe (französisch), Puerto Rico (US-amerikanisch) und Aruba (niederländisch).
Der Verband ermittelt im CONCACAF Gold Cup den kontinentalen Meister und organisiert auch Vereinswettbewerbe wie den CONCACAF Champions Cup.
Vollzugsausschuss
Präsident: Victor Montagliani (Alfredo Hawit wurde verhaftet und suspendiert)
Generalsekretär: Philippe Moggio
Nordamerikanische Zone Vizepräsident: Decio De Maria (Mexiko)
Karibische Zone Vizepräsident: Rodolfo Villalobos (Costa Rica)
Mitgliedsverbände
Der CONCACAF gehören derzeit 41 nationale Fußballverbände an. Davon sind 31 Verbände gleichzeitig als Regionalverband Caribbean Football Union sowie sieben Verbände gleichzeitig in der regionalen Unterorganisation Unión Centroamericana de Fútbol zusammengeschlossen. Die drei Verbände der Nordamerikanischen Zone (Kanada, Mexico und USA) haben auf die Gründung des in der Satzung der CONCACAF ursprünglich vorgesehenen Regionalverbandes North American Football Union bislang verzichtet.
WM-Teilnehmer
Männer
1930: USA, Mexiko
1934: USA
1938: Kuba
1950: Mexiko, USA
1954: Mexiko
1958: Mexiko
1962: Mexiko
1966: Mexiko
1970: Mexiko, El Salvador
1974: Haiti
1978: Mexiko
1982: El Salvador, Honduras
1986: Kanada, Mexiko
1990: USA, Costa Rica
1994: USA, Mexiko
1998: USA, Mexiko, Jamaika
2002: USA, Mexiko, Costa Rica
2006: USA, Mexiko, Costa Rica, Trinidad und Tobago
2010: USA, Mexiko, Honduras
2014: USA, Mexiko, Costa Rica, Honduras
2018: Mexiko, Costa Rica, Panama
2022: Kanada, Mexiko, USA, Costa Rica
Frauen
1991: USA
1995: USA, Kanada
1999: USA, Kanada, Mexiko
2003: USA, Kanada
2007: USA, Kanada
2011: USA, Kanada, Mexiko
2015: USA, Kanada, Mexiko, Costa Rica
2019: USA, Kanada, Jamaika
2023: USA, Kanada, Costa Rica, Jamaika, Haiti, Panama
Anmerkung: fett = Weltmeister, kursiv = Gastgeber
Wettbewerbe
Neben den Qualifikationsrunden zu Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen richtet der Verband folgende Wettbewerbe aus:
Für Nationalmannschaften
CONCACAF Gold Cup, bis 1989 CONCACAF-Meisterschaft
CONCACAF Women’s Gold Cup (seit 1991)
CONCACAF Beach Soccer Meisterschaft (seit 2005)
CONCACAF U-20-Meisterschaft (seit 1962)
CONCACAF U-20-Meisterschaft der Frauen (seit 2004)
CONCACAF U-17-Meisterschaft (seit 1983)
CONCACAF U-17-Meisterschaft der Frauen (seit 2008)
Futsal-Meisterschaft (seit 1996)
Fußballturnier im Rahmen der Panamerikanischen Spiele
CONCACAF Nations League (seit 2018, Qualifikation)
Eingestellt:
Nordamerikanische Fußballmeisterschaft (1947, 1949, 1990, 1991)
CCCF-Meisterschaft (1941–1961)
Fußball-Zentralamerikameisterschaft (Copa Centroamericana) (1991–2017)
Fußball-Karibikmeisterschaft (Caribbean Championship) (1989–2017)
Klubwettbewerbe
CONCACAF Champions Cup (1962–2008: CONCACAF Champions’ Cup, 2008–2023: CONCACAF Champions League)
CONCACAF Central American Cup (1971–1984: Copa Fraternidad, 1996–1998: Copa de Grandes de Centroamerica, 1999–2007: Copa Interclubes UNCAF)
CONCACAF Caribbean Cup (1997–2022: CFU Club Championship)
CONCACAF Caribbean Shield
CONCACAF Futsal Klub-Meisterschaft
Eingestellt:
CONCACAF Cup Winners’ Cup (1998 eingestellt)
FC Giants’ Cup (2001 einmalig ausgetragen)
SuperLiga (2011 aufgelöst)
CONCACAF League (2022 eingestellt)
Weblinks
Offizielle Website der CONCACAF (englisch und spanisch)
Einzelnachweise
Fußballverband
CONCACAF
Gegründet 1961
Organisation (Miami)
Sport (Miami)
Kontinentaler Sportverband (Amerika)
Sportverband (Vereinigte Staaten)
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Q160549
| 183.718415 |
68062
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https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsb%C3%BCrgerschaft
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Staatsbürgerschaft
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Eine Staatsbürgerschaft baut auf der Staatsangehörigkeit auf und kennzeichnet Rechte und Pflichten einer natürlichen Person in dem Staat, dem sie angehört. In den meisten Fällen ist die Frage nach der Staatsangehörigkeit mit der Staatsbürgerschaft zu beantworten, der rechtlichen Zugehörigkeit zur Gemeinschaft (Rechtsgemeinschaft) von Bürgern eines Staates, den Staatsbürgern. Deren Nationalität steht nicht zwangsläufig in unmittelbaren Bezug zu einem Staat, da Letztere als ethnisch-sozialer Begriff nach Herkunft und Abstammung fragt, andererseits lediglich die Staatsangehörigkeit meinen kann. So kann sich die Gemeinschaft der Bürger eines Staates aus vielen unterschiedlichen Nationalitäten zusammensetzen mit nationalen Mehrheiten und Minderheiten.
Ein Staat regelt den Erwerb und Verlust seiner Staatsbürgerschaft sowie die damit verbundenen Rechte und Pflichten in eigenen Gesetzen. So wird im deutschen Rechtskreis die Staatsbürgerschaft in der Regel durch Geburt und in Abhängigkeit von der Staatsbürgerschaft der Eltern erworben oder durch eine Einbürgerung. Regeln, die an eine Staatsbürgerschaft anknüpfen, werden soweit möglich auf juristische Personen entsprechend angewandt.
Die Staatsbürgerschaft begründet besondere Rechte als Schutz- und Abwehrrechte gegen den Staat (Reisefreiheit, Auslieferungsverbot) sowie Einstandsansprüche im Verhältnis zu Dritten (konsularischen Schutz, internationale Prozessführung) und in Demokratien auch Teilhaberechte am Staatsleben im Sinne eines status activus (politische Mitgestaltung, Souveränitätsteilhabe). Staatsbürgerliche Pflichten können im modernen Staatsverständnis beispielsweise die Wehrpflicht, die Wahlpflicht oder die Pflicht sein, auch bei ausländischem Wohnsitz Steuern zu zahlen.
Eine Staatsangehörigkeit kann grundsätzlich nur von einem souveränen Staat im Sinne des Völkerrechts vermittelt werden. Die Staatsbürgerschaft ist eine individuelle Ausprägung des staatskonstitutiven Elements Staatsvolk, wonach ein Staat völkerrechtlich nur solange als solcher angesehen werden kann, als er neben Staatsgebiet und Staatsgewalt auch ein Staatsvolk hat (→ Drei-Elemente-Lehre). Die durch die Staatsbürgerschaft begründeten Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger wirken über das Hoheitsgebiet hinaus und werden auch von anderen Staaten anerkannt.
Historisch betrachtet ist die Staatsangehörigkeit eine . Gehören die Staatsbürger (ausschließlich oder überwiegend) einer gemeinsamen Nationalität an, so spricht man von einem (reinen) Nationalstaat; gehören die Staatsbürger (zumeist) unterschiedlichen Nationalitäten an, so spricht man von einem Nationalitätenstaat, Vielvölkerstaat, vereinzelt auch von Plurinationalstaat oder einem multikulturellen Staat.
Die Staatsbürgerschaft wird in einem auf die Person ausgestellten Dokument, beispielsweise dem Personalausweis oder Reisepass, vermutungsweise dokumentiert. In einigen Staaten wird dabei zusätzlich auch die Nationalität angegeben. Ein amtlicher Nachweis der Staatsbürgerschaft in Deutschland kann mit dem Staatsangehörigkeitsausweis geführt werden, der auf Antrag ausgestellt wird.
Begriffe im deutschen Sprachraum
Im deutschen Sprachraum findet sich sowohl der Begriff „Staatsangehörigkeit“ (englisch nationality) als auch „Staatsbürgerschaft“ (englisch citizenship).
In Deutschland, dem bevölkerungsreichsten Staat im deutschen Sprachraum, ist die Bezeichnung deutsche Staatsangehörigkeit gebräuchlich, weil er 1871 als einheitlicher deutscher Nationalstaat (Deutsches Reich) begründet wurde, dessen Staatsbürger (mit Gründung der Bundesrepublik 1949 auch „Bundesbürger“ genannt) mehrheitlich deutscher Nationalität (Herkunft) sind.
Allerdings galten im deutschen Kaiserreich zunächst ausschließlich die Staatsangehörigkeiten der jeweiligen Gliedstaaten, z. B. die von Preußen oder Bayern, fort. Reichsrechtliche Bestimmungen (wie zum Schluss das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913) stellten später sicher, dass die Regelung der Staatsangehörigkeit in allen Gliedstaaten nach den gleichen Prinzipien erfolgte. Bereits der Artikel 3 der Bismarckschen Reichsverfassung von 1871 unterwarf jeden Bürger bzw. Untertan aller deutschen Bundesstaaten dem gemeinsamen Indigenat des Deutschen Reiches, das somit als Vorläufer der einheitlichen deutschen Staatsbürgerschaft gelten kann.
Erst nach dem Neuaufbaugesetz vom 30. Januar 1934, einer Verfassungsänderung der Weimarer Verfassung im Zuge der vom NS-Regime betriebenen Gleichschaltung, wurde schließlich eine einheitliche deutsche Staatsangehörigkeit eingeführt. In der Folge wurde die Souveränität der Länder des Deutschen Reichs aufgehoben.
Auch während der deutschen Teilung gab es für die Bundesrepublik Deutschland nur eine deutsche Staatsangehörigkeit – womit folglich ebenso die DDR-Bürger neben ihrer eigenen Staatsbürgerschaft (1967–1990) politisch und juristisch inbegriffen waren ( und Art. 116 Abs. 1 GG) –, die seit 1913 im Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG; 2000 umbenannt in StAG) definiert ist. Mit dem Untergang der DDR und der Wiedervereinigung Deutschlands gibt es wieder nur noch eine deutsche Staatsbürgerschaft.
In Österreich ist die offizielle Bezeichnung österreichische Staatsbürgerschaft, Bürger des Staates Österreich.
In der Schweiz, deren einheimische Bevölkerung aus deutsch-, französisch-, italienisch-, rätoromanisch- und mehrsprachigen Individuen besteht, bedeutet das Schweizer Bürgerrecht, dass die fragliche Person Bürger der Schweizerischen Eidgenossenschaft ist, wie der Staat amtlich genannt wird.
In Liechtenstein beruht das Staatsbürgerrecht auf dem Prinzip des ius sanguinis (Abstammung).
In Monarchien wurden die Staatsbürger früher auch als Untertanen (des Monarchen) bezeichnet und die Staatsbürgerschaft analog als Untertanen(schaft).
Der Staatsangehörige unterliegt der Personalhoheit des Staates. Dabei spielt es keine Rolle, wo auf der Welt er sich gerade befindet.
Geschichte
Eine Bürgerschaft als dauerhafte Verknüpfung zwischen Staat und Person bestand bereits zur Zeit der Polis im antiken Griechenland. Ausdifferenziert wurde dies im Alten Rom, wo das römische Bürgerrecht geradezu Voraussetzung für die Geschäftsfähigkeit oder Postulationsfähigkeit war und ein in sich geschlossenes Rechtssystem abgrenzte, das sich bis zum Corpus Iuris Civilis (das Bürgerliche Recht) entwickelte, während das Ius gentium (dt. „Recht der Völker“) die Beziehungen Roms zu anderen Ländern, Staaten, Völkern regelte und Vorläufer des heutigen internationalen Rechts war. Römische Bürger (Romanus) waren zur Zeit der Republik die freien Einwohner Roms, später auch die Einwohner Latiums und nach dem Bundesgenossenkrieg die Bewohner eines großen Teils Italiens. Mit Erlass der Constitutio Antoniniana 212 n. Chr. werden die freien Einwohner des Römischen Reiches zu Römischen Bürgern.
Ließ sich ein römischer Bürger in einer Stadt außerhalb Italiens nieder, so blieben er wie auch seine Nachkommen Bürger Roms. Die Dauerhaftigkeit ist auch heute wieder das tragende Prinzip der Staatsbürgerschaft.
Staatsbürgerschaft im modernen Sinne ist erst seit der Französischen Revolution durch das Aufkommen republikanischen Denkens entstanden, wurde in der Revolutionsverfassung vom 3. September 1791 in Teil 2, § 2 geregelt und später in den Code civil übernommen. Seitdem wurde der Staat nicht nur als Territorialstaat oder personelle Zuordnung zur absolutistischen Monarchie, sondern auch als Personenverband von Bürgern verstanden. Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde daraufhin in den meisten Staaten die Staatsbürgerschaft eingeführt, und es wurden Staatsbürgerschaftsgesetze erlassen.
Erwerb
Die Wege, auf denen ein Mensch eine Staatsangehörigkeit erwerben bzw. ein Staat eine Staatsangehörigkeit verleihen kann, können nach dem Zeitpunkt des Erwerbs unterschieden werden: Erwerb bei Geburt und Erwerb im Laufe des Lebens. Letzterer erfolgt durch Einbürgerung (im weiteren Sinne). Darüber hinaus kann rechtstechnisch zwischen einem Erwerb durch Gesetz (Geburt, Erklärung, Eintritt von Bedingungen usw.) und einem Erwerb durch Verwaltungsakt differenziert werden. Die Gründe für den Erwerb einer Staatsangehörigkeit, vor allem für die Einbürgerung, sind global betrachtet sehr unterschiedlich.
Erwerb durch Abstammung
Das Kind erwirbt die Staatsbürgerschaft der Eltern mit der Geburt (Realakt), unabhängig vom Land in dem es geboren ist. Dabei vermittelt oft jeder Elternteil gleich stark diesen Bezug. In manchen Rechtsordnungen werden Abstammungszweifel dadurch gelöst, dass das Kind die Staatsbürgerschaft der Mutter erwirbt. In anderen Staaten vermittelt bei miteinander verheirateten Eltern der Vater als Familienoberhaupt die Staatsbürgerschaft.
Erwerb durch Geburtsort
Wo dieses Prinzip gilt, bekommt jeder im Staatsgebiet Geborene die Staatsbürgerschaft. Dieses Prinzip wird neben dem Abstammungsprinzip nicht nur von sogenannten Einwanderungsländern angewandt. Solche Länder sehen darin zwar ein integrales Instrument ihrer Politik, die Anzahl ihrer Staatsbürger zu erhöhen, jedoch lässt sich umgekehrt aus der Anwendung des ius soli nicht der sichere Befund herleiten, es handele sich um ein Einwanderungsland, zumal es neben anderen Erwerbstatbeständen mehrheitlich praktiziert wird.
Die rechtliche Ausgestaltung kennt zahlreiche Abstufungen und Kombinationen mit weiteren Merkmalen wie legalem Aufenthalt der Eltern, Daueraufenthalt oder Generationenprinzip, ethnischer Zugehörigkeit, ex-kolonialem Bezug.
Beispiele:
In Frankreich wird die Staatsangehörigkeit (frz. nationalité) seit der Einführung des Code civil 1803 auf der Grundlage des ius sanguinis erworben. Seit 1889 wird zudem das ius soli nach dem so genannten „doppelten ius soli“ (double droit du sol) praktiziert, wonach ein Elternteil bereits im Land geboren sein muss. Der Erwerbstatbestand greift also bei der dritten Generation.
Deutschland verwendete das Geburtsortsprinzip bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Seit der Einführung der ersten Staatsangehörigkeitsgesetze (Preußen: 1842) wurde das Abstammungsprinzip als herrschender Erwerbstatbestand eingeführt. Seit dem Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz 1913 galt im Deutschen Reich ein reines ius sanguinis. Mit der Staatsangehörigkeitreform 2000 wurde mit dem sogenannten Optionsmodell ein ergänzendes ius soli für die zweite Einwanderergeneration eingeführt.
Erwerb durch Einbürgerung (Naturalisation)
Die Einbürgerung ist Erwerb der Staatsbürgerschaft durch einen Exekutivakt. Dieses Verfahren verbindet seitens des Bürgers den Faktor Freiwilligkeit, also den Wunsch, Staatsbürger zu sein (Konfirmationselement), und seitens des Staates die Möglichkeit, nach selbst definierten Merkmalen weitere Staatsbürger auszuwählen (Kontrollelement). Wie intensiv dieses Instrument von einem Land genutzt wird (gegebenenfalls im Kontext einer gezielten Bevölkerungspolitik, viele neue oder gezielt bestimmte Einwohner und Staatsbürger anzuwerben), kann eventuell Teil seiner Selbstdefinition als Einwanderungsland sein. Ein Nachweis für die kausale Lenkungswirkung einer bestimmten Naturalisations- oder Staatsbürgerschaftsgesetzgebung ist jedoch nicht beigebracht worden.
Viele Rechtsordnungen setzen darüber hinaus die Naturalisation als Instrument großzügig ein, um auf komplexe und detaillierte gesetzliche Automatismen auf der Basis der ius soli- und ius sanguinis-Grundsätze zu verzichten und eine gewisse Flexibilität zu wahren. Dies ist häufige Praxis bei Ländern mit ethnischer Zersprenkelung, um geografisch und/oder historisch weit reichenden Verbindungen gerecht zu werden. Gleiches gilt bei Sezessionen und Zusammenschlüssen von Ländern oder Landesteilen.
Im Selbstverständnis vieler Staatsordnungen sind Demokratieprinzip und Steuerlast natürlich verbunden, so dass der Staat nur diejenigen an der Finanzierung des Gemeinwesens redlicherweise beteiligen darf, denen auch der Zugang zur Staatsbürgerschaft offensteht. Das Beispiel der Einbürgerungen in der Schweiz zeigt zudem Konflikte zwischen der Demokratie und dem Rechtsstaat auf.
Erwerb durch Erklärung
Eine Person kann durch Erklärung gegenüber den Behörden eines Landes die Staatsbürgerschaft erwerben, sofern das nationale Recht dies vorsieht. Dies ist meist an einige wenige Voraussetzungen und Merkmale geknüpft und ist eine minimalistische Form der Einbürgerung.
Ab 1. September 2020 können auch Kinder von Opfern des NS-Regimes die österreichische Staatsbürgerschaft per „Anzeige“ anfordern.
Erwerb durch Ehre
Eine Ehrenstaatsbürgerschaft ist eine Staatsbürgerschaft, die als Auszeichnung für besondere Leistung verliehen wird. Die Verleihung einer Ehrenstaatsbürgerschaft geschieht, ähnlich wie die einer Ehrendoktorwürde, nicht auf Basis der Erfüllung der Kriterien, die normalerweise für ihren Erwerb notwendig sind. Stattdessen gilt sie als Auszeichnung einer Person für Leistungen oder ein Lebenswerk, das mit dem Staat, der die Auszeichnung verleiht, in engem Zusammenhang steht.
Einige Staaten, so etwa Kanada, verleihen Ehrenbürgerschaften, die als rein symbolische Auszeichnungen mit keinerlei Privilegien oder Bürgerpflichten verknüpft sind.
Erwerb durch Kauf
Fragwürdig erscheint jedoch der lasche Umgang bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft und der Ausstellung von Ausweisdokumente an finanzstarke Personen. In vielen Fällen wird eine doppelte Staatsbürgerschaft hingenommen. Hierzu gehören auch EU-Staaten und Staaten, die in die EU aufgenommen werden wollen. Im Oktober 2020 leitete die EU-Kommission gegen Malta und Zypern Vertragsverletzungsverfahren wegen des Verkaufs der Staatsbürgerschaft an wohlhabende Nicht-EU-Bürger ein.
ab 86.000 Euro
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ab 130.000 Euro
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ab 855.000 Euro
ab 880.000 Euro
ab 1.300.000 Euro
ab 1.500.000 Euro
ab 1.700.000 Euro
Mehrfache Staatsbürgerschaft
Mehrstaatigkeit (auch multiple oder Mehrfachstaatsbürgerschaft genannt) bezeichnet den Fall, dass eine Person mehr als eine Staatsbürgerschaft besitzt. Doppelstaater, auch „Doppelstaatler“ (v. a. Deutschland), „Doppelbürger“ (v. a. Schweiz) bzw. „Doppelstaatsbürger“ (v. a. Österreich) sind dafür gebräuchliche Bezeichnungen, wenn es sich um zwei gleichzeitige Staatsbürgerschaften handelt.
Mehrstaatigkeit kann entweder originär durch den gleichzeitigen und automatischen Erwerb von zwei oder mehr Staatsbürgerschaften bei Geburt entstehen oder derivativ durch den Erwerb einer weiteren Staatsbürgerschaft auf Antrag zuerkannt werden (sogenannte Einbürgerung oder Naturalisation). Die Mehrstaatigkeit bei Geburt entsteht entweder durch das Zusammenwirken der Staatsbürgerschaftsregime mehrerer Staaten mit unterschiedlichen Erwerbstatbeständen – vgl. auch Abstammungsprinzip (lat. ius sanguinis) (z. B. Deutschland, Schweiz) und Geburtsortsprinzip (lat. ius soli) (z. B. Frankreich, USA) – oder bei Kindern bi- oder multinationaler Eltern, die gleichberechtigt alle ihre Staatsbürgerschaften auf das Kind vererben (vgl. auch internationaler Kontext der Rechtslage in Deutschland). In bestimmten Fällen kann ein Kind auch erst nach der Geburt durch Adoption automatisch Doppelstaater werden, sofern die ursprüngliche Staatsbürgerschaft durch die Annahme nicht verloren geht (etwa im Fall der Adoption eines ausländischen Stiefkindes).
In Australien dürfen nach Kapitel 44 der Verfassung von 1900 Parlamentarier keine zweite Staatsbürgerschaft neben der australischen besitzen, was 2017 zu mehreren Rücktritten geführt hat, aber auch zu Kritik an der Rechtsbestimmung.
Eine mehrfache Staatsbürgerschaft kann sich auch durch Verleihung einer Ehrenstaatsbürgerschaft ergeben.
Mehrere Staatsangehörigkeiten zu haben, bedeutet zwar mehr Möglichkeiten für den Aufenthalt, die Studienförderung, die Berufstätigkeit und die Teilhabe in den betreffenden Staaten, kann aber auch Nachteile, etwa bezüglich Wehrpflicht und Besteuerung oder bei der Einreise in Drittstaaten, mit sich bringen. So sind Doppelstaater, die auch die Staatsangehörigkeit von Iran, Irak, Syrien oder Sudan besitzen, vom Visa-Waiver-Programm der USA ausgeschlossen.
Die gesetzlichen Regelungen zur mehrfachen Staatsbürgerschaft sind international unterschiedlich:
Effektive Staatsbürgerschaft
Im internationalen Privatrecht (IPR) ist für viele Rechtsfragen die Staatsbürgerschaft der am Rechtsverkehr beteiligten Personen ausschlaggebender Anknüpfungspunkt für das anzuwendende Recht. Bei Personen, die mehr als eine Staatsbürgerschaft haben, gilt das Prinzip der effektiven Staatsbürgerschaft.
In Deutschland ist die effektive Staatsbürgerschaft nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 EGBGB grundsätzlich die Staatsbürgerschaft des Staates, mit der die engste Verbundenheit besteht. Indizien hierfür sind Wohnsitz, Geburt und bisherige Lebensführung einer Person. Besitzt eine Person jedoch neben einer oder mehreren ausländischen Staatsbürgerschaften auch die deutsche Staatsbürgerschaft, so wird die Person gemäß Art. 5 Abs. 1 S. 2 EGBGB so behandelt, als wäre sie nur Deutscher. Die deutsche Staatsangehörigkeit geht somit aus Sicht des deutschen IPR allen anderen, auch der effektiven Staatsangehörigkeit, vor.
Deutschland
In der politischen Diskussion ist meist von doppelter Staatsangehörigkeit, doppelter Staatsbürgerschaft oder einem Doppelpass die Rede. Personen, die zwei Staatsbürgerschaften erworben haben, werden als Doppelstaater, Doppelstaatler (umgangssprachlich) oder Doppelstaatsbürger bezeichnet.
Deutschland erlaubt eine doppelte Staatsbürgerschaft innerhalb der EU (seit 1999) und der Schweiz, für alle anderen Länder müssen besondere Voraussetzungen vorliegen und es muss teils eine Genehmigung eingeholt werden.
Zum 1. Januar 2000 fiel die Inlandsklausel weg, der zufolge bis zu diesem Zeitpunkt ein Deutscher, der durch ausländische Einbürgerung eine andere Staatsangehörigkeit erwarb, die deutsche Staatsangehörigkeit nicht verlor, sofern er seinen Wohnsitz im Inland hatte. Im Jahr 2000 wurde das bisherige Staatsangehörigkeitsgesetz von 1913 zudem auf Initiative der rot-grünen Bundesregierung um das Geburtsortsprinzip ergänzt: Wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren in Deutschland lebt und ein unbefristetes Aufenthaltsrecht hat, erwirbt das Kind bei der Geburt die deutsche Staatsangehörigkeit. Auch eine Einbürgerung ist nun bereits nach acht statt bisher 15 Jahren möglich. Ursprünglich sah das Gesetz vor, dass die Kinder sich spätestens im Alter von 23 Jahren für eine Staatsbürgerschaft entscheiden mussten. Diese Regelung wurde 2014 gestrichen, so dass nun beide Staatsangehörigkeiten behalten werden können. Im Zuge der Erdoğan-Kundgebungen im Sommer 2016 wurde in den Medien mehrfach über die Regelungen für türkischstämmige Deutsche berichtet.
Österreich
Die rechtliche Lage bei mehrfachen Staatsbürgerschaften ist in Österreich u. a. im Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 (StbG) geregelt (§§ 10 Abs. 6, 28). Grundsätzlich lässt die Republik Österreich keine mehrfachen Staatsbürgerschaften zu, jedoch gibt es Sonderfälle.
Wer freiwillig eine fremde Staatsbürgerschaft erwirbt, verliert dadurch grundsätzlich die österreichische Staatsbürgerschaft. Um die österreichische Staatsbürgerschaft nicht zu verlieren, muss die Bewilligung der Beibehaltung vor dem Erwerb der fremden Staatsangehörigkeit schriftlich beantragt und mit schriftlichem Bescheid beim jeweiligen Amt der Landesregierung bewilligt werden.
Die österreichische Staatsbürgerschaft darf behalten werden, wenn eine der folgenden Situationen aufliegt:
die Beibehaltung liegt im Sinne der Republik Österreich;
der Antragsteller/die Antragstellerin hat einen „besonders berücksichtigungswürdigen“ Grund im Privat- und Familienleben und hat die österreichische Staatsbürgerschaft mit der Geburt erworben;
die Beibehaltung entspricht dem Kindeswohl (bei Minderjährigen).
Wenn die österreichische Staatsbürgerschaft beantragt wird, muss der Antragstellende binnen zweier Jahre seine frühere Staatsbürgerschaft zurücklegen. Danach könnte die Person jedoch illegal wieder ihre „alte“ Staatsbürgerschaft in ihrem Heimatland beantragen. Die österreichische Staatsbürgerschaft verliert dann rein gesetzlich ihre Wirkung, aber de facto nur, wenn die Republik Österreich davon erfährt.
Schweiz
Die Schweiz erlaubt seit dem 1. Januar 1992 die mehrfache Staatsangehörigkeit gemäß Schweizer Recht ohne Einschränkungen. Die Bezeichnung Doppelbürger ist dafür vor allem in der Schweiz gebräuchlich. Auslandschweizer, die eine andere Staatsbürgerschaft erworben haben, müssen dies der Schweizer Vertretung mitteilen, bei der sie gemeldet sind.
Für die jeweils andere Staatsbürgerschaft gelten die Regeln des anderen betroffenen Staates. Ausländische Staatsangehörige können ihre ursprüngliche Staatsbürgerschaft verlieren, wenn das Recht des Herkunftslandes dies vorsieht. Bezüglich der doppelten Staatsbürgerschaft Schweiz-Deutschland gilt: Der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit tritt nicht ein, wenn ein Deutscher die Staatsangehörigkeit eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union, der Schweiz oder eines Staats erwirbt, mit dem die Bundesrepublik Deutschland einen völkerrechtlichen Vertrag nach § 12 Absatz 3 des deutschen Staatsangehörigkeitsgesetzes (StAG) abgeschlossen hat.
Diese Entscheidung ist nicht unumstritten: Auslandschweizer können in Wahlen über politische Belange teilnehmen, von denen sie gar nicht betroffen sind, was „demokratietheoretisch“ problematisch sein kann. Bei Doppelbürgern in der Schweiz können Loyalitätskonflikte auftreten, wenn beide Nationen sich in politischen Fragen unterschiedlich positionieren.
Liechtenstein
Beim Erwerb der Staatsbürgerschaft Liechtensteins verlangt man von allen Antragstellern den Verzicht auf ihre bisherige Staatsangehörigkeit. Demgegenüber dürfen liechtensteinische Staatsangehörige ohne Einschränkungen weitere Staatsangehörigkeiten erwerben. Eine Gesetzesänderung, die es den Staatsangehörigen eines EWR-Mitgliedstaates und der Schweiz erlaubt hätte, bei einer Einbürgerung ihre bisherige Staatsangehörigkeit beizubehalten, wurde von den liechtensteinischen Stimmberechtigten in der Volksabstimmung vom 30. August 2020 mit 61,5 % Nein-Stimmen abgelehnt.
Dänemark
In Dänemark trat zum 1. September 2015 eine Änderung des lov om dansk indfødsret in Kraft, die die mehrfache Staatsbürgerschaft ermöglicht.
Beibehaltung der Staatsbürgerschaft bei Erwerb einer weiteren
Wer dauerhaft im Ausland lebt, kann grundsätzlich die dortige lokale Staatsbürgerschaft (z. B. australische Staatsbürgerschaft) annehmen. Ob dann der Verlust der bisherigen Staatsangehörigkeit eintritt, hängt von den gesetzlichen Rahmenbedingungen ab.
Deutschsprachige Staaten
Deutschland: Die Beibehaltung der deutschen Staatsangehörigkeit ist nur möglich, wenn der Deutsche vor der Einbürgerung eine Beibehaltungsgenehmigung erhalten hat. Dies setzt einen Antrag bei der zuständigen Behörde voraus. Davon ausgenommen sind Deutsche, die die Staatsangehörigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaates oder der Schweiz annehmen, sofern dies nach dem 28. August 2007 erfolgt ist. Wenn ein Ausländer, der in Deutschland einen Einbürgerungsantrag gestellt hat, aufgrund der Rechtslage im Herkunftsstaat durch die Einbürgerung seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht automatisch verliert, erteilt die Einbürgerungsbehörde zunächst nur eine Einbürgerungszusicherung. Der Ausländer muss dann die Entlassung aus seiner bisherigen Staatsbürgerschaft veranlassen. Eine Mehrstaatigkeit ist nur zulässig, wenn der Ausländer seine bisherige Staatsangehörigkeit nicht oder nur unter besonders schwierigen Bedingungen aufgeben kann. EU-Ausländer sind unter Hinnahme der Mehrstaatigkeit einzubürgern, sofern die übrigen Voraussetzungen für eine Einbürgerung gegeben sind.
Österreich: Österreicher verlieren im Allgemeinen die österreichische Staatsbürgerschaft, wenn sie eine andere Staatsbürgerschaft annehmen. Jedoch kann auch hier eine Beibehaltungsgenehmigung erteilt werden, wenn dies im Interesse der Republik Österreich liegt oder in ihrem Privat- und Familienleben „berücksichtigungswürdige Gründe“ vorliegen.
Schweiz: Das Bürgerrecht der Schweiz ist von der Annahme einer anderen Staatsangehörigkeit nicht betroffen.
Luxemburg: Seit 2008 erlaubt Luxemburg die mehrfache Staatsangehörigkeit. Auch der Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit bei Beibehaltung der bestehenden ist erlaubt.
Belgien: Seit dem 28. April 2008 erlaubt Belgien die Annahme anderer Staatsangehörigkeiten ohne Verlust der belgischen.
Liechtenstein: Das Fürstentum Liechtenstein erlaubt seinen Staatsangehörigen den Erwerb weiterer Staatsangehörigkeiten. Wer sich in Liechtenstein einbürgern lassen will, muss hingegen auf seine bisherige Staatsangehörigkeit verzichten.
Andere EU-Staaten
Finnland: Die finnische Staatsbürgerschaft wird seit 1. Juni 2003 bei einem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit nicht aberkannt. Auch der Erwerb der finnischen Staatsangehörigkeit bei Beibehaltung der bestehenden ist möglich. Finnische Staatsbürger, die eine weitere Staatsangehörigkeit haben, im Ausland geboren wurden und bis zum 22. Lebensjahr nicht mindestens sieben Jahre in einem nordischen Land gelebt haben oder anderweitig eine Anbindung an Finnland haben, können ihre finnische Staatsangehörigkeit an ihrem 22. Geburtstag verlieren.
Schweden: Die schwedische Staatsbürgerschaft wird seit 2001 bei einem Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit nicht aberkannt. Auch der Erwerb der schwedischen Staatsangehörigkeit bei Beibehaltung der bestehenden ist möglich. Schwedische Staatsbürger, die eine weitere Staatsangehörigkeit haben, im Ausland geboren wurden und nie in Schweden gelebt oder anderweitig eine Verbundenheit zu dem Land haben, verlieren ihre schwedische Staatsangehörigkeit. Dies schließt auch deren Kinder mit ein, sofern diese nicht durch den anderen Elternteil Anspruch auf die schwedische Staatsangehörigkeit haben.
Dänemark: Die dänische Staatsbürgerschaft wird seit 2015 beim Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit nicht aberkannt. Auch der Erwerb der dänischen Staatsangehörigkeit bei Beibehaltung der bestehenden Staatsbürgerschaft ist möglich.
Spezialfall Palästinenser
Ein spezieller Fall sind von Israel registrierte Palästinenser (mit Identitätsausweis), die eine andere Staatsbürgerschaft annehmen. Sie besitzen in der Regel einen palästinensischen Reisepass, gelten aber als staatenlos – daher muss die palästinensische Staatsangehörigkeit vorher nicht abgelegt werden. Nachdem Israel solche Personen auch weiterhin als Palästinenser behandelt, ist ihnen auch weiterhin nur die Einreise mit einem palästinensischen Pass möglich. Sie sind daher gezwungen, zwei Pässe zu führen, wenn sie in ihre alte Heimat reisen wollen.
Entwicklungen nach dem Votum zum Brexit
Nach dem Brexit-Votum vom 23. Juni 2016 stellten zahlreiche Briten einen Antrag auf die irische Staatsangehörigkeit. Interesse an einer doppelten Staatsbürgerschaft zeigten auch im EU-Ausland lebende Briten sowie in Großbritannien lebende EU-Bürger.
Verlust
Der Verlust der Staatsbürgerschaft kann wie der Erwerb durch gesetzlichen Automatismus (de lege) oder per Verwaltungsakt erfolgen, in liberalen Staatsordnungen auch durch einseitiges Handeln des Staatsbürgers. Es gibt auch Staaten, die den Verlust ihrer Staatsbürgerschaft gar nicht (z. B. Iran) oder nur in sehr begrenzten Ausnahmefällen zulassen.
Qua Gesetz erfolgt der Verlust in vielen Staaten, wenn ein Bürger freiwillig eine andere Staatsbürgerschaft erwirbt oder in fremde Streitkräfte eintritt. Auch wenn ein Kind von Ausländern adoptiert wird und seine verwandtschaftlichen Bindungen im Heimatland verliert, geht nach den Rechtsordnungen vieler Staaten seine ursprüngliche Staatsbürgerschaft verloren. Bis vor einiger Zeit war es vielfach üblich, dass auch eine Frau, die einen ausländischen Mann heiratete, ihre Staatsbürgerschaft automatisch verlor (und meist ebenfalls automatisch die des Ehemannes annahm). Dies ist nach den weltweiten Bestrebungen zur Gleichstellung von Mann und Frau heute nur noch in wenigen Ländern der Fall. In Deutschland wurde es 2000 formal abgeschafft, galt aber bereits ab 1953 als grundgesetzwidrig.
In manchen Staaten kann ein Staatsbürger auf seine Staatsbürgerschaft verzichten oder ihre Aufgabe erklären. Meist ist dies nur in bestimmten Situationen zulässig, und es gelten hierfür enge Voraussetzungen, insbesondere um Staatenlosigkeit zu vermeiden. Oft ist ein solcher Verzicht auch an weitere Voraussetzungen oder Vorleistungen gebunden: Ableistung von Wehrdienst, Rückerstattung von Ausbildungskosten, Begleichen von Steuerschulden.
Die Befreiung oder Entlassung aus der Staatsbürgerschaft beziehungsweise die Genehmigung des Verzichts sind in der Regel als Verwaltungsakte ausgestaltet, um eine administrative Kontrolle sicherzustellen und das Vorliegen der Voraussetzungen effektiv kontrollieren zu können. Totalitäre Regime bedienen sich der Ausbürgerung (erzwungene Aberkennung der Staatsbürgerschaft) auch als Druckmittel, um politisch unliebsame Staatsbürger zu entrechten oder sich ihrer zu entledigen.
Sonderfälle ergeben sich bei Gebietsänderungen nach kriegerischen Auseinandersetzungen oder im Fall des Zusammenbruchs bzw. der Auflösung eines Staates (etwa eines Vielvölkerstaates). Normalerweise wird hier automatisch die Staatsbürgerschaft eines Nachfolgestaates angenommen, oder es wird an bestimmte Kriterien wie die Volkszugehörigkeit, den Wohnort, den Dienst in einer Armee usw. angeknüpft. Manchmal sind entsprechende Regelungen auch bereits vorher festgelegt. Dass durch den Wegfall eines Staates ehemalige Staatsbürger staatenlos werden, ist die Ausnahme.
Siehe auch: Verlust der deutschen, der österreichischen oder der Schweizer Staatsangehörigkeit
Staatenlosigkeit
Staatenlos sind Personen, die keine Staatsbürgerschaft eines Staates besitzen. Staatenlosigkeit soll nach Völkerrecht vermieden werden, da Staatenlose bezug- und schutzlos sind. Daher ist jeder Staat völkerrechtlich verpflichtet, in seinem Hoheitsgebiet befindliche Staatenlose nicht in einen anderen Staat auszuweisen, vielmehr muss er ihnen Schutz gewähren.
Internationale Regelungen der Staatenlosigkeit sind:
das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Staatenlosen (Staatenlosenübereinkommen) vom 28. September 1954 (),
das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 30. August 1961 (, samt Schlussakte der UN-Konferenz, S. 608) – In diesem Abkommen verpflichten sich die Vertragsstaaten dazu, ihr nationales Staatsbürgerschaftsrecht so auszugestalten, dass ein Entzug der Staatsbürgerschaft nicht stattfindet, Staatenlosigkeit aus anderen Gründen so weit wie möglich vermieden wird und dass Staatenlose unter erleichterten Bedingungen eingebürgert werden können. Der freiwillige Verlust der Staatsbürgerschaft soll also nicht mehr möglich sein, wenn der betroffene Bürger dadurch staatenlos würde.
Ungeklärte Staatsbürgerschaft
Nicht zu verwechseln mit der Staatenlosigkeit ist der Status der ungeklärten Staatsbürgerschaft. Dieser wird in der Bundesrepublik Deutschland dadurch erlangt, dass die Herkunft der betreffenden Person unbekannt ist (aufgrund des geringen Lebensalters des Betreffenden) und dadurch ihre Staatsbürgerschaft nicht abschließend geklärt werden kann. Die Rechtslage in vielen europäischen Staaten lässt es nicht zu, dass eine Person mit ungeklärter Staatsbürgerschaft eingebürgert wird, da davon ausgegangen wird, dass eine Staatsbürgerschaft bereits besteht.
Unionsbürgerschaft (EU)
Seit der Auflösung des Übereinkommens vom 6. Mai 1963 des Europarats über die Verringerung der Mehrstaatigkeit und über die Wehrpflicht von Mehrstaatern hat die Mehrstaatigkeit als Rechtsproblem an Bedeutung verloren. Dies ging mit der Entwicklung der Unionsbürgerschaft parallel einher.
Ähnlich einer Staatsbürgerschaft entwickelt die Europäische Union für die Bürger der Mitgliedstaaten die Unionsbürgerschaft als Komponente des Einigungs- und Integrationsprozesses. Diese ist gegenwärtig keine Staatsbürgerschaft im Sinne des Völkerrechts. Dies liegt vor allem daran, dass die EU ein Staatenverbund ist, der auf politische, rechtliche und wirtschaftliche Harmonisierung nach innen gerichtet ist.
Die Unionsbürgerschaft ist in ff. AEUV geregelt und ergänzt die nationale Staatsbürgerschaft um eine europarechtliche Dimension. Sie betrifft vor allem
unionsintern die Freizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit, das europarechtliche Wahlrecht;
international den integrierten diplomatischen und konsularischen Schutz durch alle EU-Mitgliedstaaten.
Völkerrechtliche Vorgaben
Obwohl die einzelnen Staaten für die Verleihung der Staatsangehörigkeit zuständig sind, existieren Vorgaben des Völkerrechts. Diese ergeben sich aus den Rechtsquellen des Völkerrechts, welche in Art. 38 IGH-Statut genannt sind. So statuiert z. B. Art. 3 des Europäischen Übereinkommens über die Staatsangehörigkeit: Die genaue Reichweite dieser völkerrechtlichen Vorgaben ist umstritten.
Heutzutage existieren insbesondere Vorgaben aus völkerrechtlich garantierten Menschenrechten. So garantiert z. B. Art. 20 Abs. 1 Amerikanische Menschenrechtskonvention das Recht eines jeden Menschen auf eine Staatsangehörigkeit. Auch Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte führt dieses Recht an.
Situation nach Staat
Siehe :Kategorie:Staatsbürgerschaft.
Literatur
Gökce Yurdakul/Michal Y. Bodemann: Staatsbürgerschaft, Migration und Minderheiten: Inklusion und Ausgrenzungsstrategien im Vergleich. VS Verlag, Wiesbaden 2010.
Fritz von Keller/Paul Trautmann: Kommentar zum Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz vom 22. Juli 1913. Beck, München 1914, 848 Seiten.
Kay Hailbronner/Marcel Kau/Thomas Gnatzy/Ferdinand Weber: Staatsangehörigkeitsrecht (= Beck’sche Kurz-Kommentare. Bd. 55). 7. Auflage, C.H. Beck, München 2022, ISBN 978-3-406-74876-9.
Ingo von Münch: Die deutsche Staatsangehörigkeit. Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft. De Gruyter Recht, Berlin 2007, 410 (XLI) S., ISBN 978-3-89949-433-4, ISBN 3-89949-433-4.
Walter Fr. Schleser: Die deutsche Staatsangehörigkeit. Ein Leitfaden. Mit 2 Beiträgen von Alfred Heinzel. 4., überarb. u. erg. Auflage, Verlag für Standesamtswesen, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-8019-5603-2 (im Anhang 5 „Das ausländische Staatsangehörigkeitsrecht“, S. 359–368: Übersicht über geltende Staatsangehörigkeitsgesetze des Auslandes und über bestimmte Fragen des ausländischen Staatsangehörigkeitsrechts).
Helgo Eberwein, Eva Pfleger: Fremdenrecht für Studium und Praxis. Grundrecht, Fremdenpolizeigesetz, Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, Staatsbürgerschaftsgesetz; samt Fremdenrechtsnovelle 2011. LexisNexis, Wien 2011, ISBN 978-3-7007-5010-9.
Herbert Mussger: Österreichisches Staatsbürgerschaftsrecht (= Juridica-Kurzkommentare). 6., neu bearbeitete Auflage. Juridica, Wien 2001, ISBN 3-85131-155-8.
Susanne Benöhr: Staatenlosigkeit – Heimatlosigkeit. Ein juristischer Exkurs. In: Barbara Johr: Reisen ins Leben. Weiterleben nach einer Kindheit in Auschwitz, Bremen 1997, S. 173–178 (online).
Martina Sochin D’Elia: Das liechtensteinische Bürgerrecht in Geschichte und Gegenwart. Arbeitspapiere Liechtenstein-Institut Nr. 45, Bendern 2014.
Sabine Strasser: Bewegte Zugehörigkeiten. Nationale Spannungen, transnationale Praktiken und transversale Politik. Turia + Kant, Wien 2009, ISBN 978-3-85132-539-3.
Weblinks
Information der Bundesregierung zur Einbürgerung
Benoît Bréville: Der richtige Pass. In: Le Monde Diplomatique, 14. Februar 2014
Stefan Talmon: Bürde des Doppelpasses (März 2017)
Bernd Grzeszick: (Juli 2019)
Einzelnachweise
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Q42138
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hormonsystem
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Hormonsystem
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Als Hormonsystem werden verschiedene Signalstoffe absondernde Zellen und inkretorische Drüsen zu einem Organsystem zusammengefasst, das über Hormone unterschiedliche Stoffwechselvorgänge und Organfunktionen im Körper eines mehrzelligen Organismus reguliert. Hormone sind Botenstoffe, die unmittelbar auf Nachbarzellen in der Umgebung parakrin einwirken oder ihre Zielzellen erreichen, nachdem sie endokrin in den Blutkreislauf abgegeben wurden.
Zum endokrinen System (; ) gehören neben den verschiedenen endokrinen Drüsen (Drüsen ohne Ausführungsgänge) auch verstreut liegende endokrine Zellen in Herz, Niere, Leber, Lunge, Magendarmtrakt (insbesondere Dünndarm), Thymus und Gehirn. Daneben gibt es parakrine Zellen, die Gewebshormone abgeben.
Hormone entfalten als extrazelluläre Signalstoffe nur eine Wirkung, wenn in der Zellmembran oder dem Zytosol einer Zelle spezifische Hormonrezeptoren vorliegen, von denen ausgehend das Signal in jeweils zelltypische Effekte überführt wird.
Erkrankungen des Hormonsystems oder Endokrinopathien beschäftigen das medizinische Fachgebiet der Endokrinologie.
Einteilung
Zu den endokrinen Drüsen gehören:
Hypophyse (Hypophysis oder Glandula pituitaria)
Zirbeldrüse (Epiphysis cerebri, Epiphyse, Glandula pinealis)
Schilddrüse (Glandula thyroidea)
Nebenschilddrüse (Epithelkörperchen, Glandula parathyroidea)
Nebenniere (Glandula adrenalis oder Glandula suprarenalis)
Langerhans-Inseln (Inselorgan, Insulae pancreaticae)
Zu den endokrinen Zellen zählen die Leydig-Zwischenzellen im Hoden sowie die Theka- und Granulosazellen des Ovarialfollikels bzw. des Gelbkörpers im Eierstock, außerdem beispielsweise jene Herzmuskelzellen, die das atriale natriuretische Peptid abgeben. Nebennierenmark wie Paraganglien nehmen eine Zwischenstellung ein zwischen endokrinem und neuralem System (Nervensystem). Das endokrine System ist eng mit dem Nervensystem gekoppelt, weshalb beide auch als neuroendokrines System zusammengefasst werden. Die Zirbeldrüse etwa ist als ein zirkumventrikuläres Organ ebenso Teil des Nervensystems.
Darüber hinaus gibt es in fast allen Epithelien endokrine Zellen, die in ihrer Gesamtheit als diffuses neuroendokrines System (DNES) oder als APUD bezeichnet werden. Bisher am besten erforscht sind diese Zellen im Magen-Darm-Trakt, hier auch Gastro-entero-pankreatisches endokrines System (GEP) genannt. Die Mehrzahl dieser Zellen wirkt allerdings parakrin, für einige ist jedoch eine endokrine Wirkstoffübertragung bewiesen.
Innerhalb des endokrinen Systems sind Gruppen endokriner Organe durch Kommunikationsnetze miteinander verbunden. Dadurch wird deren aktuelle Funktion aufeinander abgestimmt und eine angemessene Leistung im Gesamtsystem gewährleistet. Typische Strukturen dieser Wirkungsgefüge sind Regelkreise, Umfeldhemmungen und antagonistische Teilsysteme, mit denen Regelgrößen oft mehrfach gesichert eingestellt werden.
Hypothalamus
Der Hypothalamus, ein kleiner Bereich im Zwischenhirn, verbindet dieses mit dem Hormonsystem. Über ein Pfortadersystem hat er Kontakt zur Hirnanhangdrüse (Hypophyse) und reguliert deren Hormonausschüttung. Der Großteil des Informationsaustausches findet über dieses System durch Hormone statt, die in den Nervenzellen (Neuronen) des Hypothalamus gebildet werden. Er regelt so die Körpertemperatur, den Herzschlag und die Nierenfunktion, aber auch Hunger und Durst sowie unseren Schlafrhythmus und den Geschlechtstrieb.
Das Zwischenhirn liegt zwischen dem Klein- und dem Großhirn. Von hier aus wird das autonome Nervensystem gesteuert, das unter anderem für den Energie-, Wärme- und Wasserhaushalt unseres Körpers zuständig ist.
Hirnanhangdrüse
Die übergeordnete Drüse innerhalb des endokrinen Systems ist die erbsengroße Hirnanhangdrüse, die in einer knöchernen Vertiefung der mittleren Schädelgrube liegt und den überwiegenden Teil des Hormonsystems kontrolliert. Sie ist die Zentrale des Hormonsystems und den anderen endokrinen Organen übergeordnet. Neben der Produktion eigener Hormone beeinflusst sie auch die Hormonproduktion der anderen endokrinen Drüsen. Die Hirnanhangdrüse besteht aus zwei Hälften, die unabhängig voneinander arbeiten: Hypophysenhinterlappen (Neurohypophyse) und Hypophysenvorderlappen (Adenohypophyse).
Der Hypophysenhinterlappen ist über den Hypophysenstiel direkt mit dem Hypothalamus verbunden.
Entwicklungsgeschichtlich ein Teil des Hypothalamus (also des Gehirns) speichert er Hormone,
die dort gebildet und über die gemeinsame Nervenverbindung zu ihm transportiert werden.
Der Hypophysenvorderlappen hat unmittelbare Verbindung zum Hypothalamus. Im Vorderlappen werden verschiedene Hormone produziert, die direkt auf das Körpergewebe und auf andere Drüsen wirken. Sie werden von Faktoren gesteuert, die sich im Hypothalamus bilden und über ein spezielles Gefäß zum Vorderlappen gelangen. Darüber hinaus reagiert der Vorderlappen selbständig auf einen hohen Hormonspiegel im Blut. Wenn beispielsweise der Schilddrüsenhormonspiegel ausreichend hoch ist, wird die Produktion des Hormons, das die Schilddrüse zu ihrer Hormontätigkeit anregt, eingestellt.
Schilddrüse
Die unterhalb des Kehlkopfes liegende Schilddrüse produziert die beiden Hormone Thyroxin und Triiodthyronin, die über den Blutkreislauf zu den Körperzellen gelangen.
Diese Hormone sind zuständig für den Energieumsatz der Zellen und für die Eiweißproduktion. Damit die Schilddrüse sie produzieren kann, benötigt sie Jod, das sie aus dem Blut erhält und speichert. Erfolgt der Energieumsatz schneller oder langsamer als normal, so spricht man von Schilddrüsenüberfunktion beziehungsweise Schilddrüsenunterfunktion. Erhöhte Werte können Nervosität, Gewichtsverlust und seelische Spannungen bewirken, während im anderen Extremfall die Körperfunktionen langsamer ablaufen.
Nebenschilddrüse
Die vier kleinen Nebenschilddrüsen liegen an der Rückseite der Schilddrüse. Ihr Hormon (das Parathormon) hat die Funktion, den Calciumhaushalt des Körpers zu regulieren.
Calcium braucht der Körper für den Knochen- und Zahnaufbau, für die Funktion von Nerven- und Muskelzellen und für die Blutgerinnung. Zusammen mit Vitamin D, das unter Lichteinfluss in der Haut gebildet wird, ermöglicht das Hormon der Nebenschilddrüsen die Calciumaufnahme aus der Nahrung.
Wenn dem Körper nicht genügend Calcium zugeführt wird, bewirkt das Hormon die Abgabe von Calcium aus den Knochen in das Blut.
Bauchspeicheldrüse
Die hinter dem Magen im Oberbauch liegende Bauchspeicheldrüse (Pancreas) besteht als einzige Drüse aus einem endokrinen und einem exokrinen Anteil; es handelt sich also quasi um zwei Organe in einem. Der endokrine Anteil – die Langerhans-Inseln – produziert Insulin und Glucagon und reguliert auf diese Weise den Blutzuckerspiegel, während vom größeren exokrinen System ein enzymhaltiger Verdauungssaft kommt, der über spezielle Gänge in den Zwölffingerdarm (Duodenum) geleitet wird.
Nebennieren
Die Nebennieren sind unterscheidbar in Nebennierenmark und Nebennierenrinde. Das innere Nebennierenmark produziert die Hormone Adrenalin und Noradrenalin. In Gefahren- oder Stresssituationen wird Adrenalin aus dem Nebennierenmark in die Blutbahn abgegeben. Dadurch erhöht sich die Herzschlagfrequenz, und die Blutgefäße der Haut und der Eingeweide verengen sich; daher der Spruch: Er bekam kalte Füße. Das Blut steht der arbeitenden Muskulatur zur Verfügung, und der Blutdruck steigt an. Gleichzeitig wird der in Leber und Muskeln gespeicherte Zucker zu Einfachzucker abgebaut, damit der Körper mehr Energie zur Verfügung hat.
Die Nebennierenrinde produziert drei Arten von Steroidhormonen mit unterschiedlichen Funktionen:
Aldosteron reduziert die Salzausscheidung über die Nieren und erhöht damit den Wassergehalt des Körpers.
Die Abgabe von Aldosteron wird durch das in der Niere produzierte Renin gesteuert. Ist der Aldosteronspiegel zu gering, produziert die Niere verstärkt Renin.
Bei gesteigertem Energiebedarf des Körpers erhöht Kortisol den Blutzuckerspiegel. Es wandelt Eiweiß in Zucker um und arbeitet so mit den Hormonen Adrenalin und Glucagon zusammen, die ebenfalls den Blutzuckerspiegel erhöhen. Ein hoher Kortisolspiegel bewirkt eine verringerte Infektabwehr des Körpers.
Geschlechtsdrüsen
Die Geschlechtsdrüsen sind paarweise angelegt, bei der Frau als mandelförmige Eierstöcke im Beckenbereich der Bauchhöhle, beim Mann als eiförmige Hoden im Hodensack. Sowohl beim Mann als auch bei der Frau werden die Geschlechtshormone Östrogen, Progesteron, Testosteron und Androsteron produziert. Allerdings ist aufgrund ihres unterschiedlichen Mengenverhältnisses die Wirkung bei der Frau anders als beim Mann.
Die männlichen Geschlechtsmerkmale – zum Beispiel Bartwuchs und tiefe Stimme – sind durch ein Übergewicht an Testosteron und Androsteron geprägt. Dagegen sind Östrogen und Progesteron für die weiblichen Geschlechtsmerkmale – zum Beispiel die Entwicklung der Brüste und Verbreiterung der Hüften – verantwortlich.
Literatur
Lois Jovanovic, Genell J. Subak-Sharpe: Hormone. Das medizinische Handbuch für Frauen. (Originalausgabe: Hormones. The Woman’s Answerbook. Atheneum, New York 1987) Aus dem Amerikanischen von Margaret Auer, Kabel, Hamburg 1989, ISBN 3-8225-0100-X.
Paul Honekamp: Über die Störungen des endokrin-vegetativen Systems, ihre Ursachen und ihre Heilung durch natürliche Heilstoffe. Carl Marhold, Halle 1935.
Biopsychologie
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Q11078
| 233.474625 |
48440
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hausesel
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Hausesel
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Der Hausesel (Equus asinus asinus) ist ein weltweit verbreitetes Haustier. Seine Stammform ist der Afrikanische Esel. Der Asiatische Esel (Equus hemionus), auch als Halbesel bezeichnet, ist eine weitere wilde Pferdeart, die von der Stammform des Hausesels zu unterscheiden ist.
Merkmale
Esel sind ponygroße Vertreter der Pferdefamilie mit sehr langen Ohren, Stehmähne und einem Schwanz mit Endquaste. Die Fellfarbe ist grau oder braun bis schwarz, manchmal rötlich. Daneben gibt es auch gescheckte Esel. Sehr selten sind rein weiße Esel (Asinara auf Sardinien, österr./ungar. Albino- oder Barockesel). Über den Rücken verläuft meistens ein Aalstrich, zudem über die Schultern ein Querstrich (Schulterkreuz) und die Beine sind häufig zebraartig gestreift. Der Bauch ist weiß, ebenso der Bereich um das Maul und die Augen.
Anders als beim Hauspferd sind die Hufe des Esels einem trockenen Untergrund angepasst. Die Hufwand der Eselhufe kann mehr Wasser aufnehmen als die der Pferde und ist widerstandsfähiger gegen Abrieb. Dies ist ein Vorteil in trockener Umgebung, aber ein Nachteil in feuchtem Klima. Esel benötigen deshalb eine darauf angepasste Haltung, die es ihnen ermöglicht, Nässe zu vermeiden.
Esel haben je nach Rasse eine Schulterhöhe von 90 bis 160 cm und sind mit 2 bis 2 ½ Jahren geschlechtsreif. Im Prinzip ist eine Paarung ganzjährig möglich, in der Regel findet sie jedoch im Frühjahr statt. Nach einer Trächtigkeitsdauer von 12 bis 14 Monaten wird gewöhnlich ein Junges, manchmal auch zwei geboren. Bis zur Eigenständigkeit dauert es etwa sechs bis neun Monate. Esel sind in der Regel langlebiger als Pferde und können über 40 Jahre alt werden.
Besonderheiten
Neben den rein äußerlichen Unterschieden zu Pferden verfügen Esel über einige Besonderheiten, die nicht auf den ersten Blick erkennbar sind. Im Gegensatz zu Pferden besitzen Esel fünf statt sechs Lendenwirbel. Esel verfügen über 31 Chromosomenpaare, Pferde haben 32. Die Körpertemperatur ist bei Eseln etwas niedriger, sie beträgt durchschnittlich 37 °C statt der üblichen 37,5 bis 38,2 °C bei Pferden. Die Tragzeit ist bei Eseln länger als bei Pferden. Im Durchschnitt beträgt sie 365 bis 370 Tage gegenüber 330 Tagen beim Pferd.
Bedeutend sind auch Unterschiede im Verhalten: Pferde neigen in Stresssituationen zur Flucht, Esel hingegen zum Innehalten. Eselstuten leben oftmals alleine mit ihren Fohlen im Gebirge und eine sofortige Flucht ist deshalb nicht immer möglich, ohne das Fohlen zu gefährden. Esel bleiben oft wie angewurzelt stehen. Zusätzlicher Stress, zum Beispiel durch Schläge oder Schreie, verstärkt diese Starre eher, woraus der Ruf des Esels als besonders stures oder dummes Tier resultiert. Dies ist jedoch falsch. Esel leben ursprünglich in schroffem Ödland und felsigem Gebirge. Esel sind sehr aufmerksam. Sie prüfen genau, wohin sie treten. Anders als beim Pferd – einem Bewohner offener Steppen – würde eine kopflose Flucht der Tiere im steilen oder steinigen Gelände zum sicheren Tod führen.
Wildesel und verwilderte Hausesel
Wie auch beim Pferd kann man zwischen ursprünglichen Wildeseln und verwilderten Hauseseln unterscheiden. In mehreren Unterarten war der Afrikanische Esel einst über Nordafrika und Vorderasien verbreitet, heute leben nur mehr wenige hundert Tiere im nordöstlichen Afrika (Äthiopien, Eritrea, Somalia und Sudan).
Verwilderte Hausesel gibt es dagegen in vielen Regionen der Welt. Zu ihrem Verbreitungsgebiet gehören auch die Länder, in denen echte Wildesel beheimatet sind, was Anlass zur Sorge gibt, dass sich beide Bestände vermischen und die genetische Reinheit der Wildesel zerstören könnten. 1,5 Millionen verwilderte Hausesel durchstreifen das Innere Australiens. Im Südwesten der USA leben etwa 6000 verwilderte Esel, die hier (spanisch für „Esel“) genannt werden. Als historisches Symbol werden diese Burros geschützt; dies ist aber umstritten, da sie durch Konkurrenz bei Nahrungs- und Wassersuche einen Rückgang der einheimischen Dickhornschafe verursacht haben sollen. Eine der wenigen Populationen verwilderter Esel in Europa kommt im Norden der Mittelmeerinsel Zypern auf der Halbinsel Karpas vor. Sie sind dunkelbraun bis schwarz und wesentlich größer als ihre ursprünglich ausgewilderten Artgenossen. Oft besitzen sie Zebrastreifen an den Beinen.
Domestikation
DNA-Untersuchungen bestätigen bestehende Theorien zur Phylogenese der Esel, dass alle heutigen Hausesel vom Afrikanischen Esel abstammen und mit diesem auch fertil kreuzbar sind. Esel wurden früher als Pferde domestiziert und stellen damit eines der ersten den Menschen zur Verfügung stehende Lasttiere dar. Die Domestikation erfolgte vor mehr als 7000 Jahren in Ostafrika. In Mesopotamien wurde auch der Asiatische Esel eingekreuzt, wie genetische Befunde an einem Tier aus einem bronzezeitlichen Grab bei Umm el-Marra in Syrien belegen. Die dafür verwendeten Wildtiere entstammen dem Syrischen Halbesel. Schon vor dem klassischen Altertum gelangten Esel nach Europa. Die Etrusker hatten Hausesel, die vermutlich aus Kleinasien stammen. Nach Griechenland gelangten Hausesel etwa 1000 v. Chr. Nördlich der Alpen kommen Esel erst seit der römischen Zeit vor.
Nutzung
Reit- und Lasttier
Ursprünglich wurden Esel auch als Reittiere und zum Ziehen von Wagen verwendet. Später wurden sie in der Regel von Pferden abgelöst, die schneller und kräftiger waren. Ab dieser Zeit tauchen Esel in den Überlieferungen alter Kulturen kaum noch auf. Dass man den Esel vor allem als Packtier weiter verwendete, liegt an seiner Zähigkeit. Viel länger als ein Pferd kann ein Esel ohne Wasser und Nahrung auskommen. Esel wurden bevorzugt auch in Mühlen gehalten und dienten dort als Sackträger für Getreide und Mehl. Da Esel anders als Pferde schwindelfrei sind, waren und sind sie in steilen Bergen ein bevorzugtes Reit- und Lasttier (Lastesel).
Heil- und Lebensmittel
Neben der traditionellen Verwendung als Trag- und Zugtier werden Esel auch zur Fleischgewinnung (Salami), als Milchproduzenten (Eselsmilch) und zur Lederherstellung verwendet. Eselfleisch wird wegen seiner Zähigkeit und Eigengeschmacks nur behelfsmäßig verwendet; in einigen orientalischen Ländern wird das Fleisch junger Tiere oder das der großen Rassen (Poitou-Esel) geschätzt, letzteres kann wie Pferdefleisch eingestuft werden. In Südfrankreich, wo kleine Eselrassen gehalten werden, wird deren zähes und streng schmeckendes Fleisch nur zu Wurst verarbeitet.
Zur Herstellung von Pergament hielt man im Mittelalter Eselhaut für besonders geeignet. In Ostasien wird Eselhaut seit Jahrhunderten zu einer dunklen Gelatine oder zu Pulver verarbeitet und als Heilmittel, genannt Ejiao (), in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet. Die steigende Nachfrage aus China führt weltweit zu rapide sinkenden Eselbeständen.
Landschaftspflege und Beweidung
Wegen seines Abwehrverhaltens gegen Hundeartige wird er von Schäfern auch als Herdenschutzesel eingesetzt. In der tiergestützten Therapie und der Pädagogik kommt der Esel zunehmend zum Einsatz. In Europa wird er auch als Reittier im Tourismus eingesetzt (Burro-Safari, Strandritte).
Die Beweidung mit Eseln stellt ein effektives, jedoch bislang wenig verbreitetes Werkzeug der Landschaftspflege dar. Vor allem zur Pflege wertvoller Trocken-Lebensräume haben sie sich sehr gut bewährt. In Kombination mit anderen Weidetieren oder manueller Pflege kann zudem die Regeneration lichter Kiefernwälder erreicht werden. Dominante Ruderalgräser wie das Land-Reitgras lassen sich durch Esel gut zurückdrängen. Gleichzeitig fördern sie durch Störstellen wuchsschwache Pflanzen. Im Vergleich zu Pferden sind Esel geländegängiger und verbeißen Problemarten wie Orientalisches Zackenschötchen, Distel oder Brennnessel. Gegenüber Schafen, Rindern und Ziegen haben Esel eine höhere Lebenserwartung. Verglichen mit Schafen fressen Esel mehr Gehölze und grasartige Pflanzen und bauen zudem die Streuschicht besser ab. Allerdings sind sie aufwendiger zu führen. So kann eine Person nur ein bis zwei Esel führen, als Schafherde hingegen mehrere 100 Tiere.
Haltung
Richtlinien für eine artgerechte Tierhaltung sind beispielsweise vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium herausgegeben worden. Demnach sollten Esel niemals als Einzeltiere, sondern stets in Gruppen von mehreren Eseln gehalten werden, jedoch nicht als reine Hengstgruppen. Sie benötigen eine ausreichend große Weide (z. B. mindestens 500 m2 für fünf Tiere) mit Witterungsschutz. Außerdem wird ein Stall mit ausreichend Platz benötigt (mindestens 5 m2 pro Tier, alle Esel sollten sich gleichzeitig im Stall hinlegen können). Der Stall muss Schutz vor Regen, Wind und Kälte bieten, insbesondere im Winter. Stuten mit Fohlen sollten separat untergebracht werden.
Bei der Fütterung ist neben einer ausreichenden Wasserversorgung zu beachten, dass die Nahrung einen hohen Anteil an Rohfasern enthält (größer als bei Pferden), wie beispielsweise Holz, verholzte Sträucher, Stroh und Heu. Eine Überversorgung mit energiereicher Kost (z. B. Getreide) führt zu gesundheitlichen Problemen wie Übergewicht, Stoffwechselerkrankungen und Hufveränderungen.
Empfohlen ist weiterhin eine tägliche Kontrolle der Tiere, insbesondere der Hufe, die leicht zu Strahlfäule neigen. In größeren Zeitabständen ist auch das Gebiss zu kontrollieren. Die Hufe müssen regelmäßig korrigiert werden, eine Behandlung gegen Endoparasiten und Impfungen sind ebenfalls notwendig. Bei der Tierbetreuung ist auch darauf zu achten, dass die Esel ausreichend Beschäftigung haben.
Die Tiere dürfen durchaus Lasten tragen oder ziehen. Um gesundheitlichen Schaden vorzubeugen, sollte das zu tragende Gewicht höchstens 20 % des Eselgewichtes betragen (also beispielsweise bei einem 200 kg schweren Esel maximal 40 kg Traglast). Das Reiten auf einem Esel ist daher in vielen Fällen nicht möglich. Bei der Zuglast gilt das Doppelte des Eselgewichtes als gerade noch zumutbar.
Für die Nachzucht von Tieren ist eine Belegung der Eselstuten frühestens ab einem Alter von drei Jahren zu empfehlen. Die Stute sollte dabei höchstens alle zwei Jahre Füllen kriegen.
Rassen
Neben den Unterarten der Wildesel haben sich durch geographische und ökologische Isolation und zweckorientierte Zucht im Zuge der Domestikation des Hausesels Landrassen und Kulturrassen entwickelt.
Die vorrangige Nutzung des Hausesels als Packtier brachte wesentlich weniger verschiedene Kulturrassen hervor als dies bei den Pferden der Fall ist. Innerhalb dieser nutzungsorientierten Selektion entwickelten sich kaum differenzierbare Rassen. So ist es bei der Vielzahl der Esel, die über alle Länder der heißen und gemäßigten Zonen verbreitet sind, nicht möglich, sie einer bestimmten Zuchtrasse zuzuordnen. Die wenigen Kulturrassen, die sich vor allem im Zuge der Maultierzucht entwickeln konnten, sind in Europa, vorrangig in Frankreich, Italien und Spanien, in kleinen Beständen erhalten geblieben. In diesen Ländern werden sie als gefährdete Eselrassen in Ursprungszuchtbüchern betreut und ihre Zuchtorganisationen versuchen, sie zu retten. Eine Übersicht über Eselrassen bietet die Liste von Eselrassen.
Kreuzungen
Zwei Hybride des Esels werden gezüchtet und sind nicht fortpflanzungsfähig:
Maulesel – Kreuzung eines Pferdehengstes und einer Eselstute
Maultier oder auch Muli – Kreuzung eines Eselhengstes und einer Pferdestute
Wegen des unterschiedlichen Werbungsverhaltens von Pferd und Esel (Esel gehen erheblich rabiater miteinander um, weil unwillige Stuten nicht wie bei Pferden einfach davonlaufen) ist es weitaus einfacher, Maultiere zu züchten als Maulesel. Zudem sind Pferdestuten im Allgemeinen größer als Eselstuten, was dem ungeborenen Fohlen mehr Platz im Mutterleib lässt und die Geburt weniger problematisch macht.
Seltener und meist ungeplant ist der Zesel, eine Kreuzung mit einem Zebra.
Benennung
Der weibliche Esel heißt Eselstute, der männliche Eselhengst, Jungtiere heißen Eselfohlen. Kastrierte männliche Esel nennt man Eselwallach oder Macker. Ein Eselstall, Zuchthof oder Gestüt wird als Asinerie (nach dem lateinischen Namen ) bezeichnet.
Symbolische und mythologische Bedeutung
Der Tierkopf des Gottes Seth in der ägyptischen Mythologie soll einen Eselskopf darstellen. Da sich Seth im Verlauf der ägyptischen Religionsgeschichte von einem Wüsten- zu einem Unterweltsgott wandelte, wurde der Esel als Verkörperung eines Dämons angesehen. Auf dieser Verbindung beruht vermutlich die Verspottung der Juden und Christen im alten Rom, denen vorgeworfen wurde, dass sie einen Esel anbeteten. Auch Horus hatte eine Esel-Inkarnation. Satyrn oder Silen und Kentauren waren in der griechischen Mythologie Mischwesen aus Mensch und Equide (Esel oder Pferd). Der phrygische Marsyas war ein zu den Satyrn gehörender Eseldämon. Im musischen Wettstreit unterlag er dem griechischen Gott Apollon. Dieser wurde im östlichen Mittelmeerraum als Apollon Killaios, als „Apollon, der Eselartige“ verehrt.
Im Nahen Osten gab es eine Gottheit, von den Römern Pales genannt, die gleichzeitig männlich und weiblich war und mit dem Körper eines Menschen und dem Kopf eines Esels abgebildet wurde. Heute gibt es im Nahen Osten zwar keine religiöse Verehrung des Esels mehr, er spielt jedoch eine wichtige Rolle in vielen volkstümlichen Erzählungen, Sprichwörtern und Schwänken (z. B. bei Nasreddin oder Dschuha). Mancherorts schrieb man dem Esel Faulheit, Starrsinn und abnorme Sexualität zu.
In der Bibel begegnet der Esel in vielfachen Zusammenhängen: Der Esel ist Transporttier, Reittier der Vornehmen , der Krieger und des endzeitlichen Königs . Im 4. Buch Mose 22,28 spricht die Eselin mit ihrem Reiter Bileam, als ihnen ein Engel mit einem Schwert entgegentritt und sie von ihrem Reiter geschlagen wird: Was hab ich dir getan, dass du mich nun dreimal geschlagen hast? Die Erstgeburt des Esels musste als einzige außer der des Menschen nicht geopfert, sondern durch das Opfern eines Lammes ausgelöst werden (2. Buch Mose 34,20). Das Bild vom König auf dem Esel fand Aufnahme in der neutestamentlichen Schilderung von Jesu Einzug in Jerusalem auf dem Esel zum Passahfest vor seiner Kreuzigung.
Ochs und Esel sind fester Bestandteil der Christgeburtsüberlieferung, auch wenn sie in der biblischen Weihnachtsgeschichte keine direkte Erwähnung finden. Bereits in den frühesten Darstellungen von Jesu Geburt im 3. Jahrhundert findet sich der Esel. Auf bildlichen Darstellungen der Flucht nach Ägypten reitet die heilige Familie meist auf einem Esel.
In der christlichen Tradition spielt der Esel eine Rolle als Symbolfigur. Im Mittelalter feierte man vielerorts in der Mitte des Winters die Eselsmesse (La Fête des Fous); diese war im Mittelalter eine Art Karnevalsveranstaltung mit religiösen, humorvollen und erotischen Aspekten. In der christlichen Ikonografie taucht er, unter anderem als Begleiter des Heiligen Nikolaus, als Verkörperung des treuen Dieners auf. Ab dem 5. Jahrhundert wird der Esel in Verbindung mit dem Ochsen auch als Sinnbild für Juden- oder Heidentum verwendet.
Bei den Bremer Stadtmusikanten ist es der Esel, der die Initiative ergreift und den anderen Tieren eine Zukunftsperspektive aufzeigt. Er spricht den bekanntesten Satz des Märchens: „Etwas besseres als den Tod findest du überall“.
Der Esel im Märchen der Brüder Grimm Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack speit nach dem Zauberwort „Bricklebrit“ Goldstücke vorne und hinten aus. Die Fähigkeit des Goldesels besaß bereits der phrygische König Midas, der als Schiedsrichter beim musischen Wettstreit zwischen Apollon und Marsyas fungiert hatte. Midas soll zu den Schmieden Phrygiens gehört und als erster Blei gewonnen haben. Alles was Midas berührte, wurde zu Gold.
Im italienischen Roman Pinocchio gilt der Esel als Beispiel für Dummheit und Faulheit; Pinocchio wird von einem Klassenkameraden mit dem Spitznamen „Kerzendocht“ überredet, mit ihm ins Land der Spielereien zu kommen, in dem alle Jungen ausschließlich das tun, wozu sie Lust haben. Zunächst sind Pinocchio und seine Freunde begeistert vom Paradies der Nichtstuerei, doch eines Tages verwandeln sich alle Kinder, welche „unartig“ waren, in Esel. Die Esel werden verfrachtet und an einen Zirkus verkauft, doch als Pinocchio sich während einer Vorstellung verletzt, wird er an einen Mann weiterverkauft, der aus Pinocchios Eselshaut eine Trommel fertigen möchte. Er versucht, den Esel zu töten, indem er ihn ins Meer wirft, doch als sich die Fische über den Esel hermachen, bleibt nur Pinocchio übrig und der Mann geht leer aus.
Der katalanische Esel, El Ruc Català o guarà gilt als inoffizielles Nationalsymbol Kataloniens, das als ein dem spanischen Osborne-Stier entgegengesetztes Symbol verstanden werden kann.
In der Fabel und im Volksmund wird der Esel als stures, oft auch dummes Tier beschrieben. Daraus resultiert auch die Verwendung des Wortes „Esel“ als Schimpfwort, die beispielsweise in Begriffen wie Eselsecke oder Eselsohr (als „eigentlich ungehöriges Lesezeichen“ bei Büchern) und in dem Abzählreim „Ich und du, Müllers Kuh, Müllers Esel, das bist du!“ zum Ausdruck kommt. Im Gleichnis von Buridans Esel verhungert der Esel, weil er sich nicht entscheiden kann, von welchem von zwei gleich großen und gleich weit entfernten Heuhaufen er zuerst fressen soll. Dass der Esel „dumm“ sei, ist eine nachantike europäische Auffassung. Im Orient galt und gilt der Esel im Gegenteil als besonders intelligent. Es gibt die Sage von der klugen Eselin des Propheten Bileam, die ihren Gebieter an Weisheit übertraf, wobei Bileam in der jüdischen Tradition als der „Weiseste der Weisen“ angesehen wird.
Eine Eselsskulptur von Peter Lenk ziert den Marktplatz von Biberach an der Riß. Sie bezieht sich auf die Satire „Der Prozess um des Esels Schatten“ von Christoph Martin Wieland. In Halle (Saale) ist der Esel zentraler Bestandteil der bekanntesten Stadtsage, in der der Esel anstelle des Kaisers in die Stadt einzog, und daher an mindestens fünf verschiedenen Stellen, darunter auf dem Eselsbrunnen auf dem Alten Markt zu finden.
In den Vereinigten Staaten ist der Esel inoffizielles Symbol der Demokratischen Partei. 1828 wurde der Präsidentschaftskandidat Andrew Jackson von seinen Kontrahenten als Esel diffamiert. Jackson, der zum siebten US-Präsidenten gewählt wurde, machte den Esel daraufhin zum Symbol seiner Kampagne. 1870 tauchte der Esel dann in den Zeichnungen des deutsch-amerikanischen Karikaturisten Thomas Nast auf, der ebenfalls dem Elefanten als republikanischem Parteisymbol zum Durchbruch verhalf. Beide Tiere wurden daraufhin Parteimaskottchen, der Esel jedoch im Gegensatz zum Elefanten der Republikanischen Partei lediglich inoffiziell.
Siehe auch
Liste von Eselrassen
Esel in der Löwenhaut
Als Eselsbrücke bezeichnet man einen Merkspruch.
Als Allegorie auf Unterdrückung: Fabel vom Löwenanteil.
Drahtesel – scherzhafter Begriff für ein Fahrrad.
Literatur
Johannes Erich Flade: Die Esel. Haus- und Wildesel. Equus asinus. (= Die neue Brehm-Bücherei. Band 638). Westarp Wissenschaften, Hohenwarsleben bei Magdeburg 2000, ISBN 3-89432-887-8.
Niccolò Machiavelli: Der Esel/L'Asino. Übersetzt und kommentiert mit einem Essay: Literarische Eseleien von Dirk Hoeges. Machiavelli Edition, Köln 2015, ISBN 978-3-9815560-2-5. (deutsch, italienisch)
Jutta Person: Esel. Ein Portrait. Matthes & Seitz, Berlin 2013, ISBN 978-3-88221-078-1.
Volker Plagemann, Max Denzler: Esel. In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte. Band 5, 1967, Sp. 1484–1528.
Stine Rossel u. a.: Domestication of the donkey: Timing, processes, and indicators. In: Proceedings of National Academy of Sciences of the USA. Band 105 (10), März 2008, S. 3715–3720. doi:10.1073/pnas.0709692105 ()
Martin Vogel: Onos Lyras. Der Esel mit der Leier. (= Orpheus-Schriftenreihe zu Grundfragen der Musik. Band 13). Verlag der Gesellschaft zur Förderung der systematischen Musikwissenschaft, Düsseldorf 1973, .
Weblinks
ArchaeoBioCenter der LMU: Neue Ergebnisse zur Eseldomestikation vom 2. September 2010.
Interessengemeinschaft für Esel- und Mulifreunde in Deutschland e. V.
Artgerechte Eselhaltung, Skript des Deutschen Tierschutzbunds https://www.tierschutzbund.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Broschueren/Artgerechte_Eselhaltung.pdf
Einzelnachweise
Pferde
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q19707
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https://de.wikipedia.org/wiki/Musical
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Musical
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Das Musical [] ist eine in der Regel in zwei Akten aufgeführte Form populären Musiktheaters, die Gesang, Tanz, Schauspiel/Dialog und Musik in einem durchgängigen Handlungsrahmen verbindet.
Die Geschichte des modernen Musicals begann im New York der 1920er Jahre, fand jedoch neben dem New Yorker Broadway auch rasch Verbreitung im Londoner West End, die noch heute beide als Metropolen des Musicals gelten. Ausgehend von diesen Zentren hat das Musical weltweite Verbreitung gefunden. Neben der temporären Aufnahme in Spielpläne zahlreicher großer wie kleiner Theater haben sich auch in vielen anderen Städten Musical-Theater etabliert, die ausschließlich Musicals als meist längere und aufwendig gestaltete Produktionen (sog. En-suite-Produktionen) zeigen. Auch Tournee-Produktionen diverser Musicals sind häufig zu finden. Trotz der weltweiten Verbreitung dominieren noch heute Musicals US-amerikanischen oder britischen Ursprungs, wobei es jedoch auch erfolgreiche Musicals anderer Herkunft gibt. Wegen ihres großen Erfolgs sind viele Musicals auch verfilmt worden.
Thematisch wird eine breite Fülle von tragischen als auch humorvollen Stoffen behandelt, die zu unterschiedlichsten Zeiten und an unterschiedlichsten Orten spielen. Auch für gesellschaftlich oder politisch sensible Themen hat sich das Musical stets offen gezeigt. Viele Musicals basieren dabei auf literarischen Vorlagen verschiedener Gattungen und Epochen und in neuerer Zeit gelegentlich auch auf Filmen unterschiedlicher Genres.
Auch musikalisch ist ein breites Spektrum stilistischer Einflüsse erkennbar: von Popmusik, Tanz- und Unterhaltungsmusik bis zu Jazz, Swing, Soul und Rock ’n’ Roll, um nur einige zu nennen. Gattungsgeschichtlich haben Elemente des Dramas, der Komödie, der Revue, der Operette, des Balletts, des Varietés und der Oper Einfluss auf die Entwicklung des Musicals genommen. Das Musical ist ein Gesamtkunstwerk und ist sowohl eine literarische als auch eine musiktheatralische Gattung.
Etymologie und Begriffsabgrenzung
Das Wort Musical ist eigentlich ein Adjektiv (engl. musikalisch) und wurde in ergänzenden Bezeichnungen zu den Stücktiteln gebraucht wie A Musical Comedy, A Musical Play, Musical Drama, Musical Fable, Musical Revue. Eine genaue Definition des Begriffes ist schwierig, da er eine große Stilfülle umfasst und sich die Vorstellungen im Lauf der Zeit geändert haben. Häufig werden „Musical“ und „Musical Comedy“ synonym verwendet. Das überwiegend ernste Musical (im Stil von Show Boat, 1927) wird Musical Play genannt. In der Regel wechseln sich Dialoge und Gesangsnummern ab. Seit den 1970er Jahren gibt es durchkomponierte Musicals.
Das Broadway-Musical grenzte sich einst von den Operetten an diesem Ort ab, indem es kaum Musiknummern im 3/4-Takt enthielt. Das Musical hat in der Regel einen durchgehenden Handlungsstrang, die Revue nicht.
Die Grenze zwischen diesen Gattungen war (besonders in der Frühzeit bis etwa 1940) fließend.
Geschichte
Ursprünge
Die im 18. und im frühen 19. Jahrhundert stets noch kleinen amerikanischen Städte hatten kein wesentlich anderes Theaterangebot als in Europa, und wie dort dominierten auch hier Mischformen aus Sprech- und Musiktheater, die von der Opéra comique herstammten. Im Bereich der Kleinkunst gab es spezifisch amerikanische Gattungen wie die Minstrel Show. Wie die europäischen Music Halls oder Singspielhallen waren die amerikanischen Vaudeville-Shows seit etwa 1880 privatwirtschaftlich organisiert.
Die Ursprünge des Musicals finden sich in London und New York im 19. Jahrhundert und haben mit dem Wachstum dieser Städte und der steigenden Nachfrage nach Unterhaltung zu tun. Als erstes Musical überhaupt wird oft das 1866 produzierte Spektakel The Black Crook genannt: Weil eine angereiste europäische Balletttruppe nicht in der zwischenzeitlich abgebrannten New Yorker Academy of Music auftreten konnte, wurde das Ballett in ein Melodram von Charles Barras integriert, was unerwartet ein großer Erfolg wurde. Zahlreiche musikalisch-szenische Produktionen versuchten, auf diese Weise ebenfalls Erfolge zu werden.
Eine große Rolle ungefähr seit dem Ersten Weltkrieg spielte das Theaterviertel am Broadway als Schmelztiegel vieler Nationalitäten, Kulturen, Hautfarben, Konfessionen und sozialer Schichten. So flossen verschiedene Einflüsse in die ersten Musicals ein: Swing und Jazz der Minstrel Shows, französische Revuen und Music-Hall-Konzerte, Theaterformen der britischen Einwanderer wie das aus artistischen Nummern bestehende Vaudeville und die Burlesque, die Operette aus Paris und Wien und das Flair der Wild-West-Sideshows. Zum klassischen Operngesang gesellten sich neue Techniken wie das Belting. In aufwendigen Extravaganzas hatten Bühneneffekte, Bühnenmaschinerie, Tanzeinlagen und Kostüme große Bedeutung.
Zu Beginn des Jahrhunderts bestand die Broadway-Unterhaltung noch hauptsächlich aus Revueshows wie den Ziegfeld Follies. Von einer spezifischen, eigenständigen Gattung „Musical“ kann man erst seit den 1920er Jahren sprechen, als die amerikanische Operette eines Victor Herbert oder Rudolf Friml an Einfluss verlor. Aus dieser Zeit stammen etwa George Gershwins Lady, Be Good (1924) und Jerome Kerns Show Boat (1927). In diesem Stück ergaben sich die Songs aus der Handlung, ohne diese zu unterbrechen. Außerdem wurde Sozialkritik mit eingeflochten, wie gegen die Diskriminierung der Afroamerikaner.
Klassische Zeit
Der New Yorker Broadway gilt neben dem West End in London nach wie vor als Zentrum der Musicalwelt. Infolge der zunehmenden Konkurrenz durch den Tonfilm löste sich das Musical von der bloßen Nummernshow und erlebte von den 1930er bis zur Mitte der 1960er Jahre eine Blütezeit. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg behandelte das Musical sensible gesellschaftliche Themen, wie z. B. 1949 in South Pacific. Dies waren Stücke, die sich mit einem literarischen Buch von den bunt zusammengestellten Revuen und inhaltlich weniger zusammenhängenden Musical Comedys abhoben.
Auf eine erste Generation von Komponisten, wie Cole Porter, Irving Berlin und George Gershwin (1920er bis 1940er Jahre), folgte auf dem Höhepunkt der „klassischen“ Zeit eine zweite mit Richard Rodgers, der zunächst gemeinsam mit dem Textdichter Lorenz Hart (Babes in Arms (1937), The Boys from Syracuse (1938), Pal Joey (1940) und weitere) und später mit Oscar Hammerstein (Oklahoma! (1943), Carousel (1945), South Pacific (1949), The King and I (1951), The Sound of Music (1959) und weitere) zahlreiche Musicals schuf.
Weitere Vertreter dieser klassischen Zeit sind beispielsweise Frederick Loewe (z. B. My Fair Lady (1956)), Jule Styne (z. B. Blondinen bevorzugt (1949), Gypsy (1959), Funny Girl (1964)), Lionel Bart (z. B. Oliver! (1960)) und Jerry Herman (z. B. Hello, Dolly! (1964), Mame (1966), La Cage aux Folles (1983)).
Ganz wesentlich prägte West Side Story (1957) von Leonard Bernstein die zunehmende Entfernung des Musicals von Pathos und drolliger Komik. Auch Sweet Charity (1966) von Cy Coleman (Musik) und Dorothy Fields (Liedtexte) sowie Cabaret (1966) und Chicago (1975) von John Kander (Musik) und Fred Ebb (Texte) entfernten sich inszenatorisch und musikalisch von älteren Klassikern.
Das Filmmusical
Das Filmmusical, das durch die Erfindung des Tonfilms seit 1927 (The Jazz Singer mit Al Jolson) möglich geworden war, machte die Gattung Musical weltweit beliebt. Zunächst waren dies hauptsächlich Revuefilme. Das Medium Film eröffnete dem Musical neue Dimensionen und ermöglichte mehr Perfektion sowie üppigere Ausstattung. Durch das Verlassen der Bühne wich das Illusionstheater realistischen Landschaftsbildern. Erstmals waren rasche Szenenwechsel ohne Umbaupausen genauso realisierbar wie Nahaufnahmen, die dem Zuschauer das Gefühl vermittelten, in der ersten Reihe des Theaters zu sitzen.
Für das Filmmusical wurden am Anfang der dreißiger Jahre neue Aufnahmetechniken erfunden, mit denen die Betrachter aus der Perspektive des Theaterzuschauers befreit werden sollten: Die sogenannten „Overhead shots“ machten die Choreografien von Busby Berkeley, der für Warner Brothers Musicals produzierte, zum Markenzeichen. Darin bildeten Hunderte von Tänzerinnen menschliche Ornamente.
In Lullaby of Broadway (1934) sieht man Hunderte von stepptanzenden Füßen in riesigen Art-déco-Kulissen. Sein choreographisches Talent sorgte schnell dafür, dass Busby Berkeley für zahlreiche Revuefilme dieser frühen Jahre die Choreographie übernahm (z. B. Die 42. Straße (1933), Goldgräber von 1933 (1933), Parade im Rampenlicht (1933), Dames (1934), Gold Diggers of 1937 (1936), Mädchen im Rampenlicht (1941) und weitere).
Schließlich übernahm er in weiteren Filmen auch die Regie, so z. B. in Die Goldgräber von 1935 (1935), Musik ist unsere Welt (1939), Babes on Broadway (1941), For Me and My Gal (1942) und The Gang’s All Here (1943). Weitere führende Regisseure dieser frühen Revuefilme waren Lloyd Bacon, Roy Del Ruth, George Sidney und Robert Z. Leonard.
Ein Star dieser frühen Revuefilme war Eleanor Powell, die bereits als Kind in einer Vaudeville-Revue auftrat und später für ihre Präzision und Schnelligkeit im Stepptanz bekannt wurde. Zu ihren erfolgreichsten Revuefilmen zählen Broadway-Melodie 1936 (1935), Zum Tanzen geboren (1936), Broadway Melodie 1938 (1938), Die Liebe auf Hawaii (1939), Broadway Melodie 1940 (1940), Lady Be Good (1941), Schiff ahoi! (1942), Der Tollpatsch und die Schöne (1943) und Sensationen für Millionen (1944).
Als erstes richtiges Filmmusical, das sich vom Revuefilm emanzipiert und eine adäquate filmische Umsetzung des Musicals-Genres darstellt, gilt häufig Show Boat aus dem Jahr 1936, das 1951 als Mississippi-Melodie neu (und diesmal in Farbe) verfilmt wurde.
Aber auch die Tanzfilme mit Fred Astaire können als Ursprung des Filmmusicals angesehen werden. In seinen frühen Filmen mit Ginger Rogers sind noch deutliche Anleihen beim Revuefilm erkennbar: zum Beispiel in Scheidung auf amerikanisch (1934), Ich tanz’ mich in dein Herz hinein (1935), Swing Time (1936) und Tanz mit mir (1937).
In seinen späteren Filmen liegen erste Vertreter des Filmmusicals vor: beispielsweise Tänzer vom Broadway (1949) mit Ginger Rogers, Königliche Hochzeit (1951) mit Jane Powell, Die Schönste von New York (1952) mit Vera-Ellen sowie Vorhang auf! (1953) und Seidenstrümpfe (1957) mit Cyd Charisse.
Schon mit den ersten Anfängen in den 1930er-Jahren konnten die Filmmusicals viele Zuschauer begeistern und wurden schnell kommerzielle Erfolge. Diese Beliebtheit des neuen Genres ließ in den 1940er-Jahren die Anzahl der Musical-Filme geradezu explodieren. Erste Regisseure, die für ihre Musical-Filme bekannt waren, waren Charles Walters (z. B. Good News (1947), Osterspaziergang (1948), Tänzer vom Broadway (1949), Summer Stock (1950), Die oberen Zehntausend (1956), Goldgräber-Molly (1964)) und Stanley Donen (z. B. Heut’ gehn wir bummeln (1949), Königliche Hochzeit (1951), Singin’ in the Rain (1952), Eine Braut für sieben Brüder (1954), Vorwiegend heiter (1955), Picknick im Pyjama (1957), Damn Yankees (1958)).
Auch David Butler drehte in diesen frühen Jahren mehrere Musicals, so zum Beispiel Stern vom Broadway (1949), Ein tolles Gefühl (1949), The Daughter of Rosie O’Grady (1950), Bezaubernde Frau (1950), Das Wiegenlied vom Broadway (1951), April in Paris (1952) und Heiratet Marjorie? (1953). Von besonderer Bedeutung war auch Vincente Minnelli; er drehte 1944 Meet Me in St. Louis, in dem Judy Garland, die bereits als Kind in mehreren Filmmusicals mitgewirkt hatte, die Hauptrolle übernahm.
Minnelli und Garland heirateten und aus dieser Ehe stammt Liza Minnelli, die ebenfalls als Musical-Darstellerin Weltruhm erlangte. Weitere Filmmusicals Vincente Minnellis waren Der Pirat (1948, wieder mit Judy Garland), Vorhang auf! (1953) und Gigi (1958). Weitere Filmmusicals Judy Garlands waren beispielsweise Osterspaziergang (1948), Mit Musik ins Glück (1949), Summer Stock (1950) und Ein neuer Stern am Himmel (1954).
Neben Judy Garland machten diese frühen Filmmusicals zahlreiche weitere aufstrebende Künstler zu Weltstars. So zum Beispiel Betty Grable, die bereits als Jugendliche ab 1930 in mehreren Filmen als Statistin auftrat. Der Durchbruch gelang ihr 1940 mit Galopp ins Glück. Danach folgten zahlreiche weitere Filmmusicals wie Tin Pan Alley (1940), Allotria in Florida (1941), Springtime in the Rockies (1942), Coney Island (1943), Dolly Sisters (1945).
Auch Jane Powell bekam 1943 im Alter von 14 Jahren einen Vertrag bei MGM. Ihr erster Film für MGM, das Filmmusical Ball in der Botschaft (1946), wurde ein großer Erfolg und machte sie zum Star. Ihre gute Gesangsstimme und ihr Tanztalent machten sie zu einem der beliebtesten Musicalstars dieser Zeit, und so trat sie in zahlreichen weiteren Filmmusicals auf, wie zum Beispiel in Drei kleine Biester (1948), Wirbel um Judy (1948), Einmal eine Dame sein (1950), Königliche Hochzeit (1951), Eine Braut für sieben Brüder (1954), In Frisco vor Anker (1955).
Eine weitere große Karriere begann 1948, als die damals 16-jährige Debbie Reynolds die Wahl zur „Miss Burbank“ gewann und dort für den Film entdeckt wurde. Zunächst spielte sie nur Nebenrollen in Filmmusicals wie The Daughter of Rosie O’Grady (1950), Drei kleine Worte (1950) und Einmal eine Dame sein (1950), bevor ihr dann mit Singin’ in the Rain (1952) an der Seite von Gene Kelly und Donald O’Connor der Durchbruch gelang. In den folgenden Jahren war sie fast ausschließlich in Filmmusicals zu sehen, zum Beispiel 1953 in Fotograf aus Liebe erneut mit Donald O’Connor, ebenfalls 1953 in Eine Chance für Suzy neben Marge und Gower Champion, oder 1955 in In Frisco vor Anker an der Seite von Tony Martin und Jane Powell. Nachdem ab Mitte der 1950er-Jahre auch Rollen in anderen Filmgenres hinzukamen, feierte sie 1964 wieder einen großen Erfolg mit einem Filmmusical, als sie für Goldgräber-Molly für einen Oscar als beste Hauptdarstellerin nominiert wurde.
Auch Doris Day, die später vor allem mit romantischen Komödien weltweite Popularität erlangte, begann ihre Karriere in Filmmusicals wie Zaubernächte in Rio (1948), Ein tolles Gefühl (1949), Bezaubernde Frau (1950), Das Wiegenlied vom Broadway (1951), April in Paris (1952), Heiratet Marjorie? (1953) und Das blonde Glück (1954).
Diese „Goldene Ära“ des Filmmusicals brachte aber auch bei den männlichen Darstellern mehrere Stars hervor. Einer ihrer größten war Gene Kelly, der als junger Tänzer bereits am Broadway erste Erfolge feierte. Schnell wurde Hollywood auf ihn aufmerksam und im Jahr 1942 stand er für sein erstes Filmmusical For Me and My Gal unter der Regie von Busby Berkeley neben Judy Garland vor der Kamera. Es folgten zahlreiche weitere Filmmusicals (z. B. Thousands Cheer (1943), Broadway Melodie 1950 (1945), Der Pirat (1948)) bei denen er teilweise auch selbst Regie führte, oft gemeinsam mit Stanley Donen: Heut’ gehn wir bummeln (1949), Singin’ in the Rain (1952) und Vorwiegend heiter (1955).
Ein weiterer Star des Filmmusicals dieser Zeit war Donald O’Connor, der bereits mit zwölf Jahren seinen ersten Filmauftritt in dem Filmmusical Melody for Two (1937) hatte. Es folgten zunächst zahlreiche kleinere Rollen in Filmmusicals und anderen Filmgenres, bevor ihm dann 1952 mit Singin’ in the Rain der internationale Durchbruch gelang. Es folgten weitere erfolgreiche Filmmusicals mit ihm in der Hauptrolle, so zum Beispiel Fotograf aus Liebe (1953), Madame macht Geschichte(n) (1953), Walking My Baby Back Home (1953), Rhythmus im Blut (1954).
Eine besondere Stellung hatte das Studio Metro-Goldwyn-Mayer. MGM – und hier vor allem die Produktionen Arthur Freeds – wurde zum Synonym für dieses Genre. Als prägend gelten beispielsweise Filme wie Das zauberhafte Land (1939), Ein Amerikaner in Paris (1951, nach George Gershwin), Singin’ In The Rain (1952) und Seven Brides for Seven Brothers (1954). Beginnend mit Schneewittchen und die sieben Zwerge (1937) benutzte Walt Disney die Musicalform auch für Zeichentrickfilme.
Es fand ein reger Ideenaustausch zwischen dem Broadway als Zentrum des Bühnen-Musicals und Hollywood, dem Mittelpunkt der Filmproduktion, statt. So wurden viele Broadway-Erfolge verfilmt, genauso wie später Filme als Musical-Vorlage dienten. Das Filmmusical konnte durch einprägsame Songs, Witz, akrobatische Tanzkünste, kostspielige Ausstattung und technische Effekte eine abwechslungsreiche Unterhaltung für ein Massenpublikum bilden. So wurde das Musical zur Handelsware und entwickelte sich zu einer „Kulturindustrie“.
Bedeutende Verfilmungen von Bühnen-Musicals sind Annie Get Your Gun (1950), There’s No Business Like Show Business (1954), Oklahoma! (1955), Guys and Dolls (1956), Der König und ich (1956), South Pacific (1958), Music Man (1962), Gypsy (1962), Bye Bye Birdie (1963), Half a Sixpence (1967), Wie man Erfolg hat, ohne sich besonders anzustrengen (1967) und Hello, Dolly! (1969).
Die Blütezeit des revueartigen Filmmusicals mit einem Schwerpunkt auf Tanz und Ausstattung waren die späten 1940er und die 1950er Jahre, danach wurde dieses Genre allmählich unpopulär. Es folgten jedoch noch zahlreiche weitere Filmmusicals, die jedoch (ähnlich der Entwicklung des Bühnen-Musicals) weniger „revuehaft“ waren und mehr Wert auf die Handlung legten. Darunter fanden sich zahlreiche Verfilmungen von Bühnen-Musicals wie z. B. West Side Story (1961), My Fair Lady (1964), The Sound of Music (1965), Funny Girl (1968) und Oliver (1968). Der Tänzer und Choreograph Bob Fosse verlieh als Regisseur dem Film-Musical mit Filmen wie Sweet Charity (1969) und Cabaret (1972) ein ganz eigenes Erscheinungsbild, das zwar wieder revuehafte Aspekte aufwies, diese jedoch in eine für die damalige Zeit sehr moderne Inszenierung einbettete.
Einer der größten Stars des Filmmusicals der 1960er-Jahre war Julie Andrews. Nachdem sie bereits am Theater die Eliza Doolittle in My Fair Lady gespielt hatte und in dieser Rolle Erfolge feierte, war sie auch 1964 für die gleichnamige Filmfassung im Gespräch. Da sie jedoch noch keine Filmerfahrung hatte, wählte man dann für diese Rolle Audrey Hepburn, die jedoch in den Gesangsparts von Marni Nixon synchronisiert wurde.
Im selben Jahr gelang dann Julie Andrews der Durchbruch im Film: im Disney-Filmmusical Mary Poppins spielte sie die Titelfigur, das magische Kindermädchen Mary Poppins, und erlangte damit Weltruhm. Es folgten Hauptrollen in weiteren Musicalfilmen wie The Sound of Music (1965), Modern Millie (1967) und Victor/Victoria (1982), dessen Hauptrolle als Victoria Grant sie auch von 1995 bis 1997 in der auf dem Film basierenden Bühnenfassung Victor/Victoria übernahm.
Die Verfilmungen bekannter Bühnen-Musicals nahmen sich teilweise große Freiheiten und änderten Inhalt, Ablauf und Musik teilweise erheblich. So fehlen in den Filmen Heut’ gehn wir bummeln von 1949 (der Verfilmung des Bühnen-Musicals On the Town), und Blondinen bevorzugt von 1953 (der Verfilmung des gleichnamigen Bühnen-Musicals Blondinen bevorzugt), zahlreiche Musiktitel der Bühnenvorlage. Und in der Verfilmung von Mame aus dem Jahr 1974 wurde der stilistische Charakter der Musik geändert.
Es entstanden jedoch auch weiterhin originäre Filmmusicals, die nicht auf Bühnen-Musicals basierten, so zum Beispiel Der glücklichste Millionär (1967) oder zuvor Mary Poppins (1964), das mit seiner Verbindung aus Realfilm und Zeichentrick in die Filmgeschichte einging und Jahrzehnte später zum Bühnen-Musical wurde: Mary Poppins (2004).
Das Rock-Musical
Ende der 1960er Jahre gingen neue Ideen und Klänge, beeinflusst durch Woodstock, Underground-Musik, 68er-Bewegung und gesellschaftliche Umwälzungen, auch an den Musicals nicht vorbei. Zu dieser Entwicklung gehörte das Musical Hair von 1967, das sich intensiv mit den Problemen Jugendlicher und deren aktueller Lage, wie dem kritisch betrachteten Vietnamkrieg, beschäftigt. Durch eingebaute Mitspielszenen wurde die Barriere zwischen Darstellern und dem Publikum gebrochen. Auch der musikalische Stil und die Instrumentation passten sich den neuen Anforderungen an. Aktuelle Rockmusik verdrängte die sinfonischen Merkmale und die Jazzelemente in der Musik. Das Orchester wurde durch elektroakustische Instrumente wie die E-Gitarre ergänzt oder ersetzt.
Hair (1968) oder Oh! Calcutta! (1969) ersetzten den Handlungsrahmen durch ein provokatives inhaltliches Konzept, das sich wieder mehr der Revue annäherte. Eine neue Art der Satire wie in Richard O’Briens The Rocky Horror Show (1973) wandte sich gegen die mittlerweile als brav empfundene Komik der Musical Comedy. Dessen Verfilmung The Rocky Horror Picture Show aus dem Jahr 1975 wurde ein weltweiter Kultfilm.
Moderne Musicals
Die Phase revolutionären Experimentierens mit neuen Inhalten, Musikstilen und inszenatorischen Ideen der späten 1960er und frühen 1970er Jahre fand schnell wieder ein Ende. Bereits 1972 feierte am Broadway das Musical Grease Premiere, das den Musikstil der 1950er Jahre aufgriff und mit einer klassischen Liebesgeschichte an einer amerikanischen Highschool verband.
1973 schufen Frederick Loewe und Alan Jay Lerner mit Gigi eine Bühnenfassung ihres gleichnamigen Films Gigi von 1958. Mit A Chorus Line von Marvin Hamlisch erschien im Jahr 1975 ein Stück, das inhaltlich neuartig war, indem es das Musical-Genre selbst zum Thema machte und die Auditions für ein Musical und die Persönlichkeiten der Bewerber darstellte. Mit einer Spielzeit von fast 15 Jahren mit über 6.000 Vorstellungen wurde dies das zur damaligen Zeit am längsten laufende Musical am Broadway.
1980 folgte mit 42nd Street mit Musik von Harry Warren ein weiteres Musical, das musikalisch und inszenatorisch an die Klassiker der 1940er bis 1960er Jahre erinnerte. Mit mehrjährigen Spielzeiten am New Yorker Broadway und im Londoner West End bewies auch dieses Musical, dass das klassische Musical keineswegs veraltet war und weiterhin auf großen Publikumszuspruch traf.
Zeitgleich zog bereits ein neuer Trend in der Kompositionsweise auf: Die handlungstragenden gesprochenen Dialoge im alten Stil der Opéra comique verschwanden. Es wurde nun, wie in durchkomponierten großen Opern, durchgehend gesungen. Gesprochene Texte wurden auf ein Minimum reduziert. Die Musik schuf einen lückenlosen Zusammenhang.
Dies bedeutete den Aufstieg des britischen Musical-Komponisten Andrew Lloyd Webber, der bereits in den 1970er Jahren erste Erfolge gefeiert hatte (z. B. 1978 mit Evita) und der ab den 1980er Jahren mit Stücken wie Cats (1980), Starlight Express (1984), Das Phantom der Oper (1986) oder Sunset Boulevard (1993) weltweit bekannt wurde. Der Produzent Cameron Mackintosh brachte seine Stücke in aufwändigen Produktionen auf die Bühne, die einen wahren Musical-Hype auslösten und auch Mackintosh den großen Durchbruch als Musical-Produzent brachten.
Er entdeckte auch das Stück Les Misérables der Franzosen Claude-Michel Schönberg (Musik) und Alain Boublil (Texte), das in Frankreich bereits 1980 Premiere gefeiert hatte und nach einer Überarbeitung 1985 in London Premiere hatte. Auch mit diesem Stück gelang Mackintosh ein Kassenschlager, der sich 1989 mit Miss Saigon (ebenfalls von Boublil & Schönberg) wiederholte. Aufgrund der immer üppiger werdenden Ausstattung stiegen die Investitionen, und zur Refinanzierung mussten sehr lange Laufzeiten erreicht werden, was jedoch mühelos gelang. Auch die Lizenz-Produktionen in anderen Staaten wurden große Erfolge. Dabei setzte auch ein Trend ein, dass die Inszenierungen noch konsequenter als bei den klassischen Musicals vorgegeben wurden und Musik, instrumentelle Besetzung, Kulissen, Kostüme, szenische Realisierung bis hin zur Beleuchtung etc. als unveränderliche Vorlagen für alle Produktionen dienten.
In den USA wurden Andrew Lloyd Webbers Erfolge Evita und Das Phantom der Oper vom amerikanischen Theaterregisseur und Theaterproduzenten Harold Prince produziert, der zuvor bereits als Produzent und Regisseur für Cabaret (1966) und mehrere Musicals von Stephen Sondheim bekannt geworden war und zahlreiche Auszeichnungen und Theaterpreise erlangen konnte.
Auch in Deutschland lösten die Stücke Webbers und des Duos Boublil/Schönberg einen Musical-Boom aus und erzielten langjährige Laufzeiten. Während am Broadway und in London länger laufende En-suite-Produktionen Standard waren, wurde dies nun auch in Deutschland, wo bisher eher kürzere Spielzeiten an Stadttheatern und auf sonstigen Bühnen üblich waren, Standard.
In vielen Städten wurden in den 1990er Jahren neue Musical-Theater gebaut, wo nur noch Musicals im En-suite-Betrieb gezeigt wurden (Neue Flora 1990 in Hamburg, Apollo Theater 1994 in Stuttgart, Theater im Hafen 1994 in Hamburg, Theater am Marientor 1996 in Duisburg, Colosseum Theater 1996 in Essen, Palladium Theater 1997 in Stuttgart, Theater am Potsdamer Platz 1999 in Berlin, Metronom Theater 1999 in Oberhausen). Mit dem für 24 Millionen DM errichteten Starlight Express Theater in Bochum wurde 1988 sogar eine Spielstätte eröffnet, die nur auf dieses eine Musical ausgerichtet ist und wo die Darsteller, die allesamt auf Skatern agieren, aufwändige Brücken-Konstruktionen und mehrere, zwischen den Zuschauern verlaufende Bahnen nutzen können. Ein weiteres besonderes Musical-Theater ist das Werk-7-Theater in München, welches über eine 180-Grad-Bühne verfügt, die es den Darstellern ermöglicht, nach drei Seiten zu spielen.
Neben diesen Musicals, die die Massen anzogen, konnten sich aber auch Komponisten etablieren, deren Stücke nicht dieselbe internationale Bekanntheit erreichten, die aber zumindest im englischsprachigen Raum ebenfalls sehr beliebt sind. Ein Beispiel ist der Komponist und Textdichter Stephen Sondheim, der nach ersten Erfolgen als Textdichter für die Musicals West Side Story (1957) und Gypsy (1959) über Jahrzehnte hinweg Musicals komponierte, die von der Kritik sehr gelobt wurden. Mit seiner Vorliebe für komplizierte Harmonien und Melodien verzichten viele seiner Musicals auf eingängige Melodien, so dass nur wenige Songs aus seinem Bühnenwerk einem breiten Publikum bekannt sind. Zu seinen größten Erfolgen gehören Company (1970), Follies (1971), A Little Night Music (1973), Sweeney Todd (1979) und Sunday in the Park with George (1984).
Seit der Wende zum 21. Jahrhundert gibt es den neuen Trend der sogenannten Jukebox-Musicals, für die bekannte Musiktitel eines Interpreten, einer Stilrichtung, o. ä. teilweise mit Anpassungen verwendet werden und häufig in einen neuen inhaltlichen Zusammenhang gestellt werden. Ein erster Vertreter war bereits 1989 Buddy, das die Geschichte von Buddy Holly erzählt.
1998 folgte Saturday Night Fever, das auf dem gleichnamigen Film basiert und neben der Musik aus dem Film weitere Titel der Bee Gees verwendet. Der endgültige Durchbruch für das Jukebox-Musical kam 1999 mit Mamma Mia!, das die Musik von ABBA in den völlig neuen inhaltlichen Zusammenhang einer Liebesgeschichte und der Suche nach dem Vater einer jungen Frau stellte. Der weltweite Erfolg von Mamma Mia! löste eine wahre Flut an Jukebox-Musicals aus, darunter beispielsweise Jersey Boys (2005), das die Geschichte der Band The Four Seasons zeigt oder Priscilla, Queen of the Desert (2006), das auf dem Film Priscilla – Königin der Wüste basiert und Disco-Musik verschiedener Interpreten verwendet.
Auch in Deutschland hat man die Musik deutschsprachiger Interpreten verwendet, um aus ihnen Jukebox-Musicals zu machen; der erfolgreichste Vertreter ist Ich war noch niemals in New York (2007) mit der Musik von Udo Jürgens, das innerhalb von 10 Jahren an zahlreichen Spielstätten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Japan gezeigt wurde und in dieser Zeit insgesamt mehrere tausend Vorstellungen erreichte.
Als weiterer Trend des modernen Musicals ist seit dem Erfolg des auf dem gleichnamigen Disney-Film Die Schöne und das Biest aus dem Jahr 1991 basierenden Bühnenmusicals Die Schöne und das Biest (1994) zu beobachten, dass die Walt Disney Company immer mehr ihrer Filme auch als Musicalfassung auf die Bühne bringt.
Unabhängig davon lässt sich beobachten, dass im Vergleich zu früher, wo eher literarische Vorlagen oder neu entwickelte Stoffe dominierten, heute häufig Filme die Ideen für neue Musical-Stoffe liefern. Teilweise handelt es sich dabei um Bühnenfassungen von Filmmusicals, in denen Handlung und Musik angepasst werden. Teilweise jedoch auch um Musicals, die nur von der Handlung eines Films inspiriert sind. Beispiele sind Victor/Victoria (1995) von Henry Mancini, Hairspray (2002) von Marc Shaiman, Billy Elliot (2005) von Elton John, Sister Act (2006) und Newsies (2011) von Alan Menken, Kinky Boots (2012) von Cyndi Lauper, Mrs Henderson Presents (2015) von George Fenton und Simon Chamberlain. Doch auch weiterhin gibt es neue Musicals, die auf literarischen Vorlagen basieren, wie zum Beispiel Wicked (2003) von Stephen Schwartz.
Daneben finden auch weiterhin Revivals früherer Musicals große Besucherzahlen. Dabei wird meist an Buch und Musik wenig bis gar nichts geändert und nur die Ausstattung angepasst; Beispiele sind das Revival von Gypsy 2015 im Londoner Savoy Theatre oder von 42nd Street von 2017 bis 2019 im Londoner Theatre Royal Drury Lane. Gelegentlich finden sich jedoch auch Überarbeitungen klassischer Musicals, bei denen Buch und/oder Musik geändert werden; ein Beispiel ist Half a Sixpence, das von 2016 bis 2017 im Londoner Noël Coward Theatre sehr erfolgreich in einer bearbeiteten Version gespielt wurde, bei der das Buch leicht überarbeitet wurde und einige Musiktitel durch neue ersetzt wurden.
Außerdem steigt auch wieder die Zahl der Musical-Verfilmungen. Nachdem Ende der 1960er Jahre ein Ende klassischer Film-Musicals zu verzeichnen gewesen war und es nur noch wenige Filmmusicals (z. B. Stepping Out (1991) und Newsies – Die Zeitungsjungen (1992)) und vereinzelte Verfilmungen von Bühnen-Musicals gegeben hatte (z. B. Grease (1978), Annie (1982), A Chorus Line (1985), Der kleine Horrorladen (1986), eine TV-Neuverfilmung von Gypsy (1993) und Evita (1996)), ist seit Beginn der 2000er Jahre wieder eine Renaissance dieses Film-Genres zu beobachten. So z. B. Chicago (2002), Das Phantom der Oper (2004), The Producers (2005), Rent (2005), Dreamgirls (2006), Hairspray (2007), Mamma Mia! (2008), Les Misérables (2012). Aber nicht nur Verfilmungen erfolgreicher Bühnen-Musicals erleben eine neue Blüte, sondern es gibt auch wieder das klassische Film-Musical ohne Bühnen-Vorlage, so z. B. La La Land, einen der erfolgreichsten Filme des Jahres 2016.
Gleichzeitig lässt sich auch der Trend ausmachen, Musicals nicht zu verfilmen, sondern die Original-Bühnenproduktion aufzuzeichnen und zu veröffentlichen. Diese Entwicklung ist Folge der Kritik, dass moderne Musicalverfilmungen, noch viel mehr als in der klassischen Ära des Film-Musicals, zahlreiche inhaltliche, dramaturgische und musikalische Kürzungen und Änderungen vornehmen. Beispiele für Aufzeichnungen von Bühnen-Musicals sind Victor/Victoria (New York, 1995), Cats (London, 1998), Rent (New York, 2008), Liebe stirbt nie (Australien, 2012), Billy Elliot (London, 2014), Gypsy (London, 2015) und Miss Saigon (London, 2016).
Neben aufgezeichneten Bühnen-Musicals gibt es gelegentlich auch Aufzeichnungen von „konzertanten“ Musical-Aufführungen, also von Musicals, die von Darstellern und einem Orchester live auf der Bühne präsentiert werden, ohne jedoch Ausstattung, Licht, Effekte etc. der Originalproduktionen zu nutzen. Beispiele dafür sind die Aufzeichnung des Konzerts zum 25-jährigen Bühnen-Jubiläum von Les Misérables in London im Jahr 2010 und die Aufzeichnung von Stephen Sondheims Company in New York City im Jahr 2011.
Bedeutende Musical-Komponisten
Es gibt zahlreiche Musical-Komponisten, von denen hier die bedeutendsten, international erfolgreichen Vertreter und ihre wichtigsten Werke genannt werden. Für eine ausführlichere Liste siehe die Liste von Musical-Komponisten.
Lionel Bart (Oliver!)
Irving Berlin (Annie Get Your Gun, Call Me Madam)
Leonard Bernstein (On the Town, Wonderful Town, Candide, West Side Story)
Warren Casey und Barry Gibb (Grease)
Cy Coleman (Sweet Charity)
George Fenton (Mrs Henderson Presents)
George Gershwin (Lady, Be Good, Oh, Kay!, Funny Face, Girl Crazy, Of Thee I Sing, Pardon My English)
Marvin Hamlisch (A Chorus Line)
David Heneker (Half a Sixpence)
Jerry Herman (Hello, Dolly!; Mame, La Cage aux Folles)
Elton John (Aida, Der König der Löwen, Billy Elliot)
John Kander (Cabaret, Chicago, The Act, Kuss der Spinnenfrau)
Jerome Kern (Sally, Show Boat)
Henry Krieger (Dreamgirls)
Cyndi Lauper (Kinky Boots)
Sylvester Levay (Elisabeth, Mozart!, Rebecca)
Frank Loesser (Guys and Dolls, How to Succeed in Business Without Really Trying)
Frederick Loewe (Brigadoon, Paint Your Wagon, My Fair Lady, Camelot, Gigi)
Robert Lopez (Avenue Q, The Book of Mormon)
Galt MacDermot (Hair)
Henry Mancini (Victor/Victoria)
Alan Menken (Der kleine Horrorladen, Die Schöne und das Biest, Der Glöckner von Notre Dame, The Little Mermaid, Sister Act, Newsies, Aladdin)
Lin-Manuel Miranda (In the Heights, Hamilton)
Richard O’Brien (The Rocky Horror Show)
Cole Porter (Gay Divorce, Anything Goes; Kiss Me, Kate; Can-Can, Silk Stockings)
Richard Rodgers und Oscar Hammerstein (Oklahoma!, Carousel, South Pacific, The King and I, The Sound of Music)
Richard Rodgers und Lorenz Hart (On Your Toes, Babes in Arms, The Boys from Syracuse, Pal Joey)
Claude-Michel Schönberg (Les Misérables, Miss Saigon, Martin Guerre)
Stephen Schwartz (Wicked – Die Hexen von Oz)
Marc Shaiman (Hairspray, Catch Me If You Can)
Richard M. Sherman und Robert B. Sherman (Mary Poppins (Film) und Mary Poppins (Bühnenversion) )
Stephen Sondheim (Company, Follies, A Little Night Music, Sweeney Todd, Sunday in the Park with George, Into the Woods, außerdem Liedtexte zu West Side Story und Gypsy)
Jim Steinman (Tanz der Vampire)
Charles Strouse (Bye Bye Birdie, Annie)
Jule Styne (Blondinen bevorzugt, Gypsy, Funny Girl)
Jeanine Tesori (Thoroughly Modern Millie)
Björn Ulvaeus und Benny Andersson (Chess, Kristina från Duvemåla, Mamma Mia!)
Harry Warren (42nd Street)
Andrew Lloyd Webber (Joseph and the Amazing Technicolor Dreamcoat, Jesus Christ Superstar, Evita, Cats, Starlight Express, Das Phantom der Oper, Aspects of Love, Sunset Boulevard, Liebe stirbt nie)
Frank Wildhorn (Jekyll & Hyde, drei zusätzliche Titel zu Victor/Victoria)
Meredith Willson (The Music Man, The Unsinkable Molly Brown)
Maury Yeston (Titanic – Das Musical)
Vincent Youmans (No, No, Nanette)
Werke
Liste von Musicals
Kindermusical
Der Begriff „Kindermusical“ erscheint zuerst Anfang der 1970er Jahre im Bereich des professionellen Kinder- und Jugendtheaters. Während zunächst nur Stücke gemeint waren, die sich zwar an ein jugendliches Publikum richten, jedoch von professionellen Theatern aufgeführt werden, kamen bereits im Lauf der 1970er Jahre auch Stücke hinzu, die auf eine Aufführung durch Kinder und Jugendliche ausgerichtet waren. Ende des Jahrzehnts ist der Begriff des „Kindermusical“ bereits etabliert.
Musicals, die zur Aufführung durch Kinder bestimmt sind, gibt es etwa die Ritter-Rost-Serie von Jörg Hilbert und Felix Janosa, dann die Musicals des Ehepaars Veronika te Reh und Wolfgang König sowie die Musicals von Mechthild von Schoenebeck(-Reiß). Musicals von Peter Schindler (Geisterstunde auf Schloss Eulenstein, Weihnachten fällt aus, Max und die Käsebande, König Keks, Zirkus Furioso und Schockorange) zählen zu den meistgespielten Werken ihrer Art bei Kinder- und Jugendchören in Theatern und Schulen. Zum Mozartjahr 2006 erschien das Kindermusical Amadeus legt los von Thekla und Lutz Schäfer. Weitere Musicals für die Aufführung durch Jugendliche schreibt u. a. Claus Martin (Pinocchio, Heidi, Dracula, das Grusical).
Im Vergleich zu Musicals, die sich an ein erwachsenes Publikum richten (wobei viele dieser Stücke auch für Kinder ab einem gewissen Alter geeignet sein können), ist bei Musicals, die zur Aufführung durch Kinder gedacht sind, häufig das Element Tanz sehr unterrepräsentiert. Meist findet eine Konzentration auf Sprechszenen und Gesang statt, wobei sich bei jüngeren Akteuren vor allem der einstimmige Chor findet. Bei älteren Kindern und Jugendlichen kommen häufig auch Soloparts hinzu. Satzgesang und andere kompliziertere Arrangements finden sich wenig bis gar nicht. Auch die musikalischen Gattungen sind im Vergleich sehr eingeschränkt. Typisch sind weiterhin eine große (aber flexible) Anzahl an Rollen, so dass alle Kinder mitspielen können. Dabei ist auch das Rollenspektrum breit gefächert: durch Rollen mit geringem Textanteil, stumme Rollen etc. können auch schüchternere Kinder mitwirken und an Theaterspiel und Musik herangeführt werden.
Neben den für jugendliche Amateure bestimmten Kindermusicals gibt es weiterhin professionelle Produktionen für Kinder, meist nach Kinderbüchern und -filmen wie Pippi Langstrumpf, Das Sams, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer, Tabaluga, Yakari – Freunde fürs Leben. Einer der meistgespielten Autoren in diesem Bereich ist Christian Berg. Autor und Komponist zahlreicher Kindermusicals, welche auf biblischen Geschichten basieren und somit prädestiniert für Aufführungen in Kirchen oder Gemeindehäusern sind, ist Helmut Jost.
Literatur
Charles B. Axton, Otto Zehnder: Reclams Musicalführer. 10. Auflage. Stuttgart: Reclam 2009, ISBN 3-15-010697-4.
Charles B. Axton, Otto Zehnder: Reclams großes Musical-Buch. Stuttgart: Reclam 1997, ISBN 3-15-010433-5.
Günter Bartosch: Das Heyne Musical-Lexikon. Heyne, 1994 (Erweiterte und aktualisierte Taschenbuchausgabe 1997, ISBN 3-453-06022-9).
Günter Bartosch: Das ist Musical! Eine Kunstform erobert die Welt. Bottrop, Essen: Pomp 1997, ISBN 3-89355-146-8.
Marc Bauch: Selbstreflexivität im amerikanischen Musical. Wiku-Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-86553-414-9 [Buch hat einen hervorragenden Überblick über die Entwicklung des amerikanischen Musicals; mit Selbstreflexivität meint Bauch, wie Musicalautoren – auf Grund fehlender Abhandlungen – in ihren eigenen Werken eine Theorie des amerikanischen Musicals artikulieren.].
Marc Bauch: Das amerikanische Meta-Musical. Wiku-Verlag, Köln 2013, ISBN 978-3-86553-415-6.
Marc Bauch: Europäische Einflüsse im amerikanischen Musical. Tectum Verlag, Marburg 2013, ISBN 978-3-8288-3209-1.
Marc Bauch: The American Musical. Tectum Verlag, Marburg 2003, ISBN 3-8288-8458-X.
Marc Bauch: Themes and Topics of the American Musical after World War II. Tectum Verlag, Marburg 2001, ISBN 3-8288-1141-8.
Rüdiger Bering: Schnellkurs Musical. DuMont, 2006, ISBN 978-3-8321-7723-2.
Helmut Bez, Jürgen Degenhardt, H. P. Hofmann: Musical. Geschichte und Werke, Berlin 1981: VEB Lied der Zeit Musikverlag.
Kevin Clarke: Breaking Free: Die wunderbare Welt des LGBTQ-Musicals. Querverlag, Berlin 2022, ISBN 978-3-89656-322-4.
Armin Geraths, Christian Martin Schmidt: Musical – Das unterhaltende Genre (Reihe: Handbuch der Musik im 20. Jahrhundert, Band 6). Laaber, 2002, ISBN 3-89007-426-X.
Siegmund Helms, Matthias Kruse, Reinhard Schneider (Hrsg.): Lübbes Musical-Führer. Die 19 erfolgreichsten Stücke. Bergisch-Gladbach: Bastei-Lübbe 1998, ISBN 3-404-60445-8.
Wolfgang Jansen: Cats & Co. – Die Geschichte des Musicals im deutschsprachigen Theater. Henschel, Leipzig 2008, ISBN 978-3-89487-584-8.
Wolfgang Jansen: My Fair Lady, Die deutsche Erstaufführung 1961 im Berliner Theater des Westens. Kleine Schriften der Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst, Band 1. Weidler, Berlin 1992, ISBN 3-925191-85-2.
Wolfgang Jansen: Musical kontrovers. Der 1. Deutsche Musical-Kongress, Eine Dokumentation. Herausgegeben von Wolfgang Jansen. Kleine Schriften der Gesellschaft für unterhaltende Bühnenkunst, Band 3. Weidler, Berlin 1994, ISBN 3-925191-90-9.
Wolfgang Jansen: Theater – Musicals – Produzenten, Zur Entwicklungsgeschichte des Musicals in Nordrhein-Westfalen. In: Andreas Vollberg (Hrsg.): Von Trizonesien zur Starlight-Ära, Unterhaltungsmusik in Nordrhein-Westfalen. Musikland NRW, Band 4. Agenda, Münster 2003, ISBN 3-89688-172-8.
Wolfgang Jansen: Das Musical kommt nach Deutschland, Zur Rezeption des populären amerikanischen Musiktheaters im deutschsprachigen Feuilleton der fünfziger Jahre. In: Christiane Schlote, Peter Zenzinger (Hrsg.): New Beginnings in Twentieth-Century Theatre and Drama, Essays in Honour of Armin Geraths. CDE Studies, Band 10. Wissenschaftlicher Verlag, Trier 2003, ISBN 3-88476-639-2.
John Kenrick: Musical Theatre – A History. New York: The Continuum International Publishing Group, 2008, ISBN 0-8264-2860-6 (Hardcover), ISBN 0-8264-3013-9 (Paperback).
John Kenrick: Musical Theatre – A History. 2. erweiterte, stark überarbeitete Auflage. London: Oxford, New York: Bloomsbury Methuen Drama, 2017, ISBN 978-1-4742-6699-4 (Hardcover), ISBN 978-1-4742-6700-7 (Paperback).
Stephan Pflicht: Musical-Führer. Serie Musik, Atlantis-Schott, 2001, ISBN 3-254-08365-2 (Parallelausgabe unter gleichem Titel bei Piper-Schott, 2001, ISBN 3-7957-8206-6).
Siegfried Schmidt-Joos: Das Musical. dtv, 1965.
Mechthild von Schoenebeck: Musical-Werkstatt: Stücke für Kinder und Jugendliche. Beurteilen – Schreiben – Aufführen. Boppard: Fidula, 2006, ISBN 978-3-87226-924-9.
Thomas Siedhoff: Handbuch des Musicals – Die wichtigsten Titel von A–Z. Schott, 2007.
Joachim Sonderhoff, Peter Weck: Musical – Geschichte, Produktionen, Erfolge – Die 55 beliebtesten Musicals. Braunschweig: Georg Westermann Verlag, Augsburg: Weltbild Verlag, verschiedene Auflagen aus verschiedenen Jahren; z. B. Lizenzausgabe im Bechtermünz-Verlag 1996, ISBN 3-89604-016-2.
Hubert Wildbihler, Sonja Völklein: The musical: an international annotated bibliography ; eine internationale annotierte Bibliographie. München: Saur 1986.
Hubert Wildbihler: Das internationale Kursbuch Musicals – Ein kritischer Begleiter durch 500 Werke, mit über 700 Musical-CD-Empfehlungen. Passau 1999.
Hubert Wildbihler: Musicals! Musicals! – Ein internationaler Führer zu 850 Musicals und 3000 Tonträgern. Passau 1992.
Musicals. Geschichte – Shows – Komponisten – Stars. München: Dorling Kindersley 2016, ISBN 978-3-8310-3157-3.
Zeitschriften
Musicals – Das Musicalmagazin
Blickpunkt Musical
Weblinks
deutsch
Deutsches Musicalarchiv
Musicals – Ausführlich mit vielen Fotos und werbefrei
www.musicallexikon.eu – Ur- und Erstaufführungen des deutschsprachigen Theaters seit 1945
englisch
Internet Broadway Database
Broadway World
Einzelnachweise
Gattung des Musiktheaters
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Q2743
| 341.164238 |
6717
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https://de.wikipedia.org/wiki/1709
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1709
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Großer Nordischer Krieg
7. Januar: Die rund zweiwöchige Belagerung von Weprik im Großen Nordischen Krieg endet mit der Erstürmung des ukrainischen Ortes durch die schwedische Armee unter König Karl XII. und Berndt Otto I. von Stackelberg, die dabei aber schwere Verluste erleidet. Am 9. Januar wird die Stadt auf Befehl Karls niedergebrannt und die Festung geschleift.
20. Februar: Karl XII. besiegt die russische Armee unter Carl Ewald von Rönne im Gefecht bei Krasnokutsk, entgeht dabei zwischenzeitlich aber selbst nur knapp dem Tod oder der Gefangennahme.
2. Juli: In Potsdam und Berlin beginnt das Dreikönigstreffen zwischen den Monarchen Dänemarks, Sachsens und Preußens mit dem Ziel, Brandenburg-Preußen zum Kriegseintritt gegen Schweden zu bewegen. Das Treffen zwischen Friedrich IV., August dem Starken und Friedrich I. endet am 17. Juli ohne nennenswertes Ergebnis. Preußen kann sich als Gastgeber glanzvoll präsentieren, muss aber wegen der hohen Repräsentationskosten im Anschluss einen Kredit aufnehmen.
8. Juli: Der russische Zar Peter I. besiegt Schweden in der Schlacht bei Poltawa und leitet damit die Kriegswende im Großen Nordischen Krieg ein. Karl XII. zieht sich mit seinem Heer nach Süden zurück und versucht, das Khanat der Krim zu erreichen. Am 10. Juli müssen sie bei Perewolotschna jedoch feststellen, dass es keine Brücke und keine Furt über die Flüsse Worskla und Dnjepr gibt. Die Boote reichen nicht aus, das gesamte schwedische Heer zu evakuieren.
11. Juli: General Alexander Danilowitsch Menschikow holt die Schweden bei Perewolotschna ein. Um 11 Uhr kapituliert der Großteil des schwedischen Heeres unter Adam Ludwig Lewenhaupt mit rund 14.000 Soldaten, 34 Geschützen und 264 Fahnen. Karl XII. setzt hingegen gemeinsam mit Iwan Masepa, Kost Hordijenko, 900 Schweden und 2000 Kosaken über den Dnjepr und macht sich auf den Weg zum Südlichen Bug, um osmanisches Gebiet zu erreichen. Die verbliebenen Kosaken flüchten größtenteils auf ihren Pferden, um der Bestrafung als Verräter zu entgehen.
Peter nutzt den erlangten Vorteil und befiehlt gleich nach der Schlacht bei Poltawa, die schwedischen Ostseeprovinzen zu erobern.
17. Juli: Die Kolonne König Karls XII. erreicht den Bug, wo der Pascha von Otschakow seine Erlaubnis erteilt, das Osmanische Reich zu betreten.
28. Juli: Im Vertrag von Dresden schließen Dänemark und Sachsen ein Defensiv- und Offensivbündnis gegen Schweden.
20. August: Sächsische Truppen marschieren erneut in Polen ein.
20. Oktober: Der sächsische Kurfürst August der Starke und der russische Zar Peter I. schließen den gegen Schweden gerichteten Vertrag von Thorn. August soll mit gemeinsamen Kräften wieder auf den polnischen Thron gehoben werden. Gegenkönig Stanislaus I. Leszczyński flieht daraufhin mit wenigen Getreuen über Stettin und Stralsund nach Schweden.
22. Oktober: Mit dem Vertrag von Kopenhagen erneuern Dänemark und Russland ihren Allianzvertrag aus dem Jahr 1699. In dem Vertrag kündigt Dänemark den Frieden von Traventhal auf. Dänemark verpflichtet sich, im Herbst die schwedische Provinz Schonen von Norwegen aus anzugreifen. Außerdem soll die dänische Flotte die schwedischen Flottillen in den eigenen Gewässern beschäftigen, damit Russland seine Flotte ungestört ausbauen kann. Russland verpflichtet sich, in die schwedischen Provinzen Finnland und Livland sowie – gemeinsam mit den Sachsen – in Polen einzumarschieren. Beide Monarchen verpflichten sich, August den Starken nach besten Kräften bei der Wiedererlangung der polnischen Königswürde zu unterstützen. Des Weiteren verpflichten sich die Unterzeichner, während des weiteren Kampfes gegen Schweden keine separaten Friedensverhandlungen zu führen.
12. November: Eine dänische Invasionsstreitmacht landet beim Fischerdorf Råå auf Schonen.
14. November: Die Belagerung von Riga durch russische Truppen beginnt.
Comacchiokrieg und Spanischer Erbfolgekrieg
15. Januar: Papst Clemens XI. kapituliert eine Stunde vor Ablauf des kaiserlichen Ultimatums im Comacchiokrieg vor Kaiser Joseph I. und muss die kaiserlichen Friedensbedingungen akzeptieren. Dazu gehört, dass die päpstlichen Truppen bis auf 5000 reduziert werden müssen. Im Kirchenstaat werden sechs kaiserliche Regimenter stationiert. Durch die Bischöfe von Mailand und Neapel werden die in den letzten Jahren gegen kaiserliche Beamte und Feldherren verhängten Kirchenstrafen aufgehoben. Auch ist den Kaiserlichen nunmehr der Durchmarsch durch den Kirchenstaat gestattet. In der Frage der umstrittenen Lehen, das Herzogtum Ferrara und Comacchio, wird allerdings keine Einigung erzielt. In einem geheimen Vertragszusatz, der erst nach einem weiteren Ultimatum zu Stande kommt, anerkennt der Papst Erzherzog Karl als spanischen König.
Graf Wirich Philipp von und zu Daun dringt im Spanischen Erbfolgekrieg von Italien aus mit einer savoyischen Armee in die Dauphiné ein und besiegt James Fitzjames, 1. Duke of Berwick, am 28. Juli im Gefecht bei Conflans. Er muss sich danach aber wieder nach Piemont zurückziehen.
Die Verbündeten setzen mit zwei Heeren über den Rhein nach Frankreich. Während die Reichsarmee zunächst erfolgreich operiert, wird das kaiserliche Korps am 21. August im Gefecht bei Rumersheim zum Rückzug gezwungen. Daraufhin muss sich auch die Reichsarmee zurückziehen.
11. September: In der Schlacht bei Malplaquet in den Spanischen Niederlanden besiegt die alliierte Armee unter Prinz Eugen und dem Duke of Marlborough die französische Armee unter dem Feldherren Villars nach verlustreichen Kämpfen. Die Verluste sind auf beiden Seiten groß, die Schlacht ist die blutigste des Spanischen Erbfolgekrieges.
Während des Spanischen Erbfolgekriegs sichert Großbritannien am 29. Oktober im ersten Barrieretraktat den Vereinigten Provinzen für die Zukunft den Besitz einer Reihe von festen Plätzen zur Sicherung gegen Frankreich zu. Diese Plätze lagen in den spanischen Niederlanden entlang der französischen Grenze.
Weitere Ereignisse in Europa
6. Mai: Alvise Mocenigo II. stirbt. Zu seinem Nachfolger als Doge von Venedig wird Giovanni II. Corner gewählt. Er gilt als Kompromisskandidat der zerstrittenen Adelsfamilien der Seerepublik.
Juni: Abraham Mazel versucht die Kamisarden in den Cevennen neuerlich zu einem Aufstand gegen die französische Krone zu bewegen, wird aber bald vernichtend geschlagen.
Knapp ein Jahr nach dem Tod Frederik von Gabels endet die Gabelzeit auf den Färöern. Eine Königlich Dänische Kommission resümiert die Beschwerden der Bevölkerung und stellt die Staatsmacht auf dem Archipel wieder her. Das Handelsmonopol wird wieder in die Hände der Krone genommen und die Kommission zur Verwaltung der Inseln eingesetzt.
Massenauswanderung der Pfälzer nach Großbritannien und Amerika.
Amerika
Die Stadt Beaufort wird als dritte größere Siedlung in der Province of North Carolina gegründet.
Asien
19. Februar: Tokugawa Ienobu folgt seinem verstorbenen Adoptivvater Tokugawa Tsunayoshi als Shōgun der Edo-Zeit in Japan. Seine Regierung ist stark von konfuzianischen Ideen geprägt.
Nach dem Tod von Phrachao Suea wird sein Sohn Thai Sa König des siamesischen Königreichs Ayutthaya. Im Gegensatz zu der seines Vaters ist seine Regierungszeit relativ friedlich.
Mir Wais Hotak aus dem Stamm der Ghilzai organisiert einen bewaffneten Aufstand der Paschtunen gegen Gurgin Khan, den georgischstämmigen Gouverneur der Safawiden in Kandahar. Nach seinem Sieg über eine große persische Armee gründet er die Hotaki-Dynastie.
Sikh-Aufstand in Indien – Den Sikhs gelingt es unter ihrem Anführer Banda Bahadur nach der Schlacht bei Samana die wichtigen Städte Sonepat und Kaithal im Nordwesten zu erobern.
Afrika
Mwezi III. Ndagushimiye wird Nachfolger von Ntare I. Rushatsi als König von Burundi.
Wirtschaft
12. April: Der von Joseph Addison und Richard Steele herausgegebene Tatler erscheint erstmals. Die literarische Zeitschrift erscheint dreimal pro Woche im Umfang von zwei Seiten. Zielgruppe ist das geistig interessierte städtische Bürgertum, das sich in den Kaffeehäusern von London trifft. Hauptgegenstand der Zeitschrift ist, dem Genre der Moralischen Wochenschriften entsprechend, stets ein Sitten, Gebräuche und geistige Probleme diskutierender Aufsatz.
Der aus Santa Maria Maggiore stammende Kaufmann Giovanni Battista Farina gründet am 13. Juli in Köln die Firma G.B.Farina, die heute älteste bestehende Eau-de-Cologne- und Parfüm-Fabrik der Welt. Nachdem er am 24. Juli das kleine Kölner Bürgerrecht erhalten hat, erwirbt er am 1. August mit Unterstützung seines Onkels ein Geschäftslokal und beginnt mit dem Verkauf. Das Unternehmen wird nach Aufnahme des Teilhabers und Schwagers Franz Balthasar Borgnis noch im gleichen Jahr in Farina & Compagnie umbenannt.
In Frankreich wird die dritte Senegalkompanie gegründet.
Auf Initiative von Sulchan-Saba Orbeliani gründet Wachtang VI. in Tiflis die erste Druckerei Georgiens.
Wissenschaft und Technik
Der italienische Bauer Ambrogio Nucerino entdeckt beim Ausheben eines Brunnens in seinem Gemüsegarten antike Marmorfragmente. Es stellt sich heraus, dass er das seit 1600 Jahren verschüttete Herculaneum entdeckt hat.
Kultur
17. Januar: In Düsseldorf findet die Uraufführung der Oper Tassilone von Agostino Steffani statt. Das Libretto stammt von Stefano Benedetto Pallavicini.
26. Juli: Die Uraufführung der Oper Desiderius, König der Langobarden von Reinhard Keiser findet am Theater am Gänsemarkt in Hamburg statt.
26. Dezember: Die Oper Agrippina von Georg Friedrich Händel auf das Libretto von Vincenzo Grimani hat ihre Uraufführung am Teatro San Giovanni Grisostomo in Venedig. Händel erringt damit seinen bis dahin größten Erfolg als Opernkomponist. Die Titelrolle wird von Margherita Durastanti gesungen.
Der katholische Knabenchor der Dresdner Kapellknaben wird gegründet.
Das Zentrale Museum der Seekriegsflotte wird in Sankt Petersburg gegründet.
Gesellschaft
2. Februar: Der schottische Seemann Alexander Selkirk wird nach knapp fünf Jahren durch Kapitän Woodes Rogers und William Dampier von dem zu den Juan-Fernández-Inseln gehörenden unbewohnten Eiland Más a Tierra geborgen. Sein Schicksal liefert Stoff für Daniel Defoes Roman Robinson Crusoe.
Religion
6. April: Die Gebiete der früheren deutschen Bistümer Minden, Verden, Halberstadt, Magdeburg, Havelberg, Brandenburg, Merseburg und Naumburg werden als Apostolisches Vikariat Ober- und Niedersachsen zusammengefasst, zu dessen Sitz Hannover wird.
Katastrophen, Natur und Umwelt
Der Winter 1708/1709
Der Winter in Europa in den ersten Monaten des Jahres 1709 ist sehr hart. Ein Jahrhundertwinter, der selbst noch Länder wie Portugal und Italien trifft. Die Schäden führen zu Missernten, Teuerung und auch Hungersnot in vielen Teilen Europas.
Letzte Frostnacht soll im Trierer Raum am 7. Juli gewesen sein. Die anschließende Dürre führt zu einer Hungersnot im Trierer Raum. Als Hauptursache wird eine stark negative Phase der Nordatlantischen Oszillation (NAO) vermutet.
Der Gardasee ist im Winter 1708/09 erstmals komplett zugefroren, auch der Bodensee ist „größtenteils“ zugefroren. Die Voraussetzungen reichen demnach nicht zu einer Seegfrörne.
Auch aus anderen Regionen Europas wird von einem schweren Winter berichtet. Aus Berichten vom Versailler Hof weiß man, dass selbst an der königlichen Tafel das Wasser gefror.
Die Pest
In großen Teilen Europas wütet seit dem Vorjahr eine große Pestepidemie. In Danzig kommt beinahe die Hälfte der Bevölkerung ums Leben. Auch auf dem Gebiet des späteren Ostpreußen wütet zwei Jahre lang die Große Pest, der ein Drittel der Bevölkerung und die gesamte Landwirtschaft zum Opfer fällt.
Damit zumindest die Untertanen in Berlin verschont werden und König Friedrich nicht anstecken können, wird am 24. November die Stadt abgeriegelt und mit Kabinettsorder die Einrichtung eines Pesthauses angeordnet. Daraus wird 1710 die Berliner Charité.
Brandkatastrophen
22. April: Beim zweiten großen Stadtbrand in der Bautzener Geschichte wird die Stadt zum großen Teil zerstört.
Geboren
Erstes Halbjahr
1. Januar: Johann Bätz, deutsch-niederländischer Orgelbauer († 1770)
17. Januar: George Lyttelton, 1. Baron Lyttelton, britischer Staatsmann, Historiker und Kunstmäzen († 1773)
22. Januar: Joseph Riepel, deutscher Musiktheoretiker, Violinist und Komponist († 1782)
24. Januar: François Dom Bédos de Celles, französischer Benediktiner, Orgelbauer und Verfasser von Fachliteratur († 1779)
16. Februar: Carl Christoph Oelhafen von Schöllenbach, Forstwissenschaftler, Naturforscher und Waldamtmann der freien Reichsstadt Nürnberg († 1785)
24. Februar: Jacques de Vaucanson, französischer Ingenieur, Erfinder und Flugpionier († 1782)
2. März: Nicolas-François Gillet, französischer Bildhauer und Hochschullehrer († 1791)
3. März: Andreas Sigismund Marggraf, deutscher Chemiker († 1782)
10. März: Georg Wilhelm Steller, deutscher Naturforscher († 1746)
14. März: Sten Carl Bielke, Mitbegründer der Schwedischen Akademie der Wissenschaften († 1753)
26. März: Wassili Jewdokimowitsch Adodurow, russischer Mathematiker, Philologe und Hochschullehrer († 1780)
28. März: Alexei Grigorjewitsch Rasumowski, Feldmarschall der Kaiserlich Russischen Armee und Liebhaber von Kaiserin Elisabeth Petrowna († 1771)
30. April: Christian Gottlieb Ludwig, deutscher Arzt und Botaniker († 1773)
9. Mai: Jacob von Staehlin, deutscher Universalgelehrter und Staatsrat in russischen Diensten († 1785)
9. Juni: François de Fitz-James, Erster Hofkaplan des französischen Königs Ludwig XV. und Bischof von Soissons († 1764)
11. Juni: Joachim Martin Falbe, deutscher Bildhauer, Radierer und Zeichner († 1782)
15. Juni: Louis de Bourbon, Graf von Clermont, französischer Kirchenmann, General und Libertin († 1771)
Zweites Halbjahr
3. Juli: Wilhelmine von Preußen, Fürstin von Bayreuth († 1758)
5. Juli: Étienne de Silhouette, französischer Generalkontrolleur der Finanzen († 1767)
8. Juli: Jan de Witte, polnischer Architekt und Generalleutnant der Kronarmee († 1785)
11. Juli: Johan Gottschalk Wallerius, schwedischer Chemiker und Mineraloge († 1785)
8. August: Ernst Ludwig II., Herzog von Sachsen-Meiningen († 1729)
8. August: Tokugawa Ietsugu, 7. Shōgun der Edo-Zeit in Japan († 1716)
8. August: Heřman Antonín Jelínek, tschechischer Komponist und Violinvirtuose († 1779)
10. August: Johann Georg Gmelin, deutscher Sibirienforscher und Botaniker († 1755)
10. August: Jean-Jacques Lefranc de Pompignan, französischer Schriftsteller († 1784)
21. August: Friedrich Heinrich, Markgraf von Brandenburg-Schwedt († 1788)
21. August: Luise von Anhalt-Dessau, Fürstin von Anhalt-Bernburg († 1732)
15. September: Konrad Friedrich Ernst Bierling, deutscher lutherischer Theologe († 1755)
18. September: Samuel Johnson, englischer Gelehrter, Schriftsteller, Dichter, Kritiker und Lexikograph († 1784)
22. September: Germann August Ellrod, deutscher evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1760)
25. Oktober: Georg Gebel der Jüngere, deutscher Komponist († 1753)
27. Oktober: Friederike Alexandrine Moszyńska, sächsisch-polnische Adelige († 1784)
2. November: Anna von Großbritannien, Irland und Hannover, Princess Royal und Prinzessin von Oranien († 1759)
11. November: Johann Peter Benkert, Hofbildhauer in Bamberg und Gastwirt in Potsdam († 1765 oder 1769)
22. November: Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, „Abt Jerusalem“ genannt, deutscher protestantischer Theologe († 1789)
23. November: Julien Offray de La Mettrie, französischer Arzt und Philosoph († 1751)
11. Dezember: Louise Élisabeth de Bourbon-Orléans, Königin von Spanien († 1742)
24. Dezember: Johann Evangelist Holzer, deutsch-österreichischer Maler des Augsburger Barock († 1740)
29. Dezember: Elisabeth, Kaiserin von Russland († 1762)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Ernst Friedrich Arendt, preußischer Beamter († 1762)
John Armstrong, schottischer Arzt und Dichter († 1779)
Petru Pavel Aron, rumänischer Bischof († 1764)
Geboren um 1709
Joseph Saint-Pierre, französischer Architekt († 1754)
Gestorben
Januar bis April
6. Januar: Louise de Prie de La Mothe-Houdancourt, Gouvernante der Kinder und Enkel Ludwigs XIV. (* um 1624)
6. Januar: Michael Strauch, deutscher Mathematiker (* 1635)
10. Januar: Peter Hotton, niederländischer Mediziner und Botaniker (* 1648)
14. Januar: Kambaksh, Prinz der indischen Mogul-Dynastie (* 1667)
19. Januar: Elisabetta Querini, Dogaressa von Venedig (* 1628)
20. Januar: François d’Aix de Lachaise, französischer Jesuit (* 1624)
24. Januar: Bartolomeo Guidobono, italienischer Maler und Freskant (* 1654)
24. Januar: George Rooke, englischer Admiral (* 1650)
26. Januar: Eleonore Charlotte von Sachsen-Lauenburg, Herzogin von Schleswig-Holstein-Sonderburg (* 1646)
Januar: Carel Allard, niederländischer Kunsthändler, Kartograph und Kupferstecher (* 1648)
4. Februar: Anne de Rohan-Chabot, Fürstin von Soubise und Mätresse Ludwigs XIV. (* 1648)
8. Februar: Giuseppe Torelli, italienischer Violinist und Komponist (* 1658)
9. Februar: Johann Christoph Boecklin, deutscher Kupferstecher (* 1657)
11. Februar: Jean-Antoine de Mesmes, comte d’Avaux, französischer Diplomat (* 1640)
11. Februar: Luise Hollandine von der Pfalz, Äbtissin des Klosters Maubuisson, Malerin und Kupferstecherin (* 1622)
17. Februar: Erik Benzelius der Ältere, schwedischer lutherischer Theologe und Erzbischof von Uppsala (* 1632)
19. Februar: Tokugawa Tsunayoshi, Shōgun der japanischen Tokugawa-Dynastie (* 1646)
21. Februar: Ludwig-Ferdinand, Graf von Lippe-Brake (* 1680)
22. Februar: François Louis de Bourbon, Fürst von Conti (* 1664)
23. Februar: Paul Gottfried Sperling, deutscher Mediziner (* 1652)
1. März: Juan de Peñaloza, spanischer Jurist und Kolonialverwalter, Vizekönig von Peru (* um 1625)
15. März: James Thynne, englischer Politiker (* 1644)
1. April: Henri Jules de Bourbon, Fürst von Condé (* 1643)
2. April: Giovanni Battista Gaulli, genannt Baciccio, italienischer Maler (* 1639)
5. April: Roger de Piles, französischer Maler, Graveur, Kunstkritiker und Diplomat (* 1635)
15. April: Amalia Regina von Zinzendorf, Reichsgräfin von Ortenburg (* 1663)
20. April: Thomas Fredenhagen, Lübecker Kaufmann, Ratsherr und Mäzen (* 1627)
20. April: Johann Ernst von Thun und Hohenstein, Fürsterzbischof von Salzburg (* 1643)
25. April: Vincenzo Minutoli, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer (* 1639)
Mai bis August
1. Mai: Samuel Bachmann, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1636)
4. Mai: Eleonore Klara, Gräfin von Nassau-Saarbrücken (* 1632)
6. Mai: John Lovelace, 4. Baron Lovelace, englischer Gouverneur in den Provinzen New York und New Jersey (* 1672)
6. Mai: Alvise Mocenigo II., Doge von Venedig (* 1628)
28. Mai: Friederike von Sachsen-Gotha-Altenburg, Fürstin von Anhalt-Zerbst (* 1675)
12. Juni: Jacob Born, kursächsischer Jurist und Bürgermeister von Leipzig (* 1638)
14. Juni: Franz Ernst von Platen, Reichsgraf von Platen-Hallermund (* 1631)
14. Juni: Gabriel Nicolas de la Reynie, erster Generalleutnant der französischen Polizei (* 1625)
25. Juni: Friedrich VII. Magnus, Markgraf von Baden-Durlach (* 1647)
2. Juli: Jakob Scheiffelhut, deutscher Musiker und Komponist (* 1647)
9. Juli: Christopher Slaughterford, erste Person in England, die nur aufgrund von Indizien verurteilt und hingerichtet wurde
17. Juli: Pascal Collasse, französischer Komponist (* 1649)
18. Juli: Antonio Franchi, italienischer Maler und Kunsttheoretiker (* 1638)
30. Juli: Edward Lhuyd, walisischer Natur- und Geisteswissenschaftler (* 1660)
30. Juli: John Seymour, englischer bzw. britischer Kolonialgouverneur von Maryland (* 1649)
4. August: Elisabeth Amalie von Hessen-Darmstadt, Herzogin von Pfalz-Neuburg, Jülich und Berg sowie Kurfürstin von der Pfalz (* 1635)
23. August: Domenico Manuel Caetano, italienischer Abenteurer, Hochstapler, Alchemist und angeblicher Goldmacher (* um 1670)
24. August: Elisabeth Dorothea von Sachsen-Gotha-Altenburg, Regentin der Landgrafschaft Hessen-Darmstadt (* 1640)
29. August: Johann Friedrich Schweitzer, deutscher Alchimist, Botaniker und Mediziner (* 1630)
31. August: Andrea Pozzo, italienischer Maler und Architekt (* 1642)
September bis Dezember
4. September: Jean-François Regnard, französischer Schriftsteller (* 1655)
5. September: Johann Georg Neumann, deutscher lutherischer Theologe und Kirchenhistoriker (* 1661)
7. September: Gunno Eurelius Dahlstierna, schwedischer Landvermesser und Dichter (* 1661)
9. September: Bella Perlhefter, Prager jüdische Schriftstellerin, professionelle Briefschreiberin und Musiklehrerin (* um 1650)
11. September: Christian Siegmund von Aschersleben, preußischer Oberst
21. September: Iwan Masepa, ukrainischer Kosakenhetman (* 1639)
September: Thomas Quellinus, flämischer Bildhauer (* 1661)
9. Oktober: Barbara Villiers, 1. Duchess of Cleveland, englische Adelige, Mätresse König Karls II. (* 1640)
14. Oktober: Lee Seo-woo, koreanischer Philosoph, Dichter und Politiker (* 1633)
14. Oktober: Wilhelm, Fürst von Anhalt-Harzgerode (* 1643)
17. Oktober: François Mauriceau, französischer Arzt, Chirurg und Geburtshelfer (* 1637)
17. Oktober: Gregor Anton Oginski, polnisch-litauischer Hetman und General-Gouverneur des Herzogtums Samogitien (* 1654)
1. November: Ludwig Friedrich zu Wied, deutscher Adeliger, Soldat und Hofbeamter (* 1656)
8. November: Dimitri von Rostow, Metropolit in Rostow (* 1651)
23. November: Johann Wilhelm Bentinck, 1. Earl of Portland, niederländisch-englischer Höfling und Diplomat (* 1648)
1. Dezember: Abraham a Sancta Clara, deutsch-österreichischer katholischer Geistlicher und Schriftsteller (* 1644)
7. Dezember: Meindert Hobbema, niederländischer Maler (* 1638)
8. Dezember: Thomas Corneille, französischer Literat und Dramatiker (* 1625)
23. Dezember: Alexandros Mavrokordatos, Dragoman (Dolmetscher) im Osmanischen Reich (* 1641)
26. Dezember: Johann Philipp Bendeler, deutscher Organist und Orgeltheoretiker (* 1654)
26. Dezember: Justus Philipp Meyenberg, deutscher evangelischer Theologe (* 1642)
Genaues Todesdatum unbekannt
Abdul Rahman Mohmand, paschtunischer Sufi-Dichter (* um 1651)
Phrachao Suea, König von Ayutthaya
Einzelnachweise
Weblinks
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Q6857
| 224.165179 |
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https://de.wikipedia.org/wiki/Verkehrsflugzeug
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Verkehrsflugzeug
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Ein Verkehrsflugzeug (umgangssprachlich Verkehrsmaschine) ist ein Flugzeug, das von Fluggesellschaften, Frachtfluggesellschaften und Privatbetreibern im öffentlichen Verkehr betrieben wird und dessen hauptsächlicher Einsatzzweck der kommerziell ausgerichtete Transport von Passagieren oder Frachtgut ist. Als Passagierflugzeug (auch Reiseflugzeug) bezeichnet man darüber hinaus allgemeiner auch die Gruppe der kommerziellen Verkehrsflugzeuge einschließlich der primär als Charter- oder Privatmaschinen konzipierten zivilen Flugzeuge (Geschäftsreiseflugzeuge).
„Passagierjet“ und „Düsenverkehrsflugzeug“ sind umgangssprachliche Bezeichnungen für ein von Strahltriebwerken angetriebenes Passagierflugzeug. Jene bilden den heute vorherrschenden Antriebstyp – obschon gerade bei den Kleinmaschinen der Kurzstreckensparte die moderne Propellertechnik (Propellerflugzeug) weiterhin durchaus eingesetzt wird, weil sie erheblich treibstoffsparender ist.
Grundlagen
Die in einem Verkehrsflugzeug vorhandene Ausstattung und der angebotene Komfort richtet sich nach der Art der Fluggesellschaft (siehe auch Billigfluggesellschaft) und der gebuchten Beförderungsklasse (First, Business und (Premium) Economy), sowie auch der Wünsche der Privatbetreiber und Bedürfnisse der Spediteure.
Größere moderne Verkehrsflugzeuge sind mit einer Druckkabine ausgerüstet, um den Luftdruck im Inneren der Kabine auch in großen Flughöhen auf einem für Menschen erträglichen Niveau halten zu können. Des Weiteren besitzt heute fast jedes Verkehrsflugzeug eine Klimaanlage.
Ende 2012 waren weltweit 20.310 Verkehrsflugzeuge mit über 30 Sitzplätzen im Einsatz.
Geschichte
Die Sikorsky Ilja Muromez war 1914 das erste als solches konstruierte Passagierflugzeug mit geschlossener, beheizter und beleuchteter Passagierkabine für 16 Personen mit Schlafraum und Toilette. Die Vorgängermodelle Sikorsky Russki Witjas, „Bolschoi Baltijski“ und „Le Grand“ waren noch als Experimentalflugzeuge einzuordnen. Das erste Ganzmetall-Verkehrsflugzeug war die Junkers F 13 von 1919.
Lockheed entwickelte mit der Lockheed 9 Orion 1931 das erste Verkehrsflugzeug mit Einziehfahrwerk. Die deutsche Junkers Ju 52/3m wurde ab 1932 in großer Stückzahl hergestellt und weltweit eingesetzt. Mit der Douglas DC-3 gelang Douglas 1935 in Bezug auf Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit ein Sprung nach vorn. Das erste Verkehrsflugzeug mit Druckkabine war 1938 die Boeing 307 Stratoliner.
Die Lockheed Constellation von 1943 war das erste Verkehrsflugzeug im transkontinentalen Linienverkehr in den USA. Sie war der Höhepunkt der Entwicklung von durch Kolbenmotoren angetriebenen Verkehrsflugzeugen. 1948 wurde mit der Vickers Viscount das erste Turboprop-Verkehrsflugzeug und mit der Vickers 618 Nene-Viking das erste Düsenverkehrsflugzeug gebaut. Das erste ab 1949 in Serie gefertigte Düsenverkehrsflugzeug war die De Havilland DH.106 Comet.
Das erste Kurzstrecken-Düsenverkehrsflugzeug mit am Rumpfheck angeordneten Triebwerken und einem „sauberen“ Tragflügel war 1955 die Sud Aviation Caravelle. Die Boeing 707 war 1957 das erste mit Strahltriebwerken ausgestattete Langstreckenflugzeug.
Die sowjetische Tupolew Tu-114 war das leistungsstärkste und schnellste Turboprop-Verkehrsflugzeug der Welt. Am 9. April 1960 flog eine Tu-114 mit 25 Tonnen Nutzlast über eine Strecke von 5000 Kilometern mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 877,212 km/h, was bis heute der offizielle FAI-Geschwindigkeitsrekord für propellergetriebene Flugzeuge ist. Im Vergleich dazu liegt die Geschwindigkeit einer Boeing 777 (Erstflug: 1994) mit 896 km/h (auf 10.670 Meter) nur wenig höher. Die Tu-114 war von 1961 bis 1983 im Linieneinsatz; der mit ihr verwandte strategische Langstreckenbomber Tu-95 soll bis mindestens 2040 eingesetzt werden.
Die Antonow An-22 absolvierte 1965 ihren Erstflug und blieb bis zur Vorstellung der Boeing 747 das größte Flugzeug der Welt. Sie ist heute noch die größte Turboprop-Maschine. Der Erstflug des bis heute erfolgreichsten Verkehrsflugzeuges, der Boeing 737, fand 1967 statt. Sie ist bis heute international in vielen Varianten als Kurz- und Mittelstreckenpassagierflugzeug im Einsatz.
Die Tupolew Tu-144 war 1968 das erste Überschall-Verkehrsflugzeug.
Einen Sprung nach vorne in Bezug auf die Flugzeuggröße und Reichweite machte Boeing 1969 mit dem Boeing 747 „Jumbo Jet“. Es war der erste Großraumjet; die Fluggesellschaft Corsairfly hielt mit 582 (im Jahr 2006 sogar 587) Sitzplätzen den Rekord für die höchste Passagierkapazität der B747. Inzwischen sind die Maschinen lockerer bestuhlt. Die Hughes H-4 hätte bis zu 750 Passagiere befördern sollen. 1947 fand jedoch nur ein Versuchsflug mit Bodeneffekt statt.
Das erste zweistrahlige Großraumflugzeug war 1972 der europäische Airbus A300. Die Concorde, das wohl bekannteste Überschall-Verkehrsflugzeug, startete 1976 das erste Mal zu kommerziellen Linienflügen.
Im Airbus A320 wurde 1987 das erste Mal in einem Verkehrsflugzeug Glascockpit, Fly-by-wire-Steuerung und ein Sidestick anstelle eines Steuerhorns eingesetzt. Zudem erhöhte eine verfeinerte Computersteuerung die Wirtschaftlichkeit und verhinderte Lastüberschreitungen durch Begrenzung der Steuerbefehle auf ein bestimmtes Maß innerhalb des sogenannten „Flight Envelopes“.
Der Airbus A380 war 2005 das erste Großraum-Verkehrsflugzeug mit zwei durchgehenden Passagierdecks übereinander (four-aisle). So konnte die Passagierkapazität der Boeing 747 übertroffen werden – Emirates setzt inzwischen (Stand: 2017) A380 mit 615 Passagierplätzen ein. Kunststoffverbundmaterialien wurden in so weitreichendem Umfang wie vorher noch bei keinem Verkehrsflugzeug eingesetzt, um Gewicht zu sparen und somit einen deutlichen Wirtschaftlichkeitsvorteil zu erreichen.
Hersteller
Der Markt der Verkehrsflugzeuge mit über 100 Sitzplätzen wird seit der Fusion der beiden amerikanischen Hersteller Boeing und McDonnell Douglas weitestgehend von zwei Anbietern in einem sog. Duopol bedient:
Airbus aus Europa
Boeing (einschließlich McDonnell Douglas) aus den USA
Im Bereich der sogenannten Regionalverkehrsflugzeuge mit 30 bis 120 Sitzplätzen bieten folgende Firmen Flugzeuge an, wobei die drei ersten den Markt klar dominieren:
ATR aus Italien und Frankreich
Bombardier (ex Canadair) aus Kanada
Embraer aus Brasilien
Antonow aus der Ukraine
Suchoi aus Russland
Tupolew aus Russland
ACAV (AVIC Aviation Industry Corporation of China) aus China
Mitsubishi Aircraft Corporation aus Japan
Folgende Firmen haben ihre Tätigkeit im Zuge der immer stärkeren Unternehmenskonzentration des Flugzeugherstellermarktes seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges als Entwickler neuer Verkehrsflugzeuge eingestellt bzw. entwickeln zurzeit keine neuen Typen:
British Aerospace aus Großbritannien
Convair aus den USA
Fairchild Dornier aus Deutschland
Fokker aus den Niederlanden
Iljuschin aus Russland
Lockheed aus den USA
Martin aus den USA
NAMC aus Japan
Saab aus Schweden
Short Brothers aus Großbritannien.
Regionalverkehrsflugzeug
Unter einem Regionalverkehrsflugzeug versteht man ein kleineres Verkehrsflugzeug, das im sogenannten Regionalluftverkehr, also auf kurzen oder weniger gefragten Routen eingesetzt wird. Meist zielt das Angebot auf den hochpreisigen Sektor der Geschäftsreisenden, denn die Sitzkilometerkosten sind mit den Kosten der Billigfluglinien nicht konkurrenzfähig. Große Fluglinien lagern daher gern den Regionalverkehr in eine Tochtergesellschaft aus, um dem Kostendruck besser entgegnen zu können. Regionalflüge machen nämlich einen großen Anteil der Flugbewegungen aus, erbringen jedoch nur einen geringen Anteil der Sitzkilometer. Der Regionalverkehr ist für große Fluggesellschaften nötig, um Passagiere zu den Drehkreuzen zu bringen und so die großen Langstreckenflugzeuge zu füllen.
Es sind üblicherweise zwei Triebwerke montiert (Ausnahme: BAe 146), sowie bis zu 70, in manchen Definitionen auch bis zu 120 Sitzplätze. Ein Mittelgang trennt je nach Rumpfbreite die Sitzanordnung 1+2 oder 2+2, bei größeren Modellen auch 2+3 oder 3+3. Die kleinsten Maschinen dieser Flugzeugklasse wie Embraer EMB 120 und Saab 340 bieten Platz für ca. 30 Passagiere.
Von grundlegender Bedeutung ist die Art der Triebwerke. Im Regionalflugverkehr hat ein Turboprop mit 450 bis 650 km/h einen Geschwindigkeitsnachteil gegenüber den mit Strahltriebwerk betriebenen Regionaljets. Aktuelle Regionaljets erreichen Geschwindigkeiten, die denen von Mittelstreckenflugzeugen in nichts nachstehen, also etwa 700–900 km/h. Da es mittlerweile eine große Anzahl dieser Regionaljets gibt (etwa die Bombardier Regional Jets oder die Regionaljets von Embraer), sah es eine Zeit lang so aus, als stünden die Flugzeuge mit Turbopropantrieb vor ihrem Ende. Angesichts steigender Treibstoffpreise kündigte sich 2005 allerdings so etwas wie eine Renaissance des Turbopropantriebs an, da dieser einen wesentlich niedrigeren Treibstoffverbrauch hat. Dieses führte zu einer steigenden Nachfrage sowohl bei ATR als auch bei Bombardier (für die Q-Serie). Durch den Einbau von sogenannten Active Noise Reduction-Systemen wurde zudem der Kabineninnenlärm der Propeller deutlich reduziert.
Ein Vorteil der Turbopropellermaschinen gegenüber den Regionaljets ist der geringere Treibstoffverbrauch und die deutlich kürzere Start- und Landestrecke, die sie für Flüge von und zu kleineren Flughäfen interessant macht. Vergleichbare geringe Werte für Start- und Landestrecke erreichen bei den Regionaljets nur speziell für diesen Zweck entworfene Maschinen, so z. B. die BAe-146.
Zubringerflugzeug
Ein Zubringerflugzeug (englisch: Commuter Aircraft oder Feederliner) ist ein kleines Kurzstrecken-Verkehrsflugzeug für höchstens 19 Passagiere und mit einem maximalen Startgewicht (MTOW) von 8.618 kg (19.000 lbs). Dabei handelt es sich um die kleinste Klasse von Verkehrsflugzeugen nach den Regionalverkehrsflugzeugen. Diese Kategorie entstand nominell um Mitte der 1940er Jahre in Großbritannien, als der Bedarf nach entsprechenden Flugzeugen erkannt wurde, erlebte jedoch in den 1950er Jahren in den USA den ersten echten Einsatz im kommerziellen Luftverkehr. In den 1970er Jahren entstanden neue konkrete Anforderungen für Zubringerflugzeuge als sich die Hub and Spoke-Struktur (Nabe und Speiche) mit Drehkreuzen bzw. Knotenpunkten in der Luftfahrt durchsetzte. Zum Pendeln (engl. commute) zwischen kleineren Endknoten und Zentralknoten wurden Kurzstreckenflugzeuge für rund 15 Passagiere benötigt. Daraufhin entwickelten die Luftfahrtbehörden wie etwa die US-amerikanische Federal Aviation Administration (FAA) für diese Flugzeugklasse angepasste Zulassungsvorschriften. Zum Beispiel behandelt die Zulassungvorschrift CS-23 (Certification Specifications) der EASA Normal, Utility, Aerobatic and Commuter Aeroplanes mit maximal 19 Sitzplätzen (ohne Besatzung) und einem maximalen Startgewicht von 8.618 kg (19.000 lbs). Es werden vereinzelt aber auch noch kleinere Maschinen als Zubringerflugzeuge eingesetzt, die je nach Typ 6 bis 10 Sitzplätze haben können.
QC-Verkehrsflugzeug
Ein QC-Verkehrsflugzeug (QC aus dem Englischen für quick change, also Schnellumrüstung) ist die Bezeichnung für Verkehrsflugzeuge, die durch schnelles Umrüsten der Kabinenausstattung für Passagier-, Fracht- oder Postbeförderung eingesetzt werden können.
Ausstattung
Notausgänge sind mit Schildern über den Türen markiert („Exit“), des Weiteren sind die Wege zu ihnen in modernen Flugzeugen am Boden durch fluoreszierend leuchtende Linien markiert (Zulassungskriterium für Passagiertransport).
Flugzeugsitze haben Taschen an ihren Rückenlehnen, die dem Hintermann als Stauorte dienen (z. B. für Zeitschriften, Bücher) und Bordmagazine, Air Sickness Bags ("Spucktüten") und Sicherheitshinweise (Safety Cards) enthalten.
Siehe auch
Verkehrsluftschiff
Flugreise
Liste von Flugzeugtypen
Literatur
Einzelnachweise
Luftfahrzeug nach Verwendung
Ziviler Flugzeugtyp
nl:Verkeersvliegtuig
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Q210932
| 117.956754 |
1906669
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tantra
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Tantra
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Tantra (sanskritisch तन्त्र, Neutrum, „Gewebe, Kontinuum, Zusammenhang“) oder Tantrismus bezeichnet verschiedene Strömungen innerhalb der indischen Philosophie und Religion, die zunächst als esoterische Form des Hinduismus und später des Buddhismus innerhalb der nördlichen Mahayana-Tradition entstanden. Die Ursprünge des Tantra beginnen im 2. Jahrhundert, in voller Ausprägung liegen Lehren frühestens ab dem 7./8. Jahrhundert vor. Im Buddhismus findet sich auch die Bezeichnung als Tantrayana („Fahrzeug der Tantra-Texte“, vergleiche Vajrayana). In fast allen tantrischen Schulen und Richtungen ist die Verehrung und Huldigung der weiblichen Gottheit zentral. Eine solche Verehrung gab es bereits in altvedischer Zeit (1750–1200 v. Chr.). Tantra verbindet Sinnlichkeit mit Spiritualität (vergleiche auch Neo-Tantra).
Ursprünge und Geschichte
Nach Poller (2013) sind in den Tantras magische Vorstellungen der vielen auf dem indischen Subkontinent beheimateten Ethnien eingeflossen. Man kann deren Methoden in Indien gesichert bis in die vedische Zeit zurückverfolgen (ab etwa 1500 v. Chr.). Bei den magischen Praktiken ging es vor allem darum sich das Leben zu erleichtern, vom Beeinflussen des Wetters (Wetterzauber) über die Hilfe beim Gebären bis hin zu Kriegs- und Schadenzauber. Tantras enthalten Anrufungen von einer großen Anzahl von Göttern und Geistwesen vermittels Mantras, Visualisationen, speziellen Bildern, Gegenständen, dem Gebrauch von Farben, Düften, Musik, komplizierten Opfergaben und ähnlichem mehr.
Eine wichtige Kategorisierung oder Einteilung lässt sich vornehmen, indem man zwischen buddhistischen und hinduistischen Tantras unterscheidet. Beide Strömungen traten zwischen 500 und 1000 n. Chr. nahezu gleichzeitig auf und beeinflussten sich zu jener Zeit gegenseitig: Nach ihrer zunehmenden Konsolidierung entwickelten sie sich unabhängig weiter. Tantras wurden in der Zeit zwischen 300 und 800 n. Chr. entwickelt und weiterentwickelt, so dass einige Konzepte in der Zeit von 800 bis 1200 n. Chr. ihre Hochblütezeit erlebten, hiernach folgte ein langsamer Prozess allmählichen Schwindens.
Die Verehrung der Göttin, symbolisiert als Shakti, ist für viele tantrische Schulen zentral.
Yoga und Tantra
Texte der älteren Upanishaden, ca. 700 v. Chr., beschreiben Atemübungen und das Zurückziehen der Sinne (Pratyahara) in den Atman als Hilfsmittel der Meditation (Dhyana). Die mittleren Upanishaden, die um 400 v. Chr. entstanden, erwähnen mehrfach den Begriff Yoga und auch die wesentlichen Elemente des späteren Yoga-Systems. Der Yoga stand hierbei in enger Verbindung mit den Theorien, wie sie das philosophische System des Samkhya entwickelte, und bildete seine praktische Weiterführung.
Ursprünglich war Yoga ein rein spiritueller Weg, der vor allem die Suche nach Erleuchtung durch Meditation zum Ziel hatte. Die vielen Asanas entstanden erst im Laufe der Zeit. Ihr vorrangiges Ziel ist, den Körper so zu kräftigen und zu mobilisieren, dass er möglichst beschwerdefrei über einen längeren Zeitraum im Meditationssitz – z. B. Lotossitz – verweilen kann.
Das Tantra weist als spiritueller Weg nicht nur große Ähnlichkeiten mit dem Yoga auf, es gibt auch eine Reihe von Überschneidungen, so dass man im Ergebnis von einem „tantrischen Yoga“ sprechen kann. Das klassische Yoga orientiert sich an einem asketischen Ideal, verzichtet werden soll auf alles was vom Weg ablenkt, etwa Genüsse, Bhukti (Sanskrit: भुक्ति bhukti) und im Speziellen auf Sexualität.
Tantra nutzt die wesentlichen Elemente des klassischen Yogas, nutzt aber im Gegensatz zu diesem die Leidenschaften und sinnlichen Bedürfnisse als integralen Bestandteil. Eigene Elemente des Tantras, wie sie sich im klassischen Yoga finden, kommen hinzu, etwa einfache oder komplexe Rituale, meditative Visualisierungen, Verwendung von Gegenständen mit symbolischer Bedeutung (Bilder, Statuen) und eben auch erotische Rituale (Mithuna-Rituale).
Buddhistische Tantras
Das buddhistische Tantra konsolidierte sich in Indien durch Padmasambhava (8. bis 9. Jh. n. Chr.) und durch verschiedene Mahasiddhas und deren Lehren bzw. Auslegungen: Später gelangten die Vorstellungen nach Tibet, wo ihre Inhalte in Auseinandersetzung mit dem tibetischen Buddhismus zum Teil stark verändert wurden.
Im buddhistischen Tantra soll durch Übungen eine außergewöhnliche Fertigkeit und Virtuosität erlangt werden um einen höheren Bewusstseinszustand zu erreichen. Letztendlich ist das Ziel einen Bewusstseinszustand zu erreichen, der weniger leidet und damit auch weniger Leiden (Dukkha) verursacht als der Zustand vor den Übungen. Dabei werden viele höhere Zustände beschrieben, einhergehend mit höheren Bewusstseinskräften (Siddhis), die sich als Ergebnis der Übungspraxis einstellen. Die im buddhistischen Tantra verwendeten Methoden wurden in Texten verschriftlicht, die häufig in ihrem Titel die Bezeichnung von tantrischen Gottheiten tragen. Sie alle galten als Emanationen des Buddha. Die Gottheiten konnten männlich, weiblich oder ein Paar in Vereinigung sein. Wichtige bekannte buddhistische Tantras sind: Hevajra, Chakrasamvara, Vajrayogini, Yamantaka, Guhyasamaja, Kalachakra, Vajrakila, Guhyagarbha.
Hinduistische Tantras
Die Bezeichnung „Hinduismus“ ist ein von Europäern, den britischen Kolonialbeamten des 19. Jahrhunderts, geprägter Begriff für alle in Indien beheimateten spirituellen Systeme, ausgenommen des Christentums und des Islams. Die Bezeichnung „Hindu“ wurde von den antiken Persern geprägt, zur Beschreibung der ihnen gegenüber auf der anderen Seite des Indus lebenden Menschen. Moderne Hindus ziehen den Ausdruck „Sanatana Dharma“ zur Beschreibung ihrer Religion vor. Der „Hinduismus“ entstand aus der Verschmelzung der polytheistischen vedisch-brahmanischen Religion der arischen (indoeurischen) Einwanderer in der zweiten Hälfte des 2. Jahrtausends v. Chr. mit den nichtarischen Religionen des Industals, des dravidischen Südindien u. a. Der Begriff „Hinduismus“ vereint zahlreiche historische und ideengeschichtliche Traditionen, die mit der vedischen Kultur (frühvedische Zeit 1500–1000 v. Chr.) als Nachfolgerin der Indus-Kulturen (ca. 3000–1800 v. Chr.; Amri, Nal, Quetta, Kulli und die bedeutendste, die Harappa-Kultur) auftraten und zu Beginn des 1000 n. Chr. ihre charakteristische Form annahm.
Die Ursprünge des Hindu-Tantra liegen in verschiedenen Einflüssen des frühen Mittelalters in Indien. Diese sind die südasiatische dämonologische Tradition, lokale und volkstümliche Einflüsse und die Einflüsse religiöser Sekten wie der Pashupatas, die neue religiöse Rituale und Lehren einführten, die nicht-vedisch waren.
Das mittelalterliche Tantra diente häufig dazu, einen König, der aus niederen Kasten stammte oder ausländischer Herkunft war, durch Rituale zu legitimieren, die ihm im vedisch-orthodoxen Ritual nicht zugänglich waren. Auf diesem Wege sind in das Hindu-Tantra Praktiken eingeflossen, die die rituelle Transformation des Praktizierenden in einen Gottkönig zum Ziel haben, der ein Pantheon von Göttern und Dämonen regiert und dessen Palast in der Mitte des Mandalas angesiedelt ist.
Trotz dieser Bezogenheit auf einen Herrscher waren die wenigsten Tantriker Könige.
In ländlichen Gebieten und in Indonesien ähnelt der Tantrismus stark schamanistischen Religionen. Tantriker haben hier die Aufgabe, die Horden von Dämonen zu kontrollieren, die sich schädlich auf Menschen, das häusliche Umfeld und die Landwirtschaft auswirken können. Zu diesem Zweck werden die tantrischen „Herrscher des Geistes“ in Besessenheitstrance angerufen, Exorzismen und Zauberei ausgeführt. Diese finden auch mithilfe von Beschwörungsformeln und Zaubersprüchen statt. Gleichfalls gibt es Rituale und Opferungen. Diese Formen des Tantrismus sind jeweils lokal und regional begrenzt und besitzen kaum theoretische oder doktrinäre Aspekte.
Die frühe tantrische Literatur bezieht sich zu größeren Teilen auf diese Dämonologie, und in bestimmten Texten, in denen man unterschiedliche Schichten ausmachen kann, wird diesen Praktiken erst Metaphysik und Praxis in Bezug auf spirituelle Ziele beigelegt.
Diese metaphysischen und spirituellen Lehren waren nur der Elite der Tantriker vorbehalten, unter denen sie in die Praxis umgesetzt wurden. Solche Eliten waren z. B. Könige, Aristokraten und bestimmte Brahmanengruppen. Deshalb reflektieren die Lehren des Tantrismus die Belange solcher Eliten, z. B. Aspekte von Macht und den Erwerb weltlicher und spiritueller, übernatürlicher Macht. Tantrische Lehren beziehen sich zum Beispiel auf Machtverhältnisse zwischen Menschen und übernatürlichen Wesen, gleichfalls aber auch auf soteriologische, ontologische und metaphysische Reflexionen. Ab dem 8. Jahrhundert n. Chr. entstand so ein tantrischer Kanon, der – in Sanskrit geschrieben – von diesen Eliten geschaffen und rezipiert wurde. Diese Schriften gehören alle dem Sekten-Hinduismus an, d. h., man kann sie dem Vishnuismus, dem Shivaismus oder dem Shaktismus zuordnen, und es ist immer eine der Formen der Hauptgottheiten, Vishnu, Shiva oder Shakti (Devi), die als höchste Gottheit einer göttlichen Hierarchie übergeordnet ist.
Die Hauptsekten dieser Form des Tantrismus sind:
Schulen und Sekten des kaschmirischen Shivaismus wie Krama, Trika, Shrividya
Shaiva Siddhanta
die Shakta-Kubjika-Sekte
die vishnuitisch-shaktische Sahajiya-Schule und andere regionale Sekten
vishnuitische Pancaratras.
Die verschiedenen tantrischen Sekten haben oft gemeinsame Gottheiten, wie z. B. Kali, Chamunda und Svacchanda Bhairava (einer Form von Shiva) in Kaschmir, sowie Tripurasundari, die in Kaschmir, Tamil Nadu und Nepal verehrt wird. Mythologien des Tantra, Götterwelten und Metaphysik sind im gesamten Tantrismus in großer Fülle vorhanden. Die Mythologie wird häufig in Skulpturen und Malereien dargestellt, die Gottheiten, übernatürliche Wesen, Dämonen und Tantriker abbilden. Ein besonderes Merkmal dieser tantrischen Kunst ist es, dass häufig der Geschlechtsakt abgebildet wird. Trotz der Fülle an Göttern und Entitäten steht nicht ein polytheistisches Pantheon im Vordergrund der tantrischen Lehren, sondern es geht darum, dass der einzelne ein Verhältnis zum einen, nämlich zur obersten Gottheit hat. Dieses Verhältnis wird metaphysisch als Bhedabheda (Einheit in Unterschiedlichkeit) bezeichnet. Diese Einheit ist es, die zu Jivanmukti (Befreiung) führen soll. Tantrische Praktiken streben sowohl danach, Macht über übernatürliche Wesen zu haben oder Macht verliehen zu bekommen, als auch danach, zu erkennen, dass diese Gottheiten und Wesen letztendlich eins sind mit dem transzendenten Selbst der obersten Gottheit, das auch das Selbst des Tantrikers ist.
In diesem Sinne bezieht sich die tantrische Metaphysik auf Emanationen des Göttlichen. Diese Emanationen werden in den meisten tantrischen Lehren auf 36 Tattvas (Kategorien) bezogen, die von den 25 Tattvas der Samkhya-Lehren abstammen.
Diese 36 Tattvas beziehen sich beispielsweise auf Gottheiten, Bewusstseinszustände, Vibrationen von Mantras, den yogischen Energiekörper und Guru-Linien. Dabei werden diese Tattvas als Einheit angesehen, die vom Überweltlichen bis in die Alltagswelt emanieren. Eine Internalisierung dieser Tattvas findet dann in der tantrischen Praxis durch Yoga und Meditation, Mantras und Visualisierungen statt. In der Geschichte des Tantra ist so für die indische Kultur besonders bedeutend gewesen, dass das heutige Yoga (z. B. Hatha-Yoga und Kundalini-Yoga) aus diesen tantrischen Praktiken im 9. bis 12. Jahrhundert entstanden ist.
Hinduistische Tantra-Literatur
Der Begriff Tantra bezeichnete ursprünglich eine Literaturgattung, Tantras oder auch Agamas, die nach-vedisch ist.
Die hinduistische Tantra-Literatur kommt im Allgemeinen in zwei Hauptformen vor.
Entweder handelt es sich um Offenbarungstexte anonymer Autoren, die häufig in Dialogform zwischen Gottheiten wie Shiva und Kali oder Vishnu und Lakshmi stattfinden, oder es handelt sich um Texte einzelner Autoren, die Kommentare, Kompendien oder Leitfäden zu Offenbarungsschriften der Tantra-Literatur verfasst haben. Diese beziehen sich auf Praktiken und Prinzipien des Tantrismus. Die meisten dieser Texte wurden zwischen dem 8. und 12. Jahrhundert verfasst. Diese Literatur wird als Tantra-Shastra bezeichnet.
Während die Offenbarungstexte in Bezug auf Sanskrit nicht allzu elaboriert sind, enthalten die Tantra-Shastras besonders hochsprachliche Texte. Die Tantra-Shastras behandeln eine Fülle von unterschiedlichen Inhalten. Sie beziehen sich z. B. auf Mantren und Stotras, auf Anweisungen zur Ausführung von Ritualen, doktrinäre Unterweisungen, Philosophie, Kommentare und Hagiographien.
Zumeist wird die tantrische Literatur entweder dem Shivaismus, dem Vishnuismus oder dem Kaula (Shivaismus-Shaktismus) zugeordnet.
Vishnuitische Tantras werden häufig auch Samhitas genannt, shivaitische Tantras bestehen aus Agamas, Tantras und Samhitas. Die Shaiva-Shakta-Texte tragen neben dem Titel 'Tantra' eine Fülle von unterschiedlichen Namen, z. B. das Tripura Upanishad oder Jayadratha Yamala. Kaula-Tantra werden nur diejenigen Texte genannt, die den Eingeweihten zugänglich sind.
Den tantrischen Schriften verwandte Texte, die teilweise inhaltlich übereinstimmen, sind z. B. die Texte des Hatha-Yoga, der indischen Alchemie und einige Puranas wie das Agni Purana und das Kalika Purana.
Lehren
Der Tantrismus ist eine Erkenntnislehre, die auf der Untrennbarkeit des Relativen und des Absoluten basiert. Der Tantrismus betont die Identität von absoluter und phänomenaler Welt. Das Ziel des Tantrismus ist die Einswerdung mit dem Absoluten und das Erkennen der höchsten Wirklichkeit. Da angenommen wird, dass diese Wirklichkeit energetischer Natur ist und Mikrokosmos und Makrokosmos verwoben sind, führt der Tantrismus äußere Handlungen als Spiegel innerpsychischer Zustände aus. Da Geist und Materie als nicht vollständig geschieden angesehen werden, ist der hinduistische Tantrismus diesseitsbejahend und benutzt psycho-experimentelle Techniken der Selbstverwirklichung und Erfahrung der Welt und des Lebens, deren Elemente als positive Dimensionen erfahren werden sollen, in denen sich das Absolute offenbart. Tantra stellt sich also hauptsächlich als spiritueller und mystischer Weg dar, der auf metaphysischen Annahmen beruht.
Der heutige Tantrismus stammt aus dem 17. Jahrhundert und stellt sich als eine Sammlung ritueller Techniken dar, die sich auf göttliche Entitäten, häufig Göttinnen, beziehen, um verschiedene Kräfte zu erreichen. Die Ziele der tantrischen Riten sind Bhukti, Macht über das Diesseits, Siddhi, übernatürliche Kräfte, und Jivanmukti, die Befreiung durch Vergöttlichung.
Der Tantrismus ist durchdrungen von okkulten und magischen Vorstellungen. Sehr ausgeprägt sind Ritual und Kult, da die Befolgung esoterischer Stufenwege zur Erkenntnis und Erleuchtung zentral für die religiöse Praxis ist. Von Bedeutung ist die Einweihung (diksha, abhisheka) und die Unterstellung des Schülers (cela) unter einen kundigen Lehrer oder Meister (Guru), der diesem auf dem spirituellen Weg behilflich ist.
Die Hauptelemente des Tantrismus sind:
Die Darstellung und Vergegenwärtigung geistiger Prinzipien mittels sexueller Symbolik, da angenommen wird, die Polaritäten aktiv und passiv, bzw. weiblich und männlich, bildeten durch ihre Wechselwirkung das Universum. Shiva, das männliche Prinzip, gilt als passiv und Shakti, das weibliche Prinzip, als aktiv.
Das System feinstofflicher Energiezentren (Chakras) und -kanäle (Nadis), auf denen die yogischen und meditativen Praktiken basieren, wie z. B. das körperliche Kundalini-Yoga, die Visualisation von Gottheiten oder die sexuelle Vereinigung:
Die Arbeit mit geometrischen Symbolen wie Mandala und Yantra als Ausdruck des Makro- und Mikrokosmos
Das Arbeiten mit Mantras und Mudras
Die Transformation der Körperzentren in geistige Orte durch Mantras und Symbole
Das Einfließen magischer Vorstellungen
Nach der folgenden Unterteilung gibt es für jedes der vier Zeitalter Schriften, welche die jeweiligen Rituale und Übungen regeln. Die Regeln der Shruti, die Veden, gelten demnach nur für das goldene Zeitalter (Sat-Yuga), die Regeln der Agamas (Tantras) nur für das gegenwärtige eiserne Zeitalter (Kali-Yuga).
Agamas (Tantra)
Puranas (hinduistische Mythologie)
Shruti („das Gehörte“, die Veden mit den Upanishaden)
Smriti („das Erinnerte“, Gesetzestexte)
Shaktismus
Der Shaktismus ist eng verwoben mit dem indischen Tantrismus und ist neben Shivaismus und Vishnuismus eine der drei Hauptrichtungen der hinduistischen Religionssysteme. Ab dem 10. Jahrhundert n. Chr. wurde der Shaktismus auch tantrisch. Praktiken wie Pujas (Sanskrit, f., पूजा, pūjā, []), Opfergaben und Meditation vermischten sich mit den esoterischen Inhalten des Tantrismus, vor allem auch mit Tantra-Yoga. In diesem werden körperliche und geistige Techniken angewendet: Meditation, Japa, Mantras und Yantras sowie Asanas und andere körperliche Übungen. Die Shakti wird hier als Kundalini angesehen und jedes Chakra wird einer Göttin gleichgesetzt.
Der Tantrismus ist häufig, aber nicht ausschließlich, mit dem Shaktismus, der Verehrung der göttlichen Mutter, Devi oder Shakti, verbunden, die Ausdruck der schöpferischen Kraft Gottes ist, mithin der Schöpfung selbst. Im Gegensatz zum reinen Advaita-Vedanta, der die Schöpfung als Illusion – Maya – betrachtet, sieht der Tantriker diese als Ausdruck der Kraft Gottes – Shakti, der Göttin – an und verehrt diese als Mahamaya oder Mahadevi. Der Tantriker betrachtet die Sinneswelt nicht als negativ, sondern benutzt diese, um zur Vereinigung mit dem Göttlichen zu gelangen. Die göttliche Mutter selbst ist nach diesen Lehren im menschlichen Körper als Kundalini-Energie vorhanden, die an der Basis der Wirbelsäule eingerollt liegt und, zum Leben erweckt, aufsteigt, um auf ihrem Weg die verschiedenen Chakras (Räder – subtile Energiezentren) zu öffnen und schließlich im obersten Chakra, dem Sahasrara, mit Shiva, dem männlichen Aspekt Gottes, dem Noumen, vereint zu werden. Alle Hauptgötter wohnen nach dem Tantrasystem im menschlichen Körper, meist im Zentrum der Chakras. So wie Shiva und Shakti im Ardhanarishvara (halb Mann, halb Frau) vereint sind, so ist auch die rechte Hälfte jedes Menschen männlich und entspricht Shiva, während die linke Hälfte der Shakti entspricht.
Da alle Hauptgötter des Hinduismus einen weiblichen Gegenpart besitzen, gibt es je nach Sekte auch eine entsprechende tantrische Richtung:
Vaishnavacara (Vishnu-Tantra, Vishnu ist der Ishtadeva)
Vedacara (Veda, hält die vedischen Gebote, benutzt vedische Mantren, Agni ist die Hauptgottheit – Ishta-Deva)
Shaivacara (Shiva-Tantra, Shiva ist der Ishtadeva)
Shakta-Tantra ist unterteilt in
Dakshinacara (rechter Weg, beachtet die konventionellen religiösen Gebote)
Kaulacara
Vamacara (linker Weg, bricht religiöse Tabus)
Im linkshändigen Tantra, dem Vamacara, werden die fünf vedischen Reinigungsartikel bewusst umgekehrt, in der Verehrung der fünf M´s, den pañca-makāra:
Madya (Wein)
Maithuna (ritualisierter Geschlechtsakt)
Māmsa (Fleisch)
Matsya [oder Mīna] (Fisch)
Mudrā (getrocknete Körner)
Insbesondere wegen des Maithuna ist Tantra in Verruf geraten und wird im Westen fälschlicherweise fast ausschließlich mit Sexualpraktiken identifiziert. Diese Praktiken werden jedoch nur von bestimmten Sekten, den Vamacharas, und auch dort nur von einem Personenkreis, den Viryas, in einem festgelegten rituellen Zusammenhang ausgeübt. Ähnliche Handlungen wurden und werden teilweise auch in China im Daoismus und vereinzelt in der tantrischen Form des tibetischen Buddhismus durchgeführt (Anuttarayoga-Tantra).
So haben die Dakshinacara-Anhänger die fünf M´s durch andere Substanzen ersetzt oder üben sie nur symbolisch bzw. gar nicht aus. So verurteilt beispielsweise der Samayacara der Shri Vidya-Tradition, die besonders in Südindien in den konservativen Shankaracarya-Orden Eingang gefunden hat, all diese Praktiken und meditiert nicht über Chakras unterhalb des Nabels. Im Shri Vidya werden hauptsächlich die Dasa Mahavidyas verehrt, die zehn großen Göttinnen, Kali, Tara, Tripurasundari, Bhuvaneshvari, Bhairavi, Chinnamasta, Dhumavati, Bagalamukhi, Matangi, Kamala. Sie alle sind Aspekte der einen Göttin, und der Sadhaka (Übende) nähert sich der Ganzheit durch die Verehrung dieser Aspekte allmählich an. Eine besondere Rolle für die Shankara-Tradition spielt dabei die Göttin Sharada (ein anderer Name für Sarasvati oder Tara), die Göttin der Weisheit und des Lernens, da für den Advaita die Erkenntnis, Jnana, der Weg zur Befreiung ist.
Bezeichnend für fast alle Tantriker sind die Bedeutung von Mantras (heilige Wortklänge), Bijas (einsilbige Wortklänge), Yantras (Diagramme), Mudras (yogische Stellungen, Gesten), Nyasa (Energetisierung verschiedener Körperteile), Bhutashuddhi (Reinigung), Kundalini-Yoga, Kriya (Bewegungs- und Atemübungen), Carya (religiöse und soziale Vorschriften), Maya-Yoga (Magie). Tantra ist immer praxisorientiert, weswegen tantrische Praktiken in fast alle hinduistischen Richtungen eingeflossen sind. Allen Tantra-Traditionen ist außerdem das Gebot der Geheimhaltung der Lehre und die Bedeutung des Guru als Vermittler der tantrischen Lehren gemein. Traditionell kann Tantra nicht in einem Kurs oder durch Bücher erlernt werden.
Zu den Regionen, in denen tantrische Kulte noch besonders lebendig sind, gehören in Indien Assam, Bengalen, Odisha, Maharashtra, Kaschmir, Rajasthan, der nordwestliche Himalaya und Teile Südindiens.
Einteilungen
Tantra ist ein Weg der Achtsamkeit. In der indischen Tradition wird zwischen einem tantrischen Pfad nach seiner Methodik unterschieden: der ausschließlich auf Meditation, Energiearbeit und spiritueller Verehrung beruhende wird als der rechte Pfad oder rechtshändiges Tantra bezeichnet. Der Pfad, der zusätzlich Sinnlichkeit, Sexualität und Leidenschaft einschließt, wird als linker Pfad oder als linkshändiges Tantra bezeichnet.
der Dakṣiṇācāra (Sanskrit: दक्षिणाचार dakṣiṇācāra) oder Weg der rechten Hand, ist eine Richtung des hinduistischen Tantra mit läuternden Ritualen und dabei strenger Disziplin, der die absolute Hingabe an die göttliche Mutter (Shakti) in ihren mannigfachen Formen fordert.
der Vāmācāra (Sanskrit: वामाचार vāmācāra) ist der ungeläuterte, fraglich gefahrvolle Weg der linken Hand, der die sexuelle Praxis und das leidenschaftliche Handeln integriert.
Rezeption im Westen
In der westlichen Welt wird Tantra zunehmend seit dem beginnenden 20. Jahrhundert rezipiert, allerdings hauptsächlich verkürzt auf sexuelle Aspekte, die im klassischen Tantra durchaus nicht im Mittelpunkt stehen. Eine wichtige Rolle spielte dabei der britische Okkultist Aleister Crowley, der zwar über keine vertieften Kenntnisse des indischen Tantrismus verfügte, diesen aber gleichwohl mit seinen sexualmagischen Praktiken identifizierte. Heute wird Tantra im Westen zumeist als Neotantra angeboten, bei dem die hinduistischen bzw. buddhistischen Inhalte zugunsten einer Optimierung der Orgasmusfähigkeit und einem Streben nach sexuell-spiritueller Wellness in den Hintergrund getreten sind.
Literatur
1961: Arthur Avalon (alias Sir John Woodroffe): Die Schlangenkraft. Die Entfaltung schöpferischer Kräfte im Menschen. 3. Auflage. Barth, München 2003, ISBN 3-502-61044-4 (erstveröffentlicht 1961).
1967: Ajit Mookerjee: Tantra-Kunst, ihre Philosophie und Naturwissenschaft. Wien/München 1967.
1976: A. Bharati: Die Tantra-Tradition. Freiburg 1976.
1981: D. N. Bose, Hiralal Haldar: Tantras: Their Philosophy and Occult Secrets. 3., erweiterte Auflage. KLM Private, Kalkutta 1981.
2008: Denise Cush, Catherine Robinson, Michael York (Hrsg.): Encyclopedia of Hinduism. Routledge, London 2008.
1998: Georg Feuerstein: Die Yoga Tradition. Geschichte, Literatur, Philosophie & Praxis. Yoga, Wiggensbach 2009, ISBN 978-3-935001-06-9 (original The Yoga Tradition: Its History, Literature, Philosophy and Practice. 1998).
1963: Jan Gonda: Die Religionen Indiens. Band 2. Der jüngere Hinduismus (= Die Religionen der Menschheit. Band 12). Kohlhammer, Stuttgart 1963.
1995: Herbert V. Guenther: Tantra als Lebensanschauung. Econ, Düsseldorf 1995, ISBN 3-612-27983-1.
1990: David Kinsley: Indische Göttinnen. Weibliche Gottheiten im Hinduismus. Insel, Frankfurt 1990, ISBN 3-458-16118-X.
1990: André Van Lysebeth: Tantra für Menschen von heute. Mosaik, München 1990, ISBN 3-570-03549-2.
1978: Ajit Mookerjee, Madhu Khanna: Die Welt des Tantra in Bild und Deutung. Die umfassende Darstellung des wahren Tantra-Weges und seiner Praktiken. Barth, München 1978.
2017: Daniel Odier: Tantra Yoga: Vijnana Bhairava Tantra – der Weg zur höchsten Erkenntnis. Theseus, Bielefeld 2017, ISBN 978-3-95883-166-7.
2006: Joachim Reinelt: Das große Kundalini-Buch. Kundalini-Erfahrungen. Aquamarin, Grafing 2006, ISBN 3-89427-315-1.
1993: Indra Sinha: Tantra. The Search for Ecstasy. Hamlyn, London 1993, ISBN 0-600-57699-X.
1998: Helmut Uhlig: Das Leben als kosmisches Fest. Magische Welt des Tantrismus. Lübbe, Bergisch Gladbach 1998, ISBN 3-7857-0952-8.
2003: David Gordon White: Kiss of the Yogini: 'Tantric Sex' in its South Asian Contexts. University of Chicago Press, Chicago 2003, ISBN 978-0-226-89484-3.
Weblinks
Einzelnachweise
Hinduismus
Esoterik
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Q181510
| 108.699419 |
9712
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bahrain
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Bahrain
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Das Königreich Bahrain [] (auch Bahrein; , lokale Aussprache []) ist ein aus 33 Inseln bestehender Staat in einer Bucht im Persischen Golf in Vorderasien, östlich von Saudi-Arabien und westlich von Katar (ca. 35 km Luftlinie). Mit einer Fläche von rund 750 km² (nach künstlichen Aufspülungen) ist der Archipel etwas kleiner als das Hamburger Stadtgebiet. Der Name al-Bahrain bedeutet im Arabischen „die zwei Meere“.
Bahrain gehört zu den reichen Ländern. Es stand 2021 auf Platz 24 in der Liste der Länder geordnet nach dem Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf (Deutschland Platz 19). Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zählt Bahrain zu den Ländern mit sehr hoher menschlicher Entwicklung. Das Land wird jedoch seit dem Beginn des Arabischen Frühlings 2011 von Konflikten zwischen der schiitischen Mehrheit des Landes und der sunnitischen Minderheit, die die politische Macht hält, erschüttert. Bahrain ist ähnlich wie das gegenüberliegende Saudi-Arabien eine Monarchie. Die Bindung der beiden Königshäuser gilt als eng, und saudische Streitkräfte halfen 2011, den Aufstand der Schiiten niederzuschlagen. Das politische System Bahrains wird als repressiv bewertet. Staatsreligion ist der Islam und die Scharia ist die Hauptquelle der Gesetzgebung.
Geographie
Lage
Die Hauptinsel Bahrain (620 km²) hat eine längliche Form von 49 km × 18 km. Sie ist ein 30 bis 60 m hohes Kalkplateau und überwiegend von Sanddünen bedeckt. Die Insel ist seit 1986 über den King Fahd Causeway, eine 25 km lange Brücke, mit Saudi-Arabien verbunden. Im Zentrum erhebt sich der 135 m hohe Dschabal ad-Duchan. Im Süden und Südwesten erstrecken sich Sandflächen und Salzsümpfe. Nur der nördliche Küstenbereich ist durch artesische Brunnen und Karstquellen landwirtschaftlich nutzbar. Weitere große Inseln sind al-Muharraq, Sitra, Amwaj, Hawar und Umm Nasan. Sie sind meist felsig und ragen kaum über den Meeresspiegel hinaus.
Die Hauptstadt Manama liegt im Nordosten mit etwa 158.000 Einwohnern. Im Osten liegt der Tiefwasserhafen Mina Salman, der sowohl von den Streitkräften Bahrains als auch von Kreuzfahrtschiffen angelaufen wird.
In vielen Teilen Bahrains wurden seit Anfang des 21. Jahrhunderts umfangreiche Landaufschüttungen begonnen. Die Gesamtfläche aller vorgelagerten Inseln, Halbinseln, neuer Buchten usw. beläuft sich inzwischen auf rund 30 km², von denen erst ein geringer Teil bebaut wurde. Ziel ist es – analog den künstlichen Flächen in Dubai und Abu Dhabi – wasserumspülte Parzellen zu gewinnen, um sie zu bebauen. Aufgrund der Immobilienkrise von 2009 stehen mittlerweile viele Bauvorhaben still, wie z. B. die drei Twisted Towers bei Seef oder die elf Marina-West-Hochhäuser in Budaiya. Die Hochhäuser stehen im Rohbau. Viele – auch westliche – Investoren verloren ihr Geld.
Klima
Bahrain hat feuchtwarmes subtropisches Klima mit hoher Luftfeuchtigkeit. Überwiegend weht ein feuchtheißer Wind aus Nordwesten (Schamal), mitunter auch trockenheißer Südwind (Qaus) aus der Wüste Rub al-Chali (dt.: Große Arabische Wüste). Die Monatsmitteltemperaturen liegen zwischen 17 °C (Januar) und 33,5 °C (Juli), die Niederschläge betragen nur 70 mm. Bahrain hat eine hohe Feinstaubbelastung.
Flora und Fauna
Auf der Hauptinsel herrscht bis auf die landwirtschaftliche Zone Wüstenvegetation vor. Die artenarme Tierwelt besteht hauptsächlich aus Echten Eidechsen, Wüstenspringmäusen und Mangusten. Gazellen und Hasen sind nahezu ausgerottet. Der Al-Aree Wildlife Park and Reserve dient dem Schutz verschiedener Tiergruppen und konnte eine erfolgreiche Wiederansiedlung von gefährdeten Antilopen-Arten wie der Kropfgazelle (Gazella subgutturosa, ) erreichen. Bahrains Waldfläche weist weltweit den größten prozentualen Zuwachs auf, und zwar um 14,9 % zwischen 1990 und 2000.
Berühmt ist der als Naturwunder geltende Schadscharat al-Haya (Baum des Lebens), ein jahrhundertealter großer Baum in der Wüste.
Bahrain unterschrieb 1996 die Konvention zur Erhaltung der Biologischen Vielfalt (CBD), jedoch nicht das Nagoya-Protokoll, das den gerechten Vorteilsausgleich von reichen und armen Staaten in Sachen Naturschutz regelt (Access & Benefit Sharing).
Bevölkerung
Demografie
Bahrain hatte 2020 1,7 Millionen Einwohner. Das jährliche Bevölkerungswachstum betrug +3,6 %. Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 32,5 Jahren. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 1,9. Die Lebenserwartung der Einwohner Bahrains ab der Geburt lag 2020 bei 77,4 Jahren (Frauen: 78,6, Männer: 76,6).
Von den 1,3 Millionen Einwohnern des Inselstaates im Jahr 2013 waren 614.830 Ansässige und 638.361 zugewanderte Ausländer (Volkszählung 2013). Im März 2012 waren laut LMRA (Labour Market Regulatory Authority) 371.183 Ausländer in Beschäftigungsverhältnissen. Im Jahre 2017 waren 48,4 % der Bevölkerung Migranten.
Inder führen mit 192.500 Menschen, gefolgt von 71.915 Bangladeschern, 32.443 Pakistanern, 21.661 Philippinern, 16.294 Nepalesen, 6470 Ägyptern und 5254 Ceylonesen. Zusätzlich sind auch Bidun, staatenlose Menschen arabischer Herkunft, zu finden. Der Bidunstatus wird vererbt und hat erhebliche soziale Diskriminierung zur Folge. Im privaten Sektor waren 351.314 Ausländer, 329.165 Männer und 22.149 Frauen, beschäftigt. Im ersten Quartal 2011 waren noch 453.661 Ausländer in Bahrain beschäftigt. Die ausländischen Arbeitnehmer hatten 82.000 Abhängige, 33.801 Ehegatten und 49.026 Kinder.
Im Jahr 2020 lebten 90 % der Einwohner Bahrains in Städten. Die größten Städte Bahrains sind (Stand 1. Januar 2011): Manama (158.000 Einwohner), ar-Rifāʿ al-gharbī (117.000 Einwohner), al-Muharraq (109.000 Einwohner), Madīnat Hamad (85.000 Einwohner), ʿĀlī (66.000 Einwohner), Sitra (42.000 Einwohner), Madinat Isa (41.000 Einwohner), al-Budayyiʿ (38.000 Einwohner), Dschidhafs (35.000 Einwohner), al-Mālikīya (16.000 Einwohner) und al-Hidd (15.000 Einwohner).
Sprachen
Amtssprache ist Arabisch, während Englisch als Bildungs- und Handelssprache weit verbreitet ist. Weitere Sprachen sind Persisch und Urdu.
Religion
Der Islam, dem 70,2 % der Gesamtbevölkerung (einschließlich ausländischer Staatsangehöriger; Stand: Volkszählung 2011) angehören, ist Staatsreligion. Der größte Teil der bahrainischen Staatsangehörigen ist – anders als in den benachbarten arabischen Staaten, jedoch ebenso wie in der benachbarten saudischen Ostprovinz asch-Scharqiyya – schiitisch. Das Herrscherhaus selbst ist sunnitisch.
Die Volkszählung 2001 ergab einen Anteil von 9 % Christen an der Gesamtbevölkerung und 9,8 % Anhänger sonstiger Glaubensrichtungen, vor allem des Hinduismus. In Bahrain leben etwa 90.000 Katholiken. Zusammen mit Katar, Kuweit und Saudi-Arabien bildet Bahrain das Apostolische Vikariat Nördliches Arabien der katholischen Kirche. Bei der Volkszählung 2011 wurde lediglich der Anteil der Nichtmuslime erhoben, ohne zwischen einzelnen nichtislamischen Religionen und Atheisten zu unterscheiden. In Bahrain lebt noch eine kleine Gemeinde von circa 30 Juden und es ist das einzige arabische Land am Persischen Golf mit einer Synagoge für die jüdische Gemeinde.
Geschichte
Bahrain wurde bereits in prähistorischer Zeit besiedelt. Unter dem Namen Dilmun existierte im 3. Jahrtausend v. Chr. eine blühende Kultur, die aus sumerischen Texten bekannt ist und auf dem Gebiet des heutigen Bahrain vermutet wird. Damals entstand die Stadt Qalʿat al-Bahrain. Um 2000 v. Chr. verliefen hier die Handelswege der Sumerer und Babylonier nach Indien. Zeitweise stand die Insel unter kassitischer Herrschaft, ein kassitischer Statthalter ist aus Briefen bekannt. Um 650 v. Chr. eroberten die Assyrer das Land, und im 6. Jahrhundert v. Chr. gliederte es das Achämenidenreich in das Persische Reich ein. Damit verbunden war eine starke persische Einwanderung.
Im Jahr 324 v. Chr., als Alexander der Große mit seinem Heer vom Indus zurückkehrte, landete sein Admiral Androsthenes auf Bahrain. In seiner Umfahrung der indischen See (gr. Ὁ τῆς Ἰνδικῆς παραπλοῦς) beschreibt er die Insel Tylos und deren Bewohner. Die Insel dürfte Teil des Seleukidenreichs geworden sein und war ab ca. 130 v. Chr. Teil der Charakene, einer Provinz des Partherreiches. Mit dem Untergang des Parthischen Reiches wurde Tylos Teil des Sassanidenreiches.
630 n. Chr. wurde die Insel von den Arabern erobert. Der Islam wurde die vorherrschende Religion. Vom 8. Jahrhundert an übten Bagdad und Damaskus, vom 13. Jahrhundert wieder die Perser die Kontrolle über das Land aus, bis es 1515 portugiesisch wurde.
Im 17. und 18. Jahrhundert kam Bahrain erneut unter persische Oberhoheit, wurde jedoch 1783 unter der arabischen Dynastie Al Chalifa selbständig. Zwar geriet es 1820 durch einen Schutzvertrag mit der britischen Ostindienkompanie wieder in Abhängigkeit; jedoch gaben die Briten dem Land innere Autonomie und Schutz vor persischen und osmanischen Angriffen. Seit 1867 war Bahrain britisches Protektorat.
Im Jahre 1932 begann die BAPCO (Bahrain Petroleum Company) mit der Erdölförderung und brachte den Herrschern des Landes immensen Wohlstand. Bahrain wurde außerdem einer der wichtigsten militärischen Stützpunkte des Vereinigten Königreiches im Nahen Osten.
Scheich Isa bin Salman Al Chalifa erklärte am 14. August 1971 die Unabhängigkeit. Er schloss einen Tag später einen Freundschaftsvertrag mit Großbritannien und erklärte sich zum Emir. Seit 1971 befindet sich auf Bahrain ein US-amerikanischer Luft- und Flottenstützpunkt. Iran hatte bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Ansprüche auf Bahrain erhoben und sich dabei auf die einstige persische Herrschaft berufen. Erst im Januar 1970 erkannte das von Schah Mohammad Reza Pahlavi regierte Land die Souveränität des Landes an. Im Februar 1979 wurde diese Vereinbarung wieder rückgängig gemacht; seitdem erhebt Iran erneut Ansprüche auf das Land, dessen Bevölkerung mehrheitlich schiitisch ist. 1973 erhielt Bahrain eine Verfassung und es wurden Parlamentswahlen abgehalten. 1975 wurde die Verfassung ausgesetzt, das Parlament aufgelöst und die absolute Monarchie des Chalifa-Clans proklamiert. Erst 1993 wurde wieder eine Ratsversammlung (Madschlis asch-Schura) eingesetzt. Im Dezember 1998 flogen US-amerikanische Bomberflugzeuge vom Typ B-1 vom Scheich-Isa-Luftwaffenstützpunkt Luftangriffe gegen den Irak. Im März 1999 starb Emir Scheich Isa, woraufhin sein Sohn Scheich Hamad bin Isa Al Chalifa die Regierungsgeschäfte übernahm.
Am 14./15. Februar 2001 erfolgte ein Referendum über die sogenannte National Action Charter. Ein Jahr später, am 14. Februar 2002, verkündete der Emir eine neue Verfassung, die unter anderem die Umwandlung in ein Königreich, vor allem aber eine Wiedereinsetzung des seit 1975 nicht mehr einberufenen Parlaments, allerdings in einer modifizierten Ausgestaltung, vorsah.
Seit den Unruhen in der Arabischen Welt, die in Tunesien begonnen hatten, treten seit Februar 2011 auch in Bahrain massive Bürgerproteste gegen die Regierung auf. Dabei gab es mehrere Tote. Die Hintergründe und die Situation im Lande unterscheiden sich jedoch von denen in den betroffenen Ländern Nordafrikas wesentlich.
In den Protesten vom März 2011 demonstrierte die schiitische Opposition gegen die sunnitische Regierung. Diese ersuchte Saudi-Arabien um Hilfe, das etwa 1000 Soldaten und 500 Polizisten entsandte. Der Iran protestierte scharf dagegen.
Im September 2020 wurde ein Friedensvertrag zwischen Israel und Bahrain geschlossen.
Politik
Gemäß der Verfassung, zuletzt geändert 2012, ist Bahrain eine konstitutionelle Monarchie. Der Islam ist Staatsreligion. Der König ernennt und entlässt die Regierung und hat darüber hinaus das Recht, das Abgeordnetenhaus aufzulösen und Neuwahlen auszuschreiben. Alle Bahrainer im Alter ab 18 Jahren sind wahlberechtigt. Seit 2002 verfügt Bahrain über ein parlamentarisches Zwei-Kammer-System, bestehend aus dem Shura-Rat (Beratende Versammlung, Oberhaus), dessen vierzig Mitglieder direkt vom König ernannt werden, und dem gewählten Parlament (Unterhaus) mit ebenfalls 40 Abgeordneten.
1999 erhielten Frauen auf lokaler Ebene das passive Wahlrecht. 2001 stimmten bei dem Referendum über die neue Verfassung auch Frauen ab. Diese bestätigte die Rechte der Frauen und trat 2002 in Kraft. Am 23. Oktober 2002 gingen Frauen in Bahrain erstmals zur Parlamentswahl.
Bei den Unterhauswahlen 2010 konnte sich die größte schiitische politische Vereinigung Al Wefaq als stärkste politische Kraft (und Opposition) mit 18 von 40 Sitzen im Abgeordnetenhaus behaupten, legte jedoch nach den Unruhen im Frühjahr 2011 ihr Mandat nieder. Die Parlamentswahlen Ende November 2014 hatte die Oppositionsvereinigung Al Wefaq ebenfalls boykottiert. Einem Dialog mit dem gewählten Parlament stand sie ablehnend gegenüber. Am 17. Juli 2016 wurde Al Wefaq durch Beschluss des Hohen Zivilgerichts aufgelöst und das Parteivermögen konfisziert. Die Auflösung wurde unter anderem mit der Unterstützung terroristischer Gruppen, dem Einsatz der Religion für politische Zwecke und dem Aufruf zu ausländischer Einmischung in die inneren Angelegenheiten Bahrains begründet.
Gesetzgebung
Das Parlament unterteilt sich in ein Abgeordnetenhaus (Madschlis an-Nuwwab), dessen 40 Mitglieder alle vier Jahre gewählt werden, und eine Ratsversammlung (Madschlis asch-Schura), deren ebenfalls 40 Mitglieder vom König ernannt werden. (Zweikammersystem)
Laut Verfassung ist die Scharia eine der Hauptquellen der Gesetzgebung. Die Rechtsprechung ist unabhängig. Hindus und Christen unterliegen einer modifizierten britischen Rechtsprechung.
Bei den Wahlen zum Abgeordnetenhaus vom 24. und 31. Oktober 2002 errang die Liste islamischer Gemeinschaften 19, unabhängige Kandidaten 18 und Liberale drei Sitze. Bei den Parlamentswahlen am 25. November 2006 zog erstmals mit Latifa al-Qaʿud eine Frau als Abgeordnete in das Parlament ein. Am 23. Oktober 2010 gab es Parlamentswahlen.
Politische Indizes
Menschenrechte
Bahrain hat die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen unterschrieben. Dennoch kommt es laut Menschenrechtsorganisationen zu systematischen Verstößen vor allem der Rechte von Kindern und Frauen (siehe auch Frauenrechte im Islam). 2011 und 2012 wurde von Menschenrechtsverletzungen seitens der Regierung und Protesten dagegen berichtet.
Rechtsstaatlichkeit
Kinder werden in Bahrain in Gefängnissen misshandelt und gefoltert, sagte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International auf einer Pressekonferenz Ende 2013. Gruppen von Kindern würden unter dem Verdacht, an regierungskritischen Protesten beteiligt gewesen zu sein, gefangen genommen und inhaftiert. Einige Kinder seien bei ihrer Inhaftierung erst 13 Jahre alt gewesen. Ihnen seien die Augen verbunden und sie seien mit Schlägen traktiert worden. Diese Zustände dokumentierte Amnesty nachweislich für den Zeitraum ab 2011. Es sei zu Vergewaltigungen gekommen, um „Geständnisse“ zu erzwingen.
Rechte der Frauen
Im Jahr 2009 wurde ein fortschrittliches Familiengesetz (Gesetz Nr. 19/2009) zur Beschlussfassung im Parlament eingebracht, das die Stärkung der Rechte und die Selbständigkeit der Frau zum Ziel hat. Heftige Proteste der heute verbotenen Wefaq-Partei führten jedoch dazu, dass dieses Gesetz nur auf Frauen sunnitischen Glaubens angewendet wird. Frauen schiitischen Glaubens unterliegen nach wie vor der schiitischen, dschafaritischen Rechtsprechung. Das Scharia-Gesetz erlaubt Männern, maximal vier Frauen zu haben, obwohl für schiitische Männer durch Zeitehen mehr Frauen erlaubt sind. Jedoch haben nur vier Prozent der geschätzten 500.000 Männer des Landes mehr als eine Frau.
Pressefreiheit
Die Presse in Bahrain gehört zu den unfreiesten der Welt. Zensur und repressive Gesetzgebung verhindern freien Journalismus. In Bahrain sitzen sechs Blogger und Bürgerjournalisten in Haft.
Außenpolitik
Bahrain ist Mitglied der Vereinten Nationen (seit 21. September 1971), der Arabischen Liga, der OAPEC und des Golf-Kooperationsrates.
Die Beziehungen zu Saudi-Arabien und den übrigen Mitgliedern des Golfkooperationsrates sowie den USA (Strategische Allianz) sind seit Jahrzehnten die beiden Grunddeterminanten der bahrainischen Außenpolitik. In Bahrain befindet sich das regionale Hauptquartier der 5. US-Flotte. Das 2006 in Kraft getretene Freihandelsabkommen mit den USA ist ebenfalls Ausdruck dieser engen Beziehungen. Bahrain steht seit 2002 auf der Liste der Major non-NATO ally und gehört damit zu den engsten diplomatischen und strategischen Partnern der USA außerhalb der NATO.
Bahrain ist bemüht, sich unter weitgehendem Verzicht auf exponierte inhaltliche Festlegungen, besonders bei Regionalfragen (Nahostfriedensprozess, Irak, Iran, Syrien, Jemen, Ägypten), als flexibler und seriöser Gesprächspartner zu profilieren. Bahrain ist im September 2014 der von den USA geführten Allianz gegen die Terrororganisation Islamischer Staat beigetreten. Anfang November 2014 lud die bahrainische Regierung zu einer internationalen Konferenz zur Bekämpfung der Terrorismusfinanzierung ein. Im Dezember 2016 richtete Bahrain zum 12. Mal den als Manama Dialog fest etablierten Golfsicherheitsdialog aus, den das Londoner International Institute for Strategic Studies konzipiert und organisiert.
Bahrain beobachtet die Lage in arabischen Staaten mit schiitischem Bevölkerungsanteil, insbesondere Irak, Syrien, Libanon und Jemen, mit großer Aufmerksamkeit. Das Verhältnis zu Iran ist von Misstrauen in Bezug auf dessen regionalen Machtbestrebungen geprägt und erreichte infolge des Abbruchs der diplomatischen Beziehungen im Januar 2016, nachdem kurz zuvor schon Saudi-Arabien und der Sudan diesen Schritt vollzogen hatten, einen neuen Tiefpunkt. In der Vergangenheit hatten iranische Politiker mehrfach die Unabhängigkeit Bahrains in Frage gestellt. Bahrain wirft Iran zudem vor, sich in die inneren Angelegenheiten einzumischen und seit den Unruhen in Bahrain im Februar/ März 2011 Einfluss auf die schiitische Opposition und insbesondere die radikalisierte Jugend in Bahrain zu nehmen.
Ein Friedensvertrag zwischen Israel und Bahrain mit dem Königreich Bahrain durch den Außenminister Abdullatif bin Raschid al-Sajani und Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu erfolgte zeitgleich mit dem Friedensvertrag zwischen Israel und den Vereinigten Arabischen Emiraten durch den Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Abdullah bin Said al-Nahjan, auch Abraham-Abkommen genannt, am Dienstag, dem 15. September 2020 um 13:37 Uhr vor dem Weißen Haus in Washington in Anwesenheit von US-Präsident Donald Trump.
Militär
Die Streitkräfte Bahrains bilden die Landesverteidigung. Das etwa 10.000 Soldaten (Stand: 2020) starke Militär setzt sich aus dem Heer, den Luftstreitkräften, der Marine, den Luftverteidigungsverbänden und der Königlichen Garde zusammen. Bahrain gab 2019 knapp 3,7 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 1,4 Milliarden US-Dollar für seine Streitkräfte aus. In der Armee arbeiten auch Ausländer.
Verwaltungsgliederung
Bahrain ist seit September 2014 in vier Gouvernements eingeteilt. Davor war Bahrain in fünf Gouvernements sowie vor dem 3. Juli 2002 in 12 Gemeindedistrikte unterteilt.
Hauptstadtgouvernement
Gouvernement Muharraq
Nördliches Gouvernement
Südliches Gouvernement
Wirtschaft
Die gewerbliche Wirtschaft wird von öl- und aluminiumexportierenden Industriezweigen dominiert. Zurzeit werden zwei Drittel des Bruttosozialprodukts im Dienstleistungsbereich erwirtschaftet, während Öl und Gas mit 12 % am BIP beteiligt sind, aber 77 % der gesamten Regierungseinnahmen und damit des Budgets erwirtschaften. Die starke Abhängigkeit vom Erdöl versucht Bahrain durch weitere Umstrukturierung der Wirtschaft und Diversifikation der Industrie zu vermindern. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2017 wird auf 34,9 Milliarden US-Dollar geschätzt. In Kaufkraftparität beträgt das BIP 70,4 Milliarden US-Dollar oder 48.500 US-Dollar je Einwohner. Das reale Wachstum betrug im selben Jahr 3,2 %. Beim BIP pro Kopf nach realer Kaufkraft liegt Bahrain weltweit auf Rang 23. Die Landwirtschaft machte einen Anteil von 0,3 % am BIP aus, die Industrie 33,8 % und die Dienstleistungen 65,9 %. Beschäftigt waren 2004 1 % der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft, 32 % in der Industrie und 67 % im Dienstleistungssektor. Die Inflation lag 2016 im Durchschnitt bei 2,8 %, die Auslandsverschuldung bei 21 Milliarden US-Dollar. Durch den sinkenden Ölpreis sind die Staatsfinanzen Bahrains in eine erhebliche Schieflage geraten. Das Haushaltsdefizit betrug 2016 ca. 14 % der Wirtschaftsleistung und war damit eines der höchsten der Welt. Die Staatsverschuldung liegt inzwischen bei ca. 90 % des BIP. Im Laufe des Jahres 2016 wurde die Kreditwürdigkeit Bahrains von mehreren großen Ratingagenturen auf „Ramschniveau“ abgestuft.
Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Bahrain Platz 44 von 137 Ländern (Stand 2017–2018). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt Bahrain 2019 Platz 54 von 169 Ländern.
Kennzahlen
Alle BIP-Werte sind in US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben.
Landwirtschaft
Auf den wenigen landwirtschaftlich genutzten Flächen werden Datteln und Gemüse angebaut. In der Viehzucht werden Rinder, Ziegen und Schafe gehalten. Aufgrund der Überfischung im Persischen Golf verliert die Fischereiwirtschaft, die mit traditionellen Daus betrieben wird, an Bedeutung.
Bodenschätze und Industrie
Neben intensiv genutzten Erdöl- und Erdgasvorkommen wird seit 2008 neues Öl gesucht. Im Jahr 2018 wurde das größte Erdölvorkommen der Landesgeschichte entdeckt. Bahrain besitzt seit 1971 Aluminiumfabriken mit 3 % Weltmarktanteil. Daneben entwickelt sich der Schiffbau zu einer bedeutenden Branche. Drittwichtigster Industriezweig des Landes ist die Textilindustrie. Die Fertigung wird überwiegend in die USA exportiert. An Bedeutung gewinnt die Aluminiumrecyclingindustrie.
Dienstleistung
Aufgrund der limitierten Ölreserven hat das Land sich ein zweites Standbein durch einen Offshore-Bankensektor geschaffen. Bahrain ist heute eines der wichtigsten Finanzdienstleistungszentren des Nahen Ostens.
Tourismus
Auch der innerarabische Tourismus mit 12,7 Millionen Besuchern 2017 wird – vor allem wegen der lockeren Sitten in Bahrain und des liberalen Alkoholausschanks verbunden mit der Nähe zu Saudi-Arabien – ein immens wichtigerer Faktor. So ist jedes Wochenende Hochsaison in Bahrain.
Aus dem westlichen Ausland kommen eher weniger Individualtouristen. Bahrain besitzt kaum natürliche Badestrände, die zudem wenig gepflegt und sehr abgelegen oder in privater Hand sind. Einige Hotels haben künstliche Strände angelegt.
Im ersten Halbjahr 2018 besuchten 49.864 überwiegend deutsche Kreuzfahrer die Inseln. Bahrain wird im Rahmen einer Kreuzfahrt im persischen Golf gerne angeboten. Mein Schiff (TUI) und AIDA dürften die führenden Anbieter sein. Die Schiffe kommen in der Regel während der Woche.
An der abgelegenen Südostspitze der Insel wird seit 2004 das private Urbanisationsprojekt Durrat al-Bahrain mit 13 künstlichen Inseln – in den gleichen Formen innen „Fische“ und außen „Hufeisen“ – und einer Marina für Großboote und Yachten entwickelt. Hier gibt es für insgesamt geplant 7,3 Milliarden US-Dollar Investitionssumme angelegte private Strandabschnitte, Villen, Apartmenthäuser, Freizeit- und im sehr kleinen Rahmen Einkaufsmöglichkeiten. Die Investitionen bedienen in erster Linie wohlhabende arabische Zweitwohnsitzinhaber.
Verkehr
Bis 1986 war Bahrain nur mit Schiff und Flugzeug erreichbar. Seitdem besteht der King Fahd Causeway als Straßenverbindung über das Meer nach Saudi-Arabien und wird jährlich von bis zu 3 Millionen Fahrzeugen genutzt. Eine weitere Verbindung nach Katar, die Freundschaftsbrücke, ist geplant; dieses Bauwerk wäre dann die längste Seebrücke der Welt. Der einzige Verkehrsflughafen des Kleinstaates ist der Internationale Flughafen Bahrain auf der Insel al-Muharraq. Er ist Sitz der staatlichen Fluggesellschaft Gulf Air.
Die bisherige Hafenkapazität südlich des Ortes al-Hidd wurde überwiegend für die Verladung von Rohöl benutzt. Da auch in Bahrain dieser Einkommenszweig allmählich zur Neige geht, hat man seit 2005 mit Hochdruck an der Schaffung neuer Hafenkapazitäten gearbeitet. Südöstlich der bestehenden Anlage wurde auf einer aufgeschütteten Halbinsel der neue Hafen Hidd Port gebaut und im März 2009 in Betrieb genommen. Er dient mit einer Kapazität von 1,1 Millionen TEU vor allem dem Containerumschlag und folgt damit ähnlichen Ausbauten wie in Dubai, Abu Dhabi und Katar.
Das gesamte Straßennetz umfasste 2010 etwa 4122 km, wovon 3392 km asphaltiert sind.
Außenhandel
2003 importierte Bahrain vor allem Rohöl, Maschinen und Transportausrüstungen aus Saudi-Arabien, den USA, Frankreich, Deutschland und aus dem Vereinigten Königreich.
Es exportierte vor allem Erdöl und Erdölprodukte nach Saudi-Arabien, in die USA, nach Taiwan, nach Indien, Japan und Südkorea.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2017 Ausgaben von umgerechnet 9,4 Mrd. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 5,85 Mrd. US-Dollar gegenüber. Im Jahr 2018 beschloss das Land ein Reformprogramm, das von einem USD 10 Mrd. Kredit der Nachbarstaaten Saudi-Arabien, Vereinigte Arabische Emirate und Kuwait flankiert wurde. Das Haushaltsdefizit Bahrains sank 2019 auf 4,7 % des BIP nach 6,8 % im Jahr 2018. Die Staatsverschuldung war vor den Reformmaßnahmen auf annähernd 93 % des BIP gestiegen.
Aufgrund seiner Wirtschaftslage erhebt der Staat mit Ausnahme bei Ölgesellschaften keine Einkommensteuer, womit das Land zu den sogenannten Steueroasen gehört. Jedoch werden in der gehobenen Gastronomie und auch der Hotellerie Verbrauchsteuern von bis zu 20 % erhoben. 2019 wurde eine Mehrwertsteuer von 5 % eingeführt.
Sehenswürdigkeiten
Bahrain ist die Insel der größten prähistorischen Grabstätten der Welt. Tausende Hügelgräber erstrecken sich auf 30 km² entlang der Straßen zwischen den einzelnen Vierteln. Die Anzahl wird auf 170.000 geschätzt.
Die in al-A’ali gefundenen Totengrüfte werden als Königsgräber bezeichnet. Beeindruckend ist ihre Größe, teils 40 m im Durchmesser und 24 m hoch.
Die Altstadthäuser Muharraqs gehören zu den ältesten des Landes: Das Haus des Perlenhändlers, Bait as-Siyadi, das ehemalige Herrscherhaus, Bait Isa bin Ali.
Das Al-Dschasra-Haus zeigt recht authentisch ein Bild der Räumlichkeiten, und wie früher ein schlichtes Zuhause aussah.
Das Arad-Fort wurde Ende des 15. Jh. erbaut und in der Dhau-Werft kann man den Bootsbauern über die Schulter schauen.
Qalʿat al-Bahrain (Archäologische Stätte des Forts von Bahrain) ist seit den 1950er-Jahren die bedeutendste Ausgrabungsstätte. Hier wurden Tempel freigelegt, die vermutlich aus der Dilmun-Zeit, dem 2. Jahrtausend v. Chr. stammen. Der Barbar-Tempel, der Diraz-Tempel und der Sar-Tempel liegen am nördlichen Ende der Insel.
Seit 1976 versucht man im Reservat al-ʿAreen, fast ausgestorbene Tiere und Pflanzen zu erhalten. Auch ein kleiner Zoo ist zu besuchen. Außerdem gibt es Busrundfahrten zu verschiedenen Gehegen.
Der Baum des Lebens Schadscharat al-Haya im Süden des Landes ist ein riesiger Mesquite-Baum, von dem niemand weiß, woher er sein Wasser bezieht.
In Janabiyya ist eine riesige Kamelfarm, die nur von westlichen Touristen besucht werden darf.
Die Formel-1-Strecke in Sakhir, der Bahrain International Circuit, kann an einigen Wochentagen besichtigt werden.
Familien aus den Nachbarländern und auch die Einheimischen besuchen gerne die Einkaufszentren in Seef, die besuchenden Männer bevorzugen die Vergnügungsviertel in Hoora und Juffair, wo sie Alkohol, Drogen und jede Art von Sex gegen Bezahlung bekommen können. Die Aktivitäten sind leicht verdeckt und selten gibt es Razzien und Bestrafungen.
