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https://de.wikipedia.org/wiki/Trag%C3%B6die
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Tragödie
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Die Tragödie (auch Trauerspiel) ist ein Drama, das mit dem – oft tödlichen – Scheitern des tragischen Helden endet. Im Gegensatz zu sonstigen Formen des Dramas, die eine Handlung mit unterschiedlichen, möglichen Ergebnissen darstellen, ist bei der Tragödie das Ende durch die Ausgangskonstellation schon festgelegt: Der Held ist in unlösbare Konflikte verstrickt, und deshalb ist es gleichgültig, wie er sich entscheidet.
Neben der Komödie ist sie die bedeutendste Vertreterin dieser Gattung. Sie lässt sich bis in das antike Griechenland zurückführen.
Der Begriff „Tragödie“
Das Wort „Tragödie“ entstammt dem Theater der griechischen Antike und bezeichnet einen „Bocksgesang“ bzw. „Gesang um den Bockspreis“ (griech. τραγωδία, tragodía).
Beim Dionysoskult wurde ein „Komos“ (altgriechisch kōmos) veranstaltet, ein festlicher Straßenumzug oder eine Prozession mit Gesang, verkleidet mit Maske und Bocksfell (griech. τράγος/tragos), zur Darstellung des Gottes selbst oder der ihn begleitenden Satyrn. So entwickelte sich die Form der Tragödie aus einem im Chor gesungenen Mythos, der Dichtung einer meist heldischen Vergangenheit. Die Chorpartien der erhaltenen Dramen sind Rudimente dieser Urform, der Dialog und die dargestellte Handlung spätere Entwicklungen, in historischer Sicht sekundär. Träger der Handlung im Drama war ursprünglich ein einziger Schauspieler, ein Sprecher, der mehrere Figuren repräsentieren konnte, indem er ihre Reden übernahm. Erst Aischylos führte einen zweiten Schauspieler ein. Das Chorlied entwickelte seine eigene Chorlyrik, es entstanden Spezialformen mit eigenen Bezeichnungen, Hymne, Paian, Dithyrambus, Epinikion, Epithalamium, und andere mehr.
Im Kontext der Tragödie bedeutet „tragisch“ im Gegensatz zur Alltagssprache aber nicht, dass etwas sehr traurig ist, sondern dass jemand aus einer hohen Stellung „schuldlos schuldig“ wird und damit den Sturz über eine große „Fallhöhe“ (→Ständeklausel) erlebt, wie zum Beispiel Ödipus, Orestes, Hamlet oder Maria Stuart.
Für Hegel steht nicht der tragische Held, sondern die tragische Kollision im Mittelpunkt der Tragödie. Der Konflikt besteht für ihn „nicht zwischen Gut und Böse, sondern zwischen einseitigen Positionen, von denen jede etwas Gutes enthält“.
Walter Benjamin unterscheidet mit Rückgriffen auf Franz Rosenzweig und Georg Lukács die Tradition des christlichen Trauerspiels von der griechischen Tragödie und kritisiert damit die Idee einer historischen Kontinuität des Sagenstoffes bei Wagner und Nietzsche.
Wichtig ist, dass Walter Benjamin die Tragödie nicht mit dem Trauerspiel gleichsetzt. Nach Aristoteles ist die Tragödie die „Nachahmung einer guten, in sich geschlossenen Handlung mit guter Sprache und Abwechslungsreichtum in der Geschichte“. Hierbei bedient sie sich mythologischer Figuren. Das Trauerspiel jedoch bedient sich geschichtlicher Figuren.
Wirkung auf den Zuschauer
Die Gattung Tragödie ist wesentlich durch ihre Wirkung auf den Zuschauer bestimmt. Hier unterscheiden sich die vielen Theorien über die Tragödie. Es handelt sich dabei um ein Übersetzungs- und Deutungsproblem der drei Begriffe eleos, phobos und Katharsis aus der Poetik des Aristoteles. In einer aktuellen Übersetzung definiert Aristoteles die Tragödie wie folgt:
Die Begriffe eleos und phobos wurden jedoch lange Zeit mit ‘Mitleid’ und ‘Schrecken’ übersetzt. In Gottscheds Poetik wurden diese beiden Übersetzungen um den Begriff ‘Bewunderung’ erweitert, den er von Corneille übernommen hatte. In der Zeit der Aufklärung stellte sich Lessing vehement gegen diese Auslegung und verbannte den bei Aristoteles nicht vorkommenden Begriff Verwunderung wieder. Zudem passte die Übersetzung von phobos nicht in seine Tragödienkonzeption, weshalb er das Wort umdeutete:
Lessings Übersetzung wurde lange Zeit beibehalten, jedoch von der neueren Forschung teils scharf kritisiert, sodass etwa Manfred Fuhrmann eleos und phobos die Begriffe als ‘Jammer’ und ‘Schaudern’ übersetzt.
Noch problematischer ist der Katharsis-Begriff. Selbst bei Aristoteles ist es nicht ganz klar, wie er den Genitiv, der sich auf die Reinigung bezieht, meint. So haben wir es schließlich mit gleich drei zur Wahl stehenden Genitiven zu tun:
dem genitivus objectivus (die Reinigung DER Leidenschaften im Sinn einer Intensivierung, um die tragischen Leidenschaften gegenüber anderen herauszustellen);
dem genitivus subjectivus (die Reinigung VERMITTELS der Leidenschaften, verstanden als eine sittlich läuternde Verwandlung der Leidenschaften in Tugenden);
dem genitivus separativus (die Reinigung VON den Leidenschaften, wobei hier wiederum drei Interpretationen möglich sind:
a. die Reduzierung allzu leidenschaftlicher Empfindung auf ein gesundes Mittelmaß,
b. die Abhärtung gegen die Leidenschaften,
c. die Befreiung von den Leidenschaften im Sinne einer lustvollen Erleichterung).
In der Praxis werden die Gefühle des Zuschauers einer Tragödie oft durch ein geschickt angelegtes Wechselspiel der Ereignisse zwischen der Sympathie mit dem Helden, dem Erschrecken vor dem näher rückenden, unabänderlichen Ende und der immer wieder angeregten Hoffnung auf einen günstigeren Ausgang hin und her gezogen. Um dieses Wechselbad der Gefühle zu erzeugen, wenden die Autoren bestimmte Hilfsmittel an.
Eines dieser Hilfsmittel ist die Einfügung einer possenhaften Szene unmittelbar vor einem wichtigen Ereignis, um die Spannung zu entlasten (Comic relief). Beispiele hierfür sind der Auftritt des Leichenwächters in Sophokles’ Antigone oder der übernächtigte Torwächter in William Shakespeares Macbeth.
Häufig hört man zu Beginn des Spiels die Ankündigung, der „Held“ werde sterben. Damit wird die moralische Wirkung auf den Zuschauer erhöht, denn die Ankündigung wird zwar ernst und in sich glaubwürdig vorgetragen, die weiteren Umstände der Szene bewegen den Zuschauer jedoch dazu, sich selbst zu täuschen und die Voraussage als unsinnig abzutun. Im Prolog von Shakespeares Romeo und Julia wird etwa schon verkündet, dass die Liebenden sterben werden, der Spannung und Dramatik des Stücks tut dies aber keinen Abbruch.
Geschichte
Antike Tragödie
→ Siehe auch: Griechische Tragödie
Die Tragödie hat ihre Ursprünge in Griechenland und erlebte dort von 490 bis 406 v. Chr. ihre Blütezeit. Die bedeutendsten Tragödiendichter der Antike waren die Griechen Aischylos (525–456 v. Chr.), Sophokles (496–406 v. Chr.) und Euripides (480–406 v. Chr.). In Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik vertritt Friedrich Nietzsche die Auffassung, dass die Tragödie aus dem rituellen Chortanz des Dionysoskultes entstanden und nach dem Tod von Sophokles und Euripides vom kritischen sokratischen Geist zerstört worden sei.
→ Siehe auch: Römische Tragödie
Die römische Tragödie wurde stark von den großen griechischen Tragödiendichtern beeinflusst. Deren bedeutendste Vertreter waren Quintus Ennius (239–169 v. Chr.) und Lucius Accius (170–90/80 v. Chr.), von denen nur Fragmente überliefert sind, sowie später Lucius Annaeus Seneca (4 v. Chr.–65 n. Chr.).
Französische Klassik
Eine sehr große Rolle spielte die Gattung Tragödie in der Literatur der französischen Klassik des 17. und frühen 18. Jahrhunderts. Ihre bedeutendsten Autoren waren Pierre Corneille, Jean Racine und Voltaire. Nach der von ihnen etablierten Praxis hatte eine Tragödie in fürstlichen Kreisen zu spielen und die drei Einheiten der Zeit, des Ortes und der Handlung einzuhalten. Die Stoffe stammten ganz überwiegend aus der antiken griechischen und römischen Geschichte sowie aus der Mythologie. Versmaß war in aller Regel der paarweise reimende Alexandriner mit „alternance“ d. h. regelmäßigem Wechsel männlicher und weiblicher Reime.
Bürgerliches Trauerspiel
Im Zuge der Emanzipationsbewegung des 18. Jahrhunderts entstand das Bürgerliche Trauerspiel, das sich vom Zwang nach adeligen Hauptpersonen entfernte und die Tragödie für das Bürgertum erschloss. Als man den Gedanken verwarf, dass nur der Adel die Fähigkeit zum tragischen Erleben habe, eröffneten sich auch neue Thematiken wie der Konflikt zwischen Adel und Bürgertum (Friedrich Schiller, Kabale und Liebe) oder Konflikte innerhalb des Standes (Friedrich Hebbel, Maria Magdalena oder Goethes Faust. Eine Tragödie).
Siehe auch
Poetik
Bürgerliches Trauerspiel
Schicksalstragödie
Rachetragödie
Heinrich von Kleist
Friedrich Dürrenmatt
Tragisch
Theaterwissenschaft
Tragicorum Romanorum Fragmenta
Literatur
Walter Benjamin: Der Ursprung des deutschen Trauerspiels. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2000 (zuerst Berlin 1928).
Ralf Bogner, Manfred Leber: Tragödie. Die bleibende Herausforderung. Saarbrücken: universaar 2011, ISBN 978-3-86223-026-6.
Fritz Brüggemann: Die Anfänge des bürgerlichen Trauerspiels in den Fünfziger Jahren; Leipzig, 1934; Unveränderter reprografischer Nachdruck Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1976, ISBN 3-534-02920-8
Klassische Texte zur Tragik. Parodos, Berlin 2006, ISBN 3-938880-03-1.
Heinrich Düntzer: Goethes Ansicht über das Wesen der Tragödie. Goethe-Jahrbuch, Band 3 (1882), S. 132–158: Digitalisat
Werner Frick (Hrsg.): Die Tragödie. Eine Leitgattung der europäischen Literatur. Göttingen: Wallstein, 2003.
Hans-Dieter Gelfert: Die Tragödie. Theorie und Geschichte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1995.
Walter Kaufmann: Tragödie und Philosophie. J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), Tübingen 1980, ISBN 3-16-942682-6 (zuerst New York 1969).
Joachim Latacz: Einführung in die griechische Tragödie. Göttingen 1993, zweite, durchgehend aktualisierte Auflage 2003. (Auch in türkischer Sprache, 2006), ISBN 978-3-8252-1745-7.
Friedrich Nietzsche: Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik Oder: Griechenthum und Pessimismus. Reclam, Stuttgart 1993, ISBN 3-15-007131-3.
Ulrich Profitlich (Hg.): Tragödientheorie. Texte und Kommentare. Vom Barock bis zur Gegenwart. Rowohlt, Hamburg 1999, ISBN 3-499-55573-5.
Gustav Adolf Seeck: Die griechische Tragödie. Reclam, Stuttgart 2000, ISBN 3-15-017621-2.
Peter Szondi: Versuch über das Tragische. Erstausgabe 1961, ND in: ders., Schriften I, Neuauflage: Frankfurt am Main: Suhrkamp 1996, ISBN 3-518-27819-3.
Peter Szondi: Die Theorie des bürgerlichen Trauerspiels im 18. Jahrhundert. Suhrkamp 1973, ISBN 3-518-07615-9.
Dieter Teichert: Praktische Vernunft, Emotion und Dilemma – Philosophie in der Tragödie, in: C. Schildknecht, D. Teichert (eds.): Philosophie in Literatur, Frankfurt am Main, Suhrkamp, 1996, 202–229.
Benno von Wiese: Die deutsche Tragödie von Lessing bis Hebbel. 2 Bände. Hoffmann und Campe, Hamburg 1948; Neuauflage 1961.
Weblinks
Einzelnachweise
Tragodie
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zhejiang
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Zhejiang
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Zhejiang () ist eine Provinz der Volksrepublik China. Zhejiang liegt an der Küste zum Ostchinesischen Meer im Südosten Chinas. Die Hauptstadt von Zhejiang ist Hangzhou. Obwohl die Provinz seit dem 1. Oktober 1949 Teil der Volksrepublik China ist, wurde sie auch von den Behörden der Republik China, deren Regierung 1949 auf die Insel Taiwan geflohen war, bis 1955 als Provinz ihres Staates geführt. In diesem Jahr verlor die Republik China die Kontrolle über die Dachen- und Yijiangshan-Inseln Zhejiangs an die Volksrepublik.
Geographie
Zhejiang liegt südlich des Jangtsekiang-Deltas im Südosten der Volksrepublik China und grenzt im Norden an Jiangsu und Shanghai, im Osten an das Ostchinesische Meer, im Süden an Fujian und im Westen an Jiangxi und Anhui. Zhejiang gehört zu den kleineren Provinzen Chinas mit einer Nord-Süd- und Ost-West-Ausdehnung von etwa 450 Kilometern, der Anteil Zhejiangs an der Gesamtfläche Chinas beträgt nur 1,1 %. Zhejiang ist in sechs Zonen gegliedert: eine Ebene im Norden, Hügelland im Westen, ein Becken um die Städte Jinhua und Quzhou, Bergland im Süden, das Hügelland an der Küste und die Inseln, die vor der Küste liegen.
Zhejiang hat ein komplexes Relief und ist trotz der Küstenlage eine gebirgige Provinz: Es sind 74,6 % der Fläche Gebirge, 20,3 % sind Becken und Ebenen und die verbleibenden 5,1 % sind Gewässer (Seen und Flüsse). Das Relief fällt von Südwesten nach Nordosten ab. Drei Bergketten erstrecken sich von Südwesten nach Nordosten über die Provinz. Das westliche Huaiyu-Gebirge reicht von der Grenze mit Jiangxi bis zum Tianmu Shan und Qianligang Shan. Die mittlere Bergkette besteht aus dem Xianxia Ling an der Grenze zu Fujian, dem Siming Shan, dem Kuaiji Shan, dem Tiantai Shan und der Inselgruppe um Zhoushan. Die östliche Kette umfasst den Donggong Shan an der Grenze zu Fujian, den Dayang Shan, Kuocang Shan, und den Yandangshan. Der mit 1929 Metern höchste Punkt der Provinz heißt Huangmaojian und liegt auf dem Gebiet der Stadt Longquan.
Die wichtigsten Flüsse der Provinz sind der Qiantang-Fluss, der auch „Zhe-Fluss“ genannt wird und damit der Provinz ihren Namen gab, der Ou Jiang, Ling Jiang, Tiao Xi, Yong Jiang, Feiyun Jiang, Ao Jiang und Caoe Jiang, darüber hinaus verlaufen Teile des Kaiserkanales durch die Provinz. Die vier größten natürlichen Seen von Zhejiang sind der Westsee bei Hangzhou, der Ostsee bei Shaoxing, der Zhejiang bei Jiaxing, der Dongqian Hu bei Ningbo. Darüber hinaus ist durch den Bau des Wasserkraftwerkes am Xin’an Jiang mit dem Qiandao Hu der größte Stausee der Provinz entstanden. Zhejiang ist die Provinz mit den meisten Inseln in China: Es gehören 2878 Inseln mit einer Fläche von mehr als 500 Quadratmetern zu Zhejiang, wovon 26 größer als 10 Quadratkilometer sind. Zhoushan ist mit knapp 503 Quadratkilometern nach Hainan und Chongming die drittgrößte Insel der Volksrepublik China.
Klima
Zhejiang hat ein subtropisches, warmes und feuchtes Klima mit vier Jahreszeiten. Die Durchschnittstemperaturen steigen von Norden nach Süden und liegen im Januar zwischen 2 und 8 °C, im Juli zwischen 27 und 30 °C und im Jahresdurchschnitt zwischen 15 und 18 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge liegt zwischen 1100 und 2000 Millimetern, die jährliche Sonnenscheindauer zwischen 1100 und 2200 Stunden. Der meiste Niederschlag fällt in den Monaten Mai und Juni. Im Sommer und Herbst gibt es oft Taifune, am 10. August 2006 wurde die Provinz durch den Taifun Saomai schwer getroffen.
Administrative Gliederung
Zhejiang setzt sich per Ende 2018 auf der Bezirksebene aus den beiden Unterprovinzstädten Hangzhou und Ningbo sowie den neun bezirksfreien Städten Huzhou, Jiaxing, Jinhua, Lishui, Quzhou, Shaoxing, Taizhou, Wenzhou und Zhoushan zusammen.
Auf der Kreisebene gab es Ende 2018 19 kreisfreie Städte, 37 Stadtbezirke und 33 Kreise, davon ein autonomer Kreis. Auf der Gemeindeebene setzten sich die eben genannten Verwaltungseinheiten aus 269 Gemeinden, 639 Großgemeinden und 467 Straßenvierteln zusammen.
Die Nummerierung in der folgenden Tabelle entspricht der der nebenstehenden Karte.
Größte Städte
Aufgrund der relativ hohen Urbanisierung hatte Zhejiang 2020 bereits 12 Millionenstädte. Die zehn größten Städte der Provinz mit Einwohnerzahlen der eigentlichen städtischen Siedlung auf dem Stand der Volkszählung 2020 sind die folgenden:
Bevölkerung
Die Bevölkerungsschätzung des Jahres 2018 ergab für Zhejiang eine ansässige Bevölkerung von 57,37 Millionen Einwohnern, was gegenüber dem Vorjahr einen Zuwachs von Personen bedeutet. Die ansässige Bevölkerung bestand zu 51,2 % aus Männern und 48,8 % aus Frauen. Es gab 6,28 Millionen Geburten und 3,18 Millionen Todesfälle, was ein natürliches Bevölkerungswachstum von 0,54 % ergibt. Knapp 70 % der Bevölkerung lebte in Städten. Die Bevölkerungszählung des Jahres 2000 hatte noch eine Gesamtbevölkerung von Personen in Haushalten ergeben, davon Männer und Frauen. Die gleiche Bevölkerungszählung ergab, dass Personen unter 14 Jahren, Personen zwischen 15 und 64 Jahren und Personen über 65 Jahren in Zhejiang lebten.
Im Jahre 2010 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 77,3 Jahren (Frauen: 80,2 Jahre, Männer: 75,6 Jahre), womit Zhejiang deutlich über dem Durchschnitt Chinas von 74,8 Jahren und hinter den regierungsunmittelbaren Städten die Provinz mit der höchsten Lebenserwartung ist.
Die Han-Chinesen machen mit 99,2 % die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung aus, gemäß der Bevölkerungszählung des Jahres 2000 lebten Vertreter von ethnischen Minderheiten in Zhejiang. Die bedeutendsten Gruppen waren die She ( Personen), die Tujia ( Personen), die Miao ( Personen), die Buyi ( Personen), die Hui ( Personen), die Zhuang ( Personen) und die Dong ( Personen). Davon sind nur die She und die Hui vor der Errichtung der Volksrepublik in Zhejiang ansässig gewesen, die anderen Minderheiten kamen nach 1949 durch Migration in die Provinz. Die She siedeln vor allem im ländlichen Bereich von Wenzhou und Lishui. Zhejiang hat 18 Nationalitätengemeinden für die She-Minderheit, es gibt etwa 400 Dörfer, wo die She mindestens 30 % der Bevölkerung ausmachen.
Bevölkerungsentwicklung
Bevölkerungsentwicklung der Provinz seit dem Jahre 1954.
Wirtschaft
Im Jahr 2015 erwirtschaftete die Provinz ein BIP in Höhe von 4,29 Billionen Yuan (688 Milliarden US-Dollar), Platz 4 unter den Provinzen Chinas. Das BIP pro Kopf betrug 83.538 Yuan (12.577 US-Dollar/ KKP: 24.054 US-Dollar) pro Jahr (Rang 5 unter den chinesischen Verwaltungseinheiten). Das Wohlstandsniveau in der Provinz lag damit ungefähr auf dem Niveau von Chile und betrug 155 % des chinesischen Durchschnitts.
Das durchschnittliche Einkommen pro Kopf der städtischen Einwohner beträgt 18.265 RMB (2006) und belegt den 3. Platz seit 6 Jahren (hinter Shanghai und Peking).
Das durchschnittliche Einkommen pro Kopf der ländlichen Einwohner beträgt 7.335 RMB (2006) und belegt den 1. Platz seit 22 Jahren (auf Provinzebene).
Wichtigste Wirtschaftsstadt der Provinz und eine der reichsten Städte des Landes ist Hangzhou.
Landwirtschaft
Zhejiang ist als das „Land der Fische und des Reises“ bekannt. Die Ebene im Norden der Provinz ist ein Zentrum der Landwirtschaft und der größte Produzent von Seide in China. Das Gebiet um Zhoushan ist das größte Fischereigebiet des Landes.
Reis ist das wichtigste landwirtschaftliche Produkt, gefolgt von Weizen, Mais und Süßkartoffeln. Angebaut werden auch Jute, Baumwolle, Raps und Zuckerrohr.
Industrie
Wichtige Industriezweige sind die elektromechanische Industrie, Schiffbau, Textilien, Chemikalien, Nahrungsmittelverarbeitung und Baumaterialien.
Wirtschaftspolitik
Zhejiang hat sein eigenes Entwicklungsprogramm entwickelt, das Unternehmertum fördert und eine hohe Priorität einräumt und einen Schwerpunkt in der Entwicklung von kleinen Unternehmen, Investition in die Infrastruktur und die massenhafte Produktion von Billigprodukten sowohl für den Konsum in China als auch für den Export. Zhejiang ist damit zu einer der reichsten Provinzen Chinas geworden.
Einige Volkswirte bezweifeln aber, dass das Modell nachhaltig ist.
Verkehr
In Zhejiang gibt es mehrere Eisenbahnstrecken und ein dichtes Straßennetz.
Ningbo, Wenzhou, Taizhou und Zhoushan sind wichtige Häfen, von denen aus es vor allem viele Verbindungen nach Shanghai gibt.
Die 6-spurige Hangzhou-Brücke, die 95 km östlich über die große Hangzhou-Bucht führt, wurde am 1. Mai 2008 nach rund 10-jähriger Planungs- und Bauzeit eröffnet. Sie ist mit 35,673 km Länge die zweitlängste Überseebrücke der Welt. Damit verkürzt sich die Straßendistanz zwischen Shanghai und Ningbo um 120 km. Der Bau der Schrägseilkonstruktion begann im November 2003 und kostete 11,8 Mrd. Yuan (1,1 Mrd. Euro).
Kultur
Die Hauptstadt Hangzhou ist mit dem Westsee (西湖), der Liuhe-Pagode, dem Grab von Yue Fei und dem Tempel Lingyinsi das Zentrum des Tourismus in der Provinz. Weitere wichtige Ziele für Touristen sind
der Baoguo-Tempel, das älteste Holzbauwerk in Südchina (in der Nähe von Ningbo)
Putuo, eine berühmte Insel, die chinesische Buddhisten in Verbindung mit Guanyin sehen
der Qita-Tempel in Ningbo
der Tiantai Shan, ein für den Tendai-Buddhismus und den Zen-Buddhismus bedeutender Berg und
der Yandangshan, eine Bergregion überwiegend im Nordosten von Wenzhou
seit 2007 werden auch die Freilichtmuseen von Wuzhen, insbesondere Wuzhen Xizha, international beworben.
Zhejiang ist Standort von zahlreichen Denkmälern der Volksrepublik China.
Weblinks
Einzelnachweise
Provinz (China)
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Q16967
| 524.26499 |
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mittelalter
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Mittelalter
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Als Mittelalter wird in der europäischen Geschichte die Epoche zwischen dem Ende der Antike und dem Beginn der Neuzeit bezeichnet, also etwa die Zeit zwischen dem 6. und 15. Jahrhundert. Sowohl der Beginn als auch das Ende des Mittelalters sind Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion und werden recht unterschiedlich angesetzt.
Im Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter zerbrach die politische und kulturelle Einheit des durch die griechisch-römische Antike geprägten Mittelmeerraums. Während das Byzantinische Reich im Osten intakt blieb, ging das Westreich 476 unter. Es bildeten sich neue Reiche innerhalb (wie das Frankenreich, das Westgotenreich auf der Iberischen Halbinsel und die Reiche der Angelsachsen in Britannien) und außerhalb (wie die Herrschaften der Slawen in Ost- und Südosteuropa und die neuen Reichsbildungen in Skandinavien) des ehemaligen weströmischen Reichs. Bevölkert waren diese Reiche von der ansässigen romanisierten Bevölkerung und in der Völkerwanderungszeit eingewanderten Gruppen (germanische und slawische Krieger).
Während der antike Kernraum bereits christlich geprägt war, wurden im Mittelalter auch die übrigen, paganen (heidnischen) Gebiete Europas christianisiert. Im Frühmittelalter bildete sich im Wesentlichen die politische Grundordnung späterer Zeiten heraus. Das anschließende Hochmittelalter war gekennzeichnet durch den Aufschwung von Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur. Im Spätmittelalter erfolgte der langsame Übergang in die Frühe Neuzeit.
Mit dem Islam entstand im 7. Jahrhundert eine neue Religion, die sich infolge der arabischen Eroberungen in West- und Mittelasien, Nordafrika und auch in Teilen Südeuropas ausbreitete, bevor christliche Herrscher die Rückeroberung in Spanien (Reconquista) und Süditalien/Sizilien einleiteten. In Südosteuropa hingegen drangen seit dem späten 14. Jahrhundert die Osmanen weiter vor.
Die vorherrschende Gesellschafts- und Wirtschaftsform des Mittelalters war der Feudalismus. Grundzüge dieser Zeit waren eine nach Ständen geordnete Gesellschaft, ein durch das Christentum bestimmtes Weltbild, eine christlich geprägte Wissenschaft und Literatur, Architektur, Kunst und Kultur sowie Latein als gemeinsame, übergreifende Bildungssprache. Nach dem Großen Schisma von 1054 strebte sowohl die katholische Kirche als auch die orthodoxe Kirche die Einheit des Christentums unter ihrem Dach an. Diese Bemühungen scheiterten jedoch.
Von großer Bedeutung für das „christliche“ Europa waren die Juden. Auf Grund des Zinsverbots der katholischen Kirche waren den Christen Geldgeschäfte verboten, nicht aber den andersgläubigen Juden. Sie waren Schutzbefohlene der Landesherren und wurden als Minderheit nur widerwillig geduldet. Aufgrund des Antijudaismus im Mittelalter waren sie Opfer von Judenpogromen und Vertreibungen.
Der Begriff „Mittelalter“
Mittelalterlicher Eigenbegriff
Das christliche Mittelalter sah sich selbst noch nicht als ein „Mittelalter“, sondern verstand sich heilsgeschichtlich als eine im Glauben allen anderen Zeitaltern überlegene („christliches Zeitalter“), die mit der Geburt Christi begann und erst mit dem Jüngsten Tag enden sollte. Während die vorausgegangenen Weltalter der Heilsgeschichte gemäß der Lehre von den drei, vier oder sechs Weltaltern () noch weiter unterteilt wurden, gab es für die interne Periodisierung der kein fest etabliertes Epochenschema, sondern lediglich Ansätze, wie die Lehre von den sieben Perioden der Kirche (abgeleitet aus der Johannesapokalypse) oder die von Joachim von Fiore begründete Einteilung in eine Zeit des „Sohnes“ (von der Geburt Christi bis etwa 1260) und eine darauf folgende Zeit des „Geistes“.
Die Vorstellung, dass auch innerhalb der geschichtliche Entwicklung im Sinne von Fortschritt oder Verfall stattfinden könnte, war dem christlichen Mittelalter dabei keineswegs fremd. Sie war jedoch aus der Sicht der römischen Kirche prekär, weil diese einerseits eine Weiterentwicklung oder Überbietung der christlichen Lehre seit der Zeit des Evangeliums und der Kirchenväter nicht zulassen oder zugeben und andererseits auch die eigene Entwicklung nicht unter dem Gesichtspunkt des Verfalls betrachten lassen wollte. Soweit sich entsprechende Geschichtsvorstellungen mit kirchenkritischen Reformkonzepten und eschatologischen Berechnungen der Endzeit verbanden, wurden sie deshalb, wie die Lehre Joachims und seiner Nachfolger, von der römischen Kirche bekämpft.
In der politischen, dabei gleichfalls heilsgeschichtlich ausgerichteten Geschichtsbetrachtung traten Periodisierungsvorstellungen besonders in Form der Lehre von der auf, wonach die römische Kaiserwürde zunächst auf die oströmischen Kaiser von Byzanz, dann in der Karls des Großen auf die Franken und schließlich mit der Kaiserkrönung Ottos des Großen auf die Kaiser des römisch-deutschen Reiches übertragen wurde. Die Translatio-Lehre war mit der christlichen Weltalterlehre im Ansatz vereinbar, da sie die Vorzugsstellung und dogmatische Einheit der nicht in Frage stellte und ihr Konfliktpotential stattdessen in der Beziehung zwischen Papst und Kaisertum lag. Ein Periodensystem für die Geschichtsschreibung zur christlichen Epoche ergab sich jedoch aus dieser Vorstellung nicht.
Begriffsgeschichte
Der Begriff Mittelalter wurde in der Form („mittleres Zeitalter“) erstmals im 14. Jahrhundert von italienischen Humanisten eingeführt, die damit dann in den beiden folgenden Jahrhunderten zugleich auch das Verständnis der eigenen Epoche als Epoche der Wiedergeburt (Renaissance) begründeten. In der humanistischen Geschichtsbetrachtung wurde der christliche Glaube nicht in seiner allgemeinen Verbindlichkeit, sondern in seiner Gültigkeit als Maßstab für die Bewertung der weltgeschichtlichen Entwicklung abgelöst und durch ein profangeschichtliches, nicht mehr primär von Theologen, sondern von Dichtern und Philologen konstruiertes Ideal der griechisch-römischen Antike ersetzt. Aus humanistischer Sicht war das Mittelalter ein „dunkles Zeitalter“ (), eine Epoche des Zerfalls und des Niedergangs, in der der sprachliche, literarische, technologische und zivilisatorische Entwicklungsstand der griechisch-römischen Antike bedingt durch den Zusammenbruch des Weströmischen Reiches verloren ging, um erst in der eigenen Zeit durch die Wiederentdeckung antiker Quellen und die Wiederbelebung antiker Stilnormen zum Gegenstand der Nachahmung () oder sogar Überbietung () zu werden. In der modernen Forschung wird jedoch auf die Problematik solch pauschaler Urteile hingewiesen und für eine differenziertere Betrachtung des Mittelalters als eigenständige Epoche plädiert (siehe unten).
Mit dem humanistischen Begriff der verwandt, aber in der Bedeutung abweichend ist der besonders in der englischsprachigen Geschichts- und Frühgeschichtsforschung etablierte Begriff der „dunklen Jahrhunderte“ (), worunter allgemein Perioden fehlender oder in der Forschung noch nicht aufgearbeiteter schriftlicher bzw. archäologischer Überlieferung (Mittelalterarchäologie), meist als Zwischenphasen gegenüber vorausgegangenen, vergleichsweise besser dokumentierten Perioden verstanden werden. In der Geschichte Englands zum Beispiel bezeichnet man so den Zeitraum nach dem Ende der römischen Herrschaft bis in die Zeit der Einwanderung der Angeln, Sachsen und Jüten (etwa 5./6. Jahrhundert).
Der Begriff des Mittelalters etablierte sich in der Folgezeit als Epochenbegriff mit tendenziell abwertender Bedeutung, wobei die Epochengrenzen meist einerseits mit dem Ende des weströmischen Kaisertums im Jahr 476 und andererseits mit dem Ende des Oströmischen Reiches durch die osmanische Eroberung Konstantinopels von 1453 angesetzt wurden, letzteres auch im Hinblick darauf, dass byzantinische Gelehrte bei ihrer Flucht in den Westen wichtige griechische Handschriften mitbrachten, die dem lateinischen Mittelalter unbekannt geblieben oder nur durch arabische Übersetzungen bekannt geworden waren.
Eine dezidiert positive Neubewertung, zum Teil verbunden mit nostalgischer Verklärung und mit dem Bedürfnis nach Bestimmung der eigenen christlichen oder nationalen Wurzeln und Identität, kam erst in der Zeit der ausgehenden Aufklärung und besonders in der Romantik auf. Das war seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts ein wesentlicher Antrieb für die verstärkte philologische und historische Beschäftigung mit dem Mittelalter.
In der modernen Forschung, die sich auch neuer Fragestellungen und Methoden bedient, wird wesentlich differenzierter geurteilt. So werden die originären Leistungen des Mittelalters und die durchaus vorhandenen Kontinuitätslinien betont, so dass das Mittelalter nicht mehr wertend an der humanistischen Elle antiker „Größe“ gemessen wird. An die Stelle nationaler tritt häufig eine europäisch ausgerichtete Rückbesinnung, die die „Geburt Europas im Mittelalter“ (Jacques Le Goff) betont.
Außerhalb der Fachsprache werden heute Denk- oder Verhaltensweisen oder ganze Kulturen dennoch überspitzt als „mittelalterlich“ bezeichnet, um ihnen besondere Rückständigkeit und einen Mangel an Aufklärung und Humanität zuzuschreiben.
Zeitliche Einordnung
Die Bezeichnung „Mittelalter“ bezieht sich in erster Linie auf die Geschichte des christlichen Abendlands vor der Reformation, denn der Begriff wird nur selten im Zusammenhang mit außereuropäischen Kulturen verwendet (siehe unten zum Begriff im Rahmen der Geschichte Indiens, Chinas und Japans). Er bezieht sich also hauptsächlich auf den europäischen Kontinent und die Britischen Inseln. Im Groben ordnet man das Mittelalter in die Zeit von 500 bzw. 600 n. Chr. bis etwa 1500 ein. Wesentlich konkreter sind folgende Bezugsdaten:
Das europäische Mittelalter erstreckt sich ungefähr vom Ausklang der Völkerwanderungszeit, deren Ende in der Forschung meistens in das Jahr 568 datiert wird, bis zum Zeitalter der Renaissance seit der Mitte des 15. Jahrhunderts bzw. bis zum Beginn des 16. Jahrhunderts. Bezüglich der Problematik der Datierung des Beginns des Mittelalters und der folgenden Entwicklung siehe Ende der Antike, Spätantike und Frühmittelalter.
Die Datierungsansätze sind nicht immer einheitlich, denn es kommt entscheidend darauf an, welche Aspekte der Entwicklung betont werden und welche Region man jeweils betrachtet. Stellt man zum Beispiel den Einfluss des Islam und die Eroberung weiter Teile des einstmals römischen Gebietes durch die Araber in den Vordergrund und blickt eher auf den östlichen Mittelmeerraum als auf Westeuropa, so kann man Mohammeds Hidschra (622) oder den Beginn der arabischen Expansion (ab 632) als Ende der Spätantike und Beginn des Mittelalters sehen. Desgleichen gibt es unterschiedliche Datierungsmöglichkeiten für das Ende des Mittelalters, beispielsweise die Erfindung des Buchdrucks (um 1450), die Eroberung von Konstantinopel (1453), die Entdeckung Amerikas (1492), den Beginn der Reformation (1517) oder auch den großen Bauernkrieg (1525). Andere Ansätze weiten den Zeitraum noch stärker aus (sogenanntes „langes Mittelalter“ bis ins 19. Jahrhundert, wofür z. B. Jacques Le Goff eintritt), doch sind dies Minderheitsmeinungen.
Fokussiert man einzelne Länder, kann man zu verschiedenen Eckdaten kommen. So endete die Antike am Rhein oder in Britannien aufgrund der dortigen Entwicklungen während der Völkerwanderung deutlich früher als etwa in Italien, Kleinasien oder Syrien. Auf der anderen Seite war zum Beispiel zu Beginn des 15. Jahrhunderts in Italien bereits das Zeitalter der Renaissance angebrochen, während man die gleiche Zeit in England noch zum Mittelalter rechnet. Im Norden Europas folgt der Völkerwanderungszeit die „germanische Eisenzeit“, die in Schweden durch die Vendelzeit (650–800) abgelöst wird. In Skandinavien beginnt um 800 die Wikingerzeit, die 1050 endet und dann in das „nordische Mittelalter“ übergeht. Es ist daher sinnvoll, regional unterschiedliche Übergangszeiträume zu betrachten.
Untergliederung des Mittelalters
Im deutschsprachigen Raum hat seit dem 19. Jahrhundert die von der Nationalidee beeinflusste, an der fränkischen und deutschen Herrschergeschichte orientierte Geschichtsschreibung das europäische Mittelalter bzw. die Geschichte Deutschlands im Mittelalter vornehmlich in drei Hauptphasen gegliedert:
Frühmittelalter (6. Jahrhundert bis Anfang/Mitte des 11. Jahrhunderts), die Epoche der Merowinger, Karolinger und Ottonen
Hochmittelalter (Anfang/Mitte des 11. Jahrhunderts bis ca. 1250), die Zeit der Salier und Staufer
Spätmittelalter (ca. 1250 bis ca. 1500), in der älteren Forschung auch als der „Herbst des Mittelalters“ bezeichnet, nach dem Scheitern der klassischen Kaiseridee (Habsburger und Luxemburger)
Diese Trinität war an der Vorstellung von Aufstieg, Blüte und Verfall ausgerichtet, wird in der neueren Forschung aber sehr viel differenzierter betrachtet. Durch veränderte Fragestellungen, insbesondere auch die Berücksichtigung wirtschafts-, sozial- und kulturgeschichtlicher Aspekte, ging man allmählich von dem an der Herrschergeschichte ausgerichteten Ordnungsmodell ab und betonte die Veränderungen des 11./12. Jahrhunderts als entscheidende Zäsur des als Mittelalter bezeichneten Jahrtausends. Oft führt das dazu, dass man nur noch das frühere vom späteren Mittelalter unterscheidet. Von einzelnen Forschern vorgenommene abweichende Ein- und Zuordnungen sind auch von unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen beeinflusst.
Im englischsprachigen Raum spricht man aufgrund der Untergliederung von „the middle ages“, also in Pluralform von mehreren Zeitperioden.
Frühmittelalter
Die sogenannte „Völkerwanderung“ wird von der Forschung als Bindeglied zwischen Spätantike und frühem Mittelalter angesehen. Mit dem Ende der (heute in vielen Aspekten kontrovers diskutierten) „Völkerwanderung“, das traditionell mit dem Einfall der Langobarden in Italien im Jahr 568 verbunden wird (allerdings wird in der neueren Forschung auch teils die Zeit danach in die Betrachtung zumindest als Ausblick eingeschlossen), begann zumindest in West- und Mitteleuropa endgültig das Frühmittelalter. Der Übergang ist somit im 6. Jahrhundert fließend. In Ostrom bzw. Byzanz hingegen hielten sich spätrömische Verwaltungsstrukturen noch einige Jahrzehnte länger; antike Kulturelemente wurden in Byzanz auch später noch intensiver bewahrt als im lateinischen Westen.
Im Frühmittelalter fanden viele einschneidende Entwicklungen statt, die Auswirkungen bis in die Moderne haben. Es vollzog sich eine Umformung des antiken römischen Erbes, doch trotz zahlreicher Brüche sind ebenso viele Kontinuitätslinien zu erkennen. Entgegen der älteren Deutung als „dunkle“ oder „rückständige“ Epoche wird das Frühmittelalter in der modernen Forschung wesentlich differenzierter betrachtet. Es ist sowohl von Kontinuitäten als auch vom Wandel im politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Bereich gekennzeichnet. Es vollzog sich die Teilung Europas und des Mittelmeerraums in einen christlichen und einen islamischen Teil sowie des christlichen Teils in einen lateinischen und einen orthodoxen, der den Kulturkreis von Byzanz umfasste. Mehrere der im Frühmittelalter entstandenen Reiche bildeten die Grundlage für heute noch existierende Staaten.
Die Christianisierung kam auch in bisher paganen („heidnischen“) Gebieten in Gang, zum Beispiel östlich des Rheins und später in Skandinavien, unter anderem durch die Tätigkeit irischer Missionare. Etwa um 500 trat der bedeutende Frankenkönig Chlodwig I. mit seinem Adel geschlossen zum katholischen Christentum über, dem Glaubensbekenntnis der gallischen Mehrheitsbevölkerung. Unter den Merowingern begann der Aufstieg des Frankenreichs, das schließlich auf der Grundlage der Überreste des Weströmischen Reiches und der Reiche mehrerer germanischer Völker (so der Burgunder und der Westgoten in Gallien) seine Vorherrschaft in West- und Mitteleuropa begründete. Seit dem späten 7. Jahrhundert lag die wahre Macht im Frankenreich jedoch bei den Karolingern, die von 751 bis ins 10. Jahrhundert die fränkischen Könige stellten. Die Angelsachsen siedelten sich seit der Mitte des 5. Jahrhunderts in Britannien an und gründeten dort mehrere Reiche (Heptarchie), bevor Alfred der Große im späten 9. Jahrhundert ein vereinigtes angelsächsisches Reich schuf. England wurde 1066 von den Normannen unter Wilhelm erobert. Das Langobardenreich in Italien blieb bis ins 8. Jahrhundert bestehen, als es von den Franken erobert wurde. In Hispanien entstand das Westgotenreich, das im frühen 8. Jahrhundert infolge der arabischen Angriffe zusammenbrach. Noch im 8. Jahrhundert begann dort von Asturien ausgehend die Reconquista, die Rückeroberung der arabisch besetzten Gebiete. Im maurischen Spanien (Al-Andalus) begann aber auch eine kulturelle Blütezeit. Die Islamische Expansion hatte auch für Byzanz dramatische Folgen, da weite Teile des Reiches (so Syrien, die Kornkammer Ägypten und Karthago) an die Araber fielen. Dennoch konnte Byzanz den Kernraum Kleinasien halten.
Das Frankenreich war das bedeutendste germanisch-romanische Nachfolgereich im Westen. Das 476 im Westen zusammengebrochene Römische Reich verkörperte während des gesamten Mittelalters einen wesentlichen Referenzpunkt politischen Denkens. Den Höhepunkt dieser Entwicklung stellte die Krönung Karls des Großen zum „römischen Kaiser“ (Translatio imperii) durch den Papst an Weihnachten des Jahres 800 dar. Karl erweiterte die Grenzen des Reiches und sorgte für eine kulturelle Neubelebung. Nach seinem Tod 814 zerfiel das Frankenreich jedoch allmählich. Aus der westlichen Hälfte entstand das spätere Frankreich, während sich aus der Osthälfte das Ostfrankenreich und daraus erst im Hochmittelalter das später sogenannte „Heilige Römische Reich“ entwickelte. Unter den Ottonen nahm das Ostfrankenreich eine quasi-hegemoniale Stellung im lateinischen Europa ein und expandierte; so nach Osten in slawisches Gebiet und nach Süden, wo das Reich nun auch Reichsitalien umfasste. Mit der Kaiserkrönung Ottos I. im Jahr 962 wurde das Kaisertum erneuert, im Gegenzug leisteten die Kaiser als weltliche Schutzherren der Kirche den Päpsten Sicherheitseide. Seit der Ottonenzeit kamen als Träger der erneuerten „römischen“ Kaiserwürde faktisch nur noch die ostfränkischen/römisch-deutschen Könige in Frage. Daneben hatte der Papst durch die sogenannte Pippinische Schenkung 754 neben seiner geistlichen auch weltliche Macht erhalten. Der jeweilige universale Geltungsanspruch von Kaiser und Papst sollte später (vor allem ab dem 11. Jahrhundert) häufiger zu Spannungen führen, wobei die entscheidende Frage war, ob der gekrönte Kaiser dem Papst untergeordnet sei oder nicht.
Gegen Ende des Frühmittelalters ereigneten sich die Raubzüge der Wikinger (ca. 800–1050) und der Magyaren („Ungarneinfälle“, ca. 900–955). Die Britischen Inseln und Nordfrankreich hatten am meisten unter den Angriffen der Wikinger zu leiden, wobei die Wikinger auch eigene Herrschaftsgebiete errichteten. Im 10. und 11. Jahrhundert kam es in den karolingischen Nachfolgereichen und im angelsächsischen England zu einer staatlichen Konsolidierung. Zusammen mit der Eroberung Nordafrikas und eines Großteils der Iberischen Halbinsel durch die Araber löschten diese Plünderungen die letzten spätantiken Strukturen aus. Es entstand in Westeuropa ein feudalistisches Wirtschaftssystem, allerdings sind in der neueren Forschung die Details umstritten. Wirtschaftlich spielte im Frühmittelalter im lateinischen Westen die Naturalwirtschaft eine Rolle, wobei das System der Grundherrschaft herauszustellen ist. Dennoch blieb die Geldwirtschaft ein wichtiger Faktor, und auch der Fernhandel kam nicht völlig zum Erliegen. Es kam auch wieder zu einem gewissen wirtschaftlichen Aufschwung. Wesentliche Kulturträger waren Byzanz, die Klöster, insbesondere die des Benediktinerordens, sowie die Gelehrten des arabisch-islamischen Kulturkreises, durch die zumindest ein Teil der antiken Literatur und Wissenschaften bewahrt werden konnte.
Hochmittelalter
Das Hochmittelalter war die Blütezeit des Rittertums, des Lehnswesens und des Minnesangs. Die Bevölkerung begann zu wachsen (begünstigt unter anderem durch landwirtschaftliche Fortschritte und die mittelalterliche Warmzeit), Handel und Gewerbe nahmen zu und zahlreiche Städte prosperierten. Es kam zu einer neuen kulturellen und wissenschaftlichen Entfaltung, wobei Bildung nun nicht länger ausschließlich dem Klerus vorbehalten war. Allerdings verlief die Entwicklung in den einzelnen Reichen recht unterschiedlich.
Das Hochmittelalter war eine Epoche der Auseinandersetzung zwischen weltlicher (Kaisertum/Imperium) und geistlicher (Papst/Sacerdotium) Universalgewalt im Investiturstreit. Dieser brach im römisch-deutschen Reich in der Regierungszeit Heinrichs IV. aus und konnte zwar durch Heinrich V. 1122 beigelegt werden; der universale Geltungsanspruch von Kaiser und Papst führte aber in der Folgezeit bis ins 14. Jahrhundert zu Konflikten. Das römisch-deutsche Reich verlor seine hegemoniale Stellung. Diese Machtstellung war während der Herrschaft der Salier durch den Investiturstreit und Konflikte zwischen Königtum und den Großen (so durch Missachtung der konsensualen Herrschaftspraxis seitens des Königtums) erschüttert worden. Den Staufern gelang es im 12./13. Jahrhundert nicht, den Verlust der Königsmacht im Reich zu verhindern, stattdessen gewannen die Landesherren an Einfluss. Die aktive Italienpolitik der römisch-deutschen Könige band zudem starke Kräfte in Reichsitalien. Friedrich I. versuchte unter Wahrung kaiserlicher Rechte und Ansprüche (Honor Imperii), die Herrschaftsgewalt in Reichsitalien zu stärken, konnte aber den Widerstand des Lombardenbundes nie völlig brechen und geriet zudem in Konflikt mit Papst Alexander III. Heinrich VI. gelang die Gewinnung des Königreichs Sizilien, das Heinrichs Sohn Friedrich II. zu seinem Herrschaftsmittelpunkt machte. Friedrich II. war gebildet und gilt als einer der bedeutendsten mittelalterlichen Kaiser, doch geriet er in Konflikt mit dem Papsttum. Nach seinem Tod 1250 brach die Machtstellung des staufischen Hauses im Reich faktisch zusammen.
In Nord- und Osteuropa bildeten sich im Zuge der Christianisierung (beginnend im Frühmittelalter) neue Königreiche wie England (das 1066 von den Normannen erobert wurde, die auch in Unteritalien aktiv waren), Norwegen, Dänemark, Polen, Ungarn und Böhmen (das aber Teil des römisch-deutschen Reiches war). Ebenso entstanden noch weiter im Osten unter dem Einfluss der Wikinger und orthodoxer Missionare aus dem Byzantinischen Reich, das um 1000 seinen Höhepunkt erreichte, weitere Reiche wie das Kiewer Reich. Während Byzanz durch den Vierten Kreuzzug im Jahre 1204 eine entscheidende Schwächung seiner Macht erfuhr, wurde das Reich der Kiewer Rus im Zuge des Mongolensturms zerstört; weitere osteuropäische Reiche (vor allem Polen und Ungarn) entgingen nur knapp dem Untergang.
Die Rückeroberung der von den Mauren eroberten Gebiete auf der Iberischen Halbinsel durch die benachbarten christlichen Königreiche wurde im Hochmittelalter weiter vorangetrieben. Auf Sizilien wurden die Araber von Normannen zurückgedrängt und das Königreich Sizilien gegründet, das neben der Insel auch Unteritalien umfasste. Im lateinischen Europa gewannen Frankreich und England zunehmend an politischem Einfluss. Das englische Haus Plantagenet verfügte über große Besitzungen in Frankreich, so dass die englischen Könige seit der Zeit Heinrichs II. für diese Territorien in Lehnsbindung zum französischen Königtum standen, was aber wiederholt zu Kampfhandlungen mit den französischen Königen führte. Die Macht des englischen Königtums war seit der Magna Carta von 1215 durch weitere Einbeziehung der Großen eingeschränkt, denen nun grundlegende Rechte zugestanden wurde. Das französische Königtum wiederum konsolidierte im 12./13. Jahrhundert seine Stellung, drängte unter Philipp II. den Einfluss der Plantagenets im 13. Jahrhundert zurück und festigte in der Zeit Ludwigs IX. die politische Stellung Frankreichs im lateinischen Europa. England und Frankreich verfügten über vergleichsweise effektive königliche Verwaltungssysteme und entwickelten sich langsam in „nationale Königreiche“, ohne aber bereits Nationalstaaten zu sein.
Nach dem Kreuzzugsaufruf Papst Urban II. auf der Synode von Clermont (1095) begannen die Kreuzzüge in den Orient. Erklärtes Ziel der Kreuzfahrer war die Befreiung der heiligen Stadt Jerusalem von den Sarazenen. Neben religiösen und sozialen Motiven veranlassten aber teilweise auch Beute- und Landgier die Kreuzfahrer zur Teilnahme an den Kreuzzügen. Den Kreuzfahrern gelang 1099 die Eroberung der Stadt Jerusalem und die Errichtung von vier sogenannten Kreuzfahrerstaaten, die aber bis 1291 nach und nach verlorengingen. Nach 1099 traten die religiösen Ziele bei den späteren Kreuzzügen in den Hintergrund, oftmals zugunsten von Machtpolitik und wirtschaftlichen Interessen. So wurden auch Kreuzzüge gegen Christen geführt (etwa 1204 gegen Byzanz und im Spätmittelalter in Italien gegen politische Gegner des Papsttums).
Im Laufe der Kreuzzüge entwickelte sich wieder der Fernhandel mit der Levante, von dem insbesondere die italienischen Stadtstaaten profitieren konnten, vor allem die Republik Venedig. Mit dem Handel gewann die Geldwirtschaft an Bedeutung. Ebenso gelangten neue bzw. wiederentdeckte Ideen nach Europa; so wurde zum Beispiel Aristoteles, dessen Schriften ins Lateinische übersetzt wurden, zur wichtigsten nicht-christlichen Autorität in der Scholastik. In Italien und später in Frankreich entstanden die ersten Universitäten. Vor allem in Mitteleuropa entstand das Zunftwesen, das die sozialen und wirtschaftlichen Vorgänge in den Städten stark prägte.
Die wichtigsten Ordensgemeinschaften des Hochmittelalters waren neben den Zisterziensern die Bettelorden der Franziskaner und Dominikaner. Daneben entstanden neue christliche Laienbewegungen, die von der katholischen Kirche als häretisch eingestuft wurden, darunter die Glaubensbewegungen der Katharer oder Waldenser. Die Inquisition wurde auch deshalb ins Leben gerufen, um gegen sogenannte Ketzer vorzugehen.
Spätmittelalter
Europa erlebte nach Ansicht der älteren Forschung ab ca. 1300 eine gewisse Krisenzeit. Objektiv feststellbar sind etwa Klimaveränderungen, die sich nachteilig auswirkten, doch dominierte in Deutschland lange Zeit auch die Ansicht, dass es zu einer politischen Krisenzeit gekommen sei. Diese Forschungsdebatte betraf allerdings stärker die deutsche Mediävistik, weil dort die Abfolge des Mittelalters in drei Stufen prägend war. In Italien oder Frankreich wurde keine derartig scharfe Trennung vorgenommen. In der neueren deutschsprachigen Forschung wird wesentlich differenzierter geurteilt und unter anderem die Übergänge in die beginnende Neuzeit betont; hinzu kommen neue Forschungsansätze und neue Quellenbefunde. Insofern hat ein Paradigmenwechsel in der Spätmittelalterforschung stattgefunden.
Im Heiligen Römischen Reich (der Titel Sacrum Romanum Imperium ist für 1184 erstmals urkundlich belegt, die ältere Forschung ging von 1254 aus) verlor die ohnehin nicht besonders ausgeprägte Königsmacht weiter an Einfluss, während die Macht der zahlreichen weltlichen und geistlichen Landesherren erstarkte. Die Königswahl oblag seit dem Interregnum den Kurfürsten, die auch Einfluss auf die Reichspolitik nahmen. Das Königtum musste verstärkt eine Hausmachtpolitik betreiben, um den Verlust des schwindenden Reichsguts zu kompensieren, wobei die Häuser Habsburg, Luxemburg und Wittelsbach am einflussreichsten waren. Das Kaisertum wurde nach dem Ende der Stauferzeit durch die Kaiserkrönung Heinrichs VII. 1312 erneuert. In der Zeit seines Nachfolgers Ludwigs IV. kam es zum letzten Grundsatzkonflikt zwischen Kaisertum und Papsttum. Als bedeutendster Kaiser des Spätmittelalters wird in der Regel Karl IV. betrachtet, der den luxemburgischen Hausmachtkomplex erheblich vergrößerte. Eine Art Reichsgrundgesetz bildete die in seiner Regierungszeit erarbeitete Goldene Bulle von 1356. Das spätmittelalterliche römisch-deutsche Königtum litt dennoch unter erheblichen strukturellen Mängeln, so dass sich keine starke Zentralgewalt im Reich entwickelte. Mit dem Tod Kaiser Sigismunds im Jahr 1437 erlosch die männliche Linie der Luxemburger; ihr Erbe im Reich traten die Habsburger an, die bis zum Ende des Reichs 1806 fast kontinuierlich die römisch-deutschen Kaiser stellten. Die langen Regierungszeiten von Friedrich III. und Maximilian I. stabilisierten den habsburgischen Hausmachtkomplex, den Maximilian im Westen durch Teile des burgundischen Erbes noch einmal erweitern konnte. Eine angestrebte umfassende Reichsreform gelang jedoch nicht.
Im Jahre 1291 fiel Akkon, die letzte Festung der Kreuzfahrer im Nahen Osten, die Autorität des Papstes schwand im Zuge des sogenannten Abendländischen Schismas. Die schlimmste Katastrophe in der sogenannten Krise des 14. Jahrhunderts stellte jedoch die Pest dar, der „Schwarze Tod“, die ab 1347 von der Halbinsel Krim im Schwarzen Meer kommend die Länder Europas verheerte und zwischen einem Drittel und der Hälfte der europäischen Bevölkerung, vor allem in den Städten, das Leben kostete. Die Entvölkerung führte zu Aufständen und einem Wandel der Sozialstrukturen, die das Rittertum zugunsten des Bürgertums schwächten und in der katholischen Kirche einige Reformbewegungen auslösten. Während das Byzantinische Reich nach der Eroberung Konstantinopels 1204 während des Vierten Kreuzzuges langsam aber sicher seinem Untergang entgegenging, gewannen die christlichen Reiche auf der iberischen Halbinsel nach dem Sieg bei Las Navas de Tolosa im Jahre 1212 immer weiter an Boden. 1492 endete die Reconquista mit der Eroberung des Emirats von Granada. Infolge der Reconquista entstanden die christlichen Königreiche Portugal und Spanien (bestehend aus den vereinigten Reichen Aragon und Kastilien). Muslime und Juden, die nicht gewillt waren zum Christentum zu konvertieren, wurden aus Spanien vertrieben (Siehe auch: Alhambra-Edikt). 1453 fiel Konstantinopel an die osmanischen Türken, während im römisch-deutschen Reich der Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden wurde.
Im 14. Jahrhundert begann aufgrund von Erbstreitigkeiten um die französische Krone der Hundertjährige Krieg zwischen Frankreich und England. Von 1340 bis etwa 1420 behielten die Engländer weitgehend die Oberhand. Jeanne d’Arc, heute als die Jungfrau von Orleans bekannt, gab im frühen 15. Jahrhundert den Franzosen wieder Hoffnung, die bei Orleans 1429 einen Sieg errangen und in die Offensive gingen. Jeanne d’Arc wurde 1431 von den Engländern zum Tode verurteilt, doch Frankreich konnte den Krieg 1453 siegreich beenden. Während die französischen Könige aus dem Haus Valois nun bestrebt waren, ihre Macht wieder zu festigen, gerieten sie gleichzeitig in Konflikt mit dem Haus Burgund, einer Nebenlinie des französischen Königshauses, das eigene Interessen verfolgte. England litt in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts unter schweren inneren Unruhen, die schließlich zum offenen Thronkampf der Häuser York und Lancaster führten, der als die Rosenkriege bekannt ist. Am Ende setzte sich 1485 das Haus Tudor durch.
Kunst und Wissenschaften befanden sich im Spätmittelalter im Aufbruch. Die bereits im Hochmittelalter erfolgte Gründung der ersten Universitäten, vor allem in Italien (Bologna) und Frankreich (Paris), verhalf den Wissenschaften und der Philosophie zu einem neuen Aufschwung, denn sie verbreiten die Lehren antiker Gelehrter und ebneten so den Boden für die Epoche der Renaissance. Den Künstlern eröffneten sich neue Möglichkeiten dank Auftragsarbeiten für das selbstbewusste Bürgertum: Die bisher auf kirchliche Motive beschränkte Malerei wurde nun auf andere Bereiche ausgeweitet, auch die Dreidimensionalität wurde von den Malern entdeckt. Die Architektur lehnte sich infolge der Renaissancebewegung wieder an alte römische und griechische Vorbilder an.
Die Wirtschaft erlebte trotz der Pest eine Blüte. Das Spätmittelalter war die Zeit des aufsteigenden Bürgertums der Städte und der Geldwirtschaft. Genannt seien die italienischen Stadtstaaten, die Städte Flanderns und der Städtebund der Hanse an Nord- und Ostsee. Die Hanse bewirkte durch den schwunghaften Handel eine weitere Besiedelung Nord- und vor allem Osteuropas durch hauptsächlich deutsche Kolonisten (Siehe auch: Ostkolonisation). Durch die Handelskontakte entstanden daneben in Russland eine Reihe neuer Fürstentümer, die nach und nach das mongolische Joch abschüttelten. Aus dem mächtigsten von ihnen, dem Fürstentum Moskau, sollte sich später das russische Zarenreich entwickeln.
Ende des Mittelalters
Wie hinsichtlich des Übergangs von der Antike ins Mittelalter, so sind auch für das Ende des Mittelalters verschiedene Forschungsansätze möglich. Es handelt sich letztlich um fließende Übergänge und nicht um einen zeitlich exakt datierbaren Bruch. Als wesentlich für den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit betrachtet man im Allgemeinen die Zeit der Renaissance (je nach Land spätes 14. Jahrhundert bis 16. Jahrhundert), die Erfindung des modernen Buchdrucks mit beweglichen Lettern um 1450 und die damit beschleunigte Verschriftlichung des Wissens, die Entdeckung insbesondere der Neuen Welt durch Christoph Kolumbus 1492 und der allgemeine Beginn der europäischen Expansion in Amerika und Asien, oder auch den Verlust des Einflusses der institutionalisierten katholischen Kirche und den Beginn der Reformation. Diese Ereignisse sind alle zwischen der Mitte des 15. und der Schwelle zum 16. Jahrhundert anzusiedeln. Im selben Zeitraum kann man das Ende des Mittelalters in Deutschland auch mit der Reichsreform als dem verfassungsrechtlichen Ende des klassischen Feudalismus lokalisieren.
Angeführt wird ferner die Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen (1453), da mit dem Untergang des Byzantinischen Reiches das letzte lebendige Staatsgebilde der Antike unterging. Der dadurch ausgelöste Strom byzantinischer Flüchtlinge und Gelehrter nach Italien wird für den Beginn der Renaissance als mitverantwortlich angesehen. Darüber hinaus wurden die Handelsrouten nach Asien durch die Ausbreitung des Osmanischen Reiches blockiert, sodass westeuropäische Seefahrer neue Handelswege erkundeten. Die Suche nach einem Seeweg nach Indien (siehe auch Indienhandel) führte unter anderem zur Entdeckung Amerikas 1492.
Juden im mittelalterlichen Europa
Die Juden waren im mittelalterlichen Europa eine Minderheit mit eigenen Traditionen, eigener Kultur, Sprache und Religion. Zunächst im Ostfrankenreich, dann im Heiligen Römischen Reich unterstanden sie in besonderer Weise dem König bzw. dem römisch-deutschen Kaiser, waren aber auch Schutzbefohlene anderer Herren. In Mitteleuropa interagierten sie mit einer ihnen feindlichen durch das Christentum geprägten Gesellschaft, auf der Iberischen Halbinsel bis zur Reconquista mit einer durch den Islam geprägten, die ihre Fähigkeiten zu nutzen wusste. Die im Mittelalter auf der Iberischen Halbinsel ansässigen Juden werden als Sefardim, die im übrigen Europa ansässigen als Aschkenasim bezeichnet.
Den Christen war es bis zum 15. Jahrhundert nach dem kanonischen Recht verboten, Geld gegen Zinsen zu verleihen. Nicht so den Juden. Da ihnen das Ausüben eines zunftgemäßen Gewerbes und die Beschäftigung mit dem Ackerbau verboten waren, verdienten sie sich ihren Lebensunterhalt im Handel, als Pfandleiher oder im Zins- und Wechselgeschäft.
Im Frühmittelalter kam es kaum zu gewaltsamen Übergriffen gegen Juden, die im Frankenreich eine durchaus privilegierte Sonderstellung genossen, wenngleich sie rechtlich eingeschränkt waren. Bis zum Beginn des Ersten Kreuzzugs (1096) lebten die Juden im mittelalterlichen Europa relativ sicher. In dessen Verlauf wurden viele Juden dann jedoch vor die Wahl „Taufe oder Tod“ gestellt. Die Kreuzfahrer wollten sich zunächst der „Ungläubigen“ im eigenen Land entledigen. Tausende Juden, die nicht zum Christentum konvertieren wollten, wurden von den Kreuzfahrern erschlagen. Nur in sehr wenigen Fällen (so in Speyer durch den bischöflichen Stadtherrn) wurden Juden vor Übergriffen geschützt.
In der folgenden Zeit kam es immer wieder zu Ausweisungen von Juden und zu gewaltsamen Übergriffen, so auch in Frankreich und England im 13. Jahrhundert. Mit der Pest begann 1349 eine neue Welle von Pogromen an Juden. Sie wurden beschuldigt, die Brunnen vergiftet zu haben, um alle Christen auszurotten. Die Überlebenden ließen sich in Osteuropa nieder.
Das Spätmittelalter bis hinein in die frühe Neuzeit war geprägt durch zunehmende Judenfeindlichkeit. Die in den Städten ansässigen Juden wurden gezwungen, in Ghettos zu leben. Nach Lockerung des Zinsverbots der katholischen Kirche verloren sie an wirtschaftlicher Bedeutung. Zunehmend waren jetzt auch Christen – nun von der Kirche geduldet – als Kaufleute und als Geldverleiher tätig, darunter Bürger und hohe Geistliche. Aber nicht nur finanzielle, sondern auch politische und religiöse Ursachen schwächten die Position der Juden. In der durch das Christentum geprägten Gesellschaft wuchs der religiöse Hass gegen die Andersgläubigen. Im Zusammenwirken führten religiöse, sozialpsychologische, politische und wirtschaftliche Momente immer öfter zu antijüdischen Aktionen. Die Folge waren die Judenvertreibungen und Pogrome des Spätmittelalters, die erst im 16. Jahrhundert endeten.
Populäre Mythen, Missverständnisse und historische Streitpunkte
In der Renaissance wurde die Epoche zwischen der Antike und der damaligen Gegenwart als ein Zeitalter betrachtet, in dem das Wissen und die Werte der antiken Kulturen in Vergessenheit geraten waren, woraus sich die kulturelle und geistige Unterlegenheit des Mittelalters ableiten ließ. Diese Bewertung wurde im 19. Jahrhundert im Zuge der aufkommenden Romantik übernommen und weiter ausgebaut, wobei die Rezeption vergangener Zeiten gemäß der Aufklärung, der Moral des Viktorianischen Zeitalters und durch „Fortschrittsgläubigkeit“ und Vernunftsorientierung beeinflusst wurde. Dadurch entstand im 19. Jahrhundert eine moderne und bis heute populäre Rezeption des historischen Mittelalters, die im Großen und Ganzen eher auf dem romantischen Zeitgeist als auf historischen Quellen basiert.
Im Laufe der Zeit haben sich auf diese Weise Vorstellungen vom historischen Mittelalter herausgebildet, die keine historische Grundlage haben und sich dennoch, so auf Mittelaltermärkten oder bei Musik der Mittelalterszene, einer breiten Bekanntheit erfreuen.
Anwendung des Mittelalter-Begriffs auf andere Kulturräume
Vereinzelt werden auch Epochen der Geschichte außereuropäischer Länder oder Kulturräume als Mittelalter bezeichnet, nicht immer herrscht darüber jedoch Konsens.
Indien
Die Geschichte Indiens kennt eine Ausbreitung feudaler Strukturen nach dem Ende des Gupta-Reiches im Jahr 550, in dem das „goldene Zeitalter“ der klassischen Periode Indiens liegt. Das späte Gupta-Reich erlebte schon einen Niedergang und musste sich Angriffen der „Hunnen“ (Hunas, worunter wohl die Alchon zu verstehen sind) von Norden erwehren, die nach einer brutalen Herrschaft schließlich ein Machtvakuum hinterließen. Im nördlichen Indien erlebte die Gupta-Kultur unter der Herrschaft von Harshavardhana (606–647), dem letzten buddhistischen Großkönig der indischen Geschichte, noch einen Höhepunkt, bevor die zentralen Herrschaftsstrukturen zerfielen und die tatsächliche Macht auf lokale Fürsten überging. Der Zeitraum des Untergangs des Gupta-Reichs (6. Jahrhundert) wird als der Beginn der frühmittelalterlichen Periode der indischen Geschichte aufgefasst.
Die genaue Zuordnung als „Mittelalter“ dieser von wechselnden Herrschaften dominierten Zeit variiert dabei in der Forschung und hängt auch von der jeweiligen Betrachtungsweise ab, da sich das nördliche Indien und das südliche Indien geschichtlich verschieden entwickelten. Als wichtiges Merkmal des frühen indischen Mittelalters wird oft die Ausbildung hierarchisch-feudaler Vasallensysteme von etwa 600 bis zur Errichtung des Sultanats von Delhi im Jahr 1206 herangezogen. Im Norden kam es seit dem 8. Jahrhundert zur Ausbreitung des Islams. Der Beginn des späten Mittelalters wird auf die Errichtung des Sultanats datiert. Im Süden bildeten sich neue Fürstentümer im 7. Jahrhundert heraus (z. B. die Herrschaft der Pallava). Mangels Zäsur ist dort eine Unterscheidung zwischen frühem und späteren Mittelalter nur schwer zu fassen; das Sultanat breitet sich zwar zeitweise auch hier aus, die Herrschaft wurde jedoch wieder abgeschüttelt.
Das indische Mittelalter endete nach weit verbreiteter Auffassung im Zeitraum zwischen dem Einfall der Mongolen 1398 im Norden und den Veränderungen nach der Entdeckung eines europäischen Seewegs nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung 1498.
China
Bezüglich der Geschichte Chinas wird in der modernen Forschung die Zeit vom Ende der Han-Dynastie bzw. deren faktischen Entmachtung bis zur Wiedervereinigung Chinas unter der Sui- und Tang-Dynastie im späten 6./frühen 7. Jahrhundert teils als „Mittelalter“ (im Sinne einer Übergangszeit von der staatlichen Zersplitterung hin zur Einheit) verstanden.
Japan
In der japanischen Geschichte wird die Zeit von ca. 1200 bis ca. 1600 (Kamakura-, Muromachi- und Azuchi-Momoyama-Zeit) als Japanisches Mittelalter bezeichnet. Diese Epoche zeichnete sich durch eine starke Dominanz des Buddhismus und des Feudalismus aus.
Afrika
Der französische Afrikaspezialist François-Xavier Fauvelle-Aymar bezeichnet die Phase der Gründung der frühen afrikanischen Königreiche von der Nigerregion über die christlichen Königreichen in Nubien und bis nach Zimbabwe seit dem 6. Jahrhundert als afrikanisches Mittelalter.
Mesoamerika
Vereinzelt wird auch von einem mesoamerikanischen Mittelalter gesprochen.
Siehe auch
Technik im Mittelalter
Medizin des Mittelalters
Münzen des Mittelalters
Kosmologie des Mittelalters
Literatur
Wichtige Quellen sind im großen Umfang gesammelt in den Monumenta Germaniae Historica. Siehe auch die dt.-latein. Ausgaben der Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe (FSGA); einen Quellenüberblick bieten die Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters. Wichtige Quellen stellen u. a. neben der Geschichtsschreibung auch Konstitutionen und andere Aktenquellen dar. Von besonderer Bedeutung sind des Weiteren die Regesten (für das römisch-deutsche Reich die Regesta Imperii).
Eine hervorragende Bibliographie, wenngleich inzwischen nicht mehr auf dem neuesten Stand, findet sich hier (erstellt vom Historischen Seminar der Uni. Bonn), zur Literatursuche eignet sich besonders gut der Opac der Regesta Imperii (RI-Opac). Ansonsten sei auf die Angaben im Lexikon des Mittelalters, den einschlägigen Bänden der Reihe Oldenbourg Grundriss der Geschichte (Bd. 4–9) sowie der Enzyklopädie deutscher Geschichte oder den Bibliographien der unten aufgeführten Werke verwiesen.
Nachschlagewerke und Überblickswerke
Dictionary of the Middle Ages. Hrsg. von Joseph Strayer u. a. 13 Bände. Scribner, New York 1982–1989.
The New Cambridge Medieval History. 7 Teile in 8 Bänden, Cambridge 1995–2005 (hervorragende und relativ aktuelle Gesamtdarstellung; jeder Band bietet eine umfassende Bibliographie).
Geschichte der Welt. Geteilte Welten 600–1350. Hrsg. von Daniel G. König. C. H. Beck, München 2023.
Geschichte der Welt. Weltreiche und Weltmeere 1350–1750. Hrsg. von Wolfgang Reinhard. C. H. Beck, München 2014.
Peter Linehan, Janet L. Nelson (Hrsg.): The Medieval World. Routledge, London 2001, ISBN 0-415-30234-X.
Michael Borgolte: Die Welten des Mittelalters. Globalgeschichte eines Jahrtausends. Beck, München 2022, ISBN 978-3-406-78446-0.
Michael Borgolte: Christen, Juden, Muselmanen. Die Erben der Antike und der Aufstieg des Abendlandes 300 bis 1400 n. Chr. Siedler, München 2006, ISBN 978-3-88680-439-9.
Johannes Fried: Das Mittelalter. Geschichte und Kultur. 4. Auflage. C. H. Beck, München 2009, ISBN 978-3-406-57829-8.
Bernhard Jussen: Das Geschenk des Orest. Eine Geschichte des nachrömischen Europa 526–1535. C. H. Beck, München 2023, ISBN 978-3406782008.
Matthias Meinhardt, Andreas Ranft, Stephan Selzer (Hrsg.): Mittelalter (Oldenbourg Geschichte Lehrbuch). 2. Auflage, München 2009, ISBN 978-3-486-58829-3.
Robert E. Bjork (Hrsg.): The Oxford Dictionary of the Middle Ages. 4 Bände. Oxford University Press, Oxford 2010.
Johannes Fried, Olaf B. Rader (Hrsg.): Die Welt des Mittelalters. Erinnerungsorte eines Jahrtausends. C. H. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-62214-4.
Martial Staub, Gert Melville (Hrsg.): Enzyklopädie des Mittelalters. Primus, Darmstadt 2013, ISBN 978-3-86312-353-6.
Chris Wickham: Das Mittelalter. Europa von 500 bis 1500. Klett-Cotta, Stuttgart 2018, ISBN 978-3-608-96208-6.
Epochenspezifische Darstellungen
Frühmittelalter
Hans-Werner Goetz: Europa im frühen Mittelalter. 500–1050 (= Handbuch der Geschichte Europas 2). Ulmer, Stuttgart 2003.
Arnold Angenendt: Das Frühmittelalter. Die westliche Christenheit von 400 bis 900. 3. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart/ Berlin/ Köln 2001.
Mischa Meier: Geschichte der Völkerwanderung. Europa, Asien und Afrika vom 3. bis zum 8. Jahrhundert. C. H. Beck, München 2019, ISBN 978-3406739590.
Franz Neiske: Europa im frühen Mittelalter 500-1050. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Primus, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-89678-540-4.
Chris Wickham: The Inheritance of Rome: A History of Europe from 400 to 1000. Penguin, London 2009.
Roger Collins: Early Medieval Europe 300–1000. 3. überarbeitete Auflage. Palgrave, Basingstoke u. a. 2010.
Johannes Preiser-Kapeller: Jenseits von Rom und Karl dem Großen. Aspekte der globalen Verflechtung in der langen Spätantike, 300-800 n. Chr. Mandelbaum Verlag, Wien 2018.
Hochmittelalter
Hermann Jakobs: Kirchenreform und Hochmittelalter 1046–1215. 4. Auflage. Oldenbourg, München 1999.
Michael Borgolte: Europa entdeckt seine Vielfalt. 1050–1250 (= Handbuch der Geschichte Europas 3). Ulmer, Stuttgart 2002.
Peter Dinzelbacher: Europa im Hochmittelalter 1050–1250. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Primus, Darmstadt 2003, ISBN 978-3-89678-474-2.
Wilfried Hartmann: Der Investiturstreit. 3., überarbeitete und erweiterte Auflage. Oldenbourg, München 2007.
Thomas Asbridge: Die Kreuzzüge. Klett-Cotta, Stuttgart 2010.
Spätmittelalter
Ulf Dirlmeier, Gerhard Fouquet, Bernd Fuhrmann: Europa im Spätmittelalter 1215–1378. Oldenbourg, München 2003.
Johannes Grabmayer: Europa im späten Mittelalter 1250–1500. Eine Kultur- und Mentalitätsgeschichte. Primus, Darmstadt 2004, ISBN 978-3-89678-475-9.
Michael North: Europa expandiert. 1250–1500 (= Handbuch der Geschichte Europas 4). Ulmer, Stuttgart 2007.
John Watts: The Making of Polities: Europe, 1300–1500. Cambridge University Press, Cambridge 2009.
Bernd Schneidmüller: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung: Europa 1200–1500. C. H. Beck, München 2011.
Einführungen und einzelne Themenbereiche
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Rolf Sprandel: Gesellschaft und Literatur im Mittelalter. Paderborn 1982.
Horst Fuhrmann: Einladung ins Mittelalter. C. H. Beck, München 1987, ISBN 3-406-32052-X.
Ferdinand Seibt: Glanz und Elend des Mittelalters. Eine endliche Geschichte. Siedler, Berlin 1987, ISBN 3-88680-279-5.
Arno Borst: Lebensformen im Mittelalter. Frankfurt am Main/Berlin/Wien 1973; zahlreiche Auflagen und Ausgabe, z. B. 1988, ISBN 3-548-34004-0.
Arno Borst: Barbaren, Ketzer und Artisten: Welten des Mittelalters. Piper, München/Zürich 1988, ISBN 3-492-03152-8.
Jürgen Kühnel, Hans-Dieter Mück, Ursula Müller, U. Müller (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption III: Gesammelte Vorträge des 3. Salzburger Symposions „Mittelalter, Massenmedien, Neue Mythen“. Kümmerle Verlag, Göppingen 1988 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 479), ISBN 3-87452-715-8.
I. von Burg, Jürgen Kühnel, U. Müller, A. Schwarz (Hrsg.): Mittelalter-Rezeption IV: Medien, Politik, Ideologie, Wirtschaft. Gesammelte Vorträge des Symposions an der Universität Lausanne, November 1989. Kümmerle Verlag, Göppingen 1991 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 550), ISBN 3-87452-791-3.
Rüdiger Krohn (Hrsg.): Forum. Materialien und Beiträge zur Mittelalter-Rezeption. Band 3. Kümmerle Verlag, Göppingen 1992 (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 540), ISBN 3-87452-781-6.
Horst Fuhrmann: Überall ist Mittelalter: von der Gegenwart einer vergangenen Zeit. C. H. Beck, München 1996, ISBN 3-406-40518-5.
Karl Helmer: Bildungswelten des Mittelalters. Denken, Gedanken, Vorstellungen und Einstellungen. Schneider Hohengehren, Baltmannsweiler 1997, ISBN 978-3-87116-762-1.
Georg Scheibelreiter: Die barbarische Gesellschaft. Mentalitätsgeschichte der europäischen Achsenzeit 5.–8. Jahrhundert. Primus, Darmstadt 1999, ISBN 978-3-89678-217-5.
Martin Kaufhold: Europas Norden im Mittelalter. Die Integration Skandinaviens in das christliche Europa (9.–13. Jh.). Primus, Darmstadt 2001, ISBN 978-3-89678-418-6.
P. Kellermann-Haaf: Frau und Politik im Mittelalter. Untersuchungen zur politischen Rolle der Frau in den höfischen Romanen des 12., 13. und 14. Jahrhunderts (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 456). Kümmerle Verlag, Göppingen 1986, ISBN 3-87452-691-7.
Jürgen Sarnowsky: England im Mittelalter. Primus, Darmstadt 2002, ISBN 978-3-89678-420-9.
Fischer Weltgeschichte: Mittelalter und frühe Neuzeit. 4 Bände. Fischer, Frankfurt am Main 2003 (ND), ISBN 3-596-50732-4 (veralteter Forschungsstand).
Jacques Le Goff: Die Geburt Europas im Mittelalter. C. H. Beck, München 2004, ISBN 3-406-51762-5.
Georg Scheibelreiter (Hrsg.): Höhepunkte des Mittelalters. Primus, Darmstadt 2004, ISBN 978-3-89678-257-1.
Karl Bosl: Europa im Mittelalter. Herausgegeben und bearbeitet von Georg Scheibelreiter. Primus, Darmstadt 2005, ISBN 978-3-89678-264-9.
Heinz-Dieter Heimann: Einführung in die Geschichte des Mittelalters. 2. Auflage. UTB, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-8252-1957-4.
Malte Prietzel: Krieg im Mittelalter. Primus, Darmstadt 2006, ISBN 978-3-89678-577-0.
Hartmut Boockmann: Einführung in die Geschichte des Mittelalters. 8. Auflage. C. H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-36677-2.
Peter Hilsch: Das Mittelalter – die Epoche. 2. Auflage. UTB, Stuttgart 2008.
Harald Müller: Mittelalter. Akademie-Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-05-004366-1.
Gerhard Lubich: Das Mittelalter. Schöningh, Paderborn u. a. 2010, ISBN 978-3-8252-3106-4.
Ernst Schubert: Essen und Trinken im Mittelalter. Primus, Darmstadt 2010, ISBN 978-3-89678-702-6.
Arnold Esch: Wahre Geschichten aus dem Mittelalter. Kleine Schicksale selbst erzählt in Schreiben an den Papst. C. H. Beck, München 2010, ISBN 978-3-406-60133-0.
Ernst Schubert: Alltag im Mittelalter. Natürliches Lebensumfeld und menschliches Miteinander (Sonderausgabe 2012). Primus, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-86312-306-2.
Christine Sauer (Hrsg.): Handwerk im Mittelalter. Primus, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-86312-013-9.
Michael Brauer: Quellen des Mittelalters. Schöningh, Paderborn 2013, ISBN 978-3-8252-3894-0.
Hans-Werner Goetz: Proseminar Geschichte: Mittelalter. 4. Auflage. Ulmer, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-8252-4066-0 (Einführung in die wissenschaftliche Arbeitsweise).
Johannes Preiser-Kapeller: Byzanz. Das Neue Rom und die Welt des Mittelalters. Beck, München 2023.
Weblinks
Tutorium des Historisches Seminar der Universität Tübingen, Abteilung für Mittelalterliche Geschichte
Geschichtsquellen des deutschen Mittelalters (Bayer. Akademie der Wissenschaften)
Internet Medieval Sourcebook Project (Quellen in englischer Übersetzung)
Ingrid Heidrich: (überarbeitete elektronische Fassung von Einführung in die Geschichte des europäischen Mittelalters, H-C-I, Bad Münstereifel 2003, ISBN 3-00-010998-6)
Gemeinfreie historische Bücher über das Mittelalter als Volltext online bei Lexikus
Essays in Medieval Studies, engl. Fachzeitschrift, Ausgaben 1984–2000 als Volltext online
Anmerkungen
Historisches Zeitalter
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Q12554
| 3,979.525953 |
10055
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vegetation
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Vegetation
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Vegetation (mittellateinisch vegetātio „Wachstumskraft“, „Grünung“ und spätlateinisch vegetāre „leben, wachsen“) – im Deutschen auch Pflanzendecke oder Pflanzenkleid – nennt man im Allgemeinen die Gesamtheit der Pflanzenformationen einer Landfläche. Im Gegensatz zur Flora, bei der vorrangig die Pflanzensippen und -arten betrachtet werden, bezieht sich der Begriff Vegetation auf gleichartige Verteilungsmuster, Gestalt- und Wuchsformen (Offenland, Wald, Tundra, Steppe, Tropischer Regenwald u. dgl.). In Geobotanik, Biogeographie und Ökologie werden neben den Pflanzen alle Lebensformen zur Vegetation gerechnet, die sich nicht aktiv fortbewegen können, also auch Flechten und Pilze. In der Medizin versteht man unter Vegetation die Besiedlung mit Bakterien beziehungsweise Biofilm, zum Beispiel auf Herzklappen bei infektiöser Endokarditis. Das Verb vegetieren bedeutet „untätig“ zu leben wie eine Pflanze.
Sofern die Bedingungen für Leben (Luft, Licht, Wasser, Nährstoffe) – zumindest zeitweise – gegeben sind, stellt sich auf jeder Oberfläche im Laufe der Zeit eine standorttypische Vegetation ein. In extrem kalten oder trockenen Regionen kann sie aus sehr wenigen Arten bestehen – etwa ausschließlich Flechten. Die Zeit, in der der Bewuchs wachsen kann, heißt Vegetationsperiode. Je wärmer und feuchter es ist und je länger diese Bedingungen anhalten, desto komplexer ist das entstehende Ökosystem. Bis zu seiner optimalen Ausgestaltung – ohne wiederkehrende Störungen Klimaxvegetation genannt – durchläuft der Bewuchs eine erprobte Abfolge von Stadien mit ganz unterschiedlicher Artenzusammensetzung. Diese Entwicklung nennt man Sukzession. Im Laufe sehr viel längerer Zeiträume führt die zwangsläufige Entstehung von Böden – durch die fortlaufende Umwandlung anorganischer Nährstoffe in organische Verbindungen sowie die zunehmende Ablagerung toter Biomasse – zu einem langsamen Wandel der Vegetation. Wenn sich währenddessen die klimatischen Bedingungen ändern und sich in der permanenten Evolution neu entstandene Lebensformen oder vom Menschen eingebrachte Neobiota als Bestandteil des Ökosystems langfristig bewähren und anpassen, können völlig neue Vegetationstypen mit zum Teil gänzlich neuen Eigenschaften entstehen, die vorher nicht existierten. Im Idealfall beeinflusst und stabilisiert die Vegetation selbst die Umweltbedingungen in einer für sie zuträglichen Weise (etwa die Aufrechterhaltung des feuchtheißen Klimas im tropischen Regenwald durch den Wald).