Parks
Im Süden in der Nähe der Formel-1-Strecke gibt es einen kleinen Zoo, den Al-Areen-Wildpark. In der Nähe des Wildparks befindet sich ein großer Wasserpark, das ‚Lost Paradise of Dilmun‘. Überall in Bahrain gibt es kleinere Parks, in Budaya einen kleinen botanischen Garten.
Sehenswürdigkeiten in Manama
Während Manama in der Diplomatic Area und in Seef mit Glastürmen und Hochhäusern ein Finanzzentrum darstellt, gibt es auch traditionsreiche, orientalische Viertel mit Windtürmen.
Der durch das Bahrain-Tor (Bab al-Bahrain) zugängliche Suq mit seiner ihn durchquerenden Goldstraße lag zuvor direkt an der Küste, doch durch die Gewinnung von Land rückten Häuser und Plätze immer mehr vom Wasser weg. Im Suq ist auch ein großer Hindutempel beheimatet. In der Umgebung befinden sich zudem einige Kaufmannshäuser, deren Verzierungen den einstigen Reichtum seiner Besitzer zeigen.
Manama war Kulturhauptstadt der Arabischen Welt im Jahr 2012.
Museen
Eines der größten Museen der Golfregion ist das Nationalmuseum im Norden Manamas, welches Kultur und Geschichte vermittelt.
Als Museum für Tradition gibt es seit 1948 das Heritage Center, ein Gebäude aus dem Jahre 1937, das einst den Staatsgerichtshof beherbergte.
Das Haus des Koran, Bait al-Qur'ān, ist ein Koranmuseum. Auch ungewöhnliche Exemplare des Werkes, wie das Kleinste, das Älteste oder der erste in Deutschland gedruckte Koran, werden dort präsentiert.
Ein paar Straßen weiter befindet sich das Münzmuseum mit 250 Münzen aus Gold, Silber und Bronze.
Moscheen
Im Stadtteil Juffair befindet sich mit der sunnitischen Ahmed-al-Fatih-Moschee die größte Moschee des Landes mit Platz für 7000 Gläubige.
Als Beispiel früherer Architektur zeigt sich die al-Chamīs-Moschee aus dem 8. Jahrhundert.
Einkaufszentren
In Bahrain befinden sich viele Einkaufszentren. Die beliebtesten und größten sind das Bahrain City Center, Al ’Ali Mall und die Seef Mall – alle in einer Straße in Seef. Diese Malls sind wie alle Malls von westlichen Marken geprägt, haben aber auch arabische Artikel wie z. B. Abaya oder Jalabiya. Die Moda Mall im Bahrain World Trade Center ist mehr für exklusive Marken. In den letzten Jahren vermehrten sich die Malls stark und es kamen unzählige neue Malls dazu. Erwähnenswert scheint nur The Avenues zu sein, eine Mall gegenüber dem Four Seasons Hotel direkt am Meer. Man kann draußen sitzen und spazieren gehen. Das Angebot ist in allen Malls sehr ähnlich.
Sport
Das jährliche Formel-1-Rennen „Großer Preis von Bahrain“ fand 2004 erstmals statt. Im Jahr 2011 fiel es aufgrund politischer Unruhen aus. Das für März 2020 geplante Rennen wurde aufgrund der COVID-19-Pandemie zunächst auf unbestimmte Zeit verschoben und fand dann im November statt.
Die bahrainische Fußballnationalmannschaft ist gemessen an der Größe des Landes eine sehr erfolgreiche Fußballelf. Bei der Asienmeisterschaft 2004 in China erreichte sie den vierten Platz nach einer 2:4-Niederlage gegen den Iran im Spiel um den 3. Platz. Bei der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland erreichte die Mannschaft ihre bisher beste Platzierung im Rahmen dieses Wettbewerbes. Nachdem sie in der letzten Gruppenphase der Asien-Qualifikation stand, erreichte die Mannschaft die Play-offs um die Qualifikation zur WM. Dort verlor sie dann allerdings gegen die Auswahl von Trinidad und Tobago knapp mit einem Gesamtergebnis von 1:2 und verpasste damit die Qualifikation für das Turnier. Auch bei der Qualifikation zur Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika stand das Team in der letzten Play-off-Runde und schied gegen Neuseeland nach einem 0:0 zu Hause und einem 0:1 auswärts aus.
Die erste olympische Medaille für Bahrain gewann Maryam Yusuf Jamal, eine eingebürgerte Äthiopierin, mit der Bronzemedaille im 1500-Meter-Lauf während der Olympischen Spiele 2012 in London.
Bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking lief der bahrainische Mittelstreckenläufer Rashid Ramzi, ein eingebürgerter Marokkaner, die schnellste Zeit über 1500 m. Die olympische Goldmedaille wurde ihm jedoch im November 2009 vom IOC wegen Dopings aberkannt.
In der Snooker-Saison 2008/09 fand in Bahrain mit der Bahrain Championship ein Snookerweltranglistenturnier statt.
Bei der Handball-Weltmeisterschaft der Männer 2011 in Schweden nahm erstmals die bahrainische Nationalmannschaft teil.
Im Mai 2015 formierte der Scheich das Bahrain Elite Endurance Triathlon Team. Im Juli folgte der Gewinn der Ironman-Europameisterschaft, im August der Ironman-70.3-Weltmeisterschaft und im Oktober der Sieg beim Ironman Hawaii.
Für die Olympischen Spiele 2016 bürgerte das Land mehrere Leichtathleten ein, darunter die (ursprünglich) kenianischen Marathonläuferinnen Rose Chelimo und Eunice Kirwa. Cholima gewann bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2017 in London Gold im Marathon der Frauen. 2019 gewann sie in Katar bei den Weltmeisterschaften die Silbermedaille.
Das 30.000 Zuschauer fassende Nationalstadion in Riffa, südlich der Hauptstadt Manama, wird hauptsächlich als Fußballstadion genutzt.
Im Januar 2023 wurde erstmals auf dem Bahrain International Circuit ein Turnier der World Series of Darts ausgetragen.
Special Olympics Bahrain wurde 1990 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Bamberg betreut.
Literatur
Marlies Heinz: Bahrain als Handelsdrehscheibe im 3. und 2. Jt.v.Chr., in: Uwe Finkbeiner, Reinhard Dittmann, Harald Hauptmann (Hrsg.): Festschrift für R. M. Boehmer, Beiträge zur Kulturgeschichte Vorderasiens, Mainz 1995, S. 237–256.
Michael Schmidmayr: Politische Opposition in Bahrain. Stabilität und Wandel in einem autoritären Regime. (Weltregionen im Wandel, Band 11) Nomos, Baden-Baden 2011, ISBN 978-3-8329-6511-2.
UN Resident Coordinator’s Office in the Kingdom of Bahrain: . (PDF; 3,9 MB) 2010.
Weblinks
Website der Regierung Bahrains (arabisch, englisch)
Website der Bahrainischen Nachrichtenagentur BNA (arabisch, englisch)
Website der Botschaft des Königreichs Bahrain in Berlin
Länderinformationen zu Bahrain des Auswärtigen Amtes
Einzelnachweise
Königreich
Staat in Asien
Inselstaat
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Gegründet 1971
|
Q398
| 2,284.679285 |
5964
|
https://de.wikipedia.org/wiki/1958
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1958
|
1958 erlebt die Weltwirtschaft ihre erste Rezession der Nachkriegszeit. Die Bundesrepublik, mitten im Wirtschaftswunder, ist davon nur gering betroffen (BIP 469,2 Mrd. Euro, in Preisen von 1995, zu 449,2 im Vorjahr = +4,45 %). In Nordamerika (= USA und Kanada) sowie Südamerika ist sie dagegen spürbar. 1958 (oder 1957) gilt als das Jahr, in dem in Westdeutschland eine lange Krise der Montanindustrie (Kohlekrise (= „Zechensterben“) und Krise in der Stahlindustrie) begann. Im Ruhrgebiet, mit über 10 Millionen Einwohnern die größte Agglomeration Deutschlands, werden diese Krisen besonders sichtbar (Näheres hier).
Weltweit erstarkt die Bewegung für die atomare Abrüstung. Die britische Campaign for Nuclear Disarmament gibt der Bewegung mit dem Friedenssymbol ihr Logo, und ihr Aldermaston March wird zum Vorbild für die Ostermärsche. In Deutschland entsteht parallel die Bewegung Kampf dem Atomtod.
In der Kubanischen Revolution gehen die Rebellen in die Offensive und sind zum Jahreswechsel schließlich siegreich in der Schlacht von Santa Clara.
In Frankreich folgt nach zahlreichen inneren Krisen, insbesondere dem Algerienkrieg, die Fünfte Französische Republik auf die Vierte. Das neue politische System wird entscheidend geprägt durch Charles de Gaulle, den ersten Präsidenten (1958–1969). De Gaulle hatte bereits 1946 in seiner Rede von Bayeux seine Vorstellungen eines Regierungssystems mit einem starken, von der Legislative unabhängigen Präsidenten dargelegt, in bewusster Abgrenzung zum politischen System der IV. Republik mit einer schwachen Exekutive. Besondere Vollmachten im Verfassungsgesetz vom 3. Juni 1958, einschließlich der Ausarbeitung einer neuen Verfassung, ermöglichten es de Gaulle, diese Vorstellungen in der Verfassung der V. Republik zu verwirklichen.
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Januar
1. Januar: Thomas Holenstein wird Bundespräsident der Schweiz.
1. Januar: Die Römischen Verträge zu Gründung der EWG treten in Kraft; Gründung der Europäischen Investitionsbank.
1. Januar: Das katholische Bistum Essen wird gegründet.
2. Januar: In Flensburg wird die deutsche Verkehrssünderkartei eingerichtet
2. Januar: In Berlin beginnt das Bundeskartellamt mit seiner Arbeit.
13. Januar: Übergabe der von Otto Hahn, Bertrand Russell, Albert Schweitzer und 9.000 Wissenschaftlern unterzeichneten Pauling-Petition an UN-Generalsekretär Dag Hammarskjöld; Forderung eines internationalen Abkommens über die sofortige Einstellung der Atomversuche.
23. Januar: Nach einem 2-tägigen Generalstreik wird in Venezuela der Diktator Marcos Pérez Jiménez gestürzt.
Februar
1. Februar: Ägypten und Syrien schließen sich zur Vereinigten Arabischen Republik zusammen.
3. Februar: Belgien, Niederlande und Luxemburg schließen den Benelux-Vertrag zur Errichtung einer Wirtschaftsgemeinschaft.
5. Februar: Nach einem Zusammenstoß mit einem North American F-86-Jagdflugzeug in der Luft muss die Crew eines beschädigten Boeing B-47-Bombers eine Wasserstoffbombe ohne nuklearen Zünder vor der Küste Georgias abwerfen. Die Tybee-Bombe bleibt ungeborgen.
6. Februar: Willy Brandt, Regierender Bürgermeister von Berlin fliegt für 14 Tage in die USA, nimmt die Ehrendoktorwürde der Universität Pennsylvania entgegen und trifft danach den amerikanischen Präsidenten Eisenhower.
8. Februar: Französische Kampfflugzeuge bombardieren das tunesische Dorf Sakhiet Sidi Youssef, nachdem französische Flugzeuge in Grenznähe beschossen worden waren. 79 Menschen, ausschließlich Zivilisten, sterben bei dem Angriff.
14. Februar: Die beiden Königreiche Jordanien und Irak schließen sich kurzzeitig zur Arabischen Föderation zusammen.
14. Februar: Herrenreiter-Fall, Entscheidung des Bundesgerichtshofes in Deutschland
17. Februar: Der polnische Außenminister Adam Rapacki macht Vorschläge für eine Atomwaffenfreie Zone in Mitteleuropa (Rapacki-Plan). Er will ein Verbot von Raketenbasen und die Errichtung eines wirksamen Kontrollsystems.
21. Februar: Der im Ausland lebende Otto von Habsburg, der älteste Sohn von Kaiser Karl I., erklärt seinen Verzicht auf Ansprüche gegenüber der Republik Österreich und Treue zu ihrer Verfassung. Er bewirkt damit innenpolitische Querelen um eine mögliche Einreise, die sich auch nach einer offiziell zu Protokoll gegebenen Verzichtserklärung vom 31. Mai 1961 aufgrund des Habsburger-Gesetzes noch nicht legen.
23. Februar: Arturo Frondizi wird neuer argentinischer Präsident.
März
15. März: Das Militärgeschichtliche Institut der DDR wird gegründet.
19. März: Das Europäische Parlament tritt als parlamentarische Versammlung der neu gegründeten Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu seiner konstituierenden Sitzung zusammen. Ihm gehören 142 Abgeordnete aus den nationalen Parlamenten Belgiens, Deutschlands, Frankreichs, Italiens, Luxemburgs und der Niederlande an.
27. März: In Moskau tritt Nikolai Bulganin das Amt des Ministerpräsidenten an Nikita Chruschtschow ab.
30. März: Otto Hahn begrüßt den Entschluss des Obersten Sowjets der UdSSR, Kernwaffenversuche einseitig einzustellen. Die ihm am 5. Mai angetragene Ehrenmitgliedschaft in der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften lehnt er hingegen ab.
April
4. April: Aufnahme der Deutsch-Nepalesischen diplomatischen Beziehungen.
6. April: Der persische Schah, Mohammad Reza Pahlavi, lässt sich von seiner Frau Soraya wegen Kinderlosigkeit scheiden.
11. April: Ghana wird Mitglied in der UNESCO.
14. April: Tunesien wird Mitglied in der Weltbank und im IWF.
15. April: In Stuttgart ereignet sich mit der Entführung von Joachim Göhner das erste Kidnapping in der Bundesrepublik Deutschland. Der Täter erdrosselt den Siebenjährigen, fordert jedoch vom Vater Lösegeld.
28. April: Mit dem Ulmer Einsatzgruppen-Prozess begann die juristische Aufarbeitung des Holocaust in Deutschland gegen Mitglieder von nationalsozialistischen Einsatzgruppen in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs.
Mai
9. Mai: Im Libanon beginnt ein fünfmonatiger Bürgerkrieg zwischen Befürwortern einer prowestlichen und einer proarabischen Politik.
13. Mai: Putsch von Algier (Algerien). Staatsstreich französischer Militärs gegen das neugebildete Kabinett Pflimlin unter Premierminister Pierre Pflimlin. General Jacques Massu wird zum Präsidenten eines „Wohlfahrtsausschusses“ ausgerufen.
24. Mai: Opération Résurrection: ein in Calvi (Korsika) stationiertes Fallschirmjägerbataillon besetzt die Bürgermeisterämter in Ajaccio und Bastia (beide auf Korsika)
28. Mai: Die Lebensmittelkarten in der DDR werden abgeschafft.
30. Mai: Otto Hahn rät zum Abbau aller Uranspaltungsreaktoren im Interesse des Friedens und plädiert für die Entwicklung von Fusionsreaktoren.
Juni
1. Juni: Charles de Gaulle wird Ministerpräsident Frankreichs mit weitreichenden Notstandsmachtbefugnissen für sechs Monate, unter Suspension des Parlaments und mit dem Recht, den Entwurf zu einer neuen Verfassung auszuarbeiten.
7. Juni: Hubschrauber-Zwischenfall von 1958: Ein mit neun Soldaten der US-Armee besetzter Hubschrauber fliegt in den Luftraum der DDR ein und muss bei Frankenberg notlanden. Die Soldaten werden interniert und am 19. Juli 1958 wieder freigelassen.
16. Juni: Die Führer des Ungarischen Volksaufstands, unter ihnen der frühere Ministerpräsident Imre Nagy, der frühere Verteidigungsminister Pál Maléter und der Journalist Miklós Gimes, werden nach einem Schauprozess in einem Budapester Gefängnis hingerichtet.
16. Juni: Malaysia wird Mitglied in der UNESCO.
26. Juni: das Schiff Omega, der letzte Rahsegler auf Frachtfahrt weltweit, schlägt vor der peruanischen Küste leck und sinkt.
Juli
1. Juli: In der Bundesrepublik Deutschland tritt das Gleichstellungsgesetz in Kraft, wonach Frauen fortan einen Beruf auch ohne die Zustimmung des Ehemannes ausüben dürfen.
14. Juli: Im Irak putscht die Armee unter dem Obristen Abd al-Karim Qasim. Der 23 Jahre alte König Faisal II. wird dabei getötet.
15. Juli: 5.000 US-Marineinfanteristen gehen im Libanon an Land.
16. Juli: Erster Sekretär Walter Ulbricht verkündet auf dem fünften Parteitag der SED die Zehn Gebote der sozialistischen Moral und Ethik.
17. Juli: Britische Fallschirmjägertruppen landen in Jordanien, um die Macht König Husseins zu stabilisieren.
26. Juli: Die letzten sowjetischen Truppen ziehen aus Rumänien ab, das sich während des Ungarnaufstands als zuverlässig erwiesen hatte.
30. Juli: Das angerufene Bundesverfassungsgericht hält eine beabsichtigte Volksbefragung über die Aufstellung von Kernwaffen unter NATO-Oberbefehl im deutschen Bundesgebiet für verfassungswidrig. Die von einem breiten Bündnis getragene Bewegung Kampf dem Atomtod gibt daraufhin ihre Kampagne auf.
August
23. August: Abkommen auf dem Gebiet der Rechts- und Amtshilfe zwischen Luxemburg und der Bundesrepublik Deutschland
23. August: Im Taiwan-Konflikt bricht die zweite Quemoy-Krise aus. Die chinesische Volksbefreiungsarmee beginnt erneut mit einem Bombardement der dem Festland vorgelagerten und von Republik China kontrollierten Inseln Quemoy und Matsu, das 44 Tage währen wird.
23. August: In den Vereinigten Staaten entsteht nach mehreren schweren Kollisionen im Flugverkehr die Luftfahrtbehörde Federal Aviation Agency.
28. August: Belgien gibt, wie am 24. September 1956 im deutsch-belgischen Grenzvertrag () vereinbart, einige Gebiete an die Bundesrepublik zurück.
September
2. September: Hendrik Frensch Verwoerd wird Ministerpräsident von Südafrika und etabliert in seiner Amtszeit wichtige Gesetze der Apartheid.
14. September: Der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer trifft Charles de Gaulle in dessen Heimatort Colombey-les-deux-Eglises.
28. September: In einer Volksabstimmung billigt Frankreich den politischen Umbau zur sogenannten Fünften Republik.
Oktober
1. Oktober: Tunesien und Marokko treten der Arabischen Liga bei.
1. Oktober: Im Rahmen der Ableistung seines Wehrdienstes trifft der Rock-’n’-Roll-Sänger Elvis Presley bei der stationierten US-Armee in der Bundesrepublik Deutschland ein.
2. Oktober: Guinea erlangt seine Unabhängigkeit von Frankreich. Ahmed Sékou Touré wird Staatspräsident.
4. Oktober: Frankreich gibt sich eine neue Verfassung (Fünfte Französische Republik).
16. Oktober: Albanien wird Mitglied in der UNESCO.
27. Oktober: General Muhammad Ayub Khan verhängt den Belagerungszustand über Pakistan und errichtet eine Militärdiktatur.
28. Oktober: Clement Attlee, Edgar Faure, Otto Hahn und Tetsu Katayama u. a. unterzeichnen in New York das Abkommen, eine Versammlung zur Ausarbeitung einer Weltverfassung einzuberufen.
November
10. November: In einer Rede im Moskauer Sportpalast verlangt der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow eine Änderung des Potsdamer Abkommens. Er deutet das Übertragen sowjetischer Befugnisse aus alliierter Zeit auf die DDR an. Die Berlin-Krise zieht herauf.
18. November: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Norwegen
23. November: Die westafrikanischen Staaten Ghana und Guinea bilden die Ghana-Guinea-Union. Die marxistisch orientierte Organisation besteht bis zu ihrem Zerfall im Jahr 1962.
27. November: Die Sowjetunion richtet sich mit dem Berlin-Ultimatum an die Westmächte.
30. November: Französisch-Äquatorialafrika wird aufgelöst. Es entstehen dafür die vier Länder Republik Kongo, Gabun, Tschad und Zentralafrikanische Republik, die im Jahr 1960 unabhängig werden.
Dezember
4. Dezember: Dahomey (später Benin), wird autonome Republik.
9. Dezember: In Indianapolis wird die John Birch Society gegründet, deren politisches Denken von Verschwörungstheorien geprägt ist.
11. Dezember: Obervolta (später Burkina Faso) wird autonome Republik.
12. Dezember: Guinea wird Mitglied bei den Vereinten Nationen.
17. Dezember: Das deutsche Segelschulschiff Gorch Fock wird in Dienst gestellt.
18. Dezember:Niger wird autonome Republik.
21. Dezember: Charles de Gaulle wird mit großer Mehrheit zum französischen Staatspräsidenten gewählt
Tag unbekannt
Gründung des Bischöflichen Hilfswerks Misereor
Wirtschaft
31. März: Die österreichische Fluggesellschaft Austrian Airlines nimmt den Linienflugverkehr zwischen Wien und London auf. Es ist die erste Verbindung des nach dem Abschluss des Staatsvertrags wieder zulässigen Luftverkehrs.
28. April: Die Wahnbachtalsperre wird vom Ministerpräsidenten Steinhoff in Betrieb genommen.
24. Mai: Die US-amerikanische Nachrichtenagentur UPI entsteht aus dem Zusammenschluss von United Press (UP) und International News Service (INS).
9. Juni: Die britische Königin Elisabeth II. eröffnet den Gatwick Airport in London.
8. September: Gründung der Interflug
18. Oktober: Tunesien führt als Landeswährung den – nicht konvertiblen – Dinar ein.
19. Oktober: Die nunmehr asphaltierte Hochrhönstraße wird für den Verkehr freigegeben.
2. Dezember: Die regionalen Gemeinwirtschaftsbanken in Deutschland schließen sich zur gewerkschaftsnahen Bank für Gemeinwirtschaft mit Sitz in Frankfurt am Main zusammen.
29. Dezember: Die Europäische Zahlungsunion endet. Währungen mehrerer Staaten werden frei konvertierbar.
Gründung der Ernie Ball Incorporation
Ersteinführung von Arzneistoffen (Deutschland): Carbutamid (orales Antidiabetikum), Griseofulvin (Antimykotikum), Hydrochlorothiazid (Diuretikum), Imipramin (Antidepressivum)
Gründung der Verwertungsgesellschaft Wort
Beginn der Kampagne Ausrottung der vier Plagen in der Volksrepublik China
Wissenschaft und Technik
1. Januar: Die Internationale Atomzeit (TAI) wird eingeführt.
1. Januar: Die Schweiz nimmt die reguläre Fernsehausstrahlung auf.
4. Januar: 92 Tage nach seinem Start verglüht der sowjetische Satellit Sputnik 1 beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre. Mit ihm ist die Ära der Raumfahrt eröffnet.
4. Januar: Mount-Everest-Bezwinger Sir Edmund Hillary erreicht mit einer neuseeländischen Antarktis-Expedition den Südpol. Es ist die weltweit dritte Expedition, die an diesen Punkt vorstößt.
7. Januar: Dwight D. Eisenhower gründet die zum Verteidigungsministerium gehörende Research Projects Agency (ARPA).
19. Januar: Der britische Polarforscher Vivian Fuchs trifft mit seinem Team im Rahmen der British Commonwealth Transantarctic Expedition als vierte Expedition am Südpol ein.
1. Februar: Die USA positionieren ihren ersten Satelliten mit Namen Explorer 1 im All.
19. Februar: In Marburg führt Rudolf Zenker die erste Operation am offenen Herzen mit Hilfe einer Herz-Lungen-Maschine in Deutschland durch.
2. März: Die British Commonwealth Transantarctic Expedition unter dem Polarforscher Vivian Fuchs und mit Sir Edmund Hillary trifft in Scott Base ein. Sie hat den antarktischen Kontinent durchquert und dabei in 99 Tagen 3440 km zurückgelegt.
15. Mai: Die Sowjetunion schickt für wissenschaftliche Aufgaben Sputnik 3 in eine Erdumlaufbahn. Die Kapsel ist ein Ersatzsatellit, nachdem es zuvor im Februar einen Fehlstart gegeben hatte.
13. Juni: Jean Boulet erreicht mit seinem Hubschrauber die Rekordhöhe von 10.984 Metern.
25. Juni: Die United States Air Force wählt neun Testpiloten – unter ihnen Neil Armstrong – für das Programm „Man In Space Soonest (MISS)“ aus. Es ist die erste Astronautenauswahl in der Geschichte.
29. Juli: Gründung der NASA
4. August: Das amerikanische Atom-U-Boot Nautilus unterquert den Nordpol.
14. September: Zwei Raketen des deutschen Konstrukteurs Ernst Mohr stoßen bei ihren Starts im Cuxhavener Wattengebiet als erste deutsche Flugkörper der Nachkriegszeit in die Hochatmosphäre vor.
8. Oktober: In Stockholm wird vom Arzt Åke Senning einem Menschen der erste Herzschrittmacher eingepflanzt.
19. Oktober: Unter dem Atomium in Brüssel endet die erste Weltausstellung der Nachkriegszeit.
23. Dezember: In Tokio wird der Tokyo Tower für das Publikum geöffnet. Der Stahlfachwerkturm löst mit 332,6 Metern Höhe den Pariser Eiffelturm bis 1985 als weltweit höchstes Bauwerk seiner Art ab.
Momofuku Andō erfindet den Instant-Ramen und gründet Nissin Foods
Meselson-Stahl-Experiment: Matthew Meselson und Franklin Stahl weisen am Darmbakterium Escherichia coli die semikonservative Replikation der DNA nach.
Die ersten deutschlandweit verwendbaren Autotelefone kommen auf den Markt. Die Geräte kosteten circa 50 % des Wagens. Die Gespräche mit den Autotelefonen wurden handvermittelt.
Beginn der Arbeiten zur Moselkanalisierung
Kultur
15. Januar: Uraufführung der Oper Vanessa von Samuel Barber an der Metropolitan Opera in New York
15. Januar: Die deutsche Filmkomödie Das Wirtshaus im Spessart (Regie: Kurt Hoffmann) wird uraufgeführt.
29. Januar Uraufführung des Films Fahrstuhl zum Schafott
23. Februar: Der britische Künstler Gerald Holtom entwirft als Friedenszeichen das CND-Symbol. Es soll den Londoner Ostermarsch mit dem Ziel, baldmöglichst nukleare Abrüstung zu erreichen, optisch unterstützen.
14. April: Uraufführung der Oper Titus Feuerfuchs von Heinrich Sutermeister nach der Posse mit Gesang Der Talisman von Johann Nepomuk Nestroy in Basel
16. April: Uraufführung der Oper Nana von Manfred Gurlitt in Dortmund
18. April: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Großbritannien. In Kraft seit dem 17. April 1959
26. April: Die Berliner Kongresshalle wird als Geschenk von der Benjamin-Franklin-Stiftung an die Stadt, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, übergeben.
14. Juni: Oberbürgermeister Thomas Wimmer eröffnet die 800-Jahr-Feier der Stadt München
28. August: In Frankfurt am Main wird Rolf Thieles Kinofilm Das Mädchen Rosemarie uraufgeführt, die Aufarbeitung des Todes der Prostituierten Rosemarie Nitribitt. Mit ihrer realen Lebensgeschichte weist das Filmkunstwerk wenig Zusammenhänge auf.
3. September: Uraufführung der musikalischen Komödie Madame Scandaleuse von Peter Kreuder in Wien
3. Oktober: Uraufführung der komischen Oper Corinna von Wolfgang Fortner in Berlin
23. Oktober: Im französischen Magazin Spirou veröffentlicht der Zeichner Peyo erstmals einen Comic mit den Schlümpfen in einer Nebenrolle.
16. Dezember: Franz Peter Wirths Film Helden mit den Hauptdarstellern O. W. Fischer und Liselotte Pulver wird in Hamburg erstmals gezeigt.
Gründung der Künstlergruppe SPUR in München.
Die Filmhochschule Łódź wird aus den beiden bis dahin selbständigen Schulen Wyższą Szkołą Filmową (Höhere Filmschule) und Wyższa Szkoła Aktorska (Höhere Schauspielschule) gebildet.
Der Architekt und Designer Arne Jacobsen entwirft die Sessel Ei und Schwan für das Radisson SAS Royal Hotel in Kopenhagen.
Religion
17. Februar: Papst Pius XII. erklärt die heilige Klara von Assisi zur Schutzpatronin des Fernsehens.
Neunte Lambeth-Konferenz der Anglikanischen Kirche
28. Oktober: Papstwahl von Angelo Giuseppe Roncalli, der sich den Namen Johannes XXIII. gibt.
Katastrophen
Februar: Mitte und Ende Februar tritt der Rhein zweimal über die Ufer. Die Kölner Altstadt wird überflutet.
9. Juli: Durch einen an der Lituya Bay in Alaska ereigneten Erdrutsch wird ein 520 Meter hoher Tsunami ausgelöst. Zwei Fischer sterben, die unbesiedelte Küstenregion wird schwer verwüstet.
14. August: Beim Absturz einer KLM Lockheed Super Constellation (auf dem Weg von Amsterdam über Shannon nach New York) in den Atlantik sterben 180 km westlich vor Irland alle 99 Insassen des Flugzeugs.
Große Chinesische Hungersnot
Beginn der staatlichen Kampagne Großer Sprung nach vorn in der Volksrepublik China
Sport
Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik.
8. Januar: Bobby Fischer gewinnt als Vierzehnjähriger die United States Chess Championship und ist damit der jemals jüngste Schachmeister in den USA sowie – bis 1991 – weltweit.
19. Januar bis 19. Oktober: Austragung der 9. Formel-1-Weltmeisterschaft
9. Februar: Bei den Alpinen Skiweltmeisterschaften in Bad Gastein feiert der Rennläufer Toni Sailer seinen letzten großen Triumph. Er ist Weltmeister in der Abfahrt, im Riesenslalom sowie der Kombination. Im vierten Wettbewerb der Herren, dem Slalom, wird Sailer Zweiter.
12. März: Der Basketballspieler Maurice Stokes stürzt kopfüber aufs Parkett und erleidet eine posttraumatische Enzephalitis. Stokes ist fortan gelähmt.
9. Mai: Beim Revanchekampf gegen Wassili Smyslow gewinnt Michail Botwinnik den Schachweltmeistertitel zurück.
18. Mai: Der FC Schalke 04 wird deutscher Fußballmeister.
29. Juni: Der Gastgeber Schweden unterliegt im Finale der Fußball-WM mit 2:5 gegen Brasilien. Der 17-jährige Pelé erzielt dabei zwei Tore.
6. August: Die Italiener Walter Bonatti und Carlo Mauri stehen als erste Bergsteiger auf dem Gipfel des Gasherbrum IV im Karakorum-Gebirge.
20./21. September: Deutschland besiegt überraschend mit 115:105 die UdSSR beim Leichtathletik-Länderkampf im Rosenaustadion. Ludwig Müller wird der „Held von Augsburg“.
11. Oktober: Gründung des „Deutschen Pony-Clubs“ in Bonn, als Vorläufer des Islandpferde-Reiter- und Züchterverbands IPZV e. V., Beginn der Demokratisierung des Reitens und der Freizeitreiterei als Breitensport-Bewegung.
19. Oktober: Der Brite Mike Hawthorn wird Weltmeister der Formel 1, das Team Vanwall gewinnt die erste Konstrukteursmeisterschaft der Formel 1.
12. November: Dem Bergsteiger und Kletterer Warren Harding gelingt es mit seinem Team, die schwierige The Nose genannte Felswand des Berges El Capitan im Yosemite-Nationalpark nach langen Versuchen zu durchsteigen.
28. Dezember: In der Overtime gewinnen die Baltimore Colts in New York City das NFL Championship Game gegen die New York Giants mit 23-17. Die dramatischen Schlussminuten machen das Spiel zum The Greatest Game Ever Played in der Geschichte des American Football.
Geboren
Januar
1. Januar: Laima Liucija Andrikienė, litauische Politikerin
1. Januar: Grandmaster Flash, US-amerikanischer Rapper, Musik-Produzent und DJ
2. Januar: Jean-Baptiste Barrière, französischer Komponist
2. Januar: Igor Sokolow, sowjetisch-russischer Sportschütze und Olympiasieger
3. Januar: Kerry Michelle Armstrong, australische Schauspielerin
4. Januar: Matt Frewer, US-amerikanischer Schauspieler
4. Januar: Julian Sands, britischer Schauspieler († 2023)
5. Januar: Notburga Astleitner, österreichische Politikerin
5. Januar: Danny Atar, israelischer Politiker
5. Januar: Gabriela Cárdeñas, peruanische Volleyballspielerin († 2022)
5. Januar: Monica Guerritore, italienische Schauspielerin
6. Januar: Frankie Vázquez, puerto-ricanischer Perkussionist und Sänger
7. Januar: Miki Biasion, italienischer Rallyefahrer
7. Januar: Florian Beck, deutscher Skirennläufer
7. Januar: Linda Kozlowski, US-amerikanische Schauspielerin
7. Januar: David Lee Murphy, US-amerikanischer Country-Star
7. Januar: Kristin Winter, deutsche Autorin und Malerin
8. Januar: Betsy DeVos, US-amerikanische Politikerin, ehemalige Bildungsministerin
8. Januar: Peter Sebastian, deutscher Sänger, Texter, Produzent und Rundfunkmoderator
9. Januar: Mehmet Ali Ağca, türkischer Rechtsextremist
10. Januar: Giselher W. Hoffmann, deutschsprachiger namibischer Schriftsteller († 2016)
11. Januar: Vicki Peterson, US-amerikanische Pop- und Rockmusikerin
12. Januar: Christiane Amanpour, britisch-iranische Journalistin
12. Januar: Andreas H. Apelt, deutscher Publizist und Autor
12. Januar: Jo Conrad, deutscher Autor
12. Januar: Matthias Döschner, deutscher Fußballer
13. Januar: Marianne Rappenglück, deutsche Schauspielerin
14. Januar: Patricia Morrison, US-amerikanische Bassistin, Sängerin und Songwriterin
15. Januar: Silvano Contini, italienischer Radrennfahrer
15. Januar: Adramé Ndiaye, senegalesischer Basketballspieler († 2020)
15. Januar: Boris Tadić, serbischer Politiker und Staatspräsident
17. Januar: Elisabeth Apel, hessische Politikerin
17. Januar: Gabriele Marion Appel, deutsche Hockeyspielerin
17. Januar: Georges Bregy, Schweizer Fußballspieler
17. Januar: Susanna Capurso, italienische Schauspielerin
17. Januar: Ulla Haselstein, deutsche Literaturwissenschaftlerin
17. Januar: Gabriel Mbilingi, angolanischer Theologe
17. Januar: Deran Sarafian, US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur
17. Januar: Klaus Täuber, deutscher Fußballspieler († 2023)
18. Januar: Bernard Genghini, französischer Fußball-Nationalspieler
18. Januar: Andreas Mrosek, deutscher Politiker
18. Januar: Brenda Phillips, simbabwische Hockeyspielerin
18. Januar: Volker Pispers, deutscher Kabarettist
19. Januar: Michel De Wolf, belgischer Fußballspieler
19. Januar: Ludwik Synowiec, polnischer Eishockeyspieler († 2022)
21. Januar: Klaus Thiele, deutscher Leichtathlet
21. Januar: Frank Ticheli, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge
22. Januar: Nikolaos Anastopoulos, griechischer Fußballspieler und -trainer
22. Januar: Mark Mitten, US-amerikanischer Filmproduzent
22. Januar: Butz Peters, deutscher Jurist und Fernsehmoderator
23. Januar: Stephan Apel, deutscher Arzt und Sanitätsoffizier
23. Januar: Sergei Litwinow, sowjetisch-russischer Leichtathlet, Hammerwerfer († 2018)
24. Januar: François Bertemes, deutsch-luxemburgischer Prähistoriker
24. Januar: Jools Holland, britischer Pianist, Bandleader und Fernsehmoderator
24. Januar: Frank Ullrich, deutscher Biathlet und Bundestrainer der deutschen Biathleten
24. Januar: Harti Weirather, österreichischer Skirennläufer
25. Januar: Eric Abetz, australischer Politiker
25. Januar: Paulus Manker, österreichischer Schauspieler
25. Januar: Jürgen Hingsen, deutscher Zehnkämpfer
25. Januar: Alessandro Baricco, italienischer Schriftsteller
25. Januar: Dinah Manoff, US-amerikanische Schauspielerin
25. Januar: Kidane Yebio, eritreischer Bischof
26. Januar: Anita Baker, US-amerikanische Jazz-Sängerin
26. Januar: Ellen DeGeneres, US-amerikanische Schauspielerin, Moderatorin und Komikerin
26. Januar: Gian Piero Gasperini, italienischer Fußballspieler und -trainer
26. Januar: Vincenzo La Scola, italienischer Tenor († 2011)
27. Januar: Mohammed Ali Abtahi, persischer Geistlicher und Politiker
29. Januar: Leif Allan Andrée, schwedischer Schauspieler und Schlagzeuger
29. Januar: Thomas Blumenthal, deutscher klassischer Gitarrist und Musikpädagoge
30. Januar: Bjørn Klakegg, norwegischer Jazzgitarrist
31. Januar: Bernd Baumann, deutscher Ökonom und Politiker
Februar
1. Februar: Søren Lerby, dänischer Fußballspieler und -trainer
2. Februar: William Binnie, US-amerikanischer Unternehmer und Automobilrennfahrer
2. Februar: Michel Marc Bouchard, kanadischer Dramatiker
2. Februar: Franke Sloothaak, deutsch-niederländischer Springreiter
3. Februar: Piotr Sobociński, polnischer Kameramann († 2001)
3. Februar: N. Gregory Mankiw, US-amerikanischer Ökonom
4. Februar: Keigo Higashino, japanischer Kriminalschriftsteller
4. Februar: Werner Schwab, österreichischer Schriftsteller († 1994)
4. Februar: Tomasz Pacyński, polnischer Science-Fiction-Schriftsteller († 2005)
5. Februar: Fabrizio Frizzi, italienischer Fernsehmoderator († 2018)
5. Februar: Kenneth Holm, schwedischer Rennrodler
5. Februar: Frank Pagelsdorf, deutscher Fußballspieler und -trainer
6. Februar: Cecily Adams, US-amerikanische Schauspielerin und Regisseurin († 2004)
6. Februar: Juri Mitew, bulgarischer Biathlet († 2022)
6. Februar: Johann Schuler, deutscher Schauspieler
7. Februar: Giuseppe Baresi, italienischer Fußballspieler
7. Februar: Matt Ridley, britischer Zoologe
8. Februar: Sherri Martel, US-amerikanische Profi-Wrestlerin und Wrestling-Managerin († 2007)
9. Februar: Totju Andonow, bulgarischer Ringer
9. Februar: Jürgen Kuttner, deutscher Radiomoderator
10. Februar: Wally Afanasieff, US-amerikanischer Musikproduzent und Songwriter
10. Februar: Birgit Diezel, deutsche Politikerin
10. Februar: Norbert Vollertsen, deutscher Notarzt und Menschenrechtsaktivist
11. Februar: Ulrike Bumke, deutsche Juristin († 2016)
13. Februar: Ulrich Adrian, deutscher Fernsehjournalist
13. Februar: Pernilla August, schwedische Schauspielerin und Filmregisseurin
13. Februar: Enzo Cosimi, italienischer Tänzer und Choreograph
13. Februar: Anna Jansson, schwedische Autorin
15. Februar: Rabah Madjer, algerischer Fußballspieler und -trainer
15. Februar: Christian Lindberg, schwedischer Komponist und Posaunist
16. Februar: Bernhard Englbrecht, deutscher Eishockeyspieler, jetzt Trainer
16. Februar: Ice-T, US-amerikanischer Rapper und Schauspieler
17. Februar: Josefa Andrés Barea, spanische Politikerin
18. Februar: Stefan Keller, schweizerischer Autor und Historiker
18. Februar: Peter Kremer, deutscher Schauspieler
18. Februar: Giovanni Lavaggi, italienischer Automobilrennfahrer
19. Februar: Lutz Ahnfeld, deutscher Politiker
19. Februar: Helen Fielding, britische Autorin
20. Februar: Sabine Kaack, deutsche Schauspielerin
21. Februar: Klaus Graf, deutscher Historiker und Archivar
21. Februar: Simon Holt, englischer Komponist
21. Februar: Martin Weppler, deutscher Leichtathlet
21. Februar: Angela Gehann-Dernbach, deutsche Dirigentin, Sängerin, Organistin
21. Februar: Mary Chapin Carpenter, US-amerikanische Country- und Folk-Sängerin
21. Februar: Jack Coleman, US-amerikanischer Schauspieler
21. Februar: Jörn-Uwe Lommel, deutscher Handballtrainer und Handballspieler
22. Februar: Udi Adam, israelischer Generalmajor
22. Februar: Almo Coppelli, italienischer Automobilrennfahrer
23. Februar: Heinrich Richard Arndt, deutscher Blues- und Rockmusiker
24. Februar: Sammy Kershaw, US-amerikanischer Country-Sänger
25. Februar: Kevin Gray, US-amerikanischer Schauspieler († 2013)
25. Februar: Barclay Hope, kanadischer Schauspieler
25. Februar: Miloslav Navrátil, tschechischer Dartspieler
26. Februar: Michel Houellebecq, französischer Schriftsteller
26. Februar: Bernd Liffers, deutscher Kirchenmusiker und Organist
27. Februar: Christoph Güsken, deutscher Krimiautor
27. Februar: Nancy Spungen, US-amerikanische Freundin des Punkmusikers Sid Vicious († 1978)
27. Februar: Charlotte Britz, deutsche Oberbürgermeisterin von Saarbrücken
28. Februar: Christina Lathan, deutsche Leichtathletin und Olympiasiegerin
28. Februar: Mark Pavelich, US-amerikanischer Eishockeyspieler († 2021)
März
1. März: Hansa Czypionka, deutscher Schauspieler
1. März: Katerina Jacob, deutsche Schauspielerin
1. März: Nik Kershaw, britischer Popmusiker
1. März: Bertrand Piccard, Schweizer Psychiater und Wissenschaftler
1. März: Egbert Scheunemann, freier Autor und Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg
2. März: Kevin Curren, südafrikanischer Tennisspieler
3. März: Haji Nasrullah Baryalai Arsalai, afghanischer Politiker
3. März: Miranda Richardson, britische Schauspielerin
4. März: Per Egil Ahlsen, norwegischer Fußballspieler
4. März: Patricia Heaton, amerikanische Schauspielerin
4. März: Madleen Kane, schwedische Disco-Sängerin und Model
4. März: Jouko Parviainen, finnischer Nordischer Kombinierer
5. März: Bülent Aris, deutscher Musikproduzent und Songwriter
6. März: Vittorio Agnoletto, italienischer Politiker
6. März: Andrea Wicklein, deutsche Politikerin
7. März: Stefan Born, deutscher Fußballspieler († 2015)
8. März: Gary Numan, britischer Musiker und Pionier des Elektropop
8. März: Erwin Skamrahl, deutscher Leichtathlet
9. März: Ülkü Akbaba, österreichische Schauspielerin, Dramaturgin, Regisseurin, Film- und Theaterautorin
9. März: Hans Stacey, niederländischer Rallye- und Rallye-Raid-Fahrer
10. März: Janis Dowd, US-amerikanische Schwimmerin († 2021)
10. März: Sharon Stone, US-amerikanische Schauspielerin
11. März: Eddie Lawson, US-amerikanischer Motorradrennfahrer
12. März: Phil Anderson, australischer Radrennfahrer
12. März: Max Herbrechter, deutscher Schauspieler und Kabarettist
12. März: Kathrin Schmidt, deutsche Schriftstellerin
13. März: Guillermo Arriaga Jordán, mexikanischer Schriftsteller, Drehbuchautor, Filmregisseur und -produzent
13. März: Ján Kocian, slowakischer Fußballspieler und -trainer
13. März: Khalida Messaoudi, algerische Feministin
14. März: Albert II., Fürst von Monaco
14. März: Leonhard Stock, österreichischer Skirennläufer
14. März: Reinhard Wolters, deutscher Althistoriker
15. März: Peter Hertel, deutscher Schach-Großmeister im Fernschach
15. März: Klaus-Armin Nave, deutscher Molekular- und Neurobiologe
15. März: Ralf Walter, deutscher SPD-Politiker
16. März: Maria Elisabet Wallgren Arnholm, schwedische Politikerin
16. März: Marco Pütz, luxemburgischer Saxophonist und Komponist
17. März: José Manuel Abascal, spanischer Mittel- und Langstreckenläufer
17. März: Christian Clemenson, US-amerikanischer Schauspieler
18. März: Joachim Reiber, deutscher Historiker, Germanist, Musikjournalist und Musikschriftsteller
18. März: Andreas Wenzel, Skirennläufer aus Liechtenstein
19. März: Jean-Jacques Aubert, schweizerischer Althistoriker
19. März: Anne Marie Giørtz, norwegische Jazzsängerin
19. März: Theo Koll, deutscher Journalist
19. März: Andy Reid, US-amerikanischer American-Football-Trainer
19. März: Michael Radanovics, österreichischer Komponist, Arrangeur und Violinist
20. März: Holly Hunter, US-amerikanische Schauspielerin
21. März: Willi Achten, deutscher Schriftsteller
21. März: Marlies Göhr, deutsche Leichtathletin
21. März: Gary Oldman, britischer Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent
22. März: Janez Potočnik, slowenischer Politiker und EU-Kommissar
22. März: Claudia Sprenger, liechtensteinische Skilangläuferin
23. März: Serena Grandi, italienische Schauspielerin
23. März: Bruno Mathieu, französischer Organist
24. März: Albert Carnice Company, andorranischer Fußballspieler
24. März: Roland Koch, deutscher Politiker, Ministerpräsident von Hessen
24. März: Joachim Paulick, deutscher Oberbürgermeister von Görlitz
25. März: Enno Aufderheide, deutscher Biologe und Wissenschaftsmanager
25. März: Thomas Happe, deutscher Handballspieler
26. März: Elio de Angelis, italienischer Formel-1-Fahrer († 1986)
26. März: Alar Karis, estnischer Biologe und Politiker
27. März: Didier de Radiguès, belgischer Rennfahrer
28. März: Elisabeth Andreassen, schwedisch-norwegische Sängerin
28. März: Curt Hennig, US-amerikanischer Profi-Wrestler, „Mr. Perfect“ († 2003)
28. März: Heinz Hermann, Schweizer Fußballnationalspieler
29. März: Denise, deutsche Sängerin, Texterin und Gitarristin
29. März: Kostas Akrivos, griechischer Schriftsteller
29. März: Marliese Arold, deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin
29. März: Michael Müller, deutscher Autor und Verleger († 2014)
30. März: Markus Hinterhäuser, österreichischer Pianist und Kulturmanager
31. März: Walter Ameling, deutscher Althistoriker
31. März: Dietmar Bartsch, deutscher Politiker
April
1. April: Toni Innauer, österreichischer Skispringer
1. April: Tita, brasilianischer Fußballspieler
2. April: Roland Gewalt, deutscher Politiker
2. April: Dierk Schmäschke, deutscher Handballmanager und Handballspieler
3. April: Francesca Woodman, US-amerikanische Fotografin († 1981)
3. April: Alec Baldwin, US-amerikanischer Schauspieler
3. April: Esther Wenger, deutsche Fernsehregisseurin und -produzentin
4. April: Christian Danner, deutscher Motorsportler
4. April: Hildegard Förster-Heldmann, deutsche Innenarchitektin und Politikerin
4. April: Greg Foster, US-amerikanischer Leichtathlet († 2023)
5. April: Wilson Luís Angotti Filho, brasilianischer Weihbischof
5. April: Johan Kriek, südafrikanischer Tennisspieler
5. April: Lasantha Wickrematunge, sri-lankischer Journalist († 2009)
7. April: Birgit Schrowange, deutsche Fernsehmoderatorin
8. April: Marita Marschall, deutsche Schauspielerin
8. April: Marian Skubacz, polnischer Ringer († 2023)
10. April: Michael Fock, deutscher Jurist
10. April: Kathleen Glynn, US-amerikanische Grafik-Designerin und Film-Produzentin
10. April: Elmar Məhərrəmov, aserbaidschanischer Schachspieler
11. April: Stuart Adamson, schottischer Musiker († 2001)
11. April: Sally Clark, neuseeländische Vielseitigkeitsreiterin
11. April: Luísa Diogo, mosambikanische Politikerin
11. April: Ljudmila Kondratjewa, russische Leichtathletin
12. April: Bernard Fellay, Schweizer Ordenspriester und Bischof
12. April: Ginka Sagortschewa, bulgarische Leichtathletin
13. April: Ingo Holland, deutscher Koch († 2022)
14. April: Peter Adoboh, nigerianischer Bischof († 2020)
17. April: Ralf Wosik, deutscher Tischtennisspieler
18. April: Shaibu Amodu, nigerianischer Fußballtrainer († 2016)
20. April: Wjatscheslaw Fetissow, russischer Eishockeyspieler
20. April: Volker Schlott, deutscher Jazzmusiker
21. April: Andie MacDowell, US-amerikanische Schauspielerin
22. April: Oleh Rybatschuk, ukrainischer Politiker
22. April: Simone Frost, deutsche Schauspielerin († 2009)
23. April: Magnus Andersson, schwedischer Fußballspieler
23. April: Jost Auler, deutscher Prähistoriker, Historiker, Journalist und Verleger
23. April: Hilmar Örn Hilmarsson, isländischer Musiker, Filmmusiker
23. April: Radu Mihăileanu, rumänisch-französischer Filmregisseur
24. April: Nazir Ahmed, britischer Politiker
24. April: Birte Berg, deutsche Schauspielerin
24. April: Karen Nicolson, britische Marathonläuferin († 2021)
24. April: Mercedes Stermitz, österreichische Schönheitskönigin und Rennfahrerin
25. April: Derek William Dick („Fish“), schottischer Musiker und Schauspieler
26. April: Sebastian Dette, deutscher Jurist, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Präsident des Rechnungshofes in Thüringen
26. April: Ingolf Lück, deutscher Schauspieler, Moderator und Comedian
26. April: Dieter Schatzschneider, deutscher Fußballspieler und -trainer
27. April: Christoph Achenbach, deutscher Manager
27. April: Ronald Adam, deutscher Fußballspieler
27. April: Jon Cassar, kanadischer Regisseur
28. April: Doris De Agostini, Schweizer Skirennläuferin († 2020)
28. April: François Jakubowski, französischer Unternehmer und Automobilrennfahrer
28. April: Kenny MacAskill, schottischer Justizminister
28. April: Hal Sutton, US-amerikanischer Berufsgolfer
29. April: Giovanni Galli, italienischer Fußballspieler
29. April: Herbert Mertin, deutscher Politiker
29. April: Michelle Pfeiffer, US-amerikanische Schauspielerin
29. April: Peer Schmidt, deutscher Historiker († 2009)
April: Amin Ahmed Mohammed Osman Abaza, ägyptischer Politiker
Mai
1. Mai: Marika Blossfeldt, US-amerikanische Tänzerin, Choreographin, Sachbuchautorin und Yogalehrerin
2. Mai: Yasushi Akimoto, japanischer Fernsehproduzent, Songwriter, Musikproduzent und Professor
2. Mai: Giuseppe Dossena, italienischer Fußballspieler und -trainer
2. Mai: David O’Leary, irischer Fußballspieler und -trainer
4. Mai: Keith Haring, US-amerikanischer Künstler († 1990)
5. Mai: Serse Cosmi, italienischer Fußballtrainer
5. Mai: Elke Ferner, deutsche Politikerin und MdB
6. Mai: Tommy Byrne, irischer Automobilrennfahrer
5. Mai: Dirk Nockemann, deutscher Politiker
7. Mai: Michael Formanek, US-amerikanischer Jazzbassist und -komponist
7. Mai: Christine Lieberknecht, deutsche Politikerin
7. Mai: Josef Schlickenrieder, deutscher Eishockeyspieler
7. Mai: Marty Willson-Piper, britischer Songwriter, Musiker und Dichter
8. Mai: Dieter Vieweger, deutscher Theologe und Archäologe
8. Mai: Roddy Doyle, irischer Schriftsteller
9. Mai: Brad Budde, US-amerikanischer American-Football-Spieler
10. Mai: Rick Santorum, US-amerikanischer Politiker
11. Mai: Peter Thomas Antonie, australischer Ruderer und Olympiasieger
11. Mai: Tim Bollerslev, dänischer Ökonom
11. Mai: Christian Brando, US-amerikanischer Schauspieler († 2008)
11. Mai: Peter Reichelt, deutscher Filmemacher
11. Mai: Eveline Wirth, Schweizer Freestyle-Skierin und Snowboarderin
12. Mai: Cuno Affolter, Schweizer Journalist und Comic-Experte
12. Mai: Massimo Briaschi, italienischer Fußballspieler und Spielervermittler
12. Mai: Eric Singer, US-amerikanischer Schlagzeuger
13. Mai: Jeffrey Gedmin, US-amerikanischer Politologe
13. Mai: Merit E. Janow, US-amerikanische Hochschullehrerin und Mitglied des WTO Appellate Body
14. Mai: Joachim Armbrust, deutscher Sozialpädagoge und Autor
14. Mai: Andrzej Grubba, polnischer Tischtennisspieler († 2005)
15. Mai: Carl Andersen, österreichischer Filmkritiker und Regisseur († 2012)
15. Mai: Regina van Dinther, deutsche Politikerin (CDU), Landtagspräsident von Nordrhein-Westfalen
16. Mai: Andy Stanley, US-amerikanischer evangelikaler Pastor, Gemeindegründer und Autor
17. Mai: Antonella Mei-Pochtler, italienische Unternehmensberaterin
18. Mai: Simon Beresford-Wylie, australischer Manager
18. Mai: Carsten Eggers, deutscher Bildhauer und Maler († 2021)
18. Mai: Ettore Fioravanti, italienischer Jazzperkussionist und Bandleader
18. Mai: Bruno Marini, italienischer Saxophonist und Hammondorgel-Spieler
18. Mai: Rubén Omar Romano, argentinischer Fußballtrainer
19. Mai: István Bubik, ungarischer Schauspieler († 2004)
19. Mai: Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München
20. Mai: Gerhard Huisken, deutscher Mathematiker
20. Mai: Ronald Prescott Reagan, US-amerikanischer Journalist
20. Mai: Friederike Pöhlmann-Grießinger, deutsche Regisseurin, Schauspielerin und Theaterleiterin
20. Mai: Hildegard Schroedter, deutsche Schauspielerin
21. Mai: Christian Audigier, französischer Modedesigner und Unternehmer († 2015)
21. Mai: Warnakulasurya Wadumestrige Devasritha Valence Mendis, sri-lankischer Geistlicher, römisch-katholischer Bischof von Kandy
21. Mai: Curtis McMullen, US-amerikanischer Mathematiker
23. Mai: Shelly West, US-amerikanische Country-Sängerin
23. Mai: Andreas Schlüter, deutscher Kinder- und Jugendbuchautor
23. Mai: Thomas Reiter, deutscher Offizier der Luftwaffe und Astronaut
24. Mai: Rodney Sharman, kanadischer Komponist, Flötist und Musikpädagoge
25. Mai: Paul Weller, britischer Sänger, Musiker und Komponist
26. Mai: Fayek ’Adly ’Azb, ägyptischer Boxer († 2021)
26. Mai: Claus Boje, deutscher Filmproduzent († 2023)
27. Mai: Neil Finn, neuseeländischer Pop- und Rockmusiker
27. Mai: Heike Schulte-Mattler, deutsche Leichtathletin
28. Mai: Rainer Bischoff, deutscher Politiker
28. Mai: Natascha Chmyrewa, sowjetische Tennisspielerin († 2015)
28. Mai: Wilfried Grunau, Ingenieur und Geodät, Präsident des Verbandes Deutscher Vermessungsingenieure (VDV) und des Zentralverbandes der Ingenieurvereine (ZBI)
28. Mai: František Straka, tschechischer Fußball-Nationalspieler und Fußballtrainer
28. Mai: Rosalie Varda, französische Kostümbildnerin und Filmproduzentin
29. Mai: Uwe Rapolder, deutscher Fußballtrainer
29. Mai: Annette Bening, US-amerikanische Schauspielerin
29. Mai: Gabi Troeger-Weiß, deutsche Raumplanerin
29. Mai: Kenny Washington, US-amerikanischer Jazzschlagzeuger
29. Mai: Till Mairhofer, österreichischer Verleger und Schriftsteller
30. Mai: Klaus-Jürgen Bremm, deutscher Militärhistoriker und Offizier
30. Mai: Marie Fredriksson, schwedische Musikerin († 2019)
30. Mai: Steve Israel, US-amerikanischer Politiker
30. Mai: Ted McGinley, US-amerikanischer Schauspieler
31. Mai: Mitchell Amundsen, US-amerikanischer Kameramann
Juni
1. Juni: Undine Brixner, deutsche Schauspielerin
1. Juni: Philippe Bron, französischer Freestyle-Skier
1. Juni: Nambaryn Enchbajar, seit Mai 2005 Staatspräsident der Mongolei
1. Juni: Michael Landau, US-amerikanischer Gitarrist, Studiomusiker und Songwriter
1. Juni: Jon Wozencroft, britischer Grafikdesigner, Autor und Labelbetreiber
2. Juni: Lex Luger, US-amerikanischer Wrestler
3. Juni: Margot Käßmann, Bischöfin der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers
3. Juni: Thierry Noir, französischer Maler
3. Juni: Norbert Stöß, deutscher Schauspieler
4. Juni: Reiner Ackermann, deutscher Fußballspieler
4. Juni: Andreas Giebel, bayerischer Komiker
4. Juni: Christoph Eidens, deutscher Jazzvibraphonist († 2005)
6. Juni: Kai Brodersen, deutscher Althistoriker
6. Juni: Gordan Grlić Radman, kroatischer Diplomat
7. Juni: Andora, deutscher Künstler und Maler
7. Juni: Arūnas Augustinaitis, litauischer Kommunikationstheoretiker
7. Juni: Fernando de la Mora, mexikanischer Opernsänger
7. Juni: Prince, US-amerikanischer Sänger, Komponist, Songwriter, Musikproduzent und Multiinstrumentalist († 2016)
8. Juni: Gerhard Böhmer, deutscher Rennrodler
9. Juni: Karel Lang, tschechischer Eishockeytorwart
9. Juni: Wolfgang Peukert, deutscher Verfahrenstechniker
10. Juni: Yū Suzuki, japanischer Spieleentwickler
10. Juni: Attilio Tesser, italienischer Fußballspieler und -trainer
10. Juni: Nikolaus Utermöhlen, deutscher Musiker und Künstler († 1996)
11. Juni: Barry Adamson, englischer Bassist
11. Juni: Jürgen Pföhler, deutscher Landrat
12. Juni: Mark Amodei, US-amerikanischer Politiker
12. Juni: Meredith Brooks, US-amerikanische Sängerin und Songwriterin
14. Juni: Angelika Duganisch-Neeb, deutsche Lyrikerin
14. Juni: Eric Heiden, US-amerikanischer Eisschnellläufer
14. Juni: Olaf Scholz, deutscher Politiker, Bundeskanzler
15. Juni: Neil Arthur, englischer Singer-Songwriter
15. Juni: Ricardo Paletti, Rennfahrer aus San Marino († 1982)
17. Juni: Jello Biafra, US-amerikanischer Hardcore- und Punk-Rock-Musiker sowie politischer Aktivist
17. Juni: Claudia Mitscha-Eibl, österreichische Lehrerin und Liedermacherin
18. Juni: Gert Postel, deutscher Hochstapler
18. Juni: Peter Altmaier, deutscher Politiker und MdB
19. Juni: Sergei Makarow, russischer Eishockeyspieler
20. Juni: Kelly Johnson, britische Musikerin († 2007)
20. Juni: Barbara Rosenkranz, österreichische Politikerin (FPÖ)
22. Juni: Bruce Campbell, US-amerikanischer Schauspieler
24. Juni: Richard Hein, monegassischer Autorennfahrer
25. Juni: Serik Achmetow, kasachischer Politiker
25. Juni: Oscar van Dillen, niederländischer Komponist
25. Juni: Harald Sicheritz, österreichischer Produzent, Regisseur
27. Juni: Lisa Germano, US-amerikanische Sängerin
27. Juni: Magnus Lindberg, finnischer Komponist
27. Juni: August Schmölzer, österreichischer Schauspieler und Schriftsteller
28. Juni: Uwe Helmes, deutscher Fußballspieler
29. Juni: Najla Bouden Romdhane, tunesische Geologin und Premierministerin, die erste in der arabischen Welt
29. Juni: Dieter Althaus, deutscher Politiker, ehemaliger Ministerpräsident von Thüringen
29. Juni: Rosa Mota, portugiesische Leichtathletin
29. Juni: Marcus Off, deutscher Schauspieler
29. Juni: Ralf Rangnick, deutscher Fußballtrainer
30. Juni: Cornelia Doll, deutsche Fußballspielerin († 2022)
30. Juni: Esa-Pekka Salonen, finnischer Dirigent und Komponist
30. Juni: Irina Worobjowa, sowjetische Eiskunstläuferin († 2022)
Juli
2. Juli: Josephine Compaan, niederländische Ruderin († 2020)
3. Juli: Kurt Bock, deutscher Manager, Vorstandsvorsitzender der BASF
3. Juli: Lisa De Leeuw, US-amerikanische Pornodarstellerin († 1993)
3. Juli: Aaron Tippin, US-amerikanischer Country-Sänger und Songwriter
4. Juli: Deon Meyer, südafrikanischer Schriftsteller
5. Juli: Veronica Guerin, irische Journalistin († 1996)
6. Juli: Arnaldo Otegi, baskischer, nationalistischer Politiker
6. Juli: Jennifer Saunders, britische Schauspielerin und Drehbuchautorin
7. Juli: Cyndee Giebler, US-amerikanische Komponistin und Musikpädagogin
7. Juli: Michala Petri, dänische Blockflötistin
8. Juli: Kevin Bacon, US-amerikanischer Schauspieler
8. Juli: Wolfgang Schädler, liechtensteinischer Rennrodler
8. Juli: Christian Schmidt, österreichischer Schauspieler und Stuntman
9. Juli: Joachim Kehl, deutscher Fußballspieler
10. Juli: Béla Fleck, US-amerikanischer Bluegrass-Musiker
10. Juli: Fiona Shaw, irische Filmschauspielerin
10. Juli: Ute Thimm, deutsche Leichtathletin
11. Juli: Fereidun Abbassi, iranischer Wissenschaftler
11. Juli: Andrew Gilbert-Scott, britischer Automobilrennfahrer
11. Juli: Hugo Sánchez, mexikanischer Fußballspieler und -trainer
12. Juli: Harald Haerter, Schweizer Jazzgitarrist
12. Juli: Kathrin Thies, deutsche Juristin
13. Juli: Holger Teschke, deutscher Schriftsteller
14. Juli: Mircea Geoană, rumänischer Politiker
15. Juli: Peter Torberg, deutscher Lektor und Übersetzer
15. Juli: Jörg Kachelmann, Schweizer Moderator, Journalist und Meteorologe
16. Juli: Michael Flatley, US-amerikanischer Tänzer mit irischen Wurzeln
17. Juli: Wong Kar-Wai, Filmregisseur aus Hongkong
17. Juli: Robert Kaller, deutscher Kunstpädagoge und freischaffender, bildender Künstler
18. Juli: Thomas Henry Ashton, britischer Politiker
18. Juli: Valerio Olgiati, Schweizer Architekt und Architekturlehrer
18. Juli: Bent Sørensen, dänischer Komponist
19. Juli: Hans-Ola Ericsson, schwedischer Organist und Komponist
20. Juli: Pedro Amorim, brasilianischer Choromusiker (Mandoline und Gitarre)
20. Juli: Michael MacNeil, schottischer Keyboarder
21. Juli: Helga Trüpel, deutsche Europaabgeordnete
22. Juli: Eve Beglarian, US-amerikanische Komponistin
22. Juli: Iva Bittová, tschechische Sängerin, Schauspielerin und Violinistin
22. Juli: Stanislaw Leonowitsch, sowjetischer Eiskunstläufer († 2022)
23. Juli: Klaus-Dieter Augst, deutscher Fußballspieler
23. Juli: Frank Mill, deutscher Fußballspieler
24. Juli: Mick Karn, englischer Musiker († 2011)
25. Juli: Hanan Eshel, israelischer Archäologe († 2010)
25. Juli: Alexei Filippenko, amerikanischer Astrophysiker und Professor
25. Juli: Roger Lenhart, deutscher Politiker
25. Juli: Karlheinz Förster, deutscher Fußballspieler
25. Juli: Thurston Moore, US-amerikanischer Gitarrist und Sänger
26. Juli: Thierry Gilardi, französischer Sportjournalist († 2008)
26. Juli: Ramona Neubert, deutsche Leichtathletin
26. Juli: Romy Müller, deutsche Leichtathletin und Olympiasiegerin
27. Juli: Thomas Gehring, deutscher Politiker
27. Juli: Barbara Rudnik, deutsche Schauspielerin († 2009)
27. Juli: Margarethe Schreinemakers, deutsche Fernsehmoderatorin
27. Juli: Peter Schneider, baden-württembergischer Politiker
27. Juli: Andreas Graf von Arnim, deutscher Unternehmer († 2005)
28. Juli: Terry Fox, kanadischer Sportler und Aktivist († 1981)
29. Juli: Johannes Kirchlechner, deutscher Kameramann
30. Juli: Daley Thompson, britischer Zehnkämpfer
30. Juli: Kate Bush, englische Sängerin, Pianistin und Songwriterin
31. Juli: Rainer Gassner, liechtensteinischer Rennrodler
31. Juli: Bill Berry, US-amerikanischer Musiker (R.E.M.)
31. Juli: Andrea Astrid Voßhoff, deutsche Politikerin
August
1. August: Paul Gray, britischer Bassist
1. August: Michael Penn, US-amerikanischer Musiker
2. August: Brian Agler, US-amerikanischer Basketballtrainer
2. August: Damian Harris, britisch-US-amerikanischer Filmregisseur und Drehbuchautor
3. August: Günther Bansemer, deutscher Fußballspieler
3. August: Bettine Jahn, deutsche Leichtathletin
4. August: Paul Evans Aidoo, ghanaischer Politiker
4. August: Andrea Dombois, deutsche Politikerin
4. August: Silvan Schalom, israelischer Politiker
5. August: Hastomo Arbi, indonesischer Badmintonspieler
5. August: Uladsimir Makej, weißrussischer Politiker und Diplomat († 2022)
5. August: Ulla Salzgeber, deutsche Dressurreiterin
7. August: Bruce Dickinson, britischer Rockmusiker der Heavy-Metal-Band Iron Maiden
8. August: Cecilia Roth, argentinische Schauspielerin
9. August: Amanda Bearse, US-amerikanische Schauspielerin
9. August: Jean-Claude Hollerich, Erzbischof von Luxemburg, Kardinal
10. August: Don Swayze, US-amerikanischer Schauspieler
11. August: Conrad Seidl, österreichischer Redakteur und Buchautor
13. August: Pete King, britischer Musiker († 1987)
13. August: Feargal Sharkey, nordirischer Sänger
13. August: Randall Shughart, US-amerikanischer Soldat († 1993)
14. August: Volkher Häusler, deutscher Dirigent, Kirchenmusiker und Chorleiter
16. August: Angela Bassett, US-amerikanische Schauspielerin
16. August: Madonna, US-amerikanische Sängerin, Filmschauspielerin und Autorin
16. August: Steve Sem-Sandberg, schwedischer Schriftsteller
17. August: Frank Augsten, deutscher Politiker
17. August: Belinda Carlisle, US-amerikanische Sängerin
18. August: Didier Auriol, französischer Rallyefahrer
18. August: Rodolfo Illanes, bolivianischer Politiker († 2016)
18. August: Madeleine Stowe, US-amerikanische Schauspielerin
19. August: Anthony Muñoz, US-amerikanischer American-Football-Spieler
19. August: Brendan Nelson, australischer Politiker, Minister für Erziehung, Wissenschaft und Ausbildung
20. August: Arnd Bauerkämper, deutscher Historiker
21. August: Steve Case, US-amerikanischer Gründer von America Online
22. August: Colm Feore, US-amerikanisch-kanadischer Schauspieler
22. August: Vernon Reid, US-amerikanischer Fusion- und Crossovergitarrist
23. August: Mariano Moruja, argentinischer Chorleiter und Musikpädagoge
24. August: Steve Guttenberg, US-amerikanischer Schauspieler
25. August: Tim Burton, US-amerikanischer Autor, Produzent und Filmregisseur
26. August: Andreas Bielau, deutscher Fußballer (DDR) und Nationalspieler
26. August: David Finck, US-amerikanischer Jazzbassist
26. August: Nichi Vendola, italienischer Journalist und Politiker
27. August: Sergei Krikaljow, russischer Kosmonaut
27. August: Maurizio Sandro Sala, brasilianischer Automobilrennfahrer
28. August: José Antonio Rodriguez Avelar, mexikanischer Boxer
28. August: Peter Malota, US-amerikanischer Schauspieler und Martial-Arts-Kämpfer
28. August: Erwin Raphael McManus, US-amerikanischer Theologe, Pastor und Autor
29. August: Michael Jackson, US-amerikanischer Sänger, Entertainer, Tänzer und Komponist († 2009)
30. August: Gustaf Neumann, österreichischer Wirtschaftsinformatiker
30. August: Anna Politkowskaja, russische Reporterin, Autorin und Aktivistin für Menschenrechte († 2006)
September
1. September: Dagmar Manzel, deutsche Schauspielerin
3. September: Uri Adelman, israelischer Schriftsteller, Musiker und Komponist († 2004)
3. September: Achim Arbeiter, deutscher Archäologe
4. September: Thorsten Becker, deutscher Schriftsteller
4. September: Norbert König, deutscher Sportmoderator
4. September: Roger Liebi, Schweizer Bibellehrer- und ausleger der Brüdergemeinden
6. September: Fredy Arco, spanischer Kinderdarsteller
6. September: Thomas Boller, deutscher Astrophysiker
6. September: Amelie Fried, deutsche Moderatorin und Schriftstellerin
6. September: Arsinée Khanjian, armenische Schauspielerin und Filmregisseurin
7. September: Arotxa, uruguayischer Zeichner und Karikaturist
9. September: Páll Guðlaugsson, isländischer Fußballtrainer
9. September: Knut Schubert, deutscher Eiskunstläufer und Eiskunstlauftrainer
10. September: Dirk Abel, deutscher Maschinenbauingenieur
10. September: Chris Columbus, US-amerikanischer Regisseur, Produzent und Drehbuchautor
10. September: Klaus Dürr, deutscher Industriefachwirt und Politiker († 2020)
10. September: Siobhan Fahey, irische Rocksängerin
10. September: Wolfgang M. Heckl, deutscher Biophysiker
10. September: Elke Kruse, deutsche Schlagzeugerin
10. September: Gottfried Küssel, österreichischer Rechtsextremist und Holocaustleugner
10. September: Renate Sommer, deutsche Europaabgeordnete
10. September: Gerd Truntschka, deutscher Eishockeyspieler
11. September: Silvio Baldini, italienischer Fußballtrainer
11. September: Jean Corriveau, kanadischer Freestyle-Skier
11. September: Julia Nickson-Soul, US-amerikanische Schauspielerin
11. September: Scott Patterson, US-amerikanischer Schauspieler
12. September: Kim Fupz Aakeson, dänischer Schriftsteller, Illustrator, Comicautor und Drehbuchautor
12. September: Franco Amurri, italienischer Filmregisseur und Drehbuchautor
12. September: Peter Becker, deutscher Biochemiker und Molekularbiologe
13. September: Albrecht Koschorke, deutscher Literaturwissenschaftler
13. September: Robert Millar, schottischer Radrennfahrer
13. September: Peter Wirnsberger, österreichischer Skirennläufer
14. September: André Lüderitz, deutscher Politiker
14. September: Fernando Olivera Vega, peruanischer Politiker
16. September: Donald Antrim, US-amerikanischer Autor
16. September: Jennifer Tilly, US-amerikanische Schauspielerin
17. September: Andrea Eckert, österreichische Schauspielerin und Dokumentarfilmerin
17. September: Janez Janša, slowenischer Politiker
18. September: István Antal, rumänischer Eishockeyspieler, -trainer und -funktionär († 2009)
19. September: Lita Ford, britische Rock-Sängerin und Gitarristin
19. September: Johanna Schall, deutsche Schauspielerin
20. September: Arn Anderson, US-amerikanischer Wrestler
20. September: Mychael Danna, kanadischer Komponist von Filmmusik
20. September: Norbert Meier, deutscher Fußballspieler und Fußballtrainer
20. September: Michael Wildenhain, deutscher Schriftsteller
20. September: Ines Paulke, deutsche Rockmusikerin († 2010)
21. September: Rick Mahorn, US-amerikanischer Basketballspieler
21. September: Dagmar Stelberg, deutsche Handballspielerin
22. September: Andrea Bocelli, italienischer Sänger (Tenor)
22. September: Kerstin Gähte, deutsche Schauspielerin († 2017)
22. September: Joan Jett, US-amerikanische Rocksängerin und Gitarristin
23. September: Besnik Mustafaj, albanischer Politiker
24. September: Konrad Adams, deutscher Schauspieler
24. September: Benedikte Hansen, dänische Schauspielerin
24. September: Kevin Sorbo, US-amerikanischer Schauspieler
25. September: Martin Stadelmaier, deutscher Politiker
26. September: Georg Ager, österreichischer Skirennläufer
26. September: Rudi Cerne, deutscher Eiskunstläufer, Sportjournalist und Fernsehmoderator
26. September: Darby Crash, US-amerikanischer Punkrockmusiker († 1980)
27. September: Neil Adams, englischer Judoka
27. September: Marek Ast, polnischer Politiker
27. September: Irvine Welsh, britischer Schriftsteller
28. September: Peter Gantzler, dänischer Schauspieler
28. September: Angella Issajenko, kanadische Sprinterin
29. September: Tom Buhrow, deutscher Journalist
29. September: Susanne Ruoff, Schweizer Managerin
29. September: Karen Young, US-amerikanische Schauspielerin
30. September: Marty Stuart, US-amerikanischer Country-Sänger
Oktober
1. Oktober: Masato Nakamura, japanischer Bassist
1. Oktober: Alicia Arango, kolumbianische Ministerin und Diplomatin
2. Oktober: Kim Andersen, dänischer Radrennfahrer
2. Oktober: Árni Matthias Mathiesen, isländischer Politiker
5. Oktober: Antonio Di Gennaro, italienischer Fußballspieler
5. Oktober: André Kuipers, niederländischer Astronaut
5. Oktober: Neil deGrasse Tyson, US-amerikanischer Astrophysiker, Kosmologe, Wissenschaftsjournalist, Fernsehmoderator und Sachbuchautor
6. Oktober: Harry Lamott Crowl, brasilianischer Komponist
7. Oktober: Sunnyi Melles, deutsche Schauspielerin
8. Oktober: Hector Avalos, US-amerikanischer Religionswissenschaftler
8. Oktober: Michael Jarrell, Schweizer Komponist
8. Oktober: Ursula von der Leyen, deutsche Politikerin
10. Oktober: Anne Delaney, US-amerikanische Komponistin, Sängerin und Songwriterin
10. Oktober: John Mace Grunsfeld, US-amerikanischer Astronaut
10. Oktober: Hans-Jürgen Schatz, deutscher Schauspieler
10. Oktober: Tanya Tucker, US-amerikanische Country-Sängerin
11. Oktober: Gustav Herzog, deutscher Politiker
12. Oktober: Steve Austria, US-amerikanischer Politiker
13. Oktober: Izumi Matsumoto, japanischer Manga-Zeichner († 2020)
14. Oktober: Tayfun Bademsoy, deutsch-türkischer Schauspieler und Sprecher
14. Oktober: Thomas Dolby, britischer Musiker-Keyboarder
14. Oktober: Klaas Huizing, Ordinarius am Lehrstuhl für Systematische Theologie
14. Oktober: Peter Kloeppel, deutscher Journalist
14. Oktober: Peter Lipp, deutscher Handballspieler
14. Oktober: Isabel Sabogal, peruanisch-polnische Schriftstellerin und Übersetzerin
15. Oktober: Michaele Hustedt, deutsche Politikerin
15. Oktober: Perlat Musta, albanischer Fußballspieler
16. Oktober: Mike Muuss, Autor des Freeware Netzwerkprogramms Ping († 2000)
16. Oktober: Tim Robbins, US-amerikanischer Schauspieler
17. Oktober: Alan Jackson, US-amerikanischer Country-Musiker
18. Oktober: Jan Jastram, deutscher Bildhauer
18. Oktober: Beate Jensen, deutsche Schauspielerin
18. Oktober: Julio Olarticoechea, argentinischer Fußballspieler
18. Oktober: Peter Zimmerling, deutscher evangelischer Theologe und Professor für praktische Theologie
19. Oktober: Alexander Held, deutscher Schauspieler
20. Oktober: Scott Hall, US-amerikanischer Wrestler († 2022)
20. Oktober: Rainer Hartmann, deutscher Jazzgitarrist
20. Oktober: Mark King, britischer Funk-Bassist und Sänger der Pop-Band Level 42
20. Oktober: Viggo Mortensen, US-amerikanischer Schauspieler, Fotograf, Dichter, Maler und Musiker
20. Oktober: Ivo Pogorelich, serbischer Pianist
20. Oktober: Eric Scott, US-amerikanischer Schauspieler
21. Oktober: Dieter Amann, österreichischer Skirennläufer
21. Oktober: Julio Medem, spanischer Filmregisseur und Drehbuchautor
21. Oktober: Udo Wachtveitl, deutscher Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor
22. Oktober: Virgil Donati, US-amerikanischer Schlagzeuger
22. Oktober: Stefan Gwildis, deutscher Musiker
22. Oktober: Detlef Siegfried, deutscher Neuzeithistoriker
22. Oktober: Johnny Unser, US-amerikanischer Automobilrennfahrer und Motorsportfunktionär
23. Oktober: Axel Krause, deutscher Maler und Grafiker
23. Oktober: Frank Schaffer, deutscher Leichtathlet
23. Oktober: Thierry van Werveke, luxemburgischer Schauspieler und Sänger († 2009)
24. Oktober: Vincent K. Brooks, US-amerikanischer Brigadier General der US-Army
25. Oktober: Carina Gödecke, deutsche Politikerin
25. Oktober: Kornelia Ender, deutsche Schwimmerin
26. Oktober: Walter Junghans, deutscher Fußballtorhüter
26. Oktober: Bassam Saba, libanesischer Musiker, Komponist und Dirigent († 2020)
26. Oktober: Shaun Woodward, britischer Politiker
27. Oktober: Manu Katché, französischer Schlagzeuger
27. Oktober: Simon Le Bon, britischer Sänger und Mitglied der Gruppe Duran Duran
28. Oktober: Ernst Middendorp, deutscher Fußballtrainer
29. Oktober: Nicolette Kressl, deutsche Politikerin und MdB
30. Oktober: Martin Adler, schwedischer Journalist und Fotograf († 2006)
31. Oktober: Yves Loubet, französischer Rallyefahrer
November
1. November: Tarcisio Isao Kikuchi, japanischer Ordenspriester, Erzbischof von Tokio
2. November: Michka Assayas, französischer Autor und Musikjournalist
2. November: Kai Maertens, deutscher Schauspieler
4. November: Uwe Bewersdorf, deutscher Eiskunstläufer
4. November: Joachim Körber, deutscher Schriftsteller, Herausgeber, Verleger und Übersetzer
4. November: Thomas Roberts, US-amerikanischer Gitarrist und Songwriter († 2006)
5. November: Robert Patrick, US-amerikanischer Schauspieler
6. November: Urs Freuler, Schweizer Radrennfahrer
6. November: Reinhard Winter, deutscher Pädagoge und Geschlechterforscher
7. November: Alice Bag, US-amerikanische Sängerin und Autorin
8. November: Gerolf Annemans, belgischer Politiker
8. November: Don Byron, US-amerikanischer Jazzmusiker
9. November: Eva Herman, deutsche Fernsehmoderatorin und Autorin
9. November: Susanne Huber, Schweizer Schauspielerin
10. November: Michael Dusek, deutscher Fußballspieler und Fußballtrainer († 2023)
10. November: Antoine Kambanda, ruandischer Erzbischof und Kardinal
10. November: Hans-Uwe Pilz, deutscher Fußballspieler
11. November: Bernd Pfarr, deutscher Maler und Cartoonist († 2004)
11. November: Chris Jones, US-amerikanischer Sänger, Musiker, Komponist und Gitarrist († 2005)
13. November: Michael Fitz, deutscher Schauspieler und Musiker
13. November: Michael Kreißl, österreichischer Politiker († 2004)
14. November: Hans Aurenhammer, österreichischer Kunsthistoriker
14. November: Heike Taubert, deutsche Politikerin
14. November: Ingrīda Ūdre, lettische EU-Kommissarin für Steuern und Zollunion
14. November: Olivier Marchal, französischer Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor
14. November: Terezija Stoisits, österreichische Politikerin
15. November: Narinder Dhami, britische Kinder- und Jugendbuchautorin
15. November: Leslie Malton, deutsch-US-amerikanische Schauspielerin
16. November: Mick Werup, deutscher Schauspieler († 2011)
16. November: Roberto Guerrero, kolumbianischer Automobilrennfahrer
16. November: Marg Helgenberger, US-amerikanische Schauspielerin
16. November: Neil Geoffrey Turok, südafrikanischer Physiker und Astrophysiker
17. November: Wolfgang Glüxam, österreichischer Cembalist und Organist († 2020)
17. November: Mary Elizabeth Mastrantonio, US-amerikanische Filmschauspielerin
17. November: Rodolfo Stroeter, brasilianischer Bassist und Komponist
17. November: Jean-Louis Tournadre, französischer Motorradrennfahrer
18. November: Sergejus Jermakovas, litauischer Billardspieler
18. November: Shirley Strong, britische Leichtathletin
18. November: David Unterhalter, südafrikanischer Richter, Hochschullehrer und Mitglied des Appellate Body der WTO
19. November: Claudio Foscarini, italienischer Fußballspieler und -trainer
19. November: Horst-Dieter Fumi, deutscher Jurist
19. November: Scott McGinnis, US-amerikanischer Schauspieler
19. November: Uwe Zimmermann, deutscher Maschinenbauingenieur
22. November: Jamie Lee Curtis, US-amerikanische Schauspielerin und Autorin von Kinderbüchern
22. November: Bruce Payne, britischer Schauspieler
23. November: Ronald Schill, deutscher Politiker
24. November: Roy Aitken, schottischer Fußballspieler
24. November: Carmel, britische Sängerin
24. November: Jean-François Yvon, französischer Automobilrennfahrer
25. November: Olaf Seier, deutscher Fußballspieler (DDR)
25. November: Johannes Werner (Politiker), deutscher Politiker (CDU)
26. November: Andreas Aebi, Schweizer Politiker
26. November: Ellen Fiedler, deutsche Leichtathletin
26. November: Nader Mashayekhi, iranischer Komponist und Dirigent
27. November: Anat Atzmon, israelische Schauspielerin und Sängerin
27. November: Manfred Ländner, bayerischer Politiker (CSU)
28. November: Kriss Akabusi, britischer Leichtathlet
28. November: Hideki Okada, japanischer Automobilrennfahrer
28. November: Michael Ophelders, deutscher Schauspieler, Hörspielsprecher, Musicaldarsteller und Theaterregisseur
29. November: Lennardt Krüger, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher († 2020)
30. November: Hinako Sugiura, japanische Mangaka († 2005)
30. November: Stacey Q, US-amerikanische Sängerin, Tänzerin und Synchronsprecherin
Dezember
1. Dezember: Javier Aguirre, mexikanischer Fußballtrainer und Fußballspieler
1. Dezember: Kwesi Ahoomey-Zunu, togoischer Politiker
1. Dezember: Alberto Cova, italienischer Leichtathlet
1. Dezember: Charlene Tilton, US-amerikanische Schauspielerin
3. Dezember: Georg Austen, deutscher Theologe
3. Dezember: Otto Becker, deutscher Springreiter
4. Dezember: Jonathan Asselin, kanadischer Springreiter
4. Dezember: Wolfgang Schäfer, deutscher Fußballspieler
5. Dezember: Sarah Davidson, kanadische Harfenistin und Musikpädagogin
5. Dezember: Klaus Nierhoff, deutscher Schauspieler
6. Dezember: Joseph Rudolph Wood III, US-amerikanischer Mörder († 2014)
6. Dezember: Nick Park, britischer Trickfilmer
7. Dezember: Rick Rude, US-amerikanischer Wrestler († 1999)
7. Dezember: Kersten Naumann, deutsche Politikerin und MdB
8. Dezember: Heilgard Asmus, deutsche Theologin
8. Dezember: Rob Byrnes, US-amerikanischer Autor
8. Dezember: Jean Dalibard, französischer Physiker
8. Dezember: Bernd Kölmel, deutscher Politiker
9. Dezember: Peer Martiny, deutscher Regisseur, Schauspieler und Autor
9. Dezember: Despina Pajanou, griechische Schauspielerin
10. Dezember: Cornelia Funke, deutsche Kinder- und Jugendbuchautorin
10. Dezember: Ng Eng Hen, singapurischer Arzt und Politiker
11. Dezember: Werner Augsburger, schweizerischer Volleyballspieler
11. Dezember: Janko Ferk, österreichischer Jurist und Schriftsteller
11. Dezember: Nikki Sixx, US-amerikanischer Musiker
12. Dezember: Mustafa Reşit Akçay, türkischer Fußballtrainer
12. Dezember: Gabriele Löwe, deutsche Leichtathletin
12. Dezember: Sheree J. Wilson, US-amerikanische Schauspielerin
13. Dezember: Yūichi Seirai, japanischer Schriftsteller
13. Dezember: Johannes Silberschneider, österreichischer Schauspieler
15. Dezember: Aziza Jalal, marokkanische Sängerin
15. Dezember: Alfredo Ormando, italienischer Schriftsteller († 1998)
15. Dezember: Stephan Weil, deutscher Politiker
16. Dezember: Bart Oates, US-amerikanischer American-Football-Spieler
17. Dezember: Bernhard Antener, schweizerischer Politiker
17. Dezember: Penelope Houston, US-amerikanische Sängerin
17. Dezember: Mike Mills, US-amerikanischer Musiker (R.E.M.)
17. Dezember: Gerhard Waibel, deutscher Motorradrennfahrer
19. Dezember: José Aguilar Pulsán, kubanischer Boxer († 2014)
19. Dezember: Limahl, britischer Popsänger
19. Dezember: Laura K. Sindberg, US-amerikanische Musikpädagogin
20. Dezember: Jürgen Raab, deutscher Fußballspieler und -trainer
21. Dezember: Rolf Lappert, schweizerischer Schriftsteller
21. Dezember: Tamara Bykowa, russische Leichtathletin
22. Dezember: Marijam Agischewa, österreichische Schauspielerin
22. Dezember: Frank Gambale, australischer Gitarrist
22. Dezember: Jerzy Hawrylewicz, polnischer Fußballspieler († 2009)
22. Dezember: Kevin Kern, US-amerikanischer Pianist, Musiker und Komponist
23. Dezember: Achim Tang, deutscher Bassist und Komponist
24. Dezember: Marc Abrams, US-amerikanischer Bassist
24. Dezember: Hans Spaan, niederländischer Motorradrennfahrer
25. Dezember: Dimi Mint Abba, mauretanische Musikerin († 2011)
26. Dezember: Jean-Marc Noël Aveline, französischer Erzbischof und Kardinal
26. Dezember: David Miller, Bürgermeister von Toronto
27. Dezember: Florian Martens, deutscher Schauspieler
27. Dezember: Steffen Mensching, deutscher Kulturwissenschaftler, Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur
28. Dezember: William H. Chapman Nyaho, US-amerikanischer Pianist und Musikpädagoge
28. Dezember: Joe Diffie, US-amerikanischer Country-Sänger († 2020)
29. Dezember: Hubertus von Amelunxen, deutscher Romanist und Autor
29. Dezember: Lakhdar Belloumi, algerischer Fußballspieler und Fußballtrainer
29. Dezember: Pierre Poulin, kanadischer Freestyle-Skier
30. Dezember: Erich Ritter, Schweizer Biologe († 2020)
30. Dezember: Michael Stäuble, Schweizer Sportjournalist, Sportreporter und Fernsehredakteur
31. Dezember: Uwe Scholz, deutscher Choreograf und Ballettdirektor († 2004)
Tag unbekannt
Hiroshi Abe, japanischer Amateurastronom
Salah Abdel Maksud, ägyptischer Politiker
Ravi Agarwal, indischer Fotojournalist und Umweltaktivist
Regine Ahrem, deutsche Dramaturgin, Regisseurin und Hörspielautorin
Wilhelm Karl Aicher, deutscher Molekularbiologe
Hans Dieter Aigner, österreichischer Künstler und Schriftsteller
Selahattin Akarsu, türkischer Sänger und Sazspieler
Aykut Zahid Akman, türkischer Beamter
Matthias Altenburg (Pseudonym: Jan Seghers), deutscher Journalist und Schriftsteller
Andrea Amort, österreichische Tanzkritikerin, Tanzhistorikerin, Dramaturgin, Festival- und Ausstellungskuratorin
Christoph Anczykowski, deutscher Zeichner
Ole Andersen, dänischer Handballtrainer
Rusty Anderson, US-amerikanischer Gitarrist
Johannes Angerbauer-Goldhoff, österreichischer Schmuckkünstler, Bildhauer und Konzeptkünstler
Marie-Luise Angerer, österreichische Medien- und Kulturwissenschaftlerin
Lotte Anker, dänische Saxophonistin und Komponistin
Birgit Apfelbaum, deutsche Kommunikations- und Sozialwissenschaftlerin
Marçal Aquino, brasilianischer Schriftsteller, Journalist und Drehbuchautor
Juan Carlos Arce, spanischer Schriftsteller und Anwalt
Nelson Ronny Ascher, brasilianischer Dichter
Auður Ava Ólafsdóttir, isländische Schriftstellerin und Bestsellerautorin
Rainer Aurig, deutscher Historiker
Johan Auwerx, belgischer Physiologe und Molekularbiologe
Uwe Dag Berlin, deutscher Schauspieler und Regisseur
Jan Bilk, sorbischer Musiker, Komponist, Musikverleger und -produzent
Martin Böcker, deutscher Organist
Peter Böthig, deutscher Germanist und Literaturwissenschaftler
Harald Brandt, deutscher Hörfunkautor und -regisseur
Paul Coletti, schottischer Bratschist und Musikpädagoge
Dalbello, kanadische Musikerin
Bernhard Eisenhut, deutscher Politiker
Héctor Abad Faciolince, kolumbianischer Autor, Essayist und Herausgeber
Shafrira Goldwasser, amerikanische Informatikerin
Ben Haggarty, englischer Erzähler (Storyteller)
Scott L. Hines, US-amerikanischer Komponist
Brian Hughes, US-amerikanischer Dirigent und Musikpädagoge
Lilay Huser, deutsche Schauspielerin
Li Jinyuan, chinesischer Unternehmer
Andreas Keller, deutscher Schauspieler
Marcin Krzyżanowski, polnischer Komponist und Cellist
Dorin Marc, rumänischer Professor
James Marchionda, US-amerikanischer Dominikanerpriester, Prediger, Komponist und Musiker
Alan MacDonald, englischer Autor
Cornelia Christiane Metges, deutsche Agrarwissenschaftlerin
Katja Nottke, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin
Bobby Orlando, US-amerikanischer Musikproduzent, Sänger, Komponist und Multiinstrumentalist
Lennie Peterson, US-amerikanischer Grafiker, Illustrator, Musiker und Musikpädagoge
Patricia Pisani, argentinische Künstlerin
Kenneth Pomeranz, US-amerikanischer Historiker und Sinologe
Gabriel Rivano, argentinischer Bandoneonist, Gitarrist, Flötist und Komponist
Falk Rockstroh, deutscher Schauspieler
Sue Scullard, britische Schriftstellerin und Grafikerin
Georg Schreiber, deutscher Fotograf
Willy Spannowsky, deutscher Jurist
Vera Stein, deutsche Buchautorin und Opfer psychiatrischer Zwangsbehandlung
Andreas Stopp, deutscher Hörfunkjournalist
Dieter Storz, deutscher Militärhistoriker und Konservator
David Walter, französischer Oboist, Dirigent und Professor
Andrea Wolf, deutsche Schauspielerin
Ursula Zeller, deutsche Kunsthistorikerin, Kuratorin und Museumsleiterin
Gestorben
Januar
1. Januar: Edward Weston, US-amerikanischer Fotograf, Gründer der Gruppe f/64 (* 1886)
3. Januar: Alexander Meißner, österreichischer Physiker (* 1883)
4. Januar: John Anderson, britischer Politiker (* 1882)
4. Januar: Adelgunde von Bayern, bayrische Prinzessin (* 1870)
4. Januar: Alliott Verdon Roe, britischer Luftfahrtpionier (* 1877)
5. Januar: Jack McCracken, US-amerikanischer Basketballspieler (* 1911)
6. Januar: Lois Irene Marshall, US-amerikanische Politikergattin (* 1873)
7. Januar: Goffredo Zehender, italienischer Automobilrennfahrer (* 1901)
8. Januar: John Duff, kanadischer Automobilrennfahrer (* 1895)
8. Januar: Viktor Geramb, österreichischer Volkskundler (* 1884)
8. Januar: Paul Pilgrim, US-amerikanischer Leichtathlet und Olympiasieger (* 1883)
9. Januar: Paul Fechter, deutscher Theaterkritiker, Redakteur und Schriftsteller (* 1880)
9. Januar: Karl Reinhardt, deutscher Altphilologe (* 1886)
12. Januar: Arthur Shepherd, US-amerikanischer Komponist (* 1880)
14. Januar: August Herman Andresen, US-amerikanischer Politiker (* 1890)
15. Januar: Jewgeni Lwowitsch Schwarz, russischer Schriftsteller und Dramatiker (* 1896)
18. Januar: Edmund Adam, deutscher Fernschachspieler und Schachfunktionär (* 1894)
18. Januar: Matthew M. Neely, US-amerikanischer Politiker (* 1874)
21. Januar: Josef Brönner, deutscher Politiker (* 1884)
21. Januar: Alvin Olin King, US-amerikanischer Politiker (* 1890)
21. Januar: Ernst Ziegler, deutscher Unternehmer und Kunstsammler (* 1874)
23. Januar: Fred Francis Bosworth, US-amerikanischer Evangelist, Pfingstprediger und Autor (* 1877)
27. Januar: Oskar Prinz von Preußen, preußischer Offizier a. D.; Generalmajor a. D. (* 1888)
30. Januar: Ernst Heinkel, deutscher Ingenieur (* 1888)
Februar
1. Februar: Lukas Christ, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1881)
1. Februar: Clinton Davisson, US-amerikanischer Physiker (* 1881)
2. Februar: Albert Debrunner, schweizerischer Altphilologe und Sprachwissenschaftler (* 1884)
4. Februar: Monta Bell, US-amerikanischer Produzent, Regisseur und Drehbuchautor (* 1891)
4. Februar: Henry Kuttner, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1915)
5. Februar: Arthur Henney, deutscher Automobilrennfahrer und Unternehmer (* 1881)
5. Februar: Gian Battista Mantegazzi, Schweizer Komponist und Dirigent (* 1889)
5. Februar: Henry Tomlinson, britischer Schriftsteller und Journalist (* 1873)
6. Februar: Geoff Bent, englischer Fußballspieler (* 1932)
6. Februar: Roger Byrne, englischer Fußballspieler (* 1929)
6. Februar: Eddie Colman, englischer Fußballspieler (* 1936)
6. Februar: Walter Crickmer, englischer Fußballvereinssekretär (* 1899)
6. Februar: Mark Jones, englischer Fußballspieler (* 1933)
6. Februar: David Pegg, englischer Fußballspieler (* 1935)
6. Februar: Frank Swift, englischer Fußballspieler und Journalist (* 1913)
6. Februar: Tommy Taylor, englischer Fußballspieler (* 1932)
6. Februar: Liam „Billy“ Whelan, englischer Fußballspieler (* 1935)
11. Februar: Heinrich Hermelink, evangelischer Kirchenhistoriker (* 1877)
11. Februar: Ernest Jones, walisischer Psychoanalytiker (* 1879)
12. Februar: Petr Bezruč, tschechischer Schriftsteller und Dichter (* 1867)
12. Februar: Douglas Rayner Hartree, britischer Mathematiker und Physiker (* 1897)
13. Februar: Aymé Kunc, französischer Komponist, Dirigent und Musikpädagoge (* 1877)
13. Februar: Christabel Pankhurst, britische Frauenrechtlerin (* 1880)
13. Februar: Georges Rouault, französischer Maler und Grafiker (* 1871)
14. Februar: Jakob Kneip, deutscher Heimatdichter (* 1881)
15. Februar: William Berke, US-amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Produzent (* 1903)
16. Februar: Victor Arendorff, schwedischer Schriftsteller, Journalist und Dichter (* 1878)
16. Februar: Rudolf Pleil, deutscher Serienmörder (* 1924)
17. Februar: Wilhelm Bahlburg, deutscher Politiker (* 1888)
17. Februar: Herbert E. Hitchcock, US-amerikanischer Politiker (* 1867)
18. Februar: Jaroslav Kvapil, tschechischer Komponist (* 1892)
20. Februar: Dwight H. Green, US-amerikanischer Politiker (* 1897)
20. Februar: Isidore Philipp, ungarisch-französischer Pianist und Musikpädagoge (* 1863)
21. Februar: Henryk Arctowski, polnischer Wissenschaftler, Ozeanograf und Erforscher der Antarktis (* 1871)
21. Februar: Duncan Edwards, englischer Fußballspieler (* 1936)
24. Februar: Paul Amann, österreichischer Schriftsteller und Übersetzer (* 1884)
24. Februar: Hans Nadler, deutscher Maler (* 1879)
27. Februar: Henri Lachuer, französischer Autorennfahrer (* 1907)
März
1. März: Giacomo Balla, italienischer Maler des Futurismus (* 1871)
3. März: Wilhelm Zaisser, Minister für Staatssicherheit in der DDR (* 1893)
6. März: Anton Reinthaller, österreichischer Gutsbesitzer und Politiker (* 1895)
11. März: John Joseph Dempsey, US-amerikanischer Politiker (* 1879)
15. März: Kubo Sakae, japanischer Dramatiker (* 1900)
15. März: Albert Steeger, deutscher Universalgelehrter (* 1885)
17. März: John Pius Boland, irischer Jurist, erster Olympiasieger im Tennis (* 1870)
17. März: Roscoe C. McCulloch, US-amerikanischer Politiker (* 1880)
17. März: John Johnston Parker, US-amerikanischer Richter, unter anderem bei den Nürnberger Prozessen (* 1885)
18. März: Max Terpis (eigentlich Max Pfister), Schweizer Tänzer, Choreograf, Regisseur und Psychologe (* 1889)
20. März: Yvan Goor, belgischer Rad- und Motorradrennfahrer (* 1884)
21. März: Gottfried Kölwel, deutscher Lyriker, Dramatiker und Erzähler (* 1889)
22. März: Michael Todd, US-amerikanischer Filmproduzent (* 1909)
23. März: Don Hartman, US-amerikanischer Komponist, Filmregisseur, Filmproduzent und Drehbuchautor (* 1900)
25. März: August Siemsen, Politiker und Pädagoge (* 1884)
25. März: Emerson Whithorne, US-amerikanischer Komponist (* 1884)
26. März: Hans Wacker, deutscher Maler (* 1868)
27. März: Leon C. Phillips, US-amerikanischer Politiker (* 1890)
28. März: W. C. Handy, US-amerikanischer Blues-Komponist (* 1873)
29. März: Alessandro Verde, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1865)
31. März: Hans Ehrenberg, deutscher Theologe (* 1883)
April
1. April: Břetislav Bakala, tschechischer Dirigent, Chorleiter und Komponist (* 1897)
2. April: Arnold von Salis, Schweizer Archäologe (* 1881)
3. April: Emil Abel, österreichischer Chemiker (* 1875)
3. April: Theodor Kramer, österreichischer Lyriker (* 1897)
4. April: Franz Eccard von Bentivegni, deutscher General und Kriegsverbrecher (* 1896)
4. April: Jan Morávek, tschechischer Schriftsteller und Journalist (* 1888)
4. April: María Luisa Sepúlveda, chilenische Komponistin und Musikpädagogin (* 1892)
5. April: Ásgrímur Jónsson, isländischer Maler (* 1876)
6. April: Vítězslav Nezval, tschechischer Dichter, Schriftsteller und Übersetzer (* 1900)
6. April: Reinhold Schneider, deutscher Schriftsteller (* 1903)
8. April: Alcibíades Arosemena, 26. Staatspräsident von Panama (* 1883)
10. April: Helene Lübbers-Wegemann, deutsche Malerin (* 1875)
10. April: Jean Philippe Vogel, niederländischer Orientalist (* 1871)
11. April: Paul A. Dever, US-amerikanischer Politiker (* 1903)
11. April: Marcel Pilet-Golaz, Schweizer Politiker (FDP) (* 1889)
12. April: Alice Verne-Bredt, englische Komponistin, Pianistin und Musikpädagogin (* 1868)
13. April: Raúl Hugo Espoile, argentinischer Komponist (* 1889)
16. April: Rosalind Franklin, britische Biochemikerin (* 1920)
16. April: W. Kerr Scott, US-amerikanischer Politiker (* 1896)
16. April: Mieczysław Szaleski, polnischer Bratschist und Musikpädagoge (* 1891)
17. April: Wolfgang Klausner, deutscher Politiker (* 1906)
17. April: Rita Montaner, kubanische Sängerin und Schauspielerin (* 1900)
18. April: William Joscelyn Arkell, britischer Geologe (* 1904)
19. April: Albert Akst, US-amerikanischer Musiker und Filmeditor (* 1899)
20. April: Adolf Scheibe, deutscher Physiker und Erfinder (* 1895)
23. April: Henock Abrahamsson, schwedischer Fußballtorhüter (* 1909)
24. April: Richard Goldschmidt, deutscher Biologe und Genetiker (* 1878)
25. April: Iosif Iser, rumänischer Maler (* 1881)
25. April: Charles-Victor Mauguin, Professor für Mineralogie (* 1878)
26. April: Kurt Absolon, österreichischer Maler und Grafiker (* 1925)
29. April: Warren A. Haggott, US-amerikanischer Politiker (* 1864)
30. April: Alvan T. Fuller, US-amerikanischer Politiker (* 1878)
30. April: Paul Hans Jaeger, deutscher Politiker (* 1886)
Mai
1. Mai: Ali Soheili, iranischer Premierminister (* 1896)
1. Mai: Oscar Torp, norwegischer sozialdemokratischer Politiker (* 1893)
2. Mai: Alfred Weber, deutscher Soziologe und Nationalökonom (* 1868)
5. Mai: Otto Abetz, deutscher Kunstlehrer und Diplomat (* 1903)
5. Mai: James Branch Cabell, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1879)
7. Mai: Mihkel Lüdig, estnischer Komponist (* 1880)
11. Mai: Beatrice Langley, englische Geigerin (* 1872)
16. Mai: Lisa Albrecht, deutsche Politikerin (* 1896)
17. Mai: Hugo Häring, deutscher Architekt und Autor (* 1882)
19. Mai: Ronald Colman, britischer Schauspieler (* 1891)
19. Mai: Wilhelm Mellies, deutscher Politiker (* 1899)
19. Mai: Archie Scott-Brown, britischer Automobilrennfahrer (* 1927)
21. Mai: Erich Langer, deutscher Politiker (* 1905)
22. Mai: Wilhelm Roelen, deutscher Bergbaufachmann und Unternehmer (* 1889)
26. Mai: Gaston Dethier, US-amerikanischer Organist und Komponist (* 1875)
26. Mai: Ruth Smith, färöische Malerin und Grafikerin (* 1913)
27. Mai: Samuel Stritch, Erzbischof von Chicago und Kardinal (* 1887)
29. Mai: Juan Ramón Jiménez, spanischer Lyriker, Prosaist und Nobelpreisträger (1956) (* 1881)
30. Mai: Pat O’Connor, US-amerikanischer Rennfahrer (* 1928)
Juni
2. Juni: Erwin Bauer, deutscher Automobilrennfahrer (* 1912)
4. Juni: Eleanor Hallowell Abbott, US-amerikanische Dichterin, Romanschriftstellerin und Kinderbuchautorin (* 1872)
5. Juni: Maurice-Yves Sandoz, Schweizer Schriftsteller (* 1892)
7. Juni: Walter Freitag, deutscher Politiker (* 1889)
8. Juni: Franz Gleitze, Heimatdichter (* 1869)
9. Juni: Robert Donat, britischer Schauspieler (* 1905)
13. Juni: Johan Bierens de Haan, niederländischer Bio- und Ethologe (* 1883)
14. Juni: George Fonder, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1917)
16. Juni: José Pablo Moncayo, mexikanischer Komponist und Dirigent (* 1912)
16. Juni: Imre Nagy, ungarischer Politiker und Agrarökonom (* 1896)
17. Juni: Raoul Maria Eduard Karl Aslan-Zumpart, österreichisch-griechischer Schauspieler (* 1886)
17. Juni: Wells Coates, kanadischer Architekt und Designer (* 1895)
20. Juni: Kurt Alder, deutscher Chemiker (* 1902)
21. Juni: Eduard Erdmann, lettischer Komponist und Pianist (* 1896)
21. Juni: Jean-Marie Brussin, französischer Automobilrennfahrer und Industrieller (* 1924)
23. Juni: Armas Järnefelt, finnischer Komponist (* 1869)
25. Juni: Heinz Winkler, Minister für Aufbau in der DDR (* 1910)
28. Juni: Helene Arnau, österreichische Landschafts-, Porträt- und Kriegsmalerin (* 1870)
29. Juni: Karl Arnold, deutscher Politiker (* 1901)
30. Juni: Walther Schreiber, deutscher Politiker (* 1884)
Juli
4. Juli: Gonzalo Curiel, mexikanischer Pianist und Komponist (* 1904)
4. Juli: Birger Forell, Pfarrer, Helfer für Flüchtlinge u. a. während des Zweiten Weltkriegs (* 1893)
4. Juli: Fernando de Fuentes, mexikanischer Filmregisseur (* 1894)
5. Juli: Milton Abramowitz, US-amerikanischer Mathematiker (* 1915)
6. Juli: Art Bisch, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1926)
6. Juli: Luigi Musso, italienischer Formel-1-Rennfahrer (* 1924)
6. Juli: Emil Teubner, Holzschnitzer und Bildhauer aus dem Erzgebirge (* 1877)
7. Juli: Louis Paris, französischer Automobilrennfahrer (* 1888)
8. Juli: Carl Boese, deutscher Filmregisseur, Schauspieler und Autor (* 1887)
9. Juli: Gabriel Scott, norwegischer Schriftsteller (* 1874)
10. Juli: Franz Bardon, deutscher Magier (* 1909)
11. Juli: Roy Harvey, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1892)
13. Juli: Paul Ash, US-amerikanischer Violinist, Pianist, Komponist und Bigband-Leader (* 1891)
13. Juli: Keith Campbell, australischer Motorradrennfahrer (* 1931)
14. Juli: Abd ul-Ilah, irakischer Prinz (* 1913)
14. Juli: Faisal II., König des Irak von 1939 bis 1958 (* 1935)
15. Juli: Giuseppe Armellini, italienischer Astronom (* 1887)
16. Juli: Oskar Farner, Schweizer evangelischer Geistlicher und Zwingliforscher (* 1884)
17. Juli: Henri Farman, französischer Luftfahrtpionier (* 1874)
19. Juli: Karol Adwentowicz, polnischer Theater- und Filmschauspieler, Regisseur und Theaterdirektor (* 1871)
21. Juli: Lenka von Koerber, deutsche Journalistin (* 1888)
22. Juli: Michail Soschtschenko, russischer Schriftsteller (* 1894)
24. Juli: Til Brugman, niederländische Schriftstellerin (* 1888)
26. Juli: Fernand Alfred Désiré Augereau, französischer Radrennfahrer (* 1882)
26. Juli: Eugene Millikin, US-amerikanischer Politiker (* 1891)
26. Juli: Siegfried Passarge, deutscher Geograph (* 1866)
28. Juli: Bernhard Howaldt junior, deutscher Ingenieur, Reeder, Unternehmer (* 1880)
28. Juli: Jeanne Berta Semmig, deutsche Schriftstellerin und Dichterin (* 1867)
August
2. August: Wilhelm Büning, deutscher Architekt (* 1881)
2. August: Michele Navarra, Mafiamitglied (* 1905)
3. August: Peter Collins, britischer Automobilrennfahrer (* 1931)
5. August: Regino E. Boti, kubanischer Schriftsteller (* 1878)
6. August: Maurice Germot, französischer Tennisspieler (* 1882)
8. August: Ludwig Adler, österreichischer Geburtshelfer und Gynäkologe (* 1876)
9. August: Felipe Boero, argentinischer Komponist (* 1884)
13. August: Valerio Abbondio, Schweizer Lehrer und Dichter (* 1891)
15. August: Big Bill Broonzy, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1903)
16. August: Paul Panzer, deutscher Schauspieler (* 1872)
17. August: Florent Schmitt, französischer Komponist (* 1870)
18. August: Johann Sebastian Dang, Gründer des Darmstädter Echos (* 1891)
21. August: Stevan Hristić, jugoslawischer Komponist (* 1885)
22. August: Roger Martin du Gard, französischer Schriftsteller (* 1881)
24. August: Inge Stoll, deutsche Motorradrennfahrerin (* 1930)
25. August: Leo Blech, deutscher Komponist und Dirigent (* 1871)
26. August: Ralph Vaughan Williams, englischer Komponist und Dirigent (* 1872)
26. August: Hans Henn, deutscher Politiker (* 1899)
27. August: Johannes Gronowski, deutscher Politiker (* 1874)
27. August: Ernest Lawrence, US-amerikanischer Atomphysiker (* 1901)
30. August: Karl Drewes, deutscher General (* 1895)
30. August: Karl Heim, deutscher protestantischer Theologe (* 1874)
September
1. September: René Gaudin, französischer Automobilrennfahrer (* 1889)
2. September: Nikolai Anziferow, russischer Historiker, Schriftsteller und Heimatforscher (* 1889)
2. September: Betty Humby Beecham, englische Pianistin (* 1908)
9. September: Giovanni Prini, italienischer Bildhauer und Maler (* 1877)
9. September: Cas Ruffelse, niederländischer Fußballspieler (* 1888)
11. September: Carl Carls, deutscher Schachspieler (* 1880)
11. September: Hans Grundig, Maler und Graphiker (* 1901)
11. September: Robert Lach, österreichischer Musikwissenschaftler (* 1874)
14. September: Volkmar Herntrich, evangelischer Landesbischof (* 1908)
15. September: Constant Feith, niederländischer Fußballspieler (* 1884)
17. September: Fritz Paneth, deutsch-österreichischer Chemiker (* 1887)
18. September: Olaf Gulbransson, Maler, Zeichner und Karikaturist (* 1873)
19. September: Rudolf Rocker, Autor, Historiker und Anarchosyndikalist (* 1873)
20. September: Oscar O’Brien, kanadischer Komponist, Arrangeur, Organist, Pianist und Musikpädagoge (* 1892)
21. September: Francisco Olazar, argentinischer Fußballspieler und -trainer (* 1885)
21. September: Peter Whitehead, englischer Formel-1-Rennfahrer (* 1914)
25. September: Viktor Schauberger, österreichischer Förster, Forscher und Erfinder (* 1885)
25. September: John B. Watson, US-amerikanischer Psychologe (* 1878)
25. September: Friedrich Weigle, deutscher Orgelbauer (* 1882)
26. September: Zdeňka Baldová, tschechische Schauspielerin (* 1885)
26. September: Breckinridge Long, US-amerikanischer Diplomat (* 1881)
27. September: Adolfo Salazar, spanischer Komponist, Musikkritiker und -wissenschaftler (* 1890)
27. September: Albert Soergel, deutscher Literaturwissenschaftler (* 1880)
28. September: Mezzi Andreossi, Schweizer Eishockeyspieler (* 1897)
28. September: Aarre Merikanto, finnischer Komponist (* 1893)
28. September: Jimmy Reece, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1929)
30. September: Adolf Franz Samwer, deutscher Politiker (* 1895)
Oktober
2. Oktober: Charles Avery Dunning, kanadischer Politiker (* 1885)
2. Oktober: Karl Skraup, österreichischer Schauspieler (* 1898)
2. Oktober: Marie Stopes, britische Frauenrechtlerin (* 1880)
3. Oktober: George Kennedy Allen Bell, anglikanischer Bischof (* 1883)
3. Oktober: Hans Walter Gruhle, deutscher Psychologe und Psychiater (* 1880)
6. Oktober: Ewald Aufermann, Professor für Betriebswirtschaftslehre (* 1892 oder 1893)
7. Oktober: Rex Griffin, US-amerikanischer Old-Time- und Country-Musiker (* 1912)
9. Oktober: Pius XII., Papst von 1939 bis 1958 (* 1876)
11. Oktober: Johannes R. Becher, deutscher Schriftsteller (* 1891)
14. Oktober: Douglas Mawson, britischer Polarforscher (* 1882)
15. Oktober: Teodoro Gutiérrez Calderón, kolumbianischer Lyriker und Schriftsteller (* 1890)
17. Oktober: Celso Costantini, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1876)
19. Oktober: Albert Steigenberger, deutscher Hotelier (* 1889)
19. Oktober: Josef Wintrich, Präsident des Bundesverfassungsgerichts von 1954 bis 1958 (* 1891)
22. Oktober: Hellmuth Helsig, deutscher Filmschauspieler (* 1902)
23. Oktober: Erich Köhler, deutscher Politiker (* 1892)
24. Oktober: Theodor Kröger, deutscher Schriftsteller (* 1891)
24. Oktober: George Edward Moore, englischer Philosoph (* 1873)
25. Oktober: Josef Achmann, deutscher Maler und Grafiker (* 1885)
25. Oktober: Stuart Lewis-Evans, britischer Formel-1-Rennfahrer (* 1930)
25. Oktober: Edward Aloysius Mooney, Erzbischof von Detroit und Kardinal (* 1882)
26. Oktober: Javier Rengifo, chilenischer Komponist (* 1884)
27. Oktober: Walter von Molo, deutscher Schriftsteller (* 1880)
29. Oktober: Zoë Akins, US-amerikanische Drehbuchautorin und Dramatikerin (* 1886)
31. Oktober: Maurice Rost, französischer Automobilrennfahrer und Flieger (* 1886)
November
3. November: Markus Feldmann, Schweizer Politiker (SVP) (* 1897)
4. November: Hermann von Kuhl, deutscher General und Militärhistoriker (* 1856)
4. November: Ida Wüst, deutsche Schauspielerin (* 1879)
10. November: Karl Assmann, österreichischer Jurist, Fußballspieler und Mitgründer von SK Sturm Graz (* 1890)
14. November: Hermann Zaiss, deutscher Heilungsevangelist (* 1889)
15. November: Samuel Hopkins Adams, US-amerikanischer Journalist und Schriftsteller (* 1871)
15. November: Tyrone Power, US-amerikanischer Film- und Theaterschauspieler (* 1914)
17. November: Yutaka Taniyama, japanischer Mathematiker (* 1927)
18. November: Henry Nielsen, dänischer Mittel- und Langstreckenläufer (* 1910)
19. November: Vittorio Ambrosio, italienischer General (* 1879)
23. November: Ernst Aebersold, Schweizer Politiker (* 1887)
24. November: Robert Cecil, 1. Viscount Cecil of Chelwood, britischer Politiker und Diplomat, Friedensnobelpreisträger (* 1864)
26. November: Heinrich Haslinde, deutscher Politiker (* 1881)
27. November: Jeanne Demons, kanadische Schauspielerin (* 1890)
28. November: Karl Flink, deutscher Fußballnationalspieler (* 1895)
29. November: Roy Owen West, US-amerikanischer Politiker (* 1868)
Dezember
2. Dezember: Carl Bilfinger, deutscher Staatsrechtler (* 1897)
2. Dezember: Jan Kok, niederländischer Fußballspieler (* 1889)
5. Dezember: Willie Applegarth, britischer Leichtathlet und Olympiasieger (* 1890)
5. Dezember: Ferdinand Bruckner, österreichisch-deutscher Schriftsteller und Theaterleiter (* 1891)
6. Dezember: Josef Gockeln, deutscher Politiker (* 1900)
6. Dezember: Myers Y. Cooper, US-amerikanischer Politiker (* 1873)
8. Dezember: Mads Nielsen, dänischer Schriftsteller (* 1879)
9. Dezember: Walter Laedrach, Schweizer Lehrer und Schriftsteller (* 1891)
10. Dezember: Heinrich Aschoff, deutscher Landwirt und Gerechter unter den Völkern (* 1893)
11. Dezember: Rudolf Rößler, Spion während des Zweiten Weltkrieges (* 1897)
11. Dezember: Alfons Walde, österreichischer Maler und Architekt (* 1891)
12. Dezember: Milutin Milanković, serbischer Astrophysiker (* 1879)
14. Dezember: René Guillou, französischer Komponist (* 1903)
15. Dezember: Wolfgang Pauli, Physiker, Nobelpreisträger (* 1900)
16. Dezember: János Székely, ungarischer Schriftsteller und Drehbuchautor (* 1901)
17. Dezember: Richard Ungewitter, deutscher Pionier und Organisator der FKK-Bewegung (* 1869)
17. Dezember: Georg Zimmermann, österreichischer Politiker und Minister (* 1897)
19. Dezember: Felix Kwieton, österreichischer Mittel- und Langstreckenläufer (* 1877)
19. Dezember: Francis P. Murphy, US-amerikanischer Politiker (* 1877)
20. Dezember: Clara Thompson, US-amerikanische Ärztin und Psychoanalytikerin (* 1893)
21. Dezember: Lion Feuchtwanger, deutscher Schriftsteller (* 1884)
24. Dezember: Henry Heinemann, deutsch-niederländischer Tropenmediziner (* 1883)
26. Dezember: Éva Gauthier, kanadische Sängerin (* 1885)
27. Dezember: Édouard Flament, französischer Komponist (* 1880)
29. Dezember: Heinz Gemein, deutscher Politiker (* 1906)
30. Dezember: Emanuel Ondříček, tschechischer Geiger, Musikpädagoge und Komponist (* 1880)
31. Dezember: Hans May, österreichisch-deutsch-britischer Komponist (* 1886)
Tag unbekannt
Herbert Adams, englischer Schriftsteller (* 1874)
Adolf Karl Paul Ammon, deutscher Industrieller (* 1874)
Ishii Hakutei, japanischer Maler und Grafiker (* 1882)
Paul Köppen, deutscher Motorrad- und Automobilrennfahrer sowie Motorenkonstrukteur (* 1900)
Wissenschaftspreise
Nobelpreise
Physik: Pawel Tscherenkow, Ilja Michailowitsch Frank und Igor Tamm
Chemie: Frederick Sanger
Medizin: George Wells Beadle, Edward Lawrie Tatum und Joshua Lederberg
Literatur: Boris Pasternak
Friedensnobelpreis: Georges Pire
Fields-Preis
Klaus Friedrich Roth, für den Beweis des Satzes von Thue-Siegel-Roth und einer Vermutung von Erdős und Turán, dass jede Folge natürlicher Zahlen mit Dichte größer als null drei Elemente in arithmetischer Progression enthält (Zahlentheorie).
René Thom, für die Entwicklung der Theorie der Kobordismen zur Klassifikation von Mannigfaltigkeiten mittels Homotopietheorie, Beispiel einer allgemeinen Kohomologietheorie (Algebraische Topologie).
Musik
André Claveau gewinnt am 12. März in Hilversum mit dem Lied Dors mon amour für Frankreich die 3. Auflage des Eurovision Song Contest
Liste der Nummer-eins-Hits in Deutschland (1958)
Gründung der Bee Gees – (Robin, Maurice und Barry Gibb)
Weblinks
Jahresrückblick von tagesschau.de
Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD
Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung (1958) im Bundesarchiv
Zeitzeugnisse zur Alltagskultur des Jahres 1958 im Wirtschaftswundermuseum
Jahr 1958 von Frank Rübertus
Einzelnachweise
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Q5253
| 1,977.855162 |
5832303
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https://de.wikipedia.org/wiki/J
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J
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J oder j (Bezeichnung in Deutschland: [], österreichisches Hochdeutsch und z. T. in Bayern: []) ist der zehnte Buchstabe des modernen lateinischen Alphabets und repräsentiert einen Konsonanten. Der Buchstabe J hat in deutschen Texten eine durchschnittliche Häufigkeit von 0,27 Prozent und ist damit der 24-häufigste Buchstabe.
Das Fingeralphabet für Gehörlose bzw. Schwerhörige stellt den Buchstaben J dar, indem die geschlossene Faust vom Körper weg zeigt, während der Daumen davor liegt und der kleine Finger nach oben weist, wobei die Hand eine Drehbewegung um vertikale Achse durchführt.
In Morsezeichen wird J kurz, lang, lang, lang, also · − − − geschrieben/gesprochen.
In der Entwicklung des lateinischen Alphabets wurden anders als heute I und J lange als bloße grafische Varianten desselben Zeichens nebeneinander verwendet, ohne dass eine lautliche Unterscheidung damit verbunden war. Das Zeichen selbst wurde jedoch teilweise für verschiedene Laute genutzt.
Herkunft
Im phönizischen Alphabet wurde das Zeichen Yodh zur Wiedergabe des Halbvokals [j] verwendet, der sowohl als palataler Approximant wie auch als unsilbisches [i] beschrieben werden kann. Als die Griechen aus dem phönizischen das griechische Alphabet entwickelten, übernahmen sie das Zeichen als Iota zur Schreibung des Vokals [i].
Die Etrusker übernahmen das griechische Zeichen, verwendeten es jedoch nicht nur zur Schreibung des Vokals [i], sondern auch zur Schreibung des gleichlautenden Halbvokals [j] (so wie sie das Zeichen V sowohl für den Vokal [u] als auch für den gleichlautenden Halbvokal [w] verwendeten). Die Römer übernahmen die etruskische Verwendung unverändert.
In der Spätantike entwickelte sich aus dem Halbvokal [j] eine stimmhafte Affrikate [dʒ]. Aus dieser entstanden die verschiedenen Laute der modernen romanischen Sprachen. So entspricht das lateinische [j] (z. B. in iustus „gerecht“) in modernem Italienisch einem [dʒ] (giusto [ˈdʒusto]), in modernem Spanisch meistens einem [x] (justo [ˈxusto]) und im modernen Französisch einem [ʒ] (juste [ʒyst]).
Obwohl sich diese erheblichen Lautunterschiede schon im frühen Mittelalter vollständig ausgebildet hatten, wurden beide Laute noch bis in die frühe Neuzeit mit demselben Zeichen geschrieben, das mal wie ein J (als Majuskel), mal wie ein I (als Minuskel) aussehen konnte. Die Capitalis der Römer kannte die grafische Variante J noch nicht. Bei der späteren Unziale ist die heutige Form des J mit kleiner Unterlänge erkennbar. Die konsequente Unterscheidung der Buchstaben I und J soll zuerst im 16. Jahrhundert vom französischen Philosophen Pierre de la Ramée vorgeschlagen worden sein.
Verwendung in der deutschen Sprache
Bei der Verschriftlichung der deutschen Sprache gegen Ende des ersten Jahrtausends n. Chr. wurde der Buchstabe I zweifach verwendet: Einerseits für die Wiedergabe des ungerundeten geschlossenen Vorderzungenvokals [i], andererseits für die Wiedergabe des stimmhaften palatalen Approximanten [j]. Man übernahm also die ursprüngliche lateinische Doppelverwendung, obwohl das I in seiner Verwendung als Konsonantenbuchstabe in den damaligen romanischen Sprachen mittlerweile einen anderen Laut bezeichnete, ein [dʒ].
Weil der Halbvokal [j] in der deutschen Sprache bestehen blieb, war der Bedarf einer Unterscheidung des Konsonantenbuchstabens J vom Vokalbuchstaben I weniger dringend als in anderen Sprachen. Diese Unterscheidung wurde daher erst in die Schreibung deutscher Texte übernommen, als sie sich bei anderen Sprachen schon etabliert hatte. Gebrochene Schriften unterschieden bei den Majuskeln bis um 1900 nicht zwischen I und J. Während sich bei den Minuskeln nur die Verwendung änderte, wiesen erst nach 1900 gestaltete gebrochene Satzschriften ein unterscheidbares Majuskel-J mit verlängertem Bogen, sowie ein gestauchtes Majuskel-I auf. Soweit deutsche Texte in Antiqua gesetzt wurden, hatten sie bereits im 19. Jahrhundert – ebenso wie heute – zwischen I/J und i/j unterschieden.
Bis heute gibt es noch ältere Schreiber, die anstelle des Großbuchstabens I ein J verwenden (z. B. Jda, Jtalien). Auch bei serifenlosen Schriften wird manchmal ein großes J anstelle eines großen I gesetzt. Ein Grund dafür ist, dass bei derartigen Schriften das große I und das kleine L oft schwer oder gar nicht unterscheidbar sind, vor allem wenn beide Buchstaben nebeneinanderstehen (etwa in Jll, Jller, Jlmenau, Jllustrierte im Unterschied zu Ill, Iller, Ilmenau, Illustrierte).
„Seitdem die Endstrichlosen eine so große Rolle spielen, scheint man da und dort das I für ungenügend zu halten und setzt dafür nicht selten das verkehrte J, also einen verkehrten Laut. Wenn dem I ein oder zwei l folgen, so entstehen in der Endstrichlosen drei nackte senkrechte Striche. In einer guten Schrift sind diese aber nicht von gleicher Größe und Stärke. Zumindest ist das I um eine Spur dicker. Das muß genügen.“
– Jan Tschichold: Meisterbuch der Schrift
Bei einigen Fremdwörtern existiert sowohl eine nach der neuen deutschen Rechtschreibung gültige eingedeutschte Schreibweise mit J, als auch eine fachsprachliche mit I (z. B. Iod, neben Jod). In der Chemie wird die Schreibweise mit I sogar bevorzugt (analog zu Citronensäure).
Von Eigennamen und Abkürzungen abgesehen endet laut Rechtschreibung kein Wort auf diesen Buchstaben.
Verwendung in weiteren Sprachen
Zur Unterscheidung des vor allem in protogriechischen Wörtern vorkommenden Phonems /j/ vom vokalischen /i/ wird die Glyphe j unter dem aus dem Deutschen entlehnten Namen Jot (, ) seit dem 19. Jahrhundert im sprachwissenschaftlichen Kontext auch im Zusammenhang mit dem griechischen Alphabet verwendet. Aus diesem Grund wurde im Unicodeblock Griechisch und Koptisch diesem Buchstaben eine eigene Position (U+03F3) zugewiesen.
Das J hat auch in einigen Sprachen Eingang gefunden, die mit kyrillischem Alphabet geschrieben werden (Serbisch, Mazedonisch). Auch hierfür gibt es im Unicodeblock Kyrillisch eigene Positionen (U+0408, U+0458).
Im Italienischen wird das J (i lunga, „langes i“) heute nur noch in Eigennamen verwendet. Bis ins 19. Jahrhundert wurde es für ein intervokalisches /j/ noch verwendet, ferner zur Indizierung zweier verschmolzener Minuskel-I:
Beispiel: Zum Singular principio („Prinzipien“) der Plural principj aus principii (heutige Form aber principi). Dagegen zum Singular principe („Fürst“) Plural principi.
Siehe auch
ي, der arabische Buchstabe Yāʾ
י, der hebräische Buchstabe Jod
Jotierung
Einzelnachweise
Weblinks
University of Maryland: Evolution of Alphabets
krysstal.com: The Evolution of the Latin Alphabet
Lateinischer Buchstabe
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Q9773
| 310.813044 |
5253002
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Crabronidae
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Crabronidae
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Crabronidae ist eine Familie der Grabwespen (Spheciformes). Sie umfasst 200 Gattungen in acht Unterfamilien mit über 8720 Arten. Sie ist in Europa mit 816 Arten und Unterarten vertreten. Die Familie wurde ursprünglich in Form einiger Unterfamilien den Sphecidae zugerechnet und aufgrund morphologischer Untersuchungen in den Familienrang erhoben. Eine neuere molekulargenetische Untersuchung legt jedoch sehr nahe, dass die Crabronidae nicht monophyletisch sind.
Lebensweise
Die Weibchen versorgen ihre Larven mit Beutetieren, die in das Nest getragen werden. Je nach Art werden verschiedene Tiere, wie etwa Blattläuse, Bienen, Käfer, Wanzen, Schmetterlinge, Zikaden, Schaben, Lang- und Kurzfühlerschrecken, Fliegen, Gottesanbeterinnen oder Spinnen gejagt. Einige wenige Arten leben als Kleptoparasiten und versorgen ihre Brut mit der Beute anderer Wespen. Bei manchen Unterfamilien, insbesondere den Pemphredoninae und Philanthinae werden die Nester mitunter auch gemeinschaftlich angelegt.
Systematik
Im Folgenden werden alle derzeit anerkannten Unterfamilien aufgelistet:
Astatinae , 1845
Bembicinae , 1802
Crabroninae , 1802
Dinetinae , 1895
Eremiaspheciinae , 1967
Mellininae , 1802
Pemphredoninae , 1835
Philanthinae , 1802
Belege
Einzelnachweise
Weblinks
Bugguide.net: Family Crabronidae (englisch)
Weblinks
Catalog of Sphecidae sensu lato (englisch)
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Q133302
| 136.667135 |
82598
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https://de.wikipedia.org/wiki/Schw%C3%A4mme
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Schwämme
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Die Schwämme (Porifera, ‚Pore‘ und ferre ‚tragen‘) bilden einen Tierstamm innerhalb der vielzelligen Tiere (Metazoa). Sie leben allesamt im Wasser und kommen in allen Meeresgewässern der Erde vor. Nur wenige Arten leben im Süßwasser wie etwa ungewöhnlich große (bis mannsgroße) Exemplare im Staffelsee.
Im Jahr 2023 unterschied die Encyclopedia of Life insgesamt 9.075 unterschiedliche Porifera-Arten. Dabei kommen immer noch zahlreiche neue Arten hinzu; 2012 waren lediglich 8.300 unterschiedliche Schwämme bekannt. von 2 Millimetern bis über drei Meter Höhe. Die Gestalt der meisten Arten ist abhängig von Ernährung und Milieu. Im Gegensatz zu den Gewebetieren (Eumetazoa) haben Schwämme keine Organe sowie keine Neuronen zur Verarbeitung von Signalen. Sie leben sessil, bevorzugt auf Hartboden, können aber auch Überzüge auf Pflanzen oder Mollusken-Schalen bilden. Der überwiegende Teil der Schwämme ernährt sich durch Filtration.
Bedeutende fossile Schwämme sind die Stromatoporen, die im Paläozoikum (Erdaltertum), hier besonders im Devon, und Mesozoikum (Erdmittelalter) wichtige Riffbildner waren. Diejenige Richtung der speziellen Zoologie, die sich der Erforschung der Schwämme widmet, wird als Spongiologie bezeichnet.
Aufbau
Obwohl Schwämme aus verschiedenen spezialisierten Zellen aufgebaut sind, besitzen sie keine Muskel-, Nerven- und Sinneszellen. Der Schwammkörper kann in die folgenden drei Grundtypen von Zellen gegliedert werden:
Pinacocyten
Die Pinacocyten bilden die plattenförmige Deckschicht (Pinacoderm) der Schwämme aus. In der Deckschicht liegen die Ostien, kleine Poren, die der Wasseraufnahme dienen und das Wasser über ein Kanalsystem in den zentralen Hohlraum (Gastralraum, auch Spongocoel) führen.
Choanocyten
Bei den Choanozyten handelt es sich um Kragengeißelzellen, die durch das Schlagen einer Geißel einen Wasserstrom erzeugen, aus dem sie vor allem über den Mikrovilli-Kragen kleine Nahrungspartikel filtrieren. Kragengeißelzellen verdauen die Nahrung und geben Teile davon an andere Zellen weiter. Wenn diese gefüllt sind, wandeln sie sich in einfache Nährzellen um, dringen in die Mittelschicht und versorgen dort die anderen Zellen. Sie sitzen um innere Hohlräume (Geißelkammern) herum.
Amöbozyten
Amöbozyten (Amöboidzellen) sind Zellen, die bei den Schwämmen (Porifera) mit ihren beweglichen Scheinfüßchen (amöboid) im Körper herumwandern und z. B. die Nährstoffe verteilen, die sie von den Choanocyten erhalten oder in deren Nähe durch Phagozytose aufnehmen. Auch nehmen sie Botenstoffe auf, geben sie ab und erbringen damit Funktionen, die denen eines primitiven Nervensystems vergleichbar sind. Sie wurden deshalb auch als neuroide Zellen bezeichnet. Die Fortsätze dieser Zellen haben Kontakt zu stabförmigen Auswüchsen der Kragengeißelzellen. Sie enthalten zahlreiche sekretorische Vesikel mit Botenstoffen. Die Vesikel werden vom Golgi-Apparat der neuroiden Zellen gebildet.
Die Amöboidzellen können unterschiedlich differenziert sein. Man findet:
Amöbocyten, bei denen es sich um Verdauungs- und Nahrungsverteilungszellen handelt,
Archaeocyten, aus denen alle anderen Zellen hervorgehen,
Skleroblasten, skelettbildende Zellen, und
Geschlechtszellen.
Die Amöboidzellen sind in ein kolloidales Gel, eine zellfreie Grundsubstanz, eingelagert. Im Gel bilden die Skleroblasten Skelettelemente, die Schwammnadeln aus.
Die Amöboidzellen, das kolloidale Gel, die Skelettelemente und die Pinacocyten wird als Dermallager (Derma = Haut) zusammengefasst. Die Gesamtheit der Choanocyten bezeichnet man als Gastrallager (gaster, d. h. ‚Magen‘).
Skelettelemente
Das Skelett besteht aus Skleriten (auch Skleren als Mikro- oder Megaskleren genannt), sogenannten Spicula (lat. sing. spiculum; Pfeil, Nadel), die ein Produkt der Sklerocyten sind und entweder aus Calcit, einer Form von Calciumcarbonat (Kalkschwämme), oder Kieselsäure (Kieselschwämme) bestehen. Die Gestalt der Spicula ist für die Systematik rezenter und fossiler Schwämme von Bedeutung.
Bei den Hornkieselschwämmen (Demospongiae) spielt auch Spongin eine wichtige Rolle.
Skelettreste des Kieselschwammes sind teilweise in den sogenannten Klappersteinen enthalten.
Einteilung in drei Typen
Je nach Ausbildung des Gastralraumes können drei Bautypen unterschieden werden:
Ascon-Typ Schlauchförmiger, dünnwandiger Körper mit zentralem Hohlraum mit undifferenzierter Wandung und nur einer zentralen Ausströmöffnung (Osculum). Dieser Typ ist immer sehr klein, da das Verhältnis von Körperoberfläche zu Mesohyl sehr ungünstig ist (maximal 2 mm groß). Außen liegt das Epithel, innen befinden sich die Kragengeißelzellen.
Sycon-Typ Um einen großen Hohlraum herum wird Choanoderm durch Radialtuben (in diesen befinden sich die Choanocyten) in das Mesohyl eingelagert, wodurch eine Oberflächenvergrößerung erreicht wird. Schwämme dieses Typs erreichen Größen von ein paar Zentimetern. Dickwandiger Körper, ausgekleidet mit Kragengeißelzellen.
Leucon-Typ Der differenzierteste Bautyp, dessen Mesohyl von Geißelkammern durchsetzt (verzweigtes Kanalsystem mit kugelförmigen Kammern) und stark verdickt ist. Dadurch wird eine optimale Oberflächenvergrößerung realisiert. Diesen Typ weisen alle großen Schwämme auf. Der Körper ist sehr dickwandig.
Lebensweise
Physiologie
Trotz ihres einfachen zellulären Aufbaus ist die Physiologie der Schwämme komplexer als lange Zeit angenommen. Schwämme sind in der Lage, Licht, mechanische Reize, Wasserströmungen und Sedimentablagerungen wahrzunehmen und aktiv darauf zu reagieren. Nicht nur ihre Larven, sondern auch Adulti einiger Arten sind zu (wenn auch langsamer) aktiver Fortbewegung in der Lage. Bei zahlreichen Arten wurde die Fähigkeit zu wellenartiger Kontraktion und anschließender Wiederausdehnung beobachtet, was vermutlich den Wasseraustausch im inneren Hohlraumsystem effizienter gestaltet. Die Bewegungen von Schwämmen gehen auf organisierte Bündel von Aktinfilamenten in bestimmten Pinacozyten zurück. Signalweiterleitung im Gewebe erfolgt sowohl chemisch als auch durch elektrische Aktionspotenziale (bisher nur bei einer Art sicher nachgewiesen). Bei Schwämmen sind zahlreiche Moleküle nachgewiesen, die bei den Eumetazoa als Neurotransmitter dienen wie Adrenalin, Noradrenalin und Serotonin. Obwohl also weder spezialisierte Nervenzellen noch Sinneszellen oder echte Muskelzellen vorzukommen scheinen, können Schwämme zahlreiche Funktionen dieser Zelltypen auf ähnliche Art und Weise wie bei den höheren Vielzellern ausführen.
Ernährung
Archaeocyten, Amöbocyten, Choanocyten und auch Pinacocyten nehmen die im Wasser enthaltenen Nahrungspartikel durch Phagozytose auf.
Sie ernähren sich als sogenannte Filtrierer durch Einstrudeln von Wasser, aus dem sie Nahrungspartikel herausfiltern. Die Kragengeißelzellen erzeugen durch das Schlagen der Geißeln im inneren Hohlraum einen Wasserstrom (wo die Nährstoffe aufgenommen werden). Das Wasser tritt durch die kleinen Einstromöffnungen, Ostia, ein und gelangt durch Kanäle in den inneren Hohlraum Gastralraum. Durch eine an der Oberseite der Tiere gelegene Pore, das Osculum, tritt das Wasser wieder aus.
Für Asbestopluma hypogea (Cladorhizidae) wurde eine karnivore Ernährung beschrieben. Der nährstoffarme Tiefseehöhlen bewohnende Schwamm hat sein Choanocyten-System verloren und fängt kleine Krebstiere mit Filamenten, die mit haken-ähnlichen Spicula besetzt sind. Die Beute wird dann von Amöbocyten verdaut.
Bisher waren 3 Arten vor Australien als fleischfressend bekannt. Vor der Ostküste Australiens wurden 2017 bei einer Tiefseeexpedition von Forschern des Queensland Museums mit Wissenschaftlern der Ludwig-Maximilians-Universität München überwiegend in einer Tiefe von 2000 bis 4000 m 17 weitere neue fleischfressende Schwammarten entdeckt und im Mai 2020 in Zootaxa beschrieben.
Fortpflanzung und Entwicklung
Schwämme sind getrenntgeschlechtlich oder Zwitter, die sich geschlechtlich oder ungeschlechtlich vermehren können. Spermien entstehen in der Regel aus Choanocyten und Eizellen aus großen Archaeocyten. Bei der asexuellen Vermehrung kommt es zu einer Abschnürung von Zellverbänden an der Körperoberfläche, man spricht hier von Knospung, oder einem Verbleib der Zellverbände und somit einer Koloniebildung. Bei der sexuellen Vermehrung gibt es keine Geschlechtsorgane im eigentlichen Sinne. Die Spermien werden, nachdem sie ins Wasser abgesetzt wurden, von benachbarten Schwämmen in die Kragengeißelkammern eingestrudelt, von wo aus sie in das Mesohyl zu einer Eizelle transportiert werden. Aus der Eizelle entwickelt sich eine Larve, wobei verschiedene Larven-Typen vorkommen.
Die Larve der Kalkschwämme und der Homoscleromorpha (einer Unterklasse der Hornkieselschwämme) ist beispielsweise eine freischwimmende Blastula, die sich mit der Urmundregion festheftet und gastruliert.
Ist die Larve in einen vorderen, begeißelten Teil (späteres Entoderm) und einen unbegeißelten Teil (späteres Ektoderm) differenziert, spricht man von einer Parenchymula-Larve. Diese ähnelt der Planula der Nesseltiere (Cnidaria), unterscheidet sich jedoch von dieser dadurch, dass sie sich mit dem oralen Pol festsetzt und das Innengewebe im Gegensatz zur Planula die Außenschicht bildet.
Schwämme können ein sehr hohes Alter erreichen, beispielsweise ist der älteste bekannte noch lebende Schwamm der Art Anoxycalyx joubini mindestens 10.000 Jahre alt und zählt somit zu den ältesten Lebewesen unseres Planeten. Er lebt im Südpolarmeer und wurde dort mehrmals von Wissenschaftlern untersucht, die sein Alter anhand seines – sehr geringen – Sauerstoffverbrauchs ermittelt haben: Je weniger Sauerstoff ein Tier in Bezug auf seine Körpergröße benötigt, desto geringer sein Wachstum und umso älter ist es.
Dauerstadien
Viele limnische Schwämme haben die Fähigkeit, Überdauerungsstadien, sogenannte Gemmulae (Gemmula = kleine Knospe, auch Hibernakel), zu bilden. Diese bestehen aus dikaryonten (zweikernigen) Archaeocyten, welche von einer Schicht aus Spongin und besonderen Nadeln (Spicula) umhüllt werden. Es kommt aber auch im einfachsten Fall zur Bildung von Restkörpern (Reduktien). Auslöser für die Entwicklung dieser Dauerstadien sind schlechte Umweltbedingungen, wie zum Beispiel Nährstoffmangel, oder auch im Besonderen bei Süßwasserschwämmen der Wechsel der Jahreszeiten.
Ökologische Bedeutung
Mittlerweile wurde nachgewiesen, dass Schwämme dazu in der Lage sind, die im Wasser gelösten Stoffwechselprodukte von Korallen aufzunehmen und diese so zu verwerten, dass sie anderen Lebewesen über die sogenannte Schwammschleife zur Verfügung gestellt werden. Diese wichtige Funktion in Ökosystemen funktioniert sowohl in tropischen Riffen, als auch in Kaltwasserriffen und in der Tiefsee.
Systematik
Der Stamm Porifera, der mehr als 9.000 Spezies umfasst, wird in vier Klassen unterteilt:
Klasse Calcarea (Kalkschwämme) mit 796 Arten, die sich in 83 Gattungen und 23 Familien aufteilen (Stand: September 2023). Spicula mit 1, 3 oder 4 Strahlen aus Kalk (Calciumcarbonat), das in Form von Calcit auskristallisiert ist. Calcarea leben bevorzugt in flachen, eher warmen Küstengewässern.
Klasse Hexactinellida (Glasschwämme) mit 662 Arten, in 129 Gattungen and 19 Familien (Stand: September 2023). Drei- oder Sechsstrahlige Spicula oder davon ableitbare Nadelformen, die aus amorphem wasserhaltigem Siliziumdioxid (Kieselsäure) aufgebaut sind. Hexactinellida leben im Allgemeinen in größeren Tiefen, zwischen 450 und 900 m.
Klasse Demospongiae (Hornkieselschwämme) mit 7.491 Arten, in 481 Gattungen and 96 Familien (Stand: September 2023). Die Spicula aus amorphem wasserhaltigem Siliziumdioxid sind Monoaxone oder Tetraexone, die durch ein Netz von Sponginfasern teilweise oder komplett ersetzt werden können. Die Demospongiae sind die größte und am weitesten verbreitete Gruppe der Porifera. Sie kommen in allen Tiefen vor. Alle kommerziell genutzten Schwämme sind Demospongiae.
Klasse Homoscleromorpha mit 126 Arten, in 9 Gattungen and 2 Familien (Stand: September 2023). Die Klasse Homoscleromorpha wurde von Fachleuten früher als Unterklasse der Demospongiae betrachtet. Mittlerweile gilt sie aufgrund molekularer Daten als klar von diesen abgegrenzt. Sie wird auch als Schwestertaxon zu den Calcarea angesehen.
1970 wurde für eine Gruppe von Schwämmen die Klasse der Sclerospongiae eingerichtet, die aber ab den 90er Jahren meist wieder aufgegeben wurde. Sclerospongiae zeichnen sich durch ein massives Skelett aus Calciumcarbonat (Aragonit oder Calcit) aus, das nur von einer dünnen Schicht lebenden Gewebes überzogen ist, das Spicula aus Kieselsäure oder auch Sponginfasern enthalten kann. Die Arten der Sclerospongiae wurden den Demospongiae und Calcarea zugeordnet.
Wirtschaftliche Bedeutung
Die Skelette der Gruppe der Hornschwämme (Dictyoceratida) sind frei von Spicula (Nadeln) und bestehen aus einem Geflecht flexibler Sponginfasern. Durch einen Prozess, den man als Mazeration bezeichnet, wird das Zellmaterial aufgelöst und ausgespült. Das so gewonnene Sponginskelett eignet sich durch seine Saugfähigkeit sehr gut als Gebrauchsschwamm (Badeschwamm). Der künstlich hergestellte Reinigungsschwamm leitet seine Bezeichnung auf Grund seiner Eigenschaften und seiner Struktur von den Schwämmen ab.
Das Schwammtauchen war ein altes und verbreitetes Gewerbe, bis es durch die industrielle Fertigung künstlicher Schwämme unrentabel wurde.
Des Weiteren werden Schwämme heutzutage in Aquakulturen gezüchtet, um verschiedene chemische Substanzen aus ihnen zu gewinnen, die vor allem auch in der Medizin Anwendung finden.
Es gibt mittlerweile jedoch auch Schwammfarmen, deren ökologisch erzeugte Schwämme, aus fairem Handel stammen. An der Ostküste von Sansibar helfen diese Farmen dabei den Wildfang in den Küstengewässern zu reduzieren und bieten auch Frauen stabile Verdienstmöglichkeiten.
Siehe auch
Systematik des Tierreiches
Weblinks
World Porifera Database
Einzelnachweise
Spongiologie
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Q18960
| 759.285413 |
20553
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https://de.wikipedia.org/wiki/Staatenbund
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Staatenbund
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Der Staatenbund (auch völkerrechtlicher Verein, teilweise – streng nur im Falle eines „organisierten Staatenbundes“ – auch Konföderation genannt) ist ein Zusammenschluss souveräner Staaten (Mitgliedstaaten, als Gliedstaaten oder Bundesglieder bezeichnet) mit eigener Organisation auf Bundesebene. Es handelt sich dabei um eine völkerrechtliche Staatenverbindung; der Staatenbund ist kein wirklicher Staat und verfügt weder über ein eigenes Gebiet noch über eigene Staatsangehörige.
Staatenbund vs. Bundesstaat
Der Unterschied zwischen Staatenbund und Bundesstaat ist, dass im Bundesstaat (als einer staatsrechtlichen Staatenverbindung) der Bund Inhaber der Souveränität ist, während im Staatenbund die einzelnen Staaten rechtlich und wirtschaftlich autonom sind, jedoch eine gemeinsame Union bilden. Davon ist ferner die Konföderation abzugrenzen, welche ein gemeinsames Auftreten in Form einer Dachorganisation darstellt, aber keine Kompetenz-Kompetenz besitzt. Die Unterschiede sind allerdings fließend, oft werden die Begriffe synonym verwendet. Daraus ergibt sich, dass abtrünnige Gebiete einzelner Länder rechtlich nicht anerkannt sind. Die Souveränität bedeutet in diesem Zusammenhang in erster Linie das Recht, die Kompetenzen zwischen Einzelstaat und Bund zu verteilen, die so genannte Kompetenzkompetenz.
Die Institutionen des Staatenbundes sind in der Regel eine repräsentative Versammlung, gemeinsame Ausführungsorgane für gemeinsame Aufgaben sowie eine Schiedsgerichtsbarkeit für die Beilegung von Streitigkeiten unter den verbundenen Staaten. In einem Staatenbund können Gesetze der gesetzgebenden Körperschaft des Bundes keine direkten Auswirkungen auf die Bürger haben, sie werden nur zur Verabschiedung an die nationalen Parlamente delegiert. Außerdem besteht in der Regel ein Austrittsrecht für die Mitgliedstaaten.
Staatenbund vs. „Staatenverbund“
Die Europäische Union (EU) ist als derivatives Völkerrechtssubjekt kein Staatenbund. Sie stellt eine Klasse für sich dar, die souveräne Nationen über Verträge miteinander verbindet. Diese Mitgliedsnationen können bestimmte Teile ihrer Regelungskompetenzen jeweils im Einzelfall auf die EU-Ebene übertragen. Dies ändert jedoch nichts am völkerrechtlichen Status der EU oder ihrer Mitgliedsnationen. Das deutsche Bundesverfassungsgericht bezeichnete die Europäische Union in einem Urteil von 1993 als Staatenverbund, was auch über die Grenzen Deutschlands hinaus Anklang gefunden hat. Die EU hat auf ihre Mitgliedstaaten innenpolitisch einen gewissen Einfluss, doch steht dem weder eine einheitliche gemeinsame Außenpolitik gegenüber, noch beansprucht die EU in ihren einschlägigen Verträgen für sich selbst mehr als ein Staatenverbund zu sein. In den Vereinten Nationen sind zudem alle Staaten der EU als unabhängige und selbstständige (souveräne) Mitglieder vertreten.
Beispiele
Aktuell
Afrikanische Union (AU)
Andengemeinschaft
Benelux-Union (Staatenbund von Belgien, Niederlande, Luxemburg)
Russisch-Belarussische Union
Historisch
Vereinigte Staaten von Amerika (bis 1787, danach Bundesstaat)
Norwegisch-schwedische Staatenunion (1814–1905; Norwegen erklärte sich 1905 im Vertrag von Karlstad für unabhängig)
Zentralamerikanische Konföderation (1823–1838)
Alte Eidgenossenschaft (1291–1798)
Schweizerische Eidgenossenschaft (1803–1848, ab dann Bundesstaat)
Rheinbund (1806–1813)
Deutscher Bund (1815–1866)
Union française (1946–1958) bzw. Communauté française (1958–1960)
Vereinigte Arabische Staaten (1958–1961)
Serbien und Montenegro (2003–2006)
Weblinks
Anmerkungen
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Völkerrecht
Staatenverbindung
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Q170156
| 270.338874 |
50939
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https://de.wikipedia.org/wiki/IPv4
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IPv4
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IPv4 (Internet Protocol Version 4), vor der Entwicklung von IPv6 auch einfach IP, ist die vierte Version des Internet Protocols (IP). Es war die erste Version des Internet Protocols, welche weltweit verbreitet und eingesetzt wurde, und bildet als Teil der Internetprotokollfamilie eine wichtige technische Grundlage des Internets. Es wurde in RFC 791 im Jahr 1981 definiert und stellt einen Internetstandard der Internet Engineering Task Force dar. IPv4 verwendet 32 Bit lange IP-Adressen.
Geschichte
IPv4 wurde als Teil der Internetprotokollfamilie für das Arpanet entwickelt und kam darin ab 1983 zum Einsatz. Damals waren nur einige hundert Rechner an das Netz angeschlossen. Das Arpanet entwickelte sich zum Internet und überschritt 1989 die Grenze von 100.000 Rechnern. Durch seine Verbreitung im Internet hat IPv4 schließlich auch LAN-Protokolle wie DECnet oder IPX verdrängt. NetWare, AppleTalk und NetBIOS wurden als neue Versionen hervorgebracht, die auf IP aufsetzen.
Am Anfang der 1990er Jahre war erkennbar, dass IP-Adressen bald knapp würden, da die damals übliche Netzklassen-basierte Adressvergabe erheblichen Verschnitt verursachte. Als kurzfristige Lösung wurde 1993 Classless Inter-Domain Routing eingeführt, das eine deutlich effizientere Adressvergabe ermöglichte. Eine weitere kurzfristige Lösung war das 1994 eingeführte Network Address Translation (NAT), das die Wiederverwendung von IP-Adressen ermöglichte. In der Variante Network Address Port Translation (NAPT) ermöglichte es die gleichzeitige Mehrfachverwendung von IP-Adressen. Mit diesen Maßnahmen konnte der Adressbedarf soweit gedämpft werden, dass der Adressraum trotz immensen Wachstums des Internet erst in den 2010er Jahren knapp wurde (siehe Abschnitt Adressknappheit).
Als langfristige Lösung der Adressknappheit sollte ein neues Protokoll mit größerem Adressraum entwickelt werden. Dies führte zuerst zur Entwicklung des experimentellen Protokolls TP/IX, das die Versionsnummer 7 trug und 1993 veröffentlicht wurde. TP/IX sollte dabei einen 64-Bit-Adressbereich unterstützen, wurde dann aber zugunsten von IPv6 verworfen. Die erste Fassung von IPv6 wurde 1995 veröffentlicht und verwendete einen 128-Bit-Adressraum. Die Versionsnummer 5 wurde nicht für einen IPv4-Nachfolger verwendet, da sie bereits 1990 durch das experimentelle Internet Stream Protocol Version 2 (ST2) belegt war, einem für Streaming optimierten Protokoll.
Adressformat
IPv4 benutzt 32-Bit-Adressen, wodurch ein Adressraum von knapp 4,3 Milliarden Adressen zur Verfügung steht. IPv4-Adressen werden meist in Dezimalpunktschreibweise dargestellt: vier Oktetts (je 8 Bit) werden durch Punkt getrennt mit vier Zahlen von 0 bis 255 dargestellt.
Beispiel: 192.0.2.155
Eine IPv4-Adresse kann in dezimal, binär, oktal und hexadezimal sowohl in der Punkt-, als auch in der Nichtpunktnotation dargestellt werden. Eine führende Null zeigt eine Oktalzahl an. Daher dürfen in der Dezimalpunktschreibweise ein- und zweistellige Zahlen nicht auf ein gleichförmiges Längenformat gebracht werden (nicht: 192.000.002.155).
Jedes der vier Oktette besteht aus 8 Bit und stellt somit 28 = 256 verschiedene Werte dar. Daraus ergibt sich eine Gesamtzahl von 256 × 256 × 256 × 256 = 2564 = 232 = 4.294.967.296 IPv4-Adressen.
Netzanteil und Hostanteil
Eine IP-Adresse besteht aus einem Netzanteil und einem Hostanteil. Der Netzanteil identifiziert ein Teilnetz, der Hostanteil identifiziert ein Gerät (Host) innerhalb eines Teilnetzes.
Die genaue Aufteilung zwischen Netzanteil und Hostanteil wird durch eine Subnetzmaske festgelegt, beispielsweise 255.255.255.0, was in binärer Darstellung 11111111.11111111.11111111.00000000 entspricht. Die Bits der Subnetzmaske, die „1“ lauten, legen die Stellen der IP-Adresse fest, die zum Netzanteil gehören. Alle restlichen Stellen der IP-Adresse, die entsprechend in der Subnetzmaske auf „0“ gesetzt sind, gehören zum Hostanteil. In der CIDR-Notation wird die Länge des Netzanteils durch die Anzahl Bits angegeben und mit Schrägstrich getrennt als Suffix an die IP-Adresse angehängt, beispielsweise /24. Somit ist der Netzanteil 24 Bits lang, was der Subnetzmaske 255.255.255.0 entspricht. Die übrigen 8 Bits gehören somit zum Hostanteil.
Beispiel:
Die Unterscheidung zwischen Netzanteil und Hostanteil ist erforderlich für die Entscheidung, ob sich eine Zieladresse in demselben lokalen Netz oder in einem anderen Netz befindet. Wenn der Netzanteil identisch ist, können die Endgeräte innerhalb einer Broadcast-Domäne direkt miteinander kommunizieren, beispielsweise per Ethernet oder WLAN. Im selben Teilnetz darf der Hostanteil nicht mehrfach vergeben sein, da es ansonsten zu einem IP-Adresskonflikt kommt. Für jedes Endgerät vergibt der zuständige Netzwerkadministrator den Hostanteil eindeutig durch eine manuelle oder automatische IP-Adresszuweisung.
Für die Kommunikation zwischen unterschiedlichen Netzen wird ein Router benötigt, siehe Abschnitt #Routing. Der Netzanteil muss ebenfalls eindeutig sein, damit es nicht zu Routing-Konflikten führt. Die Vergabe von IP-Netzbereichen erfolgt durch eine hierarchische Organisationsstruktur zwischen der Internet Assigned Numbers Authority, den Regional Internet Registrys und den Local Internet Registrys.
Subnetting
Ein Netz kann in weitere Teil- oder Subnetze unterteilt werden. Dies erfolgt, indem ein oder mehrere höchwertige Bits des Hostanteils zur Unterscheidung des Subnetzes verwendet werden. Innerhalb eines Subnetzes wird die Subnetzmaske angepasst, um den verkleinerten Hostanteil widerzuspiegeln. Subnetting wird zur Segmentierung von Netzen verwendet. Für die Kommunikation zwischen den Subnetzen ist ein Router erforderlich.
Beispiel:
Nach außen hin wird das Netz beim Routing als ein ganzes adressiert. Die innere Unterteilung in Subnetze ist nicht direkt ersichtlich. Das Gegenteil von Subnetting ist Supernetting und beschreibt die Zusammenfassung von mehreren angrenzenden Netzadressen in einer gemeinsamen Route. Der Zweck ist die Minimierung von Einträgen in einer Routingtabelle. Supernetting wird bei Classless Inter-Domain Routing als Routenaggregation bezeichnet.
Historische Netzklassen (nicht mehr in Gebrauch seit 1993)
Ursprünglich gab es fest vorgeschriebene Einteilungen für Netzklassen mit einer festen Länge des Netzanteils. Die Größe des Netzanteils ergab sich aus den ersten Bits der Adresse; eine Subnetzmaske musste nicht angegeben werden. Da diese Einteilung sehr unflexibel ist, wird seit 1993 ausschließlich das Verfahren Classless Inter-Domain Routing angewandt, welches bitvariable Netzmasken ermöglicht. Obwohl das Konzept von Netzklassen seitdem nicht mehr im Einsatz ist, blieb der Begriff der Netzklasse über Jahre verbreitet. Hierbei steht „Klasse A“ für ein Netz der CIDR-Präfixlänge /8, „Klasse B“ für /16 und „Klasse C“ für /24. Die ursprüngliche Zuordnung zu festgelegten Adressbereichen wird für gewöhnlich ignoriert, sodass diese Begrifflichkeit nicht mit dem ursprünglichen Konzept der Netzklassen konform ist.
Nutzbare Adressen
Die jeweils erste und letzte Adresse eines Subnetzes haben eine besondere Bedeutung und stehen üblicherweise nicht zur Vergabe an Hosts zur Verfügung. Die maximale Anzahl der zu vergebenen Hostadressen in einem Netz beträgt somit effektiv:
2Anzahl Bits der Hostadresse − 2.
Diese Einschränkung geht auf die Praxis zurück, Adressen mit „0“ an allen Stellen als „dieses Netz“ und Adressen mit „1“ an allen Stellen als „alle Hosts“ zu interpretieren. Die erste Adresse eines Subnetzes (zum Beispiel 192.0.2.0) bezeichnet das Netz selbst. Die letzte Adresse (zum Beispiel 192.0.2.255) bezeichnet die Broadcast-Adresse, unter der alle Hosts im Netz angesprochen werden können. Ein Versuch, diese Einschränkung aufzuheben, hat sich nicht durchgesetzt, sodass auch heute noch in praktisch jedem Netz beide Adressen reserviert sind. Gängig ist außerdem, das Default Gateway auf die zweite oder die vorletzte IP-Adresse im Netz zu legen (zum Beispiel 192.0.2.1 oder 192.0.2.254), wobei es dafür keinerlei Vorgaben gibt.
Besondere Netzadressen
Einige Netzadressen sind für spezielle Zwecke reserviert. Siehe RFC 6890:
Private IP-Adressen
Bestimmte IP-Adressbereiche stehen zur freien Verfügung und können ohne vorherige Registrierung für private Netze verwendet werden. Im Internet werden diese IP-Adressbereiche nicht geroutet. Historisch befand sich jeder der Adressbereiche in einer anderen Netzklasse. Aus Gewohnheitsgründen ist es gängig für Subnetze im Adressblock 172.16.0.0/12 die Präfixlänge /16 und im Adressblock 192.168.0.0/16 die Präfixlänge /24 zu verwenden. Eine Vorgabe existiert diesbezüglich nicht.
Beispiele
Paketformat
Ein IP-Paket besteht aus einem Header und den eigentlichen Nutzdaten. Der IPv4-Header ist normalerweise 20 Bytes lang, kann aber durch zusätzliche Optionen in jeweils 4-Byte-Schritten auf bis zu 60 Bytes verlängert werden. Die Optionen sind größtenteils ungenutzt und IPv4-Pakete mit Optionen werden oft blockiert.
IPv4 dient als Grundlage, um darüber andere Protokolle zu transportieren. In dem Datenteil eines IP-Pakets werden der Header, die Nutzdaten und ein eventueller Trailer eines anderen Netzwerkprotokolls gekapselt. Typische Beispiele sind TCP, UDP oder ICMP. Um welches Protokoll es sich handelt, wird durch eine Nummer im Protokoll-Feld des IP-Headers festgelegt. Die Internet Assigned Numbers Authority verwaltet eine Liste der registrierten Protokollnummern.
Die maximale Länge eines IP-Pakets beträgt 65535 Bytes (216−1) und die maximale Datenlänge 65515 Bytes (Paketlänge – minimale Headerlänge von 20 Byte). Die Paketlänge wird jedoch normalerweise von dem zugrundeliegenden Netzwerkprotokoll auf Netzzugangsschicht weiter eingeschränkt, woraus sich eine für das Netz spezifische maximale IP-Paketlänge ergibt, die Maximum Transmission Unit (MTU) genannt wird. Bei Ethernet beispielsweise beträgt die MTU 1500 Bytes. Die MTU reduziert sich, wenn ein IP-Paket über einen Tunnel oder ein Virtual Private Network transportiert wird. Die minimale Frame-Länge von Ethernet hat hingegen keine Auswirkung auf IPv4, da durch das Längenfeld im IPv4-Header ein beliebig kurzes IPv4-Paket transportiert werden kann, selbst wenn der Ethernet-Frame mit Nullbytes aufgefüllt werden muss.
Eine spezielle Bedeutung kommt in modernen Implementierungen dem früheren Feld Type of Service (ToS) im zweiten Oktett des IPv4-Headers zu. Ursprünglich diente dieses Feld bei der Vermittlung eines Datenpaketes als Entscheidungshilfe für die beteiligten Router bei der Wahl der Übertragungsparameter. In modernen Implementierungen wird dieses Feld im Zusammenhang mit der network congestion avoidance (Vermeidung von Überlastungen) verwendet. Das ToS-Feld wurde durch das DS-Feld (differentiated services) ersetzt, dessen erste sechs Bits als differentiated services code point (DSCP) und dessen letzte beiden Bits als explicit congestion notification (ECN) benutzt werden.
Routing
IPv4 unterscheidet nicht zwischen Endgeräten (Hosts) und Vermittlungsgeräten (Router). Jeder Computer und jedes Gerät kann gleichzeitig Endpunkt und Router sein. Ein Router verbindet dabei verschiedene Netze. Die Gesamtheit aller über Router verbundenen Netze bildet das Internet (siehe auch Internetworking).
IPv4 ist für LANs und WANs gleichermaßen geeignet. Ein Paket kann verschiedene Netze vom Sender zum Empfänger durchlaufen, die Netze sind durch Router verbunden. Anhand von Routingtabellen, die jeder Router individuell pflegt, wird der Netzteil einem Zielnetz zugeordnet. Die Einträge in die Routingtabelle können dabei statisch oder über Routingprotokolle dynamisch erfolgen. Die Routingprotokolle dürfen dabei sogar auf IP aufsetzen.
Bei Überlastung eines Netzwerks oder einem anderen Fehler darf ein Router Pakete auch verwerfen. Pakete desselben Senders können bei Ausfall eines Netzes auch alternativ „geroutet“ werden. Jedes Paket wird dabei einzeln „geroutet“, was zu einer erhöhten Ausfallsicherheit führt.
Beim Routing über IP können daher
einzelne Pakete verlorengehen,
Pakete doppelt beim Empfänger ankommen,
Pakete verschiedene Wege nehmen,
Pakete fragmentiert beim Empfänger ankommen.
Wird TCP auf IP aufgesetzt (d. h. die Daten jedes IP-Pakets enthalten ein TCP-Paket, aufgeteilt in TCP-Header und Daten), so wird neben dem Aufheben der Längenbeschränkung auch der Paketverlust durch Wiederholung korrigiert. Doppelte Pakete werden erkannt und verworfen. Die Kombination TCP mit IP stellt dabei eine zuverlässige bidirektionale Verbindung eines Datenstroms dar.
Paketfragmentierung
Auf dem Weg vom Sender zum Empfänger kann es vorkommen, dass ein IP-Paket ein Netz durchlaufen muss, bei dem das Paket länger ist als die vom Netz maximal unterstützte Paketlänge (MTU). In einem solchen Fall kann der Router entweder eine Fehlermeldung zurücksenden (siehe Abschnitt #ICMP) oder das Paket in Fragmente aufteilen und in separaten IP-Paketen weiter versenden. Jedes der Fragmente trägt dieselbe Identifikationsnummer im Header, mit denen der Empfänger eine Zusammensetzung vornehmen kann. Die Fragmentierung erfolgt in folgenden Schritten:
Aufteilen der Nutzdaten an einer 8-Byte-Grenze (das letzte Fragment enthält dann nicht unbedingt ein Vielfaches von 8 Byte Daten).
Kopieren der IP-Headerdaten des Originalpakets in die neuen Header der Fragmente.
Setzen des Felds „More Fragments“ auf den Wert 1 bei allen bis auf das letzte Fragment.
Beim letzten Fragment wird der Wert von „More Fragments“ aus dem Originalpaket kopiert. Im Regelfall ist der Wert 0, kann aber auch 1 sein, falls das Originalpaket bereits ein Fragment ist.
Setzen der Längen-Felder und des Fragment-Offsets in den Headern. Das Fragment-Offset gibt die Position eines Datenfragments im Originalpaket an (als Vielfaches von 8 Bytes).
Um ein Paket wieder zusammenzusetzen, kombiniert der Empfänger alle Fragmente, welche die gleiche Identifikationsnummer, den gleichen Absender, Empfänger und das gleiche Protokoll haben. Die Reihenfolge der Fragmente ergibt sich aus dem jeweiligen Fragment-Offset im Header. Das letzte Fragment erkennt der Empfänger daran, dass das Feld „More Fragments“ auf 0 gesetzt ist.
ICMP
IP ist eng verknüpft mit dem Internet Control Message Protocol (ICMP), das zur Fehlersuche und Steuerung eingesetzt wird. ICMP setzt auf IP auf, das heißt ein ICMP-Paket wird im Datenteil eines IP-Pakets abgelegt. Eine IP-Implementierung enthält stets auch eine ICMP-Implementierung. ICMP besteht aus verschiedenen Pakettypen, die unterschiedlichen Funktionen dienen. Ein prominentes Beispiel sind „Echo Request“ und „Echo Reply“, was für das Diagnosewerkzeug Ping verwendet wird. Auch Traceroute verwendet ICMP.
ICMP kann zusammen mit dem Don’t-Fragment-Bit des IP-Pakets auch eingesetzt werden, um die maximale Paketgröße eines Übertragungsweges zu einer Zieladresse zu ermitteln. Dies wird als Path MTU Discovery bezeichnet und ermittelt die kleinste MTU aller passierten Netze. Dadurch kann auf IP-Fragmentierung verzichtet werden, wenn der Sender nur Pakete mit der maximalen Größe der PMTU erzeugt.
Netzzugangsschicht
IPv4 kann auf verschiedene Übertragungsmedien und Protokolle in der Netzzugangsschicht aufsetzen, zum Beispiel das Point-to-Point Protocol oder Serial Line Internet Protocol. In lokalen Netzen wird überwiegend Ethernet oder WLAN eingesetzt. Beide verwenden eine 48 Bit lange MAC-Adresse zur Adressierung von Netzwerkkarten. Ein Sender muss die MAC-Adresse des Ziels kennen, bevor ein IP-Paket gesendet werden kann. Um für eine gegebene IP-Adresse des Ziels die zugehörige MAC-Adresse zu ermitteln, wird das Address Resolution Protocol (ARP) verwendet. Unbekannte MAC-Adressen fragt der Sender mittels einer ARP-Anfrage an, die er als Broadcast an alle Netzwerkgeräte im lokalen Netz sendet. Das Ziel sendet daraufhin eine ARP-Antwort zurück, die die gesuchte MAC-Adresse enthält. Die Kommunikationsteilnehmer speichern die gelernten Zuordnungen von IP-Adresse zu MAC-Adresse in einem Cache zwischen.
Adressknappheit
Aufgrund des unvorhergesehenen Wachstums des Internets herrscht heute Adressknappheit. Im Januar 2011 teilte die IANA der asiatisch-pazifischen Regional Internet Registry APNIC die letzten zwei /8-Adressblöcke nach der regulären Vergabepraxis zu. Gemäß einer Vereinbarung aus dem Jahr 2009 wurde am 3. Februar 2011 schließlich der verbliebene Adressraum gleichmäßig auf die regionalen Adressvergabestellen verteilt: jeweils ein /8-Adressblock pro Vergabestelle. Seitdem hat die IANA auf der globalen Ebene keine weiteren /8-Adressblöcke mehr zu vergeben.
Auf der regionalen Ebene verschärften die Regional Internet Registrys ihre Vergabepraktiken, um aus dem letzten /8-Adressblock möglichst lange schöpfen zu können. Bei der APNIC traten diese am 15. April 2011 in Kraft, da die zuvor erhaltenen beiden /8-Adressblöcke bereits nach drei Monaten aufgebraucht waren. Am 14. September 2012 folgte dann RIPE NCC mit der letzten regulären Zuteilung in der Region Europa/Naher Osten. Mit der neuen Vergabepraxis hatten APNIC- und RIPE-NCC-Mitglieder jeweils nur noch Anspruch auf Zuteilung eines /22-Adressbereichs, selbst wenn sie einen größeren Bedarf nachweisen konnten.
Am 25. November 2019 hat RIPE NCC ihren /8-Adressblock endgültig aufgebraucht. Seitdem werden nur noch /24-Kleinstblöcke per Warteliste aus Rückläufern vergeben.
Adressfragmentierung
Die historische Entwicklung des Internets wirft ein weiteres Problem auf: Durch die mit der Zeit mehrmals geänderte Vergabepraxis von Adressen des IPv4-Adressraums ist dieser inzwischen stark fragmentiert, d. h., häufig gehören mehrere nicht zusammenhängende Adressbereiche zur gleichen organisatorischen Instanz. Dies führt in Verbindung mit der heutigen Routingstrategie (Classless Inter-Domain Routing) zu langen Routingtabellen, auf welche Speicher und Prozessoren der Router im Kernbereich des Internets ausgelegt werden müssen. Zudem erfordert IPv4 von Routern, Prüfsummen jedes weitergeleiteten Pakets neu zu berechnen, was eine weitere Prozessorbelastung darstellt.
IPv6
Weil die IPv4-Adressen auszugehen drohten, wurde IPv6 als 128-Bit-Adressen entwickelt. Diese werden in acht hexadezimale 4er-Gruppen dargestellt und die Gruppen durch Doppelpunkte getrennt. Damit können 2128 = 65.5368 ≈ 340 Sextillionen IPv6-Adressen vergeben werden, eine extrem hohe Zahl. Zusätzlich wurde die Systematik der Adress-Struktur wesentlich verbessert. Verfügbar sind die Adressen seit 2017.
IPv6-Beispiel: 2001:0db8:85a3:08d3:1319:8a2e:0370:7344
Siehe auch
IPTV
IP-Telefonie
Mobile IP
Literatur
A. Badach, E. Hoffmann: Technik der IP-Netze. Hanser, München 2007, ISBN 978-3-446-41089-3.
D. Larisch: TCP/IP – Grundlagen und Praxis. Heise Medien, Hamburg 2011, ISBN 978-3-936931-69-3.
J.D. Wegner, R. Rockwell: IP Addressing & Subnetting. Syngress, Rockland MA 2000, ISBN 3-8266-4077-2.
Weblinks
L. Parziale et al.: TCP/IP Tutorial and Technical Overview. (PDF; 8,1 MB). In: IBM Redbooks, Armonk NY 2006 (englisch)
Subnetz-Rechner im Kapitel TCP/IP – Grundlagen Computernetze
IANA IP Version Numbers – IANA assignment of version-numbers
Einzelnachweise
Internet Protocol
IP-Adressierung
Netzwerkprotokoll (Vermittlungsschicht)
Internetstandard
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Q11103
| 159.570604 |
690198
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https://de.wikipedia.org/wiki/Belize
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Belize
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Belize [] ist ein Staat in Zentralamerika, der 1981 aus der Kolonie Britisch-Honduras entstand. Internationale Grenzen bestehen zu Mexiko und Guatemala.
Belize ist der einzige zentralamerikanische Staat, in dem Englisch Amtssprache ist. Etwa ein Drittel der Bevölkerung hat afrikanische Vorfahren. Die Kultur des Landes ist von den Maya beeinflusst. Als Belize 1981 seine Unabhängigkeit erhalten hatte, wurde es Mitglied des Commonwealth of Nations.
Geographie
Belize liegt im Südosten der Halbinsel Yucatán. Es grenzt im Norden an Mexiko, im Westen an Guatemala und im Osten an das Karibische Meer. Als einziges Land Zentralamerikas hat es keinen Zugang zum Pazifik.
Bis auf die Maya Mountains im Landesinneren mit bis zu 1124 m (Doyle’s Delight) ist Belize leicht hügelig bis eben. Das Land von der Größe von Mecklenburg-Vorpommern ist nach El Salvador der zweitkleinste Staat des amerikanischen Kontinents. Trotzdem weist es sehr unterschiedliche Landschaften auf.
Große Teile des Nordens nimmt ein stark gegliedertes Hügelland aus Kreidekalken ein, das kaum höher als 100 m über dem Meeresspiegel liegt und mit Palmsavannen bestanden ist. Sumpfige Schwemmebenen erstrecken sich bis zu 75 km (im Norden) von der lagunenreichen Küste ins Landesinnere.
Zentral-Belize besteht aus sandigem Boden, es ist das Land der Savannen. Rund 48 Kilometer südwestlich von Belize City steigt das Land auf 460 bis 1120 Meter über dem Meeresspiegel an: Der Mountain Pine Ridge und die Maya Mountains liegen hier. Reichhaltige Niederschläge lassen zahlreiche Bäche entspringen, die aus den Höhen im Nordwesten den Macal River speisen. Der Macal River und der Mopan River vereinen sich schließlich und bilden die Hauptzuflüsse des Belize River.
Im Süden von Belize – mit den Maya Mountains als Wasserscheide Richtung Südosten – fließen Flüsse auf ihren kurzen Wegen zur Karibik, gesäumt von überhängenden Kliffs und Höhlen. Die Flüsse haben mit ihrer Fracht aus Sand, Ton und Schlick über die Jahre den Küstengürtel so angereichert, dass hier erfolgreich Zitrusfrüchte und Bananen produziert werden. Bei einem jährlichen Niederschlag von rund 4320 Millimeter wartet der gebirgige Süden von Belize mit tropischem Regenwald und Kiefernwäldern in den Höhenlagen auf.
Küste
Der Küste sind zahlreiche Korallenriffe, Sandbänke und Atolle – wie Lighthouse Reef, Glover Reef und die Turneffe Inseln – vorgelagert. Das vor Belize liegende Riff ist nach dem Great Barrier Reef zusammen mit seinen Cayes das zweitgrößte Korallenriff der Welt und das längste in der westlichen und auch der nördlich des Äquators gelegenen Hemisphäre. Das Barriereriff zieht sich die gesamte Küste von Belize entlang und schützt eine Vielzahl von Kleinriffen, Sandbänken und über 1000 Inseln, die sogenannten Cayes (). Die meisten der Cayes und die Küste außerhalb der Städte und Siedlungen sind von dichten, ausgedehnten Mangrovenwäldern bestanden, die zugleich als Schutz vor Küstenerosion fungieren.
Klima
Das Klima ist im Norden subtropisch und im Süden tropisch, mit vorherrschend von der Karibik her wehenden Passatwinden. Die Monatstemperaturen schwanken zwischen 24 °C und 27 °C, die durchschnittliche Lufttemperatur beträgt 25,9 Grad Celsius. Die Luftfeuchtigkeit ist durch den Wind von See her gut zu ertragen. Der meiste Regen fällt zwischen Juni und Oktober, in dieser Zeit ist auch die Luftfeuchtigkeit am höchsten. Der jährliche Niederschlag beträgt im Süden 4450 mm, im Norden nur 1290 mm.
Die regionalen Unterschiede beim Wetter, die differierenden Höhen und geologischen Bedingungen sorgen für verschiedenartige Lebensräume für Flora und Fauna. So lassen sich 49 verschiedene Arten von Wäldern klassifizieren. Die Höchsttemperaturen übersteigen im Sommer selten 36 Grad Celsius, im Winter fallen sie selbst nachts fast nie unter 16 Grad Celsius.
Die Regenzeit dauert von Mai bis November und geht ab Juli oft mit Wirbelstürmen einher. Regelmäßig auftretende Naturkatastrophen sind demnach Hurrikans und infolgedessen Überflutungen. Ein Wirbelsturm zerstörte 1961 die damalige Hauptstadt Belize City, daraufhin wurde Belmopan 1970 zur Hauptstadt.
Flora
Die Artenvielfalt der Flora ist – insbesondere in den tropischen Wäldern – sehr groß. Es gibt mehrere Tausend Pflanzenarten, darunter über 200 Orchideen und über 500 verschiedene Hölzer. Die Vegetation von Belize ist tropischer Regenwald und vereinzelte Kiefernsavannen im Süden, Sumpfland im Flachland und eine fast durchgehend von Mangroven bewachsene Küste.
Belizes Urwaldflächen stellen einen der größten zusammenhängenden Reste des tropischen Regenwaldes Mittelamerikas dar, der einst weite Teile bedeckte. Selbst auf Satellitenaufnahmen aus dem Weltraum ist dieses grüne Herz Belizes gut erkennbar. Hier wachsen vor allem Farne, Palmen, Lianen und tropische Harthölzer (u. a. mit Mahagoni, mexikanischer Zeder, Campecheholz). Die Kiefernwälder werden vor allem aus der Karibischen Kiefer (Pitchpine) gebildet und bilden die eigene Ökoregion der Belize-Kiefernwälder.
Fauna
Der schon von den Maya verehrte Jaguar ist heute noch wild im Cockscomb Basin Wildlife Sanctuary anzutreffen. Außerdem gibt es viele verschiedene Vogelarten und viele weitere Tiere wie Flusskrokodile, verschiedene Schlangen und Schmetterlinge.
Naturschutz
38 % der Landfläche und 11 % der Meeresfläche standen 2021 unter Naturschutz. Der größte Nationalpark ist mit 1157 km² der Chiquibul-Nationalpark in den Maya-Mountains; südlich angrenzend liegt das 403 km² strenge Wildnisschutzgebiet Bladen Nature Reserve. Nur wenig kleiner als Chiquibul ist das Rio Bravo Naturschutzgebiet, das jedoch einen wesentlich niedrigeren Schutzstatus hat. Weitere – weitaus kleinere – Beispiele für Belizes Naturschutzgebiete sind der Five Blues Lake National Park, der Guanacaste Nationalpark und der Laughing Bird Caye Nationalpark.
Größte Städte
Im Jahr 2022 lebten 46 Prozent der Einwohner Belizes in Städten. Die größten Städte in Belize sind (Stand 1. Januar 2005):
Belize City, 61.461 Einwohner (Hauptstadt bis 1969)
San Ignacio, 16.812 Einwohner
Orange Walk Town, 15.298 Einwohner
Belmopan, 13.381 Einwohner
Dangriga, 10.750 Einwohner
Belmopan ist seit 1970 die Hauptstadt des Landes und seit 2000 Regierungssitz. Die Stadt wurde auf Urwaldrodungen an den Ausläufern der Maya Mountains errichtet und liegt im geographischen Mittelpunkt des Landes. Belmopans Einwohner sind zumeist Beamte. Die Fassade des Parlamentsgebäudes auf dem Independence Hill wurde mit einem uralten Maya-Motiv geschmückt.
Provinzen, Provinzhauptstädte und Orte
Das Land ist in sechs Provinzen unterteilt:
Belize District:
Belize City (Provinzhauptstadt)
Hattieville
Ladyville
San Pedro
Ambergris Caye
Cayo District:
San Ignacio (Provinzhauptstadt)
Belmopan (Hauptstadt; ist keinem District zugeordnet!)
Benque Viejo del Carmen
Spanish Lookout
Corozal District:
Corozal (Provinzhauptstadt)
Chunox
Consejo
Little Belize
Louisville
Patchacan
Progresso
Xaibe
Orange Walk District:
Orange Walk Town (Provinzhauptstadt)
Carmelita
Guinea Grass
San Estevan
San Pablo
Trial Farm
Stann Creek District:
Dangriga (Provinzhauptstadt – ehemals Stann Creek Town)
Hopkins
Mullins River
Placencia
Toledo District:
Punta Gorda (Provinzhauptstadt)
Monkey River
Toledo Settlement
Bevölkerung
Demografie
Belize hatte 2022 441.000 Einwohner. Das jährliche Bevölkerungswachstum betrug + 1,8 %. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 2,0, die der Region Lateinamerika und die Karibik betrug 1,9. Die Lebenserwartung der Einwohner Belizes ab der Geburt lag 2020 bei 72,9 Jahren (Frauen: 76,6, Männer: 69,6). Im Jahr 2020 waren 28,8 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre, während der Anteil der über 64-Jährigen 4,8 Prozent der Bevölkerung betrug.
Bevölkerungsstruktur
Die größte Bevölkerungsgruppe mit knapp 53 % bilden die Mestizen, die europäische und indigene Vorfahren haben. Diese Mestizen sind aus den umliegenden Ländern eingewandert. Die sogenannten Kreolen (Creoles) in Belize sind mehr oder minder dunkelhäutig und haben Afrikaner und Weiße als Vorfahren. Deren Vorfahren kamen von den Kleinen Antillen als Sklaven nach Belize oder wanderten als Saisonarbeiter ein. Sie stellen einen Bevölkerungsanteil von rund 26 %.
Die Maya stellen etwa 11 % der Bevölkerung und sprechen drei verschiedene Maya-Sprachen: Yukatekisch (Mayathan), Q’eqchi’ und Mopan. Die meisten Maya stammen ursprünglich nicht aus Belize, sondern sind aus Mexiko (Yukatekisch) und Guatemala (Q’eqchi’) eingewandert. Nur die Mopan-Sprecher, die etwa 4 % der Bevölkerung stellen, stammen ursprünglich aus Belize.
Eine Besonderheit in der Bevölkerungsvielfalt stellen die Garifuna oder „schwarzen Kariben“ dar, eine auf St. Vincent entstandene Kultur aus gestrandeten westafrikanischen Sklaven, die sich mit Kariben und Arawak vermischten und später von den britischen Kolonialherren auf die zu dieser Zeit zu Jamaika gehörenden Bay Islands vor Honduras zwangsumgesiedelt wurden und sich von dort aus an der Ostküste Mittelamerikas verbreiteten. Sie stellen etwa 6 % der Bevölkerung.
Eine weitere Volksgruppe mit etwa 4 % bilden deutschstämmige Mennoniten. Die meisten sind Russlandmennoniten, die 1958 aus Mexiko einwanderten. Diese sprechen Plautdietsch und gehören zum Teil der konservativen Gemeinderichtung der Altkolonier-Mennoniten an. Eine kleinere Untergruppe, die ursprünglich aus den USA stammt, wanderte Ende der 1960er Jahre ein, spricht Pennsylvania-Deutsch und gehört zu den Mennoniten alter Ordnung. 2010 gab es 11.574 Mennoniten in Belize.
Der Rest der Bevölkerung sind eingewanderte Araber, meist Libanesen, aber auch Palästinenser und Syrer, die alle ganz überwiegend Christen sind, sowie Chinesen und Inder. Daneben gibt es Weiße, die meist aus englischsprachigen Ländern eingewandert sind.
Das Land zählt zu den zentralamerikanischen Staaten mit der geringsten Bevölkerungsdichte, weist aber ein überdurchschnittliches Bevölkerungswachstum auf.
Die Bevölkerungsgruppen waren 2010 wie folgt verteilt: Mestizen 52,9 %, so genannte Kreolen (überwiegend afrikanischer Herkunft) 25,9 % Maya, 11,3 %, Garifuna 6,1 %, deutschstämmige Mennoniten 3,6 %, Inder 3,9 %, andere 3,7 %.
2017 waren 16 % der Bevölkerung Migranten. Die häufigsten Herkunftsländer waren Guatemala, El Salvador und Honduras.
Anders als in vielen anderen postkolonialen Staaten spielt die ethnische Zugehörigkeit in Belize kaum eine Rolle für die Zugehörigkeit zu politischen Parteien oder Bewegungen. Ethnische Konflikte verstärkten sich aber im Verlauf der starken Zuwanderung aus anderen Staaten der Region in den letzten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Erst in dieser Phase oder kurz danach stieg der Anteil von Mestizen an der Bevölkerung auf mehr als 50 % an. Im beginnenden 21. Jahrhundert lässt sich aber eine schnelle Integration dieser jungen Zuwanderergruppe in Kultur und Gesellschaft des Landes feststellen.
Religion
2000 waren die Religionszugehörigkeiten wie folgt verteilt: Katholiken sind etwa 50 % der Bevölkerung, Pfingstler 7,4 %, Anglikaner 5,3 %, Siebenten-Tags-Adventisten 5,2 %, Mennoniten 4,1 %, Methodisten 3,5 % und Zeugen Jehovas 1,5 %. Etwa 1,0 % der Bevölkerung (rund 2800 Menschen) sind muslimisch, andere Religionsgemeinschaften (inklusive der traditionellen mesoamerikanischen Religionen) machen 13 % aus, ohne Religionszugehörigkeit sind 9,4 %.
Sprachen
Die Sprachen in Belize sind Englisch (Amtssprache), Englisch-Kreolisch (Patois), Spanisch, Garifuna, Maya-Sprachen und Plautdietsch. Insbesondere bei den niederdeutschsprachigen Mennoniten ist zudem Standarddeutsch als Gottesdienst- und religiöse Unterweisungssprache in Gebrauch. Daneben wird in manchen (mennonitischen) Kolonien auch das Pennsylvania-Deutsch verwendet.
Viele Einwohner können mehrere Sprachen sprechen. Laut Volkszählung von 2010 verteilen sich die Sprachkenntnisse wie folgt (es konnten mehrere Sprachen pro Sprecher angegeben werden):
Bildung
Das der regionalen University of the West Indies angeschlossene Kolleg wurde 2000 zur University of Belize erweitert. Sie verfügt über eine humanwissenschaftliche und eine naturwissenschaftliche Abteilung. Ihre Abschlüsse werden im Ausland (d. h. USA) jedoch nur zum Teil anerkannt. Als einzige Pflichtfremdsprache wird Spanisch unterrichtet. Die Alphabetisierungsrate betrug 2015 82,7 % der erwachsenen Bevölkerung.
Gesundheit
Die Gesundheitsausgaben des Landes betrugen im Jahr 2019 6,0 % des Bruttoinlandsprodukts. Im Jahr 2017 praktizierten in Belize 11,2 Ärztinnen und Ärzte je 10.000 Einwohner. Die Sterblichkeit bei unter 5-jährigen betrug 2021 11,2 pro 1000 Lebendgeburten.
Landesname
Der Name des Staates leitet sich vom Belize River ab. Dessen erste überlieferte Erwähnung stammt aus dem Jahr 1677: Der Dominikanerpriester Fray José Delgado hielt den Fluss, den er auf seiner Reise entlang der Küste querte, in seinen Aufzeichnungen als „Río Balís“ fest. Diese Bezeichnung wurde ihm von seinem Übersetzer genannt und leitet sich vermutlich vom Maya-Wort belix ab, das „schlammig“ oder „trübes Wasser“ bedeutet.
Geschichte
Vor den Europäern
Bereits etwa 2000 v. Chr. war die Region des heutigen Belize von den Maya besiedelt. Die heute in Belize lebenden Maya sind jedoch nur zum kleineren Teil Nachfahren der alten Maya-Bevölkerung von Belize; die Mehrheit ist erst in der Kolonialzeit aus umliegenden Regionen eingewandert. Bedeutende archäologische Funde aus jener Periode wurden in Cuello (Orange Walk District) entdeckt. Während der „klassischen Zeit“ der Maya-Zivilisation (etwa 250–900) entstanden kulturelle Zentren in Altun Ha, Xunantunich, Cahal Pech, Lamanai, Lubaantun, El Pilar und Caracol. Um das Jahr 900 kam die Blütezeit der Maya zu einem Ende und es erfolgte ein Bevölkerungszusammenbruch in den südlichen Tiefländern, zu denen auch Belize gehört. Diese Tiefländer waren danach entweder bevölkerungsleer oder nur sehr dünn besiedelt.
Kolonialzeit
Über die folgenden Jahrhunderte ist wenig bekannt. Gesichert ist, dass Nachkommen der Maya weiterhin das Land bewohnten und auch noch dort lebten, als im 16. Jahrhundert die spanischen Eroberer in die Region kamen. Das Gebiet wurde 1617 Bestandteil des Generalkapitanats Yucatán im Vizekönigreich Neuspanien, das von einem Gouverneur geleitet wurde. Die Rechtsprechung und Verwaltungsaufsicht unterlag der Real Audiencia von Mexico.
Viele Ureinwohner flohen ins Landesinnere. Es kam wiederholt zu Kämpfen mit den europäischen (spanischen und später britischen) Kolonisatoren. Für die Europäer war das Land vor allem wegen seiner tropischen Hölzer von Interesse. Aufgrund des anhaltenden Widerstandes der Bewohner und des unwegsamen Geländes konzentrierten sie ihre Aktivitäten jedoch auf die Gebiete der späteren Länder Mexiko und Honduras, wo auch Gold und Silber zu finden waren.
Die Küsten Belizes boten allerdings ein ideales Rückzugsgebiet für britische Piraten, die von dort aus ihre Raubzüge gegen die spanischen Flotten unternahmen. Erst 1670 kam diese Piraterie zum Erliegen, als Großbritannien und Spanien in Madrid einen Vertrag unterzeichneten, um diese Praxis zu beenden. Die Baymen, wie die Piraten oder Freibeuter genannt wurden, weil sie sich vornehmlich im Golf (Bay) von Honduras aufhielten, suchten nun gezwungenermaßen andere Einnahmequellen und fanden sie im Handel mit Tropenhölzern. 1763 erhielten sie mit dem Vertrag von Paris von Spanien die Erlaubnis, in einem bestimmten Teil Belizes Holz zu gewinnen. Für rund 100 Jahre blieb das die wichtigste Einnahmequelle der britischen Siedler in der Region. Mit der Waldarbeit einher ging bald auch Sklaverei. Die Arbeit war anstrengend und ab dem 18. Jahrhundert begannen die europäischen Siedler damit, afrikanische Sklaven dafür einzusetzen. Bis 1790 betrug der Anteil von Sklavenarbeitern an der registrierten Gesamtbevölkerung, also ohne die nicht gezählten Maya, rund 75 %. Erst 1834 wurde die Sklaverei im britischen Empire in der Folge der industriellen Revolution, die neue Produktionsverhältnisse schuf, abgeschafft. Während Sklavenhalter für den Verlust ihres „Eigentums“, der befreiten Sklaven also, entschädigt wurden, erhielten diese weder eine Entschädigung, noch durften sie Land erwerben.
Britische Kolonialherrschaft
Mittelamerika war zu jener Zeit immer noch im Einflussbereich der Spanier, allerdings gestanden sie den britischen Siedlern nach und nach immer mehr Kontrolle zu. Am 10. September 1798 kam es in der Schlacht von St. George’s Caye schließlich zur entscheidenden militärischen Niederlage der Spanier und das Land stand nun de facto unter britischer Herrschaft. 1862 wurde es zur britischen Kronkolonie British Honduras. Die Siedler, die Baymen, führten allerdings bereits unter spanischer Herrschaft ein weitgehend unabhängiges und selbstbestimmtes Leben und behielten das auch unter britischer Herrschaft bei. Als gesetzliche Grundlage, eine Art Grundgesetz oder Verfassung, diente ab 1765 „Burnaby’s Code“.
1847–1901 kam es auf der Halbinsel Yucatán (Mexiko) zum so genannten Kastenkrieg zwischen den ursprünglichen Bewohnern, den Maya, und der spanischstämmigen Oberschicht. Die britischen Einwohner von Britisch Honduras belieferten die aufständischen Maya mit Waffen und Munition – was ihnen eine willkommene Einnahmequelle eröffnete. Das Land wurde im Verlauf des Krieges zum Ziel von Flüchtlingen: zuerst von Mitgliedern der mexikanischen Oberschicht, die vor den Aufständischen flohen, und später, als sie wieder die Kontrolle erlangte, von Maya. Letztere nahmen als Bauern mit ihrem landwirtschaftlichen Können in der Folge großen Einfluss auf die Entwicklung der nördlichen Provinzen des Landes.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wuchs der Widerstand der vor allem nicht-europäischen Bevölkerung (Maya, Nachkommen von Sklaven) gegen die britischen Kolonialherren. Soldaten, die während des Ersten Weltkrieges in der britischen Armee dienten, wurden dort wegen ihrer Hautfarbe bloß in Arbeitslagern eingesetzt, was die Unzufriedenheit weiter verstärkte. Die Zwischenkriegszeit und der Zweite Weltkrieg trugen dazu bei, dass die wirtschaftliche Situation noch schlechter und das Streben nach Unabhängigkeit stärker wurde. Auch die Unabhängigkeit Indiens 1947 verstärkte diese Bestrebungen. Bis 1962 waren politische Parteien entstanden und die Verwaltung des Landes bereits weitgehend selbstständig. 1973 wurde der Name von „British Honduras“ in „Belize“ geändert.
Unabhängigkeit
Am 21. September 1981 erfolgte die Unabhängigkeit von Großbritannien. Problematisch blieb das Verhältnis zum Nachbarland Guatemala, das weiterhin Gebietsansprüche stellte und nur durch den auch von der UNO unterstützten Verbleib britischer Truppen in Belize von einem militärischen Vorgehen abgehalten werden konnte. 1992 unterzeichnete die guatemaltekische Regierung einen Vertrag, der zwar Belizes Unabhängigkeit anerkannte, aber nicht die Ansprüche auf Gebiete im Westen des Landes klärte. Im Jahr 2000 begannen Verhandlungen zwischen den beiden Ländern.
In den ersten Parlamentswahlen nach der Unabhängigkeit 1984 siegte die United Democratic Party (UDP) überlegen; Premierminister wurde Manuel Esquivel. Fünf Jahre später übernahm erneut George Cadle Price, zuvor erster Minister bzw. Premierminister noch vor der Unabhängigkeit, für die People’s United Party (PUP) das Amt des Regierungschefs, 1993 musste er es wiederum Esquivel und der UDP überlassen. Entlassungen im öffentlichen Dienst und Preissteigerungen führten 1998 zu einem überwältigenden Wahlsieg der PUP. Neuer Premier wurde Said W. Musa. Seine Wiederwahl 2003 verdankte er vor allem umfangreichen Infrastrukturmaßnahmen sowie der Schaffung von Wohnraum und Arbeitsplätzen. Dies trieb jedoch die Staatsverschuldung in die Höhe, sodass sich die Regierung 2004 gezwungen sah, ein Sparprogramm aufzulegen.
Belize blieb von Kriegen und Bürgerkriegen, wie sie andere mittel- und südamerikanische Länder durchlebten, weitgehend verschont. Doch kam es Anfang 2005 aufgrund der Situation des Staatshaushalts und wegen geplanter Steuererhöhungen zu Unruhen in Belize.
Im Februar 2008 wurde die PUP durch einen Erdrutschsieg der UDP abgelöst. Regierender Premierminister ist Johnny Briceño.
Politik
Verfassung
Nach der am 21. September 1981 in Kraft getretenen Verfassung ist Belize eine parlamentarische Monarchie im Commonwealth. Staatsoberhaupt ist der britische König, der durch einen Generalgouverneur vertreten wird. Die Regierung wird vom Premierminister geführt. Abgeordnetenhaus und Senat bilden die Legislative. Die Abgeordneten werden alle fünf Jahre direkt gewählt, die Senatoren auf Vorschlag der Regierung, der Opposition sowie eines Beirats aus Unternehmern, Gewerkschaften und Klerus ernannt.
Staatsoberhaupt
Staatsoberhaupt ist Charles III., König von Belize und damit derzeitiger Inhaber des belizischen Throns. Sein offizieller Titel lautet Charles The Third, by the Grace of God, King of Belize and of His Other Realms and Territories, Head of the Commonwealth. Sein Vertreter im Land ist seit dem 27. Mai 2021 Generalgouverneurin Froyla Tzalam.
Regierung
Die Exekutive besteht aus einem Kabinett von derzeit 14 Mitgliedern, nebst vier Staatsministern. Verwaltungsmäßig gliedert sich Belize in die sechs Distrikte Belize, Cayo, Corozal, Orange Walk, Stann Creek und Toledo. In den Distrikthauptorten bestehen gewählte Selbstverwaltungskörperschaften (Town Boards). Im Zuge der Stärkung der lokalen Selbstverwaltung wurden im März 2001 auch Dorfräte gewählt. Regierungschef war seit 2008 Dean Barrow (UDP), der zugleich Premierminister, Minister für Finanzen, für Verteidigung und für den Öffentlichen Dienst war. Seit November 2020 ist Johnny Briceño neuer Premierminister.
Parlament
Die Gesetzgebung obliegt der aus zwei Kammern bestehenden Nationalversammlung mit einer Legislaturperiode von höchstens fünf Jahren. Das Abgeordnetenhaus besteht aus 31 nach Mehrheitswahlrecht direkt gewählten Abgeordneten. Von den dreizehn Senatoren werden sechs bzw. einschließlich des Senatspräsidenten sieben auf Vorschlag der Regierung, drei auf Vorschlag der Opposition, drei auf Vorschlag eines Beirats aus Unternehmern, Gewerkschaften und Kirchen vom Generalgouverneur ernannt.
Die derzeitige, eher wirtschaftsliberal eingestellte Regierungspartei UDP errang bei den Wahlen am 7. März 2012 17 der 31 Sitze im Abgeordnetenhaus, die Opposition, die eher populistisch-partizipatorisch agierende PUP, 14 Sitze. Bei den folgenden Wahlen am 4. November 2015 baute die UDP ihre Mehrheit auf 19 Sitze aus, der PUP blieben 12 Sitze. Die letzten Parlamentswahlen fanden am 11. November 2020 statt. Sie wurden mit 58,83 % der Stimmen von der PUP gewonnen, auf die UDP entfielen 38,34 %. Aufgrund des Mehrheitswahlrechts dominiert die PUP mit 26 Abgeordneten das Parlament, die UDP ist nur noch mit 5 Abgeordneten vertreten.
Justiz
Die Unabhängigkeit der Gerichte wird in Belize von der Verfassung geschützt. In der Praxis bestehen allerdings Einflussmöglichkeiten der Exekutive, weil einerseits Richter und Generalstaatsanwalt ihre Beschäftigungsverträge mit der Regierung abschließen bzw. verlängern müssen, zum anderen weil prominente Regierungsvertreter auch während der Dauer ihres öffentlichen Amtes häufig ihre anwaltliche Berufstätigkeit fortsetzen.
Oberstes Kassationsgericht für Belize ist heute der „Caribbean Court of Justice“ (CCJ). Belize hat im Frühjahr 2001 mit der Mehrheit seiner CARICOM-Partner die Gründungsakte für den „Caribbean Court of Justice“ (CCJ) als künftige oberste straf- und zivilrechtliche Instanz der Region anstelle des britischen Privy Council unterzeichnet. Die Regierung hat im September 2004 dem Parlament auch ein Gesetz über die Beteiligung am Trust Fund zur Finanzierung des CCJ vorgelegt.
Innerhalb von Belize sind die Magistrates’ Court für kleinere Straftaten oder zivilrechtliche Angelegenheiten zuständig. Der Supreme Court ist die nächsthöhere Instanz beziehungsweise für Kapitalverbrechen zuständig. Die dritte Instanz stellt schließlich der Court of Appeal dar.
Das Oberste Gericht von Belize hat die Verfassungsmäßigkeit der Todesstrafe im April 1998 bestätigt. Die letzte Hinrichtung in Belize fand 1985 statt. Vor seiner Ersetzung durch den CCJ hatte der Privy Council in London als letztinstanzliches Gericht jeweils Vollstreckungsaufschub gewährt bzw. auf Strafumwandlung entschieden. Vor dem Hintergrund steigender Gewaltkriminalität z. T. mit Drogentransit als Hintergrund fordert die Öffentlichkeit eine Wiederaufnahme der Vollstreckung. Diese Wünsche haben sowohl Regierung wie Opposition aufgenommen und die Regierung hat im September 2002 im Parlament (Repräsentantenhaus) Vorschläge für entsprechende Verfassungsänderungen vorgelegt, im Juni 2003 jedoch wieder zurückgezogen. Damit verbindet sich die Erwartung auf Unterstützung vor allem durch die EU bei der Verbesserung von Polizei, Justiz und Strafvollzug.
Männliche Homosexualität war in Belize noch bis zum 10. August 2016 strafbar, womit es das letzte Land Mittelamerikas mit einem solchen Verbot gewesen war. Das Verbot wurde höchstrichterlich als verfassungswidrig aufgehoben.
Politische Indizes
Parteien
Seit 1961 besitzt Belize ein Zweiparteiensystem, das allerdings verfassungsmäßig nicht festgeschrieben ist. Jeder erwachsene Belizer kann in einem der 31 Wahlkreise als Kandidat antreten.
People’s United Party (Vereinigte Volkspartei) – PUP
United Democratic Party (Vereinigte Demokratische Partei) – UDP
National Alliance for Belizean Rights (Nationale Allianz für Belizische Rechte) – NABR
People’s National Party (Nationale Volkspartei) – PNP
Vision Inspired by the People – VIP (seit 2004)
National Reform Party (Nationale Reformpartei) – NRP (seit 2007)
Gewerkschaften
Die National Trade Union Congress of Belize ist die Dachorganisation sektoraler Einzelgewerkschaften; weniger bedeutend sind die Christian Workers’ Union und die Democratic Independent Union.
Militär
Die „Belize Defence Force“ (BDF) besteht aus Berufssoldaten und Freiwilligen mit einer Stärke von ca. 1500 Mann (andere Quellen: 1050 Mann), davon rund 700 Reservisten und zwei Züge (Platoons) mit Soldatinnen. Die BDF wird geführt von einem Brigadegeneral, einem Oberst und sieben Oberstleutnanten. Traditionell kooperiert die BDF vor allem mit der britischen Armee (British Army Training Support Unit Belize – BATSUB) und der US-Armee (Ausrüstungs- und Ausbildungshilfe). 2007 nahm erstmals ein Stabsoffizier der BDF an einem Generalstabslehrgang der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg teil.
Küstenwache
Der Belizean Coast Guard Service (BCGS) wurde im November 2005 unter Zusammenfassung von Ressourcen aus dem Marine-Anteil der Belize Defence Force, der Polizei, dem Zoll, der Einwanderungsbehörde und den Hafenbehörden aufgestellt. Hauptaufgabe ist die Bekämpfung des (Drogen-)Schmuggels. Eine wesentliche Finanzierung und Unterstützung erfährt die Küstenwache im Rahmen eines Anti-Drogenprogramms durch das US-Außenministerium (Counternarcotics and Law Enforcement Country Program: Belize). Da die Küstenwache nicht über Radar verfügt, ist sie nur bei Tageslicht im Einsatz.
Ausrüstung
acht Schnellboote (ehemalige kolumbianische Drogenboote mit starken Außenbordmotoren, die konfisziert wurden, ohne Radar und GPS)
Ein Flugzeug stellt bei Bedarf die Belize Defence Force.
Außenpolitik
Belize befindet sich in einem Grenzstreit mit Guatemala. Guatemala schlug vor, den Streit dem Internationalen Gerichtshof (IGH) zu überlassen, was die belizische Regierung ablehnt. Am 6. Oktober 2013 sollte ein gleichzeitiges Referendum in beiden Ländern klären, ob der IGH mit dem Fall befasst werden soll. Diesen Termin ließ Guatemala verstreichen. Im Frühjahr 2014 wurde unter Führung der OAS in einem Abkommen ein Anlauf zu einem weiteren Referendum genommen. Ein ursprünglich für September 2015 geplanter gemeinsamer Termin wurde durch ein im Mai 2015 von beiden Seiten unterzeichnetes Änderungsabkommen, das die Volksbefragungen zu unterschiedlichen Zeiten ermöglicht, verschoben. 2018 stimmten 96 % der Guatemalteken mehrheitlich für die vorgeschlagene Art der Konfliktlösung. Am 8. Mai 2019 fand das Referendum in Belize statt, bei dem ebenfalls 55 % der Wähler für die Beauftragung des Internationalen Gerichtshofs stimmten.
Belize ist Mitglied in folgenden Organisationen: Vereinte Nationen, Commonwealth, CARICOM, Bewegung der blockfreien Staaten, AKP, OAS, CELAC, ACS; IWF, Karibische Entwicklungsbank (CDB), SICA, AOSIS.
Wirtschaft
Zwar ist die Wirtschaft in den letzten Jahren stark gewachsen, die hohe Staatsverschuldung von 85 % des Bruttoinlandsprodukts schränkt die wirtschaftspolitische Handlungsfähigkeit jedoch stark ein. Noch immer lebt rund ein Drittel der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land 2019 Platz 123 von 180 Ländern.
Hauptwirtschaftszweig ist die Gewinnung von Edelhölzern, insbesondere Mahagoni. Neben dem Einsatz moderner Sägewerke forstet man auch planmäßig den Bestand an Nutzholz auf. Die Baumstämme werden nach wie vor im Hochwasser der Flüsse transportiert.
Im Juni 2000 wurde Belize von der OECD als ein Land aufgelistet, in dem Steuerflucht und Geldwäsche möglich sind. Es hatte bis 2005 Zeit, diese Zustände zu beseitigen und damit Sanktionen zu vermeiden. Die lockeren Gesetze wurden seither gestrafft. Dennoch ist Belize ein Steuerparadies. Da das Land einen „begünstigten“, d. h. unbeschränkten Zugang zum britischen Commonwealth, zur Europäischen Freihandelszone (EFTA) und zur EU besitzt, kann man, wenn man die Staatsbürgerschaft von Belize erwirbt, auch ohne Visum sämtliche europäischen Länder sowie Australien, Kanada, Hong Kong und Singapur bereisen. In Russland kann diese Staatsbürgerschaft käuflich erworben werden.
Im August 2012 gab die belizische Regierung bekannt, dass sie die fällige Zinsrate für eine Staatsanleihe über 500 Millionen US-Dollar nicht bedienen könne, und trat mit den Gläubigern in Umschuldungsverhandlungen ein. Die führenden Ratingagenturen stuften daraufhin die Bonität von Belize auf Zahlungsausfall herab.
Am 28. Januar 2016 legte die EU-Kommission ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuerflucht vor, bei dem unter anderem Belize auf der schwarzen Liste der Steueroasen auftaucht.
Kennzahlen
Alle BIP-Werte sind in US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben.
Landwirtschaft
Die für die landwirtschaftliche Nutzung geeigneten Böden werden nur wenig genutzt: Die Menschen bauen auf kleinen Flächen Mais, Bohnen, Reis, Maniok, Kochbanane und Gemüse für den eigenen Bedarf an. Die größten und modernsten Farmen sowie die Milchwirtschaft vor allem im Tal des Belize River und im Orange-Walk-Distrikt werden maßgeblich von der Volksgruppe der Mennoniten betrieben. Auf den meist in ausländischem Besitz befindlichen größeren Plantagen werden Zuckerrohr, Zitrusfrüchte, Bananen, Kakao und Kokosnüsse angebaut.
Im tropischen Regenwald werden Edelhölzer geschlagen, insbesondere Mahagoni. Reichhaltige Fischbestände bilden die Grundlage für eine gut entwickelte Küstenfischerei. Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft liefern über die Hälfte der Exporterlöse.
Die Landwirtschaft erwirtschaftet ca. 20 % des Bruttoinlandsprodukts und über 60 % der Exporterlöse; sie beschäftigt knapp ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung.
Industrie
Die schwach entwickelte Industrie beschränkt sich auf die Herstellung von Textilien und die Holz- und Nahrungsmittelverarbeitung.
Der Anteil des verarbeitenden Gewerbes einschließlich Energiesektor am BIP beträgt ca. 26 % (18 % der Arbeitsplätze).
Tourismus
Seit den 1990er Jahren spielt der Tourismus eine wachsende Rolle für die Volkswirtschaft. Im Jahr 2017 wurden 1,3 Millionen Gäste registriert. Dabei machen US-amerikanische Kreuzfahrttouristen die größte Gruppe aus. Der Anteil des Tourismussektors am Bruttoinlandsprodukt wurde für das Jahr 2017 mit gut 38 Prozent angegeben.
Bei Tauchern und Surfern ist die Riffküste beliebt. Weitere Anziehungspunkte sind die Maya-Ruinen bei Orange Walk und der Belize Zoo. In jüngster Vergangenheit versucht Belize, sich vor allem als Destination für Öko- und Kulturtourismus zu etablieren. Der weitere Ausbau des Tourismussektors wird durch das Fehlen großer Hotelkomplexe und eine einfache Infrastruktur aufgehalten.
Dienstleistungen
Dienstleistungen erwirtschaften insgesamt 56,5 % des Sozialprodukts.
Außenhandel
Nach Regierungsangaben weitete sich das Handelsdefizit 2001/02 u. a. wegen der Beseitigung der Hurrikan-Schäden (2000: Hurrikan „Keith“, 2001: „Iris“) von 170,1 Mio. US-Dollar (2000) auf 186,7 Mio. US-Dollar (2001) und 196,6 (2003) aus. Insgesamt standen 2003 Importen im Wert von 541 Mio. US-Dollar Exporte in Höhe von 344,4 Mio. US-Dollar gegenüber.
Mit einem Anteil von fast 50 % am gesamten belizischen Handelsvolumen (2001: 47,2 % aller Importe, 50,5 % aller Exporte) haben die USA eine dominierende Position; ihnen folgen Großbritannien (belizische Ausfuhren: 23 %, Einfuhren 2,7 %), Mexiko (Ausfuhren: 1 %, Einfuhren: 11,2 %) und die EU (ohne GB: Ausfuhren 6,7 %, Einfuhren 3,8 %). Dabei wird jedoch der umfangreiche „kleine Grenzhandel“ mit Mexiko (d. h. vor allem mexikanische Importe) kaum erfasst. Bei den Exporten spielt neben Agrar- und Fischereiprodukten in verschiedenen Verarbeitungsstufen der Textilsektor (Lohnveredelung für USA unter den im Mai 2000 vom Kongress erweiterten Präferenzbedingungen der „Caribbean Basin Initiative“) eine Rolle.
Der Handel mit Deutschland ist 2003 mit deutschen Ausfuhren von 4,762 Mio. EUR (2002: 7,34 Mio. EUR) und Einfuhren von 1,69 Mio. EUR (2002: 2,17 Mio. EUR) quantitativ wenig bedeutend, im 1. Halbjahr 2004 war die Tendenz weiter fallend.
Import
Die Hauptimportgüter Belizes sind Maschinen, Brennstoffe, Nahrungsmittel und Konsumgüter aller Art.
Export
Die Hauptexportgüter Belizes sind Zucker, Zitrusfrüchte, Bananen, Kakao, Kokosnüsse, Rindfleisch, Fische, Krebse, Edelhölzer und Bekleidung.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 650 Mio. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 500 Mio. US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 8,5 % des BIP.
Die Staatsverschuldung lag Anfang 2019 bei 94 % des BIP.
Von den Staatsausgaben entfielen (in % des BIP):
auf das Gesundheitswesen: 4,7 % (2006)
auf das Bildungswesen: 5,3 % (2004)
auf das Militär: 1,0 % (2012)
Verkehr
Straße Belize hat 2872 km Straße, von denen 488 km befestigt bzw. asphaltiert sind. Hauptstraßen verbinden die acht Städte des Landes. In der Regenzeit wird der Verkehr oft durch heftige Wolkenbrüche teilweise unterbrochen, besonders in der Nähe der Fährhäfen. Das Straßennetz ist nicht so gut wie das anderer mittelamerikanischer Länder, wird aber besonders im Norden ständig ausgebaut. Das Fahren über Land nach Einbruch der Dunkelheit sollte vermieden werden. An den Hauptstraßen, die Belize City mit Mexiko bzw. Guatemala verbinden, und in größeren Städten befinden sich Tankstellen. Eine Pannenhilfe gibt es nicht. Es herrscht Rechtsverkehr.
Luft Im Land gibt es 43 Flugplätze, von denen 5 eine befestigte Landebahn besitzen. Linienflüge verbinden täglich die größeren Städte. Maya Island Air und Tropic Air fliegen täglich von Belize City nach San Pedro (Ambergris Caye) sowie zusätzlich Caribee Air Service und Javier’s Flying Service und zu allen größeren Orten. Kleinflugzeuge können gemietet werden. Verschiedene Charterdienste fliegen von Belize City in die abgelegeneren Regionen. Der wichtigste internationale Flughafen ist der Philip S. W. Goldson International Airport in Ladyville außerhalb von Belize City.
Wasserwege Es gibt 825 km befahrbare Wasserwege, die allerdings nur von kleinen Schiffen befahren werden können. Die Zuckerfabriken betreiben einen Motorbootservice an der Küste, Fahrpläne gibt es nicht. Kleinere Motorboote verbinden die Cayes an der Küste mit Belize City. Auf den Flüssen Belize, Hondo und New River waren Boote einst das einzige Verkehrsmittel ins Landesinnere. Seit dem Bau der befestigten Straßen sind sie jedoch fast verschwunden.
Die kostengünstigste Art, in Belize zu reisen, ist Busfahren. Busse verkehren im Linienverkehr und sind im Vergleich zu anderen mittelamerikanischen Standards sauber, geräumig und effizient.
Medien
Hinsichtlich der Freiheit der Berichterstattung sind die Medien in Belize erkennbaren Problemen ausgesetzt.
Telekommunikation und Internet
In Belize werden etwa 41.000 Festnetz-Telefonanschlüsse von der nationalen Telefongesellschaft Belize Telemedia Ltd. betrieben. Daneben gibt es seit 2005 unter der Marke SMART den privaten Anbieter Speednet Communications Ltd., der häufig von der lokalen Bevölkerung genutzt wird. Beide Anbieter sind flächendeckend verfügbar.
In Belize gibt es etwa 350.000 Mobiltelefonanschlüsse; allein BTL weist unter der Marke DigiCell 270.000 Anschlüsse aus. Daneben werden Mobilservies auch unter der Marke SMART angeboten. In allen sechs Bezirken von Belize bestehen Empfangs-/Sendemöglichkeiten für beide Mobilfunkanbieter. Um in Belize mit dem eigenen Telefon mobil telefonieren zu können, ist ein Mobiltelefon notwendig, das im GSM-Dual-Band-Netz mit 850/1900 MHz arbeitet. Dies ist in der Regel mit den internationalen Versionen aktueller Smartphones möglich. Prepaid-Karten sind an zahlreichen Orten im ganzen Land erhältlich. Aufgeladen werden Prepaid-Karten an sogenannten „TOP-UP“-Stationen, zu denen meist schon jeder Supermarkt zählt. Für die Nutzung von lokalen SIM-Karten im eigenen Endgerät ist ein Telefon ohne SIM-Lock notwendig.
Seit 2016 baut BTL den 4G-Support (LTE) weiter aus. Auch können Mobiltelefone bei BTL u. a. am Phillip Goldson International Airport (PGIA) gemietet werden. Seit 2018 ist DigiCell die Marke, unter der BTL auftritt.
2017 nutzten 47 Prozent der Einwohner von Belize das Internet. Internetanbieter umfassen BTL und „Belize Web“, SMART und viele regionale Kabelgesellschaften und Wireless-Provider. Es gibt ein „E-Mail Service Centre“ im Büro von BTL in Belize City und Internetcafés in Stadtzentren und Touristenregionen. In den meisten Cafés und Lokalen kann der Gast kostenloses WLAN nutzen.
Die Nutzung von Internet-Telefonie mittels Skype, WhatsApp, Facetime ist inzwischen mit allen lokalen Anbietern möglich.
Seit 2018 investiert Belize in ein Glasfasernetz, um FTTH-Services anzubieten. In den Regionen San Pedro Ambergris Caye, Belize City, the City of Belmopan and Orange Walk ist der Service seit 2018 mit bis zu 130 Mbps verfügbar.
Rundfunk
Nach Auflösung der staatlichen Broadcasting Corporation of Belize (1998) existieren mehrere Radiostationen sowie zwei Fernsehsender, Channel 5 und Channel 7. Auf den Internetseiten können täglich die Nachrichten per Videostream abgerufen werden.
Zeitungen
In Belize existieren keine Tageszeitungen, sondern nur vier Wochenblätter mit kleiner Auflage: Belize Times (PUP-Blatt), Reporter (unabhängig), Guardian (zuvor „People’s Pulse“, UDP-Blatt), Amandala (unabhängig, aber pro PUP). Die San Pedro Sun wird in San Pedro auf Ambergris Caye herausgegeben, ist aber im ganzen Land erhältlich.
Kultur
Geprägt durch das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien oder ethnisch-religiöser Gruppen (Mestizen, Kreolen, Indigene, Garifunas, Mennoniten u. a.) ist eine entsprechende kulturelle Vielfalt anzutreffen. Großen Anteil haben erwartungsgemäß afrikanische und lateinamerikanische Einflüsse, insbesondere im Volksglauben, in der landestypischen Küche und der Musik; aber auch beim Sport oder sozialen Miteinander sind Besonderheiten zu finden.
Volksglauben
Belize ist reich an Mythen und Legenden, in denen Geister und Naturwesen zu finden sind, die sich den Menschen gegenüber teils wohlwollend, aber auch böse und/oder gefährlich verhalten. Populäre Figuren sind Anansi, Tata Duende, Cadejo, X’tabai oder die nicht nur in Belize bekannte La Llorona. Daneben sind der Glaube an Geistheilung und ethnische Religionen (vor allem Obeah) verbreitet.
Küche
Typische Frühstücksgerichte sind Fry Jacks (frittierte Teigfladen), Johnny Cakes (Fladenbrote aus Maismehl) oder Tortillas. Dazu wird Käse, frijoles refritos (Bohnenbrei) oder unterschiedlich zubereitetes Ei gegessen. Insgesamt spielt die lateinamerikanische Küche eine große Rolle (z. B. Tortillas, Reis, Bohnen), mit quantitativen Variationen der einzelnen Ethnien (Fisch und andere Meeresfrüchte, Huhn, Maniok, Krautsalat). Landestypisches Obst und Gemüse ist ebenfalls üblich.
Musik
Außer den Musik-Exporten aus Jamaika, der Karibik und den USA ist vor allem die Musik dreier Bevölkerungsgruppen von Bedeutung. Während die Mestizen mit dem Cumbia einen Salsa- und Merengue-ähnlichen Musikstil bevorzugen, entwickelten die Kreolen aus Anleihen des Soca/Calypso und dem Buru, der Musik der Holzfäller, den Brukdown. Ein weiterer Musikstil ist Mento, vermehrt beeinflusst durch Jamaikaner. Sowohl Brukdown wie Mento sind eher Ausdrucksformen der einfachen, ländlichen Bevölkerung, wenngleich mit Wilfred Peters (1939–2010) and his Boom & Chimes Band der Hauptvertreter des Brukdown in ganz Belize enorme Popularität genoss.
Den wohl stärksten Eindruck hinterließen die Nachfahren afrikanischer Sklaven, die Garifunas. Ihre durch Trommeln dominierten, mit A-cappella-Gesängen, Zirkeltänzen, Binär- oder Triolen-Rhythmus und Sisera, Handrasseln aus Kalebassen, versehenen traditionellen Stücke wurden über die Jahrhunderte bewahrt und stetig weiterentwickelt. Viele andere Strömungen entstanden darüber. Das bekannteste Beispiel ist der Puntarock, der sich, mit elektronischen Instrumenten bereichert, aus einem ursprünglichen Fruchtbarkeitstanz entwickelte. Berühmte Vertreter dieser Spielart sind u. a. Andy Palacio (1960–2008) und Pen Cayetano.
Literatur
Bisher wurde erst ein Roman aus Belize ins Deutsche übertragen – „Beka“ (Beka Lamb, 1982) von Zee Edgell (1940–2020), die die Geschichte eines kreolischen Mädchens zwischen Matriarchat und erwachender nationaler Bewegung während der 1950er Jahre erzählt, als das Land noch britische Kolonie war. Ihr Roman Time and the River (2007) behandelt das Thema der Sklaverei des frühen 19. Jahrhunderts.
Sport und Freizeit
Neben den bekannteren und beliebten Sportarten wie Fußball, Basketball, Volleyball, Softball, Cricket, Boxen, Leichtathletik und Radsport finden sich auch Raritäten wie Jai Alai oder Unerwartetes wie Eishockey. Von mittlerweile internationaler Beachtung ist das Cross Country Cycling Classic, ein seit 1928 jährlich am Osterwochenende ausgetragenes Radrennen. Belize nimmt seit 1968 regelmäßig an den Olympischen Sommerspielen teil, bislang jedoch ohne Medaillenerfolg.
Special Olympics Belize wurde 1991 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Rottenburg am Neckar betreut.
Sowohl touristische als auch sportliche Bedeutung hat das vor der Küste liegende Barrier Reef, zweitgrößtes dieser Art weltweit nach dem australischen Great Barrier Reef, das von den Ortsansässigen als beliebtes Erholungsgebiet für alle Arten des Wassersports vorwiegend in den Schulferien und über die Osterfeiertage genutzt wird.
Familie und Soziales
Höfliche Umgangsformen spielen bei den meisten Einwohnern Belizes eine große Rolle. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich Menschen grüßen, die sich nie zuvor gesehen haben, oder dass Bekannte derart im Gespräch vertieft sind, dass sie alles um sich herum vergessen.
Eine stetig wachsende Anzahl Familien wird von Alleinerziehenden geführt, vorwiegend von Frauen. Beeinflusst von dieser Entwicklung verzichten viele junge Menschen auf die offizielle Heirat und leben in einer eheähnlichen Gemeinschaft, der sogenannten Common-law marriage. Es ist unüblich, im Alter von über 20 Jahren noch im elterlichen Haushalt zu leben. Wenn auch die Entwicklung in Richtung eines einzelnen Familienoberhauptes geht, gibt es doch eine bedeutende Anzahl Großeltern, die ihre Enkel aufziehen, mit oder ohne Unterstützung eines Elternteils. 2009 hatte eine Frau im Durchschnitt 2,8 Kinder.
Feiertage
1. Januar: Neujahr
9. März: Baron-Bliss-Tag (National Heroes and Benefactors Day)
Karfreitag
Ostermontag
1. Mai: Tag der Arbeit
21. Mai: Commonwealth-Tag
10. September: St. George’s Caye-Tag
21. September: Nationalfeiertag (Unabhängigkeitstag)
um den 12. Oktober: Kolumbus-Tag, nicht zu verwechseln mit dem Pan American Day
19. November: Garifuna-Tag (Garifuna Settlement Day)
25./26. Dezember: Weihnachten (Christmas Day, Boxing Day)
Persönlichkeiten
George Cadle Price (1919–2011) – ehemaliger Premierminister
Sir Colville Young (* 1932) – Generalgouverneur
Zee Edgell (1940–2020) – Schriftstellerin
Manuel Esquivel (1940–2022) – Premierminister
Said Musa (* 1944) – ehemaliger Premierminister
Pen Cayetano (* 1954) – Künstler und Musiker
Andy Palacio (1960–2008) – Musiker
Chito Martinez (* 1965) – Baseballspieler
Marion Jones (* 1975) – Leichtathletin
Moses Michael „Shyne“ Leviy (* 1978) – Rapper
Arlen Escarpeta (* 1981) – Schauspieler
Simone Biles (* 1997) – Turnerin
Literatur
Saskia Thorbecke: Belize. In: Wolfgang Gieler, Markus Porsche-Ludwig (Hrsg.): Staatenlexikon Amerika: Geographie, Geschichte, Kultur, Politik und Wirtschaft. Peter Lang, Berlin 2018, ISBN 978-3-631-77017-7, S. 61–72.
Renate Johanna Mayr: Belize. Tracking the path of its history; from the heart of the Mayan empire to a retreat for buccaneers, a safe-haven for ex-pirates and pioneers, a crown colony and a modern nation. Lit, Wien 2014, ISBN 978-3-643-90481-2.
Weblinks
Website der Regierung von Belize (englisch)
Länderinformationen - Belize des deutschen Auswärtigen Amtes
Einzelnachweise
Staat in Mittelamerika
Commonwealth Realm
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Ehemaliges Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung
Gegründet 1981
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Q242
| 1,855.578663 |
42500
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https://de.wikipedia.org/wiki/Westafrika
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Westafrika
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Unter Westafrika versteht man im Allgemeinen den westlichen Teil des afrikanischen Kontinents, nordwärts bis etwa zur Zentralsahara, im Süden und Westen durch den Atlantischen Ozean begrenzt. Geographisch gesehen gehören zum Westteil Afrikas auch die nördlich der Sahara (und damit in Nordafrika) gelegenen Länder des Maghreb.
Definition
Geographie
Die Großregion erstreckt sich über einen Großteil des Afrikanischen Kontinents, der Teile der Sahara im Norden einbezieht und im Süden von den Küstenregionen des Atlantiks bis zu dem Hochland von Adamaua und dem Kamerunberg erstreckt. Allgemein umfasst Westafrika den westlichen Teil der Großlandschaften des Sahel und des Sudans sowie die tropischen Regenwälder der Oberguineaschwelle. Das Klima der Großregion ist aufgrund ihrer Ausdehnung höchst unterschiedlich, während der Norden der Region ganzjährig im Einflussgebiet des trockenen Passat-Windes liegt, auch Harmattan genannt, steht der Süden der Region unter Einfluss des Westafrikanischen Monsunsystems und wird als tropisch-wechselfeuchtes Klima bezeichnet, mit regional unterschiedlich ausgeprägten Trocken- und Regenzeiten.
Höchste Erhebung Westafrikas westlich von Kamerun ist der Pico de Fogo auf den Kapverdischen Inseln mit 2829 m.
Die Vegetationsformen sind ebenfalls unterschiedlich. Während im Norden die Vegetationsformen der Sahara vorherrschend sind, dehnen sich im Bereich des Sahel die Trockensavannen der Südsahara-Gras-und-Strauchsavanne und der Sahel-Akazien-Savanne aus. Im Sudan herrschen die Feuchtsavannen der Westlichen Sudan-Savanne vor, und auf der Luvseite der Oberguineaschwelle existiert ein ausgedehnter Regenwald.
Bevölkerung
Im Übergangsbereich zur Sahara und in Mauretanien leben hellhäutige Berber (Tuareg) und Araber, südlich davon vor allem schwarzafrikanische Völker. Viele Westafrikaner sind Anhänger indigener Religionen; der Islam hat im Mittelalter an Einfluss gewonnen. Minderheiten von Christen leben als Folge europäischer Missionierung vor allem an der südlichen Küste. Es besteht eine Diaspora von Libanesen und Syrern, vor allem in den großen Städten. Die Fellowship of Christian Councils and Churches in West Africa besteht seit 1994.
Geschichte
Vor der Ankunft der Europäer bestanden in Westafrika bedeutende Reiche wie Ghana, Mali und Songhai. Ab dem 15. Jahrhundert gründeten Briten, Brandenburger, Dänen, Franzosen, Niederländer, Portugiesen und Schweden Forts und Faktoreien entlang der Küste, vor allem um den lukrativen Sklavenhandel mit Nordamerika betreiben zu können.
Westafrika hatte lange Zeit den Ruf als „Grab des weißen Mannes“. Im 18. Jahrhundert starben 25 bis 75 % der neuankommenden Europäer innerhalb des ersten Jahres nach Ankunft an Tropenkrankheiten wie Malaria, Gelbfieber oder der Schlafkrankheit. Später waren es schätzungsweise immer noch gut 10 %. Die Ausbreitung dieser Krankheiten wurde durch die hohe Verbreitung von Malariamücken und Tsetsefliegen sehr begünstigt. Hinzu kamen die schlechten hygienischen Bedingungen während der Regenzeit, welche zusätzlich zur Amöbenruhr führen konnten.
Im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wurde die koloniale Aufteilung zementiert. In Westafrika lagen um 1900 die ausgedehnten Kolonialgebiete von Britisch-, Deutsch- und Französisch-Westafrika.
Um 1960 kam es zu einer Unabhängigkeitswelle, im Zuge derer zahlreiche westafrikanische Staaten souverän wurden.
Politik
Westafrika ist geprägt von den Gegensätzen der frankophonen und anglophonen Staaten, auch als Folge unterschiedlicher Auffassungen von Kolonialisierung durch Franzosen und Briten. Die Bindungen der ehemaligen Kolonien an ihre Mutterländer sind zum Teil enger als zu den Nachbarländern. Die westafrikanische Staatengemeinschaft ECOWAS dient der Integration Westafrikas und bemüht sich in den zahlreichen Krisenregionen um Frieden (Sierra Leone, Liberia, Elfenbeinküste).
Wirtschaft und Infrastruktur
Die Sahelstaaten gehören zu den ärmsten der Welt, Nigeria ist trotz Ölreichtums stark unterentwickelt. An den Küsten gibt es Monokulturen einer auf den Export ausgerichteten Landwirtschaft. Eine große Zahl Westafrikaner betreibt Subsistenzwirtschaft.
Das Straßennetz ist unzureichend ausgebaut.
Das Fernstraßennetz Westafrikas ist beteiligt an folgenden transkontinentalen Straßenbauprojekten, den Trans-African Highways
dem Kairo-Dakar-Highway und dem Dakar-Lagos-Highway entlang der Küste
dem Dakar-N’Djamena-Highway durch die Sahelzone
dem Trans-Sahara-Highway von Algier nach Lagos
dem Tripolis-Windhoek-(Kapstadt)-Highway durch Tschad und Kamerun
Bedeutende Häfen sind Abidjan, Accra, Conakry, Dakar, Freetown (Hafen Freetown), Lagos und Lomé.
Eisenbahnen existieren unter anderem als Transportmöglichkeit einiger Binnenstaaten zur Küste infolge kolonialer Wirtschaftspolitik. Nigeria baut seit 2009 sein Schienennetz (1.067-mm-Kapspur und 1.435-mm-Normalspur) aus. Die Nigerian Railway Corporation verzeichnete im ersten Halbjahr 2021 Rekordeinkünfte in Höhe von 2,12 Milliarden Naira (ca. 4,664 Mio. Euro), eine Steigerung von 31 % zum Vergleichszeitraum 2019.
Kultur
In Westafrika werden über die Hälfte der afrikanischen Sprachen gesprochen. Es dominieren die nigerkordofanische und die afroasiatische Sprachgruppe. Bedeutend für die traditionelle Kultur der Savannen- und Regenwaldvölker sind die mündliche Überlieferung des Wissens durch Griots sowie der Gebrauch von Masken und Tänzen zu zeremoniellen Anlässen.
Literatur
Horst-Günter Wagner: Übervölkerung, agrare Tragfähigkeit und deren geoökologische Grundlagen in Westafrika. S. 167–209, in: Lindauer, M. und A. Schöpf (Hrsg.): Die Erde unser Lebensraum. Überbevölkerung und Unterbevölkerung als Probleme einer Populationsdynamik. 2. Symposium der Universität Würzburg (Symposium 1985). Stuttgart (Klett) 1987, ISBN 3-12-984570-4.
Horst-Günter Wagner: Straßenbau im Sahel von Mali (Gourma) als Entwicklungsinstrument. Erdkunde, Band 42, 1988, S. 214–224.
Horst-Günter Wagner: Wirtschaftsräumliche Folgen von Straßenbaugroßprojekten in westafrikanischen Ländern (Kamerun, Burkina Faso, Mali, Sierra Leone). Würzburger Geogr. Arbeiten, Heft 62, 1984, 79 S.
Thomas Frick: Abenteuer Westafrika: mit 1000 Euro durch Westafrika – Senegal, Gambia, Guinea-Bissau, Marokko und West-Sahara. Epubli Verlag, 2016, 94 S., mit zahlreichen Abbildungen und Karten, ISBN 3-7418-8148-1.
Weblinks
West African Plants Database
Einzelnachweise
Westafrika
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Q4412
| 867.791458 |
5857
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https://de.wikipedia.org/wiki/1980er
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1980er
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Die 1980er-Jahre umfassen die Jahre von 1980 bis 1989.
Ereignisse
1980: Der Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan beginnt am 25. Dezember 1979 und löst den Protest vieler westlicher und islamischer Staaten aus.
1980: Im Rahmen der Umweltbewegung werden überall in Europa grüne Parteien gegründet, so Die Grünen in Deutschland. In der Schweiz und in Österreich formieren sich 1982 und 1983 vergleichbare Parteien.
1980, 18. Mai: Der Vulkan Mount St. Helens im US-Bundesstaat Washington bricht aus.
1980: Die erste unabhängige polnische Gewerkschaft Solidarność wird in Danzig gegründet.
1980: Großmanöver Waffenbrüderschaft 80 der Staaten des Warschauer Vertrages in der DDR
1980: Oktoberfestattentat
1980: Der Erste Golfkrieg zwischen dem Iran und dem Irak beginnt (Dauer bis 1988).
1980: Ronald Reagan wird zum US-Präsidenten gewählt und tritt 1981 dieses Amt an.
1980: Der langjährige jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito stirbt, kurz darauf gerät Jugoslawien in eine schwere wirtschaftliche Krise.
1981, 12. April: Erstflug der Raumfähre Raumfähre Columbia, Missions-Nummer STS-1, damit Start des Shuttle-Programms der NASA
1981, 13. Mai: Attentat auf Papst Johannes Paul II.
1981: AIDS wird als eigenständige Krankheit erkannt.
1982: Ab 2. Februar: Massaker von Hama
1982: Die Internationale Union gegen Tuberkulose und Lungenkrankheiten erklärt den 24. März zum Welttuberkulosetag.
1982, 2. April – 20. Juni: Falklandkrieg
1982, 1. Oktober: Helmut Kohl wird deutscher Bundeskanzler.
1983: Gefälschte Hitler-Tagebücher
1983: Durchsetzung des NATO-Doppelbeschlusses
1983, 6. März: Vorgezogene Bundestagswahl in Deutschland. Mit 5,6 Prozent der Stimmen und 27 Abgeordneten ziehen Die Grünen in den Deutschen Bundestag ein.
1983: Erste Chaostage in Deutschland
1983: Bürgerkrieg in Sri Lanka
1983: NATO-Manöver in Nordhessen mit Soldaten
1984: Richard von Weizsäcker wird Bundespräsident.
1984: Der Motorradhersteller Zündapp meldet Insolvenz an.
1984: Die Hungerkatastrophe in Äthiopien bewirkt eine Welle der Hilfsbereitschaft.
1985: Rede von Richard von Weizsäcker zum 40-jährigen Ende des Zweiten Weltkriegs
1985: Michail Gorbatschow wird Generalsekretär der KPdSU. In den folgenden Jahren werden unter seiner Ägide in der Sowjetunion Wandlungsprozesse eingeleitet, die unter den Schlagwörtern Perestroika (1987) und Glasnost (1986) bekannt werden.
1986: Die USA verhängen gegen Libyen nach einer Attentatsserie, aber noch vor dem Anschlag auf die West-Berliner Diskothek La Belle, ein Wirtschaftsembargo und fliegen Luftangriffe auf Tripolis und Bengasi.
1986: Der NASA-Weltraumflug STS-51-L endet nach 73 Sekunden in einer Katastrophe und geht als Challengerunglück in die Geschichte ein (siehe Challenger-Katastrophe).
1986, 26. April: Reaktorkatastrophe von Tschernobyl
1986: Großdemonstration gegen Raketenstationierung im Hunsrück (Raketenbasis Pydna)
1986: Waldheim-Affäre in Österreich
1986: 1. November: Großbrand beim Chemiekonzern Sandoz in Schweizerhalle bei Basel, Löschwasser verseucht den Rhein und führt zu einem großen Fischsterben.
1986: Aufdeckung der Iran-Contra-Affäre in den USA
1987: Volkszählung in Deutschland
1987, 25. Januar: Bundestagswahl: Bestätigung der schwarz-gelben Koalition in Deutschland
1987: Barschel-Affäre
1988: Bundestagspräsident Philipp Jenninger hält eine missverständliche Rede zur Judenverfolgung und muss zurücktreten.
1988: Geiselnahme von Gladbeck
1988: Flugtagunglück von Ramstein
1988: Beim Lockerbie-Anschlag kommen 270 Menschen ums Leben.
1989: George H. W. Bush wird Präsident der USA.
1989, 3./4. Juni: In China werden monatelange Studentenproteste durch das Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens gewaltsam beendet.
1989: Ungarn öffnet den Eisernen Vorhang – Demontage der Grenzanlagen ab Mai, verstärkte Medienberichte ab Juni, danach beginnt die Flucht tausender DDR-Bürger in den Westen.
1989: 9. November: Fall der Berliner Mauer
Kulturgeschichte
Reaganomics und Thatcherismus waren Schlagworte für politische und ökonomische Entwicklungen.
New Romantic
Nintendo-Generation
Null-Bock-Generation
Popper (Jugendkultur)
Punker (Jugendkultur)
Yuppies als Kulturphänomen
Technik
Der Start des ersten Space Shuttle (STS-1) 1981 der USA versprach neue Forschungs- und Transportmöglichkeiten im All und markierte den ersten Flug eines wiederverwendbaren Raumfahrzeugs. 1986 erlebte das Programm mit der Challenger-Katastrophe einen schweren Rückschlag, von dem es sich erst ab Ende 1988 wieder erholte. Buran, das Konkurrenzmodell der Sowjetunion, kam nicht über einen Flug hinaus.
Der Übergang vom Industriezeitalter zum Informationszeitalter wird angesichts der fortschreitenden Computertechnologie häufig auf das Ende der 1970er oder die frühen 1980er Jahre datiert. So wurde 1981 der IBM Personal Computer (Personal Computer) vorgestellt. Auch die Verbreitung der Heimcomputer trug zur Popularisierung der Informationstechnologie bei, z. B. erschien 1982 der Commodore 64 (kurz C64), 1984 der Apple Macintosh.
Computerspiele und Spielkonsolen fanden zunehmenden Absatz. Eine der ersten gängigen Konsolen war der Atari 2600 (seit 1980 in Europa erhältlich). Gegen Ende der 1980er wurden Handheld-Konsolen wie der Game Boy eingeführt, die sich aber erst in den 1990ern verbreiteten. Als Vorläufer davon waren LCD-Spiele populär.
Auch in das Alltagsleben hielten neue Technologien Einzug, dazu zählten etwa der Anrufbeantworter und der Mikrowellenherd. Seit dem Ende der 1970er erfuhr auch der Videorekorder eine stark zunehmende Verbreitung, da sich das VHS-Format in den achtziger Jahren mehr und mehr durchsetzte und die Geräte bis zum Ende des Jahrzehnts für breite Schichten erschwinglich machte. Laserdisc und Bildplatte waren zwar Alternativen, konnten die Videokassette aber nicht verdrängen.
In der Automobilwelt kommen neue Technologien zum Einsatz: Computerberechnete Karosserien erlauben eine bessere Aerodynamik, um den Kraftstoffverbrauch zu senken. ABS und Airbag werden erstmals in großen Stückzahlen verbaut. Mit der Diskussion um Umweltverschmutzung (saurer Regen) werden Katalysatoren obligatorisch.
Walkman und Radiorekorder (umgangssprachlich auch „Ghettoblaster“) wurden zu Bestandteilen der Jugendkultur in den westlichen und fernöstlichen Ländern.
1980 wurde der heute bekannte Compact-Disc-Standard festgelegt, 1982 ging der erste CD-Spieler in Serie. Bis zum Ende der Dekade setzte sich die Technologie durch und verdrängte zunehmend, jedoch nicht endgültig, die Schallplatte.
Die Kommunikation wurde durch Autotelefone, Videotex und Telefax erleichtert. Während Videotex in Frankreich als Minitel weite Verbreitung fand, blieb die entsprechende Technik (BTX) in den deutschsprachigen Ländern eine Nische. Autotelefone (C-Netz/Natel C) fanden noch nicht die Massenverbreitung wie in den 2000er Jahren. Auch das von der Deutschen Bundespost angebotene Teletex, eine Weiterentwicklung des Telex, wurde nicht zum Massenstandard.
Tageslichtprojektoren und Kopierer hielten in Büros, Schulen und Universitäten Einzug.
In der Welt der Fahrgeschäfte gab es in den 1980ern große technische Weiterentwicklungen, wie z. B. die Fahrgeschäftstypen Breakdance, Ranger, Flipper, Rainbow, fliegender Teppich und Condor.
Medien allgemein
Vor allem in den überregionalen Printmedien Deutschlands wurde 1986 und 1987 der sogenannte Historikerstreit ausgetragen, an dem u. a. Jürgen Habermas und Ernst Nolte beteiligt waren.
Gloria von Thurn und Taxis machte mit exzentrischen Medienauftritten (z. B. in Wetten, dass…?), gewagten Kostümen und schrillen Frisuren des Münchner Figaro Gerhard Meir in der Boulevardpresse auf sich aufmerksam. Auch die „singende Prinzessin“ Stéphanie von Monaco war häufig in den Schlagzeilen.
Fernsehen
Das Privatfernsehen kam in Deutschland, das Lokalfernsehen in der Schweiz auf: Am 1. Januar 1984 startete in Deutschland die PKS (Programmgesellschaft für Kabel- und Satellitenrundfunk), aus der ein Jahr später Sat.1 hervorging. Ab 2. Januar 1984 sendete RTL Television, damals noch als RTL plus. Am 11. Januar 1988 startete Tele 5 und am 1. Januar 1989 ProSieben. In der Schweiz ging der erste Sender TELE Wil auf Sendung, ihr folgten viele weitere.
Daily Gameshows wie Ruck Zuck, das Glücksrad oder Der Preis ist heiß bildeten ein neues Format im deutschen Privatfernsehen.
Der Musiksender MTV, seit 1981 in den USA auf Sendung, war ab 1987 auch in Europa zu sehen. Bekannte Gesichter waren Kristiane Backer und Ray Cokes.
In der Krimireihe Tatort hielt 1981 mit Horst Schimanski alias Götz George eine Figur Einzug, die in den 1980er Jahren populär wurde, aber auch umstritten war.
Teletext, auch als Videotext bekannt, wird eingeführt.
Einzelbeiträge
Film
Der Holocaust-Dokumentationsfilm Shoah zeigt die Geschehnisse in einer besonders eindringlichen Form. Allerdings polarisiert er auch die Öffentlichkeit, vor allem in Polen.
Filmreihen
Berlin Alexanderplatz
Eis am Stiel
Nightmare on Elm Street
Freitag der 13.
Hellraiser – Das Tor zur Hölle
Star Trek
Dekalog
Heimat – Eine deutsche Chronik
Mehrteilige Produktionen
La Boum 1 & 2
Rambo-Trilogie
Indiana-Jones-Trilogie
Zurück in die Zukunft 1 & 2
Star Wars Episode V & VI
Die unendliche Geschichte 1
Poltergeist Trilogie
Karate Kid-Trilogie
Einzelbeiträge
Einzelbeiträge Deutschland
Otto – Der Film
Der Himmel über Berlin
Gib Gas – Ich will Spaß
Die Supernasen
Didi – Der Doppelgänger
Johnny Flash
Die Sehnsucht der Veronika Voss
Solo Sunny
Weiße Wolke Carolin
Fariaho
Oscar-Gewinner (Bester Film)
1980: Kramer gegen Kramer
1981: Eine ganz normale Familie
1982: Die Stunde des Siegers
1983: Gandhi
1984: Zeit der Zärtlichkeit
1985: Amadeus
1986: Jenseits von Afrika
1987: Platoon
1988: Der letzte Kaiser
1989: Rain Man
Goldene Palme bei den Filmfestspielen von Cannes
1980: Hinter dem Rampenlicht und Kagemusha – Der Schatten des Kriegers
1981: Der Mann aus Eisen
1982: Vermißt und Yol – Der Weg
1983: Die Ballade von Narayama
1984: Paris, Texas
1985: Papa ist auf Dienstreise
1986: Mission
1987: Die Sonne Satans
1988: Pelle, der Eroberer
1989: Sex, Lügen und Video
Musik
New Wave
Neue Deutsche Welle
Heavy Metal
Hip-Hop
House
Musikstars der 1980er
Ereignisse
Am 8. Dezember 1980 wurde John Lennon vor dem Eingang zum Dakota-Gebäude in New York erschossen.
Am 11. Mai 1981 starb Bob Marley.
Benefizprojekte für Afrika wie Band Aid, USA for Africa sowie die Live-Aid-Konzerte wurden angesichts der Hungersnot in Äthiopien ins Leben gerufen.
Die British Phonographic Industry startete die Kampagne Home Taping Is Killing Music.
Entwicklungen
Contemporary R&B wurde zur Sammelbezeichnung für afroamerikanische Mainstream-Musik. Luther Vandross, Prince und Michael Jackson galten als Vorreiter des neuen R&B. Jacksons Alben Thriller (1982, bisher meistverkauftes Album, Stand 2010) und Bad (1987) ließen ihn zum Star avancieren. Aber auch klassische Rhythm-and-Blues-Künstler wie Stevie Wonder oder Tina Turner waren erfolgreich.
New Wave entwickelte sich von einem Begriff für die Punk-Bewegung zu einer eigenen Subkultur, die „punkähnliche“ Musik umfasste, etwa Talking Heads, The Cars oder The Cure (zu letzteren siehe auch Post-Punk, Dark Wave). Elektronische Popmusik prägte das Jahrzehnt, elektronische Tanzmusik entwickelte sich in verschiedenen Stilen zum kommerziellen Durchbruch. Vor allem Synthiepop, seit 1978 entstanden, bestimmte zu großen Teilen die Popmusik der 1980er und überschnitt sich teilweise mit der New-Wave-Bewegung. Bands wie Depeche Mode, Culture Club, Kajagoogoo, OMD, The Buggles, New Order, Eurythmics, Soft Cell, Ultravox, Visage und einige mehr bildeten die erste große Welle, später folgten beispielsweise Pet Shop Boys, Alphaville, Talk Talk oder Camouflage. Zu weiteren Spielarten elektronischer Musik siehe auch: Electropunk, EBM, Electro Wave, Minimal Electro.
Die Neue Deutsche Welle – sich von New Wave ableitend –, deren erste Phase Ende der 1970er etwa mit Bands wie den Einstürzenden Neubauten oder DAF weniger kommerziell gewesen war, wurde Anfang der 1980er von der Musikindustrie aufgegriffen, Künstler wie Nena oder Trio wurden auch international bekannt. Etwa zeitgleich erlebte als Pendant der Austropop einen Boom.
Italo Disco war eine hauptsächlich aus Italien stammende kommerzielle Tanzmusik der 1980er Jahre, die überwiegend von 1982 bis 1988 entstand, und deren Blütezeit von 1983 bis 1985 war. Sie war meist eher billig mit Synthesizer und Drumcomputer produziert und in gebrochenem Englisch gesungen. Stars waren u. a. Gazebo, Ryan Paris, My Mine und Savage.
Euro Disco war eine aus dem Italo-Disco entstandene Tanzmusik-Gattung. Diesmal lag das Zentrum in England (Rick Astley, Mel & Kim, Kylie Minogue) und Deutschland (C. C. Catch, Modern Talking, Bad Boys Blue, Sandra). Blütezeit war von 1985 bis 1987.
Aerobic, eine Form von Fitnesstraining, bei der zu moderner Popmusik klassische Gymnastik mit Tanzelementen verbunden wurde, war um 1982 weltweit populär.
Mit den Tanzschritten der Choreografin und späteren Interpretin von Up-Tempo-Musikstücken Paula Abdul für Musikstars wie Janet Jackson, George Michael und andere wurde ab 1986 in den USA ein Trend gesetzt, der Musikvideos und Bühnenshows bis heute beeinflusst.
Hip-Hop verbreitete sich, nicht zuletzt durch Rapper’s Delight 1979, in den USA. In Europa machte Falco bei Der Kommissar 1981/1982 erstmals Hip-Hop-Elemente in der Popkultur bekannt. Breakdance ist ein Medienbegriff für im Rahmen der Hip-Hop-Kultur in den 1980ern populär werdende Tanzstile mit teilweise akrobatischen Merkmalen.
Metal, in den 1970ern mit Hard-Rock-Bands wie Black Sabbath entstanden, spaltete sich in verschiedene Substile. Die New Wave of British Heavy Metal mit Bands wie Iron Maiden entstand. Die „klassische“ Form der Musik, etwa Judas Priest, wird als Heavy Metal bezeichnet. Unter anderem Metallica galten als Vorreiter des Thrash Metal. Eine weitere Form war der Speed Metal, aus dem sich später der Power Metal entwickelte. Später in den 1980ern entstanden die verschiedenen Richtungen des Extreme Metal: Death Metal, Black Metal und als Ableger des Punk Grindcore. Wichtige regionale Szenen des Metal, die für dessen Weiterentwicklung sorgen, bilden sich neben Großbritannien und den USA auch in Deutschland, das insbesondere auf die Entwicklung des Power Metal mit Bands wie Blind Guardian, Gamma Ray und Helloween großen Einfluss hat, und in nordeuropäischen Ländern wie Schweden, Finnland und Norwegen. Die australische Band AC/DC macht Hard-Rock weltweit populär und massentauglich.
Sogenannte Glam-Metal-Bands wie Mötley Crüe oder Poison prägten die Rockmusik, auch durch ihre schrillen Outfits. Auch weitere Hard-Rock-Bands, die in den 1980ern bekannt wurden, wie Bon Jovi oder Whitesnake, wiesen Tendenzen in diese Richtung auf. Ende der 1980er entstand als rauere Form der Sleaze Rock, dessen bekannteste Vertreter Guns N’ Roses waren.
Hardcore Punk entstand ab 1979 als Weiterentwicklung des Punk-Rocks und verbreitete sich in den 1980ern. Die Straight-Edge-Bewegung entstand in den USA. Gegen Ende der 1980er begann eine Tendenz zum Crossover sowie zum Post-Hardcore.
Im Jahr 1982 veröffentlicht Eric Clapton seine Kompilation Timepieces: The Best of Eric Clapton. Das Album erhält in Japan Diamant-Status und in den USA 7-fach Platin, verkauft sich in kürzester Zeit mehr als 13 Millionen Mal und wird zu einem der erfolgreichsten Kompilationsalben der Musikgeschichte.
House-Musik wurde populär, in den späteren 1980ern insbesondere Acid House. Der Smiley wurde zum Symbol dieser Bewegung.
Im Post-Punk- und Dark-Wave-Umfeld entwickelte sich der Gothic Rock und mit diesem die Gothic-Kultur, deren Anhänger als Goths, in Deutschland auch als Gruftis bezeichnet werden.
Das Monsters-of-Rock-Festival entstand und wurde zu einer Institution im Hard-Rock- und Metal-Bereich.
Einzelbeiträge
Einzelbeiträge Deutschland
Literatur
1985 erscheint Das Parfum von Patrick Süskind, von dem über 20 Millionen Exemplare verkauft wurden und das in 48 Sprachen übersetzt wurde.
Science-Fiction- und Fantasy-Literatur erlebt einen Boom. Autoren wie Wolfgang Hohlbein oder Terry Pratchett werden bekannt. Cyberpunk entsteht als Teil des SF-Genres.
1988 veröffentlicht Salman Rushdie Die satanischen Verse, worauf es zu Demonstrationen und einem Mordaufruf in Form einer Fatwa des iranischen Revolutionsführers Chomeini kommt.
Die Fernsehsendung Das Literarische Quartett wird 1988 erstmals ausgestrahlt.
Sozialkritische Jugendliteratur hat Hochkonjunktur in Deutschland: Gudrun Pausewang mit Die letzten Kinder von Schewenborn (1983, Atomkrieg) und Die Wolke (1987, Super-GAU), in der Reihe dtv pocket erscheinen Myron Levoys Der gelbe Vogel (1981, NS-Zeit) und Robert C. O’Briens Z wie Zacharias (1982, Atomkrieg). Ein Weltbestseller ist Morton Rhues Die Welle (1981, Totalitarismus).
Kunst
1981: Neue Wilde
1982: Documenta 7, Zeitgeist
1984: Von hier aus – Zwei Monate neue deutsche Kunst in Düsseldorf
1987: Documenta 8
1988: Freeze
Design
Die Farbe silber für Gehäuse- oder Designelemente weicht in vielen Bereichen matten Braun- oder Schwarztönen. Der an Autos der 70er Jahre noch häufig anzutreffende Chromzierrat wird durch mattschwarze Elemente, teils aus Kunststoff, ersetzt. In Privathaushalten der Bundesrepublik wird das Aspen-Glasgeschirr beliebt.
Sport
XIII. Olympische Winterspiele in Lake Placid 1980; 13. Februar 1980 bis 24. Februar 1980
XXII. Olympische Sommerspiele in Moskau 1980; 19. Juli 1980 bis 3. August 1980. Die Spiele wurden von den USA und 64 anderen Staaten, auch der Bundesrepublik Deutschland, aufgrund des Einmarsches sowjetischer Truppen in Afghanistan boykottiert.
12. Fußball-Weltmeisterschaft in Spanien 1982; 13. Juni 1982 bis 11. Juli 1982
XIV. Olympische Winterspiele in Sarajevo 1984; 8. Februar 1984 bis 19. Februar 1984
XXIII. Olympische Sommerspiele in Los Angeles 1984; 28. Juli 1984 bis 12. August 1984. Die Spiele wurden von allen Ostblockstaaten (außer Rumänien) boykottiert.
13. Fußball-Weltmeisterschaft in Mexico 1986; 31. Mai 1986 bis 29. Juni 1986
XV. Olympische Winterspiele in Calgary 1988; 13. Februar 1988 bis 28. Februar 1988
XXIV. Olympische Sommerspiele in Seoul 1988; 17. September 1988 bis 2. Oktober 1988
Mode
Ballonhosen
Ballonröcke
Dauerwelle, Vokuhila, Fönfrisur und Haargel
Fledermausärmel und Puffärmel
John-Wayne-Hemden
Sweatshirts
Steghosen
Karottenhosen
Schmale Lederkrawatten
Jeanshemden
Stehkragen- und Satinblusen
Leggings, Stulpen
Neonfarben
Schulterpolster (Kleidungsbestandteil)
Sneaker (Verbreitung als Jungenbekleidung)
Stirnbänder
Swatch
Rolex
Bundfaltenhosen
Weiße Tennissocken (Verbreitung als Jungenbekleidung)
50er-Jahre-Revival
Karierte Sakkos
Turnschuhe mit Klettverschluss
Auffälliger Modeschmuck (besonders Broschen und extrem lange Halsketten zu mehreren gleichzeitig getragen)
Cowboystiefel
Overknee-Stiefel
Sonstiges
Pen-&-Paper-Rollenspiele verbreiteten sich auch in Europa. In den USA bereits seit den 1970ern populär, erschien Dungeons & Dragons 1983 in deutscher Übersetzung. In Deutschland war zuvor 1981 Midgard entstanden. 1984 kam Das Schwarze Auge auf den Markt.
BMX-Fahrräder waren bei Jugendlichen Anfang der 1980er in Mode und lösten das Bonanzarad ab. Ebenso waren Rollschuhe beliebt, besonders durch die Discokultur seit Ende 1970er Jahre, die auch nach Europa überschwappte.
Zu Beginn der 1980er waren Sponti-Sprüche häufig zu hören und zu lesen.
In der Jugendsprache kamen im Laufe der 1980er Begriffe wie geil und cool auf, die zunächst als verpönt galten und erst langsam, vor allem im Laufe der 1990er, salonfähig wurden. Der Song Geil von Bruce & Bongo griff diese Entwicklung auf – er erreichte 1986 Platz 1 der deutschen Single-Charts.
Zeitweise gab es ein Hula-Hoop-Reifen-Revival.
Das Jo-Jo fand Anfang des Jahrzehnts große Anhängerschaften.
Fast-Food-Restaurants wie McDonald’s und Burger King erfuhren eine stark zunehmende Verbreitung in Westdeutschland.
Rubiks Cube, der sogenannte Zauberwürfel, war im Rahmen einer Modewelle ein beliebtes Spielzeug.
Yps war ein Jugendmagazin, das sich seit den 1970ern, aber auch in den frühen 1980ern mit seinen sogenannten Gimmicks einiger Beliebtheit erfreute.
Setzkästen fanden Verbreitung in vielen Jugend- und Wohnzimmern.
Glücksflöhe, als Figur bemalte Anhänger, die aussehen, als würden sie aus einer großen und einer kleineren Kugel bestehen.
Tricotronics, handliche LCD-Spiele
Persönlichkeiten (Auswahl)
Weblinks
Achtziger Musik, Mode, Lifestyle und Kult der 80er Jahre
Erinnerst Du Dich? Souvenirs und Kult-Dinge der 80er Jahre
Kabeleins.de Sechsteilige Fernseh-Dokumentation der 80er Jahre
Einzelnachweise
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Q34644
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353775
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lesgier
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Lesgier
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Die Lesgier oder Lesginen (, älter ; , Singular: Лезгин Lesgin; in älterer deutschsprachiger Literatur oft auch als Küriner bezeichnet) sind eines der indigenen Völker des Kaukasus und leben historisch in Süd-Dagestan und Nord-Aserbaidschan.
Das Volk wohnt im Gebiet des Flusses Samur. Diese Region wird auch Lesgistan genannt. Das Volk der Lesgier hat nach Schätzungen etwa 800.000 Angehörige, von denen ungefähr die Hälfte in der russischen Teilrepublik Dagestan lebt, die andere Hälfte in Aserbaidschan. Nach der Volkszählung in Russland 2010 lebten 385.240 Lesgier in Dagestan in ganz Russland 473.722.
Sprache
Die lesgische Sprache gehört zur Sprachfamilie der Nordostkaukasischen oder Nachisch-Dagestanischen Sprachen.
Geschichte
Im 8. Jahrhundert konvertierten die Lesgier zum Islam (Sunniten, schafiitische Rechtsschule). Später gerieten sie unter den Einfluss des Königreichs Georgien. Im 16. Jahrhundert wurden sie von den Osmanen, später von den Persern beherrscht, die sich in der Vorherrschaft über das Khanat Schirwan und Khanat Quba abwechselten, die die südlichen Lesgier beherrschten. Hadschi Davud führte im 18. Jahrhundert einen langjährigen Aufstand gegen die persische Besatzung an.
Anfang des 19. Jahrhunderts geriet ihr Gebiet unter russische Oberhoheit. Die Grenze entlang des Samur war eine innerrussische bzw. innersowjetische Verwaltungsgrenze. Seit der Unabhängigkeit Aserbaidschans leben die Lesgier in zwei Staaten. Während sie in Dagestan kulturelle Autonomie genießen, sind die aserbaidschanischen Lesgier einem Assimilationsdruck durch die Regierung ausgesetzt.
Prominente Lesgier
Suleiman Abusaidowitsch Kerimow (* 1966) – russischer Unternehmer, Milliardär, Oligarch und Politiker
Literarische Darstellungen
Friedrich Bodenstedt: Ada, die Lesghierin. Ein Gedicht. Berlin 1853 (Digitalisat in den Digitalen Sammlungen der BSB)
Arthur de Gobineau: Die Tänzerin von Schemacha. Novelle. Deutsch [sowie mit einem Vorwort] von Rudolf Schlösser. Philipp Reclam Junior, Leipzig o. J. [1904] (Digitalisat im Internet Archive)
Siehe auch
Lesgische Literatur
Weblinks
Die Lesginen, Laken und Nogaier Reportage des Radiosenders „Stimme Russlands“
Einzelnachweise
Ethnie in Asien
Ethnie in Europa
Ethnie in Russland
Ethnie in Aserbaidschan
Ethnie im Kaukasus
Islam in Russland
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Q1129737
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10690
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https://de.wikipedia.org/wiki/Chromosom
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Chromosom
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Ein Chromosom (von ‚Farbe‘ sowie ‚Leib‘) ist ein Träger von Erbanlagen (des Genoms). Chromosomen bestehen aus Desoxyribonukleinsäure (englische Abkürzung: DNA) und verschiedenen Proteinen, insbesondere Histonen. Die DNA enthält genetische Informationen für die Lebensprozesse und die Vererbung von Eigenschaften.
Die Chromosomen eukaryotischer Lebewesen sind in Zellkernen eingeschlossen. Sie sind in der Metaphase einzeln zu erkennen, denn in diesem Stadium des Zellzyklus liegen sie stark verdichtet vor, während die Kernhülle vorübergehend aufgelöst ist.
Die Interphase hindurch sind sie dagegen aufgelockert und werden insgesamt als Chromatin bezeichnet. Ein Zellkern enthält jeweils eine arttypische Zahl an Chromosomen, beim Menschen sind es gewöhnlich 46 im diploiden Karyotyp (2n = 46,XX bzw. 46,XY).
Die Zellen der Eukaryoten – zu denen Pflanzen, Pilze, Tiere und so auch Menschen gehören
– enthalten außer der chromosomalen DNA im Zellkern zusätzlich DNA in bestimmten Organellen wie Mitochondrien oder Plastiden (siehe mitochondriale DNA und Chloroplasten-DNA), die zirkulär vorliegt.
Zellen von Prokaryoten wie Bakterien haben keinen Zellkern und keine klassischen Chromosomen. Die DNA von Bakterien ist allgemein zirkulär organisiert und wird auch als Bakterienchromosom bezeichnet.
Darstellung im Mikroskop
Die Bezeichnung Chromosom, wörtlich „Farbkörper“, rührt daher, dass die Chromatinstruktur durch basische Farbstoffe leicht anzufärben ist. Die angefärbten Chromosomen sind lichtmikroskopisch ohne spezielle Nachweismethoden nur während der Teilung des Zellkerns zu erkennen. Dann haben sie beim Menschen und vielen anderen Arten ein stäbchenförmiges Aussehen. Diese verdichtete (kondensierte) Form bildet sich zu Beginn einer Kernteilung bei Mitose wie Meiose während der frühen Prophase heraus. In der anschließenden Metaphase werden die stark kondensierten Chromosomen äquatorial angeordnet. Jedes Chromosom besteht in dieser Phase aus zwei gleichen Chromatiden, die durch Replikation entstanden sind. Die Chromatiden liegen parallel nebeneinander und enthalten je eine durchgehende DNA-Doppelhelix. In der Anaphase werden die beiden Chromatiden eines Chromosoms voneinander getrennt und schließlich über die Telophase den sich bildenden Tochterkernen zugeteilt.
Am Ende der Kernteilungen gehen die Chromosomen wieder in einen dekondensierten Zustand über. Erst in dieser Form kann die DNA abgelesen und dann dupliziert werden. Doch lassen sich so die verschiedenen Chromosomen eines Kerns mit klassischen Färbemethoden nicht mehr unterscheiden, da sie ein scheinbar kontinuierliches Chromatin bilden. Mit besonderen Methoden jedoch, wie der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung, sind die Chromosomen weiterhin als getrennte Einheiten nachweisbar. Jedes der dekondensierten Chromosomen beansprucht in der Interphase ein Chromosomenterritorium: einen abgegrenzten Bereich innerhalb des Zellkerns.
Forschungsgeschichte
Der Name „Chromosomen“ für die Träger der Erbmasse wurde 1888 von dem Anatomen Heinrich Wilhelm Waldeyer vorgeschlagen, nachdem Walther Flemming einige Jahre zuvor den Begriff Chromatin für die färbbare Substanz im Zellkern eingeführt hatte. Noch 1906 nutzte Oscar Hertwig parallel dazu den Begriff Kernsegmente, welcher verdeutlichen sollte, dass bei der Teilung des Kerns (Mitose) „das Chromatin in Segmente zerlegt wird“. Eine weitere alte Bezeichnung, die ebenfalls eine Weile parallel zu Chromosom benutzt wurde, ist Kernschleife, zum Beispiel bei Karl Heider (1906).
Die Geschichte der Entdeckung der Chromosomen und ihrer Funktion lässt sich nicht von der vorangegangenen Entdeckung des Zellkerns trennen.
1842 beschrieb der Schweizer Botaniker Carl Wilhelm von Nägeli „transitorische Zytoblasten“ (anfärbbare stäbchenförmige Strukturen im Zellkern von Pflanzenzellen) bei denen es sich vermutlich um Chromosomen handelte. Auch Abbildungen aus den Werken anderer Forscher lassen sich mit heutigem Wissen als Chromosomen bzw. mitotische Zellteilung deuten (Matthias Schleiden 1846, Rudolf Virchow 1857, Otto Bütschli 1873).
1873 beschrieb Anton Schneider an Plattwürmern, dass der Zellkern sich „in einen Haufen feinlockig gekrümmter, auf Zusatz von Essigsäure sichtbar werdender Fäden verwandelt. An Stelle dieser dünnen Fäden traten endlich dicke Stränge auf, zuerst unregelmäßig, dann zu einer Rosette angeordnet, welche in einer durch den Mittelpunkt der Kugel gehenden Ebene (Äquatorialebene) liegt.“ Die „indirekte Kernteilung“ (Mitose) war entdeckt – aber noch nicht verstanden. So ging Walther Flemming 1882 noch davon aus, dass sich die „Kernfäden“ erst während der frühen Phase der Kernteilung aus einem zuvor durchgehenden Faden voneinander trennen. Zwar beobachtete er eine Längsspaltung der Chromosomen zu einem späteren Zeitpunkt (heute als Metaphase bezeichnet), nahm aber an, dass sich ganze Chromosomen (also mit beiden Chromatiden) später (heute: Anaphase) in Richtung der künftigen Zellkerne bewegen. Auch schloss er nicht aus, dass sich Zellkerne zumindest in manchen Fällen auch neu bilden könnten, also nicht durch Teilung aus bestehenden Kernen. 1884 beschrieben dann mehrere Autoren (L. Guignard, Emil Heuser und Edouard van Beneden) die Aufteilung der Chromosomenhälften (heute: Chromatiden) auf die Tochterzellkerne.
Da die Chromosomen während der Interphase nicht sichtbar waren, war zunächst unklar, ob sie sich nach einer Kernteilung auflösen und vor jeder Kernteilung neu bilden oder ob sie im Kern als jeweils eigene Einheiten überdauern. Letztere Idee wurde als Lehre von der Erhaltung der Individualität der Chromosomen bezeichnet und von Carl Rabl vorgeschlagen (1885). Er war auch der erste, der erstens eine konstante Zahl von Chromosomen bei verschiedenen Mitosen eines Gewebes feststellte und zweitens daraus schloss, dass die Chromosomen auch in der Interphase und somit kontinuierlich vorhanden sein müssten. Er ließ aber zunächst noch die Möglichkeit offen, dass diese Zahl in verschiedenen Geweben unterschiedlich sein könnte. Rabl war ebenfalls der erste, der annahm, dass jedes Chromosom im Interphasekern ein eigenes Territorium bildet.
Die Idee der Chromosomenkontinuität fand keineswegs ungeteilte Zustimmung. Ein wichtiger Gegner war Oscar Hertwig (1890, 1917). Theodor Boveri, der um 1890 Chromosomenstudien durchführte, dagegen befürwortete Rabls Ideen und unterstützte sie mit weiteren experimentellen Befunden (1904, 1909). Ebenfalls in den 1880er Jahren entwickelte August Weismann seine Keimplasmatheorie (siehe auch dort), bei der er davon ausging, dass das Erbmaterial (nur) in den Chromosomen lokalisiert sei. Wichtige Schlussfolgerungen waren, dass Vererbung ausschließlich über die Keimbahn stattfinde und dass eine Vererbung erworbener Eigenschaften abzulehnen sei. Was sich später als weitgehend richtig erwies, war damals heftig umstritten. Eine schonungslose Kritik findet sich beispielsweise in Meyers Konversations-Lexikon von 1888 unter dem Stichwort Erblichkeit.
Im Jahr 1900 wurden die Mendelschen Regeln wiederentdeckt und bestätigt. In der Folge entwickelte sich die neue Wissenschaft der Genetik, in deren Rahmen der Zusammenhang von Chromosomen und Vererbung vielfach gezeigt wurde. Beispielsweise konnte Thomas Hunt Morgan 1910 an Drosophila melanogaster den Nachweis führen, dass die Chromosomen die Träger der Gene sind. 1944 zeigte Oswald Avery (siehe dort), dass das eigentliche Erbmolekül die DNA ist, und nicht etwa Proteine in den Chromosomen.
Die weitere Geschichte bis 1950 (Aufklärung der Struktur der DNA) ist im Artikel Chromosomentheorie der Vererbung beschrieben. Eine Zeittafel einiger wichtiger Entdeckungen ist im Artikel Chromatin zu finden.
Im Jahr 2000 haben zwei internationale Wissenschaftlerteams das menschliche Erbgut weitgehend entziffert, im Jahr 2003 waren 99 Prozent sequenziert. Mit dem Chromosom 1 wurde 2005/2006 das letzte der 24 verschiedenen menschlichen Chromosomen genau analysiert (99,99 %). Über 160 Wissenschaftler aus Großbritannien und den USA publizierten diese Gemeinschaftsarbeit.
2014 gelang erstmals das Design und die Konstruktion eines synthetischen Chromosoms, und zwar in der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae.
Aufbau und Struktur der Chromosomen
Bestandteile
Abgesehen von Spezialfällen (siehe Riesenchromosomen unten) enthält ein Chromosom im einfachen Fall einen durchgehenden DNA-Doppelstrang (auch: DNA-Doppelhelix). Der DNA-Doppelstrang wird manchmal auch als DNA-Molekül bezeichnet, obwohl es sich streng genommen um zwei Einzelstrang-Moleküle handelt (siehe Desoxyribonukleinsäure). An den DNA-Doppelstrang lagern sich Histone und andere Proteine an (siehe unten). Die Mischung aus DNA, Histonen und anderen Proteinen wird als Chromatin bezeichnet. Aus einem DNA-Doppelstrang wird durch diese Protein-Anlagerung ein Chromatid aufgebaut. In diesem Fall besteht das Chromosom also aus einem Chromatid. Der beschriebene Fall tritt immer direkt nach einer Kernteilung auf; bei den meisten Tieren und Pflanzen zusätzlich in allen Zellen, die sich nicht mehr teilen können (Ausnahme: Polytänchromosomen bei Insekten, siehe auch unten), und in Zellen, die zeitweilig nicht mehr wachsen, sich also in der G0-Phase befinden (siehe Zellzyklus).
Wenn eine Zelle wächst, um sich später zu teilen, dann muss in einem bestimmten Abschnitt des Zellzyklus (S-Phase) die DNA verdoppelt („repliziert“) werden. Dies ist erforderlich, damit später beide Tochterkerne das ganze Erbgut, also je eine Kopie aller Chromosomen, erhalten können. Nach der DNA-Verdopplung hat jedes Chromosom zwei identische DNA-Doppelstränge. Diese beiden Doppelstränge werden räumlich getrennt voneinander mit Proteinen verpackt: Zwei Schwester-Chromatiden entstehen. Während der Kernteilung (Mitose) werden die beiden Schwester-Chromatiden eines Chromosoms als zwar parallel verlaufende, aber durch eine schmale Lücke getrennte Einheiten mikroskopisch sichtbar (siehe Schemazeichnung rechts und erste Abbildung des Artikels). An einer Stelle, die Centromer oder Zentromer genannt wird, ist jedes Chromosom zu diesem Zeitpunkt schmaler als im sonstigen Verlauf: Hier hängen die Schwester-Chromatiden noch zusammen. Im weiteren Verlauf der Mitose (am Übergang von der Metaphase zur Anaphase, siehe unten) werden die beiden Schwester-Chromatiden getrennt – wobei durch die Trennung zwei Tochterchromosomen entstehen – und auf die neu entstehenden Zellkerne verteilt: Die Chromosomen in diesen neuen Kernen bestehen jetzt wieder aus einem Chromatid. Demnach enthält ein Chromatid immer genau einen DNA-Doppelstrang, während ein Chromosom je nach Phase des Zellzyklus ein oder zwei DNA-Doppelstränge enthält und entsprechend aus einem oder zwei Chromatiden besteht (Ausnahme: die erwähnten Polytänchromosomen, die über tausend Doppelstränge enthalten können).
Durch das Centromer werden die Chromatiden in zwei Arme unterteilt. Je nach Lage des Centromers spricht man von metazentrischen Chromosomen (Centromer in der Mitte), akrozentrischen Chromosomen (Centromer am Ende, der kürzere Arm sehr klein; beim Menschen die Chromosomen 13, 14, 15, 21, 22 und das Y-Chromosom) oder submetazentrischen Chromosomen (Centromer zwischen Mitte und Ende). Der kürzere Arm wird als p-Arm (), der längere als q-Arm bezeichnet (q folgt im lateinischen Alphabet auf p). Wie in der Schemazeichnung werden Chromosomen generell mit den kurzen Armen nach oben dargestellt.
Die Enden der Chromosomen heißen Telomere (Einzahl: Telomer). Sie enthalten eine kurze, sich identisch wiederholende DNA-Sequenz (beim Menschen TTAGGG). Dort werden die Chromosomen bei jeder Verdopplung ein wenig kürzer. Die Telomere spielen daher bei Alterungsprozessen eine wichtige Rolle. Neben Centromer und Telomeren sind Startpunkte für die DNA-Verdopplung (Replikation) der dritte essentielle Bestandteil eines Chromosoms (siehe ARS-Element).
Beim Menschen enthalten die kurzen Arme der akrozentrischen Chromosomen Gene für die ribosomale RNA. Diese kurzen Arme können in kondensierten Metaphasechromosomen durch einen Satelliten verlängert sein, so dass Satellitenchromosomen (SAT-Chromosomen) vorliegen (nicht zu verwechseln mit Satelliten-DNA). Die Gene für die ribosomale RNA liegen in vielen, tandemartig hintereinanderliegenden Kopien vor. Im Interphase-Zellkern bildet sich an diesen der Nucleolus. Daher werden sie auch als Nucleolus-organisierende Regionen (NOR) bezeichnet.
Chromosomen während der normalen Kernteilung (Mitose)
Im Folgenden sind die Phasen während der Mitose kurz wiedergegeben:
Prophase: In diesem ersten Stadium der Mitose kondensieren die Chromosomen zunehmend. Sie werden so von einer zugänglichen Quelle genetischer Information zu einer nicht mehr ablesbaren, kompakten Transportform. Die Kernmembran wird aufgelöst. Dies wird manchmal als der Beginn einer zusätzlichen Phase, der Prometaphase, gesehen.
Metaphase: Die Chromosomen wandern in die Äquatorialebene der Zelle und bilden dort die Metaphaseplatte. Bis zu diesem Zeitpunkt besteht jedes Chromosom aus zwei Chromatiden. Centriolen befinden sich an den entgegengesetzten Polen der Zelle, die Plasmafasern haben den Spindelapparat gebildet.
Anaphase: Der Spindelapparat sorgt für die Trennung der beiden Chromatiden jedes Chromosoms und ihren Transport senkrecht weg von der Metaphaseplatte, zu zwei entgegengesetzten Zellpolen. Dazu werden Mikrotubuli sowohl an den Kinetochoren der Centromere als auch an den Zellpolen befestigt, die wie Streckseile wirken.
Telophase: Nach Abschluss der Anaphasebewegung wird um jedes vereinzelte Chromosom eine neue Kernhülle gebildet und mit der Dekondensation begonnen. Durch Fusion der Partikel entstehen die beiden Tochterzellkerne, die nun Ein-Chromatid-Chromosomen enthalten.
Nach der Kernteilung erfolgt in der Regel auch die Zellteilung, die Cytokinese oder Zytokinese, die aber nicht mehr zur Mitose gerechnet wird.
G-, R- und andere Chromosomenbanden
In der Mitte des 20. Jahrhunderts wurden Techniken entwickelt, um die Chromosomen aus Zellen, die sich in der Metaphase befinden, zu „spreiten“: Im entstandenen Metaphasepräparat liegen die Chromosomen einer Zelle nebeneinander auf einem Objektträger, so dass sie im Mikroskop abgezählt und miteinander verglichen werden können (siehe erste Abbildung oben). In gut gelungenen Präparaten haben die einzelnen Chromosomen dabei die häufig dargestellte X-ähnliche Form. Mit den klassischen Färbemethoden wie zum Beispiel Giemsa-Färbung werden Chromosomen auf ganzer Länge gleichmäßig eingefärbt. Daher war es zunächst nicht oder nur schwer möglich, Chromosomen ähnlicher Größe sicher voneinander zu unterscheiden. Um 1970 wurde entdeckt, dass einige Bereiche der Chromosomen den Giemsa-Farbstoff nicht mehr annehmen, wenn die Chromosomen zuvor mit Trypsin behandelt wurden. Durch die hervorgerufene G-Bänderung entstanden entlang der Chromosomen abwechselnd gefärbte Abschnitte (die G-Banden, G für Giemsa) und ungefärbte (die R-Banden, R für revers). Durch das Bandenmuster ist beim Menschen und etlichen Tieren eine eindeutige Identifizierung aller Chromosomen möglich. Die stoffliche Grundlage für das unterschiedliche Färbeverhalten der Banden, also die Frage, warum einige Bereiche nach der Trypsinbehandlung den Farbstoff nicht mehr aufnehmen, ist bis heute ungeklärt. Es stellte sich jedoch heraus, dass G- und R-Banden sich in einigen Eigenschaften unterscheiden.
R-Banden enthalten überdurchschnittlich viele Gene, überdurchschnittlich viele G-C-Basenpaarungen und werden während der Replikation der Chromosomen früh verdoppelt. Beim Menschen sind sie reich an Alu-Sequenzen (siehe dort und Abbildung rechts).
G-Banden sind genarm, die Anzahl der G-C-Basenpaare liegt unter dem Durchschnitt (dafür haben sie mehr A-T-Paare; siehe Desoxyribonucleinsäure) und sie werden während der Duplizierung der Chromosomen eher spät repliziert. Beim Menschen sind sie reich an L1-Elementen (siehe Long interspersed nuclear element).
Als weitere Bandentypen werden manchmal C-Banden (die Centromerregionen) und T-Banden unterschieden. Letztere sind eine Untergruppe der R-Banden, besonders genreich und liegen häufig in der Nähe der Telomere, daher der Name.
Die Anzahl der R- und G-Banden ist abhängig vom Kondensationsgrad der Chromosomen. In der Metaphase haben alle menschlichen Chromosomen zusammen etwa 400 dieser Banden, während in den noch nicht so stark kondensierten Prophasechromosomen bis zu 850 Banden unterschieden werden können.
Nomenklatur: Um eine genaue Bezeichnung aller chromosomalen Regionen zu ermöglichen, wurden für den Menschen und einige andere Organismen standardisierte Bezeichnungssysteme eingeführt. Beim Menschen hat jede Bande eine Bezeichnung, die sich aus folgenden Elementen zusammensetzt: Nummer des Chromosoms, p oder q für den jeweiligen Arm (p wie franz. für den kurzen Arm; q wie franz. für den langen) sowie Zahlen, die vom Centromer aus aufwärts zählen. Zur feineren Unterscheidung können die Zahlen mehrere Stellen haben. Die Bande 3q26.31 ist demnach eine Unterbande von 3q26. Die Bezeichnung „3q“ steht entsprechend für den gesamten langen Arm des Chromosoms 3. Centromerregionen werden auch mit c bezeichnet (3c). Telomerbereiche werden der Einfachheit halber gerne mit tel (etwa 3ptel oder 3qtel) und telomernahe Bereiche mit ter (3pter) bezeichnet. Schematische Darstellungen der Standardbanden heißen Idiogramme. Beispiele sind in der Abbildung rechts und auf der Website von Ensembl zu sehen. In Idiogrammen sind G-Banden stets dunkel, R-Banden weiß eingezeichnet. Bereiche aus repetitiven Elementen werden manchmal schraffiert dargestellt. Eine sortierte Anordnung aller mitotischen Chromosomen aus einer Zelle wird als Karyogramm bezeichnet (Abbildung weiter unten). Der Karyotyp eines Lebewesens gibt an, wie viele und gegebenenfalls welche Chromosomen dieses Individuum hat. Der Karyotyp einer Frau wird als 46,XX angegeben, der eines Mannes als 46,XY (siehe unten, Geschlechtsbestimmung).
Größe und Gen-Dichte
Das menschliche Genom, also die Gesamtlänge der DNA, umfasst etwa 3,2 Gbp (= Gigabasenpaare oder Milliarden Basenpaare) mit bisher gefundenen 23.700 Genen. Menschen haben zwei Kopien des Genoms (2n), eine von der Mutter und eine vom Vater, die in jedem Zellkern vorliegen. Aus dem Molekularmodell der DNA ergibt sich für 10 Basenpaare in der Doppelhelix eine Länge von 3,4 Nanometern (milliardstel Metern). Daraus lässt sich hochrechnen, dass die Gesamtlänge der DNA in jeder menschlichen Zelle über 2 Meter beträgt. Diese sind beim Menschen auf 2n = 46 Chromosomen verteilt, so dass ein Chromosom durchschnittlich etwa 140 Mbp (= Megabasenpaare oder Millionen Basenpaare) und damit einen DNA-Faden von knapp 5 cm Länge mit etwas über 1000 Genen enthält. Chromosomen während der Kernteilung haben jedoch nur eine Länge von einigen Mikrometern (millionstel Metern). Sie sind demnach um einen Faktor von etwa 10000 verkürzt oder „kondensiert“. Auch im Interphasekern sind Chromosomen kaum länger. Die hier vorhandenen Chromosomenterritorien entstehen im Wesentlichen durch Dekondensation der Tochterchromatiden in die Breite. Während ein Tochterchromatid in der Metaphase einen Durchmesser von etwa 0,6 Mikrometern hat, kann ein Chromosomenterritorium einen Umfang einnehmen, der etwa seiner Länge entspricht. Chromosomenterritorien können jedoch sehr unregelmäßige Formen haben. Aus den angegebenen Zahlenwerten wird deutlich, dass Chromosomen auch während der Interphase stark kompaktiert, also aufgefaltet, sein müssen (siehe nächster Abschnitt).
Chromosom 1 als größtes menschliches Chromosom hat 249 Mbp, das kürzeste Chromosom 21 hat weniger als ein Fünftel davon, nämlich 47 Mbp. Die Gene sind zwischen den Chromosomen ungleichmäßig verteilt. Das relativ genreichste Chromosom 19 enthält auf 59 Mbp etwa 1500 kodierende Gene, während das genarme Chromosom 18 auf 80 Mbp nur etwa 640 enthält (siehe auch Abbildung „Genreiche und genarme Regionen“ oben). Am genärmsten ist jedoch das Y-Chromosom, das auf 57 Mbp nur 72 kodierende Gene enthält. (Stand der Angaben zu Größen und Gendichten in diesem Absatz: Dezember 2015)
Bei der Hausmaus (Mus musculus) sind die Unterschiede zwischen den Chromosomen kleiner. Das 3,5 Gbp große Genom mit 22.600 beschriebenen Genen ist verteilt auf 20 verschiedene Chromosomen (2n=40) mit 61 Mbp (Chromosom 19) bis 195 Mbp (Chromosom 1).
Die Länge der einzelnen Chromosomen bei anderen Säugern schwankt stark, in Abhängigkeit von der Anzahl. Einige haben wenige, große Chromosomen (z. B. der indische Muntjak, Muntjak muntjacus: 2n=6 beim Weibchen und 2n=7 beim Männchen; dem X-Chromosom entsprechen hier also zwei Y-Chromosomen), andere haben viele kleine (z. B. Nashorn, Diceros bicornis: 2n=84). Die genauen Längen (in Basenpaaren) sind jedoch erst bei einer kleinen Anzahl von Tieren bekannt.
Bei Eidechsen und Vögeln treten Chromosomen von extrem unterschiedlicher Größe auf (siehe Abbildung). Die Makrochromosomen ähneln dabei von der Größe her Säugerchromosomen. Das Chromosom 1 des Huhns (Gallus gallus) enthält beispielsweise 188 Mbp. Daneben gibt es aber auch viele Mikrochromosomen, deren Größe 1 Mbp noch unterschreiten kann. Der Übergang von Makro- zu Mikrochromosomen ist oft fließend, so dass die Abgrenzung beider Gruppen voneinander zum Teil unterschiedlich vorgenommen wird. Beim Huhn können die Makrochromosomen z. B. die Chromosomen 1–8 oder 1–10 umfassen. Für einen bildlichen Größenvergleich siehe Ensembl. Von dort sind auch die Größen in Mbp übernommen. Die Begriffe Makro- und Mikrochromosomen wurden von Theophilus S. Painter 1921 eingeführt, der die Spermatogenese in Eidechsen untersuchte.
Auch bei anderen Chordatieren wurden Mikrochromosomen nachgewiesen, etwa beim Lanzettfischchen (Branchiostoma, veraltet Amphioxus) und bei der Streifenköpfigen Bartagame (Pogona vitticeps), nicht aber bei den Theria (Beuteltiere und Plazentalier inkl. Mensch).
Molekularer Aufbau und Hierarchie der Verpackungsebenen
Im vorherigen Abschnitt wird dargelegt, dass die DNA sowohl während der Kernteilung als auch in der Interphase sehr stark aufgewickelt oder „kondensiert“ sein muss. Es ist jedoch noch weitgehend unklar, wie diese Verpackung organisiert ist. Eine wichtige Rolle spielen basische Strukturproteine, die Histone. DNA, Histone und weitere Proteine machen jeweils etwa ein Drittel der chromosomalen Masse aus. Diese wird auch als Chromatin bezeichnet. Die Verwendung des Begriffs Chromatin ist besonders für Beschreibungen des Zellkerns in der Interphase üblich, da hier einzelne Chromosomen nicht ohne spezielle Anfärbung (Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung) voneinander unterschieden werden können.
Auf der untersten Verpackungsebene ist der DNA-Faden in Nucleosomen aufgewickelt, welche acht Histonenmoleküle enthalten (siehe Abb., Unterabbildung 2). Nucleosomen haben einen Durchmesser von etwa 10 Nanometern (nm), daher spricht man hier auch von der 10-nm-Fiber. Deren Struktur wird oft mit einer Perlenkette verglichen, bei der der Faden allerdings um die Perlen herumgewickelt ist. In einem Nucleosom sind 146 Basenpaare der DNA aufgewickelt, hinzu kommt Linker-DNA zwischen den Nucleosomen. Die 10-nm-Fiber lässt sich im Elektronenmikroskop nachweisen, ebenso wie die nächsthöhere Verpackungsebene, die 30-nm-Fiber. Die interne Struktur der 30-nm-Fiber, also wie diese durch Auffalten aus der 10-nm-Fiber zusammengesetzt ist, ist jedoch ebenso unklar wie alle höheren Verpackungsebenen. Für letztere werden verschiedene Modelle diskutiert. Im Loop-Modell (von ) wird angenommen, dass die 30-nm-Fiber in großen Schlaufen verläuft, die an einer Art Rückgrat befestigt sind. Im Chromonema-Modell wird dagegen angenommen, dass sich die 30-nm-Fiber durch weiteres Auffalten verdickt und so Abschnitte von 120 nm und dicker entstehen. Wie die strukturelle Veränderung vom Interphasezustand zum Prophasechromosom vor sich geht, ist ebenfalls unklar. Beim Übergang der Prophasechromosomen zu den noch stärker kondensierten Metaphasechromosomen scheint Einigkeit darin zu bestehen, dass es sich hier um ein spiralförmiges Aufwickeln handelt.
Die Kondensation der Chromosomen bzw. des Chromatins ist innerhalb des Zellkerns nicht gleichmäßig. Manche Bereiche des Kerns werden durch DNA-Farbstoffe besonders stark gefärbt. Hier ist die Kondensation also besonders stark. Diese Bereiche werden als Heterochromatin bezeichnet, weniger stark gefärbte dagegen als Euchromatin. In den stärker kondensierten Bereichen ist die Genaktivität behindert bis blockiert, siehe Epigenetik.
Riesenchromosomen
Es sind zwei Arten von Riesenchromosomen bekannt, Polytänchromosomen und Lampenbürstenchromosomen.
Polytänchromosomen
Eine Besonderheit bezüglich des inneren chromosomalen Aufbaus stellen die Polytänchromosmen dar. Sie sind aus verschiedenen Insekten bekannt und besonders gut in der Fruchtfliege Drosophila melanogaster und in Zuckmücken Chironomus untersucht. Sie entstehen durch mehrere Runden von Verdopplung der DNA ohne anschließende Kernteilung (Endoreduplikation). Im Gegensatz zur „normalen“ Polyploidie sind in Polytänchromosomen die vielfach replizierten DNA-Fäden von beiden homologen Chromosomen (also der vom Vater und der von der Mutter vererbten Kopie) parallel angeordnet, ähnlich einem Kabelstrang. Alle Kopien eines Gens liegen daher nebeneinander.
Lampenbürstenchromosomen
Eine andere Form von sehr großen Chromosomen kommt in den Eizellen von Amphibien vor. Da sie vom mikroskopischen Bild her einer Flaschen- oder Lampenbürste ähneln, wurden sie Lampenbürstenchromosomen genannt.
Geschlechtsbestimmung durch Chromosomen und ihre Folgen
Während bei manchen Lebewesen die Geschlechtsbestimmung durch Umweltbedingungen wie die Temperatur während der Embryonalentwicklung erfolgt, wird das Geschlecht bei anderen durch die geerbten Chromosomen bestimmt: Sie haben ein chromosomales Geschlecht. Verschiedene Tiergruppen haben unterschiedliche Methoden der chromosomalen Geschlechtsbestimmung hervorgebracht, teilweise sind ähnliche Systeme unabhängig voneinander entwickelt worden. Bei den meisten Säugern und einigen anderen Tiergruppen haben Weibchen zwei X-Chromosomen, während Männchen ein X- und ein Y-Chromosom haben. Wenn wie im Säugermännchen zwei verschiedene Geschlechtschromosomen vorliegen, spricht man von Hemizygotie. Bei Vögeln haben Männchen zwei Z-Chromosomen, Weibchen sind mit einem Z- und einem W-Chromosom das hemizygote Geschlecht. Bei vielen Insekten aus der Gruppe der Hautflügler sind Weibchen diploid, die Männchen aber nur haploid.
Im hemizygoten Geschlecht liegen etliche Gene nur auf einem Chromosom vor. Bei einem Gendefekt kann dieser daher nicht durch ein intaktes Gen auf einem homologen Chromosom aufgefangen werden. Daher gibt es beim Menschen eine Reihe von Erbkrankheiten, die praktisch nur bei Männern auftreten. Die bekanntesten Beispiele sind eine Form der Bluterkrankheit, die Duchenne’sche Muskeldystrophie und die Rot-Grün-Blindheit.
Bei chromosomaler Geschlechtsbestimmung liegt in einem der Geschlechter ein Chromosom zweimal vor, das beim anderen nur einmal da ist. Um zu verhindern, dass hier auch doppelt so viel Genprodukt wie im anderen Geschlecht erzeugt wird, haben verschiedene Tiergruppen verschiedene Strategien zur „Dosiskompensation“ entwickelt (siehe Geschlechtschromosom, X-Inaktivierung und Geschlechts-Chromatin).
Chromosomenzahl
Karyotyp: Die Chromosomen eines Individuums
Alle verschiedenen Chromosomen, die in einem Individuum vorkommen, bilden zusammen den Karyotyp. In vielen Fällen (auch bei Säugern) finden sich im Karyotyp, abgesehen von den Geschlechtschromosomen im hemizygoten Geschlecht, immer zwei homologe Chromosomen, die als solche gleiche Gene tragen. Man spricht in diesen Fällen von einem zweifachen oder diploiden Chromosomensatz, der mit 2n abgekürzt wird. Bei sich geschlechtlich vermehrenden Organismen wird von beiden Elternteilen je einer vererbt.
Die Individuen einer Art und von gleichem Geschlecht haben normalerweise dieselbe Ausstattung an Chromosomen und somit den gleichen Karyotyp. Eine Ausnahme bilden hier sogenannte B-Chromosomen, die in manchen Arten vorkommen und bei verschiedenen Individuen und auch in verschiedenen Körperzellen in unterschiedlicher Anzahl vorhanden sein können.
Auch bei den regulären Chromosomen einer Art können zwischen den Geschlechtern Unterschiede hinsichtlich Form und – seltener – auch Anzahl von Chromosomen bestehen. Die Geschlechter haben dann einen verschiedenen Karyotyp (siehe oben, Geschlechtsbestimmung). Menschen zum Beispiel haben in beiden Geschlechtern 46 Chromosomen, doch ist das Y-Chromosom kleiner als das X-Chromosom. Als Karyotyp wird entsprechend 46,XX für Frauen und 46,XY für Männer angegeben. Karyotypen werden mit Hilfe von Karyogrammen bestimmt (siehe unten).
Weitergabe der Chromosomen an die nächste Generation
Um eine Zunahme der Chromosomenanzahl von Generation zu Generation bei der Befruchtung zu verhindern, muss eine Reduktion der Zahl an Chromosomen im Zellkern vor der Ausbildung reifer Keimzellen stattfinden. Dies ist als Reduktionsteilung ein Bestandteil der Meiose. Während der Meiose kommt es auch durch Crossing-over zu einer Rekombination der homologen Chromosomen. Dadurch entstehen genetisch neu zusammengesetzte Chromosomen, die sich von denen der Elternorganismen unterscheiden. Es unterliegt bei der Aufteilung dem Zufall, welche der rekombinierten Chromosomen gemeinsam einen einfachen Chromosomensatz im Zellkern der resultierenden haploiden Zellen bilden. Die vormals väterlicherseits und mütterlicherseits geerbten Chromosomenabschnitte kommen also im neuen haploiden Chromosomensatz von Keimzellen in unterschiedlichen Kombinationen zusammen.
Bei diploiden Tieren werden haploide Keimzellen erzeugt, Eizellen beziehungsweise Spermien. Die Keimzellen können verschmelzen und zur ersten Zelle eines neuen Lebewesens werden, der Zygote. Dabei wird aus den zwei einfachen Chromosomensätzen der beiden Vorkerne dann der zweifache Chromosomensatz im Zellkern. Bei der Hybridogenese tritt eine in wenigen Tierarten gefundene Abweichung von einer zufälligen Verteilung der Chromosomen auf.
Bei Pflanzen und Einzellern können sich haploide und diploide Generationen abwechseln (siehe Generationswechsel). Manchmal dauert der diploide Status nur sehr kurz und die haploide Generation herrscht vor.
Nicht-diploide Chromosomensätze
Gelegentlich findet sich die Auffassung, dass alle höheren Tiere und Pflanzen einen zweifachen Chromosomensatz hätten, also diploid seien. Dies ist jedoch nicht der Fall. Zwar sind die Mehrzahl der Tiere und viele Pflanzen diploid, es gibt jedoch auch etliche mit anderen Ploidiegraden.
Haploide Individuen kommen, wie oben erwähnt, beim Generationswechsel der Pflanzen vor. Außerdem kommen haploide Männchen bei etlichen Insektenarten (Haplodiploidie) und wohl auch bei einigen Milben vor. Auch ist ein Fall von haploiden weiblichen Tieren bekannt: Die Milbenart Brevipalpus phoenicis, ein Schädling tropischer Nutzpflanzen, besteht nur aus haploiden Weibchen, die sich parthenogenetisch vermehren. Einer Untersuchung zufolge sind es eigentlich genetische Männchen, die durch eine Infektion mit Bakterien zu Weibchen verändert werden. Verweiblichung durch Bakterieninfektion ist auch bei anderen Gliederfüßern bekannt, meist durch Wolbachia.
Bei manchen Arten kommen Chromosomensätze vor, die sich aus mehr als zwei einfachen zusammensetzen. Auch diese sind also nicht zweifach, diploid, sondern weisen höhere Ploidiegrade auf. Sie werden bei 3n als triploid, bei 4n als tetraploid, bei 6n als hexaploid etc. bezeichnet, oder allgemein als polyploid. Bei Pflanzen wird in der Regel die Anzahl an Chromosomen im haploiden Genom eines Organismus Grundzahl oder Basiszahl genannt und mit x bezeichnet. Stellt die Chromosomenzahl ein ganzzahliges Vielfaches der Grundzahl dar, so wird von Euploidie gesprochen. Diploide Pflanzen haben dann 2x Chromosomen, tetraploide 4x usw. Das Genom einer tetraploiden Pflanze beispielsweise mit der Grundzahl x = 7 hat dann 4x = 28 Chromosomen.
Tetraploidie ist nach Diploidie wohl der zweithäufigste Ploidiegrad. Er wurde bei vielen Blütenpflanzen, Insekten und auch bei Amphibien beobachtet. Tetraploidie kann zustande kommen, indem nach DNA-Replikation und Chromatidenverdopplung eine Zellteilung verhindert wird. Viele Nutzpflanzen, z. B. bei den Getreidesorten, entstanden durch Polyploidisierung aus diploiden Wildformen.
Bei Pflanzen kommen auch noch höhere Ploidiegrade vor. Sie können beispielsweise entstehen, wenn zwei Arten gekreuzt werden und die Kinder alle Chromosomen der Eltern behalten. Man spricht dann von Additionsbastarden. Hexaploid ist beispielsweise der moderne Saatweizen.
Triploide Individuen können entstehen, wenn sich diploide und tetraploide Individuen paaren. Dies ist möglich, wenn beide zu nahe verwandten Arten gehören. Allerdings werden triploide Individuen in der Regel steril sein, da der aus einer ungeraden Anzahl einfacher zusammengesetzte Chromosomensatz zu Schwierigkeiten bei der Paarung der Chromosomen während der Meiose führt. Ausnahmen, also fortpflanzungsfähige triploide Individuen, wurden bei den Amphibien entdeckt. Hier kommen manchmal Diploidie, Tetraploidie und auch Triploidie in nahe verwandten Arten oder in der gleichen Art nebeneinander vor. Beim Wasserfrosch wird einer der geerbten einfachen Chromosomensätze vor Eintritt in die Meiose gezielt eliminiert (siehe auch Teichfrosch). In Pakistan wurde eine lokal begrenzte, triploide Population der Wechselkröte gefunden, bei der dies ebenfalls festzustellen ist.
Zumindest theoretisch kann ein fließender Übergang beispielsweise von tetraploid zu diploid bestehen. In einem tetraploiden Lebewesen sind alle Chromosomenpaare doppelt vorhanden. Veränderungen an einem der beiden Paare, zum Beispiel der Verlust einzelner Gene, können daher toleriert werden. Auch können sich die Genkopien auf den beiden Paaren während der weiteren Evolution auseinanderentwickeln und verschiedene Funktionen übernehmen. Chromosomenmutationen (siehe unten) an nur einem der beiden Paare sind ebenfalls möglich. Kommen viele solche Veränderungen im Lauf der Zeit zusammen, so haben sich schließlich die ursprünglich gleichen Chromosomenpaare so weit auseinanderentwickelt, dass nicht mehr von vierfachen Chromosomensätzen gesprochen werden kann: Nun liegt wieder Diploidie vor. Für die frühe Entstehungsgeschichte der Wirbeltiere sind zwei Runden solcher Genomduplikationen vorgeschlagen worden („2R-Hypothese“), womit sich die heutigen diploiden Wirbeltiere aus ursprünglich oktaploiden (8n) Lebewesen entwickelt hätten. Dies würde erklären, warum beispielsweise die Hox-Gen-Cluster pro haploidem Genom der Wirbeltiere viermal vorkommen, bei anderen Tieren aber nur einmal.
Der Ploidiegrad einzelner Körperzellen eines Mehrzellers kann durchaus vom Ploidiegrad des Organismus abweichen. Das bekannteste Beispiel hierfür sind die Polytänchromosomen mancher Insekten (siehe oben). Aber auch für die Rattenleber wurden beispielsweise neben den vorherrschenden diploiden Zellen in seltenen Fällen auch haploide, triploide und tetraploide Zellen beschrieben. Tetraploidie entsteht leicht durch Verdopplung (Reduplikation) der Chromosomen ohne nachfolgende Kernteilung, also durch Endoreduplikation oder Endomitose. Über Haploidie sowie Triploidie bei Körperzellen von diploiden Organismen ist so selten berichtet worden, dass hier womöglich experimentelle Fehler oder Artefakte nicht auszuschließen sind. Der potentielle Entstehungsmechanismus ist ungeklärt. Hohe Ploidiegrade gehen mit entsprechend größeren Zellkernen einher. Aufgrund der größeren Menge an genetischem Material können so auch sehr große Körperzellen versorgt werden.
Karyogramm
Als Karyogramm bezeichnet man eine sortierte Darstellung der Chromosomen eines Metaphasepräparats. Diese Präparate werden erstellt, indem Zellkulturen mit einem Mittel versetzt werden, das die Bildung von Mikrotubuli verhindert, z. B. Colchizin oder Nocodazol. Dadurch kann sich kein Spindelapparat ausbilden, und die Zelle kann nicht in Anaphase gehen. Als Folge sammeln sich etliche Zellen in der Metaphase (siehe oben) an, und die Ausbeute wird entsprechend erhöht. Die Zellen werden hypoton behandelt, wodurch sie anschwellen, fixiert und auf einen Objektträger aufgetropft, wodurch die Metaphasechromosomen nebeneinander zu liegen kommen (siehe erste Abbildung oben). Die Chromosomen werden angefärbt, fotografiert und im Karyogramm der Größe nach angeordnet, so dass der Karyotyp bestimmt werden kann (siehe Abbildung rechts).
Karyogramme werden sowohl bei der Untersuchung der Karyotypen von Organismen als auch in der klinischen Anwendung bei Verdacht auf Chromosomenveränderungen eingesetzt.
Chromosomenmutationen
Dauerhafte Veränderungen an den Chromosomen können auftreten, wenn an mindestens zwei Stellen Brüche in der DNA-Doppelhelix auftreten. In den meisten Fällen werden DNA-Doppelstrangbrüche wieder korrekt repariert, so dass es nicht zu bleibenden Veränderungen kommt. Werden jedoch bei einer DNA-Reparatur von zwei verschiedenen Brüchen die falschen Enden zusammengefügt, so kommt es zu Chromosomenmutationen. Liegen die Bruchpunkte auf dem gleichen Chromosom, können Deletionen (Verlust eines Abschnitts) oder Inversionen (umdrehen) auftreten. Ein weiterer Mutationstyp innerhalb eines Chromosoms ist die Duplikation (Verdopplung eines Abschnitts). Sind die Doppelstrangbrüche auf verschiedenen Chromosomen, so kann es zu Translokationen kommen. Diese Phänomene werden in ihren eigenen Artikeln ausführlicher beschrieben.
Chromosomenmutationen spielen sowohl bei der Chromosomenevolution als auch im klinischen Bereich eine Rolle. Bezüglich der klinischen Bedeutung sind Erbkrankheiten (siehe auch unten), Tumorentstehung (z. B. das Philadelphia-Chromosom) und Strahlenbiologie zu nennen.
Von den genannten strukturellen Veränderungen sind zahlenmäßige Veränderungen zu unterscheiden, also ein zusätzliches oder ein fehlendes Chromosom. Diese werden nicht als Chromosomenmutation bezeichnet. Da nur ein einzelnes Chromosom betroffen ist, spricht man von Trisomie (nicht Triploidie) oder Monosomie (siehe Chromosomenaberration).
Chromosomenevolution
Als Chromosomenevolution wird die Veränderung von Chromosomen im Lauf der Evolution bezeichnet. Ähnlich wie an äußeren körperlichen Merkmalen oder an der Sequenz einzelner Gene lässt sich auch an den Chromosomen die Stammesgeschichte nachvollziehen. Beispielsweise sind die Chromosomen des Menschen (46 Stück) denen der großen Menschenaffen (Schimpansen, Gorillas und Orang-Utans, je 48 Chromosomen) sehr ähnlich. Es gibt innerhalb dieser Artengruppe nur zwei zwischen-chromosomale Umbauten. Spezifisch menschlich ist das Chromosom 2. Bei den anderen genannten Arten finden sich statt diesem zwei kleinere Chromosomen, die die entsprechenden Gensequenzen enthalten (siehe Abbildung). Gorilla-spezifisch ist dagegen eine Translokation zwischen jenen Chromosomen, die den menschlichen Chromosomen 5 und 17 entsprechen. Daraus ergibt sich der ursprüngliche Karyotyp der Gruppe mit 48 Chromosomen, so wie er heute noch bei Schimpansen und Orang-Utans vorhanden ist.
Eine evolutionär stabile Veränderung der Chromosomen ist nur möglich, wenn eine Chromosomenmutation in der Keimbahn auftritt. Eine „balancierte“ Veränderung, bei der alle Chromosomenabschnitte in der richtigen Anzahl vorhanden sind, hat dabei für den Träger zunächst keinen Krankheitswert. Es kommt jedoch zu Schwierigkeiten bei der Meiose. Die Veränderung tritt ja zunächst nur an jeweils einem Chromosom auf (bzw. an zweien bei Fusionen oder Translokationen), nicht aber an den jeweiligen homologen Chromosomen. Da also anders als sonst identisch aufgebaute Partner fehlen, kommt es nicht zu einer normalen meiotischen Paarung. Das Risiko für Segregationsfehler und daraus resultierende Keimzellen mit überzähligen oder fehlenden chromosomalen Abschnitten (und folglich kranken Kindern) steigt stark an. In den allermeisten Fällen werden solche Veränderungen daher in den Folgegenerationen wieder verlorengehen. Eine stabile Situation wird nur dann erreicht, wenn beide Kopien der beteiligten Chromosomen die entsprechende Veränderung tragen. Dies könnte beispielsweise geschehen, wenn ein dominantes Männchen mit einer Veränderung zahlreiche Kinder hat, die sich wiederum untereinander paaren, so dass Enkel mit der Veränderung auf beiden Kopien der beteiligten Chromosomen entstehen. Diese Nachkommen haben nun keinen Selektionsnachteil, wenn sie sich untereinander paaren. Bei der Paarung mit Individuen mit den ursprünglichen Chromosomen tritt jedoch bei entstehenden Kindern bedingt durch Segregationsfehler wiederum eine verminderte Fruchtbarkeit auf. Es wird daher vermutet, dass „fixierte“ Chromosomenveränderungen ein Mechanismus zur Artbildung sind.
Näher verwandte Arten oder Artgruppen müssen nicht immer ähnlichere Chromosomen haben als weiter entfernte Arten. Beispielsweise ähneln Chromosomen der großen Menschenaffen einschließlich des Menschen sehr stark denen von Makaken (Macaca fuscata). Die Chromosomen der näher verwandten kleinen Menschenaffen (Gibbons) unterscheiden sich jedoch sowohl von denen der großen Menschenaffen als auch denen der Makaken sehr stark. Durch zahlreiche Umbauten sind nur fünf der Gibbon-Chromosomen auf ihrer ganzen Länge (nur) einem menschlichen Chromosom homolog. Offensichtlich gehen also evolutionäre Veränderungen im Karyotyp in manchen Gruppen (z. B. den Gibbons) sehr viel schneller voran als in anderen (Makaken, große Menschenaffen). Es wird vermutet, dass dies nicht an einer höheren Mutationsrate liegt, sondern an einer häufigeren Fixierung von aufgetretenen Veränderungen. Eine Ursache hierfür könnten unterschiedliche Lebensstile bzw. Sozialverhalten sein. Gibbons leben in kleinen Gruppen, in denen sich Chromosomenveränderungen schneller durchsetzen könnten als in großen Herden. Bei Gibbons finden sich chromosomale Polymorphismen (Unterschiede) im Karyotyp von untersuchten Tieren der gleichen Art, die darauf hindeuten, dass die schnelle Chromosomenevolution in dieser Tiergruppe nach wie vor anhält. Die verhältnismäßig große Anzahl der Polymorphismen deutet allerdings auch darauf hin, dass der selektive Nachteil von Mischformen möglicherweise geringer ist als ursprünglich gedacht.
Chromosomen beim Menschen
Menschen haben 46 Chromosomen, davon 2 Geschlechtschromosomen oder Gonosomen (XX bei Frauen, XY bei Männern, siehe oben: Geschlechtsbestimmung). Die Chromosomen der übrigen 22 Chromosomenpaare werden als Autosomen bezeichnet. Die Autosomen wurden ihrer Größe im mikroskopischen Präparat entsprechend von 1 bis 22 durchnummeriert. Menschen sind wie andere Säugetiere diploid, eine Zelle hat also einen doppelten Chromosomensatz: Es sind je zwei Exemplare der Chromosomen 1 bis 22 vorhanden, dazu die beiden Geschlechtschromosomen.
Eigenschaften der Geschlechtschromosomen
Obwohl sich das X-Chromosom mit 155 Megabasen und das Y-Chromosom mit 59 Megabasen in ihrer Größe stark unterscheiden, haben sie auch Gemeinsamkeiten. An beiden Enden enthalten sie Regionen, in denen sich die DNA-Sequenz zwischen X- und Y-Chromosom stark ähnelt, die pseudoautosomale Regionen (PAR). In den PAR befinden sich mehrere Gene, die also in beiden Geschlechtern doppelt vorhanden sind, und die auch nicht der X-Inaktivierung unterliegen. In diesen Regionen ist während der Meiose eine Rekombination zwischen X- und Y-Chromosom möglich.
Auch in nicht rekombinierenden Regionen des Y-Chromosoms haben etwa die Hälfte der Gene Entsprechungen auf dem X-Chromosom. Dies sind vor allem Gene des Grundstoffwechsels. Zwei der Gene, die auch auf dem X-Chromosom vorkommen, sind nur im Hoden aktiv. Die übrigen Gene ohne Entsprechung auf dem X-Chromosom sind ebenfalls nur im Hoden aktiv, bestimmen das männliche Geschlecht und steuern die Spermien-Produktion. Ein Verlust eines Stückes des langen Armes nahe dem Zentromer führt zu Kleinwuchs.
Genom- und Chromosomenmutationen mit klinischer Bedeutung
Durch Chromosomenaberrationen, also Chromosomenmutationen, Chromosomeninstabilität, Chromosomenbrüche oder eine andere Anzahl von Chromosomen (numerische Chromosomenaberration oder Genommutation), kann es zu klinischen Syndromen mit zum Teil schwerwiegender Symptomatik kommen.
Eine Zuordnung der Krankheitsbilder zu entweder Chromosomenmutationen oder numerischen Chromosomenaberration ist nicht immer möglich. So wird z. B. das Down-Syndrom in den meisten Fällen durch ein zusätzliches, komplettes Chromosom 21 verursacht (freie Trisomie). Etwa 3 % der Fälle beruhen jedoch auf Translokationen, bei denen ein Teil des Chromosoms 21 an ein anderes Chromosom fusioniert ist. Nur dieser Teil ist dann dreifach vorhanden. Die folgenden Syndrome sind meist in ihren jeweils eigenen Artikeln ausführlich behandelt und hier nur übersichtsartig dargestellt.
Autosomale Trisomien
Freie Trisomien bei Lebendgeborenen sind bei den Autosomen nur für die Chromosomen 21, 18 und 13 bekannt. Alle drei gehören zu den genarmen Chromosomen (vergleiche zweite Abbildung im Abschnitt G-, R- und andere Chromosomenbanden oben). Daraus lässt sich schließen, dass freie Trisomien der anderen Autosomen mit dem Leben unvereinbar sind.
Down-Syndrom oder Trisomie 21 (dreifaches/trisomes Vorliegen von Erbmaterial des Chromosoms 21 in allen oder einigen Körperzellen). Vorkommen: 1 Fall auf 600–800 Neugeborene. Wichtige Symptome sind u. a. Herzfehler und Intelligenzminderung. Während früher die meisten Betroffenen im Kindesalter an Infektionskrankheiten starben, liegt die durchschnittliche Lebenserwartung heute bei über 60 Jahren.
Edwards-Syndrom oder Trisomie 18 (dreifaches/trisomes Vorliegen von Erbmaterial des Chromosoms 18 in allen oder einigen Körperzellen). Vorkommen: 1 Fall auf 2.500 Neugeborene. Organfehlbildungen sind vielfältig, u. a. Herzfehler und Nierenmissbildungen. Schwere Intelligenzminderung (keine Sprache), das Erwachsenenalter wird nur ausnahmsweise erreicht.
Pätau-Syndrom oder Trisomie 13 (dreifaches/trisomes Vorliegen von Erbmaterial des Chromosoms 13 in allen oder einigen Körperzellen). Vorkommen: 1 Fall auf 6.000 Neugeborene. Häufige Symptome sind u. a. Herzfehler, Lippen-Kiefer-Gaumenspalten, Polydaktylie (Vielfingerigkeit) und schwere Intelligenzdefekte. Das Erwachsenenalter wird nur ausnahmsweise erreicht.
Trisomie 8 (dreifaches/trisomes Vorliegen von Erbmaterial des Chromosoms 8 in einigen Körperzellen). Häufige Symptome sind u. a. tiefe Hand- und Fußlinien, Wirbelmissbildungen, Neuralrohrfehlbildungen (häufig Spina bifida aperta) und Großwuchs.
Abweichungen bei der Zahl der Geschlechtschromosomen
Ullrich-Turner-Syndrom (45,X). Fehlendes zweites Geschlechtschromosom. Vorkommen: 1 Fall auf 3.000 Neugeborene. Frauen mit diesem Syndrom haben unterentwickelte weibliche Geschlechtsmerkmale, eine kleine Statur, einen tiefen Haaransatz, eine ungewöhnliche Augen- und Knochenentwicklung, eine Trichterbrust und sind meist unfruchtbar. Die Intelligenz ist normal ausgeprägt, manchmal sind räumliches Vorstellungsvermögen oder mathematische Fähigkeiten unterdurchschnittlich.
Triplo-X-Syndrom (47,XXX). Das Triplo-X-Syndrom ist die klinisch unauffälligste Chromosomenaberration. Vermutlich werden viele Fälle nie festgestellt. Intelligenz ist meist niedriger als bei Geschwistern. Die Fruchtbarkeit kann leicht herabgesetzt sein. Die Nachkommen zeigen eine kaum erhöhte Rate von Chromosomenaberrationen.
48,XXXX und 49,XXXXX. Mit zunehmender Zahl der X-Chromosomen sinken die Intelligenz und die Fruchtbarkeit.
Klinefelter-Syndrom (fast immer 47,XXY; selten 48,XXXY oder 49,XXXXY). 1 Fall auf 1.000 männliche Neugeborene. Männer mit diesem Syndrom sind oft unfruchtbar, groß, haben ungewöhnlich lange Arme und Beine, eine Tendenz zur Ausbildung von Brüsten (Pseudo-Gynäkomastie) und eine reduzierte Körperbehaarung. Der Intelligenzquotient liegt durchschnittlich um 10 niedriger als bei Geschwistern.
XYY-Syndrom (47,XYY). Männer mit diesem Syndrom sind meist phänotypisch unauffällig und werden zufällig diagnostiziert. Die Lebenserwartung ist nicht eingeschränkt, die Fruchtbarkeit fast normal, sie sind durchschnittlich 10 cm größer als ihre Brüder und die Intelligenz im Vergleich zu Geschwistern leicht vermindert. Vereinzelt können mit der Chromosomenaberration assoziierte Störungen wie Hodenhochstand vorkommen.
Höhergradige Y-Polysomien: 48,XXYY Männer sind ähnlich den XYY Männern, jedoch unfruchtbar und mit Tendenz zu geringerer Intelligenz. Letztere verstärkt sich bei 48,XYYY und den sehr seltenen 49,XYYYY Männern. Auch treten Organfehlbildungen auf.
Markerchromosomen
Markerchromosomen sind alle nicht ohne weiteres definierbaren Chromosomen, die zusätzlich zu den normalen Chromosomen auftreten. Sie bestehen aus Material der normalen Chromosomen, sind aber meist klein, so dass eine Identifizierung durch G-Bänderung (siehe oben) nicht möglich ist. Diese kann mit hochauflösender Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung erreicht werden.
Deletionen auf Autosomen
Monosomien von Autosomen kommen nicht vor. Die damit einhergehenden Schäden sind offenbar mit dem Leben unvereinbar. Es gibt jedoch eine Vielzahl unterschiedlicher Deletionen von Teilstücken eines Autosoms, die teilweise nur aus wenigen klinischen Fällen bekannt sind. Die folgende Liste ist daher nicht vollständig und umfasst nur die bekanntesten Beispiele.
Obwohl noch nicht lange bekannt, ist eine Deletion des Endes des kurzen Arms von Chromosom 1 vermutlich die häufigste Deletion (1 Fall auf 5.000–10.000 Neugeborene). Die Symptome sind wenig einheitlich, meistens liegt schwere geistige Behinderung vor.
Das Cri-du-chat-Syndrom (Katzenschrei-Syndrom) wird durch Deletion des Endes des kurzen Arms von Chromosom 5 verursacht. Sie wurde als erste autosomale Deletion 1963 beschrieben. Die Häufigkeit liegt etwa bei einem Fall auf 50.000 Neugeborene. Im frühen Kindesalter fallen die Kinder durch ein hohes Schreien auf, das an das Schreien von Katzen erinnert und das durch Fehlbildungen des Kehlkopfs bedingt wird. Sie haben weit auseinander liegende Augen (Hypertelorismus), einen kleinen Kopf (Mikrozephalie) und Kiefer und sind in ihrer Intelligenz gemindert. Da innere Organe meist nicht betroffen sind, sind die Überlebenschancen vergleichsweise gut.
Das Wolf-Hirschhorn-Syndrom wird durch Deletion des Endes des kurzen Arms von Chromosom 4 hervorgerufen. Die Häufigkeit liegt ebenfalls bei etwa einem Fall auf 50.000 Neugeborene. Betroffene sind kognitiv meist schwer beeinträchtigt und haben Wachstumsstörungen. Weniger als die Hälfte der Kinder überleben die ersten 18 Monate.
Das De-Grouchy-Syndrom kommt in zwei Varianten vor, die durch Deletionen der verschiedenen Arme des Chromosoms 18 verursacht werden.
Weitere Beispiele sind das Williams-Beuren-Syndrom (7q11.23) und das Smith-Magenis-Syndrom (17p11.2 – Häufigkeit zwischen 1:15.000 bis 1:25.000 Geburten angegeben).
Eine Besonderheit stellen Deletionen der Region 15q11.2-q12 dar. Diese Region unterliegt einer epigenetischen Regulation, dem „Imprinting“: Je nachdem, ob diese Region vom Vater oder von der Mutter vererbt wurde, sind bestimmte Gene aktiv oder inaktiv. Normalerweise sind beide Fälle jeweils einmal vorhanden. Fehlt jedoch einer der beiden, z. B. durch Deletion, so unterscheiden sich die Krankheitsbilder, je nachdem ob eine von der Mutter vererbte (Angelman-Syndrom) oder eine vom Vater vererbte (Prader-Willi-Syndrom) Region fehlt.
Der ICD-10-Code O35.1 wird bei der Betreuung einer werdenden Mutter bei (Verdacht auf) Chromosomenbesonderheit beim ungeborenen Kind angegeben.
Prokaryotische und virale „Chromosomen“
Die prokaryotischen Lebewesen, also Bakterien und Archaeen, besitzen keinen Zellkern und haben auch keine Chromosomen im klassischen Sinn. Träger der Erbinformation sind hier ein oder mehrere zumeist zirkuläre DNA-Moleküle, die gelegentlich als Bakterienchromosom bezeichnet werden.
In den Mitochondrien und Chloroplasten der Eukaryoten ist die DNA ebenfalls üblicherweise ringförmig und ähnelt einem Bakterienchromosom (vgl. Endosymbiontentheorie). Ihre DNA wird gelegentlich formal als zusätzliches, nicht-nukleäres Chromosom geführt und Chondriom beziehungsweise Plastom genannt. Die Verpackung der langen DNA-Moleküle auf kleinsten Raum erfolgt bei Archaeen ähnlich (homolog) zum Zellkern der Eukaryoten, bei Bakterien dagegen ähnlich zu den Organellen derselben (siehe Endosymbiontentheorie).
Auch bei Viren, deren Genom aus einem oder mehreren Nukleinsäuremolekülen (DNA oder RNA) besteht, werden diese Segmente gelegentlich als Chromosom bezeichnet. Beispielsweise besteht das RNA-Genom von Influenza-A-Viren aus acht solchen Segmenten (Chromosomen).
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Weblinks
Lexikon der Biologie: Chromosomen
Chromosomen; Chromosomentheorie (Teil II)
Chromosomenstrukturen und strukturelle Veränderungen der Chromosomen
Feinbau der Chromosomen
Miniaturbildübersicht Chromosomen
Morphologie menschlicher Chromosomen
Chromosomenzahlen zur Flora von Deutschland
Einzelnachweise
Siehe auch
Genkopplung
Nukleinsäure
Entwicklungsbiologie
Genetik
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Q37748
| 728.823258 |
749832
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zytogenetik
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Zytogenetik
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Die Zytogenetik (auch Cytogenetik, Zellgenetik) ist das Teilgebiet der Genetik, das die Chromosomen vorwiegend mit dem Lichtmikroskop analysiert. Untersucht werden Anzahl, Gestalt, Struktur und Funktion der Chromosomen, denn die DNA eines Chromosomensatzes im Zellkern enthält den größten Teil der Erbinformation (des Genoms) eines Lebewesens. Anomalien der Chromosomen versucht man mit deren phänotypischer Auswirkung zu verbinden.
Chromosomen erfassen
Sowohl während der Meiose in Prophase 1 (Zygotän, Pachytän, Diplotän, Diakinese), Metaphase 1 und Metaphase 2, als auch während der mitotischen (Pro-)Metaphase lassen sich Chromosomen individuell erkennen und der Karyotyp erstellen. Nach Endoreplikation sind vergrößerte Chromosomen in Endometaphasen und während des ganzen Zellzyklus als Polytänchromosomen sichtbar. Der DNA-Gehalt eines Chromosomensatzes erschließt die Genomgröße eines Organismus, zeigt das Ausmaß von eventueller Endoreplikation und lässt auch selektive Endoreplikation ermessen.
Die Länge eines stabil vererbbaren Chromosomen-Armes ist durch die Ausdehnung der Spindelachse in der Anaphase begrenzt. Deswegen sind die Elemente eines Karyotyps als Kompartimente eines großen Genoms zu verstehen. Frühe Versuche, ihre Anzahl beim Menschen zu bestimmen, ergaben 46 bis 48 Chromosomen; lediglich über das XX/XY-System der Geschlechtsbestimmung war man sich einig. Reproduzierbare Analysen in den 1950er-Jahren verschafften der normalen menschlichen Karyotyp-Formel 2n = 46 allgemeine Anerkennung.
Forschungsgeschichte
Theodor Boveri und Walter Sutton entwickelten unabhängig voneinander die Chromosomentheorie der Vererbung. Sie besagt kurzgefasst: Individuelle Chromosomen enthalten unterschiedliche Erbfaktoren (Gene). Die polare Auftrennung der homologen Chromosomen eines Bivalentes erfolgt in der Meiose zufällig und unabhängig von der anderer Bivalente. Entsprechend zufällig werden die Gene der Bivalente verteilt. Dies entspricht den Regeln von Gregor Mendel. Innerhalb der einzelnen Chromosomen sind die Gene jedoch „gekoppelt“.
Methoden
Der Erfolg der Zytogenetik hing von der Einsicht ab, dass man Gewebe nicht mit dem Mikrotom zerschneiden durfte, sondern deren Zellen in hypotonischer Lösung mit feinen Nadeln möglichst voneinander trennen sollte. Sanftes Quetschen drückt die Chromosomen in eine Ebene. Farbstoffe wie Karmin, Orcein oder das Giemsa-Gemisch machen Chromosomen zu Farbkörpern, um sie vom Zytoplasma abzuheben. Besonders deutlich gelingt dies mit der Feulgenreaktion (Feulgen-Prozedur), weil sie spezifisch die chromosomale DNA (Kern-DNA) anfärbt.
In der pathologischen Routine werden Schnittpräparate menschlicher Gewebe begutachtet. Um für zytogenetische Probleme eine Fraktion unverletzter mitotischer Zellkerne zu erhalten, ist das Mikrotom auf 15 μm Schnittdicke einzustellen.
Induzierte Bänderung
Die klassischen Methoden erlaubten jedoch nicht, die menschlichen (Metaphase-)Chromosomen zweifelsfrei zu unterscheiden. Dies gelang erst durch besondere Bänderungstechniken an Nicht-Interphasekernen. So ruft der fluoreszierender Farbstoff (Fluorochrom) Quinacrin ein Bandenmuster hervor, das die einzelnen Chromosomenpaare identifiziert. Charakteristische Bandenmuster entstehen auch, wenn die DNA in den Chromosomen etwas denaturiert wird. Ein genormtes Kürzelsystem bezeichnet jeden Abschnitt der technisch gebänderten Chromosomen. Das p steht für (franz. klein) und bezeichnet den kurzen Arm eines Chromosoms. Für den langen Arm wählte man den nachfolgenden Buchstaben q. So können nicht nur anomale Chromosomenzahlen (wie Trisomie 21) festgestellt, sondern auch strukturelle Chromosomenänderungen (Deletionen, Duplikationen, Translokationen) erfasst werden.
Genaktivität und Replikation
Um die Interphase im Zellzyklus zu studieren, bot man lebenden Zellen radioaktiv markierte Moleküle an. Einbau von 3H-Uridin, spezifisch für RNA, wies die Genexpression aktiver Chromosomenorte nach. Einbau von 3H-Thymidin, spezifisch für DNA, zeigte die chromosomale DNA-Synthese in der S-Phase. Als Betastrahlung hinterließen Elektronen jeweils ihre Spuren als Autoradiografie in einem den Zellen aufgelegten Film.
In späteren Replikationsanalysen ersetzte Bromdesoxyuridin das radioaktiv markierte Thymidin.
Fortgeschrittene Gentechnik machte auch bei Fragen zur Genaktivität radioaktive Substanzen überflüssig. Dabei verlagert sich der Nachweis von der Transkriptionsebene (RNA-Synthese) auf die vollendete Translation: Ort und Zeit der Aktivierung eines genspezifischen Promotors werden durch das vom Reportergen hervorgerufene Protein angezeigt. Als Voraussetzung muss die DNA-Sequenz des Reportergens hinter die Promotorsequenz des zu untersuchenden Gens gehängt werden. Mit diesem DNA-Konstrukt wird ein Organismus transformiert. Beliebt ist das Reportergen, welches das Grün fluoreszierende Protein (GFP) kodiert. Mit diesem System kann man Genexpression in Zellen, Geweben und Organen verfolgen.
Restriktionsenzyme
Die Isolierung zahlreicher DNA-Restriktasen bedeutete für die Zytogenetik und für die Genetik allgemein einen revolutionären, nachhaltigen Durchbruch. Diese meist aus Bakterien gewonnenen Enzyme sind molekulare Scheren: Sie zerschneiden DNA an kurzen, definierten Basensequenzen. Die Restriktasen und die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) sind die beiden Pfeiler der modernen molekularen Genetik und Gentechnik. Sie ermöglichen, ganze Genome zu sequenzieren oder verschiedene Arten der Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) durchzuführen. Für letztere werden DNA- oder RNA-Proben mit Fluorochromen markiert und auf komplementäre DNA-Sequenzen der angepeilten Chromosomen hybridisiert. Zur Diagnose ist ein Fluoreszenzmikroskop erforderlich.
Mit FISH bemalte Chromosomen
Für das „Bemalen“ werden gleichzeitig mehrere Sonden (), mit unterschiedlichen Fluorochromen markiert, auf Metaphasen hybridisiert. So erhält jedes Chromosomenpaar im Karyotyp durch das Chromosome painting einen eigenen Farbton. Zu diesem Zweck gibt es zwei Verfahren.
Mehrfarben (multiplex) Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (M-FISH). Von einer mit verschiedenen Fluorochromen dekorierten Metaphase werden entsprechend viele Digitalbilder aufgenommen. Ein Computerprogramm analysiert die Originalaufnahmen und vereinigt sie in einem einzigen Bild, das die Chromosomenpaare in gut unterscheidbaren Falschfarben darstellt. Die Methode ist auch bestens geeignet, Chromosomenmutationen in Interphase-Zellkernen darzustellen (Bild: Interphasen-Zytogenetik).
Spectral karyotyping (SKY). Diese Art des Chromosome painting erfordert leistungsstarke Rechner. Denn von jedem Pixel des Digitalbildes werden zwei Teilstrahlen hergestellt, welche mittels Interferometer mit Gangunterschied zur Interferenz gebracht werden. Eine Fourier-Transformation liefert aus dem Interferogramm genaue Daten über das ursprüngliche Fluoreszentspektrum. Von diesem erzeugt ein nachgeschaltetes Computerprogramm wiederum gut unterscheidbare Falschfarben für die einzelnen Chromosomenpaare im Karyotyp. Als Fourier-Spektroskopie bietet SKY gegenüber M-FISH den Vorteil größerer Abstände zwischen chromosomalen Signalen und Rauschen.
Duale Hybridisierung
Die Chromogene in-situ Hybridisierung (CISH, auch: Duale ISH) ist eine günstige Alternative für FISH. Sie wird angewendet bei der Suche nach einer bestimmten Mutation auf einem bestimmten Chromosom. Gegenüber FISH bietet CISH mehrere Vorteile: Verwendung von zwei stabilen, absorbierenden Farben, die nicht bleichen; Diagnose am Hellfeld-Mikroskop, damit schneller und billiger. Fragestellung bei Brustkrebs und anderen soliden Tumoren: Ist das Gen HER2 auf Chromosom 17q12 für den Rezeptor 2 des humanen epidermalen Wachstumsfaktors amplifiziert? Dazu wird die HER2-DNA-Probe mit der ersten Farbe hybridisiert, und zwar auf einen Zellkern in Interphase. Mit zweiter Farbe wird gleichzeitig CEN-17 als Referenz-DNA für das Zentromer in Chromosom 17 hybridisiert. Das Verhältnis 2 oder größer bedeutet HER2-Amplifikation, verbunden mit schlechter medizinischer Prognose.
Genome im Vergleich
Comparative Genomic Hybridisation (CGH) entdeckt quantitative Sequenzänderungen in einem Genom empfindlicher als FISH. Für die CGH wird die DNA aus Zellen, die untersucht werden sollen, mit einem ersten Fluorochrom markiert. Ebenso markiert man DNA aus normalen Zellen mit einem zweiten Fluorochrom unterschiedlicher Emissionswellenlänge. In gleichen Mengen werden Proben-DNA und Referenz-DNA gleichzeitig auf gespreitete, normale Metaphasen hybridisiert. „Normal“ bedeutet einen, soweit bekannt, gesunden Organismus als Spender. Bei der CGH „streiten“ (kompetitieren) die beiden DNAs um dieselben Bindungsstellen in den Ziel-Chromosomen. Entlang der Metaphase-Chromosomen wird die komplexe Fluoreszenz gemessen. Stimmen beide DNA-Proben überein, ist ihr Verhältnis 1,0. Das erste Fluorochrom (an die Proben-DNA gebunden) ergibt bei Duplikationen in einem Chromosom den Wert 1,5. Sind beide homologen Chromosomen an derselben Stelle verdoppelt, ist der den Wert 2,0. Bei Deletionen in einem Chromosom (Verlust der Heterozygotie) ist der Wert 0,5. Sind beide homologen Chromosomen deletiert, ist der Wert 0,0 (kein Signal vom ersten Fluorochrom). Die molekulare Zytogenetik, auch die CGH, kann einen einzelnen Zellkern analysieren oder die DNA-Unterschiede der beiden geschlechtsgekoppelten Chromosomen offenbaren.
Zellkerne und Zahlen
Simples Zählen
Die Anzahl mitotischer oder meiotischer Chromosomen ist für eine Art und ihre Individuen konstant: „Die Geschlechtszellen (Eier oder Spermatozoën) eines Organismus enthalten halb so viele Chromosomen als die erste Embryonalzelle, aus welcher dieser Organismus entstanden ist.“ Diese Zahlenkonstanz ist ein Artmerkmal. Die einfache (haploide) Anzahl n wird in der Regel von 2n Chromosomen einer mitotischen Metaphase abgeleitet. Denn in den tatsächlich haploiden Kernen der Geschlechtszellen sind die Chromosomen nicht unmittelbar zu zählen. Allerdings zeigt Meiose I, wenn die Bivalente durch Chiasmata paaren, 1n Chromosomen.
Längen messen
„Die Chromosomen sind grundsätzlich bilaterale symmetrische oder asymmetrische Gebilde.“ Dieser Satz inspirierte zu vielen Messungen, um die Länge von Chromosomen sowie das Verhältnis ihrer kurzen zu ihren langen Armen zu bestimmen. So klassifiziert die Lage des Kinetochors ein symmetrisches Chromosom als metazentrisch und ein asymmetrisches als submetazentrisch, subtelozentrisch oder akrozentrisch. Ebenso ist die Lage einer sekundären Einschnürung als Nukleolusorganisatorregion numerisch zu definieren. Solche Längenmessungen erlauben, die Identität eines Chromosoms in einem Karyotyp mit relativ wenigen Elementen zu diagnostizieren.
Zellkerne wiegen
Mikrofotometrie (auch Fotomikrometrie, Mikroskopfotometrie oder Zytometrie). Diese Technik wird vorwiegend dazu verwendet, den DNA-Gehalt von ganzen Zellkernen und auch ihrer Chromosomen zu bestimmen. Am praktikabelsten erwies sich die Arbeit im sichtbaren Spektrum. Nachdem die Kern-DNA mit der Feulgen-Prozedur gefärbt ist, wird im Absorptionsmaximum (560 nm) gemessen. Um die resultierenden Absorptionseinheiten in Pikogramm (pg) oder Megabasenpaaren (Mbp) umzurechnen, sind nebenher Referenzkerne mit bekanntem DNA-Gehalt zu registrieren. Das Verfahren ist zeitaufwändig. Es erfordert sorgfältige Präparation auf gläsernen Objektträgern (engl. slide based microphotometry), bietet aber den Vorteil, Messungen wiederholen und zusammenhängende Gewebeteile und Zelltypen beurteilen zu können. Eine Pionierarbeit definierte den Wert 1 C als DNA-Gehalt des (haploiden) Genoms einer Art.
Durchflusszytometrie (auch Impulszytofotometrie). Für dieses Verfahren wird der Zellverband eines Gewebes gänzlich aufgelöst, die Zellen oder ihre Kerne meist mit Fluorochromen gefärbt. Es bietet den Vorteil, in kurzer Zeit große Stichproben zu analysieren.
Literatur
Monographien
Peter S. Harper: First Years of Human Chromosomes: The Beginnings of Human Cytogenetics. Cold Spring Harbor Laboratory Press, Cold Spring Harbor 2006. ISBN 1-904842-24-0.
Walter Nagl: Chromosomen: Organisation, Funktion und Evolution des Chromatins. Parey, Berlin 2.1980. ISBN 3-489-60234-X.
Michael Schmid, Indrajit Nanda (Hrsg.): Chromosomes today, volume 14. Springer, Berlin 2004. ISBN 978-94-017-1033-6 (E-Book); ISBN 978-1-4020-0091-1 (Hardcover); ISBN 978-90-481-5855-3 (Softcover).
Jürgen Schulz-Schaeffer: Cytogenetics: Plants, Animals, Humans. Reprint der Erstauflage 1980; Springer, New York 2011. ISBN 978-1-4612-6062-2.
Adrian T. Sumner: Chromosomes: Organization and function. Blackwell Science, Oxford 2003. ISBN 0-632-05407-7.
Eeva Therman, Millard Susman: Human chromosomes: Structure, behavior, and effects. Springer, Berlin, New York 3.1993. ISBN 3-540-97871-2, ISBN 0-387-97871-2.
Michael Theile, Siegfried Scherneck: Zellgenetik. Akademie-Verlag, Berlin 1978. ISBN 3-528-06836-1.
Walther Traut: Chromosomen: Klassische und molekulare Cytogenetik. Springer, Berlin 1991. ISBN 3-540-53319-2.
Michael James Denham White: The Chromosomes. Chapman & Hall, London, 6.1973. ISBN 0-412-11930-7.
Zeitschriften
Chromosoma. Biology of the Nucleus. (Druck), (Online).
Chromosome Research. High quality papers on all aspects of chromosome and nuclear biology. (Druck), (Online).
Cytogenetic and Genome Research. (Druck), (Online).
Cytogenetics. Hrsg. unter anderem von Klaus Bayreuther.
Human Genetics. (Druck), (Online).
Weblinks
Links zum Chromosome painting: feedforbiotech.blogspot.de, mun.ca
Durchflusszytometrie, Beispiel Kiel
Einzelnachweise
Genetik
Zellbiologie
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Q246128
| 128.551809 |
2219
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hirse
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Hirse
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Hirse ist eine Sammelbezeichnung für kleinfrüchtiges Spelzgetreide mit 10–12 Gattungen. Sie gehören zur Familie der Süßgräser (Poaceae). Der früher auch männlich gebrauchte Name Hirse stammt aus dem Altgermanischen (ahd. hirsa neben hirsi und hirso) und ist von einem indogermanischen Wort für „Sättigung, Nährung, Nahrhaftigkeit“ abgeleitet (vgl. die römische Göttin des Ackerbaus und der Fruchtbarkeit Ceres). Hirse diente bereits vor 8000 Jahren dazu, ungesäuertes Fladenbrot herzustellen. In China wird Rispenhirse seit mindestens 4000 Jahren landwirtschaftlich genutzt. Die Rispenhirse oder Echte Hirse (Panicum miliaceum) wurde früher auch in Europa als Nahrungsmittel angebaut.
Hirsen sind, wie Mais, wärme- und lichtliebende C4-Pflanzen.
Alle Hirsearten können nach der Beschaffenheit der Körner in zwei Hauptgruppen eingeteilt werden:
Sorghumhirsen (Sorghum) mit deutlich größeren Körnern und damit auch höheren Hektarerträgen (14–17 dt/ha).
Millethirsen (Paniceae, auch Echte Hirsen oder Kleine Hirsen genannt). Zu diesen gehören die meisten Gattungen, z. B. Rispenhirse (Panicum), Kolbenhirse (Setaria), Perlhirse (Pennisetum), Fingerhirse (Eleusine) und Teff (Eragrostis). Die Körner dieser Gattungen sind recht klein, die Erträge entsprechend gering (ca. 7–9 dt/ha). Der Begriff „Millet“ wird überwiegend in der englischen und französischen Sprache verwendet. In Afrika spricht man häufig auch von Milo oder Milocorn.
Genutzte Arten
Zu den kultivierten und genutzten Hirsen zählen folgende Arten:
Unterfamilie Panicoideae: Tribus Andropogoneae:
Sorghum
Sorghumhirse, Milocorn, Milo (Sorghum bicolor (L.) Moench) einschließlich Zuckerhirse
Sudangras (Sorghum × drummondii (Steud.) Millsp. & Chase)
Coix
Hiobsträne (Coix lacryma-jobi L.)
ebenfalls Unterfamilie Panicoideae: Tribus Paniceae:
Panicum
Rispenhirse, Braunhirse (Panicum miliaceum L.)
Sowihirse (auch sauwi, Panicum hirticaule J.Presl, syn.Panicum sonorum Beal). Wild gesammelt und zur Subsistenzlandwirtschaft kultiviert im südwestlichen Nordamerika, bis Mexiko.
Kutkihirse (Panicum sumatrense Roth)
Rutenhirse (Panicum virgatum L.)
Afezu, Merkba (Panicum turgidum Forssk.), (Panicum laetum Kunth), (Panicum anabaptistum Steud.), afrikanische Wildsorten, welche auch als Getreide genutzt werden.
Australische Hirse (Panicum decompositum R.Br.), die Wildsorte wurde früher von den Aborigines in Australien häufig genutzt.
Setaria
Kolbenhirse (Setaria italica (L.) P.Beauv.)
(Setaria sphacelata (Schumach.) Stapf & C.E.Hubb. ex Moss), (Setaria pumila (Poir.) Roem. & Schult.), (Setaria verticillata (L.) P.Beauv.), (Setaria finita Launert), (Setaria parviflora (Poir.) M.Kerguelen), wilde und wenig kultivierte Sorten die in Afrika und Indien als Viehfutter und in Notzeiten genutzt werden.
Pennisetum
Perlhirse (Pennisetum glaucum (L.) R.Br.)
Paspalum
Kodohirse (Paspalum scrobiculatum L.), ist ein sehr trockenheitsresitentes Getreide, das auch auf nährstoffarmen Böden wächst. Es wird in Indien, aber auch auf den Philippinen, in Indonesien, Vietnam, Thailand und in Westafrika angebaut.
Echinochloa
Japanhirse, Sawahirse (Echinochloa frumentacea Link), wird in Ägypten, Indien, Kaschmir und Sikkim angebaut und als Nahrungsmittel verwendet. In den USA, Afrika und Kanada wird es größtenteils als Futtermittel für Vieh und als Vogelfutter genutzt.
Japan-Hühnerhirse, auch Japanhirse (Echinochloa esculenta (A.Braun) H.Scholz), wird in kleinem Maßstab in Japan, China und Korea sowohl als Nahrung als auch als Tierfutter angebaut, als Grünfutter auch in Australien und den USA.
Hühnerhirse (Echinochloa crus-galli (L.) P. Beauv.), die wilde Stammform von Echinochloa esculenta. Wurde im Neolithikum besammelt, heute gefürchtetes Unkraut im Reis (nach FAO drittwichtigste Unkrautpflanze weltweit), nicht angebaut oder kultiviert.
Burgu, Bourgou, Banti (Echinochloa stagnina (Retz.) P. Beauv.). Früher im Nigerdelta als Wildgetreide geerntet, nicht kultiviert. Heute nur noch als Viehfutter.
Schamahirse, Chindumba (Echinochloa colona (L.) Link), in Indien und Ostafrika, wird aber selten genutzt. Die wilde Stammform von Echinochloa frumentacea.
Antilopengras (Echinochloa pyramidalis (Lam.) Hitchc. & Chase.), selten genutztes Wildgetreide in Teilen Afrikas, wird nicht kultiviert.
Digitaria
Foniohirse; Weißer Fonio (Digitaria exilis (Kippist) Stapf), Schwarzer Fonio (Digitaria iburua Stapf), Grundnahrungsmittel in einigen Regionen Westafrikas mit armen Böden, wie Ost-Senegal, West-Burkina Faso, Süd-Mali, Süd-Niger, Nordost-Nigeria und Kamerun.
Raishan (Digitaria compacta), (Digitaria cruciata), nur in Nordost-Indien genutzt.
Blutrote Fingerhirse (Digitaria sanguinalis)
Urochloa
(Urochloa panicoides P.Beauv.), nur in Gujarat, Indien.
(Urochloa mosambicensis (Hack.) Dandy), (Urochloa trichopus (Hochst.) Stapf ), (Urochloa brizantha (Hochst. ex A.Rich.) R.Webster) Syn.: Brachiaria brizantha (A.Rich.) Stapf, werden als Wildgetreide in Teilen Afrikas genutzt, nicht kultiviert.
Brachiaria
Guinea-Hirse, Kolo (Brachiaria deflexa (Schumach.) C.E.Hubb. ex Robyns), nur lokal in Guinea.
Braune Hirse, Anda Cora (Brachiaria ramosa (L.) Stapf), nur in Südindien kultivierte Sorte.
Unterfamilie Chloridoideae: Tribus Eragrostideae:
Eleusine
Fingerhirse (Eleusine coracana (L.) Gaertn.)
Eragrostis
Teff (Eragrostis tef (Zucc.) Trotter)
Eragrostis pilosa (L.) P.Beauv. Vermutlich die wilde Stammart von Teff, gelegentlich als Wildgetreide in Ostafrika genutzt, nicht kultiviert.
Nutzung
Die wirtschaftlich wichtigsten Hirsen sind die Perlhirse, die Sorghumhirse (auch Zuckerhirse), die Fingerhirse, die Rispenhirse, die Kolbenhirse und der Teff, auch Zwerghirse genannt.
Nahrungs- und Futtermittel
Die Hirse ist ein sehr mineralstoffreiches Getreide. In Hirse sind Fluor, Schwefel, Phosphor, Magnesium, Kalium und im Vergleich zu anderen Getreiden besonders viel Silizium (Kieselsäure), Eisen und Vitamin B6 enthalten.
Hirse und Sorghum können mit einem Gesamtphenolgehalt von ca. 35 bis 50 mg/100 g (Ferulasäureäquivalente in der Trockenmasse) sehr hohe Mengen an phenolischen Substanzen enthalten, denen überwiegend eine gesundheitsförderliche Wirkung zugesprochen wird.
Sie verringern den glykämischen Index und führen häufig zu einer Senkung des Blutcholesterinspiegels. Unter Umständen verringert sich bei regelmäßigem Konsum das Risiko des Auftretens von Speiseröhrenkrebs (im Vergleich zur Aufnahme von Weizen und Mais).
In Hirse enthaltene Flavonoide (Polyphenole) können allerdings, ähnlich wie Sojabohnen oder Maniok, die Aufnahme von Jod aus der Nahrung behindern und so die krankhafte Vergrößerung der Schilddrüse (Struma) fördern.
Im Handel üblich ist die von Schalen befreite Hirse („Goldhirse“). Es gibt daneben die ungeschälte Hirse, in der die meisten an den Schalen haftenden Mineralstoffe und Spurenelemente erhalten sind, sowie die dunkelschalige Braunhirse. Möglicherweise ist jedoch der Blausäuregehalt besonders bei roher Hirse nicht ganz unbedenklich. Hirse kann zur Herstellung glutenfreier Backwaren verwendet werden. In vielen Gebieten Afrikas und Asiens sind die unterschiedlichen Hirsearten Hauptnahrungsmittel, werden allerdings zunehmend durch Mais verdrängt. Kolbenhirse dient als Nahrung und in Osteuropa als Viehfutter, in Europa und Nordamerika zudem als Vogelfutter für die Ziervogelhaltung.
Hirse ist darüber hinaus die Grundlage einiger traditioneller Biere, zum Beispiel Dolo in Westafrika, Pombe in Ostafrika und Merisa im Sudan. In Äthiopien und Eritrea ist die Hirseart Teff (Eragrostis tef) die wichtigste Nahrungspflanze der Menschen. Industriell wird Hirse von einigen spezialisierten Brauereien zur Herstellung von glutenfreiem Bier für Menschen mit Zöliakie oder anderen Formen der Glutenunverträglichkeit genutzt. In China werden aus Hirse eine Reihe von Spirituosen gebrannt, die Baijiu genannt werden; der bekannteste chinesische Hirseschnaps ist Maotai.
Industrielle Nutzung
Für die industrielle Nutzung ist vor allem die Sorghumhirse von Interesse. Neben den Samen wird bei ihr auch der Halm zur Herstellung von Naturfasern genutzt (Faserhirse).
In den USA werden große Hoffnungen in die Rutenhirse als Lieferant von Cellulose-Ethanol gesetzt. Die Sorghumhirse gilt aufgrund der großen und kohlenhydratreichen Biomasse als aussichtsreiche Energiepflanze zur Biogaserzeugung, vor allem in trockenen Lagen.
Nutzungsgeschichte
Die beiden ältesten Funde von Rispenhirse in Deutschland (Nähe Leipzig und Kreis Hadersleben) stammen aus der Zeit der Linienbandkeramik (Altneolithikum 5500–4900 v. Chr.). Im Altertum und Mittelalter zählten die unterschiedlichen Hirsearten zum meistangebauten Getreide. Durch Ausgrabungen in Mittel- und Norddeutschland ist ebenso der Hirseanbau in der vorrömischen Eisenzeit (Hallstatt- und Latènezeit) sowie der römischen Zeit (1.–3. Jahrhundert n. Chr.) belegt. In der frühen Neuzeit wurden sie in Europa durch die Einfuhr und folgenden Anbau von Kartoffel und Mais fast völlig verdrängt. Hinweise auf Hirseanbau und -verarbeitung finden sich allerdings noch aus der Zeit nach dem Dreißigjährigen Krieg. Im Himalayagebiet wird aus verschiedenen Sorten ein schwachalkoholisches Bier gebraut. Auf dem Balkan, in der Türkei und in Zentralasien trinkt man ein schwachalkoholisches Getränk namens Boza, welches (ursprünglich) auf Hirsemalz basiert. Gästen des Hunnenkönigs Attila wurde ausschließlich Hirse gereicht. Um die Gesundheit und Kraft zu stärken, empfahl der griechische Philosoph Pythagoras die Hirse.
Hirsen spielen in Mitteleuropa für die Ernährung des Menschen keine große Rolle mehr, obwohl sie bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts weit verbreitet waren. Da sie auch auf trockeneren und nährstoffärmeren Boden wuchsen, galten sie als „Hungergetreide“.
Durchschnittliche Zusammensetzung
Die Zusammensetzung von Hirse schwankt naturgemäß, sowohl in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen (Boden, Klima) als auch von der Anbautechnik (Düngung, Pflanzenschutz).
Angaben je 100 g essbarem Anteil der Rispenhirse, Panicum miliaceum:
Der physiologische Brennwert beträgt 1484 kJ (355 kcal) je 100 g essbarem Anteil.
Wirtschaftliche Bedeutung
Weltweit wurden im Jahr 2020 laut FAO insgesamt etwa 89,2 Mio. t Hirse produziert. Davon entfielen 58,7 Mio. t auf Sorghumhirsen und 30,5 Mio. t auf Millethirsen. Der Hektarertrag ist mit durchschnittlich 12,0 dt/ha (Sorghum: 14,6 dt/ha, Millet: 9,5 dt/ha) von allen Getreidearten der geringste. Dies ist einer der Gründe, weshalb der wesentlich ertragreichere Mais in den traditionellen Hirseanbaugebieten immer populärer wird. Allerdings hat Hirse gegenüber Mais den großen Vorteil, dass die Ernte selbst bei sehr schlechtem Wetter fast nie komplett ausfällt.
Die produzierte Hirse wurde hauptsächlich zu Breinahrung, Süßspeisen und Futtermittel verarbeitet.
Die größten Hirseproduzenten
2021 wurden laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO weltweit insgesamt etwa 91,5 Mio. t Hirse (davon: 61,4 Millionen Tonnen Sorghumhirsen und 30,1 Millionen Tonnen Millethirsen) geerntet.
Folgende Tabellen geben eine Übersicht über die 10 jeweils größten Produzenten von Sorghum- und Millethirsen weltweit.
Handel
Im Jahr 2021 wurden weltweit etwa 10,9 Millionen Tonnen Sorghum exportiert. Die größten Exporteure waren die USA (6,6 Mio. t), Argentinien (2,11 Mio. t) und Australien (1,59 Mio. t).
Siehe auch
Hirsebreifahrt
Der süße Brei
Schlaraffenland
Weblinks
Einzelnachweise
Getreideart
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Q259438
| 94.99417 |
3229385
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https://de.wikipedia.org/wiki/Helotiales
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Helotiales
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Die Helotiales, auch Leotiales genannt, bilden innerhalb der Klasse der Leotiomycetes eine Ordnung der Schlauchpilze (Ascomycota), die mehrere tausend Arten umfasst, mit einer großen morphologischen Vielfalt innerhalb der Familien sowie der einzelnen Gattungen.
Die Pilze besiedeln entweder als Saprobionten (bzw. Saprophyten) organisches Material oder leben parasitär als Pflanzenparasiten.
Merkmale
Die Helotiales sind sehr divers. Ihre meist klar voneinander abgegrenzten Fruchtkörper sind Apothecien mit Fruchtschicht, die entweder direkt auf der Wirtspflanze, dem organischen Material oder dem Erdboden ausgebildet werden. Manche Familien wie die Echten Mehltaupilze haben allerdings keine klaren Fruchtkörper, sondern sind nur als mehliger Belag auf den Wirtspflanzen erkennbar. Sie bilden die Ascosporen in kleinen kugeligen Gebilden, den Chasmothecien.
Lebensweise
Die Vertreter der Helotiales leben entweder parasitär, als Pflanzenpathogene, Endophyten, Nematophage Pilze, Mykorrhiza-bildende Pilze, als Pilz-Parasiten, oder als terrestrische und aquatische Saprophyten (bzw. Saprobionten).
In dieser Gruppe sind auch ericoide Pilzarten vertreten. Hierbei handelt es sich um Pilze, die mit verschiedenen Arten der Heidekrautgewächse (Ericaceae) als Mykorrhiza eine Symbiose eingehen. Die Pilzart Hyaloscypha hepaticicola ist ein Beispiel hierfür. Beispielarten der Ericaceae sind Vertreter der Gattungen Erica (Heidekräuter), Rhododendron, Heidelbeeren (Vaccinium) sowie die Besenheide (Calluna vulgaris). Die Pilze bilden mit ihren Hyphen ein Geflecht um die Pflanzenwurzeln und
dringen in die Zellen der Pflanze ein. Die Hyphen befinden sich also innerhalb der Pflanzenzelle, es handelt sich um eine Endomykorrhiza. Der Pilz bildet knäuelartige Strukturen innerhalb der Zelle. Die Pflanze wird von dem Pilz mit Stickstoff versorgt. Unter extremen Bedingungen, wenn die Pflanze unter starken Stress steht, kann der Pilz auch Kohlenhydrate (Zucker) liefern.
Systematik
Helotiales zählen zu den Echten Schlauchpilzen (Euascomycetes).
Die Vertreter der Helotiales waren lange keine natürliche Verwandtschaftsgruppe, sie waren paraphyletisch. Eine Aufteilung in mehrere monophyletische Ordnungen in nächster Zeit galt als wahrscheinlich. Crous et al. (2014) stellten fest, dass die Phacidiaceae klar eigenständig sind, und reetablierten die bereits 1917 von Franz Xaver Rudolf von Höhnel beschriebene Ordnung der Phacidiales, die bisher nur als Synonym der Helotiales gegolten hatte. Sie bilden nun eine Schwesterklade zu den Helotiales. Die Schmutzbecherlingsverwandten (Bulgariaceae), die bisher als eigenständige Familie ebenfalls zu den Helotiales gehört hatten, wurden als Teil der Phacidiaceae erkannt und sind daher nur noch ein Synonym. Beide Namen (Bulgariaceae und Phacidiaceae) wurden gleichzeitig publiziert, da aber die Phacidiaceae mehr Arten umfasst, wurde diesem Namen der Vorzug gegenüber Bulgariacae gegeben. Die Echten Mehltaupilze, die lange die Ordnung Erysiphales bildeten, waren auch klar innerhalb der Helotiales und wurden als Familie der Erysiphaceae 2021 in die Helotiales integriert. Ebenso die Gattung Cyttaria, die vorher die Ordnung der Golfkugelpilzartigen (Cyttariales) bildeten, sind inzwischen nur noch eine Familie.
Mit Stand 2022 gehören nun folgende Familien zu den Helotiales (mit ausgewählten Gattungen):
Amicodiscaceae mit einziger Gattung Amicodisca
Arachnopezizaceae mit fünf Gattungen
Ascocorticiaceae mit drei Gattungen
Rindenschorfverwandte (Ascodichaenaceae) mit zwei Gattungen z. B. mit dem Buchen-Rindenschorf (Ascodichaena rugosa)
Bloxamiaceae mit nur einer Gattung Bloxamia und zehn Arten
Bryoglossaceae mit drei Gattungen
Calloriaceae mit 14 Gattungen
Cenangiaceae mit elf Gattungen inklusive der früheren Familie Hemiphacidiaceae mit fünf Gattungen. Die Vertreter sind Pathogene an Pflanzenblättern und bilden kleine einfache Apothecien unter der Blattoberfläche, die sie während des Wachstums durchstoßen.
Chlorociboriaceae mit zwei Gattungen z. B. mit dem Kleinsporigen Grünspanbecherling (Chlorociboria aeruginascens)
Chlorospleniaceae mit nur einer Gattung Chlorosplenium
Chrysodiscaceae mit nur einer Gattung Chrosdisca
Cordieritidaceae mit 18 Gattungen
Cyttariaceae mit nur einer Gattung Cyttaria
Dermateaceae mit 14 Gattungen, früher 77 Gattungen, heterogene, kaum untersuchte Familie. Sie bilden kleine fleischige Apothecien auf Pflanzen. Das Excipulum besteht aus dickwandigen runden bis eckigen Zellen.
Discinellaceae mit 12 Gattungen
Drepanopezizaceae mit acht Gattungen
Echte Mehltaupilze (Erysiphaceae) mit 20 Gattungen
Gelatinodiscaceae mit neun Gattungen
Godroniaceae mit fünf Gattungen
Helotiaceae mit 31 Gattungen
Heterosphaeriaceae mit nur einer Gattung Heterosphaeria
Hyaloscyphaceae mit 38 Gattungen
Lachnaceae mit 17 Gattungen
Leptodontidiaceae mit nur einer Gattung Leptodontidium
Loramycetaceae mit zwei Gattungen. Sie leben aquatisch.
Mitrulaceae mit einziger Gattung Haubenpilze (Mitrula) und 16 Arten, darunter der Sumpf-Haubenpilz (Mitrula paludosa)
Mollisiaceae mit 19 Gattungen
Weichbecherchen (Mollisia)
Filzbecherchen (Tapesia)
Myxotrichaceae mit drei Gattungen
Neolauriomycetaceae mit drei Gattungen
Patellariopsidaceae mit nur einer Gattung Patellariopsis
Pezizellaceae mit 23 Gattungen
Ploettnerulaceae mit 13 Gattungen
Stromabecherverwandte (Rutstroemiaceae) mit sieben Gattungen
Sklerotienbecherlingsverwandte (Sclerotiniaceae) mit 30 Gattungen
Tricladiaceae mit nur einer Gattung Tricladia
Vibrisseaceae mit sechs Gattungen
Daneben gibt es noch 144 Gattungen innerhalb der Helotiales mit unsicherer Stellung.
Die früher zu den Helotiales gestellte Familie Gallertkäppchenverwandte (Leotiaceae) gehören nun in die Ordnung Leotiales.
Quellen
Literatur
Zheng Wang u. a.: Toward a phylogenetic classification of the Leotiomycetes based on rDNA data. In: Mycologia. Band 98, Nr. 6, 2006, S. 1065–1075.
Weblinks
Einzelnachweise
Leotiomycetes (Klasse)
Leotiomycetes
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Q134490
| 130.690733 |
3535498
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https://de.wikipedia.org/wiki/.ca
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.ca
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.ca ist die länderspezifische Top-Level-Domain (ccTLD) Kanadas. Sie wird durch die (kurz CIRA) verwaltet und gehört zu den ältesten Top-Level-Domains weltweit, sie existiert bereits seit dem 14. Mai 1987.
Verwaltung
Zunächst wurde die Verwaltung der Top-Level-Domain .ca der University of British Columbia zugewiesen, wo die Domain von einer einzigen Person verwaltet wurde. Im Jahr 2000 wurde die Verwaltung der Domain schließlich an die gemeinnützige Canadian Internet Registration Authority übergeben. Adressen können wie üblich nicht direkt beantragt werden, sondern müssen über einen Domain-Name-Registrar angefordert werden.
Trotz der restriktiven Vergabekriterien ist die Top-Level-Domain .ca international vergleichsweise bedeutend. Im Dezember 2012 wurde erstmals die Marke zwei Millionen registrierter Adressen überschritten, womit sich .ca deutlich vor der Endung .us positioniert hat.
Eigenschaften
Registrierungen finden heute ausschließlich auf zweiter Ebene statt. Früher gab es die Möglichkeit, auch auf dritter Ebene unter einer Domain auf zweiter Ebene, die den Bundesstaat repräsentiert, eine Adresse zu registrieren, jedoch besteht diese Möglichkeit seit Oktober 2010 nicht mehr. Bestehende Adressen durften beibehalten werden. Nur natürliche oder juristische Personen mit einem Wohnsitz oder einer Niederlassung in Kanada dürfen .ca-Domains registrieren. Einzige Ausnahme sind Inhaber einer in Kanada eingetragenen Marke, die dann allerdings exakt der gewünschten Domain entsprechen muss.
Im Januar 2012 hat CIRA ein Konsultationsverfahren begonnen, um die Unterstützung internationalisierter Domainnamen zu überprüfen. Dieses wurde im Februar des gleichen Jahres abgeschlossen und anschließend im Herbst verkündet, insgesamt 16 Zeichen der französischen Sprache zulassen zu wollen. Diese sollen voraussichtlich ab Januar 2013 zur Verfügung stehen, Inhaber bestehender Domains werden bei der Vergabe sprachlich ähnlicher Adressen bevorzugt behandelt. Eine klassische Sunrise- und Landrush-Periode gab es nicht.
Datenschutz
Im Gegensatz zu den meisten anderen Top-Level-Domains ist der Inhaber einer Adresse nicht öffentlich einsehbar, sofern es sich um eine Privatperson und nicht um ein Unternehmen handelt. Dies geht auf eine Änderung der Datenschutzrichtlinie von CIRA im Juli 2008 zurück. Sie wurde sowohl von Juristen als auch der Unterhaltungs- und Filmindustrie als zu wenig beziehungsweise zu stark restriktiv kritisiert.
Im August 2012 wurden Inhaber von .ca-Domains Opfer eines größeren Phishing-Angriffs. In einer gefälschten E-Mail wurden sie gebeten, ihre Domain kostenpflichtig zu verlängern, obwohl diese noch gar nicht ausgelaufen war. Die Vergabestelle CIRA hat die betreffende Website circa.cc, über welche der Betrug abgewickelt wurde, abgeschaltet und die Domain aus Sicherheitsgründen auf sich selbst registriert.
Bedeutung
Die Vergabestelle CIRA veröffentlichte Mitte 2013 ein sogenanntes Factbook, in dem die Verbreitung und Bedeutung der Top-Level-Domain dargestellt wird. Demnach besitzt .ca unter kanadischen Nutzern einen Marktanteil von 30 Prozent und liegt direkt hinter .com. 49 Prozent aller Kanadier würden .ca beim Surfen bevorzugen.
Weblinks
Offizielle Website der Vergabestelle CIRA/ACEI
Einzelnachweise
Länderspezifische Top-Level-Domain
Medien (Kanada)
Technik (Kanada)
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Q39582
| 96.666065 |
22709
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kunsthandwerk
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Kunsthandwerk
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Kunsthandwerk steht für jedes Handwerk, für dessen Ausübung künstlerische Fähigkeiten maßgebend und erforderlich sind. Die Produkte des Kunsthandwerks sind in eigenständiger handwerklicher Arbeit und nach eigenen Entwürfen gefertigte Unikate (Autorenprodukte).
Das Kunsthandwerk wird, wie das verwandte Kunstgewerbe, der angewandten Kunst zugeordnet. Es ist jedoch mit dem Kunstgewerbe, das Gebrauchsgegenstände auch in Serie, maschinell und nach fremden Entwürfen reproduziert erzeugt, nicht gleichzusetzen.
Unabhängig vom künstlerischen Qualitätsanspruch und der Fertigungsweise hat sich der Begriff „Kunsthandwerk“ als Sammelbegriff für sowohl kunsthandwerkliche als auch kunstgewerbliche Produkte aus aller Welt durchgesetzt.
Begriffsklärung
Der Begriff „Kunsthandwerk“ wurde, nachdem die Metiers der Maler, Buchmaler, Glasmaler, Glasbläser, Graveure, Bildhauer, Gold- und Silberschmiede, Schnitzer, Möbelschreiner, Drechsler, Weber, Instrumentenbauer, Bildwirker, Töpfer und dergleichen jahrhundertelang als reines Handwerk betrachtet worden waren, erst in jüngerer Zeit ausgeprägt.
In Frankreich vollzog sich eine erste Trennung der Handwerker durch den Ausbruch der heute bildende Künstler genannten Maler und Bildhauer aus der Communauté des maîtres peintres et sculpteurs de Paris. Dieser Bruch wurde im Jahr 1647 durch die Gründung der Académie royale de peinture et de sculpture besiegelt.
Die fortschreitende Entwicklung kunstgewerblicher Serienproduktionen, die seit dem 18. Jahrhundert mit der Industrialisierung der Manufakturen einherging (siehe beispielsweise: Oberkampfs 1760 gegründete Toile-de-Jouy-Manufaktur), veranlasste die künstlerisch tätigen Handwerker, unter Verweis auf die gestalterische Qualität ihrer Werke und die Einzelstückanfertigung für eine Abgrenzung zum traditionellen Handwerk einzutreten.
Die Kombination der Worte „Kunst“ und „Handwerk“ betont die qualitativen und quantitativen Werte handwerklicher Arbeit in Abgrenzung zu den seriellen und massenhaft reproduzierbaren Erzeugnissen der Industrie.
Der Begriff Kunsthandwerk hebt – im Vergleich zur Kunst – das handwerkliche und technische Interesse hervor. In der Erhaltung traditioneller handwerklicher Techniken übernimmt das Kunsthandwerk eine wichtige Aufgabe: Materialität, Verarbeitung und Ästhetik der Formgebung spielen eine wichtige Rolle, wobei tiefergehende autonome geistige Prozesse in den Hintergrund treten. Vorwiegend bleibt das Schaffen in funktionalen und angewandten Bereichen. Häufig werden Gestaltungen und ästhetische Interessen angewandt, um insbesondere Gebrauchsartikel aufwerten zu können.
Im Unterschied zu Designern, die vorwiegend Prototypen für Serien- und Massenproduktion entwerfen, handelt es sich bei Kunsthandwerk vorwiegend um Unikate und Kleinserien, die manuell angefertigt sind. Auch sind meist Gestalter und praktisch Ausführender (Hersteller) ein und dieselbe Person.
Die Definition des Begriffes Kunsthandwerk deckt sich weitestgehend mit den englischen Bezeichnungen Arts and Crafts im 19. Jahrhundert und Studio Crafts im 20. Jahrhundert.
Begriffsbildung
Der Begriff „Kunstgewerbe“ wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts geprägt. Er entwickelte sich im Prozess der Industrialisierung, bei dem das Handwerk seine bisherige Stellung bei der Produktion von Waren an die Verlage, die Manufakturen und Fabriken verlor.
Die 1869 in Deutschland eingeführte Gewerbefreiheit markierte dabei nur den Abschluss einer Entwicklung größerer Zentralisierungsbestrebungen, die bereits im 18. Jahrhundert mit der Reformierung der Reichshandwerksordnung begannen und nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges und der Befreiungskriege verstärkt wurden. Diese hoben die noch verbliebenen Privilegien städtischer Innungen auf. Durch den Entzug der Kontrolle über die Märkte verschlechterten sich die Wettbewerbsbedingungen für die stets kapitalschwachen Handwerker, während sich die Produktions- und Absatzmöglichkeiten für die Manufakturen und die sich entwickelnde Industrie im Binnenmarkt weiter verbesserten.
Während die Industrie mit den Prädikaten von Fortschritt und Moderne ausgezeichnet wurde, prägte man das traditionelle „Alte Handwerk“ mit dem Stigma des Konservativen. Mit dem Absatz- und Statusverlust begann der Prozess der Suche nach möglichen, die Existenz sichernden, Auswegen. Einer der Wege führte dazu, sich von der Masse der betroffenen Handwerker abzugrenzen. Als Unterscheidung wurde das ästhetische Kriterium der Kunst im Handwerk gefunden und betont.
Exkurs England
In Europa nahm diese Entwicklung ihren Anfang im Vereinigten Königreich Großbritannien und Irland. Hier hatten, bedingt durch die frühe Industrialisierung, bereits in vielen Bereichen die Produkte industrieller Massenproduktion Einzug gehalten und das traditionelle Handwerk verdrängt.
Die 1851 in London abgehaltene Great Exhibition of the Works of Industry of All Nations offenbarte die in Großbritannien bereits eingetretenen Veränderungen. Neben den ausgestellten technischen Produkten war es der Industrie Großbritanniens in keiner Kategorie, der ästhetische Kriterien zugrunde lagen, gelungen, eine Auszeichnung zu gewinnen. Die Hässlichkeit der Gestaltung und die Schäbigkeit der Ausführung, die mit dem offensichtlichen Einsatz billiger Ersatzmaterialien einherging, waren ein Schock. Einen Eindruck der zeitgenössischen Kritik vermittelt der 1883 von John Ruskin verfasste Kommentar zur Beschreibung des 1852 von William Holman Hunt ausgestellten Gemäldes The Awakening Conscience.
William Morris sah neben anderen Künstlern, die von Ruskin beeinflusst waren, in der Industrialisierung die Gefahr einer Verkrüppelung menschlicher Tugenden wie auch künstlerischer Schaffenskraft. Ein Ausweg wurde in der Rückkehr zum traditionellen individuellen Handwerk gesucht und mit der Künstlerschaft verbunden. Ohne letztlich eine Lösung für die wirtschaftlichen Bedingungen zu finden, die zur bestehenden Situation geführt hatten, traten sie für eine Wirtschaftsethik ein, in deren Mittelpunkt der Mensch stehen sollte. Neben ersten sozialistischen Ideen entwickelte sich die verklärte Vorstellung einer heilen Welt mittelalterlichen Handwerkerdaseins.
Ein Ergebnis, das der ästhetische Schock der Ausstellung 1851 verursachte, führte 1853 zur Gründung des Museum of Ornamental Art bzw. Museum of Manufactures durch einen der Direktoren der Great Exhibition von 1851 Henry Cole. Das ursprüngliche Ziel der Gründung war, eine Sammlung mit den besten historischen Stücken angewandter Kunst in einer Sammlung zu vereinigen und diese zur Hebung des Geschmacks von Produzenten und Konsumenten in Großbritannien öffentlich zugänglich zu machen.
Eine weitere Etappe bildete die 1857 in Manchester abgehaltene Art Treasures Exhibition. Die Ausstellung blieb Exponaten der Bildender und der Angewandter Kunst vorbehalten.
Österreich
1870 wurde die erste Fachschule für Holzbearbeitung, mit der Bezeichnung „Holzschnitzerei-Schule“, in den Ländern der Monarchie Österreich-Ungarn in Hallein gegründet. In den Folgejahren entstanden zahlreiche weitere Schulen im Bereich des Kunsthandwerks: 1872 in St. Ulrich in Gröden, Südtirol (Holzschnitzerei), 1873 in Hallstatt (Holzschnitzerei) und 1874 Gmunden (Keramik).
Ein großer Impuls zur Gründung von Fachschulen für Steinbearbeitung war der Ringstraßenbau in Wien, so entstanden solche Schulen 1873 in Hallstatt, 1874 in Laas, 1875 in Predazzo, 1880 in Trient, 1884 in Hořice (Böhmen), 1885 in Friedeberg (Schlesien), 1888 in Saubsdorf (Schlesien), 1897 in Hallein und 1902 in Bozen.
In Wien, in Oberösterreich (Haslach) und in Vorarlberg entwickelten sich Ausbildungsstätten im Textilbereich. Die Gestaltung von Tonwaren hatte im 18. und 19. Jahrhundert sein Zentrum in Böhmen, Mähren und Galizien, Fachschulen entstanden in Znaim (Znojmo), Teplitz (Teplice), Tetschen (Dĕčín), Karlsbad (Karlovy Vary) und in Bechin (Bechynĕ), auch in Gmunden und Stoob gab es Keramik-Schulgründungen. Glasfachschulen existierten in Haida (Nový Bor), Steinschönau in Tschechien (diese „übersiedelte“ 1948 nach Rheinbach bei Bonn), Kramsach in Tirol und in Gablonz (Jablonec nad Nisou). In Steyr (Oberösterreich), Ferlach (Kärnten) und in Fulpmes (Tirol) entstanden Fachschulen im Bereich der Metallbearbeitung.
Deutschland im 19. Jahrhundert
Nach 1880 wurde in Deutschland vielerorts die Tradition des Gesellen und des Meisters wiederbelebt. Gleichzeitig entstanden neue Netzwerke handwerklicher Organisations- und Lobbystrukturen in Städten, auf territorialstaatlicher und nationaler Ebene. Es etablierten sich Handwerkskammern, Handwerksverbände und -vereine neu. Diese Entwicklung war begleitet von symbolischen Handlungen, wie die Wiedereinführung von Begriffen wie dem der Innung.
Weder durch die Propagierung einer konstruierten Tradition, eines beruflichen Ethos ohne wirtschaftliche Grundlage, noch über die gegründeten Strukturen gelang es dem Handwerk, Einfluss auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen zu nehmen und eine Rückgewinnung von Einfluss und Privilegien zu erreichen. Der Wettbewerb zur Industrie blieb bestehen.
Um diesem standzuhalten, ging ein Teil des Handwerks dazu über, den Kunstcharakter des Handwerks gegenüber der Industrie zu betonen. Gleichzeitig diente der Verweis dem Zweck der Anhebung des sozialen Status des Kunsthandwerkers und dem Prestigewert seiner Waren gegenüber dem nunmehr einfachen Handwerker und seiner minderen – unkünstlerischen und nur noch handwerklichen – Arbeit.
Diesem Vorgehen lag die Vorstellung zugrunde, dass künstlerische Werte in der handwerklichen Herstellung durch die Bildung des Künstlers dem Werk auf- und eingeprägt werden können. In der frühen Phase von 1870 bis 1880 war die Kunstgewerbe-Bewegung der Auffassung, dass Kunst in allen Produktionsprozessen, sowohl in maschineller, mechanisierter als auch in handwerklicher Arbeit Anwendung finden könne. Einer der Vertreter dieser Ansicht war Alois Riegl.
Schulen für Kunsthandwerker in Deutschland
Berufsbildende und berufsweiterbildende Schulen
Diese sortierbare Liste führt berufsbildende und berufsweiterbildende Einrichtungen für Kunsthandwerker auf. Durch einen Klick auf das Kästchen in der ersten Zeile der entsprechenden Spalte können sie nach anderen Kriterien sortiert werden.
Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Einrichtungen der Handwerkskammern
Das Erlernen und Begreifen der Prozesse handwerklicher Gestaltung ist der Schlüssel zu überzeugenden Ergebnissen im Handwerk. In der Beherrschung dieser Prozesse liegt für erfolgreiche Handwerker das Geheimnis der kreativen Neuentwicklung. Gestalter im Handwerk erschaffen ein markantes Profil als Referenz, dass sich der Vergleichbarkeit über den Preis durch nachvollziehbare Qualität und individuelle Fertigung (Unikat) entzieht und vom Serienprodukt abhebt. Die Handwerkskammern der verschiedenen Länder bemühen sich, die hohen Standards aus der Tradition heraus zu pflegen und Handwerker dabei zu unterstützen, auch in Zukunft zeitgemäße und zweckdienliche Gegenstände zu entwickeln und zu vertreiben. Die Kammern unterhalten inzwischen dreizehn Akademien für Gestaltung, darunter:
Gut Rosenberg – Akademie für Handwerksdesign der Handwerkskammer Aachen
Werkakademie für Gestaltung und Design in Niedersachsen
Kasseler Werkakademie für Gestaltung
Bildungszentrum München – Akademie für Gestaltung und Design
Akademie Gestaltung im Handwerk Münster
Akademie des Handwerks in Saarbrücken
Akademie für Gestaltung im Handwerk in Brandenburg an der Havel.
Kompetenzzentrum „Gestalter im Handwerk“ Halle (Saale)
Alle Akademien sind bundesweit in einer ARGE organisiert.
Preise für Kunsthandwerk
BKV-Preis des bayerischen Kunstgewerbevereins
manu factum, Staatspreis der nordrhein-westfälischen Landesregierung
Staatspreis Gestaltung Kunst Handwerk der baden-württembergischen Landesregierung
Siehe auch
Werkbund
Bayerischer Kunstgewerbe-Verein
Bauhaus-Archiv Berlin
Wismutmaler
frühere Organisationen:
Kunstgewerbe- und Handwerkerschule Magdeburg (1887–1963)
Wiener Werkstätte (1903–1932)
Bauhaus (1919–1933)
Vereinigte Staatsschulen für Freie und Angewandte Kunst (1924–1939)
Literatur
Joan Campbell: Der Deutsche Werkbund 1907–1934. Klett-Cotta, Stuttgart 1981, ISBN 3-12-911980-9
Gustav Friedrich Hartlaub: Das ewige Handwerk im Kunstgewerbe der Gegenwart: Beispiele modernen kunsthandwerklichen Gestaltens. Verlag H. Reckendorf, Berlin 1931,
Hugh Honour: Lexikon Kunsthandwerk und Design. [Elektronische Ressource] (= Digitale Bibliothek Band 68, CD-ROM). Directmedia Publ., Berlin 2004, ISBN 3-89853-468-5
Stefan Muthesius: Handwerk/Kunsthandwerk. In: Journal of Design History, Design History Society. Oxford 1998.
Josef Schermaier: Fachschulen in Österreich – Schulen der Facharbeiterausbildung. Die Fachschulen für einzelne gewerbliche Zweige. Ein Beitrag zur Geschichte und Gegenwart des berufsbildenden mittleren Schulwesens in Österreich. Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang, 2009. ISBN 978-3-631-58651-8.
Michael Stürmer: Herbst des Alten Handwerks: Quellen zur Sozialgeschichte des 18. Jahrhunderts. Deutscher Taschenbuch-Verlag, München 1979, ISBN 3-423-02914-5
Weblinks
Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Au%C3%9Fenpolitik
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Außenpolitik
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Der Begriff der Außenpolitik (in der Schweiz Aussenpolitik geschrieben) umfasst die Summe aller Handlungen, Absichten und Erklärungen eines Staates, deren Bestimmung es ist, die Beziehungen des Staates zu anderen Staaten, Staatenbünden, Inter- oder Supranationalen Organisationen zu beeinflussen und zu regeln. Außenpolitik kann sich dabei auf unterschiedliche Bereiche wie die Sicherheitspolitik, die Außenwirtschaftspolitik, internationale Kulturbeziehungen oder Außenhilfe erstrecken.
Außenpolitik aus politikwissenschaftlicher Sicht
„In theoretischer Perspektive wird Außenpolitik verstanden als ein Interaktionsprozess, in dem ein Staat grundlegende Ziele und Werte in Konkurrenz zu den anderen Staaten zu realisieren versucht.“
„Die Außenpolitik im gebräuchlichen Sinne bezeichnet die Handlungen eines Staates, die auf Adressaten in anderen Staaten oder in internationalen Organisationen zielen.“
In der Praxis erfolgt dieses Handeln eines Staates (oder auch eines Staatenbundes) vorrangig durch seine politischen Repräsentanten, z. B. durch seine Exekutive (vertreten u. a. durch den Außenminister). Die tagespolitische und administrative Vertretung der Außenpolitik eines Landes in einem anderen übernimmt üblicherweise ein Botschafter.
Dabei greift es zu kurz, die Ziele des außenpolitischen Handelns mit dem Interesse der jeweiligen Staaten gleichzusetzen, da dieses Handeln auch durch Werturteile und innenpolitische Nutzenkalküle der Akteure sowie durch Regeln und Institutionen des internationalen Systems bestimmt wird. Ein „Staatsinteresse“ definiert sich nicht von selbst, sondern wird durch die relevanten Akteure bestimmt (vgl. Diskussion zwischen Realismus und Konstruktivismus). Die Außenpolitik befindet sich daher meist in einem Spannungsfeld zwischen ideellen und materiellen Interessen.
In der Politikwissenschaft beschäftigt sich neben der Außenpolitikforschung vor allem der Teilbereich der Internationalen Beziehungen mit der Außenpolitik verschiedener Staaten sowie mit dem hierdurch geprägten Interaktionssystem.
Einflüsse auf die Außenpolitik
Die Außenpolitik eines Staates wird von zahlreichen Faktoren beeinflusst. Nach älteren Denkmustern (Realismus) sind insbesondere die geografische Lage, das Vorhandensein von Rohstoffen; die Größe der Bevölkerung; technische, militärische und wirtschaftliche Stärke und das Bildungsniveau der Bevölkerung entscheidend.
Aktuellere Ansätze (z. B. Konstruktivismus) gehen davon aus, dass die Außenpolitik elementar von den agierenden Personen und Personenkonstellationen geprägt ist. Die Interessenlage und die Handlungsspielräume dieser Personen ist 1. individuell sehr unterschiedlich und 2. innenpolitisch geprägt. Da also vereinfachend gesagt ein Außenpolitiker als Teil der Regierung (in einer Demokratie) das elementare Interesse „Wiederwahl“ hat, wird er sich außenpolitisch nicht für Ziele engagieren, die seine Wiederwahl offenkundig gefährden würden, auch wenn er diesen Zielen persönlich nahestände. Zudem hätte ein solches Engagement nicht nur das Risiko persönlicher Nachteile, sondern würde auch kaum ratifiziert werden, hätte also keine Wirkung. (vgl. Robert Putnams Two-Level-Games). Demnach ergibt sich die häufig vorhandene Stabilität der Außenpolitik auch über wechselnde Regierungen hinweg aus der sich langsamer verändernden Gesamtausrichtung und Stimmungslage in einem Staat.
Seit Beginn der Industrialisierung hat die Energiepolitik entscheidenden Einfluss auf die Außenpolitik. Energieträger sind für die Entwicklung von Staaten von entscheidender Bedeutung. Armut ist oft auch durch fehlenden Zugang zu Energie verursacht. Aufgrund dieser entscheidenden Bedeutung der Energiefrage hat die Energiepolitik großen Einfluss auf die Außenpolitik. Da fossile Energierohstoffe ungleich auf der Welt verteilt sind, ist die Sicherung des Einflusses auf die Transportwege und die Lagerstätten von fossilen Rohstoffen ein wichtiges Ziel der Energie- und damit der Außenpolitik.
Charakter der Außenpolitik
Die Außenpolitik der meisten Staaten ist von einer gewissen längerfristigen Kontinuität (außenpolitischer Interessen) geprägt. Die Gründe dafür sind vielfältig:
Konstante Leitziele wie Stabilität, Kontinuität und Berechenbarkeit bleiben ebenso bestehen wie die Systeme, in denen sich die Politik bewegt (Bündnisse: pacta sunt servanda!)
Grundprobleme, welche die Weltlage und damit außenpolitische Aktivitäten beeinflussen, behalten häufig über lange Zeiträume ihre Brisanz (z. B. Nahostkonflikt)
Objektive Inlandsfaktoren (z. B. ein demokratisches Regierungssystem) bleiben bestehen, auch veränderbare Inlandsfaktoren ändern sich nicht „ruckartig“
Revolutionäre außenpolitische Konzepte sind aufgrund des hohen internationalen Verflechtungsgrades nicht oder nur kaum durchsetzbar. Auch der Krieg zwischen Staaten als ultima ratio scheidet immer mehr aus.
Aus diesen Gründen ändert sich auch bei einem Regierungswechsel – zumindest beim Aufeinanderfolgen demokratisch legitimierter Regierungen – die Außenpolitik zunächst meist nur in Nuancen, allenfalls Akzentverschiebungen sind möglich. (Gerade weil die Außenpolitik von Staaten oft von längerfristiger Kontinuität und einem verhältnismäßig geringen Grad an politischer Kontroversität geprägt ist, wurde sie von früheren Autoren dieses Artikels als „eine zähe, langwierige Angelegenheit“ bezeichnet.) In der Regel finden sich auch wenig außenpolitische Zielsetzungen in Wahlprogrammen. Dies liegt aber auch daran, dass in diesen meist zugespitzte Positionen zu Themenkomplexen formuliert werden, die in der innerstaatlichen Öffentlichkeit kontrovers diskutiert werden. Dabei handelt es sich oft um wirtschafts-, sozial- oder im weiteren Sinne gesellschaftspolitische, aber eben selten um außenpolitische Fragen. Eine interessante Ausnahme von dieser Regel – die für eine Vielzahl von Ländern gilt – ist die deutsche Haltung im sich zuspitzenden Konflikt zwischen den USA und dem Irak im Sommer 2002, die eine maßgebliche Rolle im Bundestagswahlkampf und wohl auch für den knappen Ausgang der Wahl gespielt hat.
Darüber hinaus ist von der Regel „Mit Außenpolitik gewinnt man keine Wahlen!“ weithin die Europapolitik ausgenommen. In vielen europäischen Ländern konnten beispielsweise Protestparteien mit antieuropäischen Kampagnen Wahlerfolge erzielen. Allerdings stellt sich die Frage, ob Europapolitik (d. h. die Gestaltung der Politik in der EU) angesichts ihrer thematischen Breite sowie ihrer unmittelbaren Auswirkungen auf die rechtlichen, wirtschaftlichen etc. Verhältnisse in den Mitgliedstaaten überhaupt noch mit dem Begriff „Außenpolitik“ erfasst wird.
Zitate
Literatur
Einführungen:
Stephan Bierling: Geschichte der amerikanischen Außenpolitik. Von 1917 bis zur Gegenwart (= Beck'sche Reihe 1509). 3., durchgesehene und erweiterte Auflage. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-49428-4.
Frank Bösch, Peter Hoeres: Außenpolitik im Medienzeitalter. Vom späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart (= Geschichte der Gegenwart. Band 8). Wallstein, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8353-1352-1.
Gunther Hellmann: Deutsche Außenpolitik. Eine Einführung (= Grundwissen Politik. Bd. 39). VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14906-7.
Kay Möller: Die Außenpolitik der Volksrepublik China von 1949–2004. Eine Einführung. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14120-1.
Paul Widmer: Schweizer Außenpolitik und Diplomatie. Von Pictet de Rochemont bis Edouard Brunner. Ammann, Zürich 2003, ISBN 3-250-10432-9.
Andreas Wilhelm: Außenpolitik. Grundlagen, Strukturen und Prozesse. Oldenbourg, München u. a. 2006, ISBN 3-486-58073-6.
Wichard Woyke: Die Außenpolitik Frankreichs. Eine Einführung. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-531-13885-5.
Jörg Ernesti: Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870. Herder, Freiburg i. Br. 2022, ISBN 978-3-451-39199-6.
Handbuch:
Siegmar Schmidt, Gunther Hellmann, Reinhard Wolf (Hrsg.): Handbuch zur deutschen Außenpolitik. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-531-13652-3.
Zeitschriften
Blätter für deutsche und internationale Politik
Foreign Affairs
Internationale Politik (Zeitschrift)
Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik
Le monde diplomatique
politique étrangère
Weblinks
Außenpolitik-Projekt der Uni Trier unter Leitung von Hanns W. Maull
Linksammlung zum Thema Außenpolitik und Medien
Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik e. V. – DGAP
Düsseldorfer Institut für Außen- und Sicherheitspolitik e. V. – DIAS
Stiftung Wissenschaft und Politik – SWP
Außen- und Sicherheitspolitische Studienkreise e. V.
Institut français des relations internationales
Außenpolitik auf dem Informationsportal zur politischen Bildung
Einzelnachweise
Diplomatie
Politikfeld
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Q181648
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https://de.wikipedia.org/wiki/Werbung
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Werbung
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Als Werbung wird die Verbreitung von Informationen in der Öffentlichkeit oder an ausgesuchte Zielgruppen durch meist gewinnorientierte Unternehmen verstanden, mit dem Zweck, Produkte und Dienstleistungen bekannt zu machen oder das Image von Unternehmen, Produkten und Dienstleistungen zu pflegen oder aufzubauen.
Sie dient sowohl der gezielten und bewussten als auch der indirekten und unbewussten Beeinflussung des Menschen zu meist kommerziellen Zwecken. Teils durch emotionale (Suggestion), teils durch informelle Botschaften spricht Werbung bewusste und unbewusste Bedürfnisse an oder erzeugt neue. Werbung wird über das rein optische Vorhandensein eines bedürfnisgerechten Angebotes wie eines ansprechenden Früchtestandes, über verbale Anpreisungen durch Marktschreier oder über Schrift und Text wie Tafeln, Plakate, Zeitungen, Zeitschriften und dergleichen sowie über Bilder verbreitet. Durch die modernen Medien wie Radio, Fernsehen, Film und Kino wurden die Möglichkeiten der Werbung vielschichtiger, komplexer und zum Teil verdeckter, so in der Produktplatzierung oder im Sponsoring.
Dieser Artikel befasst sich mit der Werbung im Hinblick auf jedes beliebige ökonomische Gut und dessen Einfluss auf den Menschen und die Umwelt als auch mit den technischen Anlagen (Werbeanlagen, Werbeträger). Werbeziel in diesem Sinne ist in erster Linie der Verkauf eines Produktes oder einer Dienstleistung; es kann sich aber auch um die Gewinnung eines Kooperationspartners bzw. Investors handeln. Werbung ist damit ein Instrument (wohl das bekannteste) der Kommunikationspolitik, vor allem der Kommunikationspolitik im Marketing und allgemein des Marketings. Im Marketing-Mix einer Marketingkampagne steht die Werbung neben Instrumenten wie Öffentlichkeitsarbeit (Public Relations), Verkaufsförderung, Direktmarketing und persönlichem Verkauf.
Ein Sonderfall ist Werbung für unentgeltliche, nicht gewinnorientierte Dienste oder Informationen wie Mitgliederwerbung, Spendenwerbung oder Wahlwerbung. Werbung wird klassisch als Impuls, Anpreisung, Anregung, Stimulation oder Suggestion transportiert, um eine spezifische Handlung, ein gewisses Gefühl oder einen bestimmten Gedanken bei anderen Menschen anzuregen und zu erzeugen.
Grundlagen
Abgrenzung und Definitionen
Im weiteren Sinne ist Werbung ein elementarer Bestandteil der menschlichen Kommunikation, z. B. sozialer Interaktion, um individuelle Aufmerksamkeit zu erregen, Gunst zu gewinnen und soziale Tauschvorgänge einzuleiten, Entscheidungen zu beeinflussen oder um Partner zu werben (siehe Brautwerbung, Flirt und Partnerwahl).
In der Biologie ist andererseits Werbung ein Bestandteil des Paarungsrituals vieler Tiere. Dazu gehören zum Beispiel Balzen, Umwerben, Locken und Drängen.
Im engeren betriebswirtschaftlichen Sinn wird Werbung als eine von mehreren Funktionen der Marktkommunikation im Marketing verstanden. Sie befasst sich mit dem Transport von Werbebotschaften über geeignete Werbemittel an die Zielgruppe(n) eines Unternehmens zur Erreichung eines bestimmten Ergebnisses: in der Regel den (verbesserten) Absatz eines Produktes.
Grundsätzlich zielt Werbung auf die Absatzförderung konkreter Angebote, Produkte oder Dienstleistungen. Im Unterschied dazu befasst sich die Public Relations (Öffentlichkeitsarbeit) wesentlich stärker mit Inhalten, Argumenten und Fakten und ist nicht unmittelbar auf den Absatzerfolg eines Produkts gerichtet, sondern vielmehr darauf, ein allgemeines langfristig positives Image zu schaffen.
Bei manipulativer Werbung in der Politik spricht man von Propaganda, in der Religion von Mission. Zur Anwerbung von Soldaten siehe Werbung (Militär).
Es gehört zum betriebs- und volkswirtschaftlichen Standardwissen, dass die Werbung ein Standbein der wachstumsorientierten, freiheitlich-kapitalistischen Wirtschaft sein kann. „Werbung gehört zum Mark des wirtschaftlichen Kapitalismus“. „Der gegenwärtige Kapitalismus könnte nicht funktionieren und die globalen Produktionsnetzwerke könnten ohne Werbung nicht bestehen.“
Je nach Stand- bzw. Blickpunkt gibt es verschiedene Begriffsdefinitionen und selbst innerhalb einer Disziplin, z. B. der Betriebswirtschaftslehre gibt es verschiedene Betrachtungsweisen der „Werbung“.
Karl Christian Behrens versteht darunter „eine absichtliche und zwangsfreie Form der Beeinflussung, welche die Menschen zur Erfüllung der Werbeziele veranlassen soll“.
Otto Walter Haseloff sieht Werbung als die „öffentliche, gezielte und geplante Kommunikation der Information, der Motivation, der Überzeugung und der Manipulation eines definierten Kreises von Umworbenen zugunsten der Marktchancen eines Produktes oder des Images eines Unternehmens“.
Heribert Meffert zitiert Schweiger/Schrattenecker (1995): „Ein kommunikativer Beeinflussungsprozess mit Hilfe von (Massen-) Kommunikationsmitteln in verschiedenen Medien, der das Ziel hat, beim Adressaten marktrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen im Sinne der Unternehmensziele zu verändern.“
Frank Neuhaus sieht Werbung als „alle kollektiv wirkenden Maßnahmen, die im Interesse eines Unternehmens oder einer Gruppe von Unternehmen eingesetzt werden, um einen Kundenstamm zu gewinnen, zu entwickeln und zu binden“.
Philip Kotler und Friedhelm Bliemel definieren die Werbung wie folgt: „Die Werbung ist eines der Instrumente der absatzfördernden Kommunikation. Durch Werbung versuchen die Unternehmen, ihre Zielkunden und andere Gruppen wirkungsvoll anzusprechen und zu beeinflussen. Zur Werbung gehört jede Art der nicht persönlichen Vorstellung und Förderung von Ideen, Waren oder Dienstleistungen eines eindeutig identifizierten Auftraggebers durch den Einsatz bezahlter Medien.“
Eine tiefer liegende soziologische Definition gibt Ernst Primosch: „Die Werbung ist ein Ort, an dem sich die tief greifenden Erscheinungen einer Epoche ausdrücken, deren Geschichte, Ängste, Mythen, Vorlieben und Interessen“.
Nach einer juristischen Definition im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) stellt eine Wettbewerbshandlung u. a. jede „Handlung mit dem Ziel der Förderung des eigenen oder fremden Absatzes oder Bezugs von Waren oder Dienstleistungen“ dar ( UWG).
Einen Anhaltspunkt zu einer weiteren juristischen Definition liefert das europäische Recht mit Art. 2 a) der Richtlinie zu irreführender und vergleichender Werbung (2006/114/EG). Diese definiert Werbung als „jede Äußerung bei der Ausübung eines Handels, Gewerbes, Handwerks oder freien Berufs mit dem Ziel, den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich unbeweglicher Sachen, Rechte und Verpflichtungen, zu fördern“. Diese Definition dient auch als Grundlage im deutschen Wettbewerbsrecht.
Im Baurecht der deutschen Bundesländer geht es überwiegend um die physische Erscheinung der Werbung und die Genehmigungspflicht. Als sogenannte Werbeanlagen sind in der Bauordnung ortsfeste Einrichtungen definiert, die der Ankündigung oder Anpreisung oder als Hinweis auf Gewerbe oder Beruf dienen und vom öffentlichen Verkehrsraum aus sichtbar sind. Hierzu zählen insbesondere Schilder, Beschriftungen, Bemalungen, Lichtwerbungen, Schaukästen sowie für Zettelanschläge, Bogenanschläge oder Lichtwerbung bestimmte Säulen, Tafeln und Flächen. Dazu gehören auch beispielsweise Anhänger mit Aufschriften, die zu Werbezwecken am Straßenrand abgestellt werden (Sondernutzung). Bei der Zulässigkeit von Werbung innerhalb bestimmter Baugebiete spielt auch der Inhalt der Werbung eine Rolle, in dem zwischen Eigen- und Fremdwerbung unterschieden wird.
Wortherkunft
Etymologisch handelt es sich hierbei um die substantivierte Form des Verbs werben. Dieses steht in engem Zusammenhang mit wirbeln. Die grundlegende Bedeutung kann daher auch so viel wie „sich drehen“ meinen. Ebenfalls einschlägige Bedeutungen sind: „hin und her gehen“, „sich umtun“, „sich bemühen“, „etwas betreiben“, „ausrichten“, „wenden“ oder „wandeln“.
Seit dem Altertum gab es in vielen Kulturen die Brautwerbung. Die historisch erste neuzeitliche Definition des Begriffs „Werbung“ bezog sich ausschließlich auf Soldatenwerbung. Für das heutige Verständnis des Begriffes verwendete man demgegenüber in Deutschland noch bis in die 1930er Jahre den Begriff Reklame (abgeleitet von französisch réclamer „ausrufen“, „anpreisen“). Dieser wurde von den Nationalsozialisten systematisch verdrängt, da man die angeblich „jüdische Reklame“ der Weimarer Republik durch eine „deutsche Werbung“ ersetzen wollte.
Historische Wurzeln der kommerziellen Werbung
Das Auslegen und Anpreisen von Waren auf Märkten stellt die Urform der Werbung dar. Erste Funde kommerzieller Werbetafeln sind aus den Ruinen von Pompeji bekannt. Marktschreier, die von Markt zu Markt zogen, priesen bereits im Mittelalter Waren und Dienstleistungen an. Die Werbung beschränkte sich dabei auf den Ort des Handelns, nämlich den Marktstand oder den Laden. Die Trennung vom Ort des Handelns und die Verwendung anderer Werbemittel bzw. -formen nahm um 1850 im Zusammenhang mit der industriellen Revolution ihren Anfang. Mit der damit einsetzenden Massenproduktion wurden Produkte angeboten, die über die Deckung des existenznotwendigen Bedarfs hinausgingen. Waren deckten in zunehmendem Maße nicht nur den originären Bedarf, sondern befriedigten neben reiner Nutzenerfüllung emotionale und tiefer liegende psychologische Aspekte. Markenprodukte wurden mit der Zeit immer wichtiger. Erste, nun meist in Serie produzierte Luxusgüter waren im gehobenen Massenmarkt erhältlich (wie im großstädtischen Kaufhaus). Bis zum Ersten Weltkrieg wurde für Werbung das Wort Reklame benutzt.
Mit der Pressefreiheit 1849 in Preußen vermehrten sich die geschäftlichen Anzeigen (Annoncen) und die Presse war mehr und mehr auf diese Einnahmen angewiesen. 1855 eröffnete Ferdinand Haasenstein das erste „Vermittlungsinstitut“ (Annoncen-Expedition), um den Anzeigenmarkt zu organisieren. Daraus wurden die ersten Werbeagenturen im deutschsprachigen Raum. Ab 1854 stellte Ernst Litfaß in Berlin die ersten von ihm erfundenen Litfaßsäulen auf. Mit der Zunahme an Werbung fand auch erste Werbekritik ihren Anfang: Menschen beschwerten sich über „Schmutz und Schwindel“ im Anzeigenwesen.
Mit Einsetzen der Massenproduktion wurde Konsum zu einem neuen Bestandteil der Lebenswelt, dessen Bedeutung ständig zunahm. Verbraucher konnten dadurch ihre Position in der Gesellschaft ausdrücken und Markenartikel gewannen an Bedeutung. Marken setzten sich nachhaltig und merklich durch. Hier ist auch ein Professionalisierungsschub der Werbung zu nennen – grafische Darstellungen und bislang unübliche große Schaufenster zierten das Stadtbild seit den 1920er Jahren. Der Slogan Ein Bild sagt mehr als tausend Worte stammt aus dieser Zeit. Die fortschreitende Elektrifizierung brachte erste Lichtreklamen, wie das heute noch bestehende Bayer-Kreuz in Leverkusen.
Um 1930 begann ein Paradigmenwechsel (tief greifender Umwälzungsprozess): vom Verkäufermarkt, in dem der Anbieter dank knappen Warenangebotes weitgehend die Konditionen festlegte, zum nachfragedominierten Käufermarkt. Der Kunde konnte aus einer reichhaltigen Vielzahl konkurrierender Angebote in der unübersehbar ausufernden Warenwelt wählen. Waren deckten nicht nur den originären Bedarf, sondern neben reiner Nutzenerfüllung weitere emotionale Aspekte. Markenprodukte wurden mit der Zeit immer wichtiger.
Der Beginn der ersten Markenstrategien in Deutschland mit Einführung des Backpulvers von Dr. Oetker gilt als Geburtsstunde des europäischen Marketings und auch als klassisches Beispiel für eine langfristig angelegte Werbestrategie. Odol und Persil gelten als klassische, massenhaft hergestellte Markenprodukte aus dieser Zeit. Ab 1950/1960 setzte mit dem Einzug der Selbstbedienungsläden ein weiterer Wandel ein. Das Produkt musste sich von anderen abheben. Die vorherige Bekanntheit eines Produktes durch Werbung wurde wichtiger, um die Aufmerksamkeit des Kunden zu erregen.
Werbemethoden
Konzeption und Umsetzung
Werbeträger und Werbemittel
Der Werbeträger ist das Medium, das die eigentliche Botschaft mit Hilfe von Gestaltungsmitteln (Werbemittel) vermittelt. Mit dem Begriff der Werbung werden häufig gleichzeitig Werbeträger und -mittel abgedeckt. Werbemittel sind Anzeige, Verkaufsprospekte, Brotbeutel mit Werbung, Plakate, Aufkleber, TV-Spot, Radio-Spot, Film-Spot, Paidmailer, Textildruck, Beschriftung, Mailing, Messestand, Werbefigur, Werbemusik, Werbespiele oder Pop-ups. Die Leistung eines bedruckten Werbeträgers wird mit Hilfe des Tausend-Kontakt-Preises (TKP) gemessen, der Preis für je 1000 erreichte potenzielle Interessenten.
Andererseits gibt es den Begriff Werbeträger für den Artikel, der die Werbung übernimmt. Es gibt grundsätzlich kaum etwas, das nicht als Werbeträger geeignet ist oder genutzt wird. Die einzige gemeinsame Bedingung ist, dass der Träger von Menschen wahrgenommen wird. Diese Auflistung gibt daher nur einen Überblick über die Möglichkeiten.
im öffentlichen Raum (Außenwerbung): Litfaßsäule, Gerüstplane, Baureklame, Plakatwand, Fassaden oder Mauern (Bemalung, Schilder, Ausleger), Bauzaun, Skywriting, Gehwegflächen, Bahnsteige, Treppen
in der freien Landschaft: an Berührungen, auf Strandflächen,
in öffentlichen und halböffentlichen Einrichtungen: Sportstätten, Schulen, Krankenhäusern, U-Bahn-Stationen
Werbegeschenke: Kalender, Kugelschreiber, Visitenkarte, Feuerzeug, Chips für Einkaufswagen
Medienwerbung, z. B. Hörfunksendung, Fernsehsendung, Zeitungswerbung, Prospekt (Werbung), Kinowerbung, Internetseite, Werbespiele, Spam
Videospiele
Verkehrsmittelwerbung:auf und in Bahnen und Bussen, Taxen, Lkw
Textilwerbung: Trikotwerbung, auf Jacken, Hemden, T-Shirts oder Mützen,
Verkaufswerbung am Verkaufsort: Display, Schaufenster, Lautsprecher, Ladenfunk, Verkaufsraumgestaltung, Verkaufsraumbeduftung, Einkaufswagen, CashPoster, das Personal selbst, z. B. im Warenhaus bzw. (Fach-)Einzelhandelswerbung
Duftwerbung
gezielte Beschallung
Tätowierung
Telefonanruf, Fax
Couponing
Entwicklungen aus jüngerer Zeit sind Videospiele, die Waren in ihr Programm einflechten, spezielle Werbekanäle in Krankenhäusern sowie Persönlichkeiten, die zeitweise Tätowierungen tragen. Eine Methode, nicht als Werbung zu erkennen, ist das sogenannte Guerilla-Marketing, bei dem ein aufsehenerregendes Gerücht über ein neues Produkt in einer Zielgruppe verbreitet wird. Für finanzschwache US-amerikanische Städte ist es eine Einnahmequelle, Flächen auf Polizeifahrzeugen für Werbezwecke anzubieten. Kuriose Werbeträger wie Raketen oder die Internationale Raumstation ISS oder Lebensmittel erweitern die Palette anscheinend grenzenlos.
Andere beispielhafte Entwicklungen in jüngerer Zeit sind, dass ganze U-Bahn-Stationen in Berlin in Produkthaltestellen umgestaltet und ausschließlich an ein Unternehmen vermietet werden, das Vitrinen, Säulen und Wände mit seiner Werbung ausstattet. Düsseldorf hat multisensorische Erlebnishaltestellen, die mit Lautsprechern und mit Beduftungssystemen bestückt sind, die den Geruch eines beworbenen Waschmittels verströmen. Die Firma Swatch benutzte Beamer, um für Uhren an der Berliner Siegessäule und am Fernsehturm zu werben. Die Geldstrafe in fünfstelliger Höhe für die nicht genehmigte Aktion war eingerechnet; die Illegalität sorgte für zusätzliche Aufmerksamkeit. Zu den neueren Werbeformen zählen im weiteren Sinne auch die Kundenbindungsprogramme, die im Grunde die elektronische Form der früheren Rabattmarken ist. Bereits Anfang des vergangenen Jahrhunderts waren Rabattmarken weit verbreitet und genossen eine hohe Akzeptanz. Ein Beispiel ist die Konzern-Kooperation „Payback“ oder in der Schweiz die Rabattkarten der größeren Lebensmittelkonzerne wie Migros oder Coop. Solche Rabattprogramme sind bei Datenschützern umstritten, weil Unternehmen mit der Zeit Einkaufsprofile erstellen und Einkaufsverhalten erforschen können.
Allerneueste Trends in der Werbung sind der gezielte Einsatz von Düften, die teilweise unterhalb der bewussten Wahrnehmungsschwelle liegen, und die gezielte Beschallung von einzelnen Passanten, wobei die Herkunft einer Botschaft nicht erkennbar ist.
Sonderformen der Werbung
Aufgrund ihrer Vielschichtigkeit lässt sich Werbung auf unterschiedliche Weise klassifizieren bzw. kategorisieren und es gibt Sonderformen. Die wichtigsten sind:
Cross Promotion und Mund-Propaganda
Wenn Unternehmen verschiedener Leistungsbereiche gleiche oder ähnliche Zielgruppen haben und gemeinsame Werbung entwickeln, wie im Fall BMW Z3 und MGM, wird von Cross-Promotion gesprochen. Hier profitieren beide Parteien von der Deckungsgleichheit einer Imagebotschaft und senken gleichzeitig die Schaltkosten bzw. Beschaffungskosten der Ausstattung, z. B. für einen Kinofilm. Derartige Ziele werden auch mit Vitrinentausch im Einzelhandel, Cross-Selling-Aktionen im Außendienst oder gemeinsamer Plakatwerbung von NGOs und karitativen Unternehmen verfolgt.
Auch sind persönliche Empfehlungen (Mundpropaganda) und die Verbundenheit der Zielgruppe für „ihre“ Marken und das allgemein positive Image mancher Marken beispielsweise bei Kindern oder Besserverdienern geeignet, dauerhaft die Aufmerksamkeit auf dazugehörige Angebote zu lenken. Die Empfehlung einer sympathischen Marke oder eines zufrieden stellenden Anbieters im Bekanntenkreis ist eine der Hauptumsatzquellen für das sogenannte Netzwerk-Marketing, bei dem selbständige Handelsvertreter beinahe ausschließlich über Empfehlungen werben. Sowohl Cross-Promotion als auch das sog. Empfehlungsmarketing nutzt diese Deckungsgleichheit der Meinungsbildung zur Generierung zusätzlicher Interessentenkontakte im Vertrieb.
Low-Budget-Werbung
Low-Budget-Werbung (Werbung mit kleinem Etat) ist eine Kategorisierung nach vergleichsweise niedrigem finanziellen Aufwand. Der Werbeerfolg hängt damit stärker von einer guten Werbeidee ab. Strategien für Low-Budget Werbung sind z. B. Guerilla-Marketing, Virales Marketing und Pressemitteilungen.
Direktwerbung
Bei der Direktwerbung werden potentielle Kunden direkt angeschrieben. Es handelt sich somit um eine vereinfachte Form des Direktmarketing ohne Dialogelement, also ohne Responseverstärker. Im Unterschied zur allgemeinen Massenwerbung hat die Direktwerbung eine höhere Zielgruppensicherheit, weil sie im Gegensatz z. B. zur Radio- oder Fernsehwerbung personengerichtet eingesetzt wird.
Das wichtigste Element der Direktwerbung ist das Mailing, bei der die Informationen im Vordergrund stehen und nicht die mögliche Antwort des Umworbenen. Die Gestaltung eines solchen Briefes folgt in der Regel im Aufbau dem AIDA-Modell und Erkenntnissen aus der Forschung über Gebrauchstauglichkeit (usability). Eine weitere Sonderform der Direktwerbung ist das Couponing. Mithilfe von Couponing-Portalen versuchen Unternehmen Neukunden mit vergünstigten Kennenlernangeboten für ihre Produkte und Dienstleistungen zu interessieren.
Produktplatzierung und Schleichwerbung
Hierbei handelt es sich um Werbung, die zwar wahrgenommen, nicht aber als solche erkannt wird (Schleichwerbung oder Produktplatzierung). Solche Werbung kann eine starke Wirkung zu minimalen Kosten haben. Gängige Produkte werden in Filme oder Fernseh-Programme eingebaut, seien es Zigaretten, Autos, Getränke. Bei der sogenannten virtuellen Werbung werden Waren nachträglich in wiederholte Sendungen platziert. In den USA werden Werbeleinwände virtuell in Übertragungen von Major League Baseballspielen eingefügt und in der gleichen Weise wurden Werbesprüche oder Logos auf den Baldachin oder den Gehweg projiziert, den Showstars bei der 2001 Grammy Awards Verleihung passierten. Werbung wird vor den Filmen in Kinos gezeigt, mit aufwändigen Werbekurzfilmen, wie von Microsoft oder DaimlerChrysler. Die größten Werbeagenturen sind sehr darum bemüht, zusammen mit den größten Medienunternehmen, Programme herzustellen. Das Ergebnis sind '’Infomercials,’’ die aber Unterhaltungsprogrammen ähneln. Nach den geltenden Richtlinien der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten ist Schleichwerbung im deutschen Fernsehen verboten.
Arten der Produktplatzierung:
Verbal Placement – Das Produkt oder die Marke wird in den Filmdialog eingebaut oder sogar besonders hervorgehoben. Beispiel: „Mission Impossible“, wo es in einem Dialog wörtlich heißt: „[…] meine schöne Bulgari-Kette […]“
Visual Placement – Die Marke wird wörtlich nicht erwähnt, sondern nur im Bild gezeigt, zum Beispiel in Form einer Cola-Dose.
Country oder Location Placement – Städte, Länder oder Regionen machen Werbung, weil Szenen eines Films dort spielen. Beispiel: Als die drei Teile von „Herr der Ringe“ im Kino liefen, reisten viele Fans an die Drehorte nach Neuseeland.
Music Placement – Musikverlage versuchen, auf diesem Weg z. B. alte Titel wieder neu zu vermarkten. Im Gegenzug dient die Musik oft als Anreiz, sich den Film anzusehen oder die CD zum Film zu kaufen.
Negative Produktplatzierung – Produktplatzierungen können auch in negativem Sinn verwendet werden, nämlich um gewisse Produkte in Verruf zu bringen. Beispiel: In US-amerikanischen Polizeifilmen fahren die Übeltäter oft deutsche Autos.
On-Set Placement – Beim On-Set Placement ist das Produkt für den Handlungsablauf unwichtig. Es kommt nur am Rande und nur ganz kurz ins Bild. Beispiel: leichterkennbares Produkt wird kurz in die Kamera gehalten.
Image Placement – Der Inhalt eines ganzen Films wird auf ein Produkt, eine Marke oder eine Institution abgestimmt. Beispiel: Der Film „Top Gun“ diente zur Imageverbesserung des Militärs.
Unterschwellige Werbung
Unterschwellige Werbung ( subliminal advertising, sub-threshold advertising) bezeichnet die Form der Werbung, die auch bei angespannter Aufmerksamkeit nicht bemerkt werden kann (etwa, weil sie aus sehr kurzen, zehntelsekundenlangen tachistoskopischen optischen Botschaften besteht), der aber unterstellt wird, dass sie trotzdem wirkt.
In den 1950er Jahren wurde diese Form der Werbung in den USA, Großbritannien und Deutschland diskutiert, zum Teil anhand erfundener Versuchsberichte wie der Iss-Popcorn-trink-Cola-Studie. Unterschwellige Werbung wurde danach allerdings als optisch und akustisch nachgewiesenermaßen unwirksam fallen gelassen, jedoch nie ganz vergessen. Der Versuch, wirksame optische oder akustische Werbung gänzlich unter der Aufmerksamkeitsschwelle anzubieten, galt nach wahrnehmungspsychologischer Untersuchung lange Zeit als ineffektiv. Neuere Untersuchungen legen nahe, dass unterschwellige Werbung dann wirken kann, wenn sie zu momentanen Bedürfnissen der Rezipienten passt, also zum Beispiel die Werbung für ein Getränk bei durstigen Menschen. Mögliche Anwendungen eröffnet auch die olfaktorische Wahrnehmung, das heißt Werbung über den Geruchssinn, zum Beispiel in der Ausprägung des „Duftdrucks“ (siehe hierzu Ladenverkauf).
Personifizierung
Die Personifizierung (Vermenschlichung) abstrakter Begriffe, zum Beispiel Verunreinigungen, lehnt an das Konzept der positiv besetzten Werbefigur an und kehrt die emotionale Assoziation um. Grauschleier oder Flecken werden im Werbespot zu kleinen, haarigen oder gar schleimigen Wesen, um so den natürlichen Ekel des Menschen vor solchen Krankheitsüberträgern (Insekten, Würmern, Milben) zu wecken. Oft wird Wissenschaftlichkeit durch die Darstellung suggeriert; Mikroskopie-Aufnahmen, weiße Kittel, Diagramme.
Schockwerbung
Die Lernpsychologie bestätigt empirisch, dass sich ein Thema, also auch ein Produktname, besser in das Gedächtnis einprägt, wenn es in einem emotional erregenden Kontext kennengelernt wird. Eine solche emotionale Erregung können sowohl sexuelle Anspielungen als auch Angst, Ekel oder Wut hervorrufen. Eine hohe Aufmerksamkeit erzielte „Tabu- oder Schockwerbung“ mit negativ besetzten Motiven. Schockierende Werbung, die besonders durch Benetton geprägt wurde (verölte Ente), hat explizit nicht das Produktinteresse zum Ziel: „Wir machen kein Hightech-Produkt. Darum ist es wichtig, dass Menschen, die nicht unsere Pullover und Röcke kaufen, über Benetton sprechen.“
In ihrem Buch „Schockierende Werbung – Verstoß gegen § 1 UWG?“ definiert Ulrike Wünnenberg diese Art und Weise der Werbung folgendermaßen: Es ist „das Werben mit einer ‚gestellten‘ oder realistischen Bildaufnahme, die Not, Leid und Elend, aber auch religiöse oder politisch höchst sensible Themen zum Inhalt hat, keinerlei oder nur unzureichenden Sachbezug zu dem zu bewerbenden Produkt oder Unternehmen aufweist und lediglich bzw. dennoch mit dem Logo eines Unternehmens oder eines Produkts verbunden ist, die aber aufgrund ihres unerwarteten Motivs geeignet ist, Reaktionen vielfältiger Art von heftigster Intensität hervorzurufen“.
Da diese Annahmen sehr unterschiedlich sein können, ist die Wirkung schockierender Werbung immer abhängig von sozialen, kulturellen und individuellen Faktoren. Um provozieren zu können, bedarf es auf Seiten des werbetreibenden Unternehmens daher einer fundierten Kenntnis gesellschaftlicher wie kultureller Umstände und kollektiv akzeptierter Gewohnheiten und deren Grenzen. Auch die menschliche Sexualität eignet sich, um durch die Überschreitung sozial akzeptierter (Seh-)Gewohnheiten im öffentlichen Raum die Aufmerksamkeit des Rezipienten zu erlangen. Um die Jahrhundertwende 1890 bis 1905 zeigte Anheuser-Busch erstmals überhaupt fotografische Abbildungen in der Bierwerbung.
Bis in die 1950er Jahre wurde dann in den USA vereinzelt immer wieder mit leicht erotisch anmutenden Motiven geworben. Doch erst im Spätsommer 1953 kam die erste Playboy-Zeitschrift in den USA auf den Markt. Es wurde erstmals eine Frau vollkommen nackt (erotisch) in einem regulären Magazin abgebildet, das für die breite Öffentlichkeit bestimmt war. Mit der damals noch jungen Marilyn Monroe als Pin-up-Girl und den entsprechend geschalteten Werbeanzeigen des Playboys wurde der Slogan „sex sells“ als solches geprägt. Das entsprechende, allgemeine Werbeumfeld akzeptiert und nutzt dies. Werbemethoden wie diese sind aber nicht ganz unumstritten.
Der Berliner Getränkehersteller K-Fee brachte im Frühjahr 2004 eine Schockwerbung heraus. Während z. B. ein Auto friedlich fährt, schießt eine Zombiegestalt hoch und schreit hysterisch. Allerdings musste die Werbung wieder eingestellt werden, weil sich viele Menschen beim deutschen Werberat beschwert hatten. Der Bundesgerichtshof lockerte allerdings seine Rechtsprechung zu „gefühlsbetonter Reklame“ in einem Urteil vom 22. September 2005, I ZR 55/02. Neu ist, dass eine Werbung nicht allein deswegen unlauter ist, weil sie Kaufinteresse – ohne sachlichen Zusammenhang mit der beworbenen Ware – maßgeblich durch Ansprache sozialen Verantwortungsgefühls weckt (Auslobung einer Spende an Umweltschutzorganisation).
Absurde Werbung
Absurde Werbung ist Werbung in Form von nebeneinander gestellten Bildern, Wörtern oder Stimmen, die vom Betrachter als bizarr, irrational, unlogisch und durcheinander empfunden werden. So machte beispielsweise der Computerhersteller Dell in Zeitungsanzeigen Werbung mit einem gefleckten Elefanten. Es werden vier Formen der Absurdität unterschieden und voneinander abgegrenzt: Surrealismus, Anthropomorphismus, Allegorie und Hyperbel. Die Wirkung absurder Werbung ist weitgehend unerforscht. Einige Forschungen haben gezeigt, dass die Wahrnehmung absurder Werbung von Einflussfaktoren, wie vorheriger Einstellung zur Produktkategorie, individuelle Differenzierung, Programmumfeld, abhängig ist.
Unterschiede in Konsumgüter- und Investitionsgüterwerbung
Investitionsgüter wie Werkzeugmaschinen, Kraftwerke oder Nutzfahrzeuge werden anders verkauft als Konsumprodukte. Klaus Backhaus (Investitionsgütermarketing 2003) stellt dar, dass sich in Bezug auf sämtliche Bereiche des Marketing und der Unternehmensführung für Konsumgüteranbieter und Anbieter langlebiger Waren und Dienstleistungen grundsätzlich unterschiedliche Strategien entwickelt haben. Als Investitionsgüter werden hier Leistungen bezeichnet, die von Organisationen wie Unternehmen oder öffentlichen Verwaltungen beschafft werden, um weitere Leistungen zu erstellen, die nicht in der Distribution an Endkunden (private Haushalte) bestehen.
Im Bereich der Marktkommunikation, insbesondere der Werbung, unterscheiden sich somit Werbestrategie, Tonalität und Copy sowie die Nutzwertorientierung der Werbebotschaft erheblich. Im Konsumgütermarkt finden relevante Werbemaßnahmen eher im Rahmen der klassischen Werbung (TV, Radio, Printmedien) statt. Investitionsgüterwerbung erreicht die Entscheidungsträger hingegen eher per Direktmarketing. Die zahlenmäßig geringeren Zielpersonen (Entscheider institutionalisierter Nachfrager) interessieren sich bewusst weitaus stärker für den sachlichen Informationsgehalt der Werbung, reagieren jedoch ebenso intuitiv auf vertrauensbildende Wirkelemente und Werbemittel wie andere Konsumenten.
In der Regel sind sowohl auf der Abnehmerseite als auch auf Seiten des Anbieters von Investitionsgütern mehrere Personen am Kaufprozess beteiligt, wobei die entsprechenden Organisationen als Buying Center auf der Abnehmerseite bzw. Selling Center auf der Anbieterseite bezeichnet werden. Die Werbung wird somit in erster Linie in der Interaktion zwischen diesen Organisationen geleistet und nicht an einem anonymen, passiven Markt wie beim Konsumgütermarketing platziert. Daher ist eine gewisse Stabilität der Beziehungen zwischen Herstellern und Abnehmern charakteristisch (vgl. Zentes: Grundbegriffe des Marketing, 1996, S. 182).
Geringere Schaltfrequenz mit höherer Informationsdichte sachbezogener Nutzwertinformationen entsprechender Werbemaßnahmen führen zur Schaffung eines positiven Klimas für das persönliche Verkaufsgespräch und zur Stimulierung der Nachfrage auf Folgestufen der Absatzprozesse (z. B. Betreuung, gemeinsame Forschung und Entwicklung sowie Schulung). Die Werbemaßnahmen des Konsumgütermarktes zielen hingegen eher auf affektive Kaufentscheidungen und Imagebildung.
Werbekanäle
Klassische Werbung in der Kommunikationspolitik des Marketing
Die klassische Werbung, auch Mediawerbung genannt, hat von allen Instrumenten in der Kommunikationspolitik des Marketing die größte Bedeutung. Die Voraussetzung für den Erfolg der klassischen Werbung ist die Akzeptanz der Werbung bei den Konsumenten. Als klassische Werbung wird Werbung in Insertions-/Printmedien und in Audio-/Videomedien bezeichnet.
Zu den Insertions-/Printmedien gehören:
Zeitungen
Publikumszeitschriften
Special-Interest-Zeitschriften
Fachzeitschriften
Zu den Audio-/Videomedien gehören:
Fernseher
Kino
Rundfunk
Internet
Vor- und Nachteile der verschiedenen Medien
Zeitungen
Vorteile sind, dass sie eine kurzfristige Disponierbarkeit, ein exaktes Timing und eine hohe Aktualität gestatten. Ihr Nachteil ist es, dass die genaue Zielgruppenansprache erschwert ist, da Zeitungen von einem breiten Spektrum der Bevölkerung gelesen werden, nicht nur von der Zielgruppe. Weiterhin können Werbebriefe und kostenlose Zeitungen mit einem entsprechenden Aufkleber am Briefkasten verhindert werden.
Publikums- und Spezielle-Interessen-Zeitschriften
Vorteil ist die relativ hohe Chance für Mehrfachkontakte, sie haben eine hohe Reichweite und verursachen niedrige Kosten. Nachteile sind jedoch Streuverluste, und eine längerfristige Planung ist notwendig.
Fachzeitschriften
Vorteile: Sie werden von einem spezifischen Leserkreis gelesen, und es besteht eine hohe Leser-Involvierung. Nachteile: Der Zweck der Fachzeitschriften, die Vermittlung von Informationen, kann der Werbung entgegenwirken, da die Leser ihre Aufmerksamkeit nur auf die Artikel richten und die Werbung völlig ignorieren.
Fernsehen
Vorteile bestehen darin, dass eine Vielfalt an Gestaltungsvariationen für die Fernsehwerbung besteht, und es wurden neuere Formen der Werbung wie über Videotext ermöglicht. Der Fernseher stellt heutzutage ein grundlegendes Basismedium dar, und die Werbung ist geografisch und zeitlich flexibel. Demgegenüber sind die Nachteile, dass Werbung hohe Kosten verursacht, und es gibt Restriktionen bei der Platzierung der Werbung. Weiterhin ist das Verhältnis der Spotlänge zur Gesamtwerbezeit problematisch, denn wenn die Spotlänge zur Gesamtwerbelänge zu kurz ist, geht die Werbebotschaft in der Menge unter, bei zu langen Werbespots dagegen kann es zur Abnahme der Aufmerksamkeit führen. Weiterhin bestehen leichte Ausweichmöglichkeiten der Werbung (Computer nutzen, stummschalten, umschalten auf ein anderes Programm oder ausschalten).
Kino
Vorteile besitzt die Werbung in Kinos durch eine hohe Kontaktwahrscheinlichkeit und eine hohe Intensität. Zudem können Produkte im Kino direkt nach dem entsprechenden Spot angeboten werden. Nachteil ist die relativ geringe Reichweite (nur die Menschen im Kinosaal werden der Werbung ausgesetzt), und es besteht eine relativ hohe Reaktanzgefahr (die Leute sind im Kino um einen Film zu sehen, bei zu viel Werbung sinkt die Aufmerksamkeit, die der Werbung zugeteilt wird, und es kann zu einem negativen Effekt der Werbung kommen). Außerdem können lange Werbeblöcke auch zur Ärgernis und Gereiztheit des Publikums führen.
Rundfunk
Vorteile sind niedrige Kosten und es kann schnell eine hohe Reichweite erzielt werden. Rundfunk bietet regional eine effektive Werbeform; dem steht der Nachteil entgegen dass dieses Medium für eine national flächendeckende Werbung nicht geeignet ist. Zudem kann in manchen Fällen die gewünschte Zielgruppe nur schwer erreicht werden.
Internet
Seine Vorteile sind die Vielfalt an Gestaltungsvariationen für die Werbung. Das Internet bietet Möglichkeiten der kurzfristigen Disponierbarkeit, eines exakten Timings, einer hohen Aktualität sowie der gezielteren Zielgruppenansprache durch individualisierte Werbung. Nachteil ist die Reaktanzgefahr durch zu viel Werbung. Durch die Verwendung von „Popup- und Bannerblockern“ wird Werbung vom Nutzer nicht mehr wahrgenommen, auch wenn mittlerweile sogenannte Anti-AdBlock-Scripte im Umlauf sind.
Werbung und Medien
Werbung und Medien stehen in einem engen Zusammenhang. Zeitungen etwa weisen eine mehr oder weniger hohe Anzeigenmenge auf. Die Werbeindustrie finanziert mit diesen Anzeigen die Zeitung und damit indirekt die dahinter stehende Redaktion. Daraus folgen Abhängigkeiten, die einer freien, unabhängigen Berichterstattung widersprechen. Bei kritischer Berichterstattung über gewisse Produkte droht der Werbekunde, keine Anzeigen mehr zu schalten. Andererseits ist einem Werbetreibenden nicht damit gedient, in einer Publikation zu werben, die vom Leser nicht als industrieunabhängig wahrgenommen wird.
Beispiel 1914
Der Klavierhersteller Steinway & Sons machte diesen Konflikt aus seiner Perspektive als Werbekunde 1914 deutlich: Es gäbe große Firmen, die erhebliche Summen zahlten, um auf diese besten Plätze der Zeitung zu gelangen. Man selbst gehe einen anderen Weg, denn , also anderswo in der Zeitung eine größere Fläche bucht. Leider seien jedoch die wichtigeren Zeitungen „weniger freigebig damit“. Die Reklameabteilung von Steinway bot weniger kritischen Redaktionen vorgefertigte Texte an:
Abhängigkeiten
Einerseits handelt es sich bei einem Großteil der Werbeträger um Massenmedien, andererseits sind fast alle Massenmedien Werbeträger, viele davon sind hauptsächlich Werbeträger und, mit Ausnahme des überwiegend oder vollständig gebührenfinanzierten öffentlich-rechtlichen Rundfunks, im privaten Eigentum. Das Einkommen der privaten Medien basiert zum großen Teil und manchmal ganz auf Werbeeinnahmen, wie beispielsweise bei Gratiszeitungen oder privaten Rundfunksendern, bei Zeitungen und Zeitschriften bis zu 80 %. Aber auch beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk kann bei Werbeeinnahmen von bis zu 40 % von einer Abhängigkeit gesprochen werden.
Aufgrund der hohen Bedeutung der Medien in einem demokratischen Gemeinwesen wird dieses Maß an Abhängigkeit zumindest als Bedrohung für die Vielfalt und Ausgewogenheit der Berichterstattung betrachtet. Ein Medium, das Werbung verbreitet, kann kaum noch unabhängig sein und je größer der Werbeanteil ist, desto höher ist auch die Abhängigkeit. Diese Abhängigkeit hat
Medienkonzentration
Die privaten Medien unterliegen überdies einer zunehmenden Konzentration, wobei die Besitzverhältnisse oftmals verworren oder undurchsichtig sind. Diese Entwicklung stellt eine „laufende Bedrohung der demokratischen Kultur dar“, die, nach Meinung von Politikern und Gesellschaftswissenschaftlern, schon für sich alleine genommen in einer Demokratie alle Alarmglocken schrillen lassen müsste. Nur fünf oder sechs Werbeagenturen dominieren die 400 Milliarden US-Dollar schwere globale Werbeindustrie.
Negative oder unerwünschte Berichterstattung kann unterbunden oder beeinflusst werden, wenn Werbekunden mit dem Entzug von Aufträgen drohen, oder auch nur, wenn die Gefahr des Auftragsentzuges besteht. Ein deutliches Beispiel hierfür ist die Weigerung von Fernsehstationen in den USA und Kanada, Spots von Adbusters zu verbreiten. Besonders ausgeprägt ist die Abhängigkeit, wenn ein Medium nur einen oder wenige Großkunden hat. Der Einfluss eines Werbekunden betrifft nicht nur Information über ihn oder seine Produkte selbst, sondern auch Inhalte von Sendungen und Artikeln, sogar von Beiträgen, die nicht direkt mit dem Werbekunden zu tun haben. Um ihre Werbeeinnahmen zu sichern, müssen Medien bemüht sein, ein möglichst gutes „Werbeumfeld“ darzustellen.
Im privaten Rundfunkwesen entscheidet grundsätzlich die Quote über das Programm und somit über den Preis, der für Werbung erzielt werden kann. Das Geschäft der Sender besteht in der und die Zuschauerzahlen bestimmen den Preis, der für die Werbung erzielt werden kann.
Die Lage in den USA
In den USA ist die Bestimmung von Inhalten durch Unternehmen bereits seit 1933 gängige Praxis. Die Firma Procter & Gamble (P&G) vereinbarte damals mit einem Radiosender einen Tauschhandel (heute als „Bartering“ bekannt), der Geschichte machte: Der Konzern würde auf eigene Kosten eine Sendung produzieren und der Sender könnte die teure Produktion von Inhalten ersparen. Dafür wollte P&G seine Werbespots verbreitet und seine Produkte in der „Show“ in Szene gesetzt haben. Auf diese Weise entstand die erste Seifenoper (Soap Opera), die Serie ‚Ma Perkins‘, die P&G als Werbemedium für die damals führende Waschmittelmarke, Oxydol, nutzte. Die Seifenoper wurde von Anfang an von dem neuen Medium „Fernsehen“ übernommen.
Es gibt auch Beispiele unverhohlener Einflussnahme auf die Redaktion. Über seine Werbeagentur PentaCom ließ das US-Unternehmen Chrysler, noch vor seiner Fusion mit Daimler-Benz, einen Brief an zahlreiche Magazine mit der Aufforderung versenden, vor Erscheinen eines Heftes eine Übersicht über die behandelten Themen zu schicken. Vor allem wollte Chrysler erfahren, ob Inhalte vorkommen, die sich „sexuellen, politischen oder sozialen Angelegenheiten“ widmen oder als „provokativ oder offensiv“ ausgelegt werden könnten. David Martin, Chef der Werbeagentur PentaCom, meinte dazu: In einem anderen Fall gab es beim US-Fernsehsender „USA Network“ im Jahre 2000 auf höchster Führungsebene inoffizielle Termine, Sendungen des Werbefernsehens werden zugeschnitten, getaktet und inhaltlich so gestaltet, dass sie auf die Bedürfnisse der Werbung passen, die Einteilung der Sendung erfolgt in passende Abschnitte für Werbepausen. Diese werden möglichst auch dramaturgisch auf die Werbung abgestimmt, sodass die Abschnitte an ihrem Ende vor einem Spannungshöhepunkt stehen oder eine Frage offenlassen, um den Zuschauer bei der Stange zu halten.
Durch die zunehmende Verbindung lassen sich Werbung und Information immer weniger unterscheiden. Nach Ansicht des früheren RTL-Chefs Helmut Thoma
Patrick Le Lay, ehemaliger Geschäftsführer von TF1, einem privaten französischen Fernsehsender mit einem Marktanteil von 25 bis 30 % sagte:
Zusammenhang von Werbung und Demokratie
Aufgrund dieser Abhängigkeiten ist eine breite, öffentliche und fundamentale Debatte über Werbung und ihren Einfluss auf Information und Meinungsfreiheit, kaum möglich, da alle gängigen Medien davon betroffen sind.
Der US-amerikanische Schriftsteller Upton Sinclair thematisierte 1920 in seinem Roman „The Brass Check“ (dt. Der Sündenlohn 1921) den Einfluss der Eigentümer, Werber und ökonomischen Interessen auf die Medien. Sinclair war damit ein früher Kritiker der strukturellen Grundlage des US-amerikanischen Journalismus. In seinem Buch „Our Master’s Voice – Advertising“ (Die Stimme unserer Herren – Werbung) schrieb der Sozial-Ökologe James Rorty (1890–1973):
Werbung in Sport, Bildung und Kultur
Zur Erschließung weiterer Finanzquellen für Aufführungen, Ausstellungen, Konzerte, Kongresse und viele andere Veranstaltungen sowie für den Sport werden Kunst und Kultur in den Dienst der Verkaufsförderung gestellt. Aufgrund der Knappheit öffentlicher Mittel wetteifern Galerien, Museen, Sinfonieorchester um Sponsoren aus der Wirtschaft. Wo Sponsoren teilweise oder ganz die Finanzierung übernehmen, kaufen sie die Dienstleistung der Attraktion. Künstler werden danach beurteilt und bezahlt, inwiefern ihre Kunst kommerzialisierbar ist. Werbung selbst wird zwischenzeitlich weitgehend als Kunst und Beitrag zur Kultur betrachtet. Unternehmen fördern bekannte Künstler und erhalten dafür exklusive Rechte in weltweiten Werbefeldzügen. Die La-Bohème-Aufführung beispielsweise, am Broadway in New York, nahm Werbebotschaften in ihrem Set auf. Werbung wird in die Mode integriert. Das Logo ist bei vielen Kleidungsstücken alleiniges Design und häufig wichtiger als das Kleidungsstück selbst.
Das Filmwesen wird zunehmend durch Strategien wie Lizenzvergaben, „Tie-ins“ (Einbindungen) und Produktplatzierungen in die Werbewirtschaft integriert. Die Hauptfunktion vieler Hollywoodproduktionen liegt heute in der Anpreisung von Waren. Die Presse bezeichnete den 2002er James-Bond-Film „Die Another Day“, der 24 Werbepartner auflistet, als „ad-venture“ (Werbeunternehmen) anstelle von „adventure“ (Abenteuer) und bemerkte, dass Bond nun die „Lizenz zum Verkaufen“ habe (anstelle der Lizenz zum Töten). Da es zur allgemeinen Praxis geworden ist, Produkte in Filmen zu platzieren, „hat dies offensichtliche Auswirkungen darauf, welche Filme für die Werbung attraktiv sind und welche Filme am wahrscheinlichsten gedreht werden“.
Das ursprüngliche absolute Verbot von Werbung an Schulen ist gelockert worden, und Sponsoring ist in den meisten Bundesländern unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Es gibt Werbeagenturen, die auf Werbeaktionen an Schulen spezialisiert sind. Städte, wie New York, akzeptieren Sponsoren für öffentliche Spielplätze (siehe auch: Schulmarketing).
Es gibt praktisch keinen Leistungs- und Profi-Sport ohne Sponsoring. Jürgen Hüther und Hans-Jörg Stiehler sprechen von einem Sport/Medien-Komplex als kompliziertes Aggregat von Medien, Agenturen, Management, Sportveranstaltern, Werbung und so weiter mit teils gemeinsamen, teils divergierenden, auf jeden Fall aber kommerziellen Interessen. Die Medien nehmen darin vermutlich einen zentralen Platz ein, weil sie den anderen Beteiligten ein knappes Gut, nämlich (potenzielle) öffentliche Aufmerksamkeit, zur Verfügung stellen können. Im Sport „können Medien enorme Verkaufszahlen hinsichtlich des Umlaufes als auch der Werbung zustande bringen.“
Die Tabakindustrie betrachtete den Sport als wertvollen Werbeträger, wobei der Formel-1-Rennwagen 1994 in einer Zeitschrift der Tabakwirtschaft als die „zugkräftigste Werbefläche der Welt“ beschrieben wurde. Obwohl Tabakwerbung 2007 nur noch bei 7 der 17 Formel-1-Rennen erlaubt war, blieb Phillip Morris bis 2010 Hauptsponsor des Rennstalls Ferrari.
Übertragungsrechte, Sponsoring und Merchandising stellen zwischenzeitlich den größten Anteil an den Einnahmen der im Mediensport tätigen Sportverbände und -vereine, allen voran das IOC (Internationales Olympisches Komitee), und nicht mehr der Verkauf von Eintrittskarten.
Aufgrund der Abhängigkeit von den Werbeeinnahmen hat sich im Sport in den vergangenen Jahren unter dem Einwirken der Medien vieles verändert. Hierzu zählen die Aufnahme von Trendsportarten in die Olympischen Spiele, die Veränderung von Wettkampfdistanzen, Regeländerungen, Animation der Zuschauer, Veränderungen in den Sportstätten, der Starkult um Sportler, die aufgrund ihres Medienwertes rasch in der Werbung und im Unterhaltungsgewerbe reüssieren und nicht zuletzt die Umwandlung von Sportstadien in Konzernarenen. Um an Geld zu kommen, verkaufen Vereine die Namensrechte für Sportstadien an Unternehmen. In den USA setzte dieser Trend bereits in den 1970er Jahren ein. In Deutschland begann er 2001 mit dem Hamburger Volksparkstadion, das in AOL Arena umbenannt wurde. Die meisten Stadien sind zwischenzeitlich dem Beispiel gefolgt: Das Stuttgarter Neckarstadion wurde über verschiedene Variationen zur MHPArena, das Dortmunder Westfalenstadion ist heute offiziell der Signal Iduna Park. Die Umbenennung des Frankenstadions in Nürnberg zu Easycredit-Stadion führte zu Protesten bei Fans und in der Bevölkerung. Der frühere SkyDome in Toronto wurde in das Rogers Centre umbenannt.
Werbung durch Ärzte und Zahnärzte
Traditionell war Ärzten in Deutschland fast jede Werbung untersagt. Im Zuge der liberalisierenden Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zum Werberecht der Freiberufler wurden die Bestimmungen seit 2002 gelockert.
Betriebswirtschaft der Werbung
Werbung im Marketing-Mix der Betriebswirtschaft
Werbung ist ein Instrument in der Kommunikationspolitik, einem Teilbereich des Marketing-Mix. Hier steht sie neben dem Sponsoring sowie der Verkaufsförderung (Promotion), der Öffentlichkeitsarbeit (abgekürzt aus dem Englischen auch PR für Public Relations), dem Eventmarketing, den Messen und Ausstellungen, der persönlichen Kommunikation (Persönlicher Verkauf) und dem Direktmarketing.
Obwohl für beinahe sämtliche Kommunikationsinstrumente eines Unternehmens zentrale Aspekte und Regeln der Werbung gelten wie z. B. die sachgerechte Ansprache der Zielgruppe, die Einpassung in ein übergeordnetes Design (Corporate Design) oder die Messbarkeit anhand von Rücklaufzahlen (sog. Response), haben sich für die weiteren Instrumente der Marktkommunikation jeweils eigene Gesetzmäßigkeiten und Einsatzgebiete entwickelt.
So folgt das Podiumsgespräch zum Thema Standortplanung innerhalb der Öffentlichkeitsarbeit eines Unternehmens den Gesetzen der Wahrnehmung von Reizworten, kann jedoch nicht mit den gleichen kurzfristigen Maßstäben für Erfolg gemessen werden, wie eine mehrstufige Anzeigenkampagne. Werbung kann auf dieser Grundlage weder isoliert von anderen Instrumenten des Marketing betrachtet werden, noch darf die zunehmende wechselseitige Interaktion mit den übrigen Leistungsbereichen eines modernen kundenorientierten Unternehmens vernachlässigt werden.
Neben den vielfältigen Wechselwirkungen mit den Funktionen des Marketing-Mix selbst sind hier insbesondere die Verknüpfung mit der glaubwürdigen Ansprache von Investoren und Geldgebern zur Unternehmensfinanzierung (Finanzkommunikation), der Umgang mit den eigenen Mitarbeitern (Personalmarketing) oder mit Lieferanten (Beschaffungsmarketing) zu nennen. Diese Komplexität kennzeichnet besonders die Werbung der (Binnen-)Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Ihre werbliche Ansprache muss nicht nur überzeugend auf Kunden, Lieferanten und Mitarbeiter gerichtet sein, sondern bezieht auch vielfach Mitbewerber mit ein (z. B. kooperative Werbung in Verbundgruppen, Gemeinschaftswerbung, Quartierwerbung).
Werbeerfolgskontrolle
Werbemarktkennzahlen
„Aufmerksamkeit“ wurde zu einer neuen Ware, für die sich ein Markt entwickelte. Nach Georg Franck funktioniert jede Präsentationsfläche, die einen bestimmten Grad an Aufmerksamkeit garantieren kann, als Magnet für Aufmerksamkeit, z. B. Medien, die eigentlich der Information und Unterhaltung dienen, Kultur und Kunst, öffentlicher Raum usw. Es ist diese Anziehungskraft, die der Werbewirtschaft verkauft wird und Angebot und Nachfrage bestimmen ihren Preis, der wesentlichen Einfluss auf die Werbekosten hat. Laut Franck ist das Maß an Aufmerksamkeit, das im Kampf um Quoten von den Medien aufgesogen und umverteilt wird, nicht identisch mit dem Maß an Aufmerksamkeit, das in der Gesellschaft zur Verfügung steht. „Die gesamte Aufmerksamkeit, die in der Gesellschaft im Umlauf ist, besteht aus solcher, die von den Menschen untereinander ausgetauscht wird und solcher, die der Information durch Medien gewidmet wird. Nur die letztere wird durch quantitative Messung homogenisiert und nur diese nimmt den Charakter einer anonymen Währung an.“ Im Jahre 2006 wurden weltweit 391 Milliarden US-Dollar für Werbung ausgegeben.
Werbung und Wachstum stehen in unmittelbarem kausalen Zusammenhang. Deshalb fordern Kritiker, soweit eine auf Wachstum basierende Wirtschaftsform für die schädliche Lebensweise der Menschen verantwortlich gemacht werden kann, auch die Werbung in dieser Hinsicht auf ihren negativen Einfluss zu betrachten, weil ihr Hauptzweck die Steigerung des Konsums ist. „Die Wirtschaft wird beschuldigt, Antriebsmaschinerie für ein kompliziertes ökonomisches Massenproduktionssystem zu sein, das den Konsum antreibt.“
Nach einer Meldung des Spiegel-Online wurde 2008 in den USA erstmals mehr für Onlinewerbung ausgegeben (105,3 Mrd. US$) als für Fernsehwerbung (98,5 Mrd. US$). Den nach wie vor größten Posten nimmt demnach die Druckwerbung mit 147 Mrd. US$ ein. Anfang 2008 meldete Welt-Online, dass die US Pharmaindustrie fast doppelt so viel Geld für Werbung als für Forschung ausgibt. Die Pharma-Werbeausgaben beliefen sich auf 57,7 Mrd. US$ (39,9 Mrd. Euro), die Forschungskosten auf 31,5 Mrd. US$ (21,5 Mrd. Euro). In ihrer Untersuchung gehen Marc-André Gagnon von der Université du Québec, Montreal, und Joel Lexchin von der York University, Toronto, Kanada, davon aus, dass die tatsächlichen Ausgaben noch höher liegen, weil nicht alle Posten von den Forschungsinstituten erfasst werden. In diesen Angaben nicht enthalten sind indirekte Werbeaktionen aus anderen Funktionen des Marketing, wie z. B. Rabatte, Verkaufsaktionen oder Preisnachlässe.
Deutschland
Im Jahre 2013 beliefen sich die Werbeinvestitionen in Deutschland auf 25,03 Mrd. Euro; 2013 entfielen von den Netto-Werbeeinnahmen erfassbarer Werbeträger (kein Telefonmarketing z. B.) 23,1 % auf das Fernsehen, 16,4 % auf Tageszeitungen, 14,6 % auf Postwerbung und 10,8 % auf Anzeigenblätter. In Deutschland hatten Werbeinvestitionen 2013 einen Anteil von etwa 0,9 % am Bruttosozialprodukt.
Statistische Kenngrößen des Werbemarktes sind die Netto-Werbeeinnahmen der Medien und Werbeträger, die von diesen selbst einmal jährlich an die Branchenverbände gemeldet und dann zusammengefasst vom ZAW veröffentlicht werden (siehe Tabellen), und die Bruttowerbeaufwendungen der Wirtschaft, die vom Marktforschungsunternehmen Nielsen Media Research mit einem so genannten Rate-Card-Monitoring auf Produktebene erfasst werden und primär der Konkurrenzbeobachtung dienen (Erfassung des Werbedrucks für ein Produkt in einer Region oder einem Medium). Rabatte und Sonderkonditionen für die Werbekunden können mit einem Rate-Card-Monitoring nicht erfasst werden. Deshalb öffnet sich die sogenannte Brutto-Netto-Schere zwischen gemessenem Bruttoaufwand tatsächlichen Nettoeinnahmen.
Deutsche Unternehmen gaben 2012 rund 18,3 Milliarden Euro für Werbung in den vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft in der Jahresstatistik erfassten Werbeträgern aus. Das Fernsehen verbuchte mit rund vier Milliarden Euro die größten Bruttoeinnahmen aller Medien.
Die wichtigsten Standorte der Werbeindustrie in Deutschland waren 2005 Düsseldorf, Hamburg, Köln, Frankfurt und München. Spitzenreiter bei der Zahl der ansässigen Werbeagenturen waren Hamburg (1.889), gefolgt von München (1.824) und Köln (1.253). Am umsatzstärksten waren Düsseldorf (4,24 Mrd.), Hamburg (2,05 Mrd.), Köln (1,72 Mrd.), Frankfurt (1,55 Mrd.) und München (1,12 Mrd.). In den Düsseldorfer Agenturen waren 2005 6.600 Menschen beschäftigt. Laut IHK Frankfurt ist Frankfurt seit Jahren Werbehauptstadt mit Umsätzen von konstant über sieben Milliarden Euro. In der deutschen Werbebranche arbeiteten 2002 knapp 360.000 Menschen. Der Werbe-Zentralverband ZAW schätzt, dass etwa 500.000 Menschen in Deutschland in der Werbebranche (einschließlich Callcenter) tätig sind, sehr viele als freie Mitarbeiter auf selbständiger Basis.
Netto-Angaben in Mio. €, gerundet, nach Abzug von Mengen- und Malrabatten sowie Mittlerprovisionen, vor Skonti, ohne Produktionskosten.
prozentuale Veränderungen beziehen sich auf nicht-gerundete Werte
*Zeitungssupplements: Ab 2001 werden die Vertriebs- und Anzeigenerlöse miteinander verrechnet und nur als Gesamtergebnis dargestellt.**2013 weist die ZAW-Statistik, aus der die Daten in dieser Tabelle stammen, die Netto-Einnahmen mit Werbung per Post nicht mehr aus. Als Ersatz wurden hier die Ausgaben für teil- und unadressierte Werbesendungen aus dem Dialog Marketing Monitor der Deutschen Post übernommen (die Deutsche Post war die Quelle für die Angaben zu Werbung per Post in den ZAW-Statistiken)
Quelle: Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft
Werbewirtschaft
Werbeberufe
In der Werbewirtschaft gibt es eine Reihe von unterschiedlichen Berufen. Der Zugang zum Werbeberuf ist nicht einheitlich geregelt. Neben mannigfaltigen Möglichkeiten für Quereinsteiger sind die bekanntesten Hauptausbildungen:
Kaufmann für Marketingkommunikation
Werbetexter
Werbegrafiker
Werbefotografen
Der Zugang zum Werbeberuf ist auch über ein entsprechendes Studium möglich.
Folgende Hochschulen in Deutschland bieten Studiengänge im Bereich der Werbung an:
Hochschule der Medien Stuttgart: Werbung und Marktkommunikation
Hochschule für Angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim: Advertising-Design
Hochschule Pforzheim: Betriebswirtschaft/Marketingkommunikation und Werbung
Universität der Künste Berlin: Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation
Fachhochschule für Technik und Wirtschaft Berlin: Wirtschaftskommunikation
An einer Hochschule werden die Grundlagen der Werbung wissenschaftlich vertieft (Werbepsychologie, Werbewirkungsforschung, Zielgruppenforschung) und die Planung und Steuerung von Werbung in Agenturen und Unternehmen vermittelt. Dazu gehören auch die Planung ganzheitlicher Marketing- und Kommunikationskonzepte, die Koordination und Kontrolle des Einsatzes der Kommunikationsinstrumente sowie Kreativitätstechniken und Fertigkeiten in der Umsetzung von zum Beispiel Printmedien, Werbespots, Außenmedien oder Onlinemedien. Abschlüsse sind Bachelor of Arts bzw. Bachelor of Science.
Werbeagentur
Eine Werbeagentur ist ein Dienstleistungsunternehmen, das für Unternehmen und andere Auftraggeber die Beratung, Konzeption, Planung, Gestaltung und Realisierung von Werbe- und sonstigen Kommunikationsmaßnahmen übernimmt. Eine Werbeagentur kann folgende Leistungen anbieten:
Analyse und Prognose: Marktforschung, Konsumentenforschung, Mediaforschung
Entwicklung von Kommunikationsstrategien (strategische Planung)
Konzeption, Gestaltung und Produktion von Werbemaßnahmen
Analyse und Kontrolle der Werbewirkung
Drehbücher der Werbespots (der VDW Award, Preis)
Designagentur
Eine Designagentur ist ein Dienstleister, der auf die Entwicklung von Corporate Design (einheitliches Erscheinungsbild auf lange Sicht), Corporate Branding (Markenentwicklung) und Informationsdesign spezialisiert ist. Im Einzelnen ist das die Festlegung von Designkonstanten – Farbigkeit, Typografie, Formen- und Bildsprache.
Internetagentur
Internetagenturen sind spezialisierte Designbüros/Werbeagenturen, die Konzeption, Gestaltung und Programmierung von Webseiten und Internetportalen übernehmen. Sie setzen entweder gesamtverantwortlich den online-bezogenen Part von integrierten Marketing-Konzepten um oder übernehmen lediglich Teilaufgaben, wie Suchmaschinenmarketing und Webcontrolling. So erarbeiten Internetagenturen online-orientierte Marketingkonzepte über die reine Webseiten-Gestaltung hinaus und es entsteht eine integrierte Lösung. Dazu richtet die Agentur Content-Management-Systeme (CMS-Redaktionssysteme), Newsletter-Verteilsysteme, Webcontrollingsoftware ein und sorgt für Integration von externen Datenbeständen, Produktdatenbanken, Mitglieder-/Kundendatenbanken.
Verbände und Organisationen der Werbewirtschaft
Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW)
Anders als in allen anderen Industriestaaten sind in Deutschland sämtliche zur Werbewirtschaft zählenden Gruppen in einer Dachorganisation vereint.
Dem 1949 gegründeten Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e. V. (ZAW) gehören überwiegend Verbände an, deren Mitglieder Wirtschaftswerbung betreiben, vorbereiten, durchführen, gestalten und vermitteln.
Derzeit sind im ZAW 41 Organisationen zusammengeschlossen, gegliedert in die vier Bereiche:
werbungtreibende Wirtschaft (14)
Werbung durchführende und Werbemittelhersteller (22)
Werbeagenturen (1)
Werbeberufe und Markt- und Sozialforschung (4)
Der ZAW vertritt die Werbewirtschaft in ihren grundsätzlichen Positionen nach außen und bildet den „runden Tisch“ für die Formulierung der gemeinsamen Politik und den Interessenausgleich aller am Werbegeschäft Beteiligten. Dieses wird durch die Gremien des ZAW wahrgenommen.
Die Interessenvertretung des ZAW nach außen erfolgt in erster Linie in Form von Meinungsäußerungen und Stellungnahmen gegenüber Legislative und Exekutive – angefangen von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung über Landesparlamente und Landesregierungen bis hin zu den Kommunen sowie den Institutionen der Europäischen Union.
Deutscher Werberat
Der 1972 gegründete Deutsche Werberat ist das selbstdisziplinäre Organ des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) und arbeitet als Konfliktregler zwischen Beschwerdeführern aus der Bevölkerung und Werbung treibenden Unternehmen. Äußerer Anlass war eine Resolution des Europarats vom 18. Februar 1972, in der die Mitgliedstaaten zur Gründung selbstdisziplinärer Institutionen der Werbebranche aufgefordert wurden. Vier zentrale Maßstäbe bilden die Grundlage für seine Entscheidung:
die allgemeinen Gesetze,
die werberechtlichen Vorschriften, welche die Unlauterkeit und Irreführung in der Werbung verbieten,
die Verhaltensregeln des Deutschen Werberats: für die Werbung mit und vor Kindern im Fernsehen und Hörfunk, für die Bewerbung von alkoholischen Getränken,
die aktuell herrschende Auffassung über Sitte, Anstand und Moral in der Gesellschaft.
Der Werberat prüft eingehende Beschwerden und verteilt ggf. öffentliche Rügen. Obwohl es sich bei den Verhaltensnormen um ein selbstdisziplinäres System handelt, das also nur empfehlenden Charakter hat, werden die Vorgaben des Werberats von der Rechtsprechung als Maßstab herangezogen: Verstößt ein werbendes Unternehmen gegen die freiwilligen Verhaltensregeln, bewerten das die Gerichte als unlauteren Wettbewerb und damit als Verstoß gegen die Rechtsnormen des UWG.
Gesamtverband Kommunikationsagenturen (GWA)
Der Gesamtverband Kommunikationsagenturen ist die Interessenvertretung der deutschen Werbe- und Kommunikationsagenturen. Die dem GWA angehörenden Agenturen repräsentieren rund 82 Prozent des Umsatzvolumens der Top 200 Agenturen Deutschlands; damit hat der GWA Branchenrelevanz. Der GWA veröffentlicht außerdem jährlich im Frühjahr und Herbst sog. GWA-Monitore, Branchenberichte zur konjunkturellen Lage der Werbebranche und zu Schwerpunktthemen.
IVW
Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) wurde 1949 als Unterorganisation des kurz zuvor konstituierten Zentralverbandes der Deutschen Werbewirtschaft (ZAW) gegründet und 1955 als eingetragener gemeinnütziger Verein mit Sitz in Bonn rechtlich verselbständigt. Als neutrale Kontrolleinrichtung verfolgt die IVW laut Satzung den Zweck, zur Förderung der Wahrheit und Klarheit der Werbung und damit zur Sicherung eines echten Leistungswettbewerbs vergleichbare und objektiv ermittelte Unterlagen über die Verbreitung von Werbeträgern zu beschaffen und bereitzustellen. Ursprünglich als Einrichtung zur Auflagenkontrolle von Printmedien geschaffen, wurde der Tätigkeitsbereich der IVW im Laufe der Jahrzehnte auf weitere Medien ausgedehnt, nämlich auf Plakatanschlag und Verkehrsmittelwerbung, Filmtheater, Funkmedien, periodische elektronische Datenträger und Onlinemedien, für die jeweils spezielle Richtlinien gelten.
Wettbewerbszentrale
Die Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs, kurz Wettbewerbszentrale (WBZ) – die größte und einflussreichste bundesweit und grenzüberschreitend tätige Selbstkontrollinstitution zur Durchsetzung des Rechts gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Wettbewerbszentrale vertritt hauptsächlich die Interessen ihrer Mitglieder, nimmt aber auch Beschwerden von Privatpersonen entgegen. Sie ist überwiegend in der Beratung von werbenden Unternehmen und Vermittlung tätig, schreitet aber auch ein und verklagt Unternehmen, die sich nicht an lauteren Wettbewerb halten.
Andere deutsche Selbstregulierungsverbände
Neben diesen drei Organisationen existieren spezielle Selbstregulierungen einzelner Branchen, beispielsweise der Zigarettenindustrie oder der Automobilwirtschaft, deren Werbung kritisch von einem Beobachterkreis begleitet wird. Hinzu kommt die Selbstregulierung in der sogenannten „Gesundheitswerbung“, dort ist der Verein für lautere Heilmittelwerbung Integritas wirksam: Diese Organisation überprüft Werbetexte in Fernsehen, Hörfunk, Zeitungen und Publikumszeitschriften systematisch und lückenlos auf Einhaltung des Heilmittelwerbegesetzes, dem UWG sowie den Richtlinien der angeschlossenen Verbände.
Europäischer Selbstregulierungsverband
Auf europäischer Ebene sind die nationalen Instanzen der Selbstregulierung in der Werbung seit 1992 in der Europäischen Allianz der Werbeselbstkontrolle (EASA = European Advertising Standards Alliance) organisiert. Die Non-Profit-Organisation mit Sitz in Brüssel wurde damals als Antwort auf die Herausforderung des damaligen EU-Wettbewerbskommissars Sir Leon Brittan gegründet, der konkret wissen wollte, wie bestimmte Bereiche der Werbung besser durch Kooperation als durch detaillierte Gesetze und Vorschriften geregelt werden können. Darauf schlossen sich die nationalen Selbstkontrolleinrichtungen (SROs) Europas zur EASA zusammen. Ursprüngliche Zentralfunktion war die Koordination von Beschwerden bei grenzüberschreitenden Werbemaßnahmen. Seit 2001 ist die EASA jedoch um andere Organisationen aus allen Stufen der Werbebranche erweitert worden, sodass sie mittlerweile das gemeinsame Sprachrohr der werbenden Wirtschaft, der Medien und Agenturen in Europa für sämtliche Fragen der Selbstregulierung, deren Förderung und Durchsetzung darstellt. Sie agiert als europäische Koordinationsstelle zwischen den Selbstregulierungssystemen und -gremien der Werbewirtschaft in ganz Europa. Heute sind in der EASA 28 SROs (davon kommen 24 aus 22 europäischen Ländern, die anderen vier aus der Türkei, Kanada, Neuseeland und Südafrika) und 13 andere Organisationen aus den Bereichen Werbung, Agenturen und Medien organisiert. Deutsche Mitglieder sind der Deutsche Werberat und die Zentrale zur Bekämpfung Unlauteren Wettbewerbs (Wettbewerbszentrale).
Gesetzliche Regelungen und Einschränkungen
Europäische Werberegelungen
Im europäischen Recht ist zwar die Werbefreiheit garantiert, es gibt aber kein allgemeines europäisches Werberecht. Die Werbefreiheit stützt sich auf zwei Säulen:
die Dienstleistungsfreiheit in Art. 49 EG-Vertrag, da Werbung als Vertriebsaktivität eine Dienstleistung im Sinne von Art. 50 EG-Vertrag ist und dadurch geschützt wird
die Warenverkehrsfreiheit gemäß Art. 28 f. EG-Vertrag, da Ziel einer Werbung der Absatz von Waren ist.
Die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu Werbung hingegen ist noch von einer relativ unscharfen Ein- und Abgrenzung der Schutzbereiche, einer gelegentlich nur summarischen Eingriffsprüfung und der Konzentration auf die Eingriffsrechtfertigung geprägt. Entscheidend dabei ist jeweils, ob der Europäische Gerichtshof (EuGH) die Werbung lediglich zum Bereich der Wirtschafts- und Berufsfreiheit oder aber zum Bereich der Kommunikationsfreiheit zählt.
Die Werbung stellt im EG-Vertrag (EGV) zum einen ein primäres Gemeinschaftsrecht dar. Selbst die Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) enthalten keine ausdrücklichen Regeln über die Werbung bzw. Werbeverbote, sondern nur „einen bunten Strauß von Werberegelungen unterschiedlicher Ziel- und Wirkrichtungen“. Zum anderen gilt Werbung als sekundäres Recht (= das von den Organen der EG geschaffene Recht) und wird von der EU in Form von Richtlinien und Verordnungen geregelt, welche von jedem Mitgliedstaat in nationales Recht umgesetzt werden muss. Die EU-Richtlinien zur Werbung werden unterschieden in:
lauterkeitsbezogene: werden oft auch als allgemeines Werberecht bezeichnet, da sie unabhängig von bestimmten Produkten oder Medien sind; da in jedem EU-Land unterschiedliche Regelungen zu unlauterem Wettbewerb existieren, gibt es nur eine Mindestharmonisierung in Bezug auf irreführende Werbung (1984)
produktspezifische: Verbot der Öffentlichkeitswerbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel, Tabakwerbe- und Sponsoringverbot, Etikettierungsvorschriften für Wein, Schaumwein und Spirituosen, Etikettierungsvorschriften für Nahrungsmittel im Allgemeinen und Babynahrung im Besonderen wegen Irreführungsverbot; Informationspflichten für Pauschalreisen und Finanzdienstleistungen wegen Irreführungsverbot
medienspezifisch: wie z. B. die Richtlinie 89/552/EWG (Fernsehrichtlinie)
Es gibt keine vertraglich geregelte Sachbereichskompetenz in der EU. Es gilt die Rechtsangleichungskompetenz nach Art. 100a EGV, nach der jedes EU-Land die Richtlinien umsetzen sollte oder aber eine Begründung für die Abweichung der von der EU vorgeschlagenen Richtlinie geltend machen muss. Einzige Ausnahme: Rechtsangleichungskompetenz nach Art. 66 EGV. Dieser Artikel stellt eine spezielle Kompetenzgrundlage zur Rechtsharmonisierung dar, um Beeinträchtigungen der Dienstleistungsfreiheiten zu beseitigen. Auf diesem beruht z. B. die Fernsehrichtlinie.