Die Pflanzenwelt stellt durch ihre Photosyntheseleistung (Erzeugung von Zucker aus Wasser und Kohlenstoffdioxid unter Verwendung von Lichtenergie) die mit Abstand größte Menge von Primärproduzenten für die Biomasse an Land und bildet damit die entscheidende Lebensgrundlage für nahezu jedes Ökosystem.
Wachstum nach dem „Optimalprinzip“
Obwohl die Vegetation weit voneinander entfernter und nicht miteinander verbundener Regionen zu einem großen Teil aus nicht direkt verwandten Arten besteht, strebt die Natur immer nach einer möglichst großen Umwandlung der vorhandenen abiotischen Faktoren in Biomasse. Häufig entstehen unabhängig voneinander die gleichen Überlebensstrategien (analoge Entwicklungen wie beispielsweise die Wasserspeicherfähigkeit von Sukkulenten oder der Laubfall als Kälteschutz), die sich aufgrund gemeinsamer Strategien gegen vorherrschende extreme Umweltbedingungen (Trockenheit oder Nässe, Hitze oder Kälte, regelmäßige Klimaschwankungen im Tages- oder Jahresgang, Feuer, Fressfeinde usw.) evolutionär entwickelt haben.
Die natürliche Sukzession des Artenwandels der Pflanzendecke strebt im voll entwickelten Schlussstadium immer und überall zu einem optimalen Zustand der Vegetation – nach Gustav Wendelberger (1978) zur „Optimalgesellschaft“. Seine Gesellschaft höchster Lebensfülle – die in der Waldökologie auch „Optimalphase“ genannt wird – kann nach heutigen Erkenntnissen als Vegetationstyp verstanden werden, der je nach den vorherrschenden Umweltfaktoren (insbesondere Klima u. Bodenbeschaffenheit) in einer Region folgende Zustände optimal verbindet:
ein ideal angepasstes Artenspektrum,
Fließgleichgewicht zwischen konkurrierenden Arten
und Besatz möglichst jeder ökologischen Nische,
sowie eine unter diesen Bedingungen maximale Menge an Biomasse.
Auch Artenvielfalt und Biodiversität befinden sich auf einem hohen Niveau: Allerdings besteht die maximaler Vielfalt nicht in der Schlussgesellschaft, sondern während der gesamten Sukzessionsfolge in unterschiedlicher Zusammensetzung. So zeigte etwa eine 20-jährige Studie aus dem Raum Bremen, dass die Pflanzenvielfalt zu Beginn der natürlichen Besiedlung einer Deponie am höchsten war, während die Vielfalt der Tierarten viel geringer war als zum Ende des Zeitraumes. So führte die große Zahl potenzieller Pionierpflanzen zu einer schnellen und sicheren Besiedlung aller Nischen des Gebietes, ohne dass zu viele Pflanzenfresser diesen Prozess verlangsamten. Die größte Biodiversität entsteht bei einem möglichst großen Nebeneinander verschiedenster Sukzessionsstadien und nicht innerhalb einer voll entwickelten Schlussgesellschaft.
Diese Betrachtung erklärt auch die höhere Artenvielfalt bäuerlicher Kulturlandschaften im Gegensatz zum geschlossenen, natürlichen Laubwald. Die Kriterien der vorgenannten „Optimalgesellschaft“ erreichen von Menschen geprägte Ersatzgesellschaften nicht nachhaltig. So ist etwa die photosynthetische Effizienz (als Vorbedingung für die Primärproduktion) bei einem natürlichen Wald wesentlich höher als bei einem landwirtschaftlichen Acker (im gleichen Klima). Die Menge der Biomasse aus lebenden und toten Pflanzen und Tieren (Boden) lag bei einem Vergleich im Buchenwald bei 211 t C/ha und im Maisfeld bei 62,5 t C/ha. Sofern intensive Düngung oder Monokulturen zu einer höheren Biomasseproduktion führen, wäre dies unter natürlichen Bedingungen nur vorübergehend der Fall, da die anderen Kriterien (optimales Zusammenspiel der Arten) keine langfristige Existenz garantieren.
Die Anpassungsstrategien der Natur, um dauerhaft eine möglichst hohe Primärproduktion zu erreichen, sind evolutionär in sehr langen Zeiträumen entstanden: Wir sehen sie heute etwa im Blattflächenindex (optimale Ausnutzung des Sonnenlichts durch die Anordnung und Fläche des Laubes), in der „Wuchshöhenregel“ nach Reiner Schwarz (je feuchter, wintermilder, sommerwärmer, strahlungsreicher das Klima bei eher nährstoffarmen Böden, desto höher reicht das Kronendach eines Waldes) oder der an den Einfallswinkel der Sonnenstrahlen ausgerichteten Wuchsform von Bäumen (zum Beispiel schlanke Nadelbäume mit offenem Kronendach im tiefen Sonnenstand der borealen Zone – sodass die Strahlen möglichst viele Nadeln erreichen – gegenüber deutlich breiteren Kronen in Breitengraden mit höheren Sonnenständen). Die besten Bedingungen für einen üppigen Pflanzenwuchs sind ein immerfeuchtes, kühles, (fast) frostfreies Klima mit sehr großen Niederschlagsmengen und hoher Luftfeuchtigkeit, gedämpfte Sonneneinstrahlung und staunasse Böden: Im Redwood-Nationalpark an der kalifornischen Pazifikküste sind diese Bedingungen offenbar ideal, denn nirgends sonst auf der Erde erzeugt die Vegetation so viel Biomasse pro Flächeneinheit und ist der Blattflächenindex so hoch wie bei den dortigen, über 80 m hohen Küstenmammutbaumwäldern. Ungeklärt ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass an den Standorten von „Urwaldrieseen“ in feuchtwarmen Regenwäldern die Biomasseproduktion wesentlich höher ist als zu erwarten wäre („Phänomen der überproportionalen Flächenproduktivität“).
Trotz vielfältiger Strategien zur optimalen Energienutzung und Produktion ist auch die Optimalgesellschaft nur ein Modell: Sobald beispielsweise jährlich regelmäßige Buschbrände auftreten (typisch etwa für Savannen) oder riesige Herden großer Pflanzenfresser (etwa die früheren Bisonherden der Prärien Nordamerikas) die Übergangsbereiche zu Waldgebieten baumfrei halten, kann die Sukzession nicht bis zum optimalen Klimax führen.
Vegetationskonzepte
Es wird zwischen verschiedenen Vegetationskonzepten unterschieden:
Ursprüngliche natürliche Vegetation
Die ursprüngliche natürliche Vegetation ist die – v. a. mittels Gesteinsanalysen, Klimamodellen sowie Pollenanalysen und Analysen anderer organischer Funde – rekonstruierte Vegetation, die vor dem Erscheinen von menschlicher Kultur in einem Gebiet und einem bestimmten naturgeschichtlichen Zeitraum ausgebildet gewesen sein könnte. Da die ursprüngliche natürliche Vegetation anderen klimatischen Bedingungen unterworfen war und aus einem anderen Artenpool gebildet wurde, unterscheidet sie sich in der Regel mehr oder weniger deutlich nicht nur von der realen heutigen Vegetation, sondern auch von der heutigen potenziell natürlichen Vegetation.
Reale Vegetation
Die reale Vegetation ist die in einem Gebiet tatsächlich vorkommende Vegetation. Diese ist häufig durch den Menschen beeinflusst, zum Beispiel durch Eingriffe land- und forstwirtschaftlicher Art. Falls kulturelle Einflüsse zu erheblichen Veränderungen der Vegetation führten, handelt es sich um Ersatzgesellschaften, welche die natürlichen Pflanzengesellschaften abgelöst haben.
Potenzielle natürliche Vegetation
Der Begriff „potenzielle natürliche Vegetation“ (pnV) bezeichnet den Endzustand der Vegetation, den man im jeweiligen Gebiet erwarten würde, sofern dort fortan keine menschlichen Eingriffe mehr erfolgen. „Dabei sollen etwaige Änderungen abiotischer Faktoren, die im Laufe einer hypothetischen Sukzession eintreten könnten … gedanklich ausgeschlossen sein.“ Die pnV ist also die aufgrund der aktuellen natürlichen und ggf. anthropogen veränderten Standortfaktoren erwartete Vegetation, wenn der menschliche Einfluss beendet würde. Die pnV ist daher zumeist nicht mit jener Vegetationsform identisch, die man erwarten würde, wenn der Mensch nie eingegriffen hätte (= Rekonstruierte natürliche Vegetation). Man kann den Begriff der pnV auf verschiedene Zeiten beziehen. Bezieht man ihn auf die heutige Zeit, so spricht man von der heutigen potenziell natürlichen Vegetation (hpnV). Wenn keine Zeitangabe gemacht wird, meint pnV die hpnV.
Der Begriff der potentiellen natürlichen Vegetation baut primär auf dem Konzept einer Schlussgesellschaft von Pflanzen, der sogenannten Klimaxvegetation, auf. Damit wird eine längerfristig stabile Vegetationsform bezeichnet, die sich an einem Wuchsort nach einer Sukzessionsreihe, während der sich die Standorteigenschaften des Wuchsortes verändern können, einstellt. Die Klimaxvegetation selbst unterliegt in sehr langen Zeiträumen einem allmählichen Wandel durch klimatische, geologische und floristische Veränderungen an einem Wuchsort (z. B. Vegetationsentwicklung im Holozän). Ein alternatives Konzept zur Klimaxvegetation ist das Mosaik-Zyklus-Konzept.
Rekonstruierte natürliche Vegetation
Die rekonstruierte natürliche Vegetation ist die rekonstruierte Vegetation, die man in einem Gebiet erwarten würde, wenn der Mensch dort niemals erschienen wäre. Sie berücksichtigt im Gegensatz zur potentiellen Vegetation also keine anthropogenen Veränderungen, sondern schließt diese durch Extrapolierungen aus. Die rekonstruierte natürliche Vegetation wird für den Naturschutz im Prozessschutz und für das Wildniskonzept relevant.
Siehe auch
Vegetationszone
Weblinks
Einzelnachweise
Geobotanik
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Q187997
| 319.242127 |
78652
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https://de.wikipedia.org/wiki/Entscheidungstheorie
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Entscheidungstheorie
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Die Entscheidungstheorie ist in der angewandten Wahrscheinlichkeitstheorie ein Zweig zur Evaluation der Konsequenzen von Entscheidungen. Die Entscheidungstheorie wird vielfach als betriebswirtschaftliches Instrument benutzt. Zwei bekannte Methoden sind die einfache Nutzwertanalyse (NWA) und der präzisere Analytic Hierarchy Process (AHP). In diesen Methoden werden Kriterien und Alternativen dargestellt, verglichen und bewertet, um die optimale Lösung einer Entscheidung oder Problemstellung finden zu können.
Teilgebiete
Es gibt in der Entscheidungstheorie eine Unterscheidung in drei Teilgebiete:
Die normative Entscheidungstheorie basiert auf der Rational-Choice-Theorie und normativen Modellen. Grundlegend hierfür sind Axiome (zum Beispiel Axiom der Rationalität des Entscheiders), welche die Menschen bei der Entscheidung beachten sollten. Durch die axiomatische Herangehensweise lassen sich logisch konsistente Ergebnisse herleiten. ⇒(Wie soll entschieden werden?)
Die präskriptive Entscheidungstheorie versucht, Strategien und Methoden herzuleiten, die Menschen helfen, bessere Entscheidungen zu treffen, indem sie normative Modelle verwendet. Gleichzeitig werden die begrenzten kognitiven Fähigkeiten des Menschen untersucht. Des Weiteren werden insbesondere Probleme behandelt, die bei der Implementierung rationaler Entscheidungsmodelle auftreten.
Die deskriptive Entscheidungstheorie untersucht dagegen empirisch die Frage, wie Entscheidungen in der Realität tatsächlich getroffen werden. ⇒(Wie wird entschieden?)
Die praktische Anwendung der präskriptiven Entscheidungstheorie wird Entscheidungsanalyse genannt. Hierbei werden Methoden und Software entwickelt, die Menschen bei der Entscheidungsfindung unterstützen sollen. Insbesondere Gesetzgebung und Gesetzesauslegung müssen sich oft an verschiedenen, miteinander konkurrierenden Zielen und Interessen orientieren und zwischen diesen einen Kompromiss anstreben, „der als gerecht erscheint und mit dieser Bedingung den Nutzen optimiert“. Entscheidungsanalysen sollen hierbei „die Vielfalt der Faktoren sichtbar … machen, die in zweckorientierten Entscheidungen eine Rolle spielen. Das erleichtert es, über Zielkonflikte rational zu diskutieren und jene Entscheidungsalternative zu finden, die diese Ziele in optimaler Weise und in optimalem Maße verwirklicht.“
Das Grundmodell der (normativen) Entscheidungstheorie kann man in einer Ergebnismatrix darstellen. Hierin enthalten sind das Entscheidungsfeld und das Zielsystem. Das Entscheidungsfeld umfasst:
Aktionsraum: Menge möglicher Handlungsalternativen
Zustandsraum: Menge möglicher Umweltzustände
Zielraum: Menge der Zieldimensionen
Zeitraum: Menge der zukünftigen Zeitpunkte
Ergebnisfunktion: Zuordnung eines Wertes für die Kombination von entweder Aktion und Zustand, Aktion und Ziel oder Aktion und Zeitpunkt.
Sicherheit und Unsicherheit
Oft ist der wahre Umweltzustand nicht bekannt. Hier spricht man von Unsicherheit. Den Gegensatz bildet eine Situation der Sicherheit, in der der Umweltzustand bekannt ist. Es lässt sich folgende Gliederung vornehmen:
Entscheidung unter Sicherheit: Die eintretende Situation ist bekannt. (Deterministisches Entscheidungsmodell)
Entscheidung unter Unsicherheit: Es ist nicht mit Sicherheit bekannt, welche Umweltsituation eintritt, man unterscheidet dabei weiter in:
Entscheidung unter Risiko: Die Wahrscheinlichkeit für die möglicherweise eintretenden Umweltsituationen ist bekannt. (Stochastisches Entscheidungsmodell)
Entscheidung unter Ungewissheit: Man kennt zwar die möglicherweise eintretenden Umweltsituationen, allerdings nicht deren Eintrittswahrscheinlichkeiten.
Bei einer Entscheidung unter Risiko können über alle möglichen Konsequenzen jeder einzelnen Entscheidung Erwartungswerte errechnet werden, während das bei einer Entscheidung unter Ungewissheit nicht möglich ist bzw. das Prinzip vom unzureichenden Grund (Indifferenzprinzip) angewendet wird, welches jeder Option die gleiche Wahrscheinlichkeit zuordnet. Auf der Basis derartiger Wahrscheinlichkeitsbewertungen kann auch unter Ungewissheit eine Bestimmung des Erwartungswertes vorgenommen werden.
Der (ein- oder mehrstufige) Entscheidungsprozess mitsamt den verschiedenen Konsequenzen lässt sich grafisch als Entscheidungsbaum darstellen.
Entscheidungs- und Spieltheorie
Die Grenzen zwischen Entscheidungs- und Spieltheorie sind fließend. Entscheidungen bei Risiko und unter Ungewissheit werden als Spiele gegen die Natur bezeichnet. Spiele bei einem bewusst handelnden Gegenspieler werden der Spieltheorie zugerechnet.
Gemeinsame Entscheidungen einer Gruppe von Individuen sind Inhalt der Sozialwahltheorie.
Literatur
Erwin Amann: Entscheidungstheorie. Individuelle, strategische und kollektive Entscheidungen. Springer Spektrum Wiesbaden 2019, ISBN 978-3-658-24514-6.
Anderson, Sweeney, Williams: An Introduction to Management Science. 7. Auflage. West Publishing, Minneapolis et al. 1994, ISBN 0-314-02479-4, Kapitel 14.
Günter Bamberg, Adolf G. Coenenberg: Betriebswirtschaftliche Entscheidungslehre. 16. Auflage. Verlag Vahlen, München 2019, ISBN 978-3-8006-5884-8.
Michael Bitz: Entscheidungstheorie. Vahlen, München 1981, ISBN 3-8006-0789-1.
Elisabeth Göbel: Entscheidungstheorie. Studienausgabe. UTB, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-8252-8731-3.
Helmut Jungermann, Hans-Rüdiger Pfister, Katrin Fischer: Die Psychologie der Entscheidung. Eine Einführung. 3. Auflage. Spektrum, Berlin / Heidelberg 2010, ISBN 978-3-8274-2386-3.
Egbert Kahle: Betriebliche Entscheidungen. 6. Auflage. Oldenbourg, München/Wien 2001, ISBN 3-486-25633-5 (Standardlehrbuch).
Helmut Laux, Robert M. Gillenkirch, Heike Y. Schenk-Mathes: Entscheidungstheorie. 10. Auflage. Springer Gabler, Heidelberg 2019, ISBN 978-3-662-57817-9.
Roswitha Meyer: Entscheidungstheorie. Ein Lehr- und Arbeitsbuch. Gabler, Wiesbaden 1999, ISBN 3-409-12249-4.
David Müller: Investitionscontrolling: Entscheidungsfindung bei Investitionen II: Entscheidungstheorie. 3. Aufl. Springer Gabler, Berlin u. a. 2022, ISBN 3-658-36596-X.
Michael Resnik: Choices: An Introduction to Decision Theory. Minneapolis / London 1987.
Christoph Schneeweiß: Planung 1. Springer, Berlin 1991, ISBN 3-540-54000-8.
F. P. Springer: Zur Behandlung von Entscheidungen unter Ungewissheit. In: Der Betrieb, 1974, Heft 6, S. 249–251.
F. P. Springer: The Evaluation of Uncertainty in Engineering Calculations by the Use of Non-Distributional Methods. Society of Petroleum Engineers of AIME Paper 4817, Dallas 1974
Weblinks
Einzelnachweise
Kybernetik
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Q177571
| 96.746985 |
971130
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bellingshausensee
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Bellingshausensee
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Die Bellingshausensee ist ein Randmeer des Südpolarmeers und liegt vor der English-, der Bryan- und der Eights-Küste des Ellsworthlands in Westantarktika. Es reicht von der Alexander-I.-Insel bei 57° 18′ W im Osten bis zur Thurston-Insel bei 102° 20′ W im Westen sowie der Peter-I.-Insel im Nordwesten. Nach der IHO-Abgrenzung ist das Kap Mascart am nördlichen Ende der Adelaide-Insel der nördlichste und östlichste Begrenzungspunkt der Bellingshausensee.
Geographie
Die Bellingshausensee erstreckt sich in westlicher Richtung bis zum Kap Flying Fish, dem nordwestlichen Extrempunkt der Thurston-Insel. Westlich schließt sich die Amundsensee an. 450 km von der antarktischen Küste entfernt liegt die Peter-I.-Insel. Im Osten liegt die größte Insel der Antarktis, die Alexander-I.-Insel. Die Bellingshausensee wurde nach dem in russischen Diensten stehenden deutsch-baltischen Seefahrer Fabian Gottlieb von Bellingshausen benannt, der sie 1821 erstmals befuhr.
Die Bellingshausensee erstreckt sich über eine Fläche von 600.000 km². Sie weist eine maximale Tiefe von 4094 Metern auf. Nach anderen Angaben ist das Meer 487.000 km² groß und maximal 4470 m tief.
Einzelnachweise
Weblinks
Australian Antarctic Data Centre: Bellingshausen Sea
Meer (Südlicher Ozean)
Fabian Gottlieb von Bellingshausen
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Q183455
| 163.063487 |
16114
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kondensation
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Kondensation
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Kondensation ist der Übergang eines Stoffes vom gasförmigen in den flüssigen Aggregatzustand. Das Produkt einer Kondensation wird als Kondensat bezeichnet. Kondensierte Materie bezeichnet hingegen allgemein Materie in flüssiger oder fester Form. Die bei der Kondensation herrschenden Werte für Druck und Temperatur kennzeichnen den Kondensationspunkt. Bei der Kondensation wird Energie vom Kondensat an die Umgebung abgegeben. Diese Kondensationsenthalpie hat den gleichen Betrag wie die Verdampfungsenthalpie.
Kondensation ist ein wichtiger Prozess im Zusammenhang mit dem Wetter. Wolken, Nebel, Tau und Raureif entstehen durch die Kondensation von Wasser aus der Luft. In Dampfkraftwerken wird Wasser erst verdampft und dann nach Durchgang durch die Turbine in einem Kondensator wieder in den flüssigen Aggregatzustand versetzt. Handelsübliche Kühlschränke nutzen einen Kreislauf aus Verdampfung und Kondensation zum Transport von Wärme.
Das Gegenteil der Kondensation ist das Verdampfen, Sieden oder Verdunsten. Den Übergang von festen Stoffen auf den gasförmigen Zustand nennt man Sublimation, sein Gegenteil Resublimation. Im physikalischen Sprachgebrauch wird der Begriff Kondensation allgemeiner verwendet, siehe z. B. Kondensierte Materie oder Bose-Einstein-Kondensat.
Thermodynamische Grundlagen
Je nach der Art des Nukleationsprozesses lassen sich zwei grundlegende Typen der Kondensation unterscheiden. Bedingung ist in jedem Fall, dass die Gasphase bezüglich des kondensierenden Bestandteils übersättigt ist. Vereinigen sich einzelne Gasteilchen bei ihrem Zusammentreffen innerhalb des Gases, so spricht man von einer homogenen Kondensation. Dazu ist es notwendig, dass sich ausreichend langsame Teilchen ohne Beteiligung von Grenzflächen zu größeren Strukturen zusammenfinden. Dieser Prozess ist nur bei einer hohen Übersättigung von in der Regel mehreren hundert Prozent möglich. Im Gegensatz dazu benötigt man bei der heterogenen Kondensation nur sehr geringe Übersättigungen von oft sogar unter einem Prozent. Diese Form der Kondensation erfolgt an bereits existierenden Oberflächen, also im Regelfall an in der Gasphase schwebenden festen Partikeln, den Kondensationskernen bzw. Aerosolteilchen. Diese fungieren in Bezug auf das jeweilige Gas als eine Art Teilchenfänger, wobei im Wesentlichen der Radius und die chemischen Eigenschaften des Partikels bestimmen, wie gut die Gasteilchen an ihm haften bleiben. Analog gilt dies auch für Oberflächen nicht partikulärer Körper, wobei man dann von einem Beschlag spricht.
Kondensationsprozesse der Atmosphäre
Der Kondensation kommt im Falle des Wassers der Erdatmosphäre zusammen mit der Verdunstung eine gesonderte Bedeutung zu, da der Phasenübergang zwischen Wasserdampf und flüssigem Wasser ein grundlegender Prozess des natürlichen Wasserkreislaufs sowie des Wetters überhaupt ist. Auf makrophysikalischer Ebene sind hier allein schon die Umsatzmengen enorm, da das atmosphärische Wasser mit rund 13·1015 kg eine mittlere Verweildauer von nur rund 10 Tagen besitzt, also auch innerhalb dieses Zeitraums im Wesentlichen über die Kondensation umgesetzt wird. Dabei ist die Kondensation der Grundprozess jeder Bildung von flüssigem Niederschlag aus Wasserdampf sowie der Nebel- und Wolkenbildung. Über die freiwerdende Kondensationsenthalpie (früher auch latente Wärme genannt) wird dabei auch der Wärmehaushalt der Erde entscheidend mitgeprägt.
Auf mikrophysikalischer Ebene sind die Kondensationsprozesse jedoch wie gezeigt sehr komplex und entziehen sich der exakten Vorhersagbarkeit. Dabei kommt es in der Atmosphäre praktisch ausschließlich zur heterogenen Nukleation, also in diesem Fall der Bildung von Wassertröpfchen aus der Luft heraus. Die hierfür notwendige Übersättigung der Luft muss nach den jeweils herrschenden Bedingungen unterschiedlich stark sein, um eine Kondensation hervorzurufen. Sie kann einerseits durch eine Erhöhung der absoluten Luftfeuchtigkeit im Zuge der Verdunstung bzw. Sublimation und andererseits durch eine Reduktion der Lufttemperatur erreicht werden. Dabei dominiert die Abkühlung, speziell die adiabatische, also eine Verminderung der maximalen Feuchte, die die Luft imstande ist aufzunehmen. Ist der Durchmesser der Aerosolteilchen über grob 1 μm groß, so reichen schon oft Übersättigungen von wenigen Zehntel Prozent aus. Weiterhin ist es bedeutend, ob die Oberfläche der Partikel hydrophile oder hydrophobe Eigenschaften aufweist, die die Anlagerung von Wasserdampfteilchen erleichtern bzw. erschweren. Ebenso bedeutsam ist selbstverständlich die Konzentration der Aerosolteilchen in der Gasphase.
Die meteorologische und klimatologische Aerosolforschung muss also eine ganze Palette von Einflussfaktoren berücksichtigen, wobei zusätzlich zu den schon betrachteten noch andere Faktoren wie das räumliche und zeitliche Auftreten der Aerosolpartikel hinzu kommen. All diese Faktoren müssen dabei miteinander in Bezug gesetzt werden, um zu einem richtigen Verständnis von Prozessen der Niederschlags- und Wolkenbildung zu kommen, die wiederum Einfluss auf den Wasser- und Strahlungshaushalt haben. Dies ist zwar auf qualitativer Ebene recht gut möglich, der quantitative Einfluss dieser Parameter vor allem auf globaler Ebene ist jedoch schwer zu ermitteln und bildet einen Unsicherheitsfaktor in allen Klimamodellen.
Technische Anwendungen
Dampfkraftwerk
In Dampfkraftwerken wird der Abdampf aus der Dampfturbine am Kondensator weiter abgekühlt und zu Wasser kondensiert. Dieses Wasser wird erneut als Speisewasser für den Dampferzeuger verwendet. Damit ergibt sich ein geschlossener Kreislauf.
Heizungsnetze
In Chemiefabriken ist die Kondensation von Wasserdampf eine wirtschaftlich bedeutende Größe, da die Energieversorgung für chemische Prozesse mit Wasserdampf erfolgt. Nach Abgabe der thermischen Energie liegt kondensiertes Wasser vor, das über Ringleitungen gesammelt wird. Dieses im Normalfall „reine“ Wasser wird nach Qualitätskontrollen und eventueller Aufbereitung wieder dem Dampferzeuger als sogenanntes Speisewasser zur Erzeugung von Dampf zugeführt. Durch eine solche Kondensatrückführung lassen sich massive Einsparungen erzielen.
Auch Heiznetze in Eisenbahnzügen oder Gebäuden verwend(et)en teilweise Nassdampf zum Wärmetransport. Die Heizkörpertemperatur stellt sich von selbst auf max. ca. 100 °C (Kondensationstemperatur des Wassers bei den verwendeten geringen Überdrücken) ein.
Rauchgaskondensation
Abgase aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe, biogener Materialien und Hausmüll enthalten hohe Anteile von Wasserdampf.
In modernen Feuerungsanlagen wird das Abgas in einem Kondensator abgekühlt. Dabei steht die Nutzung der latenten Wärme des Dampfanteils im Vordergrund. Das abgeschiedene Kondensat enthält neben dem Wasser weitere Begleitstoffe, deren Abgabe über das Abgas in die Atmosphäre durch die Rauchgaskondensation vermindert wird.
Kühlung
In Wintergärten können Überhitzung oder Zugluftprobleme durch ein sogenanntes „Hypotauscher“-System vermieden werden, bei dem die warme Luft im Wintergarten Wasser verdunstet und die aufgestiegene feuchte Luft an der höchsten Stelle des Wintergartens abgesaugt wird und durch Hypokausten-Rohre am kälteren Boden geleitet wird, worauf dort der Wasserdampf kondensiert und die freigesetzte Kondensationsenthalpie an den Boden abgegeben wird. Ähnlich funktionieren auch Klimaanlagen, die die Verdunstungswärme von Wasser nutzen.
Entfeuchtung
Zur Trocknung der Baufeuchte in Neubauten und zur Mauertrockenlegung und für Nassräume, in denen hohe Mengen an Wasserdampf anfallen (Schwimmbäder) werden oft Luftentfeuchter eingesetzt. Diese kondensieren den Wasserdampf aus eingesaugter Raumluft, die das Gerät verlassende getrocknete Luft kann dann wieder Feuchtigkeit aufnehmen. Ähnlich funktionieren Kondensationstrockner die zum Trocknen von Wäsche eingesetzt werden.
Abgasreinigung
In der Abgasreinigung werden Kondensationsverfahren insbesondere zur Abscheidung und Wiedergewinnung von Lösungsmitteln eingesetzt. Da diese häufig sehr niedrige Taupunkttemperaturen aufweisen, werden Kondensationskühler in der Regel als Vorabscheider vor einer weiteren Reinigungsstufe eingesetzt. Als alleinige Abscheidestufe sind Kondensationsverfahren zumeist nicht in der Lage, Emissionsgrenzwerte einzuhalten.
Tabakkonsum
In den Atemwegen bis hinein zu den Lungenbläschen von aktiven wie passiven Rauchern schlägt sich Kondensat von Tabakrauch nieder. Auch auf Fensterglas und Wänden und Möbeln, besonders anziehend wirkten Bildschirme von Röhren-Fernsehgeräten, da sie sich elektrisch aufluden.
Destillation
Destillation ist ein thermisches Trennverfahren. Man kann damit verdampfbare Flüssigkeiten mit verschiedenen Siedepunkten voneinander trennen, zum Beispiel Alkohol von Wasser.
Man bringt das Ausgangsgemisch (zum Beispiel Wein) zum Sieden; der entstehende Dampf wird in einem Kondensator durch Abkühlen wieder verflüssigt.
Die Bildung von Azeotropen steht der vollständigen Trennung von bestimmten Stoffpaarungen wie etwa Wasser und Alkohol alleine durch Destillation entgegen.
Nebelkondensation
Die Wassergewinnung durch Nebelkondensation mittels Nebelkollektoren (Fog Collectors) wird heute in vielen Ländern zur Wiederaufforstung durch Brand oder Wassermangel geschädigte Gebiete sowie zur Gewinnung von Trinkwasser genutzt.
Literatur
Frank Frössel: Schimmelpilze in Wohnungen. Baulino Verlag, Waldshut-Tiengen 2006, ISBN 3-938537-18-3.
Werner Riedel, Heribert Oberhaus, Frank Frössel, Wolfgang Haegele: Wärmedämm-Verbundsysteme. 2. Auflage. Baulino 2008, ISBN 978-3-938537-01-5.
Weblinks
Einzelnachweise
Thermodynamischer Prozess
Dampftechnik
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Q166583
| 262.527989 |
49272
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https://de.wikipedia.org/wiki/Landwirbeltiere
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Landwirbeltiere
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Als Landwirbeltiere oder Tetrapoda ( und ) bzw. Tetrapoden fasst man in der biologischen Systematik die Wirbeltiere zusammen, die vier Gliedmaßen (Extremitäten) haben. Zu diesen Vierfüßern gehören die Amphibien (Amphibia), die Sauropsiden (Sauropsida) – inklusive der Reptilien im klassischen Sinne (Reptilia, paraphyletisch) und der Vögel (Aves) – und die Säugetiere (Mammalia) einschließlich des Menschen. Heute zählen etwa 35.000 Tierarten zu den Tetrapoden.
Im Lauf der Evolution haben einige Gruppen der Landwirbeltiere auch Gewässer und den Luftraum als Lebensraum erobert. Aufgrund der Anpassung an diese Lebensräume sowie an spezielle Lebensweisen ist die Bezeichnung „Vierfüßer“ nicht immer streng wörtlich zu nehmen. So sind bei den Schlangen alle vier Beine sekundär wieder verloren gegangen. Bei den Vögeln und Fledertieren (und auch bei den ausgestorbenen Flugsauriern) haben sich die Vorderbeine zu jeweils verschieden gebauten Flügeln entwickelt. Während die Amphibien als „primitivste“ Tetrapoden als Larven im Wasser leben und erst als erwachsene Tiere an Land gehen, sind einige Vertreter der „höheren“ Landwirbeltiere (Amnioten) wieder zum Leben im Wasser zurückgekehrt, entweder teilweise (Robben, Pinguine) oder vollständig (Wale, Seekühe, einige Seeschlangen). Bei den Robben sind die Füße zu Flossen umgestaltet, ebenso die beiden Vorderfüße bei den Walen und Seekühen – die hinteren wurden zurückgebildet.
Merkmale
Für das Leben an Land sind eine Reihe von Anpassungen nötig. Die paarigen Flossen der Fische, Brust und Bauchflossen, werden zu Armen (Vorderbeinen) mit Händen (Vorderfüßen) bzw. Beinen (Hinterbeinen) mit Füßen (Hinterfüßen). Der prinzipielle Aufbau des Innenskeletts dieser Gliedmaßen aus Oberarm/-schenkel, Unterarm-/schenkel und Hand/Fuß ist durch die Abstammung von bestimmten fischartigen Fleischflossern (vgl. Rhipidistia) bereits gegeben. Neu sind Ellenbogen-/Kniegelenke, Hand-/Fußgelenke und bewegliche Finger/Zehen. Als „primitives“ Merkmal rezenter Landwirbeltiere gilt eine Finger-/Zehenanzahl von fünf. Frühe Landwirbeltiere hatten allerdings mehr als fünf Finger/Zehen, Acanthostega hatte acht Finger, Ichthyostega sieben Zehen und Tulerpeton sechs Finger. Bei einigen Gruppen der rezenten Landwirbeltiere, z. B. bei bestimmten Schwanzlurchen, Vögeln, Paarhufern und Unpaarhufern, wurde die Anzahl der Finger-/Zehen entweder im Zuge der Spezialisierung der Fortbewegung oder im Zuge einer allgemeinen Rückbildung der Gliedmaßen weiter reduziert.
Da der Körper außerhalb des Wassers deutlich weniger Auftrieb erfährt, muss das Skelett das Gewicht des Körpers tragen und Kompressions- und Dehnungsspannungen kompensieren, die durch Stehen und Gehen von den Gliedmaßen auf den Rumpf übertragen werden. Für die Stabilisierung des Rumpfes haben die Wirbel deshalb oft vergrößerte Kontaktflächen und verkürzte aber kräftige Dornfortsätze als Ansatz für kräftige Rückenmuskeln. So ergibt sich zusammen mit den Extremitätengürteln und Extremitäten eine hängebrückenartige Konstruktion. Das Becken ist dabei über das Kreuzbein fest mit der Wirbelsäule verwachsen, der Schultergürtel ist nur über Muskeln und Bänder mit der Wirbelsäule verbunden.
Nahezu alle ausgewachsenen Landwirbeltiere nehmen Sauerstoff mithilfe von Lungen aus der Luft auf, auch die sekundär zum obligaten Wasserleben zurückgekehrten † Ichthyosaurier, Wale und Seekühe.
Körperteile und Organe, die nur bei einem dauerhaften Leben im Wasser vonnutzen sind, sind zurückgebildet: unpaare Flossen, Kiemen, Branchiostegalapparat und Kiemendeckel (Operculum) sowie Seitenlinienorgan. Eine Ausnahme bezüglich der Präsenz von (allerdings freien, ungeschützten) Kiemen und eines Seitenlinienorgans bilden die primär wasserlebenden Larven der Lurche. Nur einige auch im ausgewachsenen Lebensstadium wasserlebenden Lurche, wie die Krallenfrösche oder der Axolotl, behalten ihr Seitenlinienorgan bzw. atmen zudem sogar zeitlebens durch Kiemen. Durch die Reduktion des Kiemendeckels ist der Schultergürtel nicht mehr fest mit dem Schädel verbunden. Im Ergebnis haben alle Landwirbeltiere einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Hals.
Für die Wahrnehmung von Luftschall haben Landwirbeltiere ein Mittelohr. Es entspricht der Spiraculartasche der fischartigen Fleischflosser und ist durch ein Trommelfell nach außen abgeschlossen. Die Vibrationen des durch Schallwellen in Schwingung versetzten Trommelfells werden durch ein Knochenstäbchen, die Columella, auf das Innenohr übertragen. Die Columella entspricht dem Hyomandibulare der fischartigen Fleischflosser, einem relativ großen Knochen, über den der Kieferapparat (einschließlich des Gaumens) im Bereich des Kiefergelenks beweglich am Hirnschädel aufgehängt war. Der Funktionswechsel des Hyomandibulare wurde ermöglicht durch die bei den Landwirbeltieren mehr oder weniger starre Verbindung zwischen Oberkiefer-Gaumen-Komplex und Hirnschädel, der wiederum durch die Reduktion des Kiemenapparates möglich wurde. Säugetiere besitzen neben der Columella (Stapes) zwei weitere Gehörknöchelchen, die aus Knochen des Unterkiefers hervorgegangen sind: Hammer (Malleus) und Amboss (Incus).
Entwicklungsgeschichte
Früher nahm man an, dass die Vorfahren der Landwirbeltiere heute als Fossilien erhaltene Quastenflosser waren, die im Ober-Devon auf vier gestielten, muskulösen, quastenartigen Flossen aus dem Wasser ans Ufer krochen, um sich über kurze Strecken an Land zu bewegen. Die Gewässer seien damals immer öfter ausgetrocknet und die Fische genötigt gewesen, sich aufs Land zu begeben, um neue Lebensräume zu erobern. Aus den auf diesen Landgängen benutzten Flossen hätten sich im Rahmen der Makroevolution dann die Beine der Amphibien entwickelt.
Neueren Erkenntnissen zufolge lebten die ersten systematisch zu den Landwirbeltieren gezählten Tiere, deren Nachfahren dann schließlich vor 365 Millionen Jahren das Land eroberten, noch im Wasser – ihre Beine entwickelten sich also dort. Die eigentlichen Vorfahren dieser Tiergruppe waren danach Verwandte der Lungenfische, die sich mit vier bereits beinähnlichen Gliedmaßen auf dem mit Wasserpflanzen bewachsenen Sumpfboden von Süßgewässern bewegten. Der rund 365 Millionen Jahre alte fischähnliche Panderichthys besitzt zum Beispiel Knochen, die seine enge Verwandtschaft mit den Landwirbeltieren verraten. Auch Acanthostega belegt, dass sich die vier Gliedmaßen der Landwirbeltiere bereits im Wasser entwickelten. Seine Vorder- und Hinterextremitäten sind so gebaut, dass die Knochen den schweren Körper auf dem Land nicht hätten tragen können. Zudem atmete Acanthostega noch über Kiemen und nicht über Lungen, war also eindeutig ein Wassertier, das sich mit vier Beinen im Wasser bewegte.
Systematik
Äußere Systematik
Phylogenetisch gehören die Landwirbeltiere zu den Fleischflossern (Sarcopterygii), einer Klasse der Knochenfische. In der traditionellen Systematik werden allerdings nur die Quastenflosser und die Lungenfische zu den Fleischflossern gezählt. Quastenflosser und Lungenfische sind phylogenetisch näher mit den Landwirbeltieren verwandt als mit den übrigen Knochenfischen.
Nach den tatsächlichen Abstammungsverhältnissen sind die Landwirbeltiere als Gruppe der Knochenfische anzusehen. Traditionell werden sie aber nicht zu den Knochenfischen gerechnet. Die Knochenfische im traditionellen Sinn – ohne Landwirbeltiere – sind eine paraphyletische Gruppe. Um die Unklarheit des Begriffs „Knochenfische“ zu vermeiden, wird in der Phylogenie oft der Ausdruck Knochenkiefermäuler (Osteognathostomata) benutzt, der die „Knochenfische“ und die Landwirbeltiere einschließt.
Wirbeltiere (Vertebrata)
Kiefermäuler (Gnathostomata)
Knochenkiefermäuler (Osteognathostomata)
Fleischflosser (Sarcopterygii)
Coelacanthimorpha
Quastenflosser (Coelacanthiformes)
Dipnotetrapodomorpha
Lungenfische (Dipnoi)
Tetrapodomorpha
† Eusthenopteron
† Panderichthys
† Tiktaalik
Landwirbeltiere (Tetrapoda)
Innere Systematik
Die Landwirbeltiere sind eine monophyletische Gruppe. Man unterscheidet traditionell vier Klassen (hier fett hervorgehoben). Die basalen Tetrapoda, die früher als Amphibien angesehen wurden, werden heute meistens im Sinne der Kladistik keiner der vier Klassen zugeordnet.
Kladogramm nach Benton 2007:
Landwirbeltiere (Tetrapoda)
† Ventastega
† Metaxygnathus
† Acanthostega
† Ichthyostega
† Tulerpeton
Kronengruppentetrapoda, alle Karbon und später
† Colosteidae
† Crassigyrinus
† Whatcheeriidae
† Baphetidae
† Temnospondyli / Batrachomorpha
Moderne Amphibien Position unsicher
unbenanntes Monophylum
† Lepospondyli
Reptiliomorpha
† Anthracosauria
Batrachosauria
† Seymouriamorpha
† Diadectomorpha
Amniota
Reptilien
Vögel
Synapsiden
Säugetiere
Quellen
Einzelnachweise
Literatur
Robert L. Carroll: Paläontologie und Evolution der Wirbeltiere. Thieme, Stuttgart 1993, ISBN 3-13-774401-6
Volker Storch, Ulrich Welsch: Systematische Zoologie. Fischer, 1997, ISBN 3-437-25160-0
Weblinks
Michel Laurin: Terrestrial Vertebrates The Tree of Life Web Project
Jennifer Clack: The Definition of the Taxon Tetrapoda The Tree of Life Web Project
Michel Laurin, Marc Girondot and Armand de Ricqlès: Early Tetrapod evolution, PDF
Marcello Ruta, Jonathan E. Jeffery, Michael I. Coates: A supertree of early tetrapods.
What's a „Tetrapod“? Palaeos.com
Introduction to the Tetrapoda University of California Museum of Paleontology
Getting a Leg Up on Land Scientific America
Devonian Times
Fische auf dem Trockenen
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Q19159
| 461.620336 |
2218
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https://de.wikipedia.org/wiki/Saat-Hafer
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Saat-Hafer
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Saat-Hafer oder Echter Hafer (Avena sativa) ist eine Pflanzenart aus der Gattung Hafer (Avena) innerhalb der Familie der Süßgräser (Poaceae). Sie wird als Getreide genutzt.
Beschreibung
Vegetative Merkmale
Saat-Hafer ist eine einjährige krautige Pflanze, die Wuchshöhen von 0,6 bis 1,5 Meter erreicht. Die Halme sind aufrecht oder gekniet-aufsteigend, glatt und kahl und haben 4 bis 8 Knoten. Die Ligula ist eine 3 bis 5 Millimeter langer häutiger Saum. Die Blattspreiten sind 5 bis 15 (bis 20) Millimeter breit und werden bis 45 Zentimeter lang.
Generative Merkmale
Dieses Rispengras hat einen 15 bis 30 Zentimeter lange, allseitswendige rispigen Blütenstand, der zum Teil wiederum verzweigte Rispen trägt, die sich sanft nach unten neigen. Am oberen Ende tragen die Rispen Ährchen mit zwei bis drei Blüten, von denen meist nur zwei fruchtbar sind. Die Ährchenachse zerfällt bei der Reife nicht. Die Ährchen sind anfangs aufrecht, später überhängend. Die Hüllspelzen sind bei einer Länge von 20 bis 30 Millimetern untereinander fast gleich, sieben- bis neunnervig, lanzettlich, dünnhäutig mit breiten weißlich durchsichtigen Rändern. Die Deckspelzen sind siebennervig, 12 bis 24 Millimeter lang, am oberen Ende eingekerbt mit zwei kurzen, spitzen Seitenlappen und auf dem Rücken in der Mitte begrannt oder unbegrannt. Die Vorspelzen sind 10 bis 20 Millimeter lang und auf den Kielen kurz und dicht bewimpert. Die Staubblätter sind 2,5 bis 4 Millimeter lang. Die spindelförmigen Körner sind bei der Reife mit der kurzbegrannten Deckspelze und der Vorspelze fest verwachsen. Die Spelzen umgeben das eigentliche Korn.
Die Chromosomenzahl beträgt 2n = 42.
Ökologie
Der Saat-Hafer ist überwiegend einjährig und meist eine Sommerfrucht (wird also im Frühjahr gesät – Winterhafer wird selten angebaut). Wie bei allen Getreide-Arten richten sich aufgrund von Sturm usw. niederliegende Halme durch ihr unterseits stärkeres Wachstum wieder auf. Der Wachstumsvorgang wird negativ gravitrop eingeleitet, also durch die Erdanziehung ausgelöst.
Blütenbiologisch handelt es sich um den „Langstaubfädigen Typ“ mit Windbestäubung. Die homogamen, selbstfertilen Blüten öffnen sich erst nachmittags, bei Trockenheit in Anpassung an das Steppenklima sogar erst ab 18 Uhr. Bei nasser Witterung bleiben die Blüten geschlossen, also kleistogam und es erfolgt Selbstbestäubung.
Beim Saat-Hafer zerfallen die meist zwei- bis dreiblütigen Ährchen zur Reife nicht. Bei den oberen Blüten oder evtl. auch bei allen Blüten fehlen die Grannen. Bei den Wildhafer-Arten ist die Ausbreitungseinheit (Diaspore) die von den haften bleibenden Spelzen umgebene Karyopse. Wegen der Luft zwischen den Spelzen sind diese spindelförmigen Gebilde von geringerer Dichte. Es gibt für sie viele Ausbreitungsmöglichkeiten: Die Früchte können durch den Wind (beispielsweise als Bodenroller) ausgebreitet werden, oder als Regenschwemmlinge, oder mittels der hygroskopischen Grannen als Klettfrüchte. Die Haare der Grannen bewirken, dass die Körner sogar hüpfende Bewegungen ausführen können, was eine Selbstausbreitung als Bodenkriecher ermöglicht. Die Früchte können sich außerdem im Tierfell oder im Boden einbohren; solche Bohrfrüchte sind gleichzeitig ausbreitungshemmende Gebilde, wie sie für Trockengebiete typisch sind. Daneben sind eine Bearbeitungsausbreitung und eine solche als Wasserhafter möglich. Fruchtreife ist von August bis Oktober.
Vorkommen und Anbau
Der Hafer soll ursprünglich im Irak und Iran vorkommen. Sonst wird er weltweit angebaut. Hafer gedeiht am besten bei gemäßigtes Klima mit hohen Niederschlägen. Er wird in den Mittelgebirgen, im Alpenvorland und in den Küstenregionen angebaut. In den Alpen wird er bis zu einer Höhenlage von 1700 Metern angebaut. Seine Ansprüche an den Boden sind gering. Hafer wird als Sommergetreide angebaut und ab Mitte August geerntet. Unter den Getreidearten gilt Hafer als „Gesundungsfrucht“, da sich viele Getreideschädlinge in ihm nicht vermehren.
Die ökologischen Zeigerwerte nach Landolt et al. 2010 sind in der Schweiz: Feuchtezahl F = 2+ (frisch), Lichtzahl L = 4 (hell), Reaktionszahl R = 3 (schwach sauer bis neutral), Temperaturzahl T = 4 (kollin), Nährstoffzahl N = 4 (nährstoffreich), Kontinentalitätszahl K = 2 (subozeanisch).
Systematik
Die Erstveröffentlichung von Avena sativa erfolgte durch Carl von Linné.
Bei Avena sativa gibt es je nach Autor mehrere Unterarten:
Chinesischer Nackthafer (Avena sativa subsp. chinensis ): Er wird in Asien, in Mitteleuropa nur selten angebaut.
Avena sativa subsp. macrantha : Sie kommt beispielsweise in der Türkei und in Aserbaidschan vor.
Avena sativa subsp. orientalis
Avena sativa subsp. sativa: Die meist kultivierte Unterart.
In Haferfeldern können immer wieder Hafer-Exemplare gefunden werden, die wie der Saat-Hafer aussehen, deren Ährchenachse aber wie beim Flug-Hafer (Avena fatua) zerfällt und nicht erhalten bleibt wie beim Saat-Hafer. Solche Exemplare nennt man Fatuoide. Sie entstehen durch spontane Mutationen oder auch durch Hybridisierung.
Nutzung
In Deutschland wird heute der Großteil der Ernte als Tierfutter verwendet. Hafer wird aufgrund von veränderten Konsumgewohnheiten auch wieder vermehrt in der menschlichen Ernährung verwendet. Die veränderten Konsumgewohnheiten mit der Ausrichtung auf menschliche Ernährung rückt den Fokus wieder auf Mykotoxinbelastungen im Ernteprodukt. Beispielsweise Mutterkorn mit seinen hochgradig giftigen und schwangerschaftsgefährdenden Toxinen muss wieder vermehrt beachtet werden, ist jedoch keine typische Erscheinung bei Hafer.
Produkte des Hafers sind Stroh, Hafergrütze, Haferflocken, Haferkleie, Hafermilch, Hafermehl (regional und älter auch „Habermehl“ genannt), „Cerealien“ mit Hafer, verschiedene Extrakte für die Medizin und Furfural, eine Chemikalie, die aus den Spelzen gewonnen wird.
Ernährungsphysiologisch ist Hafer die hochwertigste Getreideart, die in Mitteleuropa angebaut wird. Die Haferkörner werden lediglich entspelzt, d. h. die äußere für den Menschen unverdauliche Hülle wird entfernt. Der übrigbleibende Haferkern wird nicht geschält, d. h. die äußeren Randschichten, Frucht- und Samenschale, sowie der Keimling bleiben erhalten. Es handelt sich also um ein Vollkornprodukt. In diesen Bestandteilen des Haferkerns stecken Vitamine, Mineralstoffe und Ballaststoffe. Es gibt eine Vielfalt an Erzeugnissen aus Hafer für die menschliche Ernährung: von Hafergrütze über Haferflocken und Haferspeisekleie bis hin zu Hafermehl, Cerealien und Getränken. Hafermehl kann infolge des geringen Kleberanteils (Gluten) nur eingeschränkt zur Herstellung von Brot verwendet werden, ist jedoch für die glutenfreie Ernährung bei Zöliakie bedingt geeignet. Ein Haferanteil von 20 bis 30 Prozent im Brot ist möglich. In einigen Regionen wird aus Hafer Whiskey hergestellt. Im Mittelalter war Haferbier ein beliebtes Getränk. Als Futtermittel wird Hafer an Pferde, Rinder oder Geflügel verfüttert. Der hohe Rohfaseranteil macht die Körner als Schweinefutter ungeeignet.
Wirtschaftliche Bedeutung
Die größten Haferproduzenten
2021 wurden laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO weltweit 22.571.619 t Hafer geerntet.
Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die zehn größten Produzenten von Hafer weltweit, die insgesamt 69,5 % der Erntemenge produzierten.
Siehe auch:
Liste der größten Getreideproduzenten
Die größten Weizenproduzenten
Die größten Gersteproduzenten
Die größten Reisproduzenten
Die größten Maisproduzenten
Die größten Roggenproduzenten
Anbaufläche
Die gesamte Anbaufläche für Hafer weltweit betrug 2020 etwa 9,4 Mio. Hektar, davon in Deutschland 126.300, in Österreich 20.600 und in der Schweiz 1.713 Hektar.
Im Jahre 2020 lag der durchschnittliche Hektar-Ertrag weltweit bei 24,5 dt/ha, in Deutschland bei 41,1 dt/ha.
Handel
Im Jahr 2020 war Kanada der größte Exporteur von Hafer. Die Menge betrug 1.778.853 t, was etwa 55 % der Gesamtexportmenge weltweit ausmachte. An zweiter Stelle folgte Finnland mit 365.827 t und an dritter Stelle Schweden mit 135.097 t. Weitere wichtige europäische Exporteure sind Frankreich, Großbritannien und Polen.
Durchschnittliche Zusammensetzung
Die Zusammensetzung von Hafer schwankt naturgemäß, sowohl in Abhängigkeit von der Hafersorte und den Umweltbedingungen (Boden, Klima) als auch von der Anbautechnik (Düngung, Pflanzenschutz).
Angaben je 100 g essbarem Anteil, entspelzt, ganzes Korn (1 mg = 1000 µg):
Der physiologische Brennwert beträgt 1409 kJ (= 336 kcal) je 100 g essbarem Anteil.
Weiterhin enthalten sind Phytosterine, Alkaloide, Avenanthramide (sekundäre Pflanzenstoffe), Kieselsäure und Linolsäure. Von allen gängigen Getreidearten enthält er den höchsten Mineralstoff- und Fettgehalt. Der hohe Eisengehalt ist vergleichbar mit vielen Fleischsorten. Zu erwähnen ist auch der mit rund 4,5 Prozent hohe Gehalt an β-Glucan, einem löslichen Ballaststoff, mit dem eine Senkung des Cholesterinspiegels erzielt werden kann.
Verarbeitung
Die Haferkörner sind fest von den Spelzen umschlossen. Durch den Drusch lassen sie sich nicht voneinander trennen. Soll Hafer zur menschlichen Ernährung verwendet werden, so werden nach dem Reinigen und Sieben der Haferkörner zunächst die Spelzen in einer Schälmühle mit einem „Prallschäler“ entfernt und mit einem „Steigsichter“ abgetrennt. Anschließend werden die verbleibenden Haferkerne gedarrt, wodurch die fettspaltenden Enzyme im Hafer deaktiviert werden. Dies verhindert das Ranzigwerden von Haferprodukten aufgrund des relativ hohen Fettgehaltes von etwa sieben Prozent und verlängert so die Haltbarkeit. Während der Darre wird die Haferstärke teilweise aufgeschlossen und die Haferprodukte werden dadurch bekömmlicher und besser verdaubar. In der Darre bildet sich auch ein typisches nussartiges Aroma heraus. Anschließend werden die Haferkerne durch Dämpfen und Trocknen auf die weitere Verarbeitung vorbereitet.
Es existieren unterschiedliche Hafererzeugnisse. Haferflocken gibt es in drei Varianten: Die kernigen Haferflocken oder Großblattflocken werden aus den ganzen Kernen gewalzt. Für zarte Haferflocken oder Kleinblattflocken werden die Haferkerne zunächst in kleine Stücke – die sogenannte Grütze – geschnitten. Die kleinen Stücke werden dann zu zarten Flocken gewalzt. Aber auch die Grütze wird als eigenständiges Produkt verkauft. Haferflocken werden in nahezu jeder verzehrfertigen Müslimischung, in Knuspermüslis sowie in Hafermüslis eingesetzt. Darüber hinaus gibt es lösliche Haferflocken, die über ein besonderes Verfahren aus Hafermehl hergestellt werden.
Hafermehl entsteht, wenn die Grütze wie bei einer klassischen Getreidemühle fein gemahlen wird. Haferkleie besteht größtenteils aus den Randschichten und dem Keimling des Haferkorns und wird als Grieß oder als lösliche Flocken angeboten. Haferkleie-Grieß sind die gröberen Teile, die bleiben, wenn Randschichten und Keimling des Korns grob gemahlen und gesiebt werden. Lösliche Haferkleie-Flocken werden in einem speziellen Prozess aus gemahlenem Haferkleie-Grieß hergestellt.
Hafercerealien sind weiterverarbeitete Produkte aus Hafer, die in unterschiedlichen Herstellungsverfahren entstehen: Für extrudierte Cerealienprodukte wird ein wasserhaltiger Teig aus Hafervollkornmehl und weiteren Zutaten unter Druck in eine Verdichtungsschnecke („Extruder“, vergleichbar mit einem Fleischwolf) gepresst. Beim Pressen kann der Teig durch Einsatz von Matrizen unterschiedlich geformt werden. Beim Austritt verdampft das Wasser, das Produkt verfestigt sich. So erhält man haltbare, knusprige Produkte in verschiedenen Formen. Für gepuffte Cerealienprodukte werden ganze Haferkörner Dampf und Druck ausgesetzt. Durch plötzlichen Druckabfall verdampft das enthaltene Wasser und die Stärke wandelt sich um. Die Körner blähen sich auf und erstarren.
„Hafermilch“ wird aus gereinigtem und entspelztem Hafer hergestellt. Da pflanzliche Milch in der EU nicht mit der Bezeichnung Milch in Verkehr gebracht werden darf, sind Umschreibungen wie Hafergetränk oder Haferdrink gängig.
Bei der Verwendung als Futtergetreide können die Spelzen am Korn bleiben.
Neben den bespelzten Hafersorten gibt es auch „Nackthafer“, er verliert beim Dreschen seine Spelzen. Seine Erträge sind jedoch geringer.
Gesundheitliche Bedeutung
Aufgrund der vielfältigen Anwendungen und Wirkung wurde der Saat-Hafer von einer Arbeitsgruppe der Universität Würzburg zur Arzneipflanze des Jahres 2017 gewählt.
Hervorzuheben sind folgende Nährstoffe:
der zehnprozentige Ballaststoffanteil, u. a. mit Beta-Glucanen
die Qualität der Kohlenhydrate
die Eiweißzusammensetzung
die ungesättigten Fettsäuren (75 Prozent des Gesamtfettanteiles)
bestimmte Vitamine und Mineralstoffe
Verdauung
Beta-Glucane (z. B. Cellulose und Lichenin, spezifische Polysaccharide der Zellwand aller Süßgräser und Getreide) sind die Schlüsselsubstanzen der ernährungsphysiologischen Wirkungen des Hafers. Diese Ballaststoffe kommen im Haferkorn überwiegend in der äußeren Schicht des Mehlkörpers, der Subaleuronschicht, vor. Beta-Glucane machen knapp die Hälfte des Gesamtballaststoffgehaltes im Hafer aus. 100 Gramm Haferflocken enthalten etwa 4,5 Gramm Beta-Glucane. Aufgrund des höheren Gesamtballaststoffanteils liegt der Beta-Glucan-Gehalt in Haferkleie mit 8,1 Gramm pro 100 Gramm höher.
Die chemisch-physikalischen Eigenschaften der Hafer-Beta-Glucane führen zu einer Reihe von physiologischen Wirkungen auf den Verdauungstrakt sowie den Stoffwechsel. Im Vordergrund stehen positive Effekte auf den Cholesterin- und den Blutzuckerspiegel. Die Fähigkeit der Hafer-Beta-Glucane, Gallensäuren zu binden, führt zur Ausscheidung von Cholesterin, was zur Senkung des Gesamt- sowie LDL-Cholesterinspiegels führt. Damit können die Blutgefäße vor schädlichen Ablagerungen geschützt werden. Hafer-Beta-Glucane bilden im Magen und Dünndarm eine zähflüssige Konsistenz, die eine verlangsamte Resorption der Nährstoffe aus der gelartigen Masse zur Folge hat. Dies führt zu einem weniger starken und zeitverzögerten Anstieg des Blutglucosespiegels. Wissenschaftliche Studien lassen den Schluss zu, dass ein hoher Verzehr an Ballaststoffen u. a. das Risiko für Bluthochdruck, Fettstoffwechselstörungen und die koronare Herzkrankheit reduzieren kann.
Weitere Wirkungen des Beta-Glucans sind die positiven Effekte auf die Verdauungsfunktion. Die viskose Substanz aus den löslichen Ballaststoffen schützt die Darmwand vor äußeren Reizen und beruhigt den empfindlichen Magen. Die unlöslichen Ballaststoffe wirken regulierend auf die Verdauungstätigkeit.
Hafer ist ein beliebtes Lebensmittel in der Säuglings- und Kleinkindernährung. Auch bei gastrointestinalen Beschwerden wird Hafer eingesetzt. Die besondere Bekömmlichkeit und leichte Verdaulichkeit von Hafereiweiß und -fett spielen hierbei eine große Rolle.
Diabetes
Im Rahmen der Diabetestherapie und Diabetikerernährung spielen der verzögerte Anstieg des Blutzuckerspiegels und die damit geringere Insulinausschüttung eine wichtige Rolle. Daher sollten bei kohlenhydrathaltigen Lebensmitteln Produkte mit einem niedrigen glykämischen Index und vor allem Vollkornprodukte, wie z. B. Haferflocken oder Haferspeisekleie, ausgewählt werden.
Mediziner, Diabetologen und Diabetesberater wenden zum Teil die sogenannten „Hafertage“ an. Dabei handelt es sich um eine spezielle haferbetonte Kost, die über zwei bis maximal drei Tage eingenommen wird. Sie stellt eine besondere und sehr intensive Form der diätetischen Intervention in der Behandlung der Insulinresistenz bei Diabetes mellitus Typ 2 dar. Ziel ist es, mit einer einfachen Methode Blutzuckerwerte zu verbessern, die Insulinresistenz zu verringern und somit die Insulinsensitivität zu erhöhen. Dadurch wird weniger Insulin für die Verarbeitung der Glucose benötigt. Wissenschaftliche Studien und Erfahrungen aus der Praxis bestätigen die Reduzierung der Insulinzufuhr nach dieser Anwendung.
Allergie und Zöliakie
Für viele Allergiker und Betroffene von Zöliakie sowie chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (Morbus Crohn, Colitis ulcerosa, Reizdarmsyndrom, Kurzdarmsyndrom) ist nur Gliadin, nicht aber zugleich auch jedes andere Gluten unverträglich. Die in dieser Weise Betroffenen müssen deshalb zwar die klassischen Getreide (Weizen, Triticale, Roggen und ihre botanischen Vorläufer) meiden, können aber Hafer und Haferprodukte je nach Empfindlichkeit gegebenenfalls vertragen. Es muss hier aber sichergestellt sein, dass der Hafer beim lebensmitteltechnologischen Behandlungsprozess nicht mit Weizenmehl usw. vermischt wurde.
Im Jahre 2004 wurden Ergebnisse einer klinischen Studie an Kindern, die an Zöliakie litten, veröffentlicht. Diese hatten über ein Jahr entweder eine glutenfreie Diät oder eine glutenfreie Diät mit täglich 25–50 g Hafer erhalten. Hierbei wurde festgestellt, dass kleine Mengen Hafer in der glutenfreien Diät weder die Heilung der Dünndarmschleimhaut noch die Regulation des Abwehrsystems verhindern. Einige Länder (z. B. Kanada, Schweden) haben den Konsum von glutenfreiem Hafer bis zu einer täglichen Menge von 50 g freigegeben. Andere Studien wiederum ergaben, dass eine geringe Zahl an Zöliakiebetroffenen auf glutenfreien Hafer negativ reagiert. Daher rät die Deutsche Zöliakie-Gesellschaft Betroffenen vom Verzehr von Hafer ab.
Die Verwendung des Haferkrautes und des Haferstrohs in der Naturheilkunde
In der mittelalterlichen Medizin wurden und in Naturheilkunde werden das grüne Haferkraut (Herba avenae) und das Haferstroh (Stramentum avenae, auch „Haberstroh“) verwendet. Stramentum avenae wird vor allem für Haferstrohbäder verwendet. Diese sollen bei Hautverletzungen helfen und Juckreiz stillen. Das Haferkraut wird als Tee verwendet. Zu den volkstümlichen Anwendungsgebieten zählen nervöse Einschlafstörungen, Harngrieß und rheumatische Erkrankungen. Manche Medikamente gegen nervöse Unruhe enthalten Haferextrakte.
Für die in Avena sativa enthaltenen Avenanthramide konnten im Versuch reizmildernde, entzündungshemmende und juckreizstillende Effekte beschrieben werden.
Einige Kosmetikartikel enthalten Hafer zur Beruhigung trockener und gereizter Haut, auch Haarpflegeprodukte zur Stärkung der Haarstruktur sind auf dem Markt.
Rechtliche Bestimmungen
Die EU-Verordnung zu nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben sieht vor, dass verzehrsfertige Lebensmittel, die mindestens ein Gramm Hafer-Beta-Glucan pro Verzehrportion enthalten, mit dem cholesterinsenkenden Effekt ausgelobt werden dürfen. Dazu müssen sie den Hinweis tragen, dass insgesamt drei Gramm Hafer-Beta-Glucan pro Tag erforderlich sind. Mit vier Esslöffeln Haferkleie (40 Gramm) sind 3,2 Gramm Beta-Glucan erreicht. Mit Health-Claims-Verordnung (zu Deutsch etwa „Gesundheitsbehauptungen-Verordnung“) wird die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel bezeichnet. Hierin und in der Liste für nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben sind 222 davon in der „Artikel-13-Liste“ festgelegt und veröffentlicht worden. Es ist festgelegt, welche Gesundheitsbehauptungen in der Werbung und auf Fertigpackungen verwendet werden dürfen.
Mögliche Health-claims könnten sein:
Trivialnamen
Als weitere deutschsprachige Trivialnamen für den Hafer als Pflanze bzw. für deren Same werden bzw. wurden, zum Teil nur regional, auch die nachfolgenden Bezeichnungen verwandt:
In Kärnten ist für die Unterart Avena sativa var. orientalis der Name Fahnenhafer überliefert. Für die Unterart Avena sativa var. vulgaris sind die Trivialnamen Biven/Biwen (Ostfriesland), Evena/Evina (mittelhochdeutsch), Flöder (Graubünden), Habaro/Haberr/Habir (althochdeutsch), Habbern/Haberen/Hafern/Haffern (mittelhochdeutsch), Haber (mittelhochdeutsch; Schweiz, Österreich, Süddeutschland), Haffer (Frankfurt), Haowr´r (Altmark), Havern (mittelniederdeutsch), Hawer/Hawerkorn (Mecklenburg, Waldeck, Unterweser), Heberin/Hebrein Brod (mittelhochdeutsch), Huever (Siebenbürgen), Hyllmann (Schwaben), Koorn (Münsterland) und Rispenhafer.
Geschichte
Wild-Hafer wurde als Ackerunkraut nach Mitteleuropa eingeschleppt. Besonders bei frühen Funden ist die Trennung von wildem und domestizierten Hafer nicht immer einfach. Werden nur einzelne Körner gefunden, kann es sich um eine spätere Verunreinig handeln.
Um etwa 5000 v. Chr. sind die ältesten Nutzungsnachweise von Hafer in Polen und der nördlichen Schwarzmeerregion zu finden. In den vorgeschichtlichen Getreidefunden taucht Hafer nie in Reinform, sondern immer als Beimengung auf. Dies lässt den Schluss zu, dass Hafer zunächst als Beigras auf Gersten- und Weizenfeldern wuchs. Er wird daher zu den sekundären Kulturpflanzen gezählt. Die ersten Nutzungsbelege in Mitteleuropa stammen von 2400 v. Chr. Der früheste Nachweis für Haferanbau stammt aus bronzezeitlichen Pfahlbausiedlungen in der Schweiz.
Im nördlichen Mitteleuropa war Hafer zu Beginn der Eisenzeit noch seltener als Gerste und Weizen.
Auch die Germanen schätzten den Hafer. Bis ins Mittelalter war der Haferanbau auf das Gebiet nördlich des Mains beschränkt. Ab dem Hochmittelalter ist Hafer in Mittelgebirgslagen eine bedeutende Feldfrucht, die erst durch die Einführung der Kartoffel ihre Stellung verlor. Die Bedeutung des Hafers wird auch darin deutlich, dass er in deutschen Familiennamen vorkommt, z. B. Haferkamp (= Hafer-Feld).
Bis in die Neuzeit wurde Hafer in klimatisch wenig günstigen Gegenden Deutschlands häufig angebaut, da er bei ungünstigen Witterungsbedingungen (Staunässe, Trockenheit, mangelnde Bodenqualität) und schlechter Nährstoffversorgung stabilere Erträge liefert als zum Beispiel Sommergerste. Noch 1939 rangierte Hafer in der weltweiten Bedeutung nach Weizen und Mais an dritter Stelle der Getreidearten. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist der Anbau zurückgegangen, zum Teil wegen der Motorisierung, die Zugpferde (als Haferkonsumenten) mehr und mehr überflüssig machte und damit die Nachfrage senkte. In Deutschland war Hafer bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts nach Roggen die wichtigste Getreideart. Heute ist der Haferanbau in Deutschland gegenüber den anderen Getreidearten von untergeordneter Bedeutung. In den letzten Jahrzehnten nahm die Produktion wieder zu, da der Pferdesport an Popularität gewonnen hat.
Quellen
Antike – Spätantike: Theophrast 4. Jh. v. Chr. --- Dioskurides 1. Jh. --- Plinius 1. Jh. --- Galen 2. Jh.
Arabisches Mittelalter: Ibn al-Baitar 13. Jh.
Lateinisches Mittelalter: Hildegard von Bingen 12. Jh. --- Guy de Chauliac 1363 --- Cpg 226 1456–1469 --- Cpg 666 1478 --- Gart der Gesundheit 1485 --- Hortus sanitatis 1491
Neuzeit: Otto Brunfels 1537 --- Hieronymus Bock 1539 --- Leonhart Fuchs 1543 --- Mattioli / Handsch / Camerarius 1586 --- Nicolas Lémery 1699/1721 --- William Cullen 1789/90 --- Jean-Louis Alibert 1805/05 --- Hecker 1814/15 --- Philipp Lorenz Geiger 1830 --- Pereira / Buchheim 1846/48 --- Bentley / Henry Trimen 1880 --- Berta Brupbacher-Bircher 1927/32 --- Wolfgang Schneider 1974
Historische Abbildungen
Literatur
Weblinks
Thomas Meyer: Datenblatt mit Bestimmungsschlüssel und Fotos bei Flora-de: Flora von Deutschland (alter Name der Webseite: Blumen in Schwaben).
Arzneipflanze des Jahres 2017: Echter Hafer – Avena sativa. in Welterbe Klostermedizin, 25. Oktober 2016.
Einzelnachweise
Hafer
Hafer
Getreideart
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Q12104
| 115.648379 |
3399
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https://de.wikipedia.org/wiki/Monopol
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Monopol
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Als Monopol (von ; von mit derselben Bedeutung) wird in den Wirtschaftswissenschaften und in der Wirtschaft eine Marktform bezeichnet, bei welcher nur ein Anbieter vorhanden ist.
Allgemeines
Bedeutungsgleich ist das reine Monopol von Marktformen zu unterscheiden, in denen beispielsweise nur in einem kleineren Teilbereich Monopolstrukturen vorherrschen (wie im Fall monopolistischer Konkurrenz, siehe auch unten der Abschnitt Quasi-Monopol).
Mitunter wird auch, entgegen der etymologischen Bedeutung (pōlein „verkaufen“) sowie der in diesem Artikel zugrunde gelegten Definition eine Marktsituation als Monopol bezeichnet, in der nur ein Nachfrager auftritt. Diese Form ist ein Nachfragemonopol in Abgrenzung vom oben skizzierten Angebotsmonopol. Üblich ist für das Nachfragemonopol jedoch die (auch etymologisch stimmige) Bezeichnung Monopson.
Der Begriff Monopol wird abseits der Wirtschaft mitunter gesellschaftlich und politisch gebraucht, etwa für das Gewaltmonopol des Staates oder das Informationsmonopol.
Marktteilnehmer auf einem beliebigen Markt (Gütermarkt, Finanzmarkt) sind die Anbieter und Nachfrager. Die Marktformen lassen sich hierbei auch danach unterscheiden, wie viele Anbieter oder Nachfrager vorhanden sind. Danach gibt es:
Der einzige Anbieter wird „Monopolist“ genannt.
Erklärungsansätze für Monopole
Die Entstehung eines Monopols fängt streng genommen dort an, wo zum ersten Mal der Wettbewerbsgedanke entspringt. Der eine möchte besser sein als der andere, so die Devise. Folglich wird versucht, die eigene Position durch Setzen differenzierter Parameter (Preis, Menge, Werbung) zu verbessern, um einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil bis hin zur Idealvorstellung der Marktmacht zu realisieren. Hierzu lassen sich verschiedene theoretische Ansätze aufstellen, die die Kernfrage, wo genau Monopole entstehen, versuchen zu beantworten. Eine erste Vermutung lässt sich im späten Mittelalter finden (12. bis 15. Jahrhundert), in dem Waren auf dem Markt gehandelt wurden und versucht wurde, die Produkte (Fisch, Obst, Gemüse) schneller als die Konkurrenz zu verkaufen. Es könnte aber auch eventuell durch die ersten entstandenen Manufakturen gegen Ende des 17. Jahrhunderts zur Barockzeit sein. Oder ist es vielmehr der Industrialisierung geschuldet, in der der Gedanke der Effizienz, Wohlstand und Produktivitätsfortschritt eine entscheidende Rolle gespielt hat.
Einen weiteren möglichen Ansatz beschreibt Pierenkemper. Er beschreibt die Wirtschaftsgeschichte und fängt dabei in der Neuzeit an (seit 1500). Durch die immer weiter voranschreitende Industrialisierung im 19. Jahrhundert, geprägt von Schumpeter und seinem Schöpferischen Prozess der Zerstörung, beschäftigt er sich mit der Entstehung des Industrialisierungsprozesses und dessen Wachstum. Dabei unterscheidet er zwischen fünf Entwicklungsstadien (siehe: Wirtschaftsstil).
In der 4. Phase der Entwicklungsstadien, der Reifephase, ist es möglich die neueste Technik zu benutzen und damit die Ressourcen optimal einzusetzen. Es entstehen ganz neue Berufszweige und Unternehmen schließen sich erstmals zu Monopolen, Trusts und Kartellen zusammen. Durch diese Monopolgründung oder monopolartige Stellung, können Kosten minimiert (subadditive Kostenstrukturen eines einzelnen Unternehmens), andere Mitstreiter aus dem Markt verdrängt werden bzw. es ihnen schwer macht, sich überhaupt auf dem herrschenden Markt zu etablieren.
Begriffsabgrenzung
Abgrenzung von strukturverwandten Marktsituationen
Bilaterales Monopol Bei einem bilateralen Monopol stehen sich ein Anbieter und ein Nachfrager gegenüber.
Oligopol Wenn es nur wenige Marktteilnehmer auf der Anbieterseite und viele Marktteilnehmer auf der Nachfragerseite gibt, spricht man von einem Oligopol.
Duopol Treten zwei Marktteilnehmer auf, handelt es sich um ein Duopol.
Polypol Das Gegenstück zum Monopol ist das Polypol. Bei einem Polypol handelt es sich um einen Markt, in dem viele Nachfrager und viele Anbieter sich gegenüber stehen.
Sonderformen des Monopols
Das Staatsmonopol; hier tritt der Staat als alleiniger Anbieter eines Gutes auf.
Das Teilmonopol; hier gibt es einen großen Anbieter und viele kleine Anbieter denen viele Nachfrager gegenüber stehen. Abhängig vom jeweiligen Kontext wird der Begriff Monopol häufig für eine Marktsituation mit unvollständiger Konkurrenz angewandt, bei dieser der große Anbieter aufgrund von deutlichen Wettbewerbsvorteilen bzw. Marktanteilen eine so marktbeherrschende Stellung einnimmt, dass er in der Preisbildung weitestgehend unabhängig vom Wettbewerb ist. Hingegen im Oligopol sind die Anbieter entsprechend ihrem Marktanteil in etwa gleichgewichtet.
Das Quasi-Monopol, geprägt von Erich Preiser, bezeichnet eine Marktsituation in der es wenige Anbieter und viele Nachfrager gibt. Diese Marktsituation ähnelt zunächst der Marktform des Oligopols. Allerdings schließen sich die wenigen Anbieter zu Kartellen oder Trusts zusammen und es entsteht das Quasi-Monopol. Die Anbieter konkurrieren zwar noch untereinander, bilden aber dennoch einen einheitlichen Preis, den sie durch die monopolartige Stellung festlegen können. Dieses Phänomen lässt sich so auf dem Arbeitsmarkt finden. Die Arbeitgeber schließen sich in einem Arbeitgeberverband zusammen um gemeinsam Tarifverhandlungen gegenüber den Arbeitern durchzuführen.
Abgrenzung zur Marktdynamik/dynamischer Wettbewerb
In diesem Kapitel wird das Monopol als statisch angesehen. Ein Markt in dem jegliche Anreize zum Wettbewerb und damit die verbundenen Innovationen ausbleiben, kann per Definition kein dynamischer Markt sein. Ein dynamischer Markt hingegen ist durch die Schumpetersche Theorie der Innovationen geprägt. Demnach ermöglichen Pioniergewinne eine temporäre Monopolstellung und lösen damit Anreize zum Wettbewerb und den damit verbundenen Innovationen aus.
Abgrenzung vollkommenes und unvollkommenes Monopol
Der vollkommene Markt ist ein Modell in der Wirtschaftswissenschaft. Im vollkommenen Markt stehen sich viele Anbieter und viele Nachfrager gegenüber. Es wird vorausgesetzt, dass die Güter homogen sind und vollständige Markttransparenz besteht. Auf der Nachfrager-Seite gibt es keine zeitlichen, räumlichen oder persönlichen Präferenzen. Im vollkommenen Markt haben alle Unternehmen, die dem gleichen Marktsegment entsprechen, die gleiche Produktqualität. Es gilt: Käufer sind Preisnehmer und die Anbieter sind Mengenanpasser.
Auf dem unvollkommenen Markt sind die Güter nicht gleichartig. Vollständige Transparenz ist bei den Marktteilnehmern nicht vorhanden und Nachfrager haben persönliche, räumliche oder zeitliche Präferenzen. Die Anbieter können unbeschränkt in den Markt ein- oder austreten. Auf die monopolistische Konkurrenz trifft vor allem die Unterschiedlichkeit der Güter zu. Deshalb gibt es für die Anbieter einen kleinen monopolistischen Preisspielraum.
Im vollkommenen Markt wäre der Gewinn des Monopolisten am höchsten, weil er keinerlei Beschränkungen oder Hindernisse hat. Wenn die Grenzkosten gleich den Grenzerlösen entsprechen maximiert der Monopolist seinen Gewinn. Die Theorie des vollkommenen Marktes existiert in der Realität nicht. Es gibt zwar ein paar Märkte, die dem vollkommenen Markt sehr nah kommen (etwa den Finanzmärkten), aber dennoch gibt es nur unvollkommene Märkte. Aufgrund dieser Feststellung liegt es auf der Hand, dass der Monopolist in der Realität seinen Gewinn nicht maximieren kann, wie die Theorie es beschreibt. Der Monopolist wird eingeschränkt durch den Staat, durch Substitute von anderen Firmen oder durch eine fehlende Markttransparenz. Im Vergleich zum Polypol auf dem vollkommenen Markt, kann der Anbieter im Polypol auf dem unvollkommenen Markt seinen Preis höher als seine Grenzkosten setzen und produziert eine geringere Menge. Das Marktergebnis ist aufgrund der Überkapazität und der höheren Preise aus ökonomischer Sicht ineffizient.
Arten von Monopolen nach ihrer Begründung
Natürliche Monopole
Rein natürliche Monopole
Das Monopol existiert idealtypisch ohne marktregulierenden Einfluss, beispielsweise weil ein Anbieter alleine Zugriff auf bestimmte Rohstoffe hat oder alleinig über bedeutende Technologien verfügt (etwa durch Marktvorsprung). Häufig ergibt sich das natürliche Monopol aus natürlichen Markteintrittsbarrieren, insbesondere wenn eine aufwendige flächendeckende Infrastruktur erforderlich ist, wie bei Eisenbahnnetzen oder der Versorgung mit Strom, Wasser oder Gas. Ein natürliches Monopol im engeren Sinn ist eine Marktform, in der ein Unternehmen mit sinkenden Durchschnittskosten bei steigender Produktionsmenge die Nachfrage befriedigen kann; in diesem Fall produziert ein einzelnes Unternehmen dauerhaft kostengünstiger und kann Konkurrenten vom Markt verdrängen.
Quasi-Monopol
Wenn es auf einem Markt zwar mehr als einen Anbieter gibt, von denen einer aufgrund eines sehr starken natürlichen Wettbewerbsvorteils eine marktbeherrschende Stellung hat, handelt es sich um ein Quasi-Monopol. Es handelt sich um kein echtes Monopol, kommt diesem in seinen Auswirkungen aber nahe.
Quasi-Monopole sind besonders häufig in der Informationstechnologie zu finden: Die Gestaltung von Software und Daten richtet sich häufig nach bestimmten Quasi-Standards, an denen nur ein Anbieter die Rechte hat oder bei denen es für Wettbewerber zu aufwendig wäre, kompatible Produkte zu einem wettbewerbsfähigen Preis zu entwickeln. (Letzteres insbesondere, da die kostengünstige digitale Reproduktion es dem Marktführer leicht macht, einen Wettbewerber preislich zu unterbieten und ihm so den Markteintritt zu erschweren.) Wer nach einem solchen Quasi-Standard arbeitende Software oder Daten nutzen oder mit anderen austauschen will, ist auf die Produkte dieses Anbieters angewiesen. Das bekannteste Beispiel ist Microsoft, das mit Microsoft Windows ein Quasi-Monopol für PC-Betriebssysteme und mit Microsoft Office ein Quasi-Monopol für Office-Suiten innehat. Quasi-Monopole im Bereich der Informationstechnologie können unter Umständen durch die konsequente Nutzung offener Standards verhindert werden.
Künstliche Monopole
Kollektivmonopol
Kollektivmonopol (auch Vertragliches Monopol): Das Monopol existiert, da sich alle Anbieter oder Nachfrager auf gemeinsame Leistungen und Preise festlegen (etwa durch ein Kartell) und so der Wettbewerb ausgeschaltet wird. In den meisten Ländern sind solche Absprachen in der Regel illegal (in Deutschland: Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen).
Rechtliches Monopol
Als rechtliches Monopol wird ein Monopol bezeichnet, das aufgrund einer gesetzlichen Bestimmung existiert; es wird auch Zwangskartell genannt. Diese Form findet sich heutzutage beim Staat (beispielsweise im Außenhandelsmonopol in Art. 14h der Sowjetischen Verfassung von 1936) und bei (auch ehemaligen) Staatsbetrieben (wie Postmonopol); die wenigen Ausnahmen wie das Zündwarenmonopol, Branntweinmonopol oder das Salzregal sind in modernen Wirtschaftsordnungen weitgehend abgeschafft. Ebenso bestand ein Kehrmonopol für die Schornsteinfeger.
Bis zur Deregulierung im Juli 1994 bestand in der Feuerversicherung ein Gebietsmonopol durch die Versicherungspflicht bei den öffentlich-rechtlichen Versicherern in einzelnen Bundesländern. Das in Sparkassengesetzen verankerte Regionalprinzip gewährt noch heute den öffentlich-rechtlichen Sparkassen ein Gebietsmonopol in der Region ihres Trägers, in der keine andere gebietsfremde Sparkasse tätig sein darf. Die Monopolkommission hat im XX-Hauptgutachten unter anderem eine Abschaffung dieses Regionalprinzips bei den Sparkassen empfohlen. Grund für die Kritik an den kommunalen Sparkassen ist, dass das Regionalprinzip in den Sparkassengesetzen als gesetzliches Zwangskartell normiert sei. Nach Ansicht der Monopolkommission gibt es keine wettbewerbliche Rechtfertigung für das Regionalprinzip. Es verstößt nach Auffassung der Kommission sogar gegen Abs. 1 AEUV. Danach ist es verboten, in Bezug auf öffentliche Unternehmen Maßnahmen zu treffen oder beizubehalten, die den europäischen Verträgen und insbesondere den Wettbewerbsregeln ( ff. AEUV) widersprechen. Sparkassen sind öffentliche Unternehmen im Sinne dieser Vorschrift, so dass sie zumindest über ein Gebietsmonopol im Hinblick auf gebietsfremde Sparkassen verfügen.
Monopole aufgrund von Patenten und anderen immateriellen Monopolrechten wie dem Urheberrecht werden ebenfalls zu dieser Kategorie gezählt.
Mikroökonomische Theorie des Monopols
Preissetzungsverhalten des Monopolisten
Wird angenommen, wie klassischerweise der Fall, dass die Monopolsituation exogen vorgegeben ist (beispielsweise durch staatliche und technologische Marktzutrittsbarrieren), braucht ein Monopolist bei der Preisgestaltung keine Rücksicht auf (etwaige) Wettbewerber zu nehmen. Der Monopolist kenne die gegebene Marktnachfragefunktion bzw. deren Inverse (Preis-Absatz-Funktion) . Seine Kostenfunktion sei . Er maximiert davon ausgehend seine Erlösfunktion. Es lässt sich entweder vorstellen, dass er die Angebotsmenge wählt, oder aber, dass er den Preis wählt. Zu beachten ist dabei lediglich, dass sich die jeweils andere Größe unmittelbar aus seiner Entscheidung ergibt: Wählt er einen Preis , folgt aus der Nachfragefunktion, dass er maximal genau Einheiten verkaufen kann; wählt er die Menge , folgt aus der (inversen) Nachfragefunktion wiederum, dass sich auf dem Markt der Preis ergibt. Folgende Maximierungsprobleme liefern demgemäß dasselbe Preis-Mengen-Paar
Aus praktischen Gründen wird üblicherweise letzteres Problem betrachtet. Lösen mithilfe der Produktregel und Umstellen liefert die Bedingung erster Ordnung für das Gewinnoptimum
,
wobei die Preiselastizität der Nachfrage zur Gütermenge ist. Wird nun unterstellt, dass gemäß dem (Gesetz der Nachfrage) negativ ist, ergibt sich aus den vorstehenden Gleichungen:
.