Generell gilt: ein werbetreibendes Unternehmen muss sich an die Vorschriften des Landes halten, in dem es seine Waren anbietet. Damit kann es nicht zu einer Inländerdiskriminierung kommen, da alle Unternehmen den nationalen gesetzlichen Regelungen des Mitgliedstaates unterliegen, in dem sich die Geschäftshandlung auswirkt.
Da also ein einheitliches europäisches Werberecht fehlt, werden die inhaltlichen Anforderungen an grenzüberschreitende Werbung in Europa aus den im EG-Vertrag in Form von Richtlinien definierten Regeln subtrahiert. Die wichtigsten in diesem Zusammenhang sind die Richtlinien über:
Irreführung (1984), die eine für den Verbraucher irreführende Werbung verbietet. Jedoch ist die Richtlinie hinsichtlich eines einheitlichen europäischen Irreführungsrechts nur einschränkend geeignet, da die Definition der Irreführung von den nationalen Rechtsordnungen und Gerichten auszufüllen sind.
Vergleichende Werbung (1997), die darauf abzielt, vergleichende Werbung zuzulassen, um eine Verbesserung der Verbraucherinformation zu ermöglichen.
Fernabsatz, die in Art. 10 I die unerwünschte Werbung per Telefax verbietet und die für die grenzüberschreitende, europaweite Werbung relevant ist. Die Regelungen des Europäischen Datenschutzes sind eine wichtige Regelung, da das Internet eine engere Beziehung zwischen Produzent und Verbraucher ermöglicht, sodass der Werbende viele personenbezogene Daten über den Verbraucher zur Verfügung haben muss, um eine effektiv auf den Verbraucher zugeschnittene Werbestrategie zu entwickeln.
E-Commerce, die auch für die Werbung von Bedeutung ist. Dabei geht es wesentlich um zwei Aspekte, nämlich den der Transparenz- und Informationspflicht, Art. 6 der Richtlinie, und den der unerbetenen Werbung (Spamming), Art. 7 der Richtlinie.
Regelungen in Deutschland
Es gibt keine einheitliche und umfassende Regelung in Hinsicht auf das Bewerben bestimmter Bevölkerungsgruppen und dem Werben für bestimmte Güter, dem Umfang der Werbung und der Art und Weise, wie geworben wird. Werbung im Rundfunk und in Tele- und Mediendiensten wird in Deutschland hauptsächlich durch das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG), den Rundfunkstaatsvertrag und das Telemediengesetz geregelt. Indirekte Regelungswirkung haben Verbraucherschutz-, Jugendschutz- oder Baugesetze. Ansonsten gibt es noch diverse freiwillige Selbstverpflichtungen (Selbstkontrolle).
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb
Das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) ist in Deutschland die Hauptgesetzesgrundlage gegen unlauteren Wettbewerb. Das Gesetz soll einen unverfälschten Wettbewerb ermöglichen und Mitbewerber, Verbraucher und sonstige Marktteilnehmer vor unlauteren geschäftlichen Handlungen schützen. Es wurde 2004 umfassend novelliert und gewährt Unterlassungs-, Schadenersatz-, Beseitigungs-, Gewinnabschöpfungs- und Auskunftsansprüche im Rahmen des geschäftlichen Verkehrs ( UWG).
Demnach sind geschäftliche Handlungen von Unternehmern gegenüber Verbrauchern unlauter, wenn diese nicht der für den Unternehmer geltenden fachlichen Sorgfalt entsprechen und geeignet sind, die Fähigkeit des Verbrauchers, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden, spürbar zu beeinträchtigen und ihn zu einer Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte. Hierzu werden u. a. aufgezählt:
UWG
unsachliche Beeinflussung
Ausnutzung der geschäftlichen Unerfahrenheit oder einer Zwangslage, Angstwerbung
Verkaufsförderung durch Gewinnspiele
getarnte Werbung (sogenannte Schleichwerbung) (bei z. B. Fernsehsendungen, die mit Dauerwerbesendung markiert sind, besteht allerdings eine Ausnahme)
Herabsetzung des Konkurrenten (sogenannte Anschwärzung)
ergänzender wettbewerbsrechtlicher Leistungsschutz
Rechtsbruch
UWG
irreführende Werbung
UWG
vergleichende Werbung
UWG
unzumutbare Belästigung (unaufgeforderte Telefonwerbung, unangeforderte Newsletter, Spam-E-Mail etc.)
Gänzlich verboten sind:
Irreführung durch unwahre Angaben
Schneeballsysteme
Geheimnisverrat (einschließlich Verleiten und Erbieten hierzu)
Vorlagenmissbrauch
Das UWG bietet keinen Rechtsanspruch für Verbraucher, sondern nur für Mitbewerber und Interessenverbände (also auch Verbraucherverbände).
Bei der im UWG geregelten vergleichenden Werbung geht es um den Vergleich der Leistung eines oder mehrerer Wettbewerber mit dem eigenen Angebot. Die Aufmerksamkeit des Rezipienten wird durch eine Verschiebung von primärer Botschaft mit einer Konkurrenzwertung erhöht. In Deutschland ist die vergleichende Werbung seit dem 14. Juli 2000 aufgrund einer EU-Richtlinie unter bestimmten Vorgaben erlaubt und in UWG geregelt. Beispielsweise müssen die getroffenen Aussagen auch objektiv nachprüfbar sein und der Wahrheit entsprechen. Außerdem darf (vergleichende) Werbung nicht irreführend sein ( UWG) und Wettbewerber nicht „verunglimpfen“ oder „herabsetzen“ ( Nr. 7 UWG).
Bewerbung von Kindern und Jugendlichen
Kinder und Jugendliche sind einerseits aufgrund ihrer Kaufkraft für die Wirtschaft interessant, andererseits wegen ihres im Marketing auch Pester Power genannten Einflusses auf das Kaufverhalten ihrer Eltern. Kinder bringen Markenerwartungen hervor, seien sie positiv, negativ oder neutral und sie sind es bereits gewohnt, als Konsumenten angesprochen zu werden. Der langfristige Gewinn für den Werbenden liegt in der Treue des Kindes, die sich in Treue zur Marke übersetzt, wenn es erwachsen ist.
Ihre leichtere Beeinflussbarkeit macht Kinder und Jugendliche für die Werbewirtschaft zu einer besonders begehrten Zielgruppe. Im Jahre 2001 machten Kinderprogramme über 20 % des US-amerikanischen Fernsehkonsums aus. Der weltweite Markt für Kinderprodukte betrug 2002 etwa 132 Milliarden US-Dollar. Kanadische Statistiken besagen, dass das durchschnittliche Kind 350.000 Fernsehwerbebotschaften sieht, ehe es von der High School abgeht.
Laut US-amerikanischem Komitee für Tabak und Gesundheit nutzen Schlüssel-Werbebotschaften die aufkommende Unabhängigkeit junger Menschen aus. Zigaretten, beispielsweise, werden als Modebestandteil benutzt und sprechen junge Frauen an. Zu anderen Einflüssen auf junge Menschen zählt die Verbindung von Sporthelden mit dem Rauchen durch die Sportförderung, das Rauchen von Zigaretten durch bekannte Persönlichkeiten im Fernsehen und Zigarettenwerbung. Forschungsergebnisse lassen darauf schließen, dass jungen Menschen die meistbeworbenen Zigarettenmarken bewusst sind.
Kinder und Jugendliche sind auch Zielgruppe für Produktplatzierungen. McChesney nennt ein Beispiel, in dem der Zeichentrickfilm Foodfight Tausende von Produkten und Charakterikonen bekannter Marken aus dem Supermarkt zeigt. Marken und Charaktere aus der Werbung werden zu Helden in Kinderbüchern und viele dieser Bücher haben Snackmahlzeiten in führenden Rollen. Die Werbeindustrie steht unter wachsendem Druck wegen angenommener Verbindungen zwischen Nahrungsmittelwerbung und einer Reihe sozialer Probleme, insbesondere zunehmender Übergewichtsprobleme.
Hersteller von Spielzeug, Süßigkeiten, Speiseeis, Frühstückskost und Sportartikeln richten ihre Werbung vornehmlich an Kinder und Jugendliche. Aber auch Werbung für Erwachsenenprodukte wendet sich gleichzeitig an die Nachwuchskonsumenten und bevorzugt Medien als Werbeträger, mit denen die Jüngeren erreicht werden können.
Kritiker wenden sich dagegen, dass Kinder und Jugendliche überhaupt eine Zielgruppe für Werbung darstellen und dass die Jugend zunehmend auf die Rolle des Konsumenten reduziert wird. Sie betrachten den Markt der Kinder und Jugendlichen der „Vorreiter des Ad-creep“, weil dort der Widerstand gegen die Werbung am schwächsten ist. „Kinder gehören zu den anspruchsvollsten Beobachtern der Werbung. Sie können Werbelieder singen und Logos identifizieren und sind Produkten stark emotional verbunden. Was sie jedoch nicht verstehen, sind die Zusammenhänge, wie Werbung funktioniert. Massenmedien verkaufen nicht nur Produkte, sondern auch Vorstellungen, wen wir respektieren sollten und was wir wertschätzen sollten.“
Gesetzgeber gehen von der stärkeren Beeinflussbarkeit von Kindern und Jugendlichen und einem entsprechenden Schutzbedürfnis aus. In Bezug auf den Jugendschutz in Deutschland wird die Werbung durch den Jugendmedienschutz-Staatsvertrag beschränkt. Unter Übernahme der Regelung in der Richtlinie 89/552/EWG (Fernsehrichtlinie) gilt für alle Angebote von Telemedien (Teledienste und Mediendienste) und den gesamten Rundfunk, dass Werbung „Kindern und Jugendlichen weder körperlichen noch seelischen Schaden zufügen“ darf, darüber hinaus darf sie nicht:
direkte Kaufappelle an Kinder oder Jugendliche enthalten, die deren Unerfahrenheit und Leichtgläubigkeit ausnutzen,
Kinder und Jugendliche unmittelbar auffordern, ihre Eltern oder Dritte zum Kauf der beworbenen Waren oder Dienstleistungen zu bewegen,
das besondere Vertrauen ausnutzen, das Kinder oder Jugendliche zu Eltern, Lehrern und anderen Vertrauenspersonen haben, oder
Kinder oder Minderjährige ohne berechtigten Grund in gefährlichen Situationen zeigen.
Werbung für alkoholische Getränke darf sich weder an Kinder oder Jugendliche richten noch durch Art der Darstellung Kinder und Jugendliche besonders ansprechen oder sie bei Alkoholkonsum darstellen. Gleiches gilt für Tabak-Werbung in Telemedien.
Sonstige Programminhalte, die Kinder oder Jugendliche ansprechen, müssen von Werbung getrennt sein. Im Umfeld eines ansonsten für Kinder oder Jugendliche ausgerichteten Programms darf keine Werbung verbreitet werden, „[…] deren Inhalt geeignet ist, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“. Werbung, die sich an Kinder oder Jugendliche richtet oder bei der Kinder oder Jugendliche als Darsteller eingesetzt werden, darf „[…] nicht den Interessen von Kindern oder Jugendlichen schaden oder deren Unerfahrenheit ausnutzen“.
Einer Studie im Auftrag der Bundesdrogenbeauftragten Sabine Bätzing (SPD) zufolge funktioniert die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft in Deutschland nicht, da beispielsweise die Menge und Inhalt der Alkoholwerbung und gezieltes Marketing zur Beeinflussung von Jugendlichen nicht kontrolliert bzw. verhindert werden. In dieser Untersuchung wurden zahlreiche Beschwerden über die mangelhafte Selbstkontrolle der Wirtschaft bestätigt und die Drogenbeauftragte forderte eine Reform der Selbstkontrolle in Deutschland. Eine andere Studie der Hochschule Darmstadt kommt zu dem Ergebnis, dass von 945 Anzeigen 543 Verstöße gegen Werberegeln des Deutschen Werberates oder das UWG enthalten.
In anderen Ländern geht die gesetzliche Beschränkung der kindergerichteten Werbung weiter. Im Jahre 1980 wurde in der kanadischen Provinz Québec Werbung für Kinder unter 13 verboten. „Nach einer Klage durch ein Spielzeugunternehmen bestätigte das Gericht die Übereinstimmung des Gesetzes (Quebec Consumer Protection Act) mit der kanadischen Verfassung.“
In Schweden wurde 1991 ein Gesetz verabschiedet, das Radio- und TV-Werbung verbietet, die sich an Kinder unter zwölf Jahren richtet. Während des Kinderprogrammes ist jede Art von Werbung untersagt. Dies gilt auch für Dänemark, Österreich und Flämisch-Belgien. In Griechenland darf von 7 bis 22 Uhr nicht für Kinderprodukte geworben werden und in Norwegen ist Werbung für Kinder bis zu zwölf Jahren generell verboten. In den USA scheiterte ein Werbeverbot, weil sich die Konzerne auf das Recht der freien Meinungsäußerung beriefen. Auch in Spanien hält man ein Werbeverbot für undemokratisch.
Tabakwerbung
Alkoholwerbung
Der Nutzen dieser Beschränkung ist umstritten. Nach der zuvor genannten Studie im Auftrag der Bundesdrogenbeauftragten trägt Alkoholwerbung „maßgeblich dazu bei, dass Jugendliche früh mit dem Trinken anfangen… Danach trinken Jugendliche umso früher und umso mehr, je mehr Alkoholwerbung sie gesehen haben. Der Studie zufolge funktioniert die Selbstkontrolle der Werbewirtschaft nicht. Menge und Inhalt der Alkoholwerbung würden nicht kontrolliert…“
Im Juli 2009 hat die Gesundheitsministerkonferenz der Länder (GMK) einstimmig einen Antrag verabschiedet, nach dem die Hersteller alkoholhaltiger Getränke freiwillig auf Imagewerbung verzichten sollen. Die Forderung ist, dass nur noch Produktwerbung betrieben werden soll. Auch der Deutsche Werberat solle darauf hinwirken, seine Regeln bezüglich Alkoholwerbung zu ergänzen.
Der Drogen- und Suchtbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, dringt (Stand September 2023) auf umfangreichere Einschränkungen bei der Alkoholwerbung und auf mehr Jugendschutz in Deutschland. Er befürwortet Frankreichs Weg, bereits bei der Alkoholwerbung auf Risiken hinzuweisen. Er plädiert dafür, die Altersgrenze beim Alkoholkauf von derzeit 16 Jahren anzuheben.
Baurecht, Satzungen und Denkmalschutz
Werbeanlagen sind Gegenstand des Baurechts, weil sie wahrnehmbare Baulichkeiten darstellen, die die Gestalt des öffentlichen Raumes beeinflussen. Jeder optisch wahrnehmbare Ort kommt als Werbeträger in Frage. Alle Siedlungsformen, aber auch Flächen, die die Natur darbietet, können Medien für Werbezwecke darstellen. Werbeplakate und -anlagen sind in den meisten Städten bestimmende, wenn nicht gar die bestimmenden Faktoren des Stadtbildes. Die Anzahl und vor allem die Größen der Werbeflächen nehmen weiter zu. „Die Werbung im öffentlichen Raum ist nicht mehr zu meiden.“ Traditionelle Plakate und Wartehäuschen sind auffälligeren Methoden gewichen, z. B. eingewickelte Fahrzeuge, ganze Gebäudeseiten, elektronische Plakate, Kioske, Taxis, Poster, Busse u. a. Digitale Technologie dient an Gebäudewänden als „urbane Anzeigetafeln“. Hanno Rauterberg spricht von Vermüllung und einer Diktatur, der nicht zu entkommen ist.
Höchster Druck besteht auf öffentliche Räume, die in besonderem Maße bekannt sind und frequentiert und von Werbung instrumentalisiert werden. Damit spielt Werbung auch für das Image und die Identität einer Stadt eine große Rolle (z. B. Piccadilly Circus, Times Square). „In eben dieser Eigenschaft werden die Räume nun privatisiert. Sie werden mit Schautafeln und Anlagen für den Blickfang gespickt, sie werden zu Medien für die Werbung umgestaltet.“
Insbesondere Baurechtler, Architekten und Stadtplaner sprechen von einer Beeinträchtigung des Stadtbildes, wenn nicht gar von der Verschandelung der Städte durch Werbung, wobei auf historische Strukturen selten Rücksicht genommen wird. Im deutschen Bau- und Planungsrecht geht der Gesetzgeber auf diese Problematik ein. Als öffentliche Güter sind Stadt- und Naturräume Gegenstand des „ästhetischen Umweltschutzes“ im Planungsrecht, im Denkmalschutz, Landschaftsschutz und Naturschutz; als bauliche Anlagen (ortsfeste Einrichtung) sind Werbeanlagen Thema des Baugenehmigungswesens, unterliegen dem Bauordnungsrecht und den Landesbauordnungen; die Errichtung, Änderung ist grundsätzlich genehmigungspflichtig, in bestimmten Fällen auch das bloße Auswechseln der Werbeschrift. Unter ortsfesten Anlagen versteht die Rechtsprechung Werbeanlagen,
die aus Baustoffen hergestellt sind,
die an einer baulichen Anlage befestigt sind,
die mit dieser Anlage nicht nur vorübergehend verbunden sind und
deren Bestandteile umfassendes Ganzes nach Verkehrsanschauung als eine Sache betrachtet wird.
Hierunter fallen auch Ausleger, Fahnen, Transparente und Werbeschürzen, die an einem Gebäude angebracht sind und beispielsweise auch ein Werbeschild mit einem Firmennamen. Als Werbeanlagen gelten auch Fahrzeuge mit Werbeaufschriften, die zu Werbezwecken am Straßenrand über längere Zeit (dauerhaft) abgestellt werden.
Gegenstand der städtebaurechtlichen Betrachtung sind nur Werbeanlagen, die vom öffentlichen Verkehrsraum sichtbar sind, wobei in diesem Falle zum Verkehrsraum alle Flächen zählen, die für die Allgemeinheit zugänglich sind. Ablehnungsgründe für eine Genehmigung können u. a. sein:
Verunstaltung der baulichen Anlage, des Straßen-, Orts- oder Landschaftsbildes
Gefährdung der Sicherheit und Flüssigkeit des Verkehrs (Obstruktion oder Ablenkung)
zu starke Verdichtung von Werbeanlagen (störende Häufung ab ca. drei Werbeanlagen)
Beeinträchtigung der Wohnzwecke der Gebäude (z. B. durch das Licht)
Die Landesbauordnungen nehmen einige weniger bedeutsame Werbevorhaben von der Genehmigungsbedürftigkeit aus, da mit ihnen regelmäßig weniger gravierende städtebauliche Auswirkungen verbunden sind, z. B. § 65 Abs. 1 Nr. 33 ff. BauO-NRW oder Nr. 55 ff.; Anhang zu Abs. 1 Nr. 9 LBO-BW.
Im Bauplanungsrecht sind Werbeanlagen baulichen Anlagen im Sinne des Baugesetzbuches ( BauGB), wenn sie bodenrechtliche Relevanz besitzen. Demnach müssen sie geeignet sein, das Bedürfnis nach einer Satzung hervorzurufen, die ihre Zulässigkeit regelt. Diese Relevanz ist regelmäßig gegeben, wenn der städtebaulich beachtliche Belang des Ortsbildes berührt ist.
In Werbesatzungen, Gestaltungssatzungen oder Bebauungsplänen kann auf Grundlage der Landesbauordnungen Werbung eingeschränkt oder gebietsweise völlig ausgeschlossen und für Werbeanlagen Gestaltungsvorschriften erlassen werden. Diese Möglichkeiten sind besonders für historische Altstädte von Bedeutung.
Der Denkmalschutz geht bei der Genehmigung von Werbeanlagen von rein optisch-gestalterischen Maßstäben aus. Die Anlage muss beispielsweise gestalterisch zu einem Gebäude passen und darf i. d. R. keine Bauteile verdecken; Beleuchtung darf meistens nur indirekt und dezent sein.
Im Planungsrecht werden nach den Landesbauordnungen bestimmte Stadtgebiete als auch der Außenbereich hinsichtlich der Werbeanlagen als besonders schutzwürdig betrachtet. In Kleinsiedlungsgebieten, reinen und allgemeinen Wohngebieten ist Werbung nur an der Stätte der Leistung (in reinen Wohngebieten nur als Hinweisschild) zulässig (z. B. Abs. 4 LBO-BW). Im Außenbereich fällt Werbung generell unter das generelle Verbot der Errichtung baulicher Anlagen und ist in der Regel nur an der Stätte der Leistung zulässig. Wie für alle baulichen Anlagen gilt auch für Werbung die Maßgabe, dass sie das Straßen-, Orts- oder Landschaftsbild nicht verunstalten oder die beabsichtigte Gestaltung nicht beeinträchtigen darf (z. B. Abs. 1 LBO-BW).
Einen radikalen Schritt gegen Werbung im öffentlichen Raum unternahm 2010 die brasilianische Metropole São Paulo mit einem generellen Verbot von Werbetafeln und -plakaten.
Regelungen in der Schweiz
Allgemeine Bestimmungen
Das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) enthält grundlegende Bestimmungen über zulässige und untersagte Werbe- und Verkaufsmethoden in der Schweiz. Zentral ist Art. 3, welcher «Unlautere Werbe- und Verkaufsmethoden und anderes widerrechtliches Verhalten» definiert. Neben dem Rechtsweg, können Verstöße auch bei der Schweizerischen Lauterkeitskommission mit einer Beschwerde überprüft werden.
Medienspezifische Bestimmungen
In Radio und Fernsehen gilt in der Schweiz ein Werbeverbot für Tabakwaren, hochprozentige alkoholische Getränke, politische Themen (Parteien, Politiker, Abstimmungsvorlagen) sowie religiöse Themen (Bekenntnisse, Institutionen, Personen). Einschränkungen bestehen auch bei der Werbung für Heilmittel und medizinischen Behandlungen. Das Bundesgesetz über Radio und Fernsehen (RTVG) enthält zudem Regelungen betreffend die Erkennbarkeit der Werbung (Art. 9), Einfügung und Dauer der Werbung (Art. 11), Sponsoring (Art. 12) sowie den Schutz von Minderjährigen (Art. 13).
Für Außenwerbung gibt es auf eidgenössischer Ebene insbesondere Bestimmungen im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr. Das Strassenverkehrsgesetz (SVG) Art. 6 erlaubt Werbung (im Gesetz als «Reklamen» bezeichnet) im Strassenumfeld nur dann, wenn sie die Verkehrssicherheit nicht beeinträchtigen; die Details sind in der Signalisationsverordnung (SSV) Art. 95 bis Art. 100 geregelt. Zudem gibt es in der Verordnung über die technischen Anforderungen an Strassenfahrzeuge (VTS) Art. 70 Vorschriften betreffend Werbung auf Fahrzeugen. Im Bereich von Nationalstraßen ist Werbung gemäß Bundesgesetz über die Nationalstraßen (NSG) generell verboten.
Produktspezifische Bestimmungen
Für bestimmte Produkte und Dienstleistungen gelten in der Schweiz besondere Werbevorschriften. Die Verordnung über die Arzneimittelwerbung (AWV) regelt sowohl die Werbung bei Fachpersonen (Ärzte, Apotheker, Drogisten; Art. 3 – Art. 13) als auch beim Publikum (Art. 14 – Art. 22). Für Glücksspiele gibt es Werbebestimmungen im Spielbankengesetz (SBG) Art. 33.
Für Tabakprodukte gelten ein generelles Werbeverbot in Radio und Fernsehen (siehe oben) sowie Einschränkungen im Interesse des Jugendschutzes (siehe unten). Mit dem neuen Tabakproduktegesetz will der Bundesrat in Zukunft Werbung und Sponsoring für Zigaretten und andere Tabakprodukte strenger regeln; sowohl der Ständerat als auch der Nationalrat haben den Gesetzesentwurf jedoch zurückgewiesen.
Bei Werbung für alkoholhaltige Getränke ist der Alkoholgehalt entscheidend: Während Werbung für Bier und Wein nur im Bereich des Jugendschutzes Einschränkungen kennt (siehe unten), ist die Werbung für hochprozentige Getränke stark reglementiert. So darf beispielsweise in Radio und Fernsehen, an bzw. in öffentlichen Gebäuden und Verkehrsmitteln oder im Bereich von Sportplätzen und Sportveranstaltungen generell nicht für Spirituosen geworben werden. Zudem sind verkaufsfördernde Maßnahmen wie Preisvergleiche, Zugaben und Vergünstigungen sowie Wettbewerbe untersagt. Werbung für hochprozentige Getränke darf zudem nur das Produkt selbst zeigen (also beispielsweise keine Personen oder Landschaften).
Zielgruppenspezifische Bestimmungen
Die Lebensmittel- und Gebrauchsgegenständeverordnung (LGV) verbietet in Art. 11 Werbung für alkoholische Getränke, die sich speziell an Jugendliche unter 18 Jahren richtet. Darunter fällt u. a. Alkoholwerbung an Orten und Veranstaltungen, die hauptsächlich von Jugendlichen besucht werden, sowie in Publikationen, die sich hauptsächlich an Jugendliche wenden. Ein analoges Werbeverbot gilt auch für Tabakwaren; dieses ist in der Verordnung über Tabakerzeugnisse und Raucherwaren mit Tabakersatzstoffen (TabV) im Art. 18 festgeschrieben.
Besteuerung der Werbung
Öffentliche Interessengruppen schlagen vor, dass der „von der Werbung in Anspruch genommene Zugang zum mentalen Raum besteuert werden sollte, da gegenwärtig dieser Raum kostenlos von der Werbung genutzt wird, ohne Ausgleich für die Mitglieder der Gesellschaft, die folglich gestört werden. Eine solche Steuer hätte die Funktion einer Lenkungsabgabe, in dem sie das reduziert, was zunehmend als öffentliche Belästigung betrachtet wird. Bemühungen in diese Richtung nehmen Fahrt auf. Die US-Bundesstaaten Arkansas und Maine ziehen in Betracht, entsprechende Gesetzesvorlagen einzubringen. Florida führte bereits 1987 eine solche Steuer ein, musste sie aber nach sechs Monaten auf Druck der nationalen Wirtschaftsinteressen zurückziehen. Die Absage von Kongressen verursachte erhebliche Verluste in der Tourismusbranche und stornierte Werbung führte allein im Rundfunk zu 12 Millionen US-Dollar Verlust“.
In den USA, beispielsweise, ist Werbung steuerabzugsfähig und Vorschläge, die Abzugsfähigkeit zu beschränken treffen auf vehemente Ablehnung aus der Wirtschaft, ganz zu schweigen von Vorschlägen für eine Sondersteuer. In anderen Ländern wird Werbung wenigstens wie eine Dienstleistung besteuert und in einigen gibt es sogar eine spezielle Werbesteuer, allerdings auf einem sehr niedrigen Niveau. In vielen Fällen bezieht sich die Besteuerung speziell auf Werbemedien, z. B. in Österreich, Italien, Griechenland, den Niederlanden, Türkei oder Estland. Europäische Länder mit Werbesteuer oder ähnlichen Abgaben sind:
Belgien: Reklame- oder Plakatsteuer (taxe d'affichage bzw. aanplakkingstaks) auf Plakatanschläge in der Öffentlichkeit, in Abhängigkeit von der Größe und der Papierart der Plakate, sowie auf Leuchtreklame;
Frankreich: Steuer auf Fernsehwerbung (taxe sur la publicité télévisée) in Form von festen Beträgen, die von der Preishöhe je Werbeeinheit abhängen;
Italien: Gemeindesteuer auf akustische oder visuelle Werbeformen im Gemeindebezirk (imposta comunale sulla pubblicità) und Gemeindesteuer auf Schilder, Plakate, Zeichen und anderer Reklamearten (diritti sulle pubbliche affissioni), deren Tarife von den Gemeinden festgelegt werden;
Niederlande: Reklamesteuern (reclamebelastingen) mit unterschiedlichen Tarifen auf bestimmte Werbemaßnahmen (unter Ausschluss von Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften), die von den Gemeinden in Abhängigkeit von der Art der Werbemaßnahmen (Plakate, Leuchtschilder usw.) erhoben werden können;
Österreich: Ankündigungsabgaben der Gemeinden auf Ankündigungen durch Schrift, Bild oder Lichtwirkung an öffentlichen Orten oder in öffentlich zugänglichen Räumen mit unterschiedlichen Sätzen, die vom Entgelt, der Fläche oder der Zeitdauer der Werbemaßnahmen abhängen, sowie Anzeigenabgaben auf die entgeltliche Aufnahme von Anzeigen in Druckschriften von im Allgemeinen zehn Prozent des Entgelts;
Schweden: Reklamesteuer („reklamskatt“) auf Anzeigen und andere Werbung (Plakate, Film, Fernsehen, Werbung auf Messen und Ausstellungen, Werbedrucksachen) in Höhe von 4 % bei Anzeigen in Tageszeitungen bzw. von 11 % in allen anderen Fällen; bei Werbedrucksachen sind die Herstellungskosten die Bemessungsgrundlage, ansonsten bemisst sie sich nach dem Entgelt;
Spanien: Die Gemeinden können Werbemaßnahmen auf ihrem Gebiet mit relativ unbedeutenden Steuern und Gebühren der verschiedensten Arten belegen.
Der US-Autor und Globalisierungskritiker David Korten wirbt in seinem Buch „When Corporations Rule the World“ (Wenn Unternehmen die Welt regieren) für eine 50-Prozent-Steuer auf Werbung. Damit will er dem Angriff der „aktiven Propagandamaschinerie entgegen treten, die von den größten Unternehmen der Welt kontrolliert wird“, und die „uns ständig beschwichtigt, dass der Konsum der Pfad zur Lebensfreude, öffentliche Einschränkungen der Marktzugänglichkeit die Ursache für unsere Leiden und die wirtschaftliche Globalisation eine historische Unabwendbarkeit als auch ein Segen für die Menschheit ist.“
Werbung und Wissenschaft
Werbung ist Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen; für die Werbewirtschaft wird geforscht und sie macht sich die Erkenntnisse anderer Wissenschaften zu Nutze. Im Zusammenhang mit einer Werbeaktion ist der Werbende bestrebt, mittels Marktforschung die Zielgruppe möglichst genau zu kennen und zu beschreiben, um die Kampagne genau planen und umsetzen zu können und um möglichst effizient zu werben. Ein ganzes Spektrum von Wissenschaften befasst sich entweder direkt mit Werbung und Marketing oder wird dazu genutzt, um Wirkungen von Werbung zu erkunden und zu verbessern. Zielgruppen, Psychologen und Kulturanthropologen wurden zu Teilen der Marktforschung. An Hochschulen wird, unterstützt von der Wirtschaft und in Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen, hauptsächlich Psychologie, Anthropologie, Soziologie, Neurologie und anderer Verhaltenswissenschaften, ständig nach raffinierteren, ausgefeilteren und subtileren Methoden der Suggestion geforscht.
Unterschiedliche Wissenschaften beschäftigen sich, teilweise auch kritisch, mit der Werbung oder werden für Zwecke der Werbung herangezogen:
Psychologie: Die moderne Werbung stützt sich heute wesentlich auf psychologische Theorien, wie man Subjekte schafft, womit die wissenschaftliche Psychologie zu einer Basis von Werbung und Marketing wurde (Verkaufspsychologie, Werbepsychologie, Marktpsychologie). In der Werbung verlagerte sich der Schwerpunkt von der Darbietung sachlicher Information auf die Darbietung symbolischer Assoziationen von Waren mit dem Ziel der sog. Aktivierung, da man materielle Eigenschaft und Nutzen eines verkauften Produktes nicht mehr als ausreichend betrachtet. Kritiker kritisieren, dass durch diese Aktivierung auch die „banalsten Güter des täglichen Bedarfes durch das Zaubersystem der Werbung mit symbolischen Qualitäten und kulturgeschwängerten Bedeutungen erfüllt werden.“ Gegenständen wird auf diese Weise und durch Abwandlung des Kontextes in der Werbung nahezu jede Bedeutung zugeordnet und dieselben Dinge werden – für verschiedene Individuen und Gruppen – mit unterschiedlichen beabsichtigten Bedeutungen versehen, wodurch letztendlich massenproduzierte Vorstellungen von Individualität angeboten werden.
Das wichtigste Element der Werbung ist demnach in der Regel nicht die Information, die immer mehr in den Hintergrund rückt oder sogar gänzlich entfällt, sondern Suggestion. Diese umgeht möglichst die bewusste Wahrnehmungsebene und spricht direkt die unbewusste an. Hans-Georg Häusel, Vorstand der PoS-Beratung Nymphenburg und promovierter Psychologe, geht von der Erkenntnis der Hirnforschung aus, dass Menschen weit über 70 % ihrer Entscheidungen nicht rational, sondern – auf Emotionen beruhend – unbewusst treffen.
Daher macht sich Werbung das zu Nutze, was mehr oder weniger im Unbewussten der Menschen schlummert:
Assoziationen und Triebe (Sexualtrieb, Herdentrieb),
Wünsche (Glück, Gesundheit, Fitness, Aussehen, Selbstwertgefühl, Ansehen (Image, Reputation, Prestige), Zugehörigkeit, sozialer Rang, Identitätsstiftung, Abenteuer, Ablenkung, Belohnung),
Ängste (Krankheit, Ekel, Schwächen, Einsamkeit, Mangel, Sicherheit),
Mitgefühl, soziales Bewusstsein, Vorurteile oder
tradierte Meinungen
natürliches Schutzgefühl zu Kindern und
Bequemlichkeiten.
„Alle menschlichen Bedürfnisse, Beziehungen und Ängste – die tiefsten Abgründe der menschlichen Psyche – werden zu reinen Mitteln für die Ausdehnung des Warenuniversums unter dem Druck der modernen Vermarktung.“
Werbung nutzt u. a. die Vorbildfunktion von Persönlichkeiten oder Sympathieträgern und setzt gezielt Humor sowie Assoziationen zu Farben, Tönen, bestimmten Namen und Begriffen ein. Zusammenfassend handelt es sich dabei um Faktoren der Selbstwertschätzung.
„Den Königsweg der Sachen und Zeichen ins subjektive Erleben stellt das Versprechen dar, dass ihr Konsum die Person unwiderstehlich macht. Es versteht sich, dass in einer Gesellschaft, in der das Einkommen an Aufmerksamkeit in den Vordergrund rückt, der Konsum im Sog der Selbstwertschätzung steht.“ Damit wird das Konsumieren „zur Arbeit an der Attraktivität der Person“, was der Werbung von der subjektiven Seite her ungeahnt weite Betätigungsfelder eröffnet. Die Werbung wird zu einer Lebensberatung in Sachen Attraktivität. „Der Kult um die Attraktivität der eigenen Person ist das, was der Sozialpsychologe Christopher Lasch als die Kultur des Narzissmus beschreibt.“
Da das Konsumentenverhalten primär an der Nahtstelle zwischen gewerblicher Wirtschaft und Konsum, also im Einzelhandel, werbepsychologisch beeinflussbar und messbar ist, beschäftigt sich damit vor allem die aus der traditionellen Handelsbetriebslehre erwachsene Forschungsrichtung der Handelspsychologie.
Die entsprechenden Aufmerksamkeitsstrategien erforscht die Werbepsychologie in Verbindung mit der Verkaufspsychologie.
Werbung und Marketing bedienen sich schon lange psychologischer Erkenntnisse und Forschungsmethoden, um Produkte zu verkaufen. Für Kritiker haben diese Praktiken aber epidemische Ausmaße erreicht, und das „unter der Komplizenschaft der psychologischen Zunft … Das Ergebnis ist eine unablässige Bombardierung durch Werbung und Marketing, die wohl das größte psychologische Einzelprojekt darstellt, das je unternommen wurde.“ McChesney bezeichnet die Werbung als „den größten konzertierten Versuch einer psychologischen Manipulation in der ganzen Menschheitsgeschichte“. Aufgrund des hochgradigen psychologischen Aspektes spricht der Architekturtheoretiker Georg Franck im Zusammenhang mit Werbung von einem mentalen Kapitalismus, wobei er mit „mental“ einen Begriff aufgreift, der vor allem bei Gruppen wie Adbusters Verwendung findet, die sich auch dem Schutz der mentalen Umwelt verschrieben hat. Franck verknüpft dabei die „Ökonomie der Aufmerksamkeit“ mit Christopher Laschs kulturpessimistischer „Kultur des Narzissmus“.
Neurologie und Hirnforschung: Eng mit der Psychologie verzahnt sind Neurologie und Hirnforschung, die zur Erforschung und Verbesserung der Werbewirkung herangezogen werden und die das wachsende Interesse der Werbebranche genießen, wie z. B. die Teilnahme gleich einer ganzen Reihe von Hirnforschern am zwölften Welt-Marketing-Kongress 2005 in Münster belegt. In der Folgezeit arbeiteten Neurologen der Universitäten Bonn, München, Ulm und Magdeburg mit Ökonomen zusammen, unterstützt von großen Unternehmen wie DaimlerChrysler, der Deutschen Post oder der größten deutschen Werbeagentur, BBDO Germany, und weitere internationale Forschungsgruppen vor allem in den USA.
Die Hirnforschung liefert Ansätze, wie eine Werbung zu gestalten ist, um das höchstmögliche Maß an Aufmerksamkeit (siehe unten) und Beeinflussung zu erreichen. Sie beschäftigt sich somit mit dem Konsumentenverhalten – wie, warum und wann ein potenzieller Kunde erreicht werden kann. Ein umstrittenes neues Marketinggebiet und Produkt der Werbewirkungsforschung ist Neuromarketing. Der Haufe-Verlag veröffentlichte 2007 ein Buch „Neuromarketing – Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf“, darin ein Kapitel mit dem Titel „Neuromarketing am Point of Sale (POS): Mit Neuronen zu Millionen“.
Neuromarketing bedient sich medizinischer Technologien wie der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRI), nicht um zu heilen, sondern um zu verkaufen (wie der US-amerikanische Medienkritiker, Professor Robert W. McChesney kritisch anmerkt). Dabei identifizieren funktionelle bildgebende Verfahren die Gehirnareale, die an der durch Emotionen erleichterten Merkfähigkeit beteiligt sind (bei positiven Emotionen unter anderem der Hippocampus und bei negativen Emotionen der Mandelkern).
Die Lernpsychologie bestätigt empirisch, dass sich ein Thema (auch ein Produktname) besser ins Gedächtnis einprägt, wenn es in einem emotional erregenden Kontext (kennen)gelernt wird. Solche emotionalen Erregungen können z. B. durch sexuelle Anspielungen oder durch Angst, Ekel oder Wut hervorgerufen werden.
Die Soziologie sieht die Werbung als Sozialisationsinstanz und ist besonders wichtig für den Bereich der sozialen Einflüsse auf das Konsumverhalten, also darauf, wie Familie, Freunde, Meinungsführer und das restliche soziale Umfeld das Kaufverhalten Einzelner beeinflussen. Weiterhin ist Werbung auch eine besondere soziale Sanktion, die durch andere soziale Sanktionen (positive: Produktkauf, negative: Spott, Abwehrmaßnahmen) beantwortet wird (siehe Clausen 1964). Vgl. auch die Markensoziologie und das Klassenmodell nach Engel, Blackwell und Kollat.
Soziologische Erkenntnisse helfen, die Werbung auf ganz bestimmte Bevölkerungsgruppen und Stimmungen einzustellen.
Die Betriebswirtschaftslehre legt vor allem Wert auf die Schwierigkeiten der Werbekostenrechnung und Werbeerfolgskontrolle. Sie unterscheidet „Werbung“ von der „werbenden Wirkung“ etwa der Produktgestaltung und Absatzstrategien allgemein (Erich Gutenberg). Hier ist auch die Marketingwissenschaft einzuordnen – sie ist mitverantwortlich für die Optimierung des Verkaufs. Das Handelsmarketing beschäftigt sich mit den zahlreichen Arteigenheiten der Handelswerbung, vor allem der Werbung des stationären Einzelhandels (z. B. Ansprache aller Sinne, persönliche Kundenansprache, kürzestfristige Werbeaktionen und -reaktionen, Werbung mit verbindlichen Preisangaben, spezifische Werbemittel, Minimierung von Streuverlusten, ökonomische Werbeerfolgskontrolle, Interaktion, Geschäftsimagewerbung, horizontale und/oder vertikale Werbekooperation).
Aus betriebswirtschaftlicher Sicht ist Werbung ein Instrument in der Kommunikationspolitik, einem Teilbereich des Marketing-Mix. Hier steht sie neben dem Sponsoring sowie der Verkaufsförderung (Promotion), der Öffentlichkeitsarbeit (abgekürzt aus dem Englischen auch PR für Public Relations), dem Eventmarketing, den Messen und Ausstellungen, der persönlichen Kommunikation und dem Direktmarketing.
Neben den vielfältigen Wechselwirkungen mit den Funktionen des Marketing-Mix selbst sind hier insbesondere die Verknüpfung mit der glaubwürdigen Ansprache von Investoren und Geldgebern zur Unternehmensfinanzierung (Finanzkommunikation), der Umgang mit den eigenen Mitarbeitern (Personalmarketing) oder mit Lieferanten (Beschaffungsmarketing) zu nennen. Diese Komplexität kennzeichnet besonders die Werbung der (Binnen-)Groß- und Einzelhandelsunternehmen. Ihre Werbung bezieht auch vielfach Mitbewerber mit ein (z. B. kooperative Werbung in Verbundgruppen, Gemeinschaftswerbung, Quartierwerbung).
Die Politikwissenschaft beschäftigt sich vor allem mit den Hintergründen und Formen von Propaganda und Agitation. In seinem Aufsatz „Advertising at the Edge of the Apocalypse“ (Werbung am Rand des Weltunterganges) bezeichnet Sut Jhally, Professor für Kommunikation an der Massachusetts-Amherst-Universität, die Werbung des 20. Jahrhunderts als das „mächtigste und nachhaltigste Propagandasystem in der Geschichte der Menschheit“ …„seine kumulativen kulturellen Auswirkungen werden, wenn sie nicht schnell gebändigt werden, für die Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen, verantwortlich sein“.
Die Volkswirtschaftslehre betrachtet die Werbung als Wirtschaftszweig.
Die Kommunikationswissenschaft ist in ihrer Stellung zur Werbung umstritten und sieht sich eher als Persuasionsforschung bzw. primär als Werbeträgerforschung. Sie ist maßgeblich für die Einbettung der Werbung in den redaktionellen Teil eines Massenmediums (siehe auch Öffentlichkeitsarbeit = Public Relations = PR).
Kritik an Werbung
Siehe auch
Greenwashing
Unerwünschte Werbung
Multiplikator (Werbung)
Bildwahrnehmung einer Werbeanzeige
Robinsonliste
Werbeblocker
Werbewirkungsmessung
Literatur
Lars Clausen: Elemente einer Soziologie der Wirtschaftswerbung. Westdeutscher Verlag, Opladen 1964.
Georg Felser: Werbe- und Konsumentenpsychologie. 4., erweiterte und vollständig überarbeitete Auflage. Springer, Berlin u. a. 2015, ISBN 3-642-37644-4.
Beate Flath, Eva Klein: Advertising and Design. Interdisciplinary Perspectives on a Cultural Field, Transcript, Bielefeld 2014, ISBN 978-3-8376-2348-2.
Claude C. Hopkins: My Life in Advertising & Scientific Advertising. Reprint, Lincolnwood, Ill./USA 1966.
Werner Kroeber-Riel, Franz-Rudolf Esch: Strategie und Technik der Werbung. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 978-3-17-018491-6.
Ulrich Lachmann: Wahrnehmung und Gestaltung von Werbung. 3. Auflage. Gruner und Jahr, Hamburg 2004, ISBN 978-3-570-19378-5.
Jackson Lears: Fables of Abundance: A Cultural History of Advertising in America. Basic Books, 1995, ISBN 0-465-09075-3.
Axel Mattenklott, Alexander Schimansky (Hrsg.): Werbung. Strategien und Konzepte für die Zukunft. Vahlen, München 2002, ISBN 3-8006-2782-5.
David Ogilvy: Ogilvy über Werbung. Econ, Düsseldorf 1984, ISBN 978-3-430-17272-1.
Dirk Reinhardt: Von der Reklame zum Marketing. Münster 1993, ISBN 978-3-05-002281-9.
Siegfried J. Schmidt (Hrsg.): Handbuch Werbung. Lit, Münster 2004, ISBN 3-8258-7540-7.
Günter Schweiger, Gertraud Schrattenecker: Werbung. Eine Einführung. 8., überarbeitete und erweiterte Auflage. UVK Verlagsgesellschaft/UTB, München 2012, ISBN 978-3-8252-3845-2.
Gabriele Siegert, Dieter Brecheis: Werbung in der Medien- und Informationsgesellschaft: Eine kommunikationswissenschaftliche Einführung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 978-3-531-13893-0.
Hans Lorenz Stoltenberg: Die Werbfibel. Verl. Wirtschaft u. Werbung, Essen 1950.
Weblinks
Praxisleitfaden zum Werberecht
Lexikon zu Fachbegriffen aus der Werbe- und Druckbranche
Early Advertising of the West, 1867–1918 (englisch), University of Washington Libraries
Übersichtsartikel von H. Zingel Werbeplan: Der Sinn und Zweck für Selbständige (private Seite)
Deutsche Printwerbung der Nachkriegszeit im Wirtschaftswundermuseum (private Seite)
Wolfgang Borgfeld über Alexander Nix (Cambridge Analytica) in Horizont (Fachzeitschrift): horizont.net: Die Werbewelt wird auf den Kopf gestellt
Einzelnachweise
Arbeits- und Organisationspsychologie
Marktpsychologie
Medienrecht
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Q37038
| 855.126125 |
8749
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ged%C3%A4chtnis
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Gedächtnis
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Gedächtnis (von mittelhochdeutsch gedaechtnisse, „Andenken, Erinnerung“) oder Mnestik bezeichnet die Fähigkeit der Nervensysteme von Lebewesen, aufgenommene Informationen umzuwandeln, zu speichern und wieder abzurufen. Beide Begriffe leiten sich ab von , ‚Gedächtnis‘ oder ‚Gedenken‘ (dies von ; vergleiche auch Amnesie und Amnestie).
Im Gedächtnis gespeicherte Informationen sind das Ergebnis von bewussten oder unbewussten Lernprozessen. Die Gedächtnisbildung wird dabei durch die neuronale Plastizität ermöglicht. Im übertragenen Sinne wird das Wort „Gedächtnis“ auch allgemein für die Speicherung von Informationen in anderen biologischen und technischen Systemen benutzt.
Auch primitive Nervensysteme (z. B. jene von Nesseltieren) sind zu einfachen Lernprozessen befähigt. Komplexität und Umfang von möglichen Gedächtnisleistungen haben im Laufe der Evolution zugenommen.
Eine einzelne gespeicherte und abrufbare Information wird Engramm (Gedächtnisspur) genannt. Die Gesamtheit aller Engramme bildet das Gedächtnis.
Einteilung in verschiedene Gedächtnisarten
Die verschiedenen Gedächtnisarten können auf psychologischer Ebene nach zwei Aspekten eingeteilt werden: der Dauer der Speicherung oder der Art des Gedächtnisinhalts.
Nach der Dauer der Informationsspeicherung lässt sich das Gedächtnis in verschiedene Subsysteme einteilen. Unterschieden werden üblicherweise drei Systeme:
Sensorisches Gedächtnis (auch sensorisches Register): Es hält Informationen für Millisekunden bis Sekunden fest (z. B. ikonisches oder echoisches Gedächtnis).
Arbeitsgedächtnis (auch Kurzzeitgedächtnis): Es speichert Informationen etwa 20–45 Sekunden.
Langzeitgedächtnis: Es speichert Informationen über Jahre.
Innerhalb des Langzeitgedächtnisses wird weiter unterschieden zwischen deklarativem und prozeduralem Gedächtnis. Das deklarative Gedächtnis speichert bewusst zugängliche Informationen: Das umfasst Fakten und Ereignisse, die entweder zur eigenen Biographie gehören (episodisches Gedächtnis) oder das so genannte Weltwissen eines Menschen ausmachen (semantisches Gedächtnis, z. B. berufliche Kenntnisse, Fakten aus Geschichte, Politik, Kochrezepte). Das prozedurale Gedächtnis umfasst dagegen Fertigkeiten, die in der Regel automatisch und ohne Nachdenken eingesetzt werden. Dazu gehören vor allem motorische Abläufe (Fahrradfahren, Schwimmen, Tanzen, Skifahren). Prozedurale Gedächtnisinhalte werden überwiegend durch implizites Lernen erworben, deklarative Inhalte dagegen durch explizites Lernen angeeignet.
Ein anderes Modell vertritt der Levels-of-processing-Ansatz.
Sensorisches Gedächtnis (Ultrakurzzeitgedächtnis)
Neue Informationen erreichen das Gehirn über die Sinnesorgane und werden im sensorischen Gedächtnis (auch sensorisches Register, früher auch Immediatgedächtnis, Ultrakurzzeitgedächtnis oder Ultrakurzzeitspeicher genannt) zwischengespeichert. Das sensorische Gedächtnis ist für jede Sinnesmodalität spezifisch, es wird auch als ikonisches Gedächtnis für die visuelle Wahrnehmung und echoisches Gedächtnis für die auditive Wahrnehmung bezeichnet. Die Fähigkeit, in einem Gespräch etwas zuvor Gesagtes zu wiederholen, obwohl gerade nicht hingehört wurde, ist ein Beispiel für das auditive sensorische Gedächtnis.
Im sensorischen Gedächtnis werden weitaus mehr Informationen aufgenommen als im Arbeitsgedächtnis. Allerdings zerfallen diese auch schon nach wenigen Zehntelsekunden. Eine Möglichkeit, den Zerfall der Informationen in diesem Gedächtnissystems zu untersuchen, ist die sogenannte Teilbericht-Methode (engl. partial-report), die von George Sperling (1960) entwickelt wurde. Bei dieser werden Versuchspersonen mehrere Reihen von Buchstaben (Set) in verschiedenen Zeilen dargeboten, wovon beim späteren Abruf immer nur einzelne Zeilen wiedergegeben werden sollen. Dies soll verhindern, dass in der Zeit wo einzelne Teile aus dem Set wiedergegeben werden, die anderen vergessen werden. Wird in einem Experiment die Zeit zwischen der Darbietung des Sets und dem Hinweis, welche Zeile wiedergegeben werden soll, variiert und die Gedächtnisleistung je nach Zwischenzeit verglichen, wird ein Schätzwert für die Dauer der Speicherung erhalten. Mit dieser Methode konnte gezeigt werden, dass das visuelle sensorische Gedächtnis Informationen über etwa 15 Millisekunden, das auditorische sensorische Gedächtnis hingegen über etwa 2 Sekunden speichern kann.
Bei dieser Art der Erinnerung spielen zentral gesteuerte Prozesse, wie Bewusstsein oder Aufmerksamkeit, meist keine bedeutende Rolle. Diese können jedoch bei der Übertragung von Information ins Arbeitsgedächtnis einen großen Einfluss haben.
Arbeitsgedächtnis/Kurzzeitgedächtnis
Grundlage bewusster Informationsverarbeitung ist das Kurzzeitgedächtnis (in einigen Modellen auch Arbeitsgedächtnis). Das Kurzzeitgedächtnis ist ein Speicher, der eine eng begrenzte Menge von Information in einem unmittelbar verfügbaren Zustand bereithält.
Nach einer Hypothese, die als historisch überholt gilt, verfügt es über eine ungefähre Kapazität von etwa 7 ± 2 Informationseinheiten, sofern es sich um zahlenmäßig auflistbare Dinge handelte. Diese wurden auch Chunks genannt (siehe dort zu neueren Erkenntnissen).
Kurzzeitgedächtnis
Ein Aspekt, der im Rahmen der Erforschung des Kurzzeitgedächtnis besondere Beachtung fand, ist das „schnelle Vergessen“. Dieses wurde zum ersten Mal von Peterson & Peterson (1959) untersucht. Indem sie ihren Probanden einzelne Wörter, Wort-Triaden und Konsonanten-Triaden zeigten, auf die eine ablenkende Aufgabe (rückwärts zählen) folgte, stellten sie einen deutlichen Abfall der Speicherleistung in Abhängigkeit von der Länge der ablenkenden Aufgabe fest. Zudem machte es einen Unterschied, ob die Wörter einzeln oder in Gruppen dargeboten wurden. Einzelwörter zeigten eine deutlich geringere Vergessensrate als eine Gruppe von drei Konsonanten oder drei Wörtern. Letztere beiden unterschieden sich nicht voneinander. Murdock (1961) bestätigte die Ergebnisse von Peterson & Peterson und konnte zusätzlich zeigen, dass die Darbietung mehrerer Dinge der gleichen semantischen Kategorie eine vorwärts gerichtete Hemmung verursachte. Den Probanden fiel es umso schwerer, zwischen den Dingen zu unterscheiden, je mehr sie gesehen hatten (Listenlängeneffekt). Dies zeigte sich in einem deutlichen Abfall der Erinnerungsleistung.
Delos Wickens (1970) konnte zeigen, dass sich die vorwärts gerichtete Hemmung aufheben lässt, wenn Probanden Wörter unterschiedlicher semantischer Kategorien präsentiert werden. Nach einem Kategorienwechsel stieg die Erinnerungsleistung wieder deutlich an. Gunter u. a. (1981) führten drei Experimente durch, in denen sie die vorwärts gerichtete Hemmung und ihre Aufhebung nachweisen konnten. Sie ließen ihren Probanden einzelne Fernsehnachrichten unterschiedlicher Themengebiete vorsprechen, von zum Beispiel innen- und außenpolitischen Themen. Einer Gruppe wurden vier ähnliche Themen präsentiert, der anderen drei ähnliche und ein Nachrichtenpunkt aus einem anderen Themengebiet. Bei der ersten Gruppe zeigte sich die vorwärts gerichtete Hemmung im Sinne einer abfallenden Gedächtnisleistung und bei der zweiten Gruppe zeigte sich die Aufhebung der Hemmung durch den Themenwechsel. Beide Effekte konnten auch bei einer verringerten Anzahl von Dingen und bei der zusätzlichen Aufgabe, diese genau zu beschreiben, gefunden werden. Außerdem konnten die Autoren einen Lerneffekt nachweisen, wenn bestimmte Dinge bereits in einem vorhergehenden Test gezeigt worden waren. Die Probanden konnten sich dann an diese in einem zweiten Test besser erinnern. Untersuchungen zum Zeitraum des Effekts der vorwärts gerichtete Hemmung deuteten am ehesten auf die Abrufphase.
Arbeitsgedächtnis
Das ursprüngliche Modell des Kurzzeitgedächtnisses wurde seit 1974 durch das Arbeitsgedächtnismodell von Baddeley ergänzt, das folgende drei Systeme anführt:
Der räumlich-visuelle Notizblock zur kurzfristigen Speicherung visueller Eindrücke.
Die artikulatorische oder phonologische Schleife dient zur Speicherung von verbalen Informationen, welche durch ein inneres Wiederholen relativ lange verfügbar bleiben können.
Die zentrale Exekutive verwaltet die beiden Teilsysteme und verknüpft Informationen aus diesen mit dem Langzeitgedächtnis.
Zuletzt ist das Modell um einen episodischen Puffer erweitert worden.
Langzeitgedächtnis
Das Langzeitgedächtnis ist das dauerhafte Speichersystem des Gehirns. Es handelt sich nicht um ein einheitliches Gebilde, sondern um mehrere Speicherleistungen für verschiedene Arten von Information. Sie kann im Langzeitgedächtnis von Minuten bis zu Jahren gespeichert werden (sekundäres Gedächtnis) oder sogar ein Leben lang (tertiäres Gedächtnis). Über Begrenzungen der Kapazität des Langzeitgedächtnisses ist nichts bekannt. Allerdings lassen Studien bei sog. Savants (franz.) oder Inselbegabten eine deutlich höhere Gedächtniskapazität vermuten als die normal genutzte. Vergessen scheint kein Kapazitätsproblem, sondern ein Schutz vor zu viel Wissen zu sein. Vergessen findet anscheinend weniger durch Informationsverlust wie in den anderen, kurzzeitigen Gedächtnisformen statt, sondern durch löschenden oder verfälschenden Einfluss von anderen, vorher oder nachher gebildeten Inhalten.
Zu unterscheiden sind verschiedene Prozesse des Langzeitgedächtnisses:
Lernen/Enkodierung: Neues Einspeichern von Information
Erinnern/Abrufen: Bewusstwerden von Gedächtnisinhalten
Konsolidieren/Behalten: Festigung von Information durch wiederholten Abruf
Verknüpfen von neuen und alten Informationen
Vergessen: Zerfall von Gedächtnisinhalten oder Abänderung durch konkurrierende Information
Für die Überführung von neuen Gedächtnisinhalten in das Langzeitgedächtnis und das Bewahren von Information ist Üben oft förderlich, zum Beispiel durch das bewusste Abrufen und Überdenken von Information im Arbeitsgedächtnis. Die Verankerung im Gedächtnis nimmt zu mit der Bedeutung, dem emotionalen Gewicht und der Anzahl der Assoziationen (Verknüpfung mit anderen Inhalten).
Formen und Inhalte des Langzeitgedächtnisses
Grundsätzlich werden zwei Formen des Langzeitgedächtnisses unterschieden, die unterschiedliche Arten von Information speichern: das deklarative (explizite) und das prozedurale implizite Gedächtnis. Die unterschiedlichen Informationsformen sind unabhängig voneinander und werden in verschiedenen Gehirnarealen gespeichert, so dass zum Beispiel Patienten mit einer Amnesie (Gedächtnisstörung) des deklarativen Gedächtnisses ungestörte prozedurale Gedächtnisleistungen aufweisen können.
Deklaratives Gedächtnis
Das deklarative Gedächtnis oder explizite Gedächtnis, auch Wissensgedächtnis, speichert Tatsachen und Ereignisse, die bewusst wiedergegeben werden können. Das deklarative Gedächtnis wird unterteilt in zwei Bereiche:
Das „semantische Gedächtnis“ enthält das Weltwissen, von der Person unabhängige, allgemeine Fakten („Paris ist die Hauptstadt von Frankreich“, „Man hat eine Mutter und einen Vater“).
Im „episodischen Gedächtnis“ finden sich Episoden, Ereignisse und Tatsachen aus dem eigenen Leben (Erinnerung an Erlebnisse bei einem Besuch in Paris, das Gesicht und der Name des eigenen Vaters).
Prozedurales Gedächtnis
Das prozedurale Gedächtnis, auch Verhaltensgedächtnis, speichert automatisierte Handlungsabläufe bzw. Fertigkeiten. Beispiele dafür sind Gehen, Radfahren, Tanzen, Autofahren, Klavierspielen. Dies sind komplexe Bewegungen, deren Ablauf gelernt und geübt wurde und die dann, ohne nachzudenken, abgerufen und ausgeführt werden.
Gedächtnis-Kapazität
Die Kapazität des menschlichen Gedächtnisses ist schwer zu bestimmen und hängt von der Art von Informationen ab, die gespeichert werden. So wurde geschätzt, dass jeder Mensch im Mittel etwa 5000 Gesichter anderer Menschen erkennen und damit erinnern kann.
Anatomie und Physiologie des Gedächtnisses
Im Gegensatz zu anderen Bereichen wie Sprache, Motorik, Sehen oder Hören gibt es keinen abgrenzbaren umfassenden „Gedächtnisbereich“ im Gehirn. Vielmehr beruht das Gedächtnis überwiegend auf Zusatzleistungen anderweitig spezialisierter Teile des Gehirns. Dennoch können verschiedene anatomische Strukturen unterschieden werden, die für das Erinnerungsvermögen notwendig sind. Zuvor ist zu klären, was auf unterster Ebene, am einzelnen Neuron, das Korrelat (Entsprechung) des Lernens und des Gedächtnisses darstellt.
Neuronale Lernprozesse
Der Gedächtnisinhalt ist in den Verbindungen der Nervenzellen, den Synapsen, niedergelegt, genauer in der synaptischen Effizienz neuronaler Netze. Nachdem bis in die 1970er die Hypothese vertreten wurde, dass chemische Moleküle diese Rolle übernehmen könnten – besonders berühmt ist Scotophobin geworden – stellte sich diese Hypothese als nicht mehr haltbar heraus.
Zwischen den ungefähr 100 Milliarden Nervenzellen bestehen schätzungsweise 100 bis 500 Billionen Synapsen. Entscheidend ist hierbei die synaptische Plastizität: Viele Synapsen sind anatomisch anpassungsfähig. Dadurch können sie die Effizienz der Übertragung zwischen den Neuronen verändern. Außerdem werden Übertragungseigenschaften durch Neubildung und Abbau von Synapsen angepasst.
Donald O. Hebb schlug 1949 als Erster vor, dass Synapsen – in Abhängigkeit vom Ausmaß ihrer Aktivierung durch Neuronentätigkeit – die Stärke ihrer Signalfähigkeit durch anatomischen Umbau „dauerhaft“ ändern. Die von ihm in der sogenannten Hebbschen Lernregel aufgestellte Hypothese konnte experimentell bestätigt werden. So wird eine Synapse, die durch gleichzeitige Aktivität im vor- und nachsynaptischen Neuron stärker wird, als „Hebb-Synapse“ bezeichnet. Eine solche dauerhafte Veränderung einer Synapse wird in der Neurophysiologie als „homosynaptische“ Langzeitpotenzierung (Langzeitverstärkung) bezeichnet.
Es gibt eine Vielzahl weiterer Formen synaptischer Plastizität. Sie unterscheiden sich vor allem in ihrer Richtung (Potenzierung oder Depression, d. h. Verstärkung oder Abschwächung), in ihrer Dauer (Kurzzeit- oder Langzeitveränderung), in ihrer synaptischen Spezifität (homo- oder heterosynaptisch) sowie den molekularen Mechanismen ihrer Entstehung und Aufrechterhaltung.
Es wurden verschiedene Signalkaskaden beschrieben, die ihren Ausgang in der Erregung einer Nervenzelle durch eine bestimmte Synapse und ein daraufhin ausgelöstes Aktionspotential nehmen und zu kurz- oder auch langfristiger Veränderung der synaptischen Effizienz führen. Solche Mechanismen umfassen kurzfristig die Phosphorylierung von Rezeptormolekülen, die Ausschüttung von retrograden (rückwärtig wirkenden) Botenstoffen für das präsynaptische Axon (Nervenfaser), und für die langfristige Wirkung insbesondere die Aktivierung von Transkriptionsfaktoren, die die Proteinbiosynthese regulieren und zur vermehrten Synthese von Rezeptormolekülen, Enzymen für Transmitter-Auf- und Abbau und Strukturproteinen führen.
Anatomische Grobstrukturen
Den verschiedenen Arten des Gedächtnisses werden heute bestimmte Gehirnregionen zugeordnet. Die Zuordnungen konnten durch Vergleiche von Gedächtnisstörungen bei lokalisierten Schädigungen des Gehirns (etwa durch Schlaganfall) vorgenommen werden.
Das Arbeitsgedächtnis wird dem präfrontalen Cortex zugeordnet. Das Langzeitgedächtnis hingegen gründet auf einem Zusammenwirken des Cortex und zahlreicher subkortikaler Bereiche. Dabei wird zwischen den verschiedenen Informationsqualitäten unterschieden.
Deklaratives Gedächtnis
Beteiligt beim deklarativen Gedächtnis ist der gesamte Neocortex, beim episodischen Gedächtnis insbesondere der rechte Frontal- und der Temporalcortex, beim semantischen Gedächtnis speziell der Temporallappen.
Beteiligt, insbesondere beim Vorgang der Speicherung, sind jedoch auch subkortikale Regionen, wie das limbische System, vor allem das mediale Temporallappensystem, der Hippocampus und angrenzende Gebiete. Diese sind im sogenannten Papez-Neuronenkreis zusammengefasst. Oft zitiert wird der Fall des Patienten HM, dem zur Therapie schwerer Epilepsie beide Hippocampi entfernt wurden. Zwar wurde die Epilepsie geheilt, der Patient zeigte jedoch nach der Operation eine schwere anterograde Amnesie: Er konnte sich nichts Neues mehr merken. Der Zugriff auf vor der Operation erworbene Gedächtnisinhalte war hingegen nicht beeinträchtigt.
Prozedurales Gedächtnis
Am Lernen von Fertigkeiten sind beim Menschen neben Cortexarealen, wie den motorischen und präfrontalen Gebieten, insbesondere das Kleinhirn und die Basalganglien beteiligt. Für die Speicherung emotional bedeutender Gedächtnisinhalte, wie auch von Angstreaktionen, spielt die Amygdala eine wichtige Rolle.
Für Formen des Lernens nach Art der klassischen Konditionierung, die auch bei primitiveren Tieren vorhanden sind, sind dementsprechend auch evolutionär ältere Gehirnbereiche beteiligt. Oft liegt hier der Ort des Lernens dort, wo die beiden miteinander zu verknüpfenden Reize anatomisch zusammen laufen. Insbesondere das Kleinhirn spielt hierbei eine Rolle.
Emotion und Gedächtnis
Der Prozess, in dem das menschliche Gehirn durch Lernprozesse die Art und Weise beeinflusst, in der bestimmte Reize eine Emotion hervorrufen, wird als „emotionales Gedächtnis“ bezeichnet. Um nachzuvollziehen, welche Hirnareale und neuronalen Mechanismen an der Verarbeitung und Abspeicherung solcher emotionaler Gedächtnisinhalte beteiligt sind, wurde die klassische Furchtkonditionierung in Zusammenhang mit Läsionsstudien angewandt. Bei der Furchtkonditionierung (die meist an Ratten durchgeführt wird) wird ein neutraler Stimulus (z. B. ein Ton) mit einem aversiven Stimulus (z. B. einem Elektroschock) gepaart, was dazu führt, dass die Ratten anschließend eine Furchtreaktion auf den neutralen Stimulus zeigen. Dies kann bereits nach einer einzigen Paarung der Stimuli der Fall sein. Durch selektive Läsionen an Ratten konnte ferner festgestellt werden, welche Gehirnareale für die Ausbildung solcher Furchtreaktionen notwendig sind (s. u.).
Neuronale Grundlagen der Furchtkonditionierung
Es besteht die Annahme, dass der Schock die Art beeinflusst, wie Neurone in spezifischen Regionen des Gehirns auf den vorher neutralen Stimulus reagieren. Aus Ergebnissen verschiedener Läsionsstudien an Ratten konnten Joseph LeDoux u. a. ableiten, dass sensorische Signale nicht vom Cortex verarbeitet werden müssen, damit eine Konditionierung möglich ist. Es wurde vielmehr festgestellt, dass hier das maßgebliche Areal die Amygdala ist, die sowohl direkte Verbindungen zum Thalamus (sensorische Bahnen) wie zum Hirnstamm (lebenswichtige Grundprogramme) aufweist.
Eine Region innerhalb der Amygdala ist der zentrale Nucleus, der sowohl mit dem Hirnstamm als auch mit dem Hippocampus verbunden ist. Der Hippocampus ist eine wichtige Struktur für die Gedächtniskonsolidierung und die Verarbeitung komplexer Stimuli. Die Annahme ist nun, dass durch diese Verbindung Gedächtnisinhalte und der Kontext eines Stimulus emotionale Zuordnungen bekommen.
Es bestehen auch Verbindungen zwischen Cortex und Amygdala. So wird angenommen, dass emotionales Lernen zum einen auf dem subcorticalen Weg (vom Thalamus direkt zur Amygdala) und zum anderen auf dem corticalen Weg (vom Thalamus über den Cortex zur Amygdala) stattfinden kann. Der subcorticale Weg geht „schneller“, beinhaltet jedoch keine weitere Verarbeitung des Stimulus (da bewegt sich etwas – ich fürchte mich). Der corticale Weg verarbeitet den Stimulus umfangreicher (was sich da bewegt ist eine Schlange – die kann mich beißen – ich entferne mich besser), erfordert allerdings „längere Reaktionszeit“, die in manchen Situationen zu lang sein könnte, weshalb sich der schnellere subcorticale Weg evolutionsbiologisch – bis hin zum Menschen – erhalten hat.
Anwendungsfelder der Gedächtnisforschung
Augenzeugenberichte
In Gerichtsverfahren sind Zeugenaussagen von großer Bedeutung, insbesondere wenn sie die wichtigste – oder gar die einzige – Entscheidungsgrundlage sind. Deshalb ist es wichtig zu wissen, wie verlässlich Erinnerungen von Zeugen sind. Situationen, in denen Menschen eine Straftat miterleben, sind Situationen, die nicht erwartet werden, oft nur von sehr kurzer Dauer und meist sehr emotionsbeladen sind. Aufgrund der Charakteristik dieser Situationen ist es besonders leicht, die Erinnerungen an sie durch zusätzliche Information, zum Beispiel bei Befragungen, zu verfälschen. Loftus u. a. (1978) zeigten Probanden eine Bildersequenz, in der ein Auto einen Fußgänger anfährt, nachdem es entweder ein Stopp- oder ein Vorfahrt-gewähren-Schild passiert hat. In einem nachfolgenden Fragebogen wurde entweder ein Stopp- oder ein Vorfahrt-gewähren-Schild erwähnt. Durch diese nachträgliche begriffliche Lenkung konnten die Forscher erreichen, dass die Gruppe von Probanden, die eine widersprüchliche Frage erhielt, sich bei einem Wiedererkennungstest eher für das Schild entschied, das „nach originaler Bildersequenz“ und „vor Erinnerungstest“ in dem dazwischen vorgelegten Fragebogen erwähnt worden war.
Obwohl es möglich sein könnte, dass die Erinnerung an Gesichter verlässlicher sein sollte, besonders wenn diese im Zentrum des Geschehens standen, konnten Loftus und Greene (1980) zeigen, dass auch diese leicht zu verfälschen ist. Hierzu zeigten sie in mehreren Experimenten Probanden Gesichter von Menschen und setzten sie in Form von nachfolgenden Fragen oder Berichten falschen Informationen aus. Bei einem dieser Experimente zeigten sie ihnen einen Mann ohne Bart und gaben einem Teil der Probanden später die falsche Information, dass die Zielperson einen Bart habe. Die Gruppe von Probanden mit der falschen Information tendierte viel eher dazu, sich bei einem Wiedererkennungstest für eine Person mit Bart zu entscheiden, als die Gruppe mit dem richtigen Bericht (p<0,01). Insgesamt konnten Loftus u. a. zeigen, dass bei Zeugen auch die Erinnerung an Gesichter unbemerkt und nachhaltig verfälscht werden kann.
Zusammen zeigen diese Ergebnisse, dass Erinnerungen nicht verlässlich und leicht zu verfälschen sind. Deshalb ist es wichtig, dass bei polizeilichen Ermittlungen, wie Befragungen und Gegenüberstellungen, sowie in Gerichtsverfahren mit äußerster Vorsicht vorgegangen wird. Siehe auch Falsche Erinnerungen.
Gedächtnistraining und Sport
Gedächtnistraining ist in vieler Hinsicht möglich. Es gibt zahlreiche Gedächtnistrainer und zahllose Bücher. Meist bauen diese auf Mnemotechniken auf. Die berühmteste ist die Loci-Methode. Heutzutage gibt es auch Gedächtnissportler, Gedächtnissportmeisterschaften und eine Weltrangliste. Der Weltrekord im Memorieren, also Auswendiglernen, möglichst vieler Ziffern in 5 Minuten liegt beispielsweise bei 520.
Krankheiten
Amnesie
Retrograde Amnesie
Anterograde Amnesie
Transiente globale Amnesie
Alzheimersche Krankheit
Demenz
Korsakow-Syndrom
Siehe auch
Quellengedächtnis
Metagedächtnis
Literatur
Thomas Gruber: Gedächtnis (Basiswissen Psychologie). Springer 2018, ISBN 978-3-662-56361-8.
Hans Markowitsch: Das Gedächtnis: Entwicklung, Funktionen, Störungen. Beck. 2009, ISBN 978-3-406-56260-0.
George A. Miller: Wörter. Streifzüge durch die Psycholinguistik. Herausgegeben und aus dem Amerikanischen übersetzt von Joachim Grabowski und Christiane Fellbaum. Spektrum der Wissenschaft, Heidelberg 1993; Lizenzausgabe: Zweitausendeins, Frankfurt am Main 1995; 2. Auflage ebenda 1996, ISBN 3-86150-115-5, S. 205–213 (Gedächtnis und Ökonomie)
David Tobinski: Kognitive Psychologie: Problemlösen, Komplexität und Gedächtnis. Springer, Berlin 2017, ISBN 978-3-662-53947-7.
Harald Welzer: Das kommunikative Gedächtnis: eine Theorie der Erinnerung. 4. Auflage. Beck, München 2017, ISBN 978-3-406-70228-0.
Frederic Vester: Denken, Lernen, Vergessen (zuerst 1975), dtv, 37. Auflage. (Klassiker!), München 2017, ISBN 978-3-423-33045-9.
Weblinks
Spektrum.de: Warum wir vergessen 7. August 2018
Einzelnachweise
Kognitionswissenschaft
Neurobiologie
Allgemeine Psychologie
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Q492
| 287.530548 |
8083115
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https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9Cbernutzung
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Übernutzung
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Als Übernutzung wird in der Ökologie, Umweltökonomie und Volkswirtschaftslehre die übermäßige Nutzung der natürlichen Ressourcen bezeichnet.
Allgemeines
Natürliche Ressourcen sind die weltweite Landfläche, Wasserfläche, der Luftraum und allgemein die Umwelt. Deren Übernutzung stellt eine volkswirtschaftliche Fehlallokation dar. Ergreift ein Staat keine Umweltschutzmaßnahmen, entstehen hierdurch hohe Umweltschäden, die Umweltkosten nach sich ziehen. Umweltziel der neoklassischen Umweltökonomie ist es, durch Umweltschutzmaßnahmen eine Internalisierung der Kosten herbeizuführen, um die Übernutzung der natürlichen Ressourcen soweit zu vermindern, bis ein Optimum zwischen den vermiedenen Umweltschadenskosten und den Umweltschutzkosten erreicht ist.
Untersucht man diese natürlichen Ressourcen, so fällt auf, dass es sich um Allmendegüter handelt; sie alle unterliegen der Tendenz zur Übernutzung. Garrett Hardin erkannte 1968, dass den Wirtschaftssubjekten (Privatpersonen, Unternehmen, Staat nebst seinen Gebietskörperschaften) ein unbeschränkter und (meist) kostenloser Zugang zu diesen Ressourcen möglich ist und sie zur Übernutzung dieser Ressourcen neigen. Die von ihm titulierte Tragik der Allmende besteht darin, dass die Erträge der intensivierten Nutzung privatisiert werden können, während die Kosten sozialisiert werden. Das bedeutet, dass beispielsweise ein Unternehmen durch seine Produktion Gewinne erwirtschaftet, aber die vom Unternehmen emittierten Schadstoffe als Gesundheitskosten der Allgemeinheit angelastet werden.
Arten
Übernutzung () kommt vor durch
Überweidung () oder Überdüngung () von Agrarflächen;
Überjagung () der Tierwelt;
Überfischung () der Weltmeere;
Überproduktion () als Marktversagen, das einen Angebotsüberhang vor allem bei Mindestpreisen schafft;
Raubbau im Bergbau und in Wäldern;
Umweltbelastung durch Emission von Schadstoffen und
Verkehrsinfarkt im Straßennetz.
Bei den meisten Arten tritt während ihrer Nutzung Rivalität auf, denn bei begrenzter Kapazität (Verkehrsstau auf Straßen) sinkt der Nutzen für weitere Nutzer (Verspätung und Staukosten durch Verkehrsstau). Diese Nutzer können jedoch nicht von der Nutzung ausgeschlossen werden. Da Wirtschaftssubjekte auch nicht von der Nutzung des Allmendeguts Umwelt ausgeschlossen werden können, kommt es zur Übernutzung der Ressource Umwelt. Von Bedeutung ist auch, ob die Übernutzung zu bleibenden Substanzschäden führt (Überweidung, Überfischung) oder nicht (Verkehrsstau).
Das beste Beispiel für Übernutzung ist die Fischerei in den Ozeanen, wo es jedermann außerhalb der Hoheitsgewässer freigestellt ist, Fischfang zu betreiben. Der freie, kostenlose Marktzutritt ist ein Anreiz, möglichst viele Speisefische zu fangen, so dass ein maximaler Erlös entsteht. Hierin liegt die Tendenz zur Überfischung. Dies ist ein soziales Dilemma, denn jeder einzelne hat einen Anreiz, die Nutzung des Allmendegutes zu steigern, die daraus resultierende Übernutzung senkt jedoch den gesamtgesellschaftlichen Nutzen.
Raubbau
Für das aus 1896 stammende Meyers Konversations-Lexikon war der Raubbau noch auf den Raubbau im Bergbau () und die Landwirtschaft () begrenzt. Im Bergbau hatte er zum Ziel, nur die gewinnbringendsten Erze abzubauen; in der Landwirtschaft bestand Raubbau darin, die dem Ackerboden entzogenen wertvollen Mineralien (wie Kalisalz oder Phosphorsäure) nicht oder nur unzureichend durch Dünger zu ersetzen. Die Abholzung des tropischen Regenwaldes ist der Worst Case des Raubbaus in der Forstwirtschaft.
Heute ist Raubbau zur Metapher geworden, die eine Übernutzung anzeigt. Allgemein wird von einem „Raubbau am Körper“ oder „Raubbau an der Gesundheit“ gesprochen, wenn der Körper übermäßig beansprucht und damit geschädigt wird (z. B. zur Begründung von Arbeitszeitvorschriften). Ein weiteres Beispiel für eine metaphorische Verwendung ist das Schlagwort vom „Raubbau an der Natur“.
Folgen
Eine Übernutzung etwa durch Überdüngung und Überweidung bewirkt eine anthropogene Bodendegradation oder Desertifikation. Übernutzung kann zum großflächigen Bodenabtrag durch Denudation und Erosion, zur Verkrustung oder Versalzung und zum Verlust der Biodiversität führen. In der Forstwirtschaft führt der Kahlschlag ohne nachfolgende Wiederaufforstung zu Erdrutschen, Schuttströmen, Überschwemmungen oder Winderosion mit anschließender Desertifikation.
Aufgrund des Raubbaus im Wald dehnen sich die Dürre- und Ödländer immer weiter aus. UNEP zufolge sind 75 % der Landmasse Australiens, 55 % Afrikas, 25 % Asiens und 20 % Nordamerikas in Wüste verwandelt. Die FAO geht davon aus, dass mehr als 25 % aller Fischbestände erschöpft oder von Erschöpfung durch Überfischung bedroht sind, weitere 50 % werden am biologischen Limit befischt.
Begrenzung/Vermeidung
Der Übernutzung kann durch reglementierende Mengenbeschränkung individueller Nutzung gegenüber den Nutzern begegnet werden. Als Kontingentierung stehen Produktionsquoten (Fangquoten beim Fischfang, Abschusspläne bei der Jagd, Milchquoten in der Landwirtschaft usw.), Grenzwerte oder Richtwerte (Umweltschutz) zur Verfügung. Weitere Strategien sind die Internalisierung der Umweltschäden durch Monetarisierung der Umweltkosten und deren Umlage auf die Verursacher oder die Einführung von Steuern (CO2-Steuer, Umweltsteuer). Ein extensiver Naturschutz (etwa durch Gründung und Management von Naturschutzgebieten, Naturparks oder Nationalparks) beugt einer Ausbeutung durch den Menschen vor.
Wirtschaftliche Aspekte
Die Übernutzung natürlicher Ressourcen führt zu einer Dezimierung der Bestände von Pflanzen oder Tieren bis hin zum Artensterben und stellt eine nicht nachhaltige Nutzung der Natur dar, weil die Entnahme rascher erfolgt als der natürliche Zuwachs. Dabei ist zu bedenken, dass die Nutzung oder der Verbrauch von Land, Wasser oder Luft diese nicht verschwinden lässt, sondern sie in ihrer Qualität verschlechtert (aus Trinkwasser wird Abwasser). Um den ursprünglichen Qualitätsstandard wiederherzustellen, entstehen Kosten (Errichtung und Betrieb von Kläranlagen). Würden diese Investitionen nicht vorgenommen, entstünden dauerhafte Umweltschäden.
Elinor Ostrom zeigte 1990 auf, dass der kollektive Nutzen bei Gemeingut durch zunehmende individuelle Nutzenmaximierung abnimmt und auf lange Frist ganz verschwindet. Sie kam zu dem Ergebnis, dass für eine angemessene und nachhaltige Bewirtschaftung von lokalen Allmenderessourcen in vielen Fällen eine institutionalisierte lokale Kooperation durch kollektives Handeln sowohl staatlicher Kontrolle als auch Privatisierungen überlegen sei.
Nicht nachhaltige Landwirtschaft und der Raubbau an Wäldern erhöhen das Risiko von Naturkatastrophen. Die Übernutzung der natürlichen Umwelt kann nach dem umweltökonomischen Grundmodell durch die Internalisierung der negativen externen Effekte vermieden werden. Wenn den Verursachern negativer externer Effekte die sozialen Kosten ihrer Aktivitäten zunehmend angelastet werden, führt dies zu einer effizienten Verwendung der natürlichen Umwelt. Die Umwelt würde dann nur so lange belastet wie die Grenzkosten der Umweltbelastung unterhalb der Grenzkosten der Schadensvermeidung liegen.
Übernutzung ist eine Erscheinungsform des Extraktivismus, einem „Akkumulationsmodell, das auf einer übermäßigen Ausbeutung immer knapper werdender, meist nicht erneuerbarer, natürlicher Ressourcen beruht, sowie auf der Ausdehnung dieses Prozesses auf Territorien, die bislang als ‚unproduktiv‘ galten“.
Siehe auch
Die Grenzen des Wachstums
Entwaldung in römischer Zeit
Nachhaltigkeit
Planetare Grenzen
Überbevölkerung
Verschwendung
Literatur
Jörg Beutel: Mikroökonomie. 2006, ISBN 3-486-59944-5, S. 342 ff.
Weblinks
Übernutzung. In: Lexikon der Geographie (spektrum.de).
Einzelnachweise
Bergbau
Fischerei
Forstwirtschaft und Holzeinschlag
Landwirtschaft
Mikroökonomie
Ökologie
Sozialethik
Umweltökonomik
Umwelt- und Naturschutz
Volkswirtschaftslehre
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Q3050262
| 92.482937 |
336068
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fresno
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Fresno
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Fresno ist eine Stadt im Fresno County im US-Bundesstaat Kalifornien, am Fuße der Sierra Nevada. Das Stadtgebiet hat eine Größe von 271,4 km². Mit ca. 542.107 Einwohnern (Volkszählung 2020, U.S. Census Bureau) steht Fresno auf der Liste der größten Städte Kaliforniens auf Platz fünf. Fresno liegt in der Mitte des San Joaquin Valleys, etwa 320 Kilometer nördlich von Los Angeles und 270 Kilometer südlich von der Hauptstadt Kaliforniens, Sacramento. Auf Spanisch bedeutet Fresno Esche, deren Blatt in der Mitte der Flagge dargestellt ist. Die Stadt ist Sitz der California State University, Fresno und des römisch-katholischen Bistums Fresno.
Einwohnerentwicklung
Wie viele Städte in Kalifornien wächst auch Fresno rasant. Die Einwohnerzahl hat sich zwischen 1950 und 2010 mehr als verfünffacht. Von 1980 bis 2010 hat sie sich mehr als verdoppelt:
¹ 1950–2020: Volkszählungsergebnisse
Geschichte
Die ursprünglichen Einwohner des San Joaquin Valley Gebiets waren die Yokuts. Sie trieben Handel mit anderen kalifornischen Stämmen. Der Bezirk Fresno entstand 1856 nach dem Kalifornischen Goldrausch. Es wurde nach den an den Ufern des Flusses San Joaquin stehenden Eschen (Spanisch: Fresno) benannt.
Millerton, in der Nähe von Fort Miller, wurde zur Kreisstadt. Andere frühe Siedlungen des Bezirks waren Firebaugh’s Ferry, Scottsburg und Elkhorn Springs.
Am 24. Dezember 1867 trat der Fluss San Joaquin über die Ufer und überschwemmte Millerton. Einige Einwohner bauten alles wieder auf, andere zogen weg.
Die eigentliche Gründung von Fresno wird mit der Errichtung des Betriebswerks der Central Pacific Railroad in Easterby’s im Jahre 1872 angesetzt. Sie richteten damals die ersten Southern Pacific Linien ein. Um die Bahnstation bildete sich schnell ein Geschäftszentrum, und die Einwohner von Millerton begannen, in dessen Nähe zu ziehen, auch um weiteren Überschwemmungen zu entgehen. Schon zwei Jahre nach dem Bau der Bahnstation wurde der Gemeindesitz dorthin verlegt. 1885 folgte dann die Gründung der selbständigen Stadt Fresno. Die alten Gemarkungen von Millerton wurden mit der Errichtung der Talsperre Friant überschwemmt und liegen heute unter dem Millerton Lake.
Die zentrale Lage im Valley beeinflusste die weitere Entwicklung. Schon auf 1910 datiert der Beschluss des kalifornischen Bundesstaates zur Anlage einer zentralen Straßenachse, deren Teile dann 1926 als California State Route 99 bezeichnet wurden. In jener Zeit entstanden auch Ideen zur Errichtung einer Querachse, die die Küste mit dem Yosemite National Park verbinden sollte. Die Baugesellschaft wurde 1930 gegründet, und 1934 erhielt die Strecke die Bezeichnung California State Route 41. Die dritte Strecke umfasste eine Verbindung zum Kings River, die schon 1905 angelegt wurde – diese wurde bis 1933 ausgebaut und 1935 als California State Route 180 bezeichnet. Die drei Staatsstraßen umschließen das Geschäftszentrum von Fresno heute als Autobahnring – der kreuzungsfreie Ausbau mit drei Autobahnkreuzen erfolgte bis 1980.
Die Fresno Municipal Sanitary Landfill war die erste moderne Mülldeponie der Vereinigten Staaten. Sie öffnete 1937 und wurde 1987 stillgelegt.
Im September 1958 führte die Bank of America ein neues Produkt namens BankAmericard in Fresno ein. BankAmericard wurde zur ersten erfolgreichen Kreditkarte, die 1970 zur Visa Inc. ausgegliedert wurde.
Sehenswürdigkeiten
Museen
Fresno Art Museum – Kunstmuseum
Kearney Mansion & Museum – größere Villa mit Museum
African-American Museum – ein Museum über die lokale Geschichte der afro-amerikanischen Kultur in Reedley
Theater
Opera House – ein altes Opernhaus
Zoo
Chaffee Zoo – Zoo mit einem Reptilienhaus
Natur & Grünanlagen
Forestiere Underground Garden – ein unterirdisches 60-Zimmer-Labyrinth
Storyland – Freizeit- und Märchenpark
Weinbau
Fresno und Madera befinden sich im heißen Central Valley, in dem Massenweinbau betrieben wird. In Madera finden sich fünf, in Fresno drei Weingüter.
Partnerstädte
Fresno listet sechs offiziell aktive Partnerstädte auf:
Inaktive oder unbelegte Partnerstädte
, Irak
, Philippinen
, Philippinen
, Pakistan
, Iran
, Tansania
, Kasachstan
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt
Persönlichkeiten mit Bezug zur Stadt
Frank Thomas (1912–2004), Trickfilmzeichner; wuchs in Fresno auf
Cornelius Warmerdam (1915–2001), Stabhochspringer; Trainer an der Universität Fresno
Ken Curtis (1916–1991), Schauspieler und Sänger
John Christy (* 1951), Klimatologe; wuchs in Fresno auf
Joey Cape (* 1966), Sänger; lebt in Fresno
Audra McDonald (* 1970), Schauspielerin und Opernsängerin; wuchs in Fresno auf
Chris Colfer (* 1990), Schauspieler
Klimatabelle
Weblinks
Einzelnachweise
County Seat in Kalifornien
Hochschul- oder Universitätsstadt in den Vereinigten Staaten
Gemeindegründung 1872
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Q43301
| 186.544485 |
54350
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https://de.wikipedia.org/wiki/Firmware
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Firmware
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Unter Firmware (englisch ‚fest‘) versteht man Software, die in elektronischen Geräten eingebettet ist und dort grundlegende Funktionen leistet. Sie nimmt eine Zwischenstellung zwischen Hardware (also den physischen Anteilen eines Gerätes) und der Anwendungssoftware (den ggf. austauschbaren Programmen eines Gerätes) ein. Sie ist zumeist in einem Flash-Speicher, einem EPROM, EEPROM oder ROM gespeichert und durch den Anwender nicht oder nur mit speziellen Mitteln bzw. Funktionen austauschbar. Der Begriff leitet sich davon ab, dass Firmware funktional fest mit der Hardware verbunden ist, was bedeutet, dass das eine ohne das andere nicht nutzbar ist.
Als Firmware bezeichnet man sowohl die Betriebssoftware diverser Geräte oder Komponenten (z. B. Mobiltelefon, Spielkonsole, Fernbedienung, Festplatte, Drucker) als auch die grundlegende Software eines Computers, die notwendig ist, um den Betriebssystemkern des eigentlichen Betriebssystems laden und betreiben zu können. Bei letzterer, der Firmware eines Computersystems, hat sich der Begriff BIOS etabliert, die Bezeichnung der Systemfirmware des IBM Personal Computers von 1981. Aufgrund des großen Erfolgs dieser Plattform, die in den 1980er bis 2000er Jahren als IBM-PC-kompatible Computer bekannt wurde, findet sich auch bei Systemfirmwares anderer Plattformen manchmal die Bezeichnung „BIOS“ (z. B. AlphaBIOS, OpenBIOS). Bei der modernen, aus den IBM-PC-Kompatiblen entstandenen Plattform „PC“ wird die Systemfirmware UEFI oft noch als UEFI-BIOS bezeichnet.
Verwendung
Firmware wird beispielsweise verwendet in Festplattenrekordern, DVD-Brennern, DVD-Playern, neueren Fernsehgeräten, Haushaltsgeräten, Digitalkameras und ihren Wechselobjektiven, Empfängern für Digital Radio, Computerteilen (Grafikkarten, Laufwerken usw.) und vielen anderen elektronischen Geräten. Sie befindet sich auch in eingebetteten Systemen wie ADSL-Modems, Bordcomputern oder Mobiltelefonen. Im modernen Automobil befinden sich typischerweise 15 bis 90 Steuergeräte (z. B. ABS, ESP, ACC, Airbags, Motorsteuerung, Tacho, Radio, Klimaanlage, Einparkhilfe oder Fensterheber), von denen jedes eine eigene Firmware haben kann.
In der Regel wird der programmierbare Inhalt von Mikrocontrollern als Firmware bezeichnet.
Unscharfe Definition
Es ist grundsätzlich möglich, jegliche Funktionalität allein in Hardware abzubilden, und diese Hardware wäre ohne jegliche Software funktionstüchtig und bedienbar. Frühe Videospiele wie Pong bestanden beispielsweise aus Schaltkreisen, die das jeweilige Spielprinzip direkt umsetzten, ohne dass Software im Spiel war. In der Praxis hat sich jedoch ab einer gewissen Komplexität die Software als Abstraktionsschicht zwischen Mensch und Hardware als äußerst nützlich erwiesen. Software, die grundsätzliche Funktionen als Abstraktionsschicht abbildet und diese damit dem Benutzer zur Verfügung stellt, nennt man im Allgemeinen Betriebssystem. Jedoch ist auch der Begriff Betriebssystem bereits ungenau; man kann darunter z. B. nur den Kernel eines Betriebssystems verstehen, oder auch den Kernel mitsamt Softwarepaketen. Der Begriff Firmware bezeichnet grundsätzlich eine Software. Dies kann sein:
ein komplettes Betriebssystem, z. B. OpenWrt. Der Grund für die Bezeichnung dieser Software als Firmware und nicht als Betriebssystem ist, dass die Speicherung auf Flash-Speichern erfolgt, deren Speicherkapazität verhältnismäßig gering ist;
Software, die einen Teil der Hardware abbildet, z. B. die Firmware einer Grafik-, Netz- oder einer WLAN-Karte
Software, die Einstellungen in Form von (verschlüsselten oder nicht verschlüsselten) Parametern enthält, z. B. die Firmware einer Codier-Karte
die komplette Software eines Gerätes (die in der Firmware abgebildet ist): Drucker, Haushaltsgeräte, Kraftfahrzeuge und andere
die Erfüllung aller Aufgaben eines proprietären Betriebssystems; zusätzliche Software kann betrieben werden, z. B. Smartphones, Spielkonsolen, Storage Server und andere
die Zurverfügungstellung hardwarenaher Funktionen in einem Gerät, die das Laden und Starten eines gesonderten Betriebssystems von einem Datenträger erlauben. Beim PC wird diese Firmware BIOS genannt. Das Betriebssystem kann Firmware-Funktionen auch direkt nutzen.
Ursprüngliche Bedeutung: Der Begriff Firmware bezeichnet ein festes Bindeglied zwischen Hardware und Software, wie die Namenswahl des Begriffes (firm = fest) nahelegt.
Es gibt Firmware, die frei von ausführbarem Code ist und zur Konfiguration von spezieller Hardware (CPLDs, Gate-Arrays) benutzt wird. Nachdem die entsprechenden Chips beim OEM anwendungsspezifisch programmiert (früher gebrannt) sind, ist aus der Firmware de facto Hardware geworden. Bei dieser Art von Firmware sind End-Anwender-Updates nicht üblich, da eine fehlerhafte Konfiguration im schlimmsten Fall (Kurzschluss der Versorgungsspannung) zur sofortigen Zerstörung des Gerätes führen kann. Sie wird in Abgrenzung zu Maschinensprache auch Configware genannt.
Aus der Sicht eines Hardware-Designers ist ein BIOS ein basales Betriebssystem und somit eher als Software zu betrachten. Die Firmware in einem Computer konfiguriert die Hardware (Glue-Logic bzw. Chip-Set) so, dass das BIOS von einem Datenspeicher (ROM) überhaupt erst gelesen werden kann.
Aktualisierung von Firmware
Meist ist Firmware auf einen Festwertspeicher geschrieben und kann folglich nur durch den Austausch entsprechender Bauteile aktualisiert werden. Bei aktuellen Geräten ist es aber immer häufiger möglich, die Firmware auf Softwareebene auszutauschen. Flash-Speicher beziehungsweise EEPROMs können über spezielle Verfahren gelöscht und neu beschrieben werden. Dieser Vorgang wird umgangssprachlich „Flashen“ oder „PDRen“ genannt.
Die Aktualisierung kann der Fehlerbehebung sowie der Änderung von Funktionen dienen. Schlägt die Aktualisierung – zum Beispiel durch eine Unterbrechung der Stromzufuhr während des Schreibens – fehl, kann das Gerät unbrauchbar werden: Wenn die elementaren Funktionen zur Aktualisierung der Firmware selbst gelöscht und nicht vollständig erneuert werden, kann eine funktionsfähige Firmware möglicherweise nur noch mit speziellen Hilfsmitteln durch den Hersteller installiert werden.
In seltenen Fällen ist die Firmware von Computer-Zubehörteilen nicht im Gerät selbst dauerhaft gespeichert, sondern wird während des Bootvorganges oder beim Einstecken des Gerätes in einen RAM-Baustein, der sich im Gerät befindet, geschrieben. Eine Aktualisierung ist hierbei meist extrem einfach, da die Firmware einfach als Datei im lokalen Dateisystem des Rechners abgelegt ist und durch Überschreiben der Datei aktualisiert werden kann. Diese Variante ist insbesondere bei WLAN-Karten (PCI oder PCMCIA), WLAN-Adaptern (USB) sowie dem Microcode in modernen Mikroprozessoren häufig anzutreffen. Der Linux-Kernel nutzt diese Methode, unter anderem bei Grafikkarten, um freie oder angepasste Firmware in Geräte laden zu können. Bei vielen Linux-Distributionen kann man Firmware für Geräte (zum Beispiel WLAN-Chips, Grafikkarten) über das Paketmanagementsystem installieren.
Eine weitere Möglichkeit zur Aktualisierung von Firmware sind sog. Over-the-Air-Updates, welche über die Funkschnittstelle der Endgeräte durchgeführt werden.
Firmware-Updates können neben Funktionserweiterungen und Sicherheitsverbesserungen auch einen effizienteren Betrieb von Hardware zur Folge haben (Siehe auch Green IT). In größeren IT-Landschaften haben sie daher nicht zu vernachlässigende ökonomische Effekte.
Ursprung des Wortes
Der Begriff „Firmware“ wurde von Ascher Opler 1967 in einem Artikel in der Zeitschrift Datamation geprägt. Ursprünglich wurde damit der Microcode im beschreibbaren Mikroprogrammspeicher eines Mikroprozessors in einem Computer bezeichnet, wo der Befehlssatz des Hauptprozessors (der CPU) abgelegt wird. Die Firmware konnte neu geladen werden, um den Befehlssatz zu ändern. Firmware war deshalb nicht im Maschinencode der CPU geschrieben, sondern in Mikrocode. Im ursprünglichen Sinn wurde Firmware klar von Hardware (der CPU selbst) und Software (die Programme, die auf dem Prozessor laufen) abgegrenzt.
Später wurde die Bezeichnung für Mikrocode benutzt, gleichgültig, ob er im RAM oder ROM lag.
Danach wurde der Begriff nochmals weiter gefasst, für alles, was im ROM gespeichert ist, wie Prozessormaschinenbefehle für das BIOS, Bootloader oder andere spezialisierte Programme.
Firmware von Drittanbietern
Üblicherweise stammt die Firmware eines Gerätes vom Hersteller des Gerätes. Diese mit dem Gerät ausgelieferte Firmware wird auch als „Stock-Firmware“ oder „Stock-ROM“ bezeichnet. Für einige Geräteklassen wie Smartphones, Tablets und Spielkonsolen werden zusätzlich alternative Firmware-Varianten von Drittanbietern entwickelt. Diese werden auch als „Custom-ROM“ oder „Aftermarket Firmware“ bezeichnet. Viele Custom-ROMs werden von Einzelpersonen in ihrer Freizeit entwickelt, um z. B. neue Funktionen hinzuzufügen, Beschränkungen der Stock-Firmware zu umgehen oder um ihr Gerät mit freier Software auszustatten.
Quellen
Englische Phrase
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Q104851
| 94.462669 |
73193
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https://de.wikipedia.org/wiki/Quelle
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Quelle
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Eine Quelle ist ein Ort, an dem dauerhaft oder zeitweise Grundwasser auf natürliche Weise an der Geländeoberfläche austritt. Meistens handelt es sich dabei um aus Niederschlägen gespeistes (meteorisches) Grundwasser. Nur in seltenen Fällen entstammt das Wasser tieferen Teilen des Erdinneren (juveniles Wasser).
Quellen bilden im Naturraum besondere Orte der Verbindung von Untergrund und Erdoberfläche; häufig sind sie zusammen mit ihrer jeweiligen Umgebung landschaftlich besonders eindrucksvoll und werden naturschutzfachlich als besondere geschützte Biotope oder Geotope behandelt.
Klassifikation
Quellen können nach mehreren Aspekten klassifiziert werden: nach dem hydrostatischen Druck des Grundwassers, nach dem zeitlichen Verlauf der Quellschüttung, nach der Quelltemperatur, nach dem Gehalt an gelösten gasförmigen und festen Stoffen, nach Strukturmerkmalen oder nach der Art der vom Austritt geschaffenen Lebensräume.
Einteilung nach hydrostatischem Druck
Austritt freien Grundwassers: Der Druck an der Grundwasseraustrittsstelle ist dem atmosphärischen gleich, man spricht auch von absteigenden Quellen.
Austritt gespannten Grundwassers (Artesische Quelle, Springquelle): Der Druck an der Grundwasseraustrittsstelle ist größer als der atmosphärische, man spricht auch von aufsteigenden Quellen.
Einteilung nach dem zeitlichen Verlauf der Quellschüttung
Perennierende Quellen fließen beständig, wobei ihre Schüttung stark schwanken kann.
Intermittierende Quellen fallen zeitweise trocken. Intermittierende Karstquellen werden auch Hungerbrunnen genannt.
Einteilung nach Quelltemperatur
Gewöhnlich entspricht die Wassertemperatur einer Quelle der örtlichen mittleren Jahrestemperatur der Luft und ist im jahreszeitlichen Verlauf konstant. In Mitteleuropa liegt die Temperatur dann etwa bei 6 bis 10 °C, in tropischen Gebieten bei 20 bis 25 °C. Liegt der speisende Grundwasserleiter weniger als 20 Meter tief, kann es zu geringen jahreszeitlichen Schwankungen der Quelltemperatur kommen.
Akratopegen: Quellen, deren Temperatur der mittleren örtlichen Jahrestemperatur entspricht.
Akratothermen: Quellen, deren Wassertemperatur über der mittleren Jahrestemperatur der Luft liegt (Thermalquellen).
Einteilung nach dem Gehalt an gelösten Stoffen
Quellen, die einen besonders hohen Gehalt an gelösten gasförmigen oder festen Stoffen haben, bezeichnet man als Mineralquellen. Mit der Wirkung von Heilquellen beschäftigt sich die Balneologie. Mineralquellen lassen sich weiter unterteilen in Solequellen, Schwefelquellen, Säuerlinge, alkalische Quellen, Bitterquellen, Eisenquellen und radioaktive Quellen. Träger der Radioaktivität in radioaktiven Quellen ist das Edelgas Radon, das beim Zerfall von uran- oder thoriumhaltigen Mineralen meist in Granit- oder Gneisgesteinen entsteht (vgl. Radonbalneologie).
Zu beachten ist, dass nach deutschem Recht Heilquellen „natürlich zu Tage tretende oder künstlich erschlossene Wasser- oder Gasvorkommen“ sind (Wasserhaushaltsgesetz, §53). Damit kann auch eine Bohrung oder ein Brunnen, der ein entsprechendes Grundwasservorkommen erschließt, eine „Heilquelle“ sein, auch wenn es sich definitionsgemäß eigentlich nicht um eine Quelle handelt. Entsprechende Brunnen werden oft Quelle genannt (z. B. Kaiser-Friedrich-Quelle). Der Bezug auf Gasvorkommen steht im Gesetz, da Kohlendioxid enthaltene Quellen oft gemeinsam mit Gasvorkommen (Mofetten genannt) auftreten und das geförderte Wasser eigentlich ein Wasser-Gas-Gemisch ist.
Einteilung nach Strukturmerkmalen im Quelleinzugsgebiet
Karstquellen: Weltweit häufig vorkommende Karbonatgesteine haben vielfach die Eigenschaft, beim Einwirken von CO2-haltigem Wasser (übliche Niederschläge) in Lösung zu gehen. Das dann kalkhaltige Wasser tritt in Rissen/Klüften/Spalten/Gängen/Höhlen als Karstquelle relativ schnell aus.
Schichtquellen: Grundwasser bewegt sich über einer stauenden Gesteinsschicht zur Austrittsstelle.
Überlaufquellen: auch Überfallquelle genannt, Grundwasser staut sich über einer Gesteinsschicht bis zur tiefstmöglichen Austrittsstelle, besonders bei seitlich begrenzenden (stauenden) Gesteinen (etwa an Verwerfungen oder vor Kalksinterkrusten) auch Stauquellen genannt.
Verengungsquellen: Sonderform der Überlaufquelle; im Grundwasserleiter selbst baut sich vor Stellen geringerer Durchlässigkeit hydrostatischer Druck auf, der zum Grundwasseranstau bis zur Erdoberfläche führen kann und dort zum (oft nur zeitweisen) Quellaustritt.
Spaltenquellen (auch Spaltengrenzquellen, Spaltquellen, Fugenquellen, Kluftquellen): Grundwasser tritt an einer offenen Felsspalte ins Freie. Spaltenquellen sind an Spalten und Klüfte von brüchigen Gesteinen gebunden, das können magmatische oder metamorphe Gesteine wie Granite oder Gneise oder Sedimentgesteine wie Kalke sein. Wird in Kalken der Hohlraum durch Lösungsvorgänge erweitert, gehen sie in Karstquellen über.
Artesische Quellen: Grundwasser, das unter eine in Fließrichtung absteigende Gesteinsschicht gedrückt wird und an wenigen durchlässigen Stellen (etwa an Bruchlinien) unter Druck an die Oberfläche gelangt.
Geysire (auch Springquellen): vulkanisch erhitztes oder mit Kohlenstoffdioxid versetztes Grundwasser bildet beim Austritt wiederholt Fontänen.
Störungsquelle: auch Verwerfungsquelle genannt, Quelle die an einer geologischen Störung auftritt, vor allem, wenn an der Störungsfläche wasserundurchlässige, stauende gegen durchlässige Gesteine versetzt sind. So kommt es oft zu Quellhorizonten, die dem Ausbiss der entsprechenden Störung folgen. Störungsquellen können unter anderem Spezialformen von Überlaufquellen sein. Sofern entlang der Verwerfung das Gestein durch die Bewegung stark zerrüttet ist und eine sehr hohe Durchlässigkeit aufweist, können Störungsquellen auch artesisch sein.
Einteilung nach Strukturmerkmalen des Quellortes
Rheokrene (Fließ- oder Sprudelquelle) zeigen einen deutlich erkennbaren, lokal begrenzten Austritt mit einem sichtbaren Abfluss. Er kann laminar strömen und sogar Stillwasserzonen aufweisen, oder aber nach Austritt aus Klüften in steilem Gelände einen Sturzbach oder Wasserfall bilden (Fallquelle, Sturzquelle).
Helokrene (Sickerquelle, Sumpfquelle) sind durch flächig austretendes Grundwasser gekennzeichnet, das sich in einem Quellsumpf aus kleinsten Quellrinnsalen sammelt. Ein solches Quellgebiet kann sich, je nach klimatischer und geologischer Situation, über Quadratkilometer erstrecken. Im Flachland haben Helokrene, abgesehen von einigen aufsteigenden Quellen, meist eine geringe Schüttung.
Limnokrene (Tümpelquelle, Trichterquelle, Quellteich, Quelltümpel) sind Quellaustritte am Grund einer Mulde, wodurch sich ein stehendes Gewässer (ein Quelltümpel, Quellteich oder sogar ein Quellsee) bildet. Durch Überfließen des Gewässerrandes entsteht dann ein Quellbach. In Karstgebieten kann ein solcher Quelltümpel große Tiefen erreichen.
Unterseeische Quellen treten besonders in Karstgebieten auf.
Endorheische Quellen sind abflusslos; ihr Wasser versickert nach kurzer Fließstrecke wieder.
Gefasste Quellen sind mit einer künstlichen Quellfassung umbaut oder auch denkmalartig gestaltet.
(Brunnen sind künstliche Grundwasseraufschlüsse und werden nicht als Quelle bezeichnet.)
Quellen als Lebensraum
Das sogenannte Krenal, also der Lebensraum Quelle, ist ein kleinflächiger Lebensraum, dessen physikalische und chemische Faktoren, ausgenommen bei Karstquellen, recht konstant bleiben. Ändern sie sich doch, so kann dies große Auswirkungen aufs Krenal haben. Quellen sind, außer im Falle starker Belastung des Grundwassers, oligotrophe Gewässer.
Man unterscheidet den Lebensraum der quellbewohnenden Organismen, der Krenobionten, in das Eukrenal, den eigentlichen Quellbereich, und das Hypokrenal, den anschließenden Lebensraum im oberen Quellabfluss. Das Hypokrenal reicht nur so weit, wie die Lebensbedingungen des Quellfließes noch durch den Wasseraustritt geprägt sind. Bewohnen Organismen vorwiegend das Krenal, bezeichnet man sie als Krenophile, erscheinen sie dagegen dort nur selten, nennt man sie Krenoxene.
Da sehr viele Quellen gefasst wurden oder verbaut sind, sollen sie in der Schweiz erfasst, geschützt oder gar renaturiert werden.
Bekannte Quellen
In Deutschland
Der Aachtopf ist mit einer Schüttung zwischen 1.300 und 24.000 Litern pro Sekunde die wasserreichste deutsche Quelle. Hier tritt überwiegend Wasser aus der Donauversinkung wieder zu Tage.
Der Blautopf ist eine ähnlich große Karstquelle bei Blaubeuren mit einer Schüttung von im Mittel 2.280 l/s und maximal 32.670 l/s.
Eine weitere wichtige (ebenfalls Karst-)Quelle der Schwäbischen Alb ist die Gallusquelle in Veringenstadt-Hermentingen, sie schüttet durchschnittlich etwa 470 Liter Wasser pro Sekunde aus (min. 300, max. 2000 l/s[1]).
Die mit einer Temperatur von 74 °C wärmsten Thermalquellen in Deutschland liegen in Burtscheid bei Aachen.
Im Paderquellgebiet in der Innenstadt Paderborns drängen in über 200 kleinen Quellen in mehreren ummauerten Quellbecken 3.000 bis 9.000 Liter Wasser pro Sekunde an die Erdoberfläche.
Die Rhumequelle ist mit einer Quellschüttung von im Mittel 2.000 Litern pro Sekunde die ergiebigste Quelle Norddeutschlands und wird von Wasser aus dem Harz gespeist.
Die Lutterquelle liegt am Elm in Norddeutschland.
Die Lahnquelle befindet sich im Rothaargebirge im Keller eines alten Mühlhauses.
Der 20-Röhren-Brunnen in Altleiningen ist die stärkste Spaltenquelle der Pfalz. Das Wasser tritt aus einer Verwerfungsspalte hervor, wird zunächst in zwei großen Brunnenkammern gefasst, um dann aus 20 parallel angeordneten Röhren hervor zu quellen. Die Menge des Wasserflusses wird mit einem (für die Bauzeit) sehr durchdachten System der Grundwasseraufstauung gesteuert.
Der Salzaspring ist die Quelle der Salza und mit einer Schüttung aus dem Karst von im Mittel 704 Litern pro Sekunde die ergiebigste Quelle Thüringens.
Der Schwarzbach entspringt der aktiven Wasserhöhle Schwarzbachloch. Die Karstquelle liegt im Landkreis Berchtesgadener Land, ihre Schüttung schwankt stark zwischen 30 und 17.000 Litern pro Sekunde.
Leutraquelle in Weimar, Das sogenannte Ochsenauge oder die Sprudelquelle ist eine der drei Teilquellen des Leutrabachs im Park an der Ilm.
In Österreich
Pießling-Ursprung: Eine der stärksten österreichischen Karstquellen nahe Spital am Pyhrn im Toten Gebirge (Oberösterreich). Der von ihr gespeiste Fluss mündet nach etwa 7 Kilometern in die Teichl und später in die Steyr.
Wasserloch: Karstquelle in Österreich im Salzatal nahe Palfau (Steiermark). Nach dem Austritt aus einer Höhle und der Unterquerung eines natürlichen Felstors stürzen die Wassermassen über zahlreiche Wasserfälle und Kaskaden etwa 350 m in die Tiefe und bilden die Touristenattraktion der Wasserlochklamm.
Heilquellen für Kaltwasserkur in St. Radegund (Steiermark), die unter Gustav Novy (1830–1896) und Gustav Ruprich (1855–1912) durch hauptsächlich ungarische Adelige erschlossen wurden. Beispiele: Rosa-Quelle, Source des paresseux, Eremitenquelle.
Rinnende Mauer: eine großflächig austretende Quelle in der Steyrschlucht bei Molln.
In der Schweiz
Rheinquelle: Nach gewässerkundlichen Merkmalen ist es schwierig, „die“ Quelle des Rheins zu bestimmen. Als Quelle des Rheins wird oft der Tomasee im Kanton Graubünden angesehen. Mündungsfernste Quelle ist die im Kanton Tessin liegende Quelle des Rein da Medel.
Siebenbrünnen, Ursprung der Simme bei Lenk.
Rinquelle am Walensee, entspringt im unteren Teil der Seerenbachfälle mit dem höchsten Einzelfall der Schweiz.
Siehe auch
Cold Seeps
Einzugsgebiet
Liste von Karstquellen
Literatur
(einführender Fachartikel zu Geschichte, Archäologie und Namenkunde der Quelle)
Weblinks
Quellentypen im Lexikon der Geowissenschaften (www.spektrum.de)
Einzelnachweise
Limnologie
Hydrogeologie
Wasserwirtschaft
Biotoptyp
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Q124714
| 588.406809 |
117374
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https://de.wikipedia.org/wiki/Niederl%C3%A4ndisch-Indien
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Niederländisch-Indien
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Niederländisch-Indien (, ), auch bekannt als Niederländisch-Ostindien, war der unter niederländischer Herrschaft stehende Vorläufer der Republik Indonesien.
Vereinigte Niederländische Ostindien-Kompanie
Vom frühen 17. Jahrhundert an war die Vereinigte Niederländische Ostindien-Kompanie (VOC) die dominierende Macht auf dem malaiischen Archipel. 1602 gegründet, ging sie sehr schnell gegen die damals den Archipel beherrschenden Portugiesen vor. Portugal war zu jener Zeit ein Nebenland Spaniens, das wiederum mit den niederländischen Provinzen der Utrechter Union im Krieg stand. 1605 wurde Amboyna auf den Molukken als erster Stützpunkt von den Niederländern eingenommen. 1619 wurde Batavia, das heutige Jakarta, als Hauptsitz der Kompanie gegründet, die Staatshoheit beschränkte sich ursprünglich auf dessen nähere Umgebung. Im Lauf des 17. Jahrhunderts wurden nach und nach die wichtigsten Häfen des Archipels eingenommen: Malakka 1641, Aceh 1667, Makassar 1669, zuletzt das britische Bantam 1682.
Das wirtschaftliche Rückgrat der Kolonie waren Gewürze, die auf den verschiedenen Inseln in Monokulturen angebaut wurden: Amboyna war auf Gewürznelken spezialisiert, Timor auf Sandelholz, die Banda-Inseln auf Muskatnuss. Aus dem gleichfalls niederländischen Ceylon kam Zimt. Ein weiteres wichtiges Gewürz war der schwarze Pfeffer. Dieser wurde gegen Baumwolle aus Indien und Silber aus Amerika eingetauscht. Eine der wichtigsten Quellen des Reichtums war allerdings der Handel innerhalb des Archipels (siehe auch Indienhandel).
Übernahme durch die niederländische Regierung nach 1799
Im späten 18. Jahrhundert war die VOC längst zu einem „Staat im Staate“ geworden. Die bevorzugte Methode der indirekten Herrschaft über die indonesischen Fürsten wurde vom niederländischen Staat allerdings weitergeführt. Nach der Auflösung der VOC 1799 und einer Zwischenphase während der Napoleonischen Kriege (von 1811 bis 1815), in der der Archipel von den Briten erobert und verwaltet wurde, übernahm der niederländische Staat 1816 die Verwaltungshoheit. Dabei wurde Insulinde von den Briten als einziges größeres niederländisches Kolonialgebiet zurückgegeben. Dieser Prozess fand seinen Abschluss mit dem Vertrag von 1824, bei dem Bengcoolen (heute Bengkulu), der britische Stützpunkt auf Sumatra, gegen Malakka, den niederländischen Stützpunkt auf der Malaiischen Halbinsel, getauscht wurde, wodurch die Einflussgebiete der Kolonialmächte dauerhaft abgegrenzt wurden.
In den Jahren zwischen etwa 1890 und 1910 wurde das Gebiet mitsamt dem Hinterland vieler Inseln, auf denen die VOC nur Stützpunkte errichtet hatte, als Kolonie organisiert. Die niederländische Regierung vollendete die Aufteilung von Nederlands-Indië in Gouvernementen (Gouvernements) sowie Regentschappen (Regentschaften) und baute eine Kolonialverwaltung auf. So gehörte ab 1908 (Fall Acehs) das gesamte Territorium des späteren Indonesien zu Niederländisch-Indien. Die Grenze zu Portugiesisch-Timor, die weitgehend der heutigen Grenze zwischen Indonesien und Osttimor entspricht, wurde 1916 endgültig festgelegt.
Die Bevölkerungszahl betrug 1900 etwa 37 Millionen; davon lebten 29 Millionen auf Java und Madura. In der Kolonie wohnten etwa 80.000 Europäer und 550.000 ethnische Chinesen.
Kolonialtruppen
Schon zu Zeiten der Ostindischen Kompanie wurde ein Großteil der eingesetzten Soldaten aus deutschen Freiwilligen rekrutiert. Diese Praxis dauerte in der Koninklijk Nederlands-Indisch Leger fort. Der Anteil von Nicht-Holländern betrug unter den europäischen Mannschaften vor 1900 deutlich über 50 Prozent, später etwa ein Drittel. An Einheimischen wurden hauptsächlich die als „kriegerisch“ geltenden Javaner und die oft christlichen Ambonesen angeworben. Für Wachdienste und zur Guerillabekämpfung in Aceh wurden noch in den 1890er Jahren Hilfstruppen (Marechaussee) ausgehoben.
Zweiter Weltkrieg und Unabhängigkeit
Nach dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 erklärte die niederländische Exilregierung dem Kaiserreich Japan gemeinsam mit den USA, Großbritannien und weiteren Ländern den Krieg. Zwischen dem 16. Dezember 1941 und dem 8. März 1942 eroberte die japanische Armee ganz Niederländisch-Indien. Am 9. März erfolgte gegenüber den Angreifern auf der Insel Java die bedingungslose Kapitulation. Das Gebiet blieb bis zum Kriegsende 1945 in japanischer Hand. Die indonesische Nationalbewegung unter Sukarno und Mohammad Hatta wurde von den Besatzern geduldet und unterstützt.
Am 17. August 1945 erklärte der Republikaner Sukarno nach der Kapitulation Japans Niederländisch-Indien für unabhängig. Die Niederlande erkannten dies jedoch nicht an, sondern bemühten sich um eine Wiederherstellung ihrer Macht. In einer Übergangsphase waren japanische Truppen nach Absprache weiterhin für Ruhe und Ordnung verantwortlich, kontrolliert von den Briten. In dieser Zeit gelang es den Republikanern, große Teile der Hauptinsel Java und einige andere Gebiete zu beherrschen. In zwei Militäraktionen, beschönigend „Polizeiaktionen“ genannt, eroberten die Niederlande zwar viele Gebiete der Republikaner, doch die Weltöffentlichkeit verurteilte dies, darunter auch die USA, von deren finanzieller Hilfe die Niederlande abhängig waren.
Die Niederländer erkannten die Unabhängigkeit Indonesiens am 27. Dezember 1949 an, behielten aber die Souveränität über Niederländisch-Neuguinea, woran 1954 die vereinbarte Zusammenarbeit in der Niederländisch-Indonesischen Union scheiterte. Erst 1962 stimmten die Niederlande unter dem Druck der Vereinigten Staaten im New Yorker Abkommen der Übergabe an Indonesien zu. Die von den Niederlanden beabsichtigte Gründung eines neuen Staates mit dem Namen Republik Westpapua konnte daher nicht verwirklicht werden. Kurze Zeit später wurde der westliche Teil der Insel von Indonesien übernommen. Eine von den Niederlanden als Bedingung ins New Yorker Abkommen eingebrachte Volksabstimmung der Papua über ihre Zugehörigkeit zu Indonesien, der Act of Free Choice von 1969, wurde von Indonesien zu seinen Gunsten manipuliert, aber von der UNO offiziell anerkannt.
Wappen
Das Wappen von Niederländisch-Indien gleicht dem Königinnenwappen der Niederlande, unterscheidet sich von diesem aber in den Prachtstücken: Es fehlt das rote gekrönte Wappenzelt mit Hermelinfutter.
Wappenbeschreibung: In Blau ein goldener rotbewehrter und auch so gezungter goldgekrönter Löwe mit der rechten Pranke ein goldbegrifftes silbernes Schwert schwingend und in der anderen ein goldenes Bündel mit sieben Pfeilen haltend. Der Schild, von zwei goldenen rotbewehrten und auch so gezungten Löwen gehalten, ist mit goldenen Schindeln besät und mit der goldenen niederländischen Königskrone gekrönt.
Unter dem Schild ein blaues Band mit dem Wappenspruch in silbernen Majuskeln und in französischer Sprache Je maintiendrai in der Bedeutung von „Ich werde bestehen“.
Siehe auch
Liste der Generalgouverneure von Niederländisch-Indien
Verwaltung von Niederländisch-Indien
Klaas van der Maaten
Reise nach Batavia
Literatur
Ulbe Bosma: Emigration: Colonial circuits between Europe and Asia in the 19th and early 20th century. In: Europäische Geschichte Online. hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2011, Zugriff am: 18. Mai 2011.
Weblinks
Niederländisch-Indien bebildert 1860–1940 auf „Het Geheugen van Nederland“* Das Projekt „Afscheid van Indië“
Bilder aus Niederländisch-Indien auf „Het Geheugen van Nederland“
„Het Indisch Filmarchief“
Dokumentarfilm über Niederländisch-Indien auf School TV (niederländisch)
Einzelnachweise
Historisches Territorium (Asien)
Historisches Überseegebiet
Kolonialgeschichte Asiens
Indonesisch-niederländische Beziehungen
Ehemaliges Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung
Gegründet 1602
Aufgelöst 1949
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Q188161
| 302.610435 |
35989
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lusaka
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Lusaka
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Lusaka [] ist die Hauptstadt von Sambia und der Provinz Lusaka. Sie hat 2.204.059 Einwohner (Stand: 2022).
Geographie, Geologie und Hydrologie
Lusaka liegt in etwa 1250 Meter Höhe über dem Meeresspiegel auf einem Plateau im Süden Sambias. Die Stadt, die einen eigenen Distrikt bildet, grenzt im Osten an den Distrikt Chongwe, im Süden an Kafue, im Westen an Chilanga sowie im Norden an Chibombo in der Zentralprovinz.
Die Region um Lusaka bildet einen Teil der großen Tiefebene Zentralafrikas aus dem mittleren Tertiär. Die flachen Hügel im Norden von Lusaka, die aus Quarzit bestehen, sind Überreste einer Hochebene, die sich in der Kreidezeit morphologisch herausgebildet hat.
Das Stadtgebiet von Lusaka erstreckt sich auf einem Karbonatgesteinsuntergund aus dolomitischen Marmoren und marmorisierten Dolomiten (geomorphologisch das Lusaka-Plateau) sowie auf geschieferten Gesteinen aus dem Neoproterozoikum (Katanga-Supergruppe (Supergroup), früher „Katanga-System“). Zu dieser Gesteinsabfolge gehören (von unten nach oben) Matero-Quarzite, Ridgeway-Schiefer und karbonatische Gesteinskörper der Lusaka-Dolomit-Formation sowie Quarzite und Schiefergesteine der Cheta-Formation. Diese Gesteinseinheiten werden nah an der Erdoberfläche von alluvialen Sedimenten des Quartärs überdeckt, die stadtregional differenzierte Bodenprofiltiefen besitzen. Diese Bodenschichten bestehen überwiegend aus Eisenoxid-Oolithen über dem Karbonatgesteinsuntergrund, die von einer tonigen Matrix eingeschlossen sind, sowie von sandigen Sedimenten über den Grundgebirgsbereichen aus Schiefer, Gneis und Granit in den Randgebieten der Stadt. Letztere erstrecken sich nördlich und südlich von Lusaka. Das Grundgebirge besteht hier aus kataklastisch verformten Quarz-Feldspat-Biotit-Gneis im Norden sowie im Süden aus Augengneis, hier ein feldspatreiches und deutlich foliiertes Gestein.
Die im Untergrund des Stadtgebietes vorkommenden Karbonatgesteine sind an ihrer Oberfläche stellenweise stark verkarstet, was für jegliche Baumaßnahmen erhebliche Schwierigkeiten verursachen kann. Die Verkarstung reicht jedoch auch in die Tiefe des Karbonatkomplexes, wodurch sich ein Karstgrundwasserleiter bildete. Der Trinkwasserbedarf der Stadt wird zu etwa 80 Prozent aus dem Karstgrundwasserleiter des Karbonatgesteins gedeckt und nur 20 Prozent gewinnt man aus dem Kafue-Wasser südlich von Lusaka in etwa 40 Kilometer Entfernung zum Großstadtraum der sambischen Hauptstadt.
Mehrere Flüsse fließen um Lusaka herum und einige durch Abwassereinleitungen verschmutzte Bäche direkt durch die Stadt. Die Verfügbarkeit von Oberflächenwasser ist jedoch gering. Innerhalb der Stadtfläche gibt es keine bedeutenden Gewässer. Die Basis der Wasserversorgung von Lusaka bilden Grundwasserentnahmen.
Nördlich und östlich der Stadt liegen dichter bewaldete Gebiete, im Südwesten Savannenwälder. Offene Laubwälder, die lokal als Miombo bekannt sind, machen etwa 80 % der bewaldeten Gebiete aus, den Rest bilden die Baumsavannen.
Siedlungscharakter
Bis heute hat Lusaka seinen besonderen Charakter hinsichtlich der Entwicklung seiner Stadtteile bewahrt. Mit dem Bau der Bahnlinie und der einhergehenden Besiedlung bildeten sich schon in den frühen Jahren westlich der Bahnlinie eher industriegeprägte Areale aus, während hingegen im östlichen Bereich großzügige Viertel mit rechtwinklig zulaufenden oder halbmondförmigen Straßenverläufen planvoll angelegt wurden.
Der Osten Lusakas führte dann auch zum Beinamen „Garden City“. Heute sind hier die Häuser der Mittel- und Oberschicht entlang breiter Alleen oder kleiner Nebenstraßen zu finden, die häufig mit Jacaranda- oder Flamboyant-Bäumen bestanden sind. Die Trennachse zwischen den beiden Stadträumen bildet neben der Eisenbahnstrecke in motorisierter Zeit vor allem die Cairo Road als Hauptdurchgangs- und Geschäftsstraße mit Einrichtungen der städtischen Infrastruktur wie Bürokomplexen, Banken, Hotels, Supermärkten und der Post.
Entlang der Cairo Road befinden sich mehrere Beispiele der in den 1970er-Jahren entstandenen Hochhäuser im Stil des Brutalismus, die von damaligen jugoslawischen Architekten entworfen wurden, so das Findeco und Indeco House.
Klimatabelle
Geschichte
Die stadtgeschichtliche Entwicklung Lusakas ist eng mit dem Ausbau der Infrastruktur im damaligen Nordwestrhodesien unter britischer Herrschaft verbunden.
Bis in das späte 19. Jahrhundert unterlagen die gesellschaftlichen und politischen Strukturen der Region vor allem dem Druck durch den andauernden Sklavenhandel, der die Entstehung von städtischen Zentren im ehemaligen Reich der Soli verhinderte. In diese Zeit fielen auch die Bestrebungen der British South African Company (BSAC), das Gebiet in Besitz zu nehmen und für eine koloniale Bewirtschaftung zu erschließen. Während der Jahre 1899 und 1900 etablierte die Gesellschaft ihre formale Kontrolle in der Region. Im Jahr 1905 begann die Gesellschaft mit dem Bau einer Bahnlinie, die von den Victoria-Fällen im Süden der Teilkolonie in den Norden führte. Die Verkehrsachse sollte der Erschließung der Kupfervorkommen in der Grenzregion zu Belgisch-Kongo dienen und den Transport des Rohstoffes zu den Häfen Südafrikas erheblich vereinfachen. Entlang der Bahnstrecke errichtete man aller 20 Meilen (32 Kilometer) eine Station, so auch im Oktober 1905 nahe der nach dem örtlichen Chief benannten dörflichen Siedlung Lusaka(a)(s).
Eine großflächigere Besiedlung des Ortes um die Bahnstation erfolgte durch Buren aus Südafrika und Südrhodesien sowie Missionare etwa ab dem Jahr 1908, die weitere Infrastrukturleistungen nach sich zog. Ab 1909 verfügte Lusaka bereits über eine Schule. Vier Jahre später setzte die BSAC zur Ordnung der lokalen Verwaltung ein sogenanntes „Village Management Board“ ein, das vor allem die Belange der britischen Kolonialadministration und britischer, rhodesischer sowie südafrikanischer Bauern koordinierte, nachdem im Jahr 1911 Nordwestrhodesien Teil des neugebildeten Nordrhodesiens wurde. Zunächst wuchs die Stadt in den 1920er-Jahren auf niedrigem Niveau entlang der Bahnstrecke: 1929 zählte Lusaka knapp 2000 Bewohner und erhielt den Status einer Township.
Einen erheblichen Entwicklungsschub erfuhr der Ort zu Beginn der 1930er-Jahre vornehmlich aus zwei Gründen: Zum einen erklärte die britische Verwaltung 1931 die Verlegung der Hauptstadt von Livingstone nach Lusaka, für die günstige klimatische Verhältnisse und ausreichende Ressourcen an Grundwasser ausschlaggebend waren. Zum anderen begann die Kupferförderung im Norden der Kolonie industrielle Ausmaße zu erreichen. Lusaka war als vorteilhafter Umschlagplatz nicht nur an der Eisenbahn, sondern auch an der Kreuzung zweier bedeutender Fernstraßenachsen gelegen. Schließlich erfolgte im Mai 1935 der formelle Umzug der Verwaltung von Livingstone und damit auch ein Ausbau an Infrastruktur sowie Bevölkerungswachstum in den Folgejahren. Die Stadtplanung konzentrierte sich zunächst auf den Auf- und Ausbau des Verwaltungssitzes, mit dem die britische Administration den Südafrikaner John A. Hoogterp beauftragte. Schließlich zog Lusaka mit den neu erworbenen Hauptstadtfunktionen vor allem ab den 1940er-Jahren vermehrt weiße Siedler an, für die zwangsläufig neuer Wohnraum geschaffen werden musste und in dem bis zu 20.000 Bewohner geplant waren. So nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg östlich der Eisenbahnlinie großzügige Wohnanlagen mit Gärten und breite Straßen mit Baumbepflanzungen Gestalt an, die der Stadt den Beinamen „Garden City“ verliehen. Mit dem parallelen Aufschwung der Minenwirtschaft etablierte sich auch in Lusaka das System der lohnabhängigen Wanderarbeiterschaft, die sich aus einheimischen Kräften rekrutierte, in großem Stil.
Nach 1945 nahm in der noch jungen Kapitale somit der Siedlungsdruck erheblich zu. Im Jahr 1946 lebten etwa 19.000 Menschen europäischer Abstammung in Lusaka. Westlich und südwestlich der Bahnlinie entstanden Gebiete für die Schwerindustrie. Zunächst beherbergten Kabwata und Kamwala die aus nahezu ausnahmslos männlichen Wanderarbeitern bestehende einheimische Bevölkerung in vornehmlich Ein-Zimmer-Behausungen. Die Mehrheit der Bewohner im Raum Lusaka bestand zu diesem Zeitpunkt aus Angehörigen der afrikanischen Ethnien sowie Menschen aus dem asiatischen Raum (etwa 80 Prozent der Bevölkerung Lusakas), die in den zugewiesenen Vierteln unmittelbar am Stadtrand oder in der Nähe der Industrieanlagen wohnten. Die Angehörigen der männlichen Arbeiter hatten in der Stadt kein Wohnrecht inne und durften diese nur in Ausnahmefällen innerhalb der Stadtgrenzen begleiten.
Als dieses für die afrikanischen Volksgruppen ab 1948 nicht mehr auf die Dauer der Vertragsarbeit beschränkt wurde, erfolgte ein enormer Zuzug aus dem Umland und anderen Teilen der Kolonie nach Lusaka. Zusätzlich bleiben viele Arbeiter nun auch nach dem Ende der Kontraktphase in der Stadt und suchten sich im urbanen Umfeld neue Beschäftigungsverhältnisse. Mit dem Wegfall der ausschließlichen Wohnraumbereitstellung durch den Arbeitgeber und dem massenhaften Familiennachzug entwickelte sich daher für die einheimische Bevölkerung ein Dilemma, da die Gehälter der arbeitenden Männer für den Bau und Erwerb adäquaten Wohnraums kaum ausreichten. Es entstanden so Ende der 1940er- und zu Beginn der 1950er-Jahre sowohl Wohnviertel aus einfachsten Baumaterialien mit rudimentären, gemeinschaftlichen Sanitäreinrichtungen außerhalb der Stadtgrenze (wie etwa Matero und Chilenje) als auch Slums ohne städtische Infrastruktur (wie etwa Kanyama und Chibolya). Die Etablierung von informellen Siedlungen im Westen, Süden und Norden Lusakas basierte jedoch zunächst nicht auf der illegalen Landaneignung, sondern auf Mietverhältnissen mit den weißen Farmen, auf deren Gelände gewohnt wurde. Der östliche Teil der Stadt jedoch blieb aufgrund der Qualität des Bodens, der Eigentumsrechte der dortigen Farmer sowie der Entfernung zu den Industrieanlagen den weißen Bewohnern vorbehalten.
Im Jahr 1948 fungierte Lusaka als Gründungsort des Northern Rhodesian Congress der Federation of African Welfare Societies, der wesentlicher Träger der Unabhängigkeitsbewegung werden sollte. Auf deren Grundlage erfolgte fünf Jahre später auch der Zusammenschluss von Nord- und Südrhodesien zur Zentralafrikanischen Föderation. Zeitgleich entwickelte sich Lusaka zu einem Sammelbecken der zivilen Protestbewegung gegen die koloniale Herrschaft außerhalb der politischen Institutionen und somit Zentrum für die Aushandlungsprozesse, die am 24. Oktober 1964 in der Unabhängigkeit Sambias vom Vereinigten Königreich mündeten.
Diese Rolle nahm Sambias neue und alte Hauptstadt auch in den Folgejahren für die benachbarten Länder des südlichen Afrikas ein. (Pan)Afrikanische Nationalisten, die sich den antikolonialen Bestrebungen in Rhodesien, Mosambik, Angola und der Auflösung des Apartheid-Regimes in Südafrika widmeten, fanden in Lusaka nicht nur Zuflucht, sondern konnten hier auch ihre politischen Visionen öffentlich formulieren. Lusaka war ebenfalls gastgebende Stadt für die Konferenz der ost- und zentralafrikanischen Staaten im Jahr 1969, die mit ihrem Abschlusspapier die koloniale Herrschaft im südlichen Afrika verurteilte. Insbesondere die Minderheitenregime im benachbarten Rhodesien sowie Südafrika standen im Fokus der Widerstandsbemühungen, die mit der Einrichtung der Zentrale des African National Congress (ANC) während der 1970er- und 1980er-Jahre in Lusaka eines ihrer großen Zentren fanden.
Nach der Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich fand ein weiterer starker Zuzug nach Lusaka statt, der die Einwohnerzahl innerhalb von nur fünf Jahren bis 1969 auf rund 260.000 Einwohnern nahezu verdoppelte. Die Stadtverwaltung versuchte, der prekär werdenden Wohnraumsituation mit dem Bau kostengünstiger und einfacher Steinhäuser vor allem in Chilenje, Chelstone und Kabwata entgegenzuwirken, jedoch reichten diese nicht zur Versorgung der Zuziehenden aus. Die enorme Landflucht führt seit den 1960er-Jahren zur Herausbildung und Vergrößerung der informellen Stadtrandsiedlungen ohne adäquate Infrastruktur, etwa in Chibolya, Chunga, Mandevu oder Mtendere. Die Erweiterung des Stadtgebietes im Jahr 1970 auf 360 km² (von vormals 36 km²) führte zur rechtlich verbesserten Behandlung der nun zur Stadt gehörenden Wohngebiete. Vier Jahre später erkannte der Improvement Areas Act diese Stadtteile als Gebiete mit Verbesserungsbedarf offiziell an. Trotz des zeitweiligen Verfalls des Kupferpreises und dem damit verbundenen Wegfall an Arbeitsmöglichkeiten auch in Lusaka bleibt der Zuzug aus dem gesamten Land hoch. Da seit den 1980er-Jahren vermehrt Bewohner des Kupfergürtels nach Lusaka ziehen, löst Bemba Nyanja als Umgangssprache seitdem immer mehr ab.
Am 1. Juli 1985 erfolgte ein Bombenanschlag auf das damals hier ansässige Hauptbüro des African National Congress. Ein ähnliches Ereignis ereignete sich am 20. Januar 1988.
Am 5. Juli 2001 wurde der kurz zuvor aus der Regierungspartei MMD aus- und dem FFD (Forum for Democracy) beigetretene Ex-Vizepräsident Paul Tembo auf offener Straße erschossen. Am 10. Juli 2001 wurde der 37. und letzte Staatengipfel der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) in der Stadt eröffnet.
Demografie
Bevölkerungsentwicklung
Religion
Lusaka ist Sitz des römisch-katholischen Erzbistums Lusaka, dessen Hauptkirche die Cathedral of the Child Jesus ist. Eine zweite Kathedrale, die Cathedral of the Holy Cross, ist die Bischofskirche der Diözese Lusaka der anglikanischen Church of the Province of Central Africa.
Politik und Verwaltung
Die Provinz Lusaka besteht im Verwaltungssinn aus sieben Wahlkreisen und 33 Bezirken. Bei den Bezirken handelt es sich um kleinere geografische Abgrenzungen innerhalb der sieben größeren Wahlbezirke, die den Zuständigkeitsbereich des Großraums Lusaka bilden. Aus jedem Wahlbezirk wird ein politischer Führer durch Volksabstimmung als Abgeordneter gewählt, der die Gemeinschaft in der Nationalversammlung vertritt, ein Ratsmitglied wird in jedem Bezirk gewählt und zwei Vertreter der traditionellen Autoritäten werden für einen Sitz im Stadtrat nominiert.
Das exekutive Gremium der Stadt bildet der Lusaka City Council (Stadtrat), dessen Mitglieder aller drei Jahre gewählt werden. Gleichzeitig fungiert der Rat als oberste Planungsbehörde. Formell eigenständig und unabhängig, untersteht der Council de facto der Zentralregierung Sambias, da mehrere Funktionen der Landesexekutive auf städtische Ebene durch den Local Government Act auf ihn übertragen werden. Eine finanzielle Eigenständigkeit besteht ohnehin nicht, da der Stadtrat selbst über keine Steuererhebungsrechte verfügt, sondern von Gebühren, Lizenzen, Eigentumserlösen, Strafzahlungseinnahmen und Steuerzuwendungen aus Landesmitteln abhängig ist.
Wirtschaft
Lusaka ist das wirtschaftliche und politische Zentrum Sambias. Es weitet sich über eine Fläche von 360 km² aus und gilt als eine der am schnellsten wachsenden Städte Afrikas. Das Stadtzentrum, insbesondere die Independence Avenue und die Cairo Road, ist geprägt von Geschäftshäusern mit den typischen Dienstleistungen urbaner Zivilisation wie Versicherungen, Banken, Börse, Gesundheitssektor, Händlern, Hotels, Reiseveranstalter, Sportclubs usw.
Daneben fungiert Lusaka als bedeutendes Zentrum der verarbeitenden Industrie, vor allem in den Bereichen der Lebensmittelherstellung (Mühle, Fleischindustrie, Getränkeherstellung), der Zementherstellung sowie in der Textilindustrie (Schuhe). Der weitaus größte Teil der arbeitenden Bevölkerung Lusakas ist informell beschäftigt, das trifft vor allem in den Bereichen Handel sowie in der Metall- und Holzverarbeitung zu. Obwohl die Stadt einen bedeutenden Umschlagplatz für landwirtschaftliche Produkte, vor allem Mais und Tabak bildet, nimmt die Landwirtschaft selbst nur einen sehr geringen Teil der urbanen Wirtschaftsleistung ein.
Viele der informell beschäftigten Händler finden neben den Straßenverkäufen auch in den großen Märkten der Stadt ein Auskommen, so im Soweto Market westlich der Cairo Road, dem Kamwala Market an der Independence Avenue, dem City Market, ebenfalls westlich der Cairo Road (dieser soll nach einem Großbrand 2017 wieder aufgebaut werden) oder dem neuen Simon Mwewa Lane Market, der Ende 2021 fertiggestellt werden sollte. Daneben bestehen zahlreiche Einkaufszentren westlicher Art in der Innenstadt sowie Peripherie Lusakas.
In einer Studie des Beratungsunternehmens Mercer zur Lebensqualität in 231 Städten der Welt belegte Lusaka Platz 150 (Stand: 2018).
Verkehr
Lusaka ist das urbane Zentrum des Landes und als solches auch Knotenpunkt der wichtigsten Fernverkehrsstraßen. Die Stadt verfügt über einen in Betrieb befindlichen Bahnhof sowie einen der vier sambischen internationalen Flughäfen. Der Bahnhof befindet sich zentral an der Dedan Kimathi Road östlich der Cairo Road. Von hier aus verkehren etwa zweimal wöchentlich Züge Richtung Norden bis nach Kitwe und Nakonde über Kapiri Mposhi und nach Süden bis nach Livingstone sowie auf kürzeren Strecken nach Lilayi und Ngwerere.
Direkt neben dem Bahnhof liegt das Intercity Bus Terminal, von dem aus Busverbindungen in verschiedene Teile Sambias starten, etwa nach Mongu, Livingstone, Kasama, Nakonde, Solwezi, Kitwe, Chililabombwe oder Ndola. In der überdachten Halle befinden sich die Fahrkartenschalter diverser Busgesellschaften sowie Stände zur Versorgung der Wartenden. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite starten und enden die Minibusse, die dieselben und weitere Ziele im Land bedienen, beispielsweise Siavonga, Chirundu oder Chipata. Lusaka verfügt daneben noch über zwei weitere Busstationen, an denen Minibusse innerhalb der Stadt sowie in die westlichen und südlichen Landesteile fahren. Eine davon befindet sich am City Market in der Lumumba Road und die andere am Freedom Way als City Bus Station. Im innerstädtischen Verkehr fahren Minibusse mit orangefarbenem Zierstreifen sowie der Registraturnummer beginnend mit „LSK“ auf festgelegten Routen entlang der Hauptverkehrsadern und verbinden die dicht besiedelten Stadtteile und Slums mit dem Zentrum vornehmlich zur Bewältigung des Pendler- und Berufsverkehrs. Fahrpläne existieren nicht – die Fahrzeuge starten, sobald die Sitzplätze voll belegt sind. Daneben existieren noch zahlreiche Taxis, die dieselbe optische Kennzeichnung wie die Minibusse besitzen.
Die Straßen sind im weiteren Stadtzentrum asphaltiert. In viele Richtungen führen asphaltierte Fernstraßen (Trunk Roads, mit „T“ bezeichnet), über die alle Provinzhauptstädte zu erreichen sind. Die T2 führt von der simbabwischen Grenze bei Chirundu über Lusaka und Kapiri Mposhi, Mpika und Isoka bis an die tansanische Grenze bei Nakonde sowie als T3 weiter nördlich in den Kupfergürtel. Über die T4 in östliche Richtung lässt sich die malawische Grenze bei Chipata erreichen und düber die M9 gelangt man bis ins 600 km entfernte Mongu. Über die T2 nach Süden wird auch die T1 nach Livingstone erschlossen. Die autobahnähnlichen Abschnitte der T3 zwischen Ndola und Kitwe werden auf der T2 von Lusaka Richtung Norden aus ebenfalls ausgebaut, um den Schwerlastverkehr zwischen dem Kupfergürtel und der DR Kongo zu entspannen.
Der Flughafen Lusaka befindet sich 27 Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums. Neben Verbindungen innerhalb Sambias nach Ndola, Mfuwe, Mansa, Livingstone, Solwezi und als Charter auch in den Lower Zambezi-Nationalpark sowie in den Liuwa-Plain-Nationalpark ist Lusaka über auswärtige Fluglinien ebenfalls an das südliche und östliche Afrika sowie die Vereinigten Arabischen Emirate angebunden.
Kultur und Tourismus
Das Stadtzentrum von Lusaka westlich der Cairo Road ist durch eine lebendige Marktlandschaft geprägt, die sich auch in die benachbarten Straßen erstreckt. Waren des alltäglichen Bedarfs findet man im Soweto-Markt (Los Angeles Boulevard), im City Market und lebende Tiere auf dem Lusaka Meat Market. Südlich der Independence Avenue befindet sich der Luburma Market, dessen steinernes Hauptgebäude aus dem Jahr 1928 stammt sowie das Kamwala Shopping Centre.
Östlich davon liegen die Regierungsgebäude in Cathedral Hill und Ridgeway. Im südlichen Vorort Kabwata ist auch das gleichnamige Cultural Centre beheimatet, das einen Einblick in das sambische Kunsthandwerk gibt. Der Stadtteil Northmead östlich des Zentrums ist für seine Ausgehmöglichkeiten bekannt. Touristische Anziehungspunkte sind das Lusaka National Museum, das Freiheitsdenkmal sowie das Gebäude der Zambian National Assembly (Parlament), das im Jahr 1967 fertiggestellt wurde.
Unweit des Parlamentsgebäudes liegen die Lusaka Show Grounds, eine offene Fläche mit Standplätzen für mobile Pavillons sowie einer überdachten Tribüne. Hier finden neben dem Pamodzi Carnvial, einer jährlichen kulturellen Darbietung der unterschiedlichen sambischen Volksgruppen auch jeden August die Präsentationen der Zambia Agriculture Show Society statt.
In der Umgebung Lusakas gibt es eine kleine Anzahl an Wildreservaten, von denen die meisten auf private Initiative zurückgehen. Nordöstlich der Stadt liegt das Chaminuka Nature Reserve mit einem Wildbestand von über 7000 Tieren, darunter allen 18 in Sambia vorkommenden Antilopenarten. Im Süden der Stadt befindet sich der Munda Wanga Environmental Park, der neben einigen Waisentieren eine über 500 Pflanzenarten in einem botanischen Garten beherbergt. Die private Lilayi Lodge im Süden von Lusaka hat sich dem Schutz von Elefantenwaisen verschrieben. Besucher erhalten die Möglichkeit, sich zum Schutzprojekt zu informieren und an Fütterungen teilzunehmen.
Im Jahr 2015 ist der Lusaka Park südöstlich der Stadtgrenze hinzugekommen und bietet für Besucher Pirschfahrten an.
Städtepartnerschaften
Lusaka pflegt eine Städtepartnerschaft mit Duschanbe in Tadschikistan. Eine weitere Partnerstadt ist Los Angeles in Kalifornien (USA).
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt
Stephanus Petrus Botha (1922–2010), südafrikanischer Politiker
Humphrey Mulemba (1932–1998), Politiker
Danuta Gleed (1946–1996), kanadische Schriftstellerin polnischer Abstammung
David d’Avray (* 1952), Historiker
Alan Rusbridger (* 1953), britischer Journalist und Träger des Alternativen Nobelpreises
Dambisa Moyo (* 1969), Ökonomin
Arnaud Delalande (* 1972), französischer Drehbuch- und Romanautor
Thomas Douglas (* 1972), Film- und Theaterschauspieler
Julia Rose (* 1973), simbabwisch-US-amerikanische Schauspielerin
Zukiswa Wanner (* 1976), südafrikanische Schriftstellerin
Milton Tembo (* 1980), Fußballspieler
Willy Chinyama (* 1984), Fußballspieler
Kennedy Mweene (* 1984), Fußballspieler
Kennedy Nketani (* 1984), Fußballspieler
Francis Kombe (* 1985), Fußballspieler
Hijani Himoonde (* 1987), Fußballspieler
William Njovu (* 1987), Fußballspieler
Fwayo Tembo (* 1989), Fußballspieler
Racheal Nachula (* 1990), Sprinterin
Ndumba Makeche (* 1992), australisch-sambischer Fußballspieler
Hellen Mubanga (* 1995), Fußballspielerin
Margaret Belemu (* 1997), Fußballspielerin
Enock Mwepu (* 1998), Fußballspieler
Hazel Nali (* 1998), Fußballspielerin
Barbra Banda (* 2000), Fußballspielerin und Boxerin
Persönlichkeiten, die vor Ort gewirkt haben
Adam Kozłowiecki (1911–2007), römisch-katholischer Erzbischof von Lusaka von 1955 bis 1969
Adrian Mung’andu (1920–2007), römisch-katholischer Erzbischof von Lusaka von 1984 bis 1996
Kenneth Kaunda (1924–2021), Präsident, wohnte im Chilenje House 394, heute Museum
Alice Lenshina (1924–1978), Gründerin der Lumpa-Kirche
Elijah Mudenda (1927–2008), Politiker
Medardo Joseph Mazombwe (1931–2013), römisch-katholischer Erzbischof von Lusaka von 1996 bis 2006
Gwendoline Konie (1938–2009), Politikerin
Frederick Chiluba (1943–2011), von 1991 bis 2002 der zweite Präsident Sambias
Christon Tembo (1944–2009), Generalleutnant und Politiker
Ronald Penza (1949–1998), Politiker
George Kunda (1956–2012), Politiker
Lloyd Mumba (1983–2008), Fußballspieler
Einzelnachweise
Weblinks
Lusaka City Council. auf www.lcc.gov.zm (englisch), Webpräsenz der Stadtverwaltung
Anonymus: Lusaka – Capitol of Zambia. Porträt von Zambia Tourism auf www.zambiatourism.com (englisch)
Anonymus: Stadtplan Lusaka. auf www.zambiatourism.com (englisch)
Chileshe L. Mulenga: The case of Lusaka, Zambia. University of Zambia. In: UNDERSTANDING SLUMS: Case Studies for the Global Report 2003. UN Global Report 2003. auf www.ucl.ac.uk/ (englisch; PDF; 199 kB), enthält Informationen zur Stadtgeschichte und Stadtentwicklung
Hauptstadt in Afrika
Ort in Sambia
Millionenstadt
Ort in Afrika
Hochschul- oder Universitätsstadt
Gegründet 1905
Distrikt in der Provinz Lusaka
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Q3881
| 318.205093 |
377294
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https://de.wikipedia.org/wiki/Maschhad
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Maschhad
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Maschhad (auch Meschhed oder Masched, traditionell Mäschhäd, in englischer Schreibung Mashhad; //) ist die Hauptstadt der iranischen Provinz Razavi-Chorasan und die zweitgrößte Stadt Irans. Sie liegt 850 km östlich von Teheran auf einer Höhe von rund am Fluss Kaschaf.
Maschhad ist ein politisches und religiöses Zentrum, das jährlich von mehr als 20 Millionen Touristen und Pilgern besucht wird. Die Stadt gilt als eine der sieben heiligen Stätten des schiitischen Islams, denn dort befindet sich der heilige Schrein des achten schiitischen Imams Reza als einzige Grabstätte eines schiitischen Imams auf iranischem Boden.
Die Stadt liegt in einer landwirtschaftlich geprägten Region; Hauptprodukte sind Wolle und die daraus hergestellten Teppiche. Von Maschhad führt eine 812 km lange Bahnstrecke nach Garmsar; von dort sind es 113 Bahnkilometer nach Teheran. Der Flughafen Maschhad gilt als der drittgrößte im Iran.
Geschichte
Die Stadt wurde um das Jahr 823 gegründet. Der Name (arabisch „Ort des Märtyrers“) entstand, weil dort das Grabmal des achten schiitischen Imams Ali ibn Musā ar-Rezā liegt, der dort der schiitischen Überlieferung zufolge auf Geheiß des Kalifen al-Ma'mūn vergiftet wurde. Davor war die Stadt ein eher unbedeutendes Dorf mit dem Namen Sanābād, das sich nach dem Tod des Imams zu einer wichtigen Wallfahrtsstätte entwickelte. Ein Heiligtum zu Ehren des Imams wurde errichtet, das heute eine der reichhaltigsten Sammlungen von Kunst- und Kulturgütern des Iran beherbergt. Verschiedene theologische Schulen des schiitischen Islam nahmen von hier ihren Ausgang.
Neben ihrer religiösen Bedeutung als Heiligtum des schiitischen Islam kam der Stadt in der Vergangenheit auch große politische Bedeutung zu, als der persische Herrscher Nader Schah, der von 1736 bis 1747 regierte, die Stadt zu seiner Hauptstadt machte.
Obwohl hauptsächlich von Moslems bewohnt, gab es in der Vergangenheit einige religiöse Minderheiten in Maschhad, hauptsächlich Juden, die im Jahr 1839 gewaltsam zum Islam bekehrt wurden. Sie wurden bekannt als Dschadid al-Islam („Neulinge im Islam“). Äußerlich passten sie sich der islamischen Lebensweise an, bewahrten jedoch häufig heimlich ihren Glauben und ihre Traditionen.
Die Stadt profitierte durch ihre Lage an der Seidenstraße. So war sie ein Handelspunkt auf dem Weg zwischen West und Ost. Die Verkehrsanbindung durch die Seidenstraße half der Stadtentwicklung wie auch für Pilger attraktiv zu werden.
Für die politische Atmosphäre Maschhads waren am Ende des 20. Jahrhunderts insbesondere die Massendemonstrationen im Mai 1992 kennzeichnend. Sie erfolgten aus dem Widerstand gegen den Abriss von Slums. Ein Bombenattentat auf den Imam-Reza-Schrein erfolgte am 20. Juni 1994, bei dem 26 Personen getötet wurden. Dafür verantwortlich zeichnete die Volksmudschahedin des Iran (MKO) unter der Führung von Mehdi Nahvi, die damit an den Jahrestag ihrer Gründung am 20. Juni 1981 erinnern wollte.
1998 und 2003 kam es zu Studentenunruhen nach gleichen Vorgängen in Teheran.
Für das Jahr 2017 hat die ISESCO Maschhad zur Hauptstadt der Islamischen Kultur der asiatischen Region ernannt.
Bevölkerung
Maschhad hat über 3 Millionen Einwohner. Die meisten Einwohner sind Perser, wobei es arabische, kurdische und turkmenische Minderheiten gibt. Dazu kommen zahlreiche Flüchtlinge aus Afghanistan (meist Hazara). Durch Zuwanderung vom Land wuchs die Bevölkerung zu Beginn des 21. Jahrhunderts rasant an.
Verkehr
Luftverkehr
Vom Flughafen Maschhad gibt es Flugverbindungen vor allem in Nachbarländer.
Eisenbahn
Die Bahnstrecke Garmsar–Maschhad der Iranischen Eisenbahn endet in Maschhad und verbindet die Stadt mit dem Eisenbahnnetz des Landes.
Metro
Im ÖPNV der Stadt gibt es seit einigen Jahren eine Stadtbahn („Mashhad Metro“). Die Bahn nutzt dreigliedrige Elektrotriebwagen, von denen 2010 die chinesische CNR Group Corporation Changchun 70 Einheiten geliefert hat.
Der erste, 8 km lange Abschnitt einer zweiten Linie der Stadtbahn wurde mit acht Haltestellen am 20. Februar 2017 eröffnet. Der zweite Abschnitt hat eine Länge von 6,5 km und befindet sich im Bau. Ebenfalls im Bau befindet sich die Strecke für eine dritte Linie. Deren erster Abschnitt soll 11,5 km lang und später in einem zweiten Abschnitt um 17 km verlängert werden.
Vakilabad-Gefängnis
Nach Berichten von Menschenrechtsgruppen wurden im Zentral-Gefängnis von Maschhad, Vakilabad, in der zweiten Hälfte des Jahres 2010 und erneut 2011 heimliche Massenhinrichtungen von mutmaßlichen Rauschgifthändlern verübt. Dabei seien weder die Gesetze der Islamischen Republik Iran beachtet worden, noch sei es davor zu fairen Prozessen gekommen. Weder die Verurteilten noch ihre Rechtsanwälte noch ihre Angehörigen seien vor den Hinrichtungen informiert worden. Im Iran steht auf den Besitz von mehr als 30 Gramm Rauschgift (Amphetamine, Crack, Heroin und andere Drogen) die Todesstrafe. Im Jahr 2005 schockierte die öffentliche Hinrichtung von Mahmoud Asgari und Ayaz Marhoni, zweier Jugendlicher im Alter von 16 und 18, durch Aufhängen an einem Baukran am 19. Juli 2005 die Weltöffentlichkeit.
Klimatabelle
Hochschulen
Firdausi-Universität Maschhad
Maschad-Universität der Medizinwissenschaften
Islamische Azad-Universität Maschhad
Comprehensive University of Applied and Practical Sciences, Khorasan
Imam-Reza-Universität
Sadschad-Institut der Höheren Bildung
Söhne und Töchter der Stadt
Firdausi (um 940–1020), Verfasser des Heldenepos Schāhnāme, einem grundlegenden Bestandteil der persischen Kultur
Nasīr ad-Dīn at-Tūsī (1201–1274), Theologe, Philosoph, Mathematiker, Astronom, Arzt
Reza Abbasi (1570–1635), Miniaturmaler und Kalligraph
Mohammad-Taqi Bahar (1886–1951), Dichter und Gelehrter
Ali Khavari (1923–2021), Vorsitzender der Tudeh-Partei
Mohammad Taghi Massoudieh (1927–1999), iranischer Musikethnologe und Komponist
Mehdi Achawan Sales (1929–1990), Lyriker
Ali as-Sistani (* 1930), schiitischer Geistlicher im Irak
Ali Schariati (1933–1977), Soziologe und Publizist, geboren im Vorort Mazinan
Abbās Hakim (* 1934), Hochschullehrer, Schriftsteller, Lyriker und Dramatiker
Nemat Mirzazadeh (* 1936), Dichter (Pseudonym: M. Āsarm)
Esmā’il Cho’i (* 1938), Philosoph und Schriftsteller
Ali Chamene’i (* 1939), religiöser Führer Irans (Oberster Rechtsgelehrter)
Mohammad-Resa Schadscharian (1940–2020), Sänger Klassischer persischer Musik
Ghazaleh Alizadeh (1949–1996), Dichterin und Schriftstellerin
Hossein Sabet (* 1950), Teppichhändler, Verleger und Hotelier
Mohammed Ali Abtahi (* 1958), persischer Geistlicher und Politiker
Ebrahim Raisi (* 1960), Jurist und Politiker; seit 2021 Präsident des Iran
Said Dschalili (* 1965), Politiker und Diplomat
Anousheh Ansari (* 1966), US-amerikanische Unternehmerin und Multimillionärin
Rafi Pitts (* 1967), britisch-iranischer Filmregisseur
Chodadad Azizi (* 1971), Fußballspieler
Reza Enayati (* 1976), Fußballspieler
Alireza Nikbakht Vahedi (* 1980), Fußballspieler
Hamed Afagh (* 1983), Basketballnationalspieler
Saeid Chahjouei (* 1986), Fußballspieler
Reza Ghoochannejhad (* 1987), Fußballspieler
Mahdi Chahjouei (* 1989), Fußballspieler
Reza Haghighi (* 1989), Fußballspieler
Kourosh Khani (* 1989), Autorennfahrer
Kayvan Kohanfekr (* 1991), Radsportler
Siavash Yazdani (* 1992), Fußballspieler
Mitra Hejazipour (* 1993), französisch-iranische Schachspielerin
Hossein Zamani (* 2002), afghanisch-niederländischer Fußballspieler
Sport
Der Shahr Khodro FC ist der einzige Fußballverein in Maschhad, der in der höchsten iranischen Liga (PGL) spielt.
Städtepartnerschaften
Santiago de Compostela, Spanien
Lahore, Pakistan
Verona, Italien
Fresno, USA
Pula, Kroatien
Matera, Italien, seit 2019
Siehe auch
Liste der Großstädte im Iran
Weblinks
Offizielle Webseite der Stadt Maschhad (persisch)
Stadtbahn von Maschhad (englisch)
Einzelnachweise
Provinzhauptstadt im Iran
Millionenstadt
Schiiten im Iran
Islamischer Wallfahrtsort
Ehemalige Hauptstadt (Iran)
Ort in Razavi-Chorasan
Hochschul- oder Universitätsstadt
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Q121157
| 135.532929 |
318385
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https://de.wikipedia.org/wiki/Leicestershire
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Leicestershire
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Leicestershire [] ist eine Grafschaft in den East Midlands von England. Die Grafschaft ist nach dem Verwaltungssitz, der Stadt Leicester, benannt. Die Grafschaft grenzt an den Stadtkreis (Unitary Authority) von Leicester sowie an die Grafschaften Lincolnshire, Rutland, Northamptonshire, Warwickshire, Staffordshire, Derbyshire und Nottinghamshire. Große Teile des National Forest sind Teil der Grafschaft. Ohne die Stadt Leicester beträgt die Bevölkerung 648.700 Einwohner (2010), die auf einer Fläche von 2083 km² leben.
Die Grafschaft wird durch den Fluss Soar, der nordwärts in den River Trent fließt, in zwei fast gleiche Teile geteilt. Er trennt den Osten und Westen durch ein breites Tal und fließt durch das historische Leicester im Herzen der Grafschaft. Die Hauptstadt blühte in römischer Zeit und ist eine der ältesten Städte in England. Auf dem Bosworth Field fand eine der folgenschweren Schlachten statt, die den Lauf der englischen Geschichte veränderten.
Geschichte
Der Hortfund von Hallaton zeugt von eisenzeitlicher Besiedlung.
Leicestershire füllte nach dem Domesday Book, einem durch Wilhelm dem Eroberer im 11. Jahrhundert veranlassten Zensus vier wapentakes (Hundertschaften): Guthlaxton, Framland, Goscote und Gartree. Seit dieser Zeit haben sich die Grenzen der Grafschaft nur wenig verändert. 1974 wurde durch eine Gebietsreform die Grafschaft Rutland an Leicestershire angeschlossen. 1996 wurde diese Reform wieder aufgehoben.
Städte und Ortschaften in Leicestershire
Ab Cattleby, Anstey, Arnesby, Ashby-de-la-Zouch, Ashby Magna, Asfordby, Aston Flamville
Barkby, Barrow upon Soar, Barsby, Barwell, Belton, Billesdon, Birstall, Bitteswell, Blaby, Bottesford, Branston, Breedon on the Hill, Broughton Astley, Buckminster, Burbage, Burton Overy, Bushby
Cadeby, Coalville, Cosby, Countesthorpe, Croft
Desford, Donisthorpe
Earl Shilton, East Norton, Eaton, Edmondthorpe, Enderby
Frisby on the Wreake
Gaddesby, Gilmorton, Glenfield, Great Bowden, Great Dalby, Great Easton, Grimston, Groby, Gumley
Hallaton, Hinckley, Hoby, Horninghold, Hose, Houghton on the Hill, Hungarton, Husbands Bosworth
Ibstock
Kegworth, Keyham, Kibworth Harcourt, Kirby Muxloe, Kirkby Mallory, Knossington
Leire, Little Dalby, Loughborough, Lutterworth
Marefield, Market Bosworth, Market Harborough, Measham, Melton Mowbray, Moira, Mountsorrel
Newton Harcourt, Newtown Linford, Normanton
Oadby
Peatling Parva
Queniborough, Quorn
Rothley
Scalford, Seagrave, Shackerstone, Shearsby, Sheepy Magna, Sheepy Parva, Shepshed, Sileby, Slawston, Somerby, Sproxton, Stoney Stanton, Sutton Cheney, Swinford, Swithland, Syston
Thrussington, Thurmaston, Thurnby, Twycross
Ullesthorpe
Waltham on the Wolds, Walton on the Wolds, Whitwick Castle, Walton, Wigston, Woodhouse Eaves, Wymeswold, Wymondham
Sehenswürdigkeiten
Abtei Launde
Belvoir Castle
Botanische Gärten von Leicester
Bradgate Park
Burrough Hill
Donington Castle
Donington Hall
Donington Park
Foxton Locks
Groby Castle
Hough Windmill
Leicester Cathedral
Leicester Market
Moira Furnace
Mountsorrel Railway
Schlachtfeld von Bosworth
Stanford Hall
Stoneywell, Teil des National Trust
Thorpe Lubenham Hall
Twycross Zoo
Twyford Viaduct
Whitwick Castle
Wistow Maze, Labyrinth nahe Leicester
Kulinarische Spezialitäten
Blue Stilton
Melton Mowbray Pork Pie, Schweinefleisch-Pastete aus Melton Mowbray
Red Leicester
Weblinks
Einzelnachweise
Englische Grafschaft
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Q23106
| 176.97905 |
80983
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lobbyismus
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Lobbyismus
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Lobbyismus, Lobbying oder Lobbyarbeit ist eine aus dem Englischen (lobbying) übernommene Bezeichnung für Interessenvertretung in Politik und Gesellschaft, bei der Interessengruppen („Lobbys“) – vor allem durch die Pflege persönlicher Verbindungen – versuchen, die Exekutive oder Legislative zu beeinflussen. Außerdem wirkt Lobbying auf die öffentliche Meinung durch Öffentlichkeitsarbeit ein. Dies geschieht vor allem mittels der Massenmedien. Gängige Bezeichnungen für Lobbyarbeit sind zum Beispiel Public Affairs, politische Kommunikation und Politikberatung. Unternehmen und Organisationen unterhalten bisweilen ein Hauptstadtbüro oder eine Hauptstadtrepräsentanz, aber auch Büros bei den Landesregierungen.
Lobbying ist ein Aspekt des öffentlichen politischen Entscheidungsprozesses in Demokratien und ist nicht per se eine unmoralische Praxis. Das Herantragen von Interessen an Entscheidungsträger gehört zum Wesensmerkmal parlamentarischer Demokratie und lässt sich dem intermediären Bereich zwischen Bürger und Staat zuordnen. Um Entscheidungen im Gesamtinteresse der Gesellschaft treffen zu können, müssen Politiker sich über hochkomplexe Fragestellungen und Inhalte informieren. Dabei sind sie auf gut aufbereitete Informationen und Argumente verschiedener Interessengruppen angewiesen. Vice versa gehen Interessenvertretungen mit den Politikern in den Dialog, um politische Entscheidungsprozesse zu beeinflussen.
Kritisch wird angemerkt, dass Lobbyismus nur bei Einhaltung von regulierenden Verhaltenskodizes oder möglichst großer Transparenz positive Auswirkungen auf die demokratische Qualität eines Staates hat. Insbesondere durch Lobbyismus-Affären (kurz Lobby-Affären) wird das idealtypische Bild von Lobbyismus getrübt. In diesen werden in der Regel Politiker in Machtpositionen von Unternehmen mit Geld bestochen, um Politik im Sinne der Geldgeber zu machen. In solchen Fällen ist Lobbyismus eine Form von Korruption.
Der Begriff Lobbyismus hat daher häufig eine negative Konnotation, sodass die jeweiligen Interessenvertreter (Lobbyisten) selten unter diesem Begriff auftreten, sondern stattdessen euphemistische Bezeichnungen wie Consultant, Public Affairs Manager oder Policy Advisor verwenden.
Begriffsgeschichte
Der Begriff geht auf die Lobby (englisch für „Vorhalle“) des Parlaments (etwa die Lobby vor einem Plenarsaal) zurück – je nach Herkunft des Historikers auf die lobia des römischen Senats, auf die lobby des britischen Unterhauses oder des US-amerikanischen Kongresses –, in der Vertreter verschiedener Gruppen Parlamentarier an die Möglichkeit ihrer Abwahl erinnerten und auch Vor- oder Nachteile für bestimmtes Verhalten in Aussicht stellten.
Auch wortgeschichtlich knüpft der Lobbyismus an seine historischen Vorformen des Antichambrierens (des Suchens von Einfluss im Vorzimmer der Herrschaft) und der schon spätmittelalterlichen Tätigkeit der „Hofschranzen“ an. Die leicht negative Bewertung des Begriffs in deutschsprachigen Ländern mag darin (und/oder im Fehlen verbindlicher, Transparenz erzeugender Regeln für Lobby-Arbeit) ihre Ursache haben.
Begriffsbestimmung
Ein einheitliches Verständnis des Lobbyismus konnte sich in der wissenschaftlichen Literatur bislang nicht durchsetzen. Noch immer konkurrieren zahlreiche Definitionen, die auf jeweils unterschiedliche Aspekte abstellen. So spricht Rinus van Schendelen Lobbyismus einen gänzlich unorthodoxen Charakter zu und verortet diesen ausschließlich auf informeller Ebene, während Günter Bentele gerade die rechtliche und moralische Normenbindung des Lobbyismus betont und Leo Kißler einen Schwerpunkt bei institutionalisierten Einflussformen wie (1) förmliche[n] Kontakte[n] zwischen Verbänden und ‚nahestehenden‘ Abgeordneten im Rahmen von Arbeitskreisen und Kontaktgruppen in Fraktionen, (2) Abgeordnetensprechstunden, (3) Enquête-Kommissionen (…) und (4) nicht-öffentliche[n] Anhörungen von Interessenvertretern durch die Bundestagsausschüsse legt. Scott Ainsworth wiederum sieht Lobbyisten als Servicestelle politischer Entscheidungsträger, die Informationen bei Bedarf auch über Nacht bereitstellen, während Klaus Schubert und Martina Klein die Ausübung von Druck als wesentliches Element herausstellen. Der Lobbyist Andreas Geiger definiert Lobbying als professionelle Praxis, private und öffentliche Interessen vor Gesetzgebern und Entscheidungsträgern zu vertreten, mit dem Hauptziel, Einfluss auf die Regierungsorgane auszuüben.
Nach Analyse von 38 Ansätzen bildet Stefan Schwaneck vier Kategorien, in die Lobbyismusdefinitionen weitgehend eingeordnet werden können:
Weite Definitionen, die Lobbying grob umreißen, seine Erscheinungsformen aber nicht konkretisieren.
Kumulative Definitionen, die mindestens zwei der drei Kernelemente Informationsbeschaffung, Informationstausch und Beeinflussung anführen.
Definitionen, die lobbyistische Tätigkeiten explizit erwähnen oder den Lobbyismusbegriff um konkrete Merkmale ergänzen.
Alternative Definitionen, die deutlich abweichende Schwerpunkte setzen oder Lobbying auf einzelne Merkmale verkürzen.
In die erste Kategorie fallen Ansätze wie von Carsten Bockstette, der Lobbyismus als Versuch der Einflussnahme auf Entscheidungsträger durch Dritte definiert. Eine solche Herangehensweise ist ebenso wie die Gleichsetzung mit Interessenvertretung umstritten, da sie je nach Auslegung auch politikferne Aktivitäten erfassen kann, die gemeinhin nicht mit Lobbying in Verbindung gebracht werden (z. B. Werbung, Public Relations). Stärker fokussiert betrachtet Peter Köppl Lobbying als Beeinflussung von politischen Entscheidungen durch Personen, die nicht an diesen Entscheidungen beteiligt sind, und betont Hans Merkle die zielgerichtete Beeinflussung von Entscheidungsträgern in Politik und Verwaltung. Ebenfalls in diese Kategorie fällt der Ansatz von Alexander Bilgeri, der Lobbying als eine direkte bzw. indirekte Einflussnahme auf politische Prozesse von Organisationen durch externe Teilnehmer – auch mit Hilfe von Machtgrundlagen – zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks beschreibt.
Kumulative Definitionen legen z. B. Manfred Strauch und Iris Wehrmann vor. Strauch sieht Lobbying als eine Methode und die Anwendung dieser Methode, im Rahmen einer vorzubereitenden oder bereits festgelegten Strategie (…) auf die Entscheidungszentren und Entscheidungsträger einzuwirken, die sich auf die Sammlung, Aufbereitung und den Austausch von Informationen als ihre wichtigsten Instrumente stützt. Praktisch orientiert erklärt Wehrmann Lobbyismus zu einem Tauschgeschäft von Informationen und politischer Unterstützung gegen die Berücksichtigung bestimmter Interessen bei der staatlichen Entscheidungsfindung.
Ein Beispiel der dritten Kategorie ist der Ansatz von Clive S Thomas, der neben der versuchten Einflussnahme zu einem konkreten Anlass die Vernetzung der Akteure als gleichrangiges Ziel des Lobbyings sieht, da sich persönliche Beziehungen positiv auf zukünftige Entscheidungen auswirken können. Ähnlich langfristig definieren Ulrich von Alemann und Rainer Eckert Lobbying als die systematische und kontinuierliche Einflussnahme von wirtschaftlichen, gesellschaftlichen, sozialen oder auch kulturellen Interessen auf den politischen Entscheidungsprozess.
Verkürzende Definitionen legt Rinus van Schendelen vor, der Lobbyismus in einer Minimalbeschreibung als informellen Informationsaustausch mit Behörden und in einer Maximalbeschreibung als informellen Beeinflussungsversuch von Behörden bezeichnet, dabei aber institutionalisierte Verfahren aus dem Blick lässt. Wie auch ein späterer Ansatz van Schendelens, der Lobbyismus als Sammelbegriff für unorthodoxe Handlungen von Interessengruppen mit dem Ziel eines Regierungshandelns im Interesse eben dieser Interessengruppen einführt, lässt dieses Begriffsverständnis Parlamente und Mandatsträger als Zielgruppe lobbyistischer Einflussnahme außen vor. Auch Thomas Leif und Rudolf Speth reduzieren Lobbying auf die Beeinflussung der Regierung. Alternative Ansätze, die aus der übrigen Struktur herausfallen, präsentieren Bruce C Wolpe, der unter Lobbyismus das politische Management von Informationen versteht, und Rune Jørgen Sørensen, der in Lobbyismus einen Screeningmechanismus für Wählerinteressen erkennt.
Vor dem Hintergrund der zahlreichen unterschiedlichen Herangehensweisen schlägt Schwaneck die Verwendung einer weiten Definition vor, die die in der Literatur mit Lobbyismus in Verbindung gebrachten Merkmale erfasst und als Rahmen dienen kann. Studien mit bestimmter Schwerpunktsetzung können innerhalb dieses Rahmens verortet, eine engere Definition über das Auslassen indirekter Einwirkungsversuche erreicht werden:
Handelnde
Unternehmensverbände, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften, Kirchen, Nichtregierungsorganisationen und andere Verbände sowie größere Unternehmen und politische Gruppierungen bringen ihre Interessen gezielt in den politischen Meinungsbildungsprozess ein und geben ihren Mitgliedern und der Öffentlichkeit entsprechende Informationen. Diese können sich so auf zu erwartende politische Entscheidungen einstellen.
Es haben sich aber auch Rechtsanwaltskanzleien, PR-Agenturen, Denkfabriken und selbständige Politikberater als externe Lobbyisten darauf spezialisiert, im Interesse ihrer Mandanten, Verbindungen zu vermitteln, Informationen zu beschaffen oder Themen zu platzieren. Rechtsanwaltskanzleien werden zunehmend beauftragt, weil sie sich durch das Berufsgeheimnis vor Journalisten schützen können.
Handlungsfelder
Im Wesentlichen gibt es fünf Handlungsfelder, auf denen organisierte Interessen durch Lobbying durchgesetzt werden sollen:
im Wirtschaftsbereich und in der Arbeitswelt
im Sozialbereich
im Bereich der Freizeit und Erholung
im Bereich von Religion, Kultur und Wissenschaft
im gesellschaftspolitischen Querschnittsbereich
Organisationen und Agenturen
Laut Lobbycontrol agierten im Jahr 2015 alleine in Brüssels Mitte in der unmittelbaren Nähe von zentralen EU-Institutionen über 40 große Einflussnehmer: Wirtschaftsverbände (V), Agenturen (A) bzw. Direktvertretungen von Großkonzernen (K):
„Neutrale“ Verhandlungsorte abseits der EU-Institutionen befinden sich unter anderem in folgenden Gebäuden:
Öffentliche Wahrnehmung
Im Jahr 2006 führten Thomas Leif und Rudolf Speth in Analogie zur Bezeichnung Vierte Gewalt für die Massenmedien den Begriff Fünfte Gewalt für den Lobbyismus ein. Anders als die institutionalisierten Gewaltenträger unterliegen Interessenvertreter jedoch keinen klaren gesetzlichen Regelungen. Die Bezeichnung als Fünfte Gewalt wurde jedoch von anderen Autoren als übertrieben angesehen.
Lobbyismus kann bis hin zur Korruption und damit unerlaubten Einflussnahme auf Institutionen und die Gesetzgebung führen. Eine Form sind von Lobbygruppen organisierte sogenannte „Informationsveranstaltungen“ für Parlamentarier und Beamte, die mit kostenloser Verköstigung und bisweilen Reisen der Eingeladenen verbunden sind. Besonders in Brüssel, aber auch in Berlin ist dies keine Seltenheit. Dabei wird das Ziel verfolgt, die Volksvertreter für seine eigenen Interessen zu gewinnen.
Es gibt nachgewiesene Fälle, in denen Gelder und Leistungen flossen, um von einzelnen Parlamentariern bestimmte Abstimmungsverhalten zu erhalten. Das Ausmaß dieser Korruption lässt sich jedoch nicht feststellen. Deshalb gibt es Bemühungen auf allen Ebenen des Öffentlichen Dienstes, diese Art von Korruption zu verhindern. So sind zum Beispiel die Mitglieder der EU-Kommission dazu verpflichtet, Geschenke ab einem Wert von 150 Euro anzugeben. Die Liste dieser Geschenke ist auf der Website der EU-Kommission einzusehen. Die Annahme von Belohnungen und Geschenken ist den Angehörigen des Öffentlichen Dienstes in Bund und Ländern verboten; für Ausnahmen gilt eine 25-Euro-Grenze.
Lobbyismus steht folglich immer im Spannungsfeld zwischen einer legitimen Interessenvertretung und möglichen Gefährdung demokratischer Grundprinzipien. Aufgrund der komplexen Wirtschaftsstrukturen und Themenfelder, die den Gesetzgeber vielfach in seinen Bewertungsmöglichkeiten überfordern, haben Lobbygruppen dennoch eine wichtige Funktion, insbesondere durch die Bereitstellung von Informationen. Die am Gesetzgebungsprozess Beteiligten in Europa suchen daher – wie schon seit langer Zeit in den USA – offen das Gespräch mit Wirtschaftsvertretern, Verbänden und Lobbyisten, um sich vor einer Entscheidung umfassend über die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte eines Vorhabens zu informieren.
Im Gegensatz zum amerikanischen System wird in Deutschland der Begriff Lobbyismus häufig negativ konnotiert wahrgenommen. In der öffentlichen Meinung wird die Politik häufiger als Opfer von (Interessen-)Verbänden und Lobbyisten wahrgenommen. Politisch links orientierte Personen bewerten den Einfluss von Lobbyisten häufig als „Herrschaft des Kapitals“, während im politisch konservativen Lager man der Ansicht ist, Lobbyisten würden die Autorität der Regierung untergraben oder sogar kolonisieren. Das liegt in besonderem Maß am Konsensverständnis, welches die deutsche Politik stark prägt. Gute Politik wird in Deutschland als das Erreichen eines weitgehend tragbaren und fair empfundenen Kompromiss zwischen verschiedenen politischen Positionen empfunden. Verbände, die ihre eigenen teilweise sehr speziellen Ziele und Interessen in der Politik vehement verwirklicht sehen wollen, werden daher als Gefahrenpotenzial für die Konsensfindung wahrgenommen.
In Deutschland sind überdurchschnittlich viele Bürger Mitglieder in Vereinen, Gewerkschaften, NGOs, Clubs, Glaubensgemeinschaften und anderen Interessensgruppen. Dabei sind sie häufig Mitglied in mehreren Interessengruppen. Von diesen wird erwartet, dass sie die Interessen ihrer Mitglieder in allen Bereichen vertreten und dafür Lobbyarbeit betreiben. Dass dennoch die allgemeine öffentliche Wahrnehmung von Lobbyismus kritisch und meist negativ ist, kann an Meldungen liegen, wonach die Interessen der Mitglieder gar nicht erfasst oder manipuliert werden und so die Positionen der Lobbyverbandsspitze keine Basis haben. Beispielhaft sei hier die Kritik am ADAC.
Vorgang
Lobbying ist eine Methode der Einwirkung auf Entscheidungsträger und Entscheidungsprozesse im Rahmen einer Strategie. Sie erfolgt vor allem durch Information. Es wird häufig durch vier Merkmale umschrieben:
Informationsbeschaffung,
Informationsaustausch,
Einflussnahme,
strategische Ausrichtung der Tätigkeit.
Informationsbeschaffung
Interessenvertreter sammeln zur Gewinnung von Erkenntnissen über Vorhaben politischer Entscheidungsträger Informationen. Die Verbandszentrale und die Verbandsmitglieder werden entsprechend unterrichtet und werten die Informationen aus. Die Auswertung erfolgt im Hinblick auf die Auswirkungen des Vorhabens auf die Geschäftstätigkeit der Mitglieder des Verbandes. Dabei empfiehlt es sich für eine wirksame Interessenvertretung nicht nur Informationen aus öffentlich zugänglichen Quellen zu beschaffen, sondern auch durch eine interessengeleitete Beziehungspflege mit Entscheidungsträgern und anderen Lobbyisten frühzeitig auf informellem Wege an Informationen zu gelangen.
Sodann werden Stellungnahmen („Lobbypapiere“) und Abänderungsvorschläge, meistens durch die Rechtsabteilung oder sonstige Fachabteilungen, erarbeitet.
Einflussnahme
Aufgabe des Lobbyisten ist es anschließend, diese Abänderungsvorschläge an die Entscheidungsträger heranzutragen und in den maßgeblichen Gremien zu platzieren („Politikberatung“). Die Platzierung erfolgt im rechtmäßigen Lobbying durch argumentatives Einwirken auf die Entscheidungsträger. Das argumentative Einwirken ist erfolgreich, wenn Abgeordnete und Beamte bei den schwierigen Sachverhalten, über die sie in dichter Abfolge Entscheidungen treffen müssen, auf Fachwissen angewiesen sind, das ihnen von den Betroffenen und den interessierten Kreisen („Stakeholder“), oftmals selektiv aufbereitet, angetragen wird. Bei Beamten kann hinzu kommen, dass den Lobbyisten oder Beratungsfirmen mehr vertraut wird als ihrer hauseigenen Fachexpertise. Je besser Abgeordnetenbüros mit wissenschaftlichen Mitarbeitern, Parlamente mit eigenen wissenschaftlichen Diensten oder Behörden mit Fachbeamten ausgestattet sind, desto schwieriger ist es für Lobbyisten sich unentbehrlich zu machen. In den meisten Staaten sind Bestechung und das Gewähren anderer Vorteile verboten. Es kommt dennoch häufig vor, dass hochrangige Entscheidungsträger aus Politik oder Exekutive (beispielsweise Ministerien) „die Fronten wechseln“, also ihre bisherige Stellung aufgeben und zu einem Verband, einem Unternehmen, einer PR-Agentur oder in eine Anwaltskanzlei wechseln.
Ein anderes Feld der Einflussnahme besteht in der geschickten Platzierung von branchengeneigten Sachverständigen in öffentlichen Anhörungen, in Beratungsfirmen oder deren Nutzung bei der Anfertigung von Gutachten.
Öffentlichkeitsarbeit
Im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit versuchen Lobbyisten die öffentliche Meinung über die Medien zu beeinflussen. Zu den genutzten Methoden gehören das Herausgeben von Presseerklärungen und Anzeigekampagnen, bei der die Urheberschaft meist öffentlich wird, aber auch Methoden, bei der die Urheberschaft teilweise verschleiert werden soll. Für das Fernsehen werden Träger der eigenen Meinung als Gäste in Podiumsdiskussionen, Talkshows oder als Interviewpartner vermittelt, auch wurden versteckte Botschaften in einer ARD-Seifenoper finanziert.
Für die Beeinflussung über Printmedien werden diesen ganze Interviews überlassen, Medienpartnerschaften mit Zeitungen geknüpft, sowie Fachartikel und Rankings für Zeitschriften verfasst. Journalisten werden Vergünstigungen geboten, über Autos berichtenden Journalisten werden diese vereinzelt längerfristig überlassen, Hintergrundgespräche und Informationsveranstaltungen werden teilweise in Verbindung mit Luxusveranstaltungen organisiert.
Wenn bei PR-Aktionen vorgetäuscht wird, dass sie von Privatleuten getragene wären, spricht man von Astroturfing. Darunter fällt das Verfassen von Leserbriefen, Foreneinträgen und Blogs, aber ebenso Versuche, Aussagen in Wikipedia-Artikel zu platzieren oder zu verhindern oder die Gründung von „Bürgerinitiativen“.
Interessensverbände betreuen in Hauptstadtbüros Besuchergruppen und laden zu Veranstaltungen ein. Der Lobbyverband versucht allgemein „das Fenster“ seiner Branche in der Hauptstadt zu sein und diese zu repräsentieren.
Teilweise werden Lehrern kostenlose Unterrichtsmaterialien zur Verfügung gestellt, die als gut aufbereitet, jedoch auch als beeinflussend gelten.
In einzelnen Ländern
Deutschland
Die Freiheit des Mandats wird in Deutschland durch Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) garantiert.
Bereits 1956 hat das Bundesverfassungsgericht im sog. KPD-Urteil entschieden, dass sich „nicht bezweifeln [lässt], dass außerparlamentarische Aktionen vielfältiger Art denkbar sind, die einer legitimen Einwirkung auf das Parlament dienen können, vor allem soweit sie dazu bestimmt sind, die Abgeordneten über die bei den Wählern zu bestimmten politischen Fragen vorhandenen Meinungen zu unterrichten. An sich ist es daher verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass ‚Interessengruppen‘ auf die Mitglieder des Parlaments einwirken suchen“.
Seit dem Jahr 1994 ist Abgeordnetenbestechung in Deutschland ein Straftatbestand nach StGB.
In Diskussionen wie um Kern- und Solarenergie, Biotechnologie, Urheberrecht/Tauschbörsen, Softwarepatente oder um Verbraucherschutz wird kritisiert, dass Industrie und Großkonzerne über massive Lobbyarbeit Gesetze auf Bundes- oder EU-Ebene durchsetzen können, die in ihrem Interesse, nicht aber im Interesse des Mittelstandes oder der Verbraucher seien. Derselbe Vorwurf richtet sich analog gegen manche Umweltverbände, Sozialverbände und Kirchen, die ebenfalls – im Deckmantel von Allgemeininteresse – Partikularinteressen vertreten. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier sprach die Warnung aus, dass „echte Waffengleichheit der verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen mittels Lobbying“ kaum entstehen könne und schwächer vertretene Interessen nicht zur Geltung kämen.
Der ehemalige grüne Abgeordnete Raimund Kamm beschrieb die Situation so:
Der Präsident des Deutschen Bundestages führt die Öffentliche Liste über die Registrierung von Verbänden und deren Vertretern. Die Anzahl der Einträge schwankt, im Juni 2010 waren 2136 Verbände registriert, im Juli 2012 2079, im Dezember 2014 2221. Aufgrund der Freiwilligkeit der Aufnahme und der engen Definition von „Verband“ bildet die Liste nicht das ganze Spektrum des Lobbyismus im Deutschen Bundestag ab. In der 16. Wahlperiode des Deutschen Bundestages (2005–2009) gab es mehrere parlamentarische Initiativen zugunsten einer verbesserten Transparenz des Miteinanders von Politik und Interessenvertretern. In ihren Programmen zur Bundestagswahl 2009 hatten die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die Partei Die Linke schließlich die Forderung nach Einrichtung eines verpflichtenden Lobbyregisters aufgenommen. Von den 2221 Lobbygruppen am Jahresende 2014 hatten 575 einen Hausausweis des Deutschen Bundestages erhalten, der ihnen Zugang zu den Liegenschaften erlaubt. Noch einmal ebenso viele Hausausweise verschafften sich bisher unbekannte Lobbyisten von den parlamentarischen Geschäftsführern der Bundestagsfraktionen in einem bislang geheim gehaltenen Prozess. Nach langen juristischen Auseinandersetzungen veröffentlichte die Bundestagsverwaltung im Herbst 2015 die Zahl und Namen der Lobbyisten, die mithilfe der Fraktionen an die Hausausweise gelangt waren: 1111 Vertreter von Verbänden, Unternehmen, Anwaltskanzleien oder Agenturen. Im Februar 2016 verfügte der Ältestenrat des Bundestages, dass Unternehmensvertreter in Zukunft keine Hausausweise mehr bekommen. 2017 standen den 630 Bundestagsabgeordneten 706 Lobbyisten mit Bundestagsausweis gegenüber.
Groben Schätzungen zufolge gibt es in Berlin 5000 Lobbyisten, statistisch für jeden Abgeordneten acht. Einer Erhebung der Bürgerbewegung Finanzwende zufolge umfasst allein die Lobby der Finanzbranche (Banken, Versicherungen, Fonds) über 1500 Mitarbeiter mit einem Budget von mindestens 200 Millionen Euro jährlich. Bereits Norbert Lammert beklagte deren beachtlichen und in zunehmendem Umfang glänzend organisierten Einfluss.
Eine besondere Form des Lobbyismus „im Dunstkreis der Korruption“ (Hans Herbert von Arnim) wurde im Jahr 2006 öffentlich bekannt: Personen aus der Privatwirtschaft, aus Verbänden und Interessengruppen, die weiterhin Angestellte ihres eigentlichen Arbeitgebers bleiben und von diesem bezahlt werden, arbeiten zeitweilig als externe Mitarbeiter in deutschen Bundesministerien. Nach Darstellung der Bundesregierung sei eine politische Einflussnahme auf Entscheidungen der Ministerien jedoch ausgeschlossen.
Die von Wirtschaftsverbänden bereitgestellten Lehrmaterialien im Unterrichtsfach Wirtschaft stehen in der Kritik, oft „wissenschaftlich und politisch tendenziös“ zu sein.
In der Bundesrepublik gelten die Pharmaindustrie und die Energiewirtschaft als Branchen mit besonders großer Lobbymacht.
Die Energiewirtschaft, insbesondere die vier großen Energiekonzerne in Deutschland (RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall), musste im Jahre 2000 mit der „Vereinbarung zwischen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen“ (Atomkonsens) zwar zunächst den ersten Ausstieg aus der Kernenergie unter der rot-grünen Regierung von Gerhard Schröder akzeptieren. Danach arbeitete sie mit Hilfe ihrer Lobbyorganisationen, wie z. B. dem Deutschen Atomforum (DAtF) und der Kerntechnischen Gesellschaft (KTG), und unterstützt von Kernkraftbefürwortern aus der Politik auf eine Revision des „Atomkonsenses“ hin. Die Atomlobby versuchte, im Vorfeld der Bundestagswahl 2009 einen Meinungsumschwung zu erreichen; im Herbst 2010 konnte sie nach umfangreichen Medienkampagnen die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke durchsetzen. Seit März 2011 versucht die Atomlobby, den zweiten Atomausstieg unter Angela Merkel zu verzögern bzw. rückgängig zu machen.
Als eines der wirkmächtigsten Netzwerke gilt „Das Collegium“, welches mit Stand 2015 Lobbyisten von insgesamt 46 internationalen Unternehmen und Verbänden in Berlin zusammenschließt.
2017 wurden unter anderem die Skandale um Dieselgate und Cum-ex mit Milliardenverlusten für den Staat zu einem wesentlichen Teil auf die Einflussnahme von Lobbyisten zurückgeführt. Aktivisten von LobbyControl folgerten aus den Entwicklungen, dass die Bemühungen, verbindliche Regelungen für Lobbyisten in Deutschland zu erreichen, unter dem Kabinett Merkel III zum Stillstand gekommen sind.
Im Zuge des Wirecard-Insolvenz im Jahr 2020 kam heraus, dass ranghohe ehemalige Politiker der CDU für den Finanzdienstleister Lobbying betrieben haben, unter anderem der ehemalige Verteidigungsminister Karl-Theodor Guttenberg.
Zum 1. Januar 2022 treten in Deutschland ein Lobbyregistergesetz und ein Verhaltenskodex in Kraft. Diese von der Großen Koalition beschlossenen Maßnahmen wurden vielfach als ungenügend kritisiert, unter anderem von der Opposition und vom Europarat.
Der Bundestag hat am Freitag, 23. Juni 2023, erstmals über einen Gesetzentwurf zur Änderung des Lobbyregistergesetzes (20/7346) debattiert, den die Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP vorgelegt haben. Mit den geplanten Änderungen, die am 1. Januar 2024 in Kraft treten sollen, wollen die Koalitionsfraktionen den Anwendungsbereich und die Offenlegungspflichten im Lobbyregistergesetz „im Interesse einer transparenten Staatstätigkeit“ nachschärfen.
Österreich
Der politische Interessenausgleich wird in der Zweiten Republik (seit 1945) vor allem auf Ebene der Sozialpartner geleistet. Daher sind die Arbeiter-, Wirtschafts- und Landwirtschaftskammern auf Bundes- und Landesebene (die Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Bauern mit Pflichtmitgliedschaft) und der Gewerkschaftsbund die dominierenden Interessenvertretungen; ihre Macht hat wesentliche Bedeutung für den Parlamentarismus Österreichs. Entscheidungen wurden und werden parallel auf den Ebenen der Sozialpartner, der Bundes- und Landesregierungen und der gesetzgebenden Körperschaften abgestimmt. Ausgelöst durch den EU-Beitritt Österreichs, wesentliche Liberalisierungs- und Privatisierungsschritte und die EU-Erweiterung ändern sich jedoch die Anforderungen an Unternehmen und deren Management.
Die Österreichische Public Affairs-Vereinigung (ÖPAV) (vormals Österreichischer Public Affairs Verband) wurde im September 2011 als Vereinigung von Public-Affairs-Managern in Agenturen, Unternehmen, Verbänden und NGOs gegründet. Die ÖPAV hat sich zur Gründung einen strengen Verhaltenskodex gegeben und sieht sich als Sprachrohr der gesamten Public Affairs-Branche in Österreich. Bereits mit der Gründung wurde die ÖPAV zum größten derartigen Verband im Land.
ALPAC (Austrian Lobbying and Public Affairs Council) ist die einflussreiche Vereinigung der Eigentümer von Lobbying- und Politikberatungsunternehmen in Österreich. Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in diesem exklusiven Kreis ist langjährige Erfahrung als Politiker, Politikberater, Innenpolitikredakteur, Interessenvertreter oder Diplomat.
Schweiz
Die Schweiz kennt verschiedene stark institutionalisierte Formen des politischen Interessenausgleichs. Dazu zählen die Sozialpartnerschaft, das Vernehmlassungsverfahren und die Expertenkommissionen. Zudem erfolgt die Einsitznahme von Interessenvertretern im Parlament weitgehend ungehindert (heute allerdings unter Publikations-Pflicht); sie wurde vormals von den Bauern, heute namentlich von Organisationen der Wirtschaft und des Gesundheitswesens genutzt.
Regierungsmitglieder müssen ihre Interessenbindungen und Nebenerwerbe auf nationaler Ebene auflösen (beispielsweise nach den Unvereinbarkeits-Vorschriften für Bundesrats-Mitglieder in Art. 144 Bundesverfassung), während sie auf kantonaler Ebene teilweise wegen des Milizsystems ausdrücklich zugelassen sind.
In den 1980er-Jahren ist namentlich in den Massenmedien und in der Wissenschaft eine kritische Diskussion über institutionalisierte Interessenvertretung entstanden, die zu verschiedenen, eher bescheidenen Reformen geführt hat. Jedes Parlamentsmitglied hat die Möglichkeit, zwei Personen zu bezeichnen, die einen privilegierten Zugang zur Wandelhalle (Lobby) des Parlamentes haben. In einer Untersuchung der Gästelisten von 2004 bis 2011 wurde festgestellt, dass eine Kerngruppe von ca. 220 Lobbyisten regelmäßig anzutreffen sind. Die Gesamtzahl ist noch viel höher, da Ex-Parlamentarier freien Zugang zur Wandelhalle haben und keinen Gästeausweis benötigen. Die von den Parlamentariern empfangenen Gäste sollen in Zukunft von den Ratsmitgliedern begleitet werden, womit der Zugang ein wenig eingeschränkt und die Kontrolle erhöht werden sollte.
Nachdem 2016 ein vertrauliches Strategiepapier einer PR-Agentur öffentlich wurde, zeigten die Schweizer Medien vermehrt die Rolle dieser Art Lobbyisten auf, welche oft verdeckt arbeiten.
Ein 2019 gewählter Nationalrat berichtete in einer Reihe von Blogbeiträgen detailliert, auf welche Art und Weisen ihn Lobbygruppen zu beeinflussen versuchten. Dabei zählte er nicht nur die Einladungen zu Veranstaltungen, sondern z. B. auch dass er vor einer Session 46 Schreiben erhielt auf eine bestimmte Weise abzustimmen.
Siehe auch: Transparenz in der Politik (Schweiz)#Transparenz des Lobbyismus
Situation in der Europäischen Union
EU
Die Gesetzgebung in den Mitgliedstaaten lässt sich von jener in der Europäischen Union nicht trennen. Vielfach besteht – wie beim Rat der EU in Brüssel – Personenidentität mit mitgliedstaatlichen Regierungsmitgliedern. Weiterhin bedürfen europäische Richtlinien der anschließenden Umsetzung in nationales Recht. Die europäische Argumentation lässt sich meist nahtlos in nationalen Gremien fortsetzen.
Die Heterogenität der wirtschaftlichen Interessen potenziert sich auf europäischer Ebene. Die Brüsseler Gesetzgebung hat Einfluss auf 27 Mitgliedstaaten (Stand 2022). Neben Bedürfnissen einzelner Unternehmen oder Branchen sind hier oftmals zusätzlich spezifische nationale Marktsituationen, Unternehmensphilosophien und Interessen zu berücksichtigen. Die Anzahl der zu Vertretenden und das Spektrum der Divergenz nehmen zu. Die von den Verbänden wahrzunehmenden Interessen sind also noch breiter und vielschichtiger als auf nationaler Ebene. Gleichzeitig vollzieht sich die Einflussnahme auf europäische Gesetzgebungsakte parallel auf nationalstaatlicher wie auf europäischer Ebene in sehr unterschiedlichen Formen. In empirischen Untersuchungen ist das System der EU-Interessenvermittlung mit der Metapher des „Mosaiks“ beschrieben worden, „das durch die parallele Existenz und Persistenz unterschiedlicher Struktureigenschaften gekennzeichnet ist“.
Unter Umständen kann es für das jeweilige Unternehmen daher hilfreich sein, wenn es ergänzend zum indirekten Lobbying über den Branchenverband sein individuelles Anliegen direkt an den entscheidenden Stellen vorbringt. Die Dependancen der Unternehmen sind in Brüssel – ebenso wie in den Mitgliedstaaten – zumeist personell gering besetzt oder dienen als Brückenkopf und verlängerter Arm, nicht jedoch als operative Einheit. Mittelständische Unternehmen verfügen selten über entsprechende Dependancen. Bei den Unternehmensrepräsentanzen fehlt es folglich häufig am nötigen Personal, um umfangreiche „Zeitgeistinitiativen“ des Gesetzgebers wie zum Beispiel das Tabakwerbeverbot auf europäischer Ebene oder das angesprochene Dosenpfand auf nationaler Ebene abfedern zu können. Aus diesem Grund schalten Unternehmen zunehmend auch Berater bei der Interessenvertretung ein. Nach US-amerikanischem Vorbild sind daher nun auch internationale Großkanzleien und Lobbyingfirmen in dem Sektor auf dem Vormarsch, indem sie – meist mit Hilfe von Ex-Politikern und spezialisierten Anwälten in ihren Reihen – ausländische Unternehmen an den deutschen bzw. den österreichischen oder europäischen Markt heranführen oder deutschen bzw. österreichischen Unternehmen in den politischen Gremien Gehör verschaffen.
Auf Grund der im Vergleich zu Parlamenten der Mitgliedstaaten schlechten wissenschaftlichen Unterstützung nutzen Abgeordnete des Europäischen Parlamentes Lobbyisten auch wegen ihres Detailwissens. Das Risiko, dass übermittelte Informationen unvollständig oder parteiisch selektiert sind, wird dadurch gemindert, dass die EU-Organe eine Vielzahl von Lobbyisten unterschiedlicher Interessengruppen anhören. Dennoch wird das Lobbying auch von kritischer Seite nicht grundsätzlich abgelehnt.
Abgeordnete werden oft durch Lobbyorganisationen mit Gratisangeboten 'angefüttert'. Laut Analysen des österreichischen Europaabgeordneten Hans-Peter Martin kann der Gegenwert von durch Lobbyisten erteilte Angebote wie Reisen, Abendessen oder Cocktailempfänge pro Woche bis zu 10.000 € erreichen.
Transparenz und Register
Auf EU-Ebene wird eine stärkere Regulierung der Lobby-Arbeit diskutiert. Die EU-Kommission hat im Juni 2008 ein (vorerst) freiwilliges Register von Lobbyisten eingerichtet. Darin sollen Firmen und Verbände Einkünfte durch und Ausgaben für Lobby-Arbeit offenlegen. Das Europäische Parlament hat sich hingegen im Mai 2008 dafür ausgesprochen, ein allgemeines Pflicht-Register für EU-Lobbyisten einzuführen, ähnlich wie es in den USA existiert. Bislang widersetzt sich die EU-Kommission einem verpflichtenden Lobbyregister jedoch.
Es gibt daher bis heute keine Registrierungspflicht. Vielmehr gibt es ein Anreizsystem zur Registrierung. Im Europäischen Parlament wird ihnen mittels eines Ausweises Zugang zum Gebäude gewährt. Dies ist dem § 9 der Geschäftsordnung zu entnehmen. Im Oktober 2007 waren beim Europäischen Parlament 4570 Personen als Interessenvertreter registriert; damit verbunden war ein erleichterter Zugang zu den Parlamentsgebäuden.
Im Rahmen der 2005 von Kommissar und Vizepräsident Siim Kallas ins Leben gerufenen Transparenz-Initiative veröffentlicht die Kommission am 23. Juni 2008 ein freiwilliges Internetregister für Lobbyisten. Sie sind dazu aufgerufen, sich zu registrieren und damit ihre Interessen, Kunden und Finanzen auszuweisen. Gleichzeitig mit der Registrierung unterschreiben sie einen Verhaltenskodex, der zusammen mit den Interessengruppen ausgearbeitet wurde. Ein geplanter Kontrollmechanismus soll die Angaben überprüfen. Die Einführung ist aber nur ein Etappenziel: Langfristig ist geplant, ein einziges Register gemeinsam mit dem EU-Parlament zu schaffen. Das Parlament würde dann nur eingetragene Lobbyisten in das Gebäude lassen. Faktisch wäre das bislang freiwillige Register dann Pflicht – auch ohne Gesetz. 2008 führte die EU ein Lobby-Register ein.
Das gemeinsame Register der Interessenvertreter beim Europäischen Parlament und der Europäischen Kommission (Transparenz-Register) ist am 23. Juni 2011 in Betrieb genommen worden. Alle Organisationen, Firmen und Selbständige, die Tätigkeiten mit dem Ziel direkter oder indirekter Einflussnahme auf politische Entscheidungsprozesse oder Entscheidungen der EU-Institutionen ausüben, sind dazu aufgerufen, sich zu registrieren. Die Registrierung im Transparenzregister setzt die Offenlegung des jährlichen Gesamtumsatzes aus der Lobbyarbeit, optional auch nur die Angabe einer Umsatzgrößenklasse (z. B. >=100.000 – <150.000 €) sowie den relativen Anteil namentlich genannter Klienten/Kunden an diesem Umsatz, optional ebenfalls der Umsatzgrößenklasse (z. B. Firma XY <50.000) voraus (zu Details vgl. die Leitlinien zu den finanziellen Angaben). Die Pflicht zur umfassenden und wahrheitsgemäßen Angabe dieser Informationen ergibt sich aus einem Verhaltenskodex, dem sich die Interessenvertreter bei Eintragung in das Register unterwerfen müssen. Eine Verpflichtung zur Eintragung gibt es jedoch nicht, was von vielen Seiten kritisiert wird. 2014 wurde geschätzt, dass in Brüssel 15.000 bis 25.000 Lobbyisten arbeiten.
Am 25. November 2014 fasste die Europäische Kommission den Entschluss mit Hilfe einer neuen Transparenzinitiative das Geschehen innerhalb der EU-Kommission noch transparenter werden zu lassen. So sind alle Kommissare, deren Mitarbeiter und Generaldirektoren der einzelnen Abteilungen der Kommission seit Dezember 2014 dazu verpflichtet, Treffen mit Interessenvertretern und Lobbyisten öffentlich zu machen. Die aufgelisteten Treffen können auf der Seite der Europäischen Kommission nachgelesen werden.
Am 31. Januar 2019 verabschiedete das EU-Parlament verbindliche Regeln zur Transparenz der Lobbyarbeit. In einer Änderung seiner Geschäftsordnung bestimmte das Parlament, dass MdEPs, die an der Ausarbeitung und Verhandlung von Gesetzen beteiligt sind, ihre Sitzungen mit Lobbyisten online veröffentlichen müssen.
Vertrag von Lissabon
Seit Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon wird europäischer Lobbyismus vermehrt in Zusammenhang mit Partizipativer Demokratie gebracht. So verweist EU-Vertrag ausdrücklich auf repräsentative Verbände hin. Dass hierunter auch Unternehmen gemeint sein könnten, zeigt in der Praxis das EU-Nebenorgan Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss.
Fallbeispiele
Kirchen
Die Kirchenlobby in Deutschland ist formal organisiert über die Büros (siehe Evangelisches Büro, Katholisches Büro) bei Bundes- und Landesregierungen. Die Leiter der Büros sind den Ministern protokollarisch gleichgestellt. Die Lobbyarbeit erfolgt über die formelle Beteiligung in Gesetzgebungsverfahren, aber auch durch informelle Kontakte wie Teilnahmen an Empfängen und wöchentlichen Dämmerschoppen. Durch die traditionell protokollarisch bevorzugte Stellung von Geistlichen aller kirchlichen Ebenen ist der Zugang zu politischen Entscheidungsträgern meist unkompliziert möglich. Der Politologe Carsten Frerk weist in seinen Untersuchungen darauf hin, dass die organisierten Einflussnahmen auf staatliches Handeln keinerlei Rechtsgrundlage habe.
Carsten Frerk schrieb 2015 nach Analyse des kirchlichen Lobbyismus von der „Kirchenrepublik Deutschland.“
Autoindustrie
Ein Beispiel für Lobbyismus auf EU-Ebene ist die Autolobby in Brüssel. Während Lobbyisten der Autohersteller etwa versuchen, den von der EU geplanten Grenzwert von 120 g CO2/km anzuheben, wirken Umweltverbände darauf hin, diesen Wert durchzusetzen.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten wurde im November 2013 vom EU-Parlament ein Beschluss zu strengeren Abgasnormen gefasst. Die Regelungen sehen vor, dass ab 2020 ein Großteil der Neuwagen den Grenzwert von 95 g/km nicht überschreiten dürfen. Dieser Wert soll sich an der gesamten Flotte des Herstellers bemessen. Es müssen jedoch nicht alle Autos den Grenzwert einhalten. Für fünf Prozent der Fahrzeuge gilt ein maximaler Ausstoß von 130 g/km. Für die Hersteller bietet sich so die Möglichkeit, schadstoffarme Modelle mehrfach auf ihre Klimabilanz anrechnen lassen zu können. Diese Sonderregelung führt dazu, dass PS-starke Oberklasse-Modelle eines Herstellers die Vorgabe der Ausstoßgrenze erst später erfüllen können, denn Elektroautos desselben Herstellers sorgen zeitgleich für eine ausgeglichene Klimabilanz.
Durch die neuen Grenzwerte darf der CO2-Ausstoß einer Neuwagen-Flotte eines Herstellers ab 2020 den Durchschnittswert von 95 Gramm je Kilometer nicht überschreiten. Noch im Jahre 2012 lag der Durchschnittswert in Europa bei 136,1 g/km, in Deutschland sogar bei 141,8 g/km. Sollten die Autos ab 2020 jedoch immer noch mehr als die erlaubten 95 g/km ausstoßen, sieht die EU-Regelung Strafzahlungen für die Hersteller vor. Die Strafzahlungen würden sich auf 95 Euro je Gramm und Fahrzeug belaufen. Würde im Jahr 2020 beispielsweise der CO2-Ausstoß aller Autos eines Herstellers bei 105 g/km liegen, müsste der Erzeuger der Automobile pro verkauftem Auto eine Strafe von 950 Euro zahlen.
Neben der EU haben auch andere Länder der Welt einen CO2-Grenzwert bis 2020 festgelegt. So gilt in den USA eine Grenze von 121 g/km, ab dem Jahr 2025 dann 93 g/km, die chinesische Regierung hat sich auf einen Wert von 117 g/km geeinigt und Japan auf 105 g/km.
Finanzwirtschaft
Ebenfalls beispielhaft für die große Macht spezialisierter Branchenlobbys innerhalb des EU-Institutionennetzwerkes ist die starke Einbindung der Finanzwirtschaft in die Regulierung der Finanzmärkte. Im Zuge der Finanzkrise ab 2007 wurde in der für die Regulierung der Finanzmärkte Europäischen Union zunehmend auf ein Ungleichgewicht im Lobbying zugunsten der Finanzindustrie hingewiesen. In einer parteiübergreifenden Initiative von Europaabgeordneten im Europäischen Parlament gründete sich Ende Juni 2011 die Lobbyorganisation Finance Watch.
Die Group of 30, zu der unter anderem aktive und ehemalige Zentralbanker gehören, veröffentlicht Empfehlungen zur Aufsicht über die großen internationalen Finanzinstitutionen. Es wurde kritisiert, dass die ehemaligen Zentralbanker jedoch inzwischen als Topmanager selbst bei eben diesen Finanzinstitutionen arbeiten und damit über die Regulierung ihrer eigenen Unternehmen beraten.
Nachdem die EU-Kommission darauf hingewiesen hatte, dass der gering besteuerte Finanzsektor im Zuge der Finanzkrise 2007 mit 4,6 Billionen Euro unterstützt wurde, beschloss 2013 der Rat der EU-Finanz- und Wirtschaftsminister von elf Staaten, darunter Frankreich, eine Finanztransaktionssteuer einzuführen. Im gleichen Jahr beendete Frankreich seine Zusammenarbeit für eine breit angelegte Steuer nach dem Widerstand aus der Lobby der Finanzdienstleister, aus Sicht von Kritikern vor allem durch Goldman Sachs. Goldman Sachs konnte auch in Deutschland während der Legislaturperiode seit 2009 mit Abstand die meisten Kontakte mit der Bundesregierung für sich verbuchen. Kritiker machten Goldman Sachs verantwortlich für das Aussparen spezieller Finanztransaktionen von der geplanten Steuer, bei denen in kurzer Zeit Wertpapiere von den Beteiligten hin- und wieder zurückwechseln.
Personal- und Ressourcenumfang
Demnach stellten im offiziellen Beratungsgremium der EU-Kommission Mitte der 2010er Jahre Banken die überwältigende Mehrheit der Mitglieder. So sollen beispielsweise die Deutsche Bank wie auch die Commerzbank jeweils Vertreter nach Brüssel schicken. Verbraucherschützer gibt es jedoch nur zwei, Gewerkschafter nur einen in dem vierzigköpfigen Gremium. Abgeordnete im Europaparlament baten 2010 aus diesem Anlass bereits die „Zivilgesellschaft“ um Hilfe.
Die Finanzwirtschaft stellte 2017 rund 1700 Lobbyisten in Brüssel, was umgerechnet vier Interessenvertretern pro EU-Beamten entspricht, die mit Finanzthemen beschäftigt waren. Die dadurch entstehenden Kosten für Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter beliefen sich auf rund 120 Millionen Euro pro Jahr. Das war 30 mal so viel, wie in Brüssel allen Gewerkschaften, Verbraucher- und Umweltorganisationen zusammen für ihre Lobbyarbeit zu diesem Thema zur Verfügung stand.
In Berlin arbeiten ca. 1.500 Lobbyisten für insgesamt 295 Unternehmen und Verbände aus der Finanzbranche bei einem Gesamtmindestbudget von 200 Millionen Euro pro Jahr. Davon entfallen allein fast 62 Millionen auf den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Zu 33 Gesetzesentwürfen, die zwischen 2014 und 2020 noch innerhalb der Ministerien erarbeitet wurden, wurden bereits zu diesem Zeitpunkt 335 einzelne Stellungnahmen aus der Finanzlobby abgegeben. Auf diese Weise gelangen Formulierungsvorschläge aus den Stellungnahmen schon in Gesetzentwürfe, bevor diese im Bundestag beraten werden.
Tabakindustrie
EU
Michel Petite verließ sein Amt als Vorsitzender des Ethik-Komitees der EU-Kommission auf Druck von Lobbycontrol und anderen Lobbyismusgegnern. Er soll seine Kontakte in der Kommission dafür ausgenutzt haben, die Interessen der Anwaltskanzlei Clifford Chance, die Philip Morris International als Klienten hat, zu vertreten. Der Rechtsanwalt und Lobbyist Andreas Geiger vertritt in Brüssel die Interessen der Tabakindustrie und vergleicht seine Arbeit mit der eines Strafverteidigers, da er der Meinung ist, dass auch die Tabakindustrie legitime Interessen habe.
Schweiz
In der Schweiz ist z. B. der Präsident der Schweizerischen Vereinigung des Tabakwarenhandels Gregor Rutz (SVP) seit 2012 als Nationalrat im Parlament vertreten. Auch Ständerat Hannes Germann (SVP) und Nationalrat Alois Gmür (Die Mitte) werden laut Lobbywatch zu der Tabaklobby gezählt.
Siehe auch
Advocacy Coalition
Agenda Setting, Influencer, Spin-Doctor, Kommunikationsstrategie
Drehtür-Effekt
Lobbypedia
Lobbygesetz (Österreich)
Parlamentarischer Abend
Transparency International mit Initiative Transparente Zivilgesellschaft
Verwaltungsethik
Literatur
Aufsätze
Andreas Geiger: Ökonomische Aspekte des Lobbying in der EU. In: Zeitschrift für Politikberatung. Volume 2, Issue 3 (2009), S. 427.
Andreas Geiger: EU-Lobbying und Demokratieprinzip. In: Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht. (EWS), Heft 7/2008, S. 257.
Anda: Möglichkeiten und Grenzen der Politikbeeinflussung. In: Axel Sell, Alexander N. Krylov: Interaktionen zwischen Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Verlag Peter Lang, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-631-58487-3, S. 273–278.
Ulrich von Alemann, Florian Eckert: Lobbyismus als Schattenpolitik. In: Aus Politik und Zeitgeschichte. 15–16/2006.
Thomas Faust: Vom aktivierenden zum aktivierten Staat? Lobbying zwischen Korruption und Kooperation. In: Verwaltung und Management. 5/2009, S. 251–260.
Tilman Hoppe: Transparenz per Gesetz? Zu einem künftigen Lobbyisten-Register. In: Zeitschrift für Rechtspolitik. 2009, 39, tilman-hoppe.de (PDF; 811 kB)
Thomas Leif, Rudolf Speth: Die fünfte Gewalt. Zeit Online, 2. März 2006.
Klemens Joos: Entscheidungen ohne Entscheider? Prozesskompetenz ist der entscheidende Erfolgsfaktor für die Reduzierung von Komplexität in der Interessenvertretung bei den Institutionen der Europäischen Union In: Silke Bartsch; Christian Blümelhuber (Hrsg.): Always Ahead im Marketing: Offensiv, digital, strategisch. Springer Gabler 2015, ISBN 978-3-658-09029-6.
Konstadinos Maras: Lobbyismus in Deutschland. In: APuZ. 3–4/2009, S. 33–38.
Hans-Jörg Schmedes: Die im Dunkeln sieht man nicht. In: Berliner Republik. 3/2009, S. 69–71.
Hans-Jörg Schmedes: Mehr Transparenz wagen? Zur Diskussion um ein gesetzliches Lobbyregister beim Deutschen Bundestag. In: Zeitschrift für Parlamentsfragen. 3/2009, S. 543–560.
Sammelbände und Monografien
Stefan Schwaneck: Lobbyismus und Transparenz. Eine vergleichende Studie einer komplexen Beziehung. Schriftenreihe Vergleichende Politikwissenschaft, VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-26898-5.
Klemens Joos: Politische Stakeholder überzeugen. Wiley-VCH Verlag, 2015, ISBN 978-3-527-50859-4 (auch auf Englisch erschienen: Convincing Political Stakeholders. 2016)
Carsten Frerk: Kirchenrepublik Deutschland: Christlicher Lobbyismus. Alibri, Aschaffenburg 2015, ISBN 978-3-86569-190-3
Wolfgang Gründinger: Lobbyismus im Klimaschutz. Die nationale Ausgestaltung des europäischen Emissionshandelssystems. VS Verlag, Wiesbaden 2012.
Kim Otto, Sascha Adamek: Der gekaufte Staat. Wie Konzernvertreter in deutschen Ministerien sich ihre Gesetze selbst schreiben. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, ISBN 978-3-462-03977-1.
Andreas Geiger: EU Lobbying Handbook. Helios Media, 2007, ISBN 978-3-9811316-0-4.
Ralf Kleinfeld, Annette Zimmer, Ulrich Willems (Hrsg.): Lobbying. Strukturen, Akteure, Strategien. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-8100-3961-3.
Jörg Rieksmeier (Hrsg.): Praxisbuch: Politische Interessenvermittlung: Instrumente – Kampagnen – Lobbying. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-531-15547-0.
Thomas von Winter, Willems, Ulrich (Hrsg.): Interessenverbände in Deutschland. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-531-14589-1.
Gunnar Bender, Lutz Reulecke: Handbuch des deutschen Lobbyisten: Wie ein modernes und transparentes Politikmanagement funktioniert. Frankfurter Allgemeine Buch, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-89981-005-8.
Steffen Dagger (Hrsg.): Politikberatung in Deutschland: Praxis und Perspektiven. VS-Verlag, Wiesbaden 2004, ISBN 3-531-14464-2.
Ulrich Müller, Sven Giegold, Malte Arhelger (Hrsg.): Gesteuerte Demokratie? Wie neoliberale Eliten Politik und Öffentlichkeit beeinflussen. VSA, 2004, ISBN 3-89965-100-6.
Nicola Berg: Public Affairs Management. Gabler, Wiesbaden 2003, ISBN 3-409-12387-3.
Literatur mit Schwerpunkt Europäische Union
Klemens Joos: Erfolg durch Prozesskompetenz. Paradigmenwechsel in der Interessenvertretung nach dem Vertrag von Lissabon, erschienen in: Doris Dialer; Margarethe Richter (Hrsg.): Lobbying in der Europäischen Union: Zwischen Professionalisierung und Regulierung. Springer VS 2014, ISBN 978-3-658-03220-3.
Alexander Classen: Interessenvertretung in der Europäischen Union. Zur Rechtmäßigkeit politischer Einflussnahme. Springer VS, Wiesbaden 2014, ISBN 978-3-658-05410-6.
Wolfgang Gründinger: Lobbyismus im Klimaschutz. Der Einfluss der Interessengruppen auf die nationale Ausgestaltung des EU-Emissionshandels. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2012, ISBN 978-3-531-18348-0.
Klemens Joos: Lobbying im neuen Europa: Erfolgreiche Interessenvertretung nach dem Vertrag von Lissabon. Wiley-VCH Verlag, 2010, ISBN 978-3-527-50564-7 (auch auf Englisch erschienen: Lobbying in the new Europe: Successful representation of interests after the Treaty of Lisbon. 2011)
Steffen Dagger, Michael Kambeck (Hrsg.): Politikberatung und Lobbying in Brüssel. VS-Verlag, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-531-15388-9.
Irina Michalowitz: Lobbying in der EU. UTB (Taschenbuch) / facultas wuv, Wien 2007, ISBN 978-3-8252-2898-9 (Europa kompakt Band 2).
Claudia Albrecht: Die Rolle der Mitgliedsländer für die regionale Integration in der Europäischen Union: Analyse der Parameter unter Berücksichtigung interessengesteuerter Interaktionsprozesse. Dissertation. Uni Hamburg, 2008.
Fallstudien
Steffen Dagger: Energiepolitik & Lobbying: Die Novellierung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) 2009. ibidem-Verlag, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-8382-0057-6.
David Krahlisch: Lobbyismus in Deutschland – Am Beispiel des Dieselpartikelfilters. VDM Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2007, ISBN 978-3-8364-2316-8.
Diana Wehlau: Lobbyismus und Rentenreform. Der Einfluss der Finanzdienstleistungsbranche auf die Teil-Privatisierung der Alterssicherung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16530-1.
Hans-Jörg Schmedes: Wirtschafts- und Verbraucherschutzverbände im Mehrebenensystem. Lobbyingaktivitäten britischer, deutscher und europäischer Verbände. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15631-6.
Johanna Veit: EU-Lobbying im Bereich der grünen Gentechnik: Einfluss- und Erfolgsfaktoren. Tectum Verlag, 2010, ISBN 978-3-8288-2257-3.
Johannes Lahner: Boombranche kommerzielles Lobbying? Eine komparative Studie über das kommerzielle Lobbying in den USA und Deutschland anhand der Automobilbranche. Kovač, Hamburg 2013, ISBN 978-3-8300-7406-9.
Weblinks
Ruth Reichstein: Die wahren Strippenzieher: Lobbyisten in Brüssel. deutschlandfunk.de, Hintergrund Wirtschaft (Archiv), 2. Oktober 2005
Lobbyismus – Die stille Macht. (PDF; 2,2 MB) netzwerkrecherche.de
„Die Hintermänner“: Lobbys nehmen immer stärker Einfluss auf die Politik. Gefährdet das die Demokratie? brandeins.de, September 2012
Lobbyismus in Deutschland. uni-leipzig.de (Abstract von der Fachtagung des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen in Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung und der Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, 24.–26. Januar 2003)
Die Lobbyisten werden untersucht. In: Die Welt, 11. März 2005
Open Secrets verfolgt Geldströme in der amerikanischen Politik, liefert Daten und Analysen.
Einzelnachweise
Politisches Schlagwort
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Q187117
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kickboxen
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Kickboxen
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Kickboxen (auch Kickboxing) ist eine Kampfsportart, bei der das Schlagen mit Füßen und Händen wie bei den Kampfsportarten (Karate oder Taekwondo) mit konventionellem Boxen verbunden wird. In den einzelnen Schulen und Sportverbänden ist unterschiedlich geregelt, ob der Gegner gehalten werden darf oder welche Trefferflächen beim Gegenüber erlaubt sind. Tiefschläge sind immer tabu, jedoch sind in manchen Verbänden Tritte auf die Oberschenkel (Lowkicks) erlaubt. Verbandsabhängig unterschiedlich geregelt ist auch die Verwendung von Handdrehschlägen und Fußfegern (Techniken, mit denen der Gegner aus dem Gleichgewicht gebracht wird). Allen Verbänden gemeinsam ist das Verbot des Schlagens auf den Rücken und auf Gegner, die am Boden liegen, sowie das Werfen des Konkurrenten.
Das Tragen von Schutzausrüstung (Boxhandschuhe, Fuß- und Schienbeinschutz, Bandagen, Tiefschutz (Männer) bzw. Brustschutz (Frauen) und Mundschutz) ist Pflicht.
Kickboxen als Wettkampfdisziplin geht auf das Jahr 1974 zurück, es hieß damals „All Style Karate“, „Sport-Karate“ oder „Contact-Karate“. In diesem Jahr einigten sich die Gründer des Weltverbandes WAKO (World Association of Kickboxing Organisations), Mike Anderson, Georg F. Brückner und andere darauf, die traditionellen fernöstlichen Kampfmethoden wie Taekwondo, Karate, Kung Fu usw., zu einem sportlichen Wettkampf mit einheitlichen Regeln zu machen und gegen andere Kampfsysteme anzutreten.
Obwohl Kickboxen ein moderner, abendländischer Kampfsport ist, weisen Training und Wettkampf viele Ähnlichkeiten mit dem traditionellen Boxen, Savate und Muay Thai auf.
Grade und Gurte
Ähnlich wie beim Karate und anderen Kampfsportarten können die Trainierenden in manchen Kickboxverbänden Grade (Kyū/Dan) erreichen, die durch einen farbigen Gurt gekennzeichnet werden. Zu Beginn hat man keinen Gurt, man spricht vom weißen Gurt. Danach können durch Prüfungen weitere Grade erreicht werden. In der Folge tragen die Sportler den entsprechenden Gurt und erhalten häufig auch eine Urkunde über die erfolgreiche Prüfung.
Der schwarze Gurt entspricht dem Meistergrad (Dan). Danach können weitere Meistergrade durch spezielle Prüfungen erreicht werden, in den meisten Verbänden sind Prüfungen bis zum 4. Dan möglich.
Oft werden diese DAN-Grade jedoch an Personen verliehen, die sich für diesen Sport verdient gemacht haben. Dazu zählen langjährige Trainer und erfolgreiche Kämpfer.
Wettkampfarten
Es gibt verschiedene Wettkampfarten, in denen sich Gegner gleicher Gewichtsklassen im Ring bzw. auf der Matte (Tatami) gegenüberstehen.
Semikontakt (Pointfight)
Bei dieser auch als Pointfighting bekannten Disziplin wird nach jedem erfolgreichen Treffer am Körper des Gegners der Kampf kurzzeitig unterbrochen, und die Kämpfer begeben sich wieder in die Ausgangsstellung. Jeder Treffer wird während dieser kurzen Unterbrechung von drei Kampfrichtern bewertet. Können sich die Kampfrichter nicht auf eine Bewertung einigen, gibt es keinen Punkt, denn die Techniken sollen sauber und eindeutig ausgeführt werden. Letztendlich gewinnt derjenige, dem am meisten Punkte zugesprochen werden.
Semikontaktkämpfe werden auf Matten (Tatami) und nicht im Boxring ausgetragen. Die Größe der Kampffläche ist 7 × 7 m.
Jede saubere Technik, die ein erlaubtes Ziel erreicht und mit leichtem Kontakt trifft, wird je nach Schwierigkeitsgrad mit folgenden Trefferpunkten bewertet (die Punkte können bei verschiedenen Verbänden variieren):
1 Punkt für erlaubte Handtechniken aller Art zum Körper
1 Punkt für erlaubte Fußtechniken aller Art zum Körper
1 Punkt für Fußfeger, klares Brechen des Gleichgewichts
1 Punkt für erlaubte Schlagtechniken aller Art zum Kopf
2 Punkte für erlaubte Tritttechniken aller Art zum Kopf
2 Punkte für Fußfeger mit sofortiger Folgetechnik
2 Punkte für erlaubte Sprung-Fußtritte zum Körper
3 Punkte für erlaubte gesprungene Fußtechniken aller Art zum Kopf
Leichtkontakt
Beim Leichtkontakt wird meist auf Matten gekämpft. Das Ziel ist es, mehr Treffer als der Gegner zu erzielen, wobei sich die Punkte je nach Verband an denen im Semikontakt orientieren. Im Gegensatz zum Semikontakt wird nicht nach jedem erzielten Treffer unterbrochen, sondern weitergekämpft. Leichtkontakt ist technisch und vor allem konditionell sehr fordernd und anspruchsvoll. Jede Runde ist durch jeden Punktrichter einzeln zu bewerten. Die Bewertungen einer Runde sollen nach der Anzahl der tatsächlichen Treffer erfolgen. Außerdem kann nach jeder Runde ein Hilfspunkt für die bessere Technik und Taktik vergeben werden, der sich nach folgenden Kriterien zusammensetzt:
Wirksamkeit der Angriffe
Kombinationsfähigkeit
Sauberkeit des Kampfstils
Wirksamkeit der Verteidigung
Ausgeglichenheit von Hand- und Fußtechniken
Gesamteindruck der sportlichen Leistung
Die Kriterien nach denen sich der Hilfspunkt zusammensetzt, gelten sowohl als auch für Leicht- und Vollkontakt.
Vollkontakt
Die Vollkontaktvariante des Kickboxens wird im Gegensatz zu den anderen Kampfstilen in einem Boxring ausgetragen. Dabei kann der Kampf nicht nur über Punkte gewonnen werden, sondern auch durch K. O. Dies kann sowohl durch einen Niederschlag des Gegners (K. O.) erfolgen, wie auch durch die Kampfunfähigkeit des Gegners (technischer K. O.). Bei manchen Vollkontaktkämpfen sind Tritte gegen die Oberschenkel erlaubt (Fullcontact mit Lowkicks).
Punktewertung (die Angaben können abhängig vom jeweiligen Verband abweichen):
1 Punkt für erlaubte Handtechniken aller Art zum Kopf oder Körper
1 Punkt für erlaubte Fußtechniken auf den Oberschenkel (nur bei Fullcontact mit Lowkicks)
2 Punkte für erlaubte Fußtechniken aller Art zum Körper
3 Punkte für erlaubte gesprungene Fußtechniken aller Art zum Kopf
−1 Punkt für Schläge unter die Gürtellinie. (Hier ist der direkte Bereich unter der Gürtellinie, also der Schritt, gemeint. Wie schon oben erwähnt, kann der Kick zum Oberschenkel erlaubt sein. Dies hängt vom Verband ab. Auch eine Vereinbarung zwischen den Verantwortlichen und den Kämpfern bzw. Kickboxställen ist möglich. Dies ist oft der Fall, wenn die Kämpfer in unterschiedlichen Verbänden kämpfen und sich die Regelwerke in diesem Punkt unterscheiden.)
K-1
Dieses Regelwerk, welches von der japanischen Kampfsportorganisation K-1 entwickelt wurde und viele Ähnlichkeiten mit dem Thaiboxen aufweist, wurde aufgrund der Popularität der K-1-Wettkämpfe auch von traditionellen Kickboxverbänden wie der WAKO in ihr Programm aufgenommen. Neben Lowkicks sind hierbei auch Kniestösse zum Kopf und Körper des Gegners erlaubt.
Punktewertung (die Angaben können abhängig vom jeweiligen Verband abweichen):
1 Punkt für Hand- und Fußtechniken zum Körper, Kopf oder Bein
1 Punkt für Fußfeger (klares Brechen des Gleichgewichts, Gegner geht zu Boden)
1 Punkt für Sprungkicks zum Kopf oder Körper
1 Punkt für Kniestoß oder gesprungener Kniestoß zum Körper oder Kopf
1 Punkt für Kniestoß zum Oberschenkel
Formen
Außerdem findet sich auch die Disziplin des Formenlaufes wieder – die Kata. Auch im Kickboxen und dessen Turnieren, gibt es Sportler, die die Tradition vieler Kampfsportarten und Kampfkünste verbinden, indem sie auf Musik/ohne Musik und mit/ohne Waffen eine Kata laufen. Grundsätzlich wird somit ein Kampf gegen einen oder mehrere imaginäre Gegner dargestellt, bei dem eine Aneinanderreihung verschiedenster Techniken gezeigt wird. Diese können sowohl defensiver als auch offensiver Weise sein. Die WAKO unterscheidet hier in verschiedene Altersklassen und grundlegend vier verschiedene Unterkategorien.
Musikformen mit Waffe
Musikformen ohne Waffe
Kreativformen mit Waffe
Kreativformen ohne Waffe
Entscheidungen
Folgende Entscheidungen können einen Kampf beenden:
Sieg durch Niederschlag – K. O. im Vollkontakt und auch in manchen Situationen im Leichtkontakt
Sieg durch Aufgabe eines Kampfes
Sieg durch Abbruch wegen technischer Überlegenheit nur im Semikontakt wenn Trefferunterschied 10 Wertungspunkte beträgt.
Sieg durch Abbruch eines Kampfes wegen Kampf- oder Verteidigungsunfähigkeit oder sportlicher Unterlegenheit
Abbruch wegen Verletzung
Sieg durch Punktwertung
Sieg durch Disqualifikation des Gegners
Unentschieden darf im Turnier nicht gegeben werden. Es darf nur bei Einzel-, Freundschafts- oder Mannschaftskämpfen erfolgen.
Sieg durch Nichtantreten
Abbruch ohne Entscheidung, wenn der Kampf nicht mehr den Regeln entsprechend weitergeführt werden kann sowie infolge höherer Gewalt (schadhafter Ring, Ausfall der Beleuchtung usw.)