Im Optimum des Monopolisten entspricht also der Lerner-Index dem Kehrwert der betragsmäßigen Nachfrageelastizität. Für die Nachfrageelastizität gilt mit dieser Bedingung , weil und gemäß Annahme.
An dieser Bedingung ist somit direkt ablesbar, dass der Monopolpreis über den Grenzkosten liegt. Hieran wird der Unterschied zum Fall vollkommenen Wettbewerbs deutlich, wo im Optimum der Preis den Grenzkosten entspricht. Zudem ist ersichtlich, dass der mögliche Preis umso höher im Verhältnis zu den Grenzkosten sein kann, je inelastischer die Güternachfrage ist.
Ineffizienz des Monopolfalls
Allokative Ineffizienz
Im rechts liegenden Schaubild (Abb. 1) ist die allokative Ineffizienz im Monopolfall dargestellt. Auf der Abszisse befindet sich die Menge und auf der Ordinate der Preis. Die LDG (Langfristige Durchschnittskosten) und die LGK (Langfristige Grenzkosten) fallen aus Vereinfachungsgründen zusammen. Außerdem ist eine Nachfragekurve abgebildet, die die LDK/LGK im Punkt E schneidet. Die maximale Wohlfahrt wäre das Dreieck ADF. Im schwarz markierten Dreieck lässt sich die Wohlfahrtsminderung „CEF“ erkennen. Wie kommt es zu einer Wohlfahrtsminderung. Der Monopolist setzt seinen Cournot-Preis bei Punkt C. Dort sind für ihn, wie oben bereits erwähnt, die Gewinnspannen am höchsten. Aber die Konsumenten, die ein Gut des Monopolisten von Punkt C bis Punkt E der Nachfragekurve kaufen würden, können nicht befriedigt werden durch den zu hoch gesetzten Preis den Monopolisten. Der optimale Allokationspunkt wäre der Schnittpunkt zwischen LGK und der Nachfragekurve. Da dies aber nicht durch den Cournot-Preis zustande kommt, findet keine optimale Verteilungswirkung zwischen Nachfrage und Angebot statt. Die Verteilung ist daher suboptimal und wirft die Frage der Regulierung auf, wie in den zwei nächsten Fällen zu sehen ist.
Technische Ineffizienz
Im 2. rechts liegenden Schaubild (Abb. 2) ist die technische Ineffizienz dargestellt. Auf der Abszisse befindet sich die Menge und auf der Ordinate der Preis. Technische Ineffizienz bedeutet, dass die tatsächlichen Kosten den gesamtwirtschaftlich geringsten Kosten zur realen gegebenen Output-Menge nicht entsprechen. Da der Monopolist sinkende Anreize zur Kostendisziplin hat (Monopolist wird durch fehlenden Wettbewerb nicht mehr diszipliniert), verändert sich die optimale LGK/LDK-Gerade (Langfristige Grenzkosten/Langfristige Durchschnittskosten) nach oben zur GK/DK-Gerade. Die schwarz markierte Fläche ist nach wie vor der allokative Wohlfahrtsverlust. Durch diese technische Ineffizienz verschiebt sich der Punkt C zu C′ nach oben. Dies hat zur Folge, dass sich der Wohlfahrtsverlust um die rot markierte Fläche vergrößert (also rot und schwarz stellen hier den aktuellen Wohlfahrtsverlust unterhalb der Nachfragekurve dar – Punkte: CC′DF). Die grüne Fläche BB′D′F stellt die technische Ineffizienz für den Monopolisten dar. In Höhe der grünen Fläche hat der Monopolist nun mehr Kosten zu tragen, da er nicht zu den geringstmöglichen Kosten produziert. Der Gewinn des Monopolisten schmälert sich.
Harvey Leibenstein unterscheidet bei der technischen Ineffizienz noch zwischen X-Ineffizienzen von Typ I und Typ II.
Typ I: Insiderrenten
Typ II: Technologien mit Irreversibilität
Qualitative Ineffizienz
Im 3. rechts liegenden Schaubild (Abb. 3) ist die Letzte der Ineffizienzen im Monopol „Die qualitative Ineffizienz“ dargestellt. Um das Schaubild besser verstehen zu können wird zunächst die Ausgangssituation N1 und GK, DK (Grenzkosten/Durchschnittskosten) mit dem Schnittpunkt D (optimale Wohlfahrt A1 ,A ,D) betrachtet. Nun verschiebt sich N1 nach N2 (Nachfrager werden weniger) aufgrund qualitativer Mängel von Produkten, die bei gegebenen Kostenbedingungen nicht den Präferenzen der Kunden entspricht. Die Grenzerlöskosten-Kurve schneidet nun die GK,DK nicht mehr in Punkt B1, sondern in B2 und führt daher zum neuen Cournot-Punkt C2. Die schwarz markierte Fläche ist, wie in den Schaubildern davor der Wohlfahrtsverlust durch die allokative Ineffizienz. Nun kommt die rote Fläche durch die Qualitätsminderung hinzu. Die grüne Fläche zeigt die qualitative Ineffizienz durch die Links-Verschiebung der Nachfragekurve. Die Konsumenten zahlen jetzt weniger für das Gut des Monopolisten als vorher, da sie mit der Qualität nicht mehr zufrieden sind. Letztendlich verringert sich die Wohlfahrt und der Gewinn des Monopolisten.
Quantifizierung des Wohlfahrtsverlusts
Soll der Wohlfahrtsverlust quantifiziert werden, kann auf das Schaubild von Angebot- und Nachfragekurve zurückgegriffen werden (siehe Abb. 4). Im vollständigen Wettbewerb (Polypol) entsprechen sich Angebot und Nachfrage; die gehandelte Menge beträgt XPol, der zugehörige Preis pPol. Wie oben gezeigt, ist der Preis in einem Monopol jedoch höher (hier: pMon) und die Menge entsprechend geringer (hier: XMon). Dadurch ergeben sich bei der Analyse der Konsumenten- und Produzentenrente erhebliche Verschiebungen. In Abb. 1 entspricht die Konsumentenrente nur noch dem grau unterlegten Dreieck. Denn Konsumenten, die eine Zahlungsbereitschaft von weniger als dem Monopolpreis haben, erwerben das Gut erst gar nicht; die Produzentenrente entspricht der gesamten hellblauen Fläche. Im Vergleich zum Polypol ist der rechteckige Teil der blauen Fläche auch der Produzentenrente zuzurechnen ist – im Polypol war sie noch Bestandteil der Konsumentenrente. Der Grund dafür besteht wiederum im höheren Preis oder der Tatsache, dass dieser nun weiter oberhalb der in der Angebotsfunktion zum Ausdruck kommenden Grenzkosten liegt.
Da die Menge aber nur XMon beträgt, folgt insgesamt, dass die Summe aus Konsumenten- und Produzentenrente im Fall des Monopols geringer ist als im Polypol: Die rot eingefärbten Flächen zählen nicht mehr dazu, sie sind gewissermaßen infolge der ineffizient geringen Bereitstellung des Gutes „verloren“, es wird im Englischen entsprechend als deadweight loss bezeichnet. Die gesamte rote Fläche bildet das so genannte Harberger-Dreieck.
Wohlfahrtssteigerung durch Preisdiskriminierung
Durch verschiedene Formen der Preisdiskriminierung kann das Monopolergebnis beeinflusst werden. Kann ein Monopolist beispielsweise perfekt diskriminieren (Preisdiskriminierung 1. Grades), kann er von jedem Konsumenten dessen Reservationspreis (das heißt den höchsten Preis, den dieser zu zahlen bereit ist) verlangen und das Gut an diejenigen Nachfrage verkaufen, die die höchste Wertschätzung haben. Es tritt dann kein Wohlfahrtsverlust ein, weil er dieselbe Menge absetzt, wie sich auch im Wettbewerbsfall ergeben würde: Der perfekt preisdiskiminierende Monopolist verkauft jedem sein Gut, der eine marginale Zahlungsbereitschaft aufweist, die mindestens den Grenzkosten der Produktion entspricht, und er verlangt dafür einen Betrag, der genau der individuellen Zahlungsbereitschaft entspricht.
Dieses Ergebnis ist dementsprechend Pareto-effizient, weil jede Änderung der resultierenden Allokation zur Folge hätte, dass der Monopolist (der ja eben die vollständige Rente erhält) schlechter gestellt wird.
Mehrprodukt-Monopol
Die bisher betrachteten Monopole sind allesamt Einprodukt-Monopole, das heißt ein Anbieter ist Monopolist bezüglich eines Gutes. Die Situation verändert sich, wenn der Anbieter Monopolist für mehrere Güter ist, weil zwischen den beiden Gütern Interdependenzen bestehen können (Substitutions- bzw. komplementäre Beziehung) – dadurch ändert sich das Preissetzungsverhalten des Monopolanbieters.
Sei () die Nachfrage nach Gut in Abhängigkeit von den Preisen aller Güter; sei die additiv-separable Kostenfunktion in Abhängigkeit von der Menge aller angebotener Güter. Das Maximierungsproblem (hier aus Gründen der Vereinfachung und der Nutzbarkeit des Resultats bezüglich des Preises formuliert) lautet
und führt auf die Bedingungen erster Ordnung
wobei
.
Das heißt: Im Gewinnoptimum des Mehrprodukt-Monopolisten (auch: Multiprodukt-Monopolisten) gilt für jedes angebotene Gut, dass der Lerner-Index für dieses Gut (linke Seite der Bedingung) dem so genannten Ramsey-Index für das Gut (rechte Seite) entspricht. Zu beachten ist, dass dies impliziert, dass bei Vorliegen von Substituten () der Lerner-Index größer ist als der Kehrwert der (Eigenpreis)elastizität, mithin also dass ein höherer Preis gesetzt wird als im Fall des Einprodukt-Monopolisten (siehe oben). Umgekehrtes gilt für den Fall von Komplementärgütern () – hier liegt der gesetzte Preis sogar unterhalb des Preises, den der Monopolist anstreben würde, wenn er nicht auf beiden Gütermärkten eine Monopolstellung innehätte.
Bestreitbarkeit des Monopols
Monopolresistenz
Der Begriff „Monopolresistenz“ bedeutet, dass ein Monopol gegen angreifende Marktteilnehmer oder Newcomer geschützt ist. Dies ist meistens bei natürlichen Monopolen der Fall. Ein natürliches Monopol entsteht immer dann, wenn die Produktion eines Gutes durch ein einzelnes Unternehmen kostengünstiger ist, als es von mehreren Unternehmen am Markt erbracht werden könnte. Natürliche Monopole entstehen aufgrund von Unteilbarkeiten. Unteilbarkeiten lassen die Produktionsmenge in großen Abständen wachsen. Diese Eigenschaft steht im Kontrast zu der Theorie des vollkommenen Markts. Durch diese subadditiven Kostenstrukturen produziert ein Unternehmen mit Monopolstellung effizient und lässt damit keine Lücken, die potentielle Newcomer für den Markteintritt nutzen könnten (dieser Zusammenhang läuft unter der Prämisse, dass die Märkte homogen sind). Wird der Newcomer trotz Effizienz des Monopols in den Markt eintreten, wird dieser mit einem sofortigen Verlust rechnen müssen, da die Gesamtkosten pro produzierte Einheit über dem Marktpreis liegen. Daher wird ein sofortiger Austritt erfolgen. Das Monopolunternehmen hat den Markt damit unbestreitbar gemacht.
Im Folgenden wird gezeigt, unter welchen theoretischen Bedingungen Märkte bestreitbar gemacht werden können (oder das Gegenteil von nicht bestreitbaren Märkten):
1. Newcomer haben die gleichen Rechte und Bedingungen wie das bereits bestehende Unternehmen und zwar kostenminimale Produktionstechnologien, Zugänge zu Input-Märkten und es existieren keine Subventionen
2. Kein Unternehmen hat Nachfragevorteile
3. Es gibt keine Eintrittsbarrieren (Ein- und Austritt sind damit frei) und damit keine Irreversiblen Kosten
4. Alle Unternehmer streben nach Gewinnmaximierung
5. Der Eintritt in den Markt wird nur unter Voraussetzung der Profitabilität gemacht
6. Profitabilität wird für den Newcomer definiert als die Unterbietung der gegebenen Marktpreise mit Gewinnabschlag
Monopolsicherung
Ein Monopol ist stets bestrebt seine alleinige Marktführerschaft zu halten. Dafür ist es notwendig seine Produkte mit dem qualitativ höchsten Anspruch auszustatten. Allerdings sind viele Produkte durch andere ersetzbar (das heißt, sie können substituiert werden). Dabei muss unter Umständen auf einzelne Eigenschaften verzichtet werden. Dies spielt oft jedoch eine untergeordnete Rolle, wenn dadurch ein günstigerer Preis erzielt wird und eine größere Auswahl von Anbietern zur Verfügung stehen. Dies begrenzt die praktische Wirkung von Angebotsmonopolen.
Um diese Situation zumindest abzumildern, gibt es verschiedene Strategien:
Der Monopolist kann sein Produkt diversifizieren. Das Produkt wird mit Eigenschaften versehen, die anderen, ähnlichen Produkten fehlen (Exklusivität). Oder aus einem Produkt werden mehrere mit unterschiedlichen Eigenschaften gemacht (Produktpalette). Das Risiko liegt vor allem in der Frage, ob die neue Eigenschaft überhaupt das ist, was die Kunden interessiert.
Der Monopolist kann versuchen seinem Produkt ein „Image“ zu geben. Das Produkt soll so über sein Ansehen im Bewusstsein des Käufers verankert werden, sodass es für diesen unersetzlich wird. Das ist jedoch schwierig. Zum einen erfordert es oft aufwendige Werbekampagnen, zum anderen wird ein positives Image (wie Jugendlichkeit) oft nach einiger Zeit von Konkurrenten kopiert.
Potentielle Konkurrenten werden aus dem Markt gedrängt oder aufgekauft. Das funktioniert jedoch nicht immer. Zum einen erfordert dies entsprechende wirtschaftliche Macht. Ein kleines Unternehmen hätte beispielsweise gegen einen Weltkonzern nur schlechte Karten, selbst wenn es noch so innovativ wäre. Der Zusammenschluss kann zudem an staatlichen Bestimmungen (Kartellrecht) scheitern.
Gesetzliche Bestimmungen können ebenfalls dazu beitragen, lästige Konkurrenz vom Leib zu halten. So kann der Monopolist versuchen, Einfluss auf die staatliche Gesetzgebung zu nehmen, um sich ein bestimmtes Monopol zu sichern. Oft folgen solche Monopole staatlichen Eigeninteressen (sichere Einnahmequelle). Privatunternehmen bedienen sich dazu der Lobbyarbeit, aber auch kriminelle Methoden, wie Korruption, Erpressung, können zum Einsatz kommen. Die Übergänge zwischen staatlichem Eigeninteresse, legaler Lobbyarbeit und kriminellen Methoden können fließend sein. Umgekehrt sind jedoch in den letzten Jahrzehnten in großem Stil staatliche Unternehmen privatisiert worden (Post, Bahn). Hier musste Lobbyarbeit betrieben werden, um das bestehende Monopol möglichst lange aufrechtzuerhalten.
Da eine Monopolstellung höchstmöglichen Gewinn verspricht, wird ein Monopolist darauf abzielen, den Markt auch weiterhin vor möglichen Konkurrenten abzuschirmen. Um dies zu erreichen, wird immer wieder zu unlauteren oder marktverzerrenden Mitteln gegriffen. Beispiel einer solchen Praxis ist das Dumping: Produkte werden eine gewisse Zeit lang zu nicht kostendeckenden Preisen angeboten, bis der Konkurrent aus dem Markt verdrängt wurde, um anschließend die Preise wieder zu erhöhen. Diese Situation kann durch ein Kartell entstehen, oder durch ein Oligopol. Auch hier gibt es zum Teil gesetzliche Einschränkungen (siehe Verbot des Verkaufs auf Verlust in Frankreich).
Falls Monopole nicht aus natürlichen Gründen aufgebrochen werden, greift gelegentlich der Staat aus wettbewerbsrechtlichen Gründen ein. Meistens liegt in diesen Fällen ein Verstoß gegen die jeweilige nationale Gesetzgebung vor (in Deutschland sind dies das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb und das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen).
Beispielsweise wurde das Unternehmen Microsoft, ein Quasi-Monopolist, wegen Missbrauchs seiner Marktmacht verurteilt.
Nach der Theorie bestreitbarer Märkte reicht häufig die Bestreitbarkeit des Monopols aus: Hierzu muss glaubwürdig angedroht werden, dass die Monopolstellung verloren gehen kann, wenn bestimmte Vorgaben nicht eingehalten werden. Die Glaubwürdigkeit steigt insbesondere, wenn die Marktaustrittskosten gering sind.
Angreifbarkeit von Monopolen
Wenn der Monopolist nicht effizient produziert (siehe allokative, technische oder qualitative Ineffizienz) und damit folglich einen zu hohen Preis für die Güter festsetzt, entsteht eine Eintrittsmöglichkeit für potentielle Newcomer auf dem Markt.
Im Anschluss an William J. Baumols Theorie bestreitbarer Märkte wird die Ansicht vertreten, dass das Vorliegen eines Monopols keine Maßnahmen von Wettbewerbsbehörden erfordern würde, weil der Wettbewerb zwar nicht in Form mehrerer Anbieter sichtbar sei, er wirke aber in latenter Weise. Je nach den Rahmenbedingungen, die sein Monopol begründen, könne ein Monopolist bei seinen Entscheidungen in Bezug auf die Preissetzung oder sein Leistungsangebot (Menge, Qualität), bestimmten Restriktionen unterworfen sein. Dadurch sinke seine Monopolrente.
Ein bestreitbarer Markt könne einen Monopolisten disziplinieren. Liegt der Angebotspreis über den Markteintrittskosten, besteht die Gefahr, dass Angebotskonkurrenten in den Markt eintreten. Liegt der Angebotspreis über den Preisen für Substitutionsgüter können Nachfrager auf vergleichbare Produkte umsteigen. Der Angebotspreis sinkt dann im Extremfall bis zur Preisuntergrenze, die wie beim Oligopol oder beim Polypol entweder durch die Durchschnittskosten oder die Grenzkosten bestimmt wird. Ein jederzeit angreifbares Monopol wird als morphologisches Monopol bezeichnet. Es wird häufig zumindest für kurze Zeit für wünschenswert gehalten, um für technischen Fortschritt zu sorgen.
Ordoliberale wie Walter Eucken weisen dieses Argument jedoch zurück, da jedes Monopol grundsätzlich der wirtschaftspolitischen Zielsetzung eines optimalen Allokationsgleichgewichts widerspreche.
Regulierung von Monopolen
Ein Monopol gilt als regulierungsbedürftig, wenn es Ineffizienzen aufweist oder kein fairer und effizienter Wettbewerb stattfinden kann.
Der geistige Vater der Marktwirtschaft und Begründer des Ordoliberalismus Walter Eucken warnte, die Hoch-Zeit der Monopole nach dem Ersten Weltkrieg vor Augen, leidenschaftlich vor der Machtzusammenballung in der Wirtschaft durch Monopole. Sein Motto war, dass sich die Wirtschaftspolitik nicht gegen Missbräuche der Machtkörper wenden solle, sondern gegen die Entstehung der Machtkörper überhaupt. Sein Leitbild war die vollkommene Konkurrenz. Nach seiner Auffassung sind die Geschichtsschreibung und die Nationalökonomie immer wieder der Gefahr erlegen, den Sinn für Machtkämpfe und deren Wucht und Brutalität zu verlieren. Ein guter Ökonom müsse wirtschaftliche Macht selbst erfahren haben.
Generell sind zwei allgemeine Formen hinsichtlich der Regulierung von Unternehmen zu unterscheiden. Die erste Form der Regulierung (häufig in Amerika praktiziert) sieht vor, dass private Unternehmen durch staatliche Institutionen kontrolliert werden müssen. Hierbei hat der Staat nur eine indirekte Einflussnahme auf die Unternehmen. In der zweiten Form der Regulierung, kann der Staat allerdings eine direkte Einflussnahme auf das Unternehmen ausüben. Dies geschieht, in dem der Staat Anteile bei Unternehmen erwirbt oder das komplette Unternehmen übernimmt. Somit tritt der Staat als Eigentümer auf und kann die Regulierungsmaßnahmen nach seinen Wünschen mit/gestalten (die zweite Form tritt häufig in Deutschland/Europa auf).
Konkrete Beispiele sind die Deutsche Bahn oder die Deutsche Post AG.
Die Ziele der Regulierung sind daher die Maximierung der Wohlfahrt, den Preis nahe an die Grenzkosten des Unternehmens zu bringen sowie die Rahmenbedingungen für fairen Wettbewerb zu schaffen. Dafür können verschiedene Regulierungsmethoden zum Einsatz kommen.
1. Preisregulierung nach historischen Kosten
Es werden die tatsächlichen Kosten der letzten Jahre aus der Bilanz/Buchführung entnommen und somit wird ein Preis bestimmt der Nahe an den Kosten des Unternehmens liegt. Hierzu werden die LGK oder LDK (langfristige Grenzkostenkurve oder langfristige Durchschnittskostenkurve) bestimmt und herangezogen.
2. Preisregulierung nach effizienten Kosten
Die effizienten Kosten sind die Kosten, die einem Unternehmen bei effizienter Leistungsbereitstellung anfallen. Es werden also die Kosten bewertet, die das Unternehmen hätte, wenn es optimal (allokativ, technisch und qualitativ effizient) wirtschaften würde. Wenn ein Unternehmen nicht optimal wirtschaftet, muss es höhere Preise verlangen. Durch die Regulierung, muss das Unternehmen aber seine Preise an die effizienten Kosten anpassen und somit ist ein Anreiz zur Effizienz gegeben.
3. Price-Cap-Regulierung
= Anteil des Güterbündels am Gesamtumsatz der Vorperiode
= Preis des Güterbündels in der Periode t
RPI = Retail Price Index (gesamtwirtschaftliche Inflationsrate der Periode t)
X = Preisabschlag (anzuwendender Produktivitätsfaktor)
Die Formel gibt die „Veränderung des regulierten Preises im Rahmen der Änderung des allgemeinen Preisniveaus abzüglich eines unternehmensspezifischen Korrekturfaktors für den Produktivitätsfortschritt“ an.
Vorteile
Wenn ein Unternehmen hohe Gewinne erzielt, kann es während der aktuellen Periode nicht zu Preisänderungen gezwungen werden
Flexibilität bei der Preissetzung (allerdings nicht höher als das Cap)
Probleme
Mögliche Probleme in der Praxis sind, dass die Regulierungsbehörden (meist Monopolkommission) nicht weiß, wie hoch die langfristigen Grenzkosten des zu produzierenden Unternehmens sind. Außerdem kann es sein, wenn das Unternehmen weniger Einnahmen durch die Regulierung hat, dass infolge dessen auch die Qualität der jeweiligen Produkte leiden muss.
Beispiele für Monopole
Angebotsmonopole
Beispiele für Angebotsmonopole sind so genannte Staatsmonopole:
das Postmonopol (das Monopol der Deutschen Post AG wurde zum 1. Januar 2008 abgeschafft, das Monopol der Österreichischen Post AG zum 1. Januar 2011);
die Deutsche Telekom, nach wie vor mit marktbeherrschender Stellung, vor allem in den Ortsnetzen und im Analogbereich abseits der Ballungsräume; es handelt sich hierbei allerdings nicht um ein Monopol im eigentlichen Sinne, da die Telekom zwar größter, aber nicht mehr einziger Anbieter im Telekommunikationsmarkt ist;
das staatliche Lotteriemonopol;
das Branntweinmonopol (bis Ende 2017);
das Zündwarenmonopol (wurde 1983 abgeschafft);
das Kehrmonopol (gesetzliche Sonderrechte von Schornsteinfegern bis Ende 2012);
das Glücksspielmonopol (staatliche Verfügungsgewalt über öffentlich zugängliche Spiele um Vermögenswerte), dessen konkrete Ausgestaltung in Deutschland vom Europäischen Gerichtshof im September 2010 jedoch als rechtswidrig beurteilt und somit aufgehoben wurde.
das Österreichische Tabakmonopol, das den Verkauf von Tabakwaren nur durch Trafiken erlaubt.
Nachfragemonopole
Unter einem Nachfragemonopol (auch Monopson) wird eine Marktsituation mit mehreren Anbietern, aber nur einem Nachfrager verstanden. Ein Beispiel ist der Rüstungsmarkt in einer geschlossenen Volkswirtschaft. In der Realität kommt ein Monopson nur sehr eingeschränkt vor. Bei wenigen Anbietern und einem Nachfrager wird von einem beschränkten Monopson gesprochen.
Bilaterale Monopole
Stehen einem Monopolisten nur wenige Nachfrager/Anbieter gegenüber, handelt es sich um ein beschränktes Monopol. Treten auf beiden Seiten nur ein Anbieter und ein Nachfrager auf, handelt es sich um ein bilaterales Monopol. Dies ist zu unterscheiden von einer Situation mit zwei Anbietern, dem so genannten Duopol. Gibt es auf einem Markt zwar mehr als einen Anbieter oder Nachfrager, aber dennoch nur sehr wenige, ist dieses ein Oligopol.
Siehe auch
Herfindahl-Index
Verkettete Monopole
Regalien
Monopoly
Literatur
Friedrich Breyer: Mikroökonomik. Eine Einführung. 5. Auflage. Springer, Heidelberg u. a. 2011, ISBN 978-3-642-22150-7.
Edwin G. West: Monopoly. In: Steven N. Durlauf, Lawrence E. Blume (Hrsg.): The New Palgrave Dictionary of Economics. 2. Auflage. Palgrave Macmillan 2008, doi:10.1057/9780230226203.1134.
Hal Varian: Intermediate Microeconomics. A Modern Approach. 8. Auflage. W. W. Norton, New York/ London 2010, ISBN 978-0-393-93424-3.
Weblinks
Einzelnachweise
Mikroökonomie
Wettbewerbstheorie
Volkswirtschaftslehre
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Q43637
| 382.100389 |
4775
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https://de.wikipedia.org/wiki/Slowenien
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Slowenien
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Slowenien (, amtlich Republik Slowenien, slowenisch Republika Slovenija) ist ein demokratischer Staat in Europa mit rund 2 Millionen Einwohnern, der an Italien, Österreich, Ungarn und Kroatien grenzt. Hauptstadt und zugleich größte Stadt des Landes ist das zentral gelegene Ljubljana (deutsch Laibach). Weitere wichtige Städte sind Maribor, Celje, Kranj, Koper und Velenje. Im Jahr 2004 trat Slowenien der EU und der NATO bei, 2007 auch der Eurozone. Das Land ist eine demokratisch verfasste parlamentarische Republik.
Das Gebiet des heutigen Sloweniens wurde Anfang des 6. Jahrhunderts von den Slawen besiedelt, die das Fürstentum Karantanien gründeten. Im Jahr 788 eroberten die Franken das Gebiet und die Bistümer Aquileia und Salzburg missionierten es. Im 11. Jahrhundert wurde das Land in das Heilige Römische Reich eingegliedert und 1364 zum Herzogtum Krain erhoben. In den folgenden Jahrhunderten geriet das Territorium an die Habsburgermonarchie. Nach der Auflösung Österreich-Ungarns 1918 ging das vormalige Kronland im neu gegründeten Königreich Jugoslawien auf. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges existierte Slowenien als Teilrepublik im sozialistischen Jugoslawien. Nach der Unabhängigkeitserklärung am 25. Juni 1991 und dem 10-Tage-Krieg wurde Slowenien ein eigenständiger Nationalstaat und am 22. Mai 1992 eigenständiges Mitglied der UNO.
Slowenien ist das wohlhabendste Land des ehemaligen Jugoslawiens. Nach Bewertung der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2020 ist es in seiner wirtschaftlichen Transformation und politischen Entwicklung überdurchschnittlich erfolgreich. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zählt Slowenien zu den Ländern mit sehr hoher menschlicher Entwicklung.
Geographie
Flüsse
Die bedeutendsten Flüsse Sloweniens sind von West nach Ost die Soča (italienischer Unterlauf: Isonzo), die Save (slowenisch Sava), die Drau (slowenisch Drava) und die Mur (slowenisch Mura). Soča und Save entspringen in den Julischen Alpen, Drau und Mur kommen aus Österreich. Außerdem bildet nach Südosten hin die in Kroatien entspringende Kolpa auf etwa 100 km die Grenze zu Kroatien. Alle genannten Flüsse sind im Wesentlichen nicht schiffbar, wurden aber zumindest streckenweise in der Vergangenheit von Flößern genutzt (Bsp.: Drau bei Maribor).
Die Soča entwässert zur Adria. Save und Drau sind Nebenflüsse der Donau (Mündungen in Serbien bzw. Kroatien). Die Mur ist ein Nebenfluss der Drau (Mündung an der Grenze zwischen Ungarn und Kroatien). Die Kolpa mündet im kroatischen Sisak in die Save.
Regionen
Trotz seiner geringen Ausdehnung – Slowenien ist etwas größer als Rheinland-Pfalz – verfügt der Staat über sehr verschiedene Landschaftsformen. Ca 62 % der Staatsfläche ist mit Wald bedeckt.
Im Nordwesten verlaufen die Hochgebirgszüge der Julischen Alpen, Karawanken und Steiner Alpen, die geologisch zu den südlichen Kalkalpen gehören. Im Nationalpark Triglav liegt mit dem namensgebenden Gipfel des Triglav (2864 Meter) die höchste Erhebung des Landes, die symbolisch auf dem Landeswappen dargestellt ist.
Der Nordosten des Landes ist von Mittelgebirgen und Hügelland geprägt: Bachergebirge (slowenisch Pohorje, bis 1500 Meter hohe Ausläufer der Zentralalpen), Matzelgebirge (Haloze, bis 880 Meter) und Windische Bühel (350 Meter), die nordöstlich der Mur in die Ebene und Hügel des Übermur-Gebietes (slowenisch Prekmurje) übergehen, während im Mündungsgebiet Drau-Mur die 50 mal 20 Kilometer große sogenannte Murinsel (Međimurje) bereits großteils auf kroatischem Staatsgebiet liegt. Beide Flachlandschaften gehen jenseits der ungarischen Grenze in die Pannonische Tiefebene über. Die Landesmitte und den Süden (Teil der Halbinsel Istrien) nehmen ausgedehnte, typische Karst-Flächen ein.
Im äußersten Südwesten des Landes liegt die 46,6 Kilometer lange Adria-Küste (Slowenische Riviera), die auch geographisch den tiefstgelegenen Punkt (0 m Meereshöhe) des Landes markiert. Seit dem Zerfall Jugoslawiens wurde mit Kroatien über den genauen Grenzverlauf in der Bucht von Piran gestritten (siehe Internationale Konflikte der Nachfolgestaaten Jugoslawiens). Im Zuge des EU-Beitrittes von Kroatien hat man sich darauf geeinigt, diesen Konflikt vor einer internationalen Schiedskommission beizulegen.
Grenzen
Die längste internationale Grenze Sloweniens ist die Grenze zwischen Kroatien und Slowenien (670 km). Sie verläuft im Süden und Osten und zu großen Teilen in Flüssen (Kupa, Sotla, Čabranka) und oft in unwegsamen Gebirgsregionen.
Die Grenze zu Österreich (330 km) im Norden verläuft größtenteils im Gebirge (z. B. Karawanken).
Im Osten ist die Grenze zu Ungarn (102 km). Im Westen grenzt Slowenien an Italien (218 km). Oberhalb von Triest verläuft die Grenze zunächst parallel zur Adriaküste auf den Bergen. Weiter südlich grenzt das Land auf ca. 47 km an die Adria.
Die Grenze zu Kroatien war bereits seit der Gründung des zweiten Jugoslawien die administrative Trennlinie zwischen den beiden Teilrepubliken und wurde 1991 mit der Unabhängigkeitserklärung der beiden Länder zur internationalen Grenze. Um den exakten Grenzverlauf, der im gemeinsamen Staat noch unbedeutend war, gab es Streitigkeiten.
Im Zuge der Flüchtlingskrise in Europa 2015/2016 errichtete Slowenien einen 176 km langen Zaun an einem Teilstück seiner Grenze zu Kroatien.
Klima
Die Klimaregion Sloweniens bildet (nach österreichischer Einteilung) den Kernbereich des illyrischen Übergangsklimas zwischen Alpen und Dinariden, Mittelmeer und Pannonien. Im Südwesten des Landes herrscht schon deutlich mediterranes Klima mit warmen Sommern und milden, feuchten Wintern (Weinbauregion), der Winter und das Frühjahr bringen aber an der Küste häufig kalte Fallwinde, die gefürchtete Bora, mit Schnee in Höhenlagen. Im Landesinneren ist das Klima kontinentaler geprägt, der Nordwesten von typischem Südalpenklima (Südföhn, Winterregen, mit vergleichsweise wenig Schnee). Der Osten ist schon deutlich pannonisch, mit heißen Sommern und kalten Wintern.
Natur und Naturschutz
Slowenien ist einer der EU-Staaten mit der größten Biodiversität: Jede fünfzigste weltweit bekannte Festlandtier- und -pflanzenart kommt hier vor. Das Land unternimmt nach eigener Darstellung große Anstrengungen zur Erhaltung dieser Fauna-, Flora- und Habitatvielfalt. Das Umweltministerium stellt heraus, dass eine intakte Natur einen Wert für den Tourismus darstelle, weshalb das touristische Angebot auf Menschen ausgerichtet sei, die Ruhe suchen, die die Landschaft genießen möchten und Interesse an der Tier- und Pflanzenwelt haben. Das Land hat rund 13 % seines Staatsgebietes unter Schutz gestellt (Deutschland: 3,6 % [2021]).
Slowenien wies 1981 mit dem nach dem höchsten Berg des Landes benannten Triglav-Nationalpark (WDPA 2517) sein erstes und einziges Großschutzgebiet aus. Der Park umfasst mit einer Fläche von 83.982 Hektar 4,1 % der Landesfläche. Er ist zugleich Natura-2000-Vogelschutz- und FFH-Gebiet, als UNESCO-Biosphärenreservat anerkannt (seit 2003) und hat seit 2004 das Europadiplom des Europarates.
Des Weiteren gibt es 3 Regionalparks, 52 Naturschutzgebiete, 44 geschützte Landschaftsparks, 1217 Naturdenkmäler, 26 Natura-2000-Vogelschutzgebiete und 260 Natura-2000-FFH-Gebiete.
Durch die Ausweisung der Natura-2000-Gebiete hat Slowenien 35,52 Prozent der Staatsfläche unter Schutz gestellt. Zum Vergleich: In der gesamten Europäischen Union wurden durchschnittlich 18,16 Prozent als Natura-2000-Gebiete ausgewiesen, in Deutschland sind es 15,47 Prozent der Staatsfläche und in Österreich 14,96 Prozent (Stand: Dezember 2013). In den slowenischen Natura-2000-Gebieten werden 312 Tier- und Pflanzenarten (davon 109 Vogelarten) und 60 Lebensraumtypen geschützt.
Slowenien hat einen erheblichen Anteil am Grünen Band Europas und liegt im Blauen Herzen Europas.
In den 1990er Jahren gab es in Slowenien mehr als 50 überregional im Umwelt- und Naturschutzbereich tätige Nichtregierungsorganisationen (NGO).
Städte
Im Jahr 2022 lebten 56 Prozent der Einwohner Sloweniens in Städten. Die größten Städte des Landes sind:
Bevölkerung
Demografie
Slowenien hatte 2021 2,1 Millionen Einwohner. Das jährliche Bevölkerungswachstum betrug + 0,3 %. Trotz eines Sterbeüberschusses (Geburtenziffer: 9,0 pro 1000 Einwohner vs. Sterbeziffer: 11,0 pro 1000 Einwohner) wuchs die Bevölkerung durch Migration. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2021 statistisch bei 1,6, die der Europäischen Union betrug 1,5. Die Lebenserwartung der Einwohner Sloweniens ab der Geburt lag 2021 bei 80,9 Jahren (Frauen: 84, Männer: 77,9). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2021 bei 43,2 Jahren. Im Jahr 2021 waren 15,2 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre, während der Anteil der über 64-Jährigen 20,5 Prozent der Bevölkerung betrug.
Bevölkerungsstruktur
Die Einwohner Sloweniens waren nach der Volkszählung 2002 zu 83,06 % Slowenen; weiterhin lebten damals in Slowenien 1,98 % Serben, 1,81 % Kroaten, 1,1 % Bosniaken. Viele von ihnen waren bereits zu Zeiten Jugoslawiens als Binnenmigranten nach Slowenien gekommen. Bei 8,9 % der Bevölkerung war keine ethnische Zuordnung möglich, da keine Angaben gemacht wurden.
Im Jahr 2017 waren 11,8 % der Bevölkerung im heutigen Ausland geboren.
Nationale Minderheiten in Slowenien
Als Minderheiten sind zwei kleine autochthone Gruppen von Italienern im westlichen Primorska (0,11 %) sowie Magyaren in der östlichen Region Prekmurje (0,32 %) anerkannt. Die autonomen Minderheiten der Italiener und Ungarn haben ein garantiertes Volksgruppenmandat im slowenischen Parlament. In Fragen, welche ausschließlich die jeweiligen Rechte der Minderheit betreffen, besitzen diese Volksgruppenabgeordneten ein absolutes Vetorecht.
Nicht als ethnische Minderheit anerkannt ist die mittlerweile sehr kleine, deutschsprachige Restgruppe in der Gottschee und in der Untersteiermark. Bei der Volkszählung von 2002 deklarierten sich 499 Personen (0,03 %) als Deutsche sowie 181 (0,01 %) als Österreicher; Deutsch als Muttersprache gaben allerdings 1628 Personen (0,1 %) an.
Sprachen
Amtssprache ist Slowenisch (Slovenščina) nach Artikel 11 der Verfassung der Republik Slowenien (Ustava Republike Slovenije) von 1991; daneben sind „ethnisch gemischte Gebiete“ „autochthoner“ Minderheiten definiert, in denen Italienisch und Ungarisch (Art. 64) besonderen Schutz genießen. Romani ist keine geschützte Minderheitensprache: Art. 65 der Verfassung fordert für die Volksgruppe der Roma zwar einen spezifischen Schutz, dessen gesetzliche Umsetzung steht aber aus. Derzeit stellen 19 Gemeinden Sloweniens einen Roma-Beauftragten an den Gemeinderat. Die Sprachen der anderen Minderheiten – darunter das früher wichtige Deutsche oder das in der Weißkrain traditionell verbreitete Kroatische und Serbische – genießen keinen Schutz. Das einst in der Region Gottschee (Kočevje) verbreitete Gottscheerische, eine bairische Mundart, ist vom Aussterben bedroht.
Deutsch und Italienisch sind neben Englisch schon früh unterrichtete Fremdsprachen, so dass zahlreiche Slowenen eine oder mehrere Fremdsprachen beherrschen. Durch den EU-Beitritt des Landes wurde auch Slowenisch Amtssprache der EU.
Religion
Insgesamt sind in Slowenien 50 religiöse Vereinigungen registriert, von denen jedoch 46 nur etwa fünf Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. Die römisch-katholische Kirche ist mit ca. 60 bis 80 Prozent der Bürger (57,8 Prozent nach der letzten Volkszählung 2002, 71,6 Prozent 1991) die größte Religionsgemeinschaft, wenn man die Taufe als das formale Kriterium heranzieht. Nach Daten, die das „Forschungszentrum für öffentliche Meinung und Massenkommunikation“ der Fakultät der Sozialwissenschaften der Universität Ljubljana erhob, betrachten sich ca. 70 Prozent der slowenischen Bürger als dem römisch-katholischen Glauben „zugehörig“. Allerdings gelten die Katholiken als heterogene Gruppe; viele von ihnen sind weit davon entfernt, strenggläubig oder praktizierend zu sein.
Neben der römisch-katholischen Kirche gibt es andere „traditionelle“ religiöse Gemeinschaften: muslimische Gemeinden (etwa 2,5 Prozent der slowenischen Bevölkerung, mehrheitlich aus Bosnien und dem Kosovo stammend), die Serbische und die Makedonische Orthodoxe Kirche (ca. 2,3 Prozent), die Slowenische Evangelische (lutherische) Kirche (ein Prozent) und eine sehr kleine jüdische Gemeinde mit weniger als hundert Mitgliedern. Die restlichen registrierten Gemeinschaften können als neue religiöse Bewegungen betrachtet werden, unter denen es auch solche gibt, die regelmäßig in den Regierungsberichten größerer europäischer Länder als destruktive Kulte oder Sekten klassifiziert werden. Außerdem gibt es zahlreiche neue religiöse Bewegungen, die nicht amtlich registriert wurden, aber als legale Körperschaft oder als Interessengruppen ohne formale Organisation agieren.
Eine repräsentative Umfrage im Auftrag der Europäischen Kommission im Rahmen des Eurobarometers ergab 2020, dass für 28 Prozent der Menschen in Slowenien Religion wichtig ist, für 22 Prozent ist sie weder wichtig noch unwichtig und für 50 Prozent ist sie unwichtig.
Geschichte
Mittelalter bis Anfang 20. Jahrhundert
Man nimmt an, dass die slawischen Vorfahren der Slowenen im 6. Jahrhundert ins Gebiet des heutigen Slowenien zogen und sich dort niederließen. Im 7. Jahrhundert entstand das slawische Fürstentum Karantanien.
Im Verlauf der nächsten zwei Jahrhunderte kam Karantanien zunächst unter bairische, dann unter fränkische Vorherrschaft. Der Sieg des Königs und späteren Kaisers Otto I. in der Schlacht auf dem Lechfeld (bei Augsburg) in der Mitte des 10. Jahrhunderts ermöglichte dem Heiligen Römischen Reich die Expansion nach Osten. Die zuvor in das Gebiet des heutigen Sloweniens, Österreichs, Süddeutschlands und Italiens ausgreifenden Ungarn zogen sich weitgehend in die Pannonische Tiefebene zurück und bauten hier unter den Arpaden das Königreich Ungarn auf. Durch die ungarische Ansiedlung sowie die Expansion der bayerisch-deutschsprachigen Bevölkerung entlang von Alpen und Donau nach Osten wurden die Siedlungsgebiete der westlichen und der südlichen Slawen voneinander getrennt. Unabhängig von der sprachlich-kulturellen Expansion bestimmter Bevölkerungsgruppen breiteten sich attraktive und dominante Herrschaftsstrukturen aus. So wurde Karantanien vom Herzogtum Baiern annektiert und damit in das Ostfränkische Reich eingegliedert. Seit 976 bildete es das Herzogtum Kärnten des Heiligen Römischen Reiches.
Die Markgrafschaft Krain kam über die steirischen Herzöge, Babenberger (Friedrich II.) und Ottokar von Böhmen zu den (österreichischen) Habsburgern. Im Zuge des Aufstiegs der Habsburger Mitte des 13. Jahrhunderts kamen große Gebiete des heutigen Sloweniens unter ihre Herrschaft. Eine Ausnahme bildete die Grafschaft der Sanegg in Cilli, die sich durch geschickte Heiratspolitik bis zum Aussterben der Dynastie 1456 gegen die habsburgische Hegemonie behaupten konnte. Danach stand das spätere slowenische Territorium bis zum Ende des Ersten Weltkriegs – mit einer kurzen Unterbrechung während der Napoleonischen Kriege – unter habsburgischer Herrschaft.
Wie in Österreich konnten Frauen, die Steuern zahlten, bei Kommunalwahlen ab 1849 unter denselben Bedingungen wie Männer wählen. Sie konnten jedoch ihre Stimme nicht persönlich abgeben, sondern mussten einem nahen männlichen Verwandten eine Vollmacht dafür geben, dass dieser für sie abstimmte. Das allgemeine Wahlrecht für Männer wurde 1907 auf nationaler Ebene eingeführt.
Nach dem Ersten Weltkrieg
Das schon im 19. Jahrhundert zunehmend aufflammende Nationalbewusstsein und die Auflösung Österreich-Ungarns gegen Ende des Ersten Weltkriegs führte am 6. Oktober 1918 zunächst zur Bildung eines Nationalrats der Slowenen, Kroaten und Serben. Als italienische Truppen in die slowenische Küstenregion vordrangen und im Norden um Kärnten kämpften (Kärntner Abwehrkampf), bat der Nationalrat das Königreich Serbien um militärische Hilfe. Aus dieser Kooperation entstand am 1. Dezember 1918 das Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS-Staat).
Der Vertrag von Saint-Germain 1919 sprach dem SHS-Staat die Untersteiermark mit der Hauptstadt Marburg (slowenisch Maribor) zu sowie mehrheitlich slowenischsprachige Teile des Kärntner Unterlandes, das Gebiet um Unterdrauburg (slowenisch Dravograd), das Mießtal und Seeland (Jezersko) zu. Bei einem für den SHS-Staat positiven Ausgang einer Volksabstimmung in einem bereits militärisch besetzten gemischtsprachigen Gebiet Kärntens (Zone A) hätte auch in einem Zone B genannten Gebiet, das auch die Kärntner Landeshauptstadt Klagenfurt einschloss, über den Verbleib bei Österreich abgestimmt werden sollen. Durch den Vertrag von Trianon 1920 mit Ungarn ging das Übermurgebiet im Norden (slowenisch Prekmurje) an das SHS-Königreich. Im Grenzvertrag von Rapallo (November 1920) erhielt andererseits Italien die besetzte slowenische Küstenregion.
Im Jahr 1929 – neun Monate nach einem Staatsstreich König Alexanders Karađorđević – nannte sich das Land in Königreich Jugoslawien um. Dadurch verstärkte sich die schon vorher zunehmende Dominanz der Serben im Königreich; zudem litten die Slowenen unter dem Verlust ihrer Küstenregion. Zunehmend innenpolitisch zerrüttet, bewahrte das Königreich die Neutralität.
Zweiter Weltkrieg
Am 25. März 1941 wurde der bis dahin im SHS-Staat die Regierungsgeschäfte führende Prinz Paul (seit 1934 war der minderjährige Peter II. Staatsoberhaupt, Prinz Paul war sein Onkel) von den Achsenmächten zum Mitpaktieren gezwungen. Die Militärführung putschte aber bereits zwei Tage später und setzte den 17-jährigen König Peter II. als Machthaber ein. Die Achsenmächte betrachteten diese Vorgänge an ihrer südöstlichen Flanke als Gefahrenquelle und besetzten im Balkanfeldzug im April 1941 das gesamte Jugoslawien. Slowenien wurde danach unter Italien, Ungarn und Deutschland aufgeteilt. Bereits wenige Tage nach der Besetzung Sloweniens wurde als kommunistisch geführte Widerstandsorganisation die Befreiungsfront (Osvobodilna Fronta) gegründet, die den Nationalen Befreiungskampf Sloweniens führte. Zahlreiche Partisanenverbände formierten sich unter den königstreuen und nach Beginn des Deutschen Krieges gegen die Sowjetunion auch unter den kommunistischen Oppositionellen (unter der Führung Titos).
Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs wurden etwa 80.000 Slowenen aus den von Deutschland besetzten Gebieten hauptsächlich nach Deutschland, aber auch nach Rumänien und Bulgarien deportiert, um dort Zwangsarbeit zu verrichten. Daneben wurden während des Krieges Kinder slowenischer Partisanen, welche als Vergeltungsmaßnahme unter Zwang von ihren Familien getrennt wurden, vor allem nach Franken verschickt.
Am Ende des Zweiten Weltkriegs floh nahezu die gesamte deutschsprachige Minderheit oder wurde vertrieben, interniert oder ermordet. Slowenische und kroatische Verbände, die auf Seiten der Achsenmächte gestanden hatten und die noch nach dem 8./9. Mai 1945 die Kampfhandlungen gegen die jugoslawische Volksbefreiungsarmee fortsetzten, flohen nach Kärnten und begaben sich in den Schutz der englischen Besatzungstruppen. Diese lieferten allerdings die slowenischen und kroatischen Kriegsgefangenen und Zivilisten an die Tito-Partisanen aus, die sie auf Todesmärschen und in dem Massaker von Bleiburg in Kärnten, im Gebiet um Marburg und in den Schluchten des Hornwaldes ermordeten.
Sozialistische Republik
Nach dem Krieg wurde am 29. November 1945 die Demokratische Föderative Volksrepublik Jugoslawien gegründet, ab 1963 nannte sie sich Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien (SFRJ). Slowenien war als Sozialistische Republik Slowenien eine Teilrepublik der SFRJ.
Am 10. August 1945 erhielten Frauen in der Sozialistischen Republik Slowenien das Wahlrecht. Diese wurde Teil Jugoslawiens, das in der Verfassung vom 31. Januar 1946 das Frauenwahlrecht garantierte. Die volle rechtliche, wirtschaftliche und gesellschaftliche Gleichberechtigung der Geschlechter und damit das aktive und passive Frauenwahlrecht wurden in der Verfassung von 1946 erstmals garantiert.
Das seit 1947 theoretisch unter UNO-Verwaltung stehende Freie Territorium Triest mit einem Großteil von Istrien wurde 1954 im Londoner Memorandum provisorisch zwischen Italien und Jugoslawien aufgeteilt, doch erst am 10. November 1975 wurde diese provisorische Aufteilung im Vertrag von Osimo besiegelt. Im Zuge dieser Aufteilung gelangte Slowenien in den Besitz von Koper (Capodistria) und Portorož (Portorose) mit knapp 50 Kilometer Adriaküste, doch ist die Grenzziehung zwischen den ehemaligen jugoslawischen Teilrepubliken Kroatien und Slowenien in diesem Gebiet noch immer nicht völlig präzise geregelt.
Unabhängigkeit
Die wachsende Unzufriedenheit mit der Belgrader Führung während der 1980er Jahre mündete in die Unabhängigkeitserklärung Sloweniens am 25. Juni 1991. Nach der slowenischen Territorialverteidigung beendete der Truppenabzug der Jugoslawischen Volksarmee (JNA) den 10-Tage-Krieg, was die Verabschiedung einer demokratischen Verfassung nach europäischem Vorbild am 23. Dezember 1991 und die Gründung einer eigenen Republik ermöglichte. Schon binnen Monatsfrist wurde der neue Staat von allen (damals zwölf) Mitgliedern der EG anerkannt. Das Frauenwahlrecht wurde bestätigt.
Die ethnisch relativ homogene Bevölkerung und die wenigen Kriegshandlungen mit geringen Zerstörungen ermöglichten eine schnelle Stabilisierung und demokratische Entwicklung des Staates. Dies wurde mit dem Beginn der Beitrittsverhandlungen zur EU im November 1998 honoriert. Die Verhandlungen konnten erfolgreich abgeschlossen werden und die slowenische Bevölkerung stimmte in einer Volksabstimmung am 23. März 2003 mit deutlichen Mehrheiten dem Beitritt des Landes zur Europäischen Union (89,6 Prozent) und zur NATO (66,1 Prozent) zu. Am 1. Mai 2004 trat Slowenien – zusammen mit neun anderen Ländern – der Europäischen Union bei („Osterweiterung“). Zu diesem Tag ratifizierte die slowenische Regierung das Schengener Abkommen, was am 21. Dezember 2007 zum Wegfall der Grenzkontrollen an den Grenzen zu Österreich, Ungarn und Italien führte. Seit 1. Januar 2007 ist der Euro gültige Währung in Slowenien, der Tolar wurde abgelöst.
Die Republik Slowenien erlebte 2013 die größten Demonstrationen in ihrer Geschichte. Die Sparmaßnahmen der Regierung wurden von den Gewerkschaften angeprangert, aber auch von vielen Bürgern, die sich über die Korruption der politischen Klasse empörten. In den Demonstrationszügen prangerten viele die Europäische Union an, und viele Demonstranten schwenkten Flaggen des ehemaligen Bundesstaates Jugoslawien.
Ab Herbst 2015 war Slowenien Durchgangsort für eine halbe Million Flüchtlinge und Migranten; die meisten auf ihrem Weg nach Deutschland und Nordeuropa. Die Regierung unter Miro Cerar verabschiedete im Zuge dessen verschärfte Asylgesetze, errichtete einen Grenzzaun an der Grenze zu Kroatien und limitierte die Asylantragszahlen auf 50 Personen pro Monat.
Ähnlichkeiten der Landesnamen von Slowenien und Slowakei
Die heutige Selbstbezeichnung der südslawischen Slowenen leitet sich wie auch die der westslawischen Slowaken von der Urbezeichnung aller Slawen, den Sloveni, ab. So bezeichnen die Slowenen ihr Land als Slovenija, während die Slowakei bei den Slowaken Slovensko heißt. Die slowenische Sprache wird auf Slowenisch als slovenščina, die slowakische Sprache auf Slowakisch als slovenčina bezeichnet. Das Wort für Slowenin (auf slowenisch) und Slowakin (auf slowakisch) ist in beiden Sprachen gleich: Slovenka. Der einzige größere Unterschied besteht heute in der männlichen Form: Während sich bei den Slowenen die männliche Originalform Slovenec bis heute erhalten hat, kam es bei den Slowaken im 15. Jahrhundert (unter tschechischem und polnischem Einfluss) zu einer Umbildung, bei der die ursprüngliche männliche Bezeichnung Sloven durch die heutige Bezeichnung Slovák ersetzt wurde.
Politik
Politisches System
Staatsoberhaupt der Republik Slowenien ist der Präsident, der eine vorwiegend repräsentative Funktion ausübt und alle fünf Jahre direkt von der Bevölkerung gewählt wird. Als Teil der exekutiven Gewalt wird er vom Ministerpräsidenten und dem Kabinett unterstützt, die beide von der Staatsversammlung gewählt werden.
Das slowenische Parlament besteht aus zwei Kammern: Der Staatsversammlung (Državni zbor) und dem Staatsrat (Državni svet). Die Staatsversammlung setzt sich aus 90 Abgeordneten zusammen, die jeweils zum Teil durch direkte Wahl beziehungsweise durch Proportionalwahlrecht bestimmt werden. Die autonomen Minderheiten der Italiener und Ungarn haben ein garantiertes Volksgruppenmandat. In Fragen, welche ausschließlich die jeweiligen Rechte der Minderheit betreffen, besitzen diese Volksgruppenabgeordneten ein absolutes Vetorecht. In den Staatsrat werden 40 Abgeordnete aus sozialen, wirtschaftlichen und regionalen Interessengruppen entsandt. Die Parlamentswahlen finden alle vier Jahre statt.
Im Zuge der NATO-Osterweiterung wurde Slowenien am 29. März 2004 Mitglied der NATO. Seit 1. Mai 2004 ist es Mitglied der Europäischen Union.
Noch immer ist der genaue Grenzverlauf zwischen Slowenien und Kroatien nicht geklärt. Am 6. Juni 2010 wurde in einem Volksentscheid beschlossen, diese Streitigkeiten mit Hilfe einer internationalen Kommission unter Führung der EU beizulegen.
Seit dem 21. Juli 2010 ist Slowenien Mitglied der OECD.
Begleitet von Protesten aus der eigenen Bevölkerung und harscher Kritik der EU an der politischen Entwicklungen in Slowenien durch die Regierung von Janez Janša übernahm das Land am 1. Juli 2021 die EU-Ratspräsidentschaft von Portugal. Die EU beklagt die Beschneidung der Pressefreiheit durch die regierende SDS sowie die fehlende Ernennung slowenischer Ermittler für die Europäische Staatsanwaltschaft (EPPO). Das Motto für Sloweniens EU-Ratspräsidentschaft lautet „Gemeinsam.Resilient.Europa“.
Politische Indizes
Militär
Die Slowenischen Streitkräfte verfügen über Land-, Luft- und Seeeinheiten, die aber nicht als selbständige Teilstreitkräfte organisiert sind. Es gibt ca. 7.500 aktive slowenische Soldaten. Der Wehretat lag im Jahr 2014 bei 486 Millionen US-Dollar, was einem Anteil von 1,0 % des damaligen Bruttoinlandprodukts (BIP) entspricht.
Gliederung
Verwaltungsgliederung
Slowenien ist in 212 Gemeinden (slowenisch Občine, Sg. Občina), darunter zwölf Stadtgemeinden (Mestne občine, Sg. Mestna občina) gegliedert. Zwischen der Gemeindeebene und dem Gesamtstaat ist keine weitere administrative Ebene vorhanden.
NUTS-2-Regionen
Nach der EU-weiten Systematik der NUTS-Gliederung ist Slowenien auf NUTS-2-Ebene in zwei Kohäsionsregionen (Kohezijske regije) eingeteilt, die aber keine administrative Bedeutung besitzen:
Vzhodna Slovenija (Ostslowenien)
Zahodna Slovenija (Westslowenien)
Diese Regionen wurden nach Gesichtspunkten der Regionalentwicklung eingeteilt. Während Westslowenien die wirtschaftsstarken Gebiete um Ljubljana, Kranj und Koper umfasst, liegen in Ostslowenien die schwächer entwickelten Landesteile.
Statistische Regionen
Slowenien ist außerdem in zwölf Statistikregionen eingeteilt, die ebenfalls keine administrative Bedeutung besitzen.
Statistische Regionen
Gorenjska regija
Goriška regija
Jugovzhodna Slovenija regija
Koroška regija
Primorsko-notranjska regija (bis 2014: Notranjsko-kraška regija)
Obalno-kraška regija
Osrednjeslovenska regija
Podravska regija
Pomurska regija
Savinjska regija
Posavska regija (bis 2014: Spodnjeposavska regija)
Zasavska regija
Landschaften
Zudem gibt es eine Gliederung in fünf historische Landschaften, die der Verwaltungsgliederung Österreich-Ungarns entsprechen und als Gebietsbezeichnungen nicht nur üblich sind, sondern Teil der regionalen Identität sind. Insbesondere in der slowenischen Steiermark existiert eine starke Identifikation mit einem slowenischen Steirertum in Abgrenzung zur Hauptstadt Ljubljana.
Historische Landschaften Sloweniens
Primorska (slowenisches Küstenland)
Slovenska Istra (Slowenisch-Istrien)
Kranjska (Teil des früheren Kronlandes Krain)
2a Gorenjska (Oberkrain)
2b Notranjska Innerkrain
2c Dolenjska (Unterkrain) und Bela krajina (Weißkrain)
Koroška (Teil des früheren Kronlandes Kärnten (Slowenisch-Kärnten))
(Spodnja) Štajerska (Teil des früheren Kronlandes Steiermark (Untersteiermark))
Prekmurje (Übermurgebiet)
Wirtschaft
Überblick
2004 wurde die ehemalige jugoslawische Teilrepublik zusammen mit neun anderen Staaten EU-Mitglied. Als erster dieser zehn Staaten konnte es am 1. Januar 2007 auf den Euro als Währung umstellen, wobei die Relation 239,64 Tolar für 1 Euro betrug. Der Übergangszeitraum, in dem sowohl der Euro als auch der Tolar gesetzliches Zahlungsmittel waren, betrug zwei Wochen (1. bis 14. Januar 2007).
Das Land hat eine gemischte Wirtschaft, die zwischen Landwirtschaft, Industrie, Dienstleistungen und Fremdenverkehr relativ ausgewogen ist. Nennenswerte Arbeitgeber sind beispielsweise das Öl- und Energieunternehmen Petrol, der Haushaltswarenhersteller Gorenje, das Pharmazieunternehmen Krka, der Reisemobilhersteller Adria Mobil oder das Revoz-Autowerk in Novo mesto, eine Tochter von Renault. Das Pro-Kopf-Einkommen der Slowenen liegt im europäischen Mittelfeld. Im Vergleich mit dem BIP der EU, ausgedrückt in Kaufkraftstandards, erreichte Slowenien 2016 einen Indexwert von 83 (EU-28:100) und damit etwa 67 % des deutschen Wertes.
Bei den Verhandlungen über den EU-Beitritt bestand Slowenien auf zahlreichen Ausnahmeregelungen und lehnte eine vollständige Öffnung einiger Schlüsselsektoren der Wirtschaft für den Wettbewerb ab. So ist das Land das einzige in Mittel- und Osteuropa, das die Kontrolle über seinen Bankensektor behalten hat. Das Land hat auch einen wichtigen öffentlichen Dienst bewahrt, der während der sozialistischen Periode aufgebaut wurde; Slowenien verfügt nach wie vor über eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, und die Bildung ist bis zur dritten Universitätsstufe kostenlos.
Das BIP betrug 2013 pro Kopf 23.289 $. Damit lag Slowenien noch vor Portugal und deutlich vor allen anderen mittelosteuropäischen EU-Ländern wie Tschechien, Polen oder Estland. Die Auslandsverschuldung belief sich 2014 auf ca. 9,8 Mrd. Euro. Das Wirtschaftswachstum lag 2015 bei 2,9 %, für 2016 wird mit knapp 2 % Wachstum gerechnet. Das durchschnittliche Wachstum in den Jahren 1997 bis 2014 betrug 2,53 %. Das BIP des Landes betrug im Jahr 2015 38,543 Mrd. Euro, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf 18.680 Euro. Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Slowenien Platz 48 von 137 Ländern (Stand 2017–2018). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land 2017 Platz 97 von 180 Ländern.
Im Januar 2023 lag die registrierte Arbeitslosenquote in Slowenien bei 5,6 %, das heißt um 1,3 % niedriger als im Januar 2022. Die niedrigste Quote der registrierten Arbeitslosigkeit verzeichneten die Regionen Oberkrain (Gorenjska) (4,2 %) und Görtz (Goriška) (4,5 %). Es folgen das Küstenland-Innerkrain (Primorsko-notranjska) (4,2 %) und Zentralslowenien (Osrednjeslovenska) (4,9 %). Eine über dem Landesdurchschnitt liegende Quote wiesen dagegen folgende Regionen auf: Küsten- und Karstgebiet (Obalno-kraška) (5,7 %), Südostslowenien (Jugovzhodna Slovenija) (5,8 %), Obere Save-Gegend (Zasavska) (5,9 %), Unterkärnten (Koroška) (5,9 %), Sann-Gegend (Savinjska) (6,4 %), Draugegend (Podravska) (6,6 %), Untere Save-Gegend (Posavska) (7,0 %) und Murgebiet (Pomurska) (8,4 %).
Kennzahlen
Alle BIP-Werte sind in Euro angegeben. In der folgenden Tabelle kennzeichnen die Farben:
Landwirtschaft
Die Unabhängigkeit Sloweniens erbrachte in der Landwirtschaft des Landes eine Phase der „Marktbereinigung“ ein. Die Zahl der landwirtschaftlichen Betriebe nahm rapide ab: eine Entwicklung, die sich erst Anfang der 2000er Jahre verlangsamte. Im Jahre 2005 betrug die gesamte landwirtschaftliche Nutzfläche 648.113 ha und die Gesamtzahl der Betriebe 77.000, wovon 85 % weniger als zehn Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche vorzuweisen hatten. Der Gesamtwert der landwirtschaftlichen Produktionsleistung betrug im Jahr 2005 959 Millionen Euro, was damals etwas weniger als 2 % des BIP des Landes entsprach. Anlass zur Sorge aus Sicht der slowenischen Regierung bereitet die Altersstruktur der Landwirte: Nur 18,8 % von ihnen sind jünger als 45 Jahre, 56,9 % dagegen älter als 55 Jahre.
Ein wichtiger Zweig der slowenischen Landwirtschaft ist die Viehzucht. Sie trägt zu mehr als 50 Prozent zur Produktionsleistung bei (2005: 511 Mio. Euro). Entsprechend groß ist der Anteil des Wiesen- und Weidelandes und der Futteranbauflächen mit jeweils 60 Prozent und 20 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Sloweniens. Trotz leichten Rückgangs seit Mitte der 1990er Jahre macht der Viehbestand an Rindern und Schweinen den größten Teil der Viehzucht aus (452.517 Rinder bzw. 547.432 Schweine im Jahr 2005). Die Zahl von Ziegen und Schafen (zusammen) sowie Pferden hat sich seit 1997 zwar in etwa verdoppelt, bleibt aber mit 154.832 und 19.249 Stück deutlich dahinter.
Die Lebensmittel- und die Getränkeindustrie Sloweniens mussten in den letzten 20 Jahren gleich zwei große Krisen verkraften: Zum einen das Wegbrechen der Absatzmärkte im ehemaligen Jugoslawien seit Anfang der 1990er Jahre und ab 2004 die starke Konkurrenz der europäischen Großkonzerne nach dem EU-Beitritt des Landes. Vorteilhaft war der EU-Beitritt für die benachteiligten landwirtschaftlichen Gebiete (im Sinne der Richtlinie 75/268/EWG des Rates vom 28. April 1975 über die Landwirtschaft in Berggebieten und in bestimmten benachteiligten Gebieten.) Für diese schwer zugänglichen und häufig wenig Ertrag bringenden Gebiete, von denen Slowenien 440.349 ha besitzt, sieht die EU Förderungsmaßnahmen vor, um die Aufgabe der Landwirtschaft in diesen Landstrichen zu verhindern. Ein bedeutendes ökonomisches Wachstumspotenzial wird der Forstwirtschaft bescheinigt. 59,8 Prozent der Fläche Sloweniens sind mit Wald bedeckt, was im europäischen Vergleich nur von Schweden und Finnland übertroffen wird. In den überwiegend als Mischwald gewachsenen Forsten dominieren Fichte (32 Prozent) und Buche (31 Prozent). Trotz der großen Ausdehnung der slowenischen Wälder trägt die Forstwirtschaft zu nur 0,2 Prozent zum BIP des Landes bei. Einer stärkeren wirtschaftlichen Nutzung steht die Tatsache entgegen, dass die Wälder im Hinblick auf ihre Besitzverhältnisse sehr stark fragmentiert sind. 72 Prozent der Gesamtfläche sind in Privatbesitz von ca. 489.000 Eigentümern, was eine durchschnittliche Größe von weniger als drei Hektar pro Eigentümer ergibt. Diese Zerstückelung erschwert die optimale forstwirtschaftliche Nutzung der slowenischen Wälder.
Einen relativ hohen Anteil an der landwirtschaftlichen Fläche nimmt der Weinbau ein. Etwa 40.000 private und professionelle Winzer pflegen den Weinbau oft schon in der fünften oder sechsten Generation. Verbessertes Know-how und die Auslese der Trauben führten zu einem Qualitätsgewinn in der breiten Masse der angebotenen Weine. Die Mengen aus habsburgischer und vorkommunistischer Zeit wurden wieder erreicht.
Industrie
In der Industrie sind rund 40 Prozent der arbeitenden Bevölkerung tätig. Die Automobilindustrie hat mit über 20 Prozent den größten Anteil am Export Sloweniens. Neben dieser sind die Elektro- und Elektronikindustrie (zirka 10 Prozent), Metallverarbeitung und Maschinenbau (10 Prozent) sowie die chemische und pharmazeutische Industrie (9 %) von größter Bedeutung. Ein wachsender Industriezweig ist durch die Automobilindustrie (und Automobilzulieferindustrie im weitesten Sinne) unter anderem aufgrund des Renault-Werkes gegeben. Das Gewerbe trägt insgesamt 27 Prozent zum BIP bei. In Slowenien ist Pipistrel, ein Flugzeughersteller für Ultraleichtflugzeuge, ansässig.
Dienstleistungen
Seit seiner Unabhängigkeit im Jahre 1991 konnte Slowenien seinen Dienstleistungssektor beträchtlich ausbauen. Dieser stellt mittlerweile 53 Prozent der Arbeitsplätze im Land. Slowenien besitzt bereits ein für Mitteleuropa gut ausgebautes Verkehrssystem. Neben den kulturellen und wirtschaftlichen Zentren in Ljubljana, Hauptstadt mit eigenem internationalen Flughafen, sowie Maribor besteht vor allem in den Julischen Alpen, in den Höhlen von Postojna und an der Küste des Adriatischen Meeres Tourismus mit entsprechender Infrastruktur. Hohes internationales Ansehen genießt das Gestüt Lipica mit seiner renommierten Lipizzaner-Zucht. Seit einigen Jahren gewinnt zudem der Gesundheitstourismus im Nordosten des Landes der Thermen an Bedeutung. Im ersten Halbjahr 2017 kamen mehr als 1,9 Millionen Touristen nach Slowenien.
Mit dem Seehafen Koper () besitzt Slowenien Übersee-Handelsverbindungen in alle Welt und ist Durchgangsland für Waren nach Mitteleuropa.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 20,51 Milliarden US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 19,32 Milliarden US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 2,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Die Staatsverschuldung betrug 2016 34,7 Milliarden US-Dollar oder 78,9 Prozent des BIP. Von der Ratingagentur Standard & Poor’s werden die Staatsanleihen des Landes mit der Note A+ bewertet (Stand November 2018).
Der Anteil der Staatsausgaben (in % des BIP) folgender Bereiche:
Gesundheit: 9,1 Prozent (2009)
Bildung: 5,2 Prozent (2007)
Militär: 1,0 Prozent (2014)
Infrastruktur
Bildung
Das slowenische Schulsystem besteht aus Primär- und Sekundarstufe. Es existieren die staatlichen Universitäten Ljubljana, Maribor, Primorska, sowie zahlreiche private Hochschulen, Bildungs- und Forschungsinstitute.
Feuerwehr
In der Feuerwehr in Slowenien waren im Jahr 2019 landesweit 950 Berufs- und 167.454 freiwillige Feuerwehrleute organisiert, die in 1.341 Feuerwachen und Feuerwehrhäusern, in denen 2.505 Löschfahrzeuge und 43 Drehleitern bzw. Teleskopmasten bereitstehen, tätig sind. Der Frauenanteil beträgt 33 Prozent. In den Jugendfeuerwehren sind 42.656 Kinder und Jugendliche organisiert. Die slowenischen Feuerwehren wurden im selben Jahr zu 153.758 Einsätzen alarmiert, dabei waren 4.427 Brände zu löschen. Hierbei wurden 13 Tote von den Feuerwehren bei Bränden geborgen und 209 Verletzte gerettet. Der nationale Feuerwehrverband Gasilska Zveza Slovenije repräsentiert die slowenische Feuerwehr im Weltfeuerwehrverband CTIF.
Straße
Das gesamte asphaltierte Straßennetz umfasste 2012 etwa 38.985 km. Slowenien besitzt eine gute Infrastruktur mit einem modernen Autobahnnetz. Die Zentren sind die Hauptstadt Ljubljana und Maribor. Gut eingebunden sind auch die Tourismus- und Skigebiete in den Julischen Alpen und an der kurzen Adriaküste.
Seit dem 1. Juli 2009 gilt in Slowenien ein neues Mautsystem. Es gibt eine Kurzzeitvignette (sieben Tage) für 15 Euro, eine Monatsvignette für 30 Euro und eine Jahresvignette für 110 Euro. Motorradfahrer bezahlen 7,50 Euro für sieben Tage, 30 Euro für ein halbes oder 55 Euro für ein ganzes Jahr.
Die zwei längsten Autobahnen Sloweniens sind die A1, die in nordost-südwestlicher Richtung von Maribor nach Ljubljana und weiter nach Koper führt, sowie die A2, die in nordwest-südöstlicher Richtung vom Karawankentunnel ebenfalls über Ljubljana zur kroatischen Grenze gegen Zagreb führt. Diese zwei Autobahnen wurden 2009 vollendet und verbinden die Zentren des Landes.
Flug- und Seehäfen
Der größte internationale Flughafen heißt Letališče Jožeta Pučnika Ljubljana und liegt bei Brnik in der Nähe der Hauptstadt Ljubljana. Daneben gibt es die zwei kleineren Flughäfen Maribor und Portorož.
Mit dem Hafen Koper (italienisch Capodistria) besitzt Slowenien Übersee-Handelsverbindungen in alle Welt und ist Durchgangsland für Waren nach Mitteleuropa.
Eisenbahn
Die slowenischen Staatsbahnen Slovenske železnice betreiben ein ausgedehntes Streckennetz mit einer Länge von 1229 km – wovon 504 km mit 3000 Volt Gleichstrom elektrifiziert sind –, das viele slowenische Städte miteinander verbindet, darunter die wichtige Verbindung zum Seehafen Koper. Entlang der Save verlaufen die beiden wichtigsten Bahnverbindungen von Villach in Österreich über Ljubljana nach Zagreb in Kroatien und von Wien über Graz, Maribor, Ljubljana nach Rijeka/Koper/Triest (Bahnstrecke Spielfeld-Straß–Triest). Eine weitere wichtige Eisenbahnverbindung durch Slowenien verbindet Italien mit Ungarn. Nach der Unabhängigkeit wurde die zuvor stillgelegte Bahnstrecke Zalalövő–Murska Sobota als direkte Verbindung nach Ungarn wieder aufgebaut.
Landschaftlich besonders reizvoll ist die Strecke der Wocheinerbahn, die früher eine wichtige Verbindung zwischen Wien und Triest war, inzwischen aber vorwiegend dem lokalen Verkehr dient.
Kultur
Medien
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk Radiotelevizija Slovenija hat seinen Sitz in Ljubljana sowie Regionalstudios in Maribor und Koper. Dort werden auch Inhalte für die ungarischsprachige und italienischsprachige Minderheit in Slowenien produziert. RTV produziert drei landesweite Fernseh- und drei landesweite Radioprogramme.
Die Slovenska tiskovna agencija (STA) ist die staatliche Nachrichtenagentur Sloweniens. Laut SZ wird die Agentur unter der Regierung Janša „ausgeblutet“. Die 100 % staatliche Agentur erhält seit Beginn des Jahres 2021 kein Geld mehr. Janša forderte öffentlich strafrechtliche Ermittlungen gegen den Direktor und seine Absetzung.
Als privater Medienanbieter versucht die Partei SDS das rechtsextreme Medienkonglomerat Nova 24 TV zu etablieren. Das Mediennetzwerk und etliche Regionalblätter stehen unter dem Einfluss des Ministerpräsidenten Janša und dessen Partei. Nova 24 TV wird finanziell von Geschäftsleuten aus dem Umfeld des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán (Fidesz) gesichert.
Die wichtigste Zeitung Sloweniens ist Delo (Die Arbeit). Sie erscheint seit 1959 und ist eine von insgesamt acht Tageszeitungen Sloweniens. Delo hatte 2014 eine Auflage von rund 78.500 Exemplaren.
Im Jahr 2021 nutzten 89 Prozent der Einwohner Sloweniens das Internet.
Pressefreiheit
RSF beklagt häufige Verleumdungsklagen und Beschimpfungen wichtiger Politiker gegen Medien. Speziell seit der rechtskonservative Janez Janša im Frühjahr 2020 erneut Ministerpräsident wurde, habe sich das Klima gegen kritischen Journalismus verschärft. Kritische Journalisten würden in sozialen Netzwerken und regierungsnahen Medien massiv angegriffen. Laut RSF versucht Janša auch aktiv Einfluss auf die slowenischen Medien zu nehmen: Jansa kürze die Mittel und nehme Einfluss auf die Besetzung von Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Medien. Auch übte seine Regierung Druck auf die staatliche slowenische Nachrichtenagentur Slovenska tiskovna agencija (STA) aus, deren Berichterstattung Janša als „nationale Schande“ bezeichnete. Regierungsnahe private Medien, wie Nova 24 TV, werden laut RSF von seiner Regierung gefördert. Laut SZ baut der Ministerpräsident ein "konservatives Imperium" rund um den Sender auf. An ihnen sind häufig Geschäftsleute aus dem Umfeld des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán beteiligt; Orbán und Janša seien laut Beobachtern durch die gleiche politische Agenda verbunden.
Slowenische Architekten
Max Fabiani (1865–1962)
Jože Plečnik (1872–1957)
Schriftsteller
Primož Trubar (1508–1586)
Jurij Dalmatin (1508–1589)
France Prešeren (1800–1849)
Fran Levstik (1831–1887)
Simon Jenko (1835–1869)
Anton Aškerc (1856–1912)
Fran Saleški Finžgar (1871–1962)
Franc Ksaver Meško (1874–1964)
Ivan Cankar (1876–1918)
France Bevk (1890–1970)
Juš Kozak (1892–1964)
Louis Adamic (1899–1951)
Vladimir Bartol (1903–1967)
Edvard Kocbek (1904–1981)
Anton Ingolič (1907–1992)
Miško Kranjec (1908–1983)
Ciril Kosmač (1910–1980)
Boris Pahor (1913–2022)
Alojz Rebula (1924–2018)
Lojze Kovačič (1928–2004)
Žarko Petan (1929–2014)
Taras Kermauner (1930–2008)
Kajetan Kovič (1931–2014)
Andrej Kokot (1936–2012)
Tomaž Šalamun (1941–2014)
Drago Jančar (* 1948)
Slavoj Žižek (* 1949)
Marko Sosič (1958–2021)
Aleš Debeljak (1961–2016)
Tanja Tuma (* 1964)
Taja Kramberger (* 1970)
Ana Marwan (* 1980)
Nataša Kramberger (* 1983)
Künstler / Künstlergruppen
Anton Ažbe (1862–1905), Maler
Evgen Bavčar (* 1946), Fotograf
Gabrijel Stupica (1913–1990), Maler
Janez Šubic (1850–1889), Maler
Jurij Šubic (1855–1890), Maler
Janez Vajkard Valvasor (1641–1693), Zeichner
Marko Pogačnik (* 1944), Bildhauer, Geomant
Neue Slowenische Kunst
Musiker / Musikgruppen
Slavko Avsenik – Original Oberkrainer Quintett
Laibach
Siddharta
Atomik Harmonik
Anton Dermota
Perpetuum Jazzile
Omar Naber
Anžej Dežan
Magnifico
Elvis Jackson
Maja Keuc
Eva Boto
Alenka Gotar
Maraaya
Uroš Umek
Joker Out
Sport
Neben Fußball spielt Basketball bei den Mannschaftssportarten eine herausragende Rolle in Slowenien.
Zudem erlebt der Handball seit der Handball-Europameisterschaft der Männer 2004 im eigenen Land und dem dabei erreichten Vizeeuropameistertitel einen neuen Aufschwung. Im Vereinshandball machen die slowenischen Mannschaften auf europäischer Ebene durch beachtenswerte Ergebnisse auf sich aufmerksam. In der Saison 2003/04 konnte der Serienmeister RK Celje sogar mit dem Gewinn der EHF Champions League den wichtigsten europäischen Vereinstitel nach Slowenien holen. RK Krim gelang dieses Kunststück im Frauenwettbewerb bereits 2001 und 2003.
Der Wintersport hat in Slowenien ähnlichen Stellenwert wie in Österreich oder der Schweiz. In Planica findet regelmäßig das FIS-Weltcup-Finale der Skispringer auf der dortigen Flugschanze Letalnica bratov Gorišek statt. Diese Flugschanze ist die zweitgrößte der Welt. Weltklassespringer neuerer Zeit sind die Vierschanzentourneesieger Primož Peterka und Peter Prevc sowie der Skiflugweltmeister Robert Kranjec. Im Alpinsport sind Tina Maze, Mateja Svet, Bojan Križaj, Jure Košir, Špela Pretnar oder Urška Hrovat zu nennen. Der alpine Skiweltcup macht jährlich in Maribor bei den Rennen um den Goldenen Fuchs und in Kranjska Gora beim Vitranc-Pokal Station. Die slowenische Skifirma Elan wurde insbesondere mit den Siegen Ingemar Stenmarks bekannt.
Slowenien hat seit den 2010er Jahren erfolgreiche Athleten beim Klettern: Janja Garnbret (Olympiasiegerin 2020/2021, Siegerin der EM 2022), Mia Krampl (Zweite der EM 2022 in der Kombination).
Radsport: Im Jahr 2020 gewann erstmals mit Tadej Pogačar ein Slowene die Tour de France. Sein Landsmann Primož Roglič belegte den 2. Platz in der Gesamtwertung.
Im Bereich Motorsport findet in Krško regelmäßig der Grand Prix von Slowenien der Speedway-WM statt.
Der See von Bled war schon mehrfach Schauplatz internationaler Ruderregatten (Welt- und Europameisterschaften).
Special Olympics Slowenien wurde 1993 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Kassel betreut.
Feiertage
Siehe auch
Literatur
Peter Štih, Vasko Simoniti, Peter Vodopivec: Slowenische Geschichte. Gesellschaft – Politik – Kultur. Leykam, Graz 2008, ISBN 978-3-7011-0101-6.
Weblinks
Offizielle Website der Republik Slowenien (slowenisch, englisch)
Fakten über Slowenien. Kommunikationsamt der Slowenischen Regierung (PDF; 6,3 MB)
Statistični urad Republike Slovenije – Statistisches Amt der Republik Slowenien (slowenisch, englisch)
Schwerpunkt auf eurotopics.net (Angebot der Bundeszentrale für politische Bildung)
Länderprofil Slowenien des Statistischen Bundesamts
Landkarte und Luftbilder mit jedem Dorf in Slowenien (slowenisch)
Geologische Entstehungsgeschichte Sloweniens
www.slovenia.info (Slowenische Tourismuszentrale)
Landesinformationen - Slowenien des deutschen Auswärtigen Amtes
Einzelnachweise
Staat in Europa
Mitgliedstaat der Europäischen Union
Mitglied des Europarats
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Mitgliedstaat der NATO
Mitgliedstaat der OECD
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Q215
| 4,385.268664 |
12912
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https://de.wikipedia.org/wiki/Apartheid
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Apartheid
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Als Apartheid (wörtlich „Getrenntheit“) wird eine geschichtliche Periode der staatlich festgelegten und organisierten „Rassentrennung“ in Südafrika und Südwestafrika bezeichnet. Sie war vor allem durch die autoritäre, selbsterklärte Vorherrschaft der „weißen“, europäischstämmigen Bevölkerungsgruppe über alle anderen gekennzeichnet. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts begonnen, hatte sie ihre Hochphase von den 1940er bis zu den 1980er Jahren und endete 1994 nach einer Phase der Verständigung mit einem demokratischen Regierungswechsel, bei dem Nelson Mandela der erste schwarze Präsident des Landes wurde. Heute wird der Begriff manchmal auch als Synonym für rassistische Segregation im Allgemeinen verwendet. Zudem wurde das politische Handeln mit solchen Bestrebungen als Straftatbestand ins internationale Recht aufgenommen (→ Apartheid (Recht)).
Etymologie
Apartheid bedeutet ‚Getrenntheit‘, gebildet aus dem Afrikaans- oder niederländischen Adjektiv apart für ‚getrennt, einzeln, besonders, anders‘, was ursprünglich aus dem Lateinischen stammt: pars ‚der Teil‘, ad partem ‚(nur) zu einem Teil‘. In weiteren Sprachen:
Im Französischen bedeutet à part de ‚abseits von, ausgenommen von‘.
Im Englischen bedeutet apart ‚abseits, getrennt‘, aber auch ‚merkwürdig‘.
Im Deutschen gibt es eine Verwandtschaft im Wort Partei, während das Wort apart hauptsächlich im Sinne von ‚reizend, attraktiv‘ verwendet wird.
Vorbedingungen
Bei der Entwicklung von Theorie und Praxis der Apartheid waren viele historische, gesellschaftlich-soziologische, religiöse und psychologische Faktoren wirksam. Die Relevanz und Bedeutung der einzelnen Komponenten wird von der Forschung kontrovers diskutiert. Im engeren Sinne wird nur die seit 1948 praktizierte gesetzlich verankerte Politik der Rassentrennung als Apartheid bezeichnet. In Südafrika wird der Apartheidsbegriff von offiziellen Stellen bereits für die politisch-legislativen Maßnahmen zur Rassentrennung vor 1948 verwendet, da die Grundlagen der Apartheid bereits ab 1908 schrittweise entstanden. Mit dem Sieg der Nationalen Partei – sie gewann zwar keine Mehrheit der Stimmen, siegte aber aufgrund des Wahlsystems – bei den Parlamentswahlen 1948 und der sich anschließenden Regierungsbildung unter Führung von Daniel François Malan erreichte die Ideologie der Apartheid eine Dynamik hin zu einer noch strengeren und autoritären Ausprägung als die Rassentrennungspolitik vorangegangener Regierungen. Die Geschichte der Apartheid in Südafrika wurde vor allem durch die Konflikte zwischen zugewanderten Bevölkerungsgruppen der Bantu, niederländischstämmigen Buren, Briten und später auch den als Coloured bezeichneten „Mischlingen“ sowie Indischstämmigen geprägt. Dementsprechend war die demographische Struktur Südafrikas eine Basis zur Herausbildung des Apartheidsystems.