Altersklassen
Herren sind alle Sportler, die das 18. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres.
Damen sind alle Sportlerinnen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres.
Junioren sind alle männlichen Sportler, die das 16. Lebensjahr vollendet und das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Jugendliche im Semikontakt sind alle Sportlerinnen und Sportler, die das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Jugendliche im Leichtkontakt sind alle Sportlerinnen und Sportler, die das 13. Lebensjahr vollendet und das 16. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Senioren, auch als Veteranen benannt, sind diejenigen Sportlerinnen und Sportler, die das 35. Lebensjahr vollendet haben bis zur Vollendung des 50. Lebensjahres.
Kämpfer unter 18 Jahren dürfen an Turnieren nur mit schriftlicher Erlaubnis des Erziehungsberechtigten teilnehmen. In dem Jahr, in dem ein Sportler das 16. bzw. 18 Lebensjahr vollendet, ist dieser berechtigt, noch in der zu Beginn des Jahres begonnenen Altersklasse weiter zu kämpfen. Der Kämpfer kann auch in der neuen Altersklasse starten, kann jedoch bei einem Turnier nicht in zwei verschiedenen Altersklassen antreten.
Gewichtsklassen
Semi- und Leichtkontakt
Männer und Junioren
Fliegengewicht bis 57,0 kg
Leichtgewicht bis 63,0 kg
Weltergewicht bis 69,0 kg
Halbmittelgewicht bis 74,0 kg
Mittelgewicht bis 79,0 kg
Halbschwergewicht bis 84,0 kg
Cruisergewicht bis 89,0 kg
Schwergewicht bis 94,0 kg
Superschwergewicht über 94,0 kg
Frauen
Federgewicht bis 50,0 kg
Leichtgewicht bis 55,0 kg
Mittelgewicht bis 60,0 kg
Leichtschwergewicht bis 65,0 kg
Schwergewicht bis 70,0 kg
Superschwergewicht über 70,0 kg
Vollkontakt / K-1
Männer und Junioren
Fliegengewicht bis 51,0 kg
Bantamgewicht bis 54,0 kg
Federgewicht bis 57,0 kg
Leichtgewicht bis 60,0 kg
Halbweltergewicht bis 63,5 kg
Weltergewicht bis 67,0 kg
Halbmittelgewicht bis 71,0 kg
Mittelgewicht bis 75,0 kg
Halbschwergewicht bis 81,0 kg
Cruisergewicht bis 86,0 kg
Schwergewicht bis 91,0 kg
Superschwergewicht über 91,0 kg
Frauen
Bantamgewicht bis 48,0 kg
Federgewicht bis 52,0 kg
Leichtgewicht bis 56,0 kg
Mittelgewicht bis 60,0 kg
Leichtschwergewicht bis 65,0 kg
Schwergewicht bis 70,0 kg
Superschwergewicht über 70,0 kg
Olympische Ambitionen
Verwandte Kampfsportarten wie das Boxen oder Taekwondo sind im Programm der Olympischen Spiele vertreten. Karate findet bei den World Games eine weltweite Präsentationsbühne. Auf Verbandsebene wird das Bestreben, Kickboxen zu einer olympischen Sportart zu machen, mit Engagement verfolgt. Die Anerkennung der Anti-Doping-Richtlinien des IOC und die Mitgliedschaft in der GAISF können als Zwischenetappen auf dem Weg ins olympische Wettbewerbsprogramm verstanden werden. Dieses letztlich tatsächlich zu erreichen, wird nicht zuletzt aufgrund des Interesses vom IOC, die Spiele nicht ausufern zu lassen, sehr schwierig. Kickboxen ist aber seit 2010 im Programm der World Combat Games.
Der Bundesfachverband für Kickboxen (WAKO Deutschland) ist seit 2017 Mitglied im Deutschen Olympischen Sportbund.
Internationale Fachverbände
Glory (Kampfsportorganisation) (Glory)
World Kickboxing and Karate Union (WKU)
World Association of Kickboxing Organizations (WAKO)
World Karate and Kickboxing Commission (WKC)
World Kickboxing Federation (WKF)
International Sport Karate Association (ISKA)
World All Fight System Organization (AFSO)
World Traditional Karate Association (WTKA)
Siehe auch
Boxe pieds-poings
Weblinks
Bundesfachverband für Kickboxen (WAKO Deutschland)
World Kickboxing Union Deutschland
Bundesleistungszentrum der WKA
Kampfsportart
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Q178678
| 107.288022 |
9152028
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https://de.wikipedia.org/wiki/Albor%C3%A1n-Meer
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Alborán-Meer
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Das etwa 350 × 180 km große Alborán-Meer ist der westlichste Teil des Mittelmeers und befindet sich zwischen der Iberischen Halbinsel und Nordafrika. Es verbindet über die am westlichen Ende liegende Straße von Gibraltar das Mittelmeer mit dem Atlantik. An seinem östlichen Rand befindet sich die namensgebende Isla de Alborán.
Abgrenzung
Die International Hydrographic Organization (IHO) liefert eine Definition der westlichen und östlichen Grenzen des Alborán-Meeres.
Im Westen durch eine Linie vom Europa Point (), dem südlichsten Punkt von Gibraltar, zur Punta Almina (), dem östlichsten Punkt der Stadt Ceuta.
Im Osten durch eine Linie vom Cabo de Gata () nach Cap Fegalo ().
Sonstiges
Die durchschnittliche Tiefe des Alborán-Meeres beträgt 445 m und die maximale Tiefe liegt bei 1500 m.
Mehrere kleine unbewohnte Inseln liegen im südlichen Küstenbereich des Alborán-Meeres, so die Islas Chafarinas.
Weblinks
Alborán-Meer – Fotos + Infos
Einzelnachweise
Meer (Mittelmeer)
Gewässer in Marokko
Gewässer in Spanien
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Q199408
| 172.036686 |
19650
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lied
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Lied
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Lied (aus mhd. liet, „Strophe“) ist der Sammelbegriff für kleinere, knapp gegliederte gesungene Kompositionen aus Musik und Liedtext. Diese Kurzform gibt es in allen Kulturen. Ein typischer Aufbau von Liedern ist, dass sie aus mehreren Strophen, die sich textlich unterscheiden, und einem Kehrvers, der mehrmals im Lied wiederholt wird, bestehen.
Im Vordergrund steht die singbare, im Tonumfang meist begrenzte, rhythmisch-metrisch meist dem Sprachfluss des Textes folgende Melodik.
Geschichte
Das Lied ist die ursprünglichste und schlichteste Form der Lyrik, in der das menschliche Gefühl in seinen Stimmungen und Beziehungen eine reine und intensive Ausdrucksmöglichkeit findet. Die Volksballade war im Mittelalter ein volkstümliches, episches und strophisches Lied aus ritterlichen Kreisen, das später zum Volksgut wurde. Hierzu gehört das „Lied auf die Abschiedsszene zwischen Elisabeth und Ludwig von Thüringen“, das 1227 anlässlich des Aufbruchs Ludwigs zum Kreuzzug komponiert wurde. 1504 lobte Jörg Widmann in „Ain schönes lied von Vilshofen“ die Verteidiger der Stadt. Hans Umperlin verfasste 1516 ein Gedicht, in welchem er am Schluss von sich selbst sagt: „Der uns das liedlin newes singt / der nennt sich Hans Umperlin / hat er zwelf lebendige kind…“ Um 1518 erschien beim Kölner Buchdrucker Arnd von Aich die älteste deutsche Liedersammlung unter dem Titel 75 hubscher lieder myt Diskant, Alt, Bas und Tenor.
Das Wort „Volkslied“ stammt von Johann Gottfried Herder, der damit Begriffe wie „Gassenhauer“, „Bauerngesang“ und „Cantio rusticalis“ verdrängte. Beim Volkslied war eine singbare Melodie eine wesentliche Voraussetzung, damit es jedermann ohne besondere Stimmausbildung nachsingen konnte. Durch die 1778 von Herder herausgegebenen Sammlungen Stimmen der Völker in Liedern konzentriert sich die Aufmerksamkeit erstmals auf das Volkslied in Europa. Von Beginn der Frühromantik an gilt das Volkslied als die Reflexion des „Volksgeistes“, zusammengefasst in berühmten Sammlungen (Clemens Brentano, Des Knaben Wunderhorn, 1806). Es war ein im Volk entstandenes oder von diesem aufgegriffenes Lied. Das Volkslied wurde vielfach wegen seiner strophischen Form und der eingängigen Melodik als idealtypische Liedform angesehen.
Durch Franz Schubert wurde das Lied zu einer komplexeren Kunstform, was um 1830 zu einer Spaltung in ernste und unterhaltende Liedformen führte. Daraus entwickelte sich die spätere Unterteilung in E- und U-Musik, die eine ihrer Ursachen im Bestreben der GEMA hatte, anspruchsvolle, aber nicht lukrative Kunst zu fördern. Die vieldiskutierte Aufteilung wird auch heute noch von der GEMA verwendet. Sie führt dazu, dass ein E-Musik-Komponist die achtfachen Tantiemen bzw. Royalties eines U-Musikkomponisten bei Veröffentlichung erhält.
Arten
Die überschaubar gegliederte Liedform hat historische Dimensionen und besitzt regionale und stilistische Vielfalt vom schlichten Volkslied bis zum begleiteten Kunstlied. Das Lied kann nach seinem Text, seiner Satztechnik, Besetzung und seinem ästhetischen Anspruch in verschiedene Liedgattungen unterteilt werden.
Der Liedtext behandelt unterschiedliche Alltagssituationen des Menschen, seine Umwelt, die Natur und andere Themen. Diese Bandbreite findet sich schon im Volkslied. Der satztechnische Aufbau stimmt in der Regel mit dem Strophenaufbau überein, damit beim Strophenende auch die Melodie oder Periode endet. Die Metrik deutscher Volkslieder ist meist auftaktig strukturiert, weil ihre Texte meist mit unbetonten Silben beginnen.
Ein Lied kann von einem Solisten, einem Ensemble, einem Chor, a cappella oder von Musikinstrumenten begleitet vorgetragen werden. Aber auch rein instrumental aufgeführte Bearbeitungen von Liedern werden gelegentlich als „Lied“ bezeichnet.
Als Normalbesetzung vieler Liedtypen kann die Verbindung von Sologesang und Instrumentalbegleitung gelten, die ebenfalls solistisch gehalten sein oder aber von einem kleinen Ensemble beigesteuert werden kann. In vielen Fällen kann auch ein und dieselbe Person beide Elemente übernehmen. Bei chorischer Besetzung spricht man vom Chorlied. Die Paarung von Klavier und Gesang sind typisch für das Kunstlied. Dabei handelt es sich um das „Vortragslied ausgebildeter Stimmen und Begleiter“, dessen Melodik häufig durch höhere Ansprüche, etwa Intervallsprünge ausgezeichnet ist.
Lieder können mündlich überliefert sein (wie Volkslieder, religiös-kultische, Kampf- oder Tanzlieder) oder als musikalisches Werk auf Komponisten zurückgehen. Sie bestehen aus mehreren gleich gebauten, meist gereimten Strophen oder einer auskomponierten variierenden Melodie für jede Strophe.
Liedarten
Lied – Chanson – Song
Das Wort Lied existiert auch als Fremdwort in einigen europäischen Nachbarländern, zumeist in der Bedeutung des Kunstliedes, und wird mit deutscher Kultur assoziiert (le lied in Frankreich, the lied in Großbritannien). Umgekehrt wurden fremdsprachliche Wörter für Lied (französisch chanson; englisch song, tune oder hymn; italienisch canzone) teilweise in die deutsche Sprache übernommen, insbesondere Chanson und Song zur Bezeichnung französischer bzw. englischer Werke.
Siehe auch
Liedform
Liederbuch
Gesangbuch
Great American Songbook
Song
Urheberrecht
In urheberrechtlicher Hinsicht sind Text und Musik jeweils eigenständige, gesondert verwertbare Werke.
Literatur
Hermann Danuser (Hrsg.): Musikalische Lyrik. 2 Bände. Band 1: Von der Antike bis zum 18. Jahrhundert, Band 2: Vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart – Außereuropäische Perspektiven. (= Handbuch der musikalischen Gattungen, Band 8,1 und 8,2) Laaber, Laaber 2004, ISBN 3-89007-131-7 / ISBN 3-89007-596-7.
Otto Holzapfel: Liedverzeichnis. Die ältere deutschsprachige populäre Liedüberlieferung. Band 1–2. Hildesheim 2006. ISBN 3487131013, ISBN 3487131021. Online-Fassung März 2023: Liedverzeichnis. Die ältere deutschsprachige populäre Liedüberlieferung. (17 PDF-Dateien, zusammen 159 MB).
Dieter Lohmeier (Hrsg.): Weltliches und Geistliches Lied des Barock. Rodopi, Amsterdam / Svenskt Visarkiv, Stockholm 1979 (Daphnis 8.1) ISBN 90-6203-651-1.
Günther Müller: Geschichte des deutschen Liedes. Vom Zeitalter des Barock bis zur Gegenwart. Drei-Masken-Verlag, München 1925, .
Karl Riha: Moritat, Bänkelsong, Protestballade. Kabarett-Lyrik und engagiertes Lied in Deutschland. 2. Auflage. Athenäum, Königstein im Taunus 1979, ISBN 3-7610-2100-3.
Alexander Sydor: Das Lied: Ursprung, Wesen und Wandel. Göttingen 1962.
Weblinks
Einzelnachweise
Musikalische Gattung
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Q7366
| 862.056904 |
489473
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https://de.wikipedia.org/wiki/Savanne
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Savanne
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Als Savanne (über spanisch sabana aus einer karibischen Sprache entlehnt) wird im Allgemeinen ein tropischer oder subtropischer Vegetationstyp bezeichnet, der aus einer geschlossenen Krautschicht und einer eher offenen Gehölzschicht mit mehr oder weniger Bäumen besteht. Nur auf Vertisolen und sehr flachgründigen Böden sind (azonale) Savannen baumfrei. Die Abgrenzung zu Trockenwäldern wird unterschiedlich gehandhabt.
Außerdem ist Savanne ein Sammelbegriff für die Vegetationszone zwischen dem tropischen Regenwald und der Wüste. Savanne beziehungsweise savana/sabana bedeutet „weite Ebene“. Die Savanne macht je nach Betrachtungsweise 13 bis 18 Prozent der gesamten Landoberfläche der Erde aus. Diese Zahlen liegen so weit auseinander, weil Grenzen in der Natur in aller Regel fließend sind und sich über viele hundert Kilometer erstrecken können. Daher sind künstliche Grenzziehungen erforderlich, um den Anteil zu berechnen. Diese Grenzziehungen hängen von der Ansicht des Betrachters ab und weichen deshalb von Autor zu Autor voneinander ab.
Der Begriff Savanne
Obwohl die Begriffe „Savanne“ und „Steppe“ zur Bezeichnung bestimmter Vegetationstypen eingeführt wurden, wurde die Bezeichnung ab den 1970er Jahren von Geographen mehr für bestimmte Klimazonen verwendet. Carl Troll hat zunächst vorgeschlagen, in den Tropen alle hygrophilen Pflanzengesellschaften als Savannen zu bezeichnen, ganz gleichgültig, was für eine Vegetation es ist. Da jedoch hygrophil und xerophil relative und schwer definierbare Begriffe sind, hat Eckehart Johannes Jäger dem Begriff der Savanne einen klimatischen Sinn gegeben, der nichts mehr mit der zonalen Vegetation zu tun hatte.
Ökologie
Die Savanne ist eine Landschaftszone der Tropen, die durch ihren offenen Bewuchs (Grasland) und vereinzelt stehende Bäume oder Baumgruppen charakterisiert ist. Sie treten im Übergangsbereich zwischen der ariden Passatwindzone und dem tropischen Regenwaldklima auf. Entsprechend liegt die Vegetationszone der Savannen zwischen den Vegetationszonen Wüste und tropischem Wald. Savannen sind aufgrund der sommerlichen Regenzeit sommergrüne trockenkahle Pflanzengesellschaften.
Wie Wissenschaftler der Universität Lund feststellten, haben die Savannen und Steppen der Erde neben den tropischen Regenwäldern eine große Bedeutung als Kohlenstoffsenken und damit für das globale Klima. Das durch die jährliche Photosyntheseleistung der Grasländer aus der Atmosphäre entnommene Kohlendioxid entspricht ungefähr einem Drittel der jährlichen anthropogenen Kohlendioxidemissionen. Zu einer Kohlenstoffsenke wird die Savanne natürlich nur, wenn es tatsächlich zu einer Nettoanreicherung von Kohlenstoff in der Biomasse oder im Boden der Savanne kommt. Dies wird vielerorts konterkariert durch die häufigen, überwiegend vom Menschen verursachten Feuer.
Faktoren der Entwicklungsdynamik
Der die Vegetation beherrschende Faktor ist hier der jahreszeitliche Wassermangel. Typische Werte liegen zwischen 500 und 1500 mm Jahresniederschlag (das heißt 500 bis 1500 Liter Wasser pro Quadratmeter und Jahr). Die Vegetation zeigt eine ausgesprochene Aktivitätsperiode im Sommer. Die Produktivität steigt mit der Länge der Regenzeit von 7 Tonnen pro Hektar und Jahr in wüstennahen Regionen auf bis zu 20 Tonnen pro Hektar und Jahr in den äquatornahen teil-immergrünen Wäldern.
Wichtige Baumarten der Savanne stellt die Gattung Acacia mit weltweit rund 900 Arten. Der trockenkahle Baobab hat zum Schutz gegen Wasserverlust einen weichholzigen, sehr dicken Stamm mit einem Umfang von teilweise mehr als 20 m. Solche Individuen sind dazu in der Lage, bis zu 100.000 Liter Wasser zu speichern. In einigen Gebieten findet man auch baumförmige Blattsukkulenten, zum Beispiel Aloe dichotoma. In feuchteren, geschlosseneren Wäldern wie den Miombowäldern Zentralafrikas findet man die wichtige Gehölzfamilie der Caesalpiniaceae. Dazu zählt beispielsweise der Mopanebaum (Colophospermum mopane).
Feuer sind wichtig im Ökosystem von Savannen. Sie führen zum Sterben von jungen Bäumen und begünstigen Gräser. Durch die Brände werden tote Pflanzenteile entfernt und Teile der Nährstoffe über die Asche dem Kreislauf zurückgegeben (Remineralisierung). Andere Nährstoffe (vor allem Stickstoff und Schwefel) werden jedoch mit dem Rauch aus dem Ökosystem entfernt. Außerdem überführt der Brand Kohlenstoff aus der Biomasse in Kohlendioxid und führt zu einer Verringerung des Streueintrags in den Boden. Ferner ist nach dem Brand die Sonneneinstrahlung auf den Boden verstärkt, was eine Temperaturerhöhung im Oberboden und damit eine erhöhte Mineralisierungsrate zur Folge hat. Beide Effekte zusammen (weniger Kohlenstoffinput, mehr Kohlenstoffoutput) bewirken eine Verringerung der Humusvorräte im Boden und eine Erhöhung der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre.
In der Savanne gibt es wie in allen anderen Klimazonen Tierarten, die sich der Vegetation dieses Lebensraumes angepasst haben, und andererseits Tierarten, die die angepassten Arten als Beute schlagen oder als Aas verzehren. Zu den großen Herbivoren (Pflanzenfressern) der Savannen zählen Gnu, Gazelle, Zebra, Elefant, Känguru und Giraffe. Die weitaus häufigsten pflanzenfressenden Tierarten, also vor allem Ameisen und Termiten, kommen aber aus der Klasse der Insekten. Die wichtigsten Carnivoren (Fleischfresser) sind Gepard, Löwe und auch Puma.
Das Konkurrenzgefüge zwischen Gräsern und Bäumen wird auch durch diese großen Pflanzenfresser beeinflusst: Elefanten brechen Äste an Bäumen ab, um an das Laub zu gelangen, schälen die Rinde und schlagen oder treten Bäume aus anderen Gründen um. Durch das Absterben der Baumschicht wird der Waldbestand aufgelichtet, was die Wachstumsbedingungen für Gräser verbessert, die von Büffeln, Zebras und Gazellen geweidet werden. Bei besonders intensiver Beweidung verbessern sich wiederum die Bedingungen für das Aufkommen von jungen Bäumen. Insbesondere die dornenbewehrten und somit verbissresistenten Akazien können sich dann ausbreiten. Mit dieser Dynamik gelten die Savannenlandschaften als Modell für die Megaherbivorenhypothese.
Das ökologische Gleichgewicht wird durch menschliche Aktivität schwer belastet. Hier sind insbesondere die Überweidung und die Zerstörung der Grasnarbe durch Tritte zu nennen, die der Erosion Vorschub leisten. Hinzu kommt die Brennholzgewinnung und die Schneitelung zur Tierfuttergewinnung. Diese Aktivität wird verstärkt durch den Bevölkerungszuwachs. Eine Abtragung des humosen Oberbodens wird forciert, Entwaldung setzt ein und Wüste breitet sich aus (Desertifikation).
Arten von Savannen
Es gibt drei verschiedene Arten von Savannen: Feucht-, Trocken- und Dornstrauchsavanne.
Die Feuchtsavannen sind am nächsten am Äquator angesiedelt, während die sehr trockenen Dornstrauchsavannen meist nahe den Wendekreisen und somit nahe von Wüsten angesiedelt sind.
Merkmale der Anpassung an die Trockenheit sind zum Beispiel Laubabwurf in der Trockenzeit, verminderter Baumwuchs und vermehrter Wuchs wasserspeichernder Pflanzen.
Lage und Verbreitung
Savannen sind insbesondere in Afrika stark verbreitet, besonders bekannt ist die Serengeti. Es gibt sie auch in Indien, Australien und im nördlichen Teil Südamerikas. In Afrika zieht sich ein Savannengürtel halbkreisförmig durch den Kontinent, beginnend in der Sudan- und Sahelzone Westafrikas über die ostafrikanischen Savannen bis zum südafrikanischen Veld.
Savannen sind als tropischer und subtropischer Vegetationstyp zu unterscheiden von den ariden Graslandschaften (Steppen) der gemäßigten Breiten, beispielsweise den Steppenlandschaften Osteuropas und Zentralasiens, den Prärien in Nordamerika und der subtropischen Pampa in Südamerika.
Literatur
Jonathan David Touboul, Ann Carla Staver und Simon Asher Levin (2018): On the complex dynamics of savanna landscapes. PNAS Februar 2018, 115 (7)
J. Schultz: Die Ökozonen der Erde. 5. Auflage. Ulmer, Stuttgart 2016. ISBN 978-3-8252-4628-0.
J. Schultz: Ökozonen. Ulmer, Stuttgart 2010. ISBN 978-3-8252-3424-9.
J. Pfadenhauer, F. Kötzli: Vegetation der Erde. Springer-Spektrum, Heidelberg 2014. ISBN 978-3-642-41949-2.
W. Zech, P. Schad, G. Hintermaier-Erhard: Böden der Welt. 2. Auflage. Springer-Spektrum, Heidelberg 2014. ISBN 978-3-642-36574-4.
Weblinks
Harald Kehl: Vegetationsökologie Tropischer & Subtropischer Klimate. TU Berlin, Institut für Ökologie
Fouad N. Ibrahim: Savannen-Ökosysteme. Geowissenschaften in unserer Zeit 2, 5 (1984), S. 145–159; .
Einzelnachweise
Landschaftstyp
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Q42320
| 3,157.586276 |
160034
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https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdossetien
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Südossetien
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Südossetien (; ; ) ist eine gebirgige Region unmittelbar südlich des Kamms des Großen Kaukasus. Das nach offiziellen Angaben 51.547 Einwohner zählende und rund 3885 km² große Gebiet ist völkerrechtlich Teil Georgiens, entzieht sich aber seit 1990 mit Hilfe russischer Truppen der Kontrolle der Zentralregierung in Tiflis.
Südossetien ist seither als Republik Südossetien de facto unabhängig. Seine Souveränität wird international lediglich von fünf Staaten anerkannt: Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru und Syrien. Zusammen mit den ebenfalls von Russland protegierten Regionen Arzach, Transnistrien und Abchasien, die alle zur früheren Sowjetunion gehörten, bildet Südossetien die Gemeinschaft nicht-anerkannter Staaten, die ihre Souveränitätsbestrebungen gegenseitig unterstützen. Georgien beansprucht Südossetien weiterhin als Bestandteil seines Staatsgebiets.
Geographie
Die Hauptstadt ist Zchinwali. Das Gebiet grenzt im Norden an die zu Russland gehörende Republik Nordossetien-Alanien und liegt überwiegend auf dem Gebiet der georgischen Region Innerkartlien (Schida Kartli). Es umfasst eine Fläche von 3885 Quadratkilometern.
Das auf der Südseite des Kaukasus-Hauptkamms gelegene, gebirgige Land liegt auf einer Höhe von 1000 bis fast 4000 Metern über dem Meeresspiegel. Der höchste Punkt ist der Chalaza (oder Chalaschoch) mit 3938 m, der im Nordwesten nahe der russischen Grenze liegt. Der Kaukasus-Kamm bildet die Nordgrenze. Im Westen wird Südossetien vom in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Lichi-Gebirge und dem Ratscha-Gebirge begrenzt.
Südossetien entwässert fast vollständig in den Kura, der dem Kaspischen Meer zufließt. Im Süden erreicht das Territorium fast den Georgien in West-Ost-Richtung durchfließenden Fluss, der aber nirgends durch Südossetien selbst verläuft. Der in den Kura mündende Große Liachwi ist der größte Fluss der Region. Im Osten des Landes fließt der Ksani. Der nordwestliche Landesteil hinter dem Kamm des Lichi-Gebirges und Ratscha-Gebirges entwässert über den Rioni in das Schwarze Meer. Zu dessen wichtigen Zuflüssen aus Südossetien gehören Dschedschora und Qwirila.
Bevölkerung
Ethnien
Südossetien ist eine äußerst dünn besiedelte Region. Bei der Volkszählung 1989 waren etwa zwei Drittel der Bevölkerung Südossetiens ethnische Osseten, 29 % waren Georgier, die restlichen knapp 5 % setzten sich aus anderen Minderheiten zusammen, insbesondere aus Russen und Armeniern. Die Gemeinde der südossetischen Juden (meistens georgische Juden, selten Aschkenasim) war bereits vor 1989 auf weniger als 700 Personen geschrumpft.
Seit Südossetien 1922 an die Georgische SSR angeschlossen worden war, hatten sich die Bevölkerungsverhältnisse leicht zugunsten der Georgier verändert, der Anteil der Osseten sank von über 70 % im Jahr 1922 auf 66,1 % im Jahr 1989. Zwischen 1918 und 1921 wurden tausende Osseten durch Truppen der Demokratischen Republik Georgien getötet oder vertrieben, weshalb der Anteil der Osseten vor 1918 noch einmal deutlich höher gewesen sein könnte.
95 % der Einwohner haben inzwischen zusätzlich die russische Staatsbürgerschaft angenommen und sind dadurch von der Visumsregelung Russlands ausgenommen, die etwa für georgische Staatsangehörige gilt. Im Zusammenhang mit dem Konflikt um Südossetien und dem damit verbundenen wirtschaftlichen Niedergang nahm die Einwohnerzahl nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion stetig ab. Die genaue Bevölkerungszahl ist heute nicht bekannt. Eine Schätzung aus dem Jahr 2010 vermutete nur noch etwa 30.000 Menschen in Südossetien, davon etwa 2.500 Georgier. Die südossetische Regierung gibt die Bevölkerungszahl dagegen mit etwa 72.000 an, die Nachrichtenagentur RIA Novosti schätzte die Einwohnerzahl auf etwa 80.000.
Die Mehrheit der Bevölkerung ist christlich-orthodox, es gibt jedoch auch einige muslimische Osseten.
Sprachen
Die offiziellen Sprachen Südossetiens sind Ossetisch und Russisch. Bei einem Referendum aus dem Jahr 2011 stimmten etwa 83,5 % der Bevölkerung dafür, Russisch neben Ossetisch zur zweiten Staatssprache zu machen. Russisch war bereits zuvor eine offizielle Sprache, wurde durch diesen Schritt aber dem Ossetischen rechtlich gleichgestellt. Dem Georgischen wird in einigen Regionen ebenfalls eine offizielle Stellung zugestanden. Die lokale Variante des Ossetischen ist das Ironische. Am verbreitetsten ist dabei der kudarische Dialekt, weiter auch die Dialekte Ksanisch und Urstualisch. Die ironischen Dialekte Südossetiens weisen – im Gegensatz zum Ironischen Nordossetiens – zahlreiche Entlehnungen aus dem Georgischen auf. Nahezu die gesamte Bevölkerung beherrscht darüber hinaus das Russische, das eine Sonderrolle im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft einnimmt. Die georgische Sprache ist hauptsächlich unter der georgischstämmigen Bevölkerung verbreitet und wird von Osseten meist nicht beherrscht.
Geschichte
Die iranischsprachigen Osseten, wohl direkte Nachfahren der Alanen, wanderten in der Antike aus Gebieten südlich des Don in den Kaukasus ein. Im Mittelalter hieß das heute unter anderem von Osseten besiedelte Gebiet südlich des Kaukasus-Hauptkamms Samatschablo und war im Besitz der georgischen Fürsten Matschabeli. Samatschablo gehörte zunächst zum Königreich Georgien, später zum georgischen Königreich Kachetien, dann zum Königreich Kartli-Kachetien. Im späten 18. Jahrhundert wurden die heutigen Südosseten aus dem Nordkaukasus vertrieben und wanderten nach Georgien aus. Im Laufe der Zeit wurden sie die Mehrheit in der Region. Nach der Annexion Kartlien-Kachetiens durch Russland wurde es 1801 Teil des russischen Gouvernements Tiflis (russisch: Tiflisskaja Gubernija). 1842 wurde die russische Verwaltungseinheit Okrug Ossetien (Kreis Ossetien) gegründet, in der damals etwa 60.000 Osseten lebten.
Georgisch-Südossetischer Konflikt 1918–1920
Nachdem das Russische Reich zerfallen war, entstand die Demokratische Republik Georgien und ihre Regierung beanspruchte Gebiete, die vor der russischen Annexion jahrhundertelang mehrheitlich von Georgiern bewohnt waren, darunter das heutige Südossetien. 1918 brachen durch Bolschewiki angestiftete Aufstände gegen die georgische Verwaltung aus. Die Selbstverwaltung der Region aus russischen Zeiten wurde daraufhin aufgehoben, weshalb es zu größeren Aufständen und schließlich zum sogenannten georgisch-südossetischen Konflikt von 1918–1920 kam. Bis 1920 kamen tausende Menschen, darunter etwa 5000 Osseten ums Leben. Die meisten von ihnen starben infolge von Hungersnot und Krankheiten. Anschließend ließen sich viele Georgier in verlassenen Orten der Region nieder. Südossetien wurde in Georgien eingegliedert. Das Ereignis wurde 2006 von der Regierung Abchasiens, einer weiteren umstrittenen Region in Georgien, als durch Georgier verübter Genozid deklariert. Die Behauptungen der separatistischen Regierungen und Russlands werden von Georgien als verzerrte und übertriebene Darstellung eines zudem durch Bolschewiki aufgewiegelten und angestifteten Konfliktes verworfen. Ihre Schwere wird von georgischer Seite jedoch anerkannt.
Zugehörigkeit zur Sowjetunion
Schon 1921 wurde die Demokratische Republik Georgien durch die Sowjetunion annektiert. Das Gebiet des heutigen Südossetiens wurde als Südossetisches Autonomes Gebiet am 20. April 1922 ein Teil der Georgischen SSR innerhalb der Sowjetunion. Im Autonomen Gebiet waren weitreichende kulturelle Sonderrechte für die ossetische Bevölkerung vorgesehen.
Insbesondere während der Zeit des Stalinismus kam es zu scharfen Repressionen gegen Osseten in Südossetien, so wurde dort etwa die Ossetische Sprache zwangsweise bis 1954 im georgischen Alphabet geschrieben, während in Nordossetien weiterhin das kyrillische Alphabet verwendet wurde. Im Zuge der Tauwetterperiode wurden viele Autonomierechte für Südossetien erneut wieder eingeführt.
Georgisch-südossetischer Krieg
Im August 1989 wurde in der Georgischen Sowjetrepublik ein „Programm für die georgische Sprache“ beschlossen, das nicht nur die Förderung der georgischen Sprache zum Ziel hatte, sondern auch die Umsiedlung ethnischer Georgier in von Minderheiten bewohnte Gebiete und die Aufstellung militärischer Einheiten, in die ausschließlich Georgier aufgenommen werden durften. Die ethnischen Minderheiten des Landes fühlten sich von dieser nationalistischen Politik bedroht und in Teilen Georgiens, darunter Südossetien und Abchasien, kam es zu ersten Unruhen.
Am 10. November 1989 beschloss der Oberste Sowjet des Autonomen Gebiets Südossetien die Gründung einer Südossetischen Autonomen Sowjetrepublik, was deutlich erweiterte Autonomierechte zur Folge gehabt hätte. Die Entscheidung wurde am 16. November vom Präsidium des Obersten Sowjets der Georgischen SSR für unwirksam erklärt. Es kam zum Georgisch-Südossetischen Krieg. Georgische Nationalisten belagerten Zchinwali. Truppen des sowjetischen Innenministeriums versuchten, die verfeindeten Seiten zu trennen.
Am 20. September 1990 erklärte sich Südossetien als Demokratische Sowjetrepublik für unabhängig. Georgische Milizen marschierten in das Gebiet ein. In Zchinwali wurden von Georgiern Häuser angezündet. Russland entsandte Truppen. Die Kämpfe forderten etwa 2000 Tote auf beiden Seiten. Etwa 100.000 Osseten flohen aus Georgien und Südossetien nach Russland, 20.000 Georgier flohen nach Georgien, zumeist nach Tiflis. Im Dezember 1990 wurde der Ausnahmezustand über Südossetien verhängt. Am 1. September 1991 benannte sich das Gebiet in Republik Südossetien um. Am 6. September 1991 brach Georgien unter Präsident Swiad Gamsachurdia die offiziellen Beziehungen zur Sowjetunion ab. Am 25. November 1991 hob der georgische Oberste Sowjet den Ausnahmezustand über Südossetien wieder auf und drei Tage später erklärte sich Südossetien erneut für unabhängig. Snaur Gassijew wurde vom südossetischen Obersten Sowjet zum Parlaments- und Ministerpräsidenten gewählt. Regierungschef wurde Oleg Tesejew. Südossetien umfasste 1991 rund 125.000 Einwohner, davon 66 Prozent Osseten und 29 Prozent Georgier. In einem Referendum über das Autonome Gebiet Südossetien sprachen sich am 19. Januar 1992 über 90 Prozent der Teilnehmer für die Unabhängigkeit von Georgien und den Anschluss an das zu Russland gehörende Nordossetien aus. Am 25. April 1992 wurden die ehemaligen Sondertruppen des sowjetischen Innenministeriums abgezogen, was zu heftigen Kämpfen zwischen südossetischen und georgischen Einheiten führte.
Einsatz einer Friedenstruppe 1992
Seit dem Zerfall der Sowjetunion zum 1. Januar 1992 und dem Abzug der sowjetischen Truppen eskalierte der Konflikt erneut. Am 24. Juni 1992 unterzeichneten der russische Präsident Boris Jelzin und Georgiens Präsident Eduard Schewardnadse in Dagomys ein Waffenstillstandsabkommen und die Aufstellung einer 1500 Soldaten umfassenden Friedenstruppe, die aus Russen, Osseten und Georgiern besteht. Sie wurde von einer Gemischten Kontrollkommission, in der Georgien, Russland, Süd- und Nordossetien vertreten sind, beaufsichtigt. Georgien zog daraufhin seine Truppen aus Südossetien ab. Im Unterschied zur ersten Anwesenheit sowjetischer Friedenstruppen in Südossetien von 1990 bis Januar 1992, als diese noch per Auftrag neutral, vor Ort aber teilweise widersprüchlich agierten, beobachteten diesmal georgische und internationale Experten, dass russische Kontingente der Friedenstruppe (ähnlich wie in Abchasien) zunehmend auf separatistisch-südossetischer Seite eingriffen. Umstritten ist, ob die Ursache in einer Teilungsstrategie russischer Militärstrategen oder eher in anarchischen Situationsentscheidungen einiger Befehlshaber vor Ort liegt.
Nach einer Verbesserung der georgisch-russischen Beziehungen unter dem georgischen Präsidenten Eduard Schewardnadse unterzeichneten am 15. Mai 1993 der russische Verteidigungsminister Gratschow und sein georgischer Amtskollege Karkaraschwili ein Abkommen über den vollständigen Abzug der russischen Truppen aus Georgien bis Ende 1995. Allerdings sicherten russische Truppen auf Bitten der georgischen Regierung unter Schewardnadse wichtige Bahn- und Hafenanlagen gegen Anhänger des ehemaligen Präsidenten Gamsachurdia in Westgeorgien und erhielten am 3. Februar 1994 die Erlaubnis, in Georgien drei Militärstützpunkten mit rund 20.000 Soldaten zu errichten, die nach dem auslaufenden Abkommen für 25 Jahre stationiert bleiben konnten.
Am 27. August 1996 unterzeichneten Georgiens Präsident Schewardnadse und der Parlamentspräsident und spätere Präsident Südossetiens Ludwig Tschibirow nach einem Treffen in Wladikawkas eine Erklärung, nach welcher von beiden Seiten eine Lösung des Konflikts gemäß den „Prinzipien der territorialen Integrität und des Rechtes der Völker auf Selbstbestimmung“ angestrebt werde.
Drei-Stufen-Plan Saakaschwilis 2004
Die Regierung in Tiflis beabsichtigte nach offiziellen Angaben, Südossetien nach dem Modell des Machtwechsels in Adscharien wieder in Georgien einzugliedern. Präsident Micheil Saakaschwili legte am 22. September 2004 vor der UN-Generalversammlung einen Drei-Stufen-Plan zur Beilegung der Konflikte in Südossetien und Abchasien und Rückführung der Gebiete unter georgische Herrschaft vor. Die Regierungen von Südossetien und Abchasien wiesen den georgischen Plan zurück.
Im Mai 2004 errichtete Georgiens Regierung zehn Kilometer von Zchinwali entfernt an der von Russland kommenden Transkaukasischen Fernstraße einen Polizeikontrollpunkt und verlegte Spezialeinheiten und Truppen des Innenministeriums an den Kontrollpunkt, um das Gebiet zu isolieren. Südossetiens Regierung reagierte mit der Verhaftung von 50 georgischen Soldaten, die später wieder freigelassen wurden. Immer wieder kam es zu Schusswechseln zwischen georgischen und südossetischen Verbänden.
Waffenstillstandsbrüche
Am 11. Juli 2004 verständigten sich Georgien und Südossetien auf einen Waffenstillstand, unterzeichneten vier Tage später in Moskau ein Protokoll, das eine Entmilitarisierung Südossetiens vorsah. Georgien sollte außer 500 Friedenssoldaten alle Einheiten abziehen, Südossetien abchasische und russische Truppen aus dem Land weisen. Am 5. November 2004 wurde die Entmilitarisierung vertraglich vereinbart.
Zu einem Ende der gewalttätigen Auseinandersetzungen kam es aber nicht. Am 20. September 2005 wurde die südossetische Hauptstadt Zchinwali von der georgischen Armee mit Mörsern beschossen. Georgiens Parlamentspräsidentin Nino Burdschanadse drohte gleichzeitig das im Juni 1992 geschlossene Waffenstillstandsabkommen von Dagomys zu kündigen. Sie machte dies von der Beendigung der Unterstützung der russischen Friedenstruppen in Südossetien nach dem 15. Juni 2006 abhängig. Die USA forderten von Russland, die südossetische Regierung nicht länger zu unterstützen. Andererseits verdeutlichten sie der georgischen Regierung zugleich, dass sie eine Gewalteskalation nicht mittragen würden.
Referendum im November 2006
Am 12. November 2006 wurden in Südossetien Präsidentschaftswahlen und ein Referendum über die Unabhängigkeit von Georgien durchgeführt. Nach Angaben der Zentralen Wahlkommission nahmen 52.000 Südosseten am Referendum teil. Als Ergebnis wurde eine 99-prozentige Zustimmung zur Unabhängigkeit und 96 Prozent Zustimmung für die Wiederwahl Präsident Kokoitys verkündet. Ethnischen Georgiern war die Teilnahme an der Wahl verwehrt worden.
Die EU, der Europarat, die OSZE, die USA und die NATO verurteilten das Referendum, weil es die Spannungen in der Region steigere, statt sie zu verringern. Lediglich Abchasien und die russischen Republiken Nordossetien-Alanien und Karatschai-Tscherkessien haben das Referendum vorbehaltlos unterstützt. Russland bezeichnete das Referendum als „Ausdruck freien Willens“, das „berücksichtigt“ werden müsse. Zwar betonten russische Politiker, Südossetien werde auch nach der Abstimmung nicht anerkannt oder aufgenommen, allerdings hieß es gleichzeitig, dass die russische Position diesbezüglich von der Entwicklung der Situation im Kosovo abhängen würde. Falls die Weltgemeinschaft irgendwann die volle Unabhängigkeit des Kosovos akzeptiere, müssten auch die gleichen Maßstäbe für die nach Unabhängigkeit strebenden georgischen Regionen angelegt werden. Die Vereinigten Staaten unterstützten dagegen „die territoriale Integrität Georgiens und die friedliche Beilegung des separatistischen Konflikts in Südossetien“.
Als Reaktion auf das Referendum wurden gleichzeitig in den von Georgien kontrollierten Teilen Südossetiens ein alternatives Referendum und Präsidentschaftswahlen abgehalten. Dabei ging es um die Frage, ob Südossetien mit Georgien in einer Föderation wiedervereint werden solle. Nach Angaben der dortigen Wahlkommission nahmen 42.000 Südosseten an den Wahlen teil. Über 94 % der dort lebenden Einwohner stimmten für eine Wiedervereinigung mit Georgien, ebenfalls über 94 % für den früheren südossetischen Premierminister Dmitri Sanakojew als Präsidenten.
Provisorische Verwaltung durch Georgien
Als Konsequenz aus dem alternativen Referendum wurde für die unter georgischer Kontrolle stehenden Teile Südossetiens eine Alternative Regierung von Südossetien gebildet, die zunächst keinen offiziellen Status hatte. Am 13. April 2007 beschloss das georgische Parlament die Einrichtung der Provisorischen Verwaltung von Südossetien mit Sitz in Kurta. Am 10. Mai 2007 wurde Dmitri Sanakojew zum Oberhaupt der Provisorischen Verwaltung von Südossetien ernannt.
Kaukasuskrieg 2008
Bereits im Mai 2008 hatte Georgien seine Streitkräfte in erhöhte Gefechtsbereitschaft versetzt, als Russland Eisenbahntruppen in die abtrünnige Region Abchasien schickte. Am 3. Juli 2008 wurde ein südossetischer Milizenführer bei Explosionen getötet, am gleichen Tag wurde ein Anschlag auf Dimitri Sanakojew, Chef der gegenüber Georgien loyalen „Gegenregierung“ in Südossetien verübt. Daraufhin kündigte die südossetische Regierung unter Juri Morosow die Generalmobilmachung an.
In der Nacht auf den 5. Juli verkündete Georgiens stellvertretender Verteidigungsminister Batu Kutelia, die georgischen Streitkräfte würden nach der Drohung Südossetiens von erhöhter Gefechtsbereitschaft in erhöhte Gefechtsbereitschaft mit Mobilisierung der Reserve und der Nationalgarde versetzt. Bis zum 7. August 2008 stationierte Georgien 12.000 Soldaten und 75 Panzer an der Grenze zu Südossetien. In Südossetien waren zu diesem Zeitpunkt etwa 1000 Mann russischer so genannter Friedenstruppen sowie etwa 500 südossetische Milizen stationiert.
Ab dem 3. August wurde Zchinwali evakuiert; anstatt einer Bevölkerung waren dort fortan Freiwillige, welche die „georgische Aggression“ abwehren wollten, anwesend. Die angeblich am 7. Juli von Georgien angegriffenen Dörfer Dmenis und Khetagurovo waren unberührt, aber das georgische Zuli nebenan stand tatsächlich in Flammen. Der georgische Präsident versuchte, durch einen einseitigen Waffenstillstand den offensichtlich beginnenden Krieg zu entschärfen. Je nach Quelle begann damals der Beschuss des später komplett zerstörten Tamarasheni, gelegen in einer georgischen Enklave an der Straße nach Zchinwali.
Am 8. August begannen georgische Truppen mit einem Vormarsch zur militärischen Besetzung Südossetiens. Georgien ordnete die Generalmobilmachung an und berichtete noch am selben Tag, bereits größere Teile Südossetiens unter seine Kontrolle gebracht zu haben. In Zchinwali kam es zu schweren Gefechten zwischen der georgischen Armee auf der einen sowie ossetischen Milizen und russischen Friedenstruppen auf der anderen Seite.
Russische Boden- und Luftlande- und Bodentruppen der russische Armee rückten mit schwerem Gerät in Südossetien ein und stoppten die georgische Offensive. Die georgischen Truppen zogen sich daraufhin wieder aus der teilweise besetzten Hauptstadt zurück und wurden wenig später vollständig aus Südossetien vertrieben.
Russlands Präsident Dmitri Medwedew drohte mit Vergeltung, nachdem russische Medien bereits am 8. August den Tod zahlreicher russischer Friedenstruppenangehöriger gemeldet hatten. Bald darauf bombardierte die russische Luftwaffe die militärischen Stellungen in den nahegelegenen georgischen Städten Poti und Gori, wobei jedoch auch zivile Ziele getroffen wurden. Auch ein Militärflugplatz und eine Flugzeugfabrik nahe der georgischen Hauptstadt Tiflis wurden zerstört. Ferner entsandte Russland Flotteneinheiten und weitere Truppen nach Abchasien, an dessen Grenze zum georgischen Kerngebiet ebenfalls Kämpfe ausbrachen. Trotz des andauernden russischen Aufmarsches rief Georgien eine einseitige Waffenruhe aus und zog seine Truppen bis zum 10. August vollständig aus Zchinwali zurück.
Im Gegenzug verkündete der russische Präsident, dass die Kampfhandlungen bald beendet sein würden. Dennoch rückten russische Truppen auch auf georgisches Territorium außerhalb von Südossetien und Abchasien vor und zerstörten dort weiteres militärisches Gerät. Am 12. August gab Medwedew den Abschluss der Militäraktionen in Georgien bekannt.
UNOSAT dokumentierte mit hochauflösenden Satellitenbildern ab dem 22. August 2008 die Situation um die südossetische Hauptstadt Zchinwali nach dem Waffenstillstand vom 10. August 2008. Human Rights Watch interpretierte auf den Bildern zu sehende brennende Gebäude in mehreren bislang von Georgiern bewohnten Dörfern als ethnische Säuberungen. Der Zerstörungsgrad zwischen Zchinwali und Kechwi lag damals bei fünf Ortschaften zwischen 40 % und 50 %. Der Internationale Gerichtshof in Den Haag ermahnte in einem Urteil vom 15. Oktober 2008 alle Seiten zur Mäßigung im Zusammenhang der ethnischen Vertreibungen.
Anerkennung der Unabhängigkeit
Am 26. August 2008 erklärte der russische Präsident Medwedew in einer Fernsehansprache, er erkenne – einem Beschluss des russischen Parlaments folgend – die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens an. Russland war somit der erste Mitgliedsstaat der Vereinten Nationen, der offiziell diplomatische Beziehungen mit den beiden Gebieten aufgenommen hat. Medwedew bezeichnete seine Entscheidung als direkte Folge des vorangegangenen militärischen Konflikts, der es Südosseten und Abchasen unmöglich gemacht habe, weiterhin gemeinsam mit den Georgiern in einem Staat zu leben. Zugleich rief er andere Staaten auf, diesem Beispiel zu folgen. Neben Russland hatten zuvor bereits die ebenfalls international nicht anerkannten Republiken Abchasien, Transnistrien und Arzach die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt. Am 29. August 2008 erklärten der südossetische Parlamentspräsident Snaur Gassijew und andere führende Politiker Südossetiens, es sei mit Moskau eine Aufnahme ihres Gebietes in die Russische Föderation vereinbart worden, die in einigen Jahren vollzogen werden solle. Russland verneinte die Existenz einer solchen Abmachung. Der südossetische Präsident Eduard Kokoity äußerte sich am 11. September 2008 widersprüchlich zu einer beabsichtigten Angliederung seines Landes an die Russische Föderation.
Als zweites Land nach Russland erkannte Nicaragua am 5. September 2008 durch ein Präsidentendekret die Unabhängigkeit Südossetiens und Abchasiens an, nachdem Staatspräsident Daniel Ortega die Anerkennung auf einer offiziellen Veranstaltung vor der Armeeführung seines Landes am 2. September angekündigt hatte. Ein Jahr später folgten Venezuela und Nauru. Tuvalu nahm vorerst 2011 diplomatische Beziehungen zu Südossetien auf, unterzeichnete jedoch am 31. März 2014 ein Abkommen mit Georgien, in dem es dessen territoriale Integrität anerkannte. Ende Mai 2018 erweiterte sich mit Syrien die Anzahl der anerkennenden Staaten auf mittlerweile fünf. Weitere internationale Anerkennungen von Abchasien und Südossetien blieben aus.
Seit 2010 wird das Land durch den Bau von Grenzzäunen zu Georgien durch die russischen Dienste zunehmend isoliert. Russland möchte Südossetien in die Eurasische Union aufnehmen. Dazu wäre es nötig, dass Belarus, Kasachstan und Armenien die Unabhängigkeit dieser Gebiete ebenfalls anerkennen, was sie in eine offene Konfrontation mit Georgien brächte. „Deshalb hat Moskau nun den Plan ausgeheckt, die beiden Gebiete stärker zu ‚integrieren‘“, sagte Dawit Ussupaschwili im Oktober 2014, für Georgien „ein weiterer Schritt hin zur definitiven Annexion“. 2014 bekundete das Parlament in Zchinwali seine Absicht, das südossetische Volk über den Beitritt der Russischen Föderation abstimmen zu lassen. Der Plan musste jedoch verschoben werden.
Am 18. Februar 2015 wurde ein Freundschaftsabkommen unterzeichnet und am 18. März 2015 ein Bündnis- und Integrationsabkommen, welches für 25 Jahre eine „kohärente Außenpolitik“ sowie den Schutz der Grenzen durch Russland vorsieht, da dies „wichtig sei für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes“. Das Bündnis- und Integrationsabkommen wurde am 19. Mai von der russischen Duma verabschiedet und am 24. Mai vom Föderationsrat gebilligt.
Beitrittspläne zu Russland
Im Juni 2017 erklärte Anatoli Bibilow, Präsident des De-facto-Staates, in einem Interview mit RIA Novosti, man arbeite weiterhin am Eingliederungsvorhaben mit russischen Offiziellen, und die längst anvisierte Volksabstimmung werde früher oder später stattfinden. Dies bekräftigte er erneut am 30. März 2022 während des Wahlkampfs zur Präsidentschaftswahl am 10. April 2022. Zugleich fand die russische Invasion der Ukraine statt, in der fünf Tage zuvor Leonid Passetschnik, der Separatistenführer in der international nicht anerkannten Volksrepublik Lugansk, ein Referendum über die Vereinigung mit Russland angekündigt hatte. Die erneute Ankündigung eines Referendums wurde von politischen Analysten als bloßes Wahlkampfmanöver eingeordnet. Von russischer Seite hieß es, dass es keine Aktivitäten in dieser Hinsicht gäbe. Nach seinem Wahlsieg sprach der Oppositionskandidat Alan Gaglojew davon, dass für ein Referendum noch nicht die richtige Zeit sei. Das begründete er vor allem damit, dass Russland in der Ukraine beschäftigt sei und keine Signale der Zustimmung zu einer Aufnahme Südossetiens gegeben habe. Am 13. Mai 2022 unterzeichnete der scheidende Präsident Bibilow dennoch auf Grundlage mehrerer vom südossetischen Parlament verabschiedeter Gesetze ein Dekret, nach dem ein Referendum über den Beitritt zu Russland am 17. Juli 2022 stattfinden soll. Kreml-Sprecher Peskow wies zurück, dass Moskau an einer Annexion arbeite. Die weitere Entwicklung in dieser Sache läge allein bei der Regierung und der Bevölkerung von Südossetien. Einige Tage darauf sprach Grigori Karasin, Vorsitzender des Ausschusses für internationale Angelegenheiten des Föderationsrates, mit dem Sondergesandten des georgischen Premierministers Surab Abaschidse über das Referendum und nahm es als „größte Sorge der georgischen Partner“ zur Kenntnis. Der stellvertretende russische Außenminister Andrej Rudenko sagte, eine mögliche Annexion müsse auf Grund mehrerer Faktoren entschieden werden, nicht nur des Referendums. Zugleich billigte die russische Duma die Erleichterung einer doppelten Staatsbürgerschaft für Bewohner Südossetiens. Das für den 17. Juli 2022 geplante Referendum wurde am 30. Mai 2022 von Präsident Gaglojew abgesagt. Das russische Außenministerium begrüßte diese Entscheidung und hob hervor, dass das Referendum von Russland nicht erwünscht wäre. Die russische Regierung sei erfreut über das Verlangen nach stärkerer Integration und man wolle weitere Gespräche dazu führen, aber die aktuelle weltpolitische Situation lasse dies nicht zu.
Politik
Verfassung und Regierungsstrukturen
Für Südossetien gibt es zwei konkurrierende Verwaltungs- und Regierungsstrukturen, die der Republik Südossetien sowie die der gegenüber Georgien loyalen Südossetischen Provisorischen Verwaltungsentität. Seit dem August 2008 kontrolliert jedoch die von Russland gestützte Republik Südossetien die gesamte Region und übt die Souveränität über das Land aus, zuvor waren kleinere Teile des Gebiets unter Kontrolle Georgiens.
Die Republik Südossetien hat eine eigene Verfassung, die Südossetische Verfassung, eigene Verwaltungsstrukturen und ein eigenes Militär. Die politische Einordnung Südossetiens schwankt zwischen semipräsidentieller Republik und präsidentieller Republik. Es gibt mehrere größere Parteien, darunter die nationalistische Nychaz, die rechtskonservative Partei „Einheit“, die Kommunistische Partei Südossetiens und die linksliberale Volkspartei Südossetiens. Letztere vier Parteien sind auch im 34 Sitze umfassenden Südossetischen Parlament vertreten.
Staatschef der Republik war von 1993 bis 2001 der Geschichtsprofessor Ludwig Tschibirow (bis 1996 Parlamentspräsident, danach Präsident). 2002 und 2006 wurde Eduard Kokoity zum Präsidenten gewählt. Von 2008 bis 2009 war der ehemalige Präsident der russischen Bundessteuerbehörde in Nordossetien, Aslanbek Bulazew, Ministerpräsident der Republik, nachdem Kokoity das gesamte Kabinett unter dem Vorgänger Juri Morosow bereits im August 2008 entlassen hatte. Die Präsidentschaftswahlen 2011 fanden am 13. November 2011 statt, die unabhängige Kandidatin Alla Dschiojewa konnte sich dabei überraschend durchsetzen. Nachdem die Wahlen durch das Oberste Gericht Südossetiens für ungültig erklärt wurden, gab es im April 2012 Neuwahlen. In diesen wurde in einer abschließenden Stichwahl der ebenfalls unabhängige Kandidat Leonid Tibilow zum neuen Präsidenten Südossetiens gewählt, Rostislaw Chugajew wurde Premierminister. Bei den Präsidentschaftswahlen am 9. April 2017 wurde Anatoli Bibilow, der von Russland bereits bei den Präsidentschaftswahlen 2011 als Präsident Südossetiens vorgesehen war, aber überraschend an Alla Dschiojewa scheiterte, als Nachfolger von Leonid Tibilow zum Präsidenten gewählt. Gleichzeitig mit den Präsidentschaftswahlen 2017 wurde über die Umbenennung von Südossetien in Alania (Alanien) abgestimmt; dieser Vorschlag wurde mit 80 % der Stimmen angenommen und trat sofort in Kraft. Leonid Tibilow hatte sich maßgeblich für die Namensänderung eingesetzt und diese als einen wichtigen Schritt für die „Wiedervereinigung mit Nordossetien innerhalb der Russischen Föderation“ bezeichnet. Für das ohnehin angespannte Verhältnis zwischen Russland und Georgien wurde die einseitige Volksabstimmung zu einer weiteren Belastung, da die Umbenennung aus georgischer Sicht erneut die Souveränität Georgiens verletze.
Verwaltungseinheiten
Die Republik Südossetien ist in vier Rajone (Bezirke) und eine Stadt geteilt:
Außenpolitik
Südossetien unterhält nach eigenen Angaben diplomatische Beziehungen mit Russland, Nicaragua, Venezuela, Nauru, Tuvalu sowie mit Abchasien und Transnistrien. Botschaften betreibt das Land in Russland und Abchasien, des Weiteren existiert eine diplomatische Vertretung in der abtrünnigen Moldauregion Transnistrien. Der Präsident Anatoli Bibilow der abtrünnigen Region entsandte im März 2022 südossetische Truppen zum russischen Krieg in der Ukraine; dort kam es zu einer Massenmeuterei von 300 südossetischen Soldaten und Bibilow wurde bei den folgenden Wahlen im Mai 2022 abgewählt.
Umfrage unter ethnischen Osseten
Unabhängige Studien der University of Colorado Boulder haben 2015 ergeben, dass eine Mehrheit von über 80 % der Bewohner Südossetiens einen Beitritt zur Russischen Föderation wünscht und die aktuelle Unabhängigkeit nur als Zwischenschritt dazu sieht. Weniger als 20 % wünschen sich eine dauerhafte Unabhängigkeit des Landes. Eine Wiedervereinigung mit Georgien unterstützten der Studie zufolge weniger als ein Prozent, es wurden jedoch ausschließlich ethnische Osseten befragt. Drei Viertel der Bevölkerung unterstützen einen dauerhaften Verbleib der russischen Truppen im Land.
Infrastruktur
Straßennetz
Das südossetische Straßennetz spiegelt die lange Zeit der engen Verbindungen mit Georgien wider. So sind in vielen Gebieten des Landes (so etwa im Ksanital) die Straßenverbindungen ins georgische Kernland besser als die in die Hauptstadt Zchinwali oder andere Teile Südossetiens. Einige Orte sind auf größeren Straßen ausschließlich über georgisches Kerngebiet zu erreichen (z. B. die Orte im Kwirilital im Westen Südossetiens). Erst seit Eröffnung des Roki-Tunnels im Jahre 1984 besteht eine direkte Verkehrsverbindung nach Russland. Als Transitland im Nord-Süd-Verkehr hatte und hat Südossetien, nicht zuletzt wegen der anhaltenden Konfliktsituation, geringe bis keine Bedeutung.
Eisenbahn
Südossetien verfügt über kein eigenes Eisenbahnnetz. In der Hauptstadt Zchinwali endet eine Bahnstrecke aus dem georgischen Gori, auf der seit Jahren kein Verkehr mehr stattfindet. Jedoch gibt es Pläne, Zchinwali an das Netz der Russischen Eisenbahnen anzubinden. Hierzu wäre eine 149 km lange, gänzlich neue Strecke von Zchinwali nach Wladikawkas in Nordossetien mit vier Tunneln zu bauen.
Gasversorgung
Nach dem Krieg im August 2008 wurde der Gastransport vom georgischen Kernland nach Südossetien eingestellt. Russland kritisierte das Vorgehen Georgiens mit dem Hinweis, dass Russland selbst während des Kriegs seine Gaslieferungen nach Georgien aufrechterhalten habe. Seitens des russischen Staatsunternehmens Gazprom wurden daraufhin Anstrengungen unternommen, eine neue Gasleitung vom russischen Wladikawkas in Nordossetien nach Südossetien zu bauen, um diese Region vom georgischen Kernland unabhängig mit Gas beliefern zu können. Die neue 162,3 Kilometer lange Leitung, deren Aufbau 15 Milliarden Rubel (476 Millionen US-Dollar) kostete, wurde 2009 geöffnet. Sie wird durch die Gazprom-Tochtergesellschaft Gazprom Transgaz Stavropol betrieben.
Wirtschaft
Südossetiens wichtigste Wirtschaftsfaktoren sind der Anbau von Getreide, Obst und Wein sowie der Gütertransport nach Russland. Währung ist der Russische Rubel. Die Ereignisse seit den 1990er-Jahren haben die Region wirtschaftlich stark geschwächt, so dass die Region bis heute eine hohe Arbeitslosenquote hat und das Produktionsniveau der lokalen Industrie weit unter dem Wert von 1989 liegt. In den letzten Jahren hat sich die wirtschaftliche Lage, auch durch russische Finanzhilfen, etwas verbessert. Laut der russischen oppositionellen Zeitung Nowaja gaseta sind „über 70 Prozent der Beschäftigten“ im öffentlichen Dienst der Republik tätig. Die übrigen „30 Prozent sind Taxifahrer und Kleinunternehmer, die mit Produkten aus Russland und Georgien handeln.“
Transithandel
Südossetien ist ein wichtiger Marktplatz für den Transithandel von Gütern von Georgien nach Russland geworden. Am Roki-Tunnel, der die Grenze zu Russland bildet, werden lediglich 3 % Zoll erhoben, während es sonst an der georgisch-russischen Grenze 25 % sind.
Finanzhilfen aus dem Ausland
Die Europäische Union finanzierte zwischen 1998 und 2008 verschiedene Projekte zum Wiederaufbau und zur Verbesserung der Infrastruktur in Südossetien. Nach dem Krieg 2008, der umfangreiche Zerstörungen mit sich brachte, begann Russland mit dem Transfer größerer Summen zum Zwecke des Wiederaufbaus. Von August 2008 bis Mai 2010 sind nach Angaben der russischen Regierung mehr als 26 Milliarden Rubel (etwa 700 Millionen Euro) russischer Finanzhilfe nach Südossetien geflossen.
Tourismus
Der Tourismus ist in Südossetien bislang nicht entwickelt, insbesondere gibt es kaum ausländische Gäste. Jedoch wurde ein staatliches Unternehmen zur Förderung des Tourismus in Südossetien eingerichtet, welches 15 Mitarbeiter hat und individuelle touristische Exkursionen anbietet. Gemäß der Aussage der Leiterin des staatlichen Unternehmens, Eleonora Bedojewa, zählt die Entwicklung der Tourismusindustrie zu den „strategischen Zielen der wirtschaftlichen Entwicklung“ der Republik.
Die Einreise nach Südossetien aus Georgien ist – jenseits des kleinen Grenzverkehrs – nicht möglich. Die Einreise nach Südossetien aus der Russischen Föderation ist zwar – ein russisches Mehrfachvisum vorausgesetzt – problemlos möglich, wird von Georgien jedoch als illegaler Grenzübertritt betrachtet und mit Buße oder Haft bis zu 5 Jahren geahndet. Zwar besteht für Südossetien de facto keine Visumpflicht und es existiert kein südossetischer Stempel beim Grenzübertritt, jedoch kann der Aufenthalt in Südossetien durch die Stempel der Grenzwache der Russischen Föderation bei der Ein- und Wiederausreise nachgewiesen werden.
Literatur
Nikola Cvetkovski: The Georgian-South-Ossetian Conflict. (link bei Internet Archive); Danish Association for Research on the Caucasus 2009.
Weblinks
Englischsprachige und russischsprachige Kurznachrichten von Kawkasski Usel aus Südossetien
Einzelnachweise
Region in Georgien
Nicht allgemein anerkannter Staat
Region im Kaukasus
Binnenstaat
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Q23427
| 1,465.263345 |
19534
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https://de.wikipedia.org/wiki/Heer
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Heer
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Das Heer eines Staates umfasst meist alle Landstreitkräfte als Teilstreitkraft. Aufgabe des Heeres ist primär die Durchführung von Landoperationen zur Aufklärung und Bekämpfung feindlicher Streitkräfte. Das Heer gliedert sich in Kampftruppen, Kampfunterstützungstruppen, Logistiktruppen und Führungstruppen.
Geschichte
Antike und Mittelalter
Bereits in den antiken Heeren kam es zu einer Unterteilung in Truppengattungen, insbesondere in leichte und schwere Infanterie sowie Kavallerie. In den griechischen und römischen Heeren war die Aufgabe der wehrfähigen Männer im Heer von ihren Besitzverhältnissen abhängig, da die Soldaten zunächst selbst für ihre Ausrüstung aufkommen mussten. Die schwer gepanzerten griechischen Hopliten, die in einer dichten Phalanx kämpften, rekrutierten sich aus der Oberschicht. Zu Zeiten der Römischen Republik ging der Staat dazu über, für die Ausrüstung des großen römischen Heeres aufzukommen. Als Folge davon entstand eine gewaltige Kriegsindustrie. Seit der Spätzeit der Republik bestand das stehende römische Heer aus Freiwilligen. Durch die Reform des römischen Heeres durch Gaius Marius (u. a. bedingt durch die Einfälle der Kimbern und Teutonen) wurde der Grundstein für das schlagkräftige römische Heer der Kaiserzeit gelegt, durch das erst die gigantische Expansion des Römischen Imperiums bewerkstelligt werden konnte. Die Truppenstärke zur Zeit der größten Ausdehnung des römischen Reiches wird auf ca. 400.000 (in der Spätantike wohl etwas stärker) geschätzt. In der Kaiserzeit wurde eine letzte große Reform des Heeres eingeleitet. Lange Zeit bestand jede Legion des Römischen Heeres stets aus den 3 Truppenteilen (Manipel) Triarii, Principes und Hastati. In der Spätantike kam es zur Trennung des Heeres in ein Bewegungs- (Comitatenses) und ein Grenzheer (Limitanei); die Legionen wurden zudem verkleinert, dafür aber deren Anzahl erhöht.
Nach dem Untergang des Weströmischen Reiches, der unter anderem durch die Völkerwanderung herbeigeführt wurde, gab es über Tausend Jahre lang keine stehenden Heere in Europa, außer im Oströmischen bzw. Byzantinischen Reich.
Die Heeresaufgebote des Mittelalters bestanden aus freien Bauern, aus Rittern und sonstigen Adeligen und deren Gefolgsleuten und aus städtischen Aufgeboten von Männern mit Bürgerrecht. Heere wurden im europäischen Mittelalter nur dann aufgeboten, wenn ein Kriegszug geplant war oder eine feindliche Invasion abgewehrt werden musste. Begründet wurde die Verpflichtung zum Heeresdienst durch die feudalen Abhängigkeiten.
Neuzeit
Im Spätmittelalter machten Söldner den größten Teil des Heeres aus, da sich die Fürsten und Könige auf diese Weise aus der Abhängigkeit von ihren Vasallen lösen wollten. Organisiert wurden sie von Condottieri, den ersten Kriegsunternehmern. Auf deutschem Gebiet entwickelte sich nach italienischen Vorbildern das Söldnertum in Form der Landsknechte. Die Söldnerheere waren eine Folge der immer wichtiger gewordenen Geldwirtschaft, welche die feudale Begründung zur Teilnahme an einem Kriegszug durch finanzielle Motive ersetzte. Da die Söldner oftmals undiszipliniert waren und sich nicht an einen bestimmten Staat gebunden fühlten, wurden sie schnell in großen Teilen Europas zur Landplage. Ausgebliebene Soldzahlungen konnten zu schweren Plünderungen und Ausschreitungen führen, zudem ließen sich viele Söldner abwerben, wenn man ihnen einen höheren Sold versprach.
Der Übergang zu disziplinierten, stehenden Heeren wurde zu Beginn der Frühen Neuzeit eingeleitet. Die Infanterie kämpfte seit dem 15. Jahrhundert in dichten Formationen, was eine hohe Disziplin erforderte. Um von den Söldneraufgeboten unabhängig zu sein, gingen die meisten europäischen Herrscher nach dem Dreißigjährigen Krieg, bei dem die Begriffe vom sengenden, raubenden und mordenden Heer geprägt wurden, im späten 17. Jahrhundert dazu über, stehende Heere aufzustellen. Die damit verbundenen Disziplinierungsmaßnahmen ermöglichten es, die Heere trotz immer größer werdender Feuerkraft in geschlossener Schlachtreihe vorgehen zu lassen. Erst im 19. Jahrhundert ging man aufgrund der rapiden Weiterentwicklung von Feuerwaffen dazu über, die Heere im Gefecht aufzulockern.
19. Jahrhundert
Nach Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht im Zuge der Französischen Revolution wurden während der Napoleonischen Kriege die bislang stärksten Heere der Geschichte aufgestellt. In dieser Phase wirkte sich das französische Beispiel zwar modernisierend auf andere europäische Staaten wie Preußen aus. Nach 1815 stagnierten die Heeresstärken und Rüstungen dann in einer längeren Friedensperiode wieder bzw. waren meist stark rückläufig. Erst ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, das ganz im Zeichen der Industrialisierung und Innovation stand, stellten viele Staaten, darunter fast alle Großmächte, Armeen mit Wehrpflichtsystem auf. Als Vorbild diente nun das preußisch-deutsche Heer, das im Krieg von 1870/71 international beeindruckt hatte – sogar für das ferne Japan. Als Richtwert für die Stärke einer Armee wurde seit jener Zeit ein Anteil von ca. 1 % der Gesamtbevölkerung üblich. Auch etablierten sich damals ständige Generalstäbe zur Führung der Armeen. Eine wachsende Bürokratie, moderne Nachrichtenmittel wie die Telegraphie, dann das Telefon, vor allem aber die Eisenbahn leisteten ihren Beitrag zu der Entwicklung. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelangen besonders bei der Konstruktion und Wirkung von Feuerwaffen sprunghafte Verbesserungen. Dafür stehen z. B. das Zündnadel- und Chassepotgewehr, die Einführung des rauchschwachen Pulvers, von Brisanzgranaten und ersten Maschinengewehren. In unmittelbarem Zusammenhang damit steht das Aufkommen von Uniformen in gedeckten bzw. Tarnfarben; die jahrhundertelang üblichen farbenprächtigen Militärtrachten wurden bald nur noch bei Militärparaden oder für andere traditionelle Zwecke wie etwa den Wachdienst von Gardetruppen in Monarchien verwendet. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts deklassierte der technologisch-militärische Fortschritt im Westen traditionelle Machtfaktoren wie das Osmanische Reich, China oder auch Spanien und Portugal nachhaltig. Am Ende des Jahrhunderts standen Europa und die USA im Zeichen des Imperialismus und Kolonialismus auf dem Höhepunkt ihrer Machtentfaltung; eventueller Widerstand in den abhängigen Gebieten konnte meist in kurzer Zeit unter Einsatz haushoch überlegener Mittel und brutaler Gewalt von Kolonialtruppen niedergeschlagen werden. Einzelne Mächte rekrutierten auch Verbände aus Einwohnern ihrer kolonialen Besitzungen zur Verstärkung der Armee im Mutterland.
20. Jahrhundert
Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts boten die Großmächte im Kriegsfall Millionenheere auf. Das deutsche Heer z. B. umfasste im Ersten Weltkrieg bis zu sieben Millionen Soldaten, insgesamt dienten 1914/18 über 13 Millionen Mann in den deutschen Streitkräften. Die bereits sehr bedeutende Industrie der Hauptmächte konnte enorme Mengen von Rüstungsgütern und Munition produzieren. Allgemein kennzeichnend für den Ersten Weltkrieg war eine weitgehend statische Kriegführung sowie die überragende Bedeutung der Artillerie. Neue Kampfmittel kamen auf, so etwa die Chemische Waffe. Erstmals waren Landstreitkräfte auch aus der Luft bedroht. Nach vielen Jahrhunderten Heeresgeschichte war die alte Truppengattung Kavallerie infolge der waffentechnischen Neuerungen praktisch obsolet geworden, von Nebenkriegsschauplätzen abgesehen. Andererseits bildeten sich in mehreren Ländern erste Ansätze einer neuen Truppengattung heraus – der Panzertruppe.
Eine Entwicklung hin zu einem totalen Krieg war zu beobachten. Es kam in kurzer Zeit zu nach Millionen zählenden Kriegsverlusten an Toten, Verwundeten und Verstümmelten – betroffen waren zu nahezu 100 % Heeressoldaten. Rund hundert Jahre nach den Napoleonischen Kriegen war der Erste Weltkrieg wieder ein Ereignis, das sich auf die Demographie einiger Länder verformend auswirkte, und zwar noch weit schärfer. Am schwersten gezeichnet war Frankreich, das mit ca. 1,3 Millionen Gefallenen mehr als 3 % seiner Bevölkerung verloren hatte.
Im Zweiten Weltkrieg intensivierte sich diese Entwicklung noch. Die Rote Armee wurde die personalstärkste militärische Organisation der Geschichte und zählte 1945 über 11 Millionen Angehörige. Eine inzwischen voll entwickelte Massenproduktion von Kriegsbedarf aller Art hatte die Millionenheere mit einer bislang unvorstellbaren Menge unterschiedlichsten Materials versorgen können. Auf diesem Gebiet sollten sich die USA, seit Jahrzehnten größte Wirtschaftsmacht der Welt, eine unerreichte Spitzenposition erobern. Sie rüsteten nicht nur die eigene Armee in kurzer Zeit aus, sondern stützten auch noch andere, von Nazideutschland und dessen Verbündeten schwer bedrängte Mächte, vor allem Großbritannien und die Sowjetunion. Die Verwendung von Kraftfahrzeugen und Panzern in den Heeren erreichte einen ersten Höhepunkt. Kampfunterstützungstruppen und Logistik umfassten in den am stärksten technisierten und fortgeschrittensten Armeen bald den größten Teil des Personalbestands.
Seit den 1930er Jahren hatte sich aus Anfängen in der Sowjetunion und in Deutschland die neue Truppengattung der Luftlandetruppen bzw. Fallschirmjäger entwickelt. Stärker ins Blickfeld rückte ab dieser Zeit auch die Marineinfanterie, funktionell ebenfalls Teil der Landstreitkräfte.
Vollends hatten sich nun die Luftstreitkräfte zu einem absolut unverzichtbaren und entscheidenden Kriegsmittel – der zweitwichtigsten Teilstreitkraft – entwickelt. Diesen technischen Neuerungen vor allem war zuzuschreiben, dass im Gegensatz zum Ersten Weltkrieg der Zweite Weltkrieg über weite Strecken als Bewegungskrieg geführt wurde.
War für die bisherige Geschichte eine meist sehr ausgeprägte Trennung der traditionellen Teilstreitkräfte an Land und zur See üblich – Heer und Marine führten bisweilen geradezu „eigene Kriege“ – leitete der Zweite Weltkrieg den Übergang zu einem System der „Gesamtstreitkräfte“ ein. Besonders ausschlaggebend hierfür waren innovative Führungs- und Organisationsmethoden, die im angloamerikanischen Bereich entwickelt wurden. Revolutioniert wurde die Amphibische Kriegführung bis hin zum Übergang zu einer triphibischen Kriegführung durch äußerst komplexe Operationen in engster Zusammenarbeit von Land-, Luft- und Seestreitkräften, beispielhaft stand dafür der gesamte Pazifikkrieg der USA und die Invasion 1944 in der Normandie.
Nach 1945
Nach einer kurzen Abrüstungs- und Demobilisierungsphase stellten in der Zeit des Kalten Krieges beide Kontrahenten – die NATO und der Ostblock (ab 1955 Warschauer Pakt) – seit ca. 1950 millionenstarke Landstreitkräfte auf. Als Katalysator der neuen, bis dato größten Aufrüstungswelle und des größten Rüstungswettlaufs aller Zeiten wirkte insbesondere der Koreakrieg.
Augenfällige Neuerungen der Zeit nach 1945 waren zunächst die Vollmotorisierung der meisten Heere, dann ein enormer Ausbau der gepanzerten Teile in allen Truppengattungen – auch zur Optimierung des Schutzes vor Massenvernichtungswaffen – und die ständig zunehmende Bedeutung der Raketenwaffen.
Einige Länder, darunter beide deutsche Staaten, führten aufgrund einer als bedrohlich empfundenen internationalen Lage wiederum die Wehrpflicht ein. Die Ära des Massenaufgebots von Infanterie, Artillerie, Panzern usw. nach dem Muster des Ersten und Zweiten Weltkrieges war aber spätestens seit Einführung der Atomwaffen unweigerlich an ihr Ende gekommen, eine Erkenntnis, die sich seit Anfang der 1950er Jahre durchsetzte. Kennzeichnend für die internationale Entwicklung war nicht länger der nunmehr dysfunktional gewordene personalintensive Heeresaufbau. Wegen der enormen Vernichtungskraft neuzeitlicher Waffensysteme verlor er seinen Zweck, zudem waren bereits durch die beiden bisherigen Weltkriege viele Länder nachhaltig demographisch geschädigt. Selbst ein theoretisch denkbarer, „nur konventionell“ und völkerrechtlich „sauber“ geführter Krieg ließ irreparable Folgewirkungen erwarten. Ein nie da gewesener Kapitalaufwand auf materiell-technischem Gebiet, bedingt und vorangetrieben durch einen ungeheuren Innovationsschub auf allen Gebieten nach 1945 – in der Sowjetunion wurde hierfür der Begriff „Revolution im Militärwesen“ geprägt – ließ die Bedeutung der konventionellen Heeresrüstung gegenüber den anderen Teilstreitkräften, besonders der Luftwaffe, teilweise auch Marine, namentlich aber der Atomstreitkräfte – sogar fühlbar absinken. Dennoch behaupteten die herkömmlichen Streitkräfte weiterhin den Löwenanteil der Rüstungsaufwendungen. Leitbild wurde die Verhinderung jedenfalls großer Kriege durch glaubhafte Abschreckung. Käme es zum Krieg, so die Idealvorstellung in beiden Blöcken, wäre er schnellstens siegreich oder wenigstens einigermaßen vorteilhaft zu beenden: ein Atomkrieg, stellte sich bald heraus, wäre auf jeden Fall besser zu vermeiden, schien er doch wegen seiner unvorstellbaren Begleitumstände nach vorherrschender Meinung allenfalls in der Theorie „führ-“ bzw. „gewinnbar“.
Abgesehen davon kam seit 1945 besonders in einer Reihe von konventionell geführten Kriegen im Rahmen der Dekolonisation bzw. in Stellvertreterkriegen eine achtstellige Zahl von Menschen ums Leben, zum größeren Teil Nichtkombattanten, wie es schon in Kolonialkriegen bis zum 20. Jahrhundert und stellenweise im Zweiten Weltkrieg der Fall gewesen war. Diese „Nebenkriegsschauplätze“ dienten den führenden Industriemächten gleichzeitig als Testfeld für die laufend verbesserten, neuen Waffensysteme der Land- und Luftstreitkräfte. Eine immer größere Rolle spielte die schnelle Luftbeweglichkeit von Truppen. Ab den 1950er Jahren trug die massenhafte Einführung von Hubschraubern ihren Teil dazu bei. Hierfür stehen beispielhaft der Algerienkrieg Frankreichs und der Vietnamkrieg der USA. Es verschwand die Konfrontation traditioneller Massenheere und Wehrpflichtarmeen in der Realität fast aus dem Blickfeld, andererseits nahm die Bedeutung der später sogenannten asymmetrischen Kriegführung, gestützt auch auf den Einsatz von Spezialtruppen, immer mehr zu. Besonders französische „Vordenker“ entwickelten Ideen über eine neuartige Kriegführung (z. B. gegen Befreiungsbewegungen oder Separatisten) im Grenzbereich zwischen Militär, Geheimdienst und politischer Propaganda. All dies im Zeichen einer immer riesiger werdenden Kluft zwischen den höchstgerüsteten Groß- und Supermächten und einer Vielzahl vergleichsweise schlecht bewaffneter militärischer „Habenichtse“ namentlich in der sogenannten Dritten Welt.
Als Ende der 1950er Jahre in breitem Maßstab taktische Atomwaffen eingeführt wurden, schätzte man die Bedeutung der Landstreitkräfte, z. B. im Rahmen von westlichen Flexible-Response-Vorstellungen, wieder höher ein. Im Allgemeinen erreichte der personelle Ausbau der Landstreitkräfte Ende der 1960er bis Mitte der 1970er Jahre einen Höchststand. Nach einer Entspannungsphase von ca. 1972 bis 1979 folgte bis Mitte der 1980er Jahre eine nochmalige Zuspitzung des Kalten Krieges. Anlass gab die Nuklearrüstung und der Ende der 1980er Jahre endgültig misslungene Krieg der Sowjetarmee in Afghanistan. Die Tendenz der sinkenden Bedeutung personalintensiver Rüstung und der immer größeren Schwerpunktsetzung auf technische Kriegsmittel wurde aber nicht mehr gebrochen, zumal sich die Dritte Industrielle Revolution in dieser Zeit allmählich voll auszuwirken begann. Allenfalls in der Sowjetarmee und dem Warschauer Pakt hielt sich bis zum Zerfall des Ostblocks am ehesten ein noch an den Zweiten Weltkrieg erinnerndes Kriegsbild: auf einer relativ breiten personellen und materiellen Basis – ob die im Westen ständig propagierte starke „konventionelle Überlegenheit“ des Ostens in den Jahrzehnten nach 1955 tatsächlich noch bestand, ist zumindest umstritten – sollten Vorstöße massiver Panzerverbände mit starker Artillerie weiträumige Offensiven ermöglichen und damit eine rasche Zerschlagung des Gegners sicherstellen, etwa nach dem Vorbild der Mandschurischen Operation vom August 1945 (in gewissem Sinn Höhe- und Endpunkt der „sowjetischen Kriegskunst“). Ein gewisser „Weltkrieg-II-Traditionalismus“ kam dabei auch in einer Überalterung der sowjetischen Armeeführung ab den 1970er Jahren zum Ausdruck. Der Westen stellte dem neben seiner im Grunde unumstrittenen technologischen Überlegenheit (z. B. im Bereich Panzer und Panzerabwehr, Elektronik usw.) ebenfalls offensive Konzeptionen entgegen, für die etwa der Begriff der Vorneverteidigung steht. In den 1980er Jahren galt konkret der US-Plan der AirLand Battle.
Als realer, jahrelanger Stellungskrieg zwischen Wehrpflicht-Heeren entsprach der Iran-Irak-Krieg von 1980 bis 1988 nochmals einem aus der Geschichte bekannten Muster. Nicht zuletzt durch sehr umfangreiche Kriegsmateriallieferungen diverser Hauptmächte in West und Ost befeuert, waren in dieser Auseinandersetzung am Ende bis zu 1 Million Tote zu beklagen. Weitere Kriege dieser Art innerhalb der „Dritten Welt“, etwa in Ostafrika nach dem Ende des Kalten Krieges, fanden kaum noch Beachtung.
Nach dem Ende des Kalten Krieges, das nach (strittiger) Ansicht evtl. dadurch herbeigeführt wurde, dass der Ostblock beim Wettrüsten nicht mehr mithalten konnte und kollabierte, kam es in den 1990er Jahren international zu einer starken personellen und auch materiellen Abrüstung der Heere. Was sich allerdings aufgrund der weiterlaufenden technischen Perfektionierung der Waffensysteme und aus anderen Gründen fiskalisch nicht bemerkbar machte. Rüstungsausgaben und -export nahmen weltweit auch nach dem Ende der Systemauseinandersetzung stark zu. Ob möglicherweise ein sogenannter Militärisch-Industrieller Komplex besteht, der, vielleicht seit längerem losgelöst von jeglicher Zweckrationalität- abgesehen vielleicht von Profitinteressen einzelner Gruppen – gleichsam als Perpetuum mobile funktioniert, ist umstritten.
Zur Zeit ihres unblutigen „Sieges“ über den Ostblock lieferte eine im Kern aus NATO-Staaten bestehende internationale Militärkoalition im Krieg gegen den Irak 1990/91 eine eindrucksvolle Machtdemonstration gegen einen zwar personell und materiell starken, aber dennoch unterklassigen Gegner ab. Präzisionsgelenkte Munition war ebenso charakteristisch wie eine enorme Propaganda-Offensive, konzertiert in enger Zusammenarbeit von Militär und Medien. Im Zuge einer weiter fortgeschrittenen Vernetzung aller Teilstreitkräfte spielten die Heeresoperationen fast eine Nebenrolle. Geschichtlich neuartig angesichts des Umfangs der beteiligten Kräfte waren besonders die Verluste. Die Siegerkoalition hatte einige hundert Tote zu beklagen (oft gar nicht durch Einwirkung des Gegners, sondern durch Friktionen im eigenen Operationsablauf verursacht). Der Verlierer dagegen erlitt Verluste in einer nicht bekannten mehrfachen Höhe von jedenfalls einigen zehntausend Toten. Beinahe nach demselben Muster liefen der Kosovokrieg 1999 und der Dritte Golfkrieg 2003 ab.
Mit der Änderung der Kriegführungsstrategien (z. B. in Deutschland mit den Verteidigungspolitischen Richtlinien in der Fassung von 2003) geht die Tendenz einher kleinere, hochpräsente und schnell verlegbare Heeresstrukturen zu schaffen damit weltweite Einsätze und abgestufte militärische Reaktion leichter möglich werden. Seit Ende des Kalten Krieges haben viele europäische Staaten die Wehrpflicht abgeschafft oder ausgesetzt (die Vereinigten Staaten hatten dies bereits nach Ende des Vietnamkrieges getan), was zu kleineren Heeren führte.
Liste von Heeresstreitkräften
Stehende Heere
Aktuell stehende Heere sind z. B.:
Armée de Terre, Frankreich
British Army, UK
Heer der Volksbefreiungsarmee, China
Deutsches Heer
Ejército de Tierra, Spanien
Esercito Italiano, Italien
Russisches Heer
Heer der Schweizer Armee
Österreichisches Bundesheer
United States Army, USA
Türk Silahlı Kuvvetleri, Türkei
Exército Português, Portugal
Historische Landstreitkräfte
Landwehr, eine Frühform des Milizsystems als Ergänzung zum stehenden Heer
kaiserlich-königliche Landwehr
königlich ungarische Landwehr
k.u.k. Armee der Habsburgermonarchie 1804–1918
Kaiserlich Russische Armee des Russischen Reichs bis 1917
Heer des Deutschen Kaiserreichs 1871–1918
Reichsheer („100.000-Mann-Heer“), Landstreitkräfte der Reichswehr des Deutschen Reichs 1919–1935
Heer der Wehrmacht des nationalsozialistischen Deutschen Reichs 1935–1945
Landstreitkräfte der NVA in der DDR 1956–1990
Kaiserlich Iranische Landstreitkräfte 1922–1979
Siehe auch
Liste der Streitkräfte
Sanitätsdienst Heer
Literatur
Gerhard Hubatschek: Das Heer im Einsatz. ISBN 3-932385-12-8.
Einzelnachweise
Weblinks
Homepage des deutschen Heeres
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Q37726
| 333.211394 |
1003947
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https://de.wikipedia.org/wiki/Juan-Fern%C3%A1ndez-Inseln
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Juan-Fernández-Inseln
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Die Juan-Fernández-Inseln (auch: Juan-Fernández-Archipel) sind eine zu Chile gehörende Inselgruppe im südlichen Pazifik. Die Inseln sind vulkanischen Ursprungs und liegen zwischen 601 km (Isla Robinson Crusoe) und 747 km (Isla Alejandro Selkirk) westlich des chilenischen Festlandes, etwa auf der geographischen Breite der chilenischen Hafenstadt Valparaíso.
Der administrativ zur chilenischen V. Region (Región de Valparaíso) gehörende Archipel besteht aus den drei folgenden Hauptinseln:
Robinson Crusoe (früher Isla Más a Tierra), 47,9 km² groß, als einzige Insel der Gruppe bewohnt. Hauptsiedlung ist San Juan Bautista mit etwa 800 Einwohnern.
Alejandro Selkirk (früher Isla Más Afuera), 49,5 km² groß, liegt 160 Kilometer westlich der Isla Robinson Crusoe.
Santa Clara, 2,2 km² groß, liegt wenige Kilometer südwestlich der Insel Robinson Crusoe.
Geschichte
Am 22. November 1574 entdeckte der spanische Seefahrer Juan Fernández die Inselgruppe. Die zunächst gefundene Insel nannte er Más a Tierra (näher zum Festland). Die Isla Más Afuera (weiter draußen) entdeckte er 160 km weiter westlich. Ein erster Besiedlungsversuch im Jahr 1591 mit 60 Indios, denen Ziegen und Hühner mitgegeben wurden, scheiterte. Immer wieder wurden die Inseln für einige Jahre bewohnt, doch erst seit 1877 sind sie dauerhaft besiedelt.
Im 17. und 18. Jahrhundert wurden die Inseln von englischen Piraten genutzt, um spanische Schiffe und Handelsrouten anzugreifen. So nutzte 1680 der englische Pirat John Watling die Inseln als Zwischenstation, um die Stadt Arica (damals im Vizekönigreich Peru) anzugreifen.
Von 1704 bis 1709 lebte der schottische Seemann Alexander Selkirk allein auf der Isla Más a Tierra, nachdem er sich mit seinem Kapitän William Dampier zerstritten hatte und sich an Land absetzen ließ. Der Schriftsteller Daniel Defoe benutzte Selkirks Geschichte als Basis für seinen Roman Robinson Crusoe. Das Eiland wurde 1970 in Isla Robinson Crusoe umbenannt, während die Insel Isla Más Afuera irreführend Isla Alejandro Selkirk genannt wird.
1741 landeten die Tryall und das Flaggschiff Centurion des britischen Kapitän zur See George Anson auf Más a Tierra, nach einem Monat zwei weitere, die Gloucester und die Anna. Die Anna wurde aufgegeben, weil ihr Rumpf verrottet war. Seine Flotte umfasste noch 335 Menschen und die Besatzungen der restlichen Schiffe konnte sich mit frischem Proviant versorgen. Die Quatro-Ausgabe des Berichts über die Reise von Richard Walter über Ansons Reise enthält eine Illustration von Más a Tierra nach einer Zeichnung von Piercy Brett, einem Leutnant auf Ansons Flaggschiff Centurion, und zeigt die Zelte der Seeleute in einer Waldlichtung.
Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die Inseln zum Exilgefängnis für Freiheitskämpfer im Unabhängigkeitskampf gegen die Spanier. Sie überlebten mehrere Jahre in Höhlen oberhalb der Bahia Cumberland. Unter den Verbannten befanden sich die späteren chilenischen Präsidenten Manuel Blanco Encalada und Agustín Eyzaguirre.
Seit 1818 gehört die Inselgruppe zu Chile. 1823 besuchte der englische Lord Thomas Cochrane die Inseln. Cochrane war von 1817 bis 1825 Admiral der chilenischen Flotte.
1877 begann Chile mit der Besiedlung der Inselgruppe. Der Berner Patrizier Alfred von Rodt (1843–1905), der in jungen Jahren im österreichischen Heer gegen Preußen gekämpft hatte und verwundet worden war, pachtete die Insel und ließ sich dort nieder. Er begann mit ihrer Erschließung und Besiedlung und war Mitbegründer der heutigen Siedlung San Juan Bautista. Er starb am 4. Juli 1905 und wurde auf der Insel begraben.
Im Ersten Weltkrieg stellte sich der deutsche Kreuzer SMS Dresden am 14. März 1915 nach abenteuerlicher Irrfahrt und Verfolgung durch die britischen Kreuzer Kent, Glasgow und Orama in der Cumberlandbucht der Insel Más a Tierra unter chilenische Hoheit. Dennoch eröffneten die Briten das Feuer, und die Dresden geriet in Brand. Schließlich befahl der Kommandant der Dresden die Sprengung seines Schiffes, nachdem sich der größte Teil der Besatzung samt Bordhund und Papagei auf die Robinson-Crusoe-Insel retten konnte. Die Stelle in der Cumberlandbucht ist heute mit zwei gelben Bojen markiert und von der chilenischen Regierung zum Nationaldenkmal erklärt worden. Unter den deutschen Internierten war auch der junge Leutnant Wilhelm Canaris, der später unter Adolf Hitler zum Abwehrchef ernannt wurde.
1998 kam der amerikanische Industrielle Bernard Keiser auf die Insel mit dem Ziel, einen Schatz, der 1761 von Cornelius Patrick Webb dort versteckt worden sein soll, auszugraben. Ausgestattet mit alten Seekarten und einem Etat von mehreren Millionen Dollar, grub er etliche Tunnel – allerdings bisher erfolglos. Gerüchteweise soll sich auch das Vermögen der zur Zeit des Ersten Weltkrieges in Mexiko lebenden Deutschen an Bord der Dresden befinden. Der Kreuzer hatte Mexiko 1914 angelaufen, bevor seine Odyssee begann.
Heute leben etwa 900 Menschen auf dem Archipel, die meisten vom Tourismus und dem Langustenfischen.
Durch das Erdbeben vom 27. Februar 2010 in Mittelchile wurde ein Tsunami ausgelöst, der fast alle Gebäude der Inselgruppe zerstörte und mehrere Menschenleben forderte.
Natur und Ökologie
Die Juan-Fernández-Inseln haben, wie etwa auch die Galápagos-Inseln, einen hohen Anteil an endemischen Pflanzen- und Tierarten.
Über 100 weltweit einzigartige Pflanzenarten finden sich hier. Botaniker entdeckten in neuerer Zeit über 100 Exemplare einer verschwunden geglaubten Orchideenart. Riesenfarne in Baumhöhe wachsen an den Berghängen. Mit der Ankunft der ersten Menschen im 16. Jahrhundert hat sich das Ökosystem der Inseln stark verändert. Zum einen brachten die Menschen neue Arten, die zum Teil invasiv waren, zum anderen wurde durch Fällen von Bäumen, vor allem von Sandelholz, die Vegetation stark verändert. Als Konsequenz ist mittlerweile ein Teil der Isla Robinson Crusoe durch starke Erosion wüstenähnlich geworden und viele endemische Arten sind vom Aussterben bedroht.
Diese Prozesse werden weiter bestehen, unter anderem aufgrund der massenhaften Vermehrung von 1935 eingeführten europäischen Kaninchen und den sogenannten Juan-Fernández-Ziegen. Landschaftlich bietet sich nun ein scharfer Kontrast zwischen der wüstenartig kargen Küstenlinie und der sattgrünen Berglandschaft mit einem undurchdringlichen Bewuchs aus Bäumen, Farnen und Gräsern.
1935 wurde die Inselgruppe zum Nationalpark des Archipiélago Juan Fernández erklärt. Die Inseln stehen heute als Biosphärenreservat auch unter dem Schutz der UNESCO.
Klima
Das Klima ist feucht und ozeanisch. Im Jahres- und Tagesrhythmus wird es weder besonders heiß noch besonders kalt. Die jährliche Durchschnittstemperatur beträgt 15 °C, wobei diese im Sommer bei 18,7 °C und im Winter bei 7,3 °C liegt.
Besonderheiten
Mit 916 Metern (Robinson Crusoe) bzw. 1329 Metern (Alejandro Selkirk) sind die Inseln hoch genug, um den Luftstrom in großen Höhen zu stören. Das führt zu auffälligen Karman-Wirbeln, die vom Weltraum aus gesehen werden können.
Literatur
Hugo Weber: Signalmaat Weber. Zehn Jahre auf der Robinsoninsel. Ensslin & Laiblin, Reutlingen um 1940.
Weblinks
Einzelnachweise
Inselgruppe (Chile)
Inselgruppe (Südamerika)
Inselgruppe (Pazifischer Ozean)
Biosphärenreservat in Amerika
Welterbekandidat in Chile
Welterbekandidat in Amerika
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Q156325
| 88.267472 |
8512
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tschad
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Tschad
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Die Republik Tschad [] (, []) ist ein Binnenstaat in Zentralafrika. Sie grenzt im Norden an Libyen, im Osten an den Sudan, im Süden an die Zentralafrikanische Republik und im Westen an Niger, Nigeria und Kamerun. Das Land, dessen Norden Teil der Wüste Sahara ist, ist relativ dünn besiedelt. Neben der größten Stadt des Landes, der Hauptstadt N’Djamena, sind Moundou, Abéché und Sarh größere Städte des Landes.
Der weit überwiegende Teil der Bewohner arbeitet in der Landwirtschaft. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt trotz der Öleinnahmen des Landes unterhalb der Armutsgrenze. Seit mehr als 20 Jahren ist der Index der menschlichen Entwicklung des Landes einer der niedrigsten der Welt.
Die ehemalige französische Kolonie ist eine präsidentielle Republik. Staats- und Regierungschef Präsident Idriss Déby war seit 1990 bis zu seinem Tod 2021 an der Macht. Nach mehreren politischen Indizes ist der Staat autoritär regiert, unfrei und eines der korruptesten Länder der Welt. Der Fund for Peace sieht aufgrund seines Fragile States Index „großen Alarm“ für die Stabilität des Landes.
Landesname
Der Landesname „Tschad“ kann im Deutschen sowohl im sächlichen grammatischen Geschlecht („das heutige Tschad“, „in, nach Tschad“) als auch im männlichen Genus („der Tschad, im Tschad“) gebraucht werden. Laut Duden kann für den Staat Tschad wahlweise ein Artikel verwendet werden oder nicht. Der Gebrauch des Staatsnamens im männlichen Geschlecht überwiegt im allgemeinen Sprachgebrauch. Die Staatsangehörigen werden im Deutschen Tschader bzw. Tschaderin genannt.
Geographie
Der Tschad schließt den östlichen Teil des Tschadbeckens mit dem größten Teil des Tschadsees ein. Das Becken (inkl. des Sees) nimmt 90 % der Landesfläche ein. Über das Tschadbecken erheben sich im Osten das Hochland von Ennedi (1450 m) und das Wadai-Massiv (1320 m), im Norden erhebt sich das vulkanische Gebirge des Tibesti (3415 m Emi Koussi, höchster Punkt in der Sahara) und das Plateau Erdi-Ma. Im nördlichen Zentrum des Landes liegt der niedrigste Punkt des Landes, die Bodélé-Depression.
Klima
Der Tschad erstreckt sich von den trockenen Wüsten der Sahara im Norden über die Klima- und Vegetationszonen des Sahels und des Sudans (Dornstrauch- und Trockensavannen, an den Flüssen auch Überschwemmungssavannen und Galeriewälder) bis zum Bereich der Trockenwälder im äußersten Süden (wegen der landwirtschaftlichen Nutzbarkeit zur Kolonialzeit Tchad utile genannt).
Das Land steht generell unter dem Einfluss des Westafrikanischen Monsuns im Sommer und des Passatwindes Harmattan in den Wintermonaten. Im Süden des Landes herrscht dadurch ein nahezu tropisches, wechselfeuchtes Klima mit bis über 1100 mm Niederschlag, während im Norden Wüstenklima mit großen täglichen Temperaturunterschieden und extrem seltenen Niederschlägen mit 20 bis 40 mm Niederschlag im Jahr vorherrscht.
Hydrologie
Das Land ist hydrologisch vom Tschadbecken dominiert. Abgesehen von kleineren Bereichen im Norden und Nordosten sowie einem kleinen Stück im äußersten Südwesten, fließt aller Niederschlag des Landes dem Tschadsee im Südwesten des Landes zu. Da die nördliche Hälfte Wüstenklima hat, befinden sich alle regelmäßig wasserführenden Gewässerläufe im Süden des Landes. Sie sind im Wesentlichen von der Hydrologie der Zentralafrikanischen Republik und den größten Flüssen des Landes, dem Schari und dem Logone beeinflusst. Deren Einzugsgebiete erstrecken sich im Süden des Landes bis zur Nordäquatorialschwelle und lassen ausgedehnte Feuchtgebiete innerhalb der Savannenlandschaft entstehen.
Im Norden des Landes befinden sich ansonsten nur einige Wadis. Es sind noch Flüsse am Rande des Benue Einzugsgebietes im äußersten Südwesten und Wechselwirkungen mit der Hydrologie Nordkameruns zu verzeichnen. Dort befindet sich der ehemalige Abfluss des heute endorheischen Tschadsees; in früheren Zeiten waren etwa 1/3 des Tschad von dem See geflutet (Mega-Tschad) und alle Wasserläufe des Landes entwässerten über den Benue in den Niger.
Flora und Fauna
Die Flora und Fauna des Tschads gilt allgemein als wenig erforscht und schlecht dokumentiert. Der Tschad untergliedert sich in drei bioklimatische und fünf biogeographische Zonen. Die bioklimatischen Zonen sind die Sahara, die Sahel- und die Sudansavannen. Die biogeographischen Zonen bilden die Gebirgsregion des Tibesti, die Dünen- und Steinwüsten der südlichen Sahara, die Savannen rund um den Tschadsee und seiner Zuflüsse, die Trockensavannen des Sahel und die Feuchtsavannen des Sudans. Aus dieser Mischung aus den verschiedenen bioklimatischen und biogeographischen Regionen entwickelte sich eine der artenreichsten Flora und Fauna innerhalb der Großregionen des Sahel und Sudans. Wälder zum Beispiel bedeckten 2011 eine Fläche von 11.921.000 Hektar, dies entsprach ca. neun Prozent der Landesfläche; der Waldschwund ist allerdings infolge unkontrollierter bzw. illegaler Abholzung beträchtlich. Das Volumen der Stand- und Fließgewässer des Tschads wird auf über 500 Milliarden Kubikmeter geschätzt, das Volumen des Tschadsees betrug 1992 ca. 18 Milliarden Kubikmeter.
Bis 2007 konnten im Tschad bis 4318 Pflanzenarten und 722 Tierarten dokumentiert werden. Davon sind 71 Pflanzen-, 4 Säugetier-, 1 Reptilien-, 1 Vogel- und 16 Fischarten endemisch und nur aus dem Tschad bekannt. Drei im Tschad vorkommende Schildkrötenarten stehen auf der Liste der vom Aussterben bedrohten Tierarten, dieses sind die Spornschildkröte (Centrochelys sulcata), die Weichschildkröten Cyclanorbis senegalensis und Cyclanorbis elegans. 16 Tier- und Pflanzenarten werden von der IUCN als bedrohte Arten eingestuft. Informationen über Pilze, Insekten, Flechten, Bakterien und Algen sind nicht oder nur sehr begrenzt verfügbar. Über die Algenflora sind lediglich intensive Studien über den Tschadsee bekannt. In ihm wurden über 1000 Algenarten dokumentiert, darunter über 100 Phytoplanktonarten. Diese bilden die Nahrungsgrundlage für eine reichhaltige Fischfauna, die 136 Arten umfasst. So kommen im Tschad unter anderen der Nilbarsch (Lates niloticus), Raubwelse (Clarias sp.), Afrikanische Knochenzüngler (Heterotis niloticus), Tilapien (Tilapia spp.), Oreochromis niloticus und der Kugelfisch Tetraodon lineatus vor. Außerdem werden in den Gewässern des Tschad jährlich ca. 120.000 Tonnen Fisch gefangen. Von der Avifauna sind 532 Vogelarten dokumentiert. Diese Anzahl umfasst 354 Brutvogel- und 155 Zugvogelarten, von letzteren sind 117 paläarktischen Ursprungs. Die Feuchtgebiete des Tschadsees und entlang der Flüsse Logone, Bahr Aouk und Salamat gehören zu den weltweit bedeutenden Rast- und Überwinterungsquartieren für die Zugvögel der nördlichen Erdhalbkugel. Die Säugetierfauna des Tschads ist sehr reichhaltig und es kommen nahezu alle touristischen Flaggschiff-Tierarten vor. So unter anderen Löwen (Panthera leo), Geparde (Acinonyx jubatus), Giraffen (Giraffa camelopardalis). Die Population des Afrikanischen Elefanten (Loxodonta africana) im Tschad wird auf ca. 3000 Exemplare geschätzt. Aber auch relativ unbekannte Säugetiere wie die Riesen-Elenantilope (Taurotragus derbianus) oder das Afrikanische Manati (Trichechus senegalensis) haben im Tschad ihre Heimat. Die westafrikanische Unterart des Spitzmaulnashorns (Diceros bicornis longipes), die einst im Tschad vorkam, gilt heute als ausgestorben. Von den Reptilien sind 52 Arten dokumentiert, darunter befinden sich Steppenwarane (Varanus exanthematicus), Vertreter der Eigentlichen Pythons (Python) und der Nilwaran (Varanus niloticus). Zudem befinden sich im Ennedi-Massiv isolierte Vorkommen des Westafrikanischen Krokodils (Crocodylus suchus). Es handelt sich um Relikte einer einst geschlossenen Verbreitung dieser Art in der Sahara.
Einer 2020 veröffentlichen Untersuchung zufolge kommen im Tschad 80 Schlangenarten vor.
Den größten Teil des Tschads nehmen die hyperariden Gebiete der zentralen und südlichen Sahara ein. Diese Gebiete nehmen mehr als 50 % der Landesfläche ein und sind gering besiedelt. Größere Siedlungen finden sich in dieser Region nur in Gebieten mit oberflächennahen oder bis an die Erdoberfläche ragenden Grundwasserleitern, den Oasen. Die Bezeichnungen der Landschaft entsprechen dem Landschaftsbild, so werden Sanddünengebiete als Erg, Fels- und Steinwüsten als Hammada bezeichnet. Regen fällt in dieser Region nur in ein bis zwei Monaten im Jahr. Die Niederschlagsmenge variiert dabei von 25 bis 100 mm pro Jahr. Es kommen in dieser Region weniger als 400 Pflanzenarten vor, jedoch ist die Fauna weit artenreicher als in früheren Jahrzehnten angenommen. Südlich der 100 mm Isohyte-Linie verändert sich die Vegetation in der südlichen Sahara für wenige Monate im Jahr. Es handelt sich dabei um eine Übergangszone von der Sahara in die Ökoregion des Sahel, vom WWF wird diese Übergangszone als die Südsahara-Steppe bezeichnet. Sie findet sich im Tschad im südlichen Erg Kanem, in den Regionen der Ouadi Achim-Rimé, Fada Archei und dem Gebirgsplateau Wadai. Sie dehnt sich von der 100 zur 200 mm Isohyte-Linie aus und ist im Durchschnitt lediglich 100–300 km breit. Bedingt durch die sommerlichen Niederschläge kann sich eine Steppe entwickeln, deren dominante Gräser der Gattungen Eragrostis, Aristida und Stipagrostis angehören. Durchsetzt ist diese Grassteppe von den Kräuter und Sträuchern der Gattungen Tribulus, Heliotropium und Pulicharia. Bäume finden sich in dieser Ökoregion trotzdem nur an den Wadis und den Gebieten mit oberflächennahen Grundwasserleitern, wie den Moilo-Seen im Erg Kanem und der Guelta d’Archei.
Eine biogeographische Insellage in der Sahara nimmt das Gebirge des Tibesti ein. Die Flora und Fauna des Gebirges wird allgemein als Relikt aus dem feuchteren Zeitalter des Nigéro-Tschadien angesehen, wobei speziell die Flora angepasst ist an die Höhenlage und das Gefälle in diesem Gebirge. Die Landschaftsbezeichnungen im Tibesti entstammen dem Arabischen, den Tedaga- und Dazaga-Sprachen. So werden Wadis als Enneri und Berggipfel als Emi bezeichnet. Begünstigt durch die höheren Niederschläge, von 100 bis zu 600 mm pro Jahr, können sich in dieser Ökoregion 568 Pflanzenarten entwickeln, unter anderen Vertreter aus den Gattungen der Schönmalven, Hibiscus, Rhynchosia und Tephrosia. Eine besondere ökonomische Bedeutung haben die Echte Dattelpalme (Phoenix dactylifera) und die Doumpalmen (Hyphaene). Der Endemismus ist jedoch gering, lediglich der Endemit Ficus teloukat, ein Vertreter der Feigen, ist bekannt. Er wächst an den trockenen südlichen Berghängen. Die Säugetierfauna aller drei Ökoregionen ähneln aufgrund der Aridität einander, so kommen im Tibesti der Mähnenspringer (Ammotragus lervia) und in den beiden anderen die Dorkasgazellen (Gazella dorcas), Damagazellen (Nanger dama), Kaphasen (Lepus capensis), mehrere Arten der Rennmäuse (Gerbillinae) vor. Für die Säbelantilope (Oryx dammah) war das Gebiet um die Ouadi Achim-Rimé das letzte Rückzugsgebiet, sie gilt inzwischen in freier Wildbahn als ausgestorben.
Die Sahelsavannen erstrecken sich generell von der 200 bis zur 600 mm Isohyete-Linie. Es handelt sich bei dieser Savannenform um Trocken- und Dornstrauchsavannen die mit Bäumen, hauptsächlich aus der Gattung der Akazien (Acacia), durchsetzt sind. Aus diesem Grund wird sie vom WWF als Sahel Akazien Savanne bezeichnet. Die Region um den Tschadsee und den firki-Ebenen bilden eigne Biome in der Region des Sahel im Tschad. Im Durchschnitt fallen 250 mm bis 500 mm Regen im Jahr. In den Sahelsavannen bilden die Gräser Cenchrus biflorus, Schoenefeldia gracilis und Aristida stipoides einen Großteil der pflanzlichen Biomasse, während die meistverbreiteten Baumarten die Acacia tortilis, Acacia laeta, Commiphora africana, Balanites aegyptiaca und die Boscia senegalensis sind. Der Endemismus ist im Sahel generell gering entwickelt.
Naturschutzgebiete
Im Tschad liegt eines der größten Naturschutzgebiete des Kontinents, das 77.950 km² große Naturschutzgebiet Ouadi Rimé–Ouadi Achim. Weitere Schutzzonen der Flora und Fauna sind das Naturschutzgebiet Fada Archei, das Wildtierreservat Binder-Léré, Sena-Oura-Nationalpark, Nationalpark Manda und der rund 3000 km² große, im Südosten gelegene Nationalpark Zakouma. Der Tschad ist Unterzeichner der Ramsar-Konvention, im Zuge der Zusammenarbeit mit der Organisation, der Tschadseebecken-Kommission und dem WWF wurde bis 2008 eine Fläche von 12.405.068 Hektar zu Schutzzonen in Feuchtgebieten von internationaler Bedeutung erklärt. Dieses sind die Schutzareale des Fitri-Sees, Plaine de Massenya, Partie tschadienne du lac Tchad, Plaines d’inondation des Bahr Aouk et Salamat, Plaines d’inondation du Logone et les dépressions Toupouri und das Wildtierreservat Binder-Léré.
Verwaltungsgliederung
Seit 2012 ist der Tschad in 23 Regionen eingeteilt, die seit 2018 als Provinzen bezeichnet werden.
Städte
Bei der Volkszählung 2009 wohnten von 11.039.873 Menschen 2.404.145 (21,8 %) in städtischen Siedlungen und 8.635.728 auf dem Land. 2016 lebten 22,6 % der Bevölkerung in Städten oder städtischen Räumen.
Bevölkerung
Die Bevölkerungszahl des Tschad hat sich seit Ende der Kolonialisierung 1910–1912 etwa verzehnfacht. Unter französischer Herrschaft betrug sie 1930 973.600. 1961 lebten in der zu dieser Zeit Fort-Lamy genannten Hauptstadt 94.000 Menschen, im Lande 2,675 Mio. Menschen, die 4,5 Mio. Schafe und 4 Mio. Rinder hielten. Die Volkszählung 2009 ergab eine Einwohnerzahl von 11,04 Millionen Menschen. Von den gezählten Personen lebten noch etwa 370.000 Menschen nomadisch. Darunter rund 120.000 in der Provinz Barh El Gazel und in weiteren sechs Provinzen jeweils zwischen 20.000 und 33.000 Personen. Unter den erfassten Personen waren ca. 275.000 Ausländer, die Mehrzahl Flüchtlinge aus den Nachbarländern Sudan (ca. 215.000), Zentralafrikanische Republik (ca. 35.000) und Nigeria (ca. 6.000). Nur rund 3.800 Menschen stammten nicht aus Afrika. Bis 2023 stieg die Einwohnerzahl des Tschad auf mehr als 18,5 Millionen Einwohner an. Die Fertilitätsrate liegt bei 5,75 Kinder pro Frau und ist seit einem Höchststand 1996 von 7,43 kontinuierlich gesunken. Für das Jahr 2050 wird laut der mittleren Bevölkerungsprognose der UN mit einer Bevölkerung von knapp 34 Millionen gerechnet.
Gesundheit
Das Gesundheitswesen im Tschad ist aufgrund der instabilen politischen Lage der letzten Jahrzehnte nur unzureichend entwickelt und die Versorgung der Bevölkerung ist insbesondere in den ländlichen Regionen (besonders in der Provinz Kanem im Westen) sehr schlecht. Mit Unterstützung des Europäischen Entwicklungsfonds konnte die Lage in den letzten Jahren etwas verbessert werden. 2015 war ein Drittel der Bevölkerung unterernährt. Auf jeweils etwa 50.000 Menschen kommt ein Arzt. Insbesondere die medizinische Unterversorgung ist ein Grund dafür, dass vor allem Malaria, aber auch Meningitis-, Cholera- und Masern-Epidemien jährlich tausende Todesopfer fordern. Hilfe leisten hier zu Beginn der 2000er Jahre insbesondere die Ärzte ohne Grenzen. Die Lebenserwartung im Tschad betrug bei Geburt 2019 54,2 Jahre und war damit eine der niedrigsten der Welt.
Vor allem die Mütter- und Kindersterblichkeit ist im afrikanischen Vergleich sehr hoch. Da viele Mädchen schon kurz nach der Geschlechtsreife verheiratet werden, gibt es zahlreiche frühe Schwangerschaften, die in diesem Alter häufig zu Geburtsverletzungen und Fisteln führen. Die Säuglingssterblichkeit lag 2019 bei 7,2 %, die Kindersterblichkeit bei 11,9 %.
Die Krankenhäuser und Krankenstationen im Land sind oft nur mit dem Nötigsten ausgestattet und weisen gravierende hygienische Mängel auf. Lediglich 30 % der Bevölkerung hat Zugang zu den primären Gesundheitseinrichtungen, wie die Daten der WHO dokumentieren.
Von vielen Tschadern werden nach wie vor sowohl aus Kostengründen als auch aus Überzeugung traditionelle Heilmethoden bevorzugt. Inzwischen gibt es auch Kooperationen zwischen Vertretern schulmedizinischer und traditioneller Heilmethoden.
Volksgruppen
Die Bevölkerung des Tschad setzt sich aus fast 200 verschiedenen Ethnien zusammen, von denen die meisten auch eigene Sprachen oder Dialekte sprechen. Nach Zahlen von 2009 bilden die im Süden lebenden Sara, die traditionell Feldbau auf Rodungsinseln sowie Fischerei betreiben, mit ca. 2,8 Mio. Angehörigen (26,1 %) die größte Volksgruppe. Auf sie folgten mit ca. 1,4 Mio. Angehörigen die (Tschad-)Araber. Weitere bedeutende Volksgruppen mit mehr als 500.000 Angehörigen sind die Kanembou/Bornu/Buduma (ca. 900.000), Wadai/Maba/Massalit/Mimi (ca. 765.000), Gorane (ca. 740.000) und Massa/Musseje/Musgum (ca. 515.000). Im Süden und Südwesten leben zudem Bagirmi-Sprecher (ca. 140.000), im Grenzgebiet zu Nigeria auch Hausa. Im dünn besiedelten Norden lebten vor allem Nomaden und Halbnomaden wie die Tubu. Im Westen auch Kanembu und die Kanuri im Nordwesten.
Etwa 9 % der Gesamtbevölkerung sind Sudanaraber, die zumeist von Handel und Viehhaltung leben. Arabisierte Gruppen stellen allerdings insgesamt 38 % der Bevölkerung.
Die verschiedenen Völker des Landes lassen sich in zwei große Gruppen unterordnen: Die arabisierten und islamisierten Völker im Norden und die christlich-animistischen Gruppen im Süden. Wie in vielen anderen Ländern entlang der Sudanzone gibt es einen ausgeprägten Gegensatz zwischen Nord und Süd. Im Laufe der Geschichte hat sich das politische Schwergewicht verlagert. Vor der Kolonisierung des Gebiets hatten fast ein Jahrtausend lang muslimische Nomaden und Halbnomaden aus dem Norden die Dominanz über den Süden, aus dem hauptsächlich Nachschub für den Sklavenhandel geholt wurde. In der Kolonialzeit kehrte sich das Kräfteverhältnis um: Die Eroberung des Landes durch Frankreich begann im Süden und Südwesten, wodurch die sesshaft lebenden Sara als erste europäische Bildung erhielten. Dadurch entwickelte sich dort eine – teilweise christliche – Elite, der dann auch der erste Präsident N'Garta Tombalbaye entstammte. Im islamischen Norden empfand man es als Affront, dass nun schwarzafrikanische Verwaltungsbeamte wichtige regionale Posten übernahmen. Es genügten daher wenige Zwischenfälle, welche Unruhen auslösten, die zu Bürgerkriegen im Tschad führten.
Im Jahre 2017 waren 3,3 % der Bevölkerung im Ausland geboren. Der größte Teil davon waren Flüchtlinge aus Darfur im Sudan und der Zentralafrikanischen Republik.
Sprachen
Gesprochen werden über 120 Sprachen und Dialekte. Die wichtigsten Sprachen sind die beiden Amtssprachen Arabisch (Tschadisch-Arabisch und Sudanarabisch), das von mindestens 26 % der Gesamtbevölkerung als Mutter- oder Zweitsprache gesprochen wird, und Französisch, das nur von einer gebildeten Minderheit gesprochen wird – sowie Sara.
Etwa 62 % der Bevölkerung sprechen Sudansprachen (darunter 20 % Sara sowie 5 % Bagirmi und Kraish zusammen), etwa 14 % tschadische Sprachen (unter anderem Kotoko), 6,5 % Saharanische Sprachen (Dazaga, Tedaga, Zaghawa) und 1,6 % das M'óum. Weitere Sprachen sind Maba (Wadai), Wabumba, Mbum, Matuszi und andere. In den Städten liegt Arabisch als Erstsprache klar vor Sara (31,9 % zu 23,5 %), auf dem Land hat Sara die Oberhand (23,9 % zu 18,8 %). Insgesamt beherrschen (2009) 69,0 % der Stadtbevölkerung und 41,8 % der Landbevölkerung Tschad-Arabisch. Zweitwichtigste Sprache ist Sara, das von 30,4 % der Stadtbevölkerung und 26,5 % der Landbevölkerung gesprochen wird.
Religion
Bei der Volkszählung 2009 waren ca. 6,4 Mio. Personen oder 58,4 % der Gesamtbevölkerung Muslime, hauptsächlich die der sunnitischen Richtung malikitischer Schule. Nur noch ca. 440.000 Menschen oder 4,0 % der Bevölkerung hängen traditionellen afrikanischen Lokalreligionen an. Die Mehrzahl der einheimischen Volksgruppen im Süden des Landes sind Christen, nämlich ca. 3,8 Mio. Menschen oder 34,6 % der Gesamtbevölkerung. Darunter waren ca. 2 Mio. oder 18,5 % Katholiken und ca. 1,8 Mio. oder 16,1 % Protestanten. Die Muslime leben meist im Norden und im Zentrum des Landes, die Christen und Anhänger traditioneller Religionen leben hauptsächlich im Süden des Tschad. Wahrscheinlich ist die Anzahl der Anhänger der Lokalreligionen höher als in der Volkszählung angegeben. Denn auffälligerweise ist der Anteil der Konfessionslosen genau in jenen Provinzen hoch (Mandoul, Mayo Kebbi Est, Mayo
Kebbi Ouest, Moyen-Chari und Tandjilé), in denen überdurchschnittlich viele Angehörige der Lokalreligionen zuhause sind. Zwischen den Volkszählungen 1993 und 2009 sind die Muslime und Protestanten anteilig gewachsen. Dagegen sank der Anteil der Katholiken, der Anhänger der Lokalreligionen und der Konfessionslosen.
Bildungswesen
Das hohe Bevölkerungswachstum mit jährlich 2,5 Prozent bildet eine Hemmschwelle für die Durchsetzung der allgemeinen Schulpflicht: Die Schulpflicht besteht nur noch formal, vor allem auf dem Land wird sie kaum eingehalten. Dementsprechend beträgt die Alphabetisierungsrate 2019 nur 22,3 %. Auf dem Land liegt die Analphabetenquote gar bei über 80 %, aber auch in den Städten können mehr als die Hälfte der Personen im Alter von über 15 Jahren weder lesen noch schreiben. Frauen sind häufiger betroffen als Männer. So liegt die Alphabetisierungsquote von Frauen auf dem Lande bei nicht einmal 10 %. Die Alphabetisierung erfolgt zumeist in lateinischen Schrift und französischer Sprache. Nur etwa ein Achtel der Bevölkerung kann arabisch lesen und schreiben. Nur eine Minderheit kann beide Sprachen und Schriften sprechen, lesen und schreiben.
Die mittlere Schulbesuchsdauer über 25-jähriger betrug im Jahr 2019 2,5 Jahre, wobei ein großer Unterschied zwischen den Geschlechtern zu erkennen ist, da Frauen nur 1,3 Jahre Schulbesuchsdauer aufweisen, während es bei Männern 3,8 Jahre sind. Der Tschad gehört damit zu den Ländern mit der kürzesten Schulbesuchsdauer weltweit. Die Bildungserwartung der aktuellen Generation liegt bei 7,3 Jahren.
Traditionell haben christliche Schulen vor allem im Süden eine wichtige Funktion. Das staatliche Schulwesen leidet heute noch unter den Auswirkungen der jahrzehntelangen Kriegswirren. Zunehmend sind in letzter Zeit islamische Koranschulen und Madrasas, die mit ausländischer Hilfe vor allem aus Nahost im Tschad errichtet werden.
In N’Djamena gibt es eine 1971 gegründete Universität, die Universität N’Djamena.
Geschichte
Eine partielle Besiedlung des heutigen Tschad fand bereits in prähistorischer Zeit statt. Ab dem zweiten vorchristlichen Jahrhundert setzte hier die Eisenzeit ein.
Zentralafrikanische Monarchien
Später entstanden größere islamische Reiche am Tschadsee, im Süden zudem der Staat Baguirmi, die Logone-Stadtstaaten und das Sultanat Wadai. Besonders trat das Reich Kanem-Bornu hervor, das fast das gesamte Gebiet des heutigen Tschad umfasste und eine Konföderation der beiden Staaten Kanem und Bornu darstellte, die auch in das Gebiet der heutigen Staaten Nigeria und Niger hineinreichten.
Erste genauere Kenntnisse der Region für Europäer übermittelten die Forschungsreisenden des 19. Jahrhunderts: Friedrich Konrad Hornemann (1800), Dixon Denham (1823), Johann Heinrich Barth, Adolf Overweg (1850), Eduard Vogel und Gustav Nachtigal (1855).
Französische Kolonialzeit
Vor allem Frankreich begann mit der Penetration der einzelnen Königreiche und Sultanate. Man versuchte zunächst durch Protektoratsverträge mit den jeweiligen Monarchen eine lose französische Oberherrschaft über diese Staaten zu erreichen. Spätestens ab dem Ende des 19. Jahrhunderts jedoch begann man mit der gewaltsamen militärischen Besatzung und schließlich mit der Kolonialisierung des Wadai.
1900 errichtete Frankreich nach dem Sieg über den afro-arabischen Usurpator Rabih ibn Fadlallah in der Schlacht bei Kusseri das Militärterritorium der Länder und Protektorate des Tschad. 1908 ging dieses im Verwaltungsgebiet Französisch-Äquatorialafrika mit der Kolonie Tschad auf. 1911 wurde die Kolonie durch das deutsch-französische Marokko-Kongo-Abkommen (4. November 1911) um das Zwischenstromgebiet zwischen Schari und Ba-Ili mit dem Posten Bongor erweitert. Zwischen den Weltkriegen erhielt die Kolonie Tschad dann ihre heutigen Grenzen.
1934 wurde die Grenzziehung im Norden zur Kolonie Italienisch-Libyen von Italien nicht ratifiziert. Dies ist die Grundlage des späteren Libysch-Tschadischen Grenzkrieges um den Aouzou-Streifen.
Am 25. April 1946 wurde von der Konstituierenden Nationalversammlung Frankreichs die Loi Lamine Guèye verabschiedet, nach der ab dem 1. Juni 1946 alle Bewohner der überseeischen Gebiete einschließlich Algeriens denselben Bürgerstatus wie Franzosen in Frankreich oder den überseeischen Gebieten hatten, die Frauen und Männer also auch wählen durften. Das passive Wahlrecht war zwar nicht ausdrücklich im Gesetz genannt worden, aber auch nicht ausgeschlossen. Bei den Wahlen zur Französischen Nationalversammlung sowie für alle örtlichen Wahlen in ganz Afrika außer Senegal galt bis 1956 ein Zweiklassenwahlrecht. Unter französischer Verwaltung wurde durch die loi-cadre Defferre, die am 23. Juni 1956 eingeführt wurde, das allgemeine Wahlrecht und damit auch das Frauenwahlrecht eingeführt. Dieses wurde bei der Unabhängigkeit 1960 bestätigt.
1958 erhielt der Tschad seine erste Verfassung. Die Territoriale Versammlung billigte den autonomen Status des Landes als Mitglied der Communauté française. Am 11. August 1960 erhielt das Land seine Unabhängigkeit. François Tombalbaye aus dem Süden wurde erster Präsident.
Die Republik Tschad
Seit 1962 war der Tschad ein Einparteienstaat mit der Parti Progressiste Tchadien (PPT) als Einheitspartei.
1966 wurde die muslimische FROLINAT – Front national de libération du Tchad („Nationale Befreiungsfront des Tschad“) gegen die christlich-sudistische Dominanz gegründet und es begann ein Bürgerkrieg, der bis in das Jahr 1994 hinein andauerte. 1969 intervenierte Frankreich auf Seiten Tombalbayes. Libyen, Algerien und Sudan dagegen unterstützten die FROLINAT. 1973 besetzte Libyen den Aouzou-Streifen.
1975 stürzte General Félix Malloum Tombalbaye und wurde Präsident, Premierminister wurde Hissène Habré. 1976 kam es zum Bruch zwischen Muammar al-Gaddafi und Habré. Goukouni Weddeye kämpfte mit Gaddafi gegen die Zentralregierung.
1979 kam es zum Seitenwechsel Habrés zu Weddeye. N’Djamena wurde erobert und das Gouvernement d’Union Nationale de Transition (GUNT) unter Weddeye kam an die Regierung. 1980 kam es wiederum zum Bruch zwischen Habré und Weddeye („Zweite Schlacht um N’Djamena“). Daraufhin griff Libyen auf Bitten Weddeyes ein, Weddeye und Gaddafi kündigten 1981 die Vereinigung des Tschad mit Libyen an. Gaddafi zog seine Truppen auf französischen Druck hin allerdings wieder zurück. Habré konnte daraufhin mit ägyptischer, sudanesischer und US-amerikanischer Hilfe Weddeye verdrängen.
1982 wurde N’Djamena durch Habré erobert, es begann die sogenannte Zweite Republik (1982 bis 1990), während derer es zu schwersten Menschenrechtsverletzungen kam. 1983 wurde der Tschad de facto am 16. Breitengrad zweigeteilt. Libysches Militär war im Norden präsent, insbesondere im Aouzou-Streifen.
1986 bis 1987 gingen die tschadischen Regierungstruppen in die Offensive. Es begann die französische Militäroperation Épervier. Die libyschen Truppen wurden, bis auf den Aouzou-Streifen, aus allen Stützpunkten verdrängt. 1989 wurde der Vertrag von Algier über die friedliche Regelung des Aouzou-Grenzkonflikts unterzeichnet.
1990 begann eine Verhandlung über den Aouzou-Konflikt vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) in Den Haag. Habré wurde durch die bewaffnete Opposition des Mouvement Patriotique du Salut von Idriss Déby gestürzt und in die Flucht getrieben, Déby nahm N’Djamena ein.
1993 verabschiedete die Nationalkonferenz Übergangsverfassung, -parlament und -regierung. 1994 wurde der Aouzou-Streifen durch den Internationalen Gerichtshof wieder dem Tschad zugesprochen.
Im Dezember 1994/Januar 1995 fand eine Wählerregistrierung statt, deren Durchführung und Ergebnisse beanstandet und vom Obersten Gerichtshof annulliert wurden. Der bestehende Wahlkalender wurde wieder obsolet, die Transitionsphase um ein weiteres Jahr bis zum 8. April 1996 verlängert. 1996 kam es zudem zu einem Verfassungsreferendum, woraufhin die neue Verfassung in Kraft trat.
Am 3. Juli 1996 fanden Stichwahlen zwischen Déby und Wadel Abdelkader Kamougué statt. Die Feststellung des offiziellen Endergebnisses durch die Cour d’Appel am 14. Juli 1996 bescheinigte Déby 69 % und Kamougué 31 % der Stimmen.
Bürgerkrieg
Ende 1998 begannen bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Rebellen um Youssouf Togoïmi (Tibesti-Konflikt).
Präsident Déby wurde im Mai 2001 wiedergewählt. Im Dezember 2001 schlossen die Regierung und die Rebellen im Tibesti ein Friedensabkommen.
Seit 2003 fliehen sudanesische Flüchtlinge vor dem Konflikt in Darfur in den Tschad. Der Konflikt greift zusehends auf den Tschad über, die Dschandschawid-Reitermilizen aus Darfur sind mittlerweile auch in den tschadischen Grenzgebieten aktiv.
Am 23. Dezember 2005 stellte der Tschad aufgrund der Konflikte in der westsudanesischen Provinz Darfur offiziell einen „Zustand der Feindseligkeit“ („état de belligerence“) mit dem Sudan fest. Dem war ein Angriff tschadischer Rebellen auf die Grenzstadt Adré mit mehr als 100 Toten vorausgegangen. Der Tschad wirft dem Sudan vor, die Rebellen zu unterstützen, legt jedoch Wert darauf, keine Kriegserklärung abgegeben zu haben.
Mitte April 2006 kam es erneut zum Bürgerkrieg. Frankreich beteiligt sich in – vorerst – geringem Ausmaß daran auf der Seite der Regierung Déby. Die Hauptstadt N’Djamena wurde von der Vorhut der Rebellen der Front für den Wandel (FUC) erreicht. Dieser erste Angriff wurde jedoch von den regulären Truppen mit Artillerie- und Panzerunterstützung abgewehrt. Innerhalb weniger Tage waren Hunderte Tote zu beklagen. Am 14. April 2006 brach der Tschad seine diplomatischen Beziehungen zum Sudan ab. Zwei Tage später zog sich das Land aus den in Darfur unter der Leitung der Afrikanischen Union geführten Gesprächen zurück. Gleichzeitig forderte N’Djamena, dass für die mittlerweile rund 200.000 Flüchtlinge aus Darfur im Tschad ein neues Gastland gefunden werden müsse.
Im November 2006 wurde für weite Teile des Tschad der Ausnahmezustand ausgerufen. Zwar wurde kurz darauf ein Friedensvertrag mit der FUC erzielt, doch andere Rebellengruppen gewannen zunehmend die Kontrolle über den Osten des Landes. Unter Vermittlung Libyens wurde am 26. Oktober 2007 ein Waffenstillstandsabkommen zwischen Präsident Déby und vier Rebellengruppen unterzeichnet. Zum Schutz der Zivilbevölkerung und insbesondere der Flüchtlinge aus der Darfurregion wurde die Aufstellung einer Mission der Vereinten Nationen (MINURCAT) beschlossen, deren Aufgaben zunächst durch militärische Einheiten der Europäischen Union wahrgenommen werden sollten.
Nur wenige Wochen nach der Unterzeichnung des Waffenstillstands brachen erneut Kämpfe zwischen Regierungstruppen und den Rebellen in den östlichen Provinzen aus. Ende November 2007 erklärte die Rebellenorganisation UFDD den Kriegszustand gegen französische und sonstige ausländische Einheiten. Ungeachtet dieser Warnung billigte Ende Januar 2008 die EU den Einsatz einer multinationalen Militäreinheit, der EUFOR Tchad/RCA, im Tschad. Die Federführung übernahm Frankreich, das mehr als die Hälfte aller Soldaten stellte; Österreich hatte ein Kontingent von 160 Soldaten zugesagt.
Kurz vor dem geplanten Beginn der EU-Mission, deren Umsetzung daraufhin erst einmal ausgesetzt wurde, starteten Rebellen eine neue Offensive, bei der sie in die Hauptstadt N’Djamena eindrangen. Die Kampfhandlungen zwangen tausende Menschen zur Flucht in das Nachbarland Kamerun. Gleichzeitig begann die Evakuierung ausländischer Bürger; die Vereinigten Staaten haben ihre Botschaft in N’Djamena geräumt. Nach einer Erklärung des UN-Sicherheitsrates erwog Frankreich 2008 ein Eingreifen zugunsten der Regierung. Die Rebellen zogen sich aus der Hauptstadt vorläufig weitgehend wieder zurück.
Am 15. März 2009 endete die Überbrückungsmission der EUFOR Tchad/RCA und die Verantwortung wurde MINURCAT übergeben.
Die politische Situation hat sich nach dem Bürgerkrieg nicht vollständig entspannt. Im Mai 2013 wurde ein Putschversuch vereitelt, der Teilen des tschadischen Militärs zugeschrieben wird.
2013 beteiligten sich Truppen des Tschad an der Opération Serval.
Die radikalislamistische Terrormiliz Boko Haram ist in Teilen des Tschad aktiv.
Bisherige Präsidenten
1960–1975 François Tombalbaye
1975–1979 Félix Malloum
1979 Lol Mohammed Chawa
1979–1982 Goukouni Oueddei
1982–1990 Hissène Habré
1990–2021 Idriss Déby
2021– Mahamat Idriss Déby Itno
Politik
Politisches System
Der Tschad wurde am 11. August 1960 als unabhängige Republik aus französischer Kolonialherrschaft entlassen. Nach der Verfassung vom 14. April 1996 ist der Tschad eine präsidiale Republik mit Mehrparteiensystem. 2018 verabschiedete das Parlament eine neue Verfassung, nach der der Präsident als Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Armee mit nahezu uneingeschränkten exekutiven Vollmachten ausgestattet ist. Die Exekutive wird vom Ministerrat unter der Leitung des Präsidenten ausgeübt. Das Amt des Premierministers wurde mit der neuen Verfassung abgeschafft. Der Präsident wird auf sechs Jahre direkt gewählt (zuvor fünf Jahre). Von 1990 bis 2021 regierte Idriss Déby das Land autokratisch.
Déby starb am 20. April 2021, nur wenige Tage nach seiner Wiederwahl am 11. April. Nach seinem Tod wurde ein militärischer Übergangsrat unter Führung seines Sohnes Mahamat Idriss Déby Itno installiert, der die Regierung und die Nationalversammlung auflöste (laut der Verfassung des Tschad hätte nach dem Tod des Staatspräsidenten regulär der Präsident der Nationalversammlung in dessen Amt nachrücken müssen). Eine Übergangscharta ersetzte die bisher geltende Verfassung des Tschad. Der Übergangsrat sollte für 18 Monate bestehen bleiben, danach sollte es „neue republikanische Institutionen“ und Neuwahlen geben. Der Übergangsrat ernannte am 26. April 2021 den letzten Ministerpräsidenten vor Abschaffung dieses Amtes, Albert Pahimi Padacké, zum Übergangs-Regierungschef.
Im Oktober 2022 wählte eine als „Nationaler Dialog“ bezeichnete, von weiten Teilen der Opposition und der Zivilgesellschaft aber boykottierte Versammlung Mahamat Déby für eine Dauer von zwei Jahren zum Übergangspräsidenten, wodurch sich auch die angekündigten Neuwahlen bis nach dieser Zeit verschoben. Der Militärrat wurde aufgelöst. Die Opposition bezeichnete den Vorgang als „dynastische Machtübernahme“. Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen. Westliche Staaten insbesondere aus der Europäischen Union kritisierten die Verschleppung der Wahlen und Menschenrechtsverletzungen.
Politische Indizes
Innenpolitik
Der Tschad gilt als ein instabiler Staat. Staatliche Einrichtungen wie Verwaltung, Bildungs- und Gesundheitswesen sind kaum entwickelt. Vor zusätzliche und für das Land nicht ohne internationale Hilfe zu bewältigende Probleme stellen den Tschad die seit 2003 aus der Region Darfur des östlichen Nachbarlandes Sudan kommenden Flüchtlinge. Ihre Zahl betrug zu Beginn des Jahres 2004 bereits etwa 130.000.
Korruption ist im Tschad verbreitet.
Es dominiert auch der Nord-Süd-Gegensatz die Innenpolitik: Der Norden des Landes, der von islamisch-arabisierten und berberischen Ethnien bewohnt wird, fühlt sich benachteiligt gegenüber dem schwarzafrikanisch-christlich-animistischen Süden, der seit der Kolonialzeit eine Vormachtstellung besitzt.
Menschenrechte
Laut Amnesty International und US-Außenministerium war auch 2009, obwohl dort eine UN-Friedensmission stationiert war, die Lage im Osten des Tschad von Menschenrechtsverstößen und Instabilität gekennzeichnet. Zivilpersonen und Mitarbeiter humanitärer Hilfsorganisationen wurden verschleppt und ermordet. Frauen und Mädchen waren Vergewaltigungen und anderen Formen von Gewalt ausgesetzt. Die Behörden ergriffen keine geeigneten Maßnahmen, um die Zivilbevölkerung gegen Angriffe krimineller Banden und bewaffneter Gruppen zu schützen. Vermeintliche politische Gegner wurden widerrechtlich festgenommen, willkürlich in Haft gehalten und gefoltert oder in anderer Weise misshandelt. Menschenrechtsverteidiger und Journalisten waren weiterhin Einschüchterungen und Schikanen ausgesetzt. Tausende Menschen wurden obdachlos, da ihre Häuser abgerissen wurden.
Kinder wurden im Tschad weiterhin als Soldaten eingesetzt. UNICEF geht davon aus, dass 53 % aller 5- bis 14-jährigen Kinder des Landes Arbeit verrichten müssen. Der Tschad ist auch ein Ausgangsland des Kinderhandels in die Zentralafrikanische Republik, nach Nigeria, Kamerun und Saudi-Arabien. Auch kam es immer wieder zu gewalttätigen Übergriffen und Diskriminierungen gegen Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität (LGBT).
Außenpolitik
Der Tschad hat weltweit nur wenig diplomatische Präsenz. Diplomatische Vertretungen haben unter anderem alle Nachbarstaaten des Tschad. Das Land ist Mitglied der Vereinten Nationen (UN), der Afrikanischen Union (AU) und der Organisation der Islamischen Konferenz (OIC). Die Regierungen des Tschad haben traditionell gute Beziehungen zur früheren Kolonialmacht Frankreich, das oft der jeweiligen Regierung bei bürgerkriegsähnlichen Situationen militärischen Beistand leistet.
Die Beziehungen zu den Nachbarstaaten sind oft belastet, da es mit Libyen einen jahrzehntelangen Konflikt um den Aouzou-Streifen im Norden gab. Zum Sudan sind die Beziehungen seit dem offenen Ausbruch des Darfur-Konflikts belastet (siehe im Abschnitt Bürgerkrieg). Als im Tschad Bürgerkrieg herrschte, hat das benachbarte Kamerun zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aufgenommen.
Des Weiteren unterhält der Tschad diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen zu den USA. Am 10. Oktober 2003 begann die Förderung von Erdöl unter der Führung von ExxonMobil und mit Unterstützung der Weltbank im Doba-Becken im Süden des Tschad. Über eine 1050 Kilometer lange Pipeline wird dieses an die Atlantikküste Kameruns befördert und dort verschifft. Dies wird vereinzelt als geopolitisch bedeutender Schachzug der USA gesehen und aus menschenrechtlicher und ökologischer Sicht kritisiert. Ebenfalls hat auch die Volksrepublik China aufgrund des Interesses an Erdöl die Beziehungen zum Tschad weiter ausgebaut. Die Beziehungen mit China entwickeln sich seit 2006 dynamisch. Die Volksrepublik beliefert den Tschad unter anderem mit Waffen.
Militär
Das Militär der Republik Tschad verfügt über eine Landstreitkraft, eine Präsidentengarde und eine Luftstreitkraft und hat zurzeit rund 33.250 Soldaten im Dienst. Tschad gab 2020 knapp 2,6 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 269 Millionen US-Dollar für seine Streitkräfte aus.
Wirtschaft
Aufgrund des Bürgerkriegs und wegen längerer Dürreperioden gehört der Tschad zu den ärmsten Ländern der Welt. 80 % der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Die Bevölkerung kann nur durch Subsistenzwirtschaft überleben – die wenigen wirtschaftlich entwickelten Elemente werden nur vom Staat organisiert. Neben Somalia und Sierra Leone gehört der Tschad zu den weltweit einzigen Volkswirtschaften in denen die Mehrheit des Bruttoinlandsprodukts noch in der Landwirtschaft (Primärsektor) erwirtschaftet wird (50,1 % im Jahre 2016).
Seit mehr als 20 Jahren ist der Index der menschlichen Entwicklung des Landes einer der niedrigsten der Welt. 55 Prozent der Bevölkerung in den Städten und 87 Prozent der Bevölkerung auf dem Land leben unter dem Existenzminimum. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt im Jahre 2016 bei 2.245 Internationale Dollar in Kaufkraftparität und damit höher als in den Nachbarstaaten Mali (2.266), Niger (1.107) und der Zentralafrikanischen Republik (652) was vor allem an der Erdölforderung im Land liegt, von der jedoch nur ein kleiner Teil der Bevölkerung profitiert. 2016 erlebte der Tschad eine starke Rezession aufgrund gesunkener Rohstoffpreise.
Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt der Tschad den letzten Platz von 140 Ländern (Stand 2018). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land 2018 Platz 162 von 180 Ländern.
Kennzahlen
Alle BIP-Werte sind in US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben.
Währung
Der Tschad ist Mitglied der CFA-Franc-Zone und hat als Währung den CFA-Franc (FCFA, auf Französisch: Franc de la Communauté Financière d'Afrique), speziell den CFA-Franc BEAC. Ein Euro entspricht 655,957 FCFA, 1.000 FCFA entsprechen 1,5244 EUR. Die Inflationsrate liegt derzeit bei über 9 %, 2007 lag sie noch bei etwa 4 %.
Landwirtschaft
Rund 90 % der Bevölkerung leben von der Landwirtschaft, also dem Ackerbau und der Viehzucht. Man betreibt hauptsächlich Subsistenzwirtschaft. Allerdings ist der Tschad auch auf internationale Unterstützung (zum Beispiel in Form von Lebensmitteln) angewiesen. Es werden auch Erdnüsse, Getreide und anderes Gemüse angebaut. Dies reicht zur Eigenversorgung kaum aus. Aufgrund der sich nach Süden ausbreitenden Wüste und den damit verbundenen Ernteausfällen dürfte sich diese Entwicklung noch weiter verschärfen. Einige weitere Anbauprodukte sind Baumwolle, Reis und Tabak.
Rohstoffe
Das Land galt lange als arm an Bodenschätzen, abgebaut wurden vor allem Steinsalz und Soda. Im Jahr 2003 konnte mit der Förderung von Erdöl aus einem erst Ende der 1990er Jahre entdeckten Ölfeld bei Doba begonnen werden. Die Einnahmen aus der Förderung des Erdöls sollen, gemäß einer Vereinbarung der Regierung mit der Weltbank, zu 80 % für Projekte im Bereich des Sozialen und der Infrastruktur verwendet werden und somit der gesamten Bevölkerung zugutekommen. Dafür wurden im Juli 2004 zum ersten Mal 31 Millionen Euro an die Weltbank überwiesen, die diese Gelder wiederum für konkrete Projekte im Land ausschüttet. 10 % der Einnahmen sollen in einen Fonds für zukünftige Generationen eingezahlt werden. Insgesamt werden bis 2023 (20 Jahre) Einnahmen von rund 1,6 Milliarden Euro prognostiziert. Ende 2005 löste jedoch das Parlament den Fonds auf, um ausstehende Beamtengehälter zu bezahlen, und ermöglichte durch eine Gesetzesänderung, dass auch die Bereiche Sicherheit und Justiz Geld aus den Öleinnahmen erhalten können. Der Einsatz der Gelder wird durch ein eigens hierfür geschaffenes Komitee aus Parlamentariern, Juristen und Vertretern der Zivilgesellschaft überwacht. Allerdings ist dieses Komitee nicht mit Sanktionsgewalt ausgestattet, so dass aufgrund von Korruption große Teile der Investitionsmittel versickern und eine effiziente Bekämpfung der Armut bisher ausbleibt.
Außenhandel
Haupthandelspartner sind Frankreich, Kamerun und Nigeria. Wichtigste Exportgüter sind Baumwolle (mit einem Exportanteil von 40 %) und seit 2003 Erdöl. Erdnüsse machen etwa 1–2 % des Exports aus. Importgüter sind unter anderem Brennstoffe, Fahrzeuge, Zucker, Getreide und Textilien.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 2,163 Mrd. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 1,626 Mrd. US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 5,7 % des BIP. Die Staatsverschuldung betrug 2016 51,2 % des BIP.
Der Anteil der Staatsausgaben (in % des BIP) betrug in folgenden Bereichen:
Gesundheit: 4,1 % (2018)
Bildung: 2,5 % (2017)
Militär: 2,6 % (2020)
Infrastruktur
Die Infrastruktur ist nur wenig entwickelt. Bei einer Größe von 1.284.000 km² – der Größe nach liegt der Tschad weltweit an 20. Stelle und ist etwa 3,5-mal so groß wie Deutschland – gab es Ende 2014 nur gut 2.000 km befestigte Straßen; geplant sind 6.000 km. Nach offiziellen Zahlen aus dem Jahr 2006 hat das Öl-Konsortium um die Firma ExxonMobil seit 2003 537 Millionen US-Dollar als Lizenzen und Gebühren an die Regierung des Tschad überwiesen. Davon wurden etwa 300 Millionen Dollar oder 55 % für die Verbesserung der Infrastruktur ausgegeben.
Die Wasserversorgung Tschads ist nicht annähernd ausreichend. Zugang zu sauberem Trinkwasser, seit 2010 ein Menschenrecht der UNO, besitzen laut WHO und UNICEF mit Stand von 2014 nur 51 % der Einwohner des Landes.
Kultur und Medien
Im Großen lässt sich das Land kulturell in einen vorwiegend arabisierten islamisierten Bereich im Norden und einen schwarzafrikanisch-christlichen, teils animistischen Bereich im Süden einteilen. Während die arabisierte Bevölkerung meist halbnomadische Viehzucht betreibt, betreiben die Bewohner des Südens überwiegend Ackerbau.
Medien
Reporter ohne Grenzen sieht im Tschad eine schwierige Lage für die Pressefreiheit.
Der Blogger und Bürgerjournalist Tadjadine Mahamat Babouria aka „Mahadine“ wurde 2016 inhaftiert, weil er auf Facebook unter anderem die Korruption und die schlechte Wirtschaftslage kritisiert hatte.
Es existiert ein staatliches nationales Radio- und Fernsehprogramm. Die staatliche Radiodiffusion Nationale Tchadienne RNT sendet aus der Hauptstadt N’Djamena in Französisch, Arabisch und lokalen Sprachen.
1998 kam mit DJA FM der erste private Hörfunksender des Landes hinzu. Er war in der Vergangenheit Repressionen der Regierung ausgesetzt. 2002 existierten zwei Mittelwellen- und 4 UKW Stationen.
Folgende Zeitungen existieren im Tschad: N'Djaména Hebdo aus N'Djaména, Tchadien, Afrik, Afrol en Espaniol und die Afrol News.
Film
Es gibt nur ein einziges kommerzielles Kino und keine professionellen Schauspieler. Aufmerksamkeit hat Mahamat-Saleh Haroun mit seinen beiden, auf mehreren internationalen Filmfestivals und in Programmkinos gezeigten, Filmen Abouna – Der Vater (2002) und Daratt (2006) erregt. Darin beschreibt er das Leben im Tschad in den 2000ern. Während Abouna – Der Vater von zwei Jugendlichen handelt, die ihren plötzlich verschwundenen Vater suchen, beschreibt Daratt einen Sohn, der den Mörder seines Vaters sucht.
Literatur
Weblinks
Website der Regierung (arabisch, französisch)
Länder- und Reiseinformationen des Auswärtigen Amtes
Ismail Küpeli: Autoritäre Scheindemokratie unter französischer Aufsicht – Im politischen Machtkampf um Erdöleinnahmen hat das Regime im Tschad die Oberhand – aber wie lange? (IMI-Analyse 2009/30). Tübingen, Juli 2009.
Christoph Marischka: Kollateralkrieg zwischen Tschad und Sudan – Der Wille zur militärischen Integration hat den Konflikt im Tschad internationalisiert (IMI-Analyse 2009/025). Tübingen, Juni 2009.
Einzelnachweise
Staat in Afrika
Least Developed Country
Präsidialrepublik (Staat)
Binnenstaat
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
|
Q657
| 1,977.585244 |
167168
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https://de.wikipedia.org/wiki/Iren
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Iren
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Die Iren (irisch: Muintir na hÉireann, na hÉireannaigh, na Gaeil, englisch: Irish (people)) sind eine Ethnie, deren Kernsiedlungsgebiet in Nordwesteuropa auf den heutigen Britischen Inseln liegt. Im engeren Sinne sind damit die Bewohner der Insel Irland, vor allem in der Republik Irland, aber auch im britischen Nordirland gemeint. Als selten verwendete Einwohnerbezeichnung ist daneben im Deutschen auch das Wort Irländer möglich.
Etymologie
Die Bezeichnung Iren ist wohl von dem Wort Érainn abgeleitet, das einen keltischen Stamm bezeichnete, der in vorchristlicher Zeit in Munster lebte.
Ein für alle keltischstämmigen Bewohner Irlands, Schottlands und der Insel Man verwendetes Synonym ist das der Gälen (irisch ), das sich von der altirischen Eigenbezeichnung herleitet, welche wiederum ursprünglich eine walisische Fremdbezeichnung der Iren war (gwyddel, dt. Räuber, Angreifer).
Abstammung
Untersuchungen des Genoms eines Frauenskeletts aus Ballynahatty bei Belfast, das auf 3343–3020 v. Chr. datiert wurde, zeigten, dass die Frau genetisch zu Menschen aus dem Nahen Osten gehörte, obwohl auch andere Einflüsse festzustellen waren. Drei Männerskelette von der Rathlin Island im County Antrim, die auf 2026–1534 v. Chr. datiert wurden, weisen hingegen eine genetische Verwandtschaft zu Steppenvölkern aus dem Süden Russlands auf. Die Funde stellen zwei Wellen von Einwanderern in Europa dar, die im Neolithikum zunächst die Landwirtschaft nach Europa brachten und dann in der Bronzezeit eine bessere Metalltechnik einführten. Damit verdrängten sie in vielen Teilen Europas eine bereits ansässige Jäger- und Sammlerbevölkerung, doch in Irland trafen sie auf ein bis dahin von diesen unbesiedeltes Gebiet und aus den beiden Einwandererwellen bildeten sich die Iren. Eine sehr enge genetische Beziehung besteht zu den Schotten und den Walisern, die auf die Entstehung eines insularen keltischen Genoms um 4000 v. Chr. hindeuten. Es besteht weiterhin eine ethnische Verwandtschaft mit den Bewohnern Cornwalls, den Manx auf der Isle of Man, aber auch den Bretonen (keltische Nationen).
Irland (lat. Hibernia) wurde nie vom Römischen Reich erobert, hatte aber Handelsverbindungen mit den Römern Britanniens und einige der keltischen Iren waren auch römische Söldner.
Auch die vorkeltischen Bewohner Irlands (siehe Newgrange) und die von Nordeuropa aus im 9. und 10. Jahrhundert eingefallenen Wikinger hinterließen Spuren. Die Wikinger gründeten wichtige Städte wie Dublin, Cork, Waterford, Wexford und Limerick.
Nach 1169 kamen von Großbritannien aus Anglo-Normannen nach Irland. Sie hatten im Spätmittelalter die Vorherrschaft über die Insel, ihr Kerngebiet war das „pale“-Gebiet um die Stadt Dublin herum. Sie prägten mit ihren Burgen die Landschaft und das Stadtbild u. a. von Dublin und Limerick und legten die Basis für die Herrschaft der englischen Krone (1171–1541 Lordschaft Irland, 1541–1800 Königreich Irland (Personalunion des Königs von England und Irland), 1800–1922 Vereinigtes Königreich Großbritannien und Irland) über die Insel.
Seit dem späten 16. Jahrhundert (Ulster Plantation) ist zudem im Norden Irlands in der Provinz Ulster eine überwiegend von Engländern und Schotten abstammende Bevölkerung ansässig (siehe Ulster Scots) (heute 1–2 Millionen). Diese bildete unter Ausschluss der irischstämmigen Bevölkerung bis in die 1990er Jahre die politische Elite Nordirlands.
Religion
Die vorchristliche irische Bevölkerung hing dem keltischen Polytheismus an.
Im frühen 5. Jahrhundert wurden die Iren von Christen aus dem römischen Britannien unter Führung des Patrick christianisiert. Im frühen Mittelalter entstand in Irland eine christlich geprägte Hochkultur des Monastizismus, die auch das Christentum auf dem europäischen Kontinent stark prägte, weshalb Irland mit dem Beinamen Insel der „Heiligen und Gelehrten“ („Saints and Scholars“) bezeichnet wurde.
Siehe auch: Columban von Iona, Columban von Luxeuil, St. Kilian, Virgilius von Salzburg
Der Sitz des katholischen (später auch des anglikanischen) Primas von Irland war und ist traditionell in Armagh in Ulster.
Im späten 16. Jahrhundert begann die Vorherrschaft der in England seit 1534 von Rom gelösten anglikanischen Protestanten (Protestant Ascendancy). Der Katholizismus wurde weitgehend unterdrückt, Katholiken enteignet, die Kirchengüter säkularisiert und 1536 der neuen anglikanischen Staatskirche, der Church of Ireland unterstellt. Von England und Schottland aus wurden seit etwa 1560 vor allem im Norden und Osten Protestanten angesiedelt, in deren Tradition heute weite Teile der Bevölkerung von Ulster stehen. Auch einige Hugenotten aus Frankreich wurden im Zuge der Plantation in Irland angesiedelt (s. o., Ulster Plantation). Im frühen 17. Jahrhundert flohen gälisch-katholische Adlige (Flucht der Grafen) nach der elisabethanischen Eroberung Irlands durch England.
Mitte des 17. Jahrhunderts (1641 bis 1647) versuchten die katholischen Iren, parallel zum Englischen Bürgerkrieg nach dem Aufstand von 1641 in einem Krieg mehr Autonomie und Religionsfreiheit zu erlangen (Konföderation Irland). Dies misslang und mündete in der Rückeroberung Irlands unter der Führung Oliver Cromwells bis 1653. Versuche, eine katholische Linie auf den Thron zu bringen (Schlacht am Boyne 1690), scheiterten ebenso wie die nationalistisch geprägte Irische Rebellion von 1798 und führten zur Eingliederung Irlands in das britische Königreich (Act of Union 1800).
1829 erfolgte die politische Gleichstellung der Katholiken (siehe Katholikenemanzipation, Daniel O’Connell), 1869 wurde der Church of Ireland der Status als Staatskirche entzogen.
1921/22 erfolgte die Spaltung der Insel in einen unabhängigen, katholisch dominierten Südteil und einen seinerzeit protestantisch dominierten wesentlich kleineren Nordteil, der bei Großbritannien verblieb.
Die katholische Kirche dominierte die sozio-politischen Strukturen im vom Vereinigten Königreich seit 1922 unabhängigen Irischen Freistaat (1922 bis 1939) und danach in der Republik Irland bis weit ins späte 20. Jahrhundert hinein. Bis 1973 hatte sie eine per Verfassung festgeschriebene „hervorgehobene Stellung“ (special position).
Heute sind die Iren in der Republik mehrheitlich römisch-katholisch (fast 90 %), in Nordirland liegt der Anteil der Katholiken bei rund 45 Prozent.
Im Nordosten der Insel in der Provinz Ulster gibt es aber eine protestantische, meist presbyterianische oder anglikanische, Bevölkerungsmehrheit, die ihre Wurzeln zum größten Teil auf englische und schottische Einwanderer von der Insel Großbritannien zurückführt (55 % in Nordirland). In Nordirland dominierte diese britisch-protestantische Mehrheit von 1922 bis in die 1990er Jahre in einer der Apartheid vergleichbaren Situation unter Ausschluss der irisch-katholischen Minderheit das politische Geschehen (siehe Northern Ireland Assembly, Troubles, Karfreitagsabkommen). In Nordirland ist die konfessionelle Spaltung bis heute prägend für die soziale Situation.
Die einzige verbliebene Hochburg der Church of Ireland in der Republik Irland ist die Region südlich von Dublin im nördlichen County Wicklow.
Sprache
Traditionell sprachen die Iren die irische Sprache, eine goidelische Sprache. Im frühen Mittelalter verbreitete sich mit dem Christentum die lateinische Sprache in Irland, die den Kontakt mit den Völkern des Kontinents ermöglichte.
Nach 1169 kam durch die Anglo-Normannen das romanische Anglo-Normannisch als Sprache der Eliten auf, das in der Frühen Neuzeit vom Englischen abgelöst wurde. Parallel dazu wurde aber die irische Sprache noch von weiten Teilen der irischen Bevölkerung gesprochen, erst im 18. und 19. Jahrhundert begann der Niedergang dieser Sprache und die Dominanz des Englischen.
Heute sprechen so gut wie alle Iren Englisch als Muttersprache (Hiberno-Englisch sowie Mid-Ulster English), ein bedeutender Anteil ist aber auch der irischen Sprache zumindest teilweise mächtig (einige Zehntausend Muttersprachler in den Gaeltachtaí im Westen Irlands (v. a. County Donegal, County Galway, County Kerry, County Mayo, County Cork)). Es wird von der Republik Irland eine Wiederbelebung des Irischen angestrebt. Irisch ist neben Englisch eine offizielle Landessprache. So werden alle Gesetze auf Irisch veröffentlicht und ihr Wortlaut ist der im Zweifel bindende.
In Ulster verbreitet ist zudem das Ulster Scots, eine Variante des Englischen.
Kultur
Iren zählten seit der Frühen Neuzeit, v. a. aber seit der Irischen Renaissance im späten 19. und frühen 20. Jh., zu einigen der berühmtesten Schriftsteller in der englischen Sprache (u. a. Jonathan Swift, Bram Stoker, Oscar Wilde, George Bernard Shaw, William Butler Yeats, John Millington Synge, James Joyce, Samuel Beckett, Seamus Heaney).
Die traditionelle Musik der Insel Irland wird als Irish Traditional Music bezeichnet. Bekannte Bands dieses Stils waren und sind u. a. The Dubliners, The Chieftains, The Pogues und The Wolfe Tones sowie als Solokünstler u. a. Ronnie Drew, Christy Moore, Paddy Reilly und Sharon Shannon. Daran angelehnt ist der Stil der Musik von u. a. Enya, Kate Bush und Van Morrison.
Ein besonderes Element der irischen Musik ist das Tanzen. Stepptanz, Set Dance und Formationstanz sind in Irland sehr beliebt und haben eine lange Tradition.
In der Pop- und Rockmusik des 20. und 21. Jahrhunderts erlangten u. a. Rory Gallagher, The Boomtown Rats, Boyzone, Chris de Burgh, The Corrs, Johnny Logan, Snow Patrol und U2 überregionale Berühmtheit.
Namen
Unter keltisch- oder gälischstammigen irischen Familien sind Namen, die mit O oder Mc bzw. Mac beginnen, üblich. Ó bedeutet im Irischen Enkel, Mc oder Mac Sohn.
Alte anglo-normannisch-irische Familiennamen beginnen mit der Vorsilbe Fitz-, die vom Altfranzösischen fils, dt. Sohn, abgeleitet ist. Außerdem tragen einige Normannischstämmige ein de im Nachnamen, was auf ursprünglichen Landbesitz hindeutete.
Bevölkerungsentwicklung
Die Republik Irland ist mit heute etwas mehr als 4 Millionen Einwohnern das einzige Land Europas, das heute (noch immer) weniger Bevölkerung aufweist als in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Die größten Bevölkerungsverluste waren durch die Hungersnot von 1740/41 und die Große Hungersnot in Irland in der Mitte des 19. Jahrhunderts bedingt, als sich zwischen 1845 und 1855 die Bevölkerung durch Hungertod (500 000 bis 1 Million) und Massenauswanderung (ca. 1 Million) von über 8 Millionen auf 6,25 Millionen reduzierte. Die größten Verluste waren dabei in der heutigen nordwestlichen Provinz Connacht zu verzeichnen.
Aber auch davon abgesehen war Irland vom Spätmittelalter bis in die späten 1980er-Jahre ein Auswanderungsland und seine Bevölkerung nahm bis 1962 auf unter 2 Millionen ab. Deshalb kann man heute von einer Diaspora von ca. 80 Millionen irischstämmiger Menschen weltweit ausgehen. Große Teile der Bevölkerung, vor allem der USA (ca. 36 Millionen), des Vereinigten Königreichs (ca. 14 Mio.), Kanadas (ca. 4 Millionen) und Australiens (ca. 2 Mio.), aber auch Neuseelands, Südafrikas und einiger Länder in der Karibik sind irischer Abstammung. New York City gilt als die größte irische Stadt der Welt. In England ist der Großteil der Bevölkerung der Stadt Liverpool irischstämmig. Ein weiteres Zentrum irischer Diaspora in den USA ist Boston, Massachusetts. Der berühmteste US-Amerikaner irischer Abstammung war wohl John F. Kennedy, der erste irischstämmige und katholische Präsident der Vereinigten Staaten.
Seit den 1960er Jahren erfolgte dann wieder ein leichter Bevölkerungsanstieg, der in den 1990er und 2000er Jahren durch den Wirtschaftsboom des Celtic Tiger bedingt war. Viele Im Ausland lebende Iren kehrten wegen der besseren wirtschaftlichen Lage nach Irland zurück.
Heute hat die Insel Irland etwas mehr als 6 Millionen Einwohner.
Literatur
Ralf Sotscheck: Nichts gegen Iren – Psychogramm eines komischen Volkes, illustriert von TOM, Edition Tiamat im Verlag Klaus Bittermann, Berlin 2009 ISBN 978-3-89320-131-0.
Siehe auch
Gälen
Geschichte Irlands
Geschichte Nordirlands
Keltologie
Ulster Plantation
Weblinks
→ Jeder zehnte irische Mann stammt möglicherweise von einem sagenumwobenen irischen Stammesfürsten namens Niall of the Nine Hostages ab.
Eifriger Übervater. Auf wissenschaft.de vom 28. Dezember 2005. Zehn Prozent der irischen Männer sind Nachkommen eines Stammesfürsten.
Einzelnachweise
Ethnie in Europa
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Q170826
| 330.584881 |
258
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https://de.wikipedia.org/wiki/Allergie
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Allergie
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Als Allergie (seit 1905 von ‚Fremdreaktion‘, aus állos ‚fremd‘ und érgon ‚Reaktion‘) bezeichnet man eine überschießende, krankhafte Abwehrreaktion des Immunsystems auf körperfremde, aber harmlose Umweltstoffe, die dann als Allergene oder Antigene bezeichnet werden. Die allergische Reaktion richtet sich gegen von außen, beispielsweise über die Lunge, den Verdauungstrakt, die Haut, die Schleimhaut oder mit dem Blut kommende Stoffe.
Dagegen werden Autoimmunreaktionen, also überschießende, krankhafte Reaktionen des Immunsystems gegen Bestandteile des eigenen Körpers, nur dann zu den Allergien gezählt, wenn sie durch von außen in den Körper gelangte Stoffe ausgelöst werden. Neben der Allergie gibt es weitere Unverträglichkeitsreaktionen (Intoleranzen), z. B. die Pseudoallergie oder die Intoleranz, die mit einem ähnlichen Krankheitsbild wie eine Allergie einhergehen. Aufgrund der ähnlichen Symptome werden diese Begriffe im allgemeinen Sprachgebrauch fälschlicherweise oft synonym verwendet.
Geschichte und Begriffsentstehung
Schon aus dem alten Ägypten und aus dem alten Rom sind Krankheitsbeschreibungen bekannt, die man heute als Allergie bezeichnen würde.
Seine Beobachtung, dass manche Menschen Schnupfen und Atemwegsverengungen zeigen, wenn sie sich in der Nähe blühender Rosen aufhalten, bezeichnete der italienische Chirurg Leonardo Botallo 1565 als „Rosenerkältung“. Eine von der Jahreszeit abhängige Nasenerkrankung beschrieb 1819 der Londoner Arzt John Bostock. Dass Gräserpollen die auslösende Ursache für diesen „Heuschnupfen“ sind, erkannten 1870 Charles Blackley in England und unabhängig von diesem Morrill Wyman an der Harvard University. 1903 löste der Deutsche Wilhelm P. Dunbar bei Versuchspersonen Heuschnupfensymptome durch mit Pollen versetzte Salzlösungen aus.
Der Begriff Allergie (griechische Übersetzung von „Anders-Reaktion“, welche auch von Robert Koch bei Anwendung von
Tuberkulin beschrieben wurde) wurde 1906 von Clemens von Pirquet, einem Wiener Kinderarzt, der Erscheinungen nach Erst- und Reinjektion von Diphterieseren untersuchte, in Analogie zu Energie geprägt in der Hinsicht, dass . Pirquet definierte Allergie weit gefasst als . In dieser Definition sind sowohl verstärkte (Hyperergie), verminderte (Hypoergie) wie auch fehlende (Anergie) Reaktivitäten einbezogen. Pirquet erkannte als erster, dass Antikörper nicht nur schützende Immunantworten vermitteln, sondern auch Überempfindlichkeitsreaktionen auslösen können. Er gilt als Begründer der klinischen Allergielehre.
Bereits 1902 hatten Charles Richet und Paul Portier (1866–1962) bei Hunden eine veränderte Reaktion auf eine niedrigdosierte Toxingabe beobachtet, nachdem die Versuchstiere eine Vergiftung mit diesen intravenös und hochdosiert verabreichten Toxinen überstanden hatten. Diese nach zwei bis drei Wochen aufgetretene Überempfindlichkeit, welche trotz ungefährlicher Toxindosis zum Tod der Tiere führte, nannte Richet Anaphylaxie. Der französische Physiologe Maurice Arthus konnte 1903 beobachten, dass auch nichttoxische Stoffe, nämlich „artfremde Eiweiße“, nach Vorbehandlung damit eine Überempfindlichkeit nach erneutem Einspritzen (Reinjektion) verursachen können. Im Jahr 1914 beschrieb der Pathologe Robert Rössle die allergische Entzündung.
Verbreitung
Allergien sind häufige Erkrankungen. Hierbei nehmen die Inhalationsallergien wie Heuschnupfen eine besonders prominente Stellung ein.
In Deutschland, zu Beginn der 1990er-Jahre, gaben 9,6 % der Befragten beim Bundes-Gesundheitssurvey an, dass sie schon einmal Heuschnupfen hatten. Es gab in den alten Bundesländern einen deutlich höheren Anteil Betroffener (10,6 %) als in den neuen Bundesländern (5,8 %). Zwischen Männern und Frauen war jeweils kaum ein Unterschied zu verzeichnen.
Ende der 1990er-Jahre waren beim BGS98 14,5 % der Bevölkerung (15,4 % der Frauen und 13,5 % der Männer) betroffen. Die Verbreitung war sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern deutlich gewachsen. Bei den Frauen fiel diese Zunahme jeweils größer aus, sodass sich bis 1998 ein geschlechtsspezifischer Unterschied herausgebildet hatte.
Weitere 10 Jahre später, beim DEGS1, der von 2008 bis 2011 durchgeführt wurde, hatten sich die Zahlen auf diesem hohen Niveau stabilisiert (14,8 % gesamt, 16,5 % der Frauen und 13,0 % der Männer).
Dass sich zwischen Anfang und Ende der 1990er-Jahre nicht lediglich das Antwortverhalten der Befragten verändert hat, sondern es sich um einen tatsächlichen Anstieg der Heuschnupfenhäufigkeit handelte, konnte durch vergleichende Analysen und durch Laboruntersuchungen herausgefunden werden. Auf der Basis von allergenspezifischen IgE-Tests wurde stichprobenartig bei den Gesundheitssurveys die Sensibilisierung auf Inhalationsallergene überprüft.
Im Nationalen Untersuchungssurvey 1990–1992 lag die Rate der Sensibilisierungen auf Inhalationsallergene – genau wie die Heuschnupfenprävalenz – in den alten Bundesländern (27,4 %) höher als in den neuen Bundesländern (24,1 %). Die Gesamtrate betrug 26,7 %. Bis zum Ende der 1990er Jahre kam es gemäß BGS98 zu einem deutschlandweiten Anstieg der Sensibilisierungsrate auf 31,2 %. Diese Zunahme war etwas weniger ausgeprägt als die beim selbst berichteten Heuschnupfen. Der Anstieg in West (auf 31,9 %) und Ost (auf 28,5 %) verlief ähnlich.
Thesen über die Ursachen der Zunahme allergischer Erkrankungen
Eine befriedigende Erklärung für die Zunahme allergischer Erkrankungen in den letzten Jahrzehnten gibt es – wie auch für die Zunahme der Autoimmunerkrankungen – bisher nicht, wohl aber einige Thesen:
Hygienehypothese
Einige Forscher führen den beobachteten Anstieg allergischer Erkrankungen in westlichen Industrieländern auf die sogenannte „Dreck- und Urwaldhypothese“ zurück. Diese geht von einer mangelnden Aktivierung („Unterforderung“) des Immunsystems – vor allem in der Kindheit und frühen Jugend – durch übertriebene Hygienemaßnahmen aus. Es wird vermutet, dass der Kontakt mit bestimmten Bakterien insbesondere in den ersten Lebensmonaten wichtig ist, um das Immunsystem, das während der Schwangerschaft eher Typ2-T-Helferzellen-lastig ist, wieder in Richtung einer Typ1-T-Helferzellen-Antwort zu lenken, die weniger mit allergischen Reaktionen assoziiert ist. Eine prominente Studie zum Thema ist die ALEX-Studie.
Rückgang parasitärer Erkrankungen
Die physiologische Funktion von IgE-Antikörpern, die bei Allergien eine wesentliche Rolle spielen, ist die Abwehr von Wurm- und anderem Parasitenbefall. Der Rückgang parasitärer Erkrankungen könnte zu einer Umlenkung des Immunsystems auf andere, harmlose Strukturen führen. Hierfür spricht das geringere Aufkommen von Allergien in Ländern mit geringeren Hygienestandards. Da in den westlichen Industrienationen Parasitenbefall so gut wie nicht mehr vorkommt, bei allergischen Reaktionen aber eine verstärkte IgE-Antikörper-Bildung vorliegt, wird geprüft, ob hier ein Zusammenhang bestehen könnte. Eine Studie an 1600 Kindern in Vietnam zeigte, dass Kinder mit intestinalem Wurmbefall im Vergleich zu Kindern ohne Wurmbefall eine um sechzig Prozent verringerte Chance einer Allergie gegen Hausstaubmilben hatten. Jedoch gibt es derzeit widersprüchliche Forschungsergebnisse, so dass diese Hypothese noch nicht abschließend beurteilt werden kann.
Umweltverschmutzung
Umweltfaktoren wird eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Allergien zugesprochen. Es konnte bewiesen werden, dass Kinder seltener an Allergien litten, je mehr Endotoxin im täglichen Umfeld dieser nachgewiesen werden konnte.
Allergene wie das Hauptallergen der Birke, Bet v 1, können sich an Dieselrußpartikel (auch Feinstaub) anheften und so beim Einatmen unter Umständen in tiefere Lungenabschnitte gelangen. Es ist möglich, dass die Dieselrußpartikel als „Träger“ der Allergene auch eine adjuvante (unterstützende) Wirkung haben und somit eine Sensibilisierung fördern.
Die Umweltverschmutzung sorgt auch bei Haselsträuchern für Stress und verändert die Eiweißbildung derart, dass die betroffenen Menschen immer heftiger darauf reagieren.
Wissenschaftler des Helmholtz-Zentrums in München haben herausgefunden, dass sich die allergischen Reaktionen des Beifußblättrigen Traubenkrauts (Ambrosia artemisiifolia) verstärken, wenn sie mit Stickstoffdioxid in Verbindung treten. Dadurch erhöht sich die Anzahl der Allergene und macht sie aggressiver. Die Pollen der Ambrosia zählen zu den stärksten Allergieauslösern.
Kindliche Allergien durch Medikamente
Ein Zusammenhang zwischen Allergien und Impfungen besteht nicht. Im Gegenteil war in der DDR die Durchimpfungsrate deutlich höher (nahe 100 %) und zugleich die Allergierate niedriger als in der BRD (bis 1989) und es gibt Hinweise, dass Impfungen das Allergierisiko senken können.
Neu in der Diskussion sind Studien zur kindlichen Vitamin-D-Prophylaxe, zu Paracetamol und zur Antibiotikatherapie.
Erhöhte Allergenexposition
Diese Überlegung bezieht sich darauf, dass aufgrund einer erhöhten Allergenexposition vermehrt Sensibilisierungen stattfinden könnten. Ursachen für eine erhöhte Exposition könnten sein: die Zunahme des Pollenflugs infolge einer Stressreaktion von Bäumen auf die Erderwärmung oder Schadstoffbelastung, die Zunahme der Milbenexposition durch verbesserte Isolierung der Häuser, der vermehrte Konsum exotischer Lebensmittel wie Kiwi.
Veränderungen in der kommensalen Flora
Veränderungen in der kommensalen Flora könnten ebenfalls das Immunsystem beeinflussen und im Zusammenhang mit dem vermehrten Auftreten von Allergien stehen. Veränderungen in der Darmflora können durch den Einsatz von Antibiotika und durch moderne Ernährungsgewohnheiten ausgelöst werden. Die Bakterienflora der Haut könnte durch die Einführung von Windeln verändert worden sein.
Es wird diskutiert, ob Probiotika einen günstigen Effekt auf die Entwicklung von Allergien haben könnten.
Veränderte Lebensgewohnheiten
Es gibt etliche weitere Faktoren, von denen ebenfalls vermutet wird, dass sie die Entstehung allergischer Erkrankungen begünstigen können. Dies sind Rauchen, Autoabgase, Stress, kleinere Familien, veränderte Ernährung, aber auch ein veränderter individueller Lebensstil, der sich auf die Entwicklung von Atopie und Allergien auswirken könnte, wie die kürzere Stillzeit junger Mütter und ein dadurch bedingtes höheres Allergierisiko des Kindes. Kinder von Frauen, die während der Schwangerschaft Kontakt zu Tieren, Getreide oder Heu hatten, bekommen im späteren Leben seltener allergische Atemwegs- und Hauterkrankungen. Für einen optimalen Schutz ist aber ein anhaltender Kontakt zu Nutztieren oder Getreide nötig.
Ursachen allergischer Erkrankungen
Die Ursachen von Allergien kann man in genetische und nicht genetische Faktoren unterteilen.
Genetische Faktoren
Zu den genetischen Faktoren gehören: Disposition zur überschießenden Bildung von Gesamt-IgE und allergenspezifischen IgE-Antikörpern, sowie deren Fixierung besonders an Mastzellen und basophilen Granulozyten von Haut und Schleimhäuten (Atopie). Zu den genetischen Faktoren gehört auch eine verminderte Aktivität von Regulatorischen T-Zellen, deren Aufgabe es ist, die Aktivierung des Immunsystems zu begrenzen und dadurch die Selbsttoleranz des Immunsystems zu regulieren. Die allergische Reaktionsbereitschaft ist mit den HLA-Genen assoziiert.
Eindeutig belegt ist ein erhöhtes Allergierisiko für Kinder, bei denen entweder ein oder beide Elternteile Allergiker sind. Offensichtlich spielen aber mehrere genetische Faktoren zusammen, es gibt also nicht das eine „Allergie-Gen“. Es gibt eine Vielzahl von Kandidatengenen, die möglicherweise oder wahrscheinlich an der Entstehung allergischer Erkrankungen beteiligt sind. Auch scheinen unterschiedliche allergische Veranlagungen (z. B. Allergisches Asthma, Atopische Dermatitis) unterschiedlich genetisch determiniert zu sein.
Nicht genetische Faktoren
Gestörte Barrierefunktion der Haut
Ursache einer Allergie kann auch eine gestörte Barrierefunktion und eine damit verbundene erhöhte Durchlässigkeit von Haut und Schleimhaut sein, z. B. durch bakterielle oder virale Infekte oder durch chemische Irritation.
Intensive Allergenexposition
Auch eine verstärkte Allergenexposition kann bei entsprechender Veranlagung zu Allergien führen. Diese Form der Allergie spielt besonders bei berufsbedingten Allergien eine Rolle.
Stress
Körperlicher oder psycho-sozialer Stress ist nicht Ursache einer Allergie. Stress beeinflusst aber das Immunsystem. Körperlicher und/oder psycho-sozialer Stress kann deshalb eine bestehende Allergie verstärken oder aber bei einer bestehenden Sensibilisierung Auslöser für die allergische Erkrankung sein.
Auslöser
Allergene
Auslöser von Allergien sind Allergene. Hier reagiert das Immunsystem in überempfindlicher Weise (Sensibilisierung) auf bestimmte Allergene. Allergene sind Antigene, also Substanzen, die vom Körper als fremd erkannt werden und eine spezifische Immunantwort auslösen. Diese normale körperliche Reaktion ist bei der Allergie fehlgeleitet, sodass eigentlich harmlose Antigene zu allergieauslösenden Allergenen werden. Es gibt eine Vielzahl von Allergenen. Meistens sind Allergene Polypeptide oder Proteine.
Allergene können nach unterschiedlichen Gesichtspunkten eingeteilt werden:
nach der Allergenquelle (z. B. Tierallergene, siehe insbesondere Allergie gegen Katzenepithelien, Pollenallergene, Hausstaubmilbenallergene)
nach der Art des Kontakts mit den Allergenen (z. B. Inhalationsallergene, Nahrungsmittelallergene)
nach dem Pathomechanismus, durch den die Allergene eine allergische Reaktion auslösen (z. B. IgE-reaktive Allergene, Kontaktallergene)
nach ihrer allergenen Potenz in Haupt- und Nebenallergene
nach ihrer Aminosäuresequenz in bestimmte Allergengruppen (z. B. Gruppe-5-Graspollenallergene) oder in bestimmte Proteinfamilien (z. B. Lipocaline, Profiline).
Allergene können vom Körper durch Inhalation, durch Ingestion, durch Hautkontakt oder durch Injektion (darunter fallen auch Insektenstiche), aufgenommen werden.
Nicht immunogene Substanzen
Allergien gegen Wasser und Zucker sind per Definition nicht möglich, da einer Allergie eine unangemessene Immunantwort auf ein Allergen zu Grunde liegt. Wasser und Zucker sind aber nicht immunogen und daher auch nicht „allergisierend“. Eine Erkrankung, die gelegentlich als Wasserallergie bezeichnet wird, ist die extrem seltene aquagene Urtikaria (Wassernesselsucht). Als Wasserallergie wird hin und wieder auch eine Immunantwort auf im Leitungswasser gelöste Stoffe bezeichnet.
Sensibilisierung
Eine Allergie setzt eine Sensibilisierung voraus. Unter Sensibilisierung versteht man den 1. Kontakt mit dem Allergen und der für dieses Allergen spezifischen Immunantwort des Körpers. Diese Sensibilisierung verursacht keine Krankheitssymptome, kann aber im Blut nachgewiesen werden. Erst bei einem erneuten Kontakt mit dem Allergen nach Abschluss der Sensibilisierungsphase (5 Tage bis mehrere Jahre) treten bei Allergikern die allergischen Krankheitssymptome auf.
Prophylaxe einer Sensibilisierung
Die beste Prophylaxe gegen eine Allergie ist die Vermeidung der Sensibilisierung. Das vollständige Vermeiden von sämtlichen Allergenen ist unmöglich. Jedoch ist in bestimmten Fällen die Vermeidung bzw. Verringerung der Belastung mit potentiellen Allergenen möglich und sinnvoll:
Vermeidung von Latex
Kinder, die mit offenem Rücken (Spina bifida) geboren werden, haben ein sehr hohes Risiko einer Sensibilisierung gegen Latex. Es ist daher heute klinischer Standard, diese Kinder von Geburt an vor jedem Kontakt mit Latex (beispielsweise bei Latex-OP-Handschuhen) zu schützen.
Stillen
Die optimale Ernährung für Neugeborene ist das ausschließliche Stillen während mindestens der ersten 4 Lebensmonate. Es gibt retrospektive Studien, die beobachtet haben, dass gestillte Kinder seltener an Allergien leiden als nicht gestillte.
Hunde und Katzen
Es gibt auch Studien dazu, dass Haushunde und auch Hauskatzen vor Allergien schützen können. Diese sammeln im Freien Allergene ein, die dann später zu Hause an das Kind abgegeben werden. Dessen Immunsystem wird dann dazu trainiert, die Fremdkörper zwar zu erkennen, diese aber als harmlos einzustufen. Zumindest in einer tierexperimentellen Studie an Mäusen hat dies funktioniert.
Arbeitsschutz
Die exogen-allergische Alveolitis ist meist eine Berufskrankheit, die durch die Inhalation von bestimmten Stäuben (z. B. Mehl bei der Bäcker-Lunge) verursacht wird. Durch entsprechende Arbeitsschutz-Maßnahmen, wie das Tragen von Feinstaubmasken oder auch die Verwendung von Abzugshauben, kann der Allergenkontakt vermindert und die Mitarbeiter somit vor einer Sensibilisierung geschützt werden.
Symptome
Das Risiko, an einer Allergie zu erkranken, wird durch genetisch fixierte Prädisposition, durch die aktuelle Abwehrlage der Körpergrenzflächen, durch Häufigkeit und Intensität der Allergenexposition und durch die allergene Potenz der betreffenden Substanz bestimmt. Die Symptome einer Allergie können mild bis schwerwiegend und in einigen Fällen sogar akut lebensbedrohlich sein. Expositionsbedingt kann es sein, dass die Symptome nur saisonal auftreten, etwa zur Zeit des entsprechenden Pollenflugs, oder dass die Symptome ganzjährig auftreten, wie bei einer Allergie gegen Hausstaubmilbenkot.
Je nachdem, mit welchem Organ Allergene durch den Körper aufgenommen werden, entstehen bei der Allergie unterschiedliche Krankheitssymptome. Allergiker können an einer Krankheitsform leiden, aber auch an Mischformen. Organmanifestationen können Respirationstrakt, Verdauungstrakt, Herz und Kreislauf, blutbildende Organe, Haut, Nieren, Gelenke und das Nervensystem betreffen.
Symptome durch Inhalationsallergene
Inhalationsallergien gehören zu den Typ-1-Allergien vom Soforttyp. Inhalationsallergene werden über die Atmungsorgane aufgenommen und/oder gelangen über die Schleimhäute von Nase und Augen in den Körper. Zu den Inhalationsallergenen gehören z. B. Allergene aus Pollen, Pilzsporen, tierischen Epithelien, Federstaub, Speichel, Schweiß, Urin und Kot, Milbenkot, Insektenschüppchen, Holz- und Mehlstaub, Formaldehyd und Harzen.
Inhalationsallergene lösen primär Atemwegssymptome aus, können sekundär aber auch Haut- und Darmsymptome sowie Kreislauf- und Nervenreaktionen auslösen. Typische allergische Erkrankungen durch Inhalationsallergene sind Allergische Rhinitis (Heuschnupfen), Konjunktivitis (Bindehautentzündung), Hustenreiz, bronchiale Hyperreaktivität, Asthma bronchiale.
Symptome durch Ingestionsallergene
Ingestionsallergene werden durch den Mund bzw. den Verdauungstrakt aufgenommen. Manche Ingestionsallergene werden erst im Laufe des Verdauungsprozesses freigesetzt und vom Körper aufgenommen. Die Symptome einer Allergie gegen Nahrungsmittel oder gegen oral aufgenommene Medikamente können deshalb innerhalb weniger Minuten oder auch erst mehrere Stunden nach der Nahrungsaufnahme/ Medikamenteneinnahme auftreten, obwohl es sich bei der Nahrungsmittelallergie um eine Typ-I-Soforttyp-Allergie handelt. Die Arzneimittelallergie kann in Form eines Arzneimittelexanthems auch als Typ-IV-Spätreaktion auftreten.
Ingestionsallergene können bei entsprechend veranlagten und sensibilisierten Menschen primär Verstopfung, Brechdurchfall oder abdominale Koliken verursachen, über die Aufnahme der Allergene durch das Blut auch Haut- und/oder Atemwegssymptome.
Symptome durch Kontaktallergene
Kontaktallergene werden über die Haut aufgenommen. Sie überwinden die Barrierefunktion der Haut. Kontaktallergene können sowohl eine Sofortreaktion der Haut auslösen z. B. Kontakturtikaria oder auch eine Spätreaktion (Typ-IV-Spättyp-Allergie), die erst nach 12 bis 72 Stunden eintritt, z. B. das allergische Kontaktekzem.
Symptome durch Injektionsallergene
Injektionsallergene werden durch Injektion oder Infusion in den Körper eingebracht. Die Barrierefunktion von Haut und Schleimhaut wird dadurch umgangen. Zu den Injektionsallergenen gehören tierische Gifte (z. B. von Bienen, Wespen, Feuerameisen, Quallen, Seeanemonen, Feuerkorallen) und Medikamente (z. B. Penicillin).
Zu den typischen allergischen Reaktionen durch Injektionsallergene gehören eine gesteigerte örtliche Reaktion und/oder anaphylaktische Reaktionen.
Systemische Reaktionen
Unabhängig davon, mit welchem Organ Allergene vom Körper aufgenommen werden, kann eine Allergie auch systemische Reaktionen verursachen, die den gesamten Körper betreffen, z. B. Urtikaria und anaphylaktische Reaktionen.
Kreuzallergie
Unter einer Kreuzallergie versteht man eine Sensibilisierung gegenüber biologisch oder chemisch verwandten Substanzen. Die Struktur dieser Substanzen ist teilweise identisch, so dass vom Immunsystem mehrere unterschiedliche Substanzen als Allergen erkannt werden können, obwohl eine Sensibilisierung nur gegen eine der Substanzen vorliegt. Beispielsweise können Allergiker gegen Birkenpollen auch auf Äpfel allergisch reagieren. Die allergische Reaktion kann bei der Kreuzallergie bereits beim Erstkontakt erfolgen, wenn es vorher eine Sensibilisierung mit einer ähnlichen Substanz gab.
Systematik von Allergien nach Pathomechanismus
Coombs und Gell haben 1963 als erste Menschen Allergien nach ihren pathophysiologischen Mechanismen in vier Typen eingeteilt, die sich überlappen können:
Frühtypen
Die Frühtypen (Typ-I- bis Typ-III-Allergien), genannt auch allergische Sofortreaktionen, werden durch Antikörper vermittelt (humorale Allergie).
Typ-I-Allergie (Soforttyp, anaphylaktischer Typ)
Die Typ-I-Allergie ist die häufigste Allergieform.
Bei der Typ-I-Allergie liegt eine Fehlfunktion der Regelung der IgE-Antikörper vor. IgE-Antikörper bewirken durch mehrere Mediatoren schon in geringen Mengen eine Erweiterung der Blutgefäße und steigern deren Durchlässigkeit für weiße Blutkörperchen. T-Zellen, die normalerweise die IgE-Aktivität auf ein vernünftiges Maß einschränken, fehlen bei der Typ-I-Allergie oder sind zu wenig aktiv. Bei der Typ-I-Allergie werden durch die Vermittlung von IgE-Antikörpern Entzündungsmediatoren, z. B. Histamin, Leukotriene, Prostaglandine, Kallikrein, aus Basophilen Granulozyten und Mastzellen freigesetzt. Dadurch wird eine Entzündung von Haut, Schleimhaut oder eine systemische Entzündung hervorgerufen.
Die allergische Reaktion bei der Typ-I-Allergie erfolgt innerhalb von Sekunden bis Minuten. Eventuell ist eine zweite Reaktion nach 4 bis 6 Stunden möglich (verzögerte Sofortreaktion). Diese zweite Reaktion darf nicht mit der Spättypreaktion der Typ-IV-Allergie verwechselt werden.
Typische Krankheiten der Typ-I-Allergie:
Allergisches Asthma
allergische Bindehautentzündung
Heuschnupfen
Nesselsucht
Angioödem
Anaphylaxie (anaphylaktischer Schock)
Arzneimittelallergien
Jones-Mote-Reaktion
Nahrungsmittelallergien
Typ-II-Allergie (zytotoxischer Typ)
Bei der Typ-II-Allergie kommt es zur Bildung von Immunkomplexen aus membranständigen Antigenen (z. B. Medikamenten, Blutgruppenantigenen) mit zirkulierenden IgG- oder IgM-Antikörpern. Dadurch werden das Komplementsystem oder zytotoxische Killerzellen aktiviert und es kommt zur Zytolyse (Zerstörung) körpereigener Zellen.
Die allergische Reaktion bei der Typ-II-Allergie erfolgt nach 6 bis 12 Stunden.
Typische Krankheiten für die Typ-II-Allergie:
allergisch bedingte Hämolytische Anämie
Thrombopenie
Agranulozytose
Transfusionszwischenfälle
Goodpasture-Syndrom
Typ-III-Allergie (Immunkomplextyp, Arthus-Typ)
Bei der Typ-III-Allergie werden Immunkomplexe aus präzipitierenden IgG- und IgM-Antikörpern und Allergenen gebildet. Dadurch werden Komplementfaktoren aktiviert, insbesondere C3a und C5a. Diese speziellen Teile des Komplementsystems führen zur Phagozytose (aktiven Aufnahme) der Immunkomplexe durch Granulozyten unter Freisetzung gewebeschädigender Enzyme, z. B. Elastase, Kollagenase, Myeloperoxidase.
Die allergische Reaktion bei der Typ-III-Allergie erfolgt nach 6 bis 12 Stunden.
Typische Krankheiten für die Typ-III-Allergie:
Serumkrankheit
allergische Vaskulitis
exogen-allergische Alveolitis
Allergische bronchopulmonale Aspergillose
Spättyp
Der Spättyp (die Typ-IV-Allergie), genannt auch verzögerte allergische Reaktion, wird durch spezifisch sensibilisierte T-Zellen vermittelt (zellvermittelte Allergie).
Typ-IV-Allergie (verzögerter Typ)
Die Typ-IV-Allergie ist nach der Typ-I-Allergie die häufigste Allergieform.
Bei der Typ-IV-Allergie werden Lymphokine aus spezifisch sensibilisierten T-Lymphozyten freigesetzt. Diese Lymphokine bewirken die Aktivierung bzw. Vermehrung von Makrophagen und mononukleären Zellen sowie deren Wanderung an den Ort der Allergenbelastung. Dadurch erfolgt eine lokale Infiltration und Entzündung.
Die allergische Reaktion bei der Typ-IV-Allergie erfolgt nach 12 bis 72 Stunden.
Typische Krankheiten der Typ-IV-Allergie:
Allergisches Kontaktekzem (Kontaktallergie bei längerem Kontakt der Haut mit einem Antigen)
Tuberkulinreaktion und andere Infektionsallergien (bei Gegenwart von Bakterien oder Viren)
Arzneimittelexanthem
Transplantatabstoßung
persistierende granulomatöse Reaktion
Allergietests
Auch ein positiver Allergietest ist allein kein Nachweis für eine Allergie. Die Diagnose Allergie kann nur im Zusammenhang mit dem Allergietest und den klinischen Beschwerden gestellt werden. Durch den Hauttest und den Bluttest wird lediglich die Sensibilisierung gegen eine bestimmte Substanz nachgewiesen. Diese Testungen sagen wenig darüber aus, ob überhaupt Beschwerden bestehen oder über die Art oder Schwere der Beschwerden. Mit den Provokationstests werden eine Unverträglichkeit und das Beschwerdebild dieser Unverträglichkeit nachgewiesen, aber nicht, ob es sich bei dieser Unverträglichkeit tatsächlich um eine Allergie handelt.
Hauttests
Hauttests werden als Standarduntersuchungen vorgenommen, wenn der Verdacht besteht, dass ein Patient allergisch auf eine Substanz reagiert. Beim Hauttest werden Allergenextrakte bzw. allergenhaltiges Material auf verschiedene Weisen mit der Haut in Kontakt gebracht. Sensibilisierte Betroffene zeigen nach definierten Zeiten lokale Reaktionen vom Sofort-Typ oder Spät-Typ. An ihnen kann abgelesen werden, gegen welche Allergene oder Allergenquellen der Patient sensibilisiert ist. Dieser Test kann unter Umständen auch Hinweise auf den Schweregrad der allergischen Reaktion geben.
Pricktest: Die am häufigsten angewendete Methode ist der Pricktest (auch skin prick test (SPT)), bei dem einzelne Tropfen von glyzerinisierten Allergenextrakten sowie Histamin und isotonische Kochsalzlösung (als Referenzen) auf den Unterarm oder den Rücken aufgebracht werden. Bei dem Test werden mögliche Allergene in kleinen Abständen voneinander aufgetragen. Durch die Tropfen hindurch wird mit einer Spezialnadel (Lanzette) etwa 1 mm in die Haut gestochen, damit die Allergene in die gelangen. Nach ca. 15 Minuten kann die Sofortreaktion abgelesen werden. Wenn die Haut an den betreffenden Stellen rot ist und anschwillt, dann handelt es sich um eine allergische Reaktion
Prick-to-prick-Test: Beim Prick-to-prick-Test wird erst mit der Lanzette in die vermutete Allergenquelle gestochen (Früchte) und dann in die Haut des Patienten.
Intrakutantest: Beim Intrakutantest werden ca. 20 Mikroliter von wässrigen Allergenextrakten mit einer Tuberkulinspritze oberflächlich in die Haut injiziert.
Reibetest: Der Reibetest wird bei besonders empfindlichen Menschen angewandt. Der Arzt reibt den vermuteten Allergieauslöser an der Innenseite des Unterarms. Bei positiver Reaktion zeigen sich großflächige Rötungen oder Quaddeln.
Scratchtest: Beim Scratchtest werden Allergenextrakte auf die Beugeseite des Unterarms gegeben und die Haut mit einer Lanzette 5 mm lang oberflächlich angeritzt. Dieser Test wird aber wegen seiner Ungenauigkeit selten angewendet.
Epikutantest: Unter anderem bei der Kontaktdermatitis wird ein Pflastertest angewendet, der Epikutantest oder Atopie-Patch-Test. Dabei werden die vermuteten Allergene in Vaseline eingearbeitet eingesetzt. Die Allergen-Vaseline-Mischungen werden auf zirka 1,5 Zentimeter im Durchmesser große und zirka zwei Millimeter tiefe Aluminiumscheiben gebracht. Mit einem Pflaster werden diese Aluminiumkammern dann so auf die Haut am Rücken oder an den Oberarmen des Patienten geklebt, dass die Allergen-Vaseline-Mischungen auf der Haut fixiert werden. Weil Kontaktdermatitiden Spät-Typ-Reaktionen sind, muss das Pflaster zwei bis drei Tage auf der Haut bleiben, bevor ein Ergebnis abgelesen werden kann. Problematisch bei diesem Test sind die geringe Sensitivität und die schlechte Reproduzierbarkeit. Der Atopie-Patch-Test wird daher derzeit bei Nahrungsmitteln nicht mehr empfohlen.
Provokationstests
Bei Provokationstests wird das vermutete Allergen dem Patienten nicht über die Haut, sondern in anderer Form zugeführt. Der wesentliche Vorteil der Provokationstests liegt darin, dass eine Beschwerde-Auslösung nachgewiesen werden kann und nicht nur wie beim Bluttest mittels Nachweis von IgE-Antikörpern eine Sensibilisierung. Da bei Provokationstests unerwartet heftige Krankheitszeichen bis zum lebensbedrohlichen anaphylaktischen Schock auftreten können, sollten sie nur von einem allergologisch erfahrenen Arzt durchgeführt werden, der erforderlichenfalls auch die entsprechenden Notfallmaßnahmen durchführen kann.
Rhinomanometrie
Bei allergischer Rhinoconjunctivitis (Heuschnupfen) kann zur Provokation ein Allergenextrakt in die Nase gesprüht werden und anschließend die allergische Reaktion gemessen werden, indem die Schwellung der Nasenschleimhaut mittels einer sogenannten Rhinomanometrie oder der Tryptase-Spiegel im Blut gemessen wird.
Lungenfunktionsprüfung
Bei allergischem Asthma erfolgt die Provokation durch die Inhalation eines Allergenextrakts mit anschließender Erfassung der allergischen Reaktion mit einer Lungenfunktionsprüfung. Da Asthma meist mit einer bronchialen Hyperregibilität einhergeht, kann auch unspezifisch mit ansteigenden Konzentrationen einer Methacholin-Lösung provoziert werden (Methacholintest).
Doppelblinde plazebokontrollierte orale Nahrungsmittelprovokation
Bei schweren Nahrungsmittelallergien kann die double blind placebo controlled food challenge (Doppelblinde plazebokontrollierte orale Nahrungsmittelprovokation (DBPCFC)) angewendet werden. Dabei werden einer hypoallergenen Grundnahrung nach und nach verschiedene Nahrungsmittel so zugefügt, dass weder der Patient noch der Arzt das Nahrungsmittel erkennen kann. Dabei wird die Verträglichkeit beobachtet. So kann festgestellt werden, welche Nahrungsmittel allergische Reaktionen auslösen, und es können andersherum auch Nahrungsmittel identifiziert werden, die gefahrlos konsumiert werden können. Dieses Verfahren ist allerdings sehr zeitaufwändig und kann i. d. R. nur stationär durchgeführt werden.
Blutuntersuchungen
IgE Antikörper
In Blutproben können IgE-Antikörper gemessen werden. Zum einen kann der Gesamt-IgE-Spiegel gemessen werden, der alle freien IgE-Antikörper erfasst. Dieser Wert ermöglicht eine Aussage darüber, ob generell vermehrt IgE-Antikörper gebildet werden. Erhöhte Gesamt-IgE-Werte kommen aber nicht nur bei allergischen Erkrankungen vor, sondern auch bei Parasitenbefall und bestimmten hämatologischen Erkrankungen.
Zum anderen können auch allergenspezifische IgE-Antikörper nachgewiesen werden. Hierbei werden also die IgE-Spiegel ermittelt, die sich konkret gegen eine Allergenquelle richten.
Die quantitative Messung von IgE-Antikörpern im Blut korreliert jedoch nur schlecht mit dem klinischen Bild. Das heißt, die Messung von IgE-Antikörpern im Blut erlaubt eine Aussage über die Sensibilisierungen eines Allergikers, aber nur bedingt eine Einschätzung der Schwere der Symptome und gar keine Aussage über die Art der Symptome. Es kann auch sein, dass allergenspezifische IgE-Antikörper trotz Sensibilisierung nicht nachgewiesen werden können.
ECP
Ein weiterer Parameter, der in Blutproben gemessen werden kann, ist das eosinophile kationische Protein (ECP). ECP wird von aktivierten Eosinophilen ausgeschüttet. ECP ist ein Entzündungsparameter und wird zur Verlaufskontrolle bei allergischem Asthma oder bei atopischer Dermatitis bestimmt.
Tryptase
Tryptase kann ebenfalls in Blutproben nachgewiesen werden. Tryptase wird von aktivierten Mastzellen ausgeschüttet und ist ein für aktivierte Mastzellen hochspezifischer Parameter. Der Tryptase-Spiegel wird auch bestimmt zur Diagnostik beim anaphylaktischen Schock, zur postmortalen Diagnose beim Asthmatod, zur Diagnostik der Mastozytose und bei der Provokationstestung bei allergischer Rhinitis.
LTT
Durch einen Lymphozytentransformationstest (LTT) kann die Bestimmung sensibilisierter Lymphozyten nachgewiesen und quantifiziert werden. Dies kann bei bestimmten Typ-IV-(Spät-)Allergien sinnvoll sein.
Therapie
Allergenkarenz
Die Allergenkarenz, d. h. die Allergenvermeidung, ist bei sensibilisierten Personen die optimale Therapie, um eine Allergie zu vermeiden, da eine Allergie nur bei einem Kontakt mit dem entsprechenden Allergen auftreten kann. Eine fortgesetzte Allergenbelastung steigert die Immunantwort auf das Allergen, während eine dauerhafte Allergenkarenz die Sensibilisierung zwar nicht aufhebt, die spezifische Immunantwort aber abschwächt. Wenn die strikte Vermeidung eines Allergens nicht möglich ist, sollte eine möglichst weitgehende Verringerung der Allergenbelastung erfolgen, da eine Allergie auch von der Intensität der Allergenbelastung abhängt.
Bestimmte Produkte, wie milbendichte Matratzenbezüge bei der Hausstaubmilbenallergie oder Pollenfilter in Klimaanlagen bei der Pollenallergie, helfen, den Allergenkontakt zu reduzieren. Auch wenn bei der Tierhaarallergie ein Verzicht auf Haustiere den Allergenkontakt stark reduziert, so sind Tierhaarallergene sehr stabil, werden verschleppt und können auch an Orten wie Schulen nachgewiesen werden, an denen normalerweise keine Tiere gehalten werden. Nahrungsmittelallergene hingegen können meistens sehr gut vermieden werden.
Im Jahr 1925 begründete Willem Storm van Leeuwen (1882–1933) „antiallergische Kammern“.
Medikamentöse Therapie
Die meisten Allergien werden mit Medikamenten behandelt, die das Auftreten von allergischen Symptomen mildern oder verhindern, aber keine Heilung von der allergischen Erkrankung bewirken können. Diese Antiallergika werden je nach Krankheitsform und Schwere der Erkrankung in unterschiedlichen Darreichungsformen (Tabletten, Nasensprays, Asthmasprays, Augentropfen, Cremes, Salben und Injektionen) und in unterschiedlichen Intervallen (bei akutem Bedarf, prophylaktisch, dauerhaft) angewendet.
Eingesetzte Wirkstoffe zur Allergiebehandlung sind
Antihistaminika (zum Beispiel Loratadin)
Adrenalin (bei schweren Reaktionen)
Glukokortikoide (zum Beispiel Prednison)
Mastzellstabilisatoren (zum Beispiel Cromoglicinsäure)
pflanzliche Wirkstoffe (z. B. Extrakte aus der Wurzel der Tragant)
Bei Asthma
β2-Sympathomimetika (zum Beispiel Salbutamol)
Leukotrienrezeptor-Antagonisten (zum Beispiel Montelukast)
Theophyllin,
der humanisierte monoklonale Antikörper Omalizumab (Xolair) bei schwerem allergischen Asthma
Schwere akute Fälle mit anaphylaktischem Schock sind lebensbedrohlich und erfordern ärztliche Notfallmaßnahmen.
Antihistaminika intravenös
Adrenalin intramuskulär und intravenös
Glukokortikoide
Infusionen zum Volumenersatz
Patienten, bei denen bekannt ist, dass sie Gefahr laufen, einen anaphylaktischen Schock zu erleiden (z. B. bei Insektengiftallergien), wird ein Notfallset mit Antihistaminikum, Glukokortikoid, eventuell einem Inhalationspräparat und einem Autoinjektor mit Adrenalin verschrieben (Adrenalin-Pen), welches sie stets bei sich tragen sollten.
Ausblicke
Verschiedene Wirkstoffe vor allem zur Dämpfung der Immunreaktion werden derzeit auf ihre Eignung als Medikament getestet.
Hyposensibilisierung
Die Hyposensibilisierung, auch Spezifische Immuntherapie (SIT), ist bislang die einzige verfügbare kausale Therapie bei Typ-I-Allergien. Bei der Hyposensibilisierung wird die allergenspezifische IgE-vermittelte Reaktionsbereitschaft des Immunsystems (Allergie vom Soforttyp, Typ-I-Allergie) herabgesetzt durch regelmäßige Zufuhr des Allergens über einen längeren Zeitraum in unterschwelligen, langsam ansteigenden Konzentrationen. Das Allergen oder das modifizierte Allergen (Allergoid) werden entweder unter die Haut gespritzt (subkutane Immuntherapie (SCIT)) oder als Tropfen oder Tabletten sublingual (sublinguale Immuntherapie (SLIT)) aufgenommen.
Voraussetzung für eine erfolgreiche Hyposensibilisierung ist die Bereitschaft und Fähigkeit des Allergikers, die Therapie über einen Zeitraum von drei Jahren, sowie die anschließende Erhaltungstherapie, regelmäßig durchzuführen. Die Indikation für eine Hyposensibilisierung besteht für Menschen ab 5 Jahre, wenn das verursachende Allergen nicht gemieden werden kann, die Wirkung der Hyposensibilisierung für die behandelnde Erkrankung belegt ist und ein geeigneter Allergenextrakt verfügbar ist. Die Wirksamkeit der Hyposensibilisierung ist durch mehrere Studien für Rhinokonjunktivitis bei Pollenallergie, für das allergische Asthma bronchiale, für die Hausstaubmilbenallergie, für die Schimmelpilzallergie, für die Tierhaarallergie und für die Insektengiftallergie belegt.
Auch konnte durch entsprechende Studien für einige Produkte nachgewiesen werden, dass durch die Hyposensibilisierung das Asthmarisiko verringert und die Neusensibilisierung auf weitere Allergene reduziert wird. Aus diesem Grund sollte die Hyposensibilisierung bei Kindern und Jugendlichen frühzeitig erfolgen und solche Produkte gewählt werden, für die dieser Effekt nachgewiesen wurde.
Prognose
Nahrungsmittelallergien bei Kindern
Das Immunsystem von Kindern ist noch nicht voll ausgereift. Kinder haben deshalb eine erhöhte Allergieneigung. Auch und gerade bei Kindern kann deshalb im Verlauf der Erkrankung eine Allergieform durch eine andere ersetzt werden oder zu einer Allergie eine weitere hinzutreten. Bei konsequenter Meidung des auslösenden Allergens verschwindet eine Nahrungsmittelallergie mit Reifung des Immunsystems meistens bis zum 5. Lebensjahr, vor allem die Kuhmilch- und die Hühnereiallergie. Andere Nahrungsmittelallergien, z. B. die Erdnussallergie, haben allerdings nur eine geringe Besserungstendenz.
Veränderte Reaktionsbereitschaft von Zellen
Besonders bei chronischem Verlauf der Typ-I-Allergie erhöht sich die Reaktionsbereitschaft von Mastzellen, Monozyten, sowie von basophilen und eosinophilen Granulozyten. Dadurch können die Symptome einer bestehenden Allergie verstärkt werden und/oder neue Allergien hinzutreten.
Etagenwechsel
Unter einem Etagenwechsel versteht man bei der Inhalationsallergie das Übergreifen IgE-vermittelter Allergiesymptome (Typ-1-Sofort-Allergie) von den Konjunktiven (Bindehaut des Auges) auf die Nasen- und Bronchialschleimhaut oder von den oberen Atemwegen auf die unteren Atemwege, ein Heuschnupfen wird zum allergischen Asthma. Auch das Hinzutreten weiterer Inhalationsallergien und/oder das Auftreten von Kreuzallergien wird als Etagenwechsel bezeichnet.
Unbehandelt führen 30–40 % aller Allergien gegen Inhalationsallergene zu einem Etagenwechsel.
Pseudoallergien und Intoleranzen
Es gibt Krankheiten, deren Symptome einer Allergie gleichen, die jedoch nicht immunologisch bedingt sind. Diese Krankheiten werden als Pseudoallergie oder Intoleranz bezeichnet.
Bei der Pseudoallergie werden die allergieähnlichen Symptome ausgelöst, indem Mastzellen unspezifisch aktiviert werden. Wenn Mastzellen aktiviert werden und degranulieren, dann setzen sie eine Reihe von Entzündungsmediatoren (z. B. Histamin) frei. Es entsteht eine Entzündungsreaktion, die sich in allergieähnlichen Symptomen äußert.
Während bei Allergien die Aktivierung der Mastzellen spezifisch erfolgt, nämlich dadurch, dass bestimmte Allergene an oberflächlich gebundene Antikörper binden können, so erfolgt die Mastzell-Aktivierung bei Pseudoallergien unspezifisch, also ohne Beteiligung der oberflächlich gebundenen Antikörper.
Abzugrenzen von der Pseudoallergie und der Allergie ist die Intoleranz, die ebenfalls allergieähnliche Symptome verursachen kann. Bei der Intoleranz handelt es sich um eine Stoffwechselstörung. Der Körper kann bestimmte Substanzen nicht oder nicht ausreichend verstoffwechseln, meistens aufgrund eines Enzymdefektes.
Arzt für Allergologie
Die Ausbildung zum Allergologen ist eine Zusatzausbildung für Fachärzte. Dieser Facharzt ist also nur für Allergien in seinem Fachbereich zuständig. Für die Hauttestungen ist der Dermatologe mit der Zusatzausbildung Allergologie zuständig. Für die mit ähnlichen Symptomen auftretenden Pseudoallergien und Intoleranzen gibt es keine speziellen Fachärzte.
Da sich beim Allergiker aber die Symptome nur in den seltensten Fällen auf ein Organ beschränken, der Kranke selbst gar nicht erkennen kann, ob seine Symptome von einer Allergie, einer Pseudoallergie oder einer Intoleranz herrühren und welche spezielle Diagnostik er benötigt, ist die Diagnose von Unverträglichkeiten oft langwierig und schwierig, da man für die Diagnose oft mehrere Ärzte aufsuchen muss.
Siehe auch
Allergiekarriere
Pathergie
Literatur
Clemens von Pirquet: Allergie. In: Münchener Medizinische Wochenschrift. Band 30, 1906, S. 1457–1458 (erste Erwähnung des Begriffs „Allergie“).
Björn M. Hausen, Ines K. Vieluf: Allergiepflanzen – Handbuch und Atlas. Kontaktallergene – Allergische Frühreaktionen. 2., erweiterte Auflage. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-933203-48-1.
Claus Bachert, Bernd Kardorff: Allergische Erkrankungen in der Praxis. 2. Auflage.Uni-Med Verlag, Bremen 2001, ISBN 3-89599-505-3.
Bärbel Häcker: Allergie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/ New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 40 f.
Weblinks
Einzelnachweise
Immunologie
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Q42982
| 209.43088 |
4281319
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hacker
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Hacker
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Hacker (auch ausgesprochen []) ist in der Technik ein Anglizismus mit mehreren Bedeutungen. In seiner ursprünglichen Verwendung bezieht sich der Begriff auf Tüftler im Kontext einer verspielten, selbst bezogenen Hingabe im Umgang mit Technik und einem besonderen Sinn für Kreativität und Originalität (). Alltagssprachlich und besonders in den Medien ist der Begriff meist negativ konnotiert und wird häufig als Synonym verwendet für jemanden, der illegal in Rechnersysteme eindringt.
Allgemeines
Wau Holland, ein Gründer des Chaos Computer Clubs, prägte die Formulierung: „Ein Hacker ist jemand, der versucht einen Weg zu finden, wie man mit einer Kaffeemaschine Toast zubereiten kann“. Demnach kann es hierbei auch um das Experimentelle gehen, also den Versuch, die Grenzen des Machbaren zu erkunden. Die Durchführung der Aktivitäten wird Hacken genannt; das Ergebnis ist ein Hack.
In den 1980er Jahren entstand die Szene aus dem Bereich der Datensicherheit. Sie hat wie keine andere Szene das öffentliche Verständnis zum Hackerbegriff geprägt. Teile dieser Szene sehen ihre Absicht darin, Sicherheitslücken aufzuzeigen und zu beseitigen, und schreiben dem Begriff einen positiven Anklang zu. In der öffentlichen Wahrnehmung wird er seit 1983 häufiger für Personen benutzt, die unbefugt Sicherheitsbarrieren umgehen und solche Lücken ausnutzen (siehe auch: Cracker), wobei „Hacker“ abgrenzbar von „Scriptkiddie“ ist: Ein Hacker besitzt tiefe Grundlagenkenntnisse, ein Scriptkiddie nicht. Seit 1988 wird im Rahmen des Chaos Computer Club die weibliche Form, die Haeckse, geprägt.
Die anderen Szenen haben keinen direkten Bezug zur Datensicherheit und entstanden bereits seit Ende der 1950er Jahre. Zu ihrem folgenreichsten Vermächtnis gehören das Internet (seit 1969) und die Entwicklung der ersten Personal Computer (seit 1975 mit Gründung des Homebrew Computer Clubs). Ebenso gingen die Freie-Software-Bewegung (seit 1984 mit der Schaffung des GNU-Projekts) und die Open-Source-Bewegung (seit 1998) daraus hervor. Entsprechend ist der Begriff stark positiv beziehungsweise negativ belegt.
Überblick
Verwendung des Begriffs seit Ende der 1950er Jahre bis heute
Im Hackerjargon erstreckt sich das Betätigungsfeld eines Hackers auf ein beliebiges Gebiet der Technologie. Als Beispiel kann auch jemand auf dem Fachgebiet der Astronomie ein Hacker sein. Der Ausdruck existiert seit Ende der 1950er Jahre und umfasst in einem übergreifenden Sinn experimentierfreudige Technikenthusiasten, insbesondere (aber nicht nur) aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Im Unterschied zu üblichen Benutzern technischer Systeme, die es vorziehen, nur deren Gebrauch zu erlernen, haben sie Spaß daran die Systeme bis ins Detail zu untersuchen. Mit ihren Fachkenntnissen benutzen sie Geräte beliebiger Art oft außerhalb ihrer normalen Zweckbestimmung oder ihres gewöhnlichen Gebrauchs.
Seit September 1983 wird „Hacker“ in der öffentlichen Wahrnehmung vornehmlich im Kontext der Computerkriminalität meist in abwertender Weise verwendet. Er erhielt so einen schlechten Beiklang sowohl in der Berichterstattung der Medien als auch in der Politik und Justiz, wo er seitdem Computeranwender beschreibt, die an Einbrüchen in fremde Rechner und Netze beteiligt sind. In den darauf folgenden Jahren bis heute wird er zudem in Verbindung gebracht mit verschiedenen Formen der Internetkriminalität, vom Phishing und teilweise bis hin zum Cyber-Terrorismus. Die Bundesregierung erhofft sich indes von Hackern aktive Hilfe bei der Schaffung von Überwachungsmechanismen, was jedoch Kritiker als „verfassungsrechtlich hoch bedenkliche Initiative“ ansehen. Die Szene der Hacker, in Deutschland vertreten durch den Chaos Computer Club, gehört selbst zu den größten Kritikern sowohl der Überwachung als auch mit Blick auf andere Handlungen, die gegen ihre ethischen Grundsätze verstoßen (siehe Abgrenzung zum Begriff „Cracker“).
Überwiegend positiv besetzt ist der Ausdruck im Kontext des seit Januar 1984 existierenden GNU-Projekts, der Freien-Software- und der 14 Jahre später entstandenen Open-Source-Bewegung. Ebenso gehört die Freie-Hardware-Bewegung dazu. Ein Merkmal eines Hackers ist nicht die Aktivität selbst, sondern die Art wie sie durchgeführt wird. Jemand der beispielsweise für ein Open-Source-Projekt entwickelt, ist nicht automatisch ein Hacker, aber die Hackergemeinschaft ist eng verknüpft mit diesen Bewegungen. Der Journalist Steven Levy berichtet 1984 in seinem Buch „Hackers – Heroes of the Computer Revolution“ erstmals über deren innovativen Einfluss bei der Schaffung des Internets und der Entwicklung des PCs. Hacker helfen bei der Verbesserung technischer Infrastrukturen, Verfahren und Geräte, auch indem sie Sicherheitslücken aufzeigen oder korrigieren. Teile der Sicherheitsszene setzten sich mit ihrem Fachwissen sowohl für Informationsfreiheit ein, was öffentliche Daten anbelangt, als auch für den Schutz von persönlichen Daten, der Privatsphäre. Im letzteren Kontext geht es ihnen beispielsweise um generelle Datensparsamkeit, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung und weitere Aspekte des Datenschutzes. Als Beispiel sei eine Sprecherin der Szene genannt – Constanze Kurz – die 2013 in diesem Kontext die Theodor-Heuss-Medaille für ihr vorbildliches demokratisches Verhalten erhielt; 2014 wurde sie mit der Auszeichnung Deutschlands Digitale Köpfe geehrt, die jenen gilt, die mit ihren Ideen und Projekten die digitale Entwicklung in Deutschland vorantreiben. Die Sicherheitsszene klärt aktiv auf zu Themen wie Internetnutzung, Verschlüsselung, Zensur, Risiken von sozialen Netzen, Vorratsdatenspeicherung und verwandten Themen. Sie ist eng verknüpft mit der Bürgerrechtsbewegung Freiheit statt Angst und erstellt Gutachten für das Bundesverfassungsgericht bzw. nimmt an Anhörungen der Bundesregierung teil.
Für weitere Informationen dazu siehe die Abschnitte „Selbstverständnis“ und „Öffentliche Wahrnehmung“.
Abgrenzung zum Begriff „Cracker“
Seit Anbeginn der Hackerkultur, die sich in den 1960er und 1970er Jahren an akademischen US-Einrichtungen bildete, existiert eine Hackerethik. Schriftlich wird sie erstmals 1984 in Steven Levys Buch Hackers dokumentiert. Levy formuliert darin seinen Eindruck über die Werte der frühen Hackerszene am MIT. Ende der 1980er Jahre wurde seine Formulierung vom Chaos Computer Club adoptiert und dabei um die Belange der Sicherheitsszene erweitert. Eine Abgrenzung zu Handlungen jenseits der Hackerethik findet über die Hackergemeinschaft hinaus auch beispielsweise in amtlichen Expertenorganisationen Anwendung. So schreibt das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik „Böswillige Hacker heißen Cracker“, wobei mit böswillig eine destruktive schadenverursachende Handlung gemeint ist. Die Unterteilung zwischen „gutwillige Hacker“ und „böswillige Cracker“ ist ein seit Anfang der 1990er Jahre währender Versuch der Hackergemeinschaft, dem durch schlechte Presse entstandenen Imageschaden etwas entgegenzusetzen. Demgegenüber findet dieser Versuch in den Medien und in der Politik kaum Beachtung und wird selbst innerhalb der Sicherheitsszene kritisch betrachtet, da es keine klare Trennlinie zwischen „gut“ und „böse“ gibt.
Darüber hinaus ist die Bedeutung von „Cracker“ nicht einheitlich und daher stark vom jeweiligen Kontext abhängig: In Verbindung mit einem CrackMe nimmt das Wort Bezug auf einen Sport auf geistiger Ebene, der weder gesetzwidrig noch destruktiv ist. Insbesondere will sich die akademische Hackerkultur seit Juni 1990 von der Sicherheitsszene komplett distanziert sehen. Hierbei handelt es sich um eine ursprünglich aus dem akademischen Umfeld heraus entstandene Szene, was nicht bedeutet, dass Hacken damals eine akademische Studienrichtung gewesen ist. Nach ihrer Definition werden sämtliche Hacker, die ihre Aktivitäten betont auf die Umgehung von Sicherheitsmechanismen legen, ungeachtet von deren Motivation nicht als Hacker, sondern als Cracker bezeichnet. Das Jargon File verdeutlicht das Selbstverständnis der akademischen Hackerkultur. Seit Juli 1993 wird darin eine Hackerethik formuliert, die einen bis heute umstrittenen Punkt zu solchen Tätigkeiten enthält: Sie schreiben, dass es moralisch in Ordnung sei, wenn Cracker in ein System eindringen, solange es ausschließlich dessen Untersuchung dient und dabei nichts ausgespäht oder beschädigt wird. In diesem Punkt stimmen sie mit der Sicherheitsszene überein, die solche Menschen jedoch Hacker nennen.
Für weitere Informationen dazu siehe die Abschnitte „Cracker“ und „Hackerethik“.
Hackerszenen
Am „Tech Model Railroad Club of MIT“ steht Hacker für jemanden, der seinen Einfallsreichtum nutzt, um ein kluges Ergebnis (einen Hack) zu erreichen. Diese Szene existiert seit Ende der 1950er Jahre.
Hacker bezogen auf Programmierung tritt am MIT erstmals Anfang der 1960er Jahre auf und überschneidet sich in der Gegenwart fast vollständig mit der Freie-Software- und Open-Source-Bewegung.
Hardwarehacker treten als sich untereinander stark unterscheidende Unterform in jeder Szene auf, wie beispielsweise innerhalb der Freie-Hardware-Bewegung. Die heutige Maker-Subkultur ist eng verwandt mit den Hardwarehackern.
Innerhalb der Computersicherheit wird die Herausforderung des Hackens darin gesehen, Sicherheitsmechanismen zu überwinden und somit Schwachstellen erkennen zu können. Hervorgegangen ist diese in den 1980er Jahren entstandene Szene aus dem seit den 1970er Jahren existierenden Phreaking, einer Szene, die sich mit der Manipulation von Telefonverbindungen auseinandersetzt. Themenverwandt ist die Anfang der 1980er Jahre entstandenen Szene der Softwarecracker, die aus der Heimcomputerszene der 1970er Jahre heraus entstand. Aus ihr hat sich Ende der 1990er Jahre die Demoszene gebildet.
Für weitere Informationen dazu siehe die Abschnitte „Herkunft am MIT und TMRC“, „Softwareentwicklung“, „Hardwarehacker“ und „Sicherheitsszene“.
Der Hauptunterschied zwischen den Szenen ist ihre größtenteils getrennte historische Entstehung und Entwicklung, weshalb sie sich durch ihre jeweils eigene Sicht auf Hackerbegriff, Tradition und Folklore auszeichnen. Szenen, die ihre Aktivitäten betont auf die Umgehung von Sicherheitsmechanismen legen, haben im Vergleich zu den anderen Hackerszenen viele nicht miteinander übereinstimmende Standpunkte. Demgegenüber entwickelten sich zwischen den einzelnen Szenen Gemeinsamkeiten hinsichtlich politischer und sozialer Ziele und szenenübergreifend eine Vorliebe für die Beschäftigung mit Technik.
Für weitere Informationen dazu siehe die Abschnitte „Gegensätze zwischen akademischer Szene und Sicherheitsszene“ und „Überschneidungen zwischen den Szenen“.
Herkunft am MIT und TMRC
US-amerikanische Funkamateure verwendeten Mitte der 1950er Jahre den Begriff „hacking“ ursprünglich als Ausdruck für besonders einfallsreiche Anpassungen ihrer Geräte, die dazu dienten, deren Leistung zu verbessern.
In den späten 1950er Jahren wurde „hacking“ auch vom Modelleisenbahnclub des MIT (Massachusetts Institute of Technology) verwendet, dem Tech Model Railroad Club (TMRC). Das Wort nahm im TMRC Bezug zur Anpassung ihrer elektronischen und mechanischen Geräte. Es gehört zum Wesen eines Hacks, dass er rasch durchgeführt wird, effektiv ist und unelegant sein kann („quick and dirty“). Er erreicht das gewünschte Ziel, ohne die Systemarchitektur, in die er eingebettet ist, komplett umformen zu müssen, obwohl er oft im Widerspruch zu ihr steht.
Das Wort „Hack“ stand am MIT auch im Kontext von technikbasierten Streichen oder entsprach einem Wort für besonders geschickte oder gewagte Taten. Dabei schwang eine Konnotation von nicht destruktiver Harmlosigkeit und kreativem Spaß mit. Hatte ein Student des MIT einen raffinierten Streich ausgeheckt, galt der Übeltäter als „Hacker“. Der Gebrauch des Wortes „Hack“ verschob sich zur Technik, die benötigt wird, um den Streich auszuführen. Es wurde später für eine schlaue technische Lösung im Allgemeinen verwendet, ohne sich dabei unbedingt auf einen Streich zu beziehen und ohne dies auf den Computer zu beschränken.
Als Mitglieder des Modellbahnklubs damit begannen, mit einem DEC-PDP-1-Computer zu arbeiten, wurde ihr Jargon nun auch auf den Computer übertragen. Die zuerst bekannte Verwendung des Begriffs „Hacker“ wurde auf diese Weise von der Ausgabe der Studentenzeitung The Tech vom 20. November 1963 der technischen Fachschule des MIT registriert und bezog sich zunächst auf Personen, die mit der Technik des Telefonnetzes herumspielten (Phreaking).
Softwareentwicklung
In der Softwareentwicklung steht der Begriff für jemanden, der Programmierung liebt, der sich einer einfallsreichen Experimentierfreudigkeit hingibt, oder die Kombination von beidem. Dabei geht es nicht um die Aktivität selbst, sondern um die Art und Weise der Durchführung: Wie das Jargon File beschreibt, genießt ein Hacker die intellektuelle Herausforderung, auf kreative Weise Grenzen zu überwinden oder zu umgehen, wobei diese Szene damit ausdrücklich nicht die Umgehung von Sicherheitsmechanismen meint und sich von solchen Tätigkeiten distanziert sehen will. Hacken beinhaltet oft eine Form von Exzellenz (im Sinne von Virtuosität): Beispielsweise die Grenzen des Machbaren zu erkunden und dabei etwas für sich spannendes und sinnvolles zu machen.
In diesem Kontext weist der Begriff anerkennende oder abwertende Anklänge auf: Innerhalb der Hackerkultur steht er als Titel für einen talentierten und passionierten Programmierer. Ein „Hack“ gilt einerseits als rasch erstellte und verblüffend einfache, (manchmal) elegante und pfiffige Lösung eines nichttrivialen Problems. Er kann sich andererseits auch auf eine effektive aber ineffiziente, unschöne und ungeschliffene Lösung (quick-and-dirty hack) beziehen, die eher einer temporären Problemlösung (kludge, workaround) gleicht. In diesem letzteren Kontext kann Hacker den negativen Beiklang eines Entwicklers haben, der für seine unsoliden Lösungen bekannt ist.
Akademische Hackerkultur
An akademischen US-Einrichtungen (MIT, Stanford, Berkeley und Carnegie Mellon) bildete sich in den 1960er und 1970er Jahren eine Hackerkultur, die u. a. von Eric Steven Raymond als „akademische Hackerkultur“ bezeichnet wird.
Das MIT startete Anfang der 1960er ein Projekt, das ein paralleles Arbeiten mehrerer Anwender auf einem ermöglichen sollte. Dieses Projekt wurde der Kern des Project MAC (später AI Lab, heute MIT Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory), wo sich die ersten Hacker unter den Studenten aus dem TMRC und Informatikumfeld etablierten und sich zumeist auf Mathematik und Theorien der künstlichen Intelligenz spezialisierten. Bis zur Einstellung des darauf entwickelten ITS-Betriebssystems im Mai 1990 war der des MIT ein zentraler Treffpunkt der frühen akademischen Hackergemeinschaft.
Das folgenreichste Vermächtnis dieser Szene ist das Internet. Obgleich die Initiative für ein solches Datennetz vom Verteidigungsministerium der USA ausging, geschah seine praktische Entwicklung zum Großteil an den Universitäten, wo das Konzept von Hackern begeistert aufgenommen und von ihrer Kultur und innovativen Ideen maßgeblich geprägt wurde.
Die akademische Hackerkultur entwickelte sich weiter, verschmolz mit der Unix-Szene, nahm weitere Elemente aus dem Internet der 1970er und 1980er Jahre sowie Teile der Heimcomputerszene (Mikrocomputer-Bastler) auf und überschneidet sich in der Gegenwart fast vollständig mit der Open-Source- und Freie-Software-Bewegung.
Das Selbstverständnis dieser Szene ist seit Mitte der 1970er im Jargon File dokumentiert.
Freie Software und Open Source
Innerhalb der frühen akademischen Hackerkultur war es bereits selbstverständlich, Quelltexte offenzulegen und eigene Softwareverbesserungen mit anderen Programmierern zu teilen. Ein prominenter Hacker, der wesentliche Beiträge zum Selbstverständnis der akademischen Hackerkultur geleistet hat, ist Richard Stallman. Die Hacker-Gemeinschaft und das intellektuelle Klima rund um das AI Lab des MIT inspirierten ihn maßgeblich bei der Schaffung des GNU-Projekts im September 1983., gefolgt von der Gründung der Free Software Foundation (FSF), einer gemeinnützigen Stiftung, die seit 1985 der Förderung und Entwicklung von GNU und freier Software dient.
Freie Software ist eine soziale Bewegung, die unfreie Software als gesellschaftliches Problem begreift, wobei „frei“ hier nicht kostenlos bedeutet (Freie Software ist nicht dasselbe wie Freeware), sondern die Freiheiten für die Gesellschaft meint, die ein derart lizenziertes (auch kommerzielles) Produkt bietet. In den Augen der FSF ist die Entscheidung für oder gegen Freie Software deshalb primär eine ethische und soziale Entscheidung.
Dagegen begreift die im Februar 1998 gegründete Open Source Initiative (OSI) quelloffene Software als bloßes Entwicklungsmodell; wobei die Frage, ob Software quelloffen sein sollte, dort eine rein praktische und keine ethische Frage ist. Die FSF wirft der OSI daher eine Ablenkung vom Wesentlichen vor. Der Begriff Open Source (zu deutsch „quelloffen“) wurde von den Gründern der OSI (Eric S. Raymond, Bruce Perens und Tim O’Reilly) in der Annahme eingeführt, dass der unpopuläre Begriff „Freiheit“ Geldgeber für solche Projekte abschrecken könne.
Auch wenn es sich um zwei unterschiedliche Bewegungen mit unterschiedlichen Ansichten und Zielen handelt, verbindet sie die gemeinsame Wertschätzung für quelloffenen Code, was in zahlreichen Projekten mündet, in denen sie zusammenarbeiten.
Die Bewegung Open-Source-Hardware (auch Freie Hardware / free hardware) steht der Freie-Software- und Open-Source-Bewegung nahe bzw. geht auf diese zurück. Dabei handelt es sich um Hardware, die nach freien Bauplänen hergestellt wird.
Hardwarehacker
Im Bereich der Hardware bezieht sich Hacken auf einen spielerischen kreativen Umgang mit Hardware jeglicher Art. In diesem Kontext entwickelt oder verändert ein Hacker Hardware, schreibt beispielsweise Gerätetreiber und Firmware oder beschäftigt sich mit den physischen Grundlagen der Netzwerke, insbesondere wenn er dabei Dinge außerhalb der Spezifikation verwendet.
Heimcomputerszene
In der Frühzeit bestand die stärkste kulturelle Verbindung zu den Hardwarehackern in der Entwicklung des persönlichen Computers und der daraus entstandenen Heimcomputerszene. Der Ursprung dieser Kultur orientiert sich an den bastelnden Funkamateuren, wie es sie schon seit den 1920er Jahren gibt. Ihr starkes Interesse an Elektronik lieferte fruchtbaren Boden für den Gebrauch moderner Technik. Sie konnten sich in den 1970er-Jahren für die Idee begeistern, einer breiten Masse die Nutzung persönlicher Computer zu ermöglichen, beispielsweise für den Einsatz im Heimbereich, was von der damals vorherrschenden Industrie als absurd abgetan wurde.