Von der Ostindien-Kompanie bis zum Eingreifen der Briten
Ursprünglich war die Region südlich des Sambesi von den San besiedelt. Im 16. und 17. Jahrhundert stießen bantusprachige Gruppen aus dem Norden in deren Siedlungsgebiet vor und verdrängten die indigene Bevölkerung teilweise. Mitte des 16. Jahrhunderts errichteten portugiesische Seefahrer als erste Europäer kleine Niederlassungen an der Küste. 1652 gründete Jan van Riebeeck am Kap der Guten Hoffnung im Namen der Niederländischen Ostindien-Kompanie eine Station zur Versorgung von Schiffen mit Lebensmitteln, aus der in der Folge Kapstadt entstand. Die Niederländer, ab dem 18. Jahrhundert als Buren bekannt, betrieben Landwirtschaft und begannen mit den Einheimischen Handel zu treiben. Die Briten erlangten die Kontrolle über die Kapprovinz. Bei ihrem Vordringen Richtung Osten stießen sie auf die Xhosa; von 1779 bis 1879 kam es zu neun Kriegen (Xhosa- oder Kap-Grenzkriege), bei denen die Xhosa den weißen Truppen unterlagen.
Calvinismus und Apartheid
Die niederländischstämmigen Buren waren durch den Calvinismus geprägt, der Johannes Calvins Prädestinationslehre weiterentwickelte. In der neo-calvinistischen Nederduitse Gereformeerde Kerk (NGK) auf dem Gebiet des heutigen Südafrikas, der auch heute noch die Mehrzahl aller weißen Afrikaaner angehören, war es bis 1857 selbstverständlich, dass Weiße und Nichtweiße gemeinsam beteten und kommunizierten. Erst 1857 beschloss diese, dass Nichtweiße „ihre christlichen Privilegien in einem separaten Gebäude oder Institute genießen“ sollten. Zur religiösen Legitimation der Apartheid wurden Stellen aus dem Alten Testament wie oder herangezogen.
Mit zentralen Aussagen Calvins, für den eine Unterscheidung zwischen arm und reich, Freien und Sklaven, Frauen und Männern sowie Rassen bzw. Nationalitäten in der Kirche undenkbar war (siehe ), ist eine theologische Rechtfertigung der Apartheid wie etwa durch die NGK nicht vereinbar. Wiederholt wurde in der Forschung (beispielsweise F. A. van Jaarsfeld, Edward A. Tiryakian und T. Dunbar Moodie) ab den 1950er Jahren die Meinung vertreten, dass einige Aspekte des Calvinismus eine wichtige Rolle bei der Ausbildung des Apartheidssystems gespielt hätten. Diesen Sichtweisen wurde ab den 1980er Jahren (beispielsweise von André du Toit oder Norman Etherington) vermehrt widersprochen.
Britische Kolonialpolitik am Kap
Unter der britischen Herrschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildeten sich die ersten umfassend geplanten Apartheidsstrukturen in Südafrika heraus.
Von 1903 bis 1905 sollte die South African Native Affairs Commission (SANAC) eine gemeinsame Ethnienpolitik für alle vier südafrikanischen Provinzen (Natal, Kapkolonie, Oranje-Freistaat und Transvaal) festlegen. Die Kommission schlug die Errichtung im Sinne der in Natal herrschenden Praxis der Native Administration vor. Diese separate Zuständigkeit einer mächtigen Verwaltungsbehörde wurde ab 1958 in Form der Bantu Administration das organisatorische Zentrum im Apartheidregime.
1910 wurde die Südafrikanische Union durch den Zusammenschluss der vier Provinzen gegründet. Die Union war von Anfang an unter Kontrolle der Weißen. Schwarze wie auch Farbige und Asiaten erhielten kein Wahlrecht, obwohl es Bemühungen dieser Art durch den Missionar James Stewart gegeben hatte. Nur an den Provinzregierungen durften sie partizipieren. Des Weiteren war jeglicher sexuelle Kontakt zwischen den unterschiedlichen als „Rassen“ bezeichneten Bevölkerungsgruppen verboten. Die Segregationspolitik wurde durch die weißen Machthaber mit einer wachsenden Zahl von Gesetzen untermauert.
Der Mines and Works Act legte 1911 die ungleiche Behandlung der Weißen und Schwarzen in der Wirtschaft fest. Das wohl wesentlichste Gesetz der räumlichen Trennung, der Natives Land Act, wurde 1913 in Kraft gesetzt. In der Folge durfte die schwarze Bevölkerung nur noch in den ihnen zugewiesenen Reservaten Land erwerben. Diese Areale umfassten rund 7,3 Prozent des südafrikanischen Territoriums. Zehn Jahre später vollzog der Natives Urban Areas Act die räumliche Trennung auch in städtischen Gebieten. Gegen die wachsende Ungleichheit der Bevölkerungsgruppen erklärte sich im Jahre 1923 eine interkirchliche Missionskonferenz, die sich unter der Leitung von Johannes Du Plessis mit einem diesbezüglichen Forderungspapier an die damalige Regierung Südafrikas wandte.
Im Jahr 1924 schränkte der Industrial Conciliation Act das Zusammenwirken der möglichen Tarifpartner ein. Mit diesem Gesetz schuf man sogenannte Industrieräte (englisch: Industrial Councils), um die bisherigen Auseinandersetzungen zwischen Arbeiterkommandos und dem Militär zu verhindern. Diese Industrieräte arbeiteten ähnlich wie Tarifkommissionen und hatten Beschlussfassungskompetenz, die jedoch im Einzelnen durch den Arbeitsminister bestätigt werden mussten. Von der Seite der Arbeiter konnten nur Personen mit dem vom Gesetz definierten Status als employees (Arbeitnehmer) daran mitwirken. Schwarze Arbeitnehmer waren jedoch davon ausgeschlossen und galten demzufolge auch nicht als tariffähig. Die Regierung des 1924 gewählten Bündnisses zwischen der National Party und der South African Labour Party unter dem gemeinsamen Ministerpräsidenten James Barry Munnick Hertzog entwickelte eine Civilized Labour Policy (zivilisierte Arbeitspolitik), nach der alle öffentlichen Arbeitgeber nur noch weiße Arbeitskräfte einzustellen hatten. Demnach verloren beispielsweise im staatlichen Eisenbahnbereich tausende schwarze Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz. Der damalige sozialdemokratische Arbeitsminister Frederic Creswell definierte „unzivilisierte Arbeit“ als eine Tätigkeit von Personen, die sich auf einen Lebensstil mit den nur allernötigsten Verpflichtungen beschränken, wie es unter „barbarischen und unentwickelten Menschen“ üblich sei.
Weitere gesetzliche Maßnahmen, die zu Einschränkungen für die nichtweiße Bevölkerung führten, gab es in den 1930er und 1940er Jahren. Im Jahr 1948 gewann die Nationale Partei die Parlamentswahlen, wobei zwar ihre Gegner die Mehrheit der Wählerstimmen gewannen, sie aber aufgrund des Wahlsystems die Mehrheit der Sitze bekam. Zwar gewannen bei der nachfolgenden Parlamentswahl 1953 erneut Apartheidsgegner (äußerst knapp) die Mehrheit der Wählerstimmen, die NP konnte sich aber wegen des Wahlsystems wieder die Mehrheit der Sitze sichern. Danach hatte die NP das Wahlsystem ausreichend geändert und Minderheiten konsequent vom Wahlrecht ausgeschlossen, sodass sie durch Wahlen nicht mehr ernsthaft in ihrer Macht bedroht war und bis 1994 an der Regierung blieb.
Errichtung des Apartheidsregimes
Aus dieser Tradition heraus wurde die Rassentrennung gerechtfertigt, mit Empfehlungen aus einer mit Wissenschaftlern besetzten Kommission unterstützt und schließlich mit Gesetzen und einer speziellen Behörde institutionalisiert. In den Gesetzestexten wurde die Apartheid dabei mit dem Euphemismus „Getrennte Entwicklung“ (afrikaans: Afsonderlike Ontwikkeling) bezeichnet.
Der Sieg der burischen Nationalisten war eng verknüpft mit dem Zweiten Weltkrieg. Unter dem zuvor amtierenden Premierminister Jan Christiaan Smuts beteiligte sich Südafrika an der Seite der Briten an militärischen Auseinandersetzungen. Die Nationalisten hingegen waren gegen eine Einmischung in das kriegerische Geschehen und sympathisierten offen mit dem deutschen nationalsozialistischen Regime. Das wahlberechtigte Volk stimmte mehrheitlich mit den Nationalisten überein.
Der Regierungswechsel stellte für viele Buren, die zuvor unter britischer Herrschaft kaum Anschluss an die führende Spitze des Landes gefunden hatten, den Ausstieg aus der Armut dar. Viele zogen in urbane Gebiete und fanden dort in der aufstrebenden Wirtschaft Arbeit. Die Nationalisten, die sich im Übrigen von den Briten abzugrenzen versuchten, lenkten nun auch die Rassenpolitik in neue Bahnen. Dabei verfolgten sie drei Ziele: Erstens wollten sie die politische Macht konsolidieren, zweitens ihre Vision der Rassenbeziehungen umsetzen und drittens sollte der Bildungsstand und wirtschaftliche Status der Buren angehoben werden.
Vor 1948 waren die Schwarzen schrittweise von der selbstbestimmten politischen Teilhabe und hohen Positionen in der Wirtschaft ausgeschlossen. Die Rassentrennung war zum Teil durch das Gesetz und zum Teil durch den inoffiziellen Brauch gegeben. Die Ordnung war jedoch nicht sehr strikt. Es gab durchaus Farbige, die neben Weißen wohnten, indische Geschäftsleute, welche im Stadtzentrum ihren Aufgaben nachgingen, oder Schwarze, die außerhalb ihrer Reservate ihre Farmen bewirtschafteten.
Diese „Löcher“ in der Rassentrennung schlossen die Nationalisten mit diversen Maßnahmen. Als erstes teilten sie die ganze südafrikanische Bevölkerung in vier ethnisch differenzierte Klassen ein: Weiße, Farbige, Asiaten und Schwarze bzw. auf Englisch White, Coloured, Asiatic oder Indian und Native oder später Bantu und African. (Siehe auch: Bevölkerung Südafrikas). Die Zuordnung zu einer dieser Gruppen geschah nach bestimmten Kriterien. Die Interpretation der Testergebnisse lag oft im Ermessen des Versuchsleiters. Dies betraf besonders die Einteilung in Schwarze und Farbige. Es kamen dabei verschiedene Tests zum Einsatz, wie zum Beispiel, ob ein in die Haare gesteckter Stift herunterfällt, wenn der Proband den Kopf schüttelt. Fiel der Stift heraus, so galt der Proband als Farbiger, blieb der Stift stecken, galt er als Schwarzer. Dies hatte zur Folge, dass Kurzhaarfrisuren populär wurden. Ein anderer dieser Tests bestand darin, dass der Testleiter mit Kraft eine Fingerkuppe der zu testenden Person zusammendrückte. Aus der Farbe des nach dem Loslassen verfärbten – weil blutleeren – Fingernagelbetts wurde auf die Rassenzugehörigkeit geschlossen.
Die Rassenordnung bestimmte fortan das gesamte Leben. An öffentlichen Orten war eine strikte Trennung von Weißen und Nicht-Weißen vorgeschrieben. Mischehen waren verboten. Mit dem Group Areas Act vom 13. Juni 1950 wurde die Trennung der Wohngebiete festgeschrieben. In städtischen Gebieten wurden getrennte Wohnbereiche für die verschiedenen Rassen geschaffen; die Ausbildung richtete sich ebenfalls nach der entsprechenden Rasse. Schwarze mussten außerhalb ihrer Reservate einen Pass bei sich tragen. Damit sollten in städtischen Gebieten nur jene Schwarzen geduldet werden, die dafür eine Arbeitserlaubnis vorweisen konnten. Alle übrigen Schwarzen wurden als Ausländer angesehen. Die in den Städten arbeitenden Schwarzen wurden als Gastarbeiter akzeptiert. Sie lebten überwiegend in sogenannten Townships am Stadtrand. Nichtstädtische Schwarze durften sich gemäß dem Native Laws Amendment Act von 1952 ohne Genehmigung nur 72 Stunden in Städten aufhalten. Damit war die Apartheid legalistisch vollständig. Dennoch war der Lebensstandard, die Bildungsmöglichkeiten in Schulen und den wenigen für sie zugelassenen Universitäten sowie die medizinische Versorgung und somit die Lebenserwartung der Schwarzen höher als in allen anderen afrikanischen Ländern, weswegen Südafrika auch während der Apartheid mit illegaler Einwanderung aus den nördlichen Anrainerstaaten konfrontiert war.
1953 wurde der Bantu Education Act verabschiedet, der am 1. April 1955 die Kontrolle über die Bildung der Schwarzen vom Bildungsministerium auf das Native Affairs Department übertrug. Hintergrund war es, die Afrikaner zu körperlicher Arbeit auszubilden; anstelle von Mathematik und Englisch sollte Landwirtschaft gelehrt werden. Gleichzeitig sollten alle afrikanischen Grund- und Oberschulen, die von Kirchen und Missionen betrieben wurden, von der Regierung übernommen werden, ansonsten würden diese Schulen keine staatlichen Mittel mehr als Unterstützung erhalten. Aus Protest rief der African National Congress (ANC) einen einwöchigen Schulboykott aus, der am 1. April 1955 beginnen sollte. Daraufhin wurde das Gesetz dahingehend geändert, dass die Erziehung für alle gleich sein solle.
Gesetzgebung der Rassenpolitik in Südafrika
Die Politik in Südafrika schuf eine Reihe von verschiedenen Gesetzen, Verordnungen und administrativen Strukturen, welche den Regierungen weitgehende Vollmachten ermöglichten, die Benachteiligung großer Bevölkerungsgruppen durchzusetzen und die Macht der Weißen über die anderen Gruppen zu untermauern.
Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts
Nach dem Ende des Zweiten Burenkriegs beauftragte der Gouverneur der Kapkolonie, Lord Milner, 1903 eine Kommission (South African Native Affairs Commission) mit der Untersuchung aller Lebensverhältnisse in der Eingeborenenbevölkerung von den vier „Südafrikanischen Kolonien“, also in der Kapkolonie einschließlich Natal, in Transvaal sowie in der Oranjefluss-Kolonie.
Diese von 1903 bis 1905 tätige Kommission war auf Grund ihrer personellen Zusammensetzung von europäischen Interessen geprägt und stand unter der Leitung von Sir Godfrey Lagden. In der Öffentlichkeit trug die Kommission und deren Report seinen Namen. Der sogenannte Lagden-Report und die aus seinen Empfehlungen folgende Gesetzgebung wird heute als Reaktion auf die Minderheitssituation der weißen Bevölkerung mit ihren fortschreitenden wirtschaftlichen Problemen interpretiert.
Der zunehmende Landbesitz (treuhänderisch oder Gewohnheitsrecht) unter der einheimischen Bevölkerung, eine damalige zentrale Frage, sollte nach den Empfehlungen des Reports so gestaltet werden, dass er von den Gebieten der weißen Bevölkerung sowohl räumlich als auch strikt rechtlich abgetrennt war. Die weiße Bevölkerung begann sich mit Landbesitz zu bevorraten. Die dadurch eintretende Landverknappung minderte den sozialen Aufstieg der schwarzen Bevölkerung durch eigene landwirtschaftliche Betätigung und hemmte auf diese Weise nicht nur deren Gesamtentwicklung, sondern erzeugte eine Bevölkerungswanderung in Südafrika mit Konzentration an neuen Orten. Diese institutionelle Benachteiligung der einheimischen Bevölkerung zu Ungunsten ihrer Erwerbsgrundlagen in den Heimatgebieten schuf eine wachsende Zahl von Wanderarbeitern, die sich zunehmend in den Bergbauzentren konzentrierten oder sie in einem Abhängigkeitssystem zu Lohnarbeit auf „weißen“ Farmen zwang.
Mit dem Natives Land Act (Act No. 27) von 1913 wurde versucht, den Landerwerb durch die schwarze Bevölkerung außerhalb jener Gebiete zu stoppen, die von der Regierung für ihre Ansiedlung vorgesehen waren. Somit betrieb man eine Konzentration der einheimischen afrikanischen Bevölkerung in den African Reserves genannten neuen Siedlungsarealen, indem man sie dort durch Grundstückskäufe und Pachtverträge gezielt zu binden versuchte. Auf diese Weise waren die Bewohner jener Areale als niedrigentlohnter Arbeitskräftepool zu Gunsten der Farmen und den Industrien der Weißen in den Städten gesteuert verfügbar gehalten. An dieser damaligen Strukturentwicklungspolitik wird der ökonomische Charakter des Apartheidkonzeptes erkennbar. Der Natives Land Act wird demzufolge als erster legislativer Meilenstein für die gesamte Apartheidpolitik angesehen. Auf seiner Grundlage schuf man 1916 die Beaumont-Kommission (Beaumont Commission), deren Aufgabe es war, eine nähere räumliche Definition für die neuen „schwarzen“ Siedlungsgebiete festzulegen. Sie erhielt ihren Namen nach William Henry Beaumont, einem ehemaligen Administrator von Natal.
Der Vertreibungsprozess der schwarzen Bevölkerung aus den Städten in die African Reserves begann in Transvaal, wo die Transvaal Local Government Commission (Stallard Commission) nach der neuen Ansiedlungspolitik zielstrebig vorging. Sie argumentierte dabei mit ihrer grundsätzlichen Auffassung, wonach die Städte von der weißen Bevölkerung angelegt wurden und deshalb der schwarzen Bevölkerung darin nur ein zeitweiliger Aufenthalt erlaubt wäre.
Der Native (Urban Area) Act (Act No 21) von 1923 stellt den zweiten Meilenstein in der frühen Apartheidsphase dar. Diesem Gesetz folgte 1945 in der Sache der Native (Urban Areas) Consolidation Act (Act No 25), der 1986 wiederum durch den Abolition of Influx Control Act '(Act No 68) aufgehoben wurde.
Im Jahr 1927 beschloss das Südafrikanische Parlament den Native Administration Act (Act No 38). Dieses Gesetz gestaltete alle Fragen der einheimischen Bevölkerung in der Weise neu, dass die Zuständigkeit von der parlamentarischen Ebene der Südafrikanischen Union in die Verantwortung der Regierung und ihre regionalen Verwaltungen verschoben wurde. Damit festigte man mittels der Gesetzgebung ein Zweiklassen-Staatsbürgerrecht, das die Grundlage für das 1951 in Kraft getretene Gesetz Bantu Authorities Act bildete, mit dem später eine Selbstverwaltung unter weißer Oberaufsicht geschaffen wurde.
Während der weltwirtschaftlichen Depression in den 1930er Jahren verstärkte sich auf dem Gebiet der Südafrikanischen Union die Überweidung landwirtschaftlicher Flächen und es entstand eine Überbevölkerung in den betroffenen Regionen des Landes, was eine fortschreitende Bodenerosion und sinkende Nahrungsmittelproduktion verursachte. Die naturräumlichen Veränderungen nutzte man zu weiteren reglementierenden Eingriffen in den Grundstücksverkehr. Dazu beschloss das Parlament 1936 auf Empfehlung der Beaumont-Kommission den Development Trust and Land Act (Act No 18). Das Gesetz stellte eine Reaktion auf die zunehmenden Konflikte zwischen „illegalem“ Landbesitz durch schwarze Farmer und den gesetzlich begünstigten weißen Farmern dar. Mittels dieser Rechtsvorschrift schuf die Südafrikanische Union ein System zur Registrierung der Farmwirtschaft sowie eine Kontrolle der Viehhaltung und Zuteilung der Landverpachtung an Schwarze. Zudem verbot man für die schwarze Bevölkerung den Grundbesitz und dessen Erwerb außerhalb der angewiesenen Siedlungsgebiete. Im Jahr 1936 wurde mit dem Representation of Natives Act das Wahlrecht der schwarzen Bevölkerung für eine Parlamentsvertretung stark eingeschränkt.
Der Natives Laws Amendment Act (Act No 46 / 1937) von 1937 reduzierte die Rechte von schwarzen Arbeitnehmern. Arbeitssuchende aus ländlichen Gebieten hatten nun in den Städten nur noch ein Aufenthaltsrecht für 14 Tage einschließlich ihrer Rückkehr zum Heimatort. Der industrielle Aufschwung im Verlauf des Zweiten Weltkriegs beförderte im Parlament und in der Regierung Haltungen, diese Einschränkungen wieder zu lockern. Jedoch griff 1948 die Regierung der burischen Nasionalen Party den Stand von 1937 auf und machte ihn zur Grundlage weiterer Restriktionen in ihrer Apartheidpolitik.
Für die administrative Umsetzung der erdachten Kontrollsysteme errichtete man eine staatliche Verwaltungsstruktur, den South African Native Trust (SANT). Mit diesem Instrument wurde in den ländlichen Arealen eine restriktive Umverteilungspolitik von Landvermögen unter Nutzung verfügbarer staatlicher Planungs- und Siedlungspolitik begonnen. In deren Folge setzte eine Vertreibung nicht registrierter Landwirte ein, sofern sie nicht offiziell auf den weißen Farmen als Arbeiter angemeldet waren. Die Enteignung eines erheblichen Teiles der dort lebenden einheimischen Bevölkerung war die beabsichtigte ökonomische Wirkung dieser parlamentarischen Reformbestrebungen. Man bezeichnete das als „Besserungsplanung“ (Betterment planning) und setzte diese Vorgaben in den späten 1930er und 1940er Jahren strikt um. Das führte zu einer Ausweitung der Befugnisse von den damit befassten Regierungsbeamten, den Native Commissioners und Agricultural Officers.
Gesetzgebung ab 1948
Noch im selben Jahr ihres Sieges bei den Parlamentswahlen 1948 – bei der die Mehrheit der Bevölkerung sie nicht gewählt hatte, die sie aber aufgrund des Wahlsystems gewann – begann die Nationale Partei (Nasionale Party) unter dem neuen Premierminister Daniel François Malan Gesetze zu verabschieden, die die Segregation verschiedener Bevölkerungsgruppen schärfer definieren und weiter durchsetzen sollten. Mit der Verabschiedung dieser Gesetze wurde die Rassendiskriminierung in Südafrika, die Apartheid, auf systematische Art und Weise institutionalisiert und gesetzlich festgeschrieben.
Ideologische Voraussetzung dieser Gesetzgebung war die Einteilung der Bevölkerung nach Zugehörigkeit zu einer „Rasse“, wobei zunächst die Hautfarbe bis in die 1950er Jahre als Maßstab galt. Ziel war die Errichtung von unabhängigen, sogenannten Homelands und die Einrichtung melderechtlicher Nationalitäteneinheiten (national unit). Es wurden zunächst 8 solcher „national unit“ eingerichtet, die später um zwei weitere ergänzt wurden.
Die Gesetze (englisch: Acts) zur systematischen Umsetzung des Apartheidskonzeptes wurden nach der Wahl 1948 und der anschließenden Erklärung der „Grand Apartheid“ in Kraft gesetzt. Wichtige Beispiele von Rechtsvorschriften zur Durchsetzung der Apartheid waren folgende:
1940er Jahre
Prohibition of Mixed Marriages Act, Act No 55 (1949)
1950er Jahre
Immorality Act, Act No 21 (1950); geändert (1957) (Act No 23)
Population Registration Act, Act No 30 (1950)
Suppression of Communism Act, Act No 44 (1950)
Group Areas Act, Act No 41 (1950)
Bantu Building Workers Act, Act No 27 (1951)
Separate Representation of Voters Act, Act No 46 (1951)
Prevention of Illegal Squatting Act, Act No 52 (1951)
Bantu Authorities Act, Act No 68 (1951)
Natives Laws Amendment Act, Act No 54 (1952)
Natives Abolition of Passes & Coordination of Doc’s Act, Act No 67 (1952)
Native Labour Settlement of Disputes Act, Act No 48 (1953)
Bantu Education Act, Act No 47 (1953)
Reservation of Separate Amenities Act, Act No 49 (1953)
Natives Resettlement Act, Act No 19 (1954)
Group Areas Development Act, Act No 69 (1955)
Bantu Prohibition of Interdicts Act, Act No 64 (1956)
Bantu Investment Corporation Act, Act No 34 (1959)
Promotion of Bantu Self-Government Act, Act No 46 (1959)
1960er Jahre
Coloured Persons Communal Reserves Act, Act No 3 (1961)
Preservation of Coloured Areas Act, Act No 31 (1961)
Urban Bantu Councils Act, Act No 79 (1961)
General Laws Amendment Act, Act No 37 (1963)
Bantu Homelands Development Corporations Act, Act No 86 (1965)
General Laws Amendment Act, Act No 83 (1967) sogenannter Terrorism Act
Promotion of Economic Development of Homelands Act, Act No. 46 (1968)
1970er Jahre
Bantu Homelands Citizenship Act, Act No 26 (1970)
Bantu Homelands Constitution Act, Act No 21 (1971)
Internal Security Amendment Act, Act No 79 (1976)
Police Amendment Act, Act No 64 (1979)
Auswirkungen der Apartheid in der südafrikanischen Gesellschaft
Allgemeines
Die Auswirkungen der Apartheidpolitik werden von manchen Forschern in zwei Aspekte eingeteilt: die kleine Apartheid, auch Petty Apartheid genannt, und die große Apartheid oder Grand Apartheid. Mit große Apartheid ist die räumliche Trennung im großen Maßstab gemeint, die eigentliche Segregations- oder Homeland-Politik. Andere wissenschaftliche Darstellungen greifen diese Zweiteilung nicht auf, da das System systematischer Benachteiligungen miteinander sehr komplex verknüpft war.
Öffentliches Leben
Im Alltag der Nicht-Weißen waren die Formen der kleinen Apartheid unmittelbar spürbar. Sie beinhaltete die rassistisch motivierte Trennung im Dienstleistungsbereich und im öffentlichen Raum, wie auch etwa das Verbot des Betretens von öffentlichen Parkanlagen oder Badestränden und Schwimmbädern für Schwarze, separate Abteile in öffentlichen Verkehrsmitteln oder eigene Schulen. Unmissverständliche Regelungen und Verbote zur Trennung im öffentlichen Raum wurden durch Schilder erreicht. Unternehmen mussten getrennte Toiletten und Kantinen errichten. Einige Einrichtungen waren nur für Weiße zugänglich, wie hochklassige Hotels. Der Einzelhandel wickelte seinen Kundenverkehr entweder über zwei Türensysteme ab oder nahm Bestellungen von Nicht-Weißen an der Hintertür an und lieferte sie dort ebenso aus.
Krankenhäuser, Postgebäude, Rathäuser, Banken und Toiletten hatten meist zwei, durch Schilder gekennzeichnete Eingänge. Andere Lebensbereiche waren weniger klar definiert. Durch Mundpropaganda wurden Restaurants und Bars unter Nicht-Weißen genannt, in denen man nicht bedient wurde bzw. nicht erwünscht war. Manche Nicht-Weiße testeten die Grenzen der Akzeptanz durch die Weißen. Andere scheuten sich, ihren sicheren Bereich zu verlassen. Dadurch lebten sie ruhiger und setzten sich der Diskriminierung in geringerem Umfang aus.
Manche dieser Trennungsmaßnahmen besaßen eine unmittelbare Wirkung, erzeugten aber weniger langfristige Auswirkungen für die von der Segregationspolitik betroffenen Bevölkerungsgruppen.
Viele Segregationsmaßnahmen im öffentlichen Bereich wurde auf Veranlassung von Staatspräsident Frederik Willem de Klerk in den Jahren 1989 und 1990 aufgehoben, beispielsweise:
März 1989, Port Elizabeth gewährte freien Zugang zu allen Schwimmbädern.
November 1989, Anweisung an alle relevanten Lokalverwaltungen, die gruppenspezifische Reservierung von Stränden aufzuheben. Umgesetzt wurde dies bis Ende des Jahres 1989.
September 1989, Johannesburg (City Council) gewährte freien Zugang zu allen Schwimmbädern und Erholungseinrichtungen.
Dezember 1989, Bloemfontein (City Council) öffnete alle Gemeindeeinrichtungen (u. a. Bibliotheken, Busse, Parkanlagen, Schwimmbäder).
Februar 1990, Johannesburg hob die gruppenspezifischen Zutrittbeschränkungen im ÖPNV-Busservice auf.
März 1990, Pretoria (City Council) öffnete den kommunalen Busverkehr, die Bibliotheken und Schwimmbäder für alle Personen.
In einigen Städten, in denen die Konserwatiewe Party die stärkste kommunalpolitische Kraft bildete, wurde die Wiederherstellung von Segregationsverhältnissen in öffentlichen Einrichtungen versucht. Daraufhin kam es in Boksburg und Carletonville zu Protesten unter der schwarzen und der Coloured-Bevölkerung, die sich in Form eines Konsumentenboykotts gegen ansässige Unternehmen abspielten. Die Auswirkungen waren sehr wirkungsvoll, da es in diesem Zuge zu Geschäftsschließungen und bei anderen Unternehmen zu temporären Umsatzverlusten bis 80 Prozent kam. Die Boykotts endeten im November 1989, nachdem die De-Klerk-Regierung die Aufhebung des Gesetzes Reservation of Separate Amenities Act (deutsch etwa: „Gesetz zur Bereitstellung von getrennten Einrichtungen“) aus dem Jahre 1953 für 1990 ankündigte. Die ökonomischen Auswirkungen beschäftigen auch Gerichtsinstanzen. Richter C. F. Eloff von der Transvaal Provincial Division des Supreme Court in Pretoria bescheinigte dem Stadtrat von Carletonville durch einen Urteilsspruch im September 1989 rechtsmissbräuchliches Verhalten. Auch die restaurativen Verhältnisse in Boksburg kamen vor das Supreme Court, wo Richter S. W. McCreath die Entscheidung des Stadtrats dieser Gemeinde als „grossly unreasonable“ (deutsch etwa: „grob unangemessen“) bezeichnete und in seiner Begründung darauf verwies, dass eine Lokalverwaltung ihre Machtausübung im Interesse des Gemeindegebietes in Gänze auszuüben hätte und sie keine unangemessenen Entscheidungen in „treuwidriger Absicht“ zu treffen habe.
Das damalige südafrikanische Dreikammerparlament beschloss im Juli 1990 mit überwältigender Mehrheit den Discriminatory Legislation Regarding Public Amenities Act, mit dem das Separationsgesetz von 1953 gänzlich aufgehoben wurde. Gegenstimmen kamen nur aus der Fraktion der Konserwatiewe Party, die darin eine „Zerstörung ‚weißen‘ Rechts auf Selbstbestimmung“ (destroy whites’ right to self-determination) sahen. Der Minister of Planning and Provicial Service Hernus Kriel konterte im Parlament, dass das alte Gesetz von seinem Grundsatz her diskriminierend sei und Südafrika sei es nun möglich, wieder in die internationale Gemeinschaft zurückzukehren. Für den Parlamentsabgeordneten Desmond Lockey von der Labour Party sei nun eine Stufe genommen, um in Richtung Wiederherstellung der Menschenwürde und Bürgerrechte für alle Südafrikaner weiterzugehen. Zach de Beer von der Democratic Party kommentierte: das neue Gesetz „leiste einen signifikanten Beitrag für die Gestaltung eines geeigneten Klimas zu Verhandlungen“.
Politische Mitwirkung und Bürgerrechte
Der Ausschluss aller Nicht-Weißen, vorrangig jedoch der Schwarzen, vom aktiven und passiven Wahlrecht in den Landesteilen außerhalb der Reservate bzw. späteren Homelands wirkte bis in den kommunalen Bereich. Damit schufen die politischen Entscheidungsträger im parlamentarischen Vertretungssystem Südafrikas bewusst ein absolutes Defizit demokratischer Rechte für eine Bevölkerungsmehrheit. Mit der Verfassungsreform von 1984 unter Pieter Willem Botha sollte diese Lücke mit einem Dreikammersystem wieder relativiert werden, ohne der schwarzen Bevölkerungsmehrheit dabei die politische Willensbildung und Mitgestaltung in Südafrika einzuräumen. Damit konnten aus ihrem Kreis keine demokratisch legitimierten Korrekturen oder Entwicklungen in der südafrikanischen Gesellschaft angestoßen werden.
Der historische Verlauf des Stimmrechtsabbaus für die nichteuropäischstämmige Bevölkerung vollzog sich seit der Gründung der Südafrikanischen Union über mehrere Jahrzehnte und nach gruppenspezifischen (Coloured, Inder, Schwarze) Handlungsmustern. Eine wirkungsvolle Gestaltung gesellschaftlicher Fragen über die verfassungsgemäßen Strukturen der parlamentarischen und kommunalen Wahlkörperschaften war nur den europäischstämmigen Bürgern gewährt. Politische Mitgestaltung für Nichtweiße organisierte der Apartheidstaat ausschließlich aus der eigenen Herrschaftsperspektive. Raum boten dafür die Regierungen der Homelands oder weitgehend unwirksame Gremien, da sie nicht mit ausreichend Kompetenzen ausgestattet waren. Zu den letzteren gehörten vorbestimmte Institutionen mit Beratungscharakter, wie das Coloured Persons’ Representative Council und das South African Indian Council.
Die Freizügigkeit war durch mehrere gesetzliche Regelungen eingeschränkt. Mit dem Natives Laws Amendment Act (Act No 54 / 1952) von 1952, einem Änderungsgesetz für den Native Labour Regulation Act von 1911 und den Natives Consolidation Act (Act No 25 / 1945) schränkte die Apartheidsregierung die bereits begrenzten Wohn- und Aufenthaltsrechte der schwarzen Bevölkerung weiter ein. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Regelungen in section 10 (deutsch sinngemäß: Paragraph 10) dieses Gesetzes, die existenziell bedeutende Ausnahmen vom 72-Stunden-Aufenthaltsrecht außerhalb der zugewiesenen Wohngebiete in den Reservaten oder Homelands definierten. Kein Schwarzer durfte sich länger als 72 Stunden in den prescribed areas der Weißen aufhalten. Unter die Sektion-10-Rechte fielen Aufenthaltsgenehmigungen für schwarze Arbeitnehmer in den „weißen“ Regionen. Sie wurden für einen zugewiesenen Arbeitsplatz mit regionaler Beschreibung definiert und entfielen bei Verlust der Arbeit. In den stets mitzuführenden Passbüchern war diese Genehmigung und eine sich monatlich wiederholende Bestätigung des Arbeitgebers eingetragen. Bei Kontrollen konnte der legale Aufenthalt dadurch sofort festgestellt werden. Besonders Frauen und die Kinder von männlichen Wanderarbeitern waren von diesen Einschränkungen massiv betroffen, da es für sie keine familiären Zuzugsrechte gab. Der Minister für Bantu-Verwaltung, Hendrik Frensch Verwoerd, erklärte 1955 in Anlehnung an die Ergebnisse der Stallard-Kommission, dass die schwarzen Arbeitnehmer nur „auf Geheiß und durch die Gunst der Weißen“ und nicht durch gesetzlich garantierte eigene Rechte in den „weißen Gebieten“ nutzbringende Arbeiten erfüllten, weshalb sie „höchstens Besucher“ seien. Das wirtschaftspolitische Ziel dieser Regelungen bestand darin, alle schwarzen Beschäftigten in die Rolle von Kontrakt-Wanderarbeitern zu bringen und deren Sesshaftigkeit am Arbeitsort zu verhindern.
Demographie
Durch die Einordnung der Bevölkerung in „rassisch“ definierte Gruppen entstand eine Klassifizierung, die eine Unterscheidung im gesamten gesellschaftlichen Leben für jede Person von Anderen ermöglichte. Die „Rassenkategorie“ wurde in die Ausweisdokumente durch Buchstabencodes, zum Beispiel -C- für Coloureds, eingetragen. Die schwarze Bevölkerung erhielt ein besonderes Ausweisdokument, das reference book. Der Population Registration Act (Act No 30 / 1950) teilte die Bevölkerung Südafrikas in drei Hauptgruppen ein:
Coloured
Schwarze
Weiße.
Zur Umsetzung dieser Maßgaben schuf man ein „Amt für Rassenklassifizierung“ (Race Classification Board). Alle Südafrikaner wurden von dieser Behörde erfasst und waren zur Einsendung eines Passbildes verpflichtet. Auf dieser Grundlage entstand ein zentrales „Rassenregister“.
Seit 1951 war der Begriff Bantu als Terminus für die einheimische schwarze Bevölkerung bei der Regierung üblich und seit 1962 offizieller Begriff. Im Jahr 1978 führte man als offizielle Bezeichnung für Personen das Wort Black ein. Mit dem Jahr 1973 war in den Personaldokumenten der Schwarzen eine ethnische Untergruppe (National unit) vermerkt. Ein Ergänzungsgesetz von 1982, der Population Registration Amendment Act (Act No 101 / 1982), bewirkte eine Vereinheitlichung der Personalausweise für alle Bevölkerungsgruppen, die nun die Möglichkeit zur Aufnahme biometrischer Merkmale vorsahen. Alle Personendaten wurden in einem zentralen Computersystem des Staates gespeichert.
Da das System bei Zuordnung der asiatischstämmigen Bevölkerung bereits an seine Grenzen stieß, wurde mit der Verfassung von 1983 eine vierte Kategorie der Asiaten oder Inder geschaffen, deren Rechte etwa denen der Coloureds entsprachen. Ihnen standen jetzt 5 Mitglieder im Präsidentenrat und 45 Sitze im House of Delegates zu, zuvor waren sie von der politischen Teilhabe ausgeschlossen. Kapmalaien galten aber weiter als Coloureds sowie Japaner, Koreaner und Taiwan-Chinesen als weiß ehrenhalber.
Raumordnungs- und Siedlungspolitik
Die Wohngebiete der weißen Bevölkerung, auch Europeans genannt, lagen durchweg in den geographisch und strukturell vorteilhaftesten Arealen der Siedlungsgebiete. Wurden die festgelegten Bereiche für die Weißen zu eng, mussten andere Bevölkerungsgruppen Teile ihrer Wohngebiete räumen und in neu zugewiesene Bereiche umsiedeln. Ein bekanntes Beispiel war die Räumung des District Six im Zentrum von Kapstadt und die Zwangsumsiedlung von etwa 60.000 Menschen in das etwa 30 Kilometer entfernte, sandige Khayelitsha. Die schwarze Bevölkerung war in ihrem abgelegenen Wohngebiet so weit außerhalb der Gemeinden, oft hinter natürlichen oder künstlichen Hügeln sowie Müllkippen verbannt, dass sie nicht als Teil der Gemeinde angesehen werden konnte.
Mit der Konzipierung der Homelands versuchten die Apartheidsideologen eine hauptsächlich ökonomisch begründete Raumordnungspolitik umzusetzen.
Zwischen 1960 und 1980 mussten etwa 3,4 Millionen Menschen im Zuge der Homelandpolitik ihre bisherigen Wohnstätten in urbanen und ländlichen Regionen zwangsweise aufgeben. Darunter befanden sich etwa 2,8 Millionen Schwarze, 600.000 Coloureds und Inder sowie 16.000 Weiße. Auf diese Weise zerstörte man das traditionelle labour tenant system, was den Landarbeiterfamilien ein unbestrittenes Wohnrecht auf den „weißen“ Farmen garantierte, wenn sich ihr Familienoberhaupt dort für eine jährliche Mindestzeit (90 Tage in Transval, 180 Tage in Natal) zur bezahlten Arbeit verpflichtete. Den Rest des Jahres konnten sie anderen Beschäftigungen nachgehen. Dies erfolgte nicht ohne Proteste, die zu unzähligen Verhaftungen führten. Auf die Zwangsumsiedlungen, besonders auf deren Ausmaß und die Leiden der Bevölkerung, machten die Bürgerrechtsorganisation Black Sash, der Südafrikanische Kirchenrat und das Surplus Peoples Project aufmerksam.
Die Regierungen zerstörten ganze Siedlungen in den Townships, um so die Schwarzen zur Umsiedlung, welche beispielsweise auf dem Native Resettlement Act von 1952 basierte, zu zwingen. Lediglich vorübergehende Aufenthalte der genehmigten Arbeitskräfte in den Unterkünften der Townships waren gewollt und geduldet. Nach Auffassung der herrschenden Politik waren diese Personen nur Gäste in den „weißen“ Gebieten mit einer patriarchalisch gewährten Arbeitserlaubnis. Dahingehend orientierte die Bantu Administration 1967 in einer Direktive die Lokalbehörden darauf, dass keine „größere, bessere, attraktivere und luxuriöse Bedingung“ zu schaffen sei. Es müsse „bedacht werden, dass ein städtisches Bantu-Wohngebiet kein Heimatland, sondern Teil eines weißen Gebietes ist. Wenn diese Bedingungen zur Folge haben, den Bantu nicht nur an einen fremden Geschmack zu gewöhnen, sondern ihm auch einen Luxus aufzwingen, den sein Heimatland nicht bieten kann, und ihn so von dem entfremdet, was das Seinige ist“.
Besonders die städtischen Ballungsräume waren von Zwangsumsiedlungen (urban relocation) betroffen. Nach im Jahre 1977 veröffentlichten Forschungsergebnissen gab es fünf Phasen der mit staatlichen Maßnahmen betriebenen Aussiedlung der schwarzen Bevölkerung aus den Städten. Der Natives (Urban Areas) Act von 1923 beförderte die Auflösung von Slums und sah die vollständige Aussiedlung der schwarzen Bevölkerung aus den „weißen“ Gebieten vor. In diesem Zusammenhang wurde dafür das „Prinzip der Unbeständigkeit“ proklamiert. Eine weitere Phase bildete das Compoundsystem im Bergwerkssektor und für die Zuckerrohrplantagen in der Provinz Natal. Die dritte Phase entwickelte sich nach dem Erlass des Group Areas Act von 1950, wodurch eine forcierte Umsiedlung und Slumauflösung im Umfeld der städtischen Ballungsräume betrieben wurde. Die nächste Phase ereignete sich in den 1960er Jahren. In diesem Zeitraum baute die Regierung kleine Siedlungshäuser in den Homelands. In den „weißen“ Gebieten sollte durch einen limitierten und separaten Hausbau für Schwarze die Anwesenheit einer schwarzen Arbeitsbevölkerung gezielt reguliert werden. Im Sprachgebrauch der Bantu Administration als „unproduktiv“ angesehene Personen, wie Ältere, Witwen u. a., waren ab 1967 in die vorgesehenen Schwarzengebiete zu deportieren. Im Verlauf der fünften und letzten Phase in den 1970er Jahren begann die Urbanisierung der Homelands unter der Kontrolle des South African Bantu Trust, die sich im Gleichschritt mit der Entwicklung von Industriestandorten in denselben Regionen vollzog. Im Zuge der Umsiedlungen gab es in wenigen Fällen Entschädigungsleistungen. Spezielle Gesetze, wie der Slums Act, legitimierten solche Vorgehensweisen.
Schulbildung
Die auch inhaltlich unterschiedlichen Schulsysteme, mit jeweils abgestufter Ausstattung und Qualifikation des Lehrkörpers, waren mitverantwortlich für ungleiche Zukunftschancen in Beruf, Kultur und sozialen Zusammenhängen. Das Gesetz Bantu Education Act von 1953 setzte die Rahmenbedingungen für eine einheitlich staatlich kontrollierte und geringwertige Schulbildung. Die für eine Hochschulausbildung erforderlichen Voraussetzungen erreichte nur eine ganz geringe Zahl nichtweißer Personen. Das Ziel der sogenannten „Bantubildung“ bestand in der systematisch geplanten und statisch verankerten Entwicklung einer großen, wenig gebildeten Bevölkerungsschicht, die als Niedriglohnkräfte der weißen privilegierten Minderheitsbevölkerung Südafrikas im Arbeitsmarkt nicht zur Konkurrenz erwachsen konnten. Die freien Schulen der zumeist kirchlichen Träger, einst die alternative Chance zu einer besseren Bildung für Schwarze und Farbige, wurden mit dem Bantu Education Act in dieser Eigenschaft liquidiert und einer staatlichen Aufsichtsverwaltung unterstellt.
Schon vor dem Ende der Apartheid formierten sich im Land Positionen und Aktivitäten zu einer bildungspolitischen und pädagogischen Alternative zum herrschenden und repressiv kontrollierten Staats-Bildungssystem. Die sich auf diesem Feld abzeichnenden Veränderungen gingen mit dem Erstarken der Black-Consciousness-Bewegung einher. Als 1977 der Pädagoge Es’kia Mphahlele aus dem Exil nach Südafrika zurückkehrte, befasste dieser sich mit dem Konzept der alternative education. Seine an der Witwatersrand-Universität aufgenommene Lehrtätigkeit ließ ihm dazu den erforderlichen Spielraum. Dabei bezog er sich beispielsweise auf Arbeiten von Paulo Freire. Im Jahre 1981 formulierte Mphahlele im Verlauf eines Interviews eine kritische Bestandsaufnahme des staatlichen Bildungssystems:
Damit wurde der neue Ansatz einer Befreiungs-Pädagogik in den politischen Diskurs um die „getrennte Entwicklung“ innerhalb Südafrikas Bildungssystem eingebracht, die dabei als zentrales Ziel den Abbau des „Kolonialismus in den Köpfen“ verfolgte.
Auf einem Kongress des National Education Crisis Committee (NECC) in Durban am 29. März 1986 verbreitete sich die Sichtweise von Mphahlele weiter. Zwelakhe Sisulu erklärte: „Wir fordern nicht mehr die gleiche Erziehung, wie sie die Weißen haben; denn das ist Erziehung zur Herrschaft. 'People’s education' dient dem Volke als ganzen, ist Erziehung, die befreit, ist Erziehung, die das Volk in die Lage versetzt, sein Leben selbst in die Hände zu nehmen. [...] Wir sind nicht willens, irgendeine Alternative zur 'Bantu Education' zu akzeptieren, die dem Volke von oben auferlegt wird. [...] Alternativen, [...] die sicher stellen sollen, daß die Ausbeutung durch ausländische Monopole weitergeht.“
Das Bildungssystem für die schwarze Bevölkerung (für Coloureds und Inder gab es gesonderte Regelungen) sah keine einheitliche Pädagogenausbildung vor. Im Jahr 1985 beschäftigte das staatliche (Bantu-)Schulsystem 45.059 Lehrer, von ihnen waren 42.000 unterqualifiziert. Nur 3,6 Prozent verfügten über einen fachbezogenen Universitätsabschluss und 70 Prozent hatten nicht einmal einen eigenen Schulabschluss auf Standard 10 oder höher (Gymnasium umfasst Grade 8 bis Grade 12). Die Quote für unterqualifizierte Lehrer an Schulen für weiße Schüler lag überwiegend im einstelligen Prozentbereich.
Der Spro-cas-Bericht von 1971 fasste die politisch in Kauf genommenen Schwächen des staatlichen Bildungssystems für die schwarze Bevölkerung am Beispiel des Homelands Bophuthatswana mittels markanter Punkte zusammen:
ungenügend ausgebildete Pädagogen (25 % der Lehrerschaft)
fehlende Klassenzimmer (3000 fehlende Unterrichtsräume)
überfüllte Klassen (mitunter bis zu 90 Schüler in einem Raum)
Unterricht in double sessions (zwei aufeinander folgende Unterrichtsetappen, jeweils 2,75 tatsächliche Stunden, eines Lehrers an einem Tag für zwei verschiedene Klassen)
hohe Ausfallrate des Unterrichts (55,4 % der Schüler verließen im Verlauf der 6. Klasse (primary school) die Schule dauerhaft).
Hochschulbildung
Mit dem Extension of University Education Act (Act No 45 of 1959) wurde die Trennung der Hochschulbildung für „Weiße“ und „Nichtweiße“ herbeigeführt. Das Gesetz sah die Errichtung von university colleges für „non-white persons“ vor. Die Finanzierung der für die Bantubevölkerung vorgesehenen Einrichtungen kam demnach aus dem Bantu Education Account und für die Coloured- und indischstämmige Bevölkerung aus dem General Revenue Account. Weiterhin war vorgeschrieben, dass jedes university college ein (White) Council und ein (Black) Advisory Council zu wählen hatte, gleiches galt für den Senat der Hochschuleinrichtung.
Die starken Einschränkungen eines freien Hochschulzuganges für Schwarze führten im Rahmen eines Sonderweges schließlich zu einer mit internationalen Hilfsmitteln und Lehrkräften seit 1978 arbeitenden Bildungseinrichtung des ANC in Tansania, die Studiengänge mit international anerkannten Abschlüssen anbot.Im Jahre 1983 begann die Vista University in verschiedenen südafrikanischen Städten ihre akademische Ausbildungstätigkeit für Schwarze, jedoch als eine Einrichtung der rassenpolitisch konzipierten Bildungspolitik im Apartheidsstaat. Für die indischstämmige Bevölkerungsgruppe gab es in Durban seit 1962 das University College for Indians und später die daraus entstandene Universität von Durban-Westville. Das Hochschulstudium für Coloureds war seit 1959 am University College of the Western Cape möglich.
Arbeitsmarkt
Die Apartheidpolitik war hauptsächlich ein Mittel zur Sicherung wirtschaftlichen Interessen der weißen Bevölkerungsminderheit. Gesetzliche Einschränkungen und im Lande verteilte Arbeitsagenturen erzielten eine wirkungsvolle Lenkungswirkung, die den Interessen der Industrie diente. Die weitgehend ohne grundhafte Berufsausbildung mit Zertifikat abgeschlossene versehene schwarze Bevölkerung war in ein komplexes System der Wanderarbeit eingebunden, das ihnen ein Leben auf nur geringsten Standards ermöglichte, beispielsweise in den Compoundsiedlungen der Bergbauunternehmen. Gesetzlich ausgeschlossene Streik- und Tarifverhandlungsrechte machten sie zu einer beliebig verfügbaren und im Sinne der Arbeitgeber effizient einsetzbaren Masse von Billiglohnempfängern. Die Bildung von Gewerkschaften war zwar nicht verboten, aber in der Praxis unterlagen solche Aktivitäten starken Repressionen. Im Jahr 1972 wandte sich der South African Congress of Trade Unions (SACTU) mit einem umfassenden Themenkatalog an die internationale Gewerkschaftsbewegung, ihn bei seinen Bemühungen um Herstellung grundlegender Arbeitnehmerrechte zu unterstützen. Aktive Mitglieder des SACTU erlitten Verfolgung mit allen Repressionsmitteln des Apartheidsstaates. Auf der Grundlage des Industrial Conciliation Amendment Act (Act No 94 / 1979) ließ die Apartheidregierung 1979 erstmals Lehrlingsausbildungsgänge für Schwarze zu. Zudem erhielten nun schwarze Arbeiter den Status von Angestellten, was ihnen zugleich Arbeitnehmerrechte verlieh. Ausgenommen davon waren Wanderarbeiter und ausländische Arbeitsmigranten, die vorrangig aus Mosambik kamen.
Öffentliche Verwaltung
Um die Ziele der Apartheid umsetzen zu können, war ein riesiger Verwaltungsapparat notwendig. Dieser ging aus der Native Administration der ehemaligen Staatsverwaltung nach britischem Muster hervor und erlangte als Bantu Administration zeitweilig einen großen Einfluss. Diese Eingeborenenverwaltung bildete eine weitgehend autarke Parallelstruktur zu allen anderen öffentlichen Verwaltungen.
Justizsystem
Das Justizsystem von Südafrika wurde in der Apartheidsperiode mit Handlungsmöglichkeiten versehen, die rechtsstaatlich fragwürdig sind. Beispielsweise ermöglichte eine sogenannte Sobukwe-Klausel aus dem Jahre 1963 die Haftfortsetzung auf alleinige ministerielle Anordnung hin, ohne eine erneute richterliche Entscheidung einholen zu müssen. Im Jahr 1976 reaktivierte man dieses Instrument mit verschärften Möglichkeiten, wodurch auf der Grundlage des Internal Security Amendment Act (Act No 79 / 1976) die zeitlich unbegrenzte Ingewahrsamnahme (preventive detention) ohne Richterentscheidung nun nicht nur bei Häftlingen, sondern auch bei jeder anderen Person möglich wurde, falls sie nach subjektiver Sicht des Justizministers eine „Gefahr“ für die Sicherheit und öffentliche Ordnung darstellte. Die Unterrichtung der Betroffenen über die Gründe ihrer Vorbeugehaft war hierbei nicht zwingend vorgeschrieben. Ein mit dem Gesetz geschaffenes Review-Committee konnte Empfehlungen auf Entlassung aus dieser Internierung aussprechen, die es aber nur in wenigen Fällen formulierte. Zur Anwendung der präventiven Ingewahrsamnahme kam es im Juli 1976 in Transvaal und im August im gesamten Staat, so dass im Oktober desselben Jahres bereits 123 Apartheidkritiker präventiv in Gefängnissen interniert waren. Einige setzte man später unter die Bannungsverfügung und andere verurteilte man auf der Basis des Terrorism Act (General Laws Amendment Act, Act No 83 / 1967) und weiterer Sicherheitsgesetze zu Haftstrafen.
Innere Sicherheit
Die Security Branch genannte Sonderpolizei war Teil der South African Police; ihre einzelnen Dienststellen wurden bedarfsweise bis in die zivilen Gemeindestrukturen aufgegliedert. Zur Ausweitung der repressiven Sicherungsmaßnahmen der Apartheidsdoktrin in der südafrikanischen Innen- und Außenpolitik entwickelte sich unter dem 1972 geschaffenen State Security Council (deutsch etwa: Staatssicherheitsrat) ein sich immer weiter verzweigendes System von Substrukturen, die im National Security Management System (NSMS) zusammengefasst waren. Neben der geheimdienstlich organisierten Beobachtung von Antiapartheidsaktivitäten in zivilen und paramilitärischen Zusammenhängen sowie der Sammlung von Informationen über ihre Netzwerke ergriffen die damit verbundenen Dienststellen und Einsatzgruppen viele operative Maßnahmen, teilweise mit dem Ziel einer Strategie der Spannung. Als spektakuläre Fälle können beispielsweise Mordanschläge im Ausland auf prominente Aktivisten der Antiapartheidsbewegung gelten, wie in den Fällen von Albie Sachs oder Ruth First sowie die systematische Bedrohung von Familienangehörigen und Personen aus dem Umfeld der Zielpersonen. Die dafür häufig genutzte Organisationsstruktur war die Sondereinheit C1, die nach ihrem Sitz als Vlakplaas bekannt wurde und unter der Führung des Offiziers Eugene de Kock stand. Das Civil Cooperation Bureau war seitens des Militärs mit verdeckten Destabilisierungsaktionen befasst. Dabei induzierten geheime „Sicherheitskräfte“ Konflikte zwischen organisierten Bevölkerungsgruppen. Personelle und operative Kompetenz konnte dabei auch aus der Eingliederung ehemaliger Rhodesier aus den Selous Scouts in südafrikanische Strukturen gewonnen werden.Eine permanent angespannte Lage unter der schwarzen Bevölkerung in den Ballungszentren kam durch undifferenzierte Großaktionen der Polizei zustande, die mit taktischen „Bürgerkriegsübungen“, vorzugsweise in der Nacht und unter Einsatz von hunderten bis über tausend Polizisten, ganze Stadtviertel abriegelten und rasterartig Hausdurchsuchungen praktizierten.
Infolge der zunehmenden Militarisierung der gesamten Gesellschaft Südafrikas und den zunehmenden Kriegsaktivitäten im benachbarten Ausland gründete sich nach jahrelangen informellen Aktivitäten kleinerer Gruppen 1984 eine offizielle Vereinigung zur Abschaffung der Wehrpflicht. Diese End Conscription Campaign fasste das Apartheidregime im Widerspruch zu seiner total strategy der 1980er Jahre als eine feindliche Organisation auf und bannte sie im August 1988.
Meinungs- und Pressefreiheit
Zur Ausdehnung des rechtsfreien Raumes innerhalb der Apartheidpolitik nahm man mehrere einschränkende Eingriffe in die Pressefreiheit vor. Das 1959 erlassene Gefängnis-Gesetz (Prison Act, Act No 8 / 1959) und das Änderungs-Polizeigesetz (Police Amendment Act, Act No 64 / 1979) von 1979 untersagten eine unabhängige Berichterstattung, sofern sie nicht von den betroffenen Behörden selbst bestätigt wurde. Die Steyn-Kommission erarbeitete Vorschläge zur „Neuordnung“ des Mediensektors und leistete damit einen fundamentalen Beitrag zur Einschränkung der Pressefreiheit. Auf diesem Wege war nun eine unzensierte öffentliche Wahrnehmung des polizeilichen Handelns schrittweise erschwert, letztendlich unmöglich geworden. Mit dem Zweiten Änderungsgesetz zum Polizeigesetz (Second Police Amendment Act) im Jahr 1980 wurde sogar jegliche Berichterstattung über die als „terroristisch“ eingestuften Handlungen verboten. Darunter fielen auch die Namen der Inhaftierten. Vorgänge von Misshandlungen, Folter oder Mord konnten nun kaum noch von der Presse aufgegriffen werden und der ungeklärte Verbleib zahlreicher Personen nahm zu. Zugleich konnte niemand mehr den Umfang widerrechtlicher Ingewahrsamnahmen durch die Behörden abschätzen. John Dugard kritisierte bereits 1980 als Professor an der Witwatersrand-Universität diese Rechtspraxis, in dem er auf die dadurch geschaffenen Verhältnisse verwies, die beispielsweise eine Aufklärung der Todesumstände von Steve Biko unmöglich machen könnten. Der damalige Anwalt am Supreme Court of South Africa, Albie Sachs, war selbst über fünf Monate das Opfer eines dieser repressiven Gesetze, wonach ein Inhaftierter bis zu einer Dauer von 90 Tagen (definiert in section 17 des General Laws Amendment Act, Act No 37 / 1963) ohne richterliche Entscheidung im Gewahrsam der Sicherheitspolizei und dabei deren unkontrollierten Folterungen ausgesetzt sein konnte. Über die Misshandlungen und Folterungen von Gefangenen in Südafrika informierte ein UN-Bericht aus dem Jahre 1973.
Zensur und Selbstzensur
In Südafrika gab es seit 1931 eine öffentliche Dienststelle, die zur Kontrolle von frei zugänglichen Unterhaltungs- und Vergnügungseinrichtungen geschaffen wurde. Diese erhielt mit dem Entertainments (Censorship) Act (Act No. 28/1931) ihre gesetzliche Grundlage. Zudem kontrollierten Zollbehörden den Import unerwünschter Druckerzeugnisse. In den 1960er Jahren begann sich der staatliche Umgang mit Medienerzeugnissen entscheidend zu wandeln. Im Jahre 1971 wird ein Änderungsgesetz beschlossen, was nun der inzwischen zur umfänglichen Behörde angewachsenen Zensurinstitution das Recht zu Hausdurchsuchungen einräumte. Wesentliche Änderungen ergeben sich 1974 mit dem Publications Act (Act No. 42/1974), der nicht nur die bisherigen Vorschriften aufgriff, sondern nun den Weg in eine lückenlose Zensur des öffentlichen und privaten Lebens eröffnete. In der Präambel dieses Gesetzes wird erklärt, dass „Bei der Anwendung des Gesetzes [...] das ständige Bemühen der Bevölkerung der Republik Südafrika anerkannt werden [soll], eine christliche Lebenssicht aufrechtzuerhalten.“ (englisch: „In the application of this Act the constant endeavour of the population of the Republic of South Africa to uphold a Christian view of life shall be recognized.“) Mit dieser Gesetzesnovelle war auch der Neuaufbau der Zensurbehörde verbunden. Dem ging eine aufwendige Vorbereitung voraus, die von einer parlamentarischen Arbeitsgruppe unter Leitung des Vizeministers des Inneren, J. T. Kruger, geleitet wurde und aus 8 weiteren NP-Mitgliedern und 4 UP-Mitgliedern bestand. Das Ergebnis wurde als Regierungspaper mit der Nummer R.P. 17/1974 veröffentlicht und enthielt u. a. einen Gesetzesentwurf, der im August 1974 mit kleinen Änderungen beschlossen wurde. Die neue Behörde stand unter der Leitung des Directorate of Publications mit ihrem Direktor, seinem Stellvertreter und weiteren drei Assistenzdirektoren. Zur Erfüllung der Zensuraufgaben gab es das „Committee“, deren Mitglieder vom Innenminister ernannt und deren Namen zunächst nicht bekanntgegeben wurden. Diese Strukturen erstreckten sich bis auf alle regionale Ebenen des Landes. Im Mai 1976 gab im Zuge einer parlamentarischen Anfrage der Innenminister doch die Namen der Mitglieder im Directorate of Publications bekannt. An der Spitze des Gremiums standen J. L. Pretorius (director) und dessen Stellvertreter Professor R. E. Lighton sowie die als assistent director berufenen Beisitzer: J. T. Kruger, S. F. du Toit und M. J. van der Westhuizen.
Im Jahre 1976 errichtete die Behörde ein Sonderkomitee zur Untersuchung von Bibliotheken an den Universitäten auf vermutete subversive Literatur. Unerwünschte Literatur durfte zu wissenschaftlichen Zwecken im Bestand verbleiben und von Lehrkräften unter definierten Bedingungen genutzt werden. Ferner gab es Literatur, deren Besitz verboten war, insbesondere als kommunistisch eingestufte Druckwerke durften nur mit Sondergenehmigung eingesehen und nicht ausgeliehen werden. Das Directorate of Publications war im Wesentlichen der Initiator für zensorische Ermittlungen; jedoch auch Bürgern war es möglich, die Behörde gebührenpflichtig zu einer Untersuchung aufzufordern, was geeignet war, der willkürlichen Denunziation Vorschub zu leisten. Die Zensur beschränkte sich nicht nur auf die Einschränkung der Verbreitung unerwünschter Medienwerke, sondern auch darauf, ihren Besitz selbst zu verbieten. Die umfassende Arbeit der Zensurbehörde spiegelte sich direkt in der Presse wider, weil hier die aktuellen Listungen wöchentlich veröffentlicht wurden. Im Jahresdurchschnitt ergaben sich 2000 Untersuchungsfälle, von denen etwa die Hälfte von einem Verbot betroffen waren.
Das Gebaren der Zensurbehörde setzte parallel zu ihrem Wirken einen Prozess der Selbstzensur unter den Verlagen in Gang. Viele weiße Journalisten, Verleger und Autoren passten sich schnell der strengeren Lage an. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Zusammenschluss der Zeitungsverleger, die National Press Union (NPU). Deren Pressekodex war eine Unterwerfung unter die der Regierung genehmen Berichterstattungsziele. Die so erzeugten Denk- und Schreibbarrieren bewirkten die freiwillige Aufrechterhaltung des Mythos von einer freien und nicht unter Kontrolle stehenden Presse in Südafrika und SWA/Namibia. Die ersten Versuche zur gesteuerten Selbstzensur gehen auf einen Gesetzesentwurf im Jahre 1960 zurück, den die Regierung nach vehementer Kritik aus der Medienlandschaft zurückzog und 1963 in abgeschwächter Form zum Beschluss bringen ließ. Die Regierung übte zuvor Druck auf die Verleger aus, um über die Newspaper Press Union einen genehmen Verhaltenskodex der Presse zu erzwingen. Das gelang ihr und im Kodex war nun neben anderen Bestimmungen folgende Passage untergebracht: „In Zeitungskommentaren sollen die komplexen Rassenprobleme Südafrikas in geeigneter Weise gewürdigt und ebenso das allgemeine Wohl und die Sicherheit des Landes und seiner Menschen in Betracht gezogen werden.“ Solche Eingriffe in die journalistische Arbeit erzeugte auch unter der „weißen“ Presse Südafrikas wachsenden Widerspruch. Vom Herausgeber der Sunday Times ist die Position überliefert, dass bei Befolgung solcher Richtlinien die Informationspflicht der Presse über Hauptthemen der gemeinsamen Zukunft des Landes nicht mehr nachgekommen werden kann.
Soziologische Analysen und theoretische Grundlagen
Das 1929 gegründete South African Institute of Race Relations untersucht und dokumentiert die Entwicklung des südafrikanischen Rassismus und der institutionellen Apartheid mit vielen Einzelpublikationen und Periodika. An der Arbeit des Instituts beteiligten sich zahlreiche Apartheidskritiker.
Mehrere Kommissionen erarbeiteten im Auftrag der südafrikanischen Regierungen in den Jahren der Apartheidsperiode Empfehlungen und Konzepte, die zu konkreten Ausgestaltung der Kabinettspolitik genutzt wurden. Dazu zählten die Tomlinson-Kommission, die Native Laws Commission und weitere Gremien.
Innerer Widerstand
Grundlagen und Entwicklung
Die Gegenbewegungen an der Basis der Bevölkerung zum politischen motivierten Rassismus und den Apartheidsverhältnissen in Südafrika entstanden nicht erst mit der Machtübernahme der Nationalen Partei im Jahre 1948. Sie waren zu diesem Zeitpunkt bereits in vielfacher Ausprägung existent, weil die seit Jahrzehnten praktizierte staatliche Ausgrenzung der schwarzen, indischstämmigen und farbigen Bevölkerungsgruppe spürbare nachteilige Wirkungen auf diese ausübte.
Im Wesentlichen hatten die gesellschaftskritischen Positionen im politischen Emanzipationsprozess des ausgehenden 19. Jahrhunderts ihre Ursprünge an verschiedenen Missionsschulen, besonders im Wirkungsbereich der Anglikanischen Kirche. Diese Entwicklung leitet sich aus den aufklärerischen Impulsen hier tätiger Theologen und Missionare ab, wie James Stewart und Jane Elizabeth Waterston, sowie in dem daraus erwachsenen politischen Selbstverständnis führender schwarzer und indischstämmiger Persönlichkeiten. Internationale Einflüsse und Vorbilder wirkten als verstärkende Faktoren auf die Emanzipationsentwicklung innerhalb der schwarzen Bevölkerung, zu denen das US-amerikanische Tuskegee Institute zählte. Diese Einrichtung übte auf die Missionare in der damaligen Kapkolonie bei der Weiterentwicklung der Bildungskonzepte für die „nichtweißen“ Bevölkerungsgruppen eine Vorbildwirkung aus.
In den ausgehenden 1920er und den 1930er Jahren formierte sich durch die Wahrnehmung wachsender sozialer Differenzierungsprozesse innerhalb der südafrikanischen Gesellschaft unter manchen Theologen und Sozialwissenschaftlern die Bereitschaft zur kritischen Systemanalyse. Die Gründung des South African Institute of Race Relations im Jahre 1929 war ein Resultat dieser sich wandelnden Lage. Im zweiten Drittel des 20. Jahrhunderts etablierten sich in der schwarzen und indischstämmigen Bevölkerung selbstorganisierte Proteststrukturen. Das wird an der Gründung neuer politischer Organisationen, vermehrten Forderungen nach Angleichung der Bürgerrechte an die Standards der europäischstämmigen Oberschicht und in der wachsenden Bedeutung eigener Zeitungen erkennbar. Der ehemalige ANC-Präsident Zaccheus Richard Mahabane wandte sich in den 1930er Jahren gegen die zunehmende Gesetzgebung der Rassentrennung und setzte sich dazu für den gemeinsamen politischen Weg verschiedener Oppositionsgruppierungen ein. Die südafrikanische Regierung verschärfte in den 1930er und 1940er Jahren ihre rassistische Repressionspolitik. 1938 gründete sich in Johannesburg die Non-European United Front, zu deren führenden Mitgliedern Yusuf Dadoo gehörte. Er organisierte Massenproteste gegen die zunehmende Ausgrenzung „nichtweißer“ Bevölkerungsteile.
In der Folge dieser wachsenden innenpolitischen Spannung kam es 1949 zu einem folgenreichen Wechsel an der Spitze des ANC. Junge Mitglieder erzwangen den Rücktritt des Vorsitzenden Alfred Bitini Xuma zugunsten von James Moroka und beeinflussten damit die politische Wirkung ihrer Organisation. Trotzdem galt immer noch das Primat des gewaltfreien Widerstandes, das sich noch einmal mit dem nächsten Vorsitzenden Albert Luthuli manifestierte.
Inzwischen hatte sich in Natal der Einfluss des sich an Gandhis Prinzipien orientierende South African Indian Congress (SAIC) ausbauen können und war zu einer mächtigen Kraft in Südafrika angewachsen. Die Regierung von Jan Christiaan Smuts wollte das Wahl- und Grundstücksrecht für die Inder einschränkend regeln und erregte daraufhin heftigen Widerspruch. Eine Delegation des SAIC reiste deshalb zur indischen Regierung und erreichte dort Sanktionen gegen Südafrika. Zwischen 1946 und 1948 machte die Indian Passive Resistance Campaign auf die ungerechten Lebensverhältnisse der indischstämmigen Bevölkerung aufmerksam.
Die Defiance Campaign zwischen 1952 und 1953 war eine von ANC, SAIC und Coloureds gemeinsam angelegte Aktion zur Einforderung von Bürgerrechten und rechtlicher Gleichbehandlung. Es folgte 1956 der international beachtete Protestmarsch von 20.000 Frauen auf die Regierungszentrale in Pretoria wegen der unbeliebten Pass-Gesetze und der sich aus weiterer Zuspitzung (Anti-Pass Campaigns) entwickelnde Protest im Jahre 1960 nach Vorbild von Mahatma Gandhi in Sharpeville, der durch bewaffneten Eingriff von Polizeikräften jedoch als Massaker von Sharpeville in die südafrikanische Geschichte einging.
Die Politik des gewaltfreien Widerstandes wurde während der gesamten Apartheidsperiode von den Betroffenen nicht aufgegeben, konnte jedoch im Inland nur noch sehr eingeschränkt ausgeübt werden und verlagerte sich auf Aktionen im Rahmen der internationalen Öffentlichkeit.
Afrikanischer Nationalkongress
Bereits 1912, zwei Jahre nach der Errichtung der Südafrikanischen Union, gründeten der Anwalt Pixley Seme, die Geistlichen John L. Dube, Walter B. Rubusana sowie der Autor Sol Plaatje den Afrikanischen Nationalkongress (ANC). Obwohl von Männern aus der elitären Gesellschaft gegründet, verstand sich der ANC durchaus nicht als elitäre Organisation. Er stand grundsätzlich allen offen, egal welcher Hautfarbe, und akzeptierte sowohl das Christentum wie auch die englische Sprache. Der ANC verstand sich als schwarze Widerstandspartei, die volle Bürgerrechte forderte. Lange Zeit opponierte er friedfertig durch Boykotte und Streiks. So organisierte er in den 1920er Jahren Streiks der Minenarbeiter, um die schlechten Arbeitsbedingungen der Schwarzen zu verbessern.
Der ANC wurde immer mehr zur Massenorganisation. Hunderttausende befolgten die Aufrufe zu Demonstrationen oder Streiks. Beispielsweise im Jahre 1946, zwei Jahre vor dem Beginn der Apartheid, streikten rund 70.000 schwarze Minenarbeiter. Insbesondere gegen Passgesetze, wonach die städtischen Schwarzen jederzeit ein persönliches Dokument mit sich tragen mussten, um sich als Arbeitnehmer ausweisen zu können, protestierte der ANC durch Demonstrationen und durch das Verbrennen der umstrittenen Personaldokumente. Trotzdem standen keineswegs alle Nicht-Weißen, nicht einmal alle Schwarzen, hinter dem ANC. Etliche Schwarze sahen die Homeland-Politik der Regierung als Chance, den Rassismus endlich zu beenden und ihre Traditionen wieder zu leben.
In späteren Jahren sollten diese Meinungsverschiedenheiten insbesondere zwischen städtischen und ländlichen Schwarzen zu bewaffneten Auseinandersetzungen führen. So forderten Unruhen bei Pietermaritzburg zwischen 1987 und 1990 rund 4000 Todesopfer. Bei diesem Konflikt handelte es sich um Streitigkeiten innerhalb der Zulu. Städtische Zulu vertraten andere Ansichten als die in der Inkatha Freedom Party vereinten ländlichen Zulu. In den frühen 1990er Jahren, also bereits nach dem offiziellen Ende der Apartheid, wendeten sich die Inkatha-Anhänger dann im Besonderen gegen die Xhosa. Menschen beider Seiten verloren dabei ihr Leben.
Die Regierung versuchte, die Menschenrechtsaktivisten des ANC und anderer Gruppen immer wieder an ihrer Arbeit zu hindern, indem sie diese bannten. Gebannte waren eingeschränkt in ihrer Bewegungsfreiheit, sie durften ein genau definiertes Territorium nicht verlassen. Des Weiteren löste die Regierung häufig Treffen des ANC auf. Das geschah auf der Grundlage mehrerer Gesetze, im Zentrum dieser Jurisdiktion der Suppression of Communism Act von 1950.
Militante Widerstandsorganisationen
Einigen Mitgliedern gingen die meist friedlichen Aktionen des ANC nicht weit genug. Sie gründeten 1959 eine weitere Widerstandsorganisation, den Pan Africanist Congress (PAC). Im Gegensatz zum ANC verwarf der PAC die offene Haltung gegenüber allen Rassen. Er positionierte sich als reine Schwarzen-Organisation und lehnte jegliche Zusammenarbeit mit den Weißen ab. Auf einer vom PAC organisierten Demonstration im Township Sharpeville 1960 gab ein Polizeioffizier seinen Polizisten den Befehl, mit Maschinenpistolen in die unbewaffnete Menge zu schießen. 69 Afrikaner starben, Hunderte wurden verletzt.
Dieses Ereignis löste nationale Unruhen aus, welche die südafrikanische Regierung mit eiserner Faust bekämpfte. Rund 20.000 Demonstranten wurden verhaftet. In der Folge wurden sowohl der PAC als auch der ANC verboten. Daraufhin gründete 1961 auch der ANC einen bewaffneten Flügel. Nelson Mandela selbst leitete diesen Flügel mit dem Namen Umkhonto we Sizwe, was übersetzt so viel wie Speer der Nation bedeutet. Umkhonto we Sizwe tat sich in den folgenden Jahren insbesondere durch Sabotageakte hervor.
Beide Organisationen operierten fortan aus dem Untergrund. Führende opponierende Köpfe wie Nelson Mandela oder Walter Sisulu wurden 1964 im sogenannten Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht warf ihnen vor allem Beteiligung an Sabotageakten vor.
Neues Selbstbewusstsein
In den späten 1960er Jahren entstand in Kirchen und Schulen, beeinflusst durch die Black-Power-Bewegung in den USA, die sogenannte Black-Consciousness-Bewegung. Steve Biko gilt als Begründer dieser Bewegung. Hervorgerufen durch das neue Selbstbewusstsein der Schwarzen sahen sie die Kultur der Weißen nicht mehr als übermächtig. Vielmehr lehnten sie die weiße Kultur nun ab; ihre eigenen Werte hingegen hoben sie heraus. Kunstschaffende wie Miriam Makeba engagierten sich für einen weltweiten Boykott des Apartheidregimes.
Die Folgen des neuen Bewusstseins waren zum Teil heftige Studentenunruhen. Am 16. Juni 1976 boykottierten Schüler in Soweto den Unterricht. Dies stand im Zusammenhang mit der versuchten, zwangsweise durchgeführten Einführung der bei Schwarzen verhassten Sprache Afrikaans. Mit dem Boykott begann der Aufstand in Soweto. Durch brutale Polizeieinsätze verloren in wenigen Tagen 500 bis 1000 Schwarze ihr Leben und viele Kinder und Jugendliche wurden inhaftiert. Weltbekannt ist das Foto des sterbenden 12-jährigen Hector Pieterson in den Armen eines Mitschülers. Danach nahm der bewaffnete Widerstand sprunghaft zu. Die in den nächsten zwei Jahren folgenden Unruhen verunsicherten das Land. Hunderte von Schwarzen wurden von der Polizei getötet. Die Schüler und Studenten fanden Unterstützung bei Hunderttausenden von schwarzen Arbeitern. Für die südafrikanische Wirtschaft nahm dies verheerende Ausmaße an. Einige unbedeutendere Gesetze der Apartheid wurden gelockert, um dem Unmut der Schwarzen zu begegnen.
Internationale Beziehungen
Unterstützung und Propaganda im Ausland für die Apartheid
Einige Länder unterstützten das Apartheidregime in bestimmten Teilbereichen.
USA
Die USA setzten 21 Mal im Sicherheitsrat ihr Veto ein, um Resolutionen gegen Südafrika zu verhindern, die zumeist eine totale Wirtschaftsblockade gegen das Land zum Inhalt hatten, das waren 13 Prozent der Gesamtanzahl ihrer Vetos. Auch Firmen wie IBM unterstützten mit logistischen und technologischen Mitteln das Regime. Die Bedeutung Südafrikas für die USA lag unter anderem in den Uranvorkommen des Landes.
Allerdings waren die USA aber auch die treibende Kraft hinter der Verabschiedung des ersten Waffenembargos gegen Südafrika durch die UN im Jahr 1963.
Bundesrepublik Deutschland
Auch die Bundesrepublik unterhielt während der Apartheid Wirtschaftskontakte zu Südafrika. Der damalige Außenminister Willy Brandt, in dessen Partei die Beziehungen zu Südafrika höchst umstritten waren, begründete dies damit, „daß man Handel und Politik nicht ohne Not koppeln soll“. Einer der führenden deutschen Politiker, der durch seine Nähe zur südafrikanischen Regierung in der Zeit der Apartheid auffiel, war Franz Josef Strauß. Er befürwortete die Apartheid und soll bei einem Besuch in Südafrika gesagt haben: „Die Politik der Apartheid beruht auf einem positiven religiösen Verantwortungsbewußtsein für die Entwicklung der nichtweißen Bevölkerungsschichten. Es ist deshalb falsch, von der Unterdrückung der Nicht-Weißen durch eine weiße Herrenrasse zu sprechen.“ Deutschen Konzernen wird vorgeworfen, sich an der Apartheid in Südafrika beteiligt zu haben. In einem seit 2002 bei Bundesgerichten in den USA anhängigen Prozess, der von Apartheid-Opfern angestoßen und u. a. von Desmond Tutu unterstützt wurde, wurden 50 internationale Konzerne, darunter auch die Daimler AG und mehrere deutsche Banken, beschuldigt, durch ihre Geschäfte die Verbrechen des Apartheid-Regimes unterstützt zu haben. Die Kläger beriefen sich auf ein Gesetz von 1789, nach dem ausländische Bürger in den USA Klagen einreichen können, wenn internationales Recht verletzt wurde. General Motors einigte sich 2012 mit den Klägern auf einen Vergleich ohne Schuldeingeständnis. Ein Berufungsgericht verwarf die Klage im August 2013 einstimmig mit einer Berufung auf eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, nach der das Gesetz in dem Fall nicht anwendbar sei. Die Verteidigung kann nun die Einstellung des Verfahrens beantragen.
Eine Studie von 1999 kam zu dem Ergebnis, dass Deutschland mit 27,3 Prozent aller Auslandsschulden des öffentlichen Sektors der wichtigste Direktfinanzier des Apartheidregimes war und „[…] in herausragender Weise den Apartheidstaat direkt, ebenso wie die strategisch wichtigen Staatskonzerne der Apartheid mit Finanzkapital bedient hat“.
Die tatsächlichen Apartheidsverhältnisse in Südafrika waren in Deutschland bekannt und in Teilen der Bevölkerung ein Diskussionsthema, wie nach Unterstützungsnoten aus dem Kreis der Evangelischen Frauenarbeit und dem damit verbundenen Früchteboykott zu schließen ist. Andererseits fand Südafrika in Mitteleuropa auch Unterstützer seiner Politik. Eine 1974 in deutscher Sprache herausgegebene Schrift des Informationsministeriums in Pretoria wandte sich an deutschsprachige Leser und setzte sich rechtfertigend mit der internationalen und inneren Kritik an der Apartheid auseinander. Darin wurden die „Anti-Apartheid-Bewegung“ und die „Vertreter der Terroristenorganisationen und der Weltkirchenrat“ zu Staatsfeinden erklärt. Dem Weltkirchenrat bescheinigt die Propagandaschrift, „den terroristischen Bewegungen in Afrika sowohl geistige Unterstützung als auch Gelder“ zu liefern. Ferner meinten die ungenannten Autoren unter den Apartheid-Kritikern „bornierte Geister“ zu finden und dass „viele selbsternannte Experten“ prophezeiten, „dass die südafrikanische Regierungspolitik in einer Katastrophe enden würde“. Gleichzeitig gaben sie einen Einblick in ihre Auffassung von Pressefreiheit, indem sie in Hinblick auf kritische Berichterstattungen „von den alten Dickschädeln, die in Presse, Rundfunk und Fernsehen immer wieder das gleiche tun“ sprachen.
Positive Haltungen zu den Apartheidsverhältnissen, insbesondere zu den damit beabsichtigt herbeigeführten sozio-ökonomischen Segregationsprozessen, drangen bis in wissenschaftliche Arbeiten Deutschlands ein und wurden als „räumliche Auswirkungen einer politischen Idee“ gekennzeichnet. Das geschah in der Weise, dass beispielsweise die Etablierung der Homelands als „Hinführung zur innenpolitischen Autonomie“ bezeichnet wurde oder die dort geplanten Ortsgründungen als „[…] eingerichtet als Ansatzpunkte städtischer Entwicklung (s. Smit and Boysen 1977)“, um „im Laufe der Zeit eine solche Attraktivität zu entwickeln, dass aus den weißen Gebieten eine Rückwanderung in diese neuen Städte einsetzt, sowie als Ansatzpunkte einer industriellen Entwicklung innerhalb der Homelands zu dienen“.
Großbritannien
Auch in Großbritannien fand das Apartheidregime Unterstützung für seine Politik. Margaret Thatcher bezeichnete den ANC in einer Pressekonferenz auf der Commonwealth-Konferenz in Vancouver im Jahre 1987 als „terroristische Organisation“ und bediente im selben Statement antikommunistische Stereotype des Kalten Kriegs. Im selben Jahr erschienen Mitglieder der Young Conservatives, der Jugendorganisation der Conservative Party, auf einem Parteitag mit Hang Nelson Mandela!-Abzeichen (deutsch: „Erhängt Nelson Mandela!“).
Schweiz
Schweizer Banken und Industrieunternehmen ignorierten wiederholt und massiv die UN-Sanktionen (da sich die Schweiz als damaliges nicht UNO-Mitglied an UN-Sanktionen nicht halten musste) und erleichterten dadurch die Praxis des Apartheidregimes. Die Schweizer Regierung äußerte, wenn überhaupt, nur halbherzig Kritik. Dagegen gab es sogar enge Kontakte auf diplomatischer Ebene. Seit 1980 hatte der südafrikanische Militärattaché seinen Dienstsitz in Bern, zuvor noch in Rom, Köln und Wien; bereits zu dieser Zeit verweigerten andere Staaten dessen Akkreditierung.
Israel
Durch die internationale Isolation Israels nach dem Sechstagekrieg verstärkten sich die Beziehungen zu Südafrika. Vor allem auf militärischem Gebiet entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit. Dazu gehörten neben konventionellen Waffenlieferungen auch lange geheim gehaltene Kooperationsprojekte zu Atomwaffen.
Unterstützung aus dem Ausland gegen die Apartheid
In vielen Ländern gab es Unterstützung für die Bevölkerungsmehrheit Südafrikas im Kampf gegen die Apartheid. Sowohl der ANC, die Black Consciousness Movement als auch kirchliche Organisationen hatten viele Kontakte, zum Beispiel zum Weltkirchenrat, den Vereinten Nationen und kleineren Organisation wie der Anti-Apartheid-Bewegung in Deutschland und der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland. Dazu kamen viele lokale Gruppierungen, die oft mit Dritte-Welt-Läden zusammenarbeiteten. Unterstützt wurden diese Gruppen auch aus der SPD. So forderten die Bundestagsabgeordneten Lenelotte von Bothmer und Hans-Jürgen Wischnewski zum Beispiel 1973 eine Einschränkung der wirtschaftlichen Beziehungen Deutschlands zu Südafrika.
Um auf die Situation in Südafrika aufmerksam zu machen, wurde insbesondere zum Boykott südafrikanischer Produkte aufgerufen. Die in Großbritannien sehr aktive Anti-Apartheid Movement, woran auch Ambrose Reeves und Trevor Huddleston maßgeblich beteiligt waren, erzielte damit erhebliche Erfolge. Deren Wirkungen waren so deutlich, dass der britische Premierminister Harold Macmillan in seiner sogenannten Wind-of-Change-Rede vor beiden Kammern des südafrikanischen Parlaments am 3. Februar 1960 in Kapstadt darauf hinwies. Zur Unterstützung von politisch Verfolgten und ihren Familien entstanden bereits 1956 finanzielle Hilfsstrukturen zwischen Südafrika und dem Vereinigten Königreich, die sich später mit dem International Defence and Aid Fund for Southern Africa weltweit ausbreiteten.
Im Zuge dieser internationalen Protestentwicklung entstanden viele kleinere Aktionen unter anderem auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen. Der Früchteboykott wurde von Südafrikanern angeregt und dann von den lokalen Gruppen in ihren jeweiligen Ländern propagiert. Neben dem Boykott der Früchte aus Südafrika wurde auch gegen die die Apartheid unterstützenden Geschäfte deutscher Großbanken protestiert.