Rund um den im März 1975 gegründeten Homebrew Computer Club in der Region von San Francisco (der Westküste der Vereinigten Staaten) trafen sich technikbegeisterte Menschen – Hacker – wie der Journalist Steven Levy in seinem Buch „Hackers – Heroes of the Computer Revolution“ schreibt. Angefangen von praktischen Projekten und Entwicklungen, bis hin zur Geburt einer vollkommen neuen Industrie im Silicon Valley, haben sie die Entwicklung des persönlichen Computers entscheidend vorangetrieben. Sie machten immer wieder mit Konzepten und praktischen Entwicklungen auf sich aufmerksam. Viele Computerpioniere gingen aus ihren Reihen hervor; Mitglieder dieses Vereins gründeten zahlreiche Computerunternehmen. Der Homebrew Computer Club wird daher als „Schmelztiegel für eine ganze Branche“ bezeichnet. Erst Geräte dieser Art lösten das aus, was Levy in seinem zuvor genannten Buch als „Computerrevolution“ bezeichnet.
Der persönliche Computer löste ein großes Wachstum der Hackergemeinschaft aus; in der ersten Welle zunächst in Form von , wobei populäre Computerbausätze die Tradition der Hacker förderten, die Technik wirklich zu verstehen. Ihre ursprünglich stark hardwareorientierte Kultur entwickelte sich weiter und konzentrierte sich dabei zunehmend auf Software; später gingen aus ihr die Softwarecracker- und Demoszene hervor.
Für weitere Informationen dazu siehe den Abschnitt „Softwarecracker“.
Sicherheitsszene
Die Szene aus dem Bereich der Computersicherheit entstand in den 1980er Jahren. Hier wird die Herausforderung des Hackens darin gesehen, Systeme zum Beispiel per Social Engineering zu unterwandern oder per Reverse Engineering auf Programmierfehler hin zu untersuchen oder über einen kreativen Umgang mit der Technik Schwächen im Design des Systems aufzudecken. Unter Ausnutzung von Sicherheitslücken umgehen sie so Schutzvorkehrungen und können Zugriff erhalten auf z. B. ein Rechnernetz, einen Computer, eine gesicherte Komponente (zum Beispiel Chipkarte) oder Zugang zu gesperrten Daten oder einer sonst geschützten Funktion eines Computerprogramms.
Der Schriftsteller Peter Glaser prägte den Begriff „Datenreise“ (siehe auch Cybernaut), eine Metapher für das neugierige Herumstöbern in Rechnern der Forschungsinstitute, welches von diesen Hackern seit den 1980er Jahren als eine Art Hobby betrieben wurde. Innerhalb von Deutschland nutzten sie für ihren Zugriff zunächst das Datex-P-Netz der Deutschen Telekom. Sie bedienten sich bekannter Schwachstellen, wie z. B. die Standardkennung „system“ mit dem Passwort „manager“, welche auf DEC Vax/VMS-Rechnern installationsbedingt vorhanden war und aus Bequemlichkeit der Administratoren oft nicht geändert wurde. Besonderer Beliebtheit erfreuten sich seit spätestens 1984 die Forschungsrechner des CERN, der Europäischen Organisation für Kernforschung in Genf, die sich in dieser Zeit unfreiwillig als „Hackerschule“ Europas etablierte.
Abhängig von der Motivation und Loyalität zu den Gesetzen wird unterschieden zwischen White-Hat (gesetzestreu), Black-Hat (handelt mit krimineller Energie) und Grey-Hat (nicht eindeutig einzustufen). White-Hat-Hacker agieren konstruktiv, beispielsweise als Experten, die Sicherheitslücken in Netzwerken oder in Programmen aufdecken. Black-Hats agieren dagegen destruktiv und bewegen sich eher im Untergrund.
Phreaking
Die Hackerszene aus dem Bereich der Computersicherheit geht historisch zurück auf das Phreaking: Einer Szene, die sich (ursprünglich) mit Sicherheitsmechanismen im Bereich der Telefonie auseinandersetzt, insbesondere mit der Manipulation von Telefonverbindungen, um z. B kostenlose Telefongespräche zu führen. Im modernen Gebrauch schließt das auch Techniken ein, die sich allgemein mit der Kommunikationssicherheit auseinandersetzen und sich dabei nicht unbedingt auf die Telefonie beziehen, wie beispielsweise Van-Eck-Phreaking.
Eines der ersten Programme, die auf dem am MIT entwickelt wurden, bot eine Schnittstelle zum Telefonsystem, die einen unerlaubten Zugriff auf die Vermittlungsstellen ermöglichte. Auch wenn es in der Frühzeit erhebliche Überschneidungen der akademischen Hackerkultur zu den Praktiken des Phreaking gab, sind beide Szenen deutlich voneinander abgrenzbar: Während innerhalb der akademischen Hackerkultur das Überwinden von Sicherheitsbarrieren eher eine nebensächliche Rolle spielte, entwickelte sich dies unter den Anhängern der Phreaking-Kultur zum zentralen Punkt ihrer Tätigkeit.
Weiterentwickelt hat sich diese Kultur im Rahmen der der 1980er. Allmählich begann die Entwicklung von Rechnernetzen, und die Telefongesellschaften wendeten sich computergesteuerten Telefonanlagen zu. Ein Teil der Telefonhacker entwickelten sich daraufhin zu Hackern der Rechnernetze. So entstand die Kultur der Netzwerkhacker oder allgemeiner die Kultur der Hacker auf dem Gebiet der Computersicherheit, die wie keine andere Szene das öffentliche Verständnis des Hackerbegriffs prägte. Phreaking wurde auch zum Zwecke des Eindringens in fremde Computer betrieben, um die hohen Telefonkosten für langandauernde nicht tragen zu müssen. Zudem dienten die Praktiken des Phreaking auch dazu, eine Rückverfolgung solcher Aktivitäten zu erschweren.
Weite Popularität erreichte diese Hackerszene schließlich mit der Verfügbarkeit von Internetanschlüssen für Privathaushalte während der 1990er und war dabei insbesondere im Umfeld des Magazins 2600: The Hacker Quarterly und der Newsgroup alt.2600 verwurzelt.
Cracker
Die Bedeutung des Begriffs „Cracker“ ist stark von dem jeweiligen Kontext abhängig: Die Definition und Verwendung des Begriffs „Hacker“ ist Gegenstand einer anhaltenden Kontroverse zwischen den verschiedenen Szenen. Das Jargon File – welches das Selbstverständnis der akademischen Hackerkultur vertritt – bezeichnet als Reaktion auf schlechte Presse seit 1990 sämtliche Hacker, die ihre Aktivitäten betont auf die Umgehung von Sicherheitsmechanismen legen, ungeachtet derer Motivation nicht als Hacker, sondern als „Cracker“. Innerhalb der Sicherheitsszene werden lediglich destruktive Hacker als Cracker bezeichnet.
In der journalistischen und politischen Öffentlichkeit werden diese Ausdrücke gewöhnlich nicht unterschieden. Daneben gibt es auch Hacker, die eine moralische Abgrenzung aus Ermangelung einer klaren Trennlinie zwischen „gut“ und „böse“ ablehnen.
Softwarecracker
Heimcomputer, wie der Commodore 64 mit Farbdarstellung und für damalige Verhältnisse ansprechender Audioqualität, zogen in den 1980er Jahren zahlreiche Spieler und Entwickler in ihren Bann. Die kommerzielle Software (hier insbesondere die Computerspiele) wurde von den Herstellern immer öfter mit Kopierschutzmechanismen versehen. Den Kopierschutz auszuhebeln, um die Software für sich selbst und für befreundete Computerbenutzer in einem kopierbaren Zustand zu bringen, entwickelte sich zu einer technischen Fertigkeit. Mitunter wurde die Software auch um nützliche Funktionen erweitert und Programmierfehler beseitigt, die die Softwareentwickler übersahen.
Hacker, welche die Fähigkeit hatten (meist kompilierten) Softwarecode zu manipulieren, um Kopierschutzmechanismen zu umgehen, nannte man seit Anfang der „Softwarecracker“ oder kurz „Cracker“. In den frühen entstanden hieraus Crackergruppen und schließlich der sich auf das Aushebeln von Kopierschutzmechanismen kommerzieller Software spezialisierende Teil der .
Zudem kann das Cracken von Software als legaler Sport betrieben werden, indem Cracker den Programmschutz selbstgeschriebener und eigens für diesen Zweck freigegebener Software (CrackMe) aushebeln.
Scriptkiddie
Scriptkiddies, die im Bereich der Computersicherheit tätig werden, setzen die Massenmedien in der Berichterstattung gewöhnlich mit Hackern gleich. Innerhalb der Sicherheitsszene zählen sie jedoch zu den Crackern, zum einen weil Scriptkiddies destruktiv handeln. Zum anderen fehlt ihnen das für den Hackerbegriff zwingend notwendige tiefe Grundlagenwissen der Materie: Scriptkiddies nutzen vorgefertigte Automatismen und Anleitungen, um in fremde Computersysteme einzudringen oder sonstigen Schaden anzurichten, ohne jedoch zu verstehen, wie die genutzten Mechanismen genau funktionieren.
Hacktivist
Seit 1995 etablierte sich der Begriff Hacktivist als Bezeichnung für jemand, der sich politisch engagiert, beispielsweise um öffentlich auf die Gefahren bei dem Einsatz von Wahlcomputern hinzuweisen; um ein politisches oder gesellschaftliches Ziel zu erreichen. Seit 1998 findet im Englischen das Wort Hacktivism (deutsch Hacktivismus) Verwendung, und bezeichnet den politisch motivierten und nicht autorisierten Zugriff auf informationstechnische Systeme.
Öffentliche Wahrnehmung
Hacken im Sinn des Einbruchs in Computer findet sich zwar bereits vor 1983 im Computerjargon, aber bis zu diesem Zeitpunkt gab es kein öffentliches Bewusstsein dafür, dass solche Tätigkeiten stattfanden. Dies änderte sich mit dem Kinofilm WarGames – Kriegsspiele, der zur allgemeinen Annahme der beitrug, dass jugendliche Hacker eine Gefahr für die nationale Sicherheit der USA darstellen könnten. Diese Befürchtung wurde konkreter, als allgemein bekannt wurde, dass eine Gruppe jugendlicher Hacker aus Milwaukee namens The 414s in Computersysteme in den ganzen USA und in Kanada eindrangen, einschließlich denen des Los Alamos National Laboratory, Sloan-Kettering Cancer Center und der Security Pacific Bank. Der Fall zog schnell die Aufmerksamkeit der Medien auf sich.
Der Newsweek-Artikel Beware: vom 5. September 1983 war die erste Benutzung des Worts in den überregionalen Medien, die den Begriff Hacker in abwertender Weise verwendete. Nicht nur in der breiten Öffentlichkeit erhielt so der Begriff einen schlechten Beiklang, sondern auch in der Politik und Justiz, wo er seither Computeranwender beschreibt, die an Einbrüchen in fremde Rechner beteiligt waren. Dass jene Gruppe nur einen kleinen Teil der Hacker darstellten und nicht die gesamte Hackerkultur respräsentierten, fand in den darauf folgenden Jahren in der Berichterstattung der Massenmedien kaum Beachtung.
Einige Filme (wie z. B. Matrix) zeichnen ein stereotypisches Bild eines Hackers, das vor allem einen bleichen, da immer vor Computern sitzenden Computerfreak zeigt.
Rechtliche Einschätzung
Juristisch besteht bei der Tätigkeit des Hackers grundsätzlich ein Zusammenhang mit dem möglichen Ausspähen von Daten, das gemäß des deutschen Strafgesetzbuches (StGB) ein Vergehen ist, welches mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft wird, sowie mit dem Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten gemäß StGB. Eine Abgrenzung ist daher in der öffentlichen Diskussion schwierig. Eine juristische Stellungnahme der European Expert Group for IT Security (EICAR) geht jedoch davon aus, dass sogenannte gutartige Tätigkeiten im Dienste der IT-Sicherheit bei ausführlicher Dokumentation nach § 202c StGB nicht strafbar sind.
Selbstverständnis
In der Hackerkultur ist die Bezeichnung einer Person als Hacker ein respektvoll anerkennender Ausdruck, welcher von Mitgliedern der Szene als nicht vorschnell verliehen gilt. Er steht für jemand, der durch seine Identifikation mit den kulturellen Werten und durch Besitz hinreichender Fachkenntnisse einen entsprechenden Grad an gesellschaftlicher Anerkennung aufweist:
Als gemeinsames Merkmal ist ein Hacker ein Technikenthusiast, der Spaß daran hat, sich mit technischen Details von Systemen auseinanderzusetzen, insbesondere aus dem Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik. Was einen Hacker von anderen Technikenthusiasten hervorhebt, ist die selbstbezügliche Hingabe im Umgang mit Technik. Ohne dass dies für einen Beobachter zwangsläufig sinnvoll erscheint, kann er sich aus Spaß am Hacken durchaus für die Lösung von Problemen begeistern, die aus rein praktischen Erwägungen gar keine sind. Wie das Jargon File beschreibt, genießt ein Hacker die intellektuelle Herausforderung, auf kreative Weise Grenzen zu überwinden oder zu umgehen. Es geht darum, etwas auszuprobieren und zu entwickeln, um die Grenzen des Machbaren zu erkunden. Technik zu überarbeiten und dabei auch in einer Weise zu verwenden, für die sie ursprünglich nicht vorgesehen war, entwickelte sich so zu einem wesentlichen Merkmal ihrer Kultur. Das bezieht sich auf deren Hardware genauso wie auf Software (sobald vorhanden).
Szenenübergreifend gibt es ein Verständnis zum Hacken, das sich nicht unbedingt auf den Computer bezieht. Als Beispiel sei der Chaos Computer Club (CCC) als einflussreichste Vereinigung von Hackern im deutschen Raum genannt. Obwohl Sicherheitsfragen sein wesentliches Beschäftigungsfeld sind und Politik, Industrie, Presse, Datenschützer und Banken ihn für dieses Thema als quasi-offizielle Expertenorganisation konsultieren, sieht er das Hacken wesentlich allgemeiner als übergreifende Kultur des kreativen Umgangs mit der Gesellschaft und Technik jeglicher Art.
Hackerethik
Ein Bezugspunkt für das Selbstverständnis der Hackergemeinschaft bildet die Hackerethik, die soziale und technische Werte verdeutlicht und sich zum Beispiel in der Auffassung manifestiert, dass der Zugriff auf Wissen frei, dezentral, antibürokratisch und antiautoritär sein soll. Jeder sollte sehen können, wie die Welt funktioniert, wobei niemand gezwungen sein sollte, das Rad ein zweites Mal neu zu erfinden. Bereits in der frühen akademischen Hackerkultur war es beispielsweise selbstverständlich, Quellcodes offenzulegen und eigene Softwareverbesserungen mit anderen Programmierern zu teilen. Die Hackerethik kann indes für jede Szene unterschiedliche Schwerpunkte beinhalten und ist selbst innerhalb der jeweiligen Szene nicht zwingend einheitlich definiert.
Abgrenzung
Als Beispiel für eine Abgrenzung zum Begriff Hacker nennt Boris Gröndahl in seinem Buch Hacker den US-amerikanischen Unternehmer und Programmierer Bill Gates, Gründer von Microsoft. Dieser gilt seit seiner Kindheit als geradezu fanatischer Computerfan. Selbst seine äußere Erscheinung einer blassen und bebrillten Person entspricht dem Stereotyp eines Hackers. Laut Gröndahl ist er dennoch kein Hacker, da ihm die soziale Komponente des Hackerdaseins fehlt.
Gegensätze zwischen akademischer Szene und Sicherheitsszene
Besonders zwei Szenen haben teilweise gegensätzliche Standpunkte zu der Frage, wer legitimerweise als Hacker bezeichnet werden darf: Grundlage ist eine moralische Trennlinie zwischen dem („guten“) wissbegierigen Erforschen innerhalb der akademischen Hackerkultur und der („bösen“) egoistischen Gebührenhinterziehung, wie sie innerhalb der Kultur des Phreaking praktiziert wird. Allerdings finden sich in Levys Buch Hackers – Heroes of the Computer Revolution Hinweise darauf, dass es diese Trennlinie in einer solchen Klarheit nicht gab. In den 1960er bis 1980er Jahren wurde die Erforschung und Anwendung bedenklicher Verfahren eher von den damaligen Hackern beider Kulturen praktiziert. Dennoch will sich die akademische Hackerkultur seit Juni 1990 von den Phreaks bis hin zu den heutigen Computersicherheitshackern distanziert sehen und ihnen die Betitelung als Hacker streitig machen.
Die akademische Hackerkultur unterscheidet sich von der Computersicherheits-Hackerkultur dahingehend, dass bei der akademischen Hackergemeinschaft die Schaffung neuer und die Verbesserung bestehender Infrastrukturen im Vordergrund steht, insbesondere des eigenen Softwareumfelds. Die Computersicherheit ist dabei kein relevanter Aspekt. Ein Grundwissen zu Computersicherheit ist allerdings auch in der akademischen Hackergemeinschaft üblich. Die nebensächliche Umgehung von Sicherheitsmechanismen wird als legitim angesehen, wenn dies zur Beseitigung konkreter Hindernisse bei der eigentlichen Arbeit getan wird. In besonderen Formen kann so etwas auch ein möglicher Ausdruck von einfallsreicher intellektueller Experimentierfreudigkeit sein. Trotzdem tendieren die Anhänger der akademischen Szene dazu, die Beschäftigung mit Sicherheitslücken negativ zu bewerten und sich davon zu distanzieren. Üblicherweise bezeichnen sie Leute, die dies tun, als Cracker und lehnen jede Definition des Hackerbegriffs grundsätzlich ab, die eine Betonung auf Aktivitäten im Zusammenhang mit der Umgehung von Sicherheitsmechanismen einschließt.
Die Computersicherheits-Hackerkultur andererseits unterscheidet im Allgemeinen nicht so streng zwischen den beiden Szenen. Sie beschränken die Verwendung des Cracker-Begriffs stattdessen auf ihre Kategorien der Scriptkiddies und -Hacker (die mit krimineller Energie handeln). Aus dem Bereich der Computersicherheit sehen z. B. Teile des CCC die akademische Hackerbewegung als konservative Fraktion einer einzelnen größeren, verwobenen und allumfassenden Hackerkultur.
Eine wesentliche Begegnung beider Szenen gab es im Fall des KGB-Hack. Eine Gruppe von Hackern, die dem Chaos Computer Club nahestanden (der sich aber davon distanzierte, von diesen Aktivitäten etwas gewusst zu haben), drang dabei in Computer von militärischen und wissenschaftlichen Einrichtungen der USA ein. Die dort vorgefundenen Daten verkauften sie an den KGB – einer von ihnen, um seine Drogensucht zu finanzieren. Der Fall konnte aufgeklärt werden, weil Wissenschaftler aus dem Umfeld der akademischen Hackerkultur Wege fanden, die Einbrüche zu protokollieren und zurückzuverfolgen. Der Film 23 – Nichts ist so wie es scheint zeigt das (mit fiktiven Elementen ausgeschmückte) Geschehen aus der Perspektive der Angreifer. Clifford Stoll, ein Astronom, der maßgeblich zur Aufklärung beitrug, hat in seinem Buch Kuckucksei und in der Fernsehdokumentation „Der KGB, der Computer und Ich“ den Fall aus der anderen Perspektive beschrieben.
Überschneidungen zwischen den Szenen
Trotz teilweise gegensätzlicher Standpunkte entwickelten sich zwischen den einzelnen Szenen Gemeinsamkeiten hinsichtlich politischer und sozialer Ziele und szenenübergreifend eine Vorliebe für die Beschäftigung mit Technik. Seit Mitte der 1980er Jahre gibt es verstärkt Überschneidungen bezüglich Ideen und Mitgliedschaften, insbesondere im europäischen Raum, weshalb zeitgenössische Hacker häufig kulturübergreifende Wurzeln aufweisen und sich nicht fest einer einzigen Szene zuordnen lassen.
Überschneidungen zwischen Phreaking und den Westküstenhackern gibt es mit John T. Draper, der Mitglied des Homebrew Computer Club war und in dessen Umfeld schon vor der Gründung aktiv gewesen ist, sowie Steve Wozniak, der vor seiner Mitgliedschaft mit Draper zusammen im tätig war und mit ihm zusammen Blue-Boxen gebaut hatte.
Ken Thompson ist ein prominentes Mitglied der akademischen Szene, der sich zum Teil mit der Sicherheitsszene überschneidet. Er merkte während seiner Rede zur Verleihung des Turing Awards 1983 an, dass es möglich ist, in das eine Hintertür einzubauen (englisch Backdoor), sodass es zwar die normalen Passwörter akzeptiert, aber zusätzlich auch ein Generalpasswort. Thompson argumentierte, dass man den zur Verschleierung des Ganzen so ändern könnte, dass er beim Übersetzen des Anmeldeprogramms diese Hintertür automatisch hinzufügte. Er nannte dies ein Trojanisches Pferd. Da der selbst ein Programm ist, das mit einem Compiler übersetzt wird, könnte man schließlich diese Compileränderung automatisch beim Übersetzen des Compilers selbst einfügen, ohne dass diese Manipulation noch aus dem Compilerquelltext ersichtlich wäre. Sie wäre somit nur noch in übersetzten Compilern vorhanden und so rein in übersetzten Programmen ohne jede Spur in der Quelltextbasis weitergegeben. Thompson distanzierte sich aber deutlich von den Tätigkeiten der Computersicherheitshacker:
Ein weiterer prominenter Fall zur Überschneidung zwischen den beiden Szenen ist Robert T. Morris, der zur Hackergemeinschaft am des MIT gehörte, trotzdem aber den Morris-Wurm schrieb. Die akademische Szene nennt ihn im Jargon File daher „a true hacker who blundered“ („einen echten Hacker, der versagt hat“).
Alle Szenen haben auch etwas mit dem Ändern von Hardware zu tun. In der Frühzeit der Netzwerkhacker bauten Phreaker Blue Boxen und verschiedene ähnliche Geräte. Die akademische Hackerkultur hat Legenden zu mehreren in ihrer Folklore, z. B. über einen mysteriösen Schalter, der mit „Magie“ beschriftet war, der an eine PDP-10 am MIT-Labor für künstliche Intelligenz angeschlossen war, und der auf den ersten Blick prinzipiell keine Wirkung haben konnte. Wenn man ihn betätigte, stürzte dennoch der Computer ab. Die frühen bauten ihre Computer selbst aus Bausätzen zusammen. Diese Tätigkeiten sind jedoch während der 1980er größtenteils ausgestorben, als preisgünstige vorgefertigte Heimcomputer verfügbar wurden, und als Forschungsinstitutionen den Wissenschaftlern Arbeitsplatzrechner zur Verfügung stellten, statt eines zentralen Computers, der von allen gemeinsam benutzt wurde.
Siehe auch
Computerfreak
Nerd
Geek
p-Hacking
Vorbereiten des Ausspähens und Abfangens von Daten („Hackerparagraf“)
Literatur
Michael Hasse: Die Hacker: Strukturanalyse einer jugendlichen Subkultur (1994).
Boris Gröndahl: Hacker. Reihe Rotbuch 3000, Rotbuch Verlag, Hamburg 2000, ISBN 3-434-53506-3.
Christian Imhorst: Die Anarchie der Hacker – Richard Stallman und die Freie-Software-Bewegung, Tectum Verlag, Marburg 2004, ISBN 3-8288-8769-4.
Jon Erickson: Hacking: Die Kunst des Exploits. dpunkt Verlag, Heidelberg 2008, ISBN 3-89864-536-3.
Christiane Funken: Der Hacker. In: Stephan Moebius und Markus Schroer: Diven, Hacker, Spekulanten. Sozialfiguren der Gegenwart, Berlin: Suhrkamp, 2010, S. 190–205.
Erdogan, Julia Gül: Avantgarde der Computernutzung. Hackerkulturen der Bundesrepublik und DDR, Göttingen: Wallstein-Verlag 2021 (Geschichte der Gegenwart 24).
Constanze Kurz: Der Hacker. In: FAZ Nr. 42, 19. Februar 2010, S. 33.
Computersicherheit
Akademische Bewegung
Sherry Turkle (1984),The Second Self: Computers and the Human Spirit. New Edition. MIT Press 2005, ISBN 0-262-70111-1. Deutsch Die Wunschmaschine. Vom Entstehen der Computerkultur. Rowohlt, Reinbek 1984.
Eric S. Raymond, Guy L. Steele (Hrsg.): The New Hacker’s Dictionary (The MIT Press, 1996), ISBN 0-262-68092-0.
Karim R. Lakhani, Robert G Wolf: Why Hackers Do What They Do: Understanding Motivation and Effort in Free/Open Source Software Projects. In: J. Feller, B. Fitzgerald, S. Hissam, and K. R. Lakhani (Hrsg.): Perspectives on Free and Open Source Software MIT Press, 2005 (flosshub.org).
Richard Stallman, Sam Williams: Hack, Hackers and Hacking aus Anhang A des Free as in Freedom (2.0): Richard Stallman and the Free Software Revolution. ISBN 978-0-9831592-1-6, GNU Press 2010 (deutsche Übersetzung von Theo Walm)
Günther Friesinger, Johannes Grenzfurthner, Frank Apunkt Schneider (Hrsg.): Context Hacking: How to Mess with Art, Media, Law and the Market. edition mono / monochrom, Wien 2013, ISBN 978-3-902796-13-4.
Weblinks
, Themenabend über Hacker auf Arte im Juni 2011 (französisch)
The Script Kiddies Are Not Alright – Artikel bei Telepolis, vom 8. August 2001
– Seite im Glossar bei heise online
Interview mit Steven Levy (englisch) – Über die unterschiedlichen Hacker-Szenen und mehr. Chaosradio, 22. Januar 2007
The Word “Hacker”. paulgraham.com (englisch)
Computersicherheit
Wie-werde-ich-Hacker-HOWTO, vom CCC aus dem Englischen übersetzt. Original von Eric Steven Raymond: How To Become A Hacker (englisch)
Akademisches Hackertraining Artikel von Ulrich Hottelet auf Zeit Online, 6. August 2009
– Artikel von Jürgen Scholz, vom 28. Februar 2012
Akademische Bewegung
: An interview with Richard M. Stallman, 2002
Wie werde ich ein Hacker, vom CCC aus dem englischen übersetzt. Original von Eric S. Raymond (ein Anhänger der Open-Source-Bewegung): How To Become A Hacker
Quellen
Sozialfigur
Personenbezeichnung (Netzkultur)
Einzelne Subkultur
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Q1487
| 119.812618 |
10891
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https://de.wikipedia.org/wiki/Linz
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Linz
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Linz ist die Landeshauptstadt von Oberösterreich und mit Einwohnern (Stand: ) bzw. 211.449 Einwohnern (Stand: 1. Jänner 2023) nach Wien und Graz die drittgrößte Stadt Österreichs und das Zentrum des mit 805.770 Menschen (Stand 2020) zweitgrößten Ballungsraumes des Landes.
Die Stadt an der Donau hat eine Fläche von km² und ist Zentrum des oberösterreichischen Zentralraums. Als Statutarstadt ist sie sowohl Gemeinde als auch politischer Bezirk; außerdem Sitz der Bezirkshauptmannschaften der benachbarten Bezirke Linz-Land und Urfahr-Umgebung.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs (1945) hatte Linz den Ruf einer staubigen Stahlstadt, den sie dem größten Arbeitgeber, den Stahlwerken der heutigen Voestalpine AG, verdankte. Doch durch verbesserten Umweltschutz und zahlreiche Initiativen im Kulturbereich, beispielsweise Veranstaltungen wie die Linzer Klangwolke, das Brucknerfest, das Pflasterspektakel und den Prix Ars Electronica bzw. das Ars-Electronica-Festival, gewann die Stadt sukzessive ein neues Image. Seit 2004 wird jährlich das Filmfestival Crossing Europe veranstaltet. 2013 wurde das neue Musiktheater am Volksgarten, ein modernes Theater- bzw. Opernhaus, eröffnet. Linz konnte sich mit diesen und weiteren Initiativen als Kulturstadt positionieren, wobei auch Strukturen der alten Industriestadt zum Teil noch sichtbar sind. Dazu passend weist Linz als Universitätsstadt mit mehreren Universitäten auch zahlreiche Studienangebote im künstlerischen und kulturellen Bereich auf.
Die Stadt ist wahrscheinlich namensgebend für die Linzer Torte, deren Rezept als das älteste bekannte Tortenrezept der Welt gilt.
Die Stadt wird inoffiziell auch als Linz an der Donau bezeichnet, um nicht mit der deutschen Stadt Linz am Rhein verwechselt zu werden.
Geografie
Geografische Lage
Linz liegt im östlichen Oberösterreich und erstreckt sich auf beiden Seiten der Donau. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 18,6 km, die Ost-West-Ausdehnung 12,3 km. Die Stadt befindet sich im Linzer Becken und grenzt im Westen an den Kürnberger Wald sowie das fruchtbare Eferdinger Becken. Nördlich der Donau, im Stadtteil Urfahr, wird Linz durch den Pöstlingberg (539 m), den Lichtenberg (927 m) und die Hügel bzw. Berge des Mühlviertels begrenzt. Die östliche Stadtgrenze ist durch die Donau markiert, welche das Stadtgebiet in einem nordost-südöstlichen Halbkreis erst durch- und dann umfließt. Die Traun mündet 7 km südöstlich des Stadtzentrums in die Donau und markiert die innerstädtische Grenze zum größten Stadtteil Ebelsberg. Südlich der Stadt beginnt das Alpenvorland.
Von den rund 96 km² Stadtfläche sind 29,27 % Grünland, 17,95 % Wald, 6,39 % Gewässer, 11,63 % machen Verkehrsflächen aus und 34,76 % sind Bauland.
Nachbargemeinden
Linz grenzt im Norden und Osten, durchwegs links der Donau, an sieben Gemeinden des Bezirks Urfahr-Umgebung (UU), im Süden und Westen an fünf Gemeinden des Bezirks Linz-Land (LL), und im Südosten, in einem kurzen Abschnitt ebenfalls links der Donau, an eine Gemeinde des Bezirks Perg (PE).
Folgende Tabellen geben einen Überblick über die Gemeinden, die nach politischen Grenzen direkt an Linz grenzen, und die Gemeinden, die nicht direkt an Linz grenzen, aber unmittelbar danach folgen, und aufgrund hoher Pendlerraten in die Stadt ebenfalls dem Linzer „Speckgürtel“ zuzurechnen sind. Ebenfalls angegeben sind der Bezirk, in dem sich die jeweilige Gemeinde befindet, sowie die zuletzt erhobene Bevölkerungszahl.
Eine Eingemeindung einiger Nachbargemeinden (Groß-Linz) wird gelegentlich von der Politik und in den Medien diskutiert. Grund dafür ist, dass Linz aus seinem Budget viele überregionale Projekte finanziert, die auch den Bewohnern der Umlandgemeinden zugutekommen, ohne dass diese finanziell etwas dazu beitragen. Die Grenzen zwischen Stadtgebiet und Umland sind zwar politisch immer noch vorhanden, gesellschaftlich oder im Stadtbild jedoch nicht erkennbar.
Agglomeration Linz
Die Agglomeration (Ballungsraum) beschreibt die Einwohnerzahl einer Kernstadt, in diesem Fall Linz, und der baulich direkt an diese angeschlossenen Siedlungen, ohne Rücksichtnahme auf politisch festgelegte Grenzen. Unter diesen Gesichtspunkten umfasst die Agglomeration Linz etwa 271.000 Personen. Die offizielle Einwohnerzahl von Linz und sämtlicher 13 Nachbargemeinden ist mit 289.107 Personen (2001) größer, da nicht alle Siedlungen der Nachbarstädte und -gemeinden direkt an Linz anschließen.
Eine weitere Möglichkeit die Bedeutung einer Stadtregion zu ermitteln ist die Pendlerrate. Da Linz mehr als 154.867 Arbeitsplätze aufweist, aber von den 188.118 Einwohnern nur 83.245 berufstätig sind, pendeln täglich 89.294 Personen nach Linz zur Arbeit – 7.687 sogar aus anderen Bundesländern, zumeist aus dem nahen Niederösterreich. Zum täglichen Pendleraufkommen gesellen sich noch 18.525 Linzer dazu, die nicht in Linz arbeiten, sondern vorwiegend in den südlich und südwestlich gelegenen Gewerbe- und Industriegebieten. Bei einem durchschnittlichen Beschäftigungsgrad von 50 % in den umliegenden Gemeinden und 45 % in der Kernstadt, hängen rund 367.000 Personen von den Arbeitsplätzen in Linz ab. Inklusive der Zehntausenden, vor allem in den südlichen Vorstädten befindlichen Arbeitsplätze bindet der Ballungsraum Linz eine Bevölkerung von rund einer halben Million, welche vorwiegend im Oberösterreichischer Zentralraum sowie dem traditionell strukturschwächeren Hügelland Mühlviertel nördlich von Linz beheimatet ist.
Von den 89.294 Einpendlern nach Linz stammen 24.593 (27,5 %) aus den 13 Nachbargemeinden von Linz. Insgesamt betrachtet, kommen 41.489 Pendler, das sind rund 46,5 %, aus den vier Bezirken des Mühlviertels und weitere 23.403 oder 23,2 % aus dem Bezirk Linz-Land. 21,7 % kommen aus den restlichen Bezirken Oberösterreichs, überwiegend aus den nahegelegenen Bezirken Eferding, Wels, Wels-Land, Steyr und Steyr-Land. Die restlichen 8,6 % kommen aus anderen Bundesländern.
Stadtgliederung
Die Stadt bildet eine einzige Ortschaft. Seit 1. Jänner 2014 (Beschluss des Stadtsenates vom September 2013) ist die Stadt in 16 statistische Bezirke eingeteilt:
Stadtgliederung bis 2013
1957 wurde Linz in neun Stadtteile und 36 statistische Bezirke unterteilt. Diese wiederum bestanden aus insgesamt 863 Baublöcken. Eine Aufteilung des Stadtgebiets in Stadtbezirke als politische Einheiten existiert in Österreich nur in den Städten Wien und Graz. Bei der Neubestimmung der innerstädtischen Grenzen wurden die Grenzen der einst eingemeindeten Gemeinden nur bedingt berücksichtigt. So wurden etwa alle Eingemeindungen südlich der Traun zu einem einzigen Stadtteil und zugleich statistischen Bezirk Ebelsberg zusammengefasst. Auch die Fläche des ehemaligen St. Peter wurde deutlich verändert, um nur zwei Beispiele zu nennen. Die bis Ende 2013 bestehenden Stadtteile und statistischen Bezirke können also nicht eins zu eins mit den Ausmaßen der ehemaligen Vororte von Linz gleichgesetzt werden.
Der sowohl einwohner- als auch flächenmäßig größte statistische Bezirk war das bereits erwähnte Ebelsberg im Süden der Stadt mit 25,81 km² und rund 17.421 Einwohnern. Der zweitgrößte und zugleich einwohnerschwächste Stadtteil und statistische Bezirk war St. Peter (Linz). Er hatte auf 9,13 km² nur 377 Einwohner, was allerdings darauf zurückzuführen war, dass sich auf dem Gebiet der abgetragenen, ehemals eigenständigen Gemeinde und des ehemaligen Bezirks, fast ausschließlich Industriegebiet befindet, wovon die voestalpine den meisten Platz beansprucht (seit Anfang 2014 Industriegebiet-Hafen). Der flächenmäßig kleinste statistische Bezirk war das 45,6 Hektar große Altstadtviertel.
Katastralgemeinden
Etwas abweichend davon gliedert sich die Stadt grundbücherlich in 14 Katastralgemeinden (Fläche: Stand 31. Dezember 2018):
Eingemeindungen
Als 1848 in Österreich das Gemeindesystem eingeführt wurde, war bereits vorgesehen, dass die damaligen Linzer Vororte Lustenau und Waldegg eingemeindet werden. Da die beiden Orte jedoch selbstständig bleiben wollten und sogar einen Zusammenschluss planten, konnte die Eingemeindung erst 1873, nachdem einem Antrag des Linzer Gemeinderates beim Landtag stattgegeben wurde, zwangsweise stattfinden. Das Linzer Stadtgebiet wuchs somit von 6 km² auf 20 km².
1906, als Linz bereits deutlich an Attraktivität gewonnen hatte, strebten Teile der Gemeinde Leonding, namentlich Gaumberg, Untergaumberg und Landwied, eine Eingemeindung zu Linz an. Die damalige Gemeinde Leonding stellte jedoch unannehmbare Forderungen, sodass die Verhandlungen scheiterten. Keinen Widerstand gab es hingegen bei der Eingemeindung von St. Peter. Bereits 1912 konnte eine Einigung mit der Gemeindevertretung von St. Peter erzielt werden. Die Eingemeindung trat 1915 in Kraft und Linz wuchs auf 29 km² Stadtgebiet an. Zur selben Zeit waren nach mehreren gescheiterten Versuchen die Verhandlungen mit der Stadt Urfahr bereits weit fortgeschritten, doch mussten sie aufgrund des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs zurückgestellt werden. Nach Kriegsende wurden die Verhandlungen fortgeführt, sodass per 31. Mai 1919 die Eingemeindung von Urfahr, inklusive der bis dahin eigenständigen Gemeinde Pöstlingberg, die kurz zuvor Urfahr angeschlossen worden war, rechtswirksam wurde. Linz erreichte nun eine Fläche von 42 km².
1923 wurde der damals südlich an Linz angrenzende und 13 km² große Industrieort Kleinmünchen eingemeindet. 1934 wurde das Stadtgebiet mit Abtretungen von unbewohntem Gebiet beiderseits der Donau von Katzbach (Heilham) und Steyregg (Steyregg besaß bis dahin als Relikt der Zeit vor der Donauregulierung unbewohnte Gründe westlich der Donau im heutigen Hafenviertel) arrondiert und wuchs dabei um eine Fläche von 2 km².
Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Deutschland im Jahr 1938 wurde die Gemeinde Ebelsberg nach Linz eingemeindet. Nördlich der Donau wurde St. Magdalena eingemeindet. Damit wuchs die Stadtgröße im Jahr 1938 auf 95 km² an, und seit der letzten geringfügigen Erweiterung 1939 (Keferfeld von Leonding) beträgt die Stadtgröße 96 km².
Die bis Ende 2013 geltende Einteilung der Stadtteile und Stadtbezirke geht auf einen Beschluss aus dem Jahr 1957 zurück. Die Aufgliederung der Stadt in ihre eingemeindeten Gemeinden nahm hiermit ein Ende. Die Stadt wurde in neun Stadtteile aufgeteilt, die teils mehrere eingemeindete Gemeinden zusammenfassten oder deren einstige Grenzen um neu bestimmte statistische Bezirke erweiterten. Innerhalb dieser Stadtteile wurden insgesamt 36 Stadtbezirke kreiert, die sich, sofern möglich, in ihrer Grenzziehung an einstigen Katastralgemeinden oder bestehenden oder zu erwartenden geschlossenen Siedlungen orientierten. Auch Verkehrswege dienten zur Festlegung der Grenzen. So dienten etwa die Landstraße, die Wiener Straße und die Stadtautobahn als Grenze für zahlreiche statistische Bezirke. Bei der Benennung der neuen Stadtbezirke wählte man zumeist die in der Bevölkerung gängige Bezeichnung des Siedlungsgebiets. Mit der Neugliederung vom 1. Jänner 2014 wurde diese Einteilung aufgegeben und stattdessen 16 neue statistische Bezirke eingerichtet. Zahlreiche alte statistische Bezirke wurden zusammengelegt, so gingen etwa das Hafenviertel und St. Peter im Bezirk Industriegebiet-Hafen auf. Der bislang größte Bezirk Ebelsberg dagegen wurde geteilt. Im Osten grenzt er nun an den neu geschaffenen Bezirk Pichling.
Klima
Linz hat ein Übergangsklima mit sowohl ozeanischer als auch kontinentaler Prägung. Die Temperatur schwankt im langjährigen Monatsmittel zwischen −0,4 °C im Jänner und 19,9 °C im Juli. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge beträgt rund 60 mm in den Monaten September bis April und steigt bis zu rund 95 mm in den Sommermonaten Juni, Juli und August an. Die Jahresniederschlagsmenge beträgt im Durchschnitt rund 870 mm.
Die langjährige mittlere Jahrestemperatur (ermittelt in den Jahren 1981–2010) beträgt 9,9 °C.
Ökologie und Umwelt
Das ehemals problematische Umweltimage als Industriestandort hat Linz durch eine diesbezüglich äußerst konsequente Politik seit Mitte der 1980er-Jahre abgelegt. Die Emission der Luftschadstoffe Schwefeldioxid (SO2), Feinstaub und Stickstoffdioxid (NO2) konnte von rund 47.000 Tonnen im Jahr 1985 auf rund 14.000 Tonnen im Jahr 2003 gesenkt werden. Am stärksten war der Rückgang bei Schwefeldioxid, der zu rund 80 % von der voestalpine, dem nach wie vor größten Industriebetrieb der Stadt, erreicht wurde. Doch der Rückgang von 18.000 Tonnen im Jahr 1985 auf 4.000 Tonnen im Jahr 2003 war nicht nur auf die voestalpine zurückzuführen.
Verursachten private Haushalte einst fast 1.000 Tonnen an SO2-Emissionen, ist dieser Wert aus der Statistik heute praktisch verschwunden. Heizwerke und Chemieindustrie, einst Verursacher von rund 2.000 Tonnen SO2-Emissionen, verringerten ihre Emissionen bis 2003 auf weniger als 100 Tonnen. Bis 2002 leicht gestiegen ist der Wert lediglich beim Verursacher Kfz-Verkehr, doch verursachte dieser nach rund 250 Tonnen im Jahr 2002 ein Jahr später sogar etwas weniger als die chemische Industrie plus Heizwerke. Die restlichen Emissionen verursachen einerseits die voestalpine, nämlich rund 3.700 Tonnen, und andererseits sonstige Industrie- und Gewerbebetriebe mit circa 200 Tonnen, statt 750 im Jahr 1985.
NO2-Emissionen waren einst zu rund 60 % auf die Chemiebetriebe der Stadt zurückzuführen, doch reduzierten diese ihre Emissionen von knapp 10.000 Tonnen im Jahr 1985 auf circa 800 Tonnen im Jahr 2003. Nachdem NO2-Emissionen auch beim Kfz-Verkehr auf knapp 2.000 halbiert werden konnten, ist der Hauptverursacher nun die voestalpine, welche die NO2-Ausstöße im gleichen Zeitraum nur um 1.000 Tonnen auf nun 3.000 drücken konnte. Staubemissionen, für welche die voestalpine 1985 zu 80 % verantwortlich war, senkte diese von 8.000 auf 1.500 Tonnen bis 2003. Der Kfz-Verkehr ist der einzige Bereich, in dem Zuwächse bei der Staubbelastung festzustellen waren. Beim Feinstaub mussten im Jahr 2006 an allen Messstationen im Stadtgebiet Überschreitungen der gesetzlichen Höchstwerte verzeichnet werden.
Die Zuwächse bei den CO2-Emissionen von 7,7 Mio. Tonnen im Jahr 1988 auf 10,4 Mio. Tonnen im Jahr 2007 sind auf die Heizwerke, die Chemie und vor allem auf die voestalpine zurückzuführen, die sich bis 1993, dem Jahr mit dem niedrigsten Gesamtwert, noch für den Rückgang der Emissionen auf insgesamt 6,8 Mio. Tonnen verantwortlich zeigte, danach jedoch wieder mehr CO2 ausstieß. Andere Wirtschaftsbetriebe, die Privathaushalte und der Kfz-Verkehr konnten diese Ausstöße jedoch durchgehend etwas verringern.
In den Jahren 2007 bis 2011 sind beim Belastungsniveau in Linz nur geringe Änderungen zu verzeichnen. Linz liegt beim internationalen Luftgütevergleich in keiner Extremposition. Einzig Schwefeldioxid (SO2) war im internationalen Vergleich sowie im Vergleich mit den anderen Landeshauptstädten in den Jahren 2007 bis 2011 leicht über dem Durchschnitt. Die Belastungstendenz in Linz ist allerdings gleichbleibend. Bei Stickstoffdioxid (NO2) und CO2 hingegen konnte Linz besser als der Durchschnitt bewertet werden.
Ab dem Jahr 2008 wurde der Luftgütevergleich um den Feinstaubanteil PM2.5 ergänzt. Diese Partikel haben erhebliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit. Dieser konnte in Linz im Jahr 2011 mit 19 μg/m³ gemessen werden. Für einen transparenteren Vergleich der Messstellendichte wurden zudem die Bevölkerungszahl sowie die Größe des Immissionsgebietes mit aufgenommen.
In Linz liegt der Jahresmittelwert bei einer Bevölkerungsdichte von 189.845 sowie einem Immissionsgebiet von 96 km² bei 4 μg/m³ Schwefeldioxid (SO2), bei den NO2-Emissionen bei 32 μg/m³ und bei den CO-Werten bei 360 μg/m³. Die Feinstaubbelastung (PM10) liegt bei 18 μg/m³. Linz liegt bei der Überschreitung des PM10 Tagesmittelwertes von 50 μg/m³ mit 45 Tagen im Mittelfeld. Im Vergleich zu 2001 konnten die Tage von 62 auf 45 deutlich reduziert werden. Den geringsten Wert erreichte Linz im Jahr 2009 mit 30 Tagen.
Im etwa gleichen Ausmaß, wie die Emissionen zurückgegangen sind, sanken auch die Immissionen auf die Linzer Umwelt. Lediglich die Ozonwerte stagnieren auf einem hohen Niveau und variieren je nach Sommer geringfügig. Trotzdem konnte sich Linz bei der Luftverschmutzung im Vergleich der Landeshauptstädte in den letzten Jahren weiter verbessern und ist nun gleichauf mit Wien am ersten Rang.
2006 errang die Stadt Linz bei einem österreichweiten Wettbewerb des Österreichischen Naturschutzbundes den Titel „Naturfreundlichste Gemeinde Österreichs“. Ausgezeichnet wurden vor allem die Leistungen der Stadt Linz auf dem Gebiet des Artenschutzes (z. B. Nistkastenaktionen an Gebäuden), der Bachrenaturierungen (insgesamt wurden 9 km regulierte Bäche renaturiert) und der Förderung für ökologisch orientierte Landschaftspflege durch Stadtbauern. Zuständig für Naturschutz und Stadtökologie ist die Naturkundliche Station der Stadt Linz, die gemeinsam mit dem Botanischen Garten zu den Stadtgärten Linz gehört. Die Station publiziert die vierteljährlich erscheinende Zeitschrift ÖKO.L.
Mittelpunkt
Der Mittelpunkt der Stadt Linz liegt in der Katastralgemeinde St. Peter, Aigengutstraße 20, auf einem Grundstück der ÖBB-Postbus GmbH.
Dieser Punkt stellt den geometrischen Schwerpunkt einer ebenen Fläche (= Flächenschwerpunkt) dar.
Konkret befindet sich der Mittelpunkt der Stadt Linz an folgenden Koordinaten:
N48°17'03,6" E014°18'58,1" (WGS84)
5.348.128 449.269 (UTM 33N)
Geschichte
Urgeschichte
Um 400 v. Chr. entstanden innerhalb des heutigen Stadtgebietes und in näherer Umgebung, entlang der Donau, mehrere keltische Befestigungsanlagen und Siedlungen. Innerhalb der heutigen Stadtgrenzen lagen das Oppidum von Gründberg, im Gebiet des heutigen Urfahr westlich des Haselgrabens, und der Freinberg, westlich des Stadtkerns, als beeindruckende keltische Wallanlagen.
Wahrscheinlich trug bereits die Siedlung auf dem Freinberg den keltischen Namen Lentos, was so viel wie biegsam oder gekrümmt bedeutet. Der Name wurde in der Folge auf das spätere römische Kastell übertragen. Die Festung fiel wahrscheinlich mit der weitestgehend friedlich verlaufenen Eingliederung des Königreichs Noricum an Rom.
Antike
Linz wurde zum ersten Mal im römischen Staatshandbuch Notitia dignitatum als „Lentia“ erwähnt. Zur Sicherung der Verbindung über die Donau legten die Römer Mitte des 1. Jahrhunderts ein Holz-Erde-Kastell an, das im 2. Jahrhundert durch ein größeres Steinkastell ersetzt wurde. Lentia wurde nach dem 2. Jahrhundert einige Male durch Einfälle der Germanen zerstört (z. B. zwischen 166 und 180 während der Markomannenkriege), überdauerte aber die Stürme der Völkerwanderung und hat somit über die Spätantike hinweg eine Besiedlungskontinuität vorzuweisen.
Mittelalter
Im Frühmittelalter wurde Linz durch das Vordringen des bayerischen Herzogtums nach Osten wieder bedeutsamer. 799 wurde der deutsche Name der Stadt als „Linze“ zum ersten Mal urkundlich erwähnt. In der Raffelstettener Zollordnung (zwischen 902 und 906) wird erstmals Linz als ein königlicher Markt und Zollort genannt. Während der Herrschaft der Karolinger erfüllte Linz Markt- und Zollaufgaben für den Traungau. Bis 1210 unterstand Linz den Baiernherzögen.
Unter den Babenbergern entwickelte sich Linz zur Stadt, die unter Einbeziehung des alten Siedlungskerns 1207 planmäßig angelegt wurde. 1230 wurde der neue Hauptplatz geschaffen. Bis 1240 erhielt Linz einen Stadtrichter und ein Stadtsiegel. Die Linzer Maut war eine der wichtigsten Einnahmequellen der österreichischen Herzöge, wodurch die Stadt Aufschwung nahm. Ebenso war es durch seine Randlage zu Bayern als Ort für Fürstenversammlungen interessant. 1335 wurde in Linz der Erwerb von Kärnten durch die Habsburger abgeschlossen.
Seit Ende des 13. Jahrhunderts war Linz Sitz des Landeshauptmanns, und so zum Zentralort von Österreich ob der Enns geworden. Friedrich III. wählte die Stadt sogar als Residenzstadt aus und machte sie so von 1489 bis 1493 zum Mittelpunkt des Heiligen Römischen Reichs, nachdem Matthias Corvinus Wien erobert hatte. Dies als auch der sich von 1458 bis 1462 in Linz befindliche Hof von Herzog Albrecht VI. brachten der Stadt einerseits einen kulturellen wie politischen Bedeutungszuwachs, zugleich stellten aber die Anforderungen der Hofhaltung eine Belastung der Stadt dar.
Der erste oberösterreichische Landtag wurde 1408 in Enns abgehalten. Weitere frühe Landtage fanden in Enns und Wels statt. Der erste Landtag in Linz fand 1457 auf dem Linzer Schloss statt. 1490 wurde Linz erstmals als Landeshauptstadt bezeichnet und der Stadtrat erhielt das Recht einen Bürgermeister und einen Stadtrichter zu wählen. Am 3. März 1497 erhielt Linz vom römisch-deutschen König und späteren Kaiser Maximilian I. das Recht zum Bau einer Brücke über die Donau. Es war erst die dritte Donaubrücke in Österreich nach Wien und Krems.
Neuzeit
Zur Zeit der Reformation war Linz bis 1600 protestantisch. Zeitweise gab es in Linz unter dem Reformator Wolfgang Brandhuber auch eine radikal-reformatorische Täufergemeinde. Während der protestantischen Zeit errichteten die Stände auf dem Gelände des ehemaligen Minoritenklosters das Landhaus im Stil der Renaissance als Zeichen ihrer Macht. Im Landhaus war später auch die Landschaftsschule untergebracht, an der zwischen 1612 und 1626 Johannes Kepler lehrte. Ab 1600 führten Jesuiten und Kapuziner die Gegenreformation durch. Der dadurch mit ausgelöste Oberösterreichische Bauernkrieg traf 1626 auch die Stadt, als sie unter der Führung Stefan Fadingers neun Wochen lang belagert wurde.
Zur Zeit der Gegenreformation wirkte hier der Jesuit Georg Scherer als flammender Prediger gegen die Reformation, der 1605 in einer Predigt zur Hexenverfolgung in der Kirche auf der Kanzel vom Schlag getroffen wurde und starb.
Nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs wurde die Stadt barockisiert. Wesentlichen Anteil daran hatten neue Klostergründungen von Orden. 1672 gründete Christian Sint die „Wollzeugfabrik“, die erste Textilfabrik Österreichs. Im 18. Jahrhundert wurde diese verstaatlicht; zeitweise arbeiteten dort über 50.000 Menschen.
Im österreichischen Erbfolgekrieg wurde Linz 1741 von bayerischen und französischen Truppen besetzt. Am 3. Mai 1809 kam es bei den Koalitionskriegen beim Traunübergang zur blutigen Schlacht bei Ebelsberg zwischen Österreichern und Franzosen, die den Anstoß zum Bau einer Befestigungsanlage gab, welche ab 1830 verwirklicht wurde.
Im Jahre 1761 wurde mit der Wollzeugmanufaktur (am Donauufer, Abriss in den 1960er Jahren) die erste Textilfabrik Österreichs errichtet, Spinnen und Weben war noch in Heimarbeit ausgelagert.
Zu Mariä Himmelfahrt, am 15. August 1800, brach ein Großbrand aus, der das Schloss, das Landhaus und die Altstadt stark beschädigte. Daraufhin wurden Stadtgraben und -wall eingeebnet.
Während der Märzrevolution von 1848 blieb Linz von Kämpfen, wie sie in Wien tobten, verschont. Am 15. März feierte man die Pressefreiheit und die Aufhebung der Zensur, was Kaiser Ferdinand tags zuvor in Wien unter öffentlichem Druck verordnet hatte. Zugleich gestattete er per kaiserlichem Patent die Bewaffnung des Bürgertums. Bereits am 16. März wurde daher in Linz eine Nationalgarde gegründet, die an die alte Tradition der Bürgerwehr anknüpfte und sich der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und dem Schutz des Eigentums verpflichtet sah. Erster Kommandant der Garde, die während ihres rund dreijährigen Bestehens bis zum Verbot der Nationalgarden im Jahr 1851 nie mehr als 1.600 Mitglieder verzeichnete, war Graf Johann von Weißenwolff. Parallel zur Wiener Akademischen Legion gründete sich im Zuge der Revolution in Linz das Studentenkorps, das jedoch noch 1848 der Nationalgarde angegliedert wurde. Nach dem 15. März 1848 bildete sich ein Bürgerausschuss der sich auf Grundlage der Pillersdorfschen Verfassung organisierte und für den Juni die ersten Bürgermeisterwahlen ansetzte. Hierbei gewann der Demokrat Reinhold Körner, der den seit 27 Jahren regierenden Joseph Bischoff ablöste, und provisorischer Bürgermeister wurde.
Im Jahre 1850 trat eine provisorische Gemeindeordnung in Kraft, auf deren Grundlage die ersten Gemeinderatswahlen abgehalten wurden. Obwohl aufgrund vielfältiger Einschränkungen nur sechs Prozent der Bevölkerung, vorwiegend das Bildungs- und Besitzbürgertum und andere besser gestellte Personen, zur Wahl zugelassen waren, gewann erneut Reinhold Körner. Nach dem Silvesterpatent von 1851, das die Phase des Neoabsolutismus einleitete, wurden Demokraten und das liberale Bürgertum jedoch rasch aus dem politischen Leben zurückgedrängt. Als erster prominenter demokratisch gesinnter Politiker sah sich Karl Wiser zum Rücktritt von seinen politischen Ämtern gezwungen. 1854 folgte ihm Reinhold Körner. Danach wurde Linz bis 1861 von provisorisch ernannten Bürgermeistern regiert. Bei den Gemeinderatswahlen von 1861 konnten sich dennoch erneut die Demokraten behaupten. Reinhold Körner trat seine zweite Amtszeit an.
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Dampfschifffahrt auf der Donau eingeführt. Die 1832 von Budweis her errichtete Pferdeeisenbahn war die erste Eisenbahn auf dem Kontinent. Bis 1861 wurde die Stadt durch die Westbahn („Kaiserin Elisabeth-Bahn“) ein wichtiger Knotenpunkt auf dem Weg von Wien nach Salzburg beziehungsweise Passau. 1880 wurde in Linz eine Pferdestraßenbahn errichtet. Diese wurde 1897 elektrifiziert. Die Pöstlingbergbahn, die steilste Adhäsionsbahn der Welt, wurde 1898 eröffnet.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts erfasste die Industrialisierung auch Linz. 1840 gründete Ignaz Mayer mit der Linzer Schiffswerft den ersten metallverarbeitenden Großbetrieb der Stadt und die deutsche Lokomotivfabrik Krauss & Comp. errichtete aufgrund hoher Importzölle 1879 eine Niederlassung in Linz, siehe Lokomotivfabrik Krauss & Comp. Linz. Auch die Textilindustrie hatte in Linz einen bedeutenden Standort.
Vom 6. bis 8. Juli 1870 fand in Linz der 8. Deutsche Feuerwehrtag statt.
Ab 1892 wurde der Fabriksarm der Donau zugeschüttet, dieser war 1572 bei einem Hochwasser gemeinsam mit der Straßerinsel (auch Straßerau oder Soldatenau) entstanden. Der Name Fabriksarm geht auf die dort ansässige Wollzeugfabrik zurück. Bei der Flussregulierung verschwand auch die Insel. Diese hieß erst Au, später nach Kasernengebäuden Soldatenau und zuletzt nach einem Besitzer Straßerau oder Straßerinsel.
Bis 1923 wurden zahlreiche ehemalige Vororte eingemeindet, darunter 1919 auch Urfahr am nördlichen Ufer der Donau.
Ansichten
Erste Republik
Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der Ausrufung der Republik bestand in Linz – wie in vielen Orten – eine revolutionäre Stimmung, die sich auch in Demonstrationen und Plünderungen äußerte. Im Februar 1919 und im Mai 1920 wurde in der Stadt nach gewaltsamen Ausschreitungen das Standrecht verhängt.
Im Unterschied zum Land Oberösterreich, wo die Christlichsoziale Partei in der Republik wie in der Monarchie über die absolute Mehrheit verfügte, brachte in der Stadt Linz die erste Gemeinderatswahl 1919 nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht eine politische Umwälzung: Aus der Zweidrittelmehrheit der Deutschnationalen wurde eine absolute Mehrheit der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Österreichs.
Während der demokratischen Phase der Ersten Republik entwickelte sich Linz zur Großstadt: Durch Zuwanderungen und durch Eingemeindungen wurde 1923 die 100.000 Einwohner-Marke überschritten. Mit der 1919 realisierten Vereinigung mit der Stadt Urfahr dehnte sich das Linzer Stadtgebiet auch nördlich der Donau aus. Damit musste unter wirtschaftlich schwierigsten Rahmenbedingungen die Infrastruktur vergrößert werden: die soziale Fürsorge wurde durch neue Mutterberatungsstellen, Kindergärten und verstärkte Jugendfürsorge erweitert, der städtische Wirtschaftshof zum zentralen Unternehmen für Müllabfuhr und Transport sowie als Materialbeschaffungsstelle ausgebaut. Weiters stand der städtische Wohnbau im Mittelpunkt, die überaus große Wohnungsnot konnte jedoch nicht gelöst werden. Trotz des Willens zur Zusammenarbeit traten hier die prinzipiellen Unterschiede zwischen den politischen Parteien zutage: Die bürgerlichen Parteien wollten den Siedlungswohnbau forcieren und lehnten die größeren Wohnbauten als „Zinskasernen“ ab. Sie sahen in den städtischen Betrieben eine unerwünschte Konkurrenz für die private Wirtschaft, während die Sozialdemokraten auf den städtischen Unternehmungen für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und als Preisregulator bestanden.
Während der Ersten Republik verband das Bekenntnis zur Demokratie und die Bereitschaft zur Zusammenarbeit Christlichsoziale, Sozialdemokraten und Großdeutsche in Linz trotz der unterschiedlichen Ideologien und Auffassungen bis 1933. Danach war durch die innen- wie außenpolitischen Entwicklungen auch in Linz die Zusammenarbeit in Sachfragen nachhaltig gestört.
Februarkämpfe 1934
Als Folge der sich verschärfenden Konflikte zwischen den weltanschaulichen Lagern in der Ersten Republik und des antidemokratischen Kurses der Bundesregierung unter Engelbert Dollfuß ist der Österreichische Bürgerkrieg zu sehen. Seinen Ausgang nahm er in Linz bei einer Waffensuche in der Parteizentrale der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei. Dem ging ein Schreiben des Linzer Schutzbundführers Richard Bernaschek und weiterer Funktionäre an den Parteivorstand in Wien vom 11. Februar 1934 voraus. Hierin wurde für den Fall weiterer Verhaftungen von Schutzbündlern oder Waffensuchern Widerstand angekündigt. Der Brief kam spätabends in Wien an. Otto Bauer gab telefonisch die Weisung, nichts ohne Zustimmung der Parteispitze zu unternehmen. Das Telefonat wurde jedoch abgehört. Die Polizei wusste also von Bernascheks Willen zum Widerstand, als sie am 12. Februar gegen sieben Uhr mit einer Waffensuche im Hotel Schiff, der sozialdemokratischen Parteizentrale an der Landstraße, begann. Von Bernaschek wurde noch vor seiner Verhaftung der Republikanische Schutzbund alarmiert und das Signal zum Aufstand gegeben. Die Schutzbundbesatzung im Hotel Schiff lieferte sich bis zum Mittag Kämpfe mit der eindringenden Exekutive und dem zur Hilfe gerufenen Bundesheer. Weitere Zentren der Kampfhandlungen in Linz waren die Eisenhandkreuzung, die Diesterwegschule, die Dorfhalle, das Parkbad und die Eisenbahnbrücke, in Urfahr der Spatzenbauer und am Freinberg der Jägermayrhof. Ein besonders folgenreicher Zwischenfall ereignete sich am Polygonplatz (heute Bulgariplatz): Ein Taxi mit vier Bundesheerangehörigen fuhr auf die Stellung des Schutzbundes zu, im anschließenden Feuergefecht wurden unter bis heute nicht restlos geklärten Umständen drei Soldaten getötet. Ein Standgericht fällte drei Todesurteile gegen die daran beteiligten Schutzbündler, wobei allein jenes über den Arbeitersamariter Anton Bulgari am 22. Februar vollstreckt wurde.
Mit Tagesanbruch des 13. Februar gab der Schutzbund die letzten noch bestehenden Straßenblockaden und Besetzungen in Linz auf. Die Kämpfe hatten in Linz mindestens 27 Todesopfer gefordert: vier Zivilisten, acht Schutzbundangehörige und 15 Gefallene auf Seiten der Exekutive. Auf Seiten des Schutzbundes wurden jedoch Verletzte und Tote aus Furcht vor Repressalien durch die Behörden verheimlicht, so dass genaue Angaben über Verwundete und Getötete nicht möglich sind.
Ständestaat
Noch am 12. Februar 1934 wurde die Sozialdemokratische Partei verboten und wurden deren Vorfeldorganisationen zerschlagen. In Linz wurde ein Regierungskommissär eingesetzt und ab November 1934 ein Gemeindetag primär aus Christlichsozialen und Heimwehrvertretern bestellt. Es kam zu einem radikalen Personalwechsel in der städtischen Verwaltung, die kommunalen Betriebe mussten zum Teil ihre Tätigkeit einschränken bzw. wurden verkauft. Auch symbolisch versuchte sich der Ständestaat zu verankern: Straßen wurden umbenannt und Denkmäler für die auf Regierungsseite am 12. Februar 1934 Gefallenen errichtet. Der Kult um den am 25. Juli 1934 bei einem nationalsozialistischen Putschversuch getöteten Bundeskanzler Dollfuß fand auch in Linz Resonanz, unter anderem mit der Umbenennung der Diesterwegschule in „Dollfußschule“. Darüber hinaus sollte das kulturelle Leben entsprechend den ideologischen Positionen neu gestaltet werden.
Anschluss und Zeit des Nationalsozialismus
Mit dem Einmarsch der deutschen Truppen am 12. März 1938 trat Adolf Hitler von seiner Geburtsstadt Braunau eine „Triumphfahrt“ nach Wien an und sprach in Linz erstmals als Reichskanzler auf österreichischem Boden. Erst hier entschloss er sich angesichts des Jubels in der Bevölkerung und der zurückhaltenden Reaktionen des Auslands, den Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich sofort und vollständig zu vollziehen. Auf Grund seiner emotionalen Verbindung zu Linz übernahm Hitler noch an diesem Tag die „Patenschaft“ über Linz (das auch zu einer der fünf Führerstädte wurde) und versprach Investitionen des Reichs.
Am 13. März 1938 unterzeichnete Hitler im Hotel Weinzinger das Anschlussgesetz.
Hitler, der in Linz die Schule besucht hatte, beabsichtigte, hier einmal seinen Ruhestand zu verbringen. Daher hatte er der Stadt eine herausragende wirtschaftliche und kulturelle Rolle im Reich zugedacht. Zu den Ausbauplänen gehörten eine Prachtstraße mit Prunkbauten wie Oper, Theater und Galerien, besonders aber das „Führermuseum“, das die weltweit größte Kunst- und Gemäldegalerie beherbergen sollte. Für diese Sammlung wurden im Rahmen des „Sonderauftrags Linz“ in den Museen der besetzten und eroberten Länder entsprechende Kunstwerke geraubt (siehe auch: Architektur im Nationalsozialismus). Darüber hinaus sollte Linz zu einem Industrie- und Verwaltungszentrum mit repräsentativen Gebäuden für die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) und ihre Teilorganisationen und überdimensionierten Verwaltungsgebäuden ausgebaut werden. Dies hätte auf Linzer als auch auf Urfahrer Seite großflächige Schleifungen des historischen Baubestandes bedeutet. Die von Albert Speer forcierten Pläne wurden, von wenigen Ausnahmen wie der Nibelungenbrücke, den Brückenkopfgebäuden und dem heutigen Heinrich-Gleißner-Haus abgesehen, nicht in die Realität umgesetzt.
Bei dem Ausbau der bestehenden Industrie ist vor allem die Umstrukturierung auf Großbetriebe im metallurgischen und chemischen Bereich zu nennen. Mit dem ab 1938 in der Zeit des Nationalsozialismus errichteten Stahl- und Rüstungsbetrieb Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten „Hermann Göring“ Linz sowie den Stickstoffwerken Ostmark wurde der Grundstein für die spätere VÖEST und all ihre Nachfolgeunternehmen sowie für die Linzer Chemieindustrie gelegt. Für die Errichtung der Werksgelände und für den Bau des zugleich dort vorgesehenen Hafens wurden die Bewohner der Ortschaft St. Peter-Zizlau abgesiedelt und die Gebäude geschleift.
1941–1943 wird die Bahnstrecke nach Gusen mitsamt einer Donaubrücke nächst der zwei Großindustriebetriebe hinüber nach Steyregg als Abzweigung von der Westbahn errichtet. In Gusen lagen mehrere Konzentrationslager, mit der unterirdischen Produktion großer Teile von Messerschmitt-Flugzeugen. Indizien aus 2019 sprechen auch für den Bau der Rakete V2 und für Forschung an der Kernspaltung.
In den genannten Industriebetrieben kamen neben Kriegsgefangenen und Fremdarbeitern auch Häftlinge des KZ Mauthausen zum Einsatz.
Durch den Ausbau der Industrie, die damit verbundenen Umsiedlungen und den Zuzug von Arbeitskräften verschärfte sich der bereits bestehende Wohnraummangel. Als Abhilfe wurden ganze Stadtteile wie etwa am Bindermichl oder die „Neue Heimat“ mit großen Wohnanlagen, die bis heute das Erscheinungsbild dieser Stadtteile prägen, errichtet. Der Ausbau der nötigen Infrastruktur (Schulen, Kindergärten) unterblieb. Mit den zeitgleichen Eingemeindungen wurde das Stadtgebiet nahezu verdoppelt und erreichte die heute noch bestehende Ausdehnung.
Linz war aber auch ein Zentrum der Verfolgung: Im nahen Konzentrationslager Mauthausen sowie in dessen Nebenlagern kamen über 100.000 Menschen aus ganz Europa ums Leben. Insgesamt befanden sich drei Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen sowie 77 Lager für Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter auf Linzer Stadtgebiet. Die 600 Jüdinnen und Juden hatten Linz zu verlassen – 150 von ihnen wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Hunderte Opfer der NS-Euthanasie gab es in der Linzer Heil- und Pflegeanstalt Niedernhart, dem heutigen Neuromed Campus, rund 600 Patienten wurden von dort in die NS-Euthanasieanstalt Schloss Hartheim bei Linz verlegt. Zudem diente Niedernhart auch als Zwischenanstalt für Tausende Patienten anderer Psychiatrien, die zur Ermordung nach Hartheim gebracht wurden.
Letztlich hatten auch jene, die dem Regime aus Begeisterung oder aus erzwungener Loyalität gedient hatten, unter den Folgen nationalsozialistischer Politik zu leiden. In Linz wurde aus Propagandagründen die Errichtung von Luftschutzbauten für die Bevölkerung erst Ende 1943 forciert. Noch im November 1944 waren ganze Stadtviertel ohne sichere Deckung bei Luftangriffen. Über 1.600 Menschen starben bei den 22 Bombenangriffen zwischen Juli 1944 und April 1945 auf Linz, tausende Linzer verloren als Angehörige der deutschen Wehrmacht ihr Leben.
In Linz wurden in den Göring-Werken Panzer und im Bereich des Hafens U-Boote gebaut.
Am 4. und 5. Mai 1945 lag die Stadt unter amerikanischem Artilleriebeschuss und Gauleiter August Eigruber setzte sich ins südliche Oberösterreich ab. Auf den ursprünglichen Plan, die Stadt im Häuserkampf zu verteidigen, wurde verzichtet. Am 5. Mai um 11:07 Uhr trafen die ersten amerikanischen Panzer am Hauptplatz ein.
Nachkriegszeit
Von 1945 bis zum Ende der Besatzungszeit 1955 war Linz entlang der Donau geteilt. Der Norden (Urfahr) war sowjetisch besetzt, der Süden (Linz) von den US-Amerikanern.
1966 wurde Linz mit der „Hochschule für Sozial- und Wirtschaftswissenschaften“ zur Universitätsstadt, daraus entstand 1975 die Johannes Kepler Universität Linz. Von 1971 bis 1991 erreichte Linz seinen höchsten Einwohnerstand (siehe Abschnitt Bevölkerung). Bis Ende der 1970er Jahre wurden viele Wohnbauten errichtet, die heute als „Bausünden“ der damaligen Zeit bezeichnet werden. Innerhalb weniger Jahre entstanden in vielen Stadtteilen einfachste Hochhäuser zur Deckung der enormen Wohnungsnachfrage. In diesem Umfeld entstanden Projekte wie das Lentia 2000 und andere Wohnhausparks.
Ab Ende der 1970er Jahre versuchte Linz, vom „Stahlstadt“-Image der grauen und schmutzigen Industriestadt wegzukommen. Umweltmaßnahmen und Auflagen für Industriebetriebe zur Verbesserung der Luftqualität wurden getroffen (siehe Abschnitt Ökologie), die Linz bis zum heutigen Tag zu einer der saubersten Großstädte Österreichs machten. Zugleich wurden neue Kultureinrichtungen gegründet.
Im Jahr 1974 wurde das Brucknerhaus an der Donaulände eröffnet, 1978 das Anton Bruckner Institut Linz (ABIL). Im Jahr 1979 hatte die Stadtverwaltung die Ars Electronica, ein Festival für Computerkunst, ins Leben gerufen. Dieses Festival gehört inzwischen zu den wichtigsten und bedeutendsten seiner Art. Durch das Ars Electronica Center und das städtische Lentos Kunstmuseum für moderne Kunst (2003 eröffnet) wurde Linz auch als Kulturstadt bedeutend. Diese Bedeutung würdigte die Europäische Union durch die Wahl als Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2009. Der Bau eines neuen Musiktheaters am Standort Blumauer Kreuzung, nahe dem Hauptbahnhof und an den Volksgarten angrenzend, wurde 2004 beschlossen.
Mit dem steigenden Wohlstand im Nachkriegsösterreich stieg der Wunsch vieler Familien nach einem „Haus im Grünen“. Dies hatte in den 1990er Jahren für Linz gravierende Folgen. Obwohl es 1990 rund 12.000 Wohnungssuchende gab, verlor Linz innerhalb von nur zehn Jahren rund 20.000 Einwohner an die Umlandgemeinden, da es auf dem Stadtgebiet kein geeignetes Wohnangebot gab. Seither versucht Linz, vielfach unterstützt vom Land Oberösterreich, sein Erscheinungsbild und seine Attraktivität zu verbessern. Dies geschieht zum einen durch Infrastrukturprojekte, wie dem Neubau des Hauptbahnhofs samt Entwicklung des umliegenden Bereichs zu einem Büroviertel mit Hochhäusern der ÖBB, der Energie AG und dem stadteigenen Wissensturm, wo seit 2007 die Volkshochschule und die Stadtbibliothek untergebracht sind. Weiters wurde das Straßenbahnnetz nach Süden hin erweitert und die Bus- und Straßenbahnflotte wird kontinuierlich erneuert. Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität waren die Unterflurlegung der Stadtautobahn am Bindermichl sowie der Neubau des Allgemeinen Krankenhauses, des Unfallkrankenhauses und der Wagner-Jauregg-Landesnervenklinik. Direkte Maßnahmen zur Erhöhung der Einwohnerzahl sind die verstärkte Wohnbautätigkeit. Mehrere große Wohnprojekte wurden seit Ende der 1990er Jahre verwirklicht: Solar City Pichling, Lenaupark und Erschließung des Stadtgebiets im Süden. Die zwischen 1999 und 2005 errichteten 1.300 Wohnungen der Solar City gelten nicht nur als ein Vorreiterprojekt des sozialen Wohnbaus im 21. Jahrhundert, sondern zugleich auch als Beispiel für ökologisch durchdachtes Bauen.
Im Jahr 2007 wurde mit dem Bau von 1.700 Wohnungen begonnen. Die meisten davon werden auf dem Gelände der ehemaligen Frauenklinik (415 Wohnungen) errichtet, 200 Wohneinheiten entstehen am Winterhafen. Auch der Süden der Stadt wird weiter ausgebaut, etwa mit dem Wohnprojekt am ehemaligen Tiefbaudepot Laskahof und der Traunausiedlung in Kleinmünchen. Der Bau eines neuen Stadtviertels am Gelände des ehemaligen Frachtenbahnhofs wurde Ende 2013 begonnen. Seit der letzten Volkszählung bis 2006 konnten somit bereits 5.000 Einwohner zurück- oder neu gewonnen werden.
Aufarbeitung der NS-Vergangenheit
Der Gemeinderat der Stadt Linz beschloss am 19. September 1996, die Zeit des Nationalsozialismus inklusive der Zeit vor 1938 und der Entnazifizierung nach 1945 durch das städtische Archiv umfassend wissenschaftlich aufarbeiten zu lassen. Linz war damit die erste Stadt in Österreich, die sich intensiv mit der eigenen nationalsozialistischen Vergangenheit auseinandersetzte. Bei der Endpräsentation im Mai 2001 konnte auf sieben wissenschaftliche Publikationen, Internetpräsentationen und zahlreiche Vorträge als Ergebnis des Projektes verwiesen werden.
Die Erinnerungskultur manifestiert sich auch in der Errichtung von Denkmälern und Gedenktafeln für Opfer des Nationalsozialismus. Besonders seit dem Jahr 1988 wurden zahlreiche Erinnerungsorte im öffentlichen Raum geschaffen. Auch Straßenumbenennungen oder Straßenneubenennungen spiegeln die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit wider: Wurden im Jahr 1945, unmittelbar nach Ende der NS-Diktatur, 39 Straßen in Linz umbenannt, so waren es zwischen 1946 und 1987 nur zwei. Seit 1988 wurden hingegen 17 neue Verkehrsflächen nach Opfern des Nationalsozialismus oder nach Widerstandskämpferinnen und Widerstandskämpfern benannt. In der jüngeren Vergangenheit erhielten mehrere NS-Opfer und Aktivisten gegen den Nationalsozialismus hohe Auszeichnungen der Stadt Linz wie zum Beispiel Simon Wiesenthal, der nach 1945 sein erstes jüdisches Dokumentationszentrum in Linz gegründet hatte.
Bevölkerung
Übersicht
Bei der Volkszählung des Jahres 1971 erreichte Linz einen Höchststand von 204.889 Einwohnern. Zeichneten sich die Nachkriegsjahre, allen voran das Jahr 1947, mit rund 3.750 Geburten zu 2.000 Todesfällen, durch enorme Geburtenüberschüsse aus, halbierte sich die Geburtenzahl ab 1962 von rund 3.200 auf 1.600 im Jahr 1979. Geburtendefizite gab es aber bereits 1970, wo die bis dahin stetig gestiegene Zahl der Todesfälle (von 2.000 im Jahr 1947 auf 2.500 im Jahr 1970) die Zahl der Geburten überholte. Die Todesfälle gingen zwar seither wieder zurück, auf rund 1.900 im Jahr 2004, doch stieg auch die Geburtenzahl, die 1979 ihren Tiefpunkt erreichte, nach einem Zwischenhoch 1993 (etwa 2.000 Geburten) und einem Zwischentief 1999 (knapp 1.700 Geburten), nur unregelmäßig und langsam wieder an. Gab es im Jahr 2001 fast genauso wenige wie 1999, stieg die Zahl seither stetig an, auf 1.886 im Jahr 2005.
Linz ist die einzige Großstadt Österreichs, die mit einer Anzahl von 157.000 Arbeitsplätzen fast doppelt so viele Stellen aufweist, wie die Stadtbevölkerung deckt. Dieser enorme Arbeitsplatzüberschuss bewirkt eine dementsprechend hohe Einpendlerrate aus den Umlandgemeinden von Linz, was enorme Verkehrsprobleme in der Stadt bewirkt. Im Ballungsraum, der Metropolregion Linz, leben laut Eurostat-Erhebung von 2016 rund 781.833 Menschen.
Südlich von Linz befinden sich zudem große Gewerbegebiete. Auch mehrere Shopping-Center (etwa das UNO Shopping, die PlusCity oder das Infra Center) in Linz und den Nachbargemeinden führen zu zusätzlichem Pendlerverkehr und verschärfen die Verkehrsproblematik auch außerhalb der Stadt, rund um diese Gewerbegebiete.
Stärker als andere österreichische Städte erlebte auch Linz in den letzten Jahrzehnten, besonders zwischen 1991 und 2001, große Bevölkerungseinbußen aufgrund der Übersiedelung vorwiegend von Familien in die Linzer Umlandgemeinden. Aufgrund guter Verkehrsanbindungen, wie der bereits mehrmals ausgebauten West Autobahn A 1 und Mühlkreis Autobahn A 7 sowie der Linzer Lokalbahn (LILO), der Mühlkreisbahn, der Pyhrnbahn und der Summerauer Bahn, die eine rasche Verbindung nach Linz auch noch in größeren Distanzen ermöglicht, wurde diese Abwanderungstendenz verstärkt. Eine Gegenbewegung, wie sie seit 2001 in Wien, Graz oder Salzburg zu starken Bevölkerungsanstiegen geführt hat, war in Linz kaum zu beobachten. Diese setzte erst ab dem Jahr 2012 ein. Gegen Ende 2015 wurde die 200.000er-Marke wieder überschritten.
Am 1. Jänner 2023 hatte Linz 211.449 Einwohner und Einwohnerinnen.
Religion
Gemäß der Volkszählung von 2001 verteilt sich die Religionszugehörigkeit wie folgt:
60,9 % römisch-katholisch
21,6 % konfessionslos
6,7 % islamisch
4,4 % evangelisch
2,5 % christlich-orthodox
3,9 % andere Religionen
Von 1867 (Religionspatent) bis 1938 bestand nach Zuwanderung aus dem Raum Nürnberg, Böhmen und Mähren eine kleine Israelitische Kultusgemeinde Linz, die in den 1920er Jahren am Höchststand knapp 1.000 Mitglieder zählte – die Mehrheit davon lebte im Stadtteil Urfahr. Im Jahr 1877 errichtete die junge Gemeinde die Linzer Synagoge. Bereits zu Beginn der 1930er Jahre setzte angesichts des wachsenden Antisemitismus die Emigration ein. Ab dem Anschluss 1938 setzte die organisierte Vertreibung und Ermordung ein, jüdisches Eigentum wurde arisiert. In der Reichspogromnacht 1938 wurde die Synagoge zerstört. Auf dem Grundstück wurde 1968 eine neue Synagoge eröffnet. Heute zählt die jüdische Gemeinde Linz weniger als 100 Angehörige.
Zu den christlichen Sakralbauten zählen der Neue Dom, der Alte Dom, die Stadtpfarrkirche, die Wallfahrtsbasilika Pöstlingberg, die besonders alte Martinskirche.
Bedeutende römisch-katholische Einrichtungen der Stadt sind die Katholisch-Theologische Privatuniversität Linz und der Bischofssitz der Diözese Linz.
In Linz bestehen mehrere römisch-katholische und evangelisch-lutherische (AB) Gemeinden. Daneben gibt es eine evangelisch-reformierte (HB) und eine altkatholische Gemeinde. Freikirchen und andere Gemeinschaften sind die Baptisten, die Evangelikalen, die Mennoniten, die Methodisten, die Adventisten oder die Neuapostolische Kirche.
Die islamische Glaubensgemeinschaft arbeitet an der Verwirklichung eines Kulturzentrums im Süden der Stadt, das neben einem Betraum auch islamische Vereine, Sozial- und Kultureinrichtungen beherbergen soll.
Serbische Auswanderer gründeten die Serbisch-orthodoxe Kirche Linz, rumänische evangelische Christen die inzwischen zur Pfingstbewegung gehörende Hoffnungskirche.
Politik
Kurzgeschichte
Die ersten Gemeinderatswahlen konnten in Linz, wie auch im restlichen Österreich, erst nach der Märzrevolution von 1848 abgehalten werden. Bis ins 20. Jahrhundert war das Wahlrecht nur einem kleinen, wohlhabenden Teil der Bevölkerung, vorbehalten. Alle drei Jahre waren Gemeinderatswahlen vorgesehen. Die so gewählten Gemeinderäte wählten dann wiederum den Bürgermeister. Ab 1875 wurde zusätzlich ein Vizebürgermeister bestimmt.
Im Jahr 1867 wurden anlässlich des österreichisch-ungarischen Ausgleichs erstmals die Grundrechte der Staatsbürger festgeschrieben und ein Vereinsgesetz verabschiedet, das in weiterer Folge die Gründung von politischen Parteien ermöglichte. Der katholische Volksverein konnte zwar schon 1848 gegründet werden, wurde aber erst 1869/70 unter der Führung des Linzer Bischofs Franz Josef Rudigier politisch aktiv. Der Volksverein wurde als Massenpartei angelegt und zählte oberösterreichweit schon bald viele Mitglieder. Im Jahr 1884 erreichte der Verein im Landtag erstmals die Mehrheit, während man innerhalb der Stadt Linz deutlich davon entfernt blieb.
Der 1869 von Karl Wiser gegründete und geführte liberal-politische Verein war erfolgreicher. Die Anhänger der Revolution von 1848 wurden immer weniger, da jüngere Generationen andere Ansichten pflegten. Das führte dazu, dass die liberale Partei zunehmend nationalistischer wurde, sodass die Partei 1885 zum Deutschen Verein umbenannt wurde. Im Jahr 1888 gründete Carl Beurle den Deutschnationalen Verein für Oberösterreich und Salzburg, der bald auch im Linzer Gemeinderat vertreten war. Die beiden Parteien schlossen sich 1897 zum Deutschen Volksverein zusammen.
Die Arbeiterschaft konnte sich erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts in Parteien organisieren, da das politische Treiben von kaiserlichen Behörden überwacht wurde. Zwar entstanden bereits ab 1868 Arbeitervereine, doch wurden diese 1877 behördlich aufgelöst. Im Bemühen um die Arbeiterschaft gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde ein christlicher Arbeiterverein gegründet, der 1907 mit der christlichsozialen Partei vereinigt wurde. Im Jahr 1891 wurde in Linz die Landesparteiorganisation der Sozialdemokraten unter maßgeblicher Beteiligung von Anton Weiguny gegründet. Ein dichtes Netz an Basisorganisationen bildete sich und mit der Ausweitung des Wahlrechts nach der Jahrhundertwende stiegen die Sozialdemokraten auch in Linz zur Massenpartei auf. Im Jahr 1905 erfolgte erstmals der Einzug in den Gemeinderat.
Stadtsenat
Im Stadtsenat vertretene Parteien mit Anzahl ihrer Abgeordneten:
4 SPÖ
2 ÖVP
1 Die Grünen
1 FPÖ
Gemeinderat und Bürgermeister
Bis 1877 war der Linzer Gemeinderat stark von Liberalen, Anhänger der Revolution von 1848, geprägt. Danach gewannen konservative Parteien zunehmend an Einfluss. Bis 1900 wurden die Bürgermeister jedoch weiterhin von den Liberalen, die ab 1885 aufgrund des aufkommenden Gesinnungswechsels im gesamten deutschsprachigen Teil der Monarchie zum nationalbewussten Deutschen Verein wurden, gestellt. Im Jahr 1900 wurde mit Gustav Eder erstmals ein deutschnationaler Bürgermeister gewählt. Auch sein Nachfolger Franz Dinghofer, der von 1907 bis 1918 regierte, gehörte der deutschnationalen Partei an, die in Linz stärker als anderswo vertreten war.
Seit 2013 ist Klaus Luger, SPÖ, Bürgermeister von Linz. Die drei Linzer Vizebürgermeister waren ab 2015 Detlef Wimmer (FPÖ) und Bernhard Baier (ÖVP) sowie seit 2017 Karin Hörzing (SPÖ). Mit 7. März 2019 schied Wimmer aus der Linzer Stadtregierung aus, als Vizebürgermeister folgte ihm der bisherige Stadtrat Markus Hein nach. Neuer Stadtrat wurde Michael Raml. Im Oktober 2021 schied Hein aus der Politik aus.
Für frühere Bürgermeister siehe die Liste der Bürgermeister von Linz.
Im Gemeinderat aufgrund der Wahl vom September 2021 vertretene Parteien:
SPÖ (22)
FPÖ (9)
ÖVP (11)
Die Grünen (10)
NEOS (2)
KPÖ (2)
LINZ+ (2)
MFG (2)
WANDEL (1)
Städtepartnerschaften
Die Stadt Linz listet folgende Partnerstädte auf:
Stadtwappen
Wappengeschichte
Das Stadtwappen entwickelte sich aus dem Siegelbild. Der Gebrauch eines Stadtsiegels ist seit 1242 durch den Ankündigungstext "cum appositione sigilli civium in Linzhae" in einer Wilheringer Urkunde vom 1. März erwiesen. – Das Siegel mit der Umschrift
+ SIGILLVM . CIVIVM . IN . LINTZ
an einer Urkunde vom 14. Oktober 1272 zeigt bereits das doppeltürmige, zinnenbewehrte, offene Stadttor auf felsigem Grund (Fünfberg). – Im frühgotischen Siegel mit der Umschrift
+ S . VNIVERSORVM . CIVIVM . IN . LINTZ
von einem mit 28. Jänner 1288 datierten Schiedsspruch des Rates zu Linz, sind die nun am gewellten Wasser stehenden, naturalistisch geformten Türme und der Toraufbau mit Dächern versehen; staatsrechtlich bedeutsam ist die Einbeziehung des österreichischen (rot-weiß-roten) Bindenschildes in das Stadtsiegel.
Im Privileg vom 10. März 1490 gestattete Kaiser Friedrich III. der „haubtstat unnsers fürstentumbs Österreich ob der Enns“ mit erweiterten Stadtfreiheiten auch das Vorrecht der Siegelung in rotem Wachs. – Der erste farbige Beleg des Stadtwappens aus dem Jahre 1503 findet sich als aquarellierte Federzeichnung im Rieder Sebastian-Bruderschaftsbuch.
Als Folge des absolutistischen Einheitsstaates Österreich unter Kaiser Joseph II. erscheint – im Gebrauch ab 2. August 1785 nachweisbar – im
. SIGILLUM . CIVITATIS . LINCENSIS .
der nunmehr zu einer staatlichen Magistratsbehörde gewordenen Stadtverwaltung das Stadtwappen untergeordnet als Brustschild des das Siegelfeld beherrschenden, gekrönten, Schwert und Zepter haltenden, kaiserlichen Doppeladlers.
Im 19. Jahrhundert wandelten sich die „künstlerischen“ Darstellungen des Wappens in wahlloser Nachahmung und Vermischung älterer Stilarten zu oft überladenen, formschwachen Bildern. – Die vom Linzer Stadtrat in seiner Sitzung am 22. April 1926 als „richtige Ausführung“ anerkannte, von Franz Lehrer und Max Kislinger vorgeschlagene Fassung des Stadtwappens blieb bis zum Jahre 1935 in Geltung. – Mit der Beschreibung im Linzer „Stadtrecht 1935“ wurde das von willkürlichen Zutaten früherer Jahrzehnte befreite Stadtwappen erstmals gesetzlich verankert und 1936 auf Grund eines Ideenwettbewerbes seine Darstellung nach dem von einer Jury ausgewählten Entwurf von Franz Lehrer offiziell festgelegt.
Das neue Wappen ist eine Vereinfachung des als zu farben- und formenreich empfundenen Stadtwappens durch einen 1962/63 von der Stadtverwaltung öffentlich ausgeschriebenen Wettbewerb. Die landesgesetzliche Festlegung im neuen Stadtstatut 1965 mit gleichzeitiger Fixierung der Stadtfarben „Rot-Weiß“ wurde zur Unterscheidung von der vom Land Oberösterreich geführten weiß-roten Farbkombination fixiert.
Tor und Türme sind das Charakteristikum der mittelalterlichen wehrhaften Stadt. Die Erweiterung der vorerst auf den Berg beschränkten Siedlung zur Donau herab wurde durch die Aufnahme des Wassers im Schildfuß hervorgehoben. Die Eingliederung des österreichischen (rot-weiß-roten) Bindenschildchens ist der heraldische Hinweis auf die landesfürstliche Stadtherrschaft.
Blasonierung
Vor 1965 lautete die Blasonierung des über Jahrhunderte tradierten, im Wesentlichen unverändert gebliebenen Linzer Stadtwappens folgendermaßen:
„Das Stadtwappen von Linz zeigt im roten Feld ein silbernes, gequadertes und zinnengekröntes Stadttor mit weit geöffneten goldenen Torflügeln und mit einem hochgezogenen Fallgatter. Zu beiden Seiten des Stadttores erheben sich zwei silberne, gequaderte und zinnengekrönte Rundtürme mit goldenen Kegeldächern, über dem Torbogen erscheint ein goldener Dachwalm, darüber das österreichische Bindenschild. Vom geöffneten Tor führt über grünen Grund ein goldener Weg zum blauen Strom.“
Seit dem seit 1965 in Geltung stehenden neuen Stadtstatut, mit dessen Erlassung das Wappen geändert wurde, lautet die Blasonierung:
„Das Wappen zeigt in rotem Schild über einem silbernen Zwillingswellenbalken zwei silberne, mit drei Zinnen bekrönte Türme. Die Türme schließen ein offenes Tor ein, über dem der rot-weiß-rote Bindenschild Österreichs angebracht ist.“
Die Farben der Stadt sind Rot-Weiß, vor 1965 waren sie Weiß-Rot.
Wirtschaft
Gesamtsituation in Linz
Linz ist der größte Wirtschaftsstandort im oberösterreichischen Zentralraum, der zu den drei stärksten in ganz Österreich zählt. Rund 190.000 Menschen (2005) sind in der Stadt beschäftigt. Das sind fast doppelt so viele, wie in Linz Berufstätige wohnhaft sind, weshalb Linz massive Pendlerverkehrsströme bewältigen muss. An Arbeitstagen pendeln rund 100.000 Berufstätige in die Stadt ein, 18.500 aus. Linz verfügt über einen von vier österreichischen Donauhäfen und ist somit ein attraktiver Standort für Logistik- und Handelsbetriebe, aber auch Produktionsbetriebe, wie sie sich im Hafengebiet vielfach finden. Die wirtschaftliche Bedeutung von Linz war über Jahrhunderte durch den Handel begründet. Nachdem die Industrialisierung in Linz nur langsam vor sich gegangen war, war für das langjährige Image einer Industriestadt der Nationalsozialismus verantwortlich. Dieser brachte Linz auch heute noch bestehende Großindustrieunternehmen wie die Voestalpine AG (entstanden aus den rüstungsindustriellen Hermann-Göring-Werken) oder die Chemie Linz (aus den Stickstoffwerken entstanden), und damit verbunden, zehntausende Arbeitsplätze sowie branchenverwandte Betriebe.
Weitere Unternehmen aus der Metall-, Papier- und chemischen beziehungsweise pharmazeutischen Industrie sowie Unternehmen aus dem Forschungs- und Entwicklungsbereich siedelten sich in der Folge im Industriegebiet im Osten der Stadt, zwischen Westbahngleisen und Donau, an. Dass dort ein geschlossenes Industriegebiet überhaupt entstehen konnte, ist in der weitgehenden Vermeidung von Verbauung bis etwa 1938 begründet, da das Gebiet ursprünglich Überschwemmungsland war. Die Nationalsozialisten ließen das Gebiet jedoch auf mehreren Quadratkilometern für den Bau der Hermann-Göring-Werke mit Schotter aufschütten. Ebenso ist Linz Standort für Niederlassungen aus der Lebensmittel- (Haribo, Spitz) und Versandhausbranche (Amazon).
In den letzten Jahren entwickelte sich Linz zunehmend zu einer Kongressstadt. Laut einem Ranking des Meeting Industry Report Austria (mira) ist Linz unter den Top 3 der beliebtesten Kongressstädte Österreichs. Der Anteil des Gesamtvolumens an Kongressen, Firmentagungen sowie Seminaren liegt bei 7,4 %. Mit 7,2 % Teilnehmern befindet sich Linz ebenfalls auf dem dritten Platz. Besonders hoch liegt der Anteil an den Bundesland-Veranstaltungen, von denen 71,8 % in Linz abgehalten werden.
Rund 76.000 Teilnehmer gab es im Meeting-Bereich in Linz (Stand 2014). In Linz fanden 6 % des österreichischen Gesamtvolumens von Kongressen, Tagungen und Seminaren statt. Die Stadt verfügt neben über 60 Räumlichkeiten für verschiedenste Veranstaltungen auch über ein interessantes Rahmenprogramm abseits der Tagungen (z. B. Schaubacken in den Linzer Konditoreien). Regelmäßiger Schauplatz für Kongresse, Messen und Ausstellungen ist das 1994 eröffnete, in moderner Architektur gestaltete Design-Center. Die Beliebtheit als Kongressstadt beeinflussen auch positiv die Anzahl der Nächtigungen. 2013 konnte Linz 136.000 Übernachtungen auf Tagungen zurückführen. Die oberösterreichische Hauptstadt liegt demnach im Bundesländerranking beim Nächtigungsanteil von Meetings auf Platz Eins.
Im Winterhafen wurde Ende der 1990er Jahre das Technologieforschungszentrum Tech cEnter Linz Winterhafen errichtet, das eng mit der Johannes Kepler Universität Linz zusammenarbeitet. Im Herbst 2015 gründete die Universität das Linz Institute of Technology (LIT). Jährlich wird dabei ein spezieller Forschungsschwerpunkt gesetzt und ein oberösterreichischer Industriebetrieb übernimmt die Patenschaft. Ziel des LIT ist es, die Technik in den Fokus zu setzen und Fortschritte in der Weiterentwicklung der Industrie zu erzielen. Hierfür soll ein internationales Lehr- und Forschungszentrum für Produkt- und Produktionsprozessforschung sorgen.
Medien
Bis zur Märzrevolution 1848 gab es in Linz nur zwei kaiserfreundliche und unkritische Zeitungen: Die „Linzer Zeitung“ und das „Volksblatt für Herz, Verstand und gute Laune“. Die erste Neugründung nach Aufhebung der Pressezensur am 16. März 1848 waren die unregelmäßig erscheinenden „Briefe des Poldel Blitz“, die erstmals am 17. März 1848 erschienen. Sie griffen die Sorgen der unteren Bevölkerungsschichten auf und waren kritisch-satirisch gefärbt. Der Linzer Stadtpfarrkoordinator Albert von Pflügl gab ab Juni 1848 das „Volksblatt für Religion und Gesetz“ heraus, dem es vor allem um die Verteidigung der Kirche ging, welches aber mit teils deutlich antisemitischen Tönen die freie Presse verteufelte. Im Jahr 1849 wurde die Zeitung in „Katholische Blätter für Glauben, Freiheit und Gesinnung“ umbenannt. 1869 wurde sie letztendlich zum „Linzer Volksblatt“.
Als Organ der demokratisch und fortschrittlich gesinnten Bürger diente ab Anfang September 1848 „Der freie Linzer Postillon“, der eng mit dem Linzer demokratischen Verein verbunden war. Die Berichte waren stark lokal orientiert und sollten die sozial untere Bevölkerungsschicht aufklären. 1849 wurde die Zeitung ob ihrer revolutionären Züge aufgrund der erneuten Einschränkung der Pressefreiheit verboten. Auch das reaktionäre, deutschnationale Blatt „Der Vaterlandsfreund“ bestand nur zwischen Juni 1848 und Herbst 1849.
Ab 1865 erschien die „Tagespost“, die 1954 mit den 1945 gegründeten „Oberösterreichischen Nachrichten“ (ÖNN) zusammengelegt wurde. Die OÖN sind im 21. Jahrhundert die nach der Regionalausgabe der Kronen-Zeitung auflagenstärkste Tageszeitung Oberösterreichs. Lokalredaktionen von österreichweit erscheinenden Zeitungen, wie der Kronen Zeitung, befinden sich ebenfalls in Linz. Von 1898 bis zum 10. März 1938 erschien die sozialdemokratische „Wahrheit!“, welche ursprünglich eine Wochenzeitung war, zwischen 1911 und 1916 aber täglich herausgegeben wurde. Nach ihrer erneuten Umstellung auf eine Wochenzeitung wurde sie durch die 1916 bis 11. März 1938 erscheinende Tageszeitung Oberösterreichisches Tagblatt ergänzt. Beide Zeitungen unterlagen nach dem Österreichischen Bürgerkrieg im Februar 1934 politisch bedingten Veränderungen und wurden mit dem Anschluss Österreichs 1938 eingestellt. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erschien die Zeitung bis zur Übernahme durch die Arbeiter-Zeitung 1987 erneut.
Am längsten mit Radio- und Fernsehsendern in Oberösterreich vertreten ist der staatliche ORF, dessen Landesstudio Oberösterreich sich in Linz befindet. Seit der Vergabe von Rundfunklizenzen an Privatunternehmen sind in Linz zusätzlich die pop-orientierten Radiosender Life Radio und KroneHit ansässig, sowie Radio Arabella mit Oldies. Als einziger Radiosender für Alternativmusik und -kultur dient Radio FRO, das seinen Sitz und seine Studios im Gebäude des Kulturvereins Stadtwerkstatt hat.
In Linz existieren zwei lokale Stadtfernsehsender: LT1, der in Linz und Umgebung über Kabel und DVB-T empfangen werden kann sowie über Astra 19,2° Ost ausgestrahlt wird, sowie der offene Sender dorf tv, der via DVB-T im oberösterreichischen Zentralraum zu empfangen ist.
Immobilienpreise
Die Quadratmeterpreise für gebrauchte Eigentumswohnungen stiegen im Jahr 2013 um 9,8 % auf 2.500 Euro pro Quadratmeter, die für neuwertige Eigentumswohnungen sanken dagegen um 4,1 % auf 3.259 Euro pro Quadratmeter. Die Preise bei Einfamilienhäusern stiegen ebenfalls und lagen 2014 im Schnitt bei 4,4 % auf 2.436 Euro pro Quadratmeter. Die Preise bei Mietwohnungen hingegen sind gleich geblieben oder sogar leicht gesunken.
2018 lagen die Quadratmeterpreise sowohl für Eigentumswohnungen als auch für Häuser bei etwa 4.000 Euro.
Märkte
In Linz gibt es elf Lebensmittel- und Grünmärkte, einen wöchentlichen Flohmarkt sowie zwei Weihnachtsmärkte. Großer Beliebtheit erfreut sich dabei vor allem der Urfahraner Markt, welcher jeweils im Frühjahr und Herbst jeden Jahres stattfindet. Dieser bietet den Besuchern eine Mischung aus Vergnügungseinrichtungen und Verkaufsständen sowie mehreren Festzelten. Außerdem gibt es noch jährlich stattfindende Christbaum- und Silvestermärkte.
Der jährlich stattfindende Linzer Marktfrühling setzt weitere Akzente und soll durch attraktive Angebote neue Käufer ansprechen.
Shopping
Linz bietet verschiedene Shopping-Möglichkeiten, sei es in Einkaufszentren oder den bekannten Einkaufsstraßen.
Einkaufszentren und Einkaufsstraßen
Linz verfügt über dreizehn Einkaufszentren sowie drei weitere im Umland. In der Linzer Innenstadt befinden sich drei innerstädtische Einkaufszentren, welche zum Shoppen einladen. Die folgende Liste enthält alle Shoppingcenter:
Die Linzer Landstraße ist laut den von Infrapool erhobenen Daten im Oktober 2010 die belebteste Einkaufsstraße außerhalb Wiens. Die Landstraße verbucht eine Wochenfrequenz von 240.500 (Mo–Sa, 8–19 Uhr) bzw. 228.400 Passanten (8–18 Uhr). Dies ist der zweithöchste Wert in den letzten zehn Jahren, lediglich 2005 gab es mehr Passanten. Weitere Einkaufsstraßen in Linz:
Tourismus
Im Stadtgebiet befinden sich insgesamt etwa 544 Gastronomie- und Gaststättenbetriebe.
Die Linzer Hotellerie verfügt über 4.544 Betten – 2.302 davon in den zehn Vier-Sterne-Hotels. Neun Betriebe gibt es im Drei-Sterne-Bereich, welcher über 1.226 Betten verfügt. Zudem gibt es sieben Zwei- und Ein-Stern-Hotels mit 472 Betten sowie 544 zusätzliche Betten nicht kategorisierter gewerblicher Betriebe. Fünf-Sterne-Hotels gibt es keine.
Im Jahr 2004 zählte Linz 647.482 Übernachtungen. 2013 waren es 775.396 Nächtigungen. Im Vergleich des Monats Mai von 2015–2016 stieg die Anzahl der Nächtigungen in den 4-Sterne-Hotels von 34.762 auf 36.420. Hingegen sanken die Nächtigungen in den 3-Sterne-Hotels um 3,3 % von 21.164 auf 20.469. Die 2-Sterne- und 1-Stern-Hotels verbuchten einen Anstieg der Nächtigungen von 0,8 % (von 4.556 auf 4.594) und im Bereich der nicht kategorisierten Betriebe wurde ein Anstieg von 0,5 % (von 3.431 auf 3.449) erzielt. Die Übernachtungen in den 4-Sterne Hotels stiegen im Zeitraum von Februar 2017 bis Februar 2018 um mehr als 5 % von 20.590 auf 21.655. Im selben Zeitraum gab es bei den 3-Sterne-Hotels einen Anstieg um 22 % von 13.383 auf 16.330 Nächtigungen. Knapp 1 % mehr Übernachtungen gab es mit 2.864 bei den 2-Sterne- und 1-Stern-Hotels. Bei den nicht kategorisierten Hotels gingen die Übernachtungszahlen um fast 10 % von 4.177 auf 3.763 zurück.
2018 wurden 408.074 Übernachtungen aus dem Inland registriert. Unter den Ausländern verbuchten Gäste aus Deutschland die meisten Übernachtungen mit insgesamt 170.518, gefolgt von Italienern mit 24.534 Nächtigungen und Touristen aus China, Hongkong sowie Macao mit 23.256 Nächtigungen.
Stadtversorgung
Unternehmensgruppe
Die Unternehmensgruppe Stadt Linz ist der größte Dienstleister der Landeshauptstadt und das größte Linzer Unternehmensnetzwerk in öffentlichem Eigentum. Jeweils ca. ein Viertel ihrer Mitarbeiter sind im Magistrat, in der Linz AG und im Allgemeinen Krankenhaus tätig. Das letzte Viertel entfällt auf die übrigen Teile der Gruppe wie die LIVA, die GWG, die LILO, die Flughafengesellschaft, die Betriebsgesellschaften des Design-Centers und des Ars Electronica Centers, die Seniorenzentren-GmbH oder die Linz 2009 – Kulturhauptstadt Europas Organisations-GmbH. Letztere führte das Kulturhauptstadtjahr aus.
Die Unternehmensgruppe Stadt Linz ist nach dem voestalpine-Konzern der zweitgrößte lokale Investor. Die rege Investitionstätigkeit belebt die Wirtschaft und sichert einen hohen infrastrukturellen Standard.
Linz ist neben Steyr Standort eines der beiden Krematorien Oberösterreichs. Errichtet wurde es 1929 vom Bestattungsverein Die Flamme und 1953 von der Stadt erworben. Heute ist die städtische Bestattung und Friedhofsverwaltung Teil der Linz AG.
Wasserversorgung
Die Linzer Wasserversorgung wird durch sechs Wasserwerke in den Ortschaften Scharlinz, Fischdorf, Heilham, sowie im Gemeindegebiet von Steyregg (Plesching), im Bereich der Gemeinde Goldwörth und im Stadtgebiet von Ansfelden (Haid) mit insgesamt 29 Brunnen und 29 Hochbehältern sichergestellt. Durchschnittlich werden täglich etwa 64.000 m³ Wasser verbraucht, d. h. keines der Wasserwerke fährt auf Volllast. Falls es zu einem Ausfall eines Wasserwerkes kommen sollte, kann dies durch eine erhöhte Produktion problemlos kompensiert werden.
Verkehr und Transport
Grundsätzliches
Linz ist aufgrund seiner Lage ein wichtiger Knotenpunkt für den Straßen-, Eisenbahn und Schiffsverkehr. Die Entwicklung der Aufteilung des Verkehrs innerhalb der Stadt (der sogenannte Modal Split) wird in der folgenden Tabelle beschrieben:
Der folgende Graph zeigt einen Vergleich der österreichischen Landeshauptstädte im Modal Split und sechs weiteren umwelt-relevanten Bereichen. Der Vergleich wurde 2020 von der Umweltorganisation Greenpeace durchgeführt (je mehr Punkte umso besser):
Verkehrsmittelwahl (Modal Split): Anzahl der Wege im Personenverkehr, die umweltfreundlich zu Fuß, per Rad oder mit öffentlichem Verkehr zurückgelegt werden.
Luftqualität: Belastung mit Stickstoffdioxid und Feinstaub.
Radverkehr: Länge des Radnetzes, Anzahl der City-Bikestationen, Anzahl der Verkehrsunfälle.
Öffentlicher Verkehr: Preis, zeitliche und räumliche Abdeckung.
Parkraum: Preis für das Parken, Anteil der Kurzparkzonen.
Fußgänger: Flächen der Fußgängerzonen und der verkehrsberuhigten Zonen, Anzahl der Verkehrsunfälle.
Auto-Alternativen: Anzahl Elektro-Autos, Anzahl der Elektro-Ladestationen, Anzahl der Car-Sharing-Autos.
Durchschnitt: Summe der sieben Einzelwertungen geteil durch sieben.
Straßenverkehr
Überblick
Die Stadt Linz ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Neben der im Süden vom Stadtgebiet verlaufenden West Autobahn A 1 Wien – Salzburg verläuft die Mühlkreis Autobahn A 7, die zusammen mit der Mühlviertler Schnellstraße S 10, eine wichtige Verkehrsverbindung nach Tschechien darstellt, durch das Stadtgebiet. Im Stadtgebiet von Ansfelden, südwestlich von Linz gelegen, zweigt die Welser Autobahn A 25 ab, die in die Innkreis Autobahn A 8 mündet, welche bis zur Staatsgrenze nach Deutschland bei Passau führt.
Im Sommer 2017 starteten die Vorarbeiten für den Westring A 26 und die vierte Donaubrücke. Der Bau des Westringes soll in drei Phasen durchgeführt werden, die komplette Verkehrsfreigabe soll Dezember 2031 erfolgen. Der Westring soll den Römerbergtunnel sowie den Straßenzug Kapuzinerstraße/Hopfengasse/Sandgasse/Kellergasse/Waldeggstraße entlasten. In der ersten Phase, die im Oktober 2024 abgeschlossen sein soll, wird die neue Donaubrücke errichtet. Von Oktober 2024 bis Juni 2029 ist die zweite Phase geplant, mit dem Bau des Freinbergtunnels (mit Anschluss zur Kärntner Straße/Hauptbahnhof) und der Unterflurtrasse Waldeggstraße. Die letzte Phase besteht aus dem Neubau der Westbrücke und dem Lückenschluss zur Mühlkreis Autobahn A 7, diese soll von Juni 2029 bis Dezember 2031 andauern.
Im Jänner 2018 wurde mit der Errichtung von Bypässen bei der VÖEST-Brücke begonnen, da die Brücke spätestens im Jahr 2020 saniert werden muss. Um die angespannte Stau-Situation auf der Mühlkreis Autobahn A 7 nicht noch mehr zu belasten, hat man sich für den Bau der Bypässe entschieden, die auch nach 2020 bestehen bleiben und den innerstädtischen Verkehr aufnehmen sollen. Das Bypass-System hat sich schon bei der Sanierung der meistbefahrenen Brücke Österreichs, der Prater-Brücke auf der Wiener Südosttangente A 23 bewährt.
Zur Verkehrsentlastung wurde 1998 der Busfahrstreifen der Rohrbacher Straße von Puchenau nach Pöstlingberg kommend auch für Autos mit drei oder mehr Insassen freigegeben. Jährlich würden so volkswirtschaftlich rund 270.000 Euro aus 60.000 Personenstunden Fahrzeitgewinn und Reduktion der CO2-Emission eingespart.
Innerstädtische Durchzugsstraßen (Auswahl)
Wiener Straße (Nord-Süd)
Dinghoferstraße (Nord-Süd), als Einbahn geführt, ihr Gegenstück ist die Humboldtstraße
Humboldtstraße (Nord-Süd), als Einbahn geführt, ihr Gegenstück ist die Dinghoferstraße
Salzburger Straße (Ost-West)
Freistädterstraße (Ost-West) die als Prager Straße und über die Rudolfstraße als Rohrbacher Straße aus Linz führt
Leonfeldner Straße (Nord-Süd)
Waldeggstraße/Kellergasse/Sandgasse/Hopfengasse/Kapuzinerstraße („Westumfahrung“, Nord-Süd)
Kremstal Straße (Ost-West)
Rudolfstraße (Ost-West)
Obere / Untere Donaulände (Ost-West)
Franckstraße (Nord-Süd), als Verbindung von Donaulände zur Donau Straße
Stahlstraße (Nord-Süd)
Umfahrung Ebelsberg zwischen Oiden und der Anschlussstelle Voest samt Mona-Lisa-Tunnel und Traunquerung
Brücken
Chronologie der Fertigstellung:
Historisch gab es an der Stelle der heutigen Nibelungenbrücke Vorgänger.
Eisenbahnbrücke Steyregg: erbaut 1873, erneuert 1920
Nibelungenbrücke: eröffnet 1940
VÖEST-Brücke: Autobahn plus beidseits Rad- und Gehweg, eröffnet 1971, von 2018–2020: Errichtung von zwei parallelen Bypassbrücken.
Steyregger Brücke: eröffnet 1979
Alte Eisenbahnbrücke: eröffnet 1900, abgerissen 2016
Neue Eisenbahnbrücke Linz: Ersatz für die alte Eisenbahnbrücke, Verkehrsfreigabe am 30. August 2021
Vierte Linzer Donaubrücke: geplante Bauzeit 2018–2022, geplante Verkehrsfreigabe Oktober 2024
Tunnel
Römerbergtunnel: eröffnet 1967
Einhausung Bindermichl: eröffnet 2005
Einhausung Niedernhart: eröffnet 2005
Mona-Lisa-Tunnel: eröffnet 2000
Freinbergtunnel: geplante Eröffnung 2031
Unterflurtrasse Waldeggstraße: geplante Eröffnung 2031
Geplante Straßenverbindungen
Westring A 26: geplant Verkehrsfreigabe 2035
Eisenbahn
Überblick
Die ab 1825 errichtete und 1832 eröffnete Pferdeeisenbahnstrecke von Gmunden über Wels und Linz nach Budweis war die erste Bahnstrecke auf dem europäischen Festland. Diese Bahnstrecke verband die Donau mit der Moldau und machte Linz zu einem bedeutenden Verkehrsknotenpunkt.
Linz wurde 1852 an die Kaiserin Elisabeth-Bahn angeschlossen und wurde ein wesentlicher Knotenpunkt für den Verkehr nach Bayern und Salzburg. Neben dem Hauptbahnhof am damaligen Südende der Stadt wurde 1880 zusätzlich der Central-Frachten- und Rangierbahnhof für den Güterverkehr errichtet.
Der ursprüngliche Linzer Hauptbahnhof wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört und zwischen 1945 und 1950 neu aufgebaut. Zwischen 2000 und 2004 wurde er im Zuge der Bahnhofsoffensive der ÖBB durch ein neues Bahnhofsgebäude mit einer verbesserten Nahverkehrsanbindung ersetzt. Dieser Neubau wurde 2004 abgeschlossen, 2005 wurde die LILO, die Linzer Lokalbahn, eingebunden und der Lokalbahnhof aufgelassen. Mittlerweile wurde der Linzer Bahnhof bereits zum zweiten Mal zum beliebtesten Bahnhof Österreichs gewählt. Aufgrund kurzer Umsteigewege, großzügiger Gestaltung und hellem Ambiente wurde das Gebäude sieben Mal in Folge (2005 bis 2011) und ein weiteres Mal 2014 vom Verkehrsclub Österreich zum beliebtesten und schönsten Bahnhof Österreichs gekürt.
Linzer Bahnhöfe (Personenverkehr)
Linz Franckstraße
Linz Hauptbahnhof
Linz-Urfahr (vulgo Mühlkreisbahnhof, 1888 errichtet)
Linz Wegscheid
Pöstlingbergbahn mit ehemaliger Tal-Station in Urfahr zwischen Mühlkreisbahnhof und Straßenbahnremise an der Straßenbahnlinie 3 und Bergbahnhof am Pöstlingberg. Seit Umspurung von 1000 auf 900 mm um 2009 fährt diese Bahn als Straßenbahn bis zum Hauptplatz.
Linzer Eisenbahnhaltestellen
Linz Ebelsberg
Linz Oed
Linz Pichling
Linzer Eisenbahnbrücken
Eisenbahnbrücke: eröffnet 1900, abgerissen im Sommer 2016. Die 2021 eröffnete neue Eisenbahnbrücke soll einmal der geplanten Stadtbahn dienen, ist derzeit aber eine reine Straßenbrücke.
Eisenbahnbrücke Steyregg (1873, 1925)
Öffentlicher Personennahverkehr
Die Linz Linien (ehemals ESG, heute Teil des Linz AG Konzerns) sind als Betreiber mit der Straßenbahn-, der O-Bus- und der städtischen Autobuslinien das wichtigste Standbein des innerstädtischen öffentlichen Verkehrs. Dieser wird durch das AST (Anruf-Sammel-Taxi) ergänzt, das am Tag in bestimmten Linzer Gebieten sowie in den Nachtstunden innerhalb von Linz und in einigen Nachbargemeinden verkehrt.
Mit 5. Dezember 2004 ging die Nahverkehrsdrehscheibe-Linz in Betrieb. Kernstück ist eine unterirdische Straßenbahntrasse zwischen den Stationen Bulgariplatz und Goethekreuzung (1,9 km Länge), die am 31. August 2004 eröffnet wurde. Dadurch wurde eine direkte Anbindung des neugebauten Hauptbahnhofes verwirklicht. Die Planung dieser Linienvariante geht auf das Jahr 1976 zurück. 2001 wurde nach langem Hin und Her mit dem Bau begonnen, welcher im Jahr 2004 – drei Monate früher als geplant – abgeschlossen wurde. Neben dem Bahnhof entstand auch ein neues Busterminal unter dem Landesdienstleistungszentrum.
Am 11. Dezember 2016 ging die S-Bahn Oberösterreich in Betrieb und verbindet den Linzer Hauptbahnhof mit dem Umland. Die S-Bahn verfügt über 5 Linien, die über die West-, Rudolfs-, Pyhrn- und Summerauerbahn sowie Linzer Lokalbahn verlaufen. Es ist geplant, die S-Bahn um zwei Linien Richtung Norden zu erweitern. Zu diesem Zweck soll eine Stadtbahnstrecke vom Hauptbahnhof nach Urfahr gebaut werden. Eine Linie soll über diese neue Stadtbahnstrecke und die Mühlkreisbahn, die andere Linie über diese Stadtbahnstrecke und auf einer neu zu errichtenden Strecke über Gallneukirchen nach Pregarten verlaufen.
Radverkehr
Der Radverkehrsanteil in Linz ist mit 5 % im Vergleich zu anderen Städten mit ähnlicher Einwohnerzahl niedrig (z. B. Salzburg: 18 %, Graz 14 %, Münster 38 %, Stand 2004). Zwar ist die Stadt Linz bestrebt, die geeigneten Einbahnen für Radfahrer zu öffnen und auch auf den Busspuren wird das Fortkommen erleichtert, doch enden die eigentlichen Radwege oft gerade dort, wo sie die Verkehrssituation am notwendigsten erfordern würde. Manche Stadtteile sind überhaupt nur auf stark befahrenen Straßen erreichbar oder befahrbar. Daher fordert die Initiative Fahrrad (Oberösterreichischer Tochterverein der ARGUS) eine mehrjährige Schwerpunktaktion zum Ausbau des Linzer Radwegnetzes.
Linz liegt am viel befahrenen Donauradweg R1 zwischen Passau und Wien. Dieser zählt zu den beliebtesten Radfernwegen in Österreich und Deutschland. Der Donauradweg wurde nach dem Zertifizierungsprogramm des ADFC als Qualitätsradweg Nr. 1 mit vier Sternen ausgezeichnet. Die Kriterien dieser Bewertung belaufen sich auf eine gute Beschilderung, sicher befahrbare Routen sowie eine ansprechende touristische Infrastruktur. Entlang der Wegstrecke finden sich zahlreiche radfreundliche Unterkünfte mit E-Bike Ladestationen. In Linz verläuft der Donauradweg entlang des neu gestalteten Donauufers mit dem Ars Electronica Center, dem vis-à-vis liegenden Lentos Kunstmuseum, dem Brucknerhaus, der Tabakfabrik und der nahen Linzer Altstadt mit Flaniermeile und Dom.
Schiffsverkehr und Häfen
Linz war bis 2011 der größte Hafenplatz Österreichs und der oberen Donau. Er liegt an der größten Wasserstraße Europas, die dank des Rhein-Main-Donau-Kanals eine durchgehende Wasserverbindung zwischen Nordsee und Schwarzem Meer ermöglicht. Rund 6,9 Millionen Tonnen Güter wurden 2005 im städtischen Hafen der Linz AG und im voestalpine-Werkshafen umgeschlagen. In unmittelbarer Nähe befindet sich der in den letzten Jahren stark ausgebaute Hafen Enns, ein weiterer der vier österreichischen Donauhäfen.
Im Jahr 2005 entfielen von den 6,9 Millionen Tonnen rund 0,6 Mio. auf den Handelshafen, 0,6 Mio. auf den Tankhafen, 1,9 Millionen auf den Containerhafen und 3,8 Millionen auf den voestalpine-Hafen.
Die Gesamtfläche der Hafenanlagen beträgt rund 150 ha, bis 2011 waren davon 45 ha Wasserfläche. Eine großangelegte Umgestaltung, die eine weitere Kapazitätserhöhung bringen soll, hat 2012 begonnen. Nicht mehr benötigte Hafenbecken werden zugeschüttet und für Lagerhäuser und Verwaltungsgebäude verwendet. Dafür wird der beibehaltene Teil modernisiert und neu gestaltet.
Zunehmend gibt es in Linz auch Passagierschiffsverkehr, vor allem Donau-Kreuzfahrtunternehmen sowie Tagesfahrten.
Ab 2015 sollen am Hafen etwa nicht mehr benötigte Silos abgerissen, Bauten modernisiert und neu errichtet sowie neu eine Ebene (über gewerblich genutzten Hallen) in bis zu 18 m Höhe für Kultur eingerichtet werden: Fußläufig mit dem Veranstaltungsort Posthof verbunden und mit Treppen hinunter zu den Hafenbecken.
Im September 2020 wurde im Handelshafen ein zweiter Containerkran errichtet.
Flughafen
In Hörsching befindet sich der Flughafen Linz mit Linienverbindungen nach Düsseldorf, Frankfurt am Main und Wien. Billigflugverbindungen gibt es mit Ryanair nach London (3x pro Woche). Zusätzlich bestehen noch einige Charterverbindungen nach Ägypten, Griechenland, Italien, Kroatien, Spanien, Tunesien und der Türkei.
Der Flughafen hat eine gewisse Bedeutung als Standort für Luftfracht-Speditionen. Es gibt einen werktäglichen Frachtflug zum DHL Hub Leipzig. In Linz war überdies die einzige österreichische Cargoairline Amerer Air beheimatet. 2014 wurde der Flughafen von rund 561.000 Passagieren frequentiert und 44.414 Tonnen Fracht umgeschlagen. Im Folgejahr lag die Anzahl der Passagiere bei 529.785 und die Fracht erhöhte sich auf 45.985 Tonnen.
Sozialwesen und Sicherheitswesen
In Linz gibt es
Gesundheitswesen
In Linz gibt es (Stand 2016)
7 Krankenhäuser,
170 Fachärzte,
37 Apotheken und
2 Rettungsdienste.
Krankenhäuser
Kepler Universitätsklinikum, bestehend aus den Bereichen:
Med Campus III, bis Ende 2015 das Allgemeine Krankenhaus (AKh) mit 996 Betten und insgesamt 2.513 Mitarbeitern
Med Campus IV, bis Ende 2015 die Landes-Frauen- und Kinderklinik mit 268 Betten
Neuromed Campus, bis Ende 2015 die Landesnervenklinik Wagner-Jauregg mit 731 Betten
Unfallkrankenhaus (UKH) mit 155 Betten
Krankenhaus der Barmherzigen Brüder mit 372 Betten
Ordensklinikum (Fusion per 1. Jänner 2017)
Krankenhaus der Barmherzigen Schwestern mit 713 Betten
Krankenhaus der Elisabethinen mit 481 Betten
Klinik Diakonissen Linz mit 116 Betten
Tagesklinik Linz mit 14 Betten
Rettungsorganisationen, die auch weitere Aufgaben wahrnehmen:
Arbeiter-Samariter-Bund
Rotes Kreuz
Bildung
Grund-, Ober- und Berufsschulen
Öffentliche Pflichtschulen: insgesamt 11.844 Schüler (Schuljahr 2004/05)
36 Volksschulen
15 Hauptschulen
3 Sonderschulen
2 Polytechnische Schulen
Private Pflichtschulen: insgesamt 699 Schüler (Schuljahr 2004/05)
2 Volks- und 2 Hauptschulen
15 Allgemeinbildende höhere Schulen mit 9.755 Schülern (Schuljahr 2004/05)
U. a. (auch ehemalige) religiöse Bildungseinrichtungen wie das Adalbert-Stifter-Gymnasium, das Kollegium Aloisianum, das Bischöfliche Gymnasium Petrinum und das Gymnasium der Kreuzschwestern Linz
10 Berufsbildende mittlere und höhere Schulen mit 3.259 Schülern (Schuljahr 2004/05)
2 Bildungsanstalten für Kindergartenpädagogik mit 785 Schülern (Schuljahr 2004/05)
10 Berufsschulen mit 10.200 Schülern (Schuljahr 2004/05)
Universitäten und Hochschulen
Johannes Kepler Universität Linz mit 22.573 Studierenden (Stand 2020/21)
Universität für künstlerische und industrielle Gestaltung Linz (Kunstuniversität Linz) mit 1.405 Studierenden (Stand 2020/21)
FH Oberösterreich, Campus Linz, mit 743 Studierenden (Stand 2020/21)
Anton Bruckner Privatuniversität für Musik, Schauspiel & Tanz mit 824 Studierenden (Stand 2020/21)
Institute of Digital Sciences Austria / Technische Universität Linz, im Aufbau
Pädagogische Hochschule des Bundes Oberösterreich mit ca. 3.000 Studierenden
Pädagogische Hochschule der Diözese Linz
Katholische Privat-Universität Linz mit 268 Studierenden (Stand 2020/21)
LIMAK Austrian Business School
KMU Akademie AG (Middlesex University London)
Bibliotheken
Im September 2007 wurde neben dem Hauptbahnhof der „Wissensturm“ fertiggestellt, in dem die Linzer Hauptbibliothek und die Volkshochschule untergebracht sind. 2007 wurde zudem mit dem Ausbau der Landesbibliothek am Schillerplatz begonnen.
Hauptbibliothek und zehn Zweigstellen: 1.159.212 Entlehnungen (2013)
Landesbibliothek: 86.262 Entlehnungen (2005)
Die Hauptbibliothek ist die größte öffentliche Bibliothek in Oberösterreich. Die Bibliothek verfügt über einen Bestand von 220.000 Medien, davon rund 60.000 audiovisuelle Medien, sowie zahlreiche Zeitschriften. Die Bibliothek bietet außerdem öffentlichen Internetzugang sowie Computer zum Surfen an. Die Stadtbibliothek hat sich die Leseförderung zum Schwerpunkt gesetzt. Zudem finden regelmäßig Veranstaltungen wie Lesungen, Workshops oder eReading-Sprechstunden statt.
Erwachsenenbildung
Volkshochschule (VHS Linz) mit 24.994 Kursteilnehmern (Kursjahr 2004/05)
Berufsförderungsinstitut (BFI) mit 56.300 Kursteilnehmern (Kursjahr 2010)
Wirtschaftsförderungsinstitut (WIFI) mit 41.726 Kursteilnehmern (Kursjahr 2004/05)
Bildungszentrum der Sicherheitsexekutive (BZS) Linz der Sicherheitsakademie
Polizei
Als Sicherheitsbehörde für die Stadt fungiert die Landespolizeidirektion Oberösterreich. Als Dienststelle des Wachkörpers für das Stadtgebiet ist ihr das Stadtpolizeikommando Linz unterstellt.
Feuerwehren
In Linz befindet sich eine der sechs in Österreich befindlichen Berufsfeuerwehren. Vier Freiwillige Feuerwehren (Ebelsberg, Pichling, Pöstlingberg, St. Magdalena) und neun Betriebsfeuerwehren ergänzen das Linzer Feuerwehrwesen. Daneben befindet sich in Linz die dem Oberösterreichischen Landesfeuerwehrverband unterstehende Landesfeuerwehrschule, die die Ausbildung der Feuerwehrmitglieder aller oberösterreichischen Freiwilligen und Betriebsfeuerwehren durchführt.
Betreuung und Pflege
Für die Betreuung alter und pflegebedürftiger Menschen bietet die Stadt Linz städtische Seniorenzentren an. Daneben betreiben private Organisationen Alten- und Pflegeheime, zum Beispiel die Diakonie das Haus für Senioren in der Körnerstraße und die Caritas Oberösterreich die Seniorenhäuser St. Anna und Karl Borromäus.
Freizeit
Parks und Erholungsgebiete
Die Stadt Linz verfügt über eine Vielzahl von Parks sowie mehrere größere Erholungsgebiete, die im Folgenden genannt werden:
Seen und Freibäder: Pichlinger See, Pleschinger See, Weikerlsee, Biesenfeldbad, Hummelhofbad, Parkbad, Schörgenhubbad. Die Badeseen in Linz sind für die Besucher kostenlos und gehören zu den saubersten in Österreich. Die Messungen der Wasserqualität wurden in den vergangenen Jahren für „gut“ bewertet. Die Analysen des Wassers werden von der AGES durchgeführt. Der Pleschinger See, der Pichlinger See sowie der Weiklersee werden von der Linz AG betreut. Zu den ersten Schwimmbädern der Stadt gehörten jene im ehemaligen „Fabriksarm“, einem um 1890 zugeschütteten Seitenarm der Donau in der Biegung der Donau (ab heutigem Parkbad bis etwa Winterhafen). Danach wurde als Provisorium an der Oberen Donaulände ein „Strombad“ (Strom im Sinne des Donaustroms) errichtet, das bis zum Hochwasser 1954 bestand. 1901 wurde auch die neue „Städtische Schwimmschule“ an der Stelle des heutigen Parkbades errichtet.
Botanischer Garten: Mit rund 100.000 Besuchern zählt der Botanische Garten zu den am besten besuchten Einrichtungen der Stadt. Die am Bauernberg gelegene, rund 4,2 Hektar große, seit 1952 bestehende Anlage besticht durch ihre harmonische Gestaltung, ihren Reichtum an Pflanzenarten (rund 8.000 verschiedene Arten in Kultur) und das reichhaltige Kultur- und Veranstaltungsprogramm.
Donaulände oder „Lände“: öffentlicher Park an der Donau zwischen Lentos und Brucknerhaus. Im Sommer beliebter Treffpunkt der Linzer Jugend. Schauplatz der Linzer Klangwolke.
Freinberg: öffentlicher Park, von Familien und Joggern sehr gut besucht. Eine der schönsten Wohngegenden von Linz.
Bauernberganlagen: Großer historischer, landschaftsgärtnerisch gestalteter, zum Teil denkmalgeschützter Park mit zahlreichen Kunstdenkmälern.
Pfenningberg: Teil des nordöstlichen Grüngürtels Richtung Steyregg mit Ausblick auf die Hafenanlagen und das Gelände der VÖEST
Wasserwald: Großer Park (ca. 1 km²) im Süden von Linz im Stadtteil Kleinmünchen in welchem sich ein großes Wasserwerk befindet. Wird von Spaziergängern, Joggern, Nordicwalkern und Hundebesitzern gerne besucht. Der Park ist mit gut gepflegten Gehwegen, Kinderspielplätzen, zwei Rodelhügeln, einem Fitnessweg, einer Laufstrecke sowie einem Seniorenpark mit Freischach ausgestattet. Weiters sind zwei öffentliche Toilettenanlagen vorhanden.
Stadtpark: Am 22. August 2003 wurde der neue Linzer Stadtpark zwischen Huemer-, Museum-, Noßberger- und Körnerstraße offiziell eröffnet. Mit 10.807 Quadratmeter ist die Grünfläche die zweitgrößte innerstädtische Parkanlage. Die Stadt Linz hat durch ein Tauschgeschäft mit der österreichischen Post dieses Areal erworben. Seit dem Schillerpark im Jahr 1909 hat es in der Linzer Innenstadt keinen neuen Park in dieser Größenordnung mehr gegeben.
Landschaftspark Bindermichl-Spallerhof: Für die erste Ausbaustufe des 8,3 Hektar großen Areals, das die Stadtbezirke Bindermichl und Spallerhof wieder verbindet, zeichnete das Land Oberösterreich verantwortlich. Der Park ersetzt die Stadtautobahn, die in diesem Bereich seit 2006 unterirdisch verläuft. Alte Wege konnten wieder eingerichtet werden und bis etwa Mitte 2007 gestalteten die Stadtgärtner die neue Parklandschaft mit 550 Bäumen sowie verschiedenen Sträuchern, Stauden- und Blumenbeeten, die dem Park ein vielfältiges Aussehen verleihen.
Zoo Linz: Der Linzer Zoo befindet sich am Pöstlingberg und beherbergt rund 600 Tiere aus 110 verschiedenen Arten auf vier Hektar. 2016 wurde der 3500 m² große „Haustierpark“, mit Tieren wie dem Zwerghängebauchschwein oder der Walliser Schwarzhalsziege, eröffnet. Der Park bringt Tierfreunden die Vielfalt seltener Haus- und Nutztierrassen näher. Im selben Jahr schaffte es der Zoo auf 132.400 Besucher und knackte erneut den Besucherrekord.
Kirchschlag: Das Skigebiet liegt 15 km nördlich von Linz und verfügt über drei Schlepplifte: Den Hauslift, den Waldlift und den Babylift. Zu den Besonderheiten des Skigebiets gehören die „Wie schnell bin ich – Strecke“, in der eine automatische Zeitnahme die gefahrene Zeit misst, oder das Abendskifahren. Außerdem verfügt das Skigebiet über eine 2 km lange Langlaufloipe, eine Eistockbahn und einen Natureislaufplatz.
Stadt-Wald: 18 Prozent der insgesamt 96 Quadratkilometer großen Stadt sind bewaldet und nehmen somit bis zu 1.724 Hektar Wald ein, 74 ha mehr als noch im Jahr 2004. Linz steht im Stadt-Waldflächenranking vor Graz, auch wenn nur 500 ha im Besitz der Stadt selbst sind. Diese werden nachhaltig bewirtschaftet und gepflegt, wobei 87 ha Nutz-, 46 ha Schutz-, 30 ha Erholungs- und 353 ha Wohlfahrtsfunktion entsprechen. Letzteres stellt die Hauptfunktion des Linzer Waldes dar.
Im dicht verbauten innerstädtischen Bereich kommt auch den kleineren Parks eine wichtige Bedeutung als „Grünoasen“ zu. So gibt es entlang der Hauptachse der Linzer Innenstadt, der Landstraße, mehrere solcher kleinen Grünanlagen. Diese sind zum einen der Landhauspark, der im Zuge eines Tiefgaragenbaus bis 2009 umgestaltet wurde, wobei die alten Bäume erhalten blieben. Ebenfalls in der Innenstadt befindet sich der Hessenplatz bzw. -park, der 1884 als Zentrum des Neustadtviertels angelegt wurde. Direkt an der Landstraße befindet sich der Schillerpark, der 1909 an die Stelle einer Trainkaserne trat, sowie der Volksgarten, der 1829 von einem Unternehmer angelegt und 1857 von der Stadt gekauft wurde.
Wanderwege
Durch Linz führen zwei österreichische Weitwanderwege: Auf dem Pöstlingberg nimmt der oberösterreichische Mariazellerweg, der über Steyr, Waidhofen an der Ybbs sowie Lunz am See in den steirischen Wallfahrtsort Mariazell führt, seinen Ausgang. Weiters wird Linz vom 430 km langen Salzsteigweg durchquert, welcher vom Sternstein im Mühlviertel nach Arnoldstein in Kärnten verläuft.
Der Donausteig ist ein nichtalpiner, 450 Kilometer langer, in 23 Etappen gegliederter, österreichisch-bayerischer Weitwanderweg und führt seit Sommer 2010 großteils an den beiden Donauufern von Passau über Linz bis nach St. Nikola und Grein. Der Donausteig verläuft weitestgehend in der Natur und führt zu beliebten Landschafts- und Aussichtspunkten.
Hafenrundfahrt
Eine 100-minütige Hafenrundfahrt an Bord des Design-Schiffes „MS Linzerin“ findet im Zeitraum von Ende April bis Anfang Oktober immer dreimal täglich (Dienstag bis Sonntag) statt. Die Fahrt beginnt im Linzer Donaupark, verläuft entlang der Linzer Kulturmeile, führt vorbei am Brucknerhaus und endet im Hafenviertel mit der Einfahrt in die ÖSWAG Schiffswerft Linz.
Kultur
Überblick
Das bekannteste Linzer Kulturereignis ist die jährlich stattfindende Linzer Klangwolke im Rahmen des Brucknerfestes. Auch die Ars Electronica, Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft, hat sich rasch zu einem Aushängeschild der Kulturstadt entwickelt. Zudem bereichern neben dem seit 1987 jährlich stattfindenden internationalen Straßenkunst-Fest Pflasterspektakel auch noch zahlreiche feste Institutionen das Linzer Kulturgeschehen. Dem früheren Linzfest folgte 2018 erstmals das urbane Musikfestival Stream im Zentrum Linz, welches zusätzlich Workshops, den Stream Talk anbietet.
Das Bruckner Orchester Linz, vor allem bekannt als Symphonie- und Opernorchester, seit September 2017 unter Chefdirigent Markus Poschner begleitet regelmäßig Aufführungen im Musiktheater. Als Hausorchester des Landestheaters Linz gibt es außerdem Gastauftritte im Brucknerhaus.
In Linz gibt es 43 Galerien und Ausstellungsräume, 13 Volkshäuser (267.693 Besucher (2009)), ein Vereinszentrum (20.817 Besucher (2004)) sowie vier „Bildungshäuser“. Die Linz Kulturcard 365 bietet Ermäßigungen und Angebote sowie freien Eintritt für viele dieser Einrichtungen.
Nach dem Anschluss 1938 wurde Linz für kurze Zeit zur Spielwiese nationalsozialistischer Machtphantasien. Als Jugendstadt Adolf Hitlers und Führerstadt sollte Linz nicht nur zu einer bedeutenden Industrie- und Handelsstadt werden, sondern auch zu einer europäischen Kunstmetropole.
Im Jahr 1986 deklarierte sich Linz zur Friedensstadt, deren Ziel es ist, jeglichem politischen Extremismus, Rassismus und Antisemitismus gegenzusteuern. Teil dieses Bekenntnisses war und ist die kritische Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit der Stadt.
2009 war Linz Europäische Kulturhauptstadt. Finanziert wurde das Projekt „Kulturhauptstadt Linz“ zu gleichen Teilen von Bund, Land und Stadt (jeweils 20 Mio. Euro), geringen Förderungen der EU, Sponsorengeldern sowie Einnahmen aus Verkauf von Karten und Merchandising-Artikeln. Insgesamt standen rund 70 Mio. Euro zur Verfügung, die zur Renovierung sowie zum Aus- und Neubau von Kultureinrichtungen wie etwa dem Ars Electronica Center (AEC), dem Musiktheater (das allerdings erst im April 2013 eröffnet wurde) oder der Anschaffung und Adaptierung von Ausstellungsräumen verwendet wurden. Zugleich wurden Maßnahmen der Stadtverschönerung getroffen: Etwa die Umgestaltung der Promenade im Zuge des Tiefgaragenbaus, sowie die Neugestaltung des Pfarrplatzes.
Am 1. Dezember 2014 wurde Linz als „City of Media Arts“ in das internationale Netzwerk der UNESCO Creative Cities (UCCN) aufgenommen. „In über drei Jahrzehnten hat sich Linz als Standort für digitale Medienkunst und die Ars Electronica mit dem Festival, dem AEC und dem Futurelab als Marke für Innovation und Kreativität etabliert. Die Aufnahme in das internationale Netzwerk (…) unterstreicht die Internationalität und das langjährige Know-How, welches Linz seit Jahren repräsentiert“, so Bürgermeister Klaus Luger.
Aktuell gehören 69 Städte weltweit dem Creative Cities-Netzwerk an, das in sieben thematische Kategorien unterteilt ist: Literatur, Film, Musik, Volkskunst, Design, Medienkunst und Gastronomie. Das Netzwerk soll die Entwicklung vorhandener Potenziale erleichtern, lokale sowie internationale kulturelle Entwicklungen verstärken und Arbeitsplätze schaffen, welche die Entwicklung gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Ziele der Städte fördern. Der Titel „City of Media Arts“ wird Städten verliehen, die Medienkunst erfolgreich fördern und integrieren, das urbane Leben damit bereichern und die Zivilgesellschaft in diese elektronischen Kunstformen einbindet. Neben Linz gibt es sieben weitere Städte, die sich City of Media Arts nennen dürfen: Enghien-les-Bains, Lyon, Sapporo, Dakar, Gwangju, Tel Aviv-Jaffa und York.
Gemeinsam mit St. Pölten ist Linz Teil der Aktion „Kultur verbindet“. Der Preis inkludiert ein Ticket für eine Vorstellung im Landestheater Linz oder im Brucknerhaus sowie die Linz Card, mit der freier Eintritt für alle Linzer Museen gewährleistet ist. Weiters kann die Karte als Fahrschein für die öffentlichen Verkehrsmittel verwendet werden und bietet zusätzliche Angebote und Ermäßigungen auf das kulturelle Angebot in Linz und St. Pölten.
Regelmäßige Veranstaltungen
Ahoi! Pop. Zeitmusik am Hafen: Seit Herbst 2011 findet im Posthof Linz eine Woche lang das Ahoi! Pop statt. Die verschiedenen Musikrichtungen stehen unter dem Motto „Es muss was geben!“ und bieten den Besuchern einen Mix aus aktueller und urbaner Musik. Seit 2016 findet Mitte Juli das Open-Air-Festival „Ahoi! The Full Hit Of Summer“ im Donaupark statt.
Ars Electronica: internationales Festival für Medienkunst, das 1979 zum ersten Mal stattfand, und seit 1986 jährlich veranstaltet wird. Die Symposien, Ausstellungen, Performances, Interventionen und Konzerte, die während des mehrtägigen Festivals stattfinden, widmen sich jedes Jahr einem bestimmten Thema, zum Beispiel “C … what it takes to change” (Thema 2014). 2015 besuchten rund 92.000 Besucher das Ars Electronica Festival.
Das Thema 2016 lautete RADICAL ATOMS and the alchemists of our time.
2017 widmete sich das Festival dem Motto „Artificial Intelligence – Das Andere Ich“.Das Festival findet in verschiedenen öffentlichen Räumen statt und versteht sich als Auseinandersetzung mit und in der Öffentlichkeit.
Black Humour Festival: Alle zwei Jahre im Mai findet das Festival des schwarzen Humors im Linzer Posthof mit Gästen aus ganz Europa statt. Die letzte Durchführung des Festivals war von 2.–28. Mai 2015.
Bubble Days: zweitägige Veranstaltung im Linzer Handelshafen, mit Streetart und Graffiti, Extrem-Sport und Live-Musik. Die Bubble Days werden von der Linzer Kreativgruppe LI.K.I.DO. seit 2011 veranstaltet und finden seither jährlich im Juni statt. Rund 12.000 Besucher (2013).
Crossing Europe Filmfestival: internationales Filmfestival des zeitgenössischen, europäischen Autorenkinos, das seit 2004 jährlich in Linz veranstaltet wird. Konnte das Festival 2004 9.000 Besucher verzeichnen, so hat sich die Besucherzahl mittlerweile auf 20.000 (2013) erhöht.
Donau in Flammen: Jährliches Musikfeuerwerk von Juni bis August in Oberösterreich am Ufer der Donau, begleitet von einem breiten Rahmenprogramm. „Donau in Flammen begeistert jedes Jahr tausende Besucher. Vom Ufer aus werden bengalische Feuer und Feuerwerke synchron zu thematisch abgestimmter Musik gezündet und lassen die Donau in buntem Lichterglanz erstrahlen.“
Festival 4020 [mehr als musik]: Seit 2001 findet das Festival „4020“ regelmäßig in ganz Linz statt. An verschiedenen Spielorten treten junge Komponisten, Musikers und Ensembles auf und spielen sowohl klassische Werke als auch moderne Interpretationen.
Festival der Regionen: Zeitgenössisches Kunst- und Kulturfestival. Findet seit 1993 alle zwei Jahre jeweils in einer anderen Region Oberösterreichs statt.
Festival for Children’s Rights: Das Festival versteht sich als kindergerechtes Fest und eine Plattform für Kinderrechte.
Höhenrausch: Der Höhenrausch ist ein jährlich stattfindendes Kunstprojekt, welches 2009 im Rahmen des Europäischen Kulturhauptstadtjahres entwickelt wurde. Als Teil der DonauArt, einem institutionsübergreifenden Kulturprojekt, stand der Höhenrausch 2018 unter dem Motto „Das andere Ufer“. Das Element Wasser wurde von internationalen Künstlern bearbeitet, wobei die Definition des Ufers im Mittelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung stand. Die unterschiedlichsten Räume und Orte unterstrichen die Präsentation dieses Projekts. Das Projekt „Flying Ship“ des russischen Künstlers Alexander Ponomarev, welches symbolhaft für den Aufbruch zum anderen Ufer steht, bleibt auch nach Ende des Höhenrausches 2018 noch für längere Zeit montiert.
Internationales Brucknerfest: Eine der renommiertesten Musikveranstaltungsreihen Österreichs, welche im Brucknerhaus und weiteren Spielstätten – seit 1977 jährlich im September/Oktober – stattfindet. Der Namensgeber der Musikveranstaltungsreihe ist Anton Bruckner, Veranstalter ist das Brucknerhaus. Das Brucknerfest 2018 fand vom Geburtstag des Komponisten am 4. September bis zu dessen Sterbetag am 11. Oktober statt. Dieser Termin wird jährlich bis zum 200. Gedenkjahr an Anton Bruckner im Jahr 2024 beibehalten. Jedes Jahr widmet sich dieses Musikfestival einem neuen Thema, 2018 stand unter dem Motto „Bruckner und die Tradition“.
Internationaler TriRun Linztriathlon: bis zu 1.000 Teilnehmer und 5.000 Besucher.
Jugend hackt Österreich: Computer- und Technikfans zwischen 12 und 18 Jahren verbringen ein Wochenende in Linz an dem gehackt, programmiert und für eine Vision einer besseren Gesellschaft gebastelt wird.
Kinderfilmfestival: Das internationale Kinderfilmfestival wird von den Kinderfreunden OÖ organisiert. Die Filme werden in Originalfassung gezeigt während ein Schauspieler den Film live synchronisiert.
Kinderkulturwoche: Die Kinderkulturwoche findet seit 2013 regelmäßig statt. Geboten werden Theaterstücke, Workshops sowie u. a. Schnupperkurse für Kinder und Jugendliche.
Klangwolke: musikalische Veranstaltung im Donaupark, die seit 1979 jährlich das Internationale Brucknerfest eröffnet. Seit 1985 gibt es neben der „Klassischen Klangwolke“ auch noch eine „Visualisierte Klangwolke“, seit 1998 zusätzlich eine „Kinder Klangwolke“. Rund 110.000 Besucher (2013).
Lange Nacht der Bühnen: Bis nach Mitternacht wird an 30 Spielstätten Programm geboten. Aufgeführt wird nicht nur in Theatern, sondern auch in Bibliotheken, Kulturvereinen oder unter anderem in einem Doppeldeckerbus.
Lange Nacht der Forschung: Seit sieben Jahren findet die Lange Nacht der Forschung auch in Linz statt. Universitäten, Klinken und Unternehmen erklären hierbei komplexe Themen auf verständliche Art und Weise.
Lange Nacht der Kirchen: Jährlich im Juni findet die Lange Nacht der Kirchen statt. Bei der 2004 ins Leben gerufenen Veranstaltung geht es neben den Hauptthemen Religion und verschiedenen Konfessionen auch um den Schwerpunkt Kirchenarchitektur.
Lange Nacht der Museen: Die Lange der der Museen findet 2016 bereits zum 17. Mal österreichweit statt. Galerien und Museen sind von 18 Uhr bis 1 Uhr früh geöffnet. Zudem werden Sonderveranstaltungen und Events geboten.
Linz-Marathon: Die Großveranstaltung mit rund 20.000 Teilnehmern und mehr als 100.000 Zuschauern (2019) findet seit 2002 jährlich im April statt.
Kunst- und Designmarkt: Jährlich stattfindender Markt in der Tabakfabrik.
Linzer Autofrühling: Der Linzer Autofrühling zählt zu den größten Automessen in Oberösterreich. Seit 1971 werden aktuelle Fahrzeugangebote und neueste Fahrzeugmodelle präsentiert.
Linzer Christkindlmärkte
LINZ FMR: Das Festival widmet sich der Kunst in digitalen Kontexten und öffentlichen Räumen. Die erste Ausgabe des biennalen Formats findet im März 2019 an der Linzer Donaulände statt.
Linz International Short Film Festival: Das Linz International Short Film Festival ist das erste Filmfestival Oberösterreichs, bei dem internationale Kurzfilme im Fokus stehen. Die erste Ausgabe mit 114 Filmen an vier Tagen fand im Oktober 2018 im Moviemento (Linz) statt. Für das Konzept verantwortlich zeichnet die Festivalleiterin Parisa Ghasemi.
Linzer Krone-Fest: Mit 12 Bühnen und über 70 Konzerten zählt das seit 2000 stattfindende Linzer Krone-Fest zu den größten Open-Air-Konzerten Oberösterreichs.
Linz Story: Das 1988 gegründete internationale Storytelling-Festival zählt zu den bedeutendsten Erzählkunstfestivals in Europa. Neben Linz findet das Festival auch in Graz, Wien und Niederösterreich statt.
Linzer Tag der Sprachen: findet anlässlich des Europäischen Tags der Sprachen jedes Jahr im September statt. Der Event dauert eine Woche und geht auf eine Initiative des Europarates zurück.
MUSEUM TOTAL: Zusammen mit dem Tourismusverband bieten neun Linzer Museen während der Semesterferien ein besonderes Programm. Neben Ausstellungen werden Workshops, Kurzführungen oder auch Sonderveranstaltungen für die ganze Familie abgehalten. Das Ziel der Veranstaltung ist auf die Linzer Museen aufmerksam zu machen und die Vielfalt an Kunst und Kultur zu erleben.
Nacht der Familie: Insgesamt 13 verschiedene Linzer Institutionen öffnen während der Nacht der Familie von 18 bis 24 Uhr ihre Türen und laden zum Erkunden ein.
NEXTCOMIC: Das NEXTCOMIC Festival fand erstmals im Jahr 2009 statt und ist in Österreich einzigartig, da es den Fokus auf die Verbindung von Comics zu bildender Kunst zeigt.
Pflasterspektakel: mehrtägiges Straßenfestival mit lokalen und internationalen Künstlern, das seit 1987 jährlich in der Linzer Innenstadt stattfindet. Zu sehen gibt es Objekt- und Improtheater, Hochseil- und Feuerakrobatik, Musik, Tanz und Performance, Clownerie, Jonglage und Comedy. Rund 230.000 Besucher (2013).
Schäxpir: Ein internationales Jugend- und Theaterfestival in Linz und Oberösterreich seit 2002. „SCHÄXPIR bietet innovatives und mutiges Theater für junge Menschen. Neue und außergewöhnliche Ansätze und Spielarten sind das Programm. Am Grundsatz, anspruchsvolle und qualitativ hochwertige Produktionen zu zeigen, hält das Festival seit 2002 fest!“
Sicht:wechsel: Das seit 2007 regelmäßig stattfindende Kulturfestival stellt Kunst und Ästhetik von Menschen mit Behinderungen vor.
Sommer im Rosengarten: Von Juni bis August wird den Besuchern jedes Jahr eine Mischung aus Theater-, Musik- und Kabarettprogramm geboten.
Steirisch Herbst'ln: alle vier Jahre stattfindendes Event, veranstaltet von der Steirischen Tourismus GmbH.
Stream Festival: Eine Open-Air-Musikveranstaltung mit freiem Eintritt an mehreren Standorten in Linz. Die erste Ausgabe des Stream Festivals, als Nachfolger des Linzfests, fand von 31. Mai bis 2. Juni 2018 statt. Im Zentrum des Festivals steht – passend zu Linz als UNESCO City of Media Arts – die Digitalisierung. Neben elektronischer Musik werden bei dem Festival auch Workshops, Vorträge und Talks angeboten.
TGW Lentos Jump: 2015 ging der Stabhochsprung der etwas anderen Art in seine erste Runde. Auf dem überdachten Platz unterhalb des LENTOS Kunstmuseums fand der erste Stabhochsprungwettkampf im Rahmen eines Bewegungstages rund um das Thema Leichtathletik statt. Ein zusätzliches Highlight des Sportereignisses ist die verspiegelte Decke des Lentos.
Ufern: Jährliches Donau-Strand-Fest in Alturfahr.
Urfahraner Märkte im Frühjahr und Herbst: je rund 500.000 Besucher.
Wein & Kunst: Das Wein- und Kulturfest findet seit 1994 jährlich in der Linzer Altstadt statt.
Kultureinrichtungen und Sehenswürdigkeiten
Museen
Ars Electronica Center / Museum der Zukunft: Museum für Elektronische Kunst in Linz-Urfahr am Brückenkopf der Nibelungenbrücke: 175.261 Besucher (2013). Die Ars Electronica sucht seit Beginn an nach Verbindungen und Überschneidungen, nach Ursachen und Auswirkungen zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft. Sie ruft Künstler, Wissenschaftler und Forscher aus der ganzen Welt nach Linz, um in Ausstellungen, Vorträgen, Workshops und Symposien ein bestimmtes Thema zu behandeln. Hierbei ist das Ausprobieren, Bewerten und Neuerfinden die angestrebte Methodik an die Auseinandersetzung und soll Antwort geben, was uns Menschen als Gesellschaft ein Stück weiterbringt.
Lentos: Das Museum für moderne und klassische Kunst an der Donaulände wurde 2003 eröffnet. Wegen der klaren Architektur ist es in der Bevölkerung nicht unumstritten. 71.000 Besucher (2013). Das von den Zürcher Architekten Weber & Hofer geschaffene Museum ist mit der nächtlichen Beleuchtung seiner Glashülle bereits zum Linzer Wahrzeichen geworden. In unmittelbarer Nähe zur Donau, zwischen Nibelungenbrücke und Brucknerhaus, liegt es nur wenige Gehminuten vom Hauptplatz entfernt und bietet zugleich Erholung im weitläufigen, grünen Uferbereich. Großdimensionierte Räume im Obergeschoß gewährleisten einen tageslichtreichen Ausstellungsplatz, so auch die Ausstellungshalle, der gleichzeitig der größte Museumsraum Österreichs ist. Im Untergeschoß ist Grafik und Medienkunst untergebracht, ebenso wie Foyer, Shop, ein Auditorium mit 250 Sitzplätzen, ein flexibel gestaltbarer Raum für Kunstvermittlung sowie die Bibliothek ergänzen wichtige öffentliche Bereiche, zu denen auch das beliebte Café-Restaurant mit seiner Donau-Panoramaterrasse zählt. Das Lentos Kunstmuseum Linz zählt mit seiner stetig erweiternden Sammlung zu den bedeutendsten Museen moderner und zeitgenössischer Kunst in Österreich, von Meisterwerken der europäischen Malerei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis hin zu Grafiksammlungen und Fotobeständen. Lentos spannt den Bogen zwischen der klassisch-historischen Kunst des frühen 20. Jahrhunderts bis hin zu aktuellsten Kunst unserer Gegenwart.
Stadtmuseum Nordico: Die Sammlung setzt sich aus einer Kunstsammlung, der stadthistorischen und der archäologischen Sammlung zusammen, jeweils mit starkem inhaltlichen Bezug zur Stadt Linz. 16.000 Besucher (2013).
Zahnmuseum: Museum zur Entwicklung von Zahnmedizin und Zahntechnik, dessen älteste Exponate aus 1720 stammen. 1.680 Besucher
Oberösterreichisches Landesmuseum:
Francisco-Carolinum/Landesgalerie: moderne und zeitgenössische Kunst, 23.400 Besucher (2013).
Schlossmuseum Linz: archäologisches Museum, 89.500 Besucher (2013).
Biologiezentrum Linz-Dornach: Naturkundliche Sammlung mit mehr als 16 Millionen Exponaten, 11.400 Besucher (2013).
Oberösterreichischer Kunstverein: Verein zur Förderung der Gegenwartskunst (Gründung 1851), mit Galerie im Ursulinenhof
StifterHaus – Zentrum für Literatur und Sprache in Oberösterreich: Sitz des Adalbert-Stifter-Instituts, einer Forschungsstätte für Literatur- und Sprachwissenschaft, und des Oberösterreichischen Literaturhauses, einem Veranstaltungsort für Lesungen, wissenschaftlichen Vorträgen, Symposien u. a.
Architekturforum Oberösterreich im Haus der Architektur: Vorträge, Ausstellungen und Tagungen, Wettbewerbe und Projektentwicklungen. 6.000 Besucher.
Offenes Kulturhaus Oberösterreich: Kunsteinrichtung zur Präsentation und Entwicklung zeitgenössischer Kunst mit Schwerpunkt auf installativen und medialen Arbeiten
Cowboy-Museum Fatsy (April bis Juni geöffnet): Museum für Cowboy-Kultur, mit Exponaten aus Amerika, 2.100 Besucher.
Theater
Landestheater: Großes Haus (121.214 Besucher) und Kammerspiele (81.055 Besucher), Ursulinenhof (u/hof, 12.215 Besucher) sowie Eisenhand-Theater (11.564 Besucher).
Musiktheater: Theater- und Opernhaus der Stadt Linz. Zwischen 2008 und 2013 errichtet und im April 2013 eröffnet. 162.500 Besucher (2013).
Theater Phönix: Fassungsvermögen bis zu 270 Besucher. 20.050 Besucher in der Saison 2012/13.
Theater in der Innenstadt: Das ehemalige Varieté Theater Chamäleon wird seit 2011 unter neuer Leitung weitergeführt.
Kellertheater: 7.200 Besucher in der Saison 2011/12.
Kinos
Die Geschichte von Kino und Film beginnt in Linz am 1. September 1896, als im Rahmen eines Varietéprogrammes in „Roithner’s Varieté“ erstmals in Oberösterreich ein Filmprogramm gezeigt wurde. Bis zur nächsten Vorführung eines Filmgerätes dauerte es bis zum 20. März 1897, als im „Hotel zum Goldenen Schiff“ an der Hauptgeschäftsstraße, der Landstraße, für einige Tage das Wanderkino von Johann Bläser gastierte. Bis zur Eröffnung des ersten ortsfesten Kinos mit regelmäßigem Programm dauerte es jedoch noch bis Ende des Jahres 1908. Damals eröffnete Karl Friedrich Lifka (1874(?)–1929) sein „Lifka’s Grand Théâtre électrique“ in jenem Gebäude, in dem bereits die erste Filmvorführung der Stadt stattgefunden hatte, in „Roithner’s Varieté“. Das zweite Kino der Stadt eröffnete nur wenige Monate später. Als der Wanderkinobesitzer Johann Bläser in Linz sesshaft wurde, kaufte er das Hotel Schiff, in dem er bereits in den Jahren zuvor hin und wieder Vorführungen gab, und richtete darin ein festes Kino ein – das „Bio-Kinematograph“, später: „Bläsers Zentral-Kinematograph“.
Das dritte, ortsfeste Kino der Stadt wurde um 1910 vom Varietébetreiber Karl Roithner als „Kino Kolosseum“ gegründet. Erster Standort war die ehemalige Volksfesthalle am Hessenplatz. Nur vier Jahre später musste das Kino jedoch wieder schließen, da das Militär das Gebäude zur Kaserne umfunktionierte. Nach Kriegsende, 1919, erhielt Roithner das Gebäude wieder zurück und richtete wieder sein Kino darin ein. 1928 folgte der erste Umzug. Das „Kolosseum Kino“ zog in die Mozartstraße (4–14). 1936 folgte der nächste Umzug an seinen endgültigen Standort am Schillerplatz. Dort wurde das Kino mit vier Sälen bis zur Jahrtausendwende weiterbetrieben. Das auffällige Kinogebäude wurde in der Folge zu einer Disco umfunktioniert, die wiederum 2006 schloss und die Fläche an eine Diskontkette übergab.
Mit einer 96-jährigen Geschichte war das Kolosseum somit das am längsten betriebene Kino von Linz. Das erste Kino der Stadt, das „Lifka“, schloss bereits in den 1980er Jahren. Doch das zweitälteste Kino, „Bläsers Zentral-Kinematograph“, konnte die 96 Jahre des Kolosseums noch überbieten. Als „Central Kino“ wurde dieses letzte Kommerzkino unter den drei Innenstadtkinos bis zum 28. November 2006, als die letzte Vorstellung stattfand, weiterbetrieben. Das Kino schloss nach 97 Jahren fast durchgehenden Betriebes aufgrund zu geringer Auslastung, bedingt durch die beiden Kino- und Entertainmentcenter „Cineplexx“ und „Megaplex“ am Stadtrand. Neben diesen beiden Kinocentern, von denen das „Megaplex“ eigentlich kein Linzer Kino ist, da es in der Vorstadt Pasching steht, gibt es in Linz nur noch zwei weitere Kinos mit regelmäßigem Betrieb. Diese, das „Moviemento“ und „City Kino“, werden gemeinsam als Programmkinos betrieben.
Heutige Linzer Kinos
City-Kino (seit 2000, zwei Säle) und Moviemento (seit 1990, drei Säle): Zwei Programmkinos in der Linzer Innenstadt, nur wenig voneinander entfernt, mit abgestimmtem Programm. Gezeigt werden aktuelle Filme aus aller Welt, abseits des Hollywood-Mainstream, häufig in Originalfassung mit deutschen Untertiteln.
Cinematograph: Hier werden unregelmäßig Stummfilme (manchmal mit Live-Klavierbegleitung), Filme aus der Nachkriegszeit sowie alte Kinderfilme gezeigt. Historische Einrichtung aus 1912.
CineplexxLinz: Multiplex-Kino inklusive Gastronomie- und Unterhaltungsbetrieben im Linzer Industriegebiet, am 8. Dezember 1999 eröffnet und mit 10 Sälen das größte Kino der Stadt.
Megaplex Pasching: Kein Linzer Kino, aufgrund seiner Nähe aber integraler Bestandteil der Linzer Kinoszene. Multiplex-Kino mit 14 Sälen (darunter der größte IMAX-Saal Österreichs), Gastronomie und Unterhaltungsbetrieben im Paschinger Einkaufstempel PlusCity nun erreichbar per Straßenbahn.
Wanderkino Steininger bietet persönliche Filmvorführungen in den Formaten Digitalkino, 35 mm (Standardkinoformat), 16 mm, Videoprojektion und Geräteverleih in ganz Österreich.
Sehenswürdigkeiten
Bedeutende Sehenswürdigkeiten sind unter anderem in der gesamten Innenstadt, dem ältesten Linzer Stadtteil, gelegen:
So führt die Hauptstraße „Landstraße“ vom Blumauerplatz zum Taubenmarkt nahe dem Hauptplatz.
Der um das Jahr 1230 angelegte Hauptplatz zählt mit einer Fläche von 13.200 m² zu einem der größten umbauten Plätze Europas. In der Mitte des Hauptplatzes befindet sich zum Gedenken an die Opfer der Pest die 20 Meter hohe, aus weißem Marmor gefertigte Dreifaltigkeitssäule, errichtet von 1717 bis 1723. Um den Hauptplatz befinden sich viele geschichtlich relevante bzw. architektonisch interessante Häuser, wie das im 16. und 17. Jahrhundert erbaute Alte Rathaus, das Feichtinger-Haus mit seinem berühmten Glockenspiel, welches je nach Jahreszeit die Melodie wechselt, das Kirchmayr-Haus, das Schmidtberger-Haus oder die Brückenkopfgebäude, die einen Teil der Linzer Kunstuniversität beherbergen.
Westlich des Hauptplatzes liegt das Altstadtviertel mit vielen weiteren historischen Gebäuden, wie z. B. Renaissancebürgerhäusern oder älteren Häusern mit barockisiertem Gesicht. Nahe dem Schloss, das von 1489 bis 1493 Residenz Kaiser Friedrich III. war, befindet sich die romanische Sankt-Martins-Kirche aus dem 11. Jahrhundert. Östlich des Hauptplatzes liegt das Rathausviertel.
Auswahl:
Der römisch-katholische Mariä-Empfängnis-Dom wurde von 1862 bis 1924 im neugotischen Stil errichtet und ist die größte Kirche Österreichs.
Im Mozarthaus, welches in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet wurde, komponierte Wolfgang Amadeus Mozart in nur drei Tagen die „Linzer Sinfonie“ und die „Linzer Sonate“. Das Haus selbst kann nur von außen besichtigt werden, der Gastgarten ist aber öffentlich zugänglich.
Das Kremsmünsterer Haus befindet sich am „Alten Markt“ in der Linzer Altstadt. Der Legende nach starb hier 1493 Kaiser Friedrich III.
Das Landhaus stammt aus dem 16. Jahrhundert und ist heute Sitz des Landeshauptmannes, des Landtages und der Landesregierung Oberösterreichs. Der italienisch inspirierte Arkadenhof erinnert an Johannes Kepler, welcher hier 14 Jahre lang an der protestantischen Landschaftsschule unterrichtete.
Weitere beliebte Sehenswürdigkeiten sind die oben angeführten, auch architektonisch interessanten und abends eindrucksvoll illuminierten Museen (wie etwa das Ars Electronica Center oder das Lentos Kunstmuseum), das Brucknerhaus, die Tabakfabrik, die Donaulände, der Linzer Hafen inklusive Mural Harbor, die Voestalpine Stahlwelt oder der Stadtteil Urfahr. In naher Umgebung liegt der Pöstlingberg, von dem aus auch die barocke Wallfahrtsbasilika, der Zoo Linz oder das Märchen- und Zwergenreich der Linzer Grottenbahn besichtigt werden können.
Auswahl an anderen Kultureinrichtungen und Veranstaltungsorten
Alte Welt: Konzerte und Kleinkunst
Archiv der Stadt Linz: Sammeln und Bewahren der wichtigsten Unterlagen der Stadt Linz; Erforschung und Präsentation der Linzer Stadtgeschichte, Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit der Stadt.
Atelierhaus Salzamt, früher auch bekannt als „Salzstadl“ oder „Kliemsteinhaus“: Das denkmalgeschützte Gebäude ist Wohn- und Arbeitsmöglichkeit für bildende Künstler mit laufendem Ausstellungsbetrieb.
Botanischer Garten: jährlich rund 100.000 Besucher, Garten-Pavillon: im Sommer Kulturprogramm im Freien mit Musik, Lesungen, Tanz
Brucknerhaus: Konzert- und Kongresshaus an der Donaulände, 1973 eröffnet, seit 1974 Schauplatz des Brucknerfestes, nach Anton Bruckner benannt. Wurde 2005 von 170.000 Personen besucht. Das moderne Konzerthaus verdankt seiner Holzverkleidung eine weltweit einzigartige Akustik. Der Große Saal des Brucknerhauses, auch Brucknersaal genannt, bildet das bauwerkliche Glanzstück, inklusive Orgel mit über 4200 Pfeifen und 51 Register. Vor allem die großflächige Bühne ist für bis zu 220 Mitwirkende konzipiert.
2017 standen die Werke und das Wirken von Anton Bruckner unter dem Motto „Bruckner elementar“ im Fokus des Brucknerfests. Das Œuvre Bruckners wurde dabei von nationalen sowie internationalen Künstlern in den Mittelpunkt gestellt.
Club Spielplatz: Club mit Events unterschiedlicher Musikrichtungen, von House / Deep House bis Reggae, Drum and Bass, Rave oder Hip-Hop
Club Tunnel: Veranstaltet meist Partys der verschiedensten Techno- und/oder Drum-and-Bass-Stilrichtungen
Cultur-Café Smaragd: Lokal mit kleiner Bühne im Kellergewölbe, auf der neben regionalen Jazz-, Pop- und Rockbands auch internationale Größen zu hören sind.
Design Center Linz: ist ein modernes Kongress- und Ausstellungszentrum, dessen Glasdach eine blendfreie Tageslichtatmosphäre im Inneren erzeugt.
Johannes-Kepler-Sternwarte Linz: eröffnet 1983
Kapu: Veranstaltungen mit Schwerpunkt auf Hip-Hop, Reggae, Experimental, Noise-Rock und Alternative Musik. 10.000 Besucher (2005)
Kijani: Bar/Veranstaltungsort für Konzerte im elektronischen Bereich
Kinderkulturzentrum Kuddelmuddel: Am 27. April 1990 eröffnet, 22.382 Besucher (2005)
KUBA Jugendkultur: ist eine Einrichtung des VJF Linz, dem Verein für Jugend und Freizeit in Linz, und wendet sich an alle jungen Menschen, die sich für Kultur interessieren.
Kulturhaus Reiman, Promenade 29, Konzerte, Jugendtheater, Kabarett und Kleinkunst
Kulturzentrum Hof: 40.520 Besucher (2005) Das Kulturzentrum Hof, mit mehr als 400 m², wurde 1984 gegründet und ursprünglich als Jugendzentrum initiiert.
Kunstraum Goethestrasse: 1998 gegründet, ist der Kunstraum ein Ort zeitgenössische Kunst, Kulturtheorie und Soziales
Landeskulturzentrum Ursulinenhof: eröffnet am 21. März 1977, 183.511 Besucher (2005)
Linzer Auge: drehbares Ponton in der Donau, eröffnet am 11. September 2009, gesunken in der Nacht auf den 4. Juni 2010.
LIVA (Linzer Veranstaltungsgesellschaft GmbH): Die LIVA vereint Kultur und Sport unter einem Dach. Zur LIVA gehören das Brucknerhaus, der Posthof, das Linzer Kinderkulturzentrum „Kuddelmuddel“ sowie das Stadion, die Sport- und Mehrzweckhalle sowie die Sportanlagen Froschberg, Lissfeld und Auwiesen.
MAIZ: ist ein autonomes Zentrum von und für Migrantinnen in Linz, das eigene Kulturprojekte umsetzt.
Mural Harbor: Graffiti und zeitgenössische Wandmalerei sind das Hauptaugenmerk des Kulturvereins Mural Harbor. Mit ihrem Sitz direkt in der BoxxOffice in der Linz AG Handelshafen, liegt das Ziel des Vereins darin, die spezielle Umgebung und das Hafenmilieu mit Farben und Codes unserer Generation zu bereichern – als Zeitspuren von heute. Die galerieartigen Darstellungen dienen vor allem der Aufhellung und Verschönerung des Alltags eines jeden Stadtbewohners. Einheimische sowie internationale Künstler aus Deutschland, Serbien, Griechenland, Spanien, Brasilien, Venezuela, USA oder Australien haben sich an diesem bunten Projekt beteiligt und farbenreiche Motive und Zeichnungen an Wänden und Mauern hinterlassen. Es bestehen Angebote, sich per Flusskreuzfahrt oder per Führung zu Fuß die Graffitikunst näherbringen zu lassen. Am Ende jeder Tour ist man eingeladen, sich selbst in der modernen Wandmalerei zu beweisen und sogar einen entsprechenden Workshop zu besuchen. Die Homepage bietet die Möglichkeit zur Vernetzung mit den Ansprechpartnern („Don’t be a stranger“), wenn es um Fragen zu den Künstlern, Kreuzfahrten, Workshops geht oder man mitmachen bzw. Kritik hinterlassen will. Jede dieser Mitteilungen wird individuell bearbeitet.
Musikpavillon im Donaupark: 4.065 Besucher (2005)
Posthof: 1984 eröffnetes Veranstaltungszentrum für Pop-, aber auch viel alternative Musik (Reggae, Hip-Hop, Metal, Drum and Bass), Tanz, Aktions- und Kleinkunst; sehr vielfältiges Programm; das größte Veranstaltungszentrum in Linz. 78.702 Besucher (2009)
Stadtwerkstatt: 1979 gegründete Kulturvereinigung; In ihrer Heimstätte in der Kirchengasse 4 im Stadtteil Urfahr befindet sich auch das „Café Strom“ sowie ein Veranstaltungssaal für oft international besetzte alternative Musikveranstaltungen, aber auch Lesungen u. ä. 19.000 Besucher (2005)
Raumschiff: 2014 gegründete Kultur- und Kunstvereinigung; der gemeinnützige Verein ermöglicht Kunst- und Designschaffenden Präsentationsmöglichkeiten und Experimentierräume
Tabakfabrik: Ausstellungen sowie musikalische Veranstaltungen; der Linzer Karikaturist Gerhard Haderer kritisiert und entlarvt seit rund vier Jahrzehnten die Gehorsamen der Gesellschaft. Sein Projekt „Schule des Ungehorsams“ ist ein Aufruf an alle Menschen, die sich einmischen wollen, um die Gesellschaft mitzugestalten, in einer spielerischen Art und Weise Ungehorsam durchzudenken. Ihren Sitz hat sie seit November 2017 in der Linzer Tabakfabrik, Haderer selbst ist der Schulwart. Die geplanten Aktivitäten umfassen Ausstellungen, Lesungen, Publikationen, Vorträge und Workshops. 2020 schloss die Schule des Ungehorsams den Standort in der Tabakfabrik.
Weinkellerei Josef Cembran: Veranstaltungen von Weinverkostungen bis hin zu Techno/Drum-and-Bass-Partys.
Kulturvereinigungen
Neben der bereits oben erwähnten Stadtwerkstatt existieren noch zahlreiche weitere Kulturvereinigungen wie:
AVRASYA – Kultur-, Bildungs- und Hilfsverein
Backlab: Seit über zehn Jahren ist das in Oberösterreich gegründete Künstlerkollektiv Backlab in Österreich, und gelegentlich im Ausland, tätig. Aus einer kleinen Gruppe Mühlviertler Künstler und Kulturaktivisten gewachsen, umfasst das Kollektiv mittlerweile mehr als vierzig Personen und kann auf eine langjährige Reihe erfolgreicher Projekte zurückblicken. Aus dem Kollektiv entstanden auch zwei eigene Labels: „temp~records“ und „!records“ (RufzeichenRecords).
Business & culture: 2004 von Kulturschaffenden und Unternehmer als gemeinnütziger Verein gegründet. business & culture bildet Netzwerke, um höhere Synergien im Bereich Kultur und Wirtschaft zu erzielen (z. B. Kreativwirtschaft, Sponsoring, Corporate Cultural Responsibility) und Entwicklungen kritisch zu reflektieren.
Die Fabrikanten: 1990 gegründet, als Kommunikationsagentur und Künstlergruppe im Film-, Medien- und Aktionskunstbereich tätig.
Forum Metall: Im Linzer Donaupark finden sich Plastiken nationaler sowie internationaler Künstler, dessen Ursprungsidee die Verschmelzung von Kunst und Wirtschaft versinnbildlichen soll. Gründer dieser Idee, Helmuth Gsöllpointner und Peter Baum, wollten den Industriestandort Linz als Kunstmetropole etablieren. Plastiken von Herbert Bayer, Max Bill, David Rabinowitch gibt es im Linzer Donaupark für sich zu entdecken.
FIFTITU%: Feministisches Forum für Künstler und Kulturarbeiter.
Freundinnen der Kunst: Künstlerkollektiv, kommend aus den Bereichen Video, Bühnenbild, Bildende Kunst und Grafikdesign.
IFEK – Institut für erweiterte Kunst: ist ein Linzer Kunst und Kulturverein, der im Grand Hotel Cafe zum Rothen Krebsen beheimatet ist.
junQ.at: ist die größte unabhängige Jugendredaktion Oberösterreichs.
KUPF: ist die zentrale Plattform für Initiativen der freien und zeitgenössischen Kulturarbeit in OÖ. Ziel der KUPF ist die ständige Verbesserung der Rahmenbedingungen für freie Kulturarbeit.
Kulturzentrum Hof: Vom 1985 gegründeten Verein werden diverse kulturelle Veranstaltungen, wie z. B.: Konzerte, Kabarett, Lesungen, Diavorträge oder Ausstellungen organisiert.
Linzer Konzertverein: ein seit 1919 bestehendes Amateurorchester
Linzer Volksbildungsverein: Der Verein ist besonders im Bereich Erwachsenenbildung und der Regionalkultur tätig.
MAERZ Künstlervereinigung
Medea – Initiative für Kunst & Medien: 1998 wurde Medea In Linz gegründet. Neben dem Offenen Atelier beheimatet Medea die Künstlergruppe XX, das Absurde Orchester und bis 2005 die interkulturelle Medienwerkstatt Pangea. Jährlich findet eine große Gruppenausstellung statt. Das Offene Atelier begibt sich regelmäßig auf Tournee (On Tour). Der Aktivisten-, Künstler- und Theoretikerkreis von MEDEA umfasst etwa 20 bis 30 Personen.
Pangea – Interkulturelle Medienwerkstatt: Der Verein setzt sich für ein positives Miteinander von Menschen unterschiedlicher Herkunft ein. Mit Kunst-, Kultur- und Medienprojekten sollen jede Form von Rassismus, Diskriminierung und Ausgrenzung aktiv bekämpft werden.
Pixelhotel: Der Kulturverein wurde 2006 mit dem Ziel gegründet, seinen Gästen die Besonderheiten einer Stadt zugänglich zu machen und sie an ungewöhnlichen Orten zu beherbergen.
qujOchÖ: Im August 2004 hat sich die Kunst- und Kulturinitiative „qujOchÖ“ zusammen mit befreundeten Künstlern an der Linzer Kulturmeile angesiedelt, wo dieses Kollektiv Labor, Werkplatz und Atelier als Grundlage für kontinuierliche und professionelle Kunst- und Kulturarbeit vorfindet.
Kulturverein Schloß Ebelsberg: Der Verein wurde 1977 gegründet um Das Schloss sowie den Park zu restaurieren. Veranstaltungen wie etwa Weihnachtsmärkte oder Konzerte werden vom Kulturverein organisiert.
Social Impact – Kunst & Aktionsforschung: 1997 in Linz gegründet, wird an der Entwicklung und Erprobung von Strategien gearbeitet, um gesellschaftliche Konflikte mit den Mitteln von Kunst und Aktionsforschung zu bearbeiten. Das Arbeitsfeld reicht von Sprachkursen für Sexarbeiterinnen am Straßenstrich bis zur Subversiv Messe – Fachmesse für Gegenkultur und Widerstandstechnologien.
servus.at: Die Kulturinitiative leistet seit 1996 einen Betrag zur selbstbestimmten Nutzung des Netzes als Medium für neue künstlerische und medienkulturelle Produktion im Raum Oberösterreich und darüber hinaus.
Time’s Up: International agierendes Künstlerkollektiv im Grenzbereich zwischen Kunst, Wissenschaft, Technologie und Unterhaltung.
Vereinigung Kunstschaffender Oberösterreichs – bvoö (ehem. Berufsvereinigung Bildender Künstler Oberösterreichs – BVOÖ): Unabhängige Plattform für zeitgenössische Kunst und internationalen Festivalhighlights mit der Galerie im Ursulinenhof im OÖ Kulturquartier.
Zülow Gruppe: Der Zweck des Vereins liegt in der kritischen Auseinandersetzung mit der Umwelt in zeitgenössischen Darstellungsformen. Die Zülow Gruppe übt gemeinnützige Zwecke aus.
Architektur
Realisierte Grundsätze
Das Linzer Stadtbild ist, wie für eine mitteleuropäische Stadt typisch, vor allem durch eher niedrige, gleichmäßige Verbauung, sowie durch zahlreiche Sakralbauten geprägt. Abgesehen von der mittelalterlichen Altstadt im Stadtzentrum, lässt sich an den vorherrschenden Baustilen der Stadtteile sehr gut die Epoche, in denen sie ihren größten Ausbau und Bevölkerungszuwachs erfuhren, erkennen. So herrscht in den direkt an die Altstadt angrenzenden Stadtbezirken, also vor allem im Stadtteil Innenstadt, der historistische Baustil der Gründerzeit vor, der sich durch Fassaden beispielsweise im Stil des Neoklassizismus, des Neobarock und der Neorenaissance erkennbar macht. Entfernt man sich noch weiter von der historischen Altstadt, dringt man in Wohnviertel, wie das Franckviertel, Froschberg oder den Bindermichl bzw. Kleinmünchen vor. Die dort befindlichen Wohngebäude, vorwiegend im Heimatschutzstil, stammen vielfach aus der Zwischenkriegszeit sowie der Zeit des Nationalsozialismus und geben sich durch einfache Fassaden und die Bauart als große Mietwohnungsanlagen, sogenannte „Hitlerbauten“, häufig in Hofform angelegt, erkenntlich. Auch die Stadtbezirke nördlich der Donau, abgesehen von Alt-Urfahr, weisen viele Wohnanlagen dieser Art und dieser Zeit auf. Eine Ausnahme stellt diesbezüglich vor allem die Gugl dar, die um 1900 ein beliebtes Wohngebiet für die Oberschicht wurde und zahlreiche Villen beherbergt.
Neubau nach 1945
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden, um die Wohnungsnot zu lindern und durch Fliegerbomben zerstörte Wohnhäuser zu ersetzen, erneut viele Mietwohnhäuser errichtet, die zumeist ohne jegliche Fassadengestaltung auskamen. Zwischen 1950 und 1970 wurden einige historische Gebäude, die das Linzer Stadtbild prägten, abgerissen, z. B. die Linzer Wollzeugfabrik, das Schloss Hagen oder das Hotel Weinzinger. Einen großen Einschnitt ins Stadtbild stellten dann vor allem die 1970er Jahre dar, als die meisten der heute im Stadtbild erkennbaren Wohnhochhäuser gebaut wurden. Man entschied sich für diese, bis dahin im Stadtbild praktisch nicht vorkommende, Hochbauweise, da die seit vielen Jahren konstant hohe Wohnungsnachfrage endlich merklich gelindert werden sollte. Die damals entstandenen, in der Regel um 10 bis 15 Stockwerke hohen Mietwohnhäuser waren architektonisch einfach und in der Bauweise billig gestaltet, um zu raschen Ergebnissen zu kommen. Sie wurden vor allem außerhalb der dicht verbauten Innenstadt in Baulücken oder auf neuen Baugründen gebaut. Ob ihrer einfallslosen Gestaltung in Schachtelform werden diese, genauso einige Bürohochhäuser, die damals in etwa gleich bescheidener Höhe entstanden, überwiegend als Bausünden angesehen. In dieser Zeit der Ausdehnung der Stadt und des großen Bevölkerungswachstums wurden neben solchen unbeliebten Bauwerken auch große Gebäudekomplexe wie das Lentia 2000 und das Sparkasse-Hochhaus im Stadtteil Urfahr möglich. Aus dem Jahr 1985 stammt das Neue Rathaus. Dieses als „begehbarer Hügel“ gestaltete Bauwerk ist die größte Struktur im Stadtteil.
Nach den schlechten Erfahrungen mit dem Hochhausbau der 1970er Jahre richtete die Stadt einige Jahre später einen Gestaltungsbeirat ein, der von nun an die Stadt vor „künftigen Bausünden“ bewahren sollte. Lange Zeit wurden nun kaum noch Hochhäuser errichtet. Erst Ende der 1990er Jahre kamen wieder Überlegungen auf, Hochhäuser im modernen Stil der heutigen Zeit zu errichten. Auf einem Sportplatz der Voest wurde der Bau eines 150 Meter hohen, glasfassadigen Bürohochhauses mit dem Namen „Skygarden Tower“ angedacht. Das Projekt wurde letztendlich jedoch nicht verwirklicht. Gebaut wurde jedoch im Jahr 2004 der Wohn- und Gewerbekomplex Lenaupark, der unter anderem zwei Bürohochhäuser beinhaltet, darunter das bis dahin höchste Gebäude der Stadt (ohne Sakralgebäude), den 67 Meter hohen City Tower 1. Ein 19 Stockwerke hohes Bürogebäude in der Innenstadt an der Gruberstraße wurde zwar vom Gestaltungsbeirat genehmigt, jedoch vom Bauherren nicht verwirklicht.
Es folgte der Bau des 63 Meter hohen Wissensturms, der offiziell am 14. September 2007 eröffnet wurde. In unmittelbarer Nähe entstanden ab dem Jahr 2006 die 99 Meter hohen „Terminal Towers“ der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) am Hauptbahnhof sowie die neue, 73 Meter hohe Zentrale der Energie AG. Diese Gebäude prägen das neue Erscheinungsbild des Bahnhofviertels, das mit dem Landesdienstleistungszentrum und dem neuen Hauptbahnhof bereits über markante, glasfassadige Neubauten verfügte. Neben diesen Hochhäusern, die ob ihrer passenden, das Stadtbild nicht störenden Standorte (Bahnhofsviertel) und ob ihrer modernen und viel Glasfassaden verwendenden Architektur, sowie der Tatsache, dass es Büro- und keine Wohngebäude sind, in der Bevölkerung auf nur wenig Widerstand stießen, sind für die folgenden Jahre bereits weitere große Wohn- und Gewerbebauprojekte in Planung. So entstehen derzeit (Ende 2013) auf der Fläche des ehemaligen Frachtenbahnhofs Wohnungen und Büros für mehrere hundert Personen.
Abgesehen vom Hochhausbau wurde vor allem ab den 1990er Jahren die Erweiterung der Stadtverbauung Richtung Stadtgrenze wieder aufgenommen. Vor allem im Süden der Stadt, sowie auf unverbauten Flächen der Innenstadt- und Innenstadt-nahen Bezirke entstanden viele, architektonisch modern und optisch eher zurückhaltende Mietwohnanlagen. Mit dem Bau der Solar City am südöstlichen Ende der Stadt, in Pichling südwestlich des Weikerlsees, verwirklichte die Stadt zudem ein zukunftsorientiertes, da auf Energiesparen und Energieeffizienz ausgerichtetes, Wohnprojekt, das kreisförmig angelegt wurde und Reihenhäuser mit Gärten für 5.000 Personen beinhaltet.
Am 5. April 2006 wurde der Entwurf des Londoner Architekten Terry Pawson für das neue Musiktheater Linz als Siegerprojekt eines Architektenwettbewerbs ausgewählt. Das Besondere an diesem Projekt ist, dass die Blumauer Straße hinter das Theater zur Eisenbahn verlegt wurde, der bisherige Verkehrsknotenpunkt Blumauerplatz überbaut wurde und der auf der anderen Seite liegende Volksgarten als eine Art erweitertes Foyer miteinbezogen wurde. Im April 2009 erfolgte der Spatenstich für den Bau des Gebäudes, das bis 2013 in mehreren Etappen errichtet wurde. Am 11. April 2013 wurde das Musiktheater feierlich eröffnet und dient seither als Theater- und Opernhaus der Stadt Linz.
Höchste Gebäude
Laut oberösterreichischem Bautechnikgesetz ist ein Hochhaus ein Gebäude, dessen Traufhöhe auf jeder Seite höher als 25 Meter ist oder die Fußbodenoberkante des obersten Geschoßes allseits höher als 22 Meter über dem angrenzenden Gelände liegt. Nach dieser Definition gibt es mit Stand Februar 2007 in Linz 233 Hochhäuser. Die zehn höchsten Gebäude der Stadt (ohne Sendemasten und Industriekonstruktionen wie etwa der 84 Meter hohe Hochofen der voestalpine) sind:
Ausgewählte Bauwerke und Straßen
Wallfahrtsbasilika Pöstlingberg (Pöstlingbergkirche): Wahrzeichen von Linz, Wallfahrtskirche hoch über der Stadt auf 537 m Seehöhe; 1738–1774 erbaut.
Pöstlingbergbahn: Steilste zahnradlose Bergbahn der Welt (Adhäsionsbahn mit 10,5 % Steigung), 1898 erbaut. Endstation in einem Turm des Festungsgürtels (um 1830).
Linzer Grottenbahn: auf dem Pöstlingberg, in einem ehemaligen Befestigungsturm der Festung 1906 eröffnet. Rundbahn in einem Kleinbahnzug sowie Schauräume lassen Einblicke in die Kindermärchenwelt und auf den Linzer Hauptplatz um das Jahr 1900 zu.
Mariä-Empfängnis-Dom: auch „Neuer Dom“ und Domplatz, 1862 bis 1924 errichtet, Neugotischer Sandsteinbau mit unvollendeten Details; größte Kirche Österreichs (fasst 20.000 Personen); nach dem Stephansdom der zweithöchste Kirchturm Österreichs (Turmhöhe: 134,8 Meter)
Alter Dom: Kirche (Jesuitenkirche) aus 1669 mit zwei Türmen (bis 1805 mit Zwiebelhelmen)
Landhaus: Italienischer Frührenaissancebau aus dem Jahr 1564. Planetenbrunnen, errichtet 1648.
Hauptplatz: größter Stadtplatz an der Donau; mit Dreifaltigkeitssäule aus dem Jahr 1717 und dem Alten Rathaus
Stadtpfarrkirche: Spätromanische Anlage, 1648 barockisiert. Das Herz und die Eingeweide des 1493 verstorbenen Kaisers Friedrich III. wurden hier beigesetzt.
Linzer Schloss: erste urkundliche Erwähnung 799. Residenz von Kaiser Friedrich III. Seit 1966 Schlossmuseum mit historischen und volkskundlichen Sammlungen.
Martinskirche: im Jahr 799 erstmals urkundlich erwähnt, galt zeitweise als älteste erhaltene Kirche Österreichs. Die Forschungen der letzten 25 Jahre haben allerdings ergeben, dass dies nicht haltbar ist. 1978 wurde ein karolingischer Zentralbau ausgegraben, der heutige Grundriss ergibt sich aus einem Umbau wahrscheinlich im 10. oder 11. Jahrhundert
Hotel Zum schwarzen Bären: Geburtsort des Tenors Richard Tauber, wo er am Abend des 16. Mai 1891 auf die Welt kam. Das eigentliche Geburtshaus in der Herrengasse steht heute nicht mehr, es wurde 1925 durch einen zwischenzeitlich veränderten Neubau ersetzt.
Mozarthaus: Wolfgang Amadeus Mozart verweilte hier Anfang November des Jahres 1783 als Gast des Grafen von Thun. In dieser Zeit komponierte er in drei Tagen die Linzer Sinfonie. Auch Josef Urbanski (der Planer der Pöstlingbergbahn) wohnte hier zwischen 1893 und 1895. Das Gebäude wurde in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts errichtet.
Landstraße: die Landstraße bildet die städtebauliche Hauptachse von Linz; an der sich viele historische Gebäude und Sehenswürdigkeiten befinden, wie etwa die Ursulinenkirche und die Karmeliterkirche. Sie ist die Einkaufsstraße mit der drittgrößten Besucherfrequenz in Österreich.
Ebelsberg: Das Schloss Ebelsberg wurde erstmals im Jahre 1154 erwähnt und war über viele Jahrhunderte Schauplatz kriegerischer Auseinandersetzungen, von denen das Gefecht von Ebelsberg während der napoleonischen Kriege die bekannteste war. Die Pfarrkirche Ebelsberg mit der einzigen Jugendstilapsis Oberösterreichs.
Friedenskirche: erbaut 1933 bis 1951 im Stil der Moderne von Peter Behrens, Alexander Popp, Hans Feichtlbauer und Hans Foschum; im Inneren: Fresko von Max Weiler und lebensgroße Pietà von Adolf Wagner von der Mühl.
In der Stadt gibt es (vor allem am Rand der Stadt, aber auch in mittlerweile dicht verbauten Gebieten) noch alte Bauernhöfe, viele davon traditionelle Vierkanter, siehe dazu Liste der Bauernhöfe in Linz
Friedhöfe
In Linz existieren heute insgesamt 11 Friedhöfe, welche verschiedenen Rechtsträgern unterstehen: So werden vier Friedhöfe von der Linz AG im Auftrag des städtischen Magistrats verwaltet, fünf werden von Einrichtungen der römisch-katholischen Kirche und zwei von anderen Trägern betreut.
Linz in Lied und Musik
Es existieren zahlreiche Volkslieder, in denen die Stadt Linz besungen wird. Die bekanntesten sind:
Des Linzer Bier is guat
Drum san ma Landsleit
Fahr auffi nach Linz
I bin aus Oberösterreich
Schöne Linzerstadt, ich muss dich meiden
Träume von Linz an der Donau
Und Linz is a Stadtl und Wean is a Stadt
Und z’Linz auf da Bruckn, da geht da Gspass an
Des Weiteren gibt es zahlreiche Blasmusikstücke, die Linz zugedacht sind, z. B. von Werner Brüggemann und Igo Hofstetter. Ludwig Schmidseder widmete der Linzer Torte die gleichnamige Operette und Mozart komponierte die Linzer Sinfonie. Mitte des 20. Jahrhunderts machten die Blasmusikgruppe Linzer Buam die Stadt musikalisch weitum bekannt. Auch zeitgenössische Musikgruppen der Popularmusik (z. B. Texta) interpretieren Texte über Linz.
Kulinarik
In Linz gibt es sowohl traditionelle Gasthäuser inklusive Ausflugsgasthäuser und urige (Most-)Heurige als auch moderne und exotische Küche. Der Einfluss von 140 Nationen lässt sich auch im kulinarischen Angebot spüren. Ein Zusammenschluss von über vierzig Restaurants, Cafés und u. a. Bars sind die Hotspots. Zudem verfügt Linz über mehrere à-La-Carte-Sternerestaurants und Gault-Millau-Haubenrestaurants.
Zu den typischen Speisen in Linz zählen neben der berühmten Linzer Torte in erster Linie Knödel und Strudel in allen Varianten. Eine weitere Spezialität ist der Erdäpfelkäs, ein Brotaufstrich aus zerstampften Erdäpfeln und Rahm.
Einige bekannte Köche aus Linz sind Lukas Erich, welcher im „Verdi“ kocht, und Georg Essig aus „Der neue Vogelkäfig“. Bis 1981 existierte in Linz eine Brauerei der Österreichischen Brau AG, in der das Linzer Bier gebraut wurde. Seit 2022 betreibt die Brau Union wieder eine Brauerei mit dem Namen Linzer Bier auf dem Gelände der Tabakfabrik.
Kulturhauptstadt 2009 und Creative City der UNESCO
Linz wurde für 2009, gemeinsam mit der litauischen Hauptstadt Vilnius, zur Kulturhauptstadt Europas auserkoren (siehe Linz 2009 – Kulturhauptstadt Europas). Seit 1. Dezember 2014 ist Linz als „City of Media Arts“ Mitglied des Creative Cities Networks (UCCN) der UNESCO. Diesen Titel erhalten Städte, die durch die Förderung und erfolgreiche Integration von Medienkunst das urbane Leben bereichern und die Zivilgesellschaft in diese elektronischen Kunstformen einbindet. Der Titel ist sowohl eine Auszeichnung als auch ein Auftrag für die stärkere Positionierung der Medienkunst in Linz.
Ziel ist daher, die kulturelle Vielfalt aufrechtzuerhalten und darzustellen. Auch nach dem Jahr als Kulturhauptstadt soll die Internationalisierung weitergeführt und die Netzwerke ausgebaut werden. Das Netzwerk der Creative Cities umfasst die Bereiche Literatur, Film, Musik, Handwerk und Volkskunst, Design, Gastronomie sowie Medienkunst. Die insgesamt 69 Städte teilen ihre Erfahrungen und überlegen wie sie am besten mit der Globalisierung zurechtkommen. Um einen möglichst intensiven Diskurs mit den anderen Mitgliedsstädten zu ermöglichen, muss Linz nach einigen Jahren eine Selbstevaluierung durchführen. Nach drei Jahren überprüft die UNESCO, ob Linz bestimmte Maßnahmen im Bereich Medienkunst gesetzt hat und weiterhin den Titel führen darf. Auf Grund der langjährigen Erfahrung und des gewonnenen Know-hows kann Linz sich weiterhin in das Creative Cities Netzwerk einbringen und als „kreatives Zentrum“ im internationalen Wettbewerb von Nutzen sein. Neben Linz zählen auch Enghien-les Bains, Lyon, Sapporo, Dakar, Gwangju, Tel Aviv-Jaffa und York zu den „Cities of Media Arts“.
Anlässlich der Ernennung Linz zur „City of Media Arts“ fand vom 27. November 2014 bis 18. Dezember 2014 in der Tabakfabrik Linz die Ausstellung „Innovators Playground“ statt, die von der Creative Region Linz & Upper Austria organisiert wurde. Im Rahmen dessen wurden innovative Projekte und Produkte der Kreativwirtschaft gezeigt.
Zudem wurde die Wahl zur Kulturhauptstadt Europas im Jahr 2009 zum Anlass genommen, den internationalen Auftritt der Stadt zu erneuern. Das Projekt Linz 2009 – Kulturhauptstadt mit dem Slogan „Linz Verändert“ sowie „Linz09“ wurde ins Leben gerufen.
Mit der Aufnahme hat Linz nicht nur einen Titel, sondern kann auch das UNESCO-Logo im Auftritt der Stadt verwenden. Zusammen mit den UNESCO-Unterlagen werden Richtlinien zur Verwendung des Logos gemeinsam mit dem bestehenden städtischen Erscheinungsbild entwickelt. Außerdem wurde eine eigene Homepage erstellt und der Aufbau eines Interessensnetzwerks innerhalb von Linz und Oberösterreich organisiert.
Das neueste Projekt, das Linz im Rahmen der City of Media Arts entwickelt hat, ist das in der Tabakfabrik angesiedelte „Valie Export Center“, das zusammen mit der Kunstuniversität Linz betrieben wird. Es stellt eine internationale Forschungsstelle für Medien- und Performancekunst dar. Außerdem umfasst es Vorlass sowie Archiv der angesehenen und aus Linz stammenden Medienkünstlerin Valie Export, die zahlreiche heimische sowie internationale Preise vorzuweisen hat. Zusammen mit dem Archiv der Ars Electronica beherbergt Linz zwei international anerkannte Medienkunstarchive. Die Archive dienen als Ausgangspunkt für die künstlerische und wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Medien- und Performancekunst sowohl innerhalb Österreichs, als auch international.
Open Commons
Open Commons Linz ist eine Initiative, welche seit 2009 freie Daten anbietet. Darunter versteht man unter anderem geo- und stadtbezogene Daten sowie Informationen aus Politik, Freizeit oder Tourismus. Ein weiterer Punkt der Initiative sind die 202 Hotspots mit kostenlosen Wlan und ein Public Server für in Linz gemeldete Bürger. Zu den Schwerpunkten der Hotspots gehören neben öffentlichen Plätzen und Parks, sowie städtischen Einrichtungen, auch die öffentlichen Verkehrsmittel. Die Open Commons Plattform macht die Stadt zu einem europäischen Vorreiter bezüglich offener Daten.
Friedensstadt Linz
Mit einer einstimmigen Erklärung des Gemeinderates zur „Friedensstadt“ hat die Stadt Linz im Oktober 1986 die Verpflichtung übernommen, die „Friedenssehnsucht und das Friedensengagement der Menschen in der Stadt aufzugreifen und verstärkt zu einem Grundprinzip künftigen kommunalpolitischen Handelns zu machen.“
Jährlich wird vom Gemeinderat eine Friedenserklärung beschlossen
Seit 2019 finden jährlich die Linzer Friedensgespräche statt
Der Bürgermeister von Linz ist Mitglied der „Mayors for Peace“, eine von Hiroshima ausgehende, weltweite Initiative von Städten, die sich der Friedensarbeit und der atomaren Abrüstung verschrieben haben
Die Friedensinitiative der Stadt Linz ist ein ehrenamtliches Personenkomitee, das sich jährlich sechsmal trifft, um Friedensaktivitäten umzusetzen, wichtige Fragestellungen zu diskutieren und den Bürgermeister in Friedensangelegenheiten zu beraten
Am Friedensplatz in Linz befindet sich der Menschenrechtsbrunnen, der alle 30 Artikel der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen zeigt
Friedensbibliothek, die über Möglichkeiten der Friedenserziehung, Ergebnisse der Friedens- und Konfliktforschung, Gewaltfreie Aktion, einzelne Konflikte und die Friedensbewegung informiert
Die Friedensakademie Linz wurde 2010 gegründet.
Friedensmusik in der Friedensstadt Linz gibt es in Form einer CD des Konzerts „Frieden hören“
Hinweisschilder an den Linzer Ortstafeln informieren darüber, dass Linz seit 1986 Friedensstadt ist
Mahnmal für aktive Gewaltfreiheit vor dem Neuen Rathaus
Erinnerungszeichen für NS-Opfer in Linz
Am 23. September 2023 wurde im Beisein von Vertretern von sieben Religionsgemeinschaften die „Jerusalemweg Friedenstaube“ enthüllt und gesegnet.
Gedenkjahr 2018
Am 29. Juni 2018 startet das Projekt „Linz 1938/1918“, welches an 100 Jahre Republiksgründung (1918) und 80 Jahre „Anschluss“ (1938) erinnern soll. Im Rahmen einer Installation im öffentlichen Raum der Ars Electronica in Kooperation mit der Direktion Kultur und Bildung und dem Archiv der Stadt Linz wird dieses Gedenkprojekt medial aufbereitet und in der Innenstadt präsentiert. Damit erfüllt Linz mit seiner Erklärung zur Friedensstadt ihre Verantwortung und ihr Engagement zur Friedenserhaltung und leistet einen Beitrag zur Vergangenheitsaufarbeitung. Menschen, die wenig Bezug zu den Jahren 1918 oder 1938 haben, sollen erreicht werden.
Sport
In Linz gibt es 302 Sportvereine. 224 davon sind in den drei großen Dachverbänden ASKÖ (108 Vereine mit rund 48.500 Mitgliedern), UNION (67 Vereine mit rund 40.500 Mitgliedern) und ASVÖ (49 Vereine mit rund 19.000 Mitgliedern) eingegliedert. Zu den berühmtesten Vereinen zählt der mittlerweile ins Paschinger Waldstadion abgewanderte LASK, österreichischer Fußballmeister 1965 sowie der SK VÖEST Linz, österreichischer Fußballmeister von 1974 (die Fußballsektion besteht in der ursprünglichen Form nicht mehr, mittlerweile wird Fußball nur mehr als Breitensport angeboten) bzw. dessen ideologischer Nachfolger FC Blau-Weiß Linz. In den letzten Jahren ebenfalls stark an Zuschauern gewonnen hat der Eishockeyverein EHC Black Wings Linz, nachdem man in der Saison 2002/03 und 2011/12 den Meistertitel holte.
Im August 2011 fanden Vorrundenspiele und die Viertelfinali der Faustball-Weltmeisterschaft im Askö Bewegungs Center Linz statt. Das Finale der Faustball-WM war am 13. August im Waldstadion Pasching, wo die österreichische Faustballnationalmannschaft Vizeweltmeister wurde.
Am 24. September 2011 fand in der Stadt die Europameisterschaft im Swingolf mit 160 Aktiven statt.
Sporteinrichtungen (Auswahl)
TipsArena Linz (Sport- und Veranstaltungshalle auf der „Gugl“)
Raiffeisen Arena (Fußballstadion, Heimstätte des LASK)
Hofmann Personal Stadion (auch „Donauparkstadion“, Fußballstadion, Heimstätte des FC Blau Weiß Linz)
Linzer Eissporthalle (auch „Donauparkhalle“, Heimstätte der Black Wings)
Hello yellow Velodrom wurde 2022 eröffnet und ist das einzige Velodrom Österreichs
Sportvereine (Auswahl)
Sportveranstaltungen
CSIO-Reitsportturnier: 12.000 Besucher (2004)
II. Hallenweltmeisterschaften der Senioren und Seniorinnen: 3300 Teilnehmer (2006)
Gugl-Meeting: Leichtathletikwettkampf im Linzer „Gugl“-Stadion mit 14.700 Besuchern (2006)
Generali Ladies Linz: Tennisturnier mit 30.000 Besuchern (2006)
Linz-Marathon: 19.400 Teilnehmer (2019)
Drei-Brücken-Lauf: 2.000 Teilnehmer (2019)
Linz-Triathlon: ca. 1.000 Teilnehmer (2008)
Silvesterlauf Linz: ca. 600 Teilnehmer (2008)
Persönlichkeiten
Siehe auch
Denkmalgeschützte Objekte in Linz (Überblicksliste, die zu den nach Katastralgemeinden geordneten Einzellisten führt)
Nach der Stadt Linz ist der Asteroid (1469) Linzia benannt.
Literatur
Franz Dobusch, Johann Mayr: Linz. Stadt der Arbeit und Kultur. Gutenberg-Werbering, Linz 1997, ISBN 978-3900401436.
Maximiliane Buchner: Expressionistische Baukunst in Linz / Donau: Curt Kühne und Julius Schulte als Vertreter einer „anderen Moderne“. In: INSITU 2020/2, S. 285–298.
Gregor Gumpert, Ewald Tucai (Hrsg.): Linz literarisch. Eine Anthologie. Bibliothek der Provinz, Weitra 2007, ISBN 978-3-85252-816-8.
Justus Schmidt: Linz an der Donau (Deutsche Lande Deutsche Kunst). München/Berlin 1959.
Justus Schmidt: Neues Linz (Deutsche Lande Deutsche Kunst). Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 1961.
Film
Blick zurück als Schritt nach vorn – Linz ist Kulturhauptstadt 2009. Dokumentation, Deutschland, 2009, 4:03 Min., Buch und Regie: Peter Gerhardt, Till Rüger, Produktion: hr, Erstsendung: 4. Jänner 2009 (online-Video und Filmtext).
Es muss was geben – Dokumentarfilm über die alternative Linzer Musikszene in den 1980er Jahren. Österreich, 2010, 104 Min., Regie: Oliver Stangl und Christian Tod.
Weblinks
Linz-Wiki
Website der Stadt Linz
Website Linz Tourismus
Historische Stadtansichten von Linz
Abbildung der Stadt 1594 in Civitates orbis terrarum von Georg Braun und Frans Hogenberg
Einzelnachweise
Österreichische Landeshauptstadt
Ort in Oberösterreich
Bezirk in Österreich
Bezirkshauptstadt in Österreich
Ehemalige Hauptstadt (Österreich)
Ort an der Donau
Ort mit Binnenhafen
Ort an der Traun (Donau)
Zentralmühlviertler Hochland
Linzer Feld
Südliche Mühlviertler Randlagen
Unteres Trauntal
Traun-Enns-Riedelland
Träger des Europapreises
Hochschul- oder Universitätsort in Österreich
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Ortsname keltischer Herkunft
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Q41329
| 276.978521 |
31143
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https://de.wikipedia.org/wiki/Sonnenradius
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Sonnenradius
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Der Sonnenradius R☉ – der halbe Durchmesser der Sonne – wird in der Astronomie als Maßeinheit benutzt, um die Größe von anderen Himmelskörpern anzugeben, insbesondere von Sternen. Er beträgt 6,96342 · 108 m = 696.342 km ± 65 km oder das 109-Fache des mittleren Erdradius. Einen anschaulichen Vergleich liefert das Erde-Mond-System: Der Abstand Erde – Mond beträgt im Durchschnitt 384.400 km oder 55 Prozent des Sonnenradius. Stünde die Sonne anstelle der Erde, würde die Mondbahn vollständig innerhalb der Sonne verlaufen – etwas weiter außen als der halbe Sonnenradius.
Infolge ihrer Rotation ist die Sonne leicht abgeplattet (f = (8,3 ± 1,9) · 10−6), was sich erst in den 2000er-Jahren nachweisen ließ.
Messmethoden
Es werden verschiedene Methoden zur Messung des Sonnenradius verwendet, mit denen folglich verschiedene Radius-Begriffe verknüpft sind.
Aus der Winkelmessungen zwischen beiden Sonnenrändern ergibt sich der Durchmesser der Sonnenscheibe, woraus sich die Sonnengröße selbst durch Multiplikation mit Entfernung Erde – Sonne (Mittelwert ist eine Astronomische Einheit) ergibt. Die Bestimmung dieser Distanz war allerdings jahrhundertelang ein Problem.
Den scheinbaren Sonnendurchmesser erhält man am einfachsten durch Zeitmessung analog zu einem Sterndurchgang, wobei ein Fernrohr mit Sonnenfilter und Fadennetz benötigt wird. Auch die Dauer des Sonnenuntergangs gibt bereits gute Resultate und wurde vermutlich schon von babylonischen Priesterastronomen und im antiken Griechenland zur Bestimmung des Sonnendurchmessers verwendet (siehe Aristarch von Samos, der erstmals die Sonnengröße als das Zehnfache der Erde schätzte).
Direkte Messungen mit optischen Mikrometern wurden ab etwa 1750 möglich, im 19. Jahrhundert wurde zur Suche nach der vermuteten Sonnenabplattung das Fraunhofersche Heliometer entwickelt.
Mit Hilfe von helioseismologischen Messungen der f-Modi von Oberflächenwellen der Sonne wurde ein Wert von rund 695,8 Mm ermittelt. Photoelektrische Messungen und deren Vergleich mit Modellen der Limb-Darkening-Funktion der Sonne ergaben einen Wert von ca. 695,5 · 106 m für den mittleren Radius in Äquatornähe.
Weitere Methoden sind die Messung der Transitdauer von Merkur oder die optische Bestimmung der Winkelabmessung der Sonne. Die Winkelabmessung der Sonne beträgt von der Erde aus gesehen etwa 16′, der ganze Durchmesser der Sonnenscheibe also 32′ oder 0,53°. Wegen der etwas elliptischen Erdbahn schwankt der Wert jedoch um 1,7 % in beide Richtungen: im Perihel der Erdbahn (Anfang Januar) sind es 32′32″, im Aphel (Anfang Juli) aber nur 31′28″. Die seltenen, aber beeindruckenden Erscheinungen von totalen Sonnenfinsternissen verdanken wir dem Umstand, dass der scheinbare Monddurchmesser einen ähnlichen, allerdings stärker schwankenden Winkel aufweist (29′10″–33′30″).
Bei astro-geodätischen Richtungsmessungen zur Sonne – etwa bei Sonnenazimuten – wäre die Mitte der Sonnenscheibe anzuzielen. Da dies spezielle Instrumente wie das Roelofs-Sonnenprisma erfordern würde, zielt man in der Praxis den rechten und linken Sonnenrand an und mittelt die beiden Messungen. Als Kontrolle kann der aus Ephemeriden entnommene Sonnenradius dienen, dividiert durch den Sinus der Zenitdistanz.
Literatur
T. M. Brown, J. Christensen-Dalsgaard: Accurate Determination of the Solar Photospheric Radius, Astrophys. J. Lett. 500, 1998, S. L195, .
Präzise vermessene Sonne – Artikel auf scienceticker.info vom 27. März 2012
Einzelnachweise
Radius
Astrometrie
Längeneinheit
Astronomische Maßeinheit
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Q48440
| 101.353246 |
42047
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https://de.wikipedia.org/wiki/Azimut
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Azimut
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Das Azimut (von , auch der Azimut) ist in der Astronomie eine der beiden Koordinaten, mit denen ein Punkt an der Himmelskugel im horizontalen Koordinatensystem verortet werden kann. Zusammen mit dem Höhenwinkel, auch Elevation oder Altitude genannt, beschreibt das Azimut die Blickrichtung, in der ein Beobachter an einem gegebenen Standort diesen Punkt sieht. Als Grundkreis dient der Horizont des Beobachters, der die Grenze zwischen Erde und Himmel bildet. Damit geht einher, dass die Koordinaten eines Himmelsobjekts im Horizontalsystem, anders als im ortsunabhängigen Äquatorialsystem, für jeden Ort auf der Erde unterschiedlich sind.
Gemessen wird das Azimut in seiner mittlerweile verbreitetsten Variante im Uhrzeigersinn als Winkel zwischen dem Nordpunkt, durch den der Meridian verläuft, und der Position des Himmelsobjekts. Je nach Fachbereich können andere Konventionen existieren, so gibt es beispielsweise auch die Zählweise ab dem Südpunkt.
Allgemeiner betrachtet, bildet das Azimut einen nach einer Himmelsrichtung orientierten Horizontalwinkel. Der ergänzende Vertikalwinkel über dem Horizont ist die Elevation. Gemeinsam beschreiben die beiden Winkel eine räumliche Blickrichtung, beispielsweise zu Himmelskörpern. Die Begriffe werden sinngemäß in anderen Fachbereichen verwendet. Anstelle eines Ortes auf der Himmelskugel kann dann auch ein Ort auf der Erdkugel beschrieben werden.
Astronomie und Geodäsie
Astronomie
Die Definition der Astronomie lautet: Das Azimut eines Gestirns ist der Winkel in der Horizontebene zwischen der Meridianebene und der Vertikalebene des Gestirns. Das Azimut wurde im traditionellen Sinne beginnend von Süden über Westen gezählt (Südazimut), so dass ein Gestirn im Süden ein Azimut von 0° und ein Gestirn im Westen ein Azimut von 90° hat, oder von Norden über Osten (Nordazimut). Dies ist die ursprüngliche astronomische Zählweise.
Das Nordazimut ist in der Geodäsie und Navigation allgemein üblich, weil der Nordpol über den Polarstern einfach zu bestimmen ist und weil das Azimut der wahren Peilung entspricht. Dieses System setzt sich auch in der Astronomie zunehmend durch und ist heute weitverbreitet.
Üblich ist dann für die vier Hauptpunkte (): N = 0° (0); O = 90° (); S = 180° (π), W = 270° ().
Es wird also, vom Zenit zum Nadir blickend, im Uhrzeigersinn, entgegen der Erdrotation im mathematisch negativen Sinn gezählt, also im Drehsinn der scheinbaren Rotation der Himmelssphäre um den Beobachter, wie er das tatsächlich sieht.
Analog misst man auf der Südhalbkugel von Süd ostwärts, was dem dortigen – „spiegelverkehrten“ – Lauf von Sonne und Gestirnen von Ost über Nord nach West entspricht.
Es sind aber auch Systeme in Verwendung, die jeweils im anderen Drehsinn angegeben sind. Daher ist bei Azimut-Angaben immer auf die exakte Definition des zugrundegelegten Koordinatensystems zu achten.
Zur Berechnung des Azimuts eines Gestirns für einen gegebenen Zeitpunkt und einen gegebenen Beobachtungsort verwendet man das nautische Dreieck, auch Astronomisches Dreieck genannt. Das Azimut eines Gestirns ist nur für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort der Erdoberfläche gültig.
Nicht zuletzt ist das Azimut Namensgeber für die azimutale Orientierung von Teleskopen, bei der eine der Drehachsen zum Horizont ausgerichtet ist, während die andere vertikal steht.
Geodäsie
Die Geodäsie kennt außer diesem astronomischen Azimut, das durch Messungen nach Fundamentalsternen genau bestimmt werden kann, auch das ellipsoidische Azimut. Das ist die Richtung in einem Vermessungsnetz, bezogen auf ein Referenzellipsoid der Landesvermessung oder auf ein mittleres Erdellipsoid, die auf bis zu 0,01″ (Bogensekunden) genau berechnet wird. Astronomisches und ellipsoidisches Azimut differieren um die Ost-West-Komponente der Lotabweichung. Im Gauß-Krüger-Koordinatensystem werden Winkel angegeben, die sich auf Gitternord (Hoch- oder x-Achse) beziehen. Der Grund in der Differenz der astronomischen und terrestrischen Systeme liegt in der genauen Definition des Zenits über den lokalen Gravitationsvektor (Lotrechte), oder die Oberflächennormale (Senkrechte) des Ellipsoids, und analog dem genauen Norden.
Die Methoden zur Azimutbestimmung sind Gegenstand der Astrogeodäsie; die für die Praxis wichtigsten Messmethoden sind das Polaris-Azimut (mittels Polarstern) und das Sonnenazimut. Einzelne Messungen mit Gestirnen können etwa 0,1″ genau sein (entspricht 5 mm auf 10 km), mit längeren Messreihen auch genauer. Sonnenazimute erreichen nur 1–5 Winkelsekunden, sind aber rasch gewonnen und haben den Vorteil der Tagbeobachtung.
Navigation und Technik
In der Navigation (Seefahrt, Luftfahrt) nennt man das Azimut zwischen Standpunkt und Zielpunkt den Sollkurs, im Gegensatz zum tatsächlich gefahrenen Kurs über Grund. Nautisch wird das Azimut auf Norden bezogen (siehe auch Kulmination). So beträgt für Südosten das Azimut im Sinne eines nautischen Kurses genau 135 Grad, Südwest 225 Grad.
In der astronomischen Navigation ist mit Azimut der Winkel am gegissten Standort (gekoppelter Ort) von Nord über Ost zum Bildpunkt (Fußpunkt) eines Gestirns gemeint.
In der Optik wird der Neigungswinkel eines durch den Strahlengang ausgezeichneten Koordinatensystems mit der horizontalen Ebene (Labor-Koordinatensystem) als Azimut bezeichnet (z. B. EN ISO 11145:2001).
In der Kartografie versteht man unter Azimut den im Uhrzeigersinn gemessenen Winkel zwischen geografisch-Nord (Nordpol) und einer beliebigen Richtung (z. B. Marschrichtung, Magnetkompass-Peilung usw.) auf der Erdoberfläche.
In der Artillerie ist Azimut die genaue Richtungsangabe in Strich (Artilleriepromille).
In der Antennentechnik (Satellitenfunk) bezeichnet der Azimutwinkel die horizontale Ausrichtung einer Antenne, im Gegensatz zur Elevation, die den vertikalen Winkel zwischen Horizont und Antennenrichtung angibt.
Bei Windkraftanlagen wird die Bezeichnung Azimut für alles benutzt, was mit der horizontalen Windnachführung des Maschinenhauses zu tun hat. Das Azimutsystem dient zur Nachführung der Gondel und besteht aus Azimutlager, Azimutantrieb, Azimutgetriebe und Azimutsteuerung. Der Azimutantrieb besteht aus mehrstufigen Planetengetrieben, die von frequenzgesteuerten elektrischen Motoren angetrieben werden.
Im Schiffbau trägt eine um 360 Grad drehbare Propellergondel, auch "Azi-Pod" als kurze Variante für das englische "Azimuth thruster", einen oder mehrere horizontale Propeller, die durch eine vertikale Welle oder einen in der Gondel befindlichen Elektromotor angetrieben werden.
Bei Tonbandgeräten, Kassettenrekordern und optischen Tongeräten an Filmprojektoren wird der in der Bandebene gemessene Winkel zwischen dem Tonkopfspalt und der Orthogonalen zur Bandlaufrichtung als Azimut bezeichnet. Dieser Winkel sollte im Idealfall gleich null sein, anderenfalls liegt ein Azimutfehler vor. Zur Herstellung des korrekten Azimuts sind die Tonköpfe entsprechend justierbar.
In der Solartechnik wird (zumindest nördlich des Äquators) die Abweichung des Sonnenkollektors von Süden als Azimut bezeichnet. −45° bedeutet Südostausrichtung, 0° Südausrichtung und +45° Südwestausrichtung des Kollektors. Abweichend hiervon wird zur Vermeidung von Vorzeichenfehlern auch in diesem Bereich verstärkt der Nordazimut genutzt.
Berechnung
Sind die geographischen Koordinaten zweier Punkte auf einer Kugel, etwa die des Standortes und des Zielortes bekannt, wird das Azimut mit der sphärischen Trigonometrie am einfachsten in zwei Schritten berechnet. Im ersten Schritt wird die Distanz zwischen dem Standort und dem Zielort berechnet und im zweiten Schritt berechnet man das Azimut .
Das abgebildete sphärische Dreieck wird durch die drei Seiten und die drei Eckpunkte Standort, Nordpol und Zielort gebildet. Das Dreieck wird unter anderem mit dem sphärischen Seiten-Kosinussatz beschrieben:
Hier sind ,
,
,
wobei und die geographischen Breiten und und die geographischen Längen der beiden Orte sind. Obige Formel wird damit zu:
Die Distanz ist ein Segment eines Großkreises und wird in Winkelgraden ausgedrückt, wobei jede Bogenminute auf der Erdoberfläche einer Distanz von einer Seemeile entspricht.
Mit der berechneten Distanz sind die Werte aller drei Seiten bekannt und das Azimut kann im zweiten Schritt mit einem zweiten sphärischen Seiten-Kosinussatz berechnet werden:
Wieder ersetzt man und und es folgt:
Die Kosinusfunktion führt in der Umkehrfunktion (Arkuskosinus) immer zu zwei Winkelwerten. In unserem Falle zu und zu .
Liegt der Zielort östlich des Standortes, so wird das berechnete Azimut
Liegt der Zielort westlich des Standortes, so wird das berechnete Azimut (das normalerweise mit Werten von 0° bis 360° angegeben wird)
Bewegt man sich vom anfänglichen Standort auf einem Großkreis, also entlang der Seite Richtung Ziel, so ändert sich das Azimut permanent. Das Azimut in Abhängigkeit von der zurückgelegten Distanz kann mit dem (ersten) sphärischen Kotangenssatz hergeleitet werden. Zuerst berechnet man den Winkel . Das neue Azimut ist dann .
Hier ist wieder . ist hier das Azimut beim Start der Reise, das wir als schreiben und ist die zurückgelegte Distanz (in Winkelgraden), die wir hier, um nicht mit der Gesamtdistanz zu verwechseln, als schreiben. Zudem ersetzen wir . Die Distanz wird in den Winkel umgerechnet. Jede Seemeile (1.852 km) entspricht einer Bogenminute und jeder Grad hat 60 Bogenminuten.
Für das sich als Funktion der zurückgelegten Distanz ändernde Azimut folgt:
Beispiel
Sie befinden sich in El Golea (Algerien) und möchten durch die Sahara nach Farafra (Ägypten) marschieren. Die Koordinaten von El Golea und Farafra sind:
El Golea:
Farafra:
Diese Werte in die Distanzformel eingesetzt ergibt für die Distanz von El Golea bis Farafra , was auf der Erdoberfläche einer Distanz von 1333 NM oder 2470 km entspricht. Setzt man in einem zweiten Schritt die berechnete Distanz zusammen mit den Breiten der beiden Orte in die Azimutformel ein, so erhält man ein Azimut von .
Das hier berechnete Azimut beschreibt die Richtung, die man in El Golea nehmen muss, um auf kürzestem Wege nach Farafra zu gelangen. Marschiert man auf dem gegebenen Großkreis, auf der kürzesten Verbindung also, so ändert sich das Azimut ständig.
Berechnet man das Azimut für eine Reise von Farafra nach El Golea, so erhält man mit der Azimutformel einen Winkel . Da der Zielort westlich des Standortes liegt, wird das Azimut .
Siehe auch
Astronomische Koordinatensysteme
Kugelkoordinaten
Polarkoordinaten
Weblinks
timeanddate.de: Azimut & Vertikalwinkel: Horizontales Koordinatensystem – Verständliche Einführung auf Deutsch
Erklärung auf Englisch mit Bild
Azimutrechner für den Aufbau einer Satellitenantenne
Erklärung des Azimut bei Tonabnehmer-Systemen (incl. Grafik)
Einzelnachweise
Astronomisches Koordinatensystem
Astrogeodäsie
Sphärische Astronomie
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Q124274
| 167.00658 |
96103
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https://de.wikipedia.org/wiki/D%C3%A4nemark-Norwegen
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Dänemark-Norwegen
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Dänemark-Norwegen war eine Personalunion von Dänemark und Norwegen von 1380 bis 1814. Obwohl rechtlich betrachtet der norwegische König 1380 den dänischen Thron erbte, dominierte die dänische Reichshälfte das Verhältnis sehr schnell, sodass Norwegens Rolle zunehmend marginalisiert wurde, während sich die politische Macht in Kopenhagen konzentrierte, endgültig festgeschrieben mit der Einführung des Absolutismus 1660/65.
Vorgeschichte
970 konnte der dänische König Harald Blauzahn seine Herrschaft über Norwegen durchsetzen und gliederte den Ostteil des Landes an Dänemark an. 995 erhielt Norwegen wieder einen einheimischen König, Olav I. Tryggvason.
1035 fielen die Färöer unter die norwegische Krone. 1261 wurde Grönland erworben, 1262/64 Island eingegliedert. 1319 fiel die norwegische Krone an den König von Schweden und bis 1355 stand Norwegen in Personalunion mit Schweden.
Margarethe I.
Margarethe I., die Tochter des dänischen Königs Waldemar IV. Atterdag, war mit dem norwegischen König Håkon VI. verheiratet. Als ihr Vater 1375 starb und keinen Sohn hinterließ, setzte sie durch diplomatisches Geschick im dänischen Reichsrat mit der Hilfe ihres Beraters Henning Podebusk durch, dass ihr minderjähriger Sohn Olav die Thronfolge antreten konnte. Sie selbst übernahm die Regentschaft für ihn.
1380 starb auch ihr Mann Håkon, und Olav wurde norwegischer Thronerbe. Margarethe bekam erneut die Vormundschaft und war so de facto Königin beider Reiche. 1387 starb Olav sehr jung, und formal wäre ihre Regentschaft so zu Ende gewesen. Dennoch konnte Margarethe ihren Herrschaftsanspruch vor beiden Reichsräten behaupten: 1388 gelang es ihr, ihren Großneffen Erich von Pommern gegenüber dem norwegischen Reichsrat als Thronfolger zu platzieren. Norwegen wurde gleichzeitig Erbmonarchie – im Gegensatz zu Dänemark, dessen Reichsrat aber ebenso Erich huldigte. Margarethe blieb bis zu ihrem Tod Regentin beider Reiche.
1397 gelang es Margarethe zusätzlich, in der so genannten Kalmarer Union ihr Doppelreich mit Schweden zu vereinigen. Nach ihrem Tod übernahm der designierte Thronfolger Erich alle drei nordischen Reiche, wobei das Verhältnis zum schwedischen Reichsrat problematisch blieb, da er sich im Vertrag der Kalmarer Union das Wahlrecht des schwedischen Königs jeweils vorbehielt.
1523 schied Schweden unter Gustav Wasa wieder aus der Union aus. Norwegen verblieb mit seinen nordatlantischen Besitzungen weiter bei Dänemark.
Christian III.
Während die Feindschaft zwischen Dänemark und Schweden in der Folge zu weiteren kriegerischen Auseinandersetzungen führte, wurde Norwegen 1536 von Christian III. zu einem Teil Dänemarks erklärt und der norwegische Reichsrat aufgelöst. Die Personalunion nahm dadurch stärker die Züge einer Realunion an. In welchem Ausmaß die formellen Eingriffe zu einer wirksamen Unterordnung Norwegens führten, wird bis heute in der Forschung diskutiert.
Beschleunigt wurde der reale Bedeutungsverlust durch die Pest, die den norwegischen Adel so stark dezimierte, dass dänische Adlige diese Lücke ausfüllen mussten und konnten.
Norwegen wurde als Königreich nie aufgelöst, der König titulierte sich als „König von Dänemark und Norwegen“, und es galten unterschiedliche Rahmengesetze für Dänemark und Norwegen. Der König wurde durch einen Reichsstatthalter oder Vizestatthalter in Norwegen repräsentiert.
Norwegen wechselt in die Union mit Schweden
Im Kieler Frieden vom 14. Januar 1814 erreichte der schwedische Kronprinz Karl Johann (der ehemalige französische Marschall Jean-Baptiste Bernadotte), dass Dänemark Norwegen an Schweden abtrat. Der Vertragstext hielt ausdrücklich fest, dass der König von Schweden die norwegische Krone erhielt, mit anderen Worten, dass kein Staatenbund geschlossen würde. Allerdings musste Karl Johann die frisch erlassene norwegische Verfassung akzeptieren. Beim Wiener Kongress wurden die Regelungen bestätigt. Für Schweden war es eine Entschädigung für den Verlust Finnlands an Russland, während Dänemark zur teilweisen Kompensation das Herzogtum Lauenburg erhielt. Die alten norwegischen Besitzungen Grönland, Island und die Färöer verblieben bei Dänemark.
Am 27. Februar 1814 proklamierte Norwegen seine Unabhängigkeit. Der am 17. Mai 1814 zum norwegischen König gewählte Christian Friedrich (der 1839 König von Dänemark wurde) musste auf schwedischen Druck hin am 10. Oktober 1814 auf den Thron verzichten und der Union Norwegens mit Schweden zustimmen. Erst 1905 konnte das norwegische Storting die Auflösung der Union mit Schweden einleiten. Nach einer Volksabstimmung für die Unabhängigkeit stimmte Schweden der Auflösung der Union zu.
Bewertungen
Aus norwegischer Perspektive wurde die Personalunion ab dem 19. Jahrhundert nicht als Staatenbund gewertet, sondern als Fremdbestimmung. Im Geiste der norwegischen Nationalromantik bezeichnete Henrik Ibsen die Ära als „die 400-jährige Nacht“ (400-års-natten) kultureller, politischer und wirtschaftlicher Dominanz Dänemarks über das gleich große Nachbarvolk.
Aus dänischer Perspektive bot die Union den Vorteil, die Machtstellung in Nordeuropa, besonders gegenüber dem Erzrivalen Schweden, gewährleisten zu können. Schwedens Zugang zum Kattegat beschränkte sich bis Mitte des 17. Jahrhunderts auf einen 15 km schmalen Korridor, der trotz der Festung Älvsborg militärisch verletzbar blieb. Alle europäischen Handelsmächte mussten durch den dänisch kontrollierten Öresund segeln, um die Ostsee zu erreichen, und dabei den Sundzoll entrichten.
Literatur
Jörg-Peter Findeisen: Dänemark. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Geschichte der Länder Skandinaviens. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 1999, ISBN 3-7917-1630-1.
Fritz Petrick: Norwegen. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Geschichte der Länder Skandinaviens. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2002, ISBN 3-7917-1784-7.
Anmerkungen
Weblinks
Norwegen von 1130 bis 1537 (Norge i høy- og senmiddelalderen 1130-1537) in Store norske leksikon (norwegisch)
Norwegen von der Reformation 1537 bis 1814 (Norge under dansk styre – 1537-1814) in Store norske leksikon (norw.)
Realunion
Dänisch-norwegische Beziehungen
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Q62651
| 144.808481 |
128064
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https://de.wikipedia.org/wiki/Longyearbyen
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Longyearbyen
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Longyearbyen ist der größte Ort und das Verwaltungszentrum der von Norwegen verwalteten Inselgruppe Spitzbergen () im arktischen Eismeer und einer der nördlichsten Orte der Erde. Es liegt auf der gleichnamigen Hauptinsel Spitzbergen am Adventfjorden.
Longyearbyen wurde 1906 vom US-amerikanischen Unternehmer John Munroe Longyear als Bergarbeiterstadt gegründet. Im Jahr 1943 wurde der Ort von der deutschen Wehrmacht zerstört und nach dem Zweiten Weltkrieg wieder aufgebaut.
Heute ist nur noch eine einzige Zeche in der Nähe der Stadt in Betrieb, die hauptsächlich der Versorgung des eigenen Kohlekraftwerks Longyear mit Steinkohle dient. Der Steinkohlenbergbau auf Spitzbergen wird heute vor allem von der russischen Siedlung Barentsburg aus betrieben. Longyearbyen lebt vor allem vom Tourismus und der Forschung. Unter anderem befinden sich dort eine Außenstelle des norwegischen Polarinstitutes (NPI) und das UNIS, ein Projekt norwegischer Universitäten, sowie das Svalbard Global Seed Vault, ein Langzeit-Lager für Saatgut.
Longyearbyen verfügt über eine moderne Infrastruktur mit diversen Geschäften, Kneipen, Restaurants, Kindergärten, einer Schule, einem Schwimmbad, einem Kino, einer Tankstelle und einem Hafen. Das Straßennetz ist nur etwa 40 Kilometer lang und stellt keine Verbindung zu einem der anderen Orte auf Spitzbergen her. Schneemobile und Boote sind daher die Hauptfortbewegungsmittel.
Longyearbyen ist für die meisten Touristen das Eingangstor nach Spitzbergen und hat daher ein relativ gutes Hotel- und Gastronomieangebot. Die Stadt wird als Startpunkt für Ausflüge und Exkursionen in die Umgebung genutzt, wie z. B. für Wanderungen auf den Hausberg mit Blick über die Stadt und den Fjord. Im Winter werden Touren mit Schneemobilen und Hundeschlitten angeboten.
Zum Flughafen Longyearbyen gibt es regelmäßige Flugverbindungen ab Oslo und Tromsø mit der Fluggesellschaft SAS Scandinavian Airlines (und zeitweise auch von Norwegian Air Shuttle), die Flugzeit ab Oslo beträgt 3:05 Stunden, ab Tromsø ca. 80 Minuten.