Die Bemühungen des ANC im Ausland zur Verdeutlichung der Apartheidsverhältnisse im damaligen Südafrika bewirkten an vielen Orten der Welt Reaktionen von der Gewährung seiner Aktivitäten auf fremden Territorien bis zur aktiven Unterstützung konkreter Projekte. Beispielsweise unterhielt der ANC in London seine wichtigste Auslandsvertretung und sammelte auf diese Weise politische, wissenschaftliche, logistische und finanzielle Unterstützung für zahlreiche Vorhaben. Eines dieser Projekte bestand in einer umfangreich gegliederten Bildungseinrichtung auf dem Staatsgebiet von Tansania. Zwischen 1978 und 1992 wurde dort im Solomon Mahlangu Freedom College eine Schul- und Hochschulbildung durch einen international zusammengesetzten Lehrkörper für ausgewählte Südafrikaner gewährleistet.
Die von der indischstämmigen und farbigen Bevölkerungsgruppe Südafrikas initiierten Antiapartheidsbestrebungen ermöglichten ihrerseits weitere Unterstützeraktivitäten, wie beispielsweise Studiermöglichkeiten in Indien durch direkte Protektion der Staatspräsidentin Indira Gandhi oder neue Schulprojekte in Slumsiedlungen der damaligen Provinz Natal. Eine zentrale Rolle spielte innerhalb der Organisation dieses politischen Prozesses die südafrikanische Soziologieprofessorin Fatima Meer.
Der Iran versah die Reisepässe seiner Bürger mit einem Stempel, welcher die Einreise iranischer Bürger in Südafrika untersagte. Länder wie Tansania untersagten die Einreise, wenn im Pass ersichtlich war, dass der Inhaber sich in Südafrika aufgehalten hatte.
Vereinte Nationen
Die Vereinten Nationen haben seit ihrer Gründung die Apartheid als gravierendes Beispiel einer systematischen Rassentrennung verurteilt. Die Mehrheiten in den Organen der Vereinten Nationen haben sich vor allem durch das Wachstum der Vereinten Nationen durch den Beitritt vieler Staaten der Dritten Welt auf der XV. Sitzung der Generalversammlung der UN (1959) zuungunsten der Politik der Apartheid verschoben. Die Veränderung der Mehrheitsverhältnisse beeinflusste auch die Haltung der westlichen Staaten, inklusive der Bundesrepublik, die ab den 1970er Jahren vermehrt Resolutionen der Generalversammlung gegen die Apartheid unterstützten, sofern diese nicht zu Gewalt aufriefen oder Anti-Apartheidsorganisationen erwähnten, die als marxistisch eingeschätzt wurden.
Zu den wichtigsten Reaktionen zählt die Resolution 1761 aus der XVII. Sitzung der UN-Generalversammlung vom 6. November 1962 unter Leitung von Muhammad Zafrullah Khan bezüglich der Apartheidpolitik der Südafrikanischen Regierung, die mit dieser Erklärung unter Aufruf zu Sanktionen verurteilt wurde.
Von den Vereinten Nationen wurde die Entwicklung der Apartheidpolitik kontinuierlich beobachtet. Auf dem 6. Kongress der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger zwischen dem 25. August und 5. September 1980 in Caracas wurde über den Fortschritt der am 18. Juli 1976 in Kraft getretenen Internationale Konvention über die Bekämpfung und Bestrafung des Verbrechens der Apartheid berichtet. Bis zum 1. Mai 1980 hatten sie 56 Staaten ratifiziert oder waren ihr beigetreten. Die UN-Menschenrechtskommission forderte die UN-Sonderkommission gegen die Apartheid (Special Committee on the Policies of Apartheid of the Government of the Republic of South Africa) auf, zusammen mit aus Südafrika stammenden Experten eine Liste zu erstellen, worin Personen, Institutionen, Organisationen und offizielle Repräsentanten der Republik Südafrika erfasst werden sollten, die für Verbrechen nach Artikel 2 der internationalen Konvention als verantwortlich angesehen wurden.
Initiiert durch die Vereinten Nationen, gab es einen weitgehenden Boykott kulturellen Austauschs mit Südafrika. Paul Simon machte mit seinem 1986 erschienenen Album Graceland, an dem zahlreiche südafrikanische Musiker mitwirkten, auf die Apartheid aufmerksam. Er wurde aber gleichzeitig kritisiert, weil er dem Boykott nicht gefolgt war.
Europäische Gemeinschaft
Die Europäische Gemeinschaft (EG) hatte sich 1985 im Rahmen der europäischen politischen Zusammenarbeit auf eine abgestimmte Haltung zu Südafrika festgelegt und ein Sonderprogramm zugunsten von Opfern der Apartheidpolitik entwickelt, das man ab 1986 praktizierte. Am 16. September 1986 beschlossen die Außenminister der EG gemeinsame Sanktionen, die unter anderem Investitionen in Südafrika sowie den Import von südafrikanischem Stahl, Eisen und Goldmünzen (Krugerrand) verboten. Das im Entwurf vorgesehene Verbot des Imports von Kohle – zu jenem Zeitpunkt gingen zwei Drittel der Kohleexporte Südafrikas in EG-Länder – wurde auf Betreiben der deutschen und unterstützt von der portugiesischen Regierung nicht in den beschlossenen Text aufgenommen.
Boykotthintertreibung durch eine PR-Firma
Im Jahr 2019 aufgetauchte Dokumente enthüllen, dass ab den 1970er Jahren die PR-Agentur Hennenhofer damit beauftragt war, eine deutsche Boykott-Beteiligung zu verhindern. Unter anderem mit bezahlten „Informationsreisen“ nach Südafrika wurden verschiedene Politiker und Journalisten zu diesem Zweck wirkungsvoll eingespannt.
Das Ende der Apartheid
Prozess des Übergangs
Die Proteste der Schwarzen sowie andere Faktoren ließen die Apartheid ab 1974 immer mehr bröckeln. Die Vollversammlung der UN nahm im Dezember 1973 die „Konvention zur Bekämpfung und Ahndung des Verbrechens der Apartheid“ an, die 1976 in Kraft trat. Die Präambel dieser Konvention betonte, dass Apartheid als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen ist. Straftatbestände wurden benannt, so dass mit dieser Konvention eine Strafbarkeit nach internationalem Völkerrecht begründet wurde. Die burische Regierung näherte sich in langsamen Schritten den schwarzen Vorstellungen an. Die schwarze Opposition wurde immer stärker, obwohl ihre bekanntesten Führer im Gefängnis saßen. Höhepunkte des Widerstandes in den 1970er Jahren waren Streiks in Natal (1973) sowie der Aufstand in Soweto 1976. Dem schwarzen Widerstand begegnete die Regierung mit Notmaßnahmen, die allerdings die staatlichen Kapazitäten sprengten. Die Kosten der Apartheid waren nicht mehr länger tragbar.
Der ANC wurde vom Westen während des Kalten Krieges als revolutionär und prokommunistisch angesehen. Trotz gewisser Sanktionen stützten die USA und Westeuropa das weiße Apartheidregime als Bollwerk gegen den Kommunismus, auch weil Südafrika bedeutende Uranvorkommen hat. Nachdem die portugiesischen Kolonien Moçambique und Angola unabhängig und zum Schauplatz blutiger Kriege geworden waren, erschien die Unterstützung Südafrikas noch wichtiger. Mit dem Ende des Kalten Krieges verlor dieses Element freilich seine Bedeutung, und das alte Regime Südafrikas wurde vom Westen fallen gelassen.
Wirtschaftlich geriet Südafrika schon seit 1983 in Schwierigkeiten, als der Goldpreis auf dem Weltmarkt zu verfallen begann. Die durch die europäischen und amerikanischen Sanktionen geschwächte ökonomische Situation verschärfte sich damit weiter.
Der Reformierte Weltbund schloss die niederländisch-reformierte Kirche Südafrikas aus und erhöhte so den moralischen Druck auf einen Wandel.
Die zunehmend verbesserte Organisation der nichtweißen Opposition, die in den 1980er Jahren faktisch die Verwaltung der Townships übernahm, führte zum permanenten Ausnahmezustand von 1985 bis 1990. Angestoßen durch die Dakar-Konferenz im Juli 1987, bei der sich Vertreter des ANC im Exil mit einer Gruppe weißer Oppositioneller aus Südafrika über Möglichkeiten einer friedlichen Überwindung der Apartheid ausgetauscht hatten, begann ein teilweise geheimer Dialog mit den Führern des ANC im Exil über die Zukunft Südafrikas nach der Apartheid.
1989 trat Frederik Willem de Klerk die Nachfolge von Pieter Willem Botha als südafrikanischer Staatspräsident an. De Klerk übernahm sogleich die geheimen Verhandlungen mit dem noch immer inhaftierten ANC-Führer Mandela. Er stellte Mandela die sofortige Freilassung in Aussicht, wenn dieser gewisse Konditionen, wie beispielsweise die Abkehr vom bewaffneten Widerstand, annähme, worauf Mandela jedoch nicht einging. De Klerk ließ Mandela aufgrund des steigenden Druckes zusammen mit den übrigen politischen Gefangenen im Jahre 1990 frei. Die beiden Widerstandsparteien ANC und PAC wurden wieder legalisiert.
Aufgrund dieser in ihrer Summe bedeutsamen Faktoren, also des Widerstandes der Schwarzen, des internationalen Druckes, der ökonomischen Krise, des Wechsels der Regierungsführung von Botha zu de Klerk sowie der Standhaftigkeit Mandelas bei den Verhandlungen mit de Klerk, brach die weiße Autorität in den frühen 1990er Jahren Schritt für Schritt zusammen. Bei einem Referendum im März 1992 sprachen sich 68,7 Prozent der Weißen für die Abschaffung der Rassentrennungspolitik aus.
De Klerk hob wesentliche Gesetze auf, die als Pfeiler der Apartheid galten. Darunter waren der Population Registration Act, der Group Areas Act und der Land Act. Die Homelands existierten allerdings weiter; diesbezüglich änderte sich nur wenig.
Die Übergangsphase von der Apartheid zur angestrebten rechtlichen und ökonomischen Gleichstellung aller Einwohner Südafrikas dauerte von 1990 bis 1994. Während dieser Zeit wurde die Gesetzgebung der Rassentrennung verändert. Alle in Südafrika lebenden Menschen konnten sich nun frei und ohne Restriktionen bewegen. Viele Schwarze nutzten diese Chance und zogen in Städte. Seit November 1993 gab es eine plural zusammengesetzte Regierung, das Transitional Executive Council. Des Weiteren war die Übergangsphase geprägt von blutigen Konflikten zwischen der Inkatha-Partei Mangosuthu Buthelezis und dem ANC. Buthelezi, Führer des Homelands KwaZulu, sah durch das neue Staatssystem seine Macht bedroht und bekämpfte die Arbeiten an einer neuen Verfassung sowie die Wahlvorbereitungen. Erst durch den Einfluss von Washington Okumu, einem Freund aus Kenia, lenkte Buthelezi ein und erklärte eine Woche vor dem Wahltermin die Teilnahme seiner politischen Bewegung Inkatha. In kürzester Zeit mussten die Stimmzettel mit Aufklebern ergänzt werden. Die vorausgegangenen politischen Unruhen, nicht nur der zwischen ANC und Inkatha, dauerten von 1990 bis 1994 und forderten mehrere tausend Todesopfer. Nebst Buthelezi standen auch Lucas Mangope und Oupa Gqozo, die Führer der Homelands Bophuthatswana und Ciskei, den sich abzeichnenden Veränderungen ablehnend gegenüber. Die Angst vor persönlichen Verlusten förderte in dieser Situation ein Festhalten am alten System. Andere Homeland-Verantwortliche kooperierten mit den Plänen des ANC und versuchten durch Anpassung eine günstige Position in den künftigen Machtverhältnissen zu erlangen.
Im März 1995 wurde im südafrikanischen Parlament die Frage nach der Zahl der Opfer während dieser Unruhen durch den Polizeiminister beantwortet. Nach den Unterlagen der Regierung sollen es ohne die Homelands 5007 Personen gewesen sein, die im Verlaufe der zahlenmäßigen angestiegenen politischen Konflikte zwischen 1992 und 1994 den Tod gefunden hatten. Das South African Institute of Race Relations veröffentlichte unter Einbeziehung der damaligen Homelands folgende Zahlen: 3347 Tote im Jahr 1992, 3794 Tote 1993 und 2476 Tote 1994. Zudem sind noch im Jahr 1995 im Verlaufe politischer Unruhen 1044 Menschen getötet worden.
Die ausgehandelte Übergangsverfassung trat 1994 in Kraft. Danach würden alle fünf Jahre Regierungswahlen stattfinden. Ferner wurde das Land in neun statt in bisher vier Provinzen unterteilt. So kam es 1994 zu den ersten allgemeinen, gleichen und geheimen Wahlen Südafrikas. Der ANC gewann mit 62,6 Prozent überragend, es folgte die Nasionale Party (NP) mit 20,4 Prozent und die Inkatha Freedom Party mit 10,5 Prozent. Mandela wurde zum ersten Präsidenten unter der neuen Verfassungsordnung ernannt. Ihm zur Seite standen zwei populäre Vizepräsidenten, de Klerk von der NP und Thabo Mbeki vom ANC. Buthelezi wurde Premier der Provinz Kwazulu-Natal, er konnte seine Macht also über die bisherige Homelandgrenze ausdehnen. Mandela und de Klerk erhielten 1993 den Friedensnobelpreis.
Wahrheits- und Versöhnungskommission
Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (Truth and Reconciliation Commission, TRC) wurde eingerichtet, um politisch motivierte Verbrechen zu verhandeln, die während der Zeit der Apartheid begangen worden waren. Sie geht in ihrer Entstehung zurück auf eine Initiative des ANC und des damaligen Justizministers Abdullah Omar im Jahr 1994 und wurde im Januar 1996 durch Präsident Nelson Mandela eingesetzt. Vorsitzender war Desmond Tutu. Die Wahrheits- und Versöhnungskommission bestand aus drei Ausschüssen, die jeweils unterschiedliche Aufgaben übernahmen:
das Komitee für die Aufklärung der Verbrechen während der Apartheid,
das Komitee für die Entschädigung der Opfer,
das Komitee für die Gewährung der Amnestie.
Wesentliches historisches Vorbild für ihre Errichtung war die Rettig–Kommission (Comisión Nacional de Verdad y Reconciliación) in Chile mit ihrem Bericht von 1991 über die Menschenrechtsverletzungen der Regierung unter Augusto Pinochet.
Die Kommission wurde für 18 Monate einberufen und ihre Arbeit konnte um ein halbes Jahr verlängert werden. Der relativ kurze Zeitraum ihres Wirkens war bereits zur Einberufung umstritten, da die Fülle der zu behandelnden Fälle in dieser Zeit kaum zu bearbeiten schien. Allerdings galt es auch, die Folgen des Apartheidsystems schnell öffentlich zu machen, sowohl um gegebenenfalls Entschädigungen nicht erst nach vielen Jahren zu zahlen, als auch, um den schmerzhaften Prozess der Aufklärung nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
Ihr Ziel war es, Opfer und Täter in einen „Dialog“ zu bringen und somit eine Grundlage für die Versöhnung der zerstrittenen Bevölkerungsgruppen zu schaffen. Vorrangig hierbei war die Anhörung beziehungsweise die Wahrnehmung des Erlebens des jeweils anderen.
Den Angeklagten wurde Amnestie zugesagt, wenn sie ihre Taten zugaben, den Opfern wurde finanzielle Hilfe versprochen. Ziel war die Versöhnung mit den Tätern sowie ein möglichst vollständiges Bild von den Verbrechen, die während der Apartheid verübt worden waren, zu bekommen. Sämtliche Anhörungen waren deshalb öffentlich. Am 29. Oktober 1998 präsentierte die Wahrheits- und Versöhnungskommission ihren Abschlussbericht. Vor allem von Seiten der Schwarzen wurde kritisiert, dass die Gedanken der Versöhnung und Amnestie Vorrang vor der Gerechtigkeitsfindung hatten.
Apartheid als Verbrechen im Völkerrecht
Die mit der Apartheid verbundenen Diskriminierungen und Menschenrechtsverstöße sind mittlerweile auch im internationalen Recht – losgelöst von der mittlerweile überwundenen Apartheid in Südafrika – als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Durch das Römische Statut über die Schaffung eines Internationalen Strafgerichtshofs wurde die Apartheid der Zuständigkeit dieses Gerichtshofs unterworfen. Das Statut wurde auf einer Staatenkonferenz in Rom im Jahre 1998 angenommen und seither von 139 Staaten unterzeichnet und von 114 Staaten ratifiziert. Es ist seit dem Jahre 2002 in Kraft. Somit können derartige Vorgänge mittlerweile international strafrechtlich verfolgt werden. Diese Entwicklung wurde maßgeblich dadurch motiviert, dass es früher keine derartige Rechtsgrundlage gab, so dass die Apartheid in Südafrika bzw. die Verantwortlichen juristisch praktisch nicht belangt werden konnten.
Adriaan Vlok war der erste Minister des früheren Apartheidregimes, der sich in einem Prozess gegen frühere Mitglieder der Sicherheitsbehörden vor einem Gericht für Verbrechen, die er während seiner Amtszeit begangen hatte, verantworten musste und dafür rechtskräftig verurteilt wurde.
Weitere Folgen für Südafrika
Die über Jahre anhaltenden Unruhen hatten Südafrika in eine ökonomische Krise gestürzt. Diese brachte eine hohe Staatsverschuldung mit sich. Im Weiteren sollten die Ungleichheiten zwischen den Bevölkerungsgruppen beseitigt werden. Dies würde unter anderem bessere Schulen und eine bessere Gesundheitsversorgung für Schwarze bedeuten. Beides war jedoch mit hohen Kosten verbunden. Unterschiedlichste Interessen führten zu verschiedenen Landstreitigkeiten. Schwarze, die während der Apartheid ihr Land aufgeben mussten und gezwungen worden waren, in die Homelands zu ziehen, forderten ihr Land zurück. Die nun dort ansässigen Weißen oder Industriebetriebe machten ihre jüngeren Rechte geltend.
1999 stieg Mbeki vom Vizepräsidenten zum Präsidenten auf. Er intensivierte in der Folge die Privatisierung von Staatsbetrieben. Dies führte zu Stellenabbau und zu steigenden Strom- und Wassertarifen. Immer mehr schwarze Arbeiter, die vor allem unter diesen Maßnahmen zu leiden haben, wurden zunehmend unzufrieden mit der Politik des ANC. Sie werfen ihm vor, dass der ANC zwar von der linken Arbeiterklasse gewählt worden sei, jedoch im Interesse der rechten Bourgeoisie regiere.
Siehe auch
Geschichte Südafrikas
Apartheid Museum
Literatur
Allgemeine Abhandlungen
in der Reihenfolge des Erscheinens
Freimut Duve: Kap ohne Hoffnung oder die Politik der Apartheid. Rowohlt, Reinbek 1965.
Francis Wilson, Gottfried Wellmer, Ulrich Weyl, Harold Wolpe et al.: Wanderarbeit im Südlichen Afrika. Ein Reader. Informationsstelle Südliches Afrika e. V., Bonn 1976, ISBN 3-921614-30-9.
Ernst Klimm, Karl-Günther Schneider, Bernd Weise: Das südliche Afrika. Wissenschaftliche Länderkunden; Bd. 17. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 1980, ISBN 3-534-04132-1.
Marianne Cornevin: Apartheid – Mythos und Wirklichkeit. Aus dem Französischen übersetzt von Gerd Meuer. Hammer, Wuppertal 1981, ISBN 3-87294-189-5.
Vincent Crapanzano: White Walls Waiting: The Whites of South Africa. Random House, New York 1985, ISBN 978-0-394-50986-0.
Christoph Sodemann: Die Gesetze der Apartheid. Bonn 1986, ISBN 3-921614-15-5.
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Stephan Kaußen: Von der Apartheid zur Demokratie. Die politische Transformation Südafrikas. Westdeutscher Verlag, Opladen 2003, ISBN 3-531-14112-0.
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Knud Andresen, Detlef Siegfried (Hrsg.): Apartheid und Anti-Apartheid – Südafrika und Westeuropa. Zeithistorische Forschungen 13 (2016), Heft 2.
Ulrich van der Heyden: Der Dakar-Prozess. Der Anfang vom Ende der Apartheid in Südafrika. Solivagus Praeteritum, Kiel 2018, ISBN 978-3-947064-01-4.
Kirchen und Apartheid
in der Reihenfolge des Erscheinens
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Elisabeth Adler: Apartheid als Herausforderung für Südafrikas Christen und Kirchen. Wie lange noch? Union Verlag, Berlin 1983.
Heinz Nordholt: Apartheid und Reformierte Kirche: Dokumente eines Konflikts. Neukirchener Theologie, Neukirchen 1983, ISBN 3-7887-0739-9.
Gisela Albrecht, Hartwig Liebich (Red.): Bekenntnis und Widerstand. Kirchen Südafrikas im Konflikt mit dem Staat. Missionshilfe Verlag, Hamburg 1983, ISBN 3-921620-25-2.
Markus Büttner, Werner Klän: Friedrich Wilhelm Hopf. Ein lutherischer Theologe im Kirchenkampf des Dritten Reichs, über seinen Bekenntniskampf nach 1945 und zum Streit um seine Haltung zur Apartheid. Edition Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-7675-7157-0, S. 219–379.
Werner Klän, Gilberto Da Silva: Mission und Apartheid. Ein unentrinnbares Erbe und seine Aufarbeitung durch lutherische Kirchen im südlichen Afrika. Edition Ruprecht, Göttingen 2013, ISBN 978-3-8469-0132-8.
Sebastian Tripp: Fromm und politisch. Christliche Anti-Apartheid-Gruppen und die Transformation des westdeutschen Protestantismus 1970–1990. Wallstein-Verlag, Göttingen 2015, ISBN 978-3-8353-1628-7.
Sebastian Justke, Sebastian Tripp: Ökonomie und Ökumene. Westdeutsche und südafrikanische Kirchen und das Apartheid-System in den 1970er- und 1980er-Jahren. In: Zeithistorische Forschungen 13 (2016), S. 280–301.
Biographien
Lutz Brinkmann: Sandown – weiße Kindheit im Apartheidsstaat. dunkelblau Verlag, 2004, ISBN 3-9810007-0-6.
Frederik Willem de Klerk: The Last Trek – A New Beginning. Autobiographie. St. Martin’s Press New York, 1998, ISBN 0-312-22310-2.
Frederik Willem de Klerk: Frederik Willem de Klerk – Eine Hoffnung für Südafrika. Verlag Busse Seewald, Herford 1991, ISBN 3-512-03072-6.
Nelson Mandela: Der lange Weg zur Freiheit. Autobiographie. S. Fischer-Verlag, Frankfurt am Main, ISBN 3-10-047404-X.
Pumla Gobodo-Madikizela: Das Erbe der Apartheid – Trauma, Erinnerung, Versöhnung. Vorwort von Nelson Mandela. Nachwort von Jörn Rüsen. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2006, ISBN 3-86649-025-9.
The Nelson Mandela Foundation: A Prisoner in the Garden. Viking Studio, 2006, ISBN 0-670-03753-2.
Mark Mathabane: Kaffern Boy – Ein Leben in der Apartheid. Ehrenwirth Verlag, 1986, ISBN 3-431-02915-9 (Originaltitel: Kaffir Boy).
Miriam Mathabane: Mein Herz blieb in Afrika – Der Schicksalsweg einer jungen Frau vom Township in die Freiheit. List, 2000, ISBN 978-3-471-79428-9.
Trevor Noah: Farbenblind (Originaltitel: Born a Crime). Blessing, München 2017, ISBN 978-3-89667-590-3.
Ruth Weiss: Meine Schwester Sara. Deutscher Taschenbuch Verlag, 2004, ISBN 3-423-62169-9.
Filme
Schrei nach Freiheit (Originaltitel: Cry Freedom), Vereinigtes Königreich 1987, Regie: Richard Attenborough, mit Kevin Kline und Denzel Washington
Weiße Zeit der Dürre (Originaltitel: A Dry White Season), USA 1989, Regie: Euzhan Palcy, mit Donald Sutherland, Marlon Brando, Jürgen Prochnow und Susan Sarandon
Im Glanz der Sonne (Originaltitel: The Power of One), USA/Frankreich/Deutschland/Australien 1992, Regie: John G. Avildsen, mit Stephen Dorff, Armin Mueller-Stahl, Morgan Freeman, John Gielgud, Daniel Craig
Red Dust – Die Wahrheit führt in die Freiheit (Originaltitel: Red Dust), Vereinigtes Königreich/Südafrika 2004, Regie: Tom Hooper, mit Hilary Swank und Chiwetel Ejiofor
Drum – Wahrheit um jeden Preis (Originaltitel: Drum) Südafrika/USA/Deutschland 2004, Regie: Zola Maseko, mit Taye Diggs, Gabriel Mann, Jason Flemyng, Bonginkosi Dlamini
In My Country, USA 2004, Regie: John Boorman, mit Samuel L. Jackson und Juliette Binoche. Das Drehbuch, geschrieben von Ann Peacock, basiert auf Antjie Krogs halb-fiktionalem Buch Country of My Skull.
Catch a Fire, USA/Kanada/Spanien/Australien/Deutschland/Südafrika 2006, Regie: Phillip Noyce, mit Tim Robbins und Derek Luke
Goodbye Bafana, Deutschland/Frankreich/Belgien/Vereinigtes Königreich/Italien/Südafrika 2007, Regie: Bille August, mit Joseph Fiennes und Dennis Haysbert
Die verborgene Welt (Originaltitel: The World Unseen), Vereinigtes Königreich/Südafrika 2007, mit Lisa Ray und Sheetal Sheth
In schwarzer Haut (Originaltitel: Skin), Vereinigtes Königreich/Südafrika 2008, Regie: Anthony Fabian, mit Sophie Okonedo, Sam Neill, Alice Krige
District 9, Südafrika/Neuseeland 2009, Regie: Neill Blomkamp, mit Sharlto Copley und Jason Cope
Endgame, Vereinigtes Königreich 2009, Regie: Pete Travis, mit William Hurt und Chiwetel Ejiofor
Weblinks
The United Nations: Partner in the Struggle against Apartheid. auf www.un.org (englisch)
The United Nations: International Convention against apartheid in sports. Adopted by the General Assembly of the United Nations on 10 December 1985. auf www.treaties.un.org (englisch; PDF; 200 kB) Resolution Nr. 25822 der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1985
Enuga S. Reddy: Apartheid, South Africa and International Law. Selected Documents and Papers. In: United Nations. Centre against Apartheid: Notes and Documents Series, No. 13/85, Dezember 1985, auf www.sahistory.org.za (englisch; PDF; 177 S.)
Christopher Till et al.: Apartheid Museum in Johannesburg. auf www.apartheidmuseum.org (englisch) mit interaktiven Lernmöglichkeiten
DACPM: Direct Action Center for Peace and Memory. auf www.dacpm.org.za (englisch) Menschenrechts-NGO in Kapstadt, die sich den Folgen der Apartheid widmet und sich für einen nachhaltigen Frieden einsetzt.
Frederick W. Bell: The South African native problem, a suggested solution. Being a paper read before the Union Club of South Africa, and the Native Affairs Society of the Transvaal, (14. Oktober) 1909. auf www.archive.org Erläuterung von zwei primären Prinzipien des „Eingeborenenproblems“ durch Frederick William Bell
UKZN: Segregation and Apartheid Laws as Applied to Indians (1859-1994). auf www.ukzn.ac.za (englisch) Liste südafrikanischen Gesetze zur Einschränkung der Rechte der indischstämmigen Bevölkerung
Apartheid Museum, Johannesburg (Hrsg.), Michelle Friedman et al.: Women’s struggles in 20th century South Africa. Our Triumphs and Our Tears. [2006] Museumsbroschüre über den Beitrag politisch aktiver Frauen in der südafrikanischen Antirassismusbewegung, reich illustriert (englisch)(Teil 1. auf www.apartheidmuseum.org; PDF; 2,9 MB)(Teil 2. auf www.apartheidmuseum.org; PDF; 2,9 MB)
Einzelnachweise
Kulturideologie
Politische Ideengeschichte (20. Jahrhundert)
Südafrikanische Geschichte (20. Jahrhundert)
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Q11409
| 309.195373 |
1544462
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https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%A1pmi
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Sápmi
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Sápmi (oder Same-Ätnam) ist der samische Name für das Siedlungsgebiet beziehungsweise den Kulturraum der Samen, eines indigenen Volkes im Norden von Fennoskandinavien. Das „Land der Samen“ umfasst nach dem Selbstverständnis dieses Volkes die Landschaft Lappland nördlich des Polarkreises in Fennoskandinavien einschließlich des Großteils der Kola-Halbinsel in Russland und reicht im Süden Skandinaviens bis Engerdal im norwegischen Verwaltungsbezirk Hedmark und bis Idre in der schwedischen Provinz Dalarna. Im südlichen Teil ist die Grenze Sápmis erkennbar an den Gebieten, in denen Rentiere weiden.
Samen in Sápmi
Die Samen oder Sámi sind ein indigenes Volk, das früher „Lappen“ genannt wurde. Sápmi hatte nie eine eigene Staatlichkeit und ist heute zwischen den vier Staaten Norwegen, Schweden, Finnland und Russland aufgeteilt. In einem erstarkenden Nationalbewusstsein der Ureinwohner ist die allgemein anerkannte samische Flagge, die 1986 entworfen wurde, heute immer häufiger zu sehen. Das Muster mit dem Kreis ist ein Sonnen- (rot) und Mondsymbol (blau). Die übrigen Farben sind die traditionellen Farben der Sami. Die Samen sind jedoch heute nur noch eine Minderheit der Bevölkerung, deren Anteil ca. 4 % ausmacht.
Die Bevölkerungsdichte Sápmis liegt bei rund 2 Einwohnern pro km², wobei die überwiegende Mehrheit der Einwohner in den Städten an den Küsten wohnt. Außerhalb der Städte liegt die Bevölkerungsdichte daher faktisch nahe 0. Zudem leiden die ländlichen Gebiete seit Jahren unter einer deutlichen Abwanderung in die Städte.
Natur, Kultur, Wirtschaft, Verkehr
Politische Stellung
Die den Samen gemeinsamen Anliegen kommen in einem politischen Programm zum Ausdruck, das 1980 in Tromsø verabschiedet wurde. Das Programm enthält folgende Prinzipien:
Wie man diesem Programm entnehmen kann, streben die Samen im idealen Fall nach Autonomie.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts sind die Sámi politisch aktiv und bemühen sich um die Anerkennung ihrer Rechte als indigenes Volk auf nationaler und internationaler Ebene. Mittlerweile verfügt Sápmi über ein länderübergreifendes Parlament, das „Sámediggi“ in Karasjok, das allerdings nur über geringe Rechte verfügt. Zudem gibt es in jedem Land ein Sami-Parlament mit jeweils unterschiedlicher Rechtsstellung. In Norwegen verfügen die Samen über die meisten Rechte, in Russland über die geringsten. Als samische „Hauptstädte“ werden Guovdageaidnu (Kautokeino) in Norwegen, Gíron (Kiruna) in Schweden, Anár (Inari) in Finnland und Lujawwr (Луяввьр, Lowosero) in Russland betrachtet.
Sameting
Samenrat
Der Samenrat (nordsamisch: Sámiráđđi) ist eine unabhängige Nichtregierungsorganisation, die in kulturpolitischen und politischen Fragen, die die Samen in Finnland, Norwegen, Schweden und Russland betreffen, zusammenarbeitet. Der Rat setzt sich aus 15 Vertretern von neun Mitgliedsorganisationen zusammen, von denen fünf aus Norwegen, je vier aus Schweden und Finnland und zwei aus Russland kommen. Die samische Konferenz wählt weitere Mitglieder aus, wenn sie von den Delegationen der Organisationen vorgeschlagen werden. Zu jedem Mitglied wird ein Vertreter gewählt.
Nordischer Rat
In Übereinstimmung mit § 13 der Geschäftsordnung des Nordischen Rates hat nur der parlamentarische Rat der Samen, der die gewählten Vertretungen der Samen (Sameting) in Finnland, Norwegen und Schweden repräsentiert, den Status eines Beobachters, und wird in der Arbeit des Rates in Bezug auf samischen Themen inkludiert.
Arktischer Rat
Als Dachorganisationen der Ureinwohner der Arktis besitzt der Samenrat, als Vertretung der Samen Norwegens, Schwedens, Finnlands, ein garantiertes Beteiligungsrecht im Arktischen Rat als sogenannter Ständiger Teilnehmer (Permanent Participant).
Geschichte
In Sápmi befinden sich Spuren einer Jäger- und Fischerkultur aus der Jungsteinzeit. Ab etwa 100 v. Chr. bewohnten die Samen das Land in seiner heutigen Ausdehnung. Im 17. Jahrhundert wurden sie immer weiter von der bäuerlichen Bevölkerung Schwedens nach Norden abgedrängt. Von der Rentierjagd gingen sie allmählich zur Rentierzucht und seit der Annektierung durch die Mitteleuropäer vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit über.
Lappland wurde schon früh zwischen Norwegen, Schweden, Russland und später Finnland aufgeteilt. Bereits zur Wikingerzeit wurden in Nordsápmi sowohl vom norwegischen König als auch vom russischen Zaren Steuern erhoben. Während viele nichtsamische Siedlungen an den Küsten bereits aus dieser Zeit stammen, begann die Besiedlung des Inlandes durch Südskandinavier sowie eine zunehmende Unterdrückung und Ausbeutung der Samen erst Mitte des 17. Jahrhunderts mit dem Beginn der schwedischen Kolonialgeschichte.
1751 wurden analog zur Grenzfestlegung zwischen Norwegen und Schweden die Jagdrechte zwischen den Siedlern und den Samen sowie deren jederzeitiges Grenzübertrittsrecht festgeschrieben. Faktisch blieben die Samen jedoch weiterhin benachteiligt.
Erst 1826 wurde die Grenze zwischen Russland und Norwegen gezogen. Der südliche Teil Sápmis gehörte bis 1809 vollständig zu Schweden. In den folgenden Jahren war das heutige Finnland und damit Finnisch-Sápmi russisches Großherzogtum, 1917 wurde Finnland schließlich unabhängig.
Um 1870 legte Schweden die Fjällodlingsgräns („Fjällanbaugrenze“) fest, um die Rechte der samischen Rentierhirten zu schützen. Sie verlief von Nord nach Süd durch Sápmi und reservierte das Fjäll westlich der Grenze für die samische Rentierhaltung. Die Umsetzung in der Praxis scheiterte jedoch vielerorts.
1904 entstand die erste politische Organisation der Samen, Lapparnas Centralförbund.
1928 wurden die Rechte der schwedischen Rentierzüchter gesetzlich fixiert, die nicht rentierzüchtenden Samen wurden dabei jedoch nicht berücksichtigt.
1950 entstand der Svenska Samernas Riksförbund (SSR) in Schweden.
1956 entstand der Nordische Samenrat, der als länderübergreifendes Gemeinschaftsorgan für alle Samen in Finnland, Norwegen und Schweden und später auch in Russland geschaffen wurde.
1963 entstand die samische Jugendvertretung Sáminuorra.
1972 wurde in Finnland das erste samische Parlament gebildet.
1970–1981: Wegen des umstrittenen Alta-Staudamm-Projekts treten Sámi erstmals als Umweltschützer europaweit in Erscheinung.
1975: Über den „Nordischen Samischen Rat“ nahmen die Samen erstmals am World Council of Indigenous Peoples (WCIP) teil, der weltweiten Organisation zur Förderung der Gemeinschaft zwischen den Urbevölkerungen der Welt sowie des sinnvollen Wissens- und Erfahrungsaustausches zwischen den Urbevölkerungen und zur Stärkung ihrer Organisationen in den verschiedenen Mitgliedsländern.
1977 erkannte Schweden die Saami als indigene Bevölkerung an.
In den 1980er Jahren wurden in Norwegen der Samische Rechtsausschuss und der Samische Kulturausschuss gegründet.
1989 entstand das norwegische Sameting.
1990: Norwegen ratifiziert als bisher einziges nordeuropäisches Land die Übereinkunft Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation der UNO, die den indigenen Völkern rechtsverbindlichen Schutz und Anspruch auf eine Vielzahl von Grundrechten garantiert. Die EU hat Schweden und Finnland ebenfalls die Ratifizierung empfohlen.
1991: Die russischen Kola-Saami bekommen einen Beobachterstatus im Saamirat.
1992: Norwegen und Finnland erkennen die samischen Sprachen als offizielle Landessprachen an.
1993 wurde auch in Schweden ein Parlament von den Samen gewählt, das Sametinget.
1999 wurden sie von Russland als indigenes Volk der Kola-Halbinsel offiziell anerkannt.
Im Jahre 2000 wurde ein samischer Nationalfonds in Höhe von 75 Millionen norwegischen Kronen (ca. 10 Mio. Euro) eingerichtet. Er soll zur Stärkung der samischen Sprache und Kultur verwendet werden und als Entschädigung für die durch Unterdrückung verursachten Schäden und Ungerechtigkeiten dienen.
2002: Schweden erkennt die samischen Sprachen als zusätzliche Landessprachen an.
2008: Die Kola-Samen erarbeiten die Grundlagen für ein russisches Samenting oder alternativ einen samischen Repräsentantenrat.
2010: Auf dem 2. Kongress der russischen Sámi in Murmansk am 12. Dezember 2010 wurde die neue Kuelnegk Soamet Sobbar (Kola Sámi-Versammlung) gewählt. Es wurde auch beschlossen, dass der Kongress künftig alle vier Jahre stattfinden soll. Ziel der Versammlung ist es, das samische Volk zu vertreten und auf ein anerkanntes russisches samisches Parlament hinzuarbeiten.
2020: Im Januar 2020 fällte Schwedens höchstes Gericht einen Entscheid, welcher auf ein übergeordnetes Gewohnheitsrecht der indigenen Bevölkerung „aus uralter Zeit“ verwies und ihr die Verwaltung der Jagd- und Fischereirechte erlaubte.
Siehe auch
Samische Studien
Literatur
Halvard Bjørkvik: Folketap og Sammenbrudd 1350–1520. In: Aschehougs Norges Historie Bd. 4. Oslo 1996.
Sápmelaccat / doammaheaddji: Aage Solbakk. Sámi Instituhtta [u. a.], Guovdageaidnu [u. a.] 1993, ISBN 82-7374-175-3 (Lehrbuch der samischen Geschichte).
I. Hemmer: Die samische Rentierwirtschaft 10 Jahre nach Tschernobyl. In: Geographische Rundschau, Band 48, 1996, Heft 7/8, S. 461–465.
R. Lindemann: Die Samen – eine Minderheit in Nordeuropa. In: Geographie heute, Band 85, 1990, S. 28–31.
Hans Ulrich Schwaar: Am Rande der Arktis – Abenteuer Lappland. Waldgut 1994. ISBN 3-7294-0099-1.
Weblinks
Das finnische Sami-Parlament (finnisch, englisch, samisch)
Das norwegische Sami-Parlament (samisch, englisch, norwegisch)
Das schwedische Sami-Parlament (schwedisch, samisch, auch deutsch)
Einzelnachweise
Region in Europa
Landschaft in Norwegen
Geographie (Finnland)
Geographie (Russland)
Region in Schweden
Lappland
Sápmi
Kulturraum in Europa
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Q62132
| 125.686487 |
77293
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https://de.wikipedia.org/wiki/Lesen
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Lesen
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Lesen im engeren Sinn bedeutet, schriftlich niedergelegte, sprachlich formulierte Gedanken aufzunehmen. Das Lesen eines Textes ist ein durch Übung und Kenntnisse des Lesers bestimmter heuristischer, kognitiver Vorgang, der zuvor erlernt oder vermittelt werden muss.
Lesen im übertragenen Sinne der menschlichen Wahrnehmung bedeutet, die richtige Auslese zu treffen: die richtigen Teile des Gesichtsfeldes beachten, um das Ganze möglichst effizient zu erkennen (Prinzip pars pro toto). Jemand, der lesen kann, wird als Alphabet bezeichnet, das Gegenteil ist der Analphabet. Das Fehlen einer in einer Kultur verankerten Lese- bzw. Schreibfähigkeit wird als Illiteralität bezeichnet.
Definition und Bedeutung von Lesen
Lesen bezeichnet im engeren Sinn das visuelle oder auch taktile Umsetzen von Schriftzeichen in Lautsprache: Eye-Tracking, Buchstabenlaute, Sprechsilben, Wörter, Sätze und ganze Textabschnitte. Lesen wird auch beim Umgang mit nicht-linearen Texten, also z. B. Karten, technischen Zeichnungen, Fahrplänen, graphischen Darstellungen, Schaltplänen, Musiknoten und mathematischen Formeln gebraucht. Im weiteren Sinn versteht man darunter die Rekonstruktion der im Text kodierten Bedeutungsinhalte und den Aufbau einer mentalen Repräsentation dieser Inhalte in einem sog. Situations- oder mentalen Modell. (s. a. Textinterpretation)
Lesen kann als verkürzte Form für Vorlesen stehen. Ein Professor liest „über“ ein Thema, wenn er eine Vorlesung hält.
Im übertragenen Sinne wird die Deutung von Spuren aller Art „Lesen“ genannt, z. B. beim „Fährtenlesen“, wenn man „in einem Gesicht liest“, um aus der Mimik auf die Stimmung einer Person zu schließen, oder wenn Golfer oder Pétanque-Spieler „das Grün“ oder „den Boden lesen“, also Unebenheiten in der Rasenfläche suchen.
Gleichgültig, ob nun jemand einzelne Buchstaben, Texte, Karten, technische Zeichnungen, Fährten oder Gesichtsausdrücke liest, Lesen bedeutet immer „eine Auslese der zu beachtenden Einzelheiten“. Es kommt also darauf an, dass man beim Lesen auf die Stellen schaut, wo die „im Augenblick gesuchte Information“ zu finden ist.
In der Informatik bezeichnet man die Datenwiedergabe von einem Datenträger als (Aus-)Lesen, (von einem Eingabegerät) auch als Einlesen. Im Gegensatz zum menschlichen Lesen werden Daten jedoch immer gleichartig behandelt – unabhängig von ihrem Inhalt. Sie werden nur kopiert, nicht beim „Lesen“ ausgewertet.
Wortherkunft
Lesen gilt heute als Lehnbedeutung aus der lateinischen Sprache (so ) und findet sich in den deutschen Fremd- und Lehnwörtern Lektüre, Lektor und Legende. (vergleiche .)
Die Grundbedeutung findet sich in zahlreichen zusammengesetzten Wörtern wie auflesen (vom Boden aufsammeln), auslesen (nach Qualitätsmerkmalen aussuchen [s. aber auch o.]), handverlesen (nach Einzelbetrachtung ausgesucht) und erlesen (qualitativ hochwertig). Auch die Weinlese als sorgsame Ernte von Weintrauben geht darauf zurück – allgemein die Lese, d. h. Ernte von (geeigneten) Früchten. Ebenso bezeichnet ein belesener Mensch einen in der Literatur versierten bzw. einen gebildeten Menschen.
Die Auffassung, es handle sich ursprünglich um das Auflesen von Wahrsagestäbchen (vgl. Buchstabe, Runen), ist wissenschaftlich umstritten.
Kulturelle Bedeutung
Lesen gilt (neben Schreiben und Rechnen) als die wichtigste Kulturfertigkeit (Kulturtechnik); sie ist ein Teil der Kommunikation. Um sich zu orientieren, muss man Ortstafeln und Wegweiser, Warnungstafeln und Beschriftungen von Verkehrsschildern lesen und verstehen können. Höhere Ansprüche stellen bereits Beipackzettel von Medikamenten oder Bedienungsanleitungen von Geräten. Informationen – wie man sie in Büchern oder im Internet findet – setzen eine gute Lesefertigkeit voraus.
Das Lesen wurde, vor allem in der Antike und im Mittelalter, wo allerdings in der Regel laut gelesen wurde, auch als Therapieform vor allem in der Rekonvaleszenz angesehen.
Ein wichtiger Teilaspekt des Lesens ist die Reflexion, also das Überdenken des Gelesenen. In Philosophie und Religion beispielsweise ist nicht nur das direkt vermittelte Wissen bedeutsam, sondern vor allem die Erkenntnisse, die der Leser durch das Nachdenken über das Gelesene gewinnt. Die erzählende Literatur (Unterhaltungsliteratur, Belletristik) erlaubt dem Leser, sich in andere Zeiten und Personen zu versetzen und so Erfahrungen aus zweiter Hand zu sammeln.
Das nebenstehende Diagramm zeigt die Bedeutung der verschiedenen Textmedien nach Alter und Geschlecht der Leser.
Geschichte
Die Entwicklungsgeschichte des Lesens ist untrennbar mit der Geschichte der Entwicklung der Schrift verknüpft. Nach Todd sind Schrift und Lesen eng mit der Primogenitur verbunden: Beides sind Techniken der Weitergabe von Werten. Das Lesen wurde jedoch durch die Alphabetschriften wesentlich erleichtert. Nach David Riesman trägt das Lesen dazu bei, dass der von den Zwängen der Tradition geprägte Mensch stärker durch Vernunft und innere Reflexion geleitet wird (inner-direction). Er arbeitet auch länger, ausdauernder und konzentrierter als zuvor. Allerdings sei seit dem Zweiten Weltkrieg in den USA der Druck in Richtung der other-directedness wieder gewachsen.
Wahrnehmung
Lesen wird in der Kognitionspsychologie, der Psycholinguistik und der Gehirnforschung untersucht. Dabei wird die visuelle Wahrnehmung sowie die damit verbundene kognitive Verarbeitung untersucht.
„Die folgenden Ausführungen gelten für Alphabetschriften und Silbenschriften wie z. B. japanische Kana und mit Ausnahme des Buchstabierens auch für Symbolschriften wie das Chinesische.“
Die Simulation zeigt ungefähr, wie und wie schnell die einzelnen Augenfixationen aufeinander folgen, wenn keine Rücksprünge für das Textverständnis nötig sind, um eventuell vorkommende Lesefehler zu korrigieren. Der unscharfe Text entspricht der peripheren Wahrnehmung.
Gute Leser können mit einer einzigen Fixation etwa fünf bis sechs Wörter gleichzeitig erfassen. Fortgeschrittene Leser erfassen Wortbündel, bei denen – ähnlich dem Lesen von Notenblättern – auch Wörter aus den darüber- und darunterliegenden Zeilen erfasst werden. Geübte Schnellleser können durch Einbeziehung des peripheren Sichtfeldes einen kompletten Absatz mit einer einzigen Fixation lesen.
Visuelle Worterkennung
Die visuelle Wahrnehmung erfolgt durch Fixationen. Während einer Fixation wird der Blick etwa 0,3 Sekunden auf einen Fixationspunkt gerichtet. Dann springt er in einer schnellen, ruckhaften Bewegung (Lesesakkaden) zu einem anderen Fixationspunkt. In den Fixationsphasen werden hochauflösende visuelle Detailbilder über die Sehgrube des Auges (Fovea) aufgenommen, während der Sakkaden ist keine Wahrnehmung möglich. Der Eindruck des Sehens wird durch das periphere Gesichtsfeld sowie die bereits gespeicherten Seheindrücke aufrechterhalten.
Die Fixationen dienen dazu, innere Vorstellungsbilder mit der Realität abzugleichen. Insofern unterscheidet sich die Wahrnehmung von einem Computer-Input. Ein erfahrener Mensch benötigt weniger Fixationen, um etwas zu erkennen, als ein unerfahrener. Die Zahl der Fixationen pro Sekunde schwankt nur geringfügig und lässt sich willentlich nicht wesentlich beeinflussen.
Man unterscheidet im Gesichtsfeld die Bereiche foveal (bis 2 Grad Sehwinkel), und peripher (ca. 2 Grad bis über 90 Grad), nach ihrem Abstand von der Fovea, dem Zentrum des schärfsten Sehens auf der Netzhaut. Es handelt sich dabei um zwei ineinander übergreifende, in ihrer Funktion unterschiedliche Systeme:
Das foveale System liefert drei bis vier hochauflösende Teilbilder pro Sekunde.
Das periphere System liefert bis zu 90 komprimierte Gesamtbilder pro Sekunde.
Das Zentrum des schärfsten Sehens auf der Netzhaut zeigt bei einem durchschnittlichen Leser, je nach Schriftgröße, vom Fixationspunkt aus ca. ein bis drei Buchstaben gegen und ein bis drei Buchstaben in Leserichtung. Das Erkennen von Wörtern hängt von deren Bekanntheitsgrad (visueller Wortschatz) ab. Je weniger Fixationen pro Wort zur Worterkennung nötig sind, desto schneller kann man einen Text (stumm) lesen.
Die Zahl der möglichen Augenfixationen kann nur geringfügig zwischen drei und vier pro Sekunde variieren. Bei einer Fixation pro Wort liegt die Lesegeschwindigkeit also bei 180 bis 240 Wörtern pro Minute.
Ein durchschnittlicher Drittklässler liest etwa 100 Wörter pro Minute. Erwachsene, die nicht geübte Leser sind und das Lesen nicht beruflich brauchen, kommen auch nicht über diese Geschwindigkeit hinaus. Die durchschnittliche Vorlesegeschwindigkeit liegt dagegen bei etwa 150 Wörtern pro Minute. Stilles Lesen wird daher erst spannend, wenn die Vorlesegeschwindigkeit zumindest erreicht oder noch überboten wird. Nur etwa 50 Prozent der Schüler des sechsten Schuljahres nehmen diese wichtige Hürde.
Die Augenbewegungen beim Lesen unterscheiden sich deutlich von Augenbewegungen, welche nicht dem Erfassen von Text dienen.
Blickbewegungen und Lesegeschwindigkeit
Menschen lesen einen Text, indem ihr Blick entlang der Leserichtung über die Schrift auf einzelne Wortteile oder Wörter springt. Während einer Fixation von durchschnittlich 250 bis 350 ms Dauer werden Teilwahrnehmungen mit gespeicherten Daten abgeglichen (visuelle Worterkennung).
Ist ein Wort unverständlich oder unbekannt, wird häufig auf die Buchstabiermethode oder das Lautieren zurückgegriffen, was den Leseprozess verlangsamt. Findet man im bisher Gelesenen keinen Sinn, kommt es oft zu Regressionen (Rücksprüngen zu bereits gelesenen Textteilen).
Die Anzahl und Art der Augenbewegungen sind u. a. abhängig von:
Lesekompetenz, Schwierigkeit des Textes, inhaltlichem Interesse.
Müdigkeit oder Ablenkung durch äußere Einflüsse.
Emotionale Rührung durch den Leseinhalt kann ein vorübergehendes Anhalten der Augenbewegungen bewirken.
Augenbewegungen variieren etwa in der folgenden Weise:
Je schwieriger ein Text und bzw. oder je kleiner der visuelle Wortschatz des Lesers, desto kürzer die Blicksprünge (Lesesakkaden).
Auch die Fixationsphasen verlängern sich etwas – allerdings nur innerhalb der Spanne von etwa 250 bis 450 ms.
Regressionen werden häufiger. Regressionen zeigen an, dass der Text für den betreffenden Leser zu schwierig oder zu umständlich geschrieben ist.
Geübte Leser sind in der Lage, über 250 Wörter pro Minute zu lesen. Schnellleser schaffen über 1000 Wörter pro Minute.
Beim Lesen wird also nicht jedes einzelne Wort fixiert. Dagegen benötigen lange und seltene Wörter je nach vorhandenem visuellen Wortschatz mehrere Fixationen für eine korrekte Worterkennung. In welchen Fällen die Vorhersagbarkeit der nächsten Worte aus der grammatischen Struktur oder dem Bedeutungskontext des bisher Gelesenen eine Rolle spielt, ist von der Leseerfahrung und vom Text abhängig. Jedenfalls sind sprachliche Erfahrung, Wortschatz und Leseerfahrung von großer Bedeutung, weil häufige Wörter mit zunehmender Übung auch aus der Unschärfe der peripheren Wahrnehmung erkannt werden können.
Arten des Textlesens
Zum Lesen eines Textes in einer gesprochenen Sprache ist eine hörsprachliche Kompetenz Voraussetzung. Diese umfasst ein Allgemeinwissen und einen Wortschatz. Beides muss dem zu lesenden Text entsprechen.
Die nachfolgend beschriebenen Arten des Textlesens sind für einen guten Leser Voraussetzung und ergänzen sich gegenseitig.
Buchstabieren
Beim Buchstabieren alphabetischer Schriften müssen die Buchstaben einzeln erkannt und ihr Lautwert zugeordnet werden (Lautieren).
Der Abfolge dieser Buchstaben wird ein hörsprachlich bekanntes Wort zugeordnet und ausgesprochen.
Buchstabieren ist typisch für Leseanfänger, die bereits die Buchstaben kennen und unterscheiden können.
Besondere Schwierigkeiten beim Buchstabieren entstehen dort, wo die Lautwerte der Buchstaben nicht mit der Aussprache des ganzen Wortes übereinstimmen – z. B. bei Zwielauten oder Umlauten.
Auch geübte Leser buchstabieren, wenn ein unbekanntes fremdsprachliches Wort im Text vorkommt. Buchstabieren ist also ein Teil der Lesefertigkeit.
Bei nicht geläufigen Schriftarten oder alten Handschriften muss ebenfalls auf das Buchstabieren zurückgegriffen werden. Beim Lesen von Kurrentschrift kann Nicht-Buchstabieren sogar zu Irrtümern führen.
Buchstabieren ist ein sehr langsamer Vorgang: Um ein Wort von sieben bis acht Buchstaben zu buchstabieren, benötigt man rund zwei Sekunden. Die Buchstabiergeschwindigkeit beträgt daher maximal 30 Wörter pro Minute. „Buchstabieren ist mindestens fünfmal langsamer als fließendes Vorlesen.“
Wörter erkennen
Mit zunehmender Übung können Wörter richtig zugeordnet werden, auch wenn nur ein Teil der Buchstaben fixiert wird.
Mit der Zeit werden sehr häufige kurze Wörter – wie ist, oder, und – nicht mehr direkt angeschaut.
Von den etwas längeren und häufigen Wörtern werden nur noch Anfang und Ende kontrolliert.
Auf diese Weise erreicht der Leser eine Lesegeschwindigkeit von 120 bis 150 Wörtern pro Minute. Das Erkennen von Wörtern allein und auch das Vorlesen eines Textes gewährleistet nicht das Textverständnis.
Lesemodelle
Über die Zeit haben sich zwei Positionen entwickelt, die unterschiedliche Ansätze betrachten, wie einzelne Wörter erkannt und zusammengesetzt werden. Das „Dual-Route-Cascaded“-Modell vertritt die Position, die Wortidentifikation finde unter dem Zusammenspiel von linguistischen „Regeln“ statt, nach welchen die Aussprache und Bedeutung von der Orthographie abgeleitet wird.
Die andere Position des „Triangel“-Modells geht davon aus, dass unterschiedliche Arten von lexikalischer Information leichte Einschränkungen während der Wortidentifikation generieren, wodurch die Aussprache und damit die Bedeutung eines Wortes beeinflusst wird.
Dual-Route-Cascaded-Modell
Das Dual-Route-Cascaded-Modell (DRC) verfolgt zwei Ansätze zur Wortidentifikation: Zum einen werden über die Graphem-Phonem-Korrespondenz-Regeln (GPK) die individuellen Grapheme eines Wortes zunächst in deren zugehörige phonologische Repräsentation übertragen (Phoneme) und durch das direkte Mapping der Schreibweise des Gesamtwortes wird im nächsten Schritt auf die Aussprache des Wortes geschlossen. Wie der Name bereits verrät, handelt es sich bei dem DRC um ein Modell, bei dem zwei Wege zur erfolgreichen Prozessierung genutzt werden können. Eine Möglichkeit ist die Anwendung spezifischer linguistischer Regeln, um die Aussprache zu generieren. Diese Regeln spezifizieren, wie die individuellen Grapheme ausgesprochen werden müssen und ergeben so die gesamte Aussprache eines Wortes. Oder das gesamte Wort wird direkt aus dem Lexikon abgerufen.
Dieser zweite Weg setzt dabei voraus, dass die orthografische Form und die phonologische Form eines Wortes holistisch in zwei Lexika repräsentiert werden. Bekannte Wörter werden dadurch identifiziert, dass Grapheme so auf die orthografische Einheit übertragen werden (mapping), dass die beste Übereinstimmung gefunden wird, wodurch die zugehörigen phonologischen Einheiten aktiviert werden, die mit der Aussprache der Grapheme übereinstimmen.
Im Kontrast zu anderen Modellen arbeiten die zusammenstellende (assembled) und direkte Route im DRC parallel, wodurch die Aussprache des Wortes durch die Ergebnisse beider Prozesse beeinflusst wird und Wörter mit einer regulären Aussprache schneller und genauer ausgesprochen werden, als Wörter mit irregulärer Aussprache.
Ist die zusammengesetzte (assembled) Route im DRC beeinträchtigt, können die Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln nicht mehr korrekt angewendet werden, wodurch das Lesen und die Aussprache von Nicht-Wörtern oder neuen Wörtern, die noch nicht ganzheitlich im Lexikon gespeichert sind, beeinträchtigt werden. Eine solche Störung lässt sich zum Beispiel bei der phonologischen Legasthenie beobachten.
Im Vergleich dazu hat eine Beeinträchtigung in der direkten Route zur Folge, dass Wörter nur über die GPK-Regeln gelesen werden können, wodurch das Lesen von irregulären Wörtern schwerfällt, da diese nicht nach den GPK-Regeln zusammengesetzt werden. Diese Störung findet sich zum Beispiel bei der Oberflächenlegasthenie.
Triangel-Modell
Im Vergleich zu dem DRC-Modell wird die Aussprache beim Triangel-Modell durch fortschreitende Aktivierung von Verarbeitungseinheiten des orthografischen Inputs über Verbindungen zu Einheiten der phonologischen Ausgabe generiert.
Das Wissen, welches dem Leser erlaubt, geschriebene Wörter zu identifizieren, ist hierbei in einem einzelnen Set an Input-Output-Verbindungen enthalten, wodurch die Summe allen Wissens die Aussprache jedes generierten Wortes beeinflusst.
Es wird im Triangel-Modell daher nicht angenommen, dass die lexikalische Information durch diskrete Verarbeitungseinheiten im Lexikon repräsentiert wird, sondern dass die Information in den Verbindungen enthalten ist, die zwischen orthografischem Input und phonologischem Output vermitteln. Frequentere Wörter werden schneller und genauer artikuliert, weil die Verbindungen, die phonologische Information vermitteln, für reguläre Wörter einheitlicher genutzt werden, als für infrequente.
Sinn erfassen auf Satzebene
Um den Sinn eines einzelnen Satzes zu erfassen, darf die Dauer des Erfassens nicht über der rund zwei Sekunden dauernden Speicherkapazität des Kurzzeitgedächtnisses liegen. Dies bedeutet, dass die Schwierigkeit des Sinnerfassens von der Lesegeschwindigkeit und der Satzlänge abhängt – immer vorausgesetzt, dass die meisten der verwendeten Wörter dem Leser bekannt sind.
Um Textabschnitte mit Sätzen von durchschnittlich acht Wörtern Länge lesen und verstehen zu können, muss also die Lesegeschwindigkeit vier Wörter pro Sekunde betragen; dies entspricht 240 Wörtern pro Minute.
Liegt die Lesegeschwindigkeit bei unter 240 Wörtern pro Minute, ist der Anfang des Satzes schon vergessen. Der Satz muss dann teilweise neu gelesen werden, wobei sich die Lesegeschwindigkeit stark verringert.
Sinn erfassen auf thematischer Ebene
Durch das Erfassen des Zusammenhangs von Satzteilen und Bemerkungen in Klammern (dem Verständnis, wovon „die Rede“ ist), lernt man Wortbedeutungen und komplizierte Sätze aus dem Kontext zu verstehen.
Die Lesegeschwindigkeit lässt sich so weiter steigern, weil der Inhalt dadurch komprimiert wird.
Handelt es sich um einen Text, dessen Inhalt bereits bekannt ist, kann die Lesegeschwindigkeit noch weiter gesteigert werden.
Querlesen (Diagonal) oder kursorisches Lesen wird angewendet, wenn man einen Teil des Textes überspringen möchte, ohne den Zusammenhang zu verlieren.
Lesefunktionen: Informationssuche, Unterhaltung und Weiterbildung
Lesen dient auch der Informationssuche in Form des Nachschlagens in Informationssammlungen, wie Fahrplänen, Lexika oder Tabellen. Hier geht es darum, eine bestimmte Angabe möglichst rasch zu finden. Je nach Art des Textes kommen dabei unterschiedliche Suchstrategien zur Anwendung.
Lesen insbesondere von fiktionalen Texten dient, indem es die Fantasie anregt, der Unterhaltung.
Lesemotivation
Unter der Motivation zu lesen wird das Ausmaß des Wunsches zu lesen verstanden. Unterschieden wird zwischen extrinsischer und intrinsischer Motivation. Theoretische Konzepte zur Lesemotivation untersuchen die Gründe, warum eine Person liest. Lesemotivation gilt als notwendige Bedingung für den Aufbau von Lesekompetenz.
Lesestörungen
Dyslexie
Unter Dyslexie (schlechte/falsche Wiedergabe/Redeweise) versteht man Probleme mit dem Lesen und Verstehen von Wörtern oder Texten bei normalem Seh- und Hörvermögen der betroffenen Person.
Legasthenie
Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) ist eine massive und lang andauernde Störung des Erwerbs der Schriftsprache (geschriebene Sprache).
Siehe auch
Buchmarktforschung (Leserforschung)
Elektronisches Papier – Anzeigetechniken, mit denen versucht wird, das Aussehen von Tinte bzw. Farbe auf Papier nachzubilden.
Leichte Sprache – eine Bezeichnung für Texte, die leicht verständlich sind für Menschen mit Lernschwierigkeiten.
Lektüre
Lesbarkeit – ist neben der Leserlichkeit, der inhaltlichen Struktur und dem Aufbau von Texten eines von mehreren Kriterien für die Textverständlichkeit.
Leseförderung – Maßnahmen, die darauf abzielen, einer Zielgruppe, vor allem Kindern und Jugendlichen, Lesefähigkeit, Interesse und Freude am Lesen zu vermitteln. (siehe hier auch: Alphabetisierung)
Lesegesellschaft – waren außerhalb von Staat, Kirche und ständischer Gesellschaftsordnung die verbreitetste Organisationsform im aufgeklärten 18. und frühen 19. Jahrhundert.
Lesezirkel – eine Form des Abonnements, bei dem eine Auswahl von Zeitschriften nicht gekauft, sondern für einen bestimmten Zeitraum ausgeliehen oder gemietet wird.
Phonologische Bewusstheit
Schlagwort (Linguistik)
Schriftspracherwerb – lesen lernen.
Stiftung Lesen – eine Stiftung zur Förderung von Lesefreude und Lesekompetenz.
Page-99-Test – ein Test zur Beurteilung von Büchern anhand Seite 99
Die Lesende (Kunstwerke)
Impliziter Leser
Literatur
Allgemeines
Mortimer Adler, Charles Van Doren: Wie man ein Buch liest. 3. Auflage. Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2008, ISBN 3-86150-784-6.
Stanislas Dehaene: Lesen – Die größte Erfindung der Menschheit und was dabei in unseren Köpfen passiert. Übers. von Helmut Reuter, A. Knaus, München 2010, ISBN 978-3-8135-0383-8.
Bodo Franzmann, u. a. (Hrsg.): Handbuch Lesen. Saur, München 1999, ISBN 3-598-11327-7.
Norbert Kühne: Sprach- und Leseförderung. In: Katrin Zimmermann-Kogel: Praxisbuch Sozialpädagogik. Band 2, Troisdorf 2006, ISBN 3-427-75410-3, S. 68–93.
Timo Rouget: Filmische Leseszenen. Ausdruck und Wahrnehmung ästhetischer Erfahrung. Berlin: de Gruyter 2021, ISBN 978-3-11-072863-7
Maryanne Wolf: Das lesende Gehirn – Wie der Mensch zum Lesen kam – und was es in unseren Köpfen bewirkt. Spektrum, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-8274-2122-7.
Erwin Miedtke: „Lesen/leben lernen“ – in der digitalen Kultur als besondere Aufgabe der öffentlichen Bibliotheken für Kinder und Jugendliche. In: b-i-t-online. Heft 3, 2009, S. 318.
Udo Gößwald (Hrsg.): Die Magie des Lesens. Museum Neukölln, Berlin 2016, ISBN 978-3-944141-19-0.
Gerhard Lauer: Lesen im digitalen Zeitalter. Darmstadt: wbg Academic 2020. (Geisteswissenschaften im digitalen Zeitalter 1). ISBN 978-3-534-26854-2.
Matthias Bickenbach: Bildschirm und Buch : Versuch über die Zukunft des Lesens. Kulturverlag Kadmos 2023. ISBN 978-3-86599-539-1.
Geschichte des Lesens
Jan Heilmann: Lesen in Antike und frühem Christentum: Kulturgeschichtliche, philologische sowie kognitionswissenschaftliche Perspektiven und deren Bedeutung für die neutestamentliche Exegese. (Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter, Band 66). Narr Francke Attempto, Tübingen 2020.
Alberto Manguel: Eine Geschichte des Lesens. Volk und Welt, Berlin 1998, ISBN 3-353-01101-3.
Jesper Svenbro: La parole et le marbre. Aux origines de la poétique grecque. Lund 1976.
Jesper Svenbro: Phrasikleia. An anthropology of reading in ancient Greece. Cornell University Press, Ithaca 1993, ISBN 0-8014-9752-3 (Auszug bei Google Books).
Metaphorik des Lesens
Hans Blumenberg: Die Lesbarkeit der Welt. Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1986. ISBN 3-518-28192-5.
Weblinks
Schnelllesen (PDF-Datei; 1,75 MB)
Günther Stocker, Lektüreszenen. Was die moderne Literatur vom Lesen weiß. In: Neue Zürcher Zeitung, 25. August 2007
Einzelnachweise
Hobby
Methoden, Techniken und Verfahren
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Q199657
| 235.009745 |
54062
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https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtswissenschaft
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Geschichtswissenschaft
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Die Geschichtswissenschaft ist die methodisch gesicherte Erforschung und Rekonstruktion von Aspekten der Menschheitsgeschichte oder Geschichte auf der Basis einer kritisch analysierten und interpretierten Überlieferung (Quellen) unter einer spezifischen Fragestellung. Historische Forschung wird in vielerlei Teildisziplinen geleistet und von den Historischen Hilfswissenschaften unterstützt. Ansätze zur Gliederung der Geschichte in spezifische Zeitabschnitte oder Epochen sind Gegenstand der Periodisierung.
Definition und Aufgaben
Die Geschichtswissenschaft ist eine Kultur- bzw. Geisteswissenschaft, die sich mit der Geschichte von Menschen und menschlichen Gemeinschaften beschäftigt, während die Naturgeschichte zu den einzelnen Naturwissenschaften gehört. Heute gilt die Geschichtswissenschaft, insbesondere mit entsprechenden Fragestellungen (Historische Anthropologie), daher auch als ein Sonderbereich der Anthropologie.
Die Geschichtswissenschaft zeichnet sich durch eine kritische Methode aus, das heißt, ihre Voraussetzungen, Methoden, Gedankengänge und Ergebnisse müssen rational diskutierbar bzw. intersubjektiv nachprüfbar (und zumindest prinzipiell falsifizierbar) sein, und man geht stets prüfend und mit dem Streben nach weitgehender Objektivität vor (siehe Historisch-kritische Methode (Geschichtswissenschaft)). Die Grundlage bilden historische Quellen, die im Rahmen einer Recherche gesammelt und dann nach den Regeln des Faches ausgewertet werden. Hierbei stehen die schriftlichen Zeugnisse im Mittelpunkt. Eng verwandt ist die Geschichtswissenschaft auch mit der Archäologie, die aber hauptsächlich nicht-schriftliche Quellen auswertet, und der Politikwissenschaft. Aufgrund der besonderen Bedeutung von Texten und Hermeneutik für die historische Forschung gibt es daneben auch Berührungspunkte mit der Literaturwissenschaft.
Historikern geht es weniger darum, das vorhandene Wissen über die Vergangenheit des Menschen nur zu bewahren und zu verbreiten, sondern vor allem darum, es zu mehren. Die Geschichtswissenschaft unterscheidet sich von anderen Wissenschaften allerdings insofern, als ihr Gegenstand, die Vergangenheit, nicht mehr existiert. Daher sind abschließende Beweise für historische Rekonstruktionen unmöglich zu erbringen. Der historische Stoff und das historische Material sind prinzipiell unendlich, da immer neue Quellen und Sichtweisen auf die Vergangenheit entstehen. Vor allem Letzteres sorgt dafür, dass durch veränderte Fragestellungen und Paradigmenwechsel auch in Hinblick auf weit zurückliegende Epochen immer wieder neue Erkenntnisse erzielt und ältere Positionen revidiert werden. Dabei steht insbesondere der Versuch im Mittelpunkt, plausible Kausalitäten zu rekonstruieren. Die Quellen – schriftliche wie materielle – bedürfen in diesem Zusammenhang stets zwingend der Interpretation, sie sprechen nicht für sich selbst. Dabei sind methodische Regeln zu beachten, die die moderne Geschichtswissenschaft im Verlauf von zwei Jahrhunderten formuliert hat, um plausible und logisch zulässige von unzulässigen Interpretationen trennen zu können. Der spätere Nobelpreisträger Theodor Mommsen formulierte prägnant, das Ziel der Geschichtswissenschaft sei das „Erkennen des Gewesenen aus dem Gewordenen mittelst der Einsicht in die Gesetze des Werdens“.
Erforschen, Interpretieren, Verknüpfen und Vertiefen stehen im Vordergrund der Arbeit von Historikern. Stets geht der Forscher
mit einem bestimmten Erkenntnisinteresse, einer Fragestellung, an seinen Gegenstand heran,
sammelt und sichtet dann die verfügbaren Quellen,
interpretiert diese nach den methodischen Regeln des Faches
und stellt zuletzt seine Ergebnisse dar, um sie in der Öffentlichkeit zur Diskussion zu stellen.
Wie in jeder Wissenschaft besteht Erkenntniszuwachs dabei auch in dem Versuch, Irrtümer und Einseitigkeiten früherer Forscher aufzudecken und zu korrigieren (Forschungsgeschichte). Die Fragen, die an die Vergangenheit gestellt werden, ändern sich im Laufe der Zeit. Oft hängen sie mit neuen kultur- und sozialwissenschaftlichen Theorien zusammen, in deren Licht sich die Quellen und Zusammenhänge anders deuten lassen. Im Zusammenhang mit der Globalisierung gehört es für Jörn Rüsen zu den „fundamentalen Einsichten in die Kontextabhängigkeit des historischen Denkens und in die Logik seiner Vernunftansprüche“, sich der Herausforderung interkultureller Kommunikation zu stellen. Der in der westlichen Wissenschaftstradition mächtige Impuls der Rationalisierung des historischen Denkens sei nicht unbesehen für transkulturell wirksam anzusehen. Gleichwohl gebe es im gemeinsamen Menschsein begründete kulturübergreifende Wahrheitskriterien, mit denen sich methodische Rationalität transkulturell begründen lasse. „Kulturelle Differenz sollte als Inspiration und nicht als Grenze der historischen Erkenntnis zur Geltung gebracht werden.“
Geschichtswissenschaftler werden Historiker genannt (von altgr. Historie/Historia = „Erkundung, Erforschung“). Ein Teilgebiet der Geschichtswissenschaft, das sich mit den Grundlagen des Fachs Geschichte befasst, ist die Historik. Das Fach wird weltweit vornehmlich an Universitäten sowie an spezialisierten Instituten betrieben, zudem an größeren und lokalen Museen. Es gibt auch viele Menschen, die sich außerhalb ihres Berufes auf wissenschaftlichem Niveau historisch betätigen, z. B. in der Regional- und Lokalgeschichte. Hinzu kommen zahlreiche historisch interessierte Laien, die zwar mitunter wichtige Beiträge leisten, denen aber aufgrund methodischer Mängel nicht selten auch gravierende Irrtümer unterlaufen.
In einer Grauzone zur Geschichtswissenschaft stehen populärwissenschaftliche Darstellungen, die sich ohne genaue Belege an ein breiteres Publikum richten. Dabei kann es vorkommen, dass sie die Geschichte zu sehr vereinfachen oder (absichtlich oder unabsichtlich) gar verfälschen. Mitunter ist bei populärwissenschaftlichen Arbeiten die Grenze zur Pseudowissenschaft fließend, die auf methodisch unzulässige Weise arbeitet und so wissenschaftlich unhaltbare Ergebnisse produziert. Gute populärwissenschaftliche Werke hingegen verbreiten historisches Wissen außerhalb der Fachwelt. Im Idealfall können sie einer breiteren Öffentlichkeit auch verdeutlichen, dass das aktuelle Bild von der Vergangenheit stets eine mehr oder weniger plausible (Re-)Konstruktion und Interpretation ist. Manche Historiker wie Golo Mann sind sogar der Auffassung, gute Geschichtsschreibung sei eher eine literarische Kunst als eine Wissenschaft, allerdings eine Kunst, die auf den Erkenntnissen der Wissenschaft aufbaut.
Geschichte der Geschichtswissenschaft
Die Geschichtswissenschaft hat ihre eigene Geschichte. In der Geschichte der Geschichtsschreibung geht es um frühere Historiker, um deren Werke, teilweise um die Umstände, unter denen früher Geschichtsschreibung betrieben wurde, und auch darum, wie sich die Interessen und Fragestellungen gewandelt haben. Herodot gilt als der Vater der Geschichtsschreibung. Die seine folgte allerdings noch nicht den Regeln moderner Forschung, sondern verstand sich primär als literarisch-philosophisches Kunstwerk. Schon in der Antike hat die Geschichtsschreibung zwar mit Autoren wie Thukydides und Polybios manche Maßstäbe gesetzt, auf die Giambattista Vico in der Frühen Neuzeit zurückgegriffen hat. Aber erst im 19. Jahrhundert (Historismus) begannen Geschichtsforscher in Europa, sich verstärkt unter Beachtung wissenschaftlicher Kriterien (Heuristik, Quellenkritik, Textkritik, Objektivität) mit der menschlichen Vergangenheit zu befassen. Im Zuge dieser Professionalisierung kam es zu einer Spezialisierung, zunächst nach chronologischen (Alte, Mittlere und Neue Geschichte), dann auch nach geographischen und inhaltlichen Gesichtspunkten.
Im 20. Jahrhundert öffnete sich das Fach dann insbesondere kulturwissenschaftlichen und soziologischen Fragestellungen und Methoden. In den 1920er Jahren begann sich zudem in Frankreich unter der Ägide von Marc Bloch und Lucien Febvre die einflussreiche Annales-Schule zu etablieren, die heute stark mit der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) in Paris zusammenhängt. Diese gibt noch immer die von den beiden Historikern gegründete Zeitschrift heraus und tritt für eine Geschichtswissenschaft ein, bei der die Rekonstruktion der Ereignisgeschichte zugunsten der Betrachtung langfristiger Entwicklungen in den Hintergrund treten soll. Der sozialwissenschaftlichen „Wende“ der Geschichtswissenschaft in den 1960er und 1970er Jahren folgten weitere Anstöße zur Ausweitung des Forschungsspektrums seitens der Kulturanthropologie, die in Richtung einer kulturgeschichtlichen bzw. kulturwissenschaftlichen „Wende“ gehen.
Historik, Geschichtsdidaktik und -methoden
Historik
Die Theorie der Geschichte (Historik) befasst sich auf theoretischer Ebene mit den Grundlagen des Fachs, vor allem mit der Frage, wie historisches Wissen möglich ist, wie es zustande kommt und wozu es dient. Durch das Erkennen seiner eigenen, oft unbewussten Vorannahmen, kann ein Historiker Fehler vermeiden.
Geschichtsdidaktik
Die Geschichtsdidaktik gehört zur Geschichtswissenschaft, nicht zur Pädagogik, weil die Belehrung der Zeitgenossen über die Geschichte das ursprüngliche Anliegen der Historiker gewesen ist. Sie befasst sich vor allem mit der Weise, wie das Geschichtsbewusstsein in schulischen und außerschulischen Bildungsprozessen sowie in der Geschichtskultur mit Vergangenheit und Überlieferung umgeht.
Methoden der Geschichtswissenschaft
Die historisch-kritische Methode wurde in Auseinandersetzung mit den schriftlichen Quellen im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt und verfeinert. Nach wie vor stehen Texte klar im Zentrum der Geschichtswissenschaft. Für viele historische Sachverhalte fehlen aber Schriftquellen.
Über sie hinaus gehen sozialwissenschaftliche Methoden (wozu insbesondere auch die Statistik zählt), die auch Massenphänomene quantitativ erfassen können. Des Weiteren ergänzen naturwissenschaftliche Methoden – z. B. die C14-Methode, die Dendrochronologie und die DNA-Analyse (insbesondere für Grabfunde) – zunehmend die geschichtswissenschaftliche Methodik. Neue und/oder verbesserte Datenanalysen wurden zudem mit der Erfindung und stetigen Weiterentwicklung des modernen Computers möglich. Komplexe statistische Verfahren der Zeitreihenanalyse gewinnen in Geschichtswissenschaften zunehmend an Bedeutung.
Das Gebiet der verschiedenen angewendeten Methoden der Geschichtswissenschaft ist dabei nicht zu verwechseln mit der Geschichtsmethodik, die eine Teildisziplin der Geschichtsdidaktik darstellt.
Räumliche und zeitliche Abschnitte
Räumlich-geografisch kann man die Geschichte gliedern in die Weltgeschichte und Geschichte einzelner Erdteile (Europas, Amerikas, Asiens, Afrikas, Australiens). Darunter stehen zahllose Nationalgeschichten, Regionalgeschichten und Lokalgeschichten sowie Migrationsgeschichten wie die Völkerwanderung oder die Ostsiedlung.
Zeitlich gliedert man Geschichte in Epochen.
Die Ur- und Frühgeschichte umfasst den Zeitraum zwischen den ersten bewusst hergestellten Steingeräten vor etwa 2,5 Millionen Jahren bis zu den ersten schriftlichen Aufzeichnungen. Als Fach zählt sie nicht zur Geschichtswissenschaft, sondern zu den Archäologien: Erst bei Vorliegen von (lesbaren) Schriftdokumenten spricht man von Geschichte im engeren Sinne. Das Ende der Urgeschichte liegt dabei in jeder Kultur zu einem unterschiedlichen Zeitpunkt, je nach dem, wann die Schrift eingeführt bzw. entwickelt wurde.
Erste Schriftdokumente finden sich in der Phase der Hochkulturen ab ca. 4000 v. Chr.
Seit Christoph Cellarius (1638–1707) wird die Geschichte Europas und des Mittelmeerraums in die Zeiträume der Alten Geschichte, der Mittelalterlichen Geschichte und der Neueren Geschichte unterteilt. Diese europäische Periodisierung in Antike, Mittelalter und Neuzeit (aus ursprünglich protestantischer Sicht) ist heute umstritten und lässt sich nicht ohne weiteres anwenden auf außereuropäische Hochkulturen, etwa auf die chinesische Geschichte oder auf die Japans, Indiens oder Mittel- und Südamerikas.
Die drei großen Epochen der europazentrierten Geschichtswissenschaft sind
Alte Geschichte (Griechen, Römer und ihre Nachbarvölker; ca. 800 v. Chr. bis ca. 600 n. Chr.),
Mittelalterliche Geschichte (ca. 600 bis ca. 1500 n. Chr.) und
Neuzeit (seit ca. 1500). Die Neuzeit wird wiederum eingeteilt in die Abschnitte
Frühe Neuzeit (bis ca. 1789)
Neuere und Neueste Geschichte (ca. 1789 bis ca. 1945)
Zeitgeschichte (seit ca. 1945; mit lebenden Zeitzeugen)
Entsprechend spezialisiert sich die Geschichtswissenschaft.
Teildisziplinen
Weltgeschichte bedeutet den Versuch, die Menschheitsgeschichte in Gänze jenseits nationaler oder sektoraler Beschränkungen darzustellen. Allerdings ist die konkrete Darstellung immer nach Zeit und Raum gegliedert (siehe unten). Ein aktueller Versuch für das 19. Jahrhundert liegt vor bei Jürgen Osterhammel.
Von allgemeiner Geschichte wird gesprochen, wenn die Geschichte ohne thematische Aufteilung gemeint ist.
Wichtige Teilgebiete sind:
Politikgeschichte
Sozialgeschichte
Rechtsgeschichte
Militärgeschichte
Kulturgeschichte
Mediengeschichte
Geschlechtergeschichte
Bildungsgeschichte
Ideengeschichte
Wirtschaftsgeschichte
Technikgeschichte
Sportgeschichte
Mathematikgeschichte
Die Themen sind oft zugleich Gegenstand einer Fachwissenschaft, so gehört die Wirtschaftsgeschichte auch zur Wirtschaftswissenschaft. Oft hängt es von der Tradition ab, ob ein Gebiet eher bei der Geschichtswissenschaft vertreten ist (z. B. Sozialgeschichte) oder bei der Fachwissenschaft (Sozialwissenschaft). Besonders die Zeitgeschichte kann kaum von der Politikwissenschaft getrennt werden.
Die Archäologie, Volkskunde und die Kunstgeschichte erfordern für ihre Gegenstände – nicht-schriftliche Zeugnisse – andere Methoden, ihre Ergebnisse können aber von der Geschichtswissenschaft aufgegriffen werden.
Quellen, Sekundärliteratur und Hilfsmittel
Grundlage für die Arbeit eines Historikers sind Quellen; aus dieser Beschäftigung kommt neues Wissen. Seine Forschungsergebnisse veröffentlicht man in Monografien und Artikeln in Fachzeitschriften, das heißt als Sekundärliteratur („Darstellungen“). Drittens verwendet man Hilfsmittel. Zu den Nachschlagewerken gehören:
Bibliografien
Gesamtdarstellungen und Handbücher wie das Handbuch der deutschen Geschichte oder das Handbuch der historischen Stätten
Handwörterbücher wie die Geschichtlichen Grundbegriffe
Fachlexika wie das Lexikon der Alten Welt
Geschichtsatlanten wie Putzger historischer Weltatlas
Bestimmte chronikalische und thematische Übersichten, Tabellen und Statistiken wie das Taschenbuch der Zeitrechnung des deutschen Mittelalters und der Neuzeit von Hermann Grotefend
Siehe auch
Literatur
Marc Bloch: Apologie der Geschichtswissenschaft oder Der Beruf des Historikers. Klett-Cotta, Stuttgart 2002.
Egon Boshof/Kurt Düwell/Hans Kloft: Grundlagen des Studiums der Geschichte. Eine Einführung. 5. Auflage. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1997 (= Böhlau-Studien-Bücher), ISBN 3-412-15296-X (Einstiegsliteratur mit zahlreichen weiterführenden Literaturhinweisen).
Gunilla Budde/Dagmar Freist/Hilke Günther-Arndt (Hrsg.): Geschichte. Studium – Wissenschaft – Beruf. Akademie Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-05-004435-4 (= Akademie Studienbücher – Geschichte Basisbuch).
Joachim Eibach/Günther Lottes (Hrsg.): Kompass der Geschichtswissenschaft. Ein Handbuch. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2002 (= UTB für Wissenschaft: Uni-Taschenbücher, Bd. 2271), ISBN 3-8252-2271-3.
Ulrich Enderwitz: Kritik der Geschichtswissenschaft. Der historische Relativismus, die Kategorie der Quelle und das Problem der Zukunft in der Geschichte. Ça Ira, Wien 1988, ISBN 3-925789-09-X.
Christoph Cornelißen (Hrsg.): Geschichtswissenschaften. Eine Einführung. 2. Auflage. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2000 (Fischer-Taschenbuch, Bd. 14566), ISBN 3-596-14566-X.
Hans-Jürgen Goertz (Hrsg.): Geschichte. Ein Grundkurs. 2. Auflage. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2001 (= Rowohlts Enzyklopädie; rororo, Bd. 55576), ISBN 3-499-55576-X.
Hans-Werner Goetz: Moderne Mediävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1999.
Bettina Hitzer, Thomas Welskopp (Hrsg.): Die Bielefelder Sozialgeschichte. Klassische Texte zu einem geschichtswissenschaftlichen Programm und seinen Kontroversen. Bielefeld 2010, ISBN 978-3-8376-1521-0.
Peter Lambert/Phillip Schofield (Hrsg.): Making History: An Introduction to the History and Practices of a Discipline. Routledge, London 2004, ISBN 0-415-24255-X.
Paul Nolte: Wozu Geschichtswissenschaft? In: Florian Keisinger u. a. (Hrsg.): Wozu Geisteswissenschaften? Kontroverse Argumente für eine überfällige Debatte. Frankfurt am Main/New York 2003, ISBN 3-593-37336-X.
Lutz Raphael: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart. Beck, München 2003.
Pietro Rossi (Hrsg.): Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt am Main 1987.
Jörn Rüsen: Historik. Theorie der Geschichtswissenschaft. Böhlau, Köln, Weimar, Wien 2013, ISBN 978-3-412-21110-3 (sehepunkte-Rezension).
Theodor Schieder: Geschichte als Wissenschaft. Eine Einführung. 2. Auflage. München/Wien 1968.
Winfried Schulze (Hrsg.): Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 60, 2009/3 (Themenheft zur Einheit der Geschichte).
Thomas Wozniak, Jürgen Nemitz, Uwe Rohwedder (Hrsg.): Wikipedia und Geschichtswissenschaft. De Gruyter Oldenbourg, Berlin u. a. 2015, ISBN 978-3-11-037634-0, e-ISBN 978-3-11-037635-7.
Georg Eckert/Thorsten Beigel: Historisch arbeiten. Handreichung zum Geschichtsstudium. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2019, ISBN 978-3-8252-5039-3.
Stefan Jordan: Theorien und Methoden der Geschichtswissenschaft. 5. Aufl. Brill Schöningh, Paderborn 2021, ISBN 978-3-8252-5760-6.
Teildisziplinen
Volker Depkat, Matthias Müller, Andreas Urs Sommer (Hrsg.): Wozu Geschichte(n)? Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie im Widerstreit. Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2004, ISBN 3-515-08419-3.
Andrea Griesebner: Feministische Geschichtswissenschaft. Eine Einführung. Löcker, Wien 2005, ISBN 3-85409-410-8.
Bernd-Ulrich Hergemöller: Einführung in die Historiographie der Homosexualitäten. edition diskord, Tübingen 1999, ISBN 3-89295-678-2.
Guido Koller: Geschichte digital. Historische Welten neu vermessen. Kohlhammer, Stuttgart 2016, ISBN 978-3-17-028929-1.
Gabriele Lingelbach, Harriet Rudolph: Geschichte studieren. Eine praxisorientierte Einführung für Historiker von der Immatrikulation bis zum Berufseinstieg. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, ISBN 3-531-14557-6.
Lutz Raphael: Geschichtswissenschaft im Zeitalter der Extreme. Theorien, Methoden, Tendenzen von 1900 bis zur Gegenwart. Beck, München 2003, ISBN 3-406-49472-2.
Philipp Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2003, ISBN 3-518-29239-0.
Uwe Danker, Astrid Schwabe: Geschichte im Internet. Kohlhammer, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-17-022433-9.
Bibliografien
Historical Abstracts – erfasst seit 1955 erschienene, überwiegend englischsprachige Literatur
Historische Bibliographie
Druckausgabe: Jahrbuch der historischen Forschung in der Bundesrepublik Deutschland, seit 1974 [Erscheinen eingestellt]
online: Historische Bibliografie und Jahrbuch der historischen Forschung online
Geschichtsschreibung
Horst W. Blanke: Zum Verhältnis von Historiographiegeschichte und Historik. Eine Analyse der Tagungsbände „Theorie der Geschichte“ und „Geschichtsdiskurs“. In: Tel Aviver Jahrbuch für deutsche Geschichte, 29, 2000, S. 55–84.
Michel de Certeau: Das Schreiben der Geschichte. Campus, Frankfurt 1991.
Eduard Fueter: Geschichte der neueren Historiographie. Zürich 1985 (Reprint der 3. Aufl. 1936).
Günter Johannes Henz: Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung. 2 Bde. Duncker & Humblot, Berlin 2014.
Hayden White: Das Problem der Erzählung in der modernen Geschichtstheorie. In: Pietro Rossi (Hrsg.): Theorie der modernen Geschichtsschreibung. Frankfurt 1987.
Giambattista Vico: Prinzipien einer neuen Wissenschaft über die gemeinsame Natur der Völker. Bde. 1–2, Scienza nuova, (Ersterscheinung 1721) Übersetzt und herausgegeben von Vittorio Hösle und Christoph Jermann, PhB Sonderausgabe, 2009, ISBN 978-3-7873-1932-9.
Geschichtsschreibung in Deutschland
Nicolas Berg: Der Holocaust und die westdeutschen Historiker. Erforschung und Erinnerung. Wallstein, Göttingen 2003, ISBN 3-89244-610-5.
Ulrich Enderwitz: Kritik der Geschichtswissenschaft. Der historische Relativismus, die Kategorie der Quelle und das Problem der Zukunft in der Geschichte. Medusa-Verlag, Berlin/Wien 1983, ISBN 3-88602-061-4.
Ernst Engelberg: Theorie, Empirie und Methode in der Geschichtswissenschaft. Gesammelte Aufsätze. Hrsg. von Wolfgang Küttler und Gustav Seeber. Akademie-Verlag, Berlin 1980, .
Alexander Fischer, Günther Heydemann (Hrsg.): Geschichtswissenschaft in der DDR. 2 Bde. Duncker & Humblot, Berlin 1988/1990, ISBN 3-428-06560-3.
Daniel Fulda: Wissenschaft aus Kunst. Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760–1860. de Gruyter, Berlin/New York 1996, ISBN 3-11-015014-X.
Ewald Grothe: Zwischen Geschichte und Recht. Deutsche Verfassungsgeschichtsschreibung 1900–1970. Oldenbourg, München 2005 (= Ordnungssysteme, 16), ISBN 3-486-57784-0.
Günther Heydemann: Geschichtswissenschaft im geteilten Deutschland. Entwicklungsgeschichte, Organisationsstruktur, Funktionen, Theorie- und Methodenprobleme in der Bundesrepublik Deutschland und in der DDR. Lang, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-8204-6179-5.
Georg Iggers: Deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Kritik der traditionellen Geschichtsauffassung von Herder bis zur Gegenwart. 3. Auflage. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 1997, ISBN 3-205-98681-4.
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Peter Schöttler (Hrsg.): Geschichtsschreibung als Legitimationswissenschaft 1918–1945. Suhrkamp (stw), Frankfurt/Main 1997.
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Geschichtsschreibung in Frankreich
Gabriele Lingelbach: Klio macht Karriere. Die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und in den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2003.
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Philippe Poirrier: Aborder l’histoire. Seuil, Paris 2000.
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Arnd Hoffmann: Zufall und Kontingenz in der Geschichtstheorie. Mit zwei Studien zu Theorie und Praxis in der Sozialgeschichte. Frankfurt am Main 2005, ISBN 978-3-465-03369-1.
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Geschichtsschreibung in Großbritannien
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Geschichtsschreibung in Lateinamerika
Mark Thurner: Yet another history of history, in: Latin American Research Review, Vol. 41, No. 3, Oktober 2006, pp. 164–174.
Geschichtsschreibung in der Schweiz
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Geschichtsschreibung in den USA
Peter Novick, That Noble Dream: The „Objectivity Question“ and the American Historical Profession. Cambridge: Cambridge University Press, 1988.
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Eric Foner: Who owns history? Rethinking the past in a changing world. New York, NY: Hill and Wang, 2002.
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John Higham/Leonard Krieger/Felix Gilbert: History, Englewood Cliffs 1965.
Geschichtsschreibung in Japan
Hans Martin Krämer/Tino Schölz/Sebastian Conrad (Hrsg.): Geschichtswissenschaft in Japan. Themen, Ansätze und Theorien. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 978-3-525-36297-6.
Feministische Geschichtsschreibung
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Karin Hausen: Geschichte als patrilineare Konstruktion und historiographisches Identifikationsangebot. Ein Kommentar zu Lothar Gall, Das Bürgertum in Deutschland, Berlin 1989. In: L’Homme. Zeitschrift für feministische Geschichtswissenschaft. 8. Jg./Heft 2, 1997, S. 109–131.
Uta C. Schmidt: Vom Rand zur Mitte. Aspekte einer feministischen Perspektive in der Geschichtswissenschaft. Edition Ebersbach im eFeF-Verlag, Zürich/Dortmund 1994, ISBN 3-905493-58-6 (Dissertation, Universität Bielefeld 1994, Inhaltsverzeichnis).
Joan W. Scott: Gender. Eine nützliche Kategorie der historischen Analyse. In: Nancy Kaiser: SELBST BEWUSST Frauen in den USA. Leipzig: Reclam, 1994, S. 27–75.
Mary Spongberg: Writing women’s history since the Renaissance. Basingstoke [etc.]: Palgrave Macmillan, 2002.
Jüdische Geschichtsschreibung
Jüdische Geschichte lesen. Texte der jüdischen Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert. Hrsg. und kommentiert von Michael Brenner, Beck, München 2003.
Historikerstreit in Israel. Die 'neuen’ Historiker zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Hrsg. von Barbara Schäfer, Frankfurt am Main [u. a.]: Campus-Verlag, 2000.
Jüdische Geschichtsschreibung heute. Themen, Positionen, Kontroversen. Hrsg. von Michael Brenner und David N. Myers, Beck, München 2002.
Michael Brenner: Propheten des Vergangenen. Jüdische Geschichtsschreibung im 19. und 20. Jahrhundert. Beck, München 2006.
Yosef Hayim Yerushalmi: Zachor: Erinnere Dich! Jüdische Geschichte und jüdisches Gedächtnis, Berlin: Wagenbach, 1988.
Siehe auch
Geschichtsforschung in Hamburg
Geschichtsphilosophie
Weblinks
Humanities and Social Sciences online – Hnet – Zugang zu zahlreichen spezialisierten Mailinglisten und zu Rezensionen
sehepunkte – monatliches Rezensionsjournal
H-Soz-Kult – aktuelle Diskussionen und kompetente Rezensionen
Chronicon – Fachportal Geschichte
Clio-online – Fachportal für die Geschichtswissenschaften
Historical Social Research/Historische Sozialforschung
Zeitgeschichte-online
Zeithistorische Forschungen
Historicum.net – Geschichtswissenschaften im Internet, umfangreiche wissenschaftliche Texte und Linkliste
eStudies – virtueller Fach-, Kommunikations- und Publikationsraum für Studierende und Nachwuchswissenschaftler der Geschichtswissenschaft
Geschichtswissenschaft.de
gleichsatz.de – Das historische Werturteil
Hartmut Kaelble: Historischer Vergleich, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 14. August 2012
Katja Stopka: Zeitgeschichte, Literatur und Literaturwissenschaft, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11. Februar 2010
Anmerkungen
Wissenschaftliches Fachgebiet
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Q1066186
| 143.639699 |
588798
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https://de.wikipedia.org/wiki/Historizismus
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Historizismus
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Historizismus ist ein Begriff für Ansätze der Geschichtsphilosophie, nach der historische Vorgänge von sozialwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten klar bestimmt und vorhersagbar sind. Solche Positionen gehen in der Moderne auf Hegel und den Historischen Materialismus zurück. Neben marxistischen und neomarxistischen Theoretikern ist vor allem Benedetto Croce zu nennen. In Karl Poppers gesellschaftstheoretischen Schriften ist Historizismus ein Irrglaube, der die Gefahr einer geschlossenen Weltsicht und einer Manipulation gesellschaftlicher Abläufe auf eine scheinbar wissenschaftlich feststehende Zukunft hin mit sich bringe.
Historizismus ist daher streng von einem relativistischen oder hermeneutischen Historismus ebenso zu unterscheiden, wie einem Historismus in den Geschichtswissenschaften oder in den Sozialwissenschaften sowie dem Historismus in der Kunstgeschichte, auch wenn die Ausdrücke gelegentlich austauschbar verwendet wurden und die Phänomene gelegentlich gemeinsam auftreten. Im amerikanischen Poststrukturalismus tritt der Begriff des New Historicism in der Literaturkritik auf, der jedoch eine historistische Position bezeichnet, die sich vom New Criticism abgrenzte, der sich wiederum auf Croce bezog.
Varianten
Anthropologischer Historizismus
Für die Anthropologie entwickelte Franz Boas die Variante des historischen Partikularismus. Boas setzte sich für eine Betrachtung von Kulturkreisen einschließlich der religiösen, historischen, sprachlichen und künstlerischen Aspekte ein. Besonders spezielle Kulturgeschichten kleinerer Regionen werden betont, die durch linguistische und ethnologische Studien verbunden werden sollen. Boas lehnte also den Evolutionismus ab, weil es kein allgemein-normatives Entwicklungsspektrum gibt, sondern jede Region und jede Kultur andere Anpassungen erfordert. Boas wird neben Malinowski und Luschan als Wegbereiter der modernen Ethnologie angesehen.
Vertreter
Gesellschaftstheorie des Kritischen Rationalismus
Der Historizist will "den Sinn des Spiels begreifen, das auf der historischen Bühne aufgeführt wird", indem er versucht, die Gesetze der historischen Entwicklung zu finden. Und wenn ihm dies gelungen ist, so kann er damit auch zukünftige Entwicklungen voraussagen. Er vermag dann die Politik auf einer soliden Grundlage aufzubauen und praktische Hinweise zu geben, welche politischen Handlungen aller Wahrscheinlichkeit nach erfolgreich sein werden und welche nicht.
Was Popper eine „Prophezeiung“ nennt, ist eine unbedingte Prognose mit technologisch nicht beeinflussbaren Randbedingungen. Eine „technologische Prognose“ hingegen sei eine bedingte Prognose mit technologisch beeinflussbaren Randbedingungen. Eine „Prophezeiung“ liege vor, sobald eine Vorhersage „unbedingt“, d. h. unabhängig von Randbedingungen gemacht werde. Eine Prophezeiung unterschlage also ein logisch notwendiges Element zu einer wissenschaftlichen Prognose.
Der Historizist sei jedoch gezwungen, unkonditionale Voraussagen zu machen, weil er nach Langzeitprognosen für Gesellschaften strebe, nämlich nach einer „historischen Prognose großen Stils“. Die sei jedoch für Gesellschaften nicht möglich, weil Gesellschaften keine isolierten, stationären und zyklischen Systeme darstellten.
Schließlich behauptet Popper, es sei ihm gelungen, eine strenge Widerlegung des Historizismus anzugeben: Er habe gezeigt, dass es aus streng logischen Gründen unmöglich ist, den zukünftigen Verlauf der Geschichte mit rationalen Methoden vorherzusagen.
Seinen Gedankengang fasst Popper selbst in den folgenden fünf Schritten zusammen:
„Der Ablauf der menschlichen Geschichte wird stark beeinflusst durch das Anwachsen des menschlichen Wissens.“
„Wir können mit rational-wissenschaftlichen Methoden das zukünftige Anwachsen unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht vorhersagen.“
„Daher können wir den zukünftigen Verlauf der menschlichen Geschichte nicht vorhersagen.“
„Das bedeutet, daß wir die Möglichkeit einer theoretischen Geschichtswissenschaft verneinen müssen, also die Möglichkeit einer historischen Sozialwissenschaft, die der theoretischen Physik oder der Astronomie des Sonnensystems entsprechen würde. Eine wissenschaftliche Theorie der geschichtlichen Entwicklung als Grundlage historischer Prognosen ist unmöglich.“
„Das Hauptziel der historizistischen Methoden [...] ist daher falsch gewählt und damit ist der Historizismus widerlegt.“
Popper selbst beansprucht, mit seiner Historizismus-Kritik den wesentlichen Kern der Geschichtsphilosophie Hegels oder auch den Historischen Materialismus erledigt zu haben. Ob Popper damit wirklich eine wissenschaftlich adäquate Rekonstruktion der betreffenden Theorien gelungen ist, ist umstritten. Walter Kaufmann moniert bei Popper Verstöße schon gegen einfache wissenschaftliche Zitierregeln. Darüber hinaus ist grundsätzlich zu fragen, ob Poppers Vorgehensweise hierbei mit den Regeln seiner eigenen Methodologie übereinstimmt.
New Historicism
Ab 1950 argumentierten Jacques Lacan und Michel Foucault, dass jede Epoche ein mehr oder weniger vollständig eigenes System des Wissens besitze. Viele Post-Strukturalisten teilen die Ansicht, dass jede Fragestellung nur in ihrem eigenen kulturellen und sozialen Kontext beantwortbar ist. Antworten lassen sich nicht in Bezug auf ewige Wahrheiten finden. Es werden vielmehr lediglich die heute noch bestehenden Texte, Gegenstände oder andere Überlieferungen als aussagekräftig anerkannt. Diese Geistesrichtung wird häufig als New Historicism bezeichnet.
Literatur
Hans Albert: Die Erkenntnis des historischen Geschehens. In: Hans Albert: Kritik der reinen Erkenntnislehre. Das Erkenntnisproblem in realistischer Perspektive (= Die Einheit der Gesellschaftswissenschaften 53). J. C. B. Mohr, Tübingen 1987, ISBN 3-16-945226-6, S. 120–143.
Franz Boas (Hrsg.): Die fremde Welt der Kwakiutl. Indianische Mythen der Nord-Westküste Kanadas (= Documenta ethnographica 6). Zerling, Berlin 1994, ISBN 3-88468-057-9.
Franz Boas: Rasse und Kultur. (Rede, gehalten am 30. Juli 1931 in der Aula der Christian-Albrechts-Universität in Kiel bei Gelegenheit des 50jährigen Doktorjubiliäums des Verfassers). G. Fischer, Jena 1932.
Werner Habermehl: Historizismus und Kritischer Rationalismus. Einwände gegen Poppers Kritik an Comte, Marx und Platon. Alber, Freiburg (Breisgau) u. a. 1980, ISBN 3-495-47427-7.
Karl R. Popper: Gesammelte Werke in deutscher Sprache. Band 4: Das Elend des Historizismus. Herausgegeben von Hubert Kiesewetter. 7. Auflage, durchgesehen und ergänzt. Mohr Siebeck, Tübingen 2003, ISBN 3-16-147843-6.
Karl R. Popper: Die offene Gesellschaft und ihre Feinde. 2 Bände. J. C. B. Mohr, Tübingen 1992, 7. Auflage mit weitgehenden Verbesserungen und neuen Anhängen.
Band 1: Der Zauber Platons. ISBN 3-8252-1724-8 (Uni-Taschenbücher 1724);
Band 2: Falsche Propheten. Hegel, Marx und die Folgen. ISBN 3-8252-1725-6 (Uni-Taschenbücher 1725).
Nicholas Tilly: Popper, Historicism and Emergence. In: Philosophy of the Social Sciences. 12, 1982, , S. 59–67.
Weblinks
Anthropologie
Historicism in Anthropology (engl.)
Karl Raimund Popper
Extracts from The Poverty of Historicism
New Historicism
New Historicism Explained
Claes G. Ryn, Defining Historicism
M. D. Murphy, Historicism
Einzelnachweise
Geschichtsphilosophie
Kritischer Rationalismus
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Q460501
| 101.982707 |
76623
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https://de.wikipedia.org/wiki/Valladolid
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Valladolid
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Valladolid [] ist eine Großstadt und eine Gemeinde (municipio) mit Einwohnern (Stand ) in der Region Kastilien-León in Nordspanien. Im 15. und 16. Jahrhundert war Valladolid die Hauptstadt des Königreichs Kastilien und von 1600 bis 1606 von ganz Spanien; heute ist sie die Hauptstadt der Provinz Valladolid und der Regierungssitz der autonomen Region Kastilien und León. Das historische Zentrum der Stadt ist als Kulturgut (Bien de Interés Cultural) in der Kategorie Conjunto histórico-artístico eingestuft.
Die Einwohner werden Vallisoletanos bzw. Vallisoletanas genannt.
Lage und Klima
Valladolid liegt südlich von Villanubla, Teil der Montes de Torozos und der Hochebene Tierra de Campos in einer Höhe von ca. am Río Pisuerga, der etwa 20 km südwestlich in den Duero einmündet. Die spanische Hauptstadt Madrid ist ungefähr 190 km (Fahrtstrecke) in südöstlicher Richtung entfernt. Das Kontinentalklima ist gemäßigt; der spärliche Regen (ca. 420 mm/Jahr) fällt hauptsächlich im Winterhalbjahr.
Geschichte
Keltische, römische und westgotische Funde wurden bislang nicht gemacht. Im 8. Jahrhundert drangen arabisch-maurische Heere bis weit in den Norden der Iberischen Halbinsel vor, doch bereits im 10. Jahrhundert wurde die Gegend von den Christen zeitweise zurückerobert (reconquista). Im späten 11. Jahrhundert erkor Graf Pedro Ansúrez die weitgehend entvölkerte Stadt zu seiner Residenz, baute sie erheblich aus und förderte ihre Wiederbesiedelung (repoblación), weshalb er oft als eigentlicher Begründer der Stadt gilt. Im 15. Jahrhundert wurde sie die Hauptstadt des Königreichs Kastilien, bis Philipp II. seinen Herrschaftsmittelpunkt im Jahr 1561 in die neuerrichtete Klosterresidenz Real Sitio de San Lorenzo de El Escorial bei Madrid verlegte. Allerdings wurde Valladolid zwischen 1600 und 1606 kurzzeitig wieder Hauptstadt. 1561 brannte die Stadt großenteils ab, wurde aber unter Philipp II. schöner und regelmäßiger wieder aufgebaut.
Am 20. Mai 1506 starb hier Christoph Kolumbus. In den Jahren 1550/51 war die Stadt Schauplatz der berühmten Dispute von Valladolid, der ersten großen moralischen Diskussion über die korrekte Behandlung und Versklavung der indianischen Ureinwohner von Amerika.
Am 25. Dezember 1595 wurde das römisch-katholische Bistum Valladolid errichtet und am 4. Juli 1857 zum Erzbistum Valladolid erhoben. Hauptkirche ist die Kathedrale Nuestra Señora de la Asunción (Mariä Himmelfahrt).
Um 1850 wurde der 207 Kilometer lange Canal de Castilla nach etwa 100 Jahren Bauzeit in Betrieb genommen; er verbindet Valladolid mit Grijota nahe Palencia. Dort gabelt sich der Kanal; der nördliche Arm endet in Alar del Rey im Nordosten der Provinz Palencia und der südwestliche Arm in Medina de Rioseco (Provinz Valladolid).
Bevölkerungsentwicklung
Wegen der Mechanisierung der Landwirtschaft und der Aufgabe bäuerlicher Kleinbetriebe wanderten viele Arbeitskräfte und deren Familien im 20. Jahrhundert in die größeren Städte ab (Landflucht).
Sprache
Spanisch ist die einzige Amtssprache in der Stadt. Valladolid zeichnet sich dadurch aus, dass es die Residenz des Autors von Don Quijote, Miguel de Cervantes, sowie von Autoren wie José Zorrilla oder Miguel Delibes und der Stoßrichtung seiner Universität war. Die Provinz zeichnet sich durch eine beträchtliche Anzahl von Menschen aus, die die spanische Sprache lernen möchten (Sprachtourismus).
Sehenswürdigkeiten
Der im 16. Jahrhundert entstandene rechteckige Hauptplatz (Plaza Mayor) gilt als Vorbild der gleichnamigen Plätze in Madrid und Salamanca sowie der übrigen spanischsprachigen Welt.
Die Kathedrale Nuestra Señora de la Asunción entstand an der Stelle einer ehemaligen Kollegiatkirche; der Neubau wurde von Juan de Herrera, dem Architekten des Escorial, um 1580 entworfen; kurz darauf erfolgte der Baubeginn. Im Jahr 1730 wurde der Weiterbau der Kathedrale von Alberto de Churriguera übernommen, doch wurde er im 20. Jahrhundert eingestellt; von der ursprünglich geplanten Länge von 122 m wurde nur etwa die Hälfte verwirklicht, auch die Anzahl der Türme wurde reduziert.
Die Iglesia de Santa María de La Antigua wurde im späten 11. Jahrhundert vom Grafen Ansúrez gegründet, jedoch später wiederholt verändert. Der Glockenturm (campanario) und das Portal stammen aus der Zeit um 1300; die übrigen Teile sind gotisch und gehören ins 14./15. Jahrhundert.
Die Iglesia de San Pablo war die ehemalige Klosterkirche des Dominikanerordens und wurde im Auftrag des Dominikanermönchs und späteren Kardinals Juan de Torquemada im Jahr 1445 begonnen; seine Nachfolger setzten den Bau bis zu seiner Fertigstellung im Jahr 1616 fort. Der Mittelteil der Fassade wurde von Simon von Köln († 1511) mitgestaltet und gilt als Meisterwerk des spätgotischen Isabellinischen Stils. Im Jahr 1968 erlitt der Kirchenbau schwere Schäden durch einen Brand; diese wurden jedoch ausgebessert. In den Jahren 2004–2009 erfolgte eine grundlegende Restaurierung des Bauwerks.
Die Fassade des benachbarten Colegio de San Gregorio (1488–1496) ist ebenfalls ein Höhepunkt des Isabellinischen Stils. Der Bau beherbergt das Nationalmuseum für Skulpturen mit Spaniens größter Sammlung mehrfarbiger Holzskulpturen.
Die benachbarte Universität Valladolid gehört zu den ältesten in ganz Europa. Als Gründungsjahr gilt das Jahr 1346.
Im Jahr 1515 wurde mit dem Bau des Palacio de los Condes de Benavente begonnen, dessen nahezu schmucklose und ungegliederte Fassade sich nur geringfügig vom kreuzgangartigen Innenhof abhebt.
Die ursprünglich romanische Kirche San Nicolas de Bari wurde gegen Ende des 16. und nochmals um die Mitte des 18. Jahrhunderts komplett umgestaltet.
Unweit davon stehen der mehrfach veränderte Königliche Palast (Palacio Real), der Palacio de Villena, der Palacio del Conde de Gondomar und der Palacio de Pimentel.
Die spätmittelalterliche Steinbrücke über den Río Pisuerga (Puente Mayor) war von großer wirtschaftlicher und strategischer Bedeutung.
Pasaje Gutiérrez, eine historische Einkaufspassagen.
Museen
In Valladolid gibt es zahlreiche Museen; die wichtigsten sind:
Museo Nacional de Escultura
Museo de Valladolid
Museo Patio Herreriano de Arte Contemporáneo Español
Museo de la Ciencia
Museo Oriental
Casa Museo Colón
Museo y Real Monasterio de San Joaquín y Santa Ana
Wirtschaft
Das Umland von Valladolid war und ist in hohem Maße landwirtschaftlich geprägt, wobei die Viehzucht traditionell eine weniger wichtige Rolle spielte; der Ort bot die notwendigen regionalen Dienstleistungen in den Bereichen Handwerk und Handel. Seit den 1960er Jahren haben sich in den Außenbezirken der Stadt Industrieunternehmen des Kfz-Bereichs (z. B. Renault, Iveco, Michelin) niedergelassen. Zahlreiche kleinere Unternehmen der Lebensmittel verarbeitenden Branche sind ebenfalls hier zu finden. Etwa zwei Drittel der arbeitenden Bevölkerung sind im Dienstleistungssektor (Banken- und Versicherungswesen, Ausbildungs- und Gesundheitswesen, Hotel- und Gaststättenwesen) tätig.
Verkehr
Valladolid liegt an der Bahnstrecke Madrid–Hendaye und der Schnellfahrstrecke Madrid–Valladolid, die beide über den Bahnhof Campo Grande geführt werden. Die Stadt ist über die A-62 und die A-11 an das spanische Autobahnnetz angeschlossen. Der Flughafen Valladolid liegt 13 Kilometer nordwestlich des Stadtzentrums.
Sport
Der 1928 gegründete Fußballverein Real Valladolid spielt zurzeit in der Primera División. Die beiden Vereine Club Deportivo Balonmano Atlético Valladolid und Club Deportivo Balonmano Aula spielen Handball in der ersten spanischen Liga. Auch die zwei Spitzenteams des spanischen Rugby, Salvador und VRAC, sind in Valladolid ansässig.
Veranstaltungen
Das große internationale Filmfestival der Stadt, die Semana Internacional de Cine de Valladolid, fand erstmals im Jahr 1956 statt.
Valladolid gilt als Zentrum der Pincho-Kultur in Kastilien. An der alljährlich in der ersten November-Woche ausgetragenen Pincho-Meisterschaft nehmen Dutzende einheimischer Gastronomen teil, sie wird als öffentliches Ereignis inszeniert, bei dem auch die Einwohner der Stadt an der Abstimmung über den Sieger beteiligt sind.
Die World Jigsaw Puzzle Championship im Millennium Dome fand erstmals 2019 statt.
Söhne und Töchter der Stadt
Heinrich I. (1204–1217), König von Kastilien
Juan de Torquemada (1388–1468), Theologe
Tomás de Torquemada (1420–1498), Dominikaner, Beichtvater Isabella von Kastiliens
Hernán Núñez de Toledo (1475–1553), Humanist, Philosoph und Bibelübersetzer
Dionisio Daça Chacon (1503–1576), Chirurg, Leibwundarzt von Karl V. und Don Carlos
Fernando Vázquez de Menchaca (1512–1569), Jurist und Humanist
Philipp II. (1527–1598), Sohn Karls V.
Leonor de Cisnere (* um 1536–1568), evangelische Märtyrerin, Opfer der spanischen Inquisition
Esteban Daza (1537–1591), Gitarrist und Komponist
Don Carlos (1545–1568), Fürst von Asturien
Juan Pantoja de la Cruz (1553–1608), Maler
Luis de la Puente (1554–1624), Jesuit und Verfasser asketischer Schriften
Alonso Peres de Vivero y Menchaca (1598–1661), General, 3. Graf von Fuensaldagne (Fuensaldaña) und Gouverneur von Mailand
Anna von Österreich (1601–1666), Infantin, Erzherzogin von Österreich und Regentin von Frankreich
Philipp IV. (1605–1665), König von Spanien
Antonio Ponce (1608–1677), Stilllebenmaler des Siglo de Oro
Antonio de Pereda (1611–1678), Maler
Evaristo Pérez de Castro Brito (1778–1848), Politiker und Ministerpräsident Spaniens
José Zorrilla y Moral (1817–1893), Dichter und Dramatiker
Manuel de Castro y Alonso (1864–1944), Geistlicher, römisch-katholischer Bischof von Jaca, Bischof von Segovia und Erzbischof von Burgos
Francisco Durrio de Madrón (1868–1940), Bildhauer, Keramiker und Goldschmied
Jorge Guillén (1893–1984), Dichter
Rosa Chacel (1898–1994), Schriftstellerin
Adolfo Mengotti (1901–1984), Schweizer Fußballspieler
Antonio Tovar (1911–1984), Philologe, Linguist und Historiker
Julián Marías Aguilera (1914–2005), Philosoph, Schüler und Freund von José Ortega y Gasset
Alejandro Fombellida (1915–1958), Radrennfahrer
Antonio Palenzuela Velázquez (1919–2003), Bischof von Segovia
Miguel Delibes (1920–2010), Schriftsteller
Fernando Arias Salgado (* 1938), Diplomat
Concha Velasco (* 1939), Schauspielerin, Tänzerin, Sängerin und Fernsehmoderatorin
Pilar Mateos (* 1942), Autorin von Kinder- und Jugendbüchern
Tomás Nistal (* 1948), Radrennfahrer
Julio Cardeñosa (* 1949), Fußballspieler und -trainer
José Luis Rodríguez Zapatero (* 1960), Ministerpräsident von Spanien
José Ramón Pérez Pérez (* 1963), Offizier der spanischen Streitkräfte
Soraya Rodríguez (* 1963), Juristin und Politikerin
Elvira Mínguez (* 1965), Schauspielerin
Juan Carlos Pastor (* 1968), Handballtrainer
Soraya Sáenz de Santamaría (* 1971), Politikerin, ehemalige stellvertretende Regierungschefin Spaniens
Francisco Javier Acero Pérez (* 1973), spanisch-mexikanischer Ordensgeistlicher, Weihbischof in Mexiko-Stadt
Fernando Hernández (* 1973), Handballspieler
Inés Sastre (* 1973), Fotomodell, Mannequin und Schauspielerin
Rubén Baraja (* 1975), Fußballspieler
Mayte Martínez (* 1976), Leichtathletin
Ricardo Serrano (* 1978), Radrennfahrer
Germán Díaz (* 1978), Komponist und Musiker
Patricia Conde (* 1979), Humoristin, Mannequin, Showmasterin und Schauspielerin
Juan José Abril (* 1980), Radrennfahrer
Jesús Martínez de la Cal (* 1980), Handballspieler
Javier Baraja Vegas (* 1980), Fußballspieler
Roldán Rodríguez (* 1984), Rennfahrer
Roberto González-Monjas (* 1988), Violinist und Dirigent
Laura López (* 1988), Synchronschwimmerin
Sergio Escudero Palomo (* 1989), Fußballspieler
David Fernández Alonso (* 1996), Handballspieler
Amaia González de Garibay Barba (* 1997), Handballspielerin
Simon Stehle (* 2001), deutscher Fußballspieler
Städtepartnerschaften
Valladolid listet folgende sechs Partnerstädte auf:
Trivia
Die neuseeländische Hauptstadt Wellington ist der Antipode von Valladolid und ziemlich genau 20.000 km Luftlinie entfernt.
Weblinks
Homepage der Stadt (spanisch)
(deutsch)
Abbildung der Stadt 1572 in Civitates orbis terrarum von Georg Braun und Frans Hogenberg
El Norte de Castilla. Tageszeitung (spanisch)
Einzelnachweise
Ort in Kastilien und León
Hauptstadt in Spanien
Provinzhauptstadt in Spanien
Ehemalige Hauptstadt (Spanien)
Conjunto histórico-artístico
Hochschul- oder Universitätsstadt in Spanien
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Q8356
| 171.571638 |
19736
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https://de.wikipedia.org/wiki/Industrialisierung
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Industrialisierung
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Industrialisierung ist innerhalb eines Staates ein Prozess, während dessen sich ein Agrarstaat zu einem Industriestaat entwickelt. Ein Gegenbegriff ist die Deindustrialisierung.
Allgemeines
Weltweit gab es zunächst Agrarstaaten, in denen die Arbeit in der Landwirtschaft und damit die Produktion von Agrarprodukten natürlichen, witterungsbedingten Einflüssen unmittelbar unterliegt. Das führt zu schwankenden Ernteerträgen und auch zu Missernten durch Dürre, Schädlinge, Überschwemmungen etc. Staatsziel des Agrarstaates ist vor allem die Subsistenzwirtschaft zur Selbstversorgung mit eigenerzeugten Agrarprodukten, idealerweise mit einem Selbstversorgungsgrad von 100 %. Industrialisierung bezeichnet technisch-wirtschaftliche Prozesse des Übergangs von agrarischen zu industriellen Produktionsweisen, in denen sich die maschinelle Erzeugung von Gütern und Dienstleistungen durchsetzt.
Der Unterscheidung zwischen Industrie- und Agrarstaaten liegt der jeweils herrschende Wirtschaftssektor (Industrieproduktion oder Agrarproduktion) und deren Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) oder der Anteil der Erwerbstätigen jener Sektoren an den gesamten Erwerbstätigen zugrunde. Typische Agrarstaaten sind alle Entwicklungs- und die meisten Schwellenländer. Sie besitzen das größte Marktpotenzial für ihre Industrialisierung.
Volkswirtschaftliche Ursachen
Jean Fourastié ging 1949 in seiner Drei-Sektoren-Hypothese von einem Staatsmodell aus, das drei Sektoren umfasste, nämlich den primären Sektor (Landwirtschaft, Fischerei und Forstwirtschaft; im weiteren Sinne auch der Bergbau), sekundären Sektor (Baugewerbe, Energie- und Wasserversorgung, Handwerk oder verarbeitendes Gewerbe) und den tertiären Sektor (Dienstleistungen im Finanzwesen, Forschung und Entwicklung, Gastronomie, Handel, Immobilienwirtschaft, Verkehr und Nachrichtenübermittlung, öffentliche Verwaltung usw.).
Mit seinem Drei-Sektoren- bzw. Drei-Phasen-Modell versuchte Fourastié die idealtypische Entwicklung einer Volkswirtschaft bis hin zur Dienstleistungsgesellschaft zu erklären (sektoraler Strukturwandel). Ausgehend vom Agrarmarkt wachse zunächst die Industrieproduktion, die zunehmend Landtechnik herstelle und technischem Fortschritt unterliege, so dass Arbeitsplätze im Primärsektor verschwänden und im Sekundärsektor benötigt würden. Eine Marktsättigung tritt am schnellsten ein bei Produkten des primären Sektors, dann bei denen des sekundären Sektors, während die Nachfrage nach denen des tertiären Sektors unbegrenzt sei und bleibe. Die zunehmende Automatisierung und Mechanisierung in diesen Sektoren führe zu mehr Freizeit für die Arbeitskräfte, was die Dienstleistungen des tertiären Sektors stärke.
Geschichte
Im Mittelalter arbeiteten weltweit etwa 70 % der Beschäftigten im primären, 20 % im sekundären und lediglich 10 % im tertiären Sektor – die typische Struktur eines Agrarstaates. Als erster Industriestaat weltweit gilt England; es hatte seinen Aufstieg der Kohle und dem Eisen zu verdanken. Ab 1765 trat dort ein Umschwung ein, der sich durch sinkende Getreideexporte ankündigte, die auch auf das Wachstum der Industrie und des Gewerbes zurückzuführen waren. Schrittmachertechnologien waren die Erfindung der Dampfmaschine (1712 durch Thomas Newcomen, 1769 von James Watt entscheidend weiterentwickelt), der Spinnmaschine (Spinning Jenny), des mechanischen Webstuhls (1785 durch Edmond Cartwright), der Werkzeugmaschine und des Puddelverfahrens bei der Eisengewinnung. Die Erfindung der Dampflokomotive (1804 durch Richard Trevithick) und der ersten öffentlichen Eisenbahnen gelten als das Ende der (ersten) Industriellen Revolution in England. Es stellte die Weichen für einen bürgerlichen Industriestaat, den Arnold Toynbee 1882 als industrielle Revolution () bezeichnete. Für Fourastié begann hier die Übergangsperiode, als etwa 50 % der Beschäftigten im sekundären Sektor arbeiteten (zu Lasten des primären Sektors mit nur noch 20 %); 30 % arbeiteten nun im tertiären Sektor.
Nach dem Ende des Wiener Kongresses im Juni 1815 setzte die industrielle Revolution in Deutschland mit der Frühindustrialisierung ein. Basis dieser Entwicklung war zumeist der Aufbau einer Textilindustrie wie man es beispielhaft am Aufstieg der frühen industriellen Zentren im Tal der Wupper (Barmen und Elberfeld) und im Königreich Sachsen (Chemnitz wurde sächsisches Manchester genannt) beobachten konnte. Sichtbar wurde die Frühindustrialisierung unter anderem auch durch die Gründung der „Preußisch-Rheinischen Dampfschifffahrtsgesellschaft“ (Vorläuferin der Köln-Düsseldorfer Deutsche Rheinschiffahrt) im Oktober 1825. Im Juni 1837 folgte die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft, im Oktober 1843 die Köln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft. Hiervon profitierten der Schiff- und Eisenbahnbau. An der Spitze des Eisenbahnbaus stand die Firma Borsig, die 1841 ihre erste und 1858 bereits die tausendste Lokomotive herstellte und mit 1100 Beschäftigten zur drittgrößten Lokomotivfabrik der Welt aufstieg (Hochindustrialisierung in Deutschland).
Die Industrialisierung Frankreichs nahm im Zeitraum zwischen 1830 und 1860 an Fahrt zu; es kam zu einem rasanten Anstieg der industriellen Produktion.
Die industrielle Revolution in den USA setzte vergleichsweise spät ein, seit 1850 zügig und nach dem Ende des Sezessionskrieges (1861–1865) deutlich erkennbar.
Fourastiés Hypothese der „tertiären Zivilisation“ aus dem Jahre 1949 sah künftig 80 % der Beschäftigten im tertiären Sektor, die Industrie und der Agrarsektor würden auf jeweils 10 % sinken. Schon früh hat sich während der Industrialisierung eine Industriekritik geäußert, die später in eine ökologische Kritik überging.
Statistiken
Die folgenden Statistiken sind in die drei klassischen Sektoren aufgeteilt, gemessen am Anteil des jeweiligen Sektors am BIP.
Afrika
Bei den typischen Agrarstaaten Afrikas ist stets der tertiäre Sektor größer als der sekundäre Sektor, wie die nachstehende Auswahl zeigt:
(*) Anmerkung: Rundungsdifferenzen vorhanden.
Auf den ersten zehn Plätzen weltweiter Agrarstaaten befinden sich ausschließlich Staaten aus Afrika. Auch auf den weiteren Plätzen dominieren afrikanische Staaten, erst Tadschikistan folgt auf Rang 20 mit 28,6 % als erster nicht-afrikanischer Staat. Den höchsten Anteil der Agrarproduktion am BIP weist Sierra Leone (60,7 %) auf, gefolgt von Somalia (60,2 %), Tschad (52,3 %) und Guinea-Bissau (50,0 %). In allen drei Staaten ist der Dienstleistungssektor stärker als die Industrie. Bereits der Sudan und Burundi haben den Wandel zur Dienstleistungsgesellschaft vollzogen.
Lateinamerika
In Lateinamerika ist die Industrialisierung weitgehend abgeschlossen:
(*) Anmerkung: Rundungsdifferenzen vorhanden
Der Dienstleistungssektor dominiert in allen gezeigten Staaten Lateinamerikas und ist bedeutender als die Industrie. Die Landwirtschaft ist nahezu bedeutungslos.
Asien
Asien zeigt ein sehr differenziertes Bild:
(*) Anmerkung: Rundungsdifferenzen vorhanden
In allen Ländern außer Nordkorea ist der Dienstleistungsbereich der größte Sektor.
Wirtschaftliche Aspekte
Das Pro-Kopf-Einkommen ist in Industriestaaten höher als in reinen Agrarstaaten, weil das Preisniveau von Industrieprodukten höher und die Wertschöpfungskette umfangreicher als bei Agrarprodukten sind. So betrug das Pro-Kopf-Einkommen vom Agrarstaat Burundi im Jahre 2017 knapp 700 US $, in Großbritannien dagegen 44.300 US $. Um das Einkommen der Bevölkerung zu verbessern, ist eine Industrialisierung in Agrarstaaten attraktiv. Die Industrialisierungsphase ist gekennzeichnet durch industriellen Strukturwandel, bei dem Arbeitsplätze in der Landwirtschaft wegfallen und offene Stellen in der Industrie entstehen. Dieser Vorgang führt zu sektoraler Arbeitslosigkeit (Unterbeschäftigung) in der Landwirtschaft und Überbeschäftigung in der Industrie, bis die Anpassungsprozesse abgeschlossen sind.
Folgen
Als Auswirkungen der Industrialisierung folgende Auswirkungen werden die Urbanisierung, der Wechsel von Selbstversorgungs- (Subsistenzwirtschaft) zur Fremdversorgungsgesellschaft, Geburtenrückgang, Prosperität (in den Industrienationen), aber auch die zunehmende Demokratisierung, die auf den wachsenden Wohlstand angewiesen war, genannt. Es folgten eine zunehmende Umweltverschmutzung sowie insbesondere die globale Erwärmung.
Siehe auch
Industrialisierung der Schweiz
Industrialisierung der Sowjetunion
Industriearchitektur
Literatur
Flurin Condrau: Die Industrialisierung in Deutschland. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005, ISBN 978-3-534-15008-3.
Clark Kerr, John T. Dunlop, Frederick Harbison, Charles A. Myers: Der Mensch in der industriellen Gesellschaft (Originaltitel: Industrialism and Industrial Man). Europäische Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 1960.
Walther Müller-Jentsch: Industrialisierung. In: Historisch-kritisches Wörterbuch des Marxismus, hg. v. W. F. Haug, Band 6/II, Argument, Hamburg 2004, S. 973–982.
Klaus Tenfelde: Industrialisierung. In: Richard van Dülmen (Hrsg.): Das Fischer Lexikon Geschichte. Fischer, Frankfurt am Main 2003, S. 222–237, ISBN 978-3-596-15760-0.
Richard H. Tilly: Industrialisierung als historischer Prozess. In: Europäische Geschichte Online, hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (Mainz), 2010, .
Wolfgang Wüst (Hrsg.): Regionale Wirtschafts- und Industriegeschichte in kleinstädtisch-ländlicher Umgebung (Mikro und Makro – Vergleichende Regionalstudien 1) Erlangen 2015, ISBN 978-3-940804-07-5.
Weblinks
Einzelnachweise
Industriegeschichte
Wirtschaftssoziologie
Sozialgeschichte
Sozialer Wandel
Technischer Fortschritt
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Q202398
| 327.741033 |
342934
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https://de.wikipedia.org/wiki/Sakristei
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Sakristei
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Die Sakristei ist in Kirchen ein Nebenraum, in dem aufbewahrt wird, was für den Gottesdienst benötigt wird, wie etwa liturgische Gewänder, Paramente, liturgische Geräte (Kelche, Hostienschalen, Leuchter, liturgische Bücher, Hostien, Messwein und Kerzen). Im Besonderen dient die Sakristei Priestern, Diakonen, Lektoren und Ministranten als Vorbereitungsraum für die Gottesdienste. Betreut wird die Sakristei üblicherweise vom Küster, der darum manchmal auch Sakristan genannt wird. Gelegentlich ist in katholischen Kirchen eine zweite Sakristei vorhanden, die für die Ministranten vorgesehen ist. Als Sakristeigebet wird ein vor dem Gottesdienst, in der Regel noch in der Sakristei, gesprochenes Gebet bezeichnet. Es dient zur geistlichen Vorbereitung des Priesters und der liturgischen Dienste.
Etymologie
Der Begriff stammt vom mittellateinischen sacristia (von lateinisch sacer, „heilig“; zu sacrista „Mönch, der für die Abteikirche zuständig ist“, „Küster“; mittelhochdeutsches Lehnwort sacristīe). Eine altdeutsche Bezeichnung für die Sakristei ist das Garwehaus (von gar, garven = zurechtmachen, zurechtlegen), von der auch die Bezeichnung Gerkammer abgeleitet wurde. Auch die eingedeutschte Form Sagrer ist im frühen 15. Jahrhundert bezeugt.
Ausstattung
Zur Ausstattung einer Sakristei gehören Schränke zur Aufbewahrung der liturgischen Gewänder und sonstigen Gerätschaften, in katholischen Kirchen ist meist einer als Kredenz vorgesehen, auf dem die Gewänder der Priester bereitgelegt werden. Auch ein Tresor zur Aufbewahrung kostbarer liturgischer Gefäße, ein Waschbecken und weitere Arbeitstische zum Herrichten von Blumenschmuck usw. sind üblich. Manchmal schließt sich an die Sakristei ein Abstellraum an, der zur Unterbringung von seltener gebrauchten Gegenständen dient, bei sehr großen Kirchen gibt es mitunter auch einen eigenen Raum zur Aufbewahrung der Paramente. Meist befindet sich auch das Sacrarium in der Sakristei. In Mittelalter und früher Neuzeit dienten Sakristeien bisweilen auch als Archivräume.
In den Ostkirchen dient im Allgemeinen der durch die Ikonostase vom restlichen Kirchenraum abgetrennte Altarraum diesem Zweck; daneben gibt es in größeren Kirchen und Kathedralen das Diakonikon. In der frühchristlichen, byzantinischen Kirchenarchitektur entspricht dem das Pastophorion.
Literatur
Anne Schaich: Mittelalterliche Sakristeien im deutschsprachigen Gebiet. Architektur und Funktion eines liturgischen Raums (Bau + Kunst Band 17), Kiel, Verlag Ludwig 2009, ISBN 978-3-937719-65-8
Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck. Liturgische Kammer: Sakristeigebete: aus der Agende I für die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck, Verlag Evang. Medienverband, 1996, ISBN 978-3-7858-0544-2
Weblinks
Einzelnachweise
Kirche (Architektur)
Liturgie
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Q468939
| 132.340735 |
19259
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pfingsten
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Pfingsten
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Pfingsten (von griech. „fünfzigster Tag“) ist ein christliches Fest. Der Festinhalt ist die Sendung des Geistes Gottes zu den Jüngern Jesu und seine bleibende Gegenwart in der Kirche. Ikonografisch wird Pfingsten auch Aussendung des heiligen Geistes oder auch Ausgießung des heiligen Geistes genannt. Der Pfingstsonntag ist der 50. Tag der Osterzeit, also 49 Tage nach dem Ostersonntag, und liegt zwischen dem 10. Mai (frühester Termin) und dem 13. Juni (spätester Termin).
Im Neuen Testament wird in der Apostelgeschichte erzählt, dass der Heilige Geist auf die Apostel und Jünger herabkam, als sie zum jüdischen Fest Schawuot ( ‚zum Tag des Fünfzigsten‘) in Jerusalem versammelt waren . Dieses Datum wird in der christlichen Tradition auch als Gründung der Kirche verstanden.
Wortherkunft im Deutschen
Die deutsche Benennung „Pfingsten“ ist abgeleitet von – daher auch das englische . Die Bezeichnung war im Deutschen ursprünglich ein Dativ Plural „an den Pfingsten“, dann Nominativ Plural „die Pfingsten“, schließlich Nominativ Singular „das Pfingsten.“ In der Schweiz ist weiterhin „die Pfingsten“ als Plural üblich.
Jüdischer Hintergrund
Das jüdische Wochenfest (hebräisch Schawuot) ist eines der drei Pilgerfeste. Ein großer Teil des antiken Judentums war griechischsprachig; hier hatte das Fest den Namen . Gemeint ist der 50. Tag nach dem Fest der ungesäuerten Brote (Mazzotfest). Es ist ein Erntedankfest, da es den Abschluss der mit Pessach beginnenden Weizenernte markiert. Am Wochenfest wurde auch die Gabe der Tora an Mose auf dem Sinai erinnert. Das Pfingstereignis wird in der Apostelgeschichte so erzählt, dass sprachlich Bezüge zu dieser Gesetzgebung am Sinai entstehen.
Pfingsten im Neuen Testament
Das Fest pentekostḗ wird im Neuen Testament dreimal erwähnt. Abgesehen von Apostelgeschichte Kap. 2 ist das jüdische Wochenfest zweimal Termin in den Reiseplanungen des Paulus: In Ephesus will er bis pentekostḗ bleiben , wenn möglich an pentekostḗ in Jerusalem eintreffen .
Das 2. Kapitel der Apostelgeschichte hat in der Konzeption des lukanischen Geschichtswerks große Bedeutung: Im ersten Teil, dem Lukasevangelium, beginnt die öffentliche Wirksamkeit des Jesus von Nazareth damit, dass der Heilige Geist „sichtbar in Gestalt einer Taube“ auf ihn herabkommt . Der zweite Teil, die Apostelgeschichte, wird entsprechend damit eröffnet, dass der Heilige Geist ebenfalls sinnlich wahrnehmbar auf die Apostel herabkommt. Der Auferstandene hatte sie bereits darauf vorbereitet (, ).
Am Anfang stehen nach Alfons Weiser besondere Glossolalie-Erfahrungen in der urchristlichen Gemeinde in Jerusalem. Sie wurden so erzählt, dass die Theophanie-Motive der Sinaitradition anklangen. Die frühchristliche Interpretation von lässt sich an ablesen. Demnach ist es der erhöhte Christus, der den Jüngern die Gaben des Heiligen Geistes schenkt, darunter eben die Glossolalie (Zungenrede). Lukas nahm diese mündlich umlaufenden Erzählungen und stilisierte sie. Ein wesentlicher Eingriff war die Umgestaltung der Glossolalie-Tradition zu einem Fremdsprachenwunder, wobei er Kenntnis einer Völkerliste der antiken Geographie zeigt. So entsteht ein im ganzen Neuen Testament singulärer Bericht davon, dass der Heilige Geist an einem bestimmten Termin und Ort unter außerordentlichen Begleiterscheinungen auf die Apostel herabgekommen sei und die Wirkung, das Fremdsprachenwunder, von Menschen aus verschiedenen Ländern bezeugt worden sei:
Die versammelten Jünger werden vom Heiligen Geist erfüllt:
Angehörige zahlreicher nichtjüdischer Völker („Parther, Meder und Elamiter, Bewohner von Mesopotamien, Judäa und Kappadokien, von Pontus und der Provinz Asien, von Phrygien und Pamphylien, von Ägypten und dem Gebiet Libyens nach Kyrene hin, auch die Römer, […] Kreter und Araber“) wundern sich, dass sie jeder seine Muttersprache hören, obwohl die Jünger doch Galiläer sind; . Diese scheinbar willkürlich zusammengestellte Völkerliste basiert auf ursprünglich babylonischer astrologischer Geographie, die traditionell jedem Land ein Tierkreiszeichen zuwies.
In einer Predigt des Apostels Petrus wird das Pfingstereignis gedeutet und in den Zusammenhang der Heilsgeschichte gestellt.
Petrus beruft sich dabei auf eine Verheißung Gottes durch den Propheten Joel, dass Gott in den letzten Tagen seinen Geist über alles Fleisch ausgießen werde (vgl. ):
Nach der Auferstehung Jesu Christi sei durch die Geistsendung erwiesen worden, dass Jesus durch Gottes Handeln zum Herrn und Christus erhöht wurde:
Auf Nachfrage der Zuhörer nennt Petrus Umkehr und Taufe als Weg, um den verheißenen Heiligen Geist zu empfangen. Am Pfingsttag befolgten dies dreitausend Menschen:
Für die Herabkunft des Heiligen Geistes wählt die Apostelgeschichte die Metapher „Zungen wie von Feuer“, die auf die Anwesenden herabgekommen seien . Die Anwesenheit des Heiligen Geistes wird von den vier Evangelien hingegen bei der Taufe Jesu mit „in Gestalt einer Taube“ ausgedrückt, die auf Jesus herabkam .
Als „Pfingstwunder“ wird die in der Apostelgeschichte beschriebene Xenoglossie bezeichnet, also die wundersame Begebenheit, dass die zum Fest versammelten Menschen die Apostel jeweils in ihrer eigenen Sprache reden hörten.
In der Darstellung des Johannesevangeliums kam der Auferstandene am Abend des Ostertages in die Mitte seiner Jünger, hauchte sie an und übertrug ihnen mit den Worten „Empfanget den Heiligen Geist!“ den Geist Gottes.
Geschichte des Pfingstfestes
Eine fünfzigtägige Festzeit nach Ostern ist bereits im frühen 2. Jahrhundert in der Epistula Apostolorum bezeugt. Tertullian erwähnte sie als Freudenzeit, in der bevorzugt Taufen stattfanden. Weitere Belege kommen im 3. Jahrhundert aus Rom und Ägypten hinzu. Nach Ambrosius von Mailand sind diese Tage „wie ein einziger Sonntag“. Der fünfzigste Tag war als Abschluss dieser Festzeit etwas Besonderes, hatte aber noch keinen eigenständigen Festcharakter.
Im späten 4. Jahrhundert kommt der Brauch auf, die einzelnen Stationen der Passions- und Ostergeschichte an besonderen Terminen gottesdienstlich zu feiern (Triduum Sacrum, Heilige Woche). In Jerusalem und Umgebung steht das mit dem kaiserlichen Kirchenbauprogramm und dem aufblühenden Pilgertourismus ins Heilige Land in Verbindung. In diesem Zusammenhang wurde auch die pentekostḗ-Festzeit nach Ostern aufgegliedert und regional teils der 40. Tag, teils der 50. Tag als Fest begangen, das sowohl die Himmelfahrt Christi als auch der Aussendung des Heiligen Geistes auf die Apostel zum Inhalt hatte. Um 400 setzte sich dann allgemein durch, den 40. Tag als Himmelfahrtsfest und den 50. Tag als Fest der Geistausgießung zu begehen, anscheinend zuerst in Spanien. Festpredigten von Johannes Chrysostomos, Gregor von Nazianz, Augustinus von Hippo und Leo dem Großen zeigen, wie Pfingsten zunehmend zum Osterfest in Beziehung gesetzt und als dessen Erfüllung interpretiert wurde. Die Tage zwischen Himmelfahrt und Pfingsten wurden regional mit Fasten begangen, womit der Gedanke einer pentekostḗ-Freudenzeit aufgegeben war.
Liturgische Feier
Byzantinischer Ritus
In den orthodoxen Kirchen wurde der Charakter der pentekostḗ als fünfzigtägiger Festzeit bewahrt, die mit dem Pfingstsonntag schließt. Das Buch mit den Hymnen und Lesungen für diesen Zeitraum heißt Pentekostarion oder Blumen-Triodion. Die Kirchen des byzantinischen Ritus verstehen die Osterzeit als geprägt von der Anwesenheit des Auferstandenen auf Erden. Sie endet also mit der Himmelfahrt, und mit dem Entschwinden des sichtbaren Christus beginnt die Erwartung der versprochenen Geistsendung. Die Herabkunft des Geistes an Pfingsten ist dann die Vollendung der Selbstoffenbarung des dreieinigen Gottes. Beim Pfingstfest beginnen die Apostel das Evangelium zu verkünden, von nun an wird das mystische Gedenken an den Herrn gefeiert. Damit ist Pfingsten das Geburtsfest der Kirche und der Beginn der Kirchengeschichte. Dies wird auch im Troparion des Fests besungen: „Gepriesen bist du, Christus unser Gott. Die Fischer hast du zu Allweisen gemacht durch die Herabsendung des heiligen Geists und hast durch sie die Welt eingefangen. Menschenfreundlicher, Ehre sei dir.“
Liturgisch von Bedeutung sind mehrere Themen. Am Vortag des Pfingstsonntags wird das Gedächtnis der Verstorbenen als „Seelensabbat“ begangen, auch die Toten sind in die Ausgießung des Geistes eingeschlossen. Die liturgischen Texte des Festes selbst betonen einerseits die Geistsendung, andererseits die Dreifaltigkeit Gottes. Nicht nur in der Göttlichen Liturgie wird die Ausgießung der Gabe des Geistes gefeiert, sondern um die Teilhabe an ihr wird auch in der Vesper des Pfingstsonntags mit drei feierlichen Gebeten gebetet, den sog. Kniegebeten. Diese Feier der Kniebeugungsgebete ist eine alte Jerusalemer Tradition. Vielerorts ist es üblich, unterwegs zu dieser Vesper ein Blumensträußchen zu pflücken und in die mit Blumen geschmückte, gelegentlich sogar mit frisch gemähtem Gras ausgelegte Kirche – eine Erinnerung an das Laubhüttenfest – mitzubringen.
Römisch-katholische Liturgie
Ältere römische Praxis
Nach dem Missale Romanum von 1540 begann das Pfingstfest mit einer Pfingstvigil, die den gleichen Ablauf wie die Ostervigil hatte und ebenfalls eine Taufwasserweihe enthielt. Pfingsten hatte, wie Ostern, eine eigene Festwoche (Oktav); der Oktavtag war das Trinitatisfest (allerdings endete diese Festwoche vorher, mit der Messe am Samstag). Alle Messen der Pfingstwoche hatten ein eigenes Proprium; Mittwoch, Freitag und Samstag waren Quatembertage. Bis zur Liturgiereform wurden die Sonntage danach als Sonntage nach Pfingsten gezählt (in der evangelischen Kirche Sonntage nach Trinitatis).
Römische Praxis seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil
Das Pfingstfest ist ein Hochfest, an dem das – von Jesus Christus angekündigte – Kommen des Heiligen Geistes gefeiert wird. Das Fest ist zugleich der feierliche Abschluss der Osterzeit („8. Ostersonntag“). Ein Hauptanliegen der nachkonziliaren Liturgiereform war die Rückgewinnung der fünfzigtägigen Osterzeit. Die Festwoche nach Pfingsten entfällt; vielmehr wird am Pfingstmontag der Jahreskreis thematisch da wieder aufgenommen, wo er vor Aschermittwoch unterbrochen wurde.
Die vom Zweiten Vatikanischen Konzil neu bedachte Osterfeier als Pascha-Mysterium, als Feier der Oikonomia, des Heilsplanes Gottes mit den Menschen und der an Ostern grundgelegten Erlösung durch Tod und Erhöhung Jesu Christi, schließt das Pfingstereignis mit der Geistsendung ein. Am Pfingstfest wurde die Kirche in der Welt offenbar. Die Menschen werden durch die Taufe in die Kirche eingefügt, nachdem sie das „Wort des Petrus angenommen“ haben, und versammeln sich in der Kraft des Heiligen Geistes beständig zur Feier des Pascha-Mysteriums.
Zur Liturgie der römisch-katholischen Kirche gehört vorbereitend das Gebet um das Kommen des Heiligen Geistes in der Pfingstnovene, den neun Tagen zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten; an diesen Tagen ist die Liturgie von heiliger Messe und Stundengebet bereits von der Erwartung der Geistsendung geprägt. Das Hochfest selbst beginnt mit der ersten Vesper am Vorabend und endet mit der zweiten Vesper des Pfingstsonntags. Bis 1955 war der gesamte Vortag des Pfingstfestes ein Vigiltag, heute kann der Vorabend als Vigilmesse mit eigenem liturgischen Proprium begangen werden. Zur Liturgie gehören die Oration Deus, qui sacramento festivitatis hodiernae und die Pfingstsequenz Veni Sancte Spiritus („Komm, Heiliger Geist“), eine von insgesamt fünf Sequenzen im Kirchenjahr.
Den österlichen Festcharakter bringt die nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil neu formulierte Präfation der heiligen Messe am Pfingstsonntag zum Ausdruck:
Der Pfingstmontag wurde in einigen Ländern als zweiter Feiertag und Tag der früheren Pfingstoktav beibehalten, zählt aber nach der Liturgiereform formal nicht mehr zur Osterzeit, sondern bereits zur Zeit im Jahreskreis. Nur in Gruppen, die Gottesdienst nach dem Missale Romanum von 1962 feiern, wird die ganze Pfingstoktav weiterhin begangen. Papst Franziskus bestimmte 2018 den Pfingstmontag für die ganze Kirche zum „Gedenktag der seligen Jungfrau Maria, Mutter der Kirche“ (Memoria Beatae Mariae Virginis, Ecclesiae Matris). Die Deutsche Bischofskonferenz erklärte 1995 den Pfingstmontag zu einem Gebotenen Feiertag, d. h. es gilt die Sonntagspflicht, die durch Teilnahme an einem ökumenischen Gottesdienst nicht erfüllt wird. Ökumenische Gottesdienste am Vormittag des Pfingstmontags wurden dadurch zu einer Ausnahme.
Evangelische Kirche
Der Gedanke, dass das Pfingstfest die fünfzig Tage nach Ostern festlich abschließt, kommt im Präfationsgebet des Pfingstsonntags zum Ausdruck:
Das Evangelische Gottesdienstbuch behält die traditionelle westkirchliche Pfingstoktav bei: Pfingstmontag und Pfingstwoche haben ein eigenes Proprium. Die Osterzeit endet dadurch erst am Samstag vor dem Trinitatisfest.
Moderne Profilierung des Festes
Im Gegensatz zu Weihnachten und Ostern ist Pfingsten in den westlichen Staaten kaum Teil der Zivilreligion. Vertreter der Kirche kritisieren die Ignoranz in Teilen der Gesellschaft gegenüber ihren christlichen Wurzeln, wenn es nur noch darum gehe, ein Fest zu feiern, ohne dessen Bedeutung und Inhalt zu kennen. Für einen großen Teil der Bevölkerung sind die Pfingsttage durch Reise- und Urlaubsaktivitäten geprägt. Seitens der Kirchen gibt es deshalb Bestrebungen, Pfingsten als „Geburtstag der Kirche“ zu profilieren und die eigene Corporate Identity in den Mittelpunkt zu stellen. Kritiker befürchten, damit Pfingsten zu einem christlichen Ideenfest umzudeuten.
Der Heilige Geist, der auf die Jünger herabkam, schuf die Einheit der Gläubigen und hob die Kirche aus der Taufe. Von diesem Moment an verstand sich die Schar der Jünger als Gottesvolk. Die christliche Gemeinde trat zum ersten Mal öffentlich auf: „Die bis dahin verzagten Protagonisten des Christentums erweisen sich plötzlich als sprachmächtig und missionarisch überzeugend.“
Pfingstbewegung
In christlichen charismatischen Kreisen spielt das neutestamentliche Pfingstereignis eine wesentliche Rolle. Insbesondere in der Pfingstbewegung wird die persönliche Erfahrung des Wirkens des Heiligen Geistes betont.
Pfingstdatum
Wie das Judentum das Fest Schawuot sieben Wochen nach Pessach feiert, feiert das Christentum das Pfingstfest sieben Wochen nach Ostern. Das Datum des Pfingstfestes hängt damit vom beweglichen Osterdatum ab. Da das Christentum am Osterfest den Auferstehungstag Jesu, also einen Sonntag, feiert, wird auch das Pfingstfest sieben Wochen nach Ostern stets an einem Sonntag begangen.
Die folgende Tabelle zeigt das westkirchliche (katholische und protestantische) und orthodoxe Datum des Pfingstsonntags von 2020 bis 2030:
In Abhängigkeit von Ostern fällt der Pfingstsonntag in die Zeit zwischen dem 10. Mai (frühester Termin) und dem 13. Juni (spätester Termin). Seit der Einführung des Gregorianischen Kalenders fiel das Pfingstfest nur viermal auf einen 10. Mai (1598, 1693, 1761 und 1818; erst 2285 wieder) und ebenfalls nur viermal auf einen 13. Juni (1666, 1734, 1886 und 1943; erst 2038 wieder).
Brauchtum zu Pfingsten
Umfassend ist das (weltliche) Pfingstbrauchtum als Frühlingsbrauchtum auf die Verehrung und Würdigung sowie das Erhoffen bzw. Beschwören der Fruchtbarkeit und des möglichst reichlichen und gesunden Gedeihens von Pflanzen, Nahrungsmitteln und Tieren zurückzuführen.
In vielen Regionen gibt es zu Pfingsten Brauchtum, das dem Maibrauchtum im Rheinland ähnelt oder Elemente eines Hirtenfests zum Weideauftrieb des Viehs umfasst. Dazu gehören z. B. das Pfingstbaumpflanzen in der Lüneburger Heide, in Oelde der Pfingstenkranz, in Mecklenburg das Schmücken des Pfingstochsen, in Frankfurt am Main der Wäldchestag, in Halle (Saale) der Knoblauchsmittwoch, die Geißbockversteigerung in Deidesheim oder die Pfingstkirmes in Menden. Mancherorts wird das „Birkenstecken“ praktiziert, wo sich in der Pfingstnacht Junggesellen aufmachen, um ihrer Liebsten eine Birke an die Hauswand zu stellen.
Im Bergischen Land pflegt man das Pfingstsingen: Junge Männer oder Männergesangvereine ziehen von Haus zu Haus und entbieten den Pfingstgruß. Dafür sammeln sie Eier, Speck und sonstige Gaben, aber auch Geld. Ein ähnlicher Heischebrauch zu Pfingsten ist das Wasservogelsingen im unteren Bayerischen Wald. In der Pfalz ziehen in einigen Orten Kinder als Pfingstquack mit geschmückten Handwagen durchs Dorf und bekommen für ihr Ständchen ebenfalls Eier, Speck oder Geld.
In der Jugendarbeit sind traditionell Pfingstzeltlager sehr beliebt.
Als Kleinpfingsten wird in einigen Regionen Deutschlands der Sonntag nach Pfingsten bezeichnet. U. a. in Thüringen und Sachsen wird an diesem Sonntag das Brauchtum des Heischebrauchs, auch Eierbetteln, gepflegt.
Feiertag
Der Pfingstmontag ist ein gesetzlicher Feiertag in Deutschland, Österreich, den Niederlanden, Belgien, Frankreich, Liechtenstein, Luxemburg, Ungarn, Dänemark, Norwegen sowie in weiten Teilen der Schweiz.
In Deutschland war dieser Feiertag mindestens zweimal von Streichung bedroht. Im Bundesland Baden-Württemberg wurde Ende 1994, anstatt wie bundesweit den Buß- und Bettag im nachfolgenden Jahr abzuschaffen, zunächst erwogen, stattdessen den Pfingstmontag zu streichen.
Im Jahr 2005 forderten die Wirtschaftsverbände in Deutschland seine Abschaffung. Sämtliche im Bundestag vertretenen Parteien mit Ausnahme der FDP sprachen sich jedoch gegen diesen Vorschlag aus, ebenso wie die Kirchen und die Gewerkschaften.
Einzig das Land Brandenburg nennt den Pfingstsonntag (und den Pfingstmontag) explizit als Feiertag (§ 2 Abs. 1 des Feiertagsgesetzes für das Land Brandenburg).
In Frankfurt am Main war bis in die 1990er Jahre der Wäldchestag, ein Volksfest am Nachmittag des Pfingstdienstags, ein arbeitsfreier Tag. Auch andernorts erhielten bis in die 1960er Jahre die Beschäftigten am Dienstag nach Pfingsten einen arbeitsfreien Tag. In mehreren deutschen Bundesländern ist bis heute der Pfingstdienstag ein Ferientag in den Schulen bzw. Beginn oder Ende mehrtägiger Pfingstferien.
In Frankreich scheiterte 2005 der Versuch der Regierung Raffarin, den Pfingstmontag zum unbezahlten Feiertag zu machen, am Widerstand der Bevölkerung. Ein für die Regierung erstellter Bericht kam allerdings zu dem Schluss, dass trotz der Abschaffung des Pfingstmontags zuletzt rund 52 Prozent der Erwerbstätigen an diesem Tag nicht gearbeitet hätten. Schulen und öffentliche Dienststellen blieben meist geschlossen. Der Pfingstmontag ist seit 2008 wieder Feiertag.
In Schweden wurde der Pfingstmontag als Feiertag im Jahre 2005 abgeschafft. Stattdessen ist seit dem Jahr der schwedische Nationalfeiertag, der 6. Juni, nunmehr auch ein gesetzlicher und damit arbeitsfreier Feiertag.
In Italien (mit Ausnahme von Südtirol) wurde der Pfingstmontag zusammen mit dem Dreikönigstag, dem Josefstag, Christi Himmelfahrt, Fronleichnam und Peter und Paul sowie den zwei Nationalfeiertagen „Fest der Republik“ (2. Juni) und „Tag der Einheit“ (4. November), als gesetzlicher Feiertag unter dem Kabinett Andreotti III 1977 abgeschafft. Der Dreikönigstag wurde bereits 1985 nach der Revision der Lateranverträge unter dem Kabinett Craxi I wieder eingeführt, der „2. Juni“ 2001.
Siehe auch
Termine der beweglichen Feiertage in Deutschland
Veni creator spiritus
Pfingstbewegung
Enzyklika Divinum illud munus und Dominum et Vivificantem, über den Heiligen Geist und seine Gaben.
Literatur
(enzyklopädischer Überblick mit weiterer Literatur).
Jens Herzer: Ostern, Himmelfahrt, Pfingsten, Weihnachten. Was wissen wir über die Ursprünge des Christentums? (= Brennpunkt Die Bibel, Band 4, – allgemeinverständlich und wissenschaftlich fundiert). Evangelische Haupt-Bibelgesellschaft und von Cansteinsche Bibelanstalt, Berlin 2000, ISBN 3-7461-0144-1.
Katholisches Bibelwerk (Hrsg.): Gottes Volk. Bibel und Liturgie im Leben der Gemeinde. Teil 4. Katholisches Bibelwerk, Stuttgart 2005, ISBN 3-460-26635-X.
Maria Schwabe (Hrsg.): Pfingsten statt Babel. Zur Mystik und Spiritualität im Weltsozialforum. Missionszentrale der Franziskaner, Bonn 2004.
Günter Stemberger, Alfons Weiser, Adolf Adam, Walter Hartinger: Art. Pfingsten, Pfingstfest. In: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Auflage, Band 8, Herder, Freiburg im Brsg. 1999, Sdr. 2006, Sp. 187–190.
Literarische Verarbeitungen
Sibylle Lewitscharoff: Das Pfingstwunder. Roman. Berlin 2016.
Alban Nikolai Herbst: Die Fenster von Sainte Chapelle, Eine Reiseerzählung im Internet. Buchfassung: Berlin 2011 / Neufassung in: "Wölfinnen, Erzählungen II", Wien 2019.
Weblinks
Kalender: Pfingsten im Ökumenischen Heiligenlexikon
EKD: Zu Pfingsten feiern die Kirchen Geburtstag
Pfingstgrüße auf alten Postkarten Bilder, Gedichte und Texte
Einzelnachweise
Herrenfest
Christliche Theologie
Biblisches Thema
Osterdatum
Hochfest
Apostelgeschichte
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q39864
| 225.233406 |
109165
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https://de.wikipedia.org/wiki/Levante
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Levante
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Levante (altitalienisch levante, mittelfranzösisch levant, „Osten“, „Morgenland“, abgeleitet vom Sonnenaufgang, von lateinisch levare „emporheben, aufgehen“) ist die historische geografische Bezeichnung für die Länder am östlichen Mittelmeer, die östlich von Italien liegen.
Im weiteren Sinn sind damit besonders die griechische Halbinsel und die griechischen Inseln in der Ägäis, die mediterranen Küstengebiete der Türkei, Zypern, der Libanon, Palästina, das historische Syrien und Ägypten bezeichnet.
Im engeren Sinn beschränkt sich die Bezeichnung auf die Ostküste des Mittelmeeres und ihr Hinterland, also das Gebiet der heutigen Staaten Syrien, Libanon, Israel, Jordanien sowie der palästinensischen Autonomiegebiete und der türkischen Provinz Hatay. Dies entspricht ungefähr der im Arabischen Asch-Scham (, „der Norden“) genannten Region zwischen Euphrat und Sinai in Vorderasien.
Geschichte
Ur- und Vorgeschichte
Als Landverbindung zwischen Afrika und Eurasien war die Levante schon früh von verschiedenen Urmenschen bewohnt. Sie wird oft als Ursprungsgebiet der Neolithischen Revolution bezeichnet, doch passt in diesem Zusammenhang der Begriff Fruchtbarer Halbmond besser, da sich wesentliche Schritte der neolithischen Revolution auch und insbesondere in Mesopotamien (heute Irak) ereigneten.
Frühgeschichte und Antike
Schon früh gelang in der Levante der Übergang zur Kultur der Kupferzeit; Bergwerke wie in Timna sind seit ca. 5500 v. Chr. nachgewiesen. In der Antike existierten in der Region verschiedene Völker und Staaten, die jedoch nie zu einer staatlichen Einheit fanden und unter dem Einfluss der benachbarten Reiche, etwa Ägyptens und der Hethiter, standen. Politisch-wirtschaftliche Bedeutung erlangten im Norden der Levante die Phönizier als Händler, Seefahrer und Kolonisatoren des Mittelmeerraumes, während im Süden bei den Israeliten mit dem Judentum und in dessen Folge dem Christentum zwei Weltreligionen entstanden. Seit dem 8. Jh. v. Chr. gehörte die Levante bis auf wenige lokale und/oder zeitliche Ausnahmen zum Neuassyrischen Reich, dem Neubabylonischen Reich, dem Perserreich, dem Alexanderreich und seiner Nachfolger, insbesondere der Seleukiden, sowie schließlich zum Römischen Reich. Als Teil des Oströmischen oder Byzantinischen Reiches wurde die Levante nahezu vollständig christianisiert.
Mittelalter
Im 7. Jahrhundert wurde die Levante von muslimischen Arabern im Zuge der islamischen Expansion erobert, Damaskus wurde die Hauptstadt des Kalifats der Umayyaden. In wenigen Jahrhunderten wurde die Region arabisiert, sie blieb jedoch durch starke ethnische und religiöse, v. a. christliche Minderheiten wie die der Aramäer geprägt. Während der Kreuzzüge gründeten christlich-abendländische Kreuzfahrer seit 1098 eine Reihe von Kreuzfahrerstaaten, die zwischen einem halben und maximal zwei Jahrhunderten Bestand hatten. Das Jahr 1291 gilt mit der Eroberung Akkons durch die in Ägypten herrschenden Mamluken als ihr Ende.
Aus europäischer Sicht erhielt die Levante im Mittelalter eine besondere Bedeutung durch ihre intensiven Handelsbeziehungen zu den italienischen Seerepubliken, die als Handelsrouten schon in der Antike angelegt waren und sich in byzantinischer Zeit weiter gefestigt hatten. Die Levante war ein wichtiger Umschlagplatz für Orientwaren, die über den Indischen Ozean und die asiatischen Karawanenwege im Rahmen des Indienhandels und auf der Seidenstraße herangeschafft und gegen europäische Erzeugnisse wie zum Beispiel Tuche getauscht wurden. Der Levantehandel trug erheblich zum Reichtum südeuropäischer Städte, etwa Marseilles und Livornos und der Republiken Genua und Venedig bei, wurde aber seit dem 15. Jahrhundert durch erhöhte Zollforderungen und Handelssperren einiger muslimischer Regenten erschwert. Durch die Erschließung neuer Seewege im 15. und 16. Jahrhundert, etwa nach Mittel- und Südamerika, nahm die wirtschaftliche Bedeutung der Levante für Europa allmählich ab.
Neuzeit
Um 1516 wurde die Levante (einschließlich des Mamlukensultanats in Ägypten) von den Osmanen erobert, in deren Staatssystem sie während der vier folgenden Jahrhunderte fest eingebunden war. Bevölkerungsgruppen wurden durch ihre konfessionelle Zugehörigkeit dem Staat gegenüber definiert; vgl. Millet-System. Das Sultanat wickelte jeglichen Kontakt mit seinen Untertanen über deren religiöse Führung ab; dieser oblag insbesondere auch der Steuereinzug. Über die konfessionelle Organisation der Minderheiten genossen diese Autonomierechte auf ökonomischem, juristischem, administrativem und kulturellem Gebiet. In sprachlich-kultureller Hinsicht blieb unter osmanischer Herrschaft das arabische Element in der Levante majoritär; das osmanische hingegen dominierte in Militär und Verwaltung. Auch nicht muslimische (christliche und jüdische) Minderheiten assimilierten sich weiter an das Arabertum. Nationale Bestrebungen erwachten im 19. Jahrhundert unter europäischem Einfluss.
Nach der Niederlage der Türkei im Ersten Weltkrieg wurden ein französisches Protektorat im Norden der Levante (Libanon, Syrien) und ein britisches Protektorat im Süden (Palästina, Jordanien, Irak) errichtet. Arabische nationale Bestrebungen blieben trotz gegenteiliger Versprechungen seitens der europäischen Großmächte unberücksichtigt. Erst während bzw. nach dem Zweiten Weltkrieg erlangten der Libanon (1943) und Syrien und Jordanien (beide 1946) staatliche Unabhängigkeit. Als Ergebnis der seit Ende des 19. Jahrhunderts bestehenden zionistischen Bestrebungen im Judentum Europas und der Erfahrung des Holocausts kam es 1948 zur Gründung des Staates Israel. Völkerrechtlich umstritten ist die israelische Besatzung palästinensischer Gebiete.
Im Libanon flammte 1975 ein Bürgerkrieg zwischen mehreren ethnisch-religiös bestimmten Parteien (Maroniten, Schiiten, Drusen, Palästinenser u. a.) auf, der bis 1990 andauerte und das Land nach einer positiven ökonomischen Entwicklung in den 1950er und 1960er Jahren nachhaltig schwächte. Das Königreich Jordanien erlebte durch verstärkte palästinensische Zuwanderung ab 1948 um 1970 ebenfalls bürgerkriegsartige Phasen (Schwarzer September); danach stabilisierte sich das Land. Seit 2011 herrscht in Syrien Bürgerkrieg.
Die jüngere und jüngste Geschichte aller hier genannten Staaten ist bis heute stark vom Nahostkonflikt geprägt. Alle Staaten der Region außer Israel und Libanon werden autoritär regiert und weisen dadurch trotz eines guten Bildungsstands der Bevölkerung massive Defizite in ihrer ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklung auf.
Herkunftsbezeichnung
Der aus den romanischen Sprachen entlehnte Begriff „Levante“ bedeutet „Osten“, Himmelsrichtung oder Land des Sonnenaufgangs, und bezieht sich auf den östlichen Teil des Mittelmeerraumes.
Die Herkunftsbezeichnung „levantino“ (Levantiner, levantinisch) bezeichnet jemanden oder etwas, der oder das aus der Levante, den Europa nächstgelegenen Teilen Vorderasiens einschließlich Griechenlands und Ägyptens, stammt. Als Levantiner galt bis ins 19. Jahrhundert auch, wer von gemischter europäisch-orientalischer Abkunft war. Speziell wurden in der Levante geborene und erzogene Abkömmlinge von europäischen Männern und orientalischen Frauen so bezeichnet, gedanklich verbunden mit deren sozialökonomischen Sonderrolle in den Handelsstädten des Orients als Kaufleute und Vermittler zwischen dem Orient und Europa.
Im Osmanischen Reich waren die „Levantiner“ als ethnokonfessionelle Gruppe greifbar: Der Begriff bezeichnete die unter französischer Schutzherrschaft stehende Bevölkerungsgruppe der römisch-katholischen Christen im osmanischen Herrschaftsgebiet.
Im Italienischen und Sizilianischen beschreibt „levantino“ bzw. „livantinu“ bis heute auch abwertend eine „Händlernatur“, einen leichtfertigen, doppelzüngigen oder gerissenen Menschen. Auch im Deutschen wird „levantinisch“ noch heute manchmal in diesem Sinne verwendet (etwa in „levantinische Sitten“).
Siehe auch
Levantinisches Arabisch
Maghreb
Maschrek
Levantehaus
Literatur
Wilhelm Heyd: Geschichte des Levantehandels im Mittelalter. 2 Bände. Cotta, Stuttgart 1879.
Michael Sommer (Hrsg.): Die Levante. Beiträge zur Historisierung des Nahostkonflikts. Arnold-Bergstraesser-Institut, Freiburg i. Br. 2001, ISBN 3-928597-31-0.
Dominique Trimbur (Hrsg.): Europäer in der Levante. Zwischen Politik, Wissenschaft und Religion (19.–20. Jahrhundert). Oldenbourg, München 2004, ISBN 3-486-57561-9 (= Pariser historische Studien, Bd. 53). Online auf perspectivia.net
Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (Hrsg.): Mittelmeer-Handbuch. Teil 5.: Levante, Schwarzes Meer und Asowsches Meer. 10. Auflage. BSH, Hamburg/Rostock 2004, ISBN 3-89871-051-3.
Julia Chatzipanagioti: Griechenland, Zypern, Balkan und Levante. Eine kommentierte Bibliographie der Reiseliteratur des 18. Jahrhunderts. Lumpeter & Lasel, Eutin 2006, ISBN 3-9810674-2-8.
Alfred Schlicht: Die Araber und Europa. Kohlhammer, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-17-019906-4.
Weblinks
Einzelnachweise
Region im Nahen Osten
Historischer Kulturraum
Alte Welt
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Q81483
| 333.663392 |
13185
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https://de.wikipedia.org/wiki/MP3
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MP3
|
MP3, Eigenschreibweise mp3 (Bezeichnung nach der Dateinamenserweiterung; eigentlich MPEG-1 Audio Layer III oder MPEG-2 Audio Layer III), ist ein Verfahren zur verlustbehafteten Kompression digital gespeicherter Audiodaten. MP3 bedient sich dabei der Psychoakustik mit dem Ziel, nur für den Menschen wahrnehmbare Signalanteile zu speichern. Dadurch wird, bei nicht (oder kaum) verringert wahrgenommener Audioqualität, eine starke Reduktion der Datenmenge möglich.
Bei einer Beispiel-Datenrate von 192 kbit/s, die bereits eine hohe Qualität ermöglicht, beträgt die Kompressionsrate einer MP3-Audiodatei etwa 85 % gegenüber einer unkomprimierten Audio-CD. MP3 ist das dominierende Verfahren zur Speicherung und Übertragung von Musik auf Computern, Smartphones, im Internet und auf tragbaren Musikabspielgeräten (MP3-Player), obwohl es mittlerweile eine Anzahl von technisch weiterentwickelten Optionen gibt. Das Verfahren wurde unter der Leitung von Karlheinz Brandenburg und Hans-Georg Musmann im Wesentlichen in Deutschland entwickelt. Das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen spricht 2021 von einem
Im Mai 2017 stellten die Entwickler die Lizenzierungen für das Format ein, nachdem die letzten Patente in den USA ausgelaufen waren (in Europa war MP3 bereits seit 2012 patentfrei). Es handelt sich somit seitdem um einen frei verfügbaren Standard.
Geschichte
Entwickelt wurde das Format MP3 ab 1982 unter der Leitung von Hans-Georg Musmann von einer Gruppe um Karlheinz Brandenburg am Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen sowie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg in Zusammenarbeit mit AT&T Bell Labs und Thomson. Ab 1989 wurde die Entwicklung innerhalb der ISO/IEC JTC1 SC29 WG11 (MPEG) fortgeführt. Die erste Vorstellung der Standardisierung fand im Jahr 1991 statt. Ein Jahr später wurde es als Teil des MPEG-1-Standards festgeschrieben. Die Geschichte der Standardisierung und die Würdigung der Beiträge der Forscher ist in Genesis of the MP3 Audio Coding Standard by Hans Georg Musmann in IEEE Transactions on Consumer Electronics, Vol. 52, Nr. 3, S. 1043–1049, August 2006 dargestellt. Das italienische Forschungszentrum CSELT unter Leonardo Chiariglione war das Organ, das die Standardisierung erlaubte. Die Dateinamenserweiterung .mp3 (als Abkürzung für ISO MPEG Audio Layer 3) wurde am 14. Juli 1995 nach einer institutsinternen Umfrage festgelegt; vorher wurde intern die Dateinamenserweiterung .bit verwendet. Brandenburg wurde für die Entwicklung des Formates mehrfach ausgezeichnet.