Geografie
Longyearbyen liegt im Longyeardalen (Longyear-Tal) und auf beiden Seiten des Longyearelva (Longyear-Fluss) am nordöstlichen Ausgang des Adventdalen, einem Seitental des Isfjord. Die Ortschaft ist in verschiedene Quartiere aufgeteilt, die vorwiegend von der Topografie, insbesondere dem Fluss, bestimmt werden. Die Büros des Sysselmesters (Verwalter von Spitzbergen) und von Telenor finden sich in Skjæringa, die Quartiere am Ufer werden von der Zentrale der Store Norske Spitsbergen Kulkompani und dem Universitätszentrum auf Svalbard dominiert.
Die zweite größere Siedlung auf Svalbard, Barentsburg, befindet sich etwa 55 Kilometer weiter westlich nahe der Mündung des Isfjord.
Geologie
Longyearbyen liegt im Longyeardalen, einem typischen U-Tal mit steilen Hängen und flachem Grund. Das Tal wurde während der letzten Eiszeit durch einen Gletscher gebildet. Das Longyeardalen wird noch immer durch einen Gletscher, den Longyearbreen, abgeschlossen. Auch auf Svalbard sind die Gletscher im Rückgang, besonders in den letzten hundert Jahren. Die Berge um Longyearbyen sind typische Plateauberge mit fast ebenen Gipfelplateaus aus erosionsbeständigem Gestein.
Gegen den Fjord zu ist ein deutliches Delta sichtbar, das sich aus dem Geschiebe des Flusses gebildet hat. Die Erde ist in großen Teilen von den Auswaschungen der Kohleminen schwarz gefärbt. Die Kohle, der Longyearbyen seine Existenz verdankt, ist in leicht abfallenden Flözen (2°–5°) zwischen den Gesteinsschichten der Berge eingelassen.
Biologie
Pflanzen
Longyearbyen liegt an einem Fjord nahe der Westküste von Spitzbergen. Dies ist die klimatisch wärmste Region Svalbards. Hier findet sich eine große Zahl seltener oder vom Aussterben bedrohter Arten. Die biologische Vielfalt ist, verglichen mit anderen arktischen Regionen, sehr groß. Eine Untersuchung der Biodiversität in Longyearbyen wurde 2007 vom Norwegischen Institut für Naturforschung durchgeführt. Von den in Longyearbyen registrierten Arten sind 178 entweder auf der Nationalen Roten Liste oder in der Kategorie 3 (d. h. es gibt nur noch 1–4 bekannte Vorkommen auf Svalbard). Die meisten der bedrohten Arten sind Pilze (100 Arten), Flechten (44 Arten), Moose und Gefäßpflanzen.
Obwohl die Landschaft und Vegetation von Svalbard vorwiegend das Ergebnis geologischer Prozesse, des Klimas und der natürlichen Selektion ist, hatte auch der Mensch Einfluss auf die Topografie und die Vegetation in und um Longyearbyen. Die menschliche Aktivität führt zu einem erhöhten Nährstoffeintrag in die Natur. Die damit erhöhte Stickstoffzufuhr ermöglicht eine grünere Pflanzendecke, insbesondere das Wachstum des Grases.
Während des Projektes „Longyearbyen grüner“ wurde in den 1990er Jahren großflächig Gras angesät, das teilweise einheimische Pflanzen verdrängte. Seit dem Svalbard Environmental Act aus dem Jahr 2002 ist es verboten, fremde Tiere und fremde Flora, die in der Lage sind, sich selbst zu verbreiten, nach Svalbard zu importieren.
Vögel und Säugetiere
In Longyearbyens Umgebung gibt es Svalbard-Rentiere, Svalbard-Gänse und Polarfüchse. In Longyearbyen sind drei Fuchsbaue bekannt, in Bjørndalen, Nybyen und hinter der Kirche. In den ersten zwei werden regelmäßig Füchse mit Jungtieren gesichtet, während die Baue hinter der Kirche seit den 1980er Jahren nicht mehr bewohnt zu sein scheinen. Die Fuchsjagd, vorwiegend mit Fallen, ist zeitweise erlaubt, jedoch nicht in Longyearbyen selbst. Eisbären sind in der Gegend von Longyearbyen selten, aber die Gefahr einer Begegnung besteht immer. Deshalb ist es nicht erlaubt, die Stadt ohne eine Waffe zu verlassen.
Im klaren Wasser und in den Feuchtgebieten befinden sich die Brut- und Lebensräume der Vögel.
Klima
Lokale Tiefdruckgebiete und warme Atlantikströmungen wie der Golfstrom sorgen dafür, dass das Klima auf Svalbard milder ist als an den meisten Orten auf demselben Breitengrad. Die Jahresdurchschnittstemperatur in Longyearbyen ist −6,7 °C, aber die klimatischen Bedingungen sind auch innerhalb der Inselgruppe teilweise sehr unterschiedlich. Die Vegetationszeit (Temperatur über 5 °C) für die Pflanzen ist mit 70 Tagen pro Jahr relativ kurz. Im Winter ist durch teilweise starke Winde der Windchill-Effekt bei tiefen Temperaturen deutlich spürbar. Nebel ist ein typisches Phänomen im Sommer. Longyearbyen hat weniger Niederschlag als die trockensten Regionen Norwegens. Die Wetterstation am Flughafen Longyearbyen misst mit 190 mm die geringste jährliche Niederschlagsmenge Norwegens.
Die Fjorde auf der Westseite Spitzbergens sind oftmals auch während des Winters eisfrei. Die meisten Niederschläge auf Svalbard bringen die Ostwinde von der Barentssee. Daher fällt im Südosten der Inselgruppe dreimal so viel Regen wie in Longyearbyen. Longyearbyen befindet sich auf Permafrostboden, der bis 100 m tief gefroren ist, wovon im Sommer höchstens der oberste Meter auftaut. Der Permafrost erfordert es auch, dass alle Gebäude in Longyearbyen auf Pfählen errichtet sind, damit durch die Wärmeabstrahlung der Gebäude der gefrorene Boden nicht taut und es zu strukturellen Schäden an der Bausubstanz kommt.
Die Lebensbedingungen in Longyearbyen werden besonders durch die lange Polarnacht und die Mitternachtssonne geprägt. In Longyearbyen dauert die Mitternachtssonne vom 20. April bis zum 23. August, während die Polarnacht vom 26. Oktober bis zum 15. Februar dauert. Von Ende November bis Mitte Januar ist die Polarnacht absolut, wird jedoch zeitweise von Polarlichtern erhellt.
Wie für arktisches Klima üblich, kann das Wetter sehr schnell umschlagen. Temperaturstürze um 15 oder mehr Grad in wenigen Stunden sind keine Seltenheit. Auch auf plötzlich eintretende Schneestürme sollte man vorbereitet sein.
Am 24. Juli 2020 wurde in Longyearbyen eine Temperatur von 21,7 °C gemessen. Dies ist die höchste Temperatur, seit Beginn der Aufzeichnungen, die dort bisher gemessen wurde.
Gesellschaft
Religion
In Longyearbyen befindet sich die einzige evangelische Kirche der Inselgruppe. Die Kirche wurde am 28. August 1921 geweiht, nach einer Bauzeit von nur 50 Tagen. Der offizielle Name der Kirche lautet Vår frelsers kirke på Spitsbergen (etwa: Die Kirche unseres Erlösers auf Spitzbergen). Sie wurde von der Store Norske Spitsbergen Kulkompani und der Indremisjonsselskapet gestiftet. Die Kirche wurde während der deutschen Angriffe auf Longyearbyen im Jahr 1943 zerstört und 1958 wieder aufgebaut.
Die Kirche Svalbards ist die nördlichste Kirche der Welt. 2003 besuchten durchschnittlich 69 Personen die Gottesdienste, darunter viele Touristen.
Die Kirche von Svalbard hat eine besondere Stellung unter den Kirchen Norwegens, weil sie nicht von der Norwegischen Kirche und der Gemeinde betrieben wird. Die Kirche Longyearbyens gehört dem Staat und wird durch die Polarabteilung im Justiz- und Polizeidepartement finanziert. Das Gebäude wird von der Staatsbygg finanziert. Der Bischof von Nord-Hålogaland ist für die Aufsicht und die Personalpolitik zuständig, aber alle anderen Belange werden vom Justiz- und Polizeidepartement geregelt. Da die Gesetze Norwegens nicht auf Svalbard zutreffen, gilt dies auch für die Kirchengesetze.
Die Kirche von Svalbard ist für alle Christen auf der Inselgruppe zuständig, also sowohl Katholiken, Protestanten als auch die russisch-orthodoxen Christen, die vorwiegend in der russischen Bergbausiedlung Barentsburg zu Hause sind.
Kindergarten
Longyearbyen hat drei ordentliche Kindergärten und einen Familienkindergarten. Im Jahr 2004 besuchten insgesamt 103 Kinder diese Einrichtungen. Sie werden vom Kinder- und Familiendepartement geführt, im Gegensatz zu denen auf dem Festland, die Beiträge von den Gemeinden erhalten. Das Departement hat festgelegt, dass das Kinderfürsorgegesetz aus dem Jahr 2005 (das ebenfalls auf Svalbard keine Gültigkeit besitzt) auch hier so gut wie möglich umgesetzt werden soll.
Ausbildung
Bereits während der ersten Jahre der Store Norske Spitsbergen Kulkompani wurde in Longyearbyen unterrichtet. Bis 1919 wurden zwischen fünf und zehn Kinder ausgebildet. Im Herbst 1920 wurde in einem kleinen Raum eine Schule eingerichtet. Ein Lehrer unterrichtete acht Schüler auf 12 m². Als 1921 die erste Kirche gebaut wurde, diente sie auch als Schulzimmer und die Unterrichtsfläche vergrößerte sich auf 20 m².
Als in den Jahren 1942–1945 die Bevölkerung von Spitzbergen evakuiert wurde, wurde damit auch die Schule verlegt und der Unterricht fand in einer Burg in Großbritannien statt. Als nach dem Krieg die Leute zurückkehrten, war die Schule genauso wie der Rest der Stadt niedergebrannt. Die Schule wurde dann in einem Provisorium eingerichtet. Im Jahr 1951 bekam die Schule zwei Räume im neuen Gemeindeversammlungsgebäude. Im Jahr 1971 wurde im Ortsteil Haugen, in der Mitte des Longyeartales, ein neues Schulhaus eröffnet. Im Jahr 1976 ging die Verantwortung für die Schule von der Store Norske Spitsbergen Kulkompani an den Staat über.
Am 1. Januar 2007 ging die Verantwortung für die Schule an die Lokalverwaltung Longyearbyens über. Die Schule unterhält Primar- und Sekundarschulklassen.
Im Herbst 1993 wurde das University Centre in Svalbard (UNIS) eröffnet, aber dies ist keine eigenständige Universität, sondern wird als Stiftung durch die Universitäten von Oslo, Bergen, Trondheim und Tromsø betrieben. UNIS ist die nördlichste höhere Lehranstalt der Welt. Hier werden Bachelor- und Master-Studiengänge in arktischer Biologie, arktischer Geologie, arktischer Geophysik und in arktischer Technologie angeboten.
UNIS hat ein sehr internationales Profil. Für die Studierenden, die kein Norwegisch verstehen, werden alle Kurse auf Englisch angeboten. Die Universität unterrichtet 350 Studierende, die Hälfte davon stammt aus Norwegen, ein weiteres Viertel aus skandinavischen Staaten. Im April 2006 zog die Universität in neue Räume im Svalbard Forskningspark, zusammen mit dem Norwegischen Polarinstitut, EISCAT und dem Svalbard Science Forum. Ebenfalls in diesem Gebäude befinden sich das Svalbard Museum. Die Tourismuszentrale ist 2015 in ein neues eigenes Gebäude umgezogen, nahe dem Einkaufszentrum, dort befindet sich auch die Kreisverwaltung.
Forschung
Als die norwegischen Behörden in den 1990er Jahren neue Schwerpunkte für die Aktivitäten in Longyearbyen setzen wollten, setzten sich die Forschung und der Tourismus als zentrale neue Themen durch. Das Zentrum der Forschungsaktivitäten ist der Svalbard Forskingpark, mit der Universität, dem Polarinstitut und der EISCAT-Radaranlage sowie der Satellitenstation außerhalb der Stadt.
EISCAT betreibt Radaranlagen auf dem Breinosa, etwa 10 km östlich von Longyearbyen. Die 32 und 42 m großen Parabolspiegel dienen der Erforschung der Atmosphäre, der Nordlichter und des Ozons.
Die Svalbard Satellite Station (SvalSat) wurde 1999 auf dem Platåberget nordwestlich von Longyearbyen eröffnet. Sie dient der Kommunikation und Kontrolle von Satelliten mit polarer Umlaufbahn. Die sieben Schüsseln werden von der NASA, ESA, EUMETSAT, dem US-Wetterdienst NOAA und weiteren staatlichen und privaten Gesellschaften verwendet. Zusätzlich betreibt Telenor seit 2004 eine 20 Gbit/s Telekommunikationsverbindung zum Festland.
Die Satellitenstation von Svalbard, zusammen mit der norwegischen Station Trollsat in der Antarktis, sind die einzigen, die polar umlaufende Satelliten bei jedem Umlauf erfassen können.
Medien
Svalbardposten erschien zum ersten Mal im November 1948 als Aushang. Dieser bestand üblicherweise aus vier Seiten, die allerdings kaum lokal relevante Informationen enthielten. Heute wird die Zeitschrift, die sich die nördlichste der Welt nennt, in Tromsø gedruckt und erscheint einmal wöchentlich am Freitag.
Heute besitzt Longyearbyen Fernseh- und Radiorundfunkantennen, die Satellitensignale von Eutelsat umsetzen. Bis 1984 wurden die Sendungen vom Festland um zwei Wochen zeitversetzt wiedergegeben, da die Sendungen als Videoband nach Svalbard verschickt wurden.
Telekommunikation
Seit 2003 wurde zwischen dem norwegischen Festland und Svalbard ein Untersee-Glasfaserkabel mit einer Kapazität von 20 GBit/s verlegt, 2 GBit/s davon werden für die Telefonie verwendet. Damit sind auch in Longyearbyen Breitbandanschlüsse für Firmen und Privathaushalte möglich geworden. Ortschaften außerhalb Longyearbyens werden mit Funkverbindungen an das Breitbandnetz angeschlossen. Telenor errichtete auch mehrere Mobilfunkantennen, so dass Longyearbyen, Adventdalen, Todalen und Svea entsprechend abgedeckt sind. Eine weitere Antenne in Reindalen (das auf der Strecke zwischen Longyearbyen und Svea liegt) wurde 2007 im Auftrag der Minengesellschaft errichtet, musste aber 2008 wieder abgebaut werden, da sie widerrechtlich in einem Naturschutzgebiet installiert worden war.
Verkehr
Der Flughafen Svalbard, außerhalb von Longyearbyen, bietet regelmäßige Flugverbindungen zum Festland an. Zusätzlich gibt es planmäßige Flüge nach Svea und Ny-Ålesund. Verbindungen nach Barentsburg erfolgen per Helikopter.
16 Jahre vor der Eröffnung des Flughafens in Svalbard, am 9. Februar 1958, landete zum ersten Mal ein Flugzeug, eine Catalina der Luftwaffe, im gefrorenen Adventdalen. Im darauffolgenden Jahr wurde erstmals Post nach Svalbard befördert und noch ein Jahr später landete das erste Mal ein Passagierflugzeug. Da sich die Piste auf der gefrorenen Tundra befand, war der Flugbetrieb nur während des Winters möglich.
Im Jahr 1973 wurde mit dem Bau des heutigen Flughafens begonnen. Am 14. September 1974 landete eine Fokker F28 der Braathens SAFE als erste Maschine auf der neu errichteten Piste. Der neue Flughafen wurde am 2. September 1975 offiziell eröffnet. Am 10. Dezember 2007 eröffnete Liv Signe Navarsete das neue Empfangsgebäude.
Die Siedlungen auf Svalbard sind nicht durch Straßen verbunden. Im Sommer verbinden Schiffe die Orte, im Winter dienen Schneemobile demselben Zweck. Die sumpfige Tundra kann im Sommer nur stellenweise und nur zu Fuß durchwandert werden.
Selbstverwaltung
Die Forderung nach mehr Selbstverwaltung der norwegischen Bevölkerung auf Svalbard wurde mehrfach diskutiert. Im Jahr 1925 lehnte das norwegische Parlament den Vorschlag ab, Svalbard zu einem Gliedstaat zu machen. Stattdessen wurde ein spezielles Verwaltungssystem geschaffen mit dem Sysselmester als direkter Vertreter der norwegischen Regierung in Svalbard.
Während des Kalten Krieges fokussierte sich die Politik Norwegens auf die Überwachung der Entwicklung der Inselgruppe und die Sicherung der eigenen Hoheitsansprüche (vorwiegend gegenüber der Sowjetunion). Eine politische Verselbständigung stand daher nicht zur Diskussion.
1971 wurde der erste Svalbard-Rat gegründet, mit beratender Funktion für die lokalen politischen Behörden. Der Rat konnte über Geschäfte verhandeln, die von der lokalen Bevölkerung als wichtig erachtet wurde. Im Jahr 1974 wurde erneut darüber diskutiert, die politischen Rechte der Bevölkerung zu stärken, die zweite Regierung von Trygve Brattelis sah die Zeit aber immer noch nicht gekommen, Svalbard als einen Teilstaat Norwegens zu akzeptieren. Als Hauptgründe wurden etwa der Zollfreistatus von Svalbard oder der Status der russischen Siedlungen aufgeführt. Erst am 12. August 1981 wurde eine neue Lokalverwaltung eingesetzt, 1993 fanden zum ersten Mal Wahlen statt.
2002 wurde ein neues Selbstverwaltungsmodell von der Regierung durchgesetzt, obwohl ein Großteil der Bevölkerung dagegen war, wie aus einer Umfrage im Jahr 2006 hervorging. Das Vertrauen in das lokale Parlament ist mäßig und viele Leute sind der Ansicht, das Selbstverwaltungssystem funktioniere nur schlecht. Bei der alteingesessenen Bevölkerung ist die Opposition besonders auffällig. Am 21. und 22. Oktober 2007 fanden Wahlen zum Lokalrat statt. Fünf Parteien nahmen daran teil. 1.563 Personen waren wahlberechtigt, die Wahlbeteiligung betrug 40,27 %.
Demografie
Ursprünglich war Longyearbyen eine deutlich von Männern dominierte und auf Bergbau beruhende Gesellschaft. In den letzten Jahren hat sich Longyearbyen aber deutlich in Richtung eines „normalen“ Ortes mit einem steigenden Anteil an Frauen und Kindern entwickelt. Es gibt Schulen und Kindergärten. Während in Norwegen fast jeder Zweite unter 20 oder über 65 Jahre alt ist, macht diese Bevölkerungsgruppe in Svalbard nur 25 % der Einwohner aus. Norwegische Einwohner Svalbards bleiben in ihrer Heimatgemeinde registriert und sind dort wahl- und stimmberechtigt. Etwa die Hälfte der Bevölkerung Longyearbyens stammt aus den nördlichen vier Verwaltungsbezirken Norwegens. Im Jahr 2009 bestand 16 % der Bevölkerung aus Bürgern anderer Länder als Norwegen.
Seit dem 1. Januar 1995 hat Spitzbergen eine eigene Einwohnerkontrolle. Bewohner müssen sich bei der Ein- oder der Ausreise sowie beim Umzug entsprechend registrieren lassen. Die Arbeitgeber müssen jährlich ihre Personallisten der Steuerbehörde melden.
Der Spitzbergenvertrag erlaubt es allen Bürgern der Unterzeichnerstaaten, ohne weitere Bedingungen in Spitzbergen Wohnsitz zu nehmen und einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.
Bergbau
Heute beschränkt sich der Bergbau in Longyearbyen auf die Grube 7, die etwa zehn Kilometer südöstlich der Ortschaft liegt. Die abgebaute Kohle wird per Lastwagen in die Stadt transportiert, etwa ein Drittel der Kohle wird dort für das Kohlekraftwerk Longyear verwendet, der Rest wird verschifft. Die Kohle wird vollständig mechanisiert abgebaut. Die letzte Mine, in der noch von Hand abgebaut wurde, war Mine 3; sie wurde 1996 geschlossen.
Grube 1, auch als Amerikanische Mine bekannt, war die erste Kohlemine Longyearbyens. Sie wurde 1906 eröffnet und 1958 endgültig geschlossen. Die Grube befindet sich auf der Nordseite des Longyeardalen. In der Nacht des 3. Januar 1920 starben 26 Grubenarbeiter in einer Kohlenstaubexplosion. Die Mine wurde zunächst geschlossen, obwohl die Minengesellschaft der Meinung war, der Abbau würde sich weiterhin finanziell lohnen.
Vorarbeiten bei Mine 2 begannen 1913. Sie wurden nach der Übernahme der Minen durch die Store Norske Spitsbergen Kulkompani im Jahr 1918 und nach dem Grubenunglück in Mine 1 beschleunigt. Der eigentliche Kohleabbau begann 1921. Die geologischen Bedingungen in der Mine wurden jedoch schnell schwierig, so dass der Abbau bereits 1938 wieder eingestellt wurde. Man entschied sich daher, die Mine 1 erneut zu eröffnen und baute einen neuen Zugangsstollen weiter hinten im Tal, heute als Mine 1B bekannt. Der Abbau begann im Oktober 1939. Auch hier waren die geologischen Bedingungen schwierig. In der Zeit zwischen 1950 und 1958 wurden, auf der Suche nach dem Flöz, nur Zugangsstollen gebaut. Danach wurde die Mine geschlossen und diente noch einige Zeit als Trinkwasserreservoir für Longyearbyen.
In den ersten Jahren war der Ertrag in Mine 2 sehr gut, doch in den 1930er Jahren wurde der Abbau durch lange Transportwege und tiefe Kohlepreise immer weniger rentabel. 1937 wurde daher auch hier ein neuer Zugangsstollen weiter hinten im Tal gebaut. Während des Zweiten Weltkriegs wurde die Mine beim Angriff des deutschen Schlachtschiffs Scharnhorst während des Unternehmens Sizilien 1943 von britischen Soldaten in Brand gesteckt, damit die Kohle nicht in die Hände der Deutschen fiele. Die Mine brannte bis 1962.
Nach dem Kriegsende wurde die Arbeit in Mine 2 wieder aufgenommen. Ein Gasausbruch in der Mine kostete im Januar 1952 sechs Menschenleben. In den Jahren 1960–64 war die Arbeit in Mine 2 eingestellt, da gleichzeitig der Abbau bei Mine 5 begann und die Kohlepreise stark sanken. Danach wurde die Arbeit wieder aufgenommen. Die Mine wurde im Winter 1967/68 aufgegeben, da sie leer ist.
Die Aufbauarbeiten für Mine 3, die sich südlich des Flughafens befindet, begannen 1969, der Abbau 1971. Zeitweise kam die Hälfte der Kohle für die Minengesellschaft aus Mine 3. Im November 1996 war die Mine leer und wurde geschlossen.
Die kleinste Mine Longyearbyens war Mine 4. Sie schloss 1970 nach nur zwei Jahren Betrieb wegen geringer Effizienz. Die Kohle wurde durch das Galeriesystem der Mine 2 hinausbefördert.
Mine 5 war die erste Mine, die außerhalb des Longyeardalen errichtet wurde, nämlich im Endalen etwa 5 km östlich von Longyearbyen. Die Vorarbeiten begannen mit dem Bau einer Straße, Stromleitungen und Telefonanschlüssen. 1957 und 1958 wurden die Grubenbahnen errichtet. Der Abbau der Kohle begann im Herbst 1959 und dauerte bis im Mai 1972, als die Mine ausgeräumt war.
Die Erschließung der Mine 6 begann 1967 und der Abbau begann 1969. Im Jahr 1981 wurde der Abbau eingestellt, obwohl noch schätzungsweise 380.000 Tonnen im Berg verblieben sind. Die Kohle befindet sich jedoch in einer dünnen Schicht weit im Inneren des Berges.
Mine 7, die sich auf einem Rücken zwischen Bolterdalen und Foxdalen befindet, ist die letzte der Minen um Longyearbyen, die noch in Betrieb ist. Während mehrerer Jahre wurde der Abbau vorbereitet, der schließlich 1976 begann. Zwischen 1978 und 1981 wurde der Abbau unterbrochen, um die Minenausrüstungen zu erneuern und zu reparieren. Durch das Eindringen von Schmelzwasser aus den oberhalb der Grube gelegenen Gletschern ist der Abbau in Grube 7 gefährdet (siehe auch Gletscherschwund seit 1850). Im Juli 2020 musste, nachdem auf Spitzbergen Rekordtemperaturen gemessen worden waren und eingedrungenes Schmelzwasser die Stromversorgung beschädigt hatte, der wegen der Covid-19-Pandemie eingestellte Betrieb bis auf Weiteres eingestellt bleiben.
Tourismus
Bereits bevor ums Jahr 1900 die ersten Kohleabbauversuche begannen, wurde der Adventfjord von Touristen besucht. Erste Reisen nach Svalbard datieren von 1807. Die ersten Touristen waren vorwiegend reiche Ausländer, die mit ihren Jachten nach Svalbard fuhren, um die Mitternachtssonne zu bestaunen. Dann kamen auch die ersten Luxusjachten. 1893 legte das Dampfschiff Columbia im Adventfjord an. Es hatte hundert Touristen und ein siebzehnköpfiges Orchester an Bord. Auch norwegische Schifffahrtsbetriebe boten Fahrten nach Svalbard an, waren damit aber weniger erfolgreich als die ausländischen Reedereien.
1896 eröffnete die Vesteraalens Dampskibsselskab auf Neset, in der Nähe des heutigen Flughafens, das erste Hotel. Es war in Trondheim vorfabriziert und dann per Schiff nach Spitzbergen transportiert worden.
Mit Beginn des Ersten Weltkriegs brach der Tourismus, wie überall in Europa, auch auf Svalbard ein. Nach dem Krieg wurden die touristischen Aktivitäten wieder aufgenommen. Nach dem Zweiten Weltkrieg nahm der Tourismus abermals zu. Eines der Hauptinteressen der Touristen war die Eisbärjagd. Seit 1973 wurden die Eisbären durch das Washingtoner Artenschutzabkommen geschützt, bis dahin wurden etwa 700 Eisbären durch den „Jagdtourismus“ erlegt.
In den Sommermonaten dominieren Schiffsrundreisen um die Inselgruppe das Tourismusangebot. Im Jahr 2002 wurden 27.000 Personen (inklusive Crew) auf den Rundreiseschiffen gezählt.
Mit der Eröffnung des Flughafens im Jahr 1975 wurde der Tourismus auf Svalbard in neue Bahnen gelenkt, vor allem dadurch, dass die Inselgruppe nun viel einfacher erreichbar war und auch Kurzaufenthalte möglich wurden. Dem Massentourismus wurde jedoch mit großer Skepsis begegnet, zusätzlich zu Problemen mit fehlenden Hotelbetten und nicht ausreichender Nahrungsversorgung für die zusätzlichen Touristen. Es sollte Jahrzehnte dauern, bis sich die Wirtschaft Svalbards auf die Versorgung der Touristen eingestellt hatte.
Jährlich besuchen etwa 30.000 Touristen Svalbard, dies ist jedoch weniger als ein Prozent des Tourismusaufkommens von Nordskandinavien. Von 1993 bis 2006 stieg die Zahl der Hotelnächte in Longyearbyen von 24.000 auf 83.000. 80 Prozent der Touristen kommen aus Norwegen. Danach folgen Schweden, Dänemark, Deutschland und Großbritannien.
Der Flughafen Longyearbyen ist der nördlichste Flughafen der Welt mit regulären Linienflügen.
Geschichte
Die ersten Kohlefunde
Im Jahr 1899 brachte Skipper Søren Zachariassen 600 Hektoliter Kohle nach Tromsø, die er im Bohemanneset und im Isfjorden gefunden hatte. Bereits zur Zeit des Walfangs (der hier seit der Entdeckung der Inselgruppe im Jahr 1596 betrieben wurde) war bekannt, dass Svalbard reich an Kohle war. Zachariassens Unternehmung gilt aber als der erste kommerzielle Kohleabbau. Unter den ersten Kunden war eine Jacht von Albert I. von Monaco.
Die ersten Norweger begannen mit dem Kohlebergbau im Jahr 1903. Später kamen ausländische Firmen, die mehr vom Bergbau verstanden und daher auch ökonomischer arbeiten konnten. Henrik Næss, Zachariassens Partner, verkaufte seine Firma Trondhjem Spitsbergen Kulkompani an die Arctic Coal Company. Zachariassens Entdeckungen brachten ihm aber kaum etwas ein.
Amerikanische Epoche
Im Jahr 1901 reiste der amerikanische Geschäftsmann John Munroe Longyear das erste Mal nach Svalbard, zusammen mit seiner Familie. Seine Interessen für die Kohlevorkommen Svalbards waren allgemein bekannt. Er reiste mehrmals nach Svalbard, bis er 1906 im Adventfjorden die Siedlung gründete, die heute seinen Namen trägt. Er war der Hauptaktionär der Arctic Coal Company, welche die Abbaurechte in Longyearbyen erworben hatte. Er hatte diesem Handel allerdings erst zugestimmt, nachdem ihm die norwegische Regierung versichert hatte, dass Spitzbergen Niemandsland sei.
Die erste Expedition, die die Abbaubedingungen eruieren sollte, erreichte am 2. Juni 1905 den Adventfjord. William D. Munroe, ein Neffe Johns, leitete die Expedition, die mehrere Grundstücke für die Arctic Coal Company aufkaufte.
1906 verließ das Schiff „Primo“ Trondheim mit Ziel Adventfjord. An Bord waren William, sein Pferd, 50 Mann, Holz und eine halbe Tonne Dynamit. Die Crew kam im alten Hotel in Neset unter und begann mit dem Bergbau. Es wurden zehn Häuser gebaut, Wasservorräte angelegt und eine Seilbahn für die Kohle wurde errichtet. Bereits im ersten Jahr stießen die Männer auf Kohle. Das letzte Schiff verließ Svalbard am 2. Oktober mit einer Ladung Kohle und den Männern, die nicht auf Svalbard überwintern würden. 22 Mann blieben zurück.
Longyear und sein Partner Ayer hofften auf weitere Investoren für ihr Unternehmen, die auch Verantwortung übernehmen würden. Als aber William D. Munroe 1907 bei einem Schiffsuntergang starb, konzentrierte sich Longyear selber vermehrt auf den Bergbau und kontrollierte das Unternehmen von Boston aus. Alle wichtigen Entscheidungen erforderten seine Zustimmung.
In den Jahren 1907/1908 baute die damals führende Seilbahnfabrik Adolf Bleichert & Co. eine Materialseilbahn zur Schiffsverladestation, die später durch eine Seilbahn zur Grube 2 ergänzt wurde. Die Reste dieser Seilbahnen und späterer Nachfolger zu anderen Gruben sind heute noch sichtbar. Die Mine wurde schnell größer und bereits im Winter 1910/11 verbrachten 73 Männer und 3 Frauen den Winter in „Longyear City“, wie die Ortschaft noch inoffiziell genannt wurde.
Im Sommer 1912 legte ein Streik Longyearbyen weitgehend lahm. Das Management wehrte sich vehement gegen die Gründung einer Arbeitnehmerorganisation und schickte 238 Arbeiter nach Hause. Die Minen wurden in dieser Zeit oft bestreikt, weniger wegen des Lohnes, sondern wegen schlechter Lebensbedingungen, ungenügender Hygiene, schlechtem Essen und wegen kultureller Differenzen zwischen den norwegischen Arbeitern und der US-amerikanischen Führung.
Rückgang des Abbaus
Im Sommer 1913 war die jährliche Kohleproduktion auf 30.000 Tonnen angestiegen und Mine 2 stand kurz vor der Eröffnung. Der Bergbau erwies sich in dieser Zeit allerdings als großes Verlustgeschäft und eine Besserung stand nicht in Aussicht. Der Minenverwalter Scott Turner spielte daher auch mit dem Gedanken, sämtliche Besitztümer zu verkaufen. Sämtliche Investitionen wurden gestoppt und nur noch der Abbau vorangetrieben.
Im August 1914 brach der Erste Weltkrieg aus und die Banken stoppten die Kredite für die Arctic Coal Company, die sowieso schon finanziell schwer angeschlagen war. Außerdem war es schwierig und teuer, Ersatzteile für die Maschinen zu bekommen. Die Firma reduzierte die Belegschaft im Winter auf 120 Mann und alle Besitztümer auf dem norwegischen Festland wurden verkauft. Im September 1915 wurde der Abbau ganz aufgegeben und es blieben nur drei Mann als Wache zurück. Alle anderen Arbeitnehmer wurden entlassen, ausgenommen jene im Büro in Tromsø.
Während der neun Jahre ihres Bestehens hatte die Arctic Coal Company 200.000 Tonnen Kohle abgebaut und fast 3,5 Millionen norwegische Kronen investiert. Dies ist eine beträchtliche Summe, der gesamte Umsatz des norwegischen Staates betrug zu jener Zeit 12,5 Millionen. Bis zu 300 Mann überwinterten jeweils in Longyearbyen, im Sommer war die Mannschaft fast doppelt so stark.
Die Gründung der Store Norske Spitzbergen Kulkompani
Nachdem die Arbeiten eingestellt wurden, suchte die Firma Käufer für ihren Besitz. Unter den Interessenten waren die Norwegische Zentralbank mit Adolf Hoel als geologischem Experten, Johan Anker und seine Firma, Green Harbour, sowie eine Gruppe russischer Investoren. Ankersens Gruppe verzichtete. Der Direktor der Zentralbank, Kielland Torildsen, hatte Verbindungen zum damaligen Premierminister Gunnar Knudsen und so wurde im Januar 1916 Det norske Spitsbergensyndikat gegründet, an dem die Zentralbank, verschiedene andere Banken, Elkem, Hydro (?) und Gunnar Knudsen als Aktionäre beteiligt waren.
Am 1. April 1916 akzeptierte John Munroe Longyear das Angebot von 3,5 Millionen Kronen. Die formale Übernahme fand am 1. September statt. Das Syndikat kaufte noch andere Ländereien und besaß bald 1200 km² auf Spitzbergen. Diese Besitztümer waren für Norwegen von großem nationalen Interesse und maßgebend für die norwegischen Forschungsaktivitäten auf der Inselgruppe.
Das Syndikat wurde gegründet, um Longyears Besitzungen aufzukaufen, ein Interesse am Bergbau bestand hingegen nicht. Dies änderte sich, als am 30. November 1916 in Oslo die Store Norske Spitsbergen Kulkompani A/S gegründet wurde und sämtliches Eigentum des Syndikats übernahm.
Erster Weltkrieg
Zu Zeiten des Ersten Weltkriegs herrschte großer Optimismus bezüglich des Kohlegeschäfts. Die Preise fielen allerdings deutlich, so dass viele Firmen nur durch Staatsanleihen und Subventionen weiterexistieren konnten.
Norwegen hatte seine territorialen Ansprüche auf Svalbard noch nicht durchsetzen können, daher war seine Präsenz wichtig, um die Besitzansprüche zu untermauern. Nach dem Abschluss des Spitzbergenvertrags im Jahr 1925 gaben verschiedene andere Bergbauunternehmungen ihre Aktivitäten in Svalbard auf. Norwegen baute seinen Einfluss mittels der Store Norske Spitsbergen Kulkompani aus. Diese war zwar offiziell eine privatrechtliche Aktiengesellschaft, tatsächlich aber finanziell vom Staat abhängig.
Zweiter Weltkrieg
Bei Beginn des Zweiten Weltkriegs lebten auf Svalbard 900 Norweger und 2000 Russen. Bis 1941 nahm das Leben und die Arbeit in den russischen und den amerikanischen Minen den gewohnten Lauf.
Nach dem deutschen Einmarsch in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 stellten die Alliierten an den Minen Wachen auf. Alle sowjetischen Bürger wurden Ende August von britischen Kriegsschiffen während der Operation Gauntlet nach Russland, die Norweger am 3. September an Bord der Empress of Canada nach Großbritannien evakuiert. Alles, was irgendeinen militärisch-wirtschaftlichen Nutzen gehabt hätte – Kohlevorräte, Öl, Funkgeräte, Generatoren –, wurde zerstört. Norwegische Streitkräfte wurden in Longyearbyen, in Barentsburg und in Svea entgegen dem entmilitarisierten Status nach dem Spitzbergenvertrag stationiert.
Während des Zweiten Weltkriegs landeten deutsche Streitkräfte der Wehrmacht im Laufe des Unternehmens Sizilien am 8. September 1943 in West-Spitzbergen und Longyearbyen mit dem Schlachtschiff Scharnhorst und Begleitzerstörern an. Die Stadt und die Mine 2 wurden dabei in Brand gesetzt. Sverdrupbyen, das im Zentrum des Longyeardalen liegt, wurde nicht getroffen und war am Ende des Krieges noch unversehrt. Die schweren Schäden lösten für die Minengesellschaft eine finanzielle Krise aus. Hilmar Reksten, CEO der Gesellschaft, war der Meinung, der Staat habe für die Kriegsschäden aufzukommen. Der Staat gewährte der Firma daher in den darauffolgenden Jahren mehrere Kredite sowie Garantien für Schulden bei Privatbanken.
Seit 1941 bestanden mehrere Wetterstationen der Wehrmacht in der Arktis, um Wetterdaten für die Wettervorhersage zu ermitteln. Die letzte war das Unternehmen Haudegen unter Wilhelm Dege.
Nach dem Krieg
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Longyearbyen komplett neu aufgebaut, wofür die Store Norske Spitsbergen Kulkompani große Summen aufwendete. Zuerst wurde in der Mine 1 der Betrieb wieder aufgenommen, diese wurde aber bald von der Mine 2 abgelöst. Der größte Teil der Kohle wurde von hier nach Westdeutschland exportiert. Die fluktuierenden Kohlepreise machten die langfristige Planung des Abbaus schwierig, weshalb man den Schwerpunkt auf die Rationalisierung der Betriebe setzte.
1963 betrug die jährliche Produktion norwegischer Minen 430.000 Tonnen, 170.000 Tonnen davon wurden exportiert. Longyearbyen selbst lieferte um die 400.000 Tonnen pro Jahr, und es war absehbar, dass die Vorräte noch ungefähr 20 Jahre reichen würden. Daher begann man in den 1970er Jahren mit den Vorabklärungen zum Bau der Svea-Mine.
1975 wurde in Longyearbyen der Flughafen eröffnet, womit das erste Mal ganzjährige Verbindungen nach Svalbard möglich wurden. Die Unterzeichnerstaaten des Spitzbergenvertrags wurden informiert, dass der Flughafen allen Staatsangehörigen dieser Staaten frei zugänglich sein und er ausschließlich für zivile Zwecke verwendet werden würde. Er wurde offiziell am 50. Jahrestag der Besiegelung der norwegischen Souveränität über Svalbard, am 14. August 1975, eröffnet.
Von der Arbeitersiedlung zur Ortschaft
Wie bereits unter Demografie erwähnt, war Longyearbyen ursprünglich eine von Männern dominierte Minenarbeitersiedlung. Von den 141 Arbeitern im Winter 1916/1917 waren nur zwölf Frauen, die meisten hatten ihre Familien auf dem norwegischen Festland zurückgelassen. Bis in die 1930er Jahre hinein stieg dann der Frauenanteil zwar etwas, allerdings waren auch sie alle Angestellte der Store Norske Spitsbergen Kulkompani und weiterhin in deutlicher Unterzahl. Die Firma kontrollierte dann auch Hausbau, Nachschub und Kommunikationsmittel, da Longyearbyen eben eine „Baustelle“ und nicht eine normale Stadt war.
Erst in den 1960er Jahren nahm der Einfluss der Minengesellschaft langsam ab und die Gesellschaft von Longyearbyen entwickelte sich in Richtung eines Dorfes. Die Store Norske war jetzt vollständig in staatlichen Besitz übergegangen, womit die Stadt jetzt in den Einfluss der Politik geriet und nicht mehr nur geschäftlichen Interessen zu dienen hatte. Die Regierung nahm die Zügel in die Hand und betrachtete es als ihre Aufgabe, eine Familien- und Gesellschaftspolitik wie im restlichen Norwegen auch in Longyearbyen zu betreiben. Das Investitionsbudget vervielfachte sich dann auch in den nachfolgenden Jahren. Longyearbyen wurde zu einem ordentlichen Dorf, vergleichbar mit ähnlich großen Dörfern auf dem norwegischen Festland.
Auch die staatliche Minengesellschaft wandelte sich, obwohl ihr nach wie vor große Teile des Landes und insbesondere von Longyearbyen gehören. Sie beschäftigte die Arbeiter nicht mehr nur saisonal, dafür waren ihre Angestellten auch nicht mehr Beamte. Auch andere Firmen wurden nun ansässig, insbesondere für den Tourismus.
Longyearbyens Stadtbild
Inzwischen ist von der ehemals dominierenden Minenarbeit nicht mehr viel zu sehen, hauptsächlich weil Mine 7 deutlich außerhalb der Ortschaft liegt. Sichtbar blieben die Überreste der alten Grubenbahnen und der teilweise schwarz gefärbte Untergrund. Noch immer lebt rund die Hälfte der Einwohner direkt oder indirekt vom Bergbau. Übrig geblieben ist ein Brauch aus der Bergbauzeit: Da die Minenarbeiter oft sehr staubig und dreckig wurden, zogen sie ihre Schuhe am Eingang der Häuser aus. Es wird erwartet, dass der Besucher im Eingangsbereich eines Hauses seine Schuhe auszieht und die Häuser mit Hausschuhen oder in Socken betritt. Das gilt auch für Museen, Hotels und Schulhäuser (ausgenommen Einkaufszentren).
Die zwei anderen wichtigen Wirtschaftsfaktoren für die Ortschaft sind der Tourismus und die Forschung.
Alle Bauten, Überreste und Minenanlagen, die vor 1945 errichtet wurden (also alles, was den Angriff während des Zweiten Weltkriegs überstand), unterstehen dem Denkmalschutz.
Das Stadtbild von Longyearbyen wird durch die unter Schutz stehenden alten Grubenseilbahnen geprägt. Die Holzmasten dieser Seilbahnen verlaufen an den Hängen der Hügel rund um die Ortschaft sowie teilweise mitten hindurch. Sie sind jedoch seit längerem nicht mehr in Betrieb und sind teilweise zerfallen. Wegen der Permafrostböden sind sämtliche Häuser auf Holz- oder Betonpfählen errichtet. Auch die Wasserleitungen verlaufen oberirdisch.
Jährlich findet hier im Juni mit dem Spitzbergen-Marathon der nördlichste Marathonlauf der Welt statt.
Über mehr als ein Jahrzehnt wurde in den 1990er Jahren am ehemaligen Flugplatz im Adventdalen vom nördlichsten Fallschirmsportclub der Welt mit einem kleinen Flugzeug Fallschirmspringen betrieben.
Unter den verhältnismäßig zahlreichen kulturellen Angeboten hebt sich darüber hinaus etwa Anfang Februar jeden Jahres PolarJazz, das nördlichste Jazzfestival der Welt, ab. Dazu findet am 15. Februar, dem ersten Tag des Jahres, an dem die Sonne im Dorf sichtbar wird, ein Fest statt.
Zeittafel
1901 – John M. Longyear besucht zum ersten Mal Svalbard
1904 – John M. Longyear und sein Geschäftspartner Frederic Ayer erwerben die Trondhjem Spitsbergen Coal Company
1905 – Erste Probebohrungen im Adventdalen
1906 – Longyear City, auch als „Das Lager“ bekannt, wird errichtet – das erste Jahr mit Überwinterung
1906 – Die Mine 1 wird eröffnet
1918 – Sieben Grubenarbeiter sterben an der Spanischen Grippe(?)
1920 – 26 Personen sterben bei einer Kohlenstaubexplosion in Mine 1
1920 – Ein Priester wird mit dem Unterricht von Schulkindern beauftragt
1921 – Die erste Kirche wird eingeweiht
1925 – Johannes Gerckens Bassøe wird zum ersten Sysselmannen Svalbards gewählt
1941 – Alle Personen von Svalbard evakuiert
1942 – Wiederbesetzung Svalbards (Operation Fritham)
1943 – Das Schlachtschiff Scharnhorst und zwei deutsche Zerstörer greifen Longyearbyen an und zerstören es weitgehend
1946 – Der Dorfteil Nybyen entsteht
1948 – Die erste Ausgabe des Svalbardposten erscheint als Wandanschlag
1949 – Telefonverbindungen zum Festland
1952 – Sechs Tote bei einem Grubenunglück in Mine 2
1958 – Mine 1 wird geschlossen
1959 – Das erste Zivilflugzeug landet im Adventdalen
1965 – Erster Kindergarten eröffnet
1971 – Der erste Svalbardrat nimmt die Arbeit auf
1971 – Der Kohleabbau in Mine 3 beginnt
1975 – Offizielle Eröffnung des ersten ganzjährigen Flughafens auf Svalbard
1976 – Der norwegische Staat übernimmt die Store Norske Spitsbergen Kulkompani
1978 – Satellitenverbindungen zum Festland
1981 – Erste Selbstwähl-Telefonverbindungen zum Festland
1981 – Das Svalbard-Parlament nimmt die Arbeit auf
1982 – Der Staat übernimmt Spital und Gesundheitspflege
1984 – Erste Fernsehrundfunksendungen
1995 – Eigenes Bevölkerungsregister für Svalbard
1996 – EISCAT-Station eröffnet
1996 – Die Arbeit in Grube 3 wird eingestellt, da sie erschöpft ist
2002 – Longyearbyen Gemeindeverwaltung wird eingerichtet
2003 – Glasfaserkabel zum Festland verlegt
2006 – Eröffnung des Svalbard-Forschungszentrums
2007 – Neues Flughafenterminal eingeweiht
2008 – Ein Erdbeben der Stärke 6,2 erschüttert Longyearbyen am 21. Februar. Das Epizentrum liegt etwa 100 km südlich.
2015 – Eine vom Sukkertoppen abgehende Schneelawine begräbt am 19. Dezember mehrere Häuser und fordert zwei Todesopfer.
Literatur
Thor B. Arlov: Svalbards historie. 2. Auflage. Trondheim 2003, ISBN 82-519-1851-0. (norwegisch)
Kari Holm: Longyearbyen – Svalbard, historisk veiviser. Kari Holm forlag, 2006, ISBN 82-992142-5-4. (norwegisch)
Torbjørn Torkildsen: Svalbard, vårt nordligste Norge. Aschehoug, 1998, ISBN 82-03-22224-2. (norwegisch)
Andreas Umbreit: Spitzbergen mit Franz-Joseph-Land und Jan Mayen. 7. Auflage. Conrad Stein Verlag, 2004, ISBN 3-89392-282-2.
Marie Tièche: Mein Jahr am Nordpol. Piper, München/ Zürich 2013, ISBN 978-3-492-30418-4.
Weblinks
Lokalstyre.no – Homepage der Gemeindeverwaltung (norwegisch)
Yr.no - Norwegian Meteorological Institute and NRK - Longyearbyen
Einzelnachweise und Anmerkungen
Ort auf der Insel Spitzbergen
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Q25923
| 189.51189 |
68554
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https://de.wikipedia.org/wiki/Infanterie
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Infanterie
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Infanterie, veraltet historisch Fußvolk, bezeichnet sich zu Fuß bewegende und kämpfende Soldaten der Kampftruppe der Landstreitkräfte, die mit Handwaffen ausgerüstet sind. Obwohl sich der Begriff Infanterie erst in der frühen Neuzeit einbürgerte, wird er auch für entsprechende Soldaten früherer Epochen verwendet. Der einzelne Soldat wird als Infanterist, früher auch als Fußsoldat bezeichnet.
Der Begriff der Infanterie ist einerseits abzugrenzen von unorganisierten Kämpfern zu Fuß wie Stammeskriegern, andererseits von Soldaten, die nicht zu Fuß kämpfen wie die Kavallerie oder Soldaten der Panzertruppe, oder Soldaten mit weittragenden Waffen wie die der Artillerie.
Die Bedeutung und das Ansehen der Infanterie wechselten stark im Lauf der Geschichte. Sie bildete aber meist die Basis der Landstreitkräfte. Ab der Zeit der stehenden Heere wurde in der Masse Linieninfanterie aufgestellt.
Die Truppengattung Infanterie als zu Fuß marschierende Kampftruppe der königlich-preußischen Armee und der anderen deutschen Armeen war in den Trossen und der Artillerie bespannt und wurde über größere Strecken im Eisenbahntransport verlegt. Sie war damit ab Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht mehr vollumfänglich für den Bewegungskampf einsetzbar.
Von der Linieninfanterie sind die Leichte Infanterie und vormals bis ins 19. Jahrhundert die Dragoner abzugrenzen, die mit Pferden als Transportmittel beweglich gemachte Infanterie, die zum Kampf absaß. Infanterie ist seit der Neuzeit meist mechanisiert oder motorisiert wie die Jägertruppe und verfügt über schwere Infanteriewaffen wie Mörser, Panzerabwehrlenkwaffen und Feldkanonen, und nicht nur Langwaffen.
Für mit Kraftfahrzeugen organisatorisch beweglich gemachte Infanterie wird wie in der Wehrmacht, nachfolgend auch in der Bundeswehr, der Begriff Infanterie (mot.) benutzt. Diesem sind die Bezeichnungen Grenadiere (mot), in der Neuzeit heute Jäger oder Füsiliere gleichzusetzen. Grenadiere und Jäger unterscheiden sich meist durch die Ausstattung mit Transportpanzern wie dem Gepanzerten Transport-Kraftfahrzeug (GTK) oder mit (geschützten) Radfahrzeugen.
Mechanisierte Infanterie als mit Schützenpanzern ausgerüstete Verbände sind begrifflich Panzergrenadiere. Im Ostblock kannte man hierfür den Begriff Mot-Schützen, die in Regimentern zusammengefasst waren. Eine enge Verzahnung durch gegenseitige Unterstellung zum Gefecht der verbundenen Waffen fand jedoch nicht statt. Eine Unterstützung der motorisierten Schützen durch Kampfpanzer erfolgte nur durch ein selbständiges Panzerbataillon, das kompanieweise auf die mot. Schützen-Regimenter mit mehreren Bataillonen aufgeteilt wurde.
Abzugrenzen sind diese Truppengattungen der Infanterie von Sicherungstruppen, die nur den Auftrag der Objekt- und Raumsicherung haben und, ohne organische schwere Feuerunterstützungskompanie, nicht zum selbständigen Gefecht befähigt sind.
Begriffsentstehung
Der Begriff Infanterie stammt aus dem Romanischen Sprachraum und bezieht sich möglicherweise auf den Knappen eines Ritters, welcher im Italienischen als infante bezeichnet wurde. Dieser Begriff entstammt wiederum dem Lateinischen infans „[Klein]kind“, zusammengesetzt aus in- „nicht“ und fari „sprechen“.
Einer weiteren Erklärung zufolge geht die Bezeichnung Infanterie auch auf die Infantin Isabella Clara Eugenia, Tochter von König Philipp II. von Spanien, zu Beginn des 17. Jahrhunderts zurück. Das auf ihren Befehl geworbene Fußvolk wurde auf eine neue Art bewaffnet, geübt und der Infantin zu Ehren infanteria genannt.
Im deutschsprachigen Raum taucht der Begriff Infanterie erstmals im Jahre 1616 als allgemeine Bezeichnung von Fußtruppen auf. Bis dahin waren für diese die Bezeichnungen Fußvolk, Kriegsvolk zu Fuß, Fußknecht, Haufen zu Fuß und Landsknecht üblich.
Die Infanterie wird je nach Bewaffnung und Auftrag unterschieden in schwere, heute auch mechanisierte, und leichte Infanterie, die heute meist auch mit geschützten Fahrzeugen motorisiert ist.
Gereon von Köln und der heilige Mauritius gelten im christlichen Volksglauben als die Schutzpatrone der Infanterie/Soldaten.
Geschichte
Antike
Als Vorläufer der Infanterie können die individuell nach eigenem Gutdünken kämpfenden Krieger und Heerhaufen der vorgeschichtlichen Epochen betrachtet werden, von denen uns in Überlieferungen wie der Ilias berichtet wird, wie sie aber auch den Europäern während der Kolonialzeit vor allem in Nordamerika begegneten. Eine Entwicklung zur Infanterie kann aus dem Bemühen abgelesen werden, durch ein koordiniertes Verhalten vieler Fußkämpfer mehr als durch individuellen Erfolg ein Gefecht zu entscheiden. Das Aufkommen längere Zeit stehender Heere und der Reiterei können ebenfalls zu den Entstehungsvoraussetzungen der Infanterie gezählt werden. Die entstehende Professionalisierung und feste Rollenzuweisung rechtfertigen schließlich eine abgrenzende Bezeichnung.
Phalanx
Als Phalanx bezeichnet man eine taktische Aufstellung schwer bewaffneter und gepanzerter Infanterie, wie sie insbesondere im antiken griechischen Kulturkreis üblich war. Die Phalanx wurde von Hopliten gebildet, die mit einer langen Lanze bewaffnet sowie durch Panzer und Schild geschützt waren. Die häufig viele Tausend zählenden Hopliten waren zur Bildung der Phalanx zehn bis zwanzig Reihen tief, dicht nebeneinander mit vorgestreckten (erste Reihen) bzw. auf die Schulter des Vordermannes aufgelegten (hintere Reihen) Lanzen aufgestellt.Die Phalanx leitete im griechischen Altertum den Übergang von Einzel- zu Formationskämpfen ein. Sie wurde wahrscheinlich von den Spartanern im 7. Jahrhundert v. Chr. erfunden.
Die Phalanx galt für anders aufgestellte Fußtruppen jahrhundertelang als unüberwindbar, war allerdings wenig beweglich, von hinten und den Seiten ungeschützt und erforderte große Disziplin der Hopliten. In der Schlacht bei Marathon siegte eine griechische Phalanx gegen weit zahlreichere persische Truppen, denen die Motivation und Ausbildung zur Bildung einer so hoch geordneten Formation fehlte.
Die taktische Überlegenheit der Phalanx endete mit Einführung der Schiefen Schlachtordnung durch den Thebanischen Feldherren Epameinondas im 4. Jahrhundert v. Chr. Sie wurde erstmals 371 v. Chr. im Konflikt zwischen Sparta und Theben in der Schlacht bei Leuktra eingesetzt. Dabei sollen 10.000 Spartaner von 7.000 Thebanern geschlagen worden sein.
Eine Weiterentwicklung der klassischen griechischen Phalanx stellt die Makedonische Phalanx dar, welche in der hellenistischen Kriegsführung prägend war. Entscheidende Änderung war die Bewaffnung mit häufig über sechs Meter langen Spießen bzw. Piken, der sogenannten Sarissa. Die Ausrüstung eines makedonischen Pikeniers war im Vergleich zu einem Hopliten weniger schwer, er trug einen wesentlich kleineren und leichteren Schild lose um seine linke Schulter oder den linken Unterarm gebunden, um beide Hände frei zur Führung der schweren Hauptwaffe. Die neue Überlegenheit in der Kriegsführung veranschaulichte Philipp II. selbst erstmals in der Schlacht bei Chaironeia 338 v. Chr. mit durchschlagendem Erfolg, als er die klassischen Formationen der Athener und Thebaner, zweier bis dahin führender Militärmächte, vernichtend schlug. Dieser Sieg begründete die Hegemonie Makedoniens über Griechenland und läutete zugleich die Dominanz der makedonischen Kriegsschule in der östlichen Mittelmeerwelt ein.
Taktische Manöver und Formationen außerhalb der griechischen Welt
Neben Griechen und Römern setzten auch andere antike Kulturkreise phalanxähnliche Formationen im Kampf ein, so wie etwa die Kelten bzw. Gallier (Caesar berichtet von einer helvetischen Phalanx) und in abgewandelter Form als Schildwall bei den Germanen. Kelten nutzten auch andere Formationen wie etwa die Trimarcisia, von Germanen wird berichtet, dass sie nicht selten in Keilformation in die Schlacht zogen. Eine besondere Form der Infanterie stellten die abwechselnd zu Fuß und auf dem Streitwagen kämpfenden Britannier dar, deren Geschicklichkeit und Können von Caesar hervorgehoben wurde.
Leichte Infanterie
Während der ganzen Antike spielte die leichte Infanterie, bestehend aus Fernkämpfern wie etwa mit Wurfspeeren bewaffneten Plänklern (griechische Peltasten, römische Velites), Schleuderern, Bogenschützen und Armbrustschützen (Gastraphetes) und Infanteristen mit handlichen Torsionsgeschützen (Manuballistae) eine unterstützende Rolle. Ihre Hauptaufgabe war die Störung der gegnerischen Formation, welche das Vorrücken verlangsamen soll, bevor die schwere Infanterie den Nahkampf fortsetzte. Da man von ihnen eine hohe Mobilität erwartete, wurden sie nur leicht ausgerüstet und bewaffnet. Sie kämpften in aufgelockerter Formation außerhalb der Hauptschlachtreihe, sodass sie sich in der Regel vor dem Aufeinandertreffen der gegnerischen Schlachtlinien zurückzogen. Bei Belagerungsangriffen lag die Aufgabe im Unterstützungsfeuer, während die Hauptstreitmacht vorrückte.
Römische Infanterie
Ähnlich wie die Griechen kämpften die Römer etwa seit dem 7. Jh. v. Chr. in der Phalanx. Im 4. Jh. v. Chr. löste man die starre Infanterieformation in kleinere geschlossene Einheiten auf (Manipel), die der Gefechtslage angepasst manövrierten und aufgrund ihrer Beweglichkeit griechischen Phalanx-Formationen meist überlegen waren. Im Angriff warfen die römischen Infanteristen zunächst auf eine bestimmte Stelle der Phalanx ihre Wurfspeere (Pila) und stürmten dann mit gezücktem Kurzschwert (Gladius) in die so erzeugte Lücke.
Die Manipel waren Teile von Großverbänden – den Legionen. Eine Legion war ein selbständig operierender militärischer Großverband mit einem Kern von 4000 bis 6000 Mann schwerer Fußtruppen unterstützt von meist leicht bewaffneten Hilfstruppen in etwa gleicher Stärke sowie Reiterei. Im Gegensatz zu Heeren im hellenistischen Osten bildeten die Römer keine eigenen Artillerietruppen aus, sondern reihten sie ebenfalls in die Infanterie ein. Der Begriff der Legion kommt in heutigen Begriffen am ehesten der Division nahe. In der langen Geschichte der Legion wandelten sich deren Stärke, Zusammensetzung und Ausrüstung.
Sowohl bei den Griechen als auch zur Zeit der römischen Republik trugen die Infanteristen wie auch die Reiter die Kosten für ihre Bewaffnung selbst. Es bestand Wehrpflicht, und die freien Bürger erhielten ihre Funktion auf dem Schlachtfeld nach ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zugewiesen. Die Legion der klassischen römischen Kaiserzeit wurde durch die Heeresreform des Marius ab 107 v. Chr. geprägt. Erst während dieser Zeit entwickelte sich dann das Heerwesen mit professionellen, bezahlten Berufssoldaten, deren Kosten für die Grundausrüstung vom Staat getragen wurde. In der Kaiserzeit wurde die Kohorte zur wichtigsten taktischen Untereinheit.
In der beginnenden Spätantike wurden diese Maßnahmen daher systematisiert und vollendet, so dass sich das Erscheinungsbild der Legion grundlegend veränderte. Durch die Heeresreform Diokletians (284 bis 305) wurde die Anzahl der Legionen zwar stark erhöht (auf etwa 60), im Gegenzug ihre Sollstärke aber erheblich herabgesetzt (ca. 1.000 Mann). Damit trug man dem Umstand Rechnung, dass die Legionen der bisherigen Größe seit dem 3. Jahrhundert ohnehin nicht mehr als taktische Einheit eingesetzt worden waren: Die neuen, kleineren Legionen ließen sich rascher und flexibel zu Interventionsheeren der jeweils benötigten Größe zusammenziehen.
Mittelalter
Mit dem Ende des Weströmischen Reiches und der Völkerwanderungszeit verfielen die Städte weitgehend und damit die Gesellschaften, die die Infanterieformationen der Antike hervorgebracht hatten.
Zu Beginn des 8. Jahrhunderts kam auch in Europa der Steigbügel auf und führte zur Weiterentwicklung der schweren Reiterei.
Gegen Ende des 10. Jahrhunderts waren die Ritter die schlachtentscheidende Waffengattung in Europa geworden. Lediglich die wenigen Städte unterhielten Fußvolk als Hauptwaffengattung.
Für das „Fußvolk“ über das gesamte Mittelalter hinweg kann man nicht von einer Infanterie sprechen, da die bewaffneten Knechte, im Gegensatz zu einer Infanterie, nicht im taktischen Verband kämpften. Ihnen fehlte in der Regel die exerzierte Disziplin. Eine Ausnahme bildete die Warägergarde, die anfänglich aus Wikingern bestehende Leibgarde des byzantinischen Kaisers.
Langbogenschützen
Der englische König Eduard I. strebte im 13. Jahrhundert erstmals wieder eine stärkere Rolle von Fußvolk in der Kriegsführung an. Er erkannte, dass Bergbevölkerungen wie in Wales nicht mit kurzdienenden Ritteraufgeboten zu schlagen waren. Deshalb führte er zwei wichtige Neuerungen ein, die lange Zeit Bestand haben sollten: Er stellte ein das ganze Jahr dienendes Söldnerheer auf und rüstete es mit dem Langbogen aus, dessen besondere Vorzüge er erkannt hatte. Mit dieser Waffe ließ sich mit einer gewissen Übung ein gezielter Schuss bis auf 90 Fuß (ca. 30 Meter) abgeben, die äußerste Reichweite betrug etwa 140 Meter. Durch einen Pfeilregen ließ sich der Feind zu Beginn einer Schlacht beunruhigen und seine Haufen verloren ihren Zusammenhang. Beim Angriff gaben die Bogenschützen den eigenen Truppen Feuerschutz.
Im Hundertjährigen Krieg bildeten die mit dem Langbogen ausgerüsteten englischen Bogenschützen zu Fuß im Zusammenspiel mit abgesessenen Rittern und hinter Hindernissen erstmals wieder eine Gefahr für die berittenen Krieger des Mittelalters.
Siehe auch: Lehnswesen, Schlacht von Crécy, Schlacht von Azincourt
Landsknechte/Reisläufer
Die Schweizer stellen ab 1386 (Schlacht bei Sempach) erstmals seit der Antike wieder eine echte Infanterie dar. Mit Spießen und Streitäxten gerüstet, straff organisiert, ausgebildet und im Verband kämpfend, zeigten sie sich den Rittern überlegen. Die Gliederungsform der Infanterie wurde Gewalthaufen genannt. Die Wirkung des Gewalthaufens beruhte auf der Stoßkraft der sich geschlossen vorwärts bewegenden Masse. Die Entscheidung wurde im Angriff gesucht. In dieser Weise führten die Spanier 1485 ihr Fußvolk erfolgreich gegen die Mauren. Sie wurden Vorbild für andere europäische Heere.
Als Schöpfer der deutschen Infanterie werden Kaiser Maximilian I. und Georg von Frundsberg angesehen. Sie waren die bedeutendsten Führer und Organisatoren der Landsknechtheere. Mit ihnen begann das neuzeitliche Kriegswesen. Mit zunehmender Wiederentstehung einer bedeutenden Reiterwaffe und Einführung von Schusswaffen entstand bei den Fußtruppen die Form des Gevierthaufens als Defensivaufstellung. Arkebusiere und Musketiere waren die ersten Feuerwaffenträger der Infanterie.
Man verstand die nun aufkommenden Feuerwaffen zunächst als Waffe des Feiglings und als eine Bedrohung der christlichen Moral und Gesellschaftsordnung. Aber ihre Wirkung war entscheidend, und deshalb verwendete man sie. In seinem militärwissenschaftlichen Werk Nef des Princes et des Batailles (1502) beschäftigt sich Robert de Balzac eingehend mit dem Einsatz von Feuerwaffen, der modernen Truppengliederung und der Notwendigkeit, bei der Aufrechterhaltung der Disziplin und der Anwendung der Taktik der verbrannten Erde rücksichtslos vorzugehen.
Siehe auch: Treffentaktik, Reisläufer, Landsknecht
Janitscharen
Die Janitscharen (Einzahl der Janitschar, türkisch Yeniçeri, „neue Truppe“) waren im Osmanischen Reich die Elitetruppen der Infanterie. Sie stellten auch die Leibwache des Sultans und erreichten oft höchste Positionen im osmanischen Staatswesen. Die Truppen haben ihren Ursprung im 14. Jahrhundert und wurden 1826 aufgelöst.
Siehe auch: Osmanische Armee
Strelizen
Strelizen (russ. Strelez „(Bogen)schütze“, von slaw. Strela „Strahl, Pfeil“) ist die Bezeichnung für die von Zar Iwan dem Schrecklichen um 1550 eingeführte, mit Feuerwaffen und Hellebarden (Berdishi) ausgestattete Palastgarde. Sie waren für ihre gute Ausbildung und ihre Loyalität gegenüber dem Zaren bekannt. Die Strelizen wurden bald zu einem stehenden Heer mit zehntausenden Mann ausgebaut und stellten damit die erste reguläre Berufsarmee in Russland dar.
Siehe auch: Geschichte Russlands
Frühe Neuzeit
Schwedische Heeresreformen
Schwedens König Gustav II. Adolf konnte sich keine Söldnerarmee leisten, die groß genug gewesen wäre, um sich gegenüber den Armeen seiner Gegner behaupten zu können, und führte daher die Wehrpflicht ein. Er schuf die erste vom Staat aufgestellte, bezahlte, ernährte und ausgerüstete Volksarmee. So rekrutierte er mehr als 40.000 Schweden, die „starkgliedrig und, soweit festgestellt werden kann, tapfer waren – im Alter von 18 bis 30 Jahren“. Angehörige von kriegswichtigen Berufen, wie zur Munitionsherstellung und dem Transportwesen, wurden freigestellt. Die Volksarmee war nicht nur wirtschaftlich und die Kampfmoral betreffend besser ausgestattet als die zumeist aus Söldnern bestehenden Armeen des Gegners.
Zusammensetzung und Ausrüstung der schwedischen Armee unterschieden sich von denen anderer europäischer Heere, denn sie entsprachen den taktischen Vorstellungen des Königs, der größten Wert auf Feuerkraft und Beweglichkeit legte. Die wichtigste Waffe wurde die Muskete, und er vermehrte die Kontingente der Musketiere auf Kosten der Pikenträger. Wie Moritz von Nassau teilte er seine Verbände in kleinere Einheiten und Untereinheiten auf. Eine Kompanie bestand aus 72 Musketieren und 54 Pikenträgern.
Vier Kompanien bildeten ein Bataillon, acht Bataillone ein Regiment und zwei bis vier Regimenter eine Brigade. Die Muskete wurde kürzer und konnte, da sie leichter geworden war, freihändig in Anschlag gebracht werden. Das Laden wurde vereinfacht, und das Radschloss und die Papierpatrone gehörten zur Standardausrüstung. Auch die Pike war jetzt nicht mehr 5 Meter, sondern nur noch etwa 3,5 Meter lang, und die Rüstungen waren leichter geworden.
In solch einer Armee, die aus zahlreichen kleineren Einheiten bestand, gab es mehr Offiziere als früher, und es entstand eine militärische Rangordnung. Ferner ließ Gustav II. Adolf Nachlässigkeit nicht durchgehen und beförderte seine Offiziere nach Verdienst und Leistung. Der Verantwortungsbereich der Unteroffiziere wurde erweitert. Die Einführung von Uniformen und Rangabzeichen trug wesentlich zur Vereinheitlichung bei und förderte Kampfmoral und Korpsgeist. Von nun an hing die Kampfkraft der Infanterie von ihren Feuerwaffen ab, auch die Pike war eine Angriffswaffe, aber die Hauptaufgabe der Pikenträger war es, die Musketiere während der Feuerpause beim Laden insbesondere gegen den Angriff von Kavallerie zu schützen.
Siehe auch: Dreißigjähriger Krieg
18. Jahrhundert: Lineartaktik
Um die Wende zum 18. Jahrhundert wandelten sich die Fußtruppen aufgrund der technischen Entwicklung von der schweren Infanterie, der Pikeniere mit Schutzausrüstung, zum Feuerwaffenträger.
Gegliedert war das Infanteriebataillon zu vier Infanteriekompanien, einem kleinen Bataillonsstab und begleitenden Infanteriegeschützen. Jede der Infanteriekompanien war in meist vier Pelotons gegliedert. Versorgungstruppenteile und Instandsetzungskräfte wie Büchsenmacher und Schuster waren dem Regiment angegliedert.
Die Einführung des Bajonetts in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts brachte eine Verbindung der blanken Waffe mit dem Gewehr. Im deutschsprachigen Raum wurde die Linieninfanterie meist als Musketiere und als Füsiliere bezeichnet. Durch den Wechsel vom Luntenschlossgewehr zum Steinschlossgewehr benötigte der Infanterist weniger Platz auf dem Schlachtfeld. Da die Genauigkeit und Reichweite der Steinschlossgewehre aber noch gering war, kam es in der Schlacht darauf an, möglichst viele Gewehre gleichzeitig zum Einsatz zu bringen. Deshalb wurden die ehemals tiefer gegliederten Formationen des Fußvolkes mit der Treffentaktik durch flachere und breitere Gefechtsordnungen abgelöst und es entstand die Lineartaktik. Gleichzeitig diente die Aufstellung der gesamten Infanterie in langen, zusammenhängenden Linien dazu, die Desertion zum Dienst gepresster Soldaten zu verhindern. Diese war auch durch die Ladezeit für die Musketen notwendig. Die Musketen wurden erst rund 150 Jahre später durch Hinterlader, nachfolgend als Repetierwaffe abgelöst.
Ihren Höhepunkt erreichte die Linientaktik während des Siebenjährigen Krieges (1756–1763). Bisher war bei der Feuergeschwindigkeit von einem Schuss in drei Minuten das schwerfällige Luntengewehr überwiegend eine Defensivwaffe gewesen. Nun ermöglichte der Flintstein der Musketiere in Verbindung mit einer Verbesserung des Waffendrills eine Kadenz von fünf Schuss in zwei Minuten. Die Feuerwirkung wurde auch weiterhin nicht durch gezielten Einzelschuss, sondern durch Massierung erreicht. Hierbei waren verschiedene Feuerkommmados im Feuerdrill möglich. Grob wurde zwischen zwei verschiedenen Methoden unterscheiden – ein Truppenkörper feuerte bis zur Bataillonsstärke eine Salve ab – entweder alle gleichzeitig (hintere Glieder durch die Lücken der Vorderen) oder von vorne nach hinten gestaffelt durch Gliedweises Feuern oder die Halbkompanien (=Pelotons) schossen ein rollendes Feuer und konnten sich diesem Rhythmus angepasst auch pelotonweise vorwärtsbewegen, oder die Truppen gaben wie z. B. in Österreich ein sogenanntes Lauffeuer ab, das sich von Mann zu Mann fortpflanzte. Die Feuerwirkung ist umstritten. Bei einer Reichweite des Infanteriegewehrs von 400 Schritt war eine befriedigende Feuerwirkung erst ab etwa 300 Schritt (169 m) und durch die glatten Rohre wesentlich weniger gegeben.
Die Infanterie in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts feuerte unterteilt in Halbkompanien nach einem komplizierten System nach den geraden und ungeraden Zahlen von den Flügeln zur Mitte hin. Die Annäherung erfolgte niemals im Laufen, um die Truppe nicht auseinanderfallen zu lassen, sondern im starken Schritt. Tempo waren nach dem preußischen Reglement von 1743 75 Schritt pro Minute. Das Feuer wurde auf etwa 300 Schritt Entfernung eröffnet, worauf das Tempo auf 40 bis 45 Schritt bei gleichzeitiger Verkürzung der Schrittlänge reduziert wurde. Hatten sich die gegeneinander vorrückenden Truppen auf 30 Schritt einander genähert, wurde das Gewehr mit aufgepflanzten Bajonett gefällt, das heißt: annähernd waagerecht vorgereckt. Hierbei war es in Preußen nicht mehr geladen, während Österreicher und Hannoveraner noch einmal aus der Hüfte zu feuern pflegten.
Siehe auch: Vorderlader, Linientaktik
Koalitionskriege und 19. Jahrhundert
Zu einer Veränderung im Einsatz der Infanterie kam es durch die Französische Revolution und den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg. Während bis dahin gut gedrillte Soldaten häufig unfreiwillig in der Lineartaktik kämpften, schlossen sich diesen beiden Armeen Freiwillige an, die aber schlecht ausgebildet waren. Die Rekruten des französischen Volksheeres waren zur korrekten Aufstellung in Linien und damit zur Anwendung der bisherigen Taktik gar nicht fähig. Durch die Verbindung des Kampfes in zerstreuter Ordnung und in geschlossenen Kolonnen konnte die fehlende Ausbildung aufgewogen werden. Bald zeigten sich die Vorteile der neuen Gefechtstaktik: Während sich eine an einer Stelle zerrissene Linie taktisch geschlagen geben musste, blieb die Feuerkraft bei einer in mehreren Kolonnen aufgestellten Infanterie weitgehend erhalten, falls einzelne Kolonnen in Unordnung gerieten. Perfektioniert wurde dieses System durch Napoléon Bonaparte und spätestens ab 1813 von allen Armeen Europas übernommen.
Bereits seit 1631 kannte man während des Dreißigjährigen Krieges Jägerbataillone, die aus Forstleuten rekrutiert wurden und unter der Regentschaft von Landgraf Wilhelm V. von Hessen-Kassel als die ältesten im deutschen Sprachraum aufgestellt wurden. Diese hatten den Auftrag, insbesondere Offiziere und Geschützbedienungen im gezielten Schuss zu bekämpfen. Hessische und andere deutsche Kontingente wurden im späten 18. Jahrhundert dann im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg eingesetzt.
In Nordamerika verwischten sich die Grenzen zwischen dem reglementgemäßen Gefecht in geschlossener Ordnung und dem Partisanenkampf, auch „kleiner Krieg“ genannt: leichte Infanterie, mangelhaft gedrillt und wenig diszipliniert, errang im zerstreuten Einsatz gegen die Engländer vielbeachtete Erfolge. In Preußen wurde 1787 jeder Infanteriekompanie zehn besondere Schützen zugeteilt. Die Schützen waren abweichend von der Schlachtinfanterie nicht mit Musketen mit glatten Läufen, sondern mit gezogenen Büchsen ausgerüstet, die den gezielten Schuss erlaubten. Sie wurden im Angriff als Schwärme den geschlossen eingesetzten Verbänden vorausgeschickt. Dadurch erzwangen sie eine Auflockerung der feindlichen Linieninfanterie, die nun nicht mehr in geschlossener Front vorrücken konnte. Die geschlossen eingesetzten Verbände rückten echelonweise (staffelweise) vor, die Zwischenräume zwischen den Verbänden vergrößerten sich. Noch bedeutete die Möglichkeit der Schützen, gezielte Schüsse abzugeben, keine nennenswert gesteigerte Feuerwirkung. Ihr Wert lag hauptsächlich im Stören und Verschleiern. Bei Verringerung des Abstands zum Feind hatten die Schützen selbstständig das Feuer zu eröffnen, danach wurden sie von der vorrückenden Linie aufgenommen. Ein entscheidender Anstoß zur Weiterentwicklung der Schützentaktik ging von der Französischen Revolution aus, in deren Gefolge die ungeübten Massen nicht mehr mit der gebotenen Gründlichkeit gedrillt werden konnten. Die Franzosen formierten sich zwar in Linien, schickten ihnen jedoch dichte Schützenschwärme voraus, die die eigentliche Last des Kampfes trugen. Dieses improvisierte Verfahren setzte auf Begeisterung statt Disziplin und war dementsprechend ineffizient. Die Französischen Revolutionsheere versagten ständig, bis eine neue Generation an Offizieren die Levée en masse durchexerziert hatte.
Napoleons Reformen
Napoleons Schlachtordnungen waren von Anbeginn seiner Feldherrnlaufbahn auf Vernichtung des Gegners ausgerichtet, deren Vollendung allerdings durch diplomatisch-politischen Abschluss. Napoleons Operationen und Schlachten zielten auf den entscheidenden Vernichtungssieg ab, wobei ihm nach Geist, Mitteln, Gliederung und Zahl höchst leistungsfähige Truppen zu Gebote standen. Dabei hat Napoleon die drei bestimmenden Faktoren, die geforderte „strategische Dreieinigkeit“ von Zeit, Raum und Kraft, in eine kriegsgeschichtlich seltene Übereinstimmung gebracht. Seine Direktiven für die Operationsführung und Schlacht waren „frei von jedem schematischen Dogmatismus“. Hauptsache war, dass die konzentrisch herandirigierten Großverbände an der richtigen Stelle zeitgerecht mit Übermacht zum gemeinsamen Schlagen kamen. Eben hierbei hatte Napoleon ein seit der überlieferten Kriegsgeschichte bestehendes Führungsproblem zu bewältigen, das erst mit der militärischen Nutzung von Telegraf, Eisenbahn und einem zunehmend ausgebauten Straßennetz gelöst werden konnte: die räumlich-zeitliche Koordination der von Napoleon zumeist auf Umgehung des Feindes angelegten Heeresteile, allerdings ihre Zusammenfassung so rechtzeitig vor der Schlacht, dass die notwendigen taktischen Dispositionen möglichst ohne Friktion getroffen werden können. Für die moderne Operationsführung gilt seit Napoleon, dass eine Offensive aus zwei Richtungen nicht etwa aus vorheriger Zusammenballung aller Kräfte frontal direkt am Schlachtfeld respektive am Feind geführt werden sollte, sondern sich aus der Tiefe des Operationsraumes durch konzentrisches Vorführen getrennter Heeresteile zu entwickeln habe.
Zermürbung des Gegners durch konzentrische Angriffshandlungen und durch elastische Operationsführung
Herbeiführen einer feldzugentscheidenden Niederlage durch Einschließung mit dem Ziel einer militärisch-politischen Niederwerfung
Angriffskolonne
Gleichzeitig aus dem revolutionären Frankreich wurde eine weitere taktische Neuerung übernommen, die die Tendenz zur Zusammenballung der Truppe bei größerer Tiefe weiter verstärkte: die Angriffskolonne. Zu dieser wurden die Bataillone in vier Linien zu je drei Gliedern etwa fünfzig Rotten breit aufgestellt. Diese Form verband die Vorteile der breiten Aufstellung – den gleichzeitigen Einsatz möglichst vieler Gewehre – mit Stoßkraft durch die Tiefengliederung. Da in der Kolonne jedoch die Mehrzahl der Soldaten nicht zum Schuss kam, war sie im Hinblick auf die Feuerwirkung der Linie weit unterlegen. Umso bemerkenswerter ist das Gewicht, das man trotz dieser Tatsache dem psychologischen Element beimaß.
Napoleon stellte große Kolonnen bis zur Infanteriemasse einer Division zusammen und eroberte mit dieser taktischen Grundform Europa.
Für die Artillerie hatte die neue Taktik einschneidende Folgen: Ihre Verzettlung in Form von Regimentsstücken in den Lücken zwischen den Verbänden hörte auf, ihre Beweglichkeit wurde dadurch erhöht, dass man einen Teil beritten machte. Zur gleichen Zeit wurden die Geschütze in Batterien gegliedert und mehr und mehr zwischen den Kolonnen zu wechselnden Schwerpunkteinsätze zusammengefasst. Damit wurde der artilleristische Einsatz zu einer selbstständigen Gefechtshandlung, die eingesetzte Artilleriemasse zum taktischen Verband.
Die Reiterei behielt während dieser Zeit des Umbruches ihre vorherige Aufgabe. Berittene Infanterie waren die Dragoner, auch in einigen Heeren als Karabiniers bezeichnet, die das Pferd nur für die Fortbewegung nutzten und zum Gefecht absaßen. Der Auftrag und Gliederung wurde jedoch je nach Land immer mehr in die der Kavallerie gedrängt.
Siehe auch: Koalitionskriege
Im 19. Jahrhundert unterschieden verschiedene Armeen ihre infanteristischen Soldaten in etwa folgende Truppenteile:
Preußen: Musketiere, Grenadiere, Füsiliere der Linieninfanterie sowie Jäger und Schützen der leichten Infanterie
Österreich: Linieninfanterie sowie k.u.k. Feldjäger (mit den Tiroler Kaiserjäger und Windbüchsenjäger) sowie Grenzer (die eine Mischung aus Linieninfanterie und Jäger waren)
Frankreich: Linieninfanterie sowie als leichte Infanterie Chausseur a pied und Tirailleurs sowie für den Kolonialkrieg Fremdenlegion sowie Zuaven- und Turkoregimenter
Russland: Garde- und Linieninfanterie sowie Schützen
Italien: Linieninfanterie und Grenadiere sowie Bersaglieri (Schützen) und Alpini (Gebirgsjäger)
Hinterlader
Mit Erfindung des Hinterladers durch Johann Dreyse 1839 konnte das Gewehr aus der Deckung heraus im Liegen geladen werden (was den damals noch verbreiteten Angriffsdoktrinen aus der napoleonischen Epoche entgegenstand, im Liegen zu schießen galt als unehrenhaft). Infanteristen, die noch mit Vorderladern ausgerüstet waren, mussten diese ohnehin im Stehen laden. Eine weitere Verbesserungen, das Patronenmagazin (Spencer-Carbine) der amerikanischen Nordstaaten 1864, wurde in Europa wenig beachtet. Jedoch war bereits 1866 die preußische Armee im Deutschen Krieg (auch Deutsch-Österreichischer Krieg) mit einem Hinterlader als Dreyse-Zündnadelgewehr ausgerüstet, im Gegensatz zu den Österreichern. Bei der Weiterentwicklung von Hinterladern wurde in Europa v. a. mit dem Gendarmerie-Gewehr des Wieners Fruhwirth (1872) und der Abdichtung der Kammer (Chassepotgewehr 1866) die Schussleistung eines Gewehres erheblich erhöht. Die Dreyse-Zündnadelgewehre konnten wirksam bis auf 300 Schritt (= 225 Meter) schießen, die französischen Chassepotgewehre bis zu 1600 Metern.
Siehe auch: Sezessionskrieg, Scharfschützen
Krimkrieg
Der Krimkrieg war der erste, insbesondere im technischen Sinn moderne Krieg der Weltgeschichte. Zum ersten Mal wurden auf britischer Seite Infanterieeinheiten eingesetzt, die durchgehend mit gezogenen Gewehren ausgerüstet waren (Enfield Rifled Musket im Kaliber .577 inch (14,65 mm), eingeführt 1853, wirksame Reichweite ca. 800 Meter). Auf russischer Seite hingegen wurden noch glattläufige Musketen eingesetzt (wirksame Reichweite ca. 200 Meter). Der Erfolg des britischen Enfield-Gewehrs führte dazu, dass Preußen seine gesamte Infanterie nunmehr durchgehend mit gezogenen Gewehren ausrüstete. Der Krimkrieg war zugleich der historisch erste Graben- und Stellungskrieg. Weiterhin stellte der Krimkrieg mit der Schlacht von Balaklawa den Einsatz der klassischen Kavallerie-Attacke in Frage, da diese den modernen, schneller feuernden Infanteriewaffen gegenüber auf verlorenem Posten stand.
Siehe auch: Grabenkrieg, Stellungskrieg
Schlacht von Königgrätz
In der Schlacht bei Königgrätz am 3. Juli 1866 trafen im Deutschen Krieg um die Vorherrschaft im Deutschen Bund die Truppen Preußens auf die Armee der Österreicher.
Militärhistorisch ist der Einsatz neuer Waffensysteme bemerkenswert. Die Preußen verfügten über das Zündnadelgewehr, ein modernes Gewehr mit Zylinderverschluss (Einzellader, kein Repetiergewehr) und Papier-Einheitspatrone. Weiterhin spielte der Telegraph eine entscheidende Rolle.
Die Bedeutung der Schlacht bei Königgrätz ist sowohl im allgemeinen politischen Zusammenhang als auch als Markstein der militärstrategischen Entwicklung in Europa zu sehen. Mit Königgrätz beginnt das Zeitalter der großen Manöver von Massenheeren, die im Unterschied etwa zur napoleonischen Epoche reine Feuergefechte führen – das Bajonett als kampfentscheidende, weil in der konkreten Gefechtssituation Mann gegen Mann einzusetzende, Waffe wird durch die ansatzweise Automatisierung der Handfeuerwaffen endgültig historisch. Zugleich wird hier jedoch die Auftragstaktik, jene auf Friedrich II. und Napoleon gleichermaßen zurückgehende Weiterentwicklung der ursprünglich durch die Lineartaktik bedingten engen Bindung auch der mittleren Truppenoffiziere an die strikten operativen Vorgaben der Armeebefehlshaber zu selbständiger, eigenverantwortlicher und den jeweiligen Geländeverhältnissen flexibel anzupassender Truppenführung erstmals in großem Stil zur Anwendung gebracht. Nun können bereits Kompaniechefs – also Offiziere im Hauptmanns- oder auch Leutnantsrang – im Zweifelsfall nach eigenem Ermessen Entscheidungen treffen, ohne eine Abstrafung durch vorgesetzte Kommandos wegen Ungehorsams befürchten zu müssen.
Schlacht von Plewna
Eine bedeutende Veränderung im militärischen Denken der europäischen Mächte brachte die bis heute in Deutschland fast unbekannte Schlacht von Plewna 1877. Türkische Verteidiger kämpften gegen angreifende Russen. Dabei hatten die türkischen Soldaten gleich zwei Gewehre: ein Peabody-Gewehr im Kaliber .45 (Einzellader) und ein Unterhebel-Repetiergewehr Winchester M 1866 im Kaliber .44. Auf Entfernungen von mehr als 200 Metern verwendeten die Türken die Peabody-Gewehre, näherten sich die Russen jedoch auf weniger als 200 Meter, so legten die Türken das Peabody weg und nahmen das Winchester-Gewehr, mit dem sie die Russen mit einem ununterbrochenen Feuer belegten. Der Krieg ging schließlich für die Türken verloren, die Schlacht von Plewna jedoch hatte gezeigt, dass Feuerkraft eine Schlacht entscheiden kann, denn die Russen hatten teilweise bis zu 60 % Verluste zu beklagen. Das Deutsche Reich bekam erst 1886 das erste Repetiergewehr mit dem M71/84, die Schweiz war mit der Annahme des Vetterligewehrs bereits 1869 allen europäischen Staaten darin vorausgegangen.
Infanteristische Stärke im Vergleich
Meyers Konversationslexikon (Bd. 8, S. 944) bringt 1888 die Zahlen europäischer Infanterie-Stärken:
20. Jahrhundert
Auch am Beginn des 20. Jahrhunderts war die Infanterie die Hauptwaffe des Kampfes. So ist unter anderem im Reglement für die deutsche Infanterie von 1906, das noch während des gesamten Ersten Weltkriegs Gültigkeit hatte, der damalige Stellenwert dieser Truppengattung wieder zu finden: „Die Infanterie ist die Hauptwaffe. Im Verbund mit der Artillerie kämpft sie durch ihr Feuer den Gegner nieder. Sie allein bricht seinen letzten Widerstand. Sie trägt die Hauptlast des Kampfes und bringt die größten Opfer. Dafür winkt ihr auch der höchste Ruhm.“
Unterschieden wurde die Infanterie in Deutschland in Musketiere und Füsiliere der Linien-Infanterieregimenter, Jäger der selbständigen Korps-Jägerbataillone, sowie vormals im weiteren Sinne auch in Dragoner, als ursprüngliche berittene Infanterie sowie die während des Ersten Weltkriegs zum Einsatz kommende abgesessen kämpfende Kavallerie der bataillonsstarken Kavallerie-Schützenregimenter. Als Grenadiere wurden vor 1900 die Soldaten bezeichnet, die in den Grenadierkompanien mit Handgranaten als Kampfmittel ausgestattet waren. Dieses Kampfmittel wurde während des Krieges durch alle Infanteristen zum Einsatz gebracht. Der Angriff der Infanterie wird bis heute im Stoßtrupp durchgeführt, wie bereits durch die Sturmbataillone im Ersten Weltkrieg, der durch Deckungsfeuer sowie gedeckte Bereitstellung mit überraschendem Einbruch gekennzeichnet ist.
Hauptbewaffnung der Infanterie waren schon seit Ende des 19. Jahrhunderts bis in den Zweiten Weltkrieg Repetiergewehre, so bei der British Army das Lee-Enfield und in den Deutschen Heeren das Gewehr Mauser Modell 98.
Alle Armeen bestanden noch bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs vorwiegend aus Infanterie. Deren Bedeutung sank jedoch durch Panzer und Flugzeuge, da sie mit den Geländegewinnen der Panzer im Bewegungsgefecht nicht Schritt halten konnte.
Im Heer (Wehrmacht) wurde zur Unterstützung der Panzertruppe und für das Gefecht der verbundenen Kräfte die Truppengattung der Panzergrenadiere aufgestellt. Dabei handelte es sich um motorisierte oder mit Halbkettenfahrzeugen, deutsch Schützenpanzerwagen auch SPW, gepanzerte mechanisierte Infanterie. Durch die Ausstattung mit Schützenpanzerwagen konnte Infanterie auch während eines laufenden Gefechts aufgesessen vom Fahrzeug und aus der Bewegung kämpfen. Jedoch war durch die mangelnde Rüstung nur je eines der Panzergrenadierregimenter der Panzerdivisionen, häufig auch nur eines der Bataillone mit Halbkettenfahrzeugen, die anderen als Motorisierte Infanterie mit LKW ausgerüstet, und mussten zum Kampf absitzen. Die Panzergrenadiere der Panzergrenadierdivisionen waren nur motorisiert.
Die deutschen Infanterie-Divisionen mit ihren drei Infanterie-Regimentern, die weiterhin die Masse des Heeres der Wehrmacht stellten, waren durch die mangelnde Rüstung im Gegensatz dazu nicht motorisiert, Artillerie und Trosse überwiegend bespannt. Ein Transport erfolgte im Fußmarsch oder über weite Strecken per Eisenbahn.
Nur die wenigsten Divisionen waren daher für einen Bewegungskrieg gerüstet, wie er ab 1939 geführt wurde. Während in Angriffsoperationen die Infanterie den mechanisierten Truppen hinterher hetzte, konnte sie bei Rückzugsoperationen diesen nicht schnell genug folgen und wurde von feindlichen Truppen eingekesselt. Der Untergang der Waffengattung Infanterie während der Operation Bagration 1944 war daher unausweichlich.
Die Jäger-Division verfügten nur über zwei Jägerregimenter und hatten nur eine verringerte Anzahl an Regimentern und eine geringere Anzahl an Artillerie-Abteilungen. Diese waren neben dem allgemeinen Kampfauftrag mit der Verteidigung aus und dem Angriff auf Feldstellungen, meist in offenem Gelände, zum Kampf unter schwierigen, besonders winterlichen Bedingungen befähigt, jedoch nicht wie die Gebirgsjäger zum Kampf im Gebirge. Die Ausrüstung entsprach der einer Infanterie-Division der Wehrmacht.
Infanterie heute
Infanterie wird heute unterschieden in mechanisierte Infanterie wie die mit Schützenpanzern ausgestatteten Panzergrenadiere und die mit Transportpanzern ausgestatteten Grenadiere, die in einigen Heeren auch als Füsiliere, Karabiniers oder Jäger bezeichnet werden. Die US-Army rüstete ihre mobilisierte Infanterie der Stryker Brigade Combat Teams mit dem Stryker Armored Vehicle aus. Soweit die Jägertruppe nur mit LKW oder geschützten Fahrzeugen ausgestattet ist, ist sie Bestandteil der Leichten Infanterie, wie Fallschirmjäger und Gebirgsjäger, und kann wie diese mit Hubschraubern als luftbewegliche Infanterie eingesetzt werden.
Ein Infanteriebataillon gliedert sich entsprechend der deutschen Sturmbataillone in drei 2./ – 4./ Jägerkompanie und eine 5./ schwere Jägerkompanie zur Feuerunterstützung und Panzerabwehr sowie einer 1./ Stabs- und Versorgungskompanie. Das Infanteriebataillon ist nicht oder nur sehr bedingt zum Gegenangriff und zum Auffangen in vorbereiteten Stellungen befähigt, oder zur Verstärkung eigener Kräfte, da Infanterie auf dem Gefechtsfeld zu Fuß kämpft. Bei Feindeinbruch in die eigenen Stellungen tritt die benachbarte Teileinheit oder Einheit zum sofortigen Gegenstoß an und wirft den Feind zurück, unmittelbar nach seinem Angriff mit Einbruch in die eigenen Linien, noch bevor Feind sich selbst zur Verteidigung einrichten kann. Der Infanterieverband unterstellt daher selten eine eigene Kompanie einem anderen Verband, sondern wird mit unterstellten Kräften, meist einer gemischten mechanisierten Kompanie mit Kampfpanzern oder Panzergrenadieren verstärkt. Diese bilden in der Regel die Reserve des Infanteriebataillons.
Die Waffenausstattung einer Infanteriegruppe besteht im Wesentlichen aus Maschinenkarabiner, sekundär für den Nahkampf Selbstladepistole und Handgranaten, Maschinengewehr und Granatpistole. Der Jägerzug verfügt außerdem über Scharfschützengewehre und Kampfmittel wie Richt-Sprengmittel, die es ihm ermöglichen, den Kampf in stark bedecktem bis bedecktem Gelände, auch in durchschnittenem bis stark durchschnittenem Gelände, bis zu einer Kampfentfernung von 600 m zu führen. Zur Panzerabwehr dienen Panzerabwehrhandwaffen.
Infanterie der Bundeswehr
Die Infanterie der Bundeswehr besteht heute aus den Truppengattungen Jäger, Fallschirmjäger, Gebirgsjäger und dem Objektschutz.
Die mechanisierten Panzergrenadiere, die mit Schützenpanzern ausgestattet sind, gehören heute zusammen mit der Panzertruppe zum Truppengattungsverbund der Panzertruppen, und nicht mehr wie früher als schwere Infanterie zur Infanterie.
Bis in die 1990er Jahre diente die Jägertruppe der Bundeswehr vornehmlich zum Schutz rückwärtiger Gebiete in der symmetrischen Gefechtsführung und bestand mit Masse aus Reservisten. Für den aufgeteilten flächendeckenden Einsatz in der asymmetrischen Gefechtsführung wurde jedoch keine neue Truppengattung mehr gebildet, sondern nur eine Gefechtsdoktrin für alle Truppen formuliert. Dabei entstand eine wesentliche Lücke insbesondere beim Einsatz der mechanisierten Kampftruppen, da diese ohne ihre Gefechtsfahrzeuge nicht oder nur bedingt zum Einsatz kommen und ihnen nur behelfsweise eine abweichende Gefechtsweise erteilt wurde.
Aufgrund spezieller Anforderungen hinsichtlich besonderer Hochwertinfrastruktur und Auftrag, stellen sowohl Luftwaffe mit der Luftwaffensicherungstruppe als auch die Marine mit der Marinesicherungstruppe eigene Sicherungskräfte. Diese übernehmen die Sicherung eigener Kräfte der jeweiligen Teilstreitkraft auf und von Flughäfen, Feldflugplätzen und Behelfslandezonen oder von Hafenanlagen und küstennah von Reeden.
Ausbildung und Bewaffnung
Das Gefecht der Infanterie besteht aus Verteidigung und Angriff in und um Feldstellungen, dem Orts- und Häuserkampf und dem Waldkampf sowie dem Jagdkampf in bedecktem und stark bedecktem, teilweise durchschnittenem Gelände. Sie meidet den Kampf in offenem und soweit möglich in teilbedecktem Gelände. Einzelausbildungsthemen sind: Handhabung der Handfeuerwaffen und Feuerkampf in der Verteidigung und im Angriff, Panzerabwehr aller Truppen durch den Panzervernichtungstrupp, Fliegerabwehr aller Truppen (MG auf Fliegerdreibein und PARS 3), ABC-Abwehr aller Truppen, Helfer im Sanitätsdienst (Selbst- und Kameradenhilfe), Funkgerätebediener sowie teilweise waffenloser Nahkampf. Weitere Ausbildungen wie Leben im Feld, Orientieren im Gelände bei Tag und Nacht, Überleben des auf sich gestellten Soldaten und in der auf sich gestellten Gruppe, Pionierdienst aller Truppen mit dem Anlegen von Drahtsperren und Sicherungsminensperren sowie Wasserdienst für das Übersetzen mit Schlauchbooten kommen hinzu.
Waffen und Kampfmittel der modernen Infanterie sind Maschinenkarabiner, Maschinengewehr, Maschinenpistole, Scharfschützengewehr, Panzerfaust, Fliegerfaust, Pistole, Handgranate sowie Nahkampfwaffen wie Feldspaten, Kampfmesser oder (heute selten) Bajonett. Zu den pioniertechnischen Sperrmitteln gehören S-Draht, Bandstacheldraht und Landminen.
Die Infanterieverbände verfügen zusätzlich über schwere Infanteriewaffen wie Granatwerfer / Mörser, Panzerabwehrlenkwaffen und Maschinenkanonen. Nur in Großverbänden häufig dann auch schwere Waffen wie eingegliederter (Feld-)Artillerie, zumeist als selbstfahrende (geschützte) Geschütze, häufig auf Radfahrgestell.
Zur Verbesserung der Durchhaltefähigkeit im Gefecht werden weltweit für die Infanterie neue Verbundsysteme eingeführt. Die Bundeswehr führt seit 2007 das Ausrüstungssystem Infanterist der Zukunft ein, das aus moderner Ausrüstung im Bereich persönliche Schutzausstattung, Fernmeldemittel und Handfeuerwaffen besteht. In Südkorea das XK11, in den USA soll mit dem XM29 eine tragbare Waffe entwickelt werden, die Maschinenkarabiner, Granatwerfer, Zielfernrohr, Laserentfernungsmesser und Kamera miteinander vereinen soll.
Marineinfanterie
Die Marineinfanterie ist eine spezialisierte Truppe für infanteristische Aufgaben in Zusammenarbeit mit Seestreitkräften. Dazu gehören amphibische Operationen wie Seelandungen, aber auch Sicherungsaufgaben an Bord von Kriegsschiffen. Die Marineinfanterie kann ein Teil der Seestreitkräfte sein, in manchen Ländern ist sie auch Teil des Heeres oder gar eine selbstständige Teilstreitkraft.
Marines (von lat. marinus – zum Meer gehörend) ist die englische Bezeichnung für Marineinfanteristen, in Deutschland war früher die Bezeichnung Seesoldat üblich.
Die Unterscheidung zwischen Seeleuten, die ein Kriegsschiff seemännisch einsetzen, und Soldaten, die für den Kampf Mann gegen Mann ausgebildet sind, gibt es schon sehr lange. Bereits die Römische Flotte erzielte ihre Erfolge gegen Karthago, indem sie für den Enterkampf besser ausgebildete Landsoldaten einsetzte. Auf den Segelkriegsschiffen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts gab es meist kleinere Kontingente von Seesoldaten, die einerseits Kampfaufgaben hatten, andererseits auch für die Disziplin der Besatzung zuständig waren. Zu Beginn eines Gefechts verstärkten sie die Geschützbedienungen, später bildeten sie den Kern der Truppe für den Enterkampf. Außerdem wurden sie für Landungsunternehmen eingesetzt. Aus diesen Aufgaben heraus entwickelten sich in verschiedenen Ländern Marineinfanterietruppen mit unterschiedlicher Organisation und Aufgabenstellung. In einigen Ländern entstanden starke Landungstruppen, wie z. B. das United States Marine Corps.
Siehe auch
Marinestoßtruppkompanie
Geschichte der militärischen Taktiken
Militärische Ausrüstung der Infanterie im Ersten Weltkrieg
Liste der Divisionen der Wehrmacht#Infanterie-Divisionen
Liste von Infanteriegewehren
Literatur
Emil von Conrady: Die Ausbildung der Infanterie auf dem Exerzierplatze. Eine reglementarische Studie. Mittler und Sohn, Berlin 1886, (Digitalisat, PDF).
Hans Delbrück: Geschichte der Kriegskunst. Die Neuzeit. Vom Kriegswesen der Renaissance bis zu Napoleon. Nachdruck der ersten Auflage von 1920. Nikol Verlag, Hamburg 2003, ISBN 3-933203-76-7.
Edward Mead Earle (Hrsg.): Makers of Modern Strategy. Military Thought from Machiavelli to Hitler. 3rd printing. Princeton University Press, Princeton NJ 1948.
Cyril Falls: The Art of War. From the Age of Napoleon to the Present Day (= Home University Library of Modern Knowledge. 245, ). Oxford University Press, London u. a. 1961.
Liddell Hart: The Ghost of Napoleon. Faber & Faber, London 1933.
Gustav von Kessel: Die Ausbildung des Preußischen Infanterie-Bataillons im praktischen Dienst. Mittler und Sohn, Berlin 1863, (Digitalisat, PDF).
Viscount Montgomery of Alamein: Kriegsgeschichte. Weltgeschichte der Schlachten und Kriegszüge. Sonderausgabe. Komet, Frechen 1999, ISBN 3-933366-16-X (Originalausgabe: A History of Warfare. 1968).
Michael Roberts: The Military Revolution 1560–1660. M. Boyd, Belfast 1956.
Erwin Rommel: Infanterie greift an. Voggenreiter, Potsdam 1937, .
Reinhard Scholzen: Die Infanterie der Bundeswehr. Motorbuch Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-613-03293-4.
Weblinks
Bundesheer Truppendienst Infanterie – Infanteriekampf heute 3/2003
Bund der deutschen Infanterie
Kameradschaft Hammelburger Lehrbataillon
Österreichs Jägertruppe
Ausführliches Tagebuch der Ausbildung beim infanteristischen Objektschutz der Deutschen Luftwaffe
Auflistung aller deutschen Infanterie-Einheiten zum 1. Weltkrieg bei GenWiki
Einzelnachweise
Truppengattung
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Q29171
| 395.512616 |
1662718
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mazedonien
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Mazedonien
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Mazedonien oder Makedonien (, , , ) steht für:
Republik Mazedonien, von 1991 bis 2019 der offizielle Name von Nordmazedonien
Sozialistische Republik Mazedonien, Teilrepublik Jugoslawiens
Makedonien, geographisch-historisches Gebiet auf der südlichen Balkanhalbinsel
Makedonien (geographische Region) in Griechenland
Makedonien (antikes Königreich)
Makedonien (byzantinisches Thema), mittelalterliches Gebiet um Adrianopel (heute Ostthrakien)
Macedonia steht für:
Macedonia (Provinz), römische Provinz auf der Balkanhalbinsel
Macedonia (Glenrothes), Ort in Schottland
Macedonia (Salomonen), künstliche Insel, die zu den Salomonen gehört
Macedonia (Timiș), Dorf in Rumänien
Orte in den Vereinigten Staaten:
Macedonia (Alabama)
Macedonia (Arkansas)
Macedonia (Connecticut)
Macedonia (Georgia)
Macedonia (Illinois)
Macedonia (Indiana)
Macedonia (Iowa)
Macedonia (Kentucky)
Macedonia (Mississippi)
Macedonia (New Jersey)
Macedonia (North Carolina)
Macedonia (Ohio)
Macedonia (Pennsylvania)
Macedonia (South Carolina)
Macedonia (Tennessee)
Macedonia (Texas)
Macedonia (Virginia)
Weitere Orte in Amerika:
Macedonia (Amazonas), Stadt in Kolumbien
Macedonia (Bolívar), Stadt in Kolumbien
Macedonia (Kuba), Ort auf Kuba
Macedonia (Jamaika), Ort in Jamaika
Sonstiges:
Macédoine, eine französische Salatform, Synonym für Obstsalat in verschiedenen Sprachen
Macedonia (Theaterstück), Theaterstück von Werner Hammerschick
Macedonia ist der Familienname folgender Personen:
Manuela Macedonia (* 1963), italienische Neurowissenschaftlerin
Macedônia steht für:
Macedônia, Gemeinde im Bundesstaat São Paulo, Brasilien
Makedonia steht für:
Flughafen Makedonia, offizieller Name des Flughafens Thessaloniki in Griechenland
Makedonia (Zeitung), griechische Zeitung
Makedonija steht für:
Makedonija (Album), Musikalbum des bulgarischen Musikers Slawi Trifonow
Makedonija (Almanach), ein Almanach über Makedonien (1931)
Makedonija (Zeitung), bulgarische Zeitung (1866–1872)
Makedonija, ein Werk des bulgarischen Dichters Pejo Jaworow
Berghütte Makedonija, Bulgarien
Siehe auch:
Macedonia Township
mazedonisch
Mazedonier
Streit um den Namen Mazedonien
Universität Makedonien in Thessaloniki, Griechenland
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Q39702
| 98.025152 |
6856
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https://de.wikipedia.org/wiki/1405
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1405
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Appenzellerkriege
16./17. Juni: Während der Appenzellerkriege kommt es zum Gefecht bei Rotmonten zwischen der mit Appenzell verbündeten Stadt St. Gallen und dem Haus Habsburg. Nach ein paar kleineren Scharmützeln zieht sich Herzog Friedrich IV. von Tirol zurück, um sich den das Rheintal bedrohenden Appenzellern zuzuwenden.
17. Juni: In der Schlacht am Stoss siegt das Land Appenzell über Herzog Friedrich IV. von Tirol und Fürstabt Kuno von Stoffeln von St. Gallen. Die Appenzeller überschreiten wenig später den Rhein.
15. September: Unter der Führung von St. Gallen und Appenzell wird der Bund ob dem See gegründet. Die Stadt Altstätten sowie die Bauern im Walgau und im Montafon, Bludenz, Rankweil, Lustenau und Feldkirch schließen sich dem Bund an. Sargans, das Widerstand leistet, wird zerstört. Im Süden ziehen die Appenzeller in den nächsten Monaten über das Toggenburg in die Linthebene, im Westen bis in den Thurgau und im Osten über den Arlberg bis nach Tirol.
Weitere Ereignisse im Heiligen Römischen Reich
11. März: Die Stadt Frankfurt kauft die beiden Gebäude Haus zum Römer und Haus zum Goldenen Schwan und macht sie zum Amtssitz der Stadt.
14. September: Im Marbacher Bund vereinen sich Erzbischof und Kurfürst Johann II. von Mainz, Graf Eberhard III. von Württemberg, Markgraf Bernhard I. von Baden und 17 schwäbische Städte, um territorialen Ansprüchen des römisch-deutschen Königs Ruprecht von der Pfalz zu begegnen.
24. September: Prokop von Mähren stirbt, ohne Nachkommen zu hinterlassen. Sein Bruder Jobst, mit dem er sich in den letzten Jahren in permanentem Konflikt befand, folgt ihm als Markgraf von Mähren.
Dezember: König Sigismund von Ungarn aus dem Haus Luxemburg heiratet Barbara von Cilli, Tochter Hermanns II. aus dem Geschlecht der Cillier.
Wales/England
März: Die Schlacht bei Grosmont zwischen einem walisischen Heer unter Owain Glyndŵr und einer englischen Armee unter dem Befehl von Prinz Harry of Monmouth während der Belagerung von Grosmont Castle endet mit einer schweren Niederlage der walisischen Belagerer.
5. Mai: In der Schlacht von Pwll Melyn erleiden die Waliser eine neuerliche vernichtende Niederlage. Owain Glyndŵrs Bruder Tudur fällt in der Schlacht, während sein Sohn Gruffydd und sein Schwager John Hanmer gefangen genommen und in den Tower of London gebracht werden. Die beiden Schlachten bedeuten zusammen mit dem gescheiterten walisischen Vorstoß nach England im August den Wendepunkt in der Rebellion von Owain Glyndŵr.
8. Juni: Richard le Scrope, Erzbischof von York, wird nach der Adelsrebellion der Familie Percy, bei der er eine undurchsichtige Rolle gespielt hat, hingerichtet.
Italien
6. August: Nach Unruhen in Rom muss Papst Innozenz VII. nach Viterbo fliehen.
Asien
Der mongolische Eroberer Timur Lang stirbt auf einem Eroberungsfeldzug gegen das Kaiserreich China der Ming-Dynastie in Otrar bei Tschimkent. Unter seinen Nachfolgern beginnt sein Reich zu zerfallen.
Entdeckungs- und Eroberungsfahrten
Die Kanarische Insel El Hierro wird vom normannischen Abenteurer Jean de Béthencourt im Auftrag Enriques III. von Kastilien erobert.
Der chinesische Admiral Zheng He bricht mit einer Flotte von 62 Schiffen und 27.800 Mann Besatzung zu seiner ersten Reise auf, die ihn nach Vietnam, Java, Malakka, Sri Lanka und an die Südostküste Indiens führen wird.
Wirtschaft
Sächsische Münzgeschichte#Groschenzeit: In der Markgrafschaft Meißen und der Landgrafschaft Thüringen werden unter Markgraf Friedrich dem Streitbaren und Landgraf Balthasar die ersten guthaltigen Helmgroschen geprägt, nachdem der Feinsilbergehalt in den Groschen in den letzten Jahren heimlich reduziert wurde. Die neuen Groschen werden in der Markgrafschaft Meißen in der Münzstätte Freiberg und in der Landgrafschaft Thüringen in der Münzstätte Sangerhausen geprägt.
Die Brauereigaststätte Zum Blauen Löwen in Bamberg wird erstmals urkundlich erwähnt.
Kultur und Gesellschaft
Die französische Adelige Christine de Pizan verfasst das in drei Teile gegliederte Buch Le Livre de la Cité des Dames, eines der ersten feministischen Werke der Literatur. Christine verfasst es, nachdem sie das frauenfeindliche Buch Lamentationes Matheoli des Geistlichen Matthaeus aus Boulogne-sur-Mer gelesen hat.
Ein unbekannter Schriftsteller, der vermutlich aus kirchlichen Kreisen stammt, beginnt mit dem Verfassen des Journal d’un bourgeois de Paris.
Religion
Katastrophen
28. April: Bei einem Stadtbrand werden 52 Häuser in der Junkerngasse in Bern zerstört. Am 14. Mai kommt es zu einer weiteren Feuersbrunst, bei der ein Großteil der Berner Altstadt zerstört wird. Rund 600 Häuser brennen ab, mehr als hundert Menschen kommen ums Leben.
Geboren
Geburtsdatum gesichert
6. März: Johann II., König von Kastilien und León († 1454)
6. Mai: Gjergj Kastrioti, genannt Skanderbeg, Fürst des albanischen Fürstentums Kastrioti und albanischer Nationalheld († 1468)
18. Oktober: Enea Silvio Piccolomini, unter dem Namen Pius II. Papst († 1464)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Günther von Bartensleben, Schlossherr auf der Wolfsburg († 1453)
Georges Chastellain, flandrischer Dichter und Chronist mittelfranzösischer Sprache († 1475)
Sophie Holszańska, litauische Prinzessin ruthenischer Herkunft († 1461)
Stjepan Vukčić Kosača, herzegowinisch-bosnischer Fürst († 1466)
Gilles de Rais, französischer Adeliger und Serienmörder, Vorbild für Ritter Blaubart († 1440)
Robertus Valturius, italienischer Schriftsteller († 1475)
Komparu Zenchiku, japanischer Schriftsteller und Nō-Schauspieler († um 1470)
Geboren um 1405
Bernhard von Büderich, deutscher Ordensbruder und Rektor († 1457)
Cäcilie von Brandenburg, Herzogin von Braunschweig-Wolfenbüttel († 1449)
Thomas Malory, englischer Autor oder Herausgeber von Le Morte d’Arthur († 1471)
William Neville, englischer Adeliger und Politiker († 1463)
Richard Woodville, englischer Adeliger († 1469)
Gestorben
Todesdatum gesichert
10. Januar: Eleanor Maltravers, englische Adelige (* um 1346)
19. Februar: Timur Lenk, mongolischer Eroberer (* 1336)
16. März: Margarete III., Gräfin von Flandern, Artois, Nevers, Rethel und der Freigrafschaft Burgund, Herzogin von Burgund (* 1350)
26. März: Antonia Visconti, Gräfin von Württemberg (* nach 1350)
28. April: Johann Brand, Bremer Ratsherr und Bürgermeister (* um 1340)
2. Mai: Philippe de Mézières, französischer Soldat, Diplomat und Schriftsteller (* um 1327)
14. Mai: Eckard von Dersch, Bischof von Worms (* um 1324)
8. Juni: Thomas Mowbray, englischer Magnat (* 1385)
8. Juni: Richard le Scrope, englischer Kirchenfürst (* 1350)
26. Juli: Antonio Arcioni, italienischer Bischof und Kardinal
22. September: Barnim VI., Herzog zu Wolgast-Demmin und Greifswald (* um 1365)
24. September: Prokop, Markgraf von Mähren (* um 1355)
11. November: Milica Hrebeljanović, Regentin von Serbien (* um 1335)
Genaues Todesdatum unbekannt
November: Kamal ad-Din Muhammad ibn Musa ad-Damiri, arabischer Naturhistoriker und Rechtsgelehrter (* 1344/1349)
Jefimija, serbische Nonne und Lyrikerin (* 1349)
Berthold Kerkring, Lübecker Ratsherr
Marie de Coucy, französische Adelige (* 1366)
Ala ad-Din at-Tabrizi, Schachspieler aus dem mittleren Osten (* 1369)
Weblinks
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Q6124
| 86.553552 |
76414
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https://de.wikipedia.org/wiki/Stromnetz
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Stromnetz
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Der umgangssprachliche Begriff Stromnetz bezeichnet in der elektrischen Energietechnik ein Netzwerk zur Übertragung (Übertragungsnetz) und Verteilung (Verteilnetz) elektrischer Energie. Es besteht aus elektrischen Leitungen wie Freileitungen und Erdkabeln sowie den dazugehörigen Einrichtungen wie Schalt- und Umspannwerken.
Große, räumlich benachbarte und elektrisch verbundene Stromnetze werden als Verbundnetz bezeichnet, kleine, räumlich getrennte Stromnetze als Inselnetze. Elektrische Netze in Fahr- und Flugzeugen heißen Bordnetze. Eine historische Bezeichnung für das Stromnetz ist Lichtnetz, weil elektrische Energie anfänglich fast nur zur Beleuchtung mit Glühlampen diente.
Aufgaben
Stromnetze dienen der Versorgung der Verbraucher mit elektrischer Energie und verbinden die Kraftwerke und andere Energie-Umwandler zum Beispiel Windenergie- und Photovoltaikanlagen. Dies geschieht auf unterschiedlichen Spannungsebenen, um die Netzverluste (Übertragungsverlust) zu verringern. Durch Anheben der Spannung sinkt der erforderliche Querschnitt der Stromleitungen und der Aufwand für die Leistungsschalteinrichtungen, andererseits steigt der Aufwand und die Kosten für die Isolierung und Trennung das heißt der Schutz vor Überschlag und Kriechströmen. Das Stromversorgungsnetz wird mit Dreiphasenwechselstrom betrieben und umfasst üblicherweise vier Spannungsebenen, um einerseits weite Entfernungen zu überwinden und andererseits anwenderfreundliche Spannungen anzubieten. Die Netzfrequenz beträgt in Europa 50 Hertz (Hz), in Nordamerika 60 Hz. Hierdurch werden Umspann-Transformatoren möglich, gleichzeitig sind diese Frequenzen gut in rotierenden elektrischen Maschinen zu erzeugen und zu nutzen. Hierfür dient auch das dreiphasige Drehstromnetz, welches für einen Teil der Endverbraucher und einen Großteil der Elektrogeräte in Einphasenwechselstrom („Haushaltsstrom“) aufgeteilt werden kann.
Das Bahnstromnetz verschiedener Länder wird mit Einphasenwechselstrom bei einer Frequenz von 16,7 Hz betrieben. Der Grund ist, dass Elektroantriebe für Lokomotiven Reihenschlussmotoren waren und oft auch noch sind. Die Funkenbildung an deren Kommutator kann nur dadurch begrenzt werden, dass der Betrieb bei niedriger Frequenz erfolgt.
Freileitungsnetze zur Verteilung von Elektroenergie werden auch zur Nachrichtenübertragung eingesetzt, früher mittels Trägerfrequenzverfahren auf den Leiterseilen, über die Erdseile oder über mitverlegte Nachrichtenkabel (meist Glasfaserkabel). Die Nachrichtenübertragung wird von den Energieversorgern selbst verwendet oder auch anderen Nutzern angeboten.
Technik
Spannungsebenen
Stromnetze werden nach der Betriebsspannung eingeteilt, bei der sie elektrische Energie übertragen. Hinsichtlich der Netznutzungsentgelte existiert in einigen Ländern eine Einteilung nach der Netzebene, aus der Strom entnommen wird.
Höchstspannung: In Westeuropa in der Regel 220 kV oder 380 kV. In Kanada und in den USA werden 735 kV und 765 kV verwendet. In Russland existiert ein ausgedehntes 750-kV-Netz, von dem einzelne Leitungen auch nach Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien führen. Eine 1150-kV-Leitung führt vom Kraftwerk Ekibastus (Kasachstan) zur Stadt Elektrostal (Russland). Sie wird heute jedoch nur noch mit 500 kV betrieben.
Hochspannung: 60 kV bis 150 kV. In Deutschland und Österreich wird fast durchgängig 110 kV verwendet. Daneben existieren noch in Schleswig-Holstein, bei Winsen (Aller), in der Nähe von Landesbergen, bei Philippsthal und im alten Netz der Städtischen Werke Kassel Leitungen mit 60 kV Betriebsspannung. Im Saarland wird ein Netz an 65-kV-Leitungen betrieben. In der Schweiz existiert kein einheitlicher Wert im Hochspannungsnetz.
Mittelspannung: 1 kV bis 35 kV. Für Netze mit hohem Freileitungsanteil, ausgedehnten ländlichen Regionen und bei neuen Installationen sind 20 kV bis 25 kV üblich. In städtischen Regionen, wo teilweise noch ältere Erdkabel in Papier-Blei-Ausführung mit Aluminium oder als Massekabel ausgeführt sind, wird eine niedrigere Mittelspannung mit 10 kV eingesetzt.
Niederspannung: 230 V/400 V. In der Industrie sind auch andere Niederspannungen üblich, zum Beispiel 500 V oder 690 V.
Die Höchst-, Hoch- und Niederspannungen sind für Westeuropa weitgehend standardisiert. Bei der Mittelspannung kann eine nachträgliche Anpassung an Standardspannungen zu aufwändig sein, da man sehr viele alte Erdkabel uneinheitlicher Maximalbetriebsspannung austauschen müsste. Der Großteil der Investitionskosten fällt in der Mittel- und Niederspannungsebene an, in der etwa 70 % der gesamten Stromnetzkosten gebunden sind. Auf die Hochspannungsebene (110 kV) entfallen etwa 20 %, auf die Höchstspannungsebene (220/380 kV) 10 %.
Funktion der einzelnen Netze
Das Übertragungsnetz bedient sich der Drehstrom-Hochspannungs-Übertragung (DHÜ, engl. HVAC). Es verteilt die von Kraftwerken erzeugte und ins Netz eingespeiste Energie landesweit an Leistungstransformatoren, die nahe an den Verbrauchsschwerpunkten liegen. Auch ist es über sogenannte Kuppelleitungen an das internationale Verbundnetz angeschlossen.
Das in Europa üblicherweise mit 110 kV betriebene Verteilnetz sorgt für die Grobverteilung elektrischer Energie. Leitungen führen hier in verschiedene Regionen, Ballungszentren zu deren Umspannwerken oder große Industriebetriebe. Abgedeckt wird ein Leistungsbedarf von 10 bis 100 MW.
Das Mittelspannungsnetz verteilt die elektrische Energie an die regional verteilten Transformatorenstationen oder größere Einrichtungen wie zum Beispiel Krankenhäuser oder Fabriken. Stadtwerke, die ebenfalls kleinere Kraftwerke oft auch mit Kraft-Wärme-Kopplung betreiben, speisen ihren Strom in das Mittelspannungsnetz.
Die Niederspannungsnetze sind für die Feinverteilung zuständig. Die Niederspannung wird in Europa auf die üblichen 230 V/400 V transformiert und damit werden private Haushalte, kleinere Industriebetriebe, Gewerbe und Verwaltungen versorgt. Diese Leitungen werden auch als die letzte Meile bezeichnet. Kleine – etwa private – Photovoltaikanlagen speisen Überschussleistung auf dieser Niederspannungsebene ein.
Spannungsregelung
Die Verteiltransformatoren im Mittelspannungsnetz haben im Allgemeinen ein festes Übersetzungsverhältnis. Um trotz der im Laufe eines Tages auftretenden großen Lastschwankungen die Netzspannung beim Verbraucher in etwa konstant halten zu können, kann das Übersetzungsverhältnis der Leistungstransformatoren zwischen Hoch- und Mittelspannungsnetz (z. B. 110 kV/20 kV) in Grenzen variiert werden. Dazu werden von der Primärwicklung mehrere Anzapfungen nach außen geführt. Ein extra dafür gebauter Schalter, ein sogenannter Stufenschalter, erlaubt das Umschalten zwischen den Anzapfungen, ohne den Transformator dazu abschalten zu müssen. Dieser Vorgang wird Spannungsregelung genannt. Für die einwandfreie Funktion vieler Geräte muss die Netzspannung innerhalb enger Grenzen gehalten werden. Zu hohe oder zu niedrige Spannungen können durch Störungen verursacht werden.
Gleichstromtrassen
Daneben gibt es auch Leitungen mit hochgespanntem Gleichstrom für Übertragung über weite Strecken, insbesondere Seekabel in Form der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung (HGÜ).
Verbindung der Stromnetze untereinander
Die Verbindung von Stromnetzen mit unterschiedlichen Spannungsebenen erfolgt über Transformatoren, die in Umspannwerken installiert sind. Der Stromfluss durch die Netze und zu Netzen mit gleicher Spannungsebene erfolgt über Schaltanlagen. Stromnetze mit unterschiedlicher Frequenz oder Phasenzahl oder Stromnetze, die nicht miteinander synchronisiert sind, können über HGÜ-Anlagen oder Motor-/Generator-Kombinationen miteinander gekoppelt werden.
Verbundnetz
In einem Verbundnetz werden mehrere Kraftwerke und Abnehmerzentren zusammengefasst, da so der lokale Unterschied zwischen Angebot und Nachfrage von Momentanleistung innerhalb des Netzes besser ausgeglichen werden kann. Verbundnetze stellen somit den Gegenpol zu Inselnetzen dar.
Durch ein Verbundnetz ergeben sich folgende Vorteile:
das Energiesystem wird stabiler, da so Über- und Unterkapazitäten abgefangen werden bzw. sich ausgleichen können,
durch Leistungsaustausch können Lastschwankungen kurzfristig besser ausgeregelt werden als nur durch Regelung der Kraftwerke, und
die Betriebszuverlässigkeit des Netzes wird gesteigert.
Innerhalb eines Verbundsystems müssen alle Erzeuger synchron arbeiten. Dreiphasenwechselstrom führt zu höheren Übertragungsverlusten in den Kabeln, so dass er zum Beispiel bei Seekabeln von über 30 km Länge nicht verwendet wird. In Mittel- und Westeuropa wird auf dem Gebiet der Union for the Co-ordination of Transmission of Electricity (UCTE) ein europäisches Verbundsystem betrieben; die organisatorischen Belange wurden im Jahr 2009 durch die ENTSO-E übernommen.
Einspeisenetz
Ein Einspeisenetz ist ein speziell für die Aufnahme und Weiterleitung von Strom aus erneuerbaren Energien ausgelegtes Stromnetz, welches mit dem Versorgungsnetz, häufig auch mit dem Übertragungsnetz verbunden ist und nicht durch den Netzbetreiber, sondern durch den Betreiber der Energieanlagen errichtet und betrieben wird. In der deutschen Regelzone 50hertz sind zwei Umspannwerke als Pilotprojekte ausgewiesen. Im Umspannwerk Altentreptow-Nord und Wessin wird nur Windenergie in das Übertragungsnetz eingespeist. Im Unterschied zum öffentlichen Versorgungsnetz sind Einspeisenetze weniger redundant und für geringere Volllaststunden ausgelegt und somit schnell und kostengünstig zu errichten. Einspeisenetze dienen insbesondere der Verbesserung der Systemintegration der erneuerbaren Energien im Strombereich. Ein Beispiel ist das Einspeisenetz von Enertrag in der Uckermark.
Verteilung
Die elektrische Energie kann in diesen Mengen nur drahtgebunden über Hochspannungsleitungen – Freileitungen und Erdkabel – übertragen werden. Beide Systeme haben Vor- und Nachteile.
Für den Einsatz von Freileitungen sprechen die geringeren Kosten sowie leichtere Lokalisierbarkeit und Behebbarkeit von Fehlern. Freileitungen sind Umwelteinflüssen (z. B. Stürmen) ausgesetzt, können das Landschaftsbild beeinträchtigen und können in seltenen Fällen Menschen, Tiere und Sachgüter gefährden.
Es gibt verschiedene Typen von Freileitungsmasten. Zu speziellen Problemen im Leitungsbau bei der Überquerung von Hindernissen siehe Freileitungskreuzungen.
Erdkabel haben einen geringeren Platzbedarf, sind vor Umwelteinflüssen besser geschützt und bei der Bevölkerung akzeptierter. Ihr Bau ist aber deutlich teurer; der Wartungsaufwand bei Defekten ist hoch und es gibt technische Probleme, wenn unterirdische Hochspannungsleitungen gewisse Kabellängen überschreiten. Beispielsweise ist die Wärmeabfuhr bei Freileitungen durch die umgebende Luft gewährleistet, bei Erdkabeln nicht. Weitere Probleme entstehen durch die enorme Blindleistung, die wiederum durch die hohe Kapazität des Kabels bedingt ist.
Das deutsche Stromnetz ist etwa 1,8 Millionen Kilometer lang (Stand 2014). Die Netzkilometer verteilen sich wie folgt auf die verschiedenen Netzspannungen:
1.156.800 km Niederspannungsebene
509.900 km Mittelspannung
96.300 km Hochspannungsebene
35.000 km Höchstspannungsnetze
Im Jahr 2003 waren etwa 71 % unterirdisch verlegt. Ein Vergleich zu dem Wert für 1993 – etwa 64 % – zeigt die Tendenz, infolge des Leitungsausbaus im Bereich der Niederspannungsnetze und teilweise Mittelspannung, die unterirdische Stromverteilung auszubauen. Im Hoch- und insbesondere Höchstspannungsbereich spielen die unterirdisch verlegten Erdkabelsysteme bezüglich Längenanteil kaum eine Rolle.
Das Stromnetz muss fortlaufend an den Ausbau erneuerbarer Energien und die sich dadurch ändernde regionale Verteilung von Energieanlagen angepasst werden. In Zusammenhang mit Verzögerungen im Netzausbau führt das zu Netzbelastungen, zu deren Behebung die Netzbetreiber stabilisierend eingreifen müssen. Das betrifft das Übertragungsnetz und in geringerem Maß auch das Verteilnetz. Die dazu notwendigen Redispatch- und Einspeisemanagement-Maßnahmen kosteten im Jahr 2017 etwa 1,4 Milliarden Euro (2016 rund 880 Millionen Euro, 2015 rund 1,1 Milliarden Euro). Diese Kosten sind Teil der Netzentgelte.
Netztopologien
Stromnetze können in ihrer Struktur verschiedenartig aufgebaut sein. Die Topologie richtet sich nach verschiedenen Kriterien wie der Spannungsebene, räumlichen Randbedingungen, Installations- und Betriebskosten oder der Versorgungssicherheit. Ein einem konkreten Netz können die verschiedenen Topologien auch gemischt in verschiedenen Regionen vorkommen. Die wichtigsten Netzformen sind:
Strahlennetz
Das Netz wird von einer zentralen Speisestelle aus versorgt, die einzelnen Leitungen, als Stichleitung bezeichnet, laufen strahlenförmig zu den einzelnen Verbrauchsstellen. In dieser Topologie sind oft Niederspannungsnetze gestaltet. Der Vorteil besteht in geringem Planungsaufwand, einfacher Fehlersuche und geringen Anforderungen an den Netzschutz. Nachteilig ist eine geringe Versorgungssicherheit, da bei Ausfall einer Stichleitung alle daran angeschlossenen Verbraucher einen Stromausfall erleiden.
Ringnetz
Ringnetze werden von einer oder mehreren Stellen aus gespeist, die Versorgung der einzelnen Verbraucher erfolgt in Form einer Ringleitung: Ein Verbraucher kann also von zwei Seiten über den Ring versorgt werden. Bei einem technischen Defekt kann der Ring um die Fehlerstelle herum geöffnet werden, womit die Verbraucher abseits der Fehlerstelle weiter versorgt werden können. Der Vorteil ist eine erhöhte Versorgungssicherheit, der Nachteil die höhere Qualifikation des Wartungspersonals, da das Freischalten eines Netzabschnittes im Ring das Betätigen mehrerer Schaltstellen bedingt. Eine Sonderform, mit erhöhter Ausfallsicherheit, stellt ein doppeltes Ringnetz dar, bei dem zwei Ringnetze räumlich parallel ausgeführt werden: Jeder Verbraucher kann dann wahlweise von einem der beiden Ringnetze versorgt werden. Anwendung finden Ringnetze bei größeren Niederspannungsnetzen, insbesondere in städtischen Bereichen, in Mittelspannungsnetzen und auf der 110-kV-Verteilnetzebene, wo üblicherweise doppelte Ringleitungen mehrere untergeordnete Umspannwerke versorgen.
Maschennetz
Maschennetze stellen verallgemeinerte Ringnetze dar, werden üblicherweise an mehreren Punkten gespeist und die Verbraucher verteilen sich in einem Netz, welches über mehrere Knoten und Zweige verfügt. Die Speisung einzelner Verbrauchspunkte erfolgt üblicherweise über zwei oder mehr Leitungen, die konkrete Form richtet sich primär nach den Leistungsanforderungen und räumlichen Bedingungen. Ein Maschennetz bietet bei entsprechender Auslegung die höchste Versorgungssicherheit, erfordert aber einen deutlichen komplexeren Netzschutz. Auch müssen Methoden zur Steuerung der einzelnen Leistungsflüsse auf einzelnen Zweigen, den Verbindungsleitungen innerhalb des Netzwerkes, bestehen, da jede Leitung nur eine beschränkte Transportleistung aufweist. Anwendung finden Maschennetze unter anderem in den Übertragungsnetzen mit Hoch- und Höchstspannung, wie der 380-kV-Ebene. Verbundnetze sind im Regelfall eine räumliche Kombination mehrerer Maschennetze.
Netzzustände
Im Rahmen des Netzbetriebs wird zwischen verschiedenen Netzzuständen unterschieden, welche Auskunft darüber geben, ob das Versorgungsnetz seiner Aufgabe zur elektrischen Energieverteilung nachkommen kann. In den Regeln zum Netzbetrieb von Übertragungsnetzen wird zwischen vier verschiedenen Netzzuständen unterschieden, welche im Falle von Störungen von oben nach unten durchlaufen werden:
Der sichere Netzzustand ist der erwünschte Normalfall und dadurch gekennzeichnet, dass die zulässigen elektrischen Grenzwerte eingehalten werden, das N-1-Kriterium im gesamten Netz erfüllt ist, ausreichend Regelleistung zur Verfügung steht, um Lastschwankungen ausgleichen zu können, und alle Verbraucher versorgt werden können.
Der gefährdete Netzzustand bedeutet, dass zwar alle Verbraucher versorgt werden können, aber weitere Kriterien wie Einhaltung des N-1-Kriteriums oder die Verfügbarkeit von ausreichend Regelleistung nicht sichergestellt ist.
Der gestörte Netzzustand ist zusätzlich dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr alle Verbraucher versorgt werden können. Es kommt zu regionalen Stromausfällen.
Der kritische Netzzustand ist dadurch gekennzeichnet, dass ein hohes Eintrittsrisiko für weitreichende Stromausfälle besteht und unmittelbare Handlungen wie beispielsweise das Trennen des Verbundnetzes in einzelne Teilnetze nötig sind.
Netzbetreiber
Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB)
Im Bereich der Höchstspannungsnetze sind die Netze der einzelnen Übertragungsnetzbetreiber über Hochspannungsleitungen zum nationalen Verbundnetz zusammengeschlossen.
Deutschland
In Deutschland sind vier Netzbetreiber (TSO, Transmission System Operator) tätig; sie haben sich zum deutschen Netzregelverbund zusammengeschlossen: Amprion, TransnetBW, Tennet TSO und 50Hertz Transmission.
Schweiz
Das Schweizer Stromnetz ist von großer Bedeutung für den westeuropäischen Stromhandel; es dient traditionell als Drehscheibe für den Ausgleich von Spitzenbedarf und Spitzenproduktion der großen kontinentaleuropäischen Länder. Das Netz im engeren Sinne wurde 2009 aus den einzelnen Energieversorgungsunternehmen (EVU) in sogenannte Grid-Gesellschaften ausgegliedert und wurde in den landesweiten Transportnetzbetreiber (TSO) Swissgrid überführt.
Österreich
In Österreich wird das nationale Übertragungsnetz von der Austrian Power Grid (APG) betrieben.
Europäische Zusammenarbeit
Am 16. April 1958 wurden beim schweizerischen Laufenburg am Rhein unter der Kontrolle von EGL erstmals die Stromnetze Deutschlands, Frankreichs und der Schweiz zusammengeschaltet.
2007 haben sich die europäischen Übertragungsnetzbetreiber, die für den Betrieb des Höchstspannungs-Verbundnetzes zuständig sind, im Verband ENTSO-E formiert; davor gab es sechs alte Verbände („ETSO“). Sie reagierten damit auf das dritte Energie-Binnenmarktpaket der Europäischen Kommission; dieses wurde 2009 verabschiedet. ENTSO-E vertritt auch die Netzbetreiber gegenüber der Kommission.
Verteilnetzbetreiber (VNB)
Neben den Übertragungsnetzbetreibern gibt es eine Vielzahl Verteilnetze. In Deutschland gibt es etwa 900 kleinere Verteilnetzbetreiber, die Strom zu den Endverbrauchern liefern.
Die Netzbetreiber erhalten Netznutzungsentgelte für die Dienstleistung „Durchleiten von Strom vom Stromproduzenten zum Verbraucher“. Preise für diese Dienstleistung setzt in Deutschland die Bundesnetzagentur fest.
Stromnetze der Eisenbahnen
Ein weiteres Energieversorgungsnetz in Deutschland, der Schweiz und Österreich betreiben die Bahnunternehmen. Die DB Energie betreibt das größte zusammengeschaltete 110-kV-Netz in Deutschland. Es verwendet Einphasenwechselstrom. Das Freileitungsnetz hat eine Länge von ca. 7.600 km an Bahnstromleitungen. Anders als im nationalen Verbundnetz beträgt im Bahnstromnetz die Netzfrequenz 16,7 Hz. Die Rübelandbahn verwendet 50 Hz Netzfrequenz und wird direkt aus dem öffentlichen Stromnetz versorgt.
Daneben existieren noch kleine regionale Stromnetze wie die mit Einphasenwechselstrom und mit einer Frequenz von 25 Hz betriebene Mariazeller Bahn in Österreich. Diese Bahn verfügt über ein kleines eigenes 27-kV-Netz.
In den übrigen Ländern erfolgt die Energieversorgung elektrischer Bahnen aus dem öffentlichen Stromnetz. Bei Gleichstrombahnen durch Gleichrichter in den Unterwerken, bei mit Einphasenwechselstrom mit einer Frequenz von 50 Hz betriebenen Bahnen werden die Phasen des Drehstromsystems im Unterwerk getrennt und in jeweils verschiedene Streckenabschnitte einzeln gespeist.
Offshorenetz, Anschluss an das Verbundnetz an Land
Die schnell wachsende Stromversorgung der Offshore-Windindustrie mit den drei Einspeisestationen Büttel, Dörpen und Dörpen West ist aus der Karte der Offshore-Windkraftanlagen ersichtlich.
Geschichte
Der Stromkrieg war um 1890 ein Streit, ob die von Thomas Alva Edison favorisierte Gleichspannung oder die von George Westinghouse favorisierte Wechselspannung die geeignetere Technik für die großflächige Versorgung der Vereinigten Staaten von Amerika mit elektrischer Energie und den Aufbau von Stromnetzen sei.
Literatur
Klaus Heuck, Klaus-Dieter Dettmann, Detlef Schulz: Elektrische Energieversorgung. Erzeugung, Übertragung und Verteilung elektrischer Energie für Studium und Praxis. 8., überarbeitete und aktualisierte Auflage, Wiesbaden 2010, ISBN 978-3-8348-0736-6.
Adolf J. Schwab: Elektroenergiesysteme. Erzeugung, Transport, Übertragung und Verteilung elektrischer Energie. 3. Auflage, Springer, Berlin 2012, ISBN 978-3-642-21957-3.
European Technology Platform SmartGrids (Europäische Kommission) 2007:
Strategic Research Agenda for Europe’s Electricity Networks of the Future (PDF, 96 S.; 2,1 MB)
Vision and Strategy for Europe’s Electricity Networks of the Future (PDF, 44 S.; 1,8 MB)
Weblinks
Stromnetze – Informationen des Bundesamts für Energie (Schweiz)
Swissgrid, Stromnetz in der Schweiz
Karten
ENTSO-E, Karte des Verbundnetz von Europa und Nordafrika.
Karten der Stromnetze verschiedener Länder, Global Energy Network Institute (englisch)
Karte des weltweiten Stromnetzes, alle Leitungen. Noch lückenhaft, editierbar und im Wachsen. (123map GmbH, OpenStreetMap)
Karte des weltweiten Stromnetzes, alle Leitungen. Noch lückenhaft, editierbar und im Wachsen.
Karte des österreichischen Stromnetzes
Einzelnachweise
Elektrische Energieverteilung
Wikipedia:Artikel mit Video
bg:Електрически далекопровод
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Q1096907
| 123.328802 |
2347766
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https://de.wikipedia.org/wiki/Irawadi-Region
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Irawadi-Region
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Die Irawadi-Region (, BGN/PCGN: eyawadidaingdethagyi, bis 2008 Irawadi-Division, auch Ayeyawady und Ayeyarwady) ist eine der 15 Verwaltungseinheiten von Myanmar.
Geographie
Die Irawadi-Region befindet sich im Delta des Irawadi an der Küste des Golfs von Bengalen. Im Norden und Osten grenzt sie an die Bago-Region, im Osten auch an die Yangon-Region, im Süden und Südosten und Südwesten an den Golf von Bengalen, im Nordwesten an den Rakhaing-Staat.
Die Division liegt zwischen 15° 40' und 18° 30' Nord und zwischen 94° 15' and 96° 15' Ost.
Bevölkerung
Die Mehrheit der Bevölkerung stellen die Bamar. An der Küste im Westen leben Arakanesen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist buddhistisch. Es gibt aber auch muslimische und christliche Minderheiten.
Wirtschaft
Die Irawadi-Region gilt als die Reiskammer Birmas. Strände finden sich in Chaungtha und Ngwesaung. Chaungtha wird überwiegend von Einheimischen, Ngwesaung auch von Touristen besucht.
Verwaltung
Die Division besteht aus sechs Distrikten: Pathein, Hinthada, Labutta, Myaungmya, Maubin und Phyapon. Pathein ist die Hauptstadt der Region.
Einzelnachweise
Region (Myanmar)
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Q47047
| 265.763736 |
18877
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https://de.wikipedia.org/wiki/Leuchtdichte
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Leuchtdichte
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Die Leuchtdichte Lv () liefert detaillierte Information über die Orts- und Richtungsabhängigkeit des von einer Lichtquelle abgegebenen Lichtstroms. Die Leuchtdichte einer Fläche bestimmt, mit welcher Flächenhelligkeit das Auge die Fläche wahrnimmt und hat daher von allen photometrischen Größen den unmittelbarsten Bezug zur optischen Sinneswahrnehmung.
Die Leuchtdichte beschreibt die Helligkeit von ausgedehnten, flächenhaften Lichtquellen; für die Beschreibung der Helligkeit von punktförmigen Lichtquellen ist die Lichtstärke besser geeignet.
Definition
Für den Helligkeitseindruck einer Lichtquelle sind neben dem ausgesandten Lichtstrom , gemessen in Lumen (lm), vor allem zwei weitere Größen maßgebend:
die Fläche , von der dieser Lichtstrom ausgeht. Eine kleine Fläche erscheint heller als eine große Fläche, die gleich viel Licht abstrahlt. Die entsprechende photometrische Größe ist die spezifische Lichtausstrahlung , gemessen in Lumen durch Quadratmeter (lm/m2). Bei nicht gleichmäßiger Ausstrahlung verwendet man den Lichtstrom pro Flächenelement: .
der Raumwinkel , in den das Licht ausgestrahlt wird. Bei Bündelung in einen kleinen Raumwinkel erscheint die Lichtquelle heller. Die entsprechende photometrische Größe ist die Lichtstärke , gemessen in Lumen durch Steradiant oder Candela (1 cd = 1 lm/sr). Bei nicht gleichmäßiger Ausstrahlung gilt entsprechend .
Der Begriff der Leuchtdichte kombiniert beides und beschreibt auf diese Weise sowohl die Orts- als auch die Richtungsabhängigkeit des abgegebenen Lichtstroms:
ist hierbei der Winkel zwischen Abstrahlrichtung und Flächennormale, die senkrecht auf dem Flächenelement steht. Im Fall einer gleichmäßig leuchtenden ebenen Fläche mit gleichmäßiger Lichtstärke in den Raumwinkel vereinfacht sich diese Gleichung zu
.
Der Faktor wird hinzugefügt, weil das abstrahlende Flächenelement um diesen Faktor verkürzt erscheint, der unter dem Polarwinkel abgegebene Lichtstrom also um den Faktor geringer ist als der senkrecht abgegebene Lichtstrom. Die Division durch rechnet diesen geometrischen Effekt heraus, so dass in der Leuchtdichte nur noch eine eventuelle physikalische Richtungsabhängigkeit aufgrund der Oberflächeneigenschaften (z. B. dem Leuchtdichtekoeffizient) übrig bleibt.
Für die Definition der Leuchtdichte ist es unerheblich, ob es sich bei dem vom Flächenelement abgegebenen Licht um (thermische oder nichtthermische) Eigenemission, um transmittiertes oder reflektiertes Licht oder eine Kombination daraus handelt.
Die Leuchtdichte ist an jedem Punkt des Raumes definiert, an dem Licht vorhanden ist. Man denke sich anstelle eines Licht abstrahlenden Oberflächenelements gegebenenfalls ein fiktives von Licht durchstrahltes Flächenelement im Raum.
Maßeinheiten
Die SI-Einheit der Leuchtdichte ist Candela pro Quadratmeter (cd/m²).
Im englischsprachigen Raum, vor allem in den USA, wird dafür auch die Bezeichnung Nit (Einheitenzeichen nt, von = „scheinen“, Mehrzahl Nits) verwendet: 1 nt = 1 cd/m². Das Nit ist in der EU und der Schweiz keine gesetzliche Einheit.
Weitere Einheiten sind:
Stilb: 1 sb = 1 cd/cm² = 10.000 cd/m² (cgs-Einheit)
Apostilb: 1 asb = 1 blondel = 1/π × 10−4 sb = 1/π cd/m²
Lambert: 1 L = 1 la = 104/π cd/m² ≈ 3183 cd/m² (in den USA noch gebräuchlich)
Footlambert: 1 fL = 1/π cd/ft² ≈ 3,426 cd/m²
Typische Werte
Empfindlichkeit der Augen
Der Beobachter nimmt die Leuchtdichten der ihn umgebenden Flächen unmittelbar als deren Flächenhelligkeiten wahr. Aufgrund der Anpassungsfähigkeit des Auges können die wahrnehmbaren Leuchtdichten zahlreiche Größenordnungen überstreichen. Das menschliche Auge hat zwei Arten von Sinneszellen: die besonders lichtempfindlichen Stäbchen und die farbempfindlichen Zapfen.
Bei liegt die Sehschwelle. Ab dieser Leuchtdichte ist Lichtwahrnehmung mit den Stäbchen (Nachtsehen) möglich.
Ab 3…30 · 10−3 cd/m2 tragen auch die Zapfen zum Seheindruck bei.
Ab 3…30 cd/m2 spielt der Beitrag der Stäbchen keine Rolle mehr (reines Tagesehen).
Ab 105…106 cd/m2 tritt Sättigung der Zapfen (Blendung) auf.
Die angegebenen Werte schwanken von Mensch zu Mensch und sind auch von der Wellenlänge des Lichts abhängig.
Lichtquellen
Lambertscher Strahler
Mit der oben genannten Definition kann man umgekehrt den Lichtstrom berechnen, der von einer Abstrahlfläche emittiert wird:
.
Da im Allgemeinen vom Ort auf der Leuchtfläche und von den überstrichenen Richtungen und abhängen kann, ergibt sich unter Umständen ein sehr kompliziertes Integral.
Eine wesentliche Vereinfachung tritt ein, wenn die Oberfläche von allen Stellen in alle Richtungen dieselbe Leuchtdichte abgibt. Einen solchen Körper nennt man diffusen Strahler oder lambertschen Strahler.
Ein Beispiel für eine diffus leuchtende Fläche ist ein beleuchtetes Blatt Papier. Dass das Papier diffus strahlt, also in alle Richtungen dieselbe Leuchtdichte abgibt, bedeutet für den Betrachter, dass es aus allen Richtungen betrachtet dieselbe Flächenhelligkeit aufweist. Da es aber bei schräger Betrachtung um den Projektionsfaktor verkürzt erscheint (also einen kleineren Raumwinkel einnimmt) erreicht den Betrachter trotz gleich gebliebener Flächenhelligkeit eine geringere Lichtmenge: die Lichtstärke in dieser Richtung ist geringer.
Der von einem lambertschen Strahler in eine bestimmte Richtung abgegebene Lichtstrom variiert nur noch mit dem Cosinus des Abstrahlwinkels , und das Integral ist einfach:
.
Dieses verbleibende Integral hängt nur noch von der Gestalt und Lage des Raumwinkels ab und kann unabhängig von gelöst werden. Auf diese Weise können nur von der Sender- und Empfängergeometrie abhängige allgemeine Sichtfaktoren ermittelt und fertig tabelliert werden.
Wird beispielsweise die Lichtausstrahlung in den gesamten von der Leuchtfläche überblickten Halbraum betrachtet, so ergibt sich für das Integral der Wert und der Lichtstrom in den gesamten Halbraum beträgt
.
Die spezifische Lichtausstrahlung ist dann entsprechend
.
Beispiel: Wenn ein Bildschirm mit der Leuchtdichte 200 cd/m2 und der Fläche 0,6 m2 die Eigenschaften eines lambertschen Strahlers hat, hat er eine spezifische Lichtausstrahlung von 200π lm/m2 und emittiert einen Lichtstrom von 120π lm.
Photometrisches Grundgesetz
Das Photometrische Grundgesetz (auch: „radiometrisches und photometrisches Grundgesetz“) beschreibt den Lichtaustausch zwischen zwei Flächen. Die Leuchtdichte ist hier eine zentrale Größe.
Lichtausstrahlung
Betrachtet man ein Flächenelement , welches mit der Leuchtdichte ein im Abstand befindliches Flächenelement beleuchtet, so spannt von aus betrachtet den Raumwinkel auf, und aus der ersten Gleichung im vorigen Abschnitt folgt:
Dabei sind und die Neigungswinkel der Flächenelemente gegen die gemeinsame Verbindungslinie.
Dies ist das photometrische Grundgesetz. Durch Integration über die beiden Flächen ergibt sich der insgesamt von Fläche 1 nach Fläche 2 fließende Lichtstrom .
Lichteinstrahlung
Die Beleuchtungsdichte ist analog zur Leuchtdichte, jedoch für den Einstrahlungsfall definiert. Sie gibt an, welcher Lichtstrom aus der durch den Polarwinkel und den Azimutwinkel gegebenen Richtung pro projiziertem Flächenelement und pro Raumwinkelelement empfangen wird. Die bisher abgeleiteten Gleichungen gelten analog. Insbesondere gilt für den auf Flächenelement empfangenen, von abgegebenen Lichtstrom:
wobei diesmal der von aufgespannte Raumwinkel auftritt.
Folgerung
Der von nach ausgesandte und der auf von empfangene Lichtstrom müssen identisch sein (sofern nicht in einem zwischen den Flächen liegenden Medium Licht durch Absorption oder Streuung verloren geht), und aus dem Vergleich der beiden Gleichungen folgt:
Die von Flächenelement ausgesandte Leuchtdichte ist identisch mit der auf Flächenelement eintreffenden Beleuchtungsdichte.
Man beachte also, dass die Leuchtdichte nicht mit dem Abstand abnimmt. Bei einer optischen Abbildung hat demzufolge jeder Bildpunkt die gleiche Leuchtdichte wie der entsprechende Objektpunkt.
Der gesamte übertragene Lichtstrom bzw. nimmt hingegen wie erwartet mit dem Quadrat des Abstandes ab (aufgrund des Faktors im Nenner beider Gleichungen), dies liegt daran, dass der von der Senderfläche aufgespannte Raumwinkel aus Sicht der Empfängerfläche quadratisch mit dem Abstand abnimmt.
Beispiel: Vergleicht man eine nahe Plakatwand mit einer identisch beleuchteten weiter entfernten, so erscheinen beide gleich „hell“ (sie haben eine abstandsunabhängige und daher in beiden Fällen identische Leuchtdichte). Die nähere Wand nimmt aber für den Beobachter einen größeren Raumwinkel ein, so dass den Beobachter aus diesem größeren Raumwinkel insgesamt ein größerer Lichtstrom erreicht. Die nähere Wand erzeugt eine größere Beleuchtungsstärke beim Beobachter (photometrisches Entfernungsgesetz).
Wird die Beleuchtungsdichte über den Raumwinkel integriert, aus dem sie stammt, so ergibt sich die Beleuchtungsstärke genannte Einstrahl-Lichtstromflächendichte auf der Empfängerfläche in lm/m2. Falls die in eine bestimmte Richtung abgegebene Leuchtdichte der Senderfläche bekannt ist, so ist damit sofort auch die mit ihr identische aus derselben Richtung stammende Beleuchtungsdichte der Empfängerfläche bekannt und die Beleuchtungsstärke auf der Empfängerfläche kann aus der Leuchtdichteverteilung der Senderfläche sofort berechnet werden:
Beispiel: Die Sonne hat eine Leuchtdichte von L1 ≈ 1,5·109 cd/m2 und erscheint von der Erde aus gesehen unter einem Raumwinkel Ω = 6,8·10−5 sr. Da dieser Raumwinkel klein ist, kann man die Integration über den von der Sonnenscheibe eingenommenen Raumwinkel auf eine Multiplikation mit dem Raumwinkel reduzieren. Wenn im Sommer die Sonne auf 60° Höhe (also 30° von Zenit abweichend) steht, wird die Erde demnach mit E2 = L1 · Ω ·cos(30°) = lx bestrahlt.
Radiometrische und photometrische Größen im Vergleich
Siehe auch
Luminanz (Leuchtdichte bei Monitoren)
Literatur
Hans R. Ris: Beleuchtungstechnik für Praktiker. 2. Auflage, VDE-Verlag GmbH, Berlin/Offenbach 1997, ISBN 3-8007-2163-5.
Wilhelm Gerster: Moderne Beleuchtungssysteme für drinnen und draußen. 1. Auflage, Compact Verlag, München 1997, ISBN 3-8174-2395-0.
Horst Stöcker: Taschenbuch der Physik. 4. Auflage, Verlag Harry Deutsch, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-8171-1628-4.
Günter Springer: Fachkunde Elektrotechnik. 18. Auflage, Verlag Europa-Lehrmittel, Wuppertal 1989, ISBN 3-8085-3018-9.
Einzelnachweise
Belichtung (Fotografie)
Photometrische Größe
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Q355386
| 87.493954 |
37500
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mem
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Mem
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Das Mem (Neutrum; Plural: Meme, von mīmēma, „nachgeahmte Dinge“, zu mimeisthai, „imitieren“) ist Gegenstand der Memtheorie und bezeichnet dem Urheber der Memtheorie Richard Dawkins zufolge ein im Gehirn gespeichertes, ins Bewusstsein rufbares Informationsmuster, zum Beispiel einen Gedanken, aber nicht bloße Wahrnehmungen oder Gefühle (als Wahrnehmen bzw. Fühlen). Es kann durch Kommunikation weitergegeben und über den Prozess der Imitation internalisiert werden, damit vervielfältigt und so soziokulturell auf ähnliche Weise perpetuiert werden, wie Gene auf biologischem Wege vererbbar sind. Ganz entsprechend unterliegen Meme damit einer soziokulturellen Evolution, die weitgehend mit denselben Theorien beschrieben werden kann.
Analog sind bei der Weitergabe Veränderungen möglich – etwa durch Missverständnis oder unterschiedliche Auffassungen –, wobei (äußere) Umwelteinflüsse die weitere Verbreitung verstärken oder unterdrücken können. Nach Ansicht des Wissenschaftlers Mihály Csíkszentmihályi wird ein Mem kreiert, „wenn das menschliche Nervensystem auf eine Erfahrung reagiert“.
Die Memtheorie wird in verschiedenen Fachwissenschaften (insb. Psychologie, Sozialwissenschaften, Kulturwissenschaften), soweit sie Beachtung findet, einer zum Teil harschen Kritik unterzogen. Einerseits seien die Begriffe (Replikator, Einheit der Selektion usw.) zu unscharf definiert, um überhaupt empirisch bestätigt oder widerlegt werden zu können, andererseits ignoriere die Memtheorie schlicht die Ergebnisse der psychologischen und sozialwissenschaftlichen Forschung. Zur Umstrittenheit der Memtheorie trage darüber hinaus bei, dass der Erkenntnisgewinn der Theorie unklar sei.
Seit der Jahrtausendwende wird der Begriff auch – oftmals in seiner englischen Schreibweise Meme – für Internetphänomene verwendet, die sich in sozialen Medien „viral“ verbreiten.
Etymologie und Begrifflichkeit
Mem
Das Wort Mem ist ein Kunstwort. Es ist etymologisch dem englischen Wort gene (Gen) nachempfunden und hat mehrere weitere Bezüge:
zum griechischen μιμεῖσθαι mimeisthai (nachahmen) und μῖμος mimos (Mime, Schauspieler)
zum französischen même (gleich)
zum lateinischen memor (eingedenk, sich erinnernd)
zum englischen mime (mimen) und memory (Erinnerung, Gedächtnis)
Heinz von Förster führte die Bezeichnung "Mem" 1948 in seiner Schrift "Das Gedächtnis. Eine quantenphysikalische Untersuchung" ein. Er fasste darin das "Mem" als den "Träger der Erinnerungsmerkmale" auf. In Analogie zu der von Delbrück, Schrödinger u. a. entwickelten Auffassung, das "Gen" als Träger der Erbmerkmale, als Quantenzustand eines Großmoleküls zu deuten, sah er im "Mem" einen zu verschiedenen Quantenzuständen fähigen Mikrokomplex.
Die englische Bezeichnung meme wurde 1976 vom Evolutionsbiologen Richard Dawkins vorgestellt; er nannte als Beispiele dazu: „Ideen, Überzeugungen, Verhaltensmuster“. Mit diesem kulturellen Pendant zum biologischen Gen () veranschaulichte er das Prinzip der natürlichen Selektion, deren Grundeinheit Replikatoren von Informationen sind. Die Bezeichnung Mem beschrieb er als selbst gewähltes Kunstwort, das sich auf den griechischen Terminus μίμημα, mimema („etwas Nachgemachtes“), beruft.
Memetik
Als Memetik wird das daraus abgeleitete Prinzip der Informationsweitergabe bezeichnet. Das Mem findet seinen Niederschlag in der Memvorlage (im Gehirn oder einem anderen Speichermedium) und der Memausführung (zum Beispiel Kommunikation: Eine Partitur (Memotyp) wird verwendet, um Musik reproduzierbar zu machen. Die tatsächlich im Konzertsaal erklingende Musik ist entsprechend der sogenannte Phänotyp). Für die Begriffe Memvorlage und Memausführung werden in Analogie zu dem Begriffspaar Genotyp und Phänotyp aus der Genetik häufig auch die Bezeichnungen Memotyp und Phämotyp verwendet.
Memplex
Die Vernetzung von einander bedingenden Memen wurde von Dawkins zunächst als „koadaptiver Mem-Komplex“ (coadapted meme complex) bezeichnet, was später zum Kunstwort Memplex zusammengezogen wurde.
Theoriegeschichte
Dawkins griff nach eigenem Bekunden auf die 1975 geäußerten Thesen des US-amerikanischen Anthropologen F. Ted Cloak Jr. (* 1931) über die Existenz von Corpuscles of Culture, von Kulturkörperchen auf neuronaler Ebene, als Grundlage der kulturellen Evolution zurück. Dawkins unterscheidet nicht, ob eine Information sich auf einem DNS-Abschnitt befindet, als Gedanke im Gehirn abgespeichert, als Satz in einem Buch abgedruckt oder als gesprochenes Wort von Mensch zu Mensch unterwegs ist. Informationen vermehren sich nach Dawkins, egal, ob als Gen durch die Zellteilung und die damit einhergehende Replikation des DNS-Strangs oder mittels Kommunikation beim Mem. Die Übertragung des Mems durch Kommunikation ist dabei nicht als Kopie („Blaupause“) eines Gedankens von Gehirn zu Gehirn zu verstehen, sondern – indem der wesentliche Kern der Botschaft erfasst und weitergegeben wird – eher wie ein „Backrezept“ zur Reproduktion desselben Gedankens. Beschreibungsmodelle von Gedanken-Memen unterliegen damit sehr ähnlichen Gesetzmäßigkeiten wie die der Evolution in der Biologie. Dawkins spricht in diesem Zusammenhang vom „universellen Darwinismus“.
Meme als Replikator der kulturellen Evolution weisen eine begrenzte Analogie zu anderen Replikatoren auf. Neben den Genen werden von Dawkins auch Viren, Computerviren oder Prionen genannt. Im Analogieschluss werden Prozesse der kulturellen Replikation – wie in der Evolutionstheorie – ebenfalls mit Variation und Selektion erklärt. Entsprechend führe die unvollkommene Replikation zu unterschiedlichem Reproduktionserfolg verschiedener Replikatoren. Wie auch bei anderen Replikatoren kommt es zur Bildung von kollektiv-autokatalytischen Verbänden von Memen.
Der Philosoph Daniel Dennett unterstützte das Konzept der Memetik in seinem Werk Darwin’s Dangerous Idea: Evolution and the Meanings of Life. Als unabhängige, aber geistig verwandte Theorie kann die 1970 von Otto Koenig formulierte Kulturethologie bezeichnet werden. Auch sie beschäftigt sich mit der Evolution von Kultur, zieht dafür jedoch nicht das Konstrukt des Mems heran, sondern arbeitet rein deskriptiv.
Von 1997 bis 2005 gab es ein regelmäßig erscheinendes Journal of Memetics. Seit 2009 gibt es die alle drei Monate erscheinende Zeitschrift Memetic Computing.
Anwendung
Naturwissenschaften
Durch die Mem-Hypothese lassen sich Teilaspekte der Evolution der Vogeldialekte erklären. So ist nach den Überlegungen des Symbiosismus Sprache analog zu einem ‚biologischer Organismus‘, genauer als ein mutualistischen Symbiont zu verstehen, dessen Träger das menschliche Gehirn ist. Sprache vermittelte Meme, die kleinsten replizierbaren Elemente extra-genetischer Information, und ist daher von großer Bedeutung in der Entwicklungsgeschichte der Menschheit.
Verschiedentlich wird auch versucht, mit Ansätzen der Memetik komplexe soziale Phänomene wie Sprachwandel oder die Ausbreitung verschiedener missionarischer Religionen und Kulte zu erhellen. Außerdem zeigen die Vertreter dieser Hypothese koevolutive Korrespondenzen zwischen genetischer und „memetischer“ Evolution (Hirnentwicklung) auf.
Religion
Zur Veranschaulichung des Konzepts nennt Dawkins die monotheistische Festlegung auf „einen“ Gott einen erfolgreichen kulturellen Replikator (gemessen z. B. an seiner Verbreitung), während z. B. der Glaube an die Wirkung von Regentänzen sich nicht global durchsetzen konnte, irgendwann sogar einer kulturellen Auslese zum Opfer fiel und nun ein Nischendasein führt. Dabei kann das Mem „nur ein Gott“ als Teil eines außerordentlich großen Verbandes sich gegenseitig stützender Meme gesehen werden und die jeweilige Religion damit als Memplex. Diese Idee wird vom Romanautor Wolfgang Jeschke in seinem 2013 erschienenen Buch Dschiheads aufgegriffen, in dem er von der Zukunft auf die Jetztzeit und ihre religiösen Auseinandersetzungen, insbesondere um den militanten Islamismus, blickt.
Soziologie
Nach Susan Blackmore ist die Essenz eines jeden Memplexes die, dass sich Meme in ihrem Innern als Teil der Gruppe besser replizieren als auf sich allein gestellt. Als Beispiel für einen Memplex nennt sie den Kettenbrief, der typischerweise folgende Ideen enthält:
eine beliebige unwahre oder sinnlose Information,
vermeintliche Indizien für die Seriosität der Informationsquelle,
die Behauptung, dass die Information für den Empfänger wichtig sei,
die Behauptung, dass die Information für weitere Personen wichtig sei,
die Aufforderung, den Brief an diese Personen weiterzusenden.
Für sich alleine hätte jedes dieser Meme relativ schlechte Chancen, sich innerhalb einer Gesellschaft zu verbreiten. Als Gruppe sind sie jedoch häufig geeignet, eine gewisse Anzahl von Personen von der Wichtigkeit ihrer Verbreitung zu überzeugen.
Schrift und Sprache
Nach Blackmore (1999) stellt die Schrift, in der Kulturgeschichte, einen nützlichen Schritt dar, um die ,Lebensdauer' des gesprochenen Wortes zu erhöhen. Schreiben sei der erste Schritt zur Bildung einer langlebigeren Sprachübermittlung.
Kritik
Analogie zum Evolutionsmechanismus
Mit ihrer analogen Anwendung des Evolutionsmechanismus auf geistige und kulturelle Prozesse setzt die Memtheorie voraus, dass Meme in vergleichbarer Weise wie Gene diskrete Einheiten sind, die sich von anderen Memen klar abgrenzen lassen; ansonsten ließe sich die Einheit der Selektion nicht bestimmen. Dies wird aber von Kulturwissenschaftlern und Psychologen bestritten. Weiterhin setzt Dawkins’ Modell kultureller Evolution eine relativ hohe Kopiergenauigkeit voraus, die nur in Ausnahmefällen durch Fehler und Ungenauigkeiten zu Mutationen führt. Anders lässt sich von der Memtheorie die hohe Konstanz kultureller Repräsentationen nicht erklären. Die Aneignung kultureller Repräsentationen durch Individuen erfolgt allerdings nur in seltenen Grenzfällen ohne eine Transformation. Eine empirische Untersuchung von Scott Atran hat gezeigt, dass normale Studenten etwa bei der Wiedergabe von Sprichwörtern die metaphorische Bedeutung erfassen und diese sinngemäß wiedergeben, wohingegen Autisten sich lediglich auf die wörtliche Bedeutung beziehen und mit sprachlichen Äußerungen am ehesten „kopierend“ umgehen. Unter anderem wegen dieser schwachen wissenschaftlichen Fundierung konnte sich die Memtheorie in den Sozialwissenschaften bisher nicht durchsetzen, sondern ist vor allem von der Öffentlichkeit breit rezipiert worden.
Zudem wird in der Evolutionsbiologie auch die der Memtheorie zugrunde liegende Gentheorie von Dawkins von einigen zurückgewiesen.
Erkenntnisgewinn und empirische Fundierung
Unklar ist, welcher Erkenntnisgewinn sich aus den Anleihen des Memkonzepts bei der biologischen Evolutionstheorie für die geistes-, sozial- und kulturwissenschaftliche Forschung ergeben könnte. So waren nach Auffassung des Psychologen Gustav Jahoda (1920–2016) die überzeugenden Elemente der u. a. von Susan Blackmore popularisierten Memtheorie bereits im 19. Jahrhundert bekannt, die neueren Elemente seien jedoch „spekulativ und höchst fragwürdig“. Wird mit der Mem-Hypothese der Anspruch erhoben, soziale und kulturelle Entwicklungen in einer Weise zu analysieren, die dem naturwissenschaftlichen Verständnis der Realität entspricht, so muss die Memetik zeigen, dass sie zu anderen, weiterreichenden und belastbareren Aussagen gelangen kann als die Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften herkömmlicher Art. Wenn Mem dagegen eine naturalisierende Wortneuschöpfung für „Idee“ oder „Gedanke“ ist, muss Ockhams Rasiermesser zum Einsatz kommen: Entitäten sollen nicht unnötig vervielfacht werden, wobei dies nicht die Theorie der Memetik betreffen würde. Allerdings ist nach Susan Blackmore das Wort Mem nicht als bloßes Synonym etwa für Idee oder Gedanke zu verstehen, sondern es bezeichnet nur solche Konzepte, die von einem Menschen auf einen anderen übertragen werden, indem Letzterer Ersteren in Bezug auf das Konzept geistig und gegebenenfalls anwendungsmäßig imitiert (also nachvollzieht, nachahmt), wobei auch Mutationen, also Abweichungen auftreten können.
Außerdem, so Susan Blackmore, erklärten herkömmliche Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften und die (klassische) Evolutionstheorie nicht, warum Menschen zum Beispiel Sinfonien komponieren, Spaghetti mit der Gabel essen und über den Ursprung des Universums nachdenken. Das Problem hiermit sei, dass all dies für das reine Überleben einer Population überflüssig erscheint; mit der Memtheorie könne es aber erklärt werden.
Anders als im Disput über die biologische Evolutionstheorie können Kritiker der Memtheorie darauf verweisen, dass es für die Existenz von Memen und ihre Replikationsmechanismen – anders als für Gene – bislang keine empirischen Belege gibt. Selbst wer die Memtheorie als plausibel erachtet, muss daher nach empirischer Evidenz fragen.
Auch wurde kritisiert, dass sich die Memetik nicht mit einer materialistischen Ontologie im Einklang befindet: „Die Anhänger der Memetik versprechen sich von ihrem Ansatz eine selektionstheoretische Erklärung der Weitergabe und Ausbreitung von Ideen. Die Memetik ist jedoch zum einen konzeptionell so unklar, dass sie an Sinnlosigkeit grenzt, zum anderen ignoriert sie praktisch die gesamte psychologische und sozialwissenschaftliche Forschung zur menschlichen Kommunikation (…). Idealistische Fantasien werden nicht dadurch akzeptabler, dass sie in evolutionsbiologischem Gewande daherkommen.“
Siehe auch
Memetischer Algorithmus
Richard Semon („Mneme“)
Literatur
Scott Atran: The Trouble with Memes. In: Human Nature. 12, 4 (2001), S. 351 ff.
Robert Aunger: The Electric Meme. A New Theory of How We Think. Free Press, New York, NY 2002, ISBN 0-7432-0150-7.
Antoinette Becker, C. Mehr, H. H. Nanu, G. Reuter, D. Stegmüller (Hrsg.): Gene, Meme und Gehirne. Geist und Gesellschaft als Natur. Eine Debatte. Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft, Band 1643, Frankfurt am Main 2003, ISBN 978-3-518-29243-3.
Susan Blackmore: Die Macht der Meme oder die Evolution von Kultur und Geist. Besprochen von R. Schäfer in: Skeptiker. 1/2004, S. 33–34.
Rolf Breitenstein: Memetik und Ökonomie. Wie die Meme Märkte und Organisationen bestimmen. LIT, Münster 2000, ISBN 3-8258-6246-1 (Download als sozialer-datenschutz.de PDF, 213 S. 1,5 MB).
Richard Brodie: Virus of the Mind. Integral Press, Seattle 1996; ISBN 0-9636001-1-7.
Mihály Csíkszentmihályi: Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben. Klett-Cotta, Stuttgart 2000, ISBN 3-608-91018-2.
Olaf Dilling: Hypochonder des Geistes. Kritische Anmerkungen zu Richard Dawkins Theorie kultureller Evolution. Marburger Forum, Heft 2008/3, marburger-forum.de.
Maria Kronfeldner: Darwinian Creativity and Memetics. Acumen, Durham 2011, ISBN 1-84465-256-4.
Aaron Lynch: Thought contagion. Basic Books, New York 1996, ISBN 0-465-08466-4.
Andreas Osterroth: Das Internet-Meme als Sprache-Bild-Text. IMAGE, Ausgabe 22, Juli 2015, S. 26–48
James W. Polichak: Wozu sind Meme gut? Eine Kritik memetischer Ansätze zum Verständnis der Informationsverarbeitung. In: Skeptiker. 1/2004, S. 4–12.
Limor Shifman, Yasemin Dincer: Meme : Kunst, Kultur und Politik im digitalen Zeitalter. Frankfurt a. M.: Suhrkamp, 2014. ISBN 3-518-12681-4.
Weblinks
Audio-Vortrag über die Memplex-Forschung, IT Conversations (englisch)
Susan Blackmore: Evolution und Meme: Das menschliche Gehirn als selektiver Imitationsapparat deutsch (original: Evolution and Memes: The human brain as a selective imitation device englisch)
Dave Gross: Memetics publications (Artikelsammlung) (englisch)
John D. Gottsch: Mutation, Selection, And Vertical Transmission Of Theistic Memes In Religious Canons. The Johns Hopkins University School of Medicine, Artikel im Journal of Memetics (englisch)
Alexis Dworsky: Kulturelle Evolution (PDF; 611 kB)
Florian Rötzer: ; in: Telepolis vom 3. Dezember 1996
Vera F. Birkenbihl: Video-Vortrag Viren des Geistes
Christopher von Bülow: Artikel Mem (PDF; 125 kB); in: Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie, 2. Aufl., Bd. 5, Stuttgart/Weimar: J.B. Metzler 2013
Einzelnachweise
Theoretische Biologie
Evolution
Kulturwissenschaft
Richard Dawkins
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Q978
| 90.484896 |
10208263
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pleosporales
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Pleosporales
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Die Pleosporales sind eine Ordnung der Schlauchpilze.
Merkmale
Die Pleosporales sind aufgrund ihrer Größe außerordentlich vielfältig. Ein gemeinsames Merkmal der Pleosporales ist das Vorkommen sogenannter Pseudoparaphysen. Die meisten Arten haben auch uniloculate Fruchtkörper, d. h., mit einer einzigen Vertiefung. Das Vorkommen und Aussehen von bestimmten Strukturen wie Papillae und Ostiolen (eine winzige, oberflächliche Öffnung) ist familienspezifisch. Die Schläuche sind bitunikat, meist fissitunikat, meist zylindrisch, keulig oder zylindrisch-keulig, selten auch sphärisch. Manche Gattungen haben einen großen apikalen, inamyloiden Ring (z. B. in der Gattung Massaria). Die Ascosporen können hyalin oder gefärbt sein.
Lebensweise und Verbreitung
Die Pleosporales sind weltweit verbreitet und leben in einer Vielzahl von Habitaten. Sie können epiphytisch, endophytisch auf lebenden Blättern oder Stängeln oder Borke, sowie parasitisch, kommensalisch oder saprob vorkommen. Manche Arten leben hyperparasitisch auf Pilzen oder Insekten oder leben mit Algen als Flechten. Mehrere Familien haben auch Arten mit wasserlebender Lebensweise, nämlich Aigialaceae, Morosphaeriaceae, Lentitheciaceae, Lindgomycetaceae und Amniculicolaceae.
Systematik und Taxonomie
Die Unterklasse der Pleosporomycetidae wurde 2006 von Schoch und Kollegen (2006) beschrieben, die phylogenetisch zusammengehörten und als Merkmal Pseudoparaphysen besitzen. Sie enthielt zunächst nur die Ordnung der Pleosporales und eine einzelne außen stehende Art Lophium mytilinum. Andere Ordnungen der Hysteriales, Mytinidiales und Jahnulales wurden nachträglich in die Unterklasse gestellt, wodurch die Unterklasse nicht mehr monotypisch war.
Die Pleosporales bilden die größte Ordnung der Klasse mit 332 Gattungen und über 4700 Arten in 28 Familien, wobei noch nicht alle phylogenetisch abgesichert sind.
Unterordnung Pleosporineae
Familie Pleosporaceae
Familie Cucurbitariaceae
Familie Leptosphaeriaceae
Familie Phaeosphaeriaceae
Familie Didymellaceae
Familie Didymosphaeriaceae
Familie Dothidotthiaceae
Unterordnung Massarinae
Familie Lentitheciaceae
Familie Massarinaceae
Familie Montagnulaceae
Familie Morosphaeriaceae
Familie Trematosphaeriaceae
andere Familien innerhalb der Pleosporales
Familie Aigialaceae
Familie Amniculicolaceae
Familie Arthopyreniaceae
Familie Delitschiaceae
Familie Diademaceae
Familie Hypsostromataceae
Familie Leptosphaeriaceae
Familie Lophiostomataceae
Familie Lindgomycetaceae
Familie Melanommataceae
Familie Montagnulaceae
Familie Phaeosphaeriaceae
Familie Pleomassariaceae
Silberschorf (Helminthosporium solani)
Familie Sporormiaceae
Familie Teichosporaceae
Familie Tetraplosphaeriaceae
Familie Zopfiaceae
Einzelnachweise
Weblinks
Dothideomycetes (Klasse)
Dothideomycetes
|
Q147296
| 166.419432 |
1178
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https://de.wikipedia.org/wiki/Datei
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Datei
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Eine Datei () ist in der Informationstechnologie die Zusammenfassung gleichartiger digitaler Daten, die zum Speichern auf Datenträgern oder Speichermedien, zur Wiedergabe, zum Bearbeiten und zur Datenübertragung dient und durch einen Dateinamen identifiziert wird.
Etymologie
Das Wort „Datei“ ist nicht erst durch die Informationstechnologie entstanden, sondern war auch bereits zuvor bekannt. Dem Duden zufolge ist die Datei ein „nach zweckmäßigen Kriterien geordneter, zur Aufbewahrung geeigneter Bestand an sachlich zusammengehörenden Belegen oder anderen Dokumenten.“ Das Wort „Datei“ ist ein Kunstwort aus Daten und Kartei, weil eine Kartei vergleichbar aus Karteikarten mit einheitlicher Inhaltsstruktur besteht. Der deutsche Begriff „Datei“ ist deutlich enger gefasst als die englische Übersetzung (), welche oft auch eine (Papier-)Akte, eine (Papier-)Kartei oder einen Karteikasten beschreibt. Gegebenenfalls ist eine Präzisierung auf oder notwendig.
Allgemeines
In der Informationstechnologie ist die Datei eine Menge zusammengehöriger Informationen, die in einem Computer oder auf einem Datenträger unter einem Dateinamen so gespeichert sind, dass sie von einem Betriebssystem oder einem geeigneten Computerprogramm erschlossen werden können. Es handelt sich um die Zusammenfassung gleichartiger Daten zum Zweck der gemeinsamen Handhabung. Die Datei wird oft in Datensätze unterteilt, um die Übersicht zu erhalten.
Arten
Nach dem Verwendungszweck kann unterschieden werden zwischen:
Eine Arbeitsdatei nimmt Daten von einem Datenverarbeitungsprozess entgegen und übergibt sie an einen anderen Prozess;
eine Ausgabedatei enthält Ausgabedaten;
Auslagerungsdatei: verschiedene Betriebssysteme verwenden im Rahmen ihrer Speicherverwaltung eine Auslagerungsdatei, um Prozessen einen größeren Adressraum zur Verfügung stellen zu können als durch den physisch vorhandenen Arbeitsspeicher eigentlich möglich wäre.
Die Bewegungsdatei enthält Primärdaten (Bewegungsdaten);
ein Dateianhang ist die einer E-Mail beigefügte Datei.
Gerätedatei: ermöglicht eine einfache Kommunikation zwischen Userspace (zum Beispiel gewöhnliche Anwenderprogramme) und dem Kernel und damit letztlich der Hardware eines Computers.
Programmdatei: enthält Programmbefehle zur Verarbeitung von Daten.
Die Stammdatei enthält Stammdaten.
Temporäre Dateien werden vom Betriebssystem oder von anderen Programmen verwendet und dienen zur zeitlich begrenzten Speicherung von Daten.
Versteckte Datei: Wird in einem Betriebssystem bei bestimmten Anwendungen ausgeblendet und ist für den Nutzer nicht sichtbar.
Nach der Ausführbarkeit wird unterschieden zwischen
ausführbaren Dateien:
Programme in Maschinensprache,
Programme in Skriptsprachen,
Programme in einem Zwischencode (Bytecode);
nicht ausführbaren Dateien:
Programme im Quelltext,
Audiodateien,
Bilddateien,
Datenbankdateien,
Dateiverknüpfungen,
Grafikdateien,
Textdateien,
Videodateien,
allgemein: Binärdateien (z. B. von proprietären Programmen zur Datenspeicherung verwendet).
Wegen des unterschiedlichen Inhalts und der technisch unterschiedlichen Wiedergabe weisen diese Dateien verschiedene Dateiformate auf.
Moderne Dateisysteme unterstützen auch sogenannte Sparse-Dateien: Nur mit Daten gefüllte Abschnitte einer (großen) Datei werden tatsächlich gespeichert; die dazwischen liegenden „freien Bereiche“ werden nicht gespeichert und als „mit Null-Bytes gefüllt“ angenommen/bewertet.
Manche Dateisysteme bieten ferner an, Dateien transparent zu komprimieren oder zu verschlüsseln („transparent“: Das lesende/bearbeitende Programm kann die Datei normal verwenden, als ob die Datei nicht komprimiert/verschlüsselt wäre – es „sieht durch diesen Vorgang ungestört hindurch“).
Möglichkeiten, das Dateiformat zu kennzeichnen, beinhalten
eine Kennzeichnung durch das Dateisystem (beispielsweise ein Ausführbarkeits-Flag)
eine Kennzeichnung innerhalb der Daten (beispielsweise <?xml version="1.0" am Anfang, siehe auch MIME-Typ, Magische Zahl)
eine Kennzeichnung im Dateinamen bzw. als Dateinamenserweiterung (beispielsweise .jpg, .txt)
Speicherung in bestimmten Verzeichnissen (beispielsweise /usr/share/doc)
eine Resource Fork und andere Metainformationen (beispielsweise beim klassischen Mac OS)
Eine solche Kennzeichnung ist teilweise obligatorisch, teilweise dient sie lediglich der Orientierung des Benutzers. Oft fehlen Kennzeichnungen jeder Art; für solche Situationen gibt es spezielle Programme, die den Typ einer Datei zu bestimmen versuchen. Im Unix-Umfeld ist dafür z. B. der Befehl file sehr verbreitet.
Technische Aspekte
In der elektronischen Datenverarbeitung ist die Datei eine Menge von Datensätzen mit identischem oder kompatiblen Datenformat, die innerhalb eines Datenspeichers fixiert und nach einem Ordnungsmerkmal geordnet sind. Mit dem Begriff „Datei“ wird auch ausgedrückt, dass sich die Datenbestände auf einem maschinenlesbaren Datenträger befinden.
Dateiinhalt
Der Inhalt jeder Datei ist zunächst eine eindimensionale Aneinanderreihung von Bits, die normalerweise in Datenblöcken zusammengefasst interpretiert werden. Erst der Anwender einer Datei bzw. ein Anwendungsprogramm oder das Betriebssystem selbst interpretieren diese Bit- oder Bytefolge beispielsweise als ein ausführbares Programm, ein Bild einen Text oder eine Tonaufzeichnung. Eine Datei besitzt also ein Dateiformat.
Dateiformate
Die vom Nutzer angelegten Dateien lassen sich im Hinblick auf die gespeicherten Inhalte wie folgt einteilen:
Das Anwendungsprogramm identifiziert den jeweiligen Dateityp an der Dateiendung, die hinter dem Dateinamen von diesem durch einen Punkt getrennt ist. An der Dateiendung lässt sich für den Nutzer meist erkennen, welche digitalen Daten gespeichert sind und für welches Programm sie angelegt wurde. Dateiendungen .bat (Batch-Datei) oder .sys (Systemdatei) dienen dem Betrieb eines Computers und werden direkt vom Betriebssystem geladen und ausgeführt.
Aufbau
Eine Datei setzt sich allgemein zusammen aus dem Dateikopf und dem eigentlichen Dateiinhalt. Im Dateikopf () befinden sich gegebenenfalls Metadaten (insbesondere Steuerinformationen und Eigenschaften) über die enthaltenen Daten.
Dateimanager
Dateien werden von einem Dateimanager eines Betriebssystems verwaltet. Es handelt sich um ein Computerprogramm, mit dem Dateien und Verzeichnisse verwaltet werden können. In grafischen Dateimanagern wie Finder, Windows-Explorer, Nautilus oder Dolphin werden Dateien gewöhnlich als Liste oder Symbole auf einem Arbeitsblatt (Fenster, Ordner u. a.) dargestellt.
Dateiverknüpfung
Eine Dateiverknüpfung ist eine Verknüpfung, die auf eine andere Datei oder ein Verzeichnis verweist.
Dateinutzung
Speichern
Das Speichern einer Datei geschieht mit Hilfe eines Datenspeichers, der ein bestimmtes Dateiformat unterstützt. Dazu wird das Menü „Speichern“ ausgewählt, das für die Speicherung sorgt. Moderne Betriebssysteme ordnen über das Dateiformat Anwendungen zu, welche die Dateien interpretieren können. Die Speicherung kann auf einem Datenträger oder der Festplatte erfolgen.
Wiedergabe
Die Wiedergabe kann entweder auf einem Computer oder durch spezifische, vom Dateiformat abhängige Wiedergabegeräte erfolgen.
Datenübertragung
Die Datenübertragung über das Internet (durch Download bzw. Upload) ist für den Laien kompliziert, zumal die Prozesse im Hintergrund ablaufen. Das Transmission Control Protocol (TCP) zerlegt eine zu versendende Datei in einzelne kleinere Datenpakete und versendet diese getrennt voneinander über das Internet. Dabei kann ein Datenpaket verschiedene Knotenpunkte im Internet (wie Hostrechner, Server) durchlaufen, weil an jedem Knotenpunkt der optimale Weg für das Paket neu bestimmt wird. Da unterwegs die ursprüngliche Reihenfolge nicht eingehalten werden muss, hat das TCP auch die Aufgabe, die ursprüngliche Reihenfolge beim empfangenden Endgerät wiederherzustellen. Das Internet Protocol (IP) regelt die korrekte Adressierung der Datenpakete, damit die im Internet angeschlossenen Computer eindeutig identifiziert werden können. Die Datenübertragung der digitalen Daten beginnt mit dem Upload beim Absender und endet mit dem Download beim Empfänger.
Datenkompression
Bei großen Datenmengen ist eine Datenkompression möglich, um den Speicherplatz zu minimieren.
Dateikonverter
Dateikonverter dienen dazu, eine Datei in ein anderes Dateiformat umzuwandeln als dem Ursprungsformat.
Dateisysteme
Dateien werden in den meisten Betriebssystemen über Dateisysteme verwaltet. Ein Dateisystem verwaltet das Speichermedium, indem in Listen vermerkt wird, welche Bereiche des Mediums durch welche Dateien belegt sind, welche Bereiche frei sind, sowie oft Protokolle zu geplanten und/oder abgeschlossenen Änderungen.
Obwohl eine Aufgabe des Dateisystems darin besteht, vom konkreten Speichermedium zu abstrahieren („alle gleich zu behandeln“), sind doch viele Dateisysteme an die üblichen technischen Eigenschaften der Speichermedien angepasst (z. B. Blockgröße 512 Byte für Festplatten).
Für die meisten Dateisysteme ist 1 Byte die kleinste Verwaltungseinheit, d. h., die Länge des Dateiinhalt-Bitstroms muss auf ganze Bytes aufgehen (wobei im Allgemeinen auch 0 Byte = 0 Bit erlaubt sind).
Das Dateisystem verwaltet neben Verzeichnissen mit Dateinamen und -speicherort fast immer noch weitere Dateiattribute. Zu diesen gehören häufig der Dateityp (Verzeichnis, normale Datei, spezielle Datei), die Dateigröße (Anzahl der Bytes in der Datei), Schreib- und Leserechte, Zeitstempel („Datum“, der Erzeugung, des letzten Zugriffs und der letzten Änderung) sowie gegebenenfalls noch andere Informationen. Eine Datei kann in vielen Dateisystemen durch ein Attribut als versteckte Datei gekennzeichnet werden.
Die in Dateinamen verwendbaren Zeichen sind abhängig von Dateisystem, Betriebssystem und gegebenenfalls Sprachoptionen. Beispielsweise dürfen bei Unix-kompatiblen Dateisystemen in einem Dateinamen kein Schrägstrich / und kein Nullzeichen stehen. Bei anderen Betriebssystemen sind wiederum unterschiedliche Zeichen im Dateinamen nicht erlaubt. Oft ist das jedoch keine Einschränkung des „physischen“ Dateisystems, da bei Verwendung desselben Dateisystems auf einem anderen Betriebssystem diese Zeichen normal gespeichert werden können. Der Zugriff auf derartige Dateien ist dann wegen des unzulässigen Dateinamens auf dem jeweils anderen Betriebssystem üblicherweise nicht möglich, wodurch auch keine Möglichkeit besteht, die Datei umzubenennen oder zu löschen. Auch können die Zeichen unterschiedlich codiert sein, sodass das Betriebssystem auch verwendeten Zeichensatz für die Dateinamen unterstützen muss, um diese richtig anzuzeigen. Unicode wird von vielen historischen Betriebssystemen und manchen damit verbundenen Dateisystemen nicht unterstützt. Ferner ist die Länge des Dateinamens z. B. bei Unix-artigen Systemen auf 255 Zeichen begrenzt. Derartige Begrenzungen finden sich sowohl in den Strukturen des Dateisystems als auch im Betriebssystem selbst, das diese verarbeitet. Zusätzlich dazu haben Betriebssysteme auch ein Limit für den gesamten Dateipfad inklusive Dateinamen – ist dieser unterschiedlich von einem Betriebssystem zum anderen, kann beim Datenaustausch der Zugriff auf Dateien in zu langen Pfaden scheitern.
Bedeutung und Nutzung
Dateien ermöglichen einen einfachen Austausch der Daten mit anderen Programmen, Prozessen oder anderen Nutzern. Alternative Methoden zu Datenablage und -austausch sind Datenbanken und zunehmend auch cloudbasierte Speicher, die die Daten meist ebenfalls als Dateien verwalten.
Bei Anwendungsprogrammen werden oft Dateien automatisch beim Start eingelesen (z. B. Voreinstellungen, Konfiguration) und/oder der Nutzer wählt explizit eine zu „ladende“ Datei. Beispielsweise kann ein Text unter einem Namen (der „Dateiname“) in einem Datei-Verwaltungssystem („Dateisystem“) auf einem Datenträger abgelegt sein und durch ein Textverarbeitungsprogramm nach dem Laden durch den Benutzer bearbeitet werden. Wenn der Benutzer den Befehl zur Speicherung auslöst, werden die Daten (hier der Text) in der Datei auf dem Speichermedium aktualisiert und die alte Version damit überschrieben. Mitunter bieten Programme weitere Möglichkeiten im Umgang mit Dateien:
Das „Speichern als“ dient der Speicherung unter neuem Namen, auf anderem Datenträger oder in einem anderen Dateiformat;
Datenverlust kann ggf. vermieden werden durch regelmäßige automatische Zwischenspeicherung;
Warnung beim Beenden des Programms ohne vorheriges Speichern der Daten;
regelmäßiges automatisches Speichern jeglicher Änderungen in der Cloud;
gleichzeitiges Bearbeiten der Datei mit anderen Benutzern.
Mitunter können auch Metadaten in der Datei selbst einem Datenverlust vorbeugen.
Eine Datei besitzt eine innere Struktur sowie externe Attribute bzgl. ihrer Speicherung. Die innere Struktur – das Datenformat – wird meist allein von dem Programm kontrolliert, welches diese Datei speichert und bearbeitet. Die externen Attribute sind vor allem ein Name, der auch der Verwaltung der Ablage dient, sowie allgemeine Attribute für Dateien beliebigen Typs; diese werden meist von dem Dateisystem als Teil des Betriebssystems kontrolliert. Dateien machen Daten leicht kopierbar und transportabel. Hiermit wird ein Datenaustausch möglich, der unabhängig von den eigentlichen Programmen zur Bearbeitung der Daten ist.
Siehe auch
Liste von Dateinamenserweiterungen
Weblinks
Einzelnachweise
Betriebssystemtheorie
Informationstechnik
Kofferwort
Planung und Organisation
|
Q82753
| 790.303977 |
250097
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https://de.wikipedia.org/wiki/Sendeanlage
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Sendeanlage
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Eine Sendeanlage (kurz Sender; ) ist im Fernmeldewesen eine Einrichtung zur Erzeugung und Abstrahlung von elektromagnetischen Wellen, die mit Informationen moduliert sind. Sie besteht heutzutage meistens aus einem Oszillator mit nachfolgendem Verstärker und einer Sendeantenne. Außerdem ist auch stets eine Einrichtung zur Modulation der Schwingung nötig, damit Nachrichten übermittelt werden können.
Allgemeines
Im engeren Sinne wird ein Gerät wie ein Mobiltelefon, welches diese notwendigen Bausteine enthält, als Sender bezeichnet. Zu modulierende Informationen
sind beispielsweise Sprache oder Musik.
Hochfrequenzgenerator
Geschichte
In der Anfangszeit der Funktechnik wurden Sendeanlagen gebaut, bei denen die Schwingungserzeugung mit Funken bzw. Lichtbögen oder Maschinen erfolgt (z. B. Längstwellensender Grimeton). Aber schon in den 1920er Jahren setzte sich in diesem Bereich die Elektronik mit Vakuumröhren durch, ab 1960 mit Halbleiterbauelementen.
Aufbau und Bestandteile
Prinzipiell kann eine Oszillatorschwingung direkt auf die Antenne gegeben werden. Da aber der Oszillator im Allgemeinen eine zu geringe Leistung erzeugt, befinden sich zwischen Oszillator und Antenne meistens noch mehrere Verstärkerstufen, um die Sendeleistung zu erhöhen. Häufig wird nicht die vom Oszillator erzeugte Frequenz als Sendefrequenz verwendet, sondern besonders bei recht hohen Sendefrequenzen wie UKW eine Oberwelle, deren Frequenz ein Vielfaches der Oszillatorfrequenz ist. Diese wird aus der Schwingung hinter einer Verzerrerschaltung in Form eines übersteuerten Verstärkers mit LC-Gliedern herausgefiltert und dann verstärkt. In Anlagen für Frequenzmodulation oder mehrere Frequenzen kommen spannungsgesteuerte Oszillatoren (VCO) oder Oszillatoren nach dem Synthesizerprinzip zum Einsatz. Bei Normalfrequenzsendern wie DCF77 wird die Trägerfrequenz des Senders von einer Atomuhr erzeugt und durch Frequenzteilung beziehungsweise -vervielfachung auf den gewünschten Wert gebracht. Da dieses Verfahren sehr aufwendig ist, kommt es für die meisten Anlagen nicht zur Anwendung – meist besitzen Quarzoszillatoren ausreichende Frequenzstabilität.
Die zu übertragenden Informationen wie Musik oder Sprache werden durch Modulation der Trägerfrequenz aufgeprägt.
Als Verstärkerelemente kommen insbesondere in Endstufen hoher Leistungen noch Elektronenröhren zum Einsatz. Für Mikrowellen-Sendeanlagen werden spezielle Halbleiterbauelemente oder Laufzeitröhren – wie Klystrons oder Magnetrons – eingesetzt.
Bei der Erzeugung und Verstärkung entstehen Oberwellen. Diese sollen nicht über die Antenne abgestrahlt werden und müssen mit Tiefpassfiltern unterdrückt werden. Für kleine Reichweiten bis 20 m (Fernsteuerung) werden auch gelegentlich Induktionssender verwendet.
Kühlung
Die Endstufen von Sendeanlagen sehr kleiner Leistung benötigen keine besonderen Kühleinrichtungen. Röhrenendstufen sind bis zu mittleren Leistungen (wenige 100 Watt) oft nur strahlungsgekühlt. Für mittlere Sendeleistungen wird die Konvektions-Luftkühlung (Halbleitersender) oder forcierte Luftkühlung verwendet. Für große Leistungen wird schon seit 1930 die Wasserkühlung der Endstufen (Röhren oder Transistoren) wie im Bild rechts angewandt. Da in Röhrenendstufen hohe elektrische Spannungen nötig sind, ist oft destilliertes deionisiertes Wasser im Kühlkreislauf nötig. Dieses Wasser gibt in einem Wärmeübertrager seine Wärme an einen zweiten Kreislauf ab, in dem das Wasser keinen besonderen Reinheitsanforderungen genügen muss, da es nicht mit spannungsführenden Komponenten in Kontakt kommt.
Bei Hochleistungsröhren wird heute auch die Siedekondensationskühlung angewandt. Bei dieser Technik sind Siedekühlung und Kondensation räumlich eng beieinander. Das Kühlmittel durchfließt den Kühlkanal, der mit zur Anodeninnenseite hin orientierten Nuten ausgestattet ist. Der in diesen Nuten entstehende Dampf gerät in den Hauptkühlkanal, wo er verwirbelt wird und wieder kondensiert. Da sich dieser Vorgang im Fall von Wasser bei Temperaturen von über 100 Grad Celsius abspielt, können mit diesem Kühlverfahren nur Röhren gekühlt werden. Das Verfahren funktioniert nach dem Prinzip eines Wärmerohrs. Werden in einer Siedekühlung oder einem Wärmerohr Wärmeträger mit niedrigerem Siedepunkt oder bei niedrigerem Druck verwendet, können so auch Halbleitersender gekühlt werden.
Heatpipes erlauben die wartungsfreie Wärmeabführung auf kleinem Raum bei hohen Wärmeleistungen. Eine Anwendung ist daher die Kühlung von Sendern an Bord von Satelliten und Flugzeugen.
Stromversorgung
Röhrensender benötigen hohe Anodenspannungen (Größenordnung 1 bis 20 Kilovolt), die mit Netztransformatoren und Gleichrichtern erzeugt wird. Oft sind Stromaggregate vorhanden, um unabhängig vom Stromnetz zu sein.
Oft werden Sendeanlagen zur Erhöhung der Versorgungssicherheit oder aufgrund der hohen Leistung aus einer höheren Netzspannungsebene gespeist. So werden bzw. wurden die französischen Großsender Allouis und Roumoules, sowie Konstantynow in Polen aus dem Hochspannungsnetz (110 kV in Allouis und Konstantynow, 150 kV in Roumoules) gespeist, obwohl eine Stromversorgung aus der Mittelspannungsebene (ca. 20 kV) auch den Leistungsbedarf hätte decken können.
Antenne
Der Typ der Antenne hängt vom Frequenzbereich, der Leistung und der erwünschten Richtcharakteristik ab. Für Längstwellen werden meistens Schirmantennen, für Lang- und Mittelwellen selbststrahlende Sendemasten, für Kurzwellen und Ultrakurzwelle (UKW) Dipolantennen und daraus bestehende Gruppenantennen verwendet. Für die meist gerichtet abgestrahlten Mikrowellen werden oft Parabolantennen verwendet.
Antennenträger für UKW- und TV-Sender werden geerdet. Es kommen sowohl abgespannte Stahlfachwerkmasten als auch freistehende Stahl- und Stahlbetontürme zum Einsatz, wobei sich die Sendeantennen an oder nahe der Spitze befinden. Manche Sendetürme für UKW verfügen über hochgelegene Betriebsräume und/oder über touristische Einrichtungen wie Restaurants und Aussichtsplattformen, die über einen Aufzug zugänglich sind. Solche Türme werden meistens als Fernsehturm bezeichnet. Für Mikrowellen verwendet man häufig Parabolantennen. Diese können für Richtfunkanwendungen auf Sendetürmen für UKW auf speziellen Plattformen aufgestellt werden. Für die Programmzuspielung von Fernsehsatelliten und den Funkkontakt zu Raumflugkörpern sind große Parabolantennen mit Durchmessern von 3 bis 100 Metern Durchmesser nötig. Solche Anlagen, die ggf. auch als Radioteleskop genutzt werden können, sind oft beweglich ausgeführt.
Als Sendeantennen für Lang- und Mittelwellensender werden meistens selbststrahlende Sendemasten verwendet, die entweder gegen Erde isoliert sind und am Fußpunkt gespeist werden oder auch als geerdete Konstruktionen ausgeführt sind, die über mit den Pardunen verbundene Hilfsseile gespeist werden. Auch Reusenantennen und Langdrahtantennen an geerdeten Türmen und Masten kommen zum Einsatz. Gelegentlich kommen auch T-, L- und Dreieckflächenantennen zum Einsatz. Sendeantennen für Lang- und Mittelwelle werden meistens als abgespannte Masten ausgeführt. Ähnliche Antennen mit kleineren Abmessungen werden auch für Kurzwellensender verwendet, wenn diese im Rundstrahlbetrieb senden.
Für weitere Informationen siehe Sendeantenne.
Schutzschaltungen
Da in Sendeanlagen größerer Leistungen große Ströme bei hohen Spannungen (bis zu 20 kV) fließen können und Sendeanlagen einem erhöhten Überspannungsrisiko, bedingt durch den meistens Gewitterblitzen ausgesetzten Antennenträger, ausgesetzt sind, müssen umfangreiche Schutzschaltungen vorgesehen werden, um den Betrieb der Anlage zu sichern und um Anlagenkomponenten so gut wie möglich vor Zerstörung zu schützen.
Der Sender muss stets mit angeschlossener Last (Antenne) betrieben werden. Ist dies durch eine Störung nicht der Fall, muss er abgeschaltet werden, ansonsten kann die Endstufe zerstört werden. Hierzu gehört auch die Überwachung des Stehwellenverhältnisses, das Verhältnis von Umax/Umin längs der Hochfrequenzleitung. Es muss möglichst nahe 1 liegen, um die Kabelverluste gering zu halten. Ursache für ein abweichendes Stehwellenverhältnis können Defekte in Steckverbindern, an der Antenne oder deren Anpassungsnetzwerk sein.
Bei röhrenbestückten Sendern muss zuerst die Heizspannung an den Röhren anliegen, die Anodenspannung wird erst nach dem Aufheizen zugeschaltet. Andernfalls unterliegen die Röhren erhöhtem Verschleiß.
Der Schutz vor Blitzeinschlägen ist insbesondere bei isoliert stehenden selbststrahlenden Sendemasten oder bei Sendeantennen von Bedeutung. Hier wird als Grobschutz eine Funkenstrecke zwischen Antenne und Erde geschaltet, die bei Blitzschlag zündet. Einen Feinschutz gewähren zusätzliche gasgefüllte Überspannungsableiter. Ein Überwachungsgerät für das Stehwellenverhältnis schaltet den Sender kurzzeitig ab, falls das Stehwellenverhältnis nach einem Blitzschlag aufgrund eines gezündeten Ableiters nicht mehr stimmt. Bleibt das Stehwellenverhältnis auch nach mehreren Einschaltversuchen außerhalb der Norm, bleibt der Sender abgeschaltet. In manchen Sendeanlagen befinden sich an kritischen Stellen auch Ultraviolett-Detektoren, die auf Vorentladungen oder Lichtbögen reagieren und den Sender abschalten, so dass der Lichtbogen erlischt.
Bei wassergekühlten Endstufen muss die elektrische Leitfähigkeit des Wassers überwacht und gering gehalten werden. Übersteigt sie einen bestimmten Wert, muss der Sender abgeschaltet und das Wasser ausgetauscht werden.
Weiterhin werden auch der Modulationsgrad, die Betriebsspannung, die Sendefrequenz und weitere Betriebsparameter überwacht. Die Auswertung geschieht entweder vor Ort oder von einer entfernten Leitstelle, zu der diese Werte (drahtgebunden oder anhand des Sendesignales) übermittelt werden.
Gebäude
Bei großen stationären Anlagen ist für die Unterbringung der technischen Geräte ein entsprechendes Gebäude, das Sendergebäude, vonnöten. Dieses meistens als reiner Zweckbau ausgeführte Bauwerk befindet sich bei Sendeanlagen für UKW und TV unmittelbar neben den Antennenträger, bei Sendeanlagen für Längst-, Lang-, Mittel- und Kurzwelle aus strahlungstechnischen Gründen häufig 30 bis 600 Meter von der Sendeantenne entfernt. Die Übertragung der Sendeleistung geschieht dann mit einer Reusenleitung oder mit einem Koaxialkabel.
Unter anderem in Fernsehtürmen gibt es Räume für die Aufnahme der Sendegeräte. Solche Bauwerke werden für Richtfunk- und UKW-Sender eingesetzt.
Unter oder bei selbststrahlenden Sendemasten befindet sich oft ein Gebäude zur Aufnahme der Impedanzanpassung (des Anpassungsnetzwerks) der Antennen, das Abstimmhaus.
Rechtsfragen
Da sich Funkwellen über Grenzen hinweg ausbreiten, ist für Sendeanlagen in Frequenzbereichen, in denen große Reichweiten möglich sind, eine internationale Koordinierung, wie sie zum Beispiel im Genfer Wellenplan festgelegt ist, nötig.
In Deutschland kontrolliert die Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen diesen Bereich. Die Sendefrequenzen
werden von ihr aufgrund eines Frequenzplans vergeben. Eine illegale Sendeanlage wird auch als Schwarzsender bezeichnet.
Legal ohne Genehmigung zu betreibende Sender arbeiten in den ISM-Bändern und müssen eine Bauartzulassung besitzen. Als Funkamateur darf man seine Sender und die Antennenanlage selbst bauen oder auch gekaufte Sender verändern. Der Amateurfunkdienst ist der einzige Funkdienst, dem dieses erlaubt ist. In der Vollzugsordnung für den Funkdienst ist international festgeschrieben, dass Funkamateure gemäß der ITU-Empfehlung ITU-R M.1544 theoretische Mindestkenntnisse von Technik, Gesetzeskunde, der Abwicklung von Funkverbindungen (der sog. Betriebstechnik) sowie von elektromagnetischer Umweltverträglichkeit (EMVU) und von elektromagnetischer Verträglichkeit (EMV) haben müssen. Diese Kenntnisse muss ein angehender Funkamateur bei einer Prüfung bei seiner nationalen Fernmeldeverwaltung nachweisen.
Der CB-Funk ist dagegen bis zu bestimmten Maximalleistungen eingeschränkt privat nutzbar, Veränderungen am Gerät, so wie im Amateurfunk, sind nicht erlaubt.
Seit Februar 2006 ist in Deutschland der Betrieb von Sendern (sog. FM-Transmitter) im UKW-Band (Band II) mit kurzer Reichweite von einigen Metern mit bis zu 50 nW ERP für private Zwecke erlaubt, z. B. zur Übertragung der Signale eines MP3-Spielers zum Autoradio.
Planung
Die Planung einer Sendeanlage beginnt bei der Wahl des Standorts. Aus Gründen der elektromagnetischen Umweltverträglichkeit ist ein Mindestabstand zu Wohnhäusern einzuhalten, der von der Sendefrequenz und der Bauart der Sendeantenne abhängt.
Sender für Lang- und Mittelwelle errichtet man an einem Standort von hoher elektrischer Bodenleitfähigkeit, um eine gute Erdung zu gewährleisten. Hierfür sind Standorte am Meer oder in Flussniederungen ideal. Sendeanlagen für UKW baut man am besten erhöht, da sich diese Wellen quasioptisch ausbreiten. Man kann von dort somit größere Gebiete versorgen.
Ein Sender muss häufig mit einem eingeschränkten Richtdiagramm betrieben werden, um nicht andere Nutzer zu stören. Beispiele sind Richtfunkverbindungen oder die Kommunikationskanäle der Eisenbahn.
Standortangaben
Es ist üblich, die geographischen Koordinaten des Standortes von Sendeanlagen anzugeben. Es wird der Standort der (im Regelbetrieb verwendeten) Sendeantenne angegeben. Das ist besonders bei Funkfeuern von Bedeutung.
Bei der Angabe einer Ortsbezeichnung wird der Ort genannt, auf dessen Gemarkung sich die Sendeanlage befindet. Aus Verschleierungsgründen wurde dies in der ehemaligen Sowjetunion und den Staaten des ehemaligen Ostblocks meistens nicht getan – es wurde der nächstgrößere Ort genannt. Bei Sendeanlagen auf Berggipfeln wird meistens der Name des Gipfels genannt, manchmal aber auch die Gemarkung des Ortes, auf dem sich dieser Gipfel befindet.
Aus diesem Grund gibt es für zahlreiche Sendeanlagen oft mehrere Standortbezeichnungen.
Kulturelle Bedeutung
Manche Städte, wie Mühlacker, Ismaning, Langenberg, Rothsürben, Kalundborg, Hörby und Allouis wurden als Standorte leistungsfähiger Sendeanlagen weit bekannt. Manche Sendetürme wie der Berliner Fernsehturm oder der Stuttgarter Fernsehturm wurden zu Wahrzeichen von Städten.
Viele Sendeanlagen verfügen über sehr hohe Antennenträger, deren Realisierung oft eine bautechnische Höchstleistung war. Sie sind darum auch in der Rubrik Hohe Bauwerke aufgeführt.
Rekorde
Höchster Sendemast
1974–1991, Sendemast Radio Warschau in Konstantynów für 2000 Kilowatt Langwellensender, 648,38 Meter
1963–1974 und seit 1991, KVLY-Tower 628,8 Meter
Höchste Sendeleistungen
Langwelle, Sender Taldom 2500 Kilowatt
Mittelwelle, Sender Bolshakovo 2500 Kilowatt
Höchstgelegene Sendestandorte
UKW Pic du Aigu bei Chamonix
MW Pic Blanc in Andorra
Radiosender
Der Begriff „Radiosender“ bezeichnet, neben der Station und dem Programm (siehe Hörfunk), auch eine spezielle Sendeanlage, die Musik, Sprache oder Daten mittels eines Modulators auf eine Sendefrequenz aufmoduliert, verstärkt und einer Antenne zuführt (siehe Rundfunksender). Damit können Signale über große Distanzen übertragen und mit einem Radioempfänger empfangen werden.
In Deutschland bedarf der Betrieb (nicht der Bau) einer Sendeanlage zum Zweck der Rundfunkübertragung einer Genehmigung durch die zuständige Landesmedienanstalt.
Als FM-Transmitter bezeichnet man sehr schwache, wie UKW-Sender frequenzmodulierte Sender. Sie werden zur Übertragung von Musik und Sprache über kurze Distanzen benutzt und können mit UKW-Empfängern empfangen werden. Anwendung finden derartige Radiosender z. B. im Autokino oder innerhalb des eigenen Autos zur Einspeisung eines MP3-Players in das eigene Autoradio.
Siehe auch
Liste bekannter Sendeanlagen
Liste der Radioteleskope und Forschungsfunkstellen
Transceiver
Weblinks
Informationen und Fotos zu deutschen Sendeanlagen
Website von DCF77
Bildersammlung UHF/VHF- und UKW-Sender – Sendertechnik, Antennen, Aufbereitung und Notstromversorgung
Einzelnachweise
Anlagentyp (Kommunikation)
Funksender
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Q190157
| 96.503042 |
46539
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https://de.wikipedia.org/wiki/Chemnitz
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Chemnitz
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Chemnitz (von 1953 bis 1990 Karl-Marx-Stadt) ist eine kreisfreie Stadt im Südwesten des Freistaates Sachsen und dessen drittgrößte Großstadt nach Leipzig und Dresden. Der namensgebende Fluss verläuft durch die am Nordrand des Erzgebirges im Erzgebirgsbecken liegende Stadt. Chemnitz ist Hauptsitz der Landesdirektion Sachsen und Teil der Metropolregion Mitteldeutschland. Am 28. Oktober 2020 wurde die Stadt als Kulturhauptstadt Europas 2025 ausgewählt.
Die älteste urkundliche Erwähnung als Kameniz (von sorbisch kamjenica, „Steinbach“) datiert aus dem Jahre 1143. Mit der industriellen Revolution setzte im 19. Jahrhundert ein starkes Bevölkerungswachstum ein; nach der Reichsgründung 1871 entwickelte sich Chemnitz zu einer wichtigen Industriestadt. In der Zeit der Hochindustrialisierung im Deutschen Reich wurde Chemnitz im Laufe des Jahres 1882 zur Großstadt. Die Einwohnerzahl erreichte zu Beginn der 1930er-Jahre mit über 361.000 Personen ihren historischen Höchstwert. Im Zweiten Weltkrieg wurde bei den Luftangriffen auf Chemnitz im Februar und März 1945 die Innenstadt zu 80 % zerstört. Auf Beschluss des ZK der SED und der Regierung der DDR erfolgte am 10. Mai 1953 die Umbenennung in Karl-Marx-Stadt.
Mit ihrer über 200-jährigen Industriegeschichte ist die Stadt ein Technologiestandort mit den Branchenschwerpunkten Automobil- und Zulieferindustrie, Informationstechnologie sowie Maschinen- und Anlagenbau. Chemnitz ist Standort einer Technischen Universität.
In der Stadt im Erzgebirgsvorland befinden sich zahlreiche Freizeiteinrichtungen und Museen, darunter die Kunstsammlungen Chemnitz und das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz.
Bekannte Söhne und Töchter der Stadt sind der Maler Karl Schmidt-Rottluff, der Schriftsteller Stefan Heym, die Designerin Marianne Brandt sowie die Musiker Felix und Till Kummer, die der Band Kraftklub angehören.
Geographie
Chemnitz bildet mit den beiden anderen sächsischen Großstädten Leipzig und Dresden ein Städtedreieck, wobei Chemnitz den südwestlichen Eckpunkt bildet. Die Stadt liegt im Naturraum Erzgebirgsbecken und das Stadtgebiet im Süden auf den Ausläufern des Mittleren Erzgebirges und im Norden auf den etwa 300 m hohen Erhebungen des teils auch Mittelsächsischen Hügelland genannten Naturraums Mulde-Lösshügelland. Der Fluss Chemnitz (Flusssohle auf etwa 290 Metern über Normalhöhennull), der ab dem Zusammenfluss der beiden Mittelgebirgsflüsse Zwönitz und Würschnitz in Altchemnitz diesen Namen trägt, hat mit dem Ausschürfen eines breiten Tales das Anlegen einer Siedlung begünstigt.
Der geologische Untergrund von Chemnitz lässt sich in drei verschiedene große Einheiten gliedern. Die nördlichen und nordwestlichen Stadtteile liegen auf Granulitgebirge, das sich als Teil des Mittelsächsischen Hügellandes zwischen Glauchau und Döbeln erstreckt. Weiter wird diese geologische Zone von Norden nach Nordwesten in das Auerswalder Lösshügelland, das Untere Chemnitztal, in die Wittgensdorfer Lössplatte sowie das Röhrsdorfer Schieferhügelland unterteilt.
Das bei Chemnitz rund sieben bis acht Kilometer schmale Erzgebirgsbecken zieht sich in Südwest-Nordost-Richtung durch das Stadtgebiet. Innerhalb des Beckens befindet sich der Beutenberg (420,9 m), der die Stadt im Nordosten begrenzt. Vorherrschende Gesteine des Erzgebirgsbeckens sind neben Rotliegend-Sedimenten, Tuffe und Lösslehmauflagen. Im Bereich Chemnitz wird das Erzgebirgsbecken in den Zschopau-Hochtalboden, die Kohlung-Platte, das Zeisigwald-Struth-Hügelland, das Chemnitztal, den Chemnitz-Terrassenriedel, Siegmar-Bornaer Hügelland, das Neukirchener Hügelland und das Untere Würschnitztal untergliedert.
Der Nordrand des Erzgebirges zeigt im Raum Chemnitz ein deutliches Relief. In dieser geologischen Einheit südlich der Linie vom Galgenberg im Stadtteil Euba (471,2 m) über den Adelsberg (508,4 m) bis zum Stadtteil Klaffenbach herrschen tonschieferähnliche Phyllite und Auensedimente vor. Zerschnitten durch die Täler der Würschnitz und Zwönitz erreicht diese Geländestufe südwestlich des Zusammenflusses zur Chemnitz Höhen von 500 bis 550 m über Normalhöhennull. Hier befindet sich der im Stadtgebiet höchste Berg: die Klaffenbacher Höhe mit 523,4 m über Normalhöhennull. Der Raum findet mit den Bezeichnungen Erzgebirgsnordrandstufe, Unteres Zwönitztal, Harthauer Würschnitztal, Berbisdorfer Riedelgebiet, Dittersdorfer Riedelgebiet eine weitere Unterteilung.
Natur
Chemnitz ist eine Stadt mit ausgedehnten Grünflächen und großen Parkanlagen. Mit mehr als 1000 Hektar an Parks, Wiesen und Waldgebieten kommen auf jeden Einwohner statistisch gesehen mehr als 60 Quadratmeter Grünfläche. Im Stadtgebiet von Chemnitz gibt es vier Naturschutzgebiete (Um den Eibsee, Am Schusterstein, Am nördlichen Zeisigwald und Chemnitzaue bei Draisdorf), sowie zahlreiche Landschaftsschutzgebiete. Dazu zählen zum Beispiel das Chemnitztal, das Sternmühlental und der Rabensteiner Wald.
Stadtgliederung
Das Stadtgebiet umfasst nach zahlreichen Eingemeindungen kein einheitliches, geschlossenes Siedlungsgebiet. Die ländlichen Siedlungen vornehmlich östlicher Stadtteile sind vom Siedlungsgebiet der Chemnitzer Kernstadt getrennt, wogegen sich dieses teilweise über die westlichen Stadtgrenzen nach Limbach-Oberfrohna und Hohenstein-Ernstthal fortsetzt.
Stadtteile
Die Stadt besteht aus 39 Stadtteilen, die nach städtebaulichen, stadtplanerischen, siedlungsstrukturellen, statistischen und administrativen Gesichtspunkten festgelegt wurden. Sie sind in § 3 der Hauptsatzung der Stadt Chemnitz eindeutig benannt und nummeriert und in der zugehörigen Anlage mit ihren jeweiligen Grenzen eindeutig beschrieben. Die Festlegung der Stadtteilgrenzen erfolgte unter Nutzung eindeutiger, langfristig beständiger und real erkennbarer Objekte, z. B. Straßen, Eisenbahnstrecken, Gewässer und sonstiger markanter, natürlicher oder baulicher Grenzen. Die Stadtteilgrenzen weichen damit teilweise von den Grenzen der historischen Gemarkungen ab.
Die amtliche Kennzeichnung der Stadtteile durch Nummern erfolgte nach folgendem Prinzip: Ausgehend vom Stadtzentrum (Stadtteile Zentrum (01) und Schloßchemnitz (02)) wurden allen anderen Stadtteilen im Uhrzeigersinn in aufsteigender Folge die Zehnerstelle ihrer Kennzahl zugeordnet, die Einerstelle wurde in Richtung Stadtperipherie in aufsteigender Folge vergeben.
Ortschaften
Die Stadtteile Einsiedel, Euba, Grüna, Klaffenbach, Kleinolbersdorf-Altenhain, Mittelbach, Röhrsdorf und Wittgensdorf sind zugleich Ortschaften im Sinne der §§ 65 bis 68 der Sächsischen Gemeindeordnung. Diese Stadtteile kamen im Zuge der letzten Eingemeindungswelle nach 1990 als ehemals eigenständige Gemeinden zur Stadt Chemnitz und genießen daher diese Sonderstellung gegenüber den anderen Stadtteilen. Für diese Ortschaften gibt es je einen Ortschaftsrat, der, abhängig von der Einwohnerzahl der betreffenden Ortschaft, zwischen zehn und sechzehn Mitglieder sowie einen Ortsvorsteher als Vorsitzenden derselben umfasst. Die Ortschaftsräte sind zu wichtigen, die Ortschaft betreffenden Angelegenheiten zu hören. Eine endgültige Entscheidung obliegt jedoch dem Stadtrat der Gesamtstadt Chemnitz.
Nachbargemeinden
Die nachfolgenden Städte und Gemeinden grenzen an die Stadt Chemnitz. Sie werden im Uhrzeigersinn genannt, beginnend im Nordwesten:
im Landkreis Mittelsachsen: Hartmannsdorf, Burgstädt, Taura, Lichtenau, Frankenberg/Sa., Niederwiesa, Flöha und Augustusburg
im Erzgebirgskreis: Gornau/Erzgeb., Amtsberg, Burkhardtsdorf, Neukirchen/Erzgeb., Jahnsdorf/Erzgeb. und Lugau
im Landkreis Zwickau: Oberlungwitz, Hohenstein-Ernstthal, Callenberg und Limbach-Oberfrohna
Klima
Chemnitz liegt mit seinem vollhumiden Klima in der kühl-gemäßigten Klimazone, jedoch ist ein Übergang zum Kontinentalklima spürbar.
Im Erfassungszeitraum 1961 bis 1990 waren Juli und August mit 16,6 und 16,4 °C Durchschnittstemperatur die wärmsten Monate, das mittlere Temperaturminimum betrug im Januar −1,2 °C. Die jährliche Durchschnittstemperatur lag bei 7,9 °C. Die mittlere Sonnenscheindauer liegt bei rund 1530 Stunden im Jahr, mit 200 Sonnenscheinstunden ist der Juli der sonnigste Monat.
Der absolute Hitzerekord liegt bei +37,8 °C und wurde am 20. August 2012 an der Wetterstation des Deutschen Wetterdienstes DWD auf einer Höhe von 420 m NN registriert.
Der bisherige Kälterekord stammt vom 10. Februar 1956 mit einer Tiefsttemperatur von −28,4 °C.
Der Lage auf der Luv-Seite des Erzgebirges wegen gibt es relativ hohe Niederschlagsmengen. So liegen die Jahresniederschlagsmengen im Stadtgebiet zwischen 650 und 800 mm. Am Küchwald wurde im Referenzzeitraum 1961 bis 1990 ein durchschnittlicher Jahresniederschlag von 775 mm verzeichnet. Niederschlagsreichster Monat im Stadtgebiet ist hierbei der Juni mit 85 bis 90 mm Niederschlagshöhe, mit 35 bis 45 mm ist der Februar niederschlagsärmster Monat.
Der bisherige maximale Niederschlagsrekord an einem Tag waren 78 Liter Regen pro Quadratmeter, gemessen am 12. August 2002. Die bisher höchste registrierte Schneedecke wurde am 11. März 1988 mit einer Höhe von 66 cm an der Wetterstation in Stelzendorf gemessen.
Geschichte
Bedeutung und Herkunft des Namens
Der Name Chemnitz leitet sich vom gleichnamigen Fluss ab, der durch die Stadt fließt. Dessen Name wiederum geht auf altsorbisch Kamenica „Steinbach“ (zu kamjeń „Stein“; vgl. Kamenz) zurück.
Ur- und Frühgeschichte
Das spätere Stadtgebiet war zur Zeit des Perms von tropischen Regenwaldpflanzen bewachsen. Die Region war geprägt durch aktiven Vulkanismus, bedingt durch tektonische Vorgänge. Unter der durch Vulkaneruptionen ausgestoßenen Asche- und Gesteinsdecke wurde die Fauna und Flora verschüttet. Durch die nachfolgende Fossilisation entstand der Versteinerte Wald von Chemnitz.
Bis in das 11. Jahrhundert war das Gebiet von Chemnitz noch nicht ständig besiedelt. Dichte Wälder bedeckten Land und Gebirge. Wald und Gewässer wurden wahrscheinlich in geringem Maße von slawischen Jägern und Fischern, die seit dem 6. Jahrhundert das Altsiedelland um Rochlitz bewohnten, genutzt.
Mittelalter
Im Jahr 1136 gründete Kaiser Lothar III. bei Chemnitz das Benediktinerkloster St. Marien, das 1143 das Marktprivileg erhielt. Das Stadtrecht wurde der sich (vermutlich) an der Johanniskirche befindlichen Siedlung Chemnitz zwischen 1171 und 1174 durch Kaiser Friedrich I. (Barbarossa) verliehen. Eine neue, größere Stadtfläche wurde ab dem 13. Jahrhundert in der trockengelegten Chemnitz-Aue angelegt. Die neue Stadtanlage entsprach dem hochmittelalterlichen Bild einer ummauerten Stadt. Chemnitz war Kreuzungspunkt zweier wichtiger Fernverbindungen, der Straße von Leipzig/Altenburg über Zschopau nach Böhmen und der im 13. Jahrhundert entstandenen Frankenstraße von Nürnberg/Hof nach Freiberg/Dresden und weiter östlich nach Breslau. Die Stadt war Rast- und Tauschplatz der Kaufleute.
Nach dem Sieg der Wettiner in der Schlacht bei Lucka 1307 um die Vorherrschaft im Pleißenland wurde Chemnitz wettinische Landstadt, das Kloster aber behielt seine Reichsposition. Zwischen Stadt und Kloster gab es bis in das 16. Jahrhundert immer wieder Auseinandersetzungen. 1357 erhielten vier Bürger der Stadt durch die Markgrafen Balthasar und Friedrich das bedeutende Bleichprivileg. Damit erhielt Chemnitz eine Zentralstellung in der Textilproduktion und im Textilhandel der Markgrafschaft.
Durch Ankauf von Fluren fast aller Klosterdörfer des Benediktinerklosters (1402) erweiterte die Stadt ihr Gebiet beträchtlich, neue Vorstädte konnten sich entwickeln.
Im 15. Jahrhundert war Chemnitz weiterhin von der Textilherstellung geprägt. Mit dem Großen Berggeschrey um 1470, das mit dem Fund von Silber in Schneeberg einherging, begann für Chemnitz eine neue gewerbliche Phase. Chemnitzer Familien beteiligten sich nicht nur am Bergbaugeschäft, sondern auch an der nachfolgenden Be- und Verarbeitung. Kupferhammer und Saigerhütte wurden vor den Stadttoren an der Chemnitz errichtet. Ende des 15. Jahrhunderts entstanden mit dem Rathaus, dem Gewandhaus der Tuchmacher, der Lateinschule und mehreren Bürgerhäusern die Stadt prägende Gebäude.
Frühe Neuzeit
Etwa ab 1531 lebte und wirkte der bedeutende Universalgelehrte und Begründer der Montanwissenschaften Georgius Agricola als Stadtarzt in Chemnitz.
Mit der Einführung der Reformation im albertinischen Sachsen erfolgte 1539 die erste Kirchenvisitation in Chemnitz. 1540 wurde das Chemnitzer Franziskanerkloster aufgelöst. Das Benediktinerkloster wurde ab 1541 weltlich verwaltet und 1546/1547 in ein Schloss umgewandelt.
Im Dreißigjährigen Krieg wurde Chemnitz mehrmals zerstört. 1645 war die Einwohnerzahl der Stadt in Folge des Krieges auf weniger als ein Viertel dezimiert und zählte nur noch 1200 Menschen.
In den hundert Jahren danach stieg Chemnitz zu einem Mittelpunkt der Webfabrikation und des Manufakturwesens auf. Bergbau ist in der Stadt und den Vororten ebenfalls nachweisbar (Johannesschacht an der Stollberger Straße). Als wesentlicher Gewerbezweig entwickelte sich in der Stadt und in der Umgebung die Strumpfwirkerei. Im Vertrieb der Waren entstand das Verlagswesen.
1756–1763 wurde Chemnitz im Siebenjährigen Krieg von preußischen Truppen besetzt. Die Verluste der Stadt beliefen sich auf 1,1 Millionen Taler. In der Zeit danach erlebte Sachsen dank staatlicher Hilfe einen Aufschwung in Wirtschaft, Handel und Gewerbe. Chemnitz und sein Umland entwickelten sich zu einem Zentrum der Kattundruckerei.
Eine neue Qualität erreichte die Chemnitzer Wirtschaft durch die Mechanisierung des Spinnens mittels Wasserkraft. Nach englischem Vorbild entstanden im Schutz kurfürstlicher Privilegien Maschinenspinnereien, als erste und als Ausgangspunkt der Industriellen Revolution in Sachsen ab 1798 die Bernhardsche Spinnerei in Harthau bei Chemnitz.
Der Weg zur Industriestadt
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelte sich Chemnitz zu einer der bedeutendsten Industriestädte Deutschlands, vor allem zu einem Zentrum des deutschen Maschinenbaus. So errichtete Johann von Zimmermann in Chemnitz die erste Werkzeugmaschinenfabrik auf dem Kontinent. Seit 1835 wurden Dampfmaschinen und seit 1848 Lokomotiven (durch Carl August Rabenstein und Richard Hartmann) in Chemnitz gebaut. Die Vielzahl der Schornsteine der Fabriken und Gießereien und die damit verbundene Rauch- und Schmutzentwicklung verliehen Chemnitz den Beinamen „Sächsisches Manchester“. In der industriell bestimmten Stadt traten die sozialen Gegensätze zutage. Der Anteil der Lohnarbeiter belief sich Mitte des 19. Jahrhunderts auf ein Drittel der Bevölkerung. 1852 bekam Chemnitz mit der Eröffnung der Bahnstrecke Riesa–Chemnitz einen Eisenbahnanschluss. 1842, 1852 und 1867 fanden Industrie- und Gewerbeausstellungen in Chemnitz statt.
1883 wurde Chemnitz mit 103.000 Einwohnern Großstadt. Mit der wachsenden Bevölkerung erweiterte man seit der Mitte des 19. Jahrhunderts die Stadt baulich. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstanden die Wohnviertel Brühl, Sonnenberg und Kaßberg.
An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert war Chemnitz in Verwaltungsberichten und Adressbüchern als „Fabrik- und Handelsstadt“ ausgewiesen. In dieser Zeit verzeichnete die Stadt das höchste Pro-Kopf-Steueraufkommen und die höchste Pro-Kopf-Wertschöpfung aller deutschen Städte.
Bis zum Ersten Weltkrieg entstanden in Chemnitz repräsentative Bauten für kulturelle Einrichtungen, für die Verwaltung und für den Handel, etwa der Theaterplatz (1909) mit dem König-Albert-Museum und dem Neuen Stadttheater (ab 1925 Opernhaus), das Neue Rathaus (1911) und das Kaufhaus Tietz (1913).
Weimarer Republik und Zeit des Nationalsozialismus
In den 1920er Jahren konnten viele Vorhaben mit sozialen Zielen im Wohnungsbau verwirklicht werden. Neue Wohnsiedlungen im Stil von Gartenstädten und Wohnhöfen wurden errichtet. Es entstanden weiter eine ganze Reihe neuer Bauten für die Industrie, den Handel und die Verwaltung im Stil der Moderne, so bis 1930 das Kaufhaus Schocken an der Brückenstraße nach einem Entwurf des Architekten Erich Mendelsohn. Chemnitz erhielt zudem neue moderne Schulbauten, die Sport- und Erholungsmöglichkeiten wurden ausgebaut. Diese Entwicklung gipfelte in der Errichtung des expressionistischen Baus der Industrieschule 1928 (Architekt: Wagner-Poltrock; größte Berufsschule Deutschlands), und im 1929 begonnenen Bau des Stadtbades (Architekt: Otto; Bauhaus-Stil). In den Städtischen Theatern begann mit dem Generalintendanten Anton Richard Tauber die „Ära Tauber“. Am 2. März 1913 sang sein Sohn Richard Tauber am städtischen Theater zum ersten Mal in seiner Karriere eine Oper. Der Maschinenbau erlangte Weltgeltung.
1930 erreichte die Stadt mit über 360.000 Einwohnern ihre bislang größte Einwohnerzahl.
In den 1930er Jahren wurden vor der Weltwirtschaftskrise begonnene Bauvorhaben zu Ende geführt, so der Bau des Stadtbades und der Südkampfbahn sowie die Anlage der „Neuen Schlossteichanlagen“ auf dem Areal der ehemaligen Hartmannwerke. 1936 verlegte die Auto Union AG ihren Sitz nach Chemnitz. Der Fahrzeugbau wurde zu einem bestimmenden Produktionszweig in Chemnitz, die Automobile der Marke „Wanderer“ wurden in Chemnitz hergestellt.
Chemnitz gehörte mit zu den ersten deutschen Städten, in denen die Nationalsozialisten das Stadtparlament gleichschalteten. Die Entwicklung der Kultur und Bildung erfuhr einen Abbruch, 650 Kunstwerke wurden aus den Kunstsammlungen und 3300 Bücher aus der Stadtbibliothek entfernt.
Die jüdische Bevölkerung, die zur Entwicklung und zum Aufschwung von Chemnitz beigetragen hatte, wurde diskriminiert und verfolgt. Jüdische Unternehmer wurden enteignet. Die Synagoge wurde in der Pogromnacht abgebrannt und anschließend vollständig beseitigt. Die jüdische Bevölkerung, die nicht fliehen konnte, wurde in Ghettos und Vernichtungslager deportiert.
Während des Luftkriegs im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt wegen der schwierigen Erreichbarkeit erst spät zum Ziel alliierter Luftangriffe. Die Angriffe am 14./15. Februar und 5. März 1945 durch Bomber der britischen Royal Air Force im Rahmen der alliierten Operation Thunderclap („Donnerschlag“) richteten sich im Wesentlichen gegen die Innenstadt. Die Angriffe der United States Army Air Forces konzentrierten sich auf Bahnhöfe und Rüstungsbetriebe wie das Werk Siegmar der Auto Union, wo die Hälfte aller Motoren für die Panzer „Tiger“ und „Panther“ gebaut wurden. Der Bestand an Kirchen, öffentlichen Gebäuden und Wohnhäusern in der historischen Innenstadt und den inneren Vorstädten wurde beinahe vollständig zerstört, vom Wohnungsbestand der Stadt insgesamt ein Viertel vernichtet. Insgesamt waren etwa 3.700 Luftkriegsopfer in Chemnitz zu beklagen.
Mitte April 1945 erreichten amerikanische Truppen den Chemnitzer Norden. In Übereinstimmung mit alliierten Beschlüssen wurde Chemnitz am Morgen des 8. Mai an einen sowjetischen Stadtkommandanten übergeben. Am selben Tag marschierte ein Vorauskommando der sowjetischen Armee in Chemnitz ein.
SBZ und DDR
Durch die Kriegszerstörungen waren 100.000 Menschen obdachlos geworden. Die Stadt nahm Flüchtlinge und Vertriebene auf. Die damit große Zahl an Wohnungssuchenden musste auf die umliegenden Gemeinden ausweichen.
Die Enttrümmerung der Stadt begann sofort. Eine Trümmerbahn transportierte das geborgene Material zur Südkampfbahn, wo daraus bis 1950 eine neue Radrennbahn entstand. Weitere große Trümmermengen wurden in die ehemaligen Steinbrüche im Zeisigwald verfüllt.