Bereits Mitte der 1990er-Jahre waren Abspielgeräte und Software für PCs im Umlauf, die es ermöglichten, komprimierte MP3-Dateien zu speichern und abzuspielen. Auch der Austausch solcher Dateien über eine Internetverbindung vereinfachte sich: Selbst bei einfacher ISDN-Geschwindigkeit benötigte man für die Übertragung lediglich das Zwei- bis Dreifache der Abspielzeit; mit DSL-Leitungen lag die Übertragung sogar weit unterhalb der Spieldauer. Das führte bald zu einem regen Tausch der Audiodateien (Filesharing) ohne Beachtung des Urheberrechts der jeweiligen Künstler oder Komponisten. Versuche der Musikindustrie, dagegen vorzugehen, sind bis heute von nur mäßigem Erfolg geprägt, zumal sich auch die Tauschsysteme immer weiterentwickeln und nach dem Peer-to-Peer-Prinzip ohne zentrale, kontrollierbare Instanzen auskommen. Ende der 1990er entstanden bereits große Ansammlungen von Musikdateien im Internet, wie zum Beispiel bei MP3.com oder Napster, was die Anzahl der Nutzer erheblich steigen ließ. Ab 1998 erschienen im Handel die ersten tragbaren MP3-Player.
Patente und Lizenzstreitigkeiten
Die Verfahren für die MPEG-Kodierung („MP3“) sind heute patentfrei und können daher frei genutzt werden. Der ursprüngliche, fast fertige Standard MPEG-1 (Teile 1, 2 und 3) wurde am 6. Dezember 1991 als ISO CD 11172 veröffentlicht. In den meisten Ländern können Patente nicht mehr angemeldet werden, wenn der „Stand der Technik“ bereits veröffentlicht wurde. Patente verlieren 20 Jahre nach der Erstanmeldung ihre Gültigkeit; in manchen Ländern kann diese Frist noch um bis zu 12 Monate verlängert werden, je nach Anmeldedatum. Im Ergebnis haben die zur Umsetzung der MP3-Technik benötigten Patente in den meisten Ländern im Dezember 2012 ihre Gültigkeit verloren, 21 Jahre nach der Veröffentlichung des Standards ISO CD 11172.
Eine Ausnahme stellten die Vereinigten Staaten dar, wo vor dem 8. Juni 1995 angemeldete Patente bereits nach 17 Jahren ihre Gültigkeit verloren. Es war jedoch möglich, durch die Verlängerung der Anmeldefrist das Datum der Erteilung eines Patents deutlich hinauszuzögern. Die verschiedenen mit MP3 zusammenhängenden Patente verloren zwischen 2007 und 2017 in den USA ihre Gültigkeit. Die MP3-Technologie war in den USA allerspätestens am 16. April 2017 patentfrei, als das von der Fraunhofer-Gesellschaft gehaltene (und via Technicolor verwaltete) US-Patent Nr. 6009399 erlosch.
Konsequenterweise stellte die Fraunhofer-Gesellschaft am 23. April 2017 ihr Lizenzprogramm ein. Die von Sisvel, einem großen MP3-Patentpool, verwalteten und beanspruchten US-Patente waren bis April 2017 ebenfalls erloschen (die letzten drei nach 2015 noch gültigen Patente waren: US-Patent Nr. 5878080, im Februar 2017 erloschen, US-Patent Nr. 5850456, im Februar 2017 erloschen, und US-Patent Nr. 5960037, am 9. April 2017 erloschen).
Im Mai 2017 kündigte die Linux-Distribution Fedora an, MP3-Decoder und -Encoder offiziell in die Distribution aufzunehmen, da die entsprechenden Patente erloschen seien.
Die Fraunhofer-Gesellschaft und einige Unternehmen besaßen bis 2017 Softwarepatente auf Teilverfahren, die für MPEG-Kodierung eingesetzt werden. Ein alles umfassendes MP3-Patent gab es nicht. Die Fraunhofer-Gesellschaft hatte den größten Teil zur Entwicklung des MP3-Standards beigetragen und sich einige Verfahren zur MP3-Kodierung patentieren lassen. In einem Zusammenschluss mit Thomson besaßen beide Unternehmen 18 MP3-bezogene Patente. Von September 1998, nachdem sich der MP3-Standard sechs Jahre lang etablieren konnte, bis April 2017 verlangte FhG/Thomson Lizenzgebühren für die Herstellung von Hard- und Software, die das MP3-Format verwendeten.
Bei der Entwicklung des Formats sollte ursprünglich auf Patente der Bell Laboratories zurückgegriffen worden sein. Diese Rechte lagen damals bei Alcatel-Lucent, welche die Bell Labs übernommen hatten. Das Unternehmen hatte um die Jahrtausendwende Patentklagen gegen Microsoft, Dell und Gateway eingereicht. Im Verfahren gegen Microsoft wurden Lucent im Februar 2007 erstinstanzlich 1,52 Milliarden US-Dollar zugesprochen. Dieses Urteil wurde allerdings im August 2007 vom Bundesbezirksgericht in San Diego aufgehoben. Das Unternehmen Sisvel erhob im Auftrag von Philips ebenfalls Ansprüche aus Patentverletzung.
Verfahren
Wie die meisten verlustbehafteten Kompressionsformate für Musik nutzt das MP3-Verfahren psychoakustische Effekte der menschlichen Wahrnehmung von Tönen und Geräuschen aus. Zum Beispiel kann der Mensch zwei Töne erst ab einem gewissen Mindestunterschied der Tonhöhe voneinander unterscheiden, vor und nach sehr lauten Geräuschen kann er für kurze Zeit leisere Geräusche schlechter oder gar nicht wahrnehmen. Man braucht also nicht das Ursprungssignal exakt abzuspeichern, sondern es genügen die Signalanteile, die das menschliche Gehör auch wahrnehmen kann. Die Aufgabe des Kodierers ist es, das originale Tonsignal nach festgelegten, an der Psychoakustik orientierten Regeln so aufzubereiten, dass es weniger Speicherplatz benötigt, aber für das menschliche Gehör noch genauso klingt wie das Original. Bei subjektiver völliger Übereinstimmung von Original und MP3-Variante spricht man von Transparenz. Prinzipiell jedoch ist aufgrund der verlustbehafteten Kompression das ursprünglichen Signal aus dem MP3-Signal nicht exakt rekonstruierbar. Es gibt auch verlustlose Verfahren zur Audiodatenkompression wie FLAC, diese erreichen jedoch wesentlich geringere Kompressionsraten und sind – besonders im Bereich der Abspielhardware – noch weniger verbreitet.
Beim Abspielen des so erzeugten MP3-Signals erzeugt der Dekoder aus den reduzierten Daten ein für die überwiegende Anzahl von Hörern original klingendes analoges Tonsignal, das aber nicht mit dem Ursprungssignal identisch ist, da bei der Umwandlung in das MP3-Format Informationen entfernt wurden. Wenn man den zeitlichen Signalverlauf des MP3-Tonsignals mit dem Original vergleichen würde, etwa auf dem Schirm eines Oszilloskops, wären daher deutliche Unterschiede zu erkennen. Wegen der oben erwähnten Psychoakustik der menschlichen Wahrnehmung hört sich das MP3-Signal für einen Zuhörer dennoch – unter der Voraussetzung eines ausgereiften Kodierers und einer ausreichend hohen Datenrate (Bitrate) bei der Kodierung – genau wie das Original an.
Während die Dekodierung stets einem festgelegten Algorithmus folgt, kann die Kodierung nach verschiedenen Algorithmen erfolgen (z. B. Fraunhofer-Encoder, LAME-Encoder) und liefert dementsprechend unterschiedliche akustische Ergebnisse. Die Frage, ob dabei von manchen oder auch vielen Zuhörern wahrnehmbare Qualitätsverluste auftreten, hängt unter anderem von der Qualität des Kodierers, von der Komplexität des Signals, von der Datenrate, von der verwendeten Audiotechnik (Verstärker, Lautsprecher) und schließlich auch vom Gehör des Hörers ab. Das MP3-Format erlaubt, neben festen Datenraten von 8 kbit/s bis zu 320 kbit/s, im freeformat-Modus auch beliebige freie Datenraten bis zu 640 kbit/s (Freeform-MP3). Allerdings sind nur wenige MP3-Player-Decoder für höhere Bitraten als die aus dem ISO-Standard (derzeit bis 320 kbit/s) ausgelegt.
Die Qualitätseindrücke sind recht subjektiv und von Mensch zu Mensch sowie von Gehör zu Gehör unterschiedlich. Die meisten Menschen können ab einer höheren Bitrate und bei Nutzung eines ausgereiften Enkodierers auch bei konzentriertem Zuhören das kodierte Material nicht mehr vom Ausgangsmaterial unterscheiden. Dennoch konnten in einem Hörtest des c’t-Magazins gewisse Musikstücke, selbst bei 256 kBit/s, von CD-Qualität unterschieden werden. Allerdings wurde der Test im Jahr 2000 durchgeführt – seitdem haben sich die MP3-Encoder deutlich verbessert. Bei Menschen mit „abnormem“ Gehör (z. B. mit Hörschäden durch Knalltrauma) greifen die eingesetzten Mechanismen aber mitunter nicht wie vorgesehen, so dass ihnen Unterschiede zwischen kodiertem und Ausgangsmaterial eher auffallen (z. B. weil laute Töne, die das geschädigte Gehör schlecht hört, andere Töne nicht mehr gut verdecken können). Die Testperson, die im eben genannten Test auch bei hohen Datenraten am besten Unterschiede ausmachen konnte, hat ein geschädigtes Gehör.
Neben der Kodierung mit konstanter Datenrate (= schwankende Qualität, einhergehend mit der im zeitlichen Verlauf wechselnden Komplexität des Tonsignals) ist auch eine Kodierung mit konstanter Qualität (und damit schwankender Datenrate) möglich. Man vermeidet dadurch (weitgehend) Qualitätseinbrüche an schwierig zu kodierenden Musikstellen, spart jedoch andererseits bei ruhigen oder gar völlig stillen Passagen des Audiostromes an der Datenrate und somit an der endgültigen Dateigröße. Die Qualitätsstufe wird vorgegeben, und man erhält auf diese Art die dafür minimal notwendige Dateigröße.
Datenkompression
Ein erster Schritt der Datenkompression beruht zum Beispiel auf der Kanalkopplung des Stereosignals durch Differenzbildung, da die Daten des rechten und des linken Kanals in hohem Maße korrelieren, sich also sehr ähnlich sind. Das ist ein verlustloses Verfahren, die Ausgangssignale können vollständig reproduziert werden (Mid/Side-Stereo).
Entsprechend der menschlichen Hörkurve werden Signalanteile in weniger präzise wahrnehmbaren Frequenzbereichen mit weniger Präzision dargestellt, indem das fouriertransformierte Datenmaterial entsprechend quantisiert wird.
Sogenannte Maskierungseffekte werden ausgenutzt, um für den Höreindruck minderwichtige Signalanteile mit verringerter Präzision zu speichern. Das können etwa schwache Frequenzanteile in der Nähe von starken Obertönen sein. Ein starker Ton bei 4 kHz kann aber auch Frequenzen bis zu 11 kHz maskieren. Die größte Ersparnis bei der MP3-Enkodierung liegt daher darin, dass die Töne nur gerade so genau (mit so vielen Bits) abgespeichert werden, dass das dadurch entstehende Quantisierungsrauschen noch maskiert wird und somit nicht hörbar ist.
Die Daten, die in sogenannten Frames vorliegen, werden schließlich Huffman-kodiert.
Bei starker Kompression werden öfter auch durchaus hörbare Signalanteile von der Kompression erfasst, sie sind dann als Kompressionsartefakte hörbar.
Ein Mangel im Entwurf ist, dass das Verfahren blockweise angewandt wird und so am Ende einer Datei Lücken entstehen können. Das stört beispielsweise bei Hörbüchern oder Live-Aufnahmen, in denen ein zusammenhängender Vortrag in einzelne Tracks zerlegt wurde. Hier fallen die letzten Blöcke als störende Pausen (wahrnehmbar etwa als Knackser oder ein kurzes Drop-out) auf. Abhilfe schafft die Verwendung des LAME-Encoders, der exakte Längeninformationen hinzufügt, in Kombination mit einem Abspielprogramm, das mit diesen umgehen kann, etwa foobar2000 oder Winamp. Einige Abspielprogramme wie Windows Media Player unterstützen dieses Gapless Playback genannte Verfahren jedoch nicht. Apple iTunes unterstützt es ab Version 7.
Kompression im Detail
Die Kompression besteht aus folgenden Schritten:
Subband-Transformation des Signals
MDCT-Transformation des Signals, danach(!) wird das Signal in Blöcke eingeteilt.
Bei Stereosignalen: Matrizierung: Entscheidung für jeden Block, ob Signal als Links-Rechts- oder als Mitte-Seite-Signal kodiert wird
Quantisierung des Signals
Huffman-Kodierung mit festen Codebüchern
Die Schritte 4 und 5 sorgen für die Datenreduktion, wobei die Quantisierung der verlustbehaftete Vorgang ist.
Hinweis: Im weiteren Text beziehen sich angegebenen Spektralbreiten und Zeiten auf ein Audiosignal mit 48 kHz Abtastfrequenz.
Subband-Transformation des Signals
Bei der Subband-Transformation wird das Signal mithilfe einer polyphasen Filterbank in 32 gleich breite Frequenzbänder zerlegt (wie auch bei MPEG Layer 1, MPEG Layer 2 und dts). Die Filterbank arbeitet auf einem FIFO-Puffer mit einer Größe von 512 Samples, dem in einem Schritt immer 32 neue Samples zugeführt werden. Dadurch überlappen sich immer 16 Filterfenster auf dem Audiosignal.
Die Entscheidung, gleich breite Frequenzbänder zu verwenden, vereinfacht zwar die Filter, spiegelt jedoch nicht das menschliche Hörvermögen wider, dessen Empfindlichkeit nicht-linear von der Frequenz abhängt.
Da in der Praxis keine idealen Filter existieren, überlappen sich die Frequenzbereiche, sodass eine einzige Frequenz nach der Filterung auch in zwei benachbarten Subbändern auftreten kann.
Subbandfilterung ist belastet durch das Patent US 6,199,039.
MDCT-Transformation des Signals
Die Signale der Subbänder werden nun durch die modifizierte diskrete Kosinustransformation (MDCT) in den Frequenzbereich überführt. Dadurch werden die Frequenzbänder weiter spektral aufgelöst. Die MDCT kann die Bänder entweder in kurzen Blöcken (12 Samples ergibt 6 Frequenzbänder) oder langen Blöcken (36 Samples, 18 Frequenzbänder) transformieren. Alternativ können auch die beiden niedrigsten Frequenzbänder mit langen Blöcken und die restlichen mit kurzen Blöcken transformiert werden. Lange Blöcke besitzen eine bessere Frequenzauflösung und sind geeigneter, wenn sich das Audiosignal im entsprechenden Rahmen nicht plötzlich ändert (Stationarität).
Am Ausgang der MDCT wird das Signal in Blöcke eingeteilt. Aus 576 Eingangswerten (wenn man die Fensterbreite der Filter berücksichtigt, sind es eigentlich insgesamt 1663 Eingangswerte) werden durch zwei hintereinandergeschaltete Transformationen entweder
576 Spektralkoeffizienten (lange Blöcke),
3 × 192 Spektralkoeffizienten (kurze Blöcke) oder
36 + 3 × 180 Spektralkoeffizienten (hybrider Block, kaum genutzt)
Matrizierung
Für 2-Kanal-Stereosignale kann nun entschieden werden, ob das Signal entweder als Mono (Single-Channel), Stereo, Joint-Stereo oder Dual-Channel kodiert werden soll. Im Gegensatz zu AAC oder Ogg Vorbis ist diese Entscheidung global für alle Frequenzen zu treffen.
Das Stereo-Verfahren (nicht Joint-Stereo) ist (wie auch Dual-Channel) durch den Umstand verlustbehaftet, dass auch bei 320 kbit/s nur 160 kbit/s pro Kanal zur Verfügung stehen, jedoch werden je nach Komplexität wahlweise einem der beiden Kanäle unterschiedliche Bitraten zugewiesen. Dual-Channel speichert zwei unabhängige Monospuren (z. B. zweisprachige Textspuren) mit der gleichen Bitratencodierung; jedoch nicht zwingend jeder Decoder gibt beide Spuren auch gleichzeitig wieder.
Beim Joint-Stereo gibt es zwei Kodierverfahren: Intensitäts- und Mid/Side-Stereo, die auch kombiniert angewandt werden; beide Verfahren bilden aus der Summe beider Kanäle einen Mittenkanal (L+R) und aus der Lautstärkedifferenz der beiden Kanäle den Seitenkanal (L−R). Beim Intensitäts-Stereo wird im Gegensatz zum Mid-/Side-Stereoverfahren die Phase (Laufzeitunterschied) des Signals vernachlässigt. Das Joint-Stereoverfahren eliminiert die häufige Redundanz in den Stereokanälen, um die Signale mit höherer Bitrate als beim Stereo-Verfahren kodieren zu können; sind die Kanalsignale aber sehr unähnlich, fällt das Joint-Stereoverfahren auf die normale Stereo-Kodierung zurück.
Da das Tonsignal zunächst in Frequenzbänder ausdifferenziert wird, muss die Stereoinformation, sofern diese überhaupt vom Gehör verwertbar ist, auch ebenso differenziert kodiert werden. Hier kann, z. B. bei Tiefen oder Frequenzen ab 2 kHz, Informationsgehalt eingespart werden, dadurch, dass die betreffenden nicht lokalisierbaren Signale nicht mehr kanalgetreu, sondern mit benachbarten Frequenzbändern subsumiert kodiert (Intensitäts-Stereo), oder aber in die Stereomitte gelegt werden.
Durch andauernde Weiterentwicklung der Codecs wird das Joint-Stereo-Verfahren neuerdings bei musiküblichen stark ähnlichen Stereokanälen durch die bessere Kompressionsrate, höhere Bitratencodierung und das verlustfreie (außer tieffrequenziell) Stereoabbild als beste Lösung angesehen.
Quantisierung
Die Quantisierung ist der wesentliche Schritt, bei dem Verluste bei der Kodierung auftreten. Er ist hauptsächlich für das Schrumpfen der Datenmenge verantwortlich.
Benachbarte Frequenzbänder werden zu Gruppen von 4 bis 18 Bins zusammengefasst. Diese bekommen einen gemeinsamen Skalenfaktor s=2N/4, mit dem sie quantisiert werden. Der Skalenfaktor bestimmt die Genauigkeit der Kodierung dieses Frequenzbandes. Kleinere Skalenfaktoren ergeben eine genauere Kodierung, größere eine ungenauere (oder gar keine Werte ungleich 0 mehr).
Aus x0, x1, …, x17 werden die Werte N und Q0, Q1, …, Q17 mit der Beziehung xi ~ Qi4/3 2N/4.
Die nichtlineare Kodierung Q4/3 (für negative Werte: −(−Q)4/3) ist erstmals in der MP3-Codierung eingeführt worden. MPEG Layer 1 und 2 nutzen eine lineare Kodierung.
Dieser Schritt ist im Wesentlichen für Qualität wie auch die Datenrate des entstehenden MP3-Datenstroms verantwortlich. Ihm zur Seite steht ein psychoakustisches Modell, das die Vorgänge im durchschnittlichen menschlichen Gehör nachzubilden versucht und die Steuerung der Skalenfaktoren steuert.
Huffman-Kodierung
Die Skalenfaktoren N und die quantisierten Amplituden Q der einzelnen Frequenzen werden mittels fester Code-Tabellen Huffman-kodiert.
Die finale MP3-Datei besteht aus einer Aneinanderreihung von Frames, die mit einer Startmarke (Sync) beginnen und die einen oder zwei auf die oben beschriebene Art erzeugte Blöcke enthalten.
Dekompression
Bei der Dekompression werden die Schritte der Kompression in umgekehrter Reihenfolge ausgeführt. Nach der Huffman-Dekodierung werden die Daten mittels inverser Quantisierung für die inverse modifizierte Cosinustransformation (IMCT) aufbereitet. Diese leitet ihre Daten weiter zu einer inversen Filterbank, die nun die ursprünglichen Samples berechnet (verlustbehaftet durch die Quantisierung im Kodierprozess).
Weiterentwicklung
MP3 ist ein besonders im Internet sehr verbreitetes Format. In der Industrie wird es hauptsächlich für PC-Spiele verwendet. Es handelt sich um ein ehemalig proprietäres Format, das in den ISO-Standard aufgenommen wurde.
In der Industrie wurde zu dieser Zeit schon an dem MDCT-basierten AAC gearbeitet, das bei vergleichbarem Aufwand bessere Ergebnisse liefert.
Daneben (in Richtung einer hochqualitativen Kodierung) gibt es auch Weiterentwicklungen, um bei sehr niedrigen Datenraten (weniger als 96 kbit/s) noch eine akzeptable Klangqualität zu erreichen. Vertreter dieser Kategorie sind mp3PRO sowie MPEG-4 AAC HE beziehungsweise AAC+. Transparenz ist mit diesen Verfahren allerdings nur durch High Definition-(HD-)AAC erreichbar (AAC LC + SLS).
Eine Erweiterung um Multikanalfähigkeiten bietet das MP3-Surround-Format des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen IIS. MP3-Surround erlaubt die Wiedergabe von 5.1-Ton bei Bitraten, die mit denen von Stereoton vergleichbar sind und ist zudem vollständig rückwärtskompatibel. So können herkömmliche MP3-Decoder das Signal in Stereo decodieren, MP3-Surround-Decoder aber vollen 5.1-Surround-Klang erzeugen.
Dafür wird das Multikanal-Material zu einem Stereosignal gemischt und von einem regulären MP3-Encoder kodiert. Gleichzeitig werden die Raumklanginformationen aus dem Original als Surround-Erweiterungsdaten in das „Ancillary-Data“-Datenfeld des MP3-Bitstroms eingefügt. Die MP3-Daten können dann von jedem MP3-Decoder als Stereosignal wiedergegeben werden. Der MP3-Surround-Decoder nutzt die eingefügten Erweiterungsdaten und gibt das volle Multikanal-Audiosignal wieder.
Weitere Entwicklungen betreffen Verfahren zum Urheberschutz, das unter Umständen in zukünftigen Versionen implementiert werden könnte.
Anwendung
Audio-Rohmaterial benötigt viel Speicherplatz (1 Minute Stereo in CD-Qualität etwa 10 MB) und zum Transfer (beispielsweise über das Internet) hohe Datenübertragungsraten oder viel Zeit. Die verlustlose Kompression reduziert die zu übertragenden Datenmengen nicht so stark wie verlustbehaftete Verfahren, die für die meisten Fälle (Ausnahmen sind beispielsweise Studioanwendungen oder Archivierung) noch annehmbare Qualität liefern. So erlangte das MP3-Format für Audio-Daten schnell den Status, den die JPEG-Komprimierung für Bilddaten hat.
MP3 wurde in der breiten Öffentlichkeit vor allem durch Musiktauschbörsen bekannt. In der Warez-Szene wird bei vielen DVD-Rips als Tonspur das Audioformat MP3 verwendet. Mit CD-Ripper-Programmen ist es möglich, die Musik von Audio-CDs zu extrahieren und in MP3-Dateien auszugeben. Auch gibt es viele Programme, die es ermöglichen, MP3 durch eine Konvertierung in ein anderes Format zu verwandeln, aber auch umgekehrt (Beispiel: Audiospur eines YouTube-Videos (FLV) wird in eine MP3-Datei umgewandelt). Ein weiterer Anwendungsschwerpunkt waren MP3-Player, mit denen man auch unterwegs Musik hören kann. Heutzutage unterstützen auch die meisten Smartphones MP3-Dateien.
Im WWW finden sich zahlreiche Anwendungen für MP3-Technik, von selbstkomponierter Musik über (selbst)gesprochene Hörbücher, Hörspiele, Vogelstimmen und andere Klänge bis hin zum Podcasting. Musiker können nun auch ohne einen Vertrieb ihre Musik weltweit verbreiten und Klangaufnahmen ohne großen Aufwand (abgesehen von den GEMA-Gebühren, auch auf eigene Kompositionen, die bei der GEMA angemeldet sind) auf einer Website zur Verfügung stellen. Nutzer können über Suchmaschinen alle erdenklichen (nicht kommerziellen) Klänge und Musikrichtungen finden.
Auch bei multimedialer Software, vor allem bei PC-Spielen, werden die oft zahlreichen Audiodateien im MP3-Format hinterlegt. Zudem findet MP3 bei zahlreichen – meist kleineren – Online-Musikläden Anwendung.
Tagging
Im Gegensatz zu moderneren Codecs boten MP3-Dateien ursprünglich keine Möglichkeit, Metadaten (beispielsweise Titel, Interpret, Album, Jahr, Genre) zu dem enthaltenen Musikstück zu speichern.
Unabhängig vom Entwickler des Formats wurde dafür eine Lösung gefunden, die von fast allen Soft- und Hardwareplayern unterstützt wird: Die ID3-Tags werden einfach an den Anfang oder das Ende der MP3-Datei gehängt. In der ersten Version (ID3v1) werden sie am Ende angehängt und sind auf 30 Zeichen pro Eintrag und wenige Standard-Einträge beschränkt. Die wesentlich flexiblere Version 2 (ID3v2) wird allerdings nicht von allen MP3-Playern (insbesondere Hardware-Playern) unterstützt, da hier die Tags am Anfang der MP3-Datei eingefügt werden. Auch innerhalb von ID3v2 gibt es noch beträchtliche Unterschiede. Am weitesten verbreitet sind ID3v2.3 und ID3v2.4, wobei erst ID3v2.4 offiziell die Verwendung von UTF-8-kodierten Zeichen zulässt (vorher waren nur ISO-8859-1 und UTF-16 zulässig). Viele Hardwareplayer zeigen aber UTF-8-Tags nur als wirre Zeichen an. Da ID3v2-Tags am Anfang der Datei stehen, lassen sich diese Daten beispielsweise auch bei der Übertragung über HTTP lesen, ohne erst die ganze Datei zu lesen oder mehrere Teile der Datei anzufordern. Um zu vermeiden, dass bei Änderungen die ganze Datei neu geschrieben werden muss, verwendet man üblicherweise Padding, das heißt, man reserviert im Vorfeld Platz für diese Änderungen.
Die Metadaten aus dem ID3-Tag können beispielsweise genutzt werden, um Informationen zum gerade abgespielten Stück anzuzeigen, die Titel in Wiedergabelisten (Playlists) zu sortieren oder Archive zu organisieren.
Spezifikation
Frame-Header
Tabelle Bitraten (Angaben in kbps)
Tabelle Samplingfrequenz (Angaben in Hz)
Tabelle Mode-Extension
Frame-Daten
Auf den Frame-Header folgen die Frame-Daten (gegebenenfalls zunächst CRC), in denen die kodierten Audio-Daten enthalten sind. Ein Frame hat eine Spieldauer von 1152 Samples bei einer Samplerate von 32.000 bis 48.000 Samples je Sekunde; bei kleineren Sampleraten (16.000 bis 24.000 Samples je Sekunde) sind es nur 576. Bei 48.000 Samples je Sekunde entsprechen dem 24 ms. Die Datenmenge eines Frames kann gemäß den angegebenen Eigenschaften im Header errechnet werden. Die Größe eines Frames in Byte lässt sich dann mit der folgenden Formel berechnen, wobei die Division als Ganzzahldivision durchzuführen ist:
Framegröße = (144 · Bitrate) : Samplerate + Padding [bytes]
Wenn bei komplexen Musikstücken die Menge an Daten nicht in einem Frame gespeichert werden können, bietet MP3 ein sogenanntes bit reservoir. Dieser Speicherbereich ist als zusätzlicher Platz für die Datei bestimmt und erweitert die Daten im entsprechenden Frame. Hierzu kodiert der Encoder vorangegangene Musikpassagen mit geringerer Datenrate und füllt somit frühere Frames nicht vollständig aus, das bit reservoir entsteht. Dieser geschaffene freie Speicherplatz kann nun für die höhere Datenmenge komplexerer Musikpassagen genutzt werden. Die maximale Größe dieses Datenreservoirs beträgt 511 Byte, wobei ausschließlich vorangegangene Frames aufgefüllt werden dürfen.
Verbreitete Implementierungen
Zum Codieren von MP3-Dateien stehen der lizenzpflichtige Encoder der Fraunhofer-Gesellschaft und der Encoder des Open-Source-Projektes LAME zur Verfügung. Daneben existieren der Referenzencoder der ISO dist10 und weitere Projekte wie beispielsweise Xing, blade und Gogo.
Als Decoder gibt es mpg123, MAD, libavcodec und weitere.
Alternative Formate
Neben MP3 existieren zahlreiche weitere Audioformate. Das Format Vorbis ist quelloffen und wurde von den Entwicklern als patentfrei bezeichnet. (Vorbis erschien 15 Jahre vor Ablauf der MP3-Patente.) Vorbis hat sich bei technischen Analysen und in Blindtests gegenüber MP3 vor allem in niedrigen und mittleren Bitratenbereichen als überlegen erwiesen. Der qualitative Vorteil von Vorbis ist im hohen Bitraten-Bereich (um 256 kbit/s) nur noch geringfügig wahrnehmbar. Außerdem bietet Ogg-Vorbis Mehrkanal-Unterstützung, und Ogg kann als Containerformat auch Video- und Textdaten aufnehmen. Letzteres wird aber nur von sehr wenigen MP3-Playern und Radios unterstützt.
Advanced Audio Coding (AAC) ist ein im Rahmen von MPEG-2 und MPEG-4 standardisiertes Verfahren, das von mehreren großen Unternehmen entwickelt wurde. Apple und RealMedia setzen dieses Format für ihre Online-Musikläden ein, und die Nero AG stellt einen Encoder für das Format bereit. Mit faac ist auch ein freier Encoder erhältlich. AAC ist bei niedrigen Bitraten bis etwa 160 kbit/s MP3 in der Klangqualität überlegen – je niedriger die Bitrate, desto deutlicher –, erlaubt Mehrkanal-Ton und wird von der Industrie (zum Beispiel bei Mobiltelefonen und MP3-Playern) breit unterstützt.
Windows Media Audio (WMA) ist ein von Microsoft entwickeltes Audioformat und wird häufig für DRM-geschützte Downloads verwendet. Obwohl es auf vielen üblichen Plattformen abgespielt werden kann, hat es sich nicht gegen das MP3-Format behaupten können.
Das freie, auf MP2-Algorithmen basierende Musepack (früher MPEGPlus) wurde entwickelt, um bei Bitraten über 160 kbit/s noch bessere Qualität als das MP3-Format zu ermöglichen. Es konnte sich aber nicht breit durchsetzen, da es eher auf die Anwendung durch Enthusiasten im High-End-Bereich abzielt und im kommerziellen Bereich kaum unterstützt wird. Dateien im Musepack-Format erkennt man an der Erweiterung mpc oder mp+.
RealAudio von RealMedia wurde vorwiegend für Audio-Datenströme (Streaming Audio) eingesetzt.
Wissenswertes
Das Team um Brandenburg machte die ersten Praxistests mit der A-cappella-Version des Liedes Tom’s Diner von Suzanne Vega. Bei seiner Suche nach geeignetem Testmaterial las Brandenburg in einer Hi-Fi-Zeitschrift, dass deren Tester das Lied zum Beurteilen von Lautsprechern nutzten, und empfand das Stück als geeignete Herausforderung für eine Audiodatenkompression.
Literatur
Franz Miller: Die mp3-Story: Eine deutsche Erfolgsgeschichte. Carl Hanser Verlag, ISBN 978-3-446-44471-3.
Roland Enders: Das Homerecording Handbuch. Der Weg zu optimalen Aufnahmen. 3., überarbeitete Auflage, überarbeitet von Andreas Schulz. Carstensen, München 2003, ISBN 3-910098-25-8.
Thomas Görne: Tontechnik. Fachbuchverlag Leipzig im Carl Hanser Verlag, München u. a. 2006, ISBN 3-446-40198-9.
Hubert Henle: Das Tonstudio Handbuch. Praktische Einführung in die professionelle Aufnahmetechnik. 5., komplett überarbeitete Auflage. Carstensen, München 2001, ISBN 3-910098-19-3.
Michael Dickreiter, Volker Dittel, Wolfgang Hoeg, Martin Wöhr: Handbuch der Tonstudiotechnik. 9. Auflage. De Gruyter, Berlin / Boston 2023, ISBN 978-3-11-075970-9.
Weblinks
MP3 auf dem Prüfstand
Audio-Interview mit Dr. Karlheinz Brandenburg über die Entstehungsgeschichte und Hintergründe von MP3 vom 16. März 2004 (48 Minuten)
Kurzinterview mit Hans-Georg Musmann zur Entwicklung von MP3 im Rahmen des Experimentes der Woche
Die Geschichte von MP3 – Erinnerungen von Ernst F. Schröder, einem der MP3-Entwickler
Podcast „Grünes Glück“: Suzanne Vega über ihre Rolle als „Mutter von mp3“
Die MP3-Revolution begann in Deutschland. Welt Online.
Einzelnachweise
Audiokompression
Audiosignalformat
Abkürzung
|
Q42591
| 423.867469 |
90081
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Plantage
|
Plantage
|
Eine Plantage () ist ein forst- oder landwirtschaftliches Großunternehmen, das sich auf die Erzeugung eines Agrarproduktes (Monokultur) für den Weltmarkt spezialisiert hat.
Allgemeines
Typisch für Plantagen ist eine deutlich überdurchschnittliche Betriebsgröße; mitunter gehören auch Wälder, Schwemmflächen oder andere nicht landwirtschaftlich genutzte Flächen dazu. Auf Plantagen werden mit hohem Personal- und Kapitaleinsatz Cash Crops in Monokulturen für den Export gezüchtet und angebaut, zum Beispiel Zuckerrohr, Sisal, Palmöl oder Kaffee. Oft verfügen Plantagen auch über die entsprechenden Aufbereitungs- und Veredelungsanlagen. Vor allem in den Tropen ist die Plantagenwirtschaft verbreitet.
Der Eigentümer einer Plantage wird als Pflanzer bezeichnet. Zwar lassen sich die meisten tropischen Agrarerzeugnisse wirtschaftlich effizienter in Familienbetrieben produzieren, was damit zusammenhängt, dass Großbetriebe höhere Kosten für den Transport und die Überwachung der Arbeiter veranschlagen müssen. Dennoch dominieren in der außereuropäischen Agrargeschichte Plantagen als Betriebsform, was darauf zurückzuführen ist, dass bei der Kolonialisierung kleinbäuerlichen Betrieben der indigenen Bevölkerung der Zugang zu Land, Wasser, Kapital und Fachwissen erschwert und gleichzeitig Strukturen eingerichtet wurden, die Zwangsarbeit begünstigten, beispielsweise Kopf- oder Hüttensteuern.
Geschichte
Das Wort Plantage (wörtlich „das Einpflanzen von Stecklingen“, ) wurde im 17. Jahrhundert aus dem Französischen in das Niederländische und Deutsche entlehnt, ist aber heute ein falscher Freund. Dem Begriff Plantage als Großpflanzung entspricht im heutigen Französischen wie auch im Englischen plantation (wörtlich „Anpflanzung von Stecklingen“).
Seit dem 7. Jahrhundert hatte sich eine erste hochspezialisierte Plantagenwirtschaft zur Erzeugung von Luxusfrüchten in Mesopotamien in den Sumpfgebieten des Euphrat entwickelt, und zwar unter Einsatz von afrikanischen Sklaven, den Zandsch, die zunächst die Sümpfe trockenzulegen hatten. Die über den Fernhandel erwirtschafteten Erträge für Zucker, Baumwolle, Datteln und Gewürznelken trugen zur Blüte der islamischen Metropolen in Asien und Ägypten bei. Zum Beispiel wurde der im christlichen Europa als Luxusgut verbrauchte Zucker im Mittelalter aus der arabischen Welt eingeführt.
Die Arbeitskräfte auf den Plantagen waren bis in das 19. Jahrhundert oft Sklaven – so auf den Zuckerrohrplantagen der Karibik und Lateinamerikas und später auf den Baumwoll- und Tabakplantagen der amerikanischen Südstaaten –, die aus Afrika importiert worden waren, da die einheimische indianische Bevölkerung durch das spanische System des „Repartimiento“ fast vollständig dezimiert wurde. Die Nachkömmlinge dieser (befreiten) Sklaven stellen heute einen Großteil der Bevölkerung dieser Regionen dar.
Nach der Sklavenbefreiung wurden aus den ehemaligen Sklaven meist Billiglohnarbeiter, die Arbeitsbedingungen blieben im Wesentlichen unverändert. In den Kautschukplantagen Malaysias und den Teeplantagen Sri Lankas setzte man häufig billige Arbeitskräfte aus Indien oder China ein.
Mit der Entstehung der europäischen Kolonialreiche entstanden ab 1860 in Afrika und Asien ausgedehnte neue Plantagen: Zucker in Natal (Südafrika), Tabak auf Sumatra, Kautschuk in Malaya und Cochinchina (Südvietnam), aber auch Tee auf Ceylon. Eigentümer der Plantagen waren oft Ausländer, nicht selten auch Kapitalgesellschaften, die den Betrieb durch einen Verwalter leiten ließen. Die Eigentümer bzw. ihre leitenden Angestellten zählten zur obersten Gesellschaftsschicht, während die Plantagenarbeiter zur untersten gehörten. Die Kolonialplantage war eine Erscheinung des globalen Kapitalismus, die fast ausschließlich in tropischen Ländern anzutreffen war. Um 1900 ist eine Welle von Gründungen solcher Plantagen in Afrika und Südostasien festzustellen.
Nach der Unabhängigkeit der ehemaligen Kolonien wurden die meisten ausländischen Eigentümer der Plantagen enteignet, und an ihre Stelle traten Einheimische oder der Staat.
Siehe auch
Pflanzer (Südstaaten)
Literatur
in der Reihenfolge des Erscheinens
Landwirtschaft
Lowell Ragatz: The fall of the planter class in the British Caribbean, 1763–1833. The Century Co., New York/ London 1928 (und mehrere Nachdrucke).
Karl H Hottes: Die Plantagenwirtschaft in der Weltwirtschaft. Innovationskraft und heutige Strukturen des Plantagensystems. Lang, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-631-44606-3.
Philip D. Curtin: The Rise and Fall of the Plantation Complex: Essays in Atlantic History. Cambridge University Press, Cambridge 1998, ISBN 0-521-62943-8.
Oliver Gliech: Saint-Domingue und die Französische Revolution. Das Ende der weißen Herrschaft in einer karibischen Plantagenwirtschaft. Böhlau, Köln 2011, ISBN 978-3-412-20679-6.
Forstwirtschaft
J. R. Aldhous, A. J. Low: The potential of Western Hemlock, Western Red Cedar, Grand Fir and Noble Fir in Britain. (= Forestry Commission bulletin. Band 49). London 1974, ISBN 0-11-710141-9.
J. E. Everard, D. F. Fourt: Monterey Pine and Bishop Pine as plantation trees in southern Britain. In: Quarterly Journal of Forestry. Jahrgang 68, 1974, S. 111–125.
R. A. Sedjo, D. Botkin: Using forest plantations to spare natural forests. In: Environment. Jahrgang 39, 1997, Nr. 10, S. 15–20 und 30.
Peter Savill, Julian Evans, Daniel Auclair, Jan Falck: Plantation Silviculture in Europe. Oxford University Press, Oxford 1998, ISBN 0-19-854908-3.
Jonathan C. Onyekwelu: Growth Characteristics and Management Scenarios for plantation-grown Gmelina arborea and Nauclea diderrichii in south-western Nigeria. Hieronymus, München 2001, ISBN 3-89791-235-X.
Florencia Montagnini, Carl F. Jordan: Tropical Forest Ecology. The Basis for Conservation and Management. Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-23797-6.
Phil West: Growing Plantation Forests. Springer, Berlin 2006, ISBN 3-540-32478-X.
Weblinks
Einzelnachweise
Forstwirtschaft und Holzeinschlag
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Q188913
| 174.596882 |
60422
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https://de.wikipedia.org/wiki/Meritokratie
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Meritokratie
|
Meritokratie (von lateinisch meritum, „das Verdienst“, und griechisch , kratein, „herrschen“) ist eine Herrschaftsform, in der Personen aufgrund ihrer gesellschaftlich bzw. institutionell anerkannten, individuellen „Leistungen“ oder „besonderer Verdienste“ ausgewählt werden, um führende Positionen als Herrscher, sonstige Amtsträger und Vorgesetzte zu besetzen. Im Idealfall nimmt jedes Mitglied der Gesellschaft mit dem Nachweis seines „Könnens“ eine „verdiente“ Position ein.
Die Idee der Meritokratie kann auf Herrschaftsverhältnisse in Staaten sowie in politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Organisationen und Institutionen, wie bspw. das Weltwirtschaftsforum, angewendet werden. In einem abgeschwächten Sinne wird mit ihr auch eine Regierungsform bezeichnet, die Kompetenz und formelle akademische Ausbildung betont.
Der Meritokratie steht unter anderem die Idee des Egalitarismus entgegen, die Einzelnen unabhängig von Leistung, Einsatz sowie Wettbewerbsvorteilen gleichen Einfluss und gleichen Zugang zu Gütern zuspricht.
Herkunft des Begriffs
Der Begriff Meritokratie wurde erstmals 1958 von Michael Young in seiner Satire Rise of the Meritocracy (deutscher Titel: Es lebe die Ungleichheit: Auf dem Wege zur Meritokratie) verwendet. Young benutzte den Begriff, um eine zukünftige Gesellschaft zu beschreiben, in der die gesellschaftliche Position des Einzelnen durch Intelligenz (gemessen durch den Intelligenzquotienten) und Leistung bestimmt ist. In dieser Utopie von einer „Meritokratie“ entwickelt sich eine Leistungsgesellschaft mit elitärer Herrschaft, deren Führer sich über der breiten Masse stehend sehen und letztlich gewaltsam abgesetzt werden. Eine solche Gesellschaft, welche die Menschen nur nach deren Talent und Anstrengung sortiert, wird zu einer Leistungsdiktatur und zerstört sich am Ende selbst.
Der Philosoph Michael Sandel kritisiert die Auswüchse der sogenannten „Leistungsgesellschaft“ und stellt eine zunehmende Tendenz zur Meritokratie fest, die seit den 1980er Jahren vor allem in den USA zu beobachten ist. Er fordert, den gesellschaftlichen Gegensatz von elitärer „akademischer Bildung“ einerseits und „praktischen Tätigkeiten“ in der Produktion andererseits zu überwinden und mit Orientierung auf das Gemeinwohl die „Würde der Arbeit“ wirtschaftlich, kulturell und politisch zu erneuern. Nach Sandel kommt es in der Leistungsgesellschaft zur Überakademisierung und zu einem die Demokratie zersetzenden Widerspruch zwischen akademisch begründeter elitärer Bildung und produzierender, praktischer Arbeit. Nicholas Lemann konstatiert, dass die Einführung standardisierter Tests (im Wesentlichen handelt es sich um modifizierte Intelligenztests) bei der Zulassung zum Studium die sozialselektiven Effekte des US-Hochschulsystems kaum verändert hat. Von einer echten Meritokratie könne man angesichts der hohen Rate der Selbstreproduktion des sozialen Status nicht sprechen.
Bewertung der Idee
Unabhängig von der ursprünglich negativ besetzten Begriffsbildung gab es zu allen Zeiten auch Befürworter meritokratischer Systeme. Die Vorstellung, dass höhere Leistung belohnt werden soll, liegt vielen meritokratischen Argumenten zugrunde. Daneben wird behauptet, dass die Meritokratie Anreiz biete, zum Aufbau der Gesellschaft beizutragen, und somit die Gesellschaft insgesamt Nutzen ziehe.
Während in der Aristokratie die gesellschaftliche Position historisch tradiert wird, soll der Status eines Menschen in der Meritokratie ausschließlich durch das gegenwärtige, individuell messbare Verdienst legitimiert sein. Eine Privilegierung auf Grund der Herkunft wie Klasse und sozialer Schicht soll hier ebenso vermieden werden wie eine Benachteiligung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Religion, einer Ethnie oder einem Geschlecht. Die „ideale Meritokratie“ erfordert somit völlige Gleichheit der Chancen, wie Unabhängigkeit der Leistung von Beziehungen, Herkunft etc., und gesellschaftlich wirksame Anerkennung faktischer Leistungsunterschiede.
Kritiker, unter anderem Michael Young selbst, sehen eine Meritokratie als ungeeignetes Modell für eine stabile Gesellschaft. Zum einen sei ein objektives und gerechtes Maß von »Leistung« oder »Verdienst« zur Zuordnung von Individuen zu Positionen schwer aufzustellen; es bestünde sogar die Gefahr, dass die Elite das Maß derart gestaltet, dass sie sich selbst (sowie ihre Nachkommen) legitimieren. Dann würde die Gesellschaft zur Oligarchie.
Der indische Mystiker Osho (1931–1990) übernahm den Begriff Meritokratie für seine Vision vom „Neuen Menschen“. Nur die Besten in ihrem jeweiligen Fachbereich sollten demnach – von den Kollegen delegiert – in ihrem Bereich zuständig sein. Dies sollte Gültigkeit gewinnen für alle Bereiche des Zusammenlebens. Diese „Herrschaft der Besten“ solle die bisherige „Macht der Herrschenden“ überwinden. Echte Sachkenntnis geht dabei immer vor Machtpolitik elitärer Kreise.
Eine meritokratische Logik, die Bildungssysteme, gesellschaftliche Strukturen und persönliche Werthaltungen beeinflusst, führt in vielen Ländern zur Überbewertung formal-schulischer und universitärer Bildung und zur Abwertung der beruflichen Bildung, die als Ausbildung für die Leistungsschwächsten und sozial Benachteiligten gilt. Dieser Zusammenhang wird von Bildungsforschern z. B. für die Ukraine erforscht.
Fiktionen des Leistungsprinzips
In der Wissenschaft werden drei Fiktionen des Leistungsprinzips thematisiert.
Die Fiktion der Gerechtigkeit sagt aus, Leistung sei individuell frei steuerbar und beeinflussbar. Tatsächlich wird die individuelle Leistungsfähigkeit wie auch die Bezahlung für geleistete Arbeit unter anderem durch die Herkunft, Macht und Besitz in erheblichem Umfang limitiert.
Die zweite Fiktion der Meritokratie ist die Fiktion der Messbarkeit. Tatsächlich ist Arbeitsleistung nicht objektiv feststellbar. Stattdessen bilden Vorstellungen über die Person und deren Arbeitsleistung die Grundlagen der Bewertung.
Die dritte Fiktion besteht in der Annahme, man könne Leistung individuell zuordnen. Tatsächlich ist es nicht möglich, Arbeitsleistung in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft mit vielen kleinen Prozessen und Zwischenschritten einzelnen Personen klar zuzuordnen.
Anwendung
Eine völlig meritokratisch organisierte Gesellschaft ist bislang nirgendwo realisiert worden. Viele moderne Regierungsformen betonen allerdings den Vorrang formaler Ausbildung und fachlicher Kompetenz bei der Verleihung von Ämtern gegenüber der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe. Wenn im politischen Entscheidungsprozess auf eine Bewertung durch Fachleute zurückgegriffen wird oder wenn militärische Organisationen das Leistungsprinzip heranziehen, um die Befehlshierarchie festzulegen, werden ebenfalls meritokratische Prinzipien eingesetzt.
Auch die Wissenschaft beruft sich auf das meritokratische Prinzip der Bestenauslese. Häufig wird Kooptation zur Auswahl von Wissenschaftlern benutzt. Sozialwissenschaftliche Untersuchungen, z. B. aus dem Bereich der Geschlechterforschung, haben demgegenüber jedoch deutlich gemacht, dass Leistung unter Umständen auch ein Ergebnis sozialer Zuschreibungsprozesse sein kann, die in der Wissenschaft und anderen Bereichen des sozialen Lebens dazu führen können, dass Frauen Männern gegenüber benachteiligt werden.
In dem Werk Die Internet-Galaxie von Manuel Castells wird die These aufgestellt, dass unter den Internetpionieren das meritokratische Prinzip eine wesentliche Rolle für die Gliederung einnahm. So genießen diejenigen das größte Ansehen, welche durch exzellente Leistungen und positive Reputation, in Bezug auf Innovationen im Bereich der Netzwerkmedien, aufgefallen sind. Mark Shuttleworth, Gründer der Linux-Distribution Ubuntu, stützt sich ebenfalls für die Entwicklung von Ubuntu auf ein meritokratisches System der Entscheidungsfindung und die The Document Foundation, die das Office-Paket LibreOffice entwickelt, gibt an, eine meritokratisch organisierte Stiftung zu sein, ebenso wie die Apache Software Foundation.
Historische Beispiele
Konfuzius
Im Lehren sollte kein Unterschied zwischen den Klassen gemacht werden.
- Analecte XV. 39. tr. Legge
Westliche Bewunderer des Konfuzius (Voltaire, Herrlee Creel) sahen in seinen Schriften eine revolutionäre Idee, in der der Blutadel durch den der Tugend ersetzt wird. Ein Jūnzǐ (君子), etwa als »edler Mann« zu übersetzen, konnte ein einfacher Mensch sein, der seine Fähigkeiten einsetzte. Konfuzius nahm Studenten aus jeder Gesellschaftsklasse an, ein Hinweis darauf, dass er das feudale System des alten China nicht vollständig unterstützte.
Altrömische Republik
In der Zeit des alten Rom der frühen Republik ca. vom 5. bis 3. Jahrhundert vor Chr. war die tugendhafte und erfolgreiche Bewährung abwechselnd in zivilen Ämtern und militärischen Funktionen, der Cursus Honorum, Voraussetzung für die Wahl in höchste Staatsämter, z. B. das Konsulat, sowie die Aufnahme in den Senat. Die einzuhaltenden strengen sittlich-moralischen Prinzipien waren in den Mos Maiorum tradiert.
Bei diesem Streben nach Ehre zum Ruhm der Familie waren zwar die altadeligen Familien (Patrizier) im Vorteil, jedoch mussten sie im weiteren Zeitablauf auch an andere Bürger Konzessionen machen, so dass der Weg bis an die Spitze des Staates auch Nichtadeligen (Plebejern) offenstand, die den Cursus Honorum erfolgreich durchlaufen hatten.
Der Erfolg der zur Weltmacht aufgestiegenen römischen Republik legte auch den Keim für den Untergang der altrömischen Meritokratie, indem durch den ungeheuren Reichtum, den die führenden Familien ansammeln konnten, die altrömischen Ideale zunehmend korrumpiert und ausgehöhlt worden sind.
Rein formal bestand der Cursus Honorum bis in die späte Kaiserzeit fort.
Chinesische Beamtenprüfung
Vom Jahr 606 bis 1905 war im Reich der Mitte das Bestehen der chinesischen Beamtenprüfung die Voraussetzung, um hohe Staatsämter bekleiden zu können. Da Kandidaten (zumindest theoretisch) aus allen Schichten der Gesellschaft kommen konnten, hatte dieses strenge Prüfungssystem einen stark meritokratischen Zug. Erfolgreiche Absolventen (nur wenige Promille der Kandidaten setzten sich durch) erlangten normalerweise Ruhm, Macht und Ansehen.
Dschingis Khan
Dschingis Khan besetzte Führungspositionen in seinem Mongolenreich aufgrund der Leistung der Amtsträger. Auch Angehörigen besiegter Feinde stand der Weg offen, solange sie sich loyal erklärten. Beispielsweise war Jebe ein feindlicher Soldat, der im Gefecht Dschingis Khans Pferd erschossen hatte, bevor er zum Khan wurde.
Napoleon
In der Französischen Revolution war die Elite weitgehend eliminiert. Napoleons Regime konnte daher auf keine bestehende Hierarchie zurückgreifen, sondern wählte die neue Elite zuerst nach Leistung, später aber auch aufgrund Loyalität und Verwandtschaft aus.
Moderne Beispiele
Singapur
In der Republik Singapur wird die Meritokratie von der Regierung als eines der grundlegenden Prinzipien des politischen Regelungssystems aufgeführt und gegenüber dem Ausland betont. Demnach sollen alle Bürger die gleiche Chance auf Zugang z. B. zu Universitäten und Regierungsämtern bekommen. Entscheidend sollen dabei nur Leistungen sein, nicht Beziehungen. Inwiefern sich dieses offizielle Prinzip der Chancengleichheit so tatsächlich in Singapur findet, ist allerdings umstritten.
Siehe auch
Aristokratie, Gerontokratie, Kleptokratie, Plutokratie, Timokratie
Bildungselite, Leistungsgesellschaft
Power Structure Research
Sozialdarwinismus
Transhumanismus
Utopie
Literatur
Heike Solga: Meritokratie – die moderne Legitimation ungleicher Bildungschancen. In: Peter A. Berger, Heike Kahlert (Hrsg.): Institutionalisierte Ungleichheiten. Wie das Bildungswesen Chancen blockiert. Juventa-Verlag, Weinheim u. a. 2005, ISBN 3-7799-1583-9 (Bildungssoziologische Beiträge).
Arne Heise: Arbeitslosigkeit und Ungleichheit in verschiedenen Kapitalismusmodellen. In: Arbeit. Zeitschrift für Arbeitsforschung, Arbeitsgestaltung und Arbeitspolitik. 15. Jg., Heft 4, 2006, , S. 273–289, online (PDF; 1 MB).
Andreas Hadjar: Meritokratie als Legitimationsprinzip. Die Entwicklung der Akzeptanz sozialer Ungleichheit im Zuge der Bildungsexpansion. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-15629-3.
Rolf Becker, Andreas Hadjar: Meritokratie – Zur gesellschaftlichen Legitimation ungleicher Bildungs-, Erwerbs- und Einkommenschancen in modernen Gesellschaften. In: Rolf Becker (Hrsg.): Lehrbuch der Bildungssoziologie. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-14794-9, S. 35–60.
Nicholas Lemann: The Big Test: The Secret History of the American Meritocracy: The Secret History of American Meritocracy. Farrar, Straus & Giroux, 1999.
Michael Sandel: The tyranny of Merit: What's Become of the Common Good?. Allen Lane, New York, ISBN 978-0-24140-760-8.
Weblinks
„Meritocracy and the Erosion of Self-Respect“, Hörvortrag von Sjalling Swierstra und Evelien H. Tonkens.
– Interview mit Arne Heise (2006) über abstrakte Leistungsvorstellungen in der deutschen Politik
Einzelnachweise
Demokratietheorie
Staatsform
Bildungsbeteiligung
Herrschaftsform
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Q178079
| 189.259372 |
143757
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https://de.wikipedia.org/wiki/Gusseisen
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Gusseisen
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Gusseisen ist ein Eisenwerkstoff mit hohem Kohlenstoffgehalt (Massenanteil über 2 %), der diesen Werkstoff von Stahl unterscheidet. Gusseisen weist eine gute Gießbarkeit auf (geringer Schmelzpunkt, dünnflüssige Schmelze, …), lässt sich aber nicht durch Schmieden bearbeiten, da es hart und spröde ist. Stahl dagegen lässt sich relativ schlecht gießen, aber sehr gut schmieden. Die Zerspanbarkeit von Gusseisen hängt von der genauen Sorte ab; bei Gusseisen mit Lamellengraphit – der häufigsten Sorte – ist sie gut. Seine Festigkeit ist geringer als die von Stahlguss, die Dämpfung aber höher.
Eigenschaften
Unter Gusseisen versteht man eine Gruppe von Eisen-Kohlenstoff-Legierungen mit einem hohen Anteil von Kohlenstoff (> 2 %). Viele Sorten enthalten zusätzlich noch Silicium, das die Gießbarkeit verbessert, sowie weitere Legierungsanteile wie Mangan, Chrom oder Nickel. Es wird unterschieden zwischen
grauem Gusseisen (Grauguss), in dem der Kohlenstoff in Form von Graphit vorkommt. Die Bruchflächen erscheinen grau.
weißem Gusseisen, in dem der Kohlenstoff als Carbid in Form von Zementit (Fe3C) vorkommt. Die Bruchflächen sind weiß.
Die Dichte von Gusseisen beträgt etwa 7,2 g/cm³ und ist niedriger als die Dichte von Stahl oder reinem Eisen (7,85 g/cm³). Das Material hat im eutektischen Bereich mit etwa 1150 °C einen deutlich geringeren Schmelzpunkt als Stahl, es lässt sich aber wegen des hohen Kohlenstoffgehalts nicht schmieden, da dieser zu einer hohen Härte und Sprödigkeit führt und einer geringen Plastizität. Die Schmelze ist dünnflüssig, daher lässt sie sich leichter vergießen als die höherviskose Stahlschmelze. In Gießereien wird es meist in einem Kupolofen geschmolzen.
Gusseisenteile sind besser korrosionsbeständig als Stahl, insbesondere wenn die Gusshaut unverletzt ist. Daher wurde und wird Gusseisen für Kanalguss (Regeneinläufe und Abwasserleitungen, Baumscheiben u. ä.) eingesetzt. Durch Zulegieren von Silizium, Chrom und Nickel kann die Korrosionsbeständigkeit noch erhöht werden.
Ein einfaches Verfahren zur Qualitätsprüfung von Grauguss ist ein Schlag mit einem Hammer auf eine rechtwinklige Kante: Er soll einen bleibenden Eindruck hinterlassen, ohne dass die Kante absplittert.
Sorten
Gusseisen mit Lamellengraphit
Die einfachste und häufigste Gusseisen-Sorte ist Gusseisen mit Lamellengraphit (Bezeichnung nach aktueller europäischer Norm EN 1561 „GJL“ oder früher nach DIN 1691 „GGL“), in dem der Graphit in Form von dünnen, unregelmäßig geformten Lamellen vorliegt. Diese Lamellen wirken bei Zugbelastung als Kerben, daher ist die Zugfestigkeit infolge der Kerbwirkung relativ gering. Im Gegensatz zur Zugfestigkeit ist die Übertragung der Druckspannung wesentlich besser. Die Druckfestigkeit liegt etwa um den Faktor 4 höher als die Zugfestigkeit.
Wegen mangelnder Beweglichkeit im uneinheitlichen Gefüge mit den Grafitlamellen und inneren Spannungen hat Grauguss keine erkennbare Plastizität – es ist ein spröder Werkstoff mit guter Wärmeleitfähigkeit, guten Dämpfungseigenschaften und wegen der Sprödigkeit guter Formsteifigkeit. Daher eignet sich Grauguss in besonderer Weise für Maschinenbetten und -ständer. Hinzu kommen vorteilhafte Selbstschmiereigenschaften, wenn durch Bearbeitung die Lamellen angeschnitten und der Graphit selbst oder an dessen Stelle andere Schmiermittel in den Hohlräumen „bevorratet“ werden können.
Gusseisen mit Kugelgraphit
Bessere mechanische Eigenschaften hat Gusseisen mit Kugelgraphit (Sphäroguss, duktiles Gusseisen, Bezeichnung GJS nach aktueller europäischer Norm EN 1563, früher GGG nach DIN 1693), bei dem der Graphit in mehr oder weniger kugeliger Form vorliegt. Erreicht wird dies durch Entschwefeln der Schmelze mittels Zugabe von geringen Mengen Magnesium, Cer oder Calcium kurz vor dem Abgießen.
Duktiles Gusseisen wird bevorzugt für Rohrleitungen beim Schleudergussverfahren eingesetzt, aber auch für Kurbelwellen und andere hochbeanspruchte Maschinenteile.
Temperguss
Eine weitere wichtige Form ist der Temperguss, der nach dem Erstarren als Ledeburit nochmals einer Glühbehandlung über mehrere Tage (Tempern) unterzogen wird:
Beim weißen Temperguss (GJMW) glüht man in einer Sauerstoff abgebenden Atmosphäre, wodurch den Gussstücken (zumindest im Randbereich) der Kohlenstoff entzogen wird, wodurch sich die Eigenschaften denen des Stahls annähern. Dünnwandige Teile aus weißem Temperguss mit geringem Kohlenstoff sind schweißbar.
Schwarzer Temperguss (GJMB) wird in einer sauerstofffreien Atmosphäre geglüht. Dabei bildet sich ein gleichmäßiges Gefüge mit eingelagerten Flocken aus Temperkohle mit geringer Kerbwirkung. Die ohnehin schon höhere Festigkeit lässt sich durch schnelleres Abkühlen gegen Ende der Glühzeit noch steigern. Die mechanischen Eigenschaften sind wanddickenunabhängig.
Diese Sorten vertragen auch geringe plastische Verformungen, ohne zu brechen. Typische Anwendung finden solche Werkstoffe als Tempergussfittings im Rohrleitungsbau bei geschraubten Verbindungen.
Gusseisen mit Vermiculargraphit
Eine neuere Werkstoffentwicklung ist das Gusseisen mit Vermiculargraphit (Bezeichnung GJV nach aktueller ISO 16112, früher GGV). Bei ihm liegt der Graphit weder in Lamellenform noch in Kugelform vor, sondern als Klumpen, die im Schliffbild wie Würmer aussehen (Vermiculus, lat. für Würmchen). Die mechanischen Eigenschaften dieses Werkstoffes liegen zwischen dem Gusseisen mit Lamellengraphit und denen des Gusseisens mit Kugelgraphit. Seine Herstellung ist jedoch schwieriger und erfordert eine in engen Toleranzen geführte Schmelzbehandlung.
Reparatur
Die Reparatur von gerissenen oder gebrochenen Gussteilen ist mit Hilfe spezieller Verfahren möglich. So können quer zum Bruch- oder Rissverlauf in dafür eingebrachte Kettenbohrungen Metallriegel eingepresst und verstemmt werden. Zusätzlich können entlang der Bruchlinie Gewindelöcher in die Tiefe gebohrt und mit Gewindestiften verschraubt werden. Das Ergebnis ist eine kraft- und formschlüssige Verbindung mit hoher Druckdichtigkeit, die Öle und Gase nicht entweichen lässt.
Literatur
Weblinks
Konstruieren und Gießen, Online-Portal des Bundesverbands der Deutschen Gießerei-Industrie
Video eines Gießvorganges vom Schmelzen bis zum Guss in Sandformen (HD)
Hermann Schmitz: Das Gußeisen in der Baukunst, Zentralblatt der Bauverwaltung, 1923. S. 241 ff.
Einzelnachweise
Gusseisensorte
Eisen
Gusswerkstoff
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Q483269
| 166.46238 |
7268
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https://de.wikipedia.org/wiki/1377
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1377
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Italien
17. Januar: Papst Gregor XI. kehrt aus Avignon nach Rom zurück und zieht unter dem Jubel des Volkes in die Stadt ein, wohin zuvor schon Teile der Administration verlegt worden sind. Das Avignonesische Papsttum endet. Seither ist der Vatikan Sitz des Papstes.
3. Februar: In Cesena veranstalten päpstliche Söldner auf Weisung des päpstlichen Legaten Robert Graf von Genf, des späteren Gegenpapstes Clemens VII., ein Blutbad unter den Einwohnern, die sich neuerlich gegen die Obrigkeit erhoben haben.
27. Juli: Nach dem Tod Friedrichs III. wird seine Tochter Maria Königin von Sizilien sowie Herzogin von Athen und Neopatria. Da sie zu diesem Zeitpunkt noch sehr jung ist, steht sie unter der Regentschaft von vier Adelsfamilien, die sich selbst als Vikare bezeichnen.
Heiliges Römisches Reich
Mit einem Justizmord endet der Kölner Schöffenkrieg.
England
26. Juni: Nach dem Tod seines Großvaters Edward III. wird Richard II. König von England. Die Herrschaft des Sohnes des „Schwarzen Prinzen“ Edward of Woodstock ist von Anfang an umstritten, da auch die anderen Söhne Edwards III. Thronansprüche stellen. Trotzdem wird der Zehnjährige mit Unterstützung des Parlaments am 16. Juli gekrönt. Trotz seiner Minderjährigkeit wird kein Regent bestellt, da das Parlament Richards Onkel John of Gaunt, 1. Duke of Lancaster, misstraut. Im eingesetzten königlichen Rat zieht dieser dennoch gemeinsam mit Richards Mutter Joan of Kent im Hintergrund die Fäden.
Balkan
26. Oktober: Krönung von Tvrtko I.: Der bosnische Ban Tvrtko I. krönt sich selbst im Kloster von Mileševa bei Prijepolje zum König der Serben, Bosniens, dem Küstenland und der westlichen Länder.
Osteuropa
24. Mai: Großfürst Algirdas von Litauen, der sich die Herrschaft mit seinem Bruder Kęstutis geteilt hat, stirbt. Nachfolger wird sein Sohn Jogaila, der die Zusammenarbeit mit seinem Onkel vorläufig fortführt.
2. August: In der Schlacht an der Pjana besiegt im Großraum Nischni Nowgorod eine Streitmacht der Blauen Horde ein russisches Heer, das sich einem Trinkgelage hingegeben hat.
Byzantinisches Reich
Asien
Das Srivijaya-Imperium auf Sumatra wird von den Truppen Majapahits angegriffen und endgültig vernichtet.
Stadtrechte und urkundliche Ersterwähnungen
Neckarsteinach bekommt Stadtrechte.
Guttannen wird erstmals urkundlich erwähnt.
Wissenschaft und Technik
Die Trezzo-Brücke wird im Auftrag von Bernabò Visconti, dem Herzog von Mailand, fertiggestellt. Sie dient als Zugang zu einer Visconti-Burg über den Fluss Adda und ist mit Türmen bewehrt. Die Einbogenbrücke hält bis ins 19. Jahrhundert den Rekord für die größte Spannweite, im Steinbrückenbau bleibt sie sogar bis Beginn des 20. Jahrhunderts unübertroffen.
Gesellschaft
Karneval im Ruhrgebiet: Im Archiv der Stadt Duisburg befindet sich die erste überhaupt in deutsch geschriebene Stadtrechnung aus dem Jahre 1377, aus der hervorgeht, dass die Ratsherren und die Bürgerschaft ausgiebig Fastabend („Vastavent“) feierten.
27. Juni: Der Stadtrat von Ragusa beschließt, alle Schiffe, die aus Pestgebieten kommen, auf einer Insel einen Monat lang unter Quarantäne zu stellen.
Religion
Nachdem kriegerische Auseinandersetzungen die Stadt Ulm immer wieder von der ein Kilometer entfernten Pfarrkirche abgeschnitten haben, beschließt die Bürgerschaft einen Neubau innerhalb der Stadtmauern, auch um sich vom Kloster Reichenau unabhängig zu machen. Am 30. Juni erfolgt die Grundsteinlegung für das Ulmer Münster durch Bürgermeister Ludwig Krafft. Baumeister Heinrich II. Parler hat zuvor schon Erfahrungen am Heilig-Kreuz-Münster in Schwäbisch Gmünd gesammelt.
Das Kloster St. Klara in Bremgarten wird gegründet.
Katastrophen
Bei der Zweiten Dionysiusflut, die sich angeblich im Herbst 1377 zugetragen und zu schweren Zerstörungen zwischen Flandern und der Weser geführt haben soll, handelt es sich möglicherweise um einen spätmittelalterlichen Sintflutmythos, für den es keinen stichhaltigen Beweis gibt.
Geboren
Geburtsdatum gesichert
1. August: Go-Komatsu, Kaiser von Japan († 1433)
20. August: Schāh Ruch, Timuriden-Fürst († 1447)
19. September: Albrecht IV., Herzog von Österreich († 1404)
5. Oktober: Ludwig II., Herzog von Anjou, Graf von Maine, Guise, Blois und Provence, sowie Titularkönig von Neapel und Jerusalem († 1417)
5. Dezember: Jianwen, chinesischer Kaiser († 1402)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Ende Juni: Eduard III., Herzog von Bar († 1415)
Thomas Beaufort, englischer Adeliger und Lordkanzler († 1426)
Alfons von Braganza, portugiesischer Adliger, Stammvater der späteren portugiesischen Königs- und brasilianischen Kaiserfamilie († 1461)
Đurađ Branković, serbischer Despot († 1456)
Filippo Brunelleschi, italienischer Architekten und Bildhauer der Frührenaissance († 1446)
John Darcy, englischer Adeliger († 1411)
Jean de La Trémoille, Herr von Jonvelle († 1449)
Stefan Lazarević, serbischer Despot und Literat, Begründer und Erbauer der serbischen mittelalterlichen Residenz in Belgrad († 1427)
Sheikh Noor-ud-din Wali, kaschmirischer Mystiker, Schutzheiliger Kaschmirs († 1438)
Geboren um 1377
Ernst der Eiserne, Herzog von Steiermark, Kärnten und Krain († 1424)
Oswald von Wolkenstein, österreichischer Dichter, Komponist und Diplomat († 1445)
1373 oder 1377: Johanna Sophie, jüngste Tochter Herzog Albrechts I. von Straubing-Holland († 1410)
Gestorben
Todesdatum gesichert
2. Januar: Kasimir IV., Herzog von Pommern (* um 1345)
5. Januar: Bertram Cremon, Domherr in Hamburg und Bischof von Lübeck
16./17. März: Marie de Saint-Pol, anglo-französische Adelige (* um 1304)
13. April: Guillaume de Machaut, französischer Komponist und Dichter (* zwischen 1300 und 1305)
28. April: Ugolino de’ Rossi, Bischof von Parma (* um 1300)
5. Mai: Matilda of Lancaster, englische Adelige (* um 1310)
24. Mai: Algirdas, Großfürst von Litauen (* 1296)
7. Juni: Konrad IV. von Maienfels, Abt des Klosters Murrhardt und Abt von Münsterschwarzach
21. Juni: Eduard III., König von England (* 1312)
23. Juli: Paul von Jägerndorf, Bischof von Gurk und Freising
27. Juli: Friedrich III., König von Sizilien (* um 1341)
29. Juli: Robert de Juliac, Großmeister des Malteserordens
28. August: Nikolaus von Bismarck, Stendaler Patrizier, Großkaufmann und Ratsherr (* 1307)
18. oder 25. November: Pierre d’Estaing, französischer Benediktiner, Bischof und Kardinal (* 1320)
27. Dezember: Johann II., Graf von Hoya (* 1319)
31. Dezember: Guillaume de Marcossey, Bischof von Genf
Genaues Todesdatum unbekannt
Andrea dei Bruni, italienischer Maler (* 1355)
Margarete von Sizilien-Aragon, Prinzessin von Sizilien-Aragon und Pfalzgräfin bei Rhein (* 1331)
Richardis von Schwerin, schwedische Königin
Robert de Valois, Graf von Le Perche und Porhoët (* 1344)
Gestorben um 1377
1368 oder 1377: Ibn Battūta, arabischer Forschungsreisender (* 1304)
Weblinks
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Q6289
| 87.49441 |
201200
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https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdwest
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Südwest
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Der Begriff Südwest oder Südwesten (Abkürzung SW) bezeichnet eine Nebenhimmelsrichtung, die die Winkelhalbierende zwischen den Richtungen Süd und West darstellt. Im Sinn eines Azimuts oder eines Kurses hat Südwesten genau 225 Grad. Die Sonne befindet sich um 15:00 Uhr (Sonnenzeit) etwa im Südwesten (abhängig von Standort und Jahreszeit). Das Adjektiv dazu ist südwestlich.
Siehe auch
Kompass
Navigation
Weblinks
Himmelsrichtung
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Q2381698
| 138.915712 |
182423
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fellow
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Fellow
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Der Titel ( für Gleichgestellter, Gefährte, Genosse bzw. Mitglied) bezeichnet im Hochschulbetrieb und in sonstigen wissenschaftlichen Vereinigungen ein (nicht im juristischen Sinn) zur Körperschaft gehörendes Mitglied.
Deutscher Sprachraum
Im deutschen Sprachraum bezeichnet Fellow ein zu einer Wissenschaftseinrichtung gehörendes Ehren- oder Gastmitglied, dessen Forschungstätigkeit zumindest teilweise von dieser alimentiert wird, das jedoch kein Beschäftigungs- oder Vertragsverhältnis mit ihr hat. Ein Beispiel ist das Wissenschaftskolleg zu Berlin, welches seit 1981 jährlich rund 40 Fellows einlädt.
Von Professoren unterscheiden sich Fellows auch dadurch, dass sie in der Regel vom Lehrdeputat befreit und auch hinsichtlich des Umfangs, des Inhalts und der Ergebnisse ihrer Forschungstätigkeit kaum institutionellen Zielen und Zwängen unterworfen sind.
Englischer Sprachraum
Seinen Ursprung hat der Begriff im englischen Sprachraum, aus dem er im Zuge der politisch gewollten Internationalisierung des europäischen Wissenschaftsbetriebs (siehe auch Bologna-Prozess) übernommen wurde.
Hochschulbetrieb
Im britischen akademischen Sprachgebrauch bezeichnet Fellow einen Gelehrten, der von einer Hochschule oder Universität zum Zwecke der Forschung und/oder Lehre finanziell unterstützt wird. Jedoch halten nicht all diese Forschenden wirklich den Titel „Fellow“, und es ist schwierig, exakte Angaben über die Anwendung dieses Titels zu machen. In den neueren Universitäten werden Forschungsstipendien, die fast immer Interimsstellen sind, jenen zugesprochen, die ein Promotionsverfahren hinter sich haben. (Jüngere werden normalerweise zu Forschungsassistenten berufen; Akademiker mit dauerhaften Gehältern werden häufig zu Lektoren ernannt.)
In den älteren britischen Universitäten nehmen viele Fellows betreuende Verantwortlichkeiten für die Studenten ihrer Hochschulen wahr. Zum Beispiel gehören an der Universität Cambridge Fellows zu dem ältesten akademischen Hochschulpersonal. Diese sind nicht nur verantwortlich für Lehre, Forschung und die Betreuung der Studierenden; sie bilden auch einen Rat, um den Master zu unterstützen (oder entsprechend, z. B. den Direktor des Homerton College, Cambridge).
Der Begriff Fellow wird ebenso für gewählte Mitglieder britischer Gelehrtengesellschaften verwendet. Diese führen ihn ebenso als Namenszusatz, z. B.: Sir Alec Jeffreys FRS (). Weitere Fellows aus diesem Bereich sind (FBA), Fellow of Imperial College (FIC), (FMedSci) und (FREng).
Wissenschaftsgemeinschaften
Daneben kann der Begriff Fellow auch Stipendiat bedeuten. Auch hier wird der Ausdruck in der Regel für „fortgeschrittene“ oder erfahrene Berufstätige – im Gegensatz etwa zu Schülern oder Bachelorstudenten – benutzt. Meistens wird der Begriff Fellow – oder davon abgeleitet Fellowship (Stipendium) – im wissenschaftlichen Kontext benutzt (z. B. Fulbright Fellow). Er kann aber auch davon unabhängig sein (z. B. Guggenheim Fellowship, der auch an Künstler vergeben wird). Zu finden ist diese Bezeichnung vor allem in wissenschaftlichen Gesellschaften wie der American Physical Society (APS Fellow), der Optical Society of America (OSA Fellow) oder dem Institute of Electrical and Electronics Engineers (IEEE Fellow).
Unternehmen und Organisationen
Analog zu diesen Gesellschaften nutzen auch größere Firmen den Titel Fellow, beispielsweise Bell Labs (Bell Labs Fellow), Boston Scientific (Boston Scientific Fellow), IBM (IBM Fellow) oder Intel (Intel Fellow). Dieser Titel entspricht dabei in der Regel der höchsten erreichbaren Stellung einer technischen Karriere, das heißt einer Tätigkeit in Forschung und Entwicklung, und kann erst nach langjähriger Tätigkeit im Unternehmen erreicht werden. Mitunter können diese wissenschaftlichen Mitarbeiter ihre Forschungsaufgaben .
Ein weiteres Beispiel ist die Internationale Atomenergieorganisation, in der Gastwissenschaftler aus den Mitgliedsstaaten als „Fellows“ bezeichnet werden und für die Zeit ihres Aufenthaltes von der IAEO Zahlungen erhalten.
Weblinks
Einzelnachweise
Akademische Bildung
Berufliche Funktion
Titel
Beruf (Wissenschaft)
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Q1404101
| 106.556043 |
382049
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https://de.wikipedia.org/wiki/Erwerbst%C3%A4tigkeit
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Erwerbstätigkeit
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Erwerbstätige sind nach dem Europäischen System Volkswirtschaftlicher Gesamtrechnungen alle zivilen Erwerbspersonen, also Personen, die als Arbeitnehmer oder Selbständige beziehungsweise mithelfende Familienangehörige eine auf wirtschaftlichen Erwerb gerichtete Arbeit ausüben. Die Gruppe der Erwerbspersonen setzt sich aus den Erwerbstätigen und den (sofort verfügbaren) Erwerbslosen zusammen.
Nach Definition der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zählen zu den Erwerbstätigen alle Personen im Alter von 15 und mehr Jahren, die in einem Arbeitsverhältnis stehen (Arbeitnehmer) oder selbständig ein Gewerbe oder eine Landwirtschaft betreiben (Selbständige, Unternehmer) oder als mithelfende Familienangehörige im Betrieb eines Verwandten mitarbeiten. Personen, die lediglich eine geringfügige Tätigkeit (Mini-Job) ausüben oder als Aushilfe nur vorübergehend beschäftigt sind, zählen ebenso als Erwerbstätige wie auch Personen, die einem Ein-Euro-Job nachgehen.
Begriffe
Der Begriff Erwerbstätige wurde 1973 in Meyers Enzyklopädischem Lexikon nicht erklärt, sondern stattdessen wurde auf das sinnverwandte Wort Beschäftigung verwiesen. Im Zusammenhang mit der neomarxistischen Interpretation von Lohnarbeit entwickelte sich der Begriff Erwerbsarbeit, da zum Beispiel in Deutschland die lohnabhängige Arbeit zunahm und im 20. Jahrhundert zur dominanten Form der Arbeit wurde.
Die Zuordnung zu den Erwerbstätigen ist unabhängig von der tatsächlich geleisteten oder vertraglich vereinbarten Arbeitszeit. Der internationalen Praxis folgend gelten auch Personen, die zwar nicht arbeiten, bei denen aber Bindungen zu einem Arbeitgeber bestehen (z. B. Personen in Mutterschutz oder Elternzeit, die diesen Urlaub aus einer bestehenden Erwerbstätigkeit angetreten haben), als erwerbstätig.
Nicht zur Erwerbstätigkeit wird die Zwangsarbeit gezählt, etwa in Gefängnissen oder in Form einer gerichtlich angeordneten Strafe im Jugendstrafrecht.
Statistische Erfassung
Inländer- und Inlandskonzept
Bei der Erwerbstätigenrechnung in der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung werden zwei Konzepte berücksichtigt. Das Inländerkonzept, welches vielfach auch als Wohnortkonzept deklariert wird und das Inlandskonzept, welches auch als Arbeitsortkonzept bekannt ist. Das Inländerkonzept misst die wirtschaftlichen Leistungen aller im Inland befindlichen Wirtschaftssubjekte, unabhängig davon, an welchem Ort sie erbracht wurden (Bruttonationaleinkommen). Das Inlandskonzept misst hingegen alle in einem Wirtschaftsgebiet erbrachten wirtschaftlichen Leistungen, unabhängig davon, wer sie erbracht hat (Bruttoinlandsprodukt). Demnach erfasst es alle Erwerbstätigen, unabhängig davon, ob sie ihren Wohnort im In- oder im Ausland haben.
Deutschland
Die Zahl der Erwerbstätigen wurde zuletzt bei der Volkszählung 1987 ermittelt und wird seit dieser Zeit hochgerechnet. Als Indikatoren dienen dabei etwa 45 unterschiedliche Berichtsdokumente. Dazu zählen unter anderem die Statistiken für einzelne Wirtschaftsbereiche, sowie die Statistik der Bundesanstalt für Arbeit über sozialversicherungspflichtig Beschäftigte und geringfügig Beschäftigte, Angaben der Personalstandstatistik über das Personal im Öffentlichen Dienst, die Ergebnisse des Mikrozensus und weitere Meldungen einzelner Institutionen und Ministerien.
Nach einer Neuberechnung der Erwerbstätigenzahlen im Rahmen der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen hatten im Durchschnitt des Jahres 2004 rund 38,8 Millionen Erwerbstätige ihren Wohnort und rund 38,9 Millionen Erwerbstätige einen Arbeitsplatz in Deutschland.
Gemäß der Erwerbstätigenrechnung des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2021 in Deutschland 46.294.000 Menschen mit Wohnort in Deutschland (Inländerkonzept) erwerbstätig. Mit Arbeitsort in Deutschland (Inlandskonzept) waren 44.950.000 Menschen erwerbstätig.
Sozialversicherungspflichtig Beschäftigte
Für die Statistik in Deutschland ist als Teilmenge der Erwerbstätigen auch die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten eine wesentliche Kennziffer. Hier werden lediglich diejenigen Erwerbstätigen erfasst, die unselbstständig tätig und sozialversicherungspflichtig sind.
Die Anzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in der Bundesrepublik Deutschland wird durch die Bundesagentur für Arbeit monatlich berichtet. Für Juni 2019 betrug diese 33.353.700 Personen.
Österreich
In Österreich gibt es etwa 4,3 Millionen Erwerbstätige (2020: 4.296.900), das sind relativ genau die Hälfte der Bevölkerung (2013: 49,4 %; Bemessung präzise: Wohnbevölkerung in Privathaushalten). Die Erwerbstätigenquote (gerechnet über die 15- bis 64-jährige erwerbsfähige Bevölkerung, 2013: 4.390.000) betrug 2013 72,3 %, bei den Männern 77,1 %, bei den Frauen 67,6 %. Dieser Vorsprung der Männer ist in den letzten Jahren geschrumpft, aber im internationalen Vergleich noch immer recht hoch. Nach dem Lebensunterhaltskonzept durch Arbeit (Selbsteinschätzung) erreichen fast 4 Millionen (2013: 3.952.900) damit aber eine ungenügende Kapitalisierung, das heißt, knapp 5 % der Erwerbstätigen fühlen sich gesetzlich nicht mitgetragen (Mindestlohn), daher nicht selbst als Teilnehmer am Erwerbsleben.
Siehe auch
Arbeitslosigkeit, Arbeitsvertrag, Beschäftigungsverhältnis, Nebentätigkeit
Lohnarbeit
Tätigkeitsschlüssel
Unterbeschäftigung
Weblinks
Erwerbstätigkeit Bundeszentrale für politische Bildung (2008)
Statistisches Bundesamt (Destatis) – Themenbereich Erwerbstätigkeit. Abgerufen am 24. Januar 2018
Grafiken: Erwerbstätigkeit – Europa, aus: Zahlen und Fakten: Europa, www.bpb.de
Aufsätze zum Thema „Erwerbstätigkeit“ aus der Zeitschrift "Wirtschaft und Statistik" des Statistischen Bundesamtes
Oliver Kloss: Macht Arbeit frei? Ein Versuch über den Wert der Erwerbsarbeit. 2001 (PDF, 428 kB).
Thomas Kühn (IPU Berlin): Arbeit Wissenschaftspodcast der Internationalen Psychoanalytischen Universität Berlin (IPU), 15. Mai 2019
Einzelnachweise
Arbeitsmarkt
Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung
Einkommen
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Q656365
| 277.17055 |
25144
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https://de.wikipedia.org/wiki/Neum%C3%BCnder
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Neumünder
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Die Neumünder (Neumundtiere, Deuterostomia) stellen einen Überstamm der Zweiseitentiere (Bilateria), von denen die Rückensaitentiere (Chordatiere, Chordata – darunter der Mensch) und die Stachelhäuter (Echinodermata) die hauptsächlichen Taxa sind. Eines der zwei kennzeichnenden gemeinsamen Merkmale der Deuterostomia ist die weitere Entwicklung des Urmundes in der Embryonalentwicklung. Hier wird im Verlauf der Gastrulation der Urmund zum After und der Mund entsteht neu (Deuterostomie). Das zweite Merkmal ist die dorsale (rückenseitige) Lage des Zentralnervensystems (ZNS). Bei den übrigen Zweiseitentieren, den Urmündern (Protostomia), wird hingegen der Urmund zum Mund und der After bricht sekundär durch; das ZNS liegt ventral (bauchseits).