Nach dem Krieg war nur noch etwa ein Siebtel der Chemnitzer Unternehmen produktionsfähig. Durch Demontagen, Entnahmen und Reparationen entstanden nachhaltige Verluste. Im Ergebnis von Befehlen der Besatzungsmacht und im Rahmen des „Volksentscheides zur Enteignung der Nazi- und Kriegsverbrecher“ in Sachsen (1946) wurden in Chemnitz 127 Unternehmen enteignet.
Am 1. September 1946 erzielte die SED in Chemnitz bei den Gemeindewahlen die absolute Mehrheit. Der Rat der Stadt fasste seine Beschlüsse auf Grundlage der Befehle der sowjetischen Militäradministration und der Ortskommandantur. 1948 wurde Chemnitz Sitz der Sowjetischen Aktiengesellschaft Wismut, die den Uranbergbau in der DDR betrieb.
Chemnitz blieb nach der DDR-Gründung weiterhin sowjetische Garnisonsstadt. Im Jahr 1952 wurde der südwestliche Teil Sachsens im Zuge der „Demokratisierung der Verwaltung“ zum Bezirk Chemnitz zusammengeschlossen. Damit bildete Chemnitz das administrative Zentrum des mit 2 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten und am dichtesten besiedelten Bezirks der DDR.
Anlässlich des „Karl-Marx-Jahres“ 1953 erfolgte die Umbenennung von Chemnitz in Karl-Marx-Stadt. Am 10. Mai vollzog Ministerpräsident Otto Grotewohl die Namensänderung in einem Staatsakt und begründete diese vor allem mit den starken Traditionen der Arbeiterbewegung in Chemnitz und den Leistungen der Stadt beim Neuaufbau.
Mit der Umbenennung der Stadt verband sich ein besonderer Anspruch für den Neuaufbau des Stadtzentrums. Zunächst vollzog sich der Wiederaufbau bis Anfang der 1950er Jahre in Anlehnung an den alten Stadtgrundriss, anknüpfend an lokale Bautraditionen. Mit den Rekonstruktionen des Alten Rathauses, des Siegertschen Hauses am Markt, des Roten Turms und des Opernhauses wurden wichtige Bauten des alten Chemnitz wiederhergestellt. Unterschiedliche Auffassungen zur Anlage des „Zentralen Platzes“ in der Innenstadt als Aufmarschplatz für politische Kundgebungen sowie zur Verkehrsführung über einen neuen Kreuzungsbereich oder den alten Johannisplatz zogen die Überarbeitung der Planungen nach sich und verzögerten den Weiterbau des Stadtzentrums. Erst 1960 begann mit dem Bau der Gebäude an der Straße der Nationen und des Rosenhofes die zweite Phase des Neuaufbaus des Karl-Marx-Städter Stadtzentrums. Eine überarbeitete Planung sah eine ganzheitliche Neuanlage der Straßen in der Innenstadt vor. Die Architektur der Gebäude war von der industriellen Bauweise geprägt. In den 1960er Jahren erlebte das Stadtzentrum umfangreiche Bauarbeiten. Neben Wohn- und Verwaltungsbauten entstanden weiterhin Anlagen für die Infrastruktur wie die Zentralhaltestelle (1967) und der Omnibusbahnhof (1968).
Als Kern der neuen Innenstadt entstand von 1969 bis 1974 das Bauensemble der Stadthalle Karl-Marx-Stadt mit dem Hotelhochhaus „Kongreß“. Der ursprünglich als Aufmarschplatz geplante „Zentrale Platz“ wurde in Abwandlung als Park an der Stadthalle hergestellt. Ihn rahmten die zwischen 1966 und 1971 neu errichteten Verwaltungsbauten des Industriezentrums Karl-Marx-Stadt und des Rates des Bezirkes mit dem am 9. Oktober 1971 enthüllten Karl-Marx-Monument. Im Zuge des 1973 beschlossenen Wohnungsbauprogrammes der DDR entstanden nach der Fertigstellung des Hotelhochhauses „Kongreß“
Im Zuge der Umgestaltung der Innenstadt wurden hier seit Mitte der 1960er Jahre erhalten gebliebene altstädtische Quartiere abgerissen. Am 15. März 1961 wurde die Ruine der 1750–1756 errichteten Paulikirche gesprengt.
Seit den 1960er Jahren wurden in Karl-Marx-Stadt mehrere neue große Wohngebiete errichtet, wie das Flemminggebiet (Altendorf) 1962–1965, das Beimler-Gebiet (Gablenz) 1967–1970 und das Yorckgebiet 1970–74. Das größte neue Wohngebiet, das Fritz-Heckert-Gebiet, wurde ab 1974 in industrieller Bauweise errichtet und erreichte bis 1990 eine Einwohnerzahl von 80.000 Personen.
Karl-Marx-Stadt entwickelte eine hohe Industriedichte. 20 % der Industrieproduktion der DDR waren in der Stadt konzentriert, fast die Hälfte der in der DDR hergestellten Textilmaschinen und etwa ein Drittel der Werkzeugmaschinen kamen von hier. Die Karl-Marx-Städter Industrie brachte Erzeugnisse und Technologien von internationalem Rang (wie die Nähwirktechnik Malimo) hervor. Der VEB Baumwollspinnerei Karl-Marx-Stadt war Stammbetrieb des
VEB Kombinat Baumwolle, mit mehr als 70.000 Beschäftigten eines der größten Kombinate der DDR.
Die wirtschaftlichen Probleme und Demokratiedefizite der DDR führten zu ihrem Ende, siehe Artikel Wende und friedliche Revolution. In den bereits bestehenden kirchlichen Gruppen und den im Sommer/Herbst 1989 neu entstandenen Bürgerinitiativen und -bewegungen kam es zum offenen Gedankenaustausch. Am 7. Oktober 1989 fand die erste Demonstration für demokratische Reformen in der DDR in Karl-Marx-Stadt statt.
In Karl-Marx-Stadt forderte zudem eine Bewegung den historischen Stadtnamen zurück. Auf Abstimmungskarten konnten die Einwohner der Stadt bis zum 22. April 1990 ihr Kreuz für Karl-Marx-Stadt oder Chemnitz machen. Am 23. April 1990 lautete das Ergebnis: 76 % der Stimmen für Chemnitz. Das neue, demokratisch gewählte Stadtparlament beschloss auf seiner ersten Sitzung am 1. Juni 1990 die Rückbenennung von Karl-Marx-Stadt in Chemnitz.
1990 bis zur Gegenwart
Chemnitz und die Region Chemnitz erlebten nach 1990 einen Strukturwandel. Das Fehlen der Absatzmärkte in Osteuropa betraf insbesondere die klassischen Chemnitzer Industriezweige und hatte – verbunden mit den Problemen, die mit der Privatisierung durch die Treuhandanstalt einhergingen – den Abbau von Arbeitsplätzen zur Folge. Chemnitz konnte sich mit seinem hohen Potential an gut ausgebildeten Fachkräften in den über zwei Jahrzehnten nach der Wiedervereinigung zu einem modernen Standort für Wirtschaft, Technologie und Innovation mit weltweit agierenden Unternehmen entwickeln. Seit 1995 sind in Chemnitz und der Region mehr als 7000 neue Unternehmen entstanden.
In Verbindung mit der Wiedererrichtung des Freistaates Sachsen im Oktober 1990 wurde der seit 1952 bestehende Bezirk Karl-Marx-Stadt aufgelöst. Chemnitz blieb aber weiterhin ein wichtiger Verwaltungsstandort. Seit 1. März 2012 ist Chemnitz Hauptsitz der Landesdirektion Sachsen.
Nach 1990 wurde das kulturelle Angebot der Stadt Chemnitz ausgebaut. Es begann der Aufbau des Sächsischen Industriemuseums Chemnitz, das 1992 eröffnete und das sich seit 2003 in der rekonstruierten ehemaligen Werkzeugmaschinenfabrik „Hermann und Alfred Escher AG“ an der Zwickauer Straße befindet. 1992 erfolgte nach vierjähriger Sanierung die Wiedereröffnung des Opernhauses Chemnitz als eines der modernsten in Europa. Im September 1995 eröffnete nach 15-jähriger Bauzeit das Schloßbergmuseum Chemnitz als stadtgeschichtliches Museum im ehemaligen Benediktinerkloster St. Marien neu. Insbesondere die Kunstsammlungen Chemnitz machten unter ihrer Direktorin Ingrid Mössinger mit vielbesuchten Ausstellungen die Stadt seit den 1990er Jahren als Kulturstadt überregional bekannt. 2004 eröffnete im ehemaligen, 1913 errichteten, Kaufhaus Tietz an der Bahnhofstraße das Kulturkaufhaus „DAStietz“, das auf rund 20.000 Quadratmetern Fläche die Volkshochschule Chemnitz, die Stadtbibliothek Chemnitz, das Museum für Naturkunde Chemnitz, die Neue Sächsische Galerie sowie Geschäfte und Cafés beherbergt. Im Jahr 2003 überführte Alfred Gunzenhauser einen großen Teil seiner privaten Sammlung deutscher Kunst des 20. Jahrhunderts in eine Stiftung mit Sitz in Chemnitz, wo zu diesem Zweck von 2005 bis 2007 der frühere Hauptsitz der Sparkasse Chemnitz aus dem Jahr 1930 zu einem Museum umgebaut wurde. Das Museum Gunzenhauser wurde am 1. Dezember 2007 vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler eröffnet. Seit dem 15. Mai 2014 besitzt Chemnitz mit dem Staatlichen Museum für Archäologie Chemnitz ein Landesmuseum.
Zwischen 1990 und 2007 wurden mehr als 250 Baudenkmale eingeebnet. Unterstützt durch den staatlich geförderten Eigenheimbau fand seit Mitte der 1990er Jahre eine starke Abwanderungsbewegung in das Umland statt, wodurch ländlich geprägte Stadtgebiete wie Reichenhain und Adelsberg profitierten.
Gegen den Abriss der Altbausubstanz gab es in Chemnitz eine Protestbewegung der Bürgerschaft, unterstützt durch die lokale und überregionale Presse. Nach dem Ende der Abrissförderung und damit einhergehend der Abrisse kam es in den Jahren 2010 bis 2013 zu einem umfangreichen Eigentumswechsel der unsanierten Chemnitzer Altbausubstanz von der städtischen Wohnungsgesellschaft zur Privatwirtschaft. Nachfolgend entwickelte sich, begünstigt durch die Zinssituation bei der Baufinanzierung, eine stärkere Sanierungstätigkeit der Privatwirtschaft an der Chemnitzer Altbausubstanz. Teil dieser Entwicklung war das Ende der 1970er Jahre zur Einkaufsstraße umgebaute und seit den 2000er Jahren größtenteils von Leerstand geprägte Gründerzeitquartier Brühl.
Chemnitz besitzt einen umfangreichen Bestand an historischen Industriebauten. Durch den Niedergang von Industrie nach 1990 und die Neuanlage von Gewerbegebieten verloren die alten Industriestandorte in der Stadt die Nutzung. Viele Denkmale der Industriegeschichte konnten in Chemnitz seit 1990 durch neue Nutzungsvarianten, wie Büronutzung, Wohnnutzung oder Nutzung für gastronomische Einrichtungen saniert werden.
Erst mit der städtebaulichen Rahmenplanung für die Innenstadt im Jahr 2000, die in Anlehnung an den Grundriss der Innenstadt bis 1945 die Verdichtung des unmittelbaren Zentrumskerns um den Rathauskomplex vorsah, und dem Bau des Einkaufszentrums Galerie Roter Turm und dem Kaufhof-Kaufhaus begann eine bauliche Entwicklung der Chemnitzer Innenstadt.
Für die neuen Gebäude lieferten zahlreiche international renommierte Architekten wie Hans Kollhoff, Helmut Jahn oder Christoph Ingenhoven die Entwürfe. In den 2000er Jahren entstand so eine neue bauliche Einfassung des Marktplatzes und des Neumarktes, sowie zwischen der Inneren Klosterstraße und dem Stadthallenkomplex die „Mittelstandsmeile“, ein kleinteiliges Quartier. In der Chemnitzer Innenstadt sind seit 1990 mehr als 66.000 Quadratmeter Einzelhandelsfläche neu entstanden. Waren seit den 2000er Jahren in Chemnitz kaum noch Hochbauprojekte realisiert worden, werden in der Stadt seit 2013 wieder vermehrt Mehrfamilienhäuser neu gebaut. Neue städtebauliche Planungen sehen die bauliche Verdichtung der innerstädtischen Viertel vor.
Ende August 2018 geriet Chemnitz in die überregionalen Schlagzeilen, nachdem es in der Stadt aus Anlass eines Tötungsdelikts gegen einen 35-jährigen Deutsch-Kubaner zu spontanen Bürgerprotesten, aber auch zu fremdenfeindlichen und rechtsextremen Ausschreitungen und tagelang anhaltenden Demonstrationen und Auseinandersetzungen verschiedener politischer Gruppierungen gekommen war.
Als Reaktion auf die Ereignisse und als Protest gegen die rechtsextremen Ausschreitungen fand am 3. September 2018 ein Openair-Konzert unter dem Motto „Wir sind mehr“ bekannter Bands wie den Toten Hosen und Kraftklub mit geschätzten 65.000 Besuchern statt.
Eingemeindungen
Eine erste Erweiterung der Fluren der Stadt Chemnitz erfolgte bereits im Jahr 1402 mit dem Kauf der damaligen Klosterdörfer Borssendorf und Streitdorf sowie Teilen der Klosterdörfer Bernsdorf, Gablenz und Kappel. Streitdorf und Borssendorf gelten als Wüstung. Borssendorf (auch Borstendorf) war eine Ansiedlung zwischen Chemnitz und Altendorf, an sie erinnert die heutige Borssendorfstraße im Stadtteil Kaßberg. 1548 findet sich noch eine Erwähnung als Borstenanger, 1590 als Borsten. Streitdorf lag nördlich der damaligen Stadt Chemnitz in Richtung des Dorfes Furth, in West-Ost-Richtung lag es zwischen dem Kloster und Hilbersdorf. Es läge etwa im Bereich des Zöllnerplatzes. Nach 1492 wurde das Dorf kaum noch erwähnt.
Im 19. Jahrhundert erlebten Chemnitz und die umliegenden Gemeinden durch die Industrialisierung einen rasanten industriellen Aufschwung, jedoch siedelten sich die Fabriken und Manufakturen zumeist aus Platz- und Steuergründen außerhalb der Stadt an. Schon bald gab es die ersten Vorschläge der umliegenden Gemeinden, aus wirtschaftlichen Gründen nach Chemnitz eingemeindet zu werden. Abgesehen von der Eingemeindung der Niklasgasse 1844 begann der Eingemeindungsprozess 1880 mit dem Zusammenschluss mit Schloßchemnitz. Bis einschließlich 1900 wurden die stark industriell geprägten Gemeinden Altchemnitz, Altendorf, Gablenz und Kappel nach Chemnitz eingemeindet. Weitere Gemeinden, Borna und Hilbersdorf, folgten bis 1914 teils aus wirtschaftlichen Aspekten, als auch zur Nutzung von Siedlungsraum für die nach Chemnitz zugezogenen Arbeiter.
Die westlich von Chemnitz gelegenen, ebenso industriell erstarkten Gemeinden Schönau, Siegmar und Rottluff lehnten grundsätzlich die Verschmelzung mit der Stadt ab. Letztere wurde jedoch in der nächsten Eingemeindungswelle vor dem Zweiten Weltkrieg zusammen mit Ebersdorf und Markersdorf eingemeindet. Erst nach der Gründung der DDR wurden auf Beschluss Siegmar und Schönau, inzwischen zur Stadt Siegmar-Schönau erhoben, zusammen mit weiteren rings um Chemnitz gelegenen Gemeinden mit Chemnitz verschmolzen. Danach gab es nur geringfügige Grenzverschiebungen, darunter die Einziehung eines Territoriums von Neukirchen für die Errichtung des „Fritz-Heckert-Gebiets“ im heutigen Hutholz.
Nach der Wiedererrichtung des Freistaates Sachsen 1990 wurde der Bezirk Chemnitz aufgelöst. Im Rahmen der Kreisgebietsreform 1994 wurde ein Teil der Städte und Gemeinden des Landkreises Chemnitz in den neuen Landkreis Chemnitzer Land eingegliedert. Der andere Teil ging im Landkreis Mittweida auf, einige Gemeinden kamen zum Mittleren Erzgebirgskreis und zum Landkreis Stollberg. Seit längerem gibt es Bestrebungen, die Gemeinde Neukirchen nach Chemnitz einzugliedern. Dies scheiterte bislang am Widerstand des einstigen Landkreises Stollberg und der Gemeinde Neukirchen selbst. Chemnitz selbst blieb kreisfreie Stadt.
Die bisher letzte Eingemeindungswelle erfolgte von 1994 bis 1999, in der unter anderem Einsiedel, Klaffenbach, Röhrsdorf, Wittgensdorf, Mittelbach und Grüna in die Stadt einbezogen wurden. Betrug Ende des Jahres 1993 die Größe von Chemnitz noch 129,75 Quadratkilometer, erreichte sie Anfang 1997 175,67 Quadratkilometer und am 1. Januar 1999 schon 220,85 Quadratkilometer. Chemnitz zählt nach diesen umfangreichen Eingemeindungen zu den flächengrößten Städten Deutschlands.
Bevölkerung
Einwohnerentwicklung und Demographie
Im Jahr 1883 wurde Chemnitz mit über 100.000 Einwohnern die 15. Großstadt Deutschlands und erreichte 1930 mit einer Einwohnerzahl von über 360.000 ihren bisherigen Bevölkerungshöchststand. Bedingt durch die Wirren des Krieges sank die Einwohnerzahl bis 1945 kurzzeitig auf unter 250 000, stieg in den folgenden Jahrzehnten – bis zur Wende 1989 – wieder um ein Viertel. Seitdem ist die Stadt von Bevölkerungsrückgang betroffen. So verlor die Stadt – gemessen am gegenwärtigen Gebietsstand – seit 1990 mehr als 20 % ihrer Einwohner. Trotz zahlreicher Eingemeindungen in den 1990er Jahren konnte der negative Bevölkerungstrend nur kurzzeitig gestoppt werden. Die Einwohnerzahl der Stadt fiel im Dezember 2003 unter 250 000, bis 2011 auf rund 240.000. Bis 2015 stieg sie auf über 248.000. Am 30. November 2019 lag sie bei 246.550. Zum 30. April 2020 lag die Einwohnerzahl bei 245 769.
Sprache
In Chemnitz wird ein meißnischer Großstadt-Dialekt gesprochen, der Einflüsse aus dem Vorerzgebirgischen aufweist. Neben dem bereits dort beschriebenen no’r wird in Chemnitz häufig hier (sächsisch hioorr) als Füllwort verwendet. Zu DDR-Zeiten wurde deshalb Chemnitz als die Stadt mit den drei „o“ bezeichnet (Korl-Morx-Stodt).
Religionen
Christentum
Die Bevölkerung der Stadt Chemnitz gehörte anfangs zum Bistum Meißen. Die Stadt war bereits ab 1254 Sitz eines Archidiakonats. Ab 1313 war der jeweilige Abt des Benediktinerklosters der Archidiakon. 1539 wurde die Reformation eingeführt und mit dem Pfarrer in St. Jacobi eine Superintendentur verbunden. 1540 wurden die noch bestehenden Klöster aufgehoben. Danach war Chemnitz über viele Jahrhunderte eine überwiegend protestantische Stadt. Vorherrschend war das lutherische Bekenntnis, doch kamen im 16. Jahrhundert reformierte Bestrebungen auf, die sich jedoch nicht durchsetzen konnten. Chemnitz blieb innerhalb Sachsens stets Sitz einer Superintendentur. Dieser Verwaltungsbezirk wird als Kirchenbezirk genannt. Die Kirchengemeinden der Stadt gehören alle zu diesem Kirchenbezirk innerhalb der Region Chemnitz der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens. Der Kirchenbezirk Chemnitz umfasst auch Gemeinden außerhalb der Stadt Chemnitz. Innerhalb der Evangelischen Landeskirche gibt es in Chemnitz eine Landeskirchliche Gemeinschaft.
Darüber hinaus gibt es eine evangelisch-reformierte Gemeinde. Diese gehört zur Evangelisch-reformierten Kirche mit Sitz in Leer.
Im 19. Jahrhundert zogen wieder Katholiken in die Stadt. Diese gründeten alsbald eine eigene Pfarrgemeinde. Wie alle Katholiken im damaligen Königreich Sachsen gehörte die Gemeinde in Chemnitz zum Apostolischen Vikariat mit Sitz in Dresden, das seit 1743 zuständiger Verwaltungsbezirk in der Nachfolge des in der Reformationszeit aufgelösten Bistums Meißen war. Aus diesem Verwaltungsbezirk entstand 1921 (wieder) das Bistum Meißen, seit 1980 Bistum Dresden-Meißen, das zur Kirchenprovinz Berlin (Erzbistum Berlin) gehört. Chemnitz wurde innerhalb des Bistums Meißen Sitz eines Dekanats, zu dem Pfarrgemeinden außerhalb von Chemnitz gehören.
Neben diesen Kirchen können viele Gemeinden verschiedener Freikirchen auf ein langes Wirken in Chemnitz zurückblicken. Darunter befinden sich eine Gemeinde der Evangelisch-Lutherischen Freikirche, die Elim-Gemeinde (Mitglied im Bund Freikirchlicher Pfingstgemeinden), zwei Gemeinden im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden – eine Baptistengemeinde sowie eine Brüdergemeinde –, die Heilsarmee, zwei evangelisch-methodistische Gemeinden sowie ein in der Evangelisch-methodistischen Kirche beheimatetes Klinikum (Bethanien). Ferner gibt es eine Gemeinde der Siebenten-Tags-Adventisten, der Neuapostolischen Kirche und eine Freie evangelische Gemeinde.
Außerdem gibt es 12 Gemeinden der Zeugen Jehovas.
Judentum und Islam
Das Leben der Stadt Chemnitz wurde durch eine in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandene, lebendige jüdische Gemeinde stark geprägt. Im Jahr 1879 fand die erste Bestattung auf dem jüdischen Friedhof im Stadtteil Altendorf statt, und 1899 konnte die erste Chemnitzer Synagoge am Stephanplatz eingeweiht werden. Um 1923 erreichte die jüdische Gemeinde mit 3.500 Mitgliedern ihren bisherigen Höchststand. Es gab 26 jüdische Vereine, und jeder dritte der 600 Chemnitzer Fabrikanten, jeder zehnte Arzt sowie viele Künstler waren Juden. In der Pogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 wurde die Synagoge zerstört. Viele jüdische Bürger verloren durch den Nazi-Terror ihr Leben oder mussten fliehen.
Ab 1945 gab es nur noch eine winzige Gemeinde, 1957 mit gerade noch 35 Mitgliedern. 1961 erhielt sie ein Gemeindehaus auf der Stollberger Straße 28. 1989 war die Gemeinde auf zwölf Personen geschrumpft. Nach der Deutschen Wiedervereinigung stieg die Zahl durch Zuwanderung aus GUS-Ländern auf etwa 650 Mitglieder. Im Jahr 2002 wurde eine neue Synagoge geweiht. Seit dem 6. September 2015 hat die jüdische Gemeinde von Chemnitz mit Jakov Pertsovsky erstmals seit 1938 wieder einen eigenen Rabbiner.
In Chemnitz existiert zudem eine muslimische Gemeinde, deren Gebetsräume sich im Stadtteil Zentrum befinden.
Konfessionsstatistik
Gemäß dem Zensus 2011 waren 11,9 % der Einwohner evangelisch und 2,1 % römisch-katholisch. 85 % waren konfessionslos, gehörten einer anderen Glaubensgemeinschaft an oder machten keine Angabe. Jahresende 2019 waren von den 246.908 Einwohnern 11,1 % (27.474) evangelisch, 2,3 % (5.653) römisch-katholisch. 86,6 % sind konfessionslos oder gehören einen anderen Glaubensgemeinschaft an. Einer Abnahme der Zahl der Protestanten steht eine kleinere Zunahme der Zahl der Katholiken gegenüber.
Politik
Im Jahre 1298 ist für Chemnitz bereits ein Bürgermeister und ein Rat bezeugt, die beide an der Spitze der Stadtverwaltung standen.
Im 14. Jahrhundert hatte der Rat mit dem Bürgermeister insgesamt zwölf Mitglieder. Ab 1415 gab es drei Räte, der „alte Rat“ (vom Vorjahr), der „neue Rat“ und der „ruhende Rat“, wobei der alte und neue Rat zusammen den „voll sitzenden Rat“ ergaben. Ihm stand der Bürgermeister vor. Nach dem Dreißigjährigen Krieg gab es nur noch ein Ratskollegium. 1831 wurde eine neue Städteordnung eingeführt. Danach wählten die Bürger ihre Vertretung, die ihrerseits den Bürgermeister und die besoldeten Stadträte wählte. Mit dem Ausscheiden der Stadt Chemnitz aus der Amtshauptmannschaft 1874 erhielt der Bürgermeister den Titel Oberbürgermeister. Bekannte Bürgermeister aus der Zeit vor 1874 waren Ulrich Schütz (um 1500), Georgius Agricola (1546, 1547, 1551 und 1553), Paul Neefe (1556), Atlas Crusius (1663–1675), Christian Friedrich Wehner (1831–1846) sowie Johannes Friedrich Müller (1848–1873).
Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde der Oberbürgermeister von der NSDAP eingesetzt. Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die sowjetische Besatzungsmacht den „Rat der Stadt“ beziehungsweise die Stadtverordnetenversammlung ein. In der DDR fanden Wahlen statt, bei denen es oft keine echte Möglichkeit der Auswahl gab. Es wurde starker direkter und indirekter Druck auf nicht linienkonforme Teile der Bevölkerung ausgeübt, die Wahlen waren nicht frei und unabhängig.
Nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland wurde das zunächst als Stadtverordnetenversammlung, nunmehr als Stadtrat bezeichnete Gremium, wieder frei gewählt. Vorsitzender dieses Gremiums war zunächst ein besonderer Vorsitzender (ab 1990 Reinhold Breede, CDU). Der Oberbürgermeister ist Vorsitzender des Stadtrats. Der Stadtrat wählte anfangs den Oberbürgermeister. Seit 1994 wird der Oberbürgermeister jedoch direkt von den Bürgern der Stadt gewählt.
Oberbürgermeister
Liste der Oberbürgermeister seit 1874
Nachdem Peter Seifert im Frühjahr 2006 seinen Rücktritt zum 31. Juli 2006 aus Altersgründen angekündigt hatte, fand am 11. Juni 2006 die erste Runde der Neuwahl des Stadtoberhauptes statt, bei der kein Kandidat die erforderliche absolute Mehrheit der Stimmen erreichen konnte. Die zweite Runde gewann am 25. Juni 2006 Barbara Ludwig (SPD) mit 49,65 % der abgegebenen Stimmen. Sie konnte jedoch zunächst das Amt des Oberbürgermeisters nicht antreten, da eine Klage gegen die Wahlumstände vorlag. So wurde sie im September 2006 vom Stadtrat zunächst zur Amtsverweserin gewählt, die den Titel Oberbürgermeisterin führt. Die Vereidigung als gewählte Oberbürgermeisterin erfolgte erst nach Beendigung des juristischen Verfahrens zum 18. Juli 2007. Die Zeit als Amtsverweserin wird auf die Wahlperiode der Oberbürgermeisterin angerechnet. Im November 2020 wurde Sven Schulze zum Amtsverweser gewählt, da gegen seine Wahl als Oberbürgermeister drei Wahlanfechtungen eingereicht wurden. Er hatte den zweiten Wahlgang der Oberbürgermeisterwahl am 11. Oktober 2020 mit der relativen Mehrheit der Stimmen gewonnen. Nachdem die Oberbürgermeisterwahl rechtskräftig geworden ist, erklärte Sven Schulze das Amt des Oberbürgermeisters am 12. März 2021 offiziell anzutreten.
Stadtrat
Die Zusammensetzung des Chemnitzer Stadtrates zeichnet sich durch ein breites parteipolitisches Spektrum aus, das auch Parteien der politischen Ränder umfasst.
Durch Fraktionswechsel zweier Stadträte änderten sich nach der Wahl 2004 die Fraktionen: Zunächst hatte die FDP vier, die Fraktion Perspektive Chemnitz drei Sitze. Als ein Stadtrat kurz danach zur FDP wechselte, gewann diese einen Sitz; der Fraktion Perspektive Chemnitz blieben zwei Räte. Ein Stadtrat verließ die Fraktion der Republikaner, so dass dieser statt ursprünglich fünf vier Sitze blieben. Im Juni 2008 verließ der Abgeordnete Paus die Fraktion der CDU, da diese sich bei der Wahl des Rechtsdezernenten nach seiner Auffassung mit der Fraktion DIE LINKE abgesprochen habe. Der Stadtrat hatte daher bis Juni 2009 zwei fraktionslose Mitglieder.
Bei der Wahl 2009 hatte die Fraktion der FDP zunächst sieben Sitze erreicht. Da zwischen den Wählervereinigungen Liste C, Perspektive und Volkssolidarität keine Bürgerfraktion zustande kam, wechselten die Stadträte der Liste C und der Perspektive zur FDP. Im September 2010 wechselte der Stadtrat Hans-Peter Lohse erneut, diesmal zur CDU; nun hatte die Fraktion der FDP acht und die der CDU 15 Sitze. Im Juni 2010 wechselte eine auf der Liste der Volkssolidarität gewählte Stadträtin zur Fraktion der SPD.
Die Sitzverteilung im Stadtrat seit 1990
Nach der Kommunalwahl 2019 haben sich im Stadtrat folgende Fraktionen gebildet: CDU (13 Mitglieder), AfD (11 Mitglieder), DIE LINKE./Die PARTEI (11 Mitglieder), GRÜNE (incl. VOSI + PIRATEN, 9 Mitglieder), SPD (7 Mitglieder), Pro Chemnitz (5 Mitglieder) und FDP (4 Mitglieder).
Wappen, Flagge und Dienstsiegel
Die Stadt Chemnitz führt ein Wappen, eine Flagge und ein Dienstsiegel.
Das „Große Wappen“ der Stadt Chemnitz zeigt im gespaltenen Schild heraldisch rechts in Gold zwei blaue Pfähle, links in Gold einen aufgerichteten, schwarzen, rot bewehrten Löwen (Meißner Löwe). Über dem rot ausgeschlagenen Bügelhelm mit Medaillon und blausilbernen Decken zeigt es eine goldene Krone, daraus wachsend zwei mit Mundlöchern versehene silberne Büffelhörner, beide außen mit je fünf dreiblättrigen silbernen Lindenzweigen besteckt. Als „Kleines Wappen“ wird nur der Schild verwendet. Das Dienstsiegel zeigt das „Kleine Wappen“ der Stadt mit der Umschrift „Stadt Chemnitz“.
Die Krone weist auf die ehemalige Reichsstadt Chemnitz hin, die von dem aus Bayern stammenden König Ludwig IV. (daher die blausilbernen Farben) 1324 an die sächsischen Fürsten verpfändet und nicht wieder eingelöst wurde. Auf diese Besitzveränderung deuten der Löwe für die Markgrafschaft Meißen und die Landsberger Pfähle für die Mark Landsberg hin. Beide Wappensymbole sind bereits seit dem 15. Jahrhundert in den Siegeln der Stadt nachweisbar (vgl. das Wappen von Leipzig und Dresden). Sie wurden von den Kurfürsten von Sachsen als Herrscher über die Stadt Chemnitz geführt. Seit dem 18. Jahrhundert werden beide Wappensymbole in gespaltenem Schild dargestellt.
Als Flagge führt die Stadt Chemnitz die Farben Blau (oben) und Gold (unten). Diese Stadtfarben, statt Gold häufig Gelb, finden oftmals bei stadteigenen Unternehmen Verwendung.
Stadtwappen vor 1904
Das Wappen der Stadt, als Reichsstadt, war ein Tor mit drei Türmen, an dem mittleren zwei kaiserliche Adler auf Schilden. Als markgräflich meißnische Stadt drei hinter einer Festungsmauer stehende Türme, mit einem geöffneten Tore, in dem das Brustbild des Apostels Jakobus als Schutzpatron der Stadt in einem Mantel mit dem Stab erscheint. Über dem Tor ein offener Helm, darüber zwei Büffelhörner und an dem mittleren Turm zehn Fähnchen, oben in zwei Schilden rechts zwei Schrägbalken und links der meißnische Löwe. Das kleine Wappen enthält nur die beiden letzten Schilde mit den beiden Schrägbalken (Sachsen) und dem Löwen (das Markgrafthum Meißen) andeutend, oben darüber den Helm und zwei Büffelhörner mit zehn Fähnchen, dreiblättrige Rauten vorstellend.
Letztmals wurde das Chemnitzer Wappen im Jahr 1904 verändert. Im Gegensatz zum bestehenden Wappen sah der Löwe bis 1904 nach außen zum Rand des Schildes.
Stadtsignet
Die Stadt hat außer den Wappen, Flagge und Dienstsiegeln in den 1990er Jahren extra ein Signet in Auftrag gegeben, das von jedem Bürger der Stadt offiziell genutzt werden durfte. Nach Unstimmigkeiten im Stadtmarketing wurde das „Chemnitzer Copyright C“ mit einer Kampagne durch das neue Logo „Chemnitz – Stadt der Moderne“ ersetzt.
Leitsprüche
Der seit 2007 offiziell verwendete Slogan „Stadt der Moderne“ bezieht sich auf das wirtschaftliche Aufstreben der Stadt während der industriellen Moderne und auf die deutlichen Einflüsse der kulturellen und architektonischen Moderne, die sich in der kontrastreichen Architekturlandschaft sowie in der Liste der berühmten Söhne und Töchter widerspiegeln. Weitere Slogans waren bis 2007, auf das Karl-Marx-Monument, die geografische Lage sowie die Innovationskraft der Region anspielend, „Stadt mit Köpfchen“, „Chemnitz – Tor zum Erzgebirge“ und „InnovationsWerkStadt“.
Musiktitel
Karl-Marx-Stadt wurde zum Leitmotiv mehrerer Musikstücke. Die russische Band Megapolis veröffentlichte 1992 einen Schlager, 2012 folgte Kraftklub mit dem Rap-Song Ich komm aus Karl-Marx-Stadt und 2019 ihr Frontmann Felix Kummer mit der Solosingle 9010 (ehemalige Postleitzahl von Karl-Marx-Stadt).
1997 schrieb Astrid Himmelreich das Chemnitz-Lied. Von Klemmi, Sänger von ROCKWÄRTS, stammt die Rock-Hymne Chemnitz. Hitradio RTL Sachsen veröffentlichte am 19. Dezember 2014 den Sachsenhit: Chemnitz, eine Kontrafaktur von Another One Bites the Dust.
Städtepartnerschaften
Daneben pflegen einzelne Stadtteile Partnerschaften zu weiteren Gemeinden im In- und Ausland. Es bestand eine Partnerschaft mit Irkutsk. Chemnitz ist aktives Mitglied des europäischen Städtenetzwerkes Eurocities.
Wirtschaft und Infrastruktur
Chemnitzer Wirtschaft
Die Kernbranchen Automobilindustrie und Maschinenbau sind eng vernetzt mit einer breiten Basis aus Unternehmen angrenzender Branchen, vor allem der Werkstoff- und Beschichtungstechnik, Metallverarbeitung, Automatisierungstechnik und Mikrosystemtechnik. Diese Systemkompetenz und eine starke Präsenz von unternehmensnahen Dienstleistern sorgen für eine umfassende Abdeckung der Wertschöpfungskette.
Seit 1995 entstanden in Chemnitz und der Region mehr als 7000 neue Unternehmen. Namhafte Firmen wie das Volkswagen-Motorenwerk, die Union Werkzeugmaschinen GmbH sowie Hörmann Rawema haben ihren Sitz in der Stadt. Die Continental AG und IBM besitzen Filialen. Die Schweizer Starrag Group übernahm die Heckert Werkzeugmaschinen GmbH. Niles Simmons (USA), Barmag (Schweiz) und Anchor Lamina (Kanada) sind in Chemnitz engagiert.
Im Februar 2023 betrug die Arbeitslosenquote 8,1 %. Dieser Wert war der höchste der drei kreisfreien sächsischen Städte und nach dem Landkreis Görlitz der zweithöchste Wert des Freistaates Sachsen. Im Bereich des SGB II lag die Arbeitslosenquote von 6,1 % über den Werten der ostdeutschen Länder sowie deutlich über dem Bundesdurchschnitt.
In Chemnitz arbeiteten im vierten Quartal 2016 rund 115.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte. Seit dem Jahr 2006 nimmt die Zahl stetig zu. Das Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2015 rund 8,1 Milliarden Euro, was 55.407 Euro je Erwerbstätigem und 32.795 Euro je Einwohner entspricht. Damit belegt Chemnitz hinsichtlich der Wirtschaftsleistung (gemessen am BIP je Erwerbstätigen) im Vergleich der kreisfreien Städte und Landkreise in Sachsen Platz 7 von 13.
Im Zukunftsatlas 2019 wird Chemnitz auf Rang 243 von 401 kreisfreien Städten und Landkreisen gelistet. Zukunftschancen und -risiken gelten laut diesem Ranking als ausgeglichen.
Gesundheitswirtschaft
Die Stadt ist Mitglied des bundesweiten Gesunde-Städte-Netzwerks, bundesweit gibt es 67 Mitgliedsstädte.
Im Konzern Klinikum Chemnitz gGmbH, dem größten kommunalen Krankenhaus in Ostdeutschland, sind gegenwärtig über 5000 Mitarbeiter beschäftigt, damit ist das Unternehmen – nach VW Sachsen – der zweitgrößte Arbeitgeber in der Region Chemnitz. Das ehemalige Bezirkskrankenhaus ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung, das am Bergarbeiter-Krankenhaus Schneeberg beteiligt ist und die Strahlentherapie in Zschopau betreibt. Die Stroke Unit am Klinikum gehört ebenso wie das Level-1-Perinatalzentrum, das Brust- und das Darmzentrum zu den Einheiten mit überregionaler Bedeutung, das Klinikum wurde zudem als eine von drei Modellregionen für geriatrische Netzwerke in Sachsen ausgewählt. Die Klinikum Chemnitz gGmbH wurde als erstes Krankenhaus in Deutschland im Jahr 2000 nach Joint Commission International zertifiziert. Als drittes Krankenhaus überhaupt auf der Welt gelang zudem die dritte Re-Zertifizierung im Jahr 2010.
Außerdem gibt es in Chemnitz zwei Krankenhäuser der Regelversorgung, die Zeisigwaldkliniken Bethanien und das DRK-Krankenhaus in Rabenstein, ein ehemaliges Wismut-Krankenhaus. Das Chemnitzer DRK-Krankenhaus kooperiert eng mit dem DRK-Krankenhaus in Lichtenstein, so besitzen beide Häuser einen gemeinsamen Geschäftsführer. Die Zeisigwaldkliniken können ein zertifiziertes Darm- und ein Prostatakrebszentrum vorweisen, in Rabenstein gibt es ein Brust- und ein Hautkrebszentrum.
Die Klinik Carolabad in Rabenstein ist ein Zentrum für Verhaltensmedizin, Psychosomatik, Psychotherapie und Psychiatrische Rehabilitation.
Maschinen- und Anlagenbau
Seit der Mitte des 19. Jahrhunderts hat Chemnitz den Ruf eines Zentrums des Maschinenbaus. Johann von Zimmermann setzte ab 1848 erstmals in Deutschland in seinem Betrieb ausschließlich auf den Bau von Werkzeugmaschinen. Von anderen belächelt, hatte er damit Erfolg und war der Erste, der in Deutschland nachhaltig und dauerhaft Werkzeugmaschinenbau betrieb. In Chemnitz existiert die älteste sächsische und in Deutschland eine der ältesten Werkzeugmaschinenfabriken: die UNION Werkzeugmaschinen GmbH. Sie wurde 1852 von David Gustav Diehl, einem Elsässer, gegründet. Bereits 1850 befanden sich 62 Prozent aller sächsischen Maschinenbaufabriken in Chemnitz. Damit wurde Chemnitz zur Wiege des deutschen Maschinenbaus und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges wichtigsten Maschinenbaustandort in Deutschland.
Es sind über 100 mittelständische Unternehmen in dieser Kernbranche tätig. Darüber hinaus finden sich mehr als 500 Maschinenbau- und Zulieferunternehmen im regionalen Umfeld. Die Branche zeichnet sich durch eine über fünfzigprozentige Exportquote aus. Herausragende Kompetenzen im Raum Chemnitz liegen in der Herstellung von Werkzeug-, Textil- und Sondermaschinen sowie in der Automatisierungstechnik. Mehr als 10.000 Fachkräfte sind in diesem Sektor beschäftigt.
Automobil- und Zulieferindustrie
1932 wurde die Auto Union AG gegründet, die von 1936 bis 1948 hier ihren Sitz hatte. Später war nachfolgend hier der Sitz des VEB IFA-Kombinates PKW, Karl-Marx-Stadt und des WTZ-Automobilbau (WTZ – wissenschaftliches und technisches Zentrum). Genannt seien an dieser Stelle die Unternehmen SITEC Industrietechnologie, ESKA Schraubenwerke, Hydroforming Chemnitz, Anchor Lamina, Niles Simmons sowie die IAV Ingenieurgesellschaft. Im Motorenwerk Chemnitz, einem Unternehmen der Volkswagen Sachsen GmbH, werden 3400 Motoren und 3000 Ausgleichswellengetriebe pro Tag gefertigt.
Messe Chemnitz
Die Messe Chemnitz wurde 2003 eröffnet und befindet sich in zwei Hallen auf dem Gelände der ehemaligen Wanderer-Werke in Chemnitz-Schönau. Für die Messehalle „Chemnitz Arena“ wurde eine 1956 errichtete Produktionshalle, in der Flugzeugmotoren hergestellt wurden, umgebaut. Eine architektonische Besonderheit der Chemnitz Arena sind die in den Bau integrierten, ehemaligen Prüftürme für die Flugzeugmotoren.
Die Messe Chemnitz gehört zur C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren GmbH, eine eigenständige Tochtergesellschaft der Stadt Chemnitz. Sie besitzt 11.000 m² Ausstellungsfläche in den beiden Hallen und 8000 m² Freigelände. Jährlich finden in der Messe Chemnitz rund 100 Veranstaltungen mit mehr als 240.000 Besuchern statt.
In der DDR besaß Karl-Marx-Stadt die Messehallen am Schloßteich. Nach der Eröffnung der Messe Chemnitz wurden diese 2007 abgerissen.
Einzelhandel
Die Chemnitzer Einkaufslandschaft ist von den nach 1990 entstandenen Einkaufszentren und Kaufhäusern geprägt. Historisch gewachsene Einzelhandelsstrukturen finden sich weniger als in anderen Städten gleicher Größenordnung. In der Innenstadt entstanden zum Beispiel die Galerie Roter Turm (seit 27. April 2000), Galeria Kaufhof (seit 18. Oktober 2001), Peek & Cloppenburg (seit 3. September 2003), Rathauspassage, Schmidt-Bank-Passage, Klosterstraße und Rosenhof. Am Rande der Stadt Chemnitz wurden große Einkaufszentren (Chemnitz Center, Neefepark und andere) errichtet.
Weitere ansässige Unternehmen (Auswahl)
Bruno Banani
Deutsche Post – Briefzentrum
Deutsche Telekom
Eins Energie in Sachsen
Envia Mitteldeutsche Energie
Karl Mayer Malimo Textilmaschinenfabrik
OC Oerlikon
Siemens
Terrot
Einsiedler Brauhaus
Thyssenkrupp Dynamic Components
Regionale Zusammenarbeit
Chemnitz ist das Oberzentrum des ehemaligen Direktionsbezirks Chemnitz. Die Stadt ist mit rund 46.000 Einpendlern täglich eine Einpendlerstadt. Rund ein Viertel der Beschäftigten in Chemnitz kommt aus dem regionalen Umfeld. Dies unterstreicht die erhebliche Bedeutung der Stadt als Beschäftigungsfaktor für die Region. Der Beschäftigungsanstieg seit 2006 in Chemnitz liegt um ein Drittel höher als im Direktionsbezirk. Jeder dritte neue Arbeitsplatz in Südwestsachsen ist in Chemnitz entstanden.
Die Stadt engagiert sich wesentlich in drei regionalen Zusammenhängen: der Metropolregion Mitteldeutschland, der Wirtschaftsregion Chemnitz-Zwickau und dem neu gegründeten Regionalkonvent.
Bildung und Forschung
Technische Universität Chemnitz (TUC)
Die Technische Universität Chemnitz geht zurück auf die 1836 gegründete Königliche Gewerbschule Chemnitz, die anfangs eine Bildungsstätte der Textilindustrie war. 1882 kam die Elektrotechnik hinzu. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs wurde sie als Staatliche Akademie für Technik geführt und 1947 unter dem Namen Technische Lehranstalten wieder eröffnet. Im Jahre 1953 stieg sie zur Hochschule für Maschinenbau auf und 1963 wurde sie eine Technische Hochschule. Schließlich wurde sie 1986 in den Rang einer Technischen Universität erhoben. Die Technische Universität hat zwischen 10.000 und 11.000 Studenten.
Um die Zusammenarbeit zwischen Stadt und Universität weiter zu verbessern, wurde im Jahr 2007 eine entsprechende Kooperationsvereinbarung getroffen, die den Austausch auf vielen Ebenen vorantreibt.
Die TU Chemnitz unterhält ein Zentrum für Mikrotechnologien und ein Institut für Mikrosystem- und Halbleitertechnik mit mehreren Professuren. Weiterhin sind als außeruniversitäre Forschungspartner das Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme und das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik ansässig. In unmittelbarer Nähe dieser Einrichtungen entstand auf 6,3 Hektar Fläche als Gewerbestandort für die Mikrosystemtechnik der „Smart Systems Campus“. Im Sommer 2009 wurden die letzten Bauarbeiten abgeschlossen.
Das Spitzentechnologiecluster Energieeffiziente Produkt- und Prozessinnovationen in der Produktionstechnik (eniPROD) der TU Chemnitz und des Fraunhofer-Instituts für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik setzte sich 2008 im sächsischen Landesexzellenzwettbewerb durch und wurde bis 2013 mit 35 Mio. Euro an Forschungsgeldern aus Landesmitteln und aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung gefördert. Aufgabe der Projektverbundes ist es, die Energieeffizienz in der Produktion zu erhöhen.
Forschungseinrichtungen
Rund 50 Forschungs- und Entwicklungseinrichtungen existieren in Chemnitz (Auswahl):
Institut Chemnitzer Maschinen und Anlagenbau e. V. (ICM e. V.)
Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU)
Fraunhofer-Institut für Elektronische Nanosysteme (ENAS)
Fraunhofer-Forschungszentrum Systeme und Technologien für textile Strukturen (STEX)
Zentrum für Mikrotechnologien (ZfM) der TU Chemnitz
Institut für Mechatronik e. V. (IfM)
Institut für Konstruktion und Verbundbauweisen e. V. (KVB)
SIVUS gGmbH Gesellschaft für Verfahrens-, Umwelt- und Sensortechnik
Sächsisches Textilforschungsinstitut e. V. (STFI)
Cetex Chemnitzer Textilmaschinenentwicklung gGmbH
Exzellenzzentrum Automobilproduktion am Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik IWU und der Volkswagen AG
Leibniz-Institut für Festkörper- und Werkstoffforschung Dresden (IFW), Forschungsstandort Chemnitz
Fort- und Weiterbildung
Volkshochschule Chemnitz
Bildungszentrum des Sächsischen Handels gGmbH
LEB im Freistaat Sachsen e. V.
PROFIL Bildungsgesellschaft mbH
Schulen
Im Schuljahr 2017/18 gab es 87 Schulen in Chemnitz, davon 45 Grundschulen, 16 Oberschulen und zehn Gymnasien. Bis 2008 nahm die Zahl der Schulen kontinuierlich ab, ebenso wie die Zahl der Schüler. Seitdem gab es aber bis zum Schuljahr 2017/18 eine Stabilisierung der Schulzahlen und eine deutliche Erhöhung der Schülerzahlen, worauf mit einem Investitionsprogramm für den Neubau von mehreren Grundschulen und Oberschulen reagiert wird.
Bekannte Schulen sind das Sportgymnasium (ehemals DDR Kinder- und Jugendsportschule Karl-Marx-Stadt), an der spätere Spitzensportler wie Katarina Witt, Michael Ballack und Lars Riedel ausgebildet wurden. Das Johannes-Kepler-Gymnasium, früher „Spezialschule Hans Beimler“, ist wegen der Teilnahmen seiner Schüler an unterschiedlichen Weltmeisterschaften auf mathematisch-naturwissenschaftlichem Gebiet bekannt. Das älteste Gymnasium der Stadt ist das Georgius-Agricola-Gymnasium, das unter anderem bilingualen Unterricht anbietet. In noch älterer Tradition, nämlich der der 1399 eröffneten Lateinschule, steht das Karl-Schmidt-Rottluff-Gymnasium auf dem Kaßberg, in dem seit 1871 unterrichtet wird. Zu seinen Schülern zählten Stefan Heym und Karl Schmidt-Rottluff. Das historisch bedeutsame, ehemalige Alexander-von-Humboldt-Gymnasium war in den 1920er Jahren die „Versuchsschule Chemnitz“. Zudem gibt es noch das Johann-Wolfgang-von-Goethe-Gymnasium im Stadtteil Bernsdorf und das musisch orientierte Dr.-Wilhelm-André-Gymnasium auf dem Kaßberg.
Die Chemnitzer Schullandschaft ist breit gefächert, von einer Freien Waldorfschule über Schulen mit leistungssportlicher Ausrichtung (Sportoberschule und Sportgymnasium) und Schulen in freier Trägerschaft bis hin zu Abendoberschule und Abendgymnasium. Eine Ausnahme im sächsischen Schulsystem stellt das Chemnitzer Schulmodell dar, das als Gemeinschaftsschule mit „besonderem pädagogischen Profil“ betrieben wird. Im Stadtteil Sonnenberg wurde für 35 Mio. Euro der „Terra Nova Campus“ als Förderzentrum für Körperbehinderte errichtet, auch für Hörgeschädigte, Sehbehinderte und Sprachgestörte gibt es spezialisierte Förderschulen. Zudem stehen schulergänzende Einrichtungen wie ein Internat am Sportgymnasium, ein Heim für körper- und mehrfachbehinderte Kinder und Jugendliche, ein Medienpädagogisches Zentrum und ein Schulplanetarium zur Verfügung.
Erfindungen und Patente
Seit 2005 ist die Zahl der Patentanmeldungen in Chemnitz um rund 67 Prozent gestiegen und lag bei 50,3 Patentanmeldungen je 100.000 Einwohner im Jahr 2008.
Junge, innovative Unternehmen und Start-ups finden Unterstützung im Technologie Centrum Chemnitz (TCC). Das TCC ist eines der erfolgreichsten Technologiezentren Mitteldeutschlands. Als modernes Dienstleistungszentrum betreut und begleitet das TCC technologieorientierte Unternehmensgründungen und Jungunternehmen. Es werden 66 Unternehmen mit 406 Mitarbeitern im TCC betreut. Sie finden auf 11.000 Quadratmetern Werkstatt- und Bürofläche beste Voraussetzungen. Die Erzeugnisse der Firmen im TCC werden überwiegend als „höherwertige Technik“ oder „Spitzentechnik“ eingestuft. Rund 75 Prozent der TCC-Firmen betrieben eigene Forschung und Entwicklung.
Bereits in der Vergangenheit waren die Chemnitzer sehr einfallsreich. In Chemnitz gemachte Erfindungen sind zum Beispiel:
Die Bauform des Bandoneons wurde 1834 vom Chemnitzer Instrumentenbauer Carl Friedrich Uhlig entwickelt und als „Accordion neuer Art“ oder „Harmonika“ bezeichnet.
Der Nullenzirkel mit feststehender Achse (1874) sowie die Punktierfeder wurden von dem gelernten Uhrmacher Emil Oskar Richter erfunden.
Die Grundlage für die Thermoskanne schuf der Lehrer Adolf Ferdinand Weinhold. In seinem Lehrbuch „Physikalische Demonstrationen“ beschrieb er eine Vakuum-Mantelflasche zu Laborzwecken.
Das erste vollsynthetische Feinwaschmittel (Fewa) erfand 1932 Heinrich Gottlob Bertsch.
Öffentliche Einrichtungen
In Chemnitz haben folgende Einrichtungen und Institutionen beziehungsweise Körperschaften des öffentlichen Rechts ihren Sitz:
Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Außenstelle)
Bundesanstalt Technisches Hilfswerk, Ortsverband und Regionalstelle Chemnitz
Handwerkskammer Chemnitz
IHK Chemnitz (ehemals IHK Südwestsachsen Chemnitz-Plauen-Zwickau)
Landesamt für Steuern und Finanzen, Dienststelle Chemnitz (ehemals Oberfinanzdirektion Chemnitz und Landesamt für Finanzen, Außenstelle Chemnitz)
Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit (ehemaliges Landesarbeitsamt)
Landesdirektion Sachsen
Sächsisches Landesarbeitsgericht
Sächsisches Landessozialgericht
Landgericht Chemnitz
Amtsgericht Chemnitz
Sozialgericht Chemnitz
Verwaltungsgericht Chemnitz
Arbeitsgericht Chemnitz
Kommunaler Sozialverband Sachsen, Außenstelle Chemnitz
Straßenbauamt Chemnitz
Landesamt für Straßenbau und Verkehr (LASuV), Autobahnmeisterei Chemnitz
Hauptzollamt Erfurt – Standort Chemnitz (ehemals Hauptzollamt Chemnitz)
CWE / Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft mbH
Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, Regionaldirektion Chemnitz (zuständig für Sachsen)
Sächsische Bildungsagentur (dem Sächsischen Staatsministeriums für Kultus nachgeordnete Landesbehörde, die hauptsächlich die Aufgaben der ehemaligen Regionalschulämter wahrnimmt)
Sächsische Landesstelle für Museumswesen
Landesuntersuchungsanstalt für das Gesundheits- und Veterinärwesen, Standort Chemnitz
Bundesverwaltungsamt, Standort Chemnitz
Verkehrsanbindung
Straßenverkehr
Chemnitz wird von zwei Autobahnen durchzogen. Durch das nordwestliche Stadtgebiet führt als Ost-West-Achse die Bundesautobahn 4 Kirchheim – Görlitz. Diese trifft am Kreuz Chemnitz auf die von Hof nach Leipzig führende Bundesautobahn 72, die die westlichen Stadtteile erschließt. Im Chemnitzer Stadtgebiet gibt es acht Anschlussstellen zu den beiden Autobahnen. Die Bundesstraße 174 zwischen Chemnitz und Komotau (CZ) über Zschopau und Marienberg ist teilweise vierstreifig ausgebaut, der Ausbau innerhalb der Stadt steht bevor.
Durch das Chemnitzer Stadtgebiet führen die Bundesstraßen 95, 107, 169, 173 und 174. Sämtliche Bundesstraßen bilden den südöstlichen Teil des sogenannten Cityrings, der das Stadtzentrum vollständig umschließt. Der Südring soll in nordöstlicher und nordwestlicher Richtung verlängert werden, so dass in Zukunft der Verkehr aus Richtung Erzgebirge über diese Verbindung zur Autobahn 4 geführt werden kann. Eine Verbindung mit der westlich der Stadt liegenden BAB 72 ist bereits vorhanden.
Die Idee von zwei Stadtringen um das historische Zentrum wurde im frühen 20. Jahrhundert geboren. Jedoch konnte keiner der beiden Ringe verwirklicht werden. Es existieren ein Teilstück des Innenstadtrings im Bereich zwischen Zschopauer- und Zwickauer Straße sowie ein größerer Teil des äußeren Stadtringes, dem Südring weiter stadtauswärts.
Schienenverkehr
Entwicklung des Eisenbahnnetzes im Raum Chemnitz
Seit der Fertigstellung der Chemnitz-Riesaer Eisenbahn 1852 war die Stadt über Riesa mit der Eisenbahn an die beiden anderen sächsischen Großstädte Leipzig und Dresden angeschlossen. 1858 folgte die Erweiterung der Bahnstrecke nach Zwickau als Teil der Niedererzgebirgischen Staatsbahn, hinzu kamen in der Folgezeit weitere Bahnstrecken nach Annaberg 1866, nach Dresden und Hainichen 1869, nach Leipzig und nach Limbach 1872, nach Aue und nach Marienberg 1875, nach Stollberg sowie 1895 und 1902 nach Wechselburg. 1903 folgte die für den Güterverkehr bestimmte Güterumgehungsbahn nach Grüna. Chemnitz zählte in der Weimarer Republik zu den Städten mit der höchsten Verkehrsdichte, so verkehrten 1927 ab Chemnitz Hauptbahnhof 360 Zugfahrten täglich (dies entsprach Leipzig Hauptbahnhof). Mit dem Einbau einer Seilablaufanlage wurde der Rangierbahnhof der Stadt 1929 zu einem der modernsten Deutschlands.
Eisenbahnverkehr
Nach Dresden und Zwickau verkehren Regionalbahnen der Bayerischen Oberlandbahn, vermarktet als Mitteldeutsche Regiobahn, im Stundentakt. Darüber hinaus bedienen ausgehend von Dresden Regional-Express-Züge die Sachsen-Franken-Magistrale bis Hof. Bis Dezember 2011 verknüpfte eine Regional-Express-Verbindung Chemnitz über die Mitte-Deutschland-Verbindung mit Erfurt und Göttingen, seitdem muss auf dieser Relation in Glauchau umgestiegen werden. Stündlich stellen Regional-Express-Züge die Verbindung zum nationalen Knoten Leipzig Hauptbahnhof sicher. Auf den Strecken in Richtung Annaberg-Buchholz und Vejprty sowie nach Pockau-Lengefeld und Olbernhau über Flöha verkehren Regionalbahnen der Erzgebirgsbahn. Die Strecken nach Stollberg, nach Burgstädt, nach Hainichen und nach Aue werden durch die City-Bahn Chemnitz befahren.
Die Strecken nach Grüna/Wüstenbrand und Limbach-Oberfrohna sind stillgelegt und werden weder für Personen- noch für Güterverkehr genutzt.
Am 11. Dezember 2005 startete die Deutsche Bahn mit dem Chemnitz-Leipzig-Express (CLEX) und der Kampagne „Start-Ziel-Sieg: 59 Minuten von Chemnitz nach Leipzig“ Bemühungen, die Verbindungen von und nach Chemnitz zu verbessern. Dabei wurde zwar die Strecke nach Leipzig 2004–2006 für eine Geschwindigkeit von abschnittsweise bis zu 160 km/h ausgebaut, jedoch ist die Bahnstrecke größtenteils eingleisig und zudem nicht elektrifiziert. Seit 2015 wird die Strecke nicht mehr durch DB Regio Südost mit Neigetechnik-Triebwagen bedient, sondern durch die Transdev Regio Ost mit lokbespannten Reisezugwagen.
Im Eisenbahngüterverkehr ist Chemnitz nach Stilllegung und Abbruch des Rangierbahnhofes Chemnitz-Hilbersdorf kein Eisenbahnknoten mehr.
Nach Einstellung des Interregios Berlin–Riesa–Chemnitz im Jahre 2006 war der Vogtland-Express die einzige Fernverkehrsanbindung der Stadt. Zum 31. Dezember 2012 wurde diese Linie eingestellt und durch eine gleichnamige Fernbuslinie ersetzt. Im Juni 2022 wurde nach mehr als 15 Jahren Unterbrechung erstmals wieder eine Intercity-Verbindung von Chemnitz über Dresden und Berlin nach Rostock-Warnemünde eingerichtet. Zuvor war Chemnitz lange Zeit die größte deutsche Stadt ohne Anbindung an den Fernverkehr der Deutschen Bahn.
Öffentlicher Nahverkehr
Den innenstädtischen öffentlichen Personennahverkehr bedienen sechs Straßenbahnlinien, 25 Stadtbuslinien der Chemnitzer Verkehrs-Aktiengesellschaft (CVAG) und 27 Regionalbuslinien. Des Weiteren führen nunmehr mehrere Stadtbahnlinien vom Stadtzentrum nach Stollberg, Burgstädt, Mittweida und Hainichen. Dabei befahren die Niederflurfahrzeuge sowohl das Straßenbahn- als auch das Eisenbahnnetz. Täglich bedienen zwischen 23:45 Uhr und 4:45 Uhr acht Nachtbuslinien alle dichtbesiedelten Stadtteile. Die Stadt Chemnitz ist in den Verkehrsverbund Mittelsachsen (VMS) eingebunden. Alle öffentlichen Verkehrsmittel können daher zu einheitlichen Tarifen des VMS benutzt werden.
Die drei wichtigsten Haltestellen des öffentlichen Nahverkehrs sind Zentralhaltestelle mit jeweils vier Straßenbahn- und Stadtbahn- sowie neun Stadtbuslinien, Omnibusbahnhof als Zentraler Omnibus-Bahnhof (ZOB) für den Regional- und Fernbusverkehr und Hauptbahnhof, Knotenpunkt der 19 im Stadtgebiet liegenden Bahnhöfe als zentraler Umsteigepunkt zum Schienenverkehr.
Das Streckennetz der Straßenbahn ist verhältnismäßig klein und bedient hauptsächlich Stadtteile im südlichen Stadtgebiet, da im Rahmen eines Umspurungsprogrammes (von 925 mm auf 1435 mm) bis Ende der 1980er Jahre Strecken stillgelegt und insbesondere in nördlichen Stadtteilen (noch) nicht reaktiviert wurden. Die sechs Straßenbahnlinien tragen einstellige Liniennummern. Rund die Hälfte aller eingesetzten Straßenbahnfahrzeuge waren bis 2020 hochflurig. Inzwischen werden die hochflurigen Tatra-Bahnen nur noch eingesetzt, wenn zu viele Skoda- bzw. Vario-Bahnen ausfallen.
Sämtliche Stadtbuslinien werden mit behindertenfreundlichen Niederflurbussen befahren, die mit einer elektronisch gesteuerten Luftfederung ausgestattet sind. Stadtbusse tragen zweistellige Liniennummern, die acht Nachtbuslinien vor den zweistelligen Linienkennungen das Präfix N.
Zusätzlich zum rein städtischen Nahverkehr werden im Stadtgebiet 27 Regionalbuslinien (betrieben von Regiobus Mittelsachsen und Regionalverkehr Erzgebirge) bedient. Darunter sind zwei Expressbuslinien. Die Regionalbuslinien haben eine dreistellige Nummerierung.
Seit 2014 wurden im Rahmen des „Chemnitzer Modells“ die Regionalstadtbahnlinien nach Burgstädt, Hainichen und nach Mittweida mit neu beschafften Zwei-System-Fahrzeugen in Niederflurbauweise über das Straßenbahnnetz sukzessive in die Chemnitzer Innenstadt verlängert. Dabei ist 2014 eine Durchfahrt im Hauptbahnhof geschaffen worden, um Straßenbahn- und Eisenbahnnetz miteinander zu verbinden. Nach der im Dezember 2017 erfolgten Fertigstellung der neuen Straßenbahnstrecke über die Technische Universität bis zur Endhaltestelle Technopark wurde dort im Januar 2022 eine Verknüpfung zur Bahnstrecke Chemnitz–Adorf in Betrieb genommen, um das südliche Umland zu erschließen. Weitere Ausbaustufen sehen die Erschließung nördlicher und östlicher Stadtteile mit Straßenbahnstrecken sowie deren jeweilige Fortführung ins Umland vor.
Die Regionalstadtbahnlinien der City-Bahn Chemnitz nach Stollberg (C11), Aue und Burgstädt (C13), Thalheim und Mittweida (C14) sowie Hainichen (C15) tragen zweistellige Liniennummern mit einem vorangesetzten C. Auf den Stadt-Umland-Linien C11-C15 werden nur Niederflurbahnen eingesetzt.
Flugverkehr
Südlich von Chemnitz befindet sich der Flugplatz Chemnitz-Jahnsdorf.
Der Flugplatz Chemnitz-Jahnsdorf ist nicht der erste Chemnitzer Flughafen. Die ersten Luftfahrt-Veranstaltungen nach dem Bauprinzip „schwerer als Luft“ fanden am 21./23. und 29. Mai 1911 auf dem alten Flugplatz an der Zschopauer Straße statt. Jahre später wurde dann an der Stollberger Straße ein neuer Flughafen eröffnet. Die Einweihung fand am 2. Mai 1926 und der reguläre Flugverkehr einen Tag später statt. Es gab Verbindungen nach Dresden, Leipzig, Plauen und Prag. Da in den 1930er Jahren die Flugzeuge größer und schneller wurden, lohnten Kurzstrecken nicht mehr und die Linienflüge wurden eingestellt. Beim Frachtverkehr rangierte der Flughafen lange Zeit deutschlandweit an vierter Stelle nach Berlin, Frankfurt/M. und Köln. Später noch für Rundflüge genutzt, wurde mit Beginn des Zweiten Weltkrieges der zivile Flugverkehr ganz eingestellt. 1958 bis 1962 bediente die Deutsche Lufthansa der DDR den Flughafen im Inlandsflugverkehr. Mit Flugzeugen des Typs Antonow An-2 wurden Berlin-Schönefeld (bis sechsmal täglich), Dresden, Leipzig und Erfurt angeflogen. Bis in die 1970er Jahre wurde der Flugplatz von der GST genutzt. Erhalten geblieben vom einstigen Flughafen ist lediglich das Flughafengebäude (auch „Ikarus“ genannt) an der Stollberger Straße, das ehemalige Flugfeld wurde bebaut und Teil des Wohngebietes „Fritz Heckert“.
Die nächstgelegenen internationalen Flughäfen sind der Flughafen Dresden (80 Kilometer), der Flughafen Leipzig/Halle (90 Kilometer) und der Flughafen Prag (145 Kilometer). Außerdem gibt es den etwa 50 Kilometer entfernten Flugplatz Altenburg-Nobitz, der momentan keine Linienflüge anbietet. Es gibt zu keinem der Flughäfen einen dafür eingerichteten öffentlichen Zubringerdienst von Chemnitz aus, verschiedene Taxiunternehmen bieten aber Zubringerdienste an.
Medien
Medienhaus Chemnitz
Das Medienhaus Chemnitz befindet sich auf der Carolastraße zwischen der Straße der Nationen und dem Hauptbahnhof Chemnitz.
Die Geschichte des Gebäudes beginnt in den Jahren 1862 bis 1864, als mit dem Bau zweier einzeln stehender Privatvillen in der damaligen „Karolinenstraße“ Nr. 4 und Nr. 6 begonnen wurde. In den Jahren 1910 bis 1911 wurde das Haus Nr. 4 zum Geschäftssitz der Handelskammer Chemnitz, nach Plänen des Chemnitzer Architekturbüros Zapp & Basarke, umgestaltet. Nach 28 Jahren, im Jahr 1938 erwarb die Handelskammer das Grundstück Nr. 6 und führte die beiden Häuser, durch einen baulichen Zusammenschluss, nach den Plänen des Architekten Erich Basarke, zusammen. Nach dem Krieg im Jahr 1945 kam das Haus in den Besitz der Sowjetischen Militäradministratur. Im Jahre 1950 wurde das Medienhaus erneut zum Geschäftssitz der Industrie- und Handelskammer Chemnitz unter der Adresse Bahnhofsstraße 4–6. Nach der Wende im Jahr 1991 wurde das Haus unter Denkmalschutz gestellt und die Bahnhofstraße in Carolastraße umbenannt. Von 1991 bis 2000 richteten verschiedene Unternehmen Büroräume im Haus ein. Im Jahre 2000 und 2001 wurde das Haus komplett saniert und als Medienhaus Chemnitz eingerichtet. Im Haus sind Printunternehmen (wie der Telefonbuch-Verlag Sachsen GmbH) und Hörfunksender (wie Radio Chemnitz, MDR Sachsen, apollo radio), Produktionsstudios (wie soundjack tonstudios gmbh) untergekommen.
Presse
Im ehemaligen Direktionsbezirk Chemnitz erscheint als Tageszeitung die „Freie Presse“. Sie ist mit einer verkauften Auflage im vierten Quartal 2007 von 311.200 Exemplaren pro Werktag (Quelle: IVW) nach eigener Aussage die auflagenstärkste regionale Tageszeitung Mitteldeutschlands. Des Weiteren erscheint in der Stadt die Chemnitzer Morgenpost (verkaufte Auflage VI/2007: 33.000 Exemplare) von Gruner + Jahr als Lokalausgabe der Morgenpost Sachsen. Sie gibt es mit einer eigenen Ausgabe am Sonntag („Morgenpost am Sonntag“). Die bundesweit erscheinende Bild-Zeitung bedient mit einer Redaktion in Chemnitz die Region, verkaufte Auflage: 50.600 Stück. Die monatlich erscheinenden Stadtmagazine „371 Stadtmagazin“ (etwa 17.000), „Stadtstreicher“ (etwa 17.400), „Blitz! Chemnitz“ (etwa 22.700) und „port01“ (etwa 8.600) enthalten einen Veranstaltungsplaner für Chemnitz, Zwickau und deren Großraum.
Als kostenlose Chemnitzer Anzeigenblätter werden jeden Mittwoch der „WochenSpiegel“ und „BLICK“ sowie samstags der „WochenSpiegel zum Wochenende“ verteilt, der BLICK erscheint zudem sonntags als „Sonntagsblick“.
Die Stadt Chemnitz gibt das wöchentlich erscheinende „Amtsblatt Chemnitz“ heraus. Es wird von der Pressestelle im Rathaus redaktionell betreut und mit einer Auflage von 130.000 Exemplaren mittwochs kostenlos an einen Großteil der Chemnitzer Haushalte verteilt. Das zum Teil von Anzeigen finanzierte „Rathaus-Journal“ veröffentlicht amtliche Bekanntmachungen und berichtet über das aktuelle Stadtgeschehen. Es kann (zurück bis ins Jahr 2005) als PDF-Datei auf der städtischen Internetseite heruntergeladen werden.
Hörfunk
Seit dem 23. Mai 1993 ist der Radiosender Radio Chemnitz terrestrisch über die Frequenz 102,1 MHz in der Region Chemnitz zu empfangen. Ebenso kann terrestrisch auf 102,7 MHz Montag bis Freitag von 18 bis 19 Uhr das „Radio UNiCC“ – das Uniradio der TU Chemnitz – sowie von 19 bis 23 Uhr (Sa. und So. von 12 bis 24 Uhr) das Chemnitzer Freie Radio Radio T empfangen werden. Auf der gleichen Frequenz sendet aus dem Medienhaus Chemnitz das sächsische apollo radio. Einer der Sächsischen Ausbildungs- und Erprobungskanäle (kurz: SAEK) ist in Chemnitz ansässig und sendete per Livestream im Internet. Der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) berichtet auf der Frequenz 92,8 MHz im Programm MDR Sachsen mehrfach am Tag aus seinem Chemnitzer Studio. Der private Hörfunkkanal Radio PSR (100,0 MHz) hatte ab 1992 ein Regionalstudio in Chemnitz, das später geschlossen wurde. Regionale Informationen aus Chemnitz und der Umgebung gibt es zudem im Programm von Radio Energy (97,5 MHz), das hier seit dem 21. Juni 1993 sendet und zunächst ein Regionalstudio am Rosenhof und später in der Schulstraße (Europark) unterhielt.
Fernsehen
In der Region Chemnitz ist über Kabel und Antenne der Fernsehsender Sachsen Fernsehen zu empfangen, der von der 09111 Studio Chemnitz GmbH & Co. KG produziert wird. Zunächst begann dieser Regionalsender am 4. Oktober 1993 mit der erst viertel-, dann halbstündigen Sendung Drehscheibe Chemnitz, die als werktägliches Regionalfenster das analog auf dem terrestrischen Kanal 45 ausgestrahlte VOX von 17:30 bis 18:00 Uhr unterbrach. Die Wiederholung erfolgte von 18:00 bis 18:30 Uhr, ebenso werktäglich, auf Kanal 47, auf dem das Programm von RTL ausgestrahlt wurde. Seit Juli 1999 ist Sachsen Fernsehen ganztägig auf dem bisher von RTL genutzten terrestrischen Kanal zu sehen. Weitere Lizenznehmer sind Leipzig Fernsehen und Dresden Fernsehen.
Der SAEK betreibt in Chemnitz einen Fernsehbereich, bei dem sich junge Fernsehmacher ausprobieren können. Dafür stellt Sachsen Fernsehen sonntags ein Programmfenster bereit. Daneben gab es 1995/96 mit MIG Chemnitz TV ein weiteres Regionalprogramm, das hauptsächlich analog im Kabelnetz der RFC ausgestrahlt wurde. Außer einer Bildschirmzeitung wurde ein täglich wiederholtes wöchentliches Regionalmagazin gezeigt.
Filme
Karl-Marx-Stadt war Handlungs-, jedoch kein Drehort im James-Bond-Film Octopussy aus dem Jahre 1983.
Daneben existieren mehrere Filme mit Chemnitz als Drehort, so „Bilderbuch Deutschland: Chemnitz – Das Tor zum Erzgebirge“, die Erstausstrahlung der 45-minütigen Dokumentation in der ARD erfolgte am 27. Juni 2004. Die neunteilige Jugendserie „Die Eisprinzessin“ der ARD von 1991 hatte ebenfalls Chemnitz als Drehort.
Die Folge „Reklamierte Rosen“ der Fernsehserie Polizeiruf 110 von 1976 spielt teilweise in Karl-Marx-Stadt.
Der Chemnitzer Filmnachwuchs wird durch die Chemnitzer Filmwerkstatt gefördert.
2010 wurde Chemnitz in dem deutschen, 2011 zum ersten Mal ausgestrahlten Film Go West – Freiheit um jeden Preis zum Drehort. In dem ersten Teil des Films ist das Eisenbahnmuseum Chemnitz-Hilbersdorf Drehort für einen tschechischen Güterbahnhof. Im zweiten Teil ist Chemnitz ein Drehort für eine Szene in Budapest. Dabei sind die Gebäude der Chemnitzer Innenstadt sowie der Sonnenberg mit seiner markanten Markuskirche im Hintergrund zu sehen.
Tourismus
Die Sehenswürdigkeiten der Stadt, ihre Veranstaltungen und Messen und die Nähe zum Erzgebirge ziehen zahlreiche Touristen und Geschäftsreisende an. Jährlich besuchen knapp 215.000 Gäste die Stadt und verweilen im Schnitt zwei Tage. Der Anteil der ausländischen, zum Großteil europäischen Gäste betrug dabei fast 20 %.
Hotels
In der alten Industrie- und Handelsstadt Chemnitz waren bis zu deren Zerstörung 1945 eine Vielzahl von Hotels ansässig. Große Häuser wie das „Hotel Stadt Gotha“ oder das „Hotel Carola“ prägten die Stadt architektonisch. Schon vor der Gründerzeit besaß Chemnitz Herbergen und Hotels. In dem Hotel de Saxe am Roßmarkt nächtigte Johann Wolfgang von Goethe im September 1810 während seines Chemnitz-Aufenthaltes.
Das 1930 eröffnete und im modernen Stil gebaute „Hotel Chemnitzer Hof“ bildet mit den in Karl-Marx-Stadt neu errichteten Hotelbauten „Dorint Kongresshotel“ und dem „Hotel an der Oper“, neben einer Vielzahl von kleineren Hotels, den Kern des Hotelangebotes in Chemnitz.
Sehenswürdigkeiten und Kultur
Wahrzeichen
Bekanntestes Wahrzeichen der Stadt ist das 1971 eingeweihte Karl-Marx-Monument des russischen Künstlers Lew Kerbel. Es war bei Festtagen der DDR Kulisse für Festzüge und andere Massenveranstaltungen. Es finden häufig Konzerte, Festveranstaltungen und Demonstrationen vor dem Denkmal statt. Zu DDR-Zeiten diente das dahinterliegende Gebäude der Karl-Marx-Allee 10/12 (heute Brückenstraße) dem Rat des Bezirks und der SED-Bezirksleitung als Dienstsitz. Am Haus Nr. 10 ist eine Wandtafel mit dem Ausspruch „Proletarier aller Länder vereinigt Euch!“ aus dem Kommunistischen Manifest in deutscher, englischer, französischer und russischer Sprache eingelassen. Der Chemnitzer Volksmund bezeichnet das Denkmal auch als Nischel (sächsischer Dialekt für Kopf). Es ist nach der ägyptischen Sphinx der zweitgrößte freistehend modellierte Kopf der Welt und nach dem Lenin-Kopf im russischen Ulan-Ude die zweitgrößte Porträtbüste der Welt.
Bauwerke
Der Rote Turm ist das auffälligste Denkmal aus der mittelalterlichen Geschichte von Chemnitz. Sein Unterteil aus Bruchstein stammt vermutlich noch aus dem späten 12. oder dem beginnenden 13. Jahrhundert. Bei systematischen Untersuchungen 1957/1958 wurde festgestellt, dass die Stadtmauer jünger ist als der Turm und an diesen anbindet. 1555 wurde das Obergeschoss aus Backstein mit gotischer Verblendarchitektur aufgesetzt. Der Turm diente lange Zeit als Stadtfronfeste. Im März 1945 brannte er bei den Luftangriffen aus, wurde 1952 mit einem Notdach versehen, 1957/58 wiederaufgebaut und als Museum eingerichtet. Seit September 2007 ist der Rote Turm für Chemnitz auf der Deutschlandausgabe des Spiels Monopoly zu sehen.
Markanter Orientierungspunkt der Chemnitzer Innenstadt ist das Doppelrathaus, bestehend aus dem Alten und dem Neuen Rathaus. Das spätgotische Alte Rathaus entstand 1496–1498 an der Stelle hölzerner Vorgängerbauten und wurde später mehrfach umgebaut. Im Zweiten Weltkrieg ist es bis auf die Gewölbe im ersten Obergeschoss ausgebrannt und wurde beim Wiederaufbau um ein Geschoss erhöht. An der Frontseite des Rathausturms befindet sich das Judith-Lucretia-Portal von 1559, das vor der Zerstörung seitlich angebracht war. Zu dem Komplex des Rathauses gehört der ältere Hohe Turm, der wahrscheinlich Teil einer innerstädtischen Eigenbefestigung aus der Zeit um 1200 war. In der Nacht vom 3. zum 4. Februar 1946 stürzte der Turm ein. Die Ruine wurde zunächst gesprengt, der Turm später jedoch wiederaufgebaut. Das Neue Rathaus wurde von 1908 bis 1911 nach einem Entwurf des Stadtbaurats Richard Möbius errichtet. Das Portal aus dem Ende des 14. Jahrhunderts stammt von der damals abgebrochenen Alten Lateinschule.
Die Stadtkirche St. Jakobi ist die älteste erhaltene Kirche der Stadt. Sie stammt aus dem 14. Jahrhundert und befindet sich im Stadtzentrum direkt hinter dem Alten Rathaus. Im Zweiten Weltkrieg wurde sie stark beschädigt, am 5. März 1945 brannte sie durch Bombeneinwirkung aus, Gewölbe und Pfeiler im Langhaus stürzten im Juni 1945 ein, die neogotische Innenausstattung aus dem späten 19. Jahrhundert wurde vernichtet. Durch Anbringung eines Notdachs 1945 konnten erhaltene Gewölbe-Teile gerettet werden. Der abgemauerte Chor wurde seit 1949 wieder genutzt. Weitere Sicherungs- und Instandsetzungsarbeiten an der Kirche erfolgten in den nächsten Jahrzehnten, im Chor ist der Wiederaufbau noch nicht abgeschlossen.
Am Markt steht das Siegertsche Haus mit einer prachtvollen Barockfassade. Es entstand in den Jahren von 1737 bis 1741 nach den Plänen des Architekten Johann Christoph von Naumann. Nach der Zerstörung im Zweiten Weltkrieg blieb nur die Barockfassade des Hauses erhalten. Beim Neuaufbau des Gebäudes 1953/1954 wurde diese in den Neubau integriert.
Ein Rest des ehemaligen Benediktinerklosters ist die Schloßkirche auf dem Schloßberg, eine spätgotische Hallenkirche und Nachfolgerin einer romanischen Basilika von 1136. Die Schloßkirche wird als Gründungsort der Stadt Chemnitz angenommen. Ihr schließt sich das Schloßbergmuseum Chemnitz an. Die Schloßkirche erlitt 1945 Bombenschäden am neogotischen Turmhelm, am Dach und an der Nordfassade. Schadensbeseitigung und vereinfachter Turmabschluss erfolgten von 1946 bis 1949, die Restaurierung des Innenraums von 1950 bis 1957.
Der Theaterplatz stellt ein innerstädtisches Architekturensemble dar, das die architektonische Prägung von Chemnitz vor 1945 andeutet. Linker Hand befindet sich das 1909 von Stadtbaurat Richard Möbius errichtete König-Albert-Museum mit den Kunstsammlungen, rechter Hand steht die Petrikirche, ein neogotischer Sandsteinbau, der von dem Architekten Hans Enger entworfen und 1888 geweiht wurde. Zwischen beiden Gebäuden schließt das Opernhaus (1906–1909 von Richard Möbius) den modern gestalteten Platz ab.
Zu den bedeutendsten Villen in Chemnitz zählen die zwischen 1903 und 1911 errichtete Villa Esche sowie die Villa Koerner aus dem Jahr 1914. Beide entstanden nach Entwürfen des bedeutenden Jugendstil-Architekten Henry van de Velde, die Villa Esche war sein erstes in Deutschland ausgeführtes Wohnhaus.
In den 1920er Jahren entstanden mehrere qualitativ anspruchsvolle Bauwerke sowohl im expressionistischen Stil als auch im Sinne des neuen Bauens. Unter den expressionistischen Bauten sind die Industrieschule, 1924–1928 nach Plänen Friedrich Wagner-Poltrocks errichtet, und der Uhrturm der Firma Schubert & Salzer, 1928 von Erich Basarke geschaffen, hervorzuheben. Eigenwillig ist das erste Hochhaus der Stadt, von Willy Schönefeld 1926 für die Möbelstoffweberei Cammann & Co errichtet. Stadtbaurat Fred Otto (1883–1944, ab 1925 im Amt) schuf mit der Wasserwerksverwaltung (1927), der Sparkasse am Falkeplatz (1939, heute Museum Gunzenhauser) und dem Stadtbad (1929–1935) selbst wichtige Zeugnisse der Klassischen Moderne, förderte in seiner Funktion aber auch andere moderne Architekten. Wagner-Poltrock fand mit dem Umspannwerk am Getreidemarkt (1929) und der Diesterwegschule Gablenz (1930) zum modernen Bauen. Der 1931 von Curt am Ende fertiggestellte Sitz der AOK am Schloßteich war das erste Gebäude mit einer Fassadenverkleidung aus Porphyrtuff. Der radikalste unter den modernen Chemnitzer Architekten Max W. Feistel, baute sein Wohn- und Atelierhaus am Kesselgarten 1928 in Montagebauweise. Das Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn, 1930 eingeweiht, gehört zu den Hauptwerken der Klassischen Moderne und dient als Staatliches Museum für Archäologie Chemnitz.
Im Stadtteil Rabenstein steht mit dem 1950 eröffneten ehemaligen Kulturpalast der Bergarbeiter ein monumentales Baudenkmal des Sozialistischen Klassizismus in Deutschland.
Nach wenigen Bauten im Sinne der stalinistischen Nationalen Tradition (Innere Klosterstraße, Reitbahnviertel) knüpften Architekten ab 1956 an die Moderne an. Viele Bauten an der Straße der Nationen, der Brückenstraße und dem Rosenhof sind anspruchsvoll gestaltet. Ein Höhepunkt der Nachkriegsmoderne ist der Komplex Stadthalle/Hotel Kongress, 1969 bis 1974 unter Leitung von Stadtarchitekt Rudolf Weißer errichtet.
Das höchste Bauwerk von Chemnitz ist der 1984 fertiggestellte, 301,80 Meter hohe und im Rahmen eines Kunstprojektes des französischen Malers Daniel Buren bis 2013 farbig gestaltete Schornstein des Heizkraftwerk Chemnitz-Nord. Er ist zudem das höchste Bauwerk Sachsens und der zweithöchste Schornstein in Deutschland.
Bühnen
Städtische Theater
Die Theater Chemnitz sind ein Fünfspartentheater. Sie bestehen aus dem Schauspielhaus, der Oper, der Robert-Schumann-Philharmonie, dem Ballett sowie dem Figurentheater. Seit der Spielzeit 2013/2014 ist Christoph Dittrich Generalintendant der Städtischen Theater Chemnitz gGmbH.
Schauspielhaus
Bis Anfang des 19. Jahrhunderts gastierten wandernde Schauspielgesellschaften in Chemnitz. Als Aufführungsstätte diente u. a. das 1498 – 1500 errichtete Gewandhaus am Marktplatz. Mit dem industriellen Aufschwung und der wachsenden Bevölkerung entstand 1805/06 im Hof des „Hotel de Saxe“ am Rossmarkt ein erster Theatersaal. 1836 gründeten Chemnitzer Bürger einen „Theater-Actienverein“, der die finanziellen Mittel für einen Theaterneubau sammelte. Ab 1837 wurde das neue Theatergebäude im klassizistischen Baustil errichtet. Mit der Bauausführung war der Chemnitzer Baumeister Johann Traugott Heinig beauftragt. Am 7. Februar 1838 wurde das neue Chemnitzer Stadttheater eröffnet, in dem weiterhin reisende Theatergruppen gastierten. 1862 ging das Stadttheater in städtischen Besitz über. 1924/25 erfolgte der Umbau und die Vergrößerung des Stadttheaters, seitdem trug es den Namen „Schauspielhaus“. Im Zweiten Weltkrieg wurde das alte Chemnitzer Schauspielhaus zerstört.
Nach der Zerstörung des alten Schauspielhauses wurde der Festsaal des städtischen Altenheimes in der Rembrandtstraße als neue Spielstätte der Städtischen Theater Karl-Marx-Stadt ausgebaut. 1976 zerstörte ein Brand das Bühnenhaus. Der heutige Gebäudekomplex des Schauspielhauses im Park der Opfer des Faschismus entstand nachfolgend bis 1980 durch einen Neubau des Bühnenhauses und des Foyers.
Das Schauspielhaus Karl-Marx-Stadt gehörte in der DDR zu den profiliertesten Häusern. Schauspieler wie Ulrich Mühe, Corinna Harfouch und Michael Gwisdek begannen hier ihre Laufbahn. Bedeutende zeitgenössische Regisseure wie Frank Castorf, Hasko Weber, Michael Thalheimer und Armin Petras arbeiteten in Karl-Marx-Stadt.
Dem Schauspielhaus Chemnitz ist ein Schauspielstudio angegliedert. Nach dem Grundstudium an einer Hochschule werden hier Schauspielstudenten in der Praxis ausgebildet.
Oper
Das heutige Opernhaus Chemnitz wurde 1909 als „Neues Stadttheater“ eröffnet. Architekt des architektonisch aufwendigen Baus war der Chemnitzer Stadtbaurat Richard Möbius. Ursprünglich als Mehr-Sparten-Theater konzipiert, entwickelte sich das Neue Stadttheater zur Spielstätte der Oper und des klassischen Dramas. Ab 1925 hieß das Neue Stadttheater Opernhaus. Seit 1912 war Anton Richard Tauber Theaterdirektor in Chemnitz und von 1918 bis 1930 Generalintendant der städtischen Theater Chemnitz. Sein Sohn Richard Tauber sang 1913 am Chemnitzer Theater zum ersten Mal in einer Oper. Namhafte Solisten und Dirigenten wie Richard Strauss, Paul Hindemith, Max von Schillings und Fritz Busch konzertierten in Chemnitz.
Die Aufführung von Wagner-Opern hat in Chemnitz eine lange Tradition und verlieh der Stadt den Beinamen „Bayreuth Sachsens“. So waren in der Spielzeit 1910/11 von 143 Opernaufführungen 42 Wagner-Abende. Oft wurde die gesamte Ring-Tetralogie aufgeführt. Am 13. Februar 1914 fand die sächsische Erstaufführung von Wagners Bühnenweihfestspiel Parsifal in Chemnitz statt.
Bei den Bombenangriffen auf Chemnitz im Zweiten Weltkrieg wurde kurz vor Kriegsende das Opernhaus bis auf die Außenfassade zerstört. Am 26. Mai 1951 konnte Chemnitz als erste Stadt in Deutschland ein wiederaufgebautes Opernhaus in Betrieb nehmen. Von 1957 bis 1990 war Carl Riha Operndirektor in Karl-Marx-Stadt und prägte die Methode des „Realistischen Theaters“ am Opernhaus.
Zwischen 1988 und 1992 fand eine umfangreiche Sanierung des Opernhauses statt. Der Baukörper wurde nach der Originalfassung von 1909 rekonstruiert und um ein Funktionsgebäude ergänzt. Der Zuschauerraum und die Foyers wurden nach der Entkernung neu gestaltet. Es stehen klassische und moderne Opern, Operetten, Ballette und Musicals auf dem Spielplan der Oper Chemnitz. Der Theaterplatz vor der Oper wird im Sommer durch die Filmnächte Chemnitz bespielt.
Robert-Schumann-Philharmonie
Die Robert-Schumann-Philharmonie gehört zu den traditionsreichsten Orchestern Deutschlands. Die Wahl von Wilhelm August Mejo zum Musikdirektor 1832 gilt als Geburtsstunde der Städtischen Kapelle Chemnitz. Diese war zunächst für Kirchenmusik, Tanzmusik und andere musikalische Darbietungen verantwortlich. Mit der Übernahme in Städtische Verwaltung 1907 und der Eröffnung des Neuen Stadttheaters 1909 wurde das Orchester hauptsächlich Dienst im Musiktheater eingesetzt. Nach 1945 als Städtisches Orchester weiterhin dem Theater angegliedert, entwickelte es sich, verbunden mit einer personellen und künstlerischen Erweiterung, zum Hauptträger des Konzertwesens in Chemnitz. Anlässlich des 150-jährigen Bestehens des Orchesters fand 1983 dessen Umbenennung in „Robert-Schumann-Philharmonie“ statt.
Zu den Aufgaben des Orchesters gehören neben Aufführungen in Oper, Operette, Musical und Ballett die monatlichen Sinfoniekonzerte sowie zahlreiche weitere Konzerte sowohl in sinfonischer als auch in kammermusikalischer Besetzung. Die Sinfoniekonzerte der Robert-Schumann-Philharmonie finden hauptsächlich im Opernhaus und in der Stadthalle Chemnitz statt. Das Orchester gibt weltweit Gastspiele. 2009 erhielt die Robert-Schumann-Philharmonie für die CD mit sämtlichen Konzerten für Klavier und Orchester von Felix Mendelssohn Bartholdy, eingespielt gemeinsam mit dem Pianisten Matthias Kirschnereit, den Echo Klassik.
Ballett
Das internationale Ballettensemble der Theater Chemnitz wird von Sabrina Sadowska geleitet. Das Ballett Chemnitz zeigt das klassische Ballett-Repertoire und eigene Kreationen.
Das Ballett Chemnitz entwickelte sich nach der Eröffnung des Neuen Stadttheaters 1909 mit dessen Etablierung zum Opernhaus ab 1925 zu einer eigenständigen Abteilung der Theater Chemnitz. In den 1920er Jahren hatten bekannte Solotänzer wie Mary Wigman und Gret Palucca in Chemnitz Gastauftritte.
Das Ballett Chemnitz tanzt spartenübergreifend auch in der Oper, im Musical und im Schauspiel. Mit Matineen, Proben- und Trainingsbesuchen, Vorträgen und Workshops zu Themen rund um den Tanz bietet das Ballett Chemnitz ein Begleitprogramm zu den Aufführungen an. Die Opernballettschule des Ballett Chemnitz bietet Kindern ab 6 Jahren die Möglichkeit, unter professioneller Leitung einer Tanzpädagogin Erfahrungen im Kindertanz und klassischen Ballett zu sammeln.
Figurentheater
Das Figurentheater Chemnitz wurde 1951 gegründet. Es ist das älteste kommunale Puppentheater auf dem Gebiet der ehemaligen DDR. Die Spielstätte des Figurentheaters Chemnitz befindet sich im Schauspielhaus Chemnitz. Es verfügt dort über die ehemalige Kleine Bühne mit rund 100 Zuschauerplätzen.
Stadthalle Chemnitz
Die Stadthalle Chemnitz wurde im damaligen Karl-Marx-Stadt von 1969 bis 1974 als kulturelles Zentrum der Stadt errichtet. Sie bildet eine bauliche Einheit mit dem im selben Zeitraum errichteten benachbarten Hotelhochhaus. Leitender Architekt beim Bau der Stadthalle Karl-Marx-Stadt war Rudolf Weißer. Charakteristisch für die Architektur des Gebäudeensembles der Stadthalle Chemnitz ist das Saalgebäude auf dem Grundriss eines Hexagons und dessen Fassadenverkleidung mit Waben aus Sichtbeton. Die Stadthalle Chemnitz verfügt über zwei Veranstaltungssäle.
Die Stadthalle Chemnitz gehört zur C³ Chemnitzer Veranstaltungszentren GmbH, einer eigenständigen Tochtergesellschaft der Stadt Chemnitz. Jährlich finden in der Stadthalle Chemnitz rund 335 Veranstaltungen mit ca. 245.000 Besuchern statt. Seit der Eröffnung im Oktober 1974, besuchten über 17,5 Millionen Gäste die Stadthalle Chemnitz.
Kabarett-Theater
Chemnitz besitzt zwei Kabarett-Theater. Die Spielstätte des „Chemnitzer Kabarett“ befindet sich im Kabarettkeller in der historischen Markthalle Chemnitz. Das Kabarett „Sachsenmeyer & Co.“ wurde 1986 gegründet und veranstaltet Aufführungen an mehreren Spielstätten innerhalb und außerhalb von Chemnitz.
Weitere Theaterbühnen
Chemnitz besitzt eine Reihe an weiteren, privatwirtschaftlich oder von Trägervereinen betriebenen Theaterbühnen.
Die Freilichtbühne „Küchwaldbühne“ befindet sich im Küchwaldpark im Stadtteil Chemnitz-Schloßchemnitz. Sie wurde 1963 eröffnet und war bis 1991 eine der beliebtesten Theaterbühnen in Karl-Marx-Stadt. Nach 18 Jahren Schließzeit und Verfall gründete sich 2009 ein Verein zur Förderung der Küchwaldbühne und sanierte diese schrittweise. Von Juni bis Dezember finden auf der Küchwaldbühne Theater- und Filmvorstellungen, Konzerte und Festivals statt.
Das Fritz Theater liegt im Stadtteil Chemnitz-Rabenstein und ist ein privatwirtschaftlich betriebenes Theater in einem ehemaligen Kino.
Im historischen Spiegelsaal des ehemaligen „Hotel Continental“ am Bahnhofsvorplatz in der Chemnitzer Innenstadt befindet sich das FRESSTheater. Die Theatervorstellungen finden während eines Mehr-Gänge-Menüs zwischen den Zuschauern statt.
Das „Komplex“ ist ein privat betriebenes Theater in einer ehemaligen Kirche im Hinterhof eines Gebäudes an der Zietenstraße im Stadtteil Chemnitz-Sonnenberg. Es beherbergt kein eigenes Ensemble, sondern bestreitet sein Programm mit Ko-Produktionen, Residenzen, Gastspielen, Workshops und Programmkino.
Historische Spielstätten
Chemnitz besaß mehrere weitere Theaterspielstätten. In der Zwickauer Straße, am Rande der Innenstadt, befand sich von 1850 bis 1922 das privat geführte „Thalia-Theater“. 1865 erhielt dieses Theater, das als Sommertheater in der Gastwirtschaft „Tivoli“ gegründet worden war, einen Neubau. In dessen Nachbarschaft an der Zwickauer Straße befand sich seit 1902 das Varieté- und Operettenhaus „Central-Theater“. Der architektonisch aufwendige Bau besaß den größten Theatersaal der Stadt. Beide Häuser wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört.
Gegenüber dem ehemaligen Standort des Central-Theaters befindet sich noch das 1913 eröffnete ehemalige „Metropol-Theater“ mit 600 Sitzplätzen. Seit den 1930er Jahren befindet sich im früheren Varieté-Theater ein Kino.
In der Limbacher Straße befand sich bis zum Abriss im Jahr 2013 der Marmorpalast. Das ab 1869 erbaute Konzert- und Ballhaus diente zwischen 1945 und 1963 als Operettenhaus der Städtischen Theater.
In den 1930er bis 1940er Jahren existierte in Chemnitz das Familienkabarett Palast-Kaffee an der Ecke Kronen- und Langestraße, das von Theodor Harloff geführt wurde. Der Saal fasste 400 Zuschauer. Die Bühne hatte die Maße: 4,50 m breit, 2,50 m tief und 2,70 m hoch. Die musikalische Begleitung wurde von einem 3-Mann-Orchester ausgeübt.
Museen
Verbunden mit den seit den 1990er Jahren intensivierten Bemühungen der Stadt um eine verbesserte Außenwirkung von Chemnitz ist die Entwicklung hin zu einem kulturellen Zentrum zu beobachten. Als ein wichtiger Markstein dieser Entwicklung wird das neue Industriemuseum Chemnitz gewertet. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Gießerei der damaligen Auto Union, umfasst es eine umfangreiche Sammlung der sächsischen Industriegeschichte. Bauliche Zeugen dieser industriellen Entwicklung sind die Gebäude der Wanderer-Werke AG, sowie die der Presto-Werke, in die in den 1930er Jahren die Auto Union einzog, sowie der Schauplatz Eisenbahn, das Museum für sächsische Fahrzeuge in den historischen Stern-Garagen und das Straßenbahnmuseum der CVAG.
Als eine wichtige kulturelle und museale Einrichtung ist das „Kulturkaufhaus“ DAStietz zu nennen, das Ausstellungsstücke zeitgenössischer Kunst in der Neuen Sächsischen Galerie und das Museum für Naturkunde beherbergt. Teil des Naturkundemuseums ist der sogenannte „Steinerne Wald“, ein in Europa einzigartiger Fossilfund (ca. 300 Millionen Jahre alter Regenwald). Dieses Unikat ist im Foyer des „Tietz“ kostenfrei für Besuchende zugänglich.
Überdies sind kleinere zahlreiche Spezialmuseen im Stadtgebiet angesiedelt, beispielsweise das Deutsche Spielemuseum, das Ebersdorfer Schulmuseum, das Straßenbahnmuseum Kappel, die Medizinhistorische Sammlung des Klinikum Chemnitz sowie das Kulturgeschichtliche Spezialmuseum für Militärgeschichte und der Museumsspeicher Ebersdorf.
Die Entwicklung Chemnitz’ als Museumsstandort wird kontinuierlich fortgeführt. So eröffnete die Stadt Chemnitz am 15. Mai 2014 das Staatliche Museum für Archäologie Chemnitz im ehemaligen Kaufhaus Schocken, um dem Besucher umfassende Informationen über die archäologische und kulturgeschichtliche Entwicklung Sachsens zu vermitteln.
Kunstsammlungen Chemnitz
Die Kunstsammlungen Chemnitz gehören zu den größten und wichtigsten kommunalen Kunstsammlungen in Deutschland. Hervorgegangen sind die Kunstsammlungen aus verschiedenen bürgerlichen Vereinen, wie dem 1860 gegründeten Kunstverein Kunsthütte zu Chemnitz. Im Jahr 1909 wurden sie unter dem Dach des König-Albert-Museums zusammengefasst und ab 1920 als städtisches Museum geführt. Heute umfassen die Kunstsammlungen Chemnitz einen Komplex verschiedener Museen und Institutionen: die Kunstsammlungen am Theaterplatz mit dem Carlfriedrich Claus-Archiv, das Museum Gunzenhauser, das Schloßbergmuseum mit der Burg Rabenstein und das Henry van de Velde Museum in der Villa Esche.
Kunstsammlungen am Theaterplatz
Die Kunstsammlungen am Theaterplatz zählen heute zu den großen bürgerlichen Sammlungen Deutschlands und beherbergen alle Gattungen der künstlerischen Produktion, von der Malerei und Plastik über die Grafik bis hin zum Kunsthandwerk mit einem wichtigen Schwerpunkt auf Expressionismus, Textil und Gegenwartskunst.
Zu den signifikantesten Sammlungsbeständen zählen die Romantik und vor allem der Expressionismus der Brücke-Künstler, mit einem großen Konvolut von Werken von Karl Schmidt-Rottluff – er stammt aus Chemnitz und ist mit Ernst Ludwig Kirchner und Ernst Heckel hier aufgewachsen. Auch von diesen beiden Künstlern befinden sich Arbeiten in den Kunstsammlungen am Theaterplatz. Der Bestand umfasst auch zahlreiche Gemälde von Caspar David Friedrich, Max Slevogt, Lovis Corinth, Helene Funke, Louise Seidler, Edvard Munch und Georg Baselitz.
Museum Gunzenhauser
Das Museum Gunzenhauser beherbergt die Sammlung des Münchner Galeristen Alfred Gunzenhauser mit mehr als 3000 Werken von 270 Künstlern mit Fokus auf die Kunst der Jahrhundertwende um 1900, den Expressionismus, die Neue Sachlichkeit sowie die Abstraktion im 20. Jahrhundert. Eigentümerin ist die Stiftung Gunzenhauser. Präsentiert wird die Sammlung in einem ehemaligen Sparkassengebäude im Stile der Neuen Sachlichkeit, 1928–1930 von Fred Otto erbaut und für die neue Nutzung als Museum 2007 durch Staab Architekten umgebaut.
Mit 380 Werken von Otto Dix verfügt das Museum Gunzenhauser über eines der weltweit größten Konvolute des Malers. Ebenso bewahrt das Museum eine der größten Sammlungen des Expressionisten Alexej von Jawlensky. Große Konvolute bilden weiterhin Werke von Willi Baumeister, Gabriele Münter, Conrad Felixmüller, Serge Poliakoff, Uwe Lausen und Johannes Grützke.
Schloßbergmuseum und Burg Rabenstein
Das Schloßbergmuseum Chemnitz ist in einer der schönsten und besterhaltenen Klosteranlagen Sachsens untergebracht. Um 1135 ließ Kaiser Lothar auf einem Höhenzug über dem Chemnitz-Fluss ein Benediktinerkloster errichten, das bis in die Jahre der Reformation bestand. Seine erhalten gebliebene Gebäudesubstanz entstammt verschiedenen Bauphasen: Die romanische Südapsis gehört noch zum Gründungsbau (um 1150), der frühgotische Ostflügel zum ältesten steinernen Klostergebäude (1275), der Südflügel und die Kirche zur spätgotischen Bauphase unter den beiden letzten Äbten Heinrich von Schleinitz und Hilarius von Rehburg (1483–1539).
Das Chemnitzer Museum für Stadtgeschichte beherbergt die umfangreichen Sammlungen zur Chemnitzer Stadtgeschichte, deren schönste Stücke aus Malerei und Plastik, historischen Textilien, Schmuck, Mobiliar sowie Gebrauchsgegenständen des 12. bis 20. Jahrhunderts in der ständigen Ausstellung Bildersaal Chemnitzer Geschichte zu sehen sind.
Zum Schloßbergmuseum gehört außerdem Sachsens kleinste Burg, die Burg Rabenstein.
Henry van de Velde Museum
Das Henry van de Velde Museum befindet sich in der Villa Esche, die 1902 von dem belgischen Architekten und Designer Henry van de Velde für den Chemnitzer Textilunternehmer Herbert Esche als Familienwohnsitz entworfen wurde. Henry van de Velde gehörte Anfang des 20. Jahrhunderts zu den gefragtesten Künstlern Europas. Mit dem Ziel, Funktion und Ästhetik in Einklang zu bringen, strebte er eine künstlerische Reform aller Lebensbereiche an. Die Villa Esche war sein erstes architektonisches Auftragswerk in Deutschland und für sein Schaffen von großer Bedeutung. Die Villa und der parkähnliche Garten sind ein Gesamtkunstwerk des Jugendstils, das zu den architektonischen Juwelen in Chemnitz zählt. Nach einer wechselvollen Geschichte von 1998 bis 2001 aufwändig restauriert, beherbergt die Villa Esche heute das Henry van de Velde Museum als Dependance der Kunstsammlungen Chemnitz. Der museale Bereich umfasst im Erdgeschoss das Speisezimmer und den Musiksalon mit dem Originalmobiliar der Familie Esche sowie im Obergeschoss die Dauerausstellung mit Exponaten aus dem Bestand der Kunstsammlungen Chemnitz und aus Privatbesitz.
Schauplatz Eisenbahn
Der Schauplatz Eisenbahn ist mit einer Fläche von ca. 260.000 m² das größte und eines der wichtigsten Eisenbahnmuseen in Deutschland. Er entstand aus einer Kooperation der beiden Vereine Sächsisches Eisenbahnmuseum e. V. und Eisenbahnfreunde Richard Hartmann e. V. im Rahmen der 4. Sächsischen Landesausstellung im Jahr 2020. Das Museum erzählt am authentischen Ort des Rangierbahnhofs und Bahnbetriebswerk Chemnitz-Hilbersdorf die Geschichte der Eisenbahn in Sachsen und Mitteldeutschland. Höhepunkte der Ausstellung sind die weltweit einmalige Seilablaufanlage und das mit allen technischen Einrichtungen und Anlagen weitgehend vollständig Bahnbetriebswerk Chemnitz-Hilbersdorf. Es verfügt über einen reichen Bestand an historischen Triebfahrzeugen verschiedener Traktionsarten, von denen 30 Fahrzeuge im Ringhaus 1 präsentiert werden. Des Weiteren werden im Museum mehrere Modellbahnanlagen (1. Samstag im Monat) und eine Feldbahnanlage mit Fahrbetrieb (Wochenende) gezeigt.
Tierpark und Wildgatter
Der 1964 gegründete Tierpark Chemnitz liegt im Westen der Stadt Chemnitz in einem ehemaligen Sumpfgelände im Stadtteil Reichenbrand. Anfangs lag der Schwerpunkt auf der Tierwelt der damaligen Sowjetunion. Mittlerweile widmet sich der Tierpark dem Erhalt bedrohter Tierarten. Das etwa 10 Hektar große Gelände beherbergt etwa 1000 Individuen aus rund 200 Tierarten. Eine Besonderheit des Tierparks ist das 1996 eröffnete Vivarium, das mit rund 60 Amphibienarten eine europaweit einzigartige Sammlung darstellt. Weitere Attraktionen sind das Tropenhaus mit Zwergflusspferden, ein Kontaktgehege mit Alpakas, Nandus und Capybaras sowie die Amurtiger, Leoparden und Hyänen.
Zum Tierpark gehört seit 1995 das Wildgatter Oberrabenstein. Auf einer Fläche von 35 ha im Rabensteiner Wald bieten ein Rundweg sowie Aussichtskanzeln dem Besucher europäische Tierarten in weitläufigen Gehegen zu beobachten.
Kinos
In der Stadt Chemnitz fanden bereits ab dem 12. September 1897, zwei Jahre nach der ersten öffentlichen Filmvorstellung Deutschlands, Filmvorführungen statt. Dabei präsentierten der Kameramann Clemens Seeber und sein Sohn Guido im Varieté Mosella-Saal zumeist Wochenrückblicke aus der Stadt und deren Region, die das Publikum sehr gut annahm. Das 1929 eröffnete Filmtheater Luxor-Palast existierte nach Modernisierungen und Erweiterungen noch bis Mitte 2011. Mit der Enteignung sämtlicher Lichtspieltheater im Land Sachsen im Jahr 1948 gingen alle Kinos in der Chemnitzer Region in Volkseigentum über. Vor und besonders nach der Wiedervereinigung Deutschlands mussten sowohl innerhalb und als auch außerhalb der Kernstadt zahlreiche Kleinkinos aus Rentabilitätsgründen schließen. Das Europa 70, das Welt-Echo oder das Jugendfilmtheater (vormals Filmschau) seien hier als Beispiele genannt.
Das Kinoleben von Chemnitz ist von der Kette Cinestar geprägt, die das Großkino Filmpalast am Roten Turm betreibt. Es bietet im Wesentlichen Filme, die bundesweit in den Kinos gezeigt werden. Weiterhin existieren eine Reihe von kleineren Kinos wie das Clubkino Siegmar, das Weltecho, wo auch andere kulturelle Veranstaltungen stattfinden, das Kino m54 des Alternativen Jugendzentrums Chemnitz e. V., der Filmclub mittendrin der Universität Chemnitz sowie das Metropol, das in den Nuller Jahren für seine Niedrigpreise und für sein vielfältiges Programm bekannt ist. Das Cinestar-Kino im „Vita-Center“ wurde nach nur wenigen Jahren aufgrund der Bevölkerungsabwanderung aus der Großwohnsiedlung „Fritz Heckert“ wieder aufgegeben.
Stefan-Heym-Preis
Zur Erinnerung an ihren Ehrenbürger und Sohn der Stadt Stefan Heym verleiht die Stadt Chemnitz seit 2008 alle drei Jahre den Internationalen Stefan-Heym-Preis der Stadt Chemnitz. Mit ihm sollen „herausragende Autoren und Publizisten, die sich wie Heym in gesellschaftliche und politische Debatten einmischten, um für moralische Werte zu streiten“, geehrt werden. Die mit 40.000 Euro dotierte Auszeichnung wurde erstmals am 14. April 2008 verliehen.
Kulinarische Spezialitäten
Die lokale Küche von Chemnitz bedient sich vornehmlich der erzgebirgischen Küche. Dies ist durch den hohen Anteil zugewanderter Bevölkerung aus dem erzgebirgischen Raum zu Zeiten der Industrialisierung im ausgehenden 19. Jahrhundert und zu Beginn des 20. Jahrhunderts begründet. Die Küche des Erzgebirges zeichnet sich zumeist durch Deftigkeit und Einfachheit der Zubereitung aus; oft wird die Kartoffel als Zutat verwendet. Regionaltypische Gerichte sind der Klitscher, Quarkkäulchen, zur Weihnachtszeit der Christstollen und das Neunerlei.
Gastronomie und Nachtleben
Mit 666 gastronomischen Einrichtungen weist Chemnitz – verglichen mit anderen Universitätsstädten Deutschlands – eine hohe Kneipendichte von 6,4 Kneipen auf 100 Studierende auf. Die Chemnitzer Gastronomie ist regional wie international geprägt.
In der Innenstadt und den angrenzenden Stadtteilen Kaßberg, Sonnenberg, Bernsdorf und dem Schloßviertel sind die Konzentrationspunkte Chemnitzer Diskotheken, Bars, Clubs und Kneipen.
Alternative Kultureinrichtungen
Chemnitz besitzt mehrere alternative Kultureinrichtungen. In den von Trägervereinen betriebenen Häusern befinden sich Clubs, Kinos, Theater und Galerien. Die Einrichtungen entstanden meist in zuvor leer stehenden Immobilien. Bekannte Häuser sind das „weltecho“, das „KOMPOTT“ und das „LOKOMOV“.
Regelmäßige Veranstaltungen
Das Chemnitzer „Veranstaltungsjahr“ beginnt an einem Märzwochenende mit den Chemnitzer Linux-Tagen. Weitere Veranstaltungen im März sind die Tage der jüdischen Kultur, die Automobilschau MACH in der Chemnitz-Arena sowie die Chemnitzer Schultheaterwochen. Außerdem findet im April die weit über die Stadttore bekannte Fiesta „la grande“ (Osterfiesta) mit jährlich um die 5000 Besucher in der Stadthalle Chemnitz statt. Ab Mai bis September findet an jedem ersten Freitag des Monats der Kunst- und Handwerkermarkt statt. Die Chemnitzer Museumsnacht wird jeden Mai durchgeführt.
Im darauf folgenden Zeitraum von August bis September, wird das Chemnitzer Stadtfest abgehalten. Des Weiteren finden im September die Chemnitzer Tage der Industriekultur, eine internationale Breakdance-Veranstaltung – die SOUL EXPRESSION, das Latin-Chem sowie die Künstlermesse statt. Das Kulturfestival „Begehungen“ findet jährlich im August und das Internationale Filmfestival SCHLINGEL im Oktober statt. Das „Veranstaltungsjahr“ endet mit den Tagen der erzgebirgischen Folklore im November und dem erzgebirgischen Weihnachtsmarkt jeden Dezember. Im Sommer, meist Juli oder August, fand seit 1998 in Chemnitz mit dem splash! das größte Hip-Hop- und Reggae-Festival Europas statt. 2007 wurde es aus organisatorischen Gründen nach Bitterfeld verlegt. Seit 2009 findet es in Ferropolis statt.
Sport
Chemnitz erhebt den Anspruch, eine Sportstadt zu sein. Argumente dafür sind die hohe Anzahl von Medaillengewinnern bei Olympischen Spielen aus Chemnitz und die hohe Beteiligung der Bevölkerung am Breitensport. Außerdem ist die Stadt Teil des Olympiastützpunkts Chemnitz/Dresden und hat mit dem Sportgymnasium ein Gymnasium, das als Eliteschule des Sports mit vertieft sportlichem Profil einen exzellenten Ruf genießt. Rund 63 % der Stadtbevölkerung sind nach einer Studie des Fachbereichs Sportwissenschaften der TU Chemnitz aus den Jahren 1998 und 2001 innerhalb oder außerhalb eines Vereins sportlich aktiv. Am Stausee Oberrabenstein findet mit dem Heavy 24 MTB jedes Jahr im Juni das mit 1000 Startern größte 24-Stunden-MTB-Rennen der neuen Bundesländer statt.
Einmal im Jahr werden die Chemnitzer „Sportler des Jahres“ mit dem Chemmy ausgezeichnet. Unter den bisherigen Preisträgern befinden sich so prominente Sportler wie Matthias Steiner, Lars Riedel, Stev Theloke sowie Aljona Savchenko und Robin Szolkowy.
In Chemnitz startet einmal im Jahr der weltweit längste Nonstop-Staffellauf der Welt. Die Lauf-KulTour führt dabei innerhalb von 16 Tagen 4000 Kilometer rund um Deutschland. Teilnehmer sind zwölf Studenten der TU Chemnitz.
Sportvereine
Die Stadt Chemnitz hat rund 200 Sportvereine mit insgesamt mehr als 30.000 Mitgliedern. Bekannte Vereine in der Stadt sind die Fußballvereine Chemnitzer FC und VfB Fortuna Chemnitz, der Kunstturnverein KTV Chemnitz sowie der Basketballverein der Herren (BV Chemnitz 99) und der der Damen (Chemnitzer Basketgirls). Weitere Sportvereine sind die Leistungsabteilung der Basketgirls (ChemCats), die Damen-Volleyballmannschaft des CPSV (Chemnitzer Polizeisportverein) CPSV Volleys Chemnitz, im Unihockey (auch Floorball genannt) die Floor Fighters Chemnitz, der Chemnitzer Eislauf-Club (CEC), der Eisschnelllaufclub Chemnitz (ECC), der Eis-&-Rollsportverein 07 ERV Chemnitz 07, der Boxclub Chemnitz 94 „Die Wölfe“ oder der Ringerclub Chemnitz e. V. Das Profi-Bahnradsportteam Team Erdgas.2012 hat seinen Standort in Chemnitz.
Der Chemnitzer FC spielte von 1991 bis 1996 sowie von 1999 bis 2001 in der 2. Bundesliga. Michael Ballack spielte hier fünf Jahre in der Jugendmannschaft sowie zwei Jahre im Profifußball.
Die wichtigsten Basketballvereine sind die BV Chemnitz 99 (Herren) und die ChemCats Chemnitz (Damen), die sich 2002 von der BV Chemnitz 99 abspalteten. Die Herren spielen seit der Saison 2002/2003 in der 2. Basketball-Bundesliga Süd, seit der Neustrukturierung der 2. Basketball-Bundesliga zur Saison 2007/08 in der 2. Basketball-Bundesliga ProA. In der Saison 2019/2020 wurden die Niners als souveräner Tabellenführer nach dem coronabedingten Abbruch zum Aufsteiger in die BBL ernannt.
Die Damenmannschaft kehrte 2006 in die erste Liga DBBL zurück. Seitdem stiegen sie je einmal aus finanziellen und einmal aus sportlichen Gründen ab, konnten aber jeweils im darauffolgenden Jahr wieder aufsteigen. 2013 kehrten sie zuletzt in die erste Liga zurück. Vor der Saison 2019/2020 entschied man sich trotz des sportlichen Klassenerhalts für den Rückzug in die 2. Bundesliga.
Die Volleyball-Frauen des Chemnitzer Polizeisportvereins (CPSV) stiegen 2001 in die 2. Bundesliga-Süd auf. Sie spielten ab 2006 unter dem Namen Fighting Kangaroos Chemnitz. Seit 2013 läuft die Mannschaft unter dem Namen CPSV Volleys Chemnitz auf. In der Saison 2007/08 schafften sie den Aufstieg in die 1. Volleyball-Bundesliga der Frauen und spielten dort für eine Saison.
Im Unihockey spielt Chemnitz seit 2002 in der 1. Bundesliga. Die Herren der Floor Fighters Chemnitz spielen ebenso wie die Frauen in der höchsten deutschen Liga.
Im Rollstuhlsport stellte der ERC Chemnitz noch bis ins Jahr 2006 ein Team der 1. Rollhockeybundesliga und im TSC (TanzSportClub) Synchron e. V. gibt es eine Abteilung Rollstuhltanz.
Im Gewichtheben spielt der Chemnitzer AC seit Jahrzehnten national und international eine bedeutende Rolle. Viele Welt- und Europameister sowie Olympiasieger und Olympiamedaillengewinner durchliefen hier ihre Schule: Matthias Steiner, Gerd Bonk, Stefan Grützner, Joachim Kunz, Ingo Steinhöfel, Frank Mantek, Andreas Letz. Der Chemnitzer AC ist zugleich ein Landes-, Bundes- und Olympiastützpunkt.
Einziger Verein im Hockey ist Post SV Chemnitz, der bei mitteldeutschen bis zu deutschen Meisterschaften Siege errungen hat.
Sportanlagen
Das Sportforum, 1926 als Südkampfbahn eröffnet, befindet sich in Bernsdorf in direkter Nähe zum Sportgymnasium. Das Sportareal umfasst ein Hauptstadion mit 18.500 Zuschauerplätzen, eine Leichtathletik-/Mehrzweckhalle mit einer Zuschauerkapazität von 1450 Plätzen sowie eine Radrennbahn, die 15.000 Zuschauer aufnehmen kann. Daneben stehen drei Rasenplätze, zwei Hartplätze, ein Kunstrasenplatz, eine 50-Meter-Schwimmhalle, eine Boxer-/Ringerhalle, zwei Kunstturnhallen und jeweils eine Spiel- und Judohalle zur Verfügung.
Das Stadion an der Gellertstraße ist die Heimspielstätte des Chemnitzer FC, das Stadion fasst 15.000 Zuschauer. Direkt an der Chemnitz befindet sich die Richard-Hartmann-Halle, die bis zur Saison 2018/19 als Heimspielstätte der Herren-Basketballmannschaft NINERS Chemnitz (BV Chemnitz 99) diente und 2600 Gäste aufnehmen kann. Die Sporthalle am Schloßteich, Spielstätte der ChemCats, hat rund 750 Plätze. Seit der Saison 2019/2020 tragen die Basketballer der NINERS ihre Heimspiele in der Chemnitz Arena aus, die darüber hinaus auch für andere Sportereignisse genutzt wird, so beispielsweise für Boxkämpfe. Die Messe- und Veranstaltungshalle kann bis zu 13.000 Zuschauer aufnehmen.
Für den Breitensport außerhalb von Vereinen stehen zahlreiche Einrichtungen zur Verfügung. Das Eissport- und Freizeitzentrum Chemnitz in direkter Nähe zum Küchwald ist als Trainingsstätte von Katarina Witt sowie Aljona Savchenko und Robin Szolkowy bekannt. Neben der Eissporthalle mit 4000 Plätzen existieren im Areal eine Trainingshalle, eine 400-Meter-Eisschnelllaufbahn und ein Rollhockeystadion. Im Stadtgebiet befinden sich außerdem das Stadtbad und weitere zwei Hallenbäder sowie fünf Freibäder. Das Baden in naheliegenden Stauseen im und außerhalb des Stadtgebiets ist beliebt, wie am Stausee Oberrabenstein.
Inklusion
2021 bewarb sich die Stadt als Host Town für die Gestaltung eines viertägigen Programms für eine internationale Delegation der Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin. 2022 wurde sie als Gastgeberin für Special Olympics Litauen ausgewählt. Damit wurde sie Teil des größten kommunalen Inklusionsprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik mit mehr als 200 Host Towns.
Persönlichkeiten
Bekannte Chemnitzer sind der Maler Karl Schmidt-Rottluff, die Schriftsteller Stefan Heym und Lothar-Günther Buchheim, der Industriepionier Richard Hartmann (Maschinenfabrikant), die Designerin Marianne Brandt und die Eiskunstläuferin Katarina Witt.
Ehrenbürger
Zahlreiche Persönlichkeiten erhielten die Ehrenbürgerschaft der Stadt zuerkannt. Zu den Chemnitzer Ehrenbürgern gehören neben Politikern insbesondere Wissenschaftler und Personen des künstlerischen und kulturellen Lebens, die in und für Chemnitz wirkten; siehe Liste der Chemnitzer Ehrenbürger.
Zu den bekanntesten Ehrenbürgern der Stadt Chemnitz zählen der Reichskanzler Otto von Bismarck, der Maler Karl Schmidt-Rottluff, die Kosmonauten Waleri Bykowski und Sigmund Jähn, die Eiskunstlauftrainerin Jutta Müller, die zweifache Olympiasiegerin im Eiskunstlauf Katarina Witt, der Schriftsteller Stefan Heym und der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Volkswagen AG Carl Hahn junior.
Siehe auch
Literatur
Thematische Stadtpläne Chemnitz. 5 Teile zu einzelnen Architekturepochen. edition vollbart, Chemnitz 2002/2003.
Jens Kassner, Christine Weiske: Reformarchitektur in Chemnitz. Ein Architekturführer durch die Sozial- und Baugeschichte der Stadt. edition vollbart, Chemnitz 2003, ISBN 3-935534-08-6.
Heinrich Magirius: Karl-Marx-Stadt ehemals Chemnitz. In: Götz Eckardt (Hrsg.): Schicksale Deutscher Baudenkmale im Zweiten Weltkrieg. Henschel-Verlag, Berlin 1978. Band 2, S. 452–460.
Tilo Richter: Chemnitz. Neue Bauten in der Stadtmitte 1990–2003. Edition Leipzig, Leipzig 2003, ISBN 3-361-00580-9.
Jens Kassner: Chemnitz in den „Goldenen Zwanzigern“. Architektur und Stadtentwicklung. Heimatland Sachsen, Chemnitz 2000, ISBN 3-910186-28-9.
Jens Kassner: Wohnen in Chemnitz. 75 Jahre kommunale Wohnungswirtschaft 1928–2003. edition Vollbart, Chemnitz 2003, ISBN 3-935534-11-6.
Jens Kassner: Chemnitz Architektur. Stadt der Moderne. Passage Verlag, Leipzig 2009. ISBN 978-3-938543-48-1.
Jens Kassner: Chemnitz. Die Rathäuser. Chemnitzer Verlag, Chemnitz 2011.
Jens Kassner, Gabriele Viertel, Stephan Weingart (Hrsg.): Das Kellerhaus und der Chemnitzer Schloßberg. edition vollbart, Chemnitz 2001.
Stadtphotographien. Grimm, Klingenthal 2003, ISBN 3-933169-02-X.
Stefan Weber: Chemnitz. Ein Stadtzentrum sucht sein Gesicht Bildverlag Böttger, Limbach-Oberfrohna 1994, ISBN 3-9806125-2-X.
Bernd Weise: Geheimnisvolles Chemnitz. Wartberg Verlag, Gudensberg-Gleichen 2004, ISBN 3-8313-1343-1.
H. Ermisch(Hrg.): Urkundenbuch der Stadt Chemnitz und ihrer Klöster. Leipzig 1879.
Jenni Brichzin, Henning Laux, Ulf Bohmann: Risikodemokratie. Chemnitz zwischen rechtsradikalem Brennpunkt und europäischer Kulturhauptstadt. transcript Verlag. Bielefeld 2022. ISBN 978-3-8376-6226-9.
Weblinks
Offizielle Website der Stadt Chemnitz
Auf den Spuren des alten Stadtbildes und der Stadtentwicklung
Chemnitz im Wandel der Zeiten
Einzelnachweise
Kreisfreie Stadt in Sachsen
Reichsstadt
Deutsche Universitätsstadt
Ehemalige Kreisstadt in Sachsen
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Deutscher Ortsname slawischer Herkunft
Ersterwähnung 1143
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Q2795
| 213.561347 |
1315441
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https://de.wikipedia.org/wiki/Informationssystem
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Informationssystem
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Ein Informationssystem (kurz IS, auch Informations- und Kommunikationssystem, kurz IuK-System) ist ein soziotechnisches System, das die Deckung von Informationsnachfrage zur Aufgabe hat. Es handelt sich um ein Mensch/Aufgabe/Technik-System, das Daten (bzw. Informationen) produziert, beschafft, verteilt und verarbeitet. Angrenzende Themenfelder sind die Informationsinfrastruktur und die Informationsfunktion.
Daneben bezeichnet Informationssystem im allgemeineren Sinne ein „System von Informationen“, die in einem wechselseitigen Zusammenhang stehen und auf eine bestimmte Art organisiert sind. Insbesondere Wissen ist ein solches System aus Informationen.
Die Begriffe Informationssystem und Anwendungssystem werden häufig synonym verwendet. Dabei wird Informationssystem im engeren Sinne („und so wird es i. d. R. verstanden“) als computergestütztes Anwendungssystem verstanden. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass ein Anwendungssystem mit Anwendungssoftware und Datenbanken nur Teil eines Informationssystems ist.
Definitionen
Betriebswirtschaftslehre
Diese Definition stellt vor allem die Informationsgewinnung und -verarbeitung in den Mittelpunkt.
Wirtschaftsinformatik
Die Definition eines Informationssystems als Mensch/Aufgabe/Technik-System ist grundlegend und soll daher im Folgenden erläutert werden.
In allen drei Definitionen wird beschrieben, dass ein Informationssystem mit seiner Umwelt interagiert. Es interagiert auch mit anderen Informationssystemen, so dass diese voneinander abhängig sind und zusammenwirken. Man bezeichnet diese interdependente Gesamtheit als Informationsinfrastruktur.
Mensch/Aufgabe/Technik-System
Ein Mensch/Aufgabe/Technik-System (MAT)-System ist ein Beziehungsgefüge, welches als „offen, dynamisch, komplex, kompliziert und soziotechnisch“ charakterisiert ist. Das System besteht aus drei Elementen, die dieses Beziehungsgefüge durch ihre Zusammenarbeit und Interaktion festlegen:
Mensch
Der Mensch ist der Anwender (beispielsweise in einem Betrieb), der als Aufgabenträger verschiedene Aufgaben mit dem System erfüllen möchte. Auf ihn und seine Bedürfnisse sollte das System angepasst werden. Die Entwickler und Planer eines Informationssystems sind ebenfalls unter dem Strukturelement Mensch einzuordnen, da auch sie mit dem System in einer wechselseitigen Beziehung stehen.
Systeme, die sich hauptsächlich mit der individuellen Ebene beschäftigen, heißen benutzerzentrierte Informationssysteme. Diese zeichnen sich hauptsächlich dadurch aus, dass sie mit Hilfe einer benutzerzentrierten Systementwicklung erstellt wurden. Das System beachtet dadurch Elemente wie Benutzerrollen, Benutzermodelle und Benutzerprofile, durch welche die Benutzer einbezogen und nach ihrem Verhalten, ihren Aufgaben und ihren Rechten im System beispielsweise in Persona kategorisiert werden können. Benutzer besitzen relevante Merkmale und Fähigkeiten, die sie in der Interaktion mit dem System klar unterscheidbar machen. Auch wird das Benutzerverhalten systematisch betrachtet, vor allem das Interaktionsverhalten der Benutzer, also die Art, wie diese mit dem System kommunizieren, und das Informationsverhalten, d. h. die stereotypischen Handlungen bei der Informationssuche, -verteilung und -verarbeitung. Bei der benutzerzentrierten Systementwicklung erfolgt somit zunächst eine Benutzeranalyse, dann ein benutzerzentrierter Entwurf und in der Ex-Post-Betrachtung eine Überprüfung der Benutzbarkeit. Diese Entwicklungsmethode wird häufig bei für Endbenutzer angepasste Systeme angewendet und stellt hohe Anforderungen sowohl an die menschliche als auch die technische Komponente bei der Entwicklung eines Systems, das zur Aufgabenlösung beiträgt.
Aufgabe
Die Aufgabe ist das Problem, das mit dem System gelöst werden soll. Sie besteht zumeist aus betrieblichen Handlungszielen sowie Systementwicklungsaufgaben bei der Entwicklung von Informationssystemen oder auch aus Problemen privater Haushalte. Aus der Aufgabe definiert sich auch das Ziel oder auch die funktionale Anforderung bei der Entwicklung des Informationssystems. Es soll durch Informationsproduktion und -weitergabe die Informationsnachfrage gedeckt werden, die ausreichend ist für den Informationsbedarf, den die zu lösende Aufgabe aufwirft. Dies soll so effektiv wie möglich, nach wirtschaftlichen Kenngrößen, wie „Produktivität, Wirtschaftlichkeit oder Qualität“ geschehen.
Informationssysteme, die sich vor allem diesem Element widmen, nennt man aufgabenzentrierte Informationssysteme. Diese Systeme sind am weitesten verbreitet und haben durch ihre Häufigkeit eine große Bedeutung in der wissenschaftlichen Betrachtung. Hierbei sind vor allem Untersuchungsmodelle wichtig, die zeigen, wie verschiedene Struktureinheiten einer Organisation kooperativ eine Aufgabe lösen oder wie in betrieblichen Informationssystemen die Informationen effizient verarbeitet werden. Hierfür wurden Referenzmodelle entwickelt, die immer andere Aspekte der Aufgabe in den Mittelpunkt der Untersuchung stellen. Sie stellen Bezugspunkte für die Entwicklung weiterer unternehmensspezifischer Modelle dar. Ein weiteres Hauptaugenmerk liegt auf den Funktionen und Prozessen, die dem Aufgabenträger bei der Aufgabenerfüllung helfen. Diese zeigen verallgemeinert die verschiedenen Schritte, die Daten, Informationen oder Produkte in einem System nacheinander absolvieren müssen und wie diese in Beziehung zueinander stehen. Genauere Beispiele lassen sich der unten erwähnten Typisierung von betrieblichen Informationssystemen entnehmen.
Technik
Diese besteht aus der Soft- und Hardware des Systems, deren Zweck in der Erfüllung verschiedener Verarbeitung-, Verteilungs- und Speicherungsprozessen liegt. Diese werden zum einen zur Aufgabenerfüllung genutzt, andererseits auch zur Entwicklung eines Systems.
Systeme, bei denen die Technik im Vordergrund steht, heißen technikzentrierte Informationssysteme. Dazu wird beispielsweise die Systemarchitektur und deren technische Komponenten untersucht. Hierbei werden die Informations- und Kommunikationstechnik sowie die Systementwicklungs- und Einführungsmethoden – wie beispielsweise spezielle Programmiertechniken – ins Zentrum des Untersuchungsinteresses gerückt. Bei der Entwicklung der benötigten Technik muss darauf geachtet werden, dass durch eine rein kommunikative Interaktion mit der Technik nicht automatisch Informationen generiert werden können. Hierfür muss Mehrwert durch die Technik erzeugt werden; beispielsweise müssen in einer Software verschiedene Grafiken klar erkennbare Bedeutungen haben.
Arbeitstechniken (Methoden und Werkzeuge)
Arbeitstechniken vermitteln zwischen diesen drei Ebenen und versuchen die verschiedenen Beziehungen zu verstehen und zu optimieren. Hier existieren beispielsweise in der Informatik oder den Sozialwissenschaften verschiedene Konzepte, Modelle, Prinzipien und Strategien zur Gestaltung und Nutzung von Informationssystemen und Informationsinfrastrukturen.
Es existieren bisher nur Modelle, welche die Konkurrenz zwischen Aufgaben und Technik betrachten (Task-Technology-Fit-Modelle). Bei diesen wird erwartet, dass jeder, der eine bestimmte Aufgabe löst die dafür am besten geeignete Technik nutzen möchte und folglich auch wählt. Hier fehlt allerdings zumeist der Faktor Mensch. Ein Modell (Human-Task-Technology-Fit-Modell), welches die Kongruenz aller Elemente betrachtet, existiert bis heute nicht.
Die Definition des MAT-Systems beinhaltet gleichzeitig die umfassende Betrachtung aller drei Elemente und setzt auf ein funktionales und kommunikationsfehlerloses Zusammenwirken dieser. Die Wirtschaftsinformatik versucht als einzige wissenschaftliche Disziplin, ein ganzheitliches Verständnis für diese Funktionalität zu entwickeln, während in den Sozialwissenschaften, der Betriebswirtschaft und der Informatik zumeist nur die verschiedene Untermodelle und -systeme untersucht werden.
Diese Untersysteme, die sich nur mit Teilaspekten des Systems beschäftigen, sind beispielsweise ein Benutzersystem (Mensch/Technik- und Mensch/Aufgabe-Beziehung), ein Aufgabensystem (Aufgabe/Mensch- und Aufgabe/Technik-Beziehung) und ein Techniksystem (Technik/Mensch- und Technik/Aufgabe-Beziehung).
Schalenmodell für MAT-Systeme
Ein weiterer nennenswerter Ansatz, der zu einem besseren Verständnis von MAT-Systemen beitragen kann, ist das Schalenmodell von Teubner, welches das Hauptaugenmerk auf den soziotechnischen Anteil des Systems legt, im Gegensatz zu Heinrichs u. a. Ansicht, welche sich neben der allgemeinen Darstellung auch durch die eingearbeiteten Arbeitstechniken und Methoden auf die wissenschaftliche Untersuchung des Systems konzentriert. Das Grundziel des Systems, die Unterstützung betrieblicher Aufgaben taucht in Teubners Schema nicht als einzelnes physisches Objekt auf, wodurch es zunächst wie die Darstellung eines Mensch-Technik-Systems wirkt, sondern liegt ideell im Hintergrund. Grafisch wird die Aufgabe durch den Begriff des Anwendungssystems realisiert und liegt im Wert, der Lösung eines betrieblichen Problems, welcher durch das allgemeine Zusammenspiel von Mensch und Technik mit vorgegebener Aufgabe entsteht. Die Technik ist währenddessen aufgeteilt in Anwendungssoftware und Basissoftware, zusammengefasst als Softwaresystem und in Rechner, bzw. sonstige technische Einrichtungen, zusammengefasst als Hardwaresystem in der untersten Schale.
Die menschliche Ebene bildet die äußere Schale, die übergreifend hauptsächlich über der Software, aber auch über der Hardware steht und somit auch über der Aufgaben- und Anwendungsdimension angeordnet ist. Durch ihr Umschließen der anderen Schalen wird die Vollständigkeit und die Interaktion des Informationssystems definiert. Der Mensch greift auf alle Ebenen des Systems zu.
Arbeitstechniken und Methoden, wie sie in der ersten Ansicht mitdefiniert wurden, fallen hier weg, da die Aussagen auf Gestaltung und Struktur des Systems hier nur durch die Darstellung in verschiedenen Schalen getroffen wird. Ähnlich ist die Aufgabe nur als ideelles Hauptziel, das mit dem System erreicht werden soll, in den Hintergrund getreten. Auch sind die Interaktionen innerhalb des Systems nur durch das Überlappen der Oberschalen abgebildet und nicht durch klare Pfeile, wie bei Heinrich u. a.
Beide Modelle betrachten das MAT-System somit auf eine unterschiedliche Weise, wobei das erste Modell insbesondere in Bezug auf die vollständige, greifbare Abbildung aller MAT-Segmente als die bessere Darstellung vorgezogen werden sollte. Teubners Schalenmodell hebt nur das Übergreifen der einzelnen Elemente auf die untergeordneten Segmente deutlicher hervor.
Diese variable Aufteilung und vielfältige Modellierung zeigt die zu Beginn von Heinrich u. a. angesprochene Dynamik und Offenheit des MAT-Systems, wodurch es als Grundlage jedes Informationssystems angesehen werden kann.
Typisierung
Anhand der MAT-Systemelemente
Mensch
Hier kann eine Typisierung nach Benutzern bzw. Benutzertypen erfolgen. Dabei tragen die Systemtypen bestimmte Benutzergruppen im Namen. Beispiele sind Endbenutzersysteme oder Führungsinformationssysteme. Da jedoch noch keine Systematik für benutzerzentrierte Informationssysteme entwickelt wurde, besteht hier noch viel Forschungsbedarf. Ein Ansatz zur Typisierung wäre, die Eigenschaft der Benutzer selbst oder die Eigenschaften des Benutzungskontextes zu nutzen. Dabei wären Benutzereigenschaften Alter, Geschlecht oder Qualifikation bzw. Erfahrung mit dem Umgang von Informations- und Kommunikationstechniken. Kontexteigenschaften wären etwa die Nutzungshäufigkeit und Nutzungsdauer sowie der Nutzungsort.
Aufgabe
Eine Typisierung erfolgt durch die Merkmale Aufgabenphase, Aufgabentyp, Aufgabenreichweite und Betriebstyp. Diese Merkmale lassen sich wiederum aufteilen.
Zur Aufgabenphase gehören dabei die Entwicklungsaufgaben und Nutzungsaufgaben. Bei den Entwicklungsaufgaben werden einzelne Aufgaben der Systementwicklung als Gliederungsmerkmal genutzt. Dabei sind diese immer Ausführungsaufgaben. Nutzungsaufgaben rücken vor allem einen Systemeinsatz in den Vordergrund. Dabei konkretisieren sie Führungs- und Ausführungsaufgaben.
Die Aufgabentypen können sich aufteilen in die Ausführungsaufgaben und Führungsaufgaben. Bei den Ausführungsaufgaben unterscheidet man zwischen Informationssystemen mit administrativen und dispositiven Aufgaben in den betrieblichen Funktionsbereichen. Das Typisierungsmerkmal Führungsaufgabe beinhaltet dabei vor allem Planungs- und Kontrollsysteme.
Die genannten Systemtypen können weiterhin in unterschiedliche Aufgabenreichweiten aufgeteilt werden. Dabei sind folgende Unterscheidungen möglich:
Individualaufgaben vs. Gruppenaufgaben
Funktionsbezogene vs. übergreifende Aufgaben
Intra- vs. interorganisatorische Aufgaben
Sektorenspezifische vs. übergreifende Aufgaben
Einzel- vs. gesamtwirtschaftliche Aufgaben
Als letztes ist das Typisierungsmerkmal Betriebstyp zu nennen, welches sich aufteilt in Aufgaben in Wirtschaftsbetrieben und Aufgaben in Verwaltungsbetrieben.
Technik
Die Typisierung erfolgt hier auf Basis der von Heinrich u. a. entwickelten Systematik der Technikinfrastruktur. Diese Systematik unterscheidet zwischen Techniktypen, so z. B. Ein- und Ausgabetechnik, Verarbeitungstechnik, Programmiertechnik, Speichertechnik, Netz- und Transporttechnik oder Schutztechnik.
Beispiele hierfür sind:
Berührungssensitive Bildschirme als Eingabetechnik für mobile Informationssysteme
Sprache als Verarbeitungstechnik in Navigationssystemen oder automatischen Telefonassistenten
RFID-Tags als Speichertechnik zur Verfolgung mobiler Objekte
Objektorientierte Programmierung als Programmiertechnik
Eine technikzentrierte Typisierung ist in der Literatur eher selten anzutreffen. Daraus kann man schließen, dass die zu unterstützende Aufgaben oder der Benutzer wichtiger sind oder aber, dass die konkrete Informations- und Kommunikationstechnik benannt und nicht typisiert werden soll. Es ist auch möglich, dass konkrete Techniken mehrere Techniktypen beinhalten. Beispiele wären Workflow-Management-Systeme, bei denen eine Kombination von Transport- und Speichertechnik vorliegt oder wissensbasierte Systeme, die Verarbeitungstechnik und regelbasierte Programmiertechnik kombinieren.
Anhand Phasen im Informationsverhalten
Ein Informationssystem versucht, die Informationsnachfrage für die Erfüllung betrieblicher Aufgaben zu decken. Dabei spielt der Informationsbeschaffungsprozess eine wichtige Rolle. Im Folgenden wird eine Typisierung anhand der Phasen dieses Prozesses vorgenommen und damit das Informationsverhalten der Benutzer typisiert.
Informationswahrnehmung
Diese Phase setzt ihren Fokus auf das Aufspüren und die Identifikation von Informationen. Dabei ist die Aktivierung des Aufgabenträgers erforderlich, der eine betriebliche Aufgabe erfüllen will und daher verfügbares Material sichtet und nach seinem Informationsgehalt bewertet. Dabei ist etwa ein Business-Intelligence-System zu nennen, welches diese Phase unterstützt.
Informationssammlung
Nimmt der Aufgabenträger eine Information als zweckorientiert wahr, dann sollte diese auf elektronischen sowie nicht-elektronischen Speichermedien gesammelt werden. Dies hat zur Folge, dass nicht alle Informationen ihren Weg in computergestützte Informationssysteme finden.
Informationsstrukturierung und -organisation
Um Informationen aus der Phase der Informationssammlung zu bewältigen, ist es notwendig, dass diese Informationsbestände strukturiert, klassifiziert, indiziert und verknüpft werden. Dadurch können diese Daten auch Dritten zugänglich gemacht werden. Beispielhaft sind hier Datenbanken oder Archivierungssysteme zu nennen, die eine solche Aufgabe bewältigen können.
Informationsproduktion
Um wahrgenommene, gesammelte und strukturierte Informationen anderen Aufgabenträgern zur Verfügung zu stellen, bedarf es Techniken der Informationsproduktion. Da andere Aufgabenträger die Informationen nur als Daten betrachten, muss eine gezielte Konversion von Daten in Information stattfinden, um das Wiederauffinden von Informationen sicherzustellen. Dies geschieht in dieser Phase.
Informationspflege
Diese Phase zeichnet sich durch die Aktualisierung und Dokumentation der Daten und verfügbaren Informationen zum Zweck der zukünftigen Informationsproduktion aus. Verfahren für die Datenpflege und Datenbereinigung nennt man Dokumentenmanagement- oder Archivierungssysteme.
Anhand der Arten von Informationssystemen
Betriebliches Informationssystem
Leistungsprozesse und Austauschbeziehungen innerhalb eines Betriebes oder auch von Betrieben untereinander werden von einem sogenannten betrieblichen Informationssystem unterstützt. Beim Management dieser betrieblichen Informationssysteme unterstützen Enterprise Architecture Frameworks (EAF). Es existieren über fünfzig EAF, die mit ihren Konzepten Vorgehensmodelle und Architektur-Referenzmodelle (Ordnungsrahmen) anführen. Spezielle Unternehmensausprägungen und damit spezielle Informationssystemstrukturen werden wiederum durch spezielle EAF berücksichtigt. Als ein Beispiel hierfür und damit für Betriebe untereinander kann ein Virtual Enterprise genannt werden: temporäre Partnerschaft zur Erfüllung eines gemeinsamen Geschäftszwecks (bspw. bei großen Bauprojekten). Die besonderen Anforderungen eines solchen Informationssystems finden sich bspw. im Virtual Enterprise Reference Architecture and Methodology (VERAM) wieder.
Rechnergestütztes Informationssystem
Ein System, das mit Hilfe von Informationstechnik die Verarbeitung, Speicherung, Erfassung und/oder Transformation von Daten und Informationen (teilweise) automatisiert, nennt man rechnergestütztes Informationssystem.
Insgesamt umfasst es aber nur Teile des gesamtbetrieblichen Informationssystems.
Interne Informationssysteme
Nach der Integrationsrichtung
Horizontal integriertes Informationssystem
Wenn in einem Prozess mehrere Teilsysteme auf einer Ebene agieren, um eine Leistung zu erstellen, gibt es ein horizontales Informationssystem, welches diese verbindet.
Vertikal integriertes Informationssystem
Ähnlich wie das horizontal integrierte verbindet auch das vertikal integrierte Informationssystem Teilsysteme. Jedoch handelt es sich in diesem Fall um Teilsysteme, die auf verschiedenen Stufen ihre Funktionen ausführen.
Operatives Informationssystem
Datenbanken, die die laufenden Geschäftsvorfälle steuern, können durch Benutzereingaben verändert oder abgefragt werden. Hierbei spricht man von operativen Informationssystemen.
Büroinformationssystem
Ein Büroinformationssystem unterstützt Büromitarbeiter bei typischen Bürotätigkeiten. Hierbei handelt es sich um ein rechnergestütztes Informationssystem, welches die benötigten Informationen erfasst, speichert, transformiert und untereinander austauscht.
Außenwirksames Informationssystem
zwischenbetriebliches Informationssystem
Ein zwischenbetriebliches Informationssystem verbindet die Informationssysteme von zwei oder mehr Betrieben. Hierbei wird versucht, die gemeinsame Zusammenarbeit zu verbessern.
Brancheninformationssystem
Das Brancheninformationssystem ist ein gemeinsames Informationssystem für die Betriebe verschiedener Wirtschaftszweige. Es soll die Geschäftsbeziehungen untereinander unterstützten.
Konsumenteninformationssystem
Ein Kundeninformationssystem verbindet Betriebe mit ihren bereits akquirierten oder potenziellen Kunden.
MAT-Systemkomponenten am Beispiel des fiktiven Online-Versandhauses Example-Versand
Benutzersystem
Endverbraucher am heimischen PC, der per Online-Formular Waren bestellt
angestellter Bürokaufmann, der am PC Bestellvorgänge kontrolliert und abwickelt, Rechnungen erstellt, Buchhaltung betreibt
Lagermitarbeiter, der Waren ordert, verpackt, versendet und dafür mit einer digitalen Lagerhaltungssoftware arbeitet
Analysten und Programmierer bei Example-Versand, die auf detaillierte Bestell- und Nutzungsprotokolle der Bestell-Webseite zugreifen, das Kundenverhalten analysieren und die Verkaufs-Software daraufhin optimieren
Manager von Example-Versand, der mit einem Führungsinformationssystem Einblick in und Kontrolle über alle Bereiche ausübt
Aufgabensystem
Abwicklung von Bestell- und Versandvorgängen
Einkauf von Waren, wenn der Lagerbestand ein festgelegtes Minimum unterschreitet
Rechnungswesen
evtl. Preisfestlegung anhand der Nachfrage und der noch vorhandenen Lagermenge
Techniksystem
Linux-Webserver für die Website von Example-Versand bei einem Dienstleister für Serverhosting
Desktop-Rechner im Bürogebäude von Example-Versand
Anwendungsbereiche
Informationssysteme finden in vielen Gebieten wie Verwaltung, Wirtschaft oder Medizin ihre Anwendung.
Staatliche Verwaltung
Die Polizei nutzt ein Informationssystem zur Unterstützung von Fahndungs- und Ermittlungsarbeiten (INPOL). Diese speichert sämtliche Informationen von Personen und Gegenständen. Auf Anfrage eines Polizeibeamten können diese Informationen beliebig abgerufen werden. Auch das Militär nutzt Informationssysteme, wie etwa das Führungs-Informationssystem FüInfoSys der Bundeswehr oder das TBMCS (engl. Theater Battle Management Core Systems) zur Koordinierung von Einsätzen der US-Luftwaffe.
Medizin
Informationssysteme haben im Gesundheitswesen heutzutage eine hohe Bedeutung. Eine Aufgabe ist die Verwaltung von Stammdaten, Patientendaten und Falldaten. Auch die elektronische Krankenakte in Form der elektronischen Karteikarte ist erst durch Informationssysteme möglich.
Es gibt noch viele weitere Informationssysteme, die uns in unserem Alltag begleiten. Einige Beispiele: Internetsuchmaschinen, Navigationssysteme, Kassensysteme, Geldautomaten usw.
Qualitative Kennzeichen eines Informationssystems
Aufgabe eines Informationssystems ist es, den Anwender mit Informationen zu versorgen. Ein wichtiges Merkmal eines qualitativ hochwertigen Informationssystems ist dessen Effizienz. Ein Informationssystem ist genau dann effizienter als ein anderes, wenn es
im gleichen Zeitraum mehr Informationen zur Verfügung stellt oder
die gleiche Menge an Informationen schneller zur Verfügung stellt.
Neben der Beschaffung von Informationen hat ein Informationssystem auch die Aufgabe, Informationen zu bearbeiten. Es kommt also nicht nur auf die reine Menge an Informationen an, sondern auch auf deren Qualität. So kann ein zu großer Umfang an gelieferten Informationen zu Informationsüberlastung oder zu einem Informationsschock und damit zu einer verschlechterten Aufnahme des Anwenders führen.
Kulturelle Einflüsse
Vor allem im Hinblick auf die ökonomische Gestaltung von Informationssystemen ist es entscheidend, vorhandene kulturelle Differenzen zu überbrücken. Kultur bezieht sich auf Werte, Ziele und Bräuche. Die durch die Globalisierung implizierten Vernetzungen müssen auf die jeweiligen kulturellen Gegebenheiten in verschiedenen Ländern so angepasst werden, dass Missverständnisse vermieden werden und effizientes Agieren möglich ist. So ist es für Unternehmen von großer Bedeutung, sich auf die jeweiligen Landeskulturen einzustellen und dementsprechend die Informationssysteme auszulegen, um effizientes Handeln in wirtschaftlicher und kommunikationstechnischer Sicht zu gewährleisten.
Siehe auch
Informationstechnisches System
Auskunftssystem
Architektur integrierter Informationssysteme
Architektur interoperabler Informationssysteme
Informationssystem (Konsistenz und Integrität von Daten)
Literatur
Deutsch
(Weblink)
Horst Völz: Das ist Information. Shaker Verlag, Aachen 2017. ISBN 978-3-8440-5587-0.
Horst Völz: Wie wir wissend wurden. Nicht Alles ist Information. Shaker Verlag, Aachen 2018. ISBN 978-3-8440-5865-9.
Horst Völz: Information und Medienwissenschaft. Shaker Verlag, Düren 2020. ISBN 978-3-8440-7641-7.
Englisch
Weblinks
„Informationssystem“ in der Enzyklopädie der Wirtschaftsinformatik
Einzelnachweise
Dokumentation
Datenbanken
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Q121182
| 383.136835 |
103687
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https://de.wikipedia.org/wiki/Uruk
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Uruk
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Uruk (sumerisch Unug; biblisch Erech; griechisch-römisch Orchoe, Orchoi), das heutige Warka (), liegt etwa 20 km östlich des Euphrats in der Nähe der antiken Stadt Ur. Im Altertum lag die mesopotamische Stadt direkt am Fluss. Uruk trug früher den Beinamen Die Schafhürde. Die Stadt ist einer der bedeutendsten Fundorte im Zweistromland und ist namensgebend für die Uruk-Zeit (etwa 3500 bis 2800 v. Chr.).
Uruk ist der Fundort der ersten Schrift. Es war bereits im ausgehenden 4. Jahrtausend v. Chr. eines der politisch führenden Zentren der sumerischen Frühzeit. Eine zweite große Blütephase erlebte Uruk in der hellenistischen Zeit in den letzten Jahrhunderten vor unserer Zeitrechnung. Hauptgötter sind die Göttin der Liebe und des Krieges Inanna/Ištar und der Himmelsgott An, deren Tempelanlagen das Stadtbild prägten.
Die archäologischen Stätten von Uruk zählen, zusammen mit denen von Ur und Eridu und Marschlandgebieten im Südirak, zum UNESCO-Welterbe.
Ausgrabungen
Die ersten Untersuchungen in Uruk führte der englische Geologe William Kennett Loftus in den Jahren 1849–1850 und 1854 durch. In den Jahren 1912 und 1913 begannen die Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft unter Julius Jordan und Conrad Preusser. Die Arbeiten wurden nach dem Ersten Weltkrieg 1928 wieder aufgenommen und bis 1939 fortgeführt. 1954 und in den folgenden Jahren wurden mehrere systematische Grabungen unter der Leitung von Heinrich Lenzen durchgeführt. Diese Grabungen brachten verschiedene alt-sumerische Dokumente und eine größere Anzahl von Rechts- und Lehrtafeln der Seleukiden-Zeit ans Tageslicht. Sie wurden von Adam Falkenstein und anderen Deutschen Epigraphikern veröffentlicht, ein Teil davon in der Uruk-Warka-Sammlung Heidelberg.
Die letzte deutsche Grabungskampagne vor dem Irak-Krieg wurde im Sommer 2002 unter der Leitung von Margarete van Ess vom DAI durchgeführt. Durch die Auswertung von Satellitenaufnahmen im Jahr 2005 wurden Berichte über Raubgrabungen in Uruk widerlegt.
Die Stadt und ihre Geschichte
Die Ruine von Uruk ist mit einer Ausdehnung von 550 ha die größte Stadtruine des südlichen Babylonien. Die antike Stadt Uruk war über einen Zeitraum von etwa 5000 Jahren besiedelt, von der frühen Obed-Zeit (5. Jahrtausend v. Chr.) bis ins 3. Jahrhundert n. Chr. Das Zentrum der Stadt ist von den zwei Kultzentren der beiden Hauptgötter der Stadt geprägt. Das Viertel Kullaba ist mit dem Anu-Tempel und seinem Tempelturm (Zikkurat) der Hauptkultort des Himmelsgottes An, während der Eanna-Bezirk das Hauptheiligtum der Göttin Inanna/Ištar bildet.
Uruk-Zeit
Schon ab etwa 3500 v. Chr. war Uruk ein großes urbanes Zentrum. Seine Lage an der Stelle, wo der mit Flößen und kleinen Booten befahrbare, einst fischreiche Euphrat in das südliche Sumpfland übergeht, deutet auf rege Handelstätigkeit. Um 3400 v. Chr. war der Siedlungshügel bereits 19 m hoch. Es kann wohl als ein oder sogar als das Zentrum der Entstehung der sumerischen Kultur bezeichnet werden. Diese Periode wird in der Archäologie „Späte Uruk-Zeit“ genannt und reicht etwa bis 3000 v. Chr. Zentrum der Stadt war das Heiligtum der Inanna, Eanna genannt. Schon im vierten vorchristlichen Jahrtausend erreichte dieses monumentale Ausmaße. Der bedeutendste Teil war der sog. „Kalksteintempel“ (engl. „limestone temple“, in der Abbildung des Grundrisses rechts oben, abgekürzt LT), bei dem es sich um einen ca. 70 × 30 m großen Bau handelte, der aus Kalksteinblöcken errichtet worden war. Dabei ist allerdings nicht gesichert, ob diese Kalksteine nur die Fundamente eines Lehmziegelbaus bildeten oder ob der Bau in ganzer Höhe in Kalkstein errichtet worden ist. Die Fassade des Tempels wurde mit einer Nischengliederung gestaltet. Im Inneren befindet sich ein T-förmiger Hof oder Saal. Neben diesem Haupttempel fanden sich andere Anlagen, darunter auch der sog. Steinstifttempel, ein Bau, dessen Wände mit geometrischen Mosaiken dekoriert sind. Auch Holzbalken von zwölf Metern Länge, Reste von Großskulpturen und Reliefs, Tierfiguren, aufwendig gestaltete Steingefäße und Rollsiegel wurden gefunden. Die Tempelanlage wurde mehrmals umgebaut und erweitert und erhielt in der Zeit der dritten Dynastie von Ur eine Zikkurat, die von Ur-Nammu errichtet wurde.
Auch die Zikkurat des Gottes An wurde hier errichtet („Weißer Tempel“ genannt); sie ist der andere bedeutende Tempelkomplex in Uruk.
Um 3000 v. Chr. wurde der gesamte Siedlungshügel eingeebnet, und neue Bauten wurden errichtet. Die Stadt erreichte auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung mit einer Fläche von 5,5 km² eine Größe wie ähnlich dimensionierte Stadtanlagen, die in Regionen der Indus-Kultur archäologisch erschlossen wurden, beispielsweise Harappa und Mohenjo-Daro. Diese Zentren waren zu jener Zeit wahrscheinlich die größten Städte der Alten Welt. Uruk wurde erst um 600 v. Chr. von Babylon in der Größe übertroffen.
Vor den Eroberungen des Sargon von Akkad war Uruk die Hegemonialmacht in Sumer.
Im regenarmen Mesopotamien wurde Wasser für den Ackerbau durch Kanäle und Dämme zu den Feldern geleitet. Es bestand immer die Gefahr, dass die Anlagen von Feinden zerstört wurden.
Historiker sind der Ansicht, dass in Uruk etwa um 3000 v. Chr. eine Katastrophe durch einen Dammbruch stattgefunden hat. Die Schriftaufzeichnungen enden zu dieser Zeit plötzlich. Wahrscheinlich wurde der Damm absichtlich oder als Folge der Kämpfe zwischen Sumerern und Semiten zerstört. Es wird vermutet, dass sich dieses Ereignis in den mesopotamischen Sintflutberichten widerspiegelt.
Sumerische Zeit: Frühdynastische Zeit
Auch in der Frühdynastischen Zeit war Uruk eine der wichtigsten Städte in einem System konkurrierender Stadtstaaten. In der Frühdynastischen Zeit I (FD I) war die Stadt von einer großen Stadtmauer umgeben, die eine Länge von etwa neun Kilometern hatte. Die Stadtmauer ist bisher nur punktuell untersucht. Das Gilgamesch-Epos berichtet, die Mauer sei von Gilgamesch, dem legendären König von Uruk, selbst erbaut worden.
Neubabylonische, seleukidische und parthische Zeit
Uruks umfangreiche und erhaltene Tempelarchive der neubabylonischen Zeit dokumentieren ihre soziale Bedeutung als Verteilungszentrum. In Zeiten des Hungers konnten Familien ihre Kinder dem Tempel als Laienbrüder/-schwestern weihen.
Auch in hellenistischer Zeit war Uruk eine bedeutende Stadt. Die wichtigsten Tempel der Stadt sind instand gehalten und renoviert worden. Daneben gab es aber auch Tempelneubauten wie den Anu- und den Antum-Tempel, Teil der Kultstätte Bit Resch, und ein Irigal genanntes Tempelgebäude. Erstere sind ausgesprochen große und monumentale Anlagen. Auch die Zikkurat im Eanna-Tempelbezirk wurde in dieser Zeit renoviert.
Aus parthischer Zeit stammen ebenfalls einige Tempelneubauten wie der sog. Gareus-Tempel, während die Anlagen sumerischer Gottheiten langsam verfielen oder nach Bränden nicht wieder aufgebaut wurden. Es sind Teile von parthischen Wohnvierteln ausgegraben worden, die teilweise Häuser mit reichen Ausstattungen (Stuckdekorationen) zu Tage förderten. Unter den Wohnbauten, oftmals in deren Höfe gegraben, fanden sich zahlreiche Bestattungen, teilweise in glasierten Tonsärgen. Die Stadt bestand auch noch in sassanidischer Zeit.
In der Nähe befindet sich ferner die Anlage Nufedschi, über deren Bedeutung die Forschung noch immer rätselt.
Könige von Uruk
Den sumerischen Königslisten zufolge wurde Uruk von Enmerkar gegründet, der den offiziellen Königstitel aus der Stadt Eanna mitbrachte. Sein Vater Mesch-ki-ag-gascher „verschwand auf See“. Andere historische Könige von Uruk sind Lugal-Zagesi (welcher Uruk eroberte) und Utuḫengal. Der halbmythische Gilgamesch war laut den sumerischen Königslisten von ungefähr 2652 v. Chr. bis 2602 v. Chr. hier König. Er vervollständigte die Unabhängigkeit Uruks und versah die Stadt mit Mauern. Von Gilgamesch behauptete man auch, er habe den Eanna-Tempel in Auftrag gegeben. Später spielte Uruk eine bedeutende Rolle in den Kämpfen Babylons gegen das Reich Elam um 1200 v. Chr., bei denen es ernsthafte Verluste hinnehmen musste.
Siehe auch
Liste der Könige von Uruk
Ausstellungen
2013–2014 Uruk. 5000 Jahre Megacity im Pergamonmuseum, Vorderasiatisches Museum, 25. April bis 8. September 2013 und im LWL-Museum für Archäologie, Herne, 3. November 2013 bis 21. April 2014
Literatur
Rainer Michael Boehmer: Uruk-Warka. In: Eric M. Meyers (Hrsg.): The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East. Band 5. Oxford University Press (u. a.), Oxford 1997, ISBN 0-19-506512-3, S. 294–298.
Rainer Michael Boehmer, Friedhelm Pedde, Beate Salje (Hrsg.): Uruk. Die Gräber (= Deutsches Archäologisches Institut. Abteilung Baghdad. Ausgrabungen in Uruk-Warka. Endberichte. Band 10). Mainz 1985.
Burchard Brentjes: Völker an Euphrat und Tigris. Koehler und Amelang, Leipzig/Wien 1981, ISBN 3-7031-0526-7.
Nicola Crüsemann et al.: Uruk. 5000 Jahre Megacity. Imhof-Verlag, Petersberg 2013, ISBN 978-3-86568-844-6.
Margarete van Ess: 1912/13: Uruk (Warka). Die Stadt des Gilgamesch und der Ischtar. In: G. Wilhelm (Hrsg.): Zwischen Tigris und Nil. 100 Jahre Ausgrabungen der Deutschen Orient-Gesellschaft in Vorderasien und Ägypten. Zabern, Mainz 1998, S. 32–41.
Margarete van Ess: Die Ausgrabungen in Uruk-Warka. In: Deutsches Archäologisches Institut, Orient-Abteilung – Außenstelle Baghdad, 50 Jahre Forschungen im Irak 1955–2005. Berlin 2005, S. 31–39.
Margarete van Ess, Elisabeth Weber-Nöldeke (Hrsg.): Briefe aus Uruk-Warka: 1931–1939/Arnold Nöldeke. Reichert, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-89500-485-8.
Julius Jordan: Uruk Warka. Nach den Ausgrabungen der deutschen Orient-Gesellschaft (= Wissenschaftliche Veröffentlichungen der Deutschen Orientgesellschaft. 51). J. C. Hinrichs, Leipzig 1928.
Gunvor Lindström: Uruk. Siegelabdrücke auf hellenistischen Tonbullen und Tontafeln. von Zabern, Mainz 2003, ISBN 3-8053-1902-9.
Mario Liverani: Uruk, The First City. Equinox, London 2006, ISBN 9781845531911.
Adolf Leo Oppenheim: Ancient Mesopotamia – portrait of a dead civilization. Rev. ed by Erica Reiner. University of Chicago Press, Chicago 1977, ISBN 0-226-63186-9.
Michael Roaf: Weltatlas der Alten Kulturen. Mesopotamien. München 1990, S. 59–61.
Weblinks
Uruk – 5000 Jahre Megacity. Ausstellung im Pergamonmuseum Berlin vom 25. April bis 8. September 2013.
Virtueller Rundgang durch die Ausstellung „Uruk – 5000 Jahre Megacity“
Einzelnachweise
Antike mesopotamische Stadt
Archäologischer Fundplatz im Irak
Bestandteil einer Welterbestätte in Asien
Bestandteil einer Welterbestätte im Irak
Sumer
Parther
Forschungsprojekt des Deutschen Archäologischen Instituts
Gouvernement al-Muthanna
Ur- und Frühgeschichte (Fruchtbarer Halbmond)
Wikipedia:Artikel mit Video
Archäologischer Fundplatz (Mesopotamien)
Archäologischer Fundplatz in Asien
Uruk-Kultur
Kupfersteinzeitlicher Fundplatz (Alter Orient)
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Q168518
| 83.776849 |
114485
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https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdkalifornien
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Südkalifornien
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Südkalifornien (engl. Southern California oder abgekürzt „SoCal“) ist der südliche Teil des US-Bundesstaats Kalifornien. Geographisch ist die Grenze zwischen Nord- und Südkalifornien traditionell durch die Tehachapi-Berge markiert. Politisch wird Südkalifornien durch die folgenden acht Countys gebildet: Imperial, Los Angeles, Orange, Riverside, San Bernardino, San Diego, Santa Barbara und Ventura. Mehr als zwei Drittel der Einwohner Kaliforniens wohnen in Südkalifornien, konzentriert im Küstenstreifen.
Das Hinterland besteht weitgehend aus Wüsten und Halbwüsten und ist weitgehend unbesiedelt. Deshalb wurden im Inland Empire gigantische Komplexe aus Lagerhallen angesiedelt, durch die praktisch alle Importgüter aus Asien in die USA geschleust werden. Ansonsten befinden sich im Hinterland großflächige Naturschutzgebiete und Militäreinrichtungen. Die Ausnahme bilden Orte mit Trinkwasser wie Palm Springs und das Imperial Valley.
In Südkalifornien liegen die großen Städte Los Angeles und San Diego. Südkalifornien ist ein großes Zentrum für Verschiffung und Flugreisen, ein populäres Reiseziel und das Zentrum der US-amerikanischen Filmindustrie (Hollywood).
Südlich der Grenze zu Mexiko liegen noch die mexikanischen Bundesstaaten Baja California und Baja California Sur in der geographischen Region Niederkalifornien.
Weblinks
Informationstext zur Geographie (englisch)
Einzelnachweise
Sudkalifornien
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Q844837
| 96.444067 |
38465
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https://de.wikipedia.org/wiki/Molek%C3%BClphysik
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Molekülphysik
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Die Molekülphysik ist ein Teilgebiet der Physik, das sich mit der Untersuchung der chemischen Struktur (z. B. Bindungslängen und -winkel), der Eigenschaften (z. B. Energieniveaus) und des Verhaltens (z. B. Reaktionsprozesse) von Molekülen beschäftigt. Daher kann die Molekülphysik auch als Grenzgebiet zwischen Physik und Chemie aufgefasst werden. Untersuchungsobjekte und -methoden entsprechen weitgehend denen der physikalischen Chemie.
Grundlagen sind die Erkenntnisse der Atomphysik und Quantenmechanik. Ein wichtiges Modell zu Berechnung der Moleküleigenschaften ist die Born-Oppenheimer-Näherung. Das in der Atomphysik wichtige Orbitalmodell wird in der Molekülphysik um Molekülorbitale erweitert.
Eine der wichtigsten Messmethoden der Molekülphysik ist die Schwingungsspektroskopie bzw. Molekülspektroskopie, in der nicht nur die elektronischen Energiezustände, sondern auch Schwingungs- und Rotationszustände auftreten.
Molekülspektren
In Molekülen werden die (von den Atomen bekannten) elektronischen Energieniveaus von Schwingungs- und diese von Rotationszuständen weiter unterteilt. Die Energieabstände zwischen elektronischen Zuständen sind am größten und liegen bei einigen Elektronenvolt, die zugehörige Strahlung liegt etwa im sichtbaren Bereich. Die Strahlung von Schwingungsübergängen liegt im mittleren Infrarot (ungefähr zwischen 3 und 10 µm), die von Rotationsübergängen im fernen Infrarot (ca. zwischen 30 und 150 µm). Das Spektrum eines Moleküls besteht in der Regel aus viel mehr Linien als das eines Atoms. Zu einer Änderung des elektronischen Zustandes gehört ein sogenanntes Bandensystem, wobei jede einzelne Bande einem gleichzeitigen Schwingungsübergang beim elektronischen Übergang entspricht. Jede Bande besteht wiederum aus einzelnen Spektrallinien, zu denen jeweils ein parallel zum elektronischen Übergang und zum Schwingungsübergang stattfindender Rotationsübergang gehört.
Hier werden vor allem zweiatomige Moleküle betrachtet, bei denen die Zustände einfacher dargestellt werden können.
Rotation eines zweiatomigen Moleküls
Näherungsweise (für niedrige Rotationsquantenzahlen, das heißt, wenn das Molekül nicht so schnell rotiert, dass der Kernabstand merklich steigt) kann man das Molekül als Starrer Rotator betrachten, das heißt, der Abstand zwischen den Atomkernen ist konstant. Es kommt zur Quantisierung des Drehimpulses ( genannt, obwohl die zugehörige Quantenzahl genannt wird):
mit den Rotationsquantenzahlen und der vom Planckschen Wirkungsquantum abgeleiteten Größe . Die Rotationsenergie ist
mit dem Trägheitsmoment und der sogenannten Rotationskonstante
des Moleküls. Durch spektroskopische Messungen kann man die Rotationskonstante bestimmen und so auf das Trägheitsmoment und den Kernabstand schließen.
Der Abstand zwischen den Energieniveaus und beträgt , steigt also mit steigender Quantenzahl. Die Auswahlregel für Übergänge mit Absorption oder Emission eines Photons ist , zusätzlich muss das Molekül ein permanentes Dipolmoment besitzen, was bei Molekülen mit zwei gleichartigen Atomen nicht der Fall ist; deshalb haben diese Moleküle kein reines Rotationsspektrum.
Die Energieunterschiede zwischen Rotationsniveaus liegen im Bereich der typischen thermischen Energien von Teilchen bei Zimmertemperatur. Im thermischen Gleichgewicht sind die Energiezustände nach der Boltzmann-Statistik besetzt. Dabei muss man aber beachten, dass es sich bei dem Zustand mit der Quantenzahl J eigentlich um entartete Zustände (mit den Richtungsquantenzahlen ) handelt. Die Besetzungsdichte ist daher proportional zu . Das Rotationsspektrum ist außerdem noch von den Übergangswahrscheinlichkeiten zwischen den Zuständen abhängig. Wenn diese ungefähr gleich sind, dann spiegeln die Intensitäten der Spektrallinien die Besetzungsdichten wider. Typischerweise steigt die Besetzungsdichte von weg mit steigendem J anfangs durch den Faktor bis zu einem Maximum, um dann durch den exponentiellen Faktor wieder abzufallen; so sehen dann auch oft Rotationsspektren aus. Die Abstände zwischen den Spektrallinien sind dabei alle gleich, weil die Abstände zwischen den Energieniveaus bei einer Erhöhung von J um 1 immer um steigen und durch die Auswahlregel nur Übergänge zum nächstgelegenen Niveau möglich sind.
Schwingungen eines zweiatomigen Moleküls
Die Atome eines zweiatomigen, hantelförmigen, Moleküls können auch gegeneinander schwingen. Die einfachste Näherung ist hier eine harmonische Schwingung; die potentielle Energie eines Atoms muss hier mit der Entfernung von einem Gleichgewichtsabstand r0 zum anderen Atom quadratisch ansteigen. Die Energieniveaus eines quantenmechanischen harmonischen Oszillators (Quantenzahl ) sind äquidistant:
Reale Moleküle weichen jedoch stark von diesem Verhalten ab, das Potenzial ist nicht harmonisch (anharmonischer Oszillator) und steigt bei Annäherung an das andere Atom viel stärker an als bei Entfernung - hier nähert es sich asymptotisch der Dissoziationsenergie des Moleküls. Eine bessere Näherung als das harmonische Potenzial ist das sogenannte Morse-Potential.
ist die Nullpunktenergie des Potenzials, ein Parameter:
ist hier die Federkonstante des am besten passenden harmonischen Potenzials.
Diese Funktion bildet das reale Potenzial deutlich besser ab.
Die Schrödinger-Gleichung ist in quadratischer Näherung (Taylorentwicklung des Morsepotentials) analytisch lösbar. Die Energieniveaus können so berechnet werden:
Im Gegensatz zum harmonischen Oszillator liegen nun die erlaubten benachbarten Schwingungszustände nicht mehr äquidistant, sondern verringern ihren Abstand näherungsweise mit . Außerdem ist zu beachten, dass nur endliche viele gebundene Zustände existieren, wobei durch gegeben ist.
Die Auswahlregeln für Übergänge zwischen Schwingungsniveaus in der Dipolnäherung sind für den harmonischen Oszillator, für den anharmonischen Oszillator sind auch mit abnehmender Wahrscheinlichkeit erlaubt. Bei Streckschwingungen muss zusätzlich ein Rotationsübergang stattfinden, es gilt dabei also . Dabei unterscheidet man den sog. P- und R-Zweig, wobei P und R bezeichnet. Bei Beugeschwingungen ist auch ein Übergang ohne Änderung des Rotationszustandes möglich, den man Q-Zweig nennt.
Rotations-Schwingungs-Wechselwirkung
Weil das Trägheitsmoment des Moleküls durch die Schwingungen schwankt, muss man zur Energie des Moleküls bei genauerer Betrachtung noch die Rotations-Schwingungs-Wechselwirkungsenergie addieren. Nach den folgenden Ansatz für die Gesamtenergie
kann man die sogenannten Dunham-Koeffizienten den experimentellen Resultaten anpassen.
Das effektive Potenzial für die Molekülschwingung im zweiatomigen Molekül wird durch die Rotation erhöht ( ist das Potenzial ohne Rotation):
Dadurch kommt es bei höheren Rotationsquantenzahlen zur Ausbildung einer sogenannten Rotationsbarriere: Bei steigender Entfernung der Atomkerne wächst das effektive Potenzial von einem Minimum (Gleichgewichtslage) zu einem Maximum (der Rotationsbarriere), das bereits über der Dissoziationsenergie liegt, um danach wieder zur Dissoziationsenergie abzufallen. Dadurch kann sich das Molekül in einem Schwingungszustand „hinter“ der Rotationsbarriere befinden, dessen Energie höher ist als die Dissoziationsenergie. Es kann dann zur Dissoziation durch den Tunneleffekt kommen. Bei sehr hohen Rotationsquantenzahlen wird auch das Potenzialminimum über die Dissoziationsenergie gehoben, bei noch höheren Rotationsquantenzahlen gibt es schließlich kein Minimum und somit keine stabilen Zustände mehr.
Elektronische Zustände im zweiatomigen Molekül
Ähnlich wie bei Atomen wird auch hier der Zustand eines Elektrons durch eine Hauptquantenzahl n und eine Bahndrehimpulsquantenzahl l angegeben, wobei den verschiedenen Werten von l wie beim Atom Buchstaben zugeordnet sind (s, p, d, f, …). Das elektrische Feld ist aber nicht mehr kugelsymmetrisch, deshalb muss sich der Bahndrehimpuls relativ zur Kernverbindungsachse einstellen. Die Projektion des Bahndrehimpulses auf die Kernverbindungsachse nennt man mit der zugehörigen Quantenzahl λ. Für die unterschiedlichen Werte von λ schreibt man griechische Buchstaben, die den römischen Buchstaben bei den Werten von l entsprechen (σ, π, δ, φ, …). Man schreibt dann z. B. den Grundzustand des Wasserstoffmoleküls (1sσ)2: 2 Elektronen befinden sich im Grundzustand n = 1, l = 0, λ = 0.
Die Kopplung der einzelnen Drehimpulse zu einem Moleküldrehimpuls erfolgt zweckmäßig je nach den Stärken der Wechselwirkungen in unterschiedlicher Reihenfolge, man spricht von den Hundschen Kopplungsfällen (a) - (e) (nach Friedrich Hund).
Die Summe der auf die Kernverbindungsachse projizierten Bahndrehimpulse nennt man mit der Quantenzahl Λ; die Summe der Elektroneneigendrehimpulse (Spins) nennt man wie beim Atom mit der Quantenzahl S; die Projektion dieses Gesamtspins auf die Kernverbindungsachse nennt man mit der Quantenzahl Σ; die Summe von und nennt man mit der Quantenzahl Ω. Der mechanischen Drehimpuls des Moleküls tritt mit den elektronischen Drehimpulsen auch noch in Wechselwirkung.
Für die elektronischen Zustände werden oft auch andere Bezeichnungen verwendet: X steht für den Grundzustand, A, B, C, … stehen für die immer höher angeregten Zustände (kleine Buchstaben a, b, c, … kennzeichnen in der Regel Triplettzustände).
Hamiltonoperator für Moleküle
Es ist üblich, den Hamiltonoperator nicht in SI-Einheiten, sondern in sogenannten atomaren Einheiten zu schreiben, da dies die folgenden Vorteile birgt:
Da Naturkonstanten nicht mehr explizit auftauchen, sind die Ergebnisse in atomaren Einheiten einfacher hinzuschreiben und unabhängig von der Genauigkeit der involvierten Naturkonstanten. Die in atomaren Einheiten berechneten Größen lassen sich dennoch einfach in SI-Einheiten zurückrechnen.
Numerische Lösungsverfahren der Schrödingergleichung verhalten sich numerisch stabiler, da die zu verarbeitenden Zahlen wesentlich näher bei der Zahl 1 liegen, als dies in SI-Einheiten der Fall ist.
Der Hamiltonoperator ergibt sich zu
mit
, der kinetischen Energie der Elektronen
, der kinetischen Energie der Atomkerne
, der potentiellen Energie der Wechselwirkung zwischen den Elektronen
, der potentiellen Energie der Wechselwirkung zwischen den Kernen
, der potentiellen Energie der Wechselwirkung zwischen den Elektronen und Atomkernen.
Hierbei sind und die Indizes über die Elektronen, bzw. die Indizes über die Atomkerne, der Abstand zwischen dem i-ten und dem j-ten Elektron, der Abstand zwischen dem -ten und dem -ten Atomkern und der Abstand zwischen dem -ten Elektron und dem -ten Atomkern, die Kernladungszahl des -ten Atomkerns.
Die zeitunabhängige Schrödingergleichung ergibt sich dann zu , wobei allerdings in der Praxis die Gesamtschrödingergleichung mit Hilfe der Born-Oppenheimer-Näherungen in eine elektronische Schrödingergleichung (mit festen Kernkoordinaten) und eine Kernschrödingergleichung aufgeteilt wird. Die Lösung der Kernschrödingergleichung setzt dabei die Lösung der elektronischen Schrödingergleichung für alle (relevanten) Kerngeometrien voraus, da die elektronische Energie als Funktion der Kerngeometrie dort eingeht. Die elektronische Schrödingergleichung ergibt sich formal durch setzen von .
Siehe auch
Physikalische Chemie
Spektroskopie
Franck-Condon-Prinzip
Literatur
Hermann Haken, Hans-Christoph Wolf: Molekülphysik und Quantenchemie: Einführung in die experimentellen und theoretischen Grundlagen. Springer 2006, ISBN 978-3-540-30315-2.
Wolfgang Demtröder: Molekülphysik: Theoretische Grundlagen und experimentelle Methoden. Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2013, ISBN 978-3486706789.
Physikalische Chemie
Physikalisches Fachgebiet
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Q489328
| 101.658898 |
116660
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tampa
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Tampa
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Tampa ist eine Stadt und zudem der County Seat des Hillsborough County im US-Bundesstaat Florida mit 384.959 Einwohnern (Stand: April 2020). Nach Jacksonville und Miami ist Tampa die drittgrößte Stadt Floridas. Die an der Tampa Bay gelegene Stadt ist Teil der Metropolitan Statistical Area (MSA) Tampa-St. Petersburg-Clearwater (kurz auch Tampa Bay Area) mit rund 3,0 Millionen Einwohnern.
Geografie
Geografische Lage
Tampa liegt an der Mündung des Hillsborough River in die Tampa Bay. Der südliche Teil der Stadt ragt als Halbinsel in die Bucht hinein. Die Bucht wird westlich der Halbinsel auch Old Tampa Bay, östlich davon Hillsborough Bay genannt. Die Davis Islands in der Hillsborough Bay bilden einen eigenen Stadtteil Tampas. Der Tampa Bypass Canal verläuft östlich um Tampa herum und verbindet den Hillsborough River mit der McKay Bay, die eine kleine Einbuchtung der Hillsborough Bay ist. Der offene Golf von Mexiko befindet sich rund 40 km südwestlich der Südspitze Tampas.
Gemäß dem United States Census Bureau besitzt die Stadt eine Fläche von rund 442 km² (170,6 mi²), davon sind rund 290 km² (112,1 mi²) Landmasse. Die höchste Erhebung im Stadtgebiet liegt bei 15 m (48 ft).
Orlando liegt 120 km, Jacksonville 300 km, Tallahassee 380 km und Miami 420 km von Tampa entfernt.
Nachbargemeinden
Tampa grenzt im Osten an die Stadt Temple Terrace und bildet mit ihr einen gemeinsamen urbanen Raum. Im Westen, auf der anderen Seite der Tampa Bay, liegen die Städte Clearwater und St. Petersburg, mit denen die Stadt über mehrere Brücken verbunden ist. Außerdem grenzt Tampa an zahlreiche census-designated places.
Stadtgliederung
Die Stadt ist in die sechs Stadtbezirke Downtown Tampa, New Tampa, West Tampa, East Tampa, North Tampa und South Tampa aufgeteilt. Diese wiederum bestehen aus zahlreichen Stadtteilen (sog. neighborhoods).
Klima
Das Klima ist subtropisch geprägt und wird in der Klimaklassifikation nach Köppen mit Cfa angegeben. Die Sommer sind warm bis heiß mit einer hohen Luftfeuchte und höheren Niederschlägen als im Winter. Im Winter sind gelegentliche leichte Nachtfröste zu erwarten, treten jedoch nicht jedes Jahr auf. Schneefall ist sehr selten. Die mittleren Tageshöchstwerte liegen zwischen 21 und 32 °C, die Tiefstwerte zwischen 11 und 24 °C. Generell ist das Klima im Süden der Stadt wärmer und feuchter als im Norden. Die höchste jemals gemessene Temperatur lag am 5. Juni 1985 bei 37 °C, die tiefste Temperatur bei −8 °C am 13. Dezember 1962. Ein signifikanter Wintereinbruch ging 1899 mit größeren Schneemengen einher, die durch den lake effect verursacht wurden. Der letzte messbare Schnee (0,5 cm) fiel am 19. Januar 1977 in der Stadt.
Die Stadt wird aufgrund ihrer Lage während der Hurrikansaison von Juni bis November oft von tropischen Stürmen heimgesucht. Der letzte direkte „Treffer“ eines Hurrikans liegt jedoch lange zurück und datiert auf das Jahr 1921. Dies sollte sich 2004 nach den Vorhersagemodellen mit Hurrikan Charley ändern, jedoch drehte er kurz vor dem prognostizierten Landgang nach Osten ab und ging stattdessen weiter südlich bei Punta Gorda an Land. Die Evakuierungsmaßnahmen im Zusammenhang mit Charley waren die umfangreichsten in der Geschichte der Tampa Bay Area. In der Gegend fließen mehrere Flüsse ins Meer, das macht sie besonders anfällig für Überschwemmungen. Eine Studie der Weltbank stufte Küstenstädte im Jahr 2013 danach ein, wie sehr sie von Überschwemmungen bedroht sind. Tampa kam gemessen an der geschätzten Gesamtschadenssumme weltweit auf Platz 7.
Geschichte
Name
Der Name Tampa taucht in der Sprache des indigenen Volkes der Calusa auf, die sich südlich der Tampa Bay angesiedelt hatten. Er bedeutete ursprünglich so viel wie Feuerstäbe und bezieht sich dabei wohl auf die in den Sommermonaten häufig auftretenden Gewitter in der Region. Nach dem Sprachforscher George R. Stewart geht der Stadtname auf ein Missverständnis zwischen Indianern und Spaniern zurück. Der Ort wurde von den Ureinwohnern „itimpi“ genannt, was schlicht so viel wie „nahe bei“ bedeutet. Er wurde vom Spanier Hernando de Escalante Fontaneda, der 17 Jahre lang von den Indianern gefangen gehalten wurde, 1575 in seinen Erinnerungen als „Tanpa“ erwähnt und als wichtige Stadt der Calusa beschrieben. Der Archäologe Jerald T. Milanich vermutet den Standort der früheren indigenen Stadt jedoch weiter südlich im Charlotte Harbor und nimmt an, eine spätere spanische Expedition habe auf ihrer Schiffsreise entlang der Küste diese Bucht nicht bemerkt und schließlich die Tampa Bay für die von Fontaneda beschriebene Bucht gehalten. Kartographen verwendeten die Begriffe Bay oder Bahia Tampa frühestens seit 1695.
Frühe Jahre
Viel ist über die Geschichte der Gegend vor dem ersten Kontakt mit Europäern nicht bekannt. Als erstmals spanische Entdecker in den 1520er Jahren eintrafen, fanden sie eine Reihe von Siedlungen des Tocobaga-Stammes im Gebiet des heutigen Pinellas County und Tampa in der nördlichen Tampa Bay sowie mehrere Dörfer der Calusa im heutigen Gebiet des Manatee County im südlichen Bereich der Bucht vor. Angeführt von den Entdeckern Pánfilo de Narváez und Hernando de Soto begaben sich mehrere Expeditionen auf die Suche nach Gold sowie der Möglichkeit, dauerhafte spanische Siedlungen einzurichten. Versuche der Einwanderer, sesshaft zu werden und die einheimische Bevölkerung zu missionieren, wurden von dieser zurückgewiesen und bekämpft. Gegen die von den Spaniern eingeschleppten Krankheiten fanden die Indianer jedoch keine Mittel. So starben jegliche indigene Kulturen Floridas in den folgenden Jahren vollständig aus. Da auch die Spanier aufgrund ungünstiger Bedingungen keine Lebensgrundlage hatten, blieb die Gegend für mehr als 200 Jahre unbevölkert.
Mitte des 18. Jahrhunderts wurden durch die Gründung amerikanischer Kolonien durch die Engländer die einheimischen Seminolen in den Norden Floridas zurückgedrängt. Zu dieser Zeit lebten in der Gegend um die Tampa Bay nur wenige einheimische Fischer sowie eingewanderte Kubaner. Sie wohnten in einem Dorf, das sich im heutigen Stadtgebiet Tampas am Bayshore Boulevard befand. 1821 traten die Spanier mit dem 1819 abgeschlossenen, sogenannten Adams-Onís-Vertrag Florida an die Vereinigten Staaten ab, die daraufhin das Florida-Territorium einrichteten.
Die US-Regierung errichtete nach 1821 im Territorium eine Vielzahl von Festungen und Handelsposten, die die Kontrolle über das weitestgehend noch durch Wildnis und Gesetzlosigkeit beherrschte Gebiet sicherstellen sollte. Eine Festung hiervon war unter anderem auch Fort Brooke, die 1824 unter Führung von George Mercer Brooke und James Gadsden an der Mündung des Hillsborough River in die Tampa Bay errichtet wurde. An ihrer Stelle steht heute das Tampa Convention Center im Stadtzentrum von Tampa. Nachdem 1835 der Zweite Seminolenkrieg aufbrandete, floh praktisch die gesamte Bevölkerung aus der Region. Erst knapp sieben Jahre später konnten nach der Niederlage der Indianer die ersten Siedler zurückkehren.
Gründung von Tampa und Bürgerkrieg
Am 3. März 1845 wurde Florida zum 27. Bundesstaat der Vereinigten Staaten erklärt. Knapp vier Jahre später wurde Tampa am 18. Januar 1849 mit 185 Einwohnern (ohne die Militärkräfte der Festung) offiziell als Village gegründet. Bei der ersten Volkszählung Tampas im nachfolgenden Jahr wurden inklusive Militärpersonal insgesamt 974 Einwohner gezählt. Am 15. Dezember 1855 wurde Tampa zur City hochgestuft und 1856 der Richter Joseph B. Lancaster zum ersten Bürgermeister der Stadt ernannt.
Im Januar 1862 wurde nach Ausbruch des Sezessionskrieges in Tampa der Ausnahmezustand erklärt. Florida wurde als Südstaat Teil der Konföderierten Staaten von Amerika. Tampa diente während des Krieges als Lager für konföderierte Truppen. Die zivile Verwaltung der Stadt wurde bis Kriegsende eingestellt. Die Schiffsflotte der Union blockierte den Zugang zur Tampa Bay, sodass die Stadt von der militärischen und zivilen Versorgung über den Wasserweg abgeschnitten wurde. Der Versuch der Konföderation, die Blockade zu durchbrechen, mündete in der Schlacht von Tampa vom 30. Juni und 1. Juli 1862, die jedoch kein Ergebnis einbrachte. Später unterlag die Konföderation in der Schlacht von Fort Brooke vom 17. und 18. Oktober 1863, als Festung und Stadt von Schiffen und Landtruppen der Union bombardiert und zahlreiche Schiffe versenkt wurden. Der Krieg endete schließlich im April 1865. Im Mai trafen Truppen der Union ein, die als Teil der Reconstruction bis August 1869 die Stadt besetzten. Bereits am 25. Juni 1868 wurde Florida wieder in die Union eingegliedert.
Die Zeit der Reconstruction wirkte sich gravierend auf die Region um Tampa aus, da die im Vergleich zur Ostküste Floridas ohnehin nur geringe Wirtschaftskraft deutlich geschwächt wurde. Zusätzlich sorgten mehrere Gelbfieber-Epidemien, verursacht durch Moskitos der Sümpfe Zentralfloridas, für einen markanten Bevölkerungsrückgang in der Gegend. 1869 stimmten die Bewohner Tampas für die Auflösung der Stadtregierung, und bei den Volkszählungen der Jahre 1870 und 1880 sank die Einwohnerzahl auf 796 bzw. weiter auf 720 Menschen. Die Festung Fort Brooke hatte mittlerweile ihren Zweck verloren und wurde 1883 aufgegeben. Bis auf zwei auf dem Campus der University of Tampa ausgestellte Kanonen sind keine Überreste der Festung mehr zu finden.
Aufschwung und Wohlstand
Die Entdeckung von Phosphatvorkommen im Bone Valley südöstlich der Stadt sorgten für einen abrupten Aufschwung der Wirtschaft Tampas. Der Rohstoff, der unter anderem zur Herstellung von Düngemittel verwendet wird, stellt auch heute noch ein wichtiges Exportgut der Region dar. Weiterer Wohlstand wurde der Stadt zuteil, als sie durch den Pionier Henry B. Plant mit der Eröffnung der South Florida Railroad von hier über Orlando nach Sanford im Jahr 1884 Anschluss an das Eisenbahnnetz erhielt. Neben dem verbesserten Austausch von Wirtschaftsgütern wurde Tampa durch die Eisenbahn erstmals auch touristisch erschlossen. 1890 wurde Tampa auch von der Florida Railroad erreicht. 1906 wurde durch die Tampa Northern Railroad eine Bahnstrecke von Tampa nach Brooksville eröffnet, die 1912 von der Seaboard Air Line Railroad aufgekauft wurde. 1919 wurde durch die Tampa Southern Railway, einer Tochtergesellschaft der Atlantic Coast Line Railroad, eine weitere Bahnstrecke von Tampa nach Palmetto errichtet, die 1920 bis Bradenton verlängert wurde.
Im Jahr 1885 ließ sich unter anderem der Zigarrenfabrikant Vicente Martinez Ybor nieder, der seinen Firmensitz aufgrund besserer Verkehrsverbindungen zwischen Kuba und dem amerikanischen Festland von Key West hierher verlegte. Zum damaligen Zeitpunkt besaß Tampa knapp 5.000 Einwohner. Auf Initiative von Ybor wurde das Arbeiterviertel Ybor City angelegt, das Wohnraum für tausende seiner Beschäftigten sowie Kaufleute und deren Familien bot. Bis 1900 wohnten alleine hier rund 10.000 Einwohner. Am 15. Juli 1887 wurde die Stadt aufgrund steigender Einwohnerzahlen erneut zur City erhoben. 1895 wurde außerdem die zumeist von Kubanern bewohnte Stadt West Tampa gegründet, die 1925 nach Tampa eingemeindet wurde. Mit etwa 500.000.000 Stück wurden in Ybor City und West Tampa im Jahr 1929 die meisten Zigarren hergestellt. Während dieser Zeit des Booms seit der Jahrhundertwende wurde Tampa zu einer der größten Städte Floridas und zur inoffiziellen „Cigar Capital of the World“ ernannt.
1891 erbaute Henry B. Plant mit dem Tampa Bay Hotel ein großzügiges Hotel zu Gesamtkosten von rund 2,5 Millionen USD. Das in orientalisierender Architektur erbaute Gebäude verfügte über einen beheizbaren Pool im Inneren, über den ersten Fahrstuhl der Stadt sowie über mehr als 500 Zimmer, die alle mit Telefon und elektrischem Licht ausgestattet waren. Das Gebäude dient heute als Museum und wird als National Historic Landmark geführt.
Während des Spanisch-Amerikanischen Krieges im Jahr 1898 war der Hafen von Tampa eine wichtige Verladestation amerikanischer Truppen und Kriegsgüter auf dem Weg nach Kuba. Die bis zu 30.000 von hier verschifften Soldaten brachten der Stadt einen erneuten wirtschaftlichen Schub.
Tampa war um 1900 auch die Geburtsstätte des illegalen Lotteriespiels Bolita, das in der Arbeiterklasse sehr beliebt war und dank großzügiger Bestechungsgelder an die lokale Politik inoffiziell geduldet wurde. Es wurde von Santo Trafficante, Sr. und dessen Sohn kontrolliert, die einem Arm der amerikanischen Mafia zugeordnet wurden. Erst durch die Kefauver-Hearings im Jahr 1950 fand die organisierte Kriminalität in Tampa ihr endgültiges Ende.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts
Bereits 1928 wurde westlich der Stadt der Flugplatz Drew Field eröffnet, der während des Zweiten Weltkriegs von den Army Air Forces übernommen und modernisiert wurde. 1950 wurde der Flugplatz nach Aufnahme des zivilen Luftverkehrs in Tampa International Airport umbenannt. Auf der Halbinsel im Süden der Stadt wurde mit Beginn des Weltkrieges das MacDill Field eröffnet. Es diente als Basis für Flugzeuge des Army Air Corps und später der Army Air Forces. Die Anlage besaß unter anderem mit den heutigen Flughäfen Tampa und St. Petersburg-Clearwater zwei Nebenflugplätze, deren militärischer Zweck sich nach dem Krieg jedoch erübrigt hatte. Mit der Errichtung der unabhängigen Air Force wurde das Flugfeld in MacDill Air Force Base umbenannt.
In den 1950er Jahren erfuhr Tampa ein nie dagewesenes Bevölkerungswachstum, was insbesondere zu einem enormen Ausbau der Infrastruktur führte. In dieses Jahrzehnt fiel unter anderem auch die Eröffnung des Lowry Park Zoo (1957) und der Busch Gardens (1959). 1956 wurde im Stadtteil North Tampa die University of South Florida eröffnet, die viele neue Arbeitsplätze entstehen ließ. Viele Firmen und Einrichtungen zogen im Laufe der Zeit von ihrem traditionellen Standort im Stadtzentrum in weiter außerhalb gelegene Bezirke um.
Von 1967 bis 1973 wurden insgesamt fünf Versuche unternommen, die Stadtverwaltung von Tampa mit der Verwaltung des Hillsborough County zusammenzulegen. Diese scheiterten jedoch alle an der Wahlurne. Bei der letzten Entscheidung stimmten 33.160 (31 %) der wahlberechtigten Einwohner für und 73.568 (69 %) gegen diese Reform.
Zuletzt wurde das Stadtgebiet 1988 durch die Erschließung eines zuvor ländlich geprägten Gebietes zwischen den Interstates 75 und 275 nördlich von Tampa um etwa 62 km² erweitert, das zum Bezirk New Tampa ernannt wurde.
Vom 27. bis 30. August 2012 fand im Tampa Bay Times Forum in Tampa die 40. Versammlung der Republikanischen Partei zur Nominierung ihres Präsidentschaftskandidaten statt, aus welcher Mitt Romney als Sieger hervorging.
Religionen
Eine erste Methodistengemeinde wurde bereits 1846 in Tampa gegründet. Zu den bedeutendsten Kirchengebäuden der Stadt zählt unter anderem die 1905 im Stile der Neuromanik errichtete Sacred Heart Catholic Church mit von der Münchner Mayer’schen Hofkunstanstalt gelieferter Glasmalerei. Weitere Kirchen in Tampa sind die St. James House of Prayer Episcopal Church (gelistet im NRHP) und die African Methodist Episcopal Church, die unter anderem von Martin Luther King und Bill Clinton besucht wurde.
Weitere christliche Denominationen in Tampa sind der Presbyterianismus, die Lutheraner, die Christian Science, die Church of God, die United Church of Christ, die Unabhängige Philippinische Kirche, die Metropolitan Community Church, die Siebenten-Tags-Adventisten, Orthodoxe Kirchen, die Anglikaner, die Quäker, die Zeugen Jehovas und die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.
Außerdem besitzt Tampa mehrere Synagogen, Moscheen, einen buddhistischen Tempel sowie einen thai-buddhistischen Wat. Anhänger der Scientology-Kirche finden sich im benachbarten Clearwater zusammen.
Demographische Daten
Laut der Volkszählung 2010 verteilten sich die damaligen 335.709 Einwohner auf 157.130 Haushalte. Die Bevölkerungsdichte lag bei 1156,4 Einw./km². 62,9 % der Bevölkerung bezeichneten sich als Weiße, 26,4 % als Afroamerikaner, 0,4 % als Indianer und 3,4 % als Asian Americans. 3,9 % gaben die Angehörigkeit zu einer anderen Ethnie und 3,2 % zu mehreren Ethnien an. 23,1 % der Bevölkerung bestand aus Hispanics oder Latinos.
Im Jahr 2010 lebten in 30,0 % aller Haushalte Kinder unter 18 Jahren sowie 21,0 % aller Haushalte Personen mit mindestens 65 Jahren. 55,7 % der Haushalte waren Familienhaushalte (bestehend aus verheirateten Paaren mit oder ohne Nachkommen bzw. einem Elternteil mit Nachkomme). Die durchschnittliche Größe eines Haushalts lag bei 2,38 Personen und die durchschnittliche Familiengröße bei 3,10 Personen.
26,6 % der Bevölkerung waren jünger als 20 Jahre, 31,0 % waren 20 bis 39 Jahre alt, 26,9 % waren 40 bis 59 Jahre alt und 15,7 % waren mindestens 60 Jahre alt. Das mittlere Alter betrug 35 Jahre. 48,9 % der Bevölkerung waren männlich und 51,1 % weiblich.
Das durchschnittliche Jahreseinkommen lag bei 43.957 $, dabei lebten 19,2 % der Bevölkerung unter der Armutsgrenze.
Im Jahr 2000 war Englisch die Muttersprache von 77,43 % der Bevölkerung, spanisch sprachen 17,77 % und 4,80 % hatten eine andere Muttersprache.
Politik
Bürgermeister
Bürgermeisterin ist seit dem 1. Mai 2019 die Demokratin Jane Castor. Sie löste den ebenfalls den Demokraten angehörenden Bob Buckhorn ab, der wegen einer Amtszeitbeschränkung nicht erneut kandidieren durfte.
Städtepartnerschaften
Tampa hat Städtepartnerschaften mit
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Beliebte Nacht- und Ausgehviertel von Tampa sind der Channel District, Ybor City, SoHo und die International Plaza and Bay Street. Bekannt ist unter anderem das Hotel und Casino Seminole Hard Rock. In der Zeitschrift Maxim wird Tampa auf Platz sechs der besten Partystädte der Vereinigten Staaten geführt.
Musik und Theater
In Tampa sind mit dem The David A. Straz Jr. Center for the Performing Arts, dem Tampa Theatre, dem Gorilla Theatre und dem 1-800-ASK-GARY Amphitheatre mehrere Theaterbühnen beheimatet. Außerdem gibt es das The Florida Orchestra, die Opera Tampa, das Jobsite Theater, das The Master Chorale of Tampa Bay, das Stageworks Theatre, das Spanish Lyric Theater und die Tampa Bay Symphony.
Tampa ist für die Musikrichtung Death Metal bedeutend, aber auch Künstler anderer Stilrichtungen sind dort ansässig. Aus der Stadt stammen u. a. die Bands Morbid Angel, Six Feet Under, Death, Cynic, Kamelot, Obituary, Monstrosity, Underoath, Brutality und Savatage.
Museen
Zu den Museen in Tampa gehören unter anderem das Museum of Science and Industry, das Tampa Museum of Art, das USF Contemporary Art Museum, das Tampa Bay History Center, das Tampa Firefighters Museum, das Henry B. Plant Museum und der Ybor City Museum State Park. Am Ufer des Channel District hat die S.S. American Victory, ein ehemaliges Victory-Schiff des Zweiten Weltkrieges, dauerhaft festgemacht und dient heute als Museumsschiff.
Bauwerke
78 Bauwerke und Stätten in der Stadt sind insgesamt im National Register of Historic Places (NRHP) eingetragen (Stand 16. Oktober 2020), wobei das Tampa Bay Hotel, der Ybor City Historic District und das El Centro Español de Tampa den Status von National Historic Landmarks haben.
Parks
In Tampa befindet sich der Freizeitpark Busch Gardens sowie der Wasserpark Adventure Island. Zu den Parks im Stadtgebiet von Tampa gehören zudem der Lettuce Lake Park, der Rowlett Park, das Al Lopez Field und der Ballast Point Park.
Sport
Tampa wird in den drei Ligen NFL, NHL und MLB durch professionelle Sportmannschaften vertreten. Das American-Football-Team Tampa Bay Buccaneers sowie das Eishockeyteam Tampa Bay Lightning sind dabei direkt in Tampa beheimatet, während das Baseballteam Tampa Bay Rays aus dem nahe gelegenen Saint Petersburg stammt. Das nächstgelegene in der NBA spielende Basketballteam sind die Orlando Magic aus Orlando. Des Weiteren waren die Tampa Bay Storm in der Arena Football League beheimatet.
Die Tampa Bay Buccaneers tragen ihre Heimspiele im Raymond James Stadium aus, die Tampa Bay Lightning spielen in der Amalie Arena und das Heimstadion der Tampa Bay Rays ist das Tropicana Field.
Tampa war die Austragungsstätte von insgesamt fünf Super Bowls: Super Bowl XVIII (1984), Super Bowl XXV (1991), Super Bowl XXXV (2001), Super Bowl XLIII (2009) und Super Bowl LV (2021). Die ersten beiden Endspiele wurden im alten Tampa Stadium, die anderen im Raymond James Stadium ausgetragen. 2021 schafften es die Buccaneers als erstes Team in der Geschichte des Super Bowls im eigenen Stadion im Endspiel der NFL zu stehen, welches sie dann am Ende gegen die Kansas City Chiefs mit 31:9 gewinnen konnten. Ebenfalls 2021 gewannen die Tampa Bay Lightning zum dritten Mal und zum zweiten Mal in Folge den Stanley Cup, so dass mit Tampa nach Detroit 1952 erst zum zweiten Mal der NHL- und der NFL-Champion einer Saison aus derselben Stadt stammen.
Das George M. Steinbrenner Field wird von den New York Yankees zum Spring Training sowie von den Tampa Yankees (Minor League Baseball) genutzt.
Fußball wurde auf Profiebene von den Tampa Bay Rowdies seit 1975 im Tampa Stadium in der North American Soccer League (NASL) gespielt. Der Verein war im Jahr 1975 der erste in Tampa, der mit dem Soccer Bowl einen Meistertitel im Profisport gewann. Nach der Auflösung der Liga 1984 spielte der Verein in mehreren anderen Ligen, bevor der Spielbetrieb 1993 schließlich eingestellt wurde. Die Tampa Bay Mutiny spielten von 1996 bis 2001 in der erstklassigen Major League Soccer (MLS). Von 1996 bis 1998 trugen sie ihre Heimspiele im Tampa Stadium aus, 1999 erfolgte der Wechsel in das Raymond James Stadium. 2010 wurde ein neues Team namens Tampa Bay Rowdies ins Leben gerufen, das seinen Namen wegen Lizenzierungsproblemen jedoch vorübergehend in FC Tampa Bay umbenennen musste. Nachdem sie im ersten Jahr auf dem George M. Steinbrenner Field spielten, zogen sie 2011, mit der Gründung der neuen zweitklassigen North American Soccer League auf das Al Lang Field in Saint Petersburg um.
Tampa ist zudem eine Hochburg des Wrestling-Sports. Viele aktive Wrestler haben in der Gegend ihren Wohnsitz. Dabei ist Tampa der Sitz der Labels NXT Wrestling des Medienunternehmens World Wrestling Entertainment.
Bereits 1993 wurde in Tampa der Skatepark Of Tampa eröffnet – alljährlich finden dort weltweit beachtete Skateboard-Events statt.
Regelmäßige Veranstaltungen
Gasparilla Pirate Festival
India International Film Festival (IIFF) of Tampa Bay
Outback Bowl
GaYbor Days in Ybor City
Tampa International Gay and Lesbian Film Festival
Sunset Music Festival
Wirtschaft und Infrastruktur
Die Metropolregion von Tampa-St. Petersburg erbrachte 2016 ein Bruttoinlandsprodukt von 142,6 Milliarden US-Dollar und belegte damit Platz 24 unter den Großräumen der USA. Die Arbeitslosenrate in der Metropolregion betrug 3,3 Prozent und liegt damit unter dem amerikanischen Durchschnitt von 3,8 Prozent. (Stand: Mai 2018). Das persönliche Pro-Kopf Einkommen liegt 2016 bei 43.807 US-Dollar, womit Tampa ein unterdurchschnittliches Einkommensniveau besitzt.
Die wichtigsten Wirtschaftszweige der Stadt sind Dienstleistungen, Einzelhandel, Finanzen, Versicherer, Schiffbau, die Äußere Sicherheit, der Profisport und der Tourismus.
Unter anderem hat das Schatzsucherunternehmen Odyssey Marine Exploration seinen Sitz in Tampa. Außerdem befindet sich hier die Serverfarm von Wikimedia.
Verkehr
Straßen
Die bekannteste Straße in Tampa ist der 7,2 km lange Bayshore Boulevard, der am Ufer der Hillsborough Bay entlangführt. Von dem zwischen Straße und Ufer verlaufenden Gehweg heißt es, er sei der längste durchgehende Gehweg der Welt.
Drei verschiedene Brücken verbinden Tampa mit dem Pinellas County auf der anderen Seite der Tampa Bay: Die Howard Frankland Bridge (I-275), die Gandy Bridge (U.S. 92) und der Courtney Campbell Causeway (SR 60). Durch das Stadtgebiet führen als Schnellstraßen zum einen die Interstates 4, 75 und 275 sowie zum anderen der Veterans Expressway (SR 589) und der Lee Roy Selmon Expressway (SR 618). Außerdem führen die U.S. Highways 41 und 92 sowie die Florida State Roads 60, 573, 574, 580, 582, 583, 600 und 685 durch die Stadt.
Bahnverkehr
Der heutige Bahnhof Union Station wurde 1912 eröffnet. Der Bahnhof befindet sich zwischen dem Channel District und Ybor City und wird heute von Amtrak bedient. Der Silver Star verkehrt mit einem Zugpaar täglich südwärts nach Miami sowie nordwärts nach New York City. Zudem bietet Amtrak mit einem eigenen, Thruway Motorcoach genannten Fernbussystem von der Union Station aus Anschlüsse zu verschiedenen Städten im Südwesten Floridas sowie nach Orlando, wo man Anschluss an den Silver Meteor erhält.
Seit Oktober 2002 verkehrt mit dem TECO Line Streetcar System wieder eine Straßenbahn durch Tampa. Die gut 4 km lange Strecke mit elf Stationen verbindet Ybor City mit dem Channel District, dem Tampa Convention Center und Downtown Tampa. Die Bahn kann kostenfrei benutzt werden.
Im Jahr 2011 hätte der Bau einer Hochgeschwindigkeitstrasse von Tampa über Orlando nach Miami beginnen sollen. Die Strecke sollte nach dem Prinzip der Verkehrswegebündelung entlang des bestehenden Fernstraßennetzes mit einer vorgesehenen Geschwindigkeit von 270 bis 300 km/h befahren werden. Die Pläne wurden von Gouverneur Rick Scott im März 2011 jedoch gestoppt.
Flughäfen
Tampa ist als Geburtsstätte der kommerziellen Luftfahrt von großer Bedeutung. Am 1. Januar 1914, etwa zehn Jahre nach dem ersten Flugversuch der Gebrüder Wright, führte Tony Jannus mit seiner St. Petersburg-Tampa Airboat Line auf der Strecke von Saint Petersburg nach Tampa den ersten kommerziellen Flug weltweit mit einem Flugzeug durch.
Der größte Flughafen der Stadt ist der Tampa International Airport (IATA-Code: TPA, ICAO-Code: KTPA), der dem inländischen und weltweiten Luftverkehr dient. Er befindet sich ganz im Westen der Stadt und wird vom Veterans Expressway tangiert. Ebenfalls im Stadtgebiet befindet sich der kleinere Peter O. Knight Airport (IATA: TPF, ICAO: KTPF) in Davis Islands südlich der Innenstadt. Außerdem gibt es noch den Tampa Executive Airport (IATA: VDF, ICAO: KVDF), der sich östlich der Stadt nahe dem Knotenpunkt der I-75 mit der I-4 befindet. Ein vierter Flughafen im Einzugsbereich der Stadt ist der St. Petersburg-Clearwater International Airport (IATA: PIE, ICAO: KPIE), der sich direkt auf der anderen, westlichen Seite der Tampa Bay nördlich von Saint Petersburg befindet.
Seehafen
Da der Hafen in Tampa nicht genügend Tiefe für Hochseeschiffe aufwies und der Bau einer entsprechenden Fahrrinne zu aufwendig war, ließ Henry B. Plant 1885–1888 am Black Point (oder Gadsen Point) den Tiefseehafen Port Tampa errichten.
Im Jahr 1899 erteilte der US-Kongress den Auftrag des Baus einer Fahrrinne mit einer Tiefe von 27 Fuß vom Golf von Mexiko zum Hafen von Tampa. Doch erst 1917 wurde es durch weitere Ausbaumaßnahmen des Hafens selbst möglich, ihn mit Hochseeschiffen anzufahren. Jedes Jahr wird durch das US Army Corps of Engineers eine Menge an Sand aus der Tampa Bay ausgehoben, die zehn Mal das Raymond James Stadium füllen könnte.
Heute ist der Hafen der größte Umschlaghafen Floridas und einer der wichtigsten der USA. Etwa zwei Drittel der 37 Millionen Tonnen umgeschlagenen Fracht des Jahres 2009 bestand aus den Rohstoffen Erdöl und Phosphat.
Auch für die Kreuzfahrt ist der Hafen von Bedeutung. Er ist der Heimathafen der MS Carnival Inspiration und der MS Carnival Legend der Carnival Cruise Lines. Zeitweise überwintern hier auch mehrere andere Kreuzfahrtschiffe.
Medien
Die größten erscheinenden Tageszeitungen sind die Tampa Tribune und die Tampa Bay Times. Außerdem gibt es das dreisprachige Blatt La Gaceta, das auf Englisch, Spanisch und Italienisch gedruckt wird. Daneben gibt es noch eine Reihe kleinerer Zeitungen, dazu zählen Florida Sentinel Bulletin, Creative Loafing, Reax Music Magazine, Tampa Bay Times, The Oracle, Tampa Bay Business Journal und MacDill Thunderbolt. Fernsehprogramme sind WFTS 28 (ABC), WTSP 10 (CBS), WFLA 8 (NBC), WTVT 13 (Fox), WTOG 44 (The CW), WTTA 38 (MyNetworkTV) und WVEA 62 (Univision).
Öffentliche Einrichtungen
Die größten Krankenhäuser in Tampa sind das Tampa General Hospital, das St. Joseph’s Children’s & Women’s Hospital, das James A. Haley Veterans Hospital, das H. Lee Moffitt Cancer Center & Research Institute, das The Pepin Heart Institute und das Shriners Hospitals for Children.
Bildung
In Tampa befindet sich die University of South Florida und die University of Tampa. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Hochschulen und allgemeinbildende Schulen.
Kriminalität
Die Kriminalitätsrate lag im Jahr 2010 mit 322 Punkten (US-Durchschnitt: 266 Punkte) im durchschnittlichen Bereich. Es gab 27 Morde, 47 Vergewaltigungen, 684 Raubüberfälle, 1412 Körperverletzungen, 3131 Einbrüche, 7484 Diebstähle, 838 Autodiebstähle und 107 Brandstiftungen.
Persönlichkeiten
Bekannte Persönlichkeiten aus Tampa sind der Pilot Joseph Kittinger, der Jazz-Kornettist Nat Adderley, dessen Bruder, der Altsaxophonist Julien „Cannonball“ Adderley, der Musiker Hughie Thomasson, der Wrestler Edward Leslie, der Schauspieler Robert Gant sowie die Schauspielerinnen Brittany Snow und Sarah Paulson.
Weblinks
Website der Stadt (englisch)
Einzelnachweise
Ort mit Seehafen
County Seat in Florida
Hochschul- oder Universitätsstadt in den Vereinigten Staaten
Gemeindegründung 1823
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Q49255
| 203.198273 |
3040683
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ghor
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Ghor
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Ghor, auch Ghur oder Ghwor (Paschtu/Persisch: ) ist eine Provinz in Afghanistan mit einer Fläche von 36.657 Quadratkilometern und 791.480 Einwohnern (Stand: 2022).
Lage
Die zentralafghanische Provinz liegt in rund 2000 bis 2500 m Höhe am Hari Rud gelegen. Die Provinzhauptstadt heißt Tschaghtscharan (oder Chighcheran).
Infrastruktur
Die Infrastruktur ist unter dem Landesdurchschnitt. Flugplätze finden sich in Tschaghtscharan (IATA: CCN) und Taywara.
Geschichte
Seit dem 11. Jahrhundert war Ghor eine Provinz des Ghaznawidenreichs. Von zentraler Bedeutung war die Provinz Ghor in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts unter den gemeinsam regierenden Brüdern Ghiyath al-Din Muhammad (reg. 1163–1202) und Muhammad von Ghur (reg. 1163–1206), denen es gelang ihren Machtbereich bis nach Persien einerseits und Bengalen andererseits auszudehnen.
Nach ihrem Tod existierte das Ghuridenreich nur noch wenige Jahre.
Sehenswürdigkeiten
Das um 1175 erbaute Minarett von Dschām, oder Firuzkuh, ist eine bedeutende Sehenswürdigkeit in der Provinz Ghor, es steht auf der Liste des UNESCO-Welterbes.
Verwaltungsgliederung
Die Provinz Ghor ist in folgende Distrikte gegliedert:
Marghab
Dawlat Yar
Du Layna
Lal wa Sarjangal
Pasaband
Saghar
Shahrak
Taywara
Tschaghtscharan
Tscharsada
Tulak
Weblinks
Aufstellen einer Firuzkuhi-Jurti in der Provinz Ghor, historisches Videodokument aus dem Jahr 1977, aus dem Onlinearchiv der Österreichischen Mediathek
Einzelnachweise
Provinz in Afghanistan
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Q186392
| 131.805201 |
22219
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ma%C3%9Feinheit
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Maßeinheit
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Werte von geometrischen und physikalischen Größen werden in Maßeinheiten (auch Größeneinheit oder physikalische Einheit) angegeben, die einen eindeutigen (meistens international definierten) Wert haben. Alle anderen Werte der jeweiligen Größe werden als Vielfache oder Bruchteile der verwendeten Einheit angegeben. Bekannte Maßeinheiten sind beispielsweise Meter, Sekunde, Kilowattstunde, Hertz oder Kilometer pro Stunde.
Maßeinheiten können für alle Größenarten definiert werden, auch für nicht physikalische Größen, etwa Währungen oder die wahrnehmungsbezogenen Größen Tonheit oder Lautheit. Verschiedene Größen der Dimension Zahl können durch Hilfsmaßeinheiten gekennzeichnet werden.
Eigenschaften
Zur Vermeidung von Zahlenangaben mit sehr großen oder sehr kleinen Zahlen können bei den meisten Einheiten Vorsätze für Maßeinheiten verwendet werden (Ausnahmen z. B. bei Grad Celsius oder Minute).
Größen der Dimension Zahl haben die Maßeinheit Eins (Einheitenzeichen 1). Diesen Größen werden zur Verdeutlichung häufig zusätzlich Hilfsmaßeinheiten verliehen, beispielsweise Dutzend (für eine Stückzahl), Radiant (für ebene Winkel) oder Bel (für logarithmierte Verhältnisse). Für Anteile der Maßeinheit 1 sind z. B. % (Prozent), ‰ (Promille) oder ppm (Millionstel) gebräuchlich.
Einheitensysteme
Einheiten können zu Einheitensystemen zusammengefasst werden wie z. B. dem Internationalen Einheitensystem oder dem angloamerikanischen Maßsystem. Ein Einheitensystem hat bestimmte Basiseinheiten, aus denen sich durch Ableitung weitere Einheiten ergeben.
Einheitenzeichen
Einheitenzeichen werden stellvertretend für die Einheitennamen verwendet. Sie sind meistens lateinische Buchstaben, aber auch griechische Buchstaben oder sonstige Zeichen. Für alte Maßeinheiten waren auch Einheitenzeichen gebräuchlich, die keinem Alphabet angehören. Einheitenzeichen werden nicht kursiv gesetzt – auch dann nicht, wenn der umgebende Text kursiv ist. Bei Maßangaben steht zwischen der Zahl und dem Einheitenzeichen ein Leerzeichen; eine Trennung durch Zeilenumbruch ist zu vermeiden.
Zahlenwerte sollen gemäß DIN 1301 zwischen 0,1 und 1000 liegen. An Stelle größerer oder kleinerer Werte sollen Vorsätze für Maßeinheiten verwendet werden.
Umrechnung
Der Wert einer physikalischen Größe ist im Allgemeinen das Produkt aus einer Zahl und einer physikalischen Einheit. Um diesen Wert mit einer anderen Einheit (derselben Größenart) darzustellen, kann man dieses Produkt umformen und bekannte Beziehungen zwischen den Einheiten einsetzen.
Beispiel: Ein Tisch habe eine Höhe von 75 cm. Bekanntlich ist 1 m = 100 cm. Damit kann man umformen: 75 cm = 0,75 × 100 cm = 0,75 m.
Oft ist eine Einheit ein Vielfaches der anderen (das „Vielfache“ muss nicht ganzzahlig sein), in manchen Fällen ist die Beziehung aber anders. Z. B. gilt für Temperaturen in Grad Celsius und in Kelvin: , die beiden Temperaturskalen haben unterschiedliche Nullpunkte.
Ist eine Einheit ein Vielfaches der anderen, kann man die Umrechnung durchführen, indem man mit 1 multipliziert, wobei man 1 als Quotient zweier gleicher Größen in den beiden Einheiten schreibt, so dass sich die erste Einheit herauskürzt und die zweite stehenbleibt.
Die Umrechnung aus obigem Beispiel lässt sich damit auch so durchführen:
Wenn eine Einheit Produkt oder Quotient anderer Einheiten ist, können solche Umrechnungen auf letztere angewandt werden. Wenn die direkte Beziehung zweier Einheiten nicht bekannt ist, aber jeweils die Beziehung zu einer dritten Einheit, z. B. einer SI-Einheit, kann die Umrechnung durchgeführt werden, indem die Umrechnung in die dritte Einheit und die von dieser in die Zieleinheit verkettet werden.
Beispiel: 463 Fuß (ft) pro Minute (min) sollen in Knoten (kn) umgerechnet werden. Bekanntlich ist 1 ft = 0,3048 m, 1 min = 60 s, 1 kn = 1 sm/h, 1 sm = 1852 m, 1 h = 3600 s.
Geschichte
In früheren Zeiten wurden Maßeinheiten meistens über Maßverkörperungen definiert, die die entsprechende Eigenschaft hatten. Gut möglich ist dies z. B. bei Längen-, Volumen- und Masseneinheiten, denn diese sind durch Metallstäbe, Kugeln oder Hohlgefäße darstellbar. An allgemein zugänglicher Stelle angebracht, etwa in die Fassade des Rathauses eingemauert, ermöglichte es ein solches Maß jedem, seine eigenen Messgeräte zu kalibrieren. Maßeinheiten wurden früher sehr willkürlich und oft ohne Beziehung zueinander, aber nach praktischen Gesichtspunkten wie Längenabmessungen am menschlichen Körper festgelegt.
Abstraktere Maßeinheiten hatten früher im Alltag nur eine untergeordnete Bedeutung. Derartige Einheiten muss man über Messvorschriften definieren, die vergleichsweise einfach mit hoher Genauigkeit zu reproduzieren sind. Es ist zwischen „Definition“ und „Realisierungsvorschrift“ zu unterscheiden; die geeigneten Realisierungsverfahren unterscheiden sich oft von dem in der Definition festgelegten Verfahren. Welches Verfahren geeignet ist, hängt von den Genauigkeits-Anforderungen ab. Beispielsweise kann für die „Darstellung“ einer Maßeinheit als nationales Normal viel höherer Aufwand betrieben werden als beim Eichen von Handelswaagen. Je nach Genauigkeitsanforderung können auch heute noch verkörperte Maße aktuell sein.
Beispiele
Im Internationalen Einheitensystem wurde das Kilogramm bis ins Jahr 2019 durch die Masse des Urkilogramms in Paris definiert. Alle Massen wurden als Vielfache dieser Masse angegeben. Zum Beispiel bedeutete die Angabe „5,1 kg“ so viel wie „5,1-mal so große Masse wie die Masse des Urkilogramms in Paris“.
Die Einheit Meter/Sekunde der Geschwindigkeit ist im SI eine von den Basiseinheiten Meter und Sekunde abgeleitete Einheit.
Beispiele von alten Einheiten:
Pferdestärke (PS): Leistung, die benötigt wird, um 75 kg im Schwerefeld der Erde in einer Sekunde einen Meter zu heben.
Torr (oder mmHg): Druck, den eine Quecksilbersäule von 1 mm Höhe im Schwerefeld der Erde ausübt.
Kilopond (kp): Gewichtskraft der Masse 1 kg im Schwerefeld der Erde.
Siehe auch
Liste physikalischer Größen
Willkürliche Einheit
Anmerkungen
Literatur
Hans-Joachim von Alberti: Maß und Gewicht: Geschichtliche und tabellarische Darstellungen von den Anfängen bis zur Gegenwart. Berlin 1957.
Gerhardt Hellwig: Lexikon der Maße und Gewichte. Gütersloh 1983.
Weblinks
Maßeinheiten umrechnen
EasyUnitConverter
Liste von über 300 metrischen Maßeinheiten,
Liste von 200 nicht-metrischen Maßeinheiten,
Metrologie
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Q47574
| 1,190.324447 |
67450
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https://de.wikipedia.org/wiki/Illyrien
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Illyrien
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Illyrien () ist eine Bezeichnung für eine Region im Westen der Balkanhalbinsel. Sie ist von der antiken Landschaft Illyrien und vom Volk der Illyrer abgeleitet, die hier in der Antike siedelten.
Antike
Illyris, Reich der Illyrer
Laut Herodot erstreckte sich das Land der Illyrer im 5. Jahrhundert v. Chr. von der adriatischen Küste bis zur Morava im Osten und bis zur Etsch im Westen.
In der Antike bestanden Beziehungen zwischen den illyrischen Stämmen und den Griechen, Demosthenes warb 342 v. Chr. unter den Illyrern um Feinde gegen Makedonien. In der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts v. Chr. bildeten die illyrischen Labeaten unter der Königin Teuta ein Reich mit Sitz in Scodra (heute Shkodra). Nach den Kriegen zwischen den Illyrern und Rom Anfang des 3. Jahrhunderts v. Chr. wurde dieses Königreich auf seine nördliche Hälfte beschränkt.
Illyricum
Nach weiteren langen Kämpfen geriet das Reich der Illyrer völlig unter die Herrschaft des Römischen Reichs und wurde fortan lateinisch Illyricum genannt. Seit Sulla war es mit der Provinz Macedonia vereinigt, erst unter Gaius Iulius Caesar wurde es zu einer eigenständigen Provinz. Ein großer Aufstand der Illyrer zwischen den Jahren 6 und 9 n. Chr. konnte von den Römern nur mühsam niedergeschlagen werden.
Als die Römer das Gebiet der pannonischen Stämme eroberten, nannten sie es Illyricum inferius, das spätere Dalmatien hingegen trug den Namen Illyricum superius. In der Spätantike, nach der Reichsreform des Diokletian, wurde das Illyricum in sieben Provinzen geteilt: beide Noricum, beide Pannonia, Valeria, Savia, Dalmatia und Dacia (die Dioecesis Illyrici occidentale). Später wurde das Illyricum von einem praefectus praetorio verwaltet, die Präfektur umfasste die Provinzen Moesia superior, beide Dacia, Dardania, Macedonia, Thessalia, Achaea, beide Epirus, Praevalitana und Kreta.
Zwischen dem 3. und 6. Jahrhundert lieferte Illyricum nicht nur viele Rekruten für die römische Armee, sondern ihm entstammte auch eine Reihe von Kaisern, darunter Diokletian und Justinian. Nach der so genannten Reichsteilung von 395 zählten viele illyrische Gebiete zum Oströmischen Reich, wobei es wiederholt zu Streitigkeiten mit Westrom kam, das seine Ansprüche auf das ganze Illyricum erst 437 aufgab. Latein blieb die Verkehrssprache, und große Teile der Region unterstanden kirchenrechtlich dem Bischof von Rom. Die Collectio Thessalonicensis aus dem Jahr 531 enthält päpstliche und kaiserliche Schreiben zur illyrischen Kirchenverfassung. Das nördliche Illyricum war Anfang des 6. Jahrhunderts von ostgotischen Gruppen besiedelt, seit etwa 580 ließen sich dann über die gesamte Region Slawen nieder.
Neuzeit
Seit der Renaissance kam die Bezeichnung Illyricum, gemäß der latinisierenden Zeitmode, wieder in Gebrauch. Die Begriffe Illyrer und illyrisch wurden dabei oft mit den Südslawen beziehungsweise den südslawischen Sprachen gleichgesetzt.
Dreieiniges Königreich Dalmatien, Kroatien und Slawonien des Habsburgerreiches 1745–1777
Von 1767 bis 1777, unter Maria Theresia, wurden das Königreich Kroatien, das Königreich Slawonien und das Königreich Dalmatien zusammenfassend auch Königreich Illyrien genannt – sie waren schon 1745 als das Dreieinige Königreich Dalmatien, Kroatien und Slawonien installiert worden. Dalmatien war in den Türkenkriegen bei der Ungarischen Krone verblieben, die beiden anderen Königreiche wurden im 16. Jahrhundert osmanisch, und kamen zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder zum Habsburgerreich. Nach 1777 sprach man wieder von getrennten Königreichen. Es wurde von einer illyrischen Hofdeputation in Wien regiert.
Illyrische Provinzen
Während der Napoleonischen Kriege wurde die Bezeichnung Illyricum gemäß der klassizistischen Zeitmode auch für administrative Zwecke verwendet. Die im Frieden von Schönbrunn 1809 abgetrennten Teile Österreichs wurden von Frankreich als „Illyrische Provinzen“ (mit Hauptstadt Laibach) organisiert. Es bestand aus den Départements (Osttirol und der Westteil Kärntens – Unterkärnten blieb bei Österreich), (Krain), (das Küstenland), („Zivilkroatien“) und („Militärkroatien“), (Dalmatien), (Ragusa).
Königreich Illyrien 1814–1849
Nach der Rückgabe dieser Provinzen an Österreich 1814 organisierte der Wiener Hof dieses Gebiet als Königreich Illyrien in den zwei Gubernien Laibach (mit Krain sowie Kärnten) und Triest (mit Görz und Gradisca sowie Istrien) mit etwas anderer Abgrenzung: Nachdem das westliche Kroatien mit Karlstadt und Fiume 1822 „mit der ungarischen Krone wiedervereinigt“ worden war, wurde Unterkärnten (1825) dazugenommen. Dalmatien war schon seit 1814 – ebenso formell als Königreich – ein österreichisches Gubernium. 1849, nach der Revolution und den anschließenden Staatsreformen, wurde dieses Königreich aufgelöst. Auf dessen Gebiet gab es zwischen 1849 und 1918 die Kronländer Kärnten, Krain und Österreichisches Küstenland.
Das illyrische Königtum wurde aber (förmlich) bis 1918 im Titel des Kaisers von Österreich geführt.
Gegenwart
Am 5. April 1992 hatten Vertreter der albanischen Minderheit Mazedoniens in Struga und fünf weiteren Orten am Ohridsee eine kurzlebige Albanische Autonome Republik Illyria (Ilirida) proklamiert. Dem war am 11. und 12. Januar 1992 eine Abstimmung vorausgegangen, bei der sich 99 Prozent der Befragten bei einer angegebenen Abstimmungsbeteiligung von 92 Prozent für die territoriale und politische Autonomie ausgesprochen haben sollen.
Literatur
Hasan Ceka, Selim Islami, Skënder Anamali Frano Prendi (albanisch): Ilirët dhe Iliria. Te autorët antike – Burime të zgjedhura për historinë e Shqiperisë. Vol. I., Universiteti Shtetëror i Tiranës, Instituti i Historisë, 1965.
Hasan Ceka (französisch): Illyrie. Etudes et materiaux archeologiques, Vol. I. Akademia e Shkencave e RPS të Shqipërisë; Qendra e Kërkimeve Arkeologjike; Universiteti i Tiranēs, Sektori i Arkeologjisë, 1971
Hasan Ceka, Kolë Luka (französisch): Questions de numismatique Illyrienne, avec, un catalogue des monnaies d'Apollonie et de Durrhachium, Universite d'Etat de Tirana, Institut d'Histoire, 1972
Pierre Cabanes, Grecs et illyriens dans les inscriptions en langue grecque d'Epidamne-Dyrrhachion et d'Apollonia d'Illyrie, ISBN 2-86538-241-9, 1989
Pierre Cabanes, Neritan Ceka (französisch), Inscriptions d'Apollonia d'Illyrie, Verlag: Athènes: Botsaris, 1998
Neritan Ceka (albanisch): Në kërkim të historisë ilire (auf deutsch: Auf der Suche nach illyrischer Geschichte), 1998, ISBN 978-2-86958-094-7
Claudia Fräss-Ehrfeld (Hg.): Napoleon und seine Zeit, Kärnten – Innerösterreich – Illyrien. Verlag des Geschichtsvereines für Kärnten, Klagenfurt 2009, ISBN 978-3-85454-113-4.
historische Monographien:
Ignaz de Luca: Illyrien.> In: Geographisches Handbuch von dem Oestreichischen Staate. 4. Band Ungern, Illyrien, und Siebenbürgen. Verlag J. V. Degen, Wien 1791, S. 419–458 ().
Quellen
Illyricum. In: Der kleine Pauly
Weblinks
Liste der albanischen Publikationen – eine Mission von Jean-Luc Lamboley und Pierre Cabanes
Les fouilles franco-albanaises d’Apollonia d’Illyrie (PDF; 497 kB)
Einzelnachweise
Region in Europa
Kroatische Geschichte
Habsburgermonarchie vor 1804
Konsulat und Empire
Österreichisches Kronland
Kaisertum Österreich
Albanische Geschichte (Antike)
Geschichte Montenegros
Geschichte Sloweniens
Geschichte des Kosovo
Geschichte Nordmazedoniens
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