Begriff
Das neunzehnte Jahrhundert sah den Beginn der Entwicklungsbiologie. Frühe embryonale Entwicklungsstadien wurden unter dem Mikroskop genau beobachtet und beschrieben. Als besonders wegweisend und einflussreich erwiesen sich die Leistungen des deutsch-baltischen Naturforschers Karl Ernst von Baer und des deutschen Zoologen Ernst Haeckel. Die Naturwissenschaftler erkannten, dass die Anlage des Verdauungstraktes unter den dreikeimblättrigen Tieren auf zwei unterschiedliche Weisen erfolgt: einmal wird der Urmund zum späteren Mund, der zukünftige Darmtrakt durchwächst den Embryo und der After bricht abschließend durch; ein anderes Mal wird der Urmund zum späteren After, der zukünftige Darmtrakt durchwächst den Embryo und der Mund bricht abschließend durch.
Dieser entwicklungsbiologische Unterschied wurde im Jahr 1875 erstmals vom britischen Biologen Thomas Henry Huxley evolutionsbiologisch gedeutet und gleich zweifach veröffentlicht. Huxley sah in der Anlageweise des Verdauungstraktes ein Merkmal, das von sehr fernen Vorfahren entwickelt worden war und seitdem immer weiter durch die sich diversifizierende Nachkommenschaft vererbt wurde. Demzufolge stammten alle heute lebenden dreikeimblättrigen Tiere entweder von einem Vorfahren ab, dessen embryonaler Urmund zum späteren Mund wurde – Urmünder; oder aber sie stammten von einem Vorfahren ab, dessen embryonaler Urmund zum späteren After wurde – Neumünder. Huxley nannte die erste Tiergruppe die Archaeostomata und die zweite Tiergruppe die Deuterostomata.
Beide Begriffe wurden schon im nächsten Jahr vom irischen Anatomen Alexander MacAlister in seinem Lehrbuch einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt. Allerdings blieb die Kunde von den Archaeostomata und Deuterostomata auf das englischsprachige Fachpublikum beschränkt. Die Wörter konnten sich nicht im deutschen Sprachgebiet etablieren. Darum prägte der österreichische Zoologe Berthold Hatschek zwölf Jahre später mit dem neuen Wort Zygoneura einen eigenen Begriff für jene Tiergruppe, die Huxley vormals schon als Archaeostomata bezeichnet hatte. Auf der anderen Seite bot Hatschek aber kein Synonym für Huxleys Deuterostomata an.
Diese fachsprachliche Lücke wurde erst im Jahr 1908 vom österreichischen Zoologen Karl Grobben geschlossen. Für seine Abhandlung Die systematische Einteilung des Tierreiches übernahm Grobben anfänglich den Begriff der Zygoneura von Berthold Hatschek, gesellte ihm aber im Laufe des Textes sein eigenes Synonym Protostomia zu. Und den Protostomia stellte er jene Gruppe von dreikeimblättrigen Tieren gegenüber, deren Urmund zum späteren After wird. Diese Gruppe nannte Grobben nun Deuterostomia.
Dreiunddreißig Jahre nach Huxleys Deuterostomata hatte Karl Grobben für den gleichen Begriffsinhalt ein fast gleich lautendes Wort geprägt. Während des zwanzigsten Jahrhunderts setzte sich Grobbens Begriffspaar in der Entwicklungsbiologie und in der Evolutionsbiologie durch. Berthold Hatscheks Zygoneura gerieten genauso in Vergessenheit wie Thomas Henry Huxleys Archaeostomata und eben auch wie seine Deuterostomata. Die biologische Fachsprache benutzt heute normalerweise nur noch die Begriffe Protostomia und Deuterostomia.
„Neumündigkeit“ als ordnendes Merkmal
Nachdem die Neumündigkeit (Deuterostomie) entdeckt worden war, diente sie dazu, die sehr verschieden erscheinenden Tiergruppen der Chordatiere (Chordata), Kiemenlochtiere (Hemichordata) und Stachelhäuter (Echinodermata) zu einer gemeinsamen Abstammungsgemeinschaft zusammenzuführen. Die Abstammungsgemeinschaft erhielt den Namen „Neumünder“ (Neumundtiere, Zweitmünder) oder Deuterostomia (von altgr. δεύτερο- deutero ‚zweit-‘ und στόμα stoma ‚Mund‘).
Jedoch gibt es weitere Tiere, die ebenfalls deuterostome Embryonalentwicklungen zeigen. Neumündigkeit kann bei Pfeilwürmern (Chaetognatha) beobachtet werden, sowie bei einigen Kranzfühlern (Lophophorata) und manchen Saitenwürmern (Nematomorpha) und Gliederfüßern (Arthropoda). Ob die Tiere zu den Deuterostomia zählen sollten, war viele Jahrzehnte umstritten.
Mit Hilfe molekularbiologischer Verwandtschaftsforschung (Phylogenomik) wurde in dieser Frage große Klarheit erzielt. Demnach bilden Chordatiere, Kiemenlochtiere und Stachelhäuter tatsächlich eine Abstammungsgemeinschaft. Die restlichen genannten Tiergruppen gehören nicht dazu. Ihre Deuterostomien wurden stattdessen jeweils unabhängig voneinander konvergent evolviert.
Systematik
Die Neumundtiere (Deuterostomia) stellen eine Großgruppe innerhalb des Systems der Tiere. Ihr Schwestertaxon sind die Urmundtiere (Protostomia). Mit ihnen bilden sie die Abstammungsgemeinschaft der Nierentiere (Nephrozoa). Die Nierentiere werden mit den Xenacoelomorpha zusammengefasst zu den Zweiseitentieren (Bilateria).
Mehrere Tiergruppen werden wiederum den Neumündern zugeordnet. Fünf von ihnen existieren noch immer, sind also rezent. Taxonomisch wird jede als Stamm oder Unterstamm betrachtet. Die fünf Gruppen können wegen bestimmter Gemeinsamkeiten einem Paar noch umfassenderer Abstammungsgemeinschaften zugeteilt werden. Aufgrund phylogenomischer und vergleichend-entwicklungsbiologischer Erkenntnisse werden die zwei Stämme der Ambulacraria den drei Stämmen der Rückensaitentiere gegenübergestellt.
Das System der rezenten Neumünder bringt allerdings nur eine lückenhafte Vorstellung von der Vielfalt der Tiergruppe. Denn es berücksichtigt nicht, dass in vergangenen Perioden der Erdgeschichte weitere Neumünder-Zweige evolviert waren. Jene Zweige sind heute nur noch aus Fossilien bekannt. Sie können dennoch sinnvoll in das vorhandene System eingebaut werden. Allerdings bleiben die Positionen der ausgestorbenen Vetulicolia und Vetulocystida unsicher. Derzeit werden sie als eigener Neumünder-Zweig auf gleicher Stufe neben die Gruppen der Stachelhäuter und der Rückensaitentiere gestellt.
Evolution
Die Neumundtiere werden innerhalb der Zweiseitentiere (Bilateria) der Gruppe der Nierentiere (Nephrozoa) zugeordnet. Ihre Schwestergruppe besteht aus den Urmundtieren (Protostomia). Die letzten gemeinsamen Vorfahren von Neumundtieren und Urmundtieren bestanden demzufolge aus spiegelsymmetrisch gebauten Nierentieren. Der Körper dieser Tiere besaß eine Hauptbewegungsrichtung („Vorne“). Entsprechend wurden am vorderen Körperende verstärkt Nervenzellen und Sinneszellen angelegt (Cephalisation). Aus drei Keimblättern entwickelten sich die Körperorgane, zu denen auch Nephridien gehörten.
Phylogenomische Studien mit molekularer Uhr legen nahe, dass diese Nierentiere im oberen Proterozoikum gelebt haben müssten. Genauer gesagt sollten sie während der geologischen Periode namens Cryogenium zur Mitte der sturtischen Eiszeit vor etwa 680 Millionen Jahren existiert haben, bevor sich die Linien der Neumundtiere und der Urmundtiere endgültig trennten. Schon ungefähr 30 Millionen Jahre später spalteten sich die Neumundtiere in die beiden noch heute vorkommenden Gruppen der Ambulacraria und der Rückensaitentiere (Chordata). Die Aufspaltung geschah in der Warmzeit zwischen sturtischer Eiszeit und marinoischer Eiszeit. Auf das Cryogenium folgte das Ediacarium. Im Laufe dieser Periode kam es zu weiteren Aufspaltungen. Sowohl Stachelhäuter (Echinodermata) und Kiemenlochtiere (Hemichordata) als auch Lanzettfischchen (Leptocardia), Cristozoa und Manteltiere (Tunicata) gediehen schon in eigenen Linien, bevor das Kambrium begann. Wahrscheinlich waren die weichhäutigen Tiere bloß wenige Millimeter groß. Die Suche nach ihren Fossilien verlief bisher erfolglos. Erst aus Fossillagerstätten des Unterkambriums wurden Organismen gefördert, die mit großer Sicherheit zu den Neumundtieren gehörten. Auch diese Tiere waren kaum länger als wenige Zentimeter. Nur Vertreter des Neumundtier-Zweigs der Vetulicolia erreichte größere Körperlängen, wobei die Art Vetulicola longbaoshanensis mit knapp einem Dezimeter das äußerste Mögliche darstellte.
Körpergestalten und Bewegungstypen
Wahrscheinlich besaßen die letzten gemeinsamen Vorfahren aller Neumundtiere wurmförmige Gestalt. Es ist nicht geklärt, ob die Organismen auf dem Meeresboden festsaßen (benthisch-sessiler Bewegungstyp), darüber hinweg krochen (benthisch-vagiler Bewegungstyp) oder sich durch den Meeresboden bohrten (subbenthisch-vagiler Bewegungstyp). Sie könnten sich auch freischwimmend bewegt haben (pelagisch-vagiler Bewegungstyp), obwohl letzterer Bewegungstyp aktuell als eher unwahrscheinlich gilt.
Die Ambulacraria behielten mehrheitlich die benthische Lebensweise bei. Die ersten Stachelhäuter (Echinodermata) waren noch bilateralsymmetrisch gebaut und bewegten sich kriechend oder springend über den Meeresboden. Doch schon im Unterkambrium verloren viele ihre Spiegelsymmetrie zu Gunsten unsymmetrisch oder radiärsymmetrisch gebauter Körper. Der Tausch der Bilateralsymmetrie mit der Radiärsymmetrie ging einher mit dem Tausch des benthisch-vagilen Bewegungstyps mit dem benthisch-sessilen Bewegungstyp. Dauerhaft festsitzende Tiere benötigen keinen Körperbau mehr, der auf eine Hauptbewegungsrichtung ausgelegt ist. Von solchen sessilen und pentaradiären Stachelhäutern stammen alle rezenten Formen ab, möglicherweise gingen sie aus der fossilen Gattung Camptostroma hervor. Nur die Larven behielten einen bilaterialsymmetrischen Bau. Außer den noch immer sessilen Seelilien kehrten die übrigen Stachelhäuter-Gruppen später zum benthisch-vagilen Bewegungstyp zurück. Das gilt sowohl für die nahe verwandten Haarsterne als auch für die Gesamtheit der Eleutherozoa, also für Seewalzen (Holothuroidea), Seeigel (Echinoidea), Seesterne (Asteroidea) und Schlangensterne (Ophiuroidea). Fast die Hälfte aller heutigen Seeigelarten („Irregularia“) zeigen Ansätze einer sekundär bilateralsymmetrischen Körpergestalt, die bei den Seewalzen wieder vollständig ausgeprägt wurde.
Die anderen Ambulacraria, die Kiemenlochtiere (Hemichordata), legten sich ebenfalls auf benthische Bewegungstypen fest. Eichelwürmer (Enteropneusta) bohren sich durch die oberen Meeresböden, Flügelkiemer (Pterobranchia) bleiben die meiste Zeit in festsitzenden Röhren, die sie aber manchmal kriechend verlassen. Tiere aus der Flügelkiemer-Familie der Cephalodiscidae bewegen sich auf dem Meeresboden umher, ohne jemals Wohnröhren anzulegen.
Die Rückensaitentiere (Chordata) gingen andererseits zu einer freischwimmenden Lebensweise über. Sie entwickelten langgestreckte und seitlich abgeflachte Körper, die mit einer Chorda dorsalis stabilisiert wurden. Die heutigen Lanzettfischchen (Leptocardia) bewegen sich aber nur selten im freien Wasser. Stattdessen vergraben sie sich mit dem Schwanzende voran in grobem Sand oder legen sich bei festerem Meeresgrund flach auf die Seite. Auch die ersten Olfactores führten wahrscheinlich ein pelagisches Leben. Davon wichen die frühen Cristozoa nicht ab, wie an Fossilien der Myllokunmingiida, Pikaiidae und Conodontophora nachvollzogen werden kann. Die übrigen Olfactores, die Manteltiere (Tunicata), wechselten schon im Unterkambrium zum benthisch-sessilen Bewegungstyp, behielten aber pelagische Larvenstadien. Die adulten Tiere verloren ihren bilateralsymmetrischen Körperbau. Später kehrten die Manteltier-Gruppen der Salpen (Thaliacea) und der Appendikularien (Copelata) auch für das erwachsene Leben in das freie Wasser zurück. Dazu verblieben die Appendikularien fortan auch für das Erwachsenenalter in ihrer bilateralsymmetrischen larvalen Gestalt.
Die Körpergestalten der ausgestorbenen Vetulocystida und Vetulicolia können nur anhand von Fossilien aus dem Kambrium nachvollzogen werden. Vetulocystida waren bilateralsymmetrisch gebaut. Ihre Körper waren zweigeteilt mit abgeplatteten, breiten Vorderkörpern und Schwänzen, die mittig hinten an den Vorderkörpern ansetzten und ungefähr ein Drittel von deren Breite besaßen. Vermutlich ruhten Vetulocystida die meiste Zeit an einer Stelle auf dem Meeresboden. Sie fanden Halt, indem sie ihren Schwanz im Untergrund vergruben, so dass nur noch der Vorderkörper herausschaute. Gelegentlich wechselten sie ihren Standort, indem sie Vortrieb mit Hilfe ihrer Schwänze erzeugten, die sie seitlich hin und her schwenkten.
Der Körperbau der Vetulicolia glich in gewisser Weise jenem der Vetulocystida. Auch sie besaßen bilateralsymmetrische Gestalten mit breiten Vorderkörpern und Schwänzen. Allerdings waren die Vorderkörper nicht abgeplattet, sondern seitlich abgeflacht. Weiterhin setzten die Schwänze nicht mittig an, sondern in der Nähe der hinteren oberen Körperenden (dorsal-posterior). Vetulicolia lagerten wahrscheinlich die meiste Zeit am Meeresboden und konnten bei Gefahr einfach davonschwimmen. Zwei Gattungen wichen von dieser Lebensweise ab. Banffia ging zu einem grabenden Dasein über. Demhingegen entwickelte sich Vetulicola zu reinen Schwimmern mit sehr stromlinienförmigem Körperbau.
Weblinks
Einzelnachweise
Vielzellige Tiere
Mund
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Q150866
| 484.180396 |
1716
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fl%C3%B6he
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Flöhe
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Flöhe (Siphonaptera) bilden eine Ordnung in der Klasse der Insekten und gehören zur Gruppe der holometabolen Insekten. Von den etwa 2400 Arten der Flöhe sind etwa 80 Arten in Mitteleuropa nachgewiesen und 72 auch in Deutschland. Die Tiere zählen zu den Parasiten.
Die größten Arten sind der nordamerikanische Hystrichopsylla schefferi (, 1919), der auf dem Stummelschwanzhörnchen parasitiert und mehr als 9 Millimeter Körperlänge erreicht, und der bis 6 Millimeter große Maulwurfsfloh (Hystrichopsylla talpae , 1826), der auf dem Europäischen Maulwurf (Talpa europaea , 1758) parasitiert. Der etwas kleinere Menschenfloh (Pulex irritans) wird bis 4 Millimeter groß und ähnelt äußerlich anderen den Menschen befallenden Floharten wie dem Tropischen Rattenfloh (Xenopsylla cheopis), dem Nördlichen Rattenfloh (Nosopsyllus fasciatus), dem Hundefloh (Ctenocephalides canis) oder dem Katzenfloh (Ctenocephalides felis).
Merkmale
Flöhe besitzen keine Flügel. Dies erklärt den zweiten Teil des wissenschaftlichen Namens, der sich aus altgriechisch ‚Röhre, Heber, Spritze‘ sowie ‚ungeflügelt‘ zusammensetzt. Stattdessen haben sie aber zur schnellen Fortbewegung kräftige Hinterbeine, die ihnen weite Sprünge von fast einem Meter erlauben. Die Schnellbewegung der Sprungbeine gilt als eine der schnellsten Bewegungen im gesamten Tierreich. Um diese zu erreichen, würde die Kontraktionsgeschwindigkeit der Muskeln nicht ausreichen. Daher besitzen Flöhe in ihren Beinen sogenannte Resilinpolster: Resilin ist ein elastisches Protein, das vor dem Sprung wie ein Bogen gespannt werden kann und dem Floh auf diese Weise sehr weite und hohe Sprünge ermöglicht. Der Sprung eines Flohs ist ungerichtet.
Charakteristisch für Flöhe ist ihr seitlich abgeplatteter Körper, der es ihnen erleichtert, sich im Fell zwischen den Haaren fortzubewegen. Die Körperlänge der meisten Arten liegt zwischen 1,5 und 4,5 Millimeter. In Deutschland ist die größte Art der Maulwurfsfloh (Hystrichopsylla talpae) (, 1826), der auf dem Europäischen Maulwurf parasitiert und eine Länge von 6 Millimeter erreicht. Die nahe verwandte Art Hystrichopsylla schefferi, 1919 ist mit einer maximalen Länge von mehr als 9 Millimeter der größte rezente Floh gemessen, parasitiert das nordamerikanische Stummelschwanzhörnchen. Flöhe besitzen keine Facettenaugen, sondern ein Paar einlinsige Punktaugen. Die Mundwerkzeuge sind zu einem kombinierten Stech- und Saugrüssel umfunktioniert (daher der erste Teil des wissenschaftlichen Namens dieser Ordnung: siphon, griech. „Rohr, Röhre“). Beim Saugen führt der Floh einen regelrechten Kopfstand aus.
Flöhe besitzen einen sehr harten Chitinpanzer, der es sehr schwer macht, sie zu zerdrücken. Ein Zerreiben ist hingegen eher möglich, man kann sie auch mit dem Fingernagel zerknacken. Am Körper und an den Beinen haben sie nach hinten gerichtete Borsten und Zahnkämme (Ctenidien), die es – zusammen mit den Krallen an den Beinen – schwer machen, Flöhe aus den Haaren zu kämmen.
Lebensweise
Flöhe sind Parasiten, die von warmblütigen Tieren leben, wobei 94 Prozent aller Arten auf Säugetieren parasitieren und etwa 6 Prozent auf Vögeln. Flöhe haben zwar Vorlieben für bestimmte Wirtstiere, sind aber nicht ausschließlich auf diese angewiesen. Vielmehr scheinen Flöhe eine größere Bindung zu ihren Nestern (Tiernester, aber auch Polster, s. u.) zu haben als zu ihren Wirten.
Somit wird der Mensch auch von anderen Floharten als dem Menschenfloh (Pulex irritans , 1758) befallen. Haustierbesitzer sollten auch um ihrer eigenen Gesundheit willen darauf achten, dass ihre Tiere frei von Flöhen sind.
Flöhe werden durch das Kohlenstoffdioxid der Atemluft, Wärme und Bewegung von Tieren angelockt. Nach einer üppigen Mahlzeit kommen Flöhe bis zu zwei Monate ohne Nahrung aus.
In Wohnungen fühlen sich Flöhe in Teppichen und Polstermöbeln wohl, wo sie auch die meiste Zeit verbringen. Nur zum Blutsaugen suchen sie den Menschen auf.
Ein Floh kann maximal 1½ Jahre alt werden. Die Lebensdauer des ausgewachsenen Rattenflohs beträgt fünf bis sechs Wochen. Die Larvenentwicklung dauert je nach Temperatur acht Tage (warme Zimmertemperatur) bis zu einem Jahr. Es gibt drei Larvenstadien und ein ruhendes Puppenstadium.
Nach ihrem Verhalten werden die Flöhe in zwei Gruppen eingeteilt: Nestflöhe und Pelzflöhe. Die Nestflöhe bleiben stationär in der Nähe des Schlafplatzes ihres Wirtes in dunkler und trockener Umgebung. Sie kommen des Nachts aus ihrem Versteck, befallen den Wirt und verschwinden wieder im Versteck, wo sie ihre Eier legen. Sie sind extrem lichtscheu und lieben keine Ortsveränderung. Man findet sie daher nur sehr selten auf Kleidung, die in Gebrauch ist. Kennzeichnend ist, dass der Wirt wahllos über den ganzen Körper von Stichen (Flohstiche, genannt auch Flohbisse) befallen ist. Bekanntester Vertreter ist der Menschenfloh, der sich tagsüber an den dunklen Stellen des Bettes aufhält. Die Pelzflöhe hingegen bleiben auf ihrem Wirt sitzen und wandern mit ihm mit. Sie vertragen daher Licht ohne weiteres sehr gut, springen auch Menschen an und setzen sich in deren Kleidung fest. Aber Menschenblut nehmen sie nur ausnahmsweise, wenn keine Ratten mehr zur Verfügung stehen.
Die Larven der Flöhe ernähren sich meist von zerfallenden organischen Stoffen in der Nähe ihrer späteren Wirte. Zu ihrer Nahrung kann auch der Kot erwachsener Flöhe zählen. Erwachsene Flöhe schlüpfen erst in Anwesenheit eines Wirts aus ihrem Kokon.
Fortpflanzung
Die Fortpflanzung setzt einen bestimmten Temperaturbereich voraus. Fällt die Temperatur auf 5 °C und darunter, wird die Fortpflanzung eingestellt, bereits unter 10 °C nimmt sie signifikant ab. Das bedeutet aber nicht, dass sich Flöhe in den gemäßigten und nördlichen Breiten im Winter nicht vermehren. Sie pflanzen sich dort in Wohnungen und Ställen das ganze Jahr über fort.
Die Männchen besitzen spezielle Klammerorgane, die sie bei der Kopulation einsetzen. Das Weibchen legt die relativ großen Eier in Eipaketen zu etwa 10 Stück ab und muss zwischendurch immer wieder neue Nahrung zu sich nehmen. Während ihres Lebens können Weibchen etwa 400 Eier legen. Die Larven besitzen weder Beine noch Augen und sind mit Borsten bedeckt. Die Entwicklung verläuft im Nest des Wirtes und dauert etwa zwei bis vier Wochen. Dabei ernähren sich die Larven von den Ausscheidungen der erwachsenen Tiere. Da es sich hierbei um eingetrocknetes Blut handelt, lässt sich anhand dieses Flohkotes ein Befall effektiv nachweisen. Hierzu werden die mittels eines Flohkammes ausgekämmten Bestandteile auf eine weiße saugfähige Unterlage (Zellstoff, Kissenbezug oder Ähnliches) gegeben und leicht befeuchtet. Durch seinen Blutgehalt wischt die Ausscheidung des Parasiten rötlich aus.
Weibliche Flöhe haben eine Samentasche, in die das Männchen sein Ejakulat mit Druck einspritzt. Dort bleibt es so lange gespeichert, bis das Weibchen geeignete Bedingungen für die Eiablage vorfindet. Erst dann fließt die Samenflüssigkeit durch Kapillarwirkung aus der Samentasche.
Schadwirkung beim Menschen
Springt ein Vertreter dieser Arten auf den Menschen über, so verursacht er dort durch seinen Stich eine kleine Wunde mit einem mehr oder minder intensiven und großflächigen Juckreiz, der in der Regel dazu führt, dass die Menschen nachts unbemerkt daran kratzen. Das Ergebnis sind offene Stellen in der Haut, die sich auch entzünden können. Charakteristisch ist, dass die Stiche fast immer in Reihen liegen, weil die Flöhe leicht irritiert werden bzw. Probestiche vornehmen.
Durch Flohstiche können Bakterien (z. B. Streptokokken und Staphylokokken) übertragen werden, die möglicherweise verstärkt durch das Kratzen bei Juckreiz zu Entzündungen an der Stichstelle führen.
Der Menschenfloh (Pulex irritans) kann in seltenen Fällen durch seinen Stich die Pest auf mechanischem Wege übertragen. Speziell der Rattenfloh (Xenopsylla cheopis), der Pestfloh, ist durch seinen Stich schon lange als biologischer Überträger der Pest bekannt (siehe auch Infektionsweg). Hunde- und Katzenflöhe bleiben in der Regel auf ihren üblichen Wirten, doch bei engerem Zusammenleben gehen sie auch gerne auf den Menschen über.
Von tropischen Floharten können die Erreger von Pest, Tularämie und murinem bzw. endemischem Fleckfieber (Erreger: Bakterium Rickettsia mooseri, Vektor: in erster Linie Ratten- und flohähnliche Mäuseflöhe (Leptinus testaceus) ) übertragen werden. Eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch ist bei diesen Flöhen nicht möglich.
Bekämpfung
Gegen adulte Flöhe bei Tieren gibt es zahlreiche Wirkstoffe, die entweder zur äußeren (Spray, Spot-on, Puder, Halsband) oder zur inneren Anwendung bestimmt sind. Äußerlich werden Insektizide wie Fipronil, Imidacloprid, Metaflumizon, Nitenpyram, Selamectin angewendet. Zur inneren Anwendung in Tablettenform sind bei Tieren Wirkstoffe wie Fluralaner oder Spinosad zugelassen. Zur Verhinderung der Larvenentwicklung in befallenen Tieren eignen sich Chitininhibitoren wie Lufenuron.
Darüber hinaus sollte eine Behandlung der Umgebung des Tieres, vor allem des Liegeplatzes und bevorzugter Aufenthaltsorte, erfolgen, da sich Flöhe nicht permanent auf dem Tier aufhalten und die Wirksamkeit der am Tier angewendeten Wirkstoffe auf diesen Teil der Flohpopulation begrenzt ist. Die Umgebungsbehandlung erfolgt durch regelmäßiges Wischen, Staubsaugen und Waschen von Decken und Teppichen, unterstützt durch eine chemische Flohbekämpfung mit Chlorpyrifos, Permethrin, Propoxur, Fenoxycarb, Methopren bzw. Kombinationen dieser Wirkstoffe.
Flöhe als Attraktion
Noch in der Mitte des 20. Jahrhunderts waren Flohzirkusse eine große Attraktion. Gewöhnlich wurden Menschenflöhe (Pulex irritans) als „Artisten“ eingesetzt. Weibliche Tiere wurden bevorzugt, da sie größer und sowohl für das Publikum als auch den Dompteur besser sichtbar sind. Der Marburger Gelehrte Otto Philipp Zaunschliffer schrieb humoristische Werke über Flöhe. Ebenso hat der Orientalist Enno Littmann durch seine kleine Sammlung von Geschichten und Liedern über den Floh (Vom morgenländischen Floh. Dichtung und Wahrheit über den Floh bei Hebräern, Syriern, Arabern, Abessiniern und Türken, Leipzig 1925) dem Tier eine amüsante Schrift gewidmet.
Systematik der Flöhe
Die in Deutschland vorkommenden 72 Arten der Flöhe werden sechs Familien in vier Überfamilien zugeordnet:
Ordnung (Ordo)
Überfamilie (Superfamilia)
Familie (Familia)
Art (Spezies)
Flöhe
Pulicoidea
Pulicidae
Igelfloh – Archaeopsylla erinacei (, 1835)
Hundefloh – Ctenocephalides canis (, 1826)
Katzenfloh – Ctenocephalides felis (, 1835)
Menschenfloh – Pulex irritans , 1758
Kaninchenfloh – Spilopsyllus cuniculi , 1878
Rattenfloh – Xenopsylla cheopis (, 1903)
Tungidae (Sandflöhe)
Tunga penetrans , 1758
Hectopsylla narium
Vermipsylloidea
Vermipsyllidae
Dachsfloh – Chaetopsylla trichosa , 1903
Fuchsfloh – Chaetopsylla globiceps , 1880
Ceratophylloidea
Ceratophyllidae
Taubenfloh – Ceratophyllus columbae , 1844
Hühnerfloh oder Vogelfloh – Ceratophyllus gallinae , 1803
Leptopsylla segnis (auf Hausmaus)
Eichhörnchenfloh – Monopsyllus sciurorum , 1803
Paraceras melis , 1856 (auf Dachsen)
Peromyscopsylla bidentata (auf Rötelmaus, Wühlmäusen u.A.)
Peromyscopsylla fallax (auf Rötelmaus)
Peromyscopsylla silvatica (auf Rötelmaus, Wühlmäusen u.A.)
Ischnopsyllidae
Ischnopsyllus elongatus (auf Abendseglern u.A.)
Ischnopsyllus hexactenus (auf Langohr, Mopsfledermaus u.A.)
Ischnopsyllus intermedius (auf Mausohr, Breitflügelfledermaus u.A.)
Ischnopsyllus octactenus (auf Zwergfledermaus u.A.)
Ischnopsyllus simplex (auf Fransenfledermaus, Bartfledermaus u.A.)
Ischnopsyllus variabilis (auf Zwergfledermaus u.A.)
Nycteridopsylla dictena (auf Fledermäusen)
Nycteridopsylla eusarca (auf Abendseglern u.A.)
Nycteridopsylla longiceps (auf Zwergfledermaus u.A.)
Nycteridopsylla pentactena (auf Mopsfledermaus, Langohr u.A.)
Hufeisennasenfloh – Rhinolophopsylla unipectinata (, 1880) (auf Hufeisennasen)
Hystrichopsylloidea
Hystrichopsyllidae
Maulwurfsfloh – Hystrichopsylla talpae (, 1826)
Palaeopsylla kohauti (an Maulwurf u.A.)
Kleiner Maulwurfsfloh – Palaeopsylla minor (an Maulwurf)
Spitzmausfloh – Palaeopsylla soricis , 1878
Typhloceras poppei (auf Waldmaus u.A.)
Ctenophthalmidae
Ctenophthalmus agyrtes (auf Maulwürfen, Wühlmäusen u.A.)
Ctenophthalmus assimilis (auf Feldmaus und auch Maulwürfen)
Ctenophthalmus bisoctodentatus (auf Maulwürfen)
Ctenophthalmus congener (auf Rötelmaus, Erdmaus, Wühlmäusen u.A.)
Ctenophthalmus orientalis (auf Zieseln, Maulwürfen u.A.)
Ctenophthalmus orphilus (auf Wühlmäusen in den Alpen)
Ctenophthalmus solutus (auf Gelbhalsmaus u.A.)
Ctenophthalmus uncinatus (auf Rötelmaus u.A.)
Doratopsylla dasycnema (auf Spitzmäusen)
Fossile Belege
Der älteste fossile Beleg ist ein etwa zwei Zentimeter langer Floh aus dem Jura Chinas. Die kräftigen Mundwerkzeuge deuten auf einen Wirt mit einer relativ dicken Haut. Fossile Flöhe des Mesozoikums sind überdies aus der Unterkreide Australiens bekannt. Darüber hinaus wurden Einschlüsse in Bernstein verschiedener tertiärer Lagerstätten beschrieben. Während einige morphologische Merkmale der mesozoischen Flöhe sich noch deutlich von denen ihrer rezenten Verwandten unterscheiden, sind die wenigen (Stand 2015: 6 Exemplare) Flöhe aus dem eozänen Baltischen Bernstein und dem etwas jüngeren Bitterfelder Bernstein (sämtlich zur Gattung Palaeopsylla gestellt) den heutigen Vertretern ihrer Gattung sehr ähnlich. Als deren Wirte werden die im Tertiär weit verbreiteten kleinen Insektenfresser, wie Spitzmäuse oder Maulwürfe, angesehen. Weitere drei Exemplare sind in dem etwas jüngeren Dominikanischen Bernstein gefunden worden.
Sprichwörter, Redensarten, Metaphern
Die über lange Zeiten große Nähe der Menschen zu diesen kleinen Quälgeistern führte zu zahlreichen Sprichwörtern, Sprachbildern und Ausdrücken:
Jemandem einen Floh ins Ohr setzen (= ihm ein Vorhaben suggerieren)
Der Floh ärgert den Löwen mehr als der Löwe den Floh.
Ein morgens geborener Floh ist mittags schon Großmutter. (aus Frankreich: Üble Nachrede verbreitet sich rasend.)
(Einen) Sack Flöhe (hüten zu müssen) (= eine überkomplizierte Aufgabe bekommen zu haben)
Die Flöhe husten hören (eine hohe (auch eingebildete) Fähigkeit zur Vorahnung)
Ein lästiger Floh, lästig wie ein Floh
Flohzirkus (wie „Affenzirkus“ – ein großes Durcheinander)
Wessen Landsmann ist der Floh? Er ist 'braun' und schweigt. (= Braunschweiger)
Flohmarkt (etymologisch zurückzuführen auf mittelalterliche Märkte, auf denen Flöhe beim Handel mit gebrauchten Kleidungsstücken den Wirt wechselten)
(noch im 19. Jahrhundert für Stoffe ganz gebräuchlich:) flohfarben (= schwarzbraun)
Siehe auch
Flohfalle
Flohliteratur
Weblinks
Parasiten Flöhe – Informationen mit Abbildungen
Flöhe an Haustieren und Menschen – Informationen von der Seite Der Bio-Gärtner
Foto vom Vorderteil eines Mäuseflohs in der Seitenansicht (Wayback Machine)
Einzelnachweise
Parasit bei Vögeln
Parasit bei Säugetieren
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Q388162
| 243.497675 |
126385
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https://de.wikipedia.org/wiki/Umlaufzeit
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Umlaufzeit
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Die Umlaufzeit oder Revolutionsperiode ist in der Astronomie die Zeit, in der ein Himmelskörper auf seiner Umlaufbahn eine vollständige Umrundung zu einem Bezugspunkt vollführt (seinen Orbit einmal durchlaufen hat), also die Dauer einer Revolution.
Grundlagen
Hierbei ist zu beachten, dass es verschiedene Bezugspunkte geben kann, zu denen die vollständige Umrundung von 360° gemessen wird: So kann z. B. die Umlaufzeit des Mondes mit oder ohne Einrechnung der gleichzeitigen Bewegung der Erde um die Sonne angegeben werden.
Die astronomischen Koordinatensysteme liegen im Allgemeinen nicht gegeneinander ortsfest im Raum. Daher wird die Umlaufzeit gegen ein möglichst statisches Bezugssystem angegeben:
Entweder dient dafür der Sternhimmel, eine solche Umlaufzeit wird siderische Periode (relativ zu den Sternen) genannt.
Oder die Umlaufzeit wird in der Bahnebene in Bezug auf das Perizentrum (den mittelpunktsnähesten Punkt der Bahnellipse) gemessen, das ist die anomalistische Periode, die Bahnperiode, wie sie sich aus dem dritten Keplergesetz ergibt.
Speziell bei der Erde ist die tropische Periode entscheidend, sie berücksichtigt die Drift des Frühlingspunktes, der der Basisbezugspunkt für alle geozentrischen Koordinatensysteme ist
Für Langzeitberechnungen von Galaxien ist deren Mittelpunkt ausschlaggebend, so für die Milchstraße das galaktische Zentrum (galaktisches Koordinatensystem).
Der Bezug kann aber auch die (scheinbare) Sonnenposition sein (synodische Periode), der Knoten einzelner Planetenbahnen (drakonitische Periode), der Schwerpunkt des gesamten Sonnensystems, seines Gesamtmassenzentrums (baryzentrische Periode) oder der „Rest des Universums“ (siehe Inertialsystem) sein.
Tabelle: Umlaufzeiten im Sonnensystem
Im Spezialfall des Umlaufs der Erde um die Sonne beträgt die Länge der Revolutionsperiode ein Jahr. Weiter innen laufende Planeten (bzw. sonstige Flugkörper) haben kürzere Umlaufzeiten, weiter außen laufende haben längere Umlaufzeiten. Der Begriff „Jahr“ kann verallgemeinert werden, beispielsweise ein „Marsjahr“, ein „Venusjahr“ etc.
Das dritte Keplersche Gesetz gibt ein Proportionsverhältnis für die Umlaufzeiten zweier Planeten an:
Die Quadrate der Umlaufzeiten stehen im gleichen Verhältnis wie die Kuben (dritten Potenzen) der großen Halbachsen.
In Verbindung mit dem newtonschen Gravitationsgesetz kann die folgende Formel zur Berechnung der Umlaufzeit hergeleitet werden:
mit
U die Umlaufzeit,
a die große Halbachse,
G die Gravitationskonstante,
M1 und M2 die Massen des Zentralkörpers und des Satelliten.
Nachfolgende Tabelle enthält die Zeiten für die synodischen, siderischen bzw. anomalistischen Umlaufperioden der Planeten des Sonnensystems, eines Körpers im Asteroidengürtel und von Transneptunen, sowie des Erdmondes, Satelliten und der Sonne (angegeben in Tagen und Kalenderjahren):
Außer beim Erdmond ist die Differenz zwischen anomalistischer Bahnperiode und siderischer Umlaufzeit in dieser Genauigkeit vernachlässigbar, weil die Perizentren der Planeten und Planetoiden sich im Vergleich zur Umlaufdauer nur minimal verschieben (Perizentrumsdrehung).
Im Unterschied zum Mond sind die synodischen Umlaufzeiten bei Merkur, Venus deutlich länger, ab Mars und den äußeren Planeten (der Ausdruck „innen/außen“ bezieht sich auf den Asteroidengürtel, nicht die Erde) hingegen wieder zunehmend kürzer. Die genaue Erklärung dafür siehe im Abschnitt Planeten des Artikels Synodische Umlaufzeit.
Umrechnung synodisch – siderisch
= siderische Umlaufzeit der Erde
Äußere Planeten:
Innere Planeten:
Tabelle: Umlaufzeiten Sonne, Mond, Erde und abgeleitete Zeitgrößen
Eine Tabelle über die mittleren Daten, Standardepoche J2000.0, und die abgeleiteten Größen der Kalenderrechnung.
Zu beachten ist, dass die „Umlaufzeit der Sonne“ die von der Erde aus beobachtete scheinbare Sonnenbahn ist. Sie entsteht nicht durch einen Umlauf, sondern die Erdrotation.
Einzelnachweise
Himmelsmechanik
Gregorianischer und julianischer Kalender
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Q37640
| 361.338569 |
2552494
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https://de.wikipedia.org/wiki/Berlin
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Berlin
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Berlin ist die Hauptstadt und ein Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. Die Großstadt ist mit rund Millionen Einwohnern die bevölkerungsreichste und mit Quadratkilometern die flächengrößte Gemeinde Deutschlands sowie die bevölkerungsreichste Stadt der Europäischen Union. Die Stadt hat mit Einwohnern pro Quadratkilometer die dritthöchste Bevölkerungsdichte Deutschlands. In der Agglomeration Berlin leben knapp 4,8 Millionen Einwohner, in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg rund 6,3 Millionen. Der Stadtstaat besteht aus zwölf Bezirken. Neben den Flüssen Spree, Havel und Dahme befinden sich im Stadtgebiet kleinere Fließgewässer sowie zahlreiche Seen und Wälder.
1237 und 1244 wurden die Nachbarstädte Alt-Kölln und Alt-Berlin im heutigen Ortsteil Mitte erstmals urkundlich erwähnt. Die Doppelstadt wurde als Handelsplatz gegründet und stieg im Mittelalter zu einem bedeutenden Wirtschaftszentrum auf. In seiner fast 800-jährigen Geschichte war Berlin Hauptstadt der Mark Brandenburg, Preußens und Deutschlands. Im Laufe des 18., 19. und bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts festigte Berlin sich als internationale Großstadt mit viel Zuzug bis hin zur weltweit drittgrößten Stadt, mit der Berliner Klassik als Kulturstandort, als Zentrum der europäischen Aufklärung, sowie als bedeutender Industrie- und Wissenschaftsstandort. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs unterlag die Stadt 1945 dem Viermächtestatus; Ost-Berlin hatte ab 1949 die Funktion als Hauptstadt der sozialistischen Autokratie der Deutschen Demokratischen Republik, während West-Berlin sich eng an die freiheitlich-demokratische Bundesrepublik anschloss. Mit dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 wuchsen die beiden Stadthälften wieder zusammen und Berlin erhielt seine Rolle als gesamtdeutsche Hauptstadt zurück. Seit 1999 ist die Stadt Sitz der Bundesregierung, des Bundespräsidenten, des Deutschen Bundestages, des Bundesrates sowie der meisten Bundesministerien, zahlreicher Bundesbehörden und Botschaften.
Zu den bedeutendsten Zweigen der Wirtschaft Berlins gehören der Tourismus, die Kreativ- und Kulturwirtschaft, die Biotechnologie und Gesundheitswirtschaft mit Medizintechnik und pharmazeutischer Industrie, die Informations- und Kommunikationstechnik, die Bau- und Immobilienwirtschaft, die Finanzwirtschaft, der Handel, die Optoelektronik, die Energietechnik, die Verkehrssystemtechnik sowie das Messe- und Kongresswesen. Die Stadt ist ein europäischer Verkehrsknotenpunkt des Straßen-, Schienen- und Luftverkehrs. Berlin zählt zu den aufstrebenden, internationalen Zentren für innovative Unternehmensgründer und Start-up-Unternehmen. Berlin verzeichnet jährlich hohe Zuwachsraten bei der Zahl der Erwerbstätigen.
Berlin gilt als Weltstadt der Kultur, Politik, Medien und Wissenschaften. Die hiesigen Hochschulen und Forschungseinrichtungen, der lokale Sport und die Museen genießen internationalen Ruf. Die Metropole trägt den UNESCO-Titel Stadt des Designs und ist eines der meistbesuchten Zentren des Kontinents. Architektur, Festlichkeiten und Nachtleben sind weltweit bekannt.
Geographie
Lage
Berlins markanter Bezugspunkt, das Rote Rathaus, hat die geographische Lage: 52° 31′ 7″ nördliche Breite, 13° 24′ 30″ östliche Länge, der Flächenschwerpunkt der Stadt liegt rund zwei Kilometer südlich davon in Kreuzberg (). Die größte Ausdehnung des Stadtgebiets in Ost-West-Richtung beträgt rund 45 Kilometer, in Nord-Süd-Richtung etwa 38 Kilometer. Die Fläche Berlins beträgt knapp 892 km². Die Stadt befindet sich im Nordosten der Bundesrepublik Deutschland und ist vollständig vom Land Brandenburg umgeben.
Das historische Zentrum liegt an der schmalsten und damit verkehrsgünstigsten Stelle des Warschau-Berliner Urstromtals, das Berlin vom Südosten zum Nordwesten hin durchquert und von der Spree in Ost-West-Richtung durchflossen wird. Der nordöstliche Teil Berlins liegt auf der Hochebene des Barnim, knapp die Hälfte der Stadtfläche im südwestlichen Bereich liegt auf der Hochebene des Teltow. Der westlichste Bezirk, Spandau, verteilt sich auf das Berliner Urstromtal, das Brandenburg-Potsdamer Havelgebiet und die Zehdenick-Spandauer Havelniederung. Die Landschaft Berlins entstand im Eiszeitalter während der jüngsten Vereisungsphase, der Weichsel-Eiszeit. Vor etwa 20.000 Jahren war das Gebiet Berlins vom mehrere hundert Meter mächtigen skandinavischen Eisschild (Gletscher) bedeckt. Beim Rückschmelzen des Gletschers entstand vor etwa 18.000 Jahren das Berliner Urstromtal.
Gewässer und Erhebungen
Berlin hat zahlreiche Fließgewässer und Seen. Die Spree mündet in Spandau in die Havel, die den Westen Berlins in Nord-Süd-Richtung durchfließt. Berliner Nebenflüsse der Spree sind die Panke, die Dahme, die Wuhle und die Erpe. Der Flusslauf der Havel, eigentlich eine glaziale Rinne, ähnelt dabei oft einer Seenlandschaft; die größten Ausbuchtungen bilden der Tegeler See und der Große Wannsee. Jeweils zum Teil in Berlin liegen die der Havel zufließenden Bäche Tegeler Fließ und Bäke. Größter See Berlins ist der Große Müggelsee im Bezirk Treptow-Köpenick.
In Berlin sind 13 Wasserschutzgebiete auf einer Fläche von rund 212 km² durch Wasserschutzgebietsverordnungen ausgewiesen. Im Verhältnis zur Gesamtstadtfläche von rund 890 km² sind damit etwa ein Viertel des Stadtgebietes als Wasserschutzgebiete ausgewiesen.
Die höchsten Erhebungen Berlins sind als höchste natürliche Bodenerhebung der Große Müggelberg () im Bezirk Treptow-Köpenick, die aus Bau-Abraum entstandenen Arkenberge () im Bezirk Pankow, der aus Trümmerschutt des Zweiten Weltkriegs aufgeschüttete Teufelsberg () im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und die Ahrensfelder Berge () im Landschaftspark Wuhletal im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Der tiefste Punkt Berlins liegt mit () am Spektesee im Bezirk Spandau.
Wälder und Parkanlagen
Berlin besitzt neben ausgedehnten Waldgebieten im Westen und Südosten des Stadtgebietes (Berliner Forsten) viele große Parkanlagen. Da auch fast alle Straßen von Bäumen gesäumt sind, gilt Berlin als besonders grüne Stadt. In Berlin gibt es insgesamt rund 440.000 Straßenbäume, darunter 153.000 Linden, 82.000 Ahornbäume, 35.000 Eichen, 25.000 Platanen und 21.000 Kastanien. Die über 2500 öffentlichen Grün-, Erholungs- und Parkanlagen haben eine Gesamtfläche von über 5500 Hektar und bieten vielfältige Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten. Die größte heute als Park genutzte Anlage Berlins ist das Tempelhofer Feld, das aus dem ehemaligen Flughafen Tempelhof entstand.
Im Zentrum der Stadt liegt der Große Tiergarten. Er ist die älteste und mit 210 Hektar zweitgrößte und bedeutendste Parkanlage Berlins und wurde im Verlauf von mehr als 500 Jahren gestaltet. Ursprünglich ein ausgedehntes Waldareal vor den Toren der Stadt, genutzt von den preußischen Adeligen als Jagd- und Ausrittgebiet, wurde dieses nach und nach von der Stadtentwicklung umschlossen. Er erstreckt sich heute vom Bahnhof Zoo bis zum Brandenburger Tor und grenzt direkt an das Regierungsviertel. Einige große Straßen durchschneiden den Tiergarten, darunter die Straße des 17. Juni als Ost-West-Achse. Sie kreuzen sich am Großen Stern, in dessen Mitte seit 1939 die Siegessäule steht. Der Große Tiergarten hat die Gestalt einer naturnahen Parklandschaft: Charakteristisch sind die weiten, von kleinen Wasserläufen durchzogenen und mit Baumgruppen bestandenen Rasenflächen sowie die Seen mit kleinen Inseln und zahlreichen Brücken und Alleen. Anlagen wie der Englische Garten, die Luiseninsel und der Rosengarten setzen an einigen Stellen schmuckgärtnerische Akzente.
Neben dem Tiergarten gehört der Treptower Park im Südosten Berlins zu den bedeutendsten Parks der Stadt. Er wurde von 1876 bis 1882 vom ersten Berliner Gartenbaudirektor Gustav Meyer angelegt. Die weite an der Spree sich hinziehende Gartenlandschaft ist eines der beliebtesten Ausflugsziele der Berliner, nicht zuletzt auch wegen der bereits 1821/1822 von Carl Ferdinand Langhans als Gasthaus an der Spree erbauten heutigen Gaststätte Zenner.
Eine Besonderheit unter den Parks ist der Botanische Garten. Im Südwesten der Stadt gelegen, wird er neben seiner wissenschaftlichen Bestimmung (er gehört zur Freien Universität Berlin) auch als Erholungspark genutzt. Die Vorgängereinrichtung existierte bereits seit 1697 auf dem Gelände des heutigen Kleist-Parks in Schöneberg. Ab 1897 erfolgte der Bau der neuen Parkanlage in Dahlem und Groß-Lichterfelde. Nach dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920 und der Gebietsreform von 1938 liegt der Botanische Garten heute im Ortsteil Lichterfelde. Mit einer Fläche von über 43 Hektar ist er der viertgrößte Botanische Garten der Welt. Er umfasst rund 22.000 verschiedene Pflanzenarten. Das 25 Meter hohe, 30 Meter breite, und 60 Meter lange Große Tropenhaus ist das höchste Gewächshaus der Welt.
Weitere Parkanlagen in Berlin sind die Schlossgärten in Charlottenburg, Glienicke und auf der Pfaueninsel (die letzten beiden gehören zum UNESCO-Welterbe), die historischen Parkanlagen Lustgarten, Viktoriapark, Rudolph-Wilde-Park und Schillerpark und die zahlreichen großen Volksgärten. Im Britzer Garten fand 1985 die Bundesgartenschau statt, in den heutigen Gärten der Welt 1987 die Berliner Gartenschau. 2017 fand dort die Internationale Gartenausstellung statt. Der Mauerpark auf dem ehemaligen Todesstreifen der Berliner Mauer, das Naturschutzgebiet Schöneberger Südgelände, der Görlitzer Park und der Spreebogenpark gehören zu den jüngeren Parkanlagen Berlins.
Zoos und Schutzgebiete
Berlin verfügt über mehrere zoologische Einrichtungen: den Zoologischen Garten nebst Aquarium und den Tierpark. Der bereits 1844 an der damaligen Stadtgrenze zu Charlottenburg eröffnete Zoologische Garten ist der älteste Zoo Deutschlands und zugleich der artenreichste der Welt (rund 15.000 Tiere in 1500 Arten). Der wesentlich jüngere Tierpark verdankt seine Entstehung der Teilung Deutschlands nach 1945: Weil der Zoologische Garten im Britischen Sektor der Stadt lag, fehlte der Hauptstadt der DDR eine eigene tiergärtnerische Einrichtung. 1954 wurde daher in Friedrichsfelde unter der Leitung von Heinrich Dathe ein Tierpark auf dem Gelände des Schlossparks Friedrichsfelde eröffnet. Er ist mit 160 Hektar der größte Landschaftstierpark Europas.
In Berlin gibt es 43 Naturschutzgebiete (Stand: 2018) mit einer Gesamtfläche von 2668 Hektar, das entspricht etwa 3,0 % der Landesfläche. Hinzu kommen 56 Landschaftsschutzgebiete, die weitere 14 % der Landesfläche einnehmen. Zudem haben die Bezirke Pankow und Reinickendorf einen Flächenanteil von 5,4 % am länderübergreifenden, 75.000 Hektar umfassenden Naturpark Barnim.
Klima
Die Stadt befindet sich in der gemäßigten Klimazone am Übergang vom maritimen zum kontinentalen Klima. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts schwanken die Jahresmitteltemperaturen – mit steigender Tendenz – zwischen 7 °C und 11 °C. Die wärmsten Monate sind Juli und August, die kältesten Januar und Februar (Durchschnitt 1991–2021). Der bisherige Temperaturhöchstwert in Berlin wurde mit 38,9 °C am 7. August 2015 an der Station Kaniswall gemessen. Der meiste Niederschlag fällt im Juli, der geringste im Februar.
Hinsichtlich der Windgeschwindigkeiten und der Windrichtungsverteilung ist ein zweigeteiltes Maximum zu verzeichnen. Demnach wird in Berlin am häufigsten Nordwest- und Südwestwind beobachtet, der besonders im Winter mit höheren Geschwindigkeiten verbunden ist und meist maritime, gut durchmischte und saubere Meeresluft herantransportiert. Das zweite Maximum aus Südost und Ost ist oft kennzeichnend für Hochdruckwetterlagen kontinentaler Luftmassen, was je nach Jahreszeit zu verhältnismäßig heißen bzw. kalten Tagen führen kann.
Die geringen Höhenunterschiede innerhalb der Stadt bewirken eigentlich ein eher homogenes Stadtklima, allerdings führt die dichte Bebauung in der Stadt zu teilweise deutlichen Temperaturunterschieden im Vergleich zu großen innerstädtischen Freiflächen und vor allem zu den ausgedehnten Landwirtschaftsflächen im Umland. Vor allem in Sommernächten werden Temperaturunterschiede von bis zu 10 °C gemessen. Insgesamt jedoch profitiert Berlin auch in diesem Zusammenhang von seinem großen Grünflächenanteil: mehr als 40 Prozent des Stadtgebietes sind Grünbestand. In Berlin stehen über 900.000 Straßenbäume und Bäume in öffentlichen Grün- und Erholungsanlagen. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Bäume auf privaten Flächen und in Wäldern. Die große Anzahl kleinerer Freiflächen, besonders aber auch die innerstädtischen Grünflächen wie Großer Tiergarten, Grunewald und der ehemalige Flughafen Tempelhof mit der benachbarten Hasenheide erzeugen einen Kühlungseffekt und werden deshalb auch als „Kälteinseln“ bezeichnet.
Stadtgliederung
Die Verwaltung des Landes Berlin wird vom Senat von Berlin (der Hauptverwaltung) und den zwölf Bezirksverwaltungen wahrgenommen. Die Hauptverwaltung nimmt die gesamtstädtischen Aufgaben wahr und umfasst die Senatsverwaltungen, die ihnen nachgeordneten Behörden (Sonderbehörden) und nichtrechtsfähigen Anstalten sowie die unter ihrer Aufsicht stehenden Eigenbetriebe.
Da Berlin eine Einheitsgemeinde ist, stellen die Bezirke keine eigenständigen Gemeinden dar, gemessen an der Einwohnerzahl sind sie jedoch mit größeren Landkreisen in Flächenstaaten vergleichbar. Die Bezirke unterliegen der Bezirksaufsicht durch den Senat. In jedem Bezirk besteht eine Bezirksverordnetenversammlung (BVV). Diese wählt das Bezirksamt, bestehend aus Bezirksbürgermeister und vier Stadträten, nach Parteienproporz. Der Bezirksbürgermeister wird von der größten Fraktion oder einer größeren Zählgemeinschaft mehrerer Fraktionen gestellt. Bezirksbürgermeister und Stadträte haben trotz ihrer quasipolitischen Wahl den Status eines Wahlbeamten inne. Die Bürgermeister der Bezirke bilden unter Vorsitz des Regierenden Bürgermeisters den Rat der Bürgermeister, der den Senat berät.
Die Gliederung und Aufgaben der Berliner Verwaltung ergeben sich aus dem Allgemeinen Zuständigkeitsgesetz (AZG). Gliederung und Aufgaben der Berliner Bezirksverwaltung werden näher im Bezirksverwaltungsgesetz (BezVwG) festgelegt. Seit 1990 wird in Berlin in Teilschritten eine Verwaltungsreform vorgenommen.
Die Verwaltungsstrukturen und Behörden des Stadtstaats werden gegenwärtig (Stand: 2016/17) sowohl innerhalb Berlins als auch deutschlandweit als zu langsam arbeitend und modernisierungsbedürftig eingestuft.
Berlin gliedert sich gemäß der Verfassung von Berlin in zwölf Bezirke. Diese unterteilen sich wiederum in 97 Ortsteile (Stand: 2021), wobei die Landesverfassung lediglich eine Einteilung in Bezirke vornimmt. Die Ortsteile stellen keine Verwaltungseinheiten dar, bilden aber die Grundlage amtlicher Ortsangaben und haben daher auch administrative Grenzen.
Mit dem Groß-Berlin-Gesetz wurden 1920 acht Städte sowie 59 Landgemeinden und 27 Gutsbezirke zusammengefasst. Das neue Groß-Berlin umfasste ursprünglich 20 Bezirke mit damals 94 Ortsteilen, die mit unveränderten Grenzverläufen den vorherigen Gliederungen entsprachen. Von diesen 20 Bezirken lagen nach der Teilung der Stadt zwölf in West- und acht in Ost-Berlin.
Anlässlich der Schaffung von Neubaugebieten am östlichen Stadtrand wurde – ohne Eingemeindungen – die Zahl der Bezirke in Ost-Berlin durch Ausgründungen zwischen 1979 und 1986 auf elf erhöht. Die Aufteilung in West-Berlin blieb unverändert (bis auf einen Gebietsaustausch im Jahr 1945, als der Ostteil von Groß Glienicke im Austausch gegen West-Staaken zu Berlin kam und der 95. Ortsteil wurde).
Das wiedervereinte Berlin zählte 1990 somit zunächst 23 Bezirke, deren Zahl dann 2001 schließlich durch Bezirksfusionen im Rahmen einer Gebietsreform auf zwölf reduziert wurde. Zahl und Zuschnitt der Ortsteile wurden während der letzten Jahrzehnte ebenfalls mehrfach geändert.
Geschichte
Namensherkunft und erste Besiedlungen
Der Name der hochmittelalterlichen Gründungsstadt Berlin geht auf das altpolabische Wort Birlin, Berlin zurück, das ‚Ort in einem sumpfigen Gelände‘ bedeutet. Noch heute gibt es den See Berl in Berlin-Wartenberg. Zugrunde liegt altpolabisch birl-, berl- ‚Sumpf, Morast‘, ergänzt um das ortsnamenbildende slawische Suffix -in. Die urkundliche Überlieferung mit dem Artikel („der Berlin“) spricht für einen Flurnamen, den die Stadtgründer aufgenommen hatten. Wie alle slawischstämmigen deutschen Ortsnamen im nordöstlichen Mitteleuropa, die auf -in enden (Schwerin, Stettin, Eutin, Templin, Küstrin usw.), wird auch Berlin auf der letzten Silbe betont.
Der Name Kölln ist vermutlich eine Namensübertragung von Köln am Rhein, der auf lateinisch colonia ‚Pflanzstadt in einem eroberten Land, Kolonie‘ zurückgeht. Nicht ganz auszuschließen ist jedoch auch eine Herleitung von einem altpolabischen Namen *kol’no, der zu kol ‚Pfahl‘ gebildet wäre.
Der Stadtname ist weder auf den angeblichen Gründer der Stadt, Albrecht den Bären, noch auf das Berliner Wappentier zurückzuführen. Hierbei handelt es sich um ein redendes Wappen, mit dem versucht wird, den Stadtnamen in deutscher Interpretation bildlich darzustellen. Das Wappentier leitet sich demnach vom Stadtnamen ab, nicht umgekehrt.
Markgrafschaft und Kurfürstentum Brandenburg
Die auf der Spreeinsel gelegene Stadt Kölln wurde 1237 erstmals urkundlich erwähnt. 1244 folgte dann die erste Erwähnung (Alt-)Berlins, das am nordöstlichen Ufer der Spree liegt. Neuere archäologische Funde belegen, dass es bereits in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts vorstädtische Siedlungen beiderseits der Spree gegeben hat. 1280 fand der erste nachweisbare märkische Landtag in Berlin statt. Dies deutet auf eine frühe Spitzenstellung, wie sie auch aus dem Landbuch Karls IV. (1375) erkennbar wird, als Berlin mit Stendal, Prenzlau und Frankfurt (Oder) als die Städte mit dem höchsten Steueraufkommen nachgewiesen werden. Die beiden Städte Berlin und Kölln bekamen 1307 ein gemeinsames Rathaus.
Berlin teilte das Schicksal Brandenburgs unter den Askaniern (1157–1320), Wittelsbachern (1323–1373) und Luxemburgern (1373–1415). Im Jahr 1257 zählte der Markgraf von Brandenburg zum ersten Mal zum einzig zur Königswahl berechtigten Wahlkollegium. Die genauen Regeln wurden 1356 mit der Goldenen Bulle festgelegt; seitdem galt Brandenburg als Kurfürstentum. Nachdem der deutsche König Sigismund von Luxemburg 1415 Friedrich I. von Hohenzollern mit der Mark Brandenburg belehnt hatte, regierte diese Familie bis 1918 in Berlin als Markgrafen und Kurfürsten von Brandenburg und ab 1701 auch als Könige in bzw. von Preußen.
Ab dem 14. Jahrhundert war Berlin Mitglied des Handelsbundes der Hanse. 1518 trat Berlin formal aus der Hanse aus bzw. wurde von ihr ausgeschlossen.
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts wurde die Berliner Bevölkerung durch die Folgen der Pest dezimiert.
1448 revoltierten Einwohner von Berlin im „Berliner Unwillen“ gegen den Schlossneubau des Kurfürsten Friedrich II. („Eisenzahn“). Dieser Protest war jedoch nicht von Erfolg gekrönt, und die Stadt büßte viele ihrer mittlerweile ersessenen politischen und ökonomischen Freiheiten ein. Kurfürst Johann Cicero erklärte 1486 Berlin zur Hauptresidenzstadt des brandenburgischen Kurfürstentums.
Die Reformation wurde 1539 unter Kurfürst Joachim II. in Berlin und Kölln eingeführt, ohne dass es zu großen Auseinandersetzungen kam. Der Dreißigjährige Krieg zwischen 1618 und 1648 hatte für Berlin verheerende Folgen: Ein Drittel der Häuser wurde beschädigt, die Bevölkerungszahl halbierte sich. Friedrich Wilhelm, bekannt als der Große Kurfürst, übernahm 1640 die Regierungsgeschäfte von seinem Vater. Ab 1641 kam es zur Gründung der Vorstädte Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt.
Unter Friedrich Wilhelm wurde eine Politik der Einwanderung und der religiösen Toleranz gepflegt. 1671 wurde 50 jüdischen Familien aus Österreich ein Zuhause in Berlin gegeben. Mit dem Potsdamer Toleranzedikt 1685 lud der Kurfürst die französischen Hugenotten nach Brandenburg ein. Über 15.000 Franzosen kamen, von denen sich 6.000 in Berlin niederließen. Um 1700 waren 20 Prozent der Berliner Einwohner Franzosen, und ihr kultureller Einfluss war groß. Viele Einwanderer kamen außerdem aus Böhmen, Polen und dem Land Salzburg. Von 1658 bis 1683 wurde die Doppelstadt Berlin-Kölln zur Festung mit insgesamt 13 Bastionen ausgebaut.
Preußen und Deutsches Kaiserreich
Berlin erlangte 1701 durch die Krönung Friedrichs I. zum König in Preußen die Stellung der preußischen Hauptstadt, was durch das Edikt zur Bildung der Königlichen Residenz Berlin durch Zusammenlegung der Städte Berlin, Kölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt am 17. Januar 1709 amtlich wurde. Die Einwohnerzahl Berlins stieg dadurch auf etwa 55.000. Bald darauf entstanden neue Vorstädte, die Berlin vergrößerten. Um 1800 entwickelte sich die Stadt zu einem der Zentren der deutschen Kulturlandschaft, was in der als „Berliner Klassik“ bezeichneten großstädtischen Bürgerkultur zum Ausdruck kam. Die religiöse und gesellschaftliche Toleranz während dieser Zeit ließ Berlin zu einer der bedeutendsten Städte der Aufklärung in Europa werden.
Nach der Niederlage Preußens 1806 gegen die Armeen Napoleons verließ König Friedrich Wilhelm III. Berlin Richtung Königsberg. Behörden und wohlhabende Familien zogen aus Berlin fort. Französische Truppen besetzten die Stadt von 1806 bis 1808. Unter dem Reformer Freiherr vom und zum Stein wurde 1808 die neue Berliner Städteordnung beschlossen, was zur ersten frei gewählten Stadtverordnetenversammlung führte. An die Spitze der neuen Verwaltung wurde ein Oberbürgermeister gewählt. Die Vereidigung der neuen Stadtverwaltung, Magistrat genannt, erfolgte im Berliner Rathaus.
Bei den Reformen der Schulen und wissenschaftlichen Einrichtungen spielte die von Wilhelm von Humboldt vorgeschlagene Bildung einer Berliner Universität eine bedeutende Rolle. Die neue Universität (1810) entwickelte sich rasch zum geistigen Mittelpunkt von Berlin und wurde bald weithin berühmt. Weitere Reformen wie die Einführung einer Gewerbesteuer, das Gewerbe-Polizeigesetz (mit der Abschaffung der Zunftordnung), unter Staatskanzler Karl August von Hardenberg verabschiedet, die bürgerliche Gleichstellung der Juden und die Erneuerung des Heereswesens führten zu einem neuen Wachstumsschub in Berlin. Vor allem legten sie die Grundlage für die spätere Industrieentwicklung in der Stadt. Der König kehrte Ende 1809 nach Berlin zurück. Am 28. Mai 1813 wurden in der Jungfernheide letztmals in Preußen Todesurteile durch Verbrennen auf dem Scheiterhaufen vollstreckt.
In den folgenden Jahrzehnten bis um 1850 siedelten sich außerhalb der Stadtmauern neue Fabriken an, in denen die Zuwanderer als Arbeiter oder Tagelöhner Beschäftigung fanden. Dadurch verdoppelte sich die Zahl der Einwohner durch Zuzug aus den östlichen Landesteilen. Bedeutende Unternehmen wie Borsig, Siemens oder die AEG entstanden und führten dazu, dass Berlin bald als Industriestadt galt. Damit einher ging auch der politische Aufstieg der Berliner Arbeiterbewegung, die sich zu einer der stärksten der Welt entwickelte.
Im Ergebnis der Märzrevolution machte der König zahlreiche Zugeständnisse. 1850 wurde eine neue Stadtverfassung und Gemeindeordnung beschlossen, wonach die Presse- und Versammlungsfreiheit wieder aufgehoben, ein neues Dreiklassen-Wahlrecht eingeführt und die Befugnisse der Stadtverordneten stark eingeschränkt wurden. Die Rechte des Polizeipräsidenten Hinckeldey wurden dagegen gestärkt. In seiner Amtszeit bis 1856 sorgte er für den Aufbau der städtischen Infrastruktur (vor allem Stadtreinigung, Wasserwerke, Wasserleitungen, Errichtung von Bade- und Waschanlagen).
1861 wurden Moabit und der Wedding sowie die Tempelhofer, Schöneberger, Spandauer und weitere Vorstädte eingemeindet. Den Ausbau der Stadt regelte ab 1862 der Hobrecht-Plan. Die Blockbebauung mit einer Traufhöhe von 22 Metern prägt viele Berliner Stadtviertel. Durch den rasanten Bevölkerungsanstieg, Bauspekulation und Armut kam es zu prekären Wohnverhältnissen in den Mietskasernen der entstehenden Arbeiterwohnquartiere mit ihren für Berlin typischen mehrfach gestaffelten, engen Hinterhöfen.
Mit der Einigung zum kleindeutschen Nationalstaat durch den preußischen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck am 18. Januar 1871 wurde Berlin Hauptstadt des Deutschen Reichs (bis 1945). Nach der Entstehung des Kaiserreichs folgte die Gründerzeit, in der Deutschland zur Weltmacht und Berlin zur Weltstadt aufstieg. Berlin wurde im Jahr 1877 zunächst Millionenstadt und überstieg die Zweimillionen-Einwohner-Grenze erstmals im Jahr 1905. Der vier Jahrzehnte währende Frieden endete mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914. Nach der Niederlage Deutschlands 1918 kehrte Kaiser Wilhelm II. nicht mehr nach Berlin zurück. Er floh in die Niederlande.
Weimarer Republik und Groß-Berlin
Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurde am 9. November 1918 in Berlin die Republik ausgerufen. In den Monaten nach der Novemberrevolution kam es mehrfach zu teils blutigen Auseinandersetzungen zwischen der Regierung und ihren Freikorps sowie revolutionären Arbeitern. Anfang 1919 erschütterte der Januaraufstand die Stadt, zwei Monate später ein Generalstreik. Bei den Berliner Märzkämpfen wurden auf Befehl des sozialdemokratischen Reichswehrministers Gustav Noske Feldgeschütze, Mörser und Flugzeuge mit Bomben gegen die Bevölkerung eingesetzt. In Lichtenberg starben vom 3. bis zum 16. März insgesamt 1200 Menschen.
1920 kam es zum Blutbad vor dem Reichstag und später zum Kapp-Putsch. In der zweiten Jahreshälfte folgte mit der Gründung Groß-Berlins die größte Eingemeindung der Stadtgeschichte, bei der sich das bis dahin bestehende Berlin mit mehreren umliegenden Städten und Landgemeinden sowie zahlreichen Gutsbezirken zu dem vereinigte, was heute unter „Berlin“ verstanden wird. Die so vergrößerte Stadt hatte rund vier Millionen Einwohner und war in den 1920er-Jahren die größte Stadt Kontinentaleuropas und nach London und New York die drittgrößte Stadt der Welt. Dies ging mit einem großen Zukunftsaufbruch einher. Die Stadt erlebte in den Folgejahren eine Blütezeit der Kunst, Kultur, Wissenschaft und Technik und wurde durch die Eingemeindung der industriereichen Vororte 1920 in der Statistik zur größten Industriestadt Europas. Diese Epoche wurde später auch als die „Goldenen Zwanziger“ bekannt, die dann mit der Weltwirtschaftskrise zum Ende des Jahrzehnts, auch in Berlin, ihr jähes Ende fand.
Nationalsozialismus
Nach der Machtergreifung 1933 gewann Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus als Hauptstadt des Dritten Reichs zunächst erneut an Bedeutung, vor allem durch die Zentralisierung, die mit der „Gleichschaltung“ der Landesregierungen verbunden war. Adolf Hitler und Albert Speer entwickelten architektonische Konzepte für den Umbau der Stadt zur „Welthauptstadt Germania“, die jedoch nie verwirklicht wurden.
Das NS-Regime zerstörte Berlins jüdische Gemeinde, die vor 1933 rund 160.000 Mitglieder zählte. Nach den Novemberpogromen von 1938 wurden tausende Berliner Juden ins nahe gelegene KZ Sachsenhausen deportiert. Rund 50.000 der noch in Berlin wohnhaften 66.000 Juden wurden von 1941 an in Ghettos und Arbeitslager nach Litzmannstadt, Minsk, Kaunas, Riga, Piaski oder Theresienstadt deportiert. Viele starben dort unter den widrigen Lebensbedingungen, andere wurden später während des Holocausts in Vernichtungslager wie Auschwitz verschleppt und ermordet.
Während des Zweiten Weltkriegs wurde Berlin erstmals am 25. August 1940 von britischen Bombern angegriffen. Die alliierten Luftangriffe steigerten sich massiv ab 1943, wobei große Teile Berlins zerstört wurden. Die Schlacht um Berlin 1945 führte zu weiteren Zerstörungen. Fast die Hälfte aller Gebäude war zerstört, nur ein Viertel aller Wohnungen war unbeschädigt geblieben. Von 226 Brücken standen nur noch 98.
Geteilte Stadt
Nach der Einnahme der Stadt durch die Rote Armee und der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945 wurde Berlin gemäß den Londoner Protokollen – der Gliederung ganz Deutschlands in Besatzungszonen entsprechend – im Juli 1945 in vier Sektoren aufgeteilt. Es entstanden die Sektoren der USA, des Vereinigten Königreichs, Frankreichs und der Sowjetunion. Weder in der Konferenz von Jalta noch im Potsdamer Abkommen war eine förmliche Teilung in Westsektoren und Ostsektor (West-Berlin und Ost-Berlin) vorgesehen. Diese Gruppierung ergab sich 1945/46 unter anderem durch das gemeinsame Interesse der West-Alliierten.
Die Sowjetische Militäradministration in Deutschland schuf schon am 19. Mai 1945 einen Magistrat für Berlin. Er bestand aus einem parteilosen Oberbürgermeister, vier Stellvertretern und 16 Stadträten. Für Groß-Berlin blieb allerdings eine Gesamtverantwortung aller vier Hauptsiegermächte bestehen. Es wurde versucht, nicht mehr gewollte Straßennamen der Vorkriegszeit in einem neuen Stadtplan umzubenennen, was nur teilweise erfolgte. Die zunehmenden politischen Differenzen zwischen den Westalliierten und der Sowjetunion führten nach einer Währungsreform in den West-Sektoren 1948/1949 zu einer wirtschaftlichen Blockade West-Berlins, welche die Westalliierten mit der „Berliner Luftbrücke“ überwanden.
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland im Westen Deutschlands und der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) im Osten Deutschlands im Jahr 1949 verfestigte sich der Kalte Krieg auch in Berlin. Während die Bundesrepublik ihren Regierungssitz in Bonn einrichtete, proklamierte die DDR Berlin als Hauptstadt. West-Berlin war somit seit 1949 de facto ein Land der Bundesrepublik mit rechtlicher Sonderstellung und Ost-Berlin de facto ein Teil der DDR.
Der Ost-West-Konflikt gipfelte in der Berlin-Krise und führte zum Bau der Berliner Mauer durch die DDR am 13. August 1961. Der Osten und Westen der Stadt waren seitdem voneinander getrennt. Der Übergang war nur an bestimmten Kontrollpunkten möglich, allerdings nicht mehr für die Bewohner der DDR und Ost-Berlins und bis 1972 nur in Ausnahmefällen für Bewohner West-Berlins, jene die nicht nur im Besitz des Berliner Personalausweises waren. 1972 trat das Viermächteabkommen über Berlin in Kraft. Während die Sowjetunion den Viermächte-Status nur auf West-Berlin bezog, unterstrichen die Westmächte 1975 in einer Note an die Vereinten Nationen ihre Auffassung vom Viermächte-Status über Gesamt-Berlin. Die Problematik des umstrittenen Status Berlins wird auch als Berlin-Frage bezeichnet.
Am 26. Juni 1963 besuchte der amerikanische Präsident John F. Kennedy West-Berlin und hielt seine vielbeachtete „Ich bin ein Berliner“-Rede vor dem Rathaus Schöneberg.
In der DDR kam es 1989 zur politischen Wende, die Mauer wurde am 9. November geöffnet.
Wiedervereinte Stadt
Am 3. Oktober 1990 wurden die beiden deutschen Staaten durch den Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland vereint und Berlin per Einigungsvertrag Bundeshauptstadt. Im Jahr 1994 zogen sich dann schließlich auch die Truppen der früheren Besatzungsmächte aus Berlin zurück.
Am 20. Juni 1991 beschloss der Bundestag mit dem Hauptstadtbeschluss nach kontroverser öffentlicher Diskussion, dass die Stadt Sitz der deutschen Bundesregierung und des Bundestages sein solle. 1994 wurde das Schloss Bellevue auf Initiative Richard von Weizsäckers zum ersten Amtssitz des Bundespräsidenten. In der Folgezeit wurde das Bundespräsidialamt in unmittelbarer Nähe errichtet. Im Jahr 1999 nahmen dann Regierung und Parlament wieder ihre Arbeit in Berlin auf. 2001 wurde das neue Bundeskanzleramt eingeweiht und vom damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder bezogen. Die überwiegende Zahl der Auslandsvertretungen in Deutschland verlegten in den folgenden Jahren ihren Sitz nach Berlin.
Zum 1. Januar 2001 wurde die Zahl der Bezirke von 23 auf 12 reduziert, um eine effizientere Verwaltung und Planung zu ermöglichen.
Bevölkerung
Einwohnerentwicklung
Berlin hatte am insgesamt Einwohner und ist damit die bevölkerungsreichste Stadt Deutschlands. Berlin ist innerhalb der Verwaltungsgrenzen bevölkerungsreichste Stadt der Europäischen Union. Die Agglomeration Berlin zählt 4,8 Millionen Einwohner (31. Dezember 2012), die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg, die beide Länder umfasst, etwa 6,2 Millionen Einwohner.
Bis Mitte des 17. Jahrhunderts war die Berliner Gegend nur spärlich bevölkert, der Dreißigjährige Krieg hatte die Bevölkerung Berlins noch einmal etwa halbiert. Doch nachdem Kurfürst Friedrich Wilhelm 1640 die Regierungsgeschäfte von seinem Vater übernommen hatte, holte er unter anderem viele Hugenotten aus Frankreich in die Region. So stieg die Bevölkerung von rund 6.000 um 1648 auf rund 57.000 im Jahr 1709. Die Einwohnerzahl wuchs stetig, sodass Berlin 1747 zur Großstadt und 1877 zur Millionenstadt wurde.
Der Bevölkerungsanstieg im Berliner Raum hatte infolge der nach den Preußischen Reformen einsetzenden Industrialisierung eine Beschleunigung erfahren. Die Berliner im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts waren nur noch zu 40 % in Berlin geboren. Im Jahre 1900 stammten von den 1,9 Millionen Berlinern aus den preußischen Provinzen Brandenburg über 20 %, Ost- und Westpreußen 9 %, Schlesien 7 %, Pommern 6 %, Posen 5 Prozent und Sachsen 4 %. Eher gering war mit drei bis vier Prozent die Zuwanderung aus anderen Regionen Deutschlands und mit gut 1,5 % aus dem Ausland. Der Anteil der Berliner mit deutscher Muttersprache lag 1895 bei über 98 %. Mit dem Groß-Berlin-Gesetz von 1920 stieg die Bevölkerungszahl durch Eingemeindung bisher unabhängiger Städte und Dörfer auf fast vier Millionen an. Berlin war damit in den 1920er und 1930er Jahren die flächenmäßig zweitgrößte Stadtgemeinde der Welt nach Los Angeles und nach New York City und London die bevölkerungsmäßig drittgrößte Stadt der Erde. Die Einwohnerzahl überschritt in den 1920er Jahren die Viermillionengrenze und erreichte 1942 mit 4,48 Millionen ihren Höchststand (damals hingegen ein theoretischer Wert).
Durch den Zweiten Weltkrieg fiel die Zahl wieder und lag seitdem konstant zwischen drei und dreieinhalb Millionen Einwohnern. Jungen Männern aus dem Bundesgebiet bot zwischen 1957 und 1990 eine Übersiedlung nach West-Berlin die Möglichkeit, sich der Wehrpflicht zur Bundeswehr zu entziehen, weil dort die Wehrgesetzgebung der Bundesrepublik nicht galt. Die Zahl der Zuzüge wie der Fortzüge liegt seit 1991 jährlich zwischen 100.000 und 145.000. Die oft zitierte Behauptung aus dem Jahr 2007, 1,7 Millionen Berliner hätten die Stadt nach der Wiedervereinigung (seit 1991) verlassen, 1,8 Millionen Menschen seien zugezogen und hätten damit für einen umfangreichen Bevölkerungsaustausch gesorgt, beruht auf einer bloßen Addition sämtlicher Zuzüge und sämtlicher Fortzüge und überzeichnet die wirkliche Bevölkerungsfluktuation. Berlin hat seit jeher eine in Deutschland weit überdurchschnittliche räumliche Bevölkerungsbewegung. Allein im Jahr 2014 zogen 317.151 Menschen nach Berlin, zugleich zogen 275.259 Einwohner aus der Stadt, was eine positive Wanderungsbilanz von 41.892 ergibt.
Bevölkerungsgruppen
Berlin ist spätestens seit dem Ende des 17. Jahrhunderts Zuzugsgebiet für Deutsche aus dem deutschsprachigen Raum. Der Wanderungsgewinn gegenüber dem übrigen Bundesgebiet betrug im Jahr 2009 etwa 18.000 Personen.
Laut Einwohnerregisterstatistik waren Ende 2022 von den Einwohnern der Stadt 61,4 % Deutsche ohne Migrationshintergrund, 15,2 % Deutsche mit Migrationshintergrund und 23,4 % Ausländer.
In den Jahrzehnten nach 1945 kamen viele Gastarbeiter aus Südeuropa und der Türkei nach West- und Vertragsarbeiter vor allem aus Vietnam nach Ost-Berlin. Seit den 1980er-Jahren machten sich viele russlanddeutsche Spätaussiedler und seit der deutschen Wiedervereinigung schließlich Juden aus dem Osten Europas, vor allem der Ukraine und Russland, sowie später aus Israel auf den Weg. In der Stadt leben Bürger aus rund 190 Staaten.
Unter den zahlreich in die Stadt zuwandernden Europäern gibt es einer Studie von 2015 zufolge mit 24,3 % einen besonders hohen Anteil junger Akademiker, vor allem bei Franzosen, Spaniern und Italienern.
Kreuzberg und Neukölln bilden Schwerpunkte der deutsch-türkischen Bevölkerung. Mit etwa 180.000 türkischstämmigen Bürgern gilt Berlin als eine der größten türkischen Gemeinden außerhalb der Türkei. Zusätzlich leben rund 70.000 Afrodeutsche in Berlin.
Es gibt mehr als 25 Gruppen mit jeweils mehr als 10.000 Menschen, die einen Migrationshintergrund haben.
Im Jahr 2009 lebten nach einer Schätzung des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts zwischen 100.000 und 250.000 nicht registrierte Immigranten in Berlin.
Berlin will über die zugewiesene Quote hinausgehend zusätzliche Asylsuchende aufnehmen und organisiert sich zu diesem Zweck mit anderen Kommunen im Städtenetzwerk „Solidarity City“.
Sprache
Amtssprache in Berlin ist Deutsch. Berlinisch (umgangssprachlich auch: Berlinerisch) ist eine sogenannte Ausgleichsmundart, die in Berlin als städtischem Zentrum im Laufe der Jahrhunderte aus verschiedenen sprachlichen Einflüssen entstand. Sprachwissenschaftlich handelt es sich beim Berlinischen tatsächlich um einen Metrolekt, eine städtische Sprachmischung, die nicht nur regionalen Ursprungs ist, sondern durch Mischung von Dialekten unterschiedlicher Herkunft entstanden ist. Als Substrat dient dabei das Niederdeutsche, das durch Zuwanderung aus anderen Regionen und den Einfluss des Ostmitteldeutschen allmählich überlagert wurde. Es hielten sich jedoch einzelne als „spezifisch berlinerisch“ wahrgenommene Formen wie det, wat, loofen, koofen (im Gegensatz zum Standarddeutschen das, was, laufen, kaufen).
Das Berlinische nahm zahlreiche Wörter und Redewendungen aus anderen Sprachen und Dialekten wie dem Französischen (Ansiedlung von Hugenotten nach dem Dreißigjährigen Krieg), dem Jiddischen (jüdische Flüchtlinge seit dem 16., vor allem aber im 19. und 20. Jahrhundert) und dem Schlesischen/Polnischen (nach der Eroberung Schlesiens und den polnischen Teilungen Ende des 18. Jahrhunderts) auf. Berlinisch wird in Berlin und im Berliner Umland gesprochen, und es enthält auch nur dort übliche (Sprich-)Worte oder geprägte ironische Redewendungen, die sogenannten „Berolinismen“.
In der Umgebung Berlins sowie in den Stadtteilen, die bis zur Eingemeindung Dörfer ohne nennenswerten Kontakt zur Hauptstadt waren, wurden ursprünglich märkische Dialekte des Ostniederdeutschen gesprochen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts strahlte Berlin als wachsende Metropole auch sprachlich zunehmend auf die Umgebung aus und die berlinerische Umgangssprache verdrängte die dortigen Dialekte oder veränderte sie zumindest erheblich. Tatsächlich ist das heutige Brandenburgische eine Varietät des Berliner Metrolekts.
In der Geschichte war das Berlinische die Sprache der einfachen Leute, die Bildungsschicht pflegte zumeist ein einwandfreies Hochdeutsch. Viele Neu-Berliner nahmen zwar Teile des Berlinischen an, aber die ständige Verwendung wurde als eher „unfein“ betrachtet. In der DDR änderte sich diese Einstellung teilweise, sodass Berlinerisch auch in gebildeten Kreisen teilweise gepflegt wurde. Dadurch finden sich die Zentren der verstärkten Verwendung meist in den ehemaligen Ostbezirken, den alten westlichen Arbeiterbezirken und dem Umland. Unverändert wird die Sprache in Berlin von Zuwandererwellen und medial geprägten Sprachgewohnheiten beeinflusst, wodurch die verwendete Umgangssprache sich stetig weiterentwickelt.
Religionen und Weltanschauungen
Von den rund 3,9 Millionen Berlinern waren Juni 2023 12,3 % evangelisch, 7,2 % katholisch und 80,5 gehörten anderen Glaubensgemeinschaften oder keiner an.
Beim Zensus 2011 wurde ermittelt, dass 21,6 % der Berliner Bevölkerung der evangelischen Landeskirche angehörten, 9,6 % der katholischen Kirche, 1,5 % einer orthodoxen Kirche und 0,7 % einer evangelischen Freikirche. Nach einer Berechnung aus den Zensuszahlen für die Personen mit Migrationshintergrund lag der Bevölkerungsanteil der Muslime in Berlin im Jahr 2011 bei 7,6 % (rund 249.200 Personen).Islamischen Glaubensrichtungen wurden 2018 nach Untersuchungen 250.000 bis 300.000 (7–9 %) Personen zugerechnet.
In Berlin sind mehrere humanistische und andere Vereinigungen nichtreligiöser Menschen vertreten. So haben der Humanistische Verband Deutschlands, dessen Berliner Landesverband rund 7.800 Mitglieder im Jahr 2012 zählte, und die Humanistische Akademie Deutschland ihren Sitz in Berlin. 1982 erfolgte im Westteil Berlins die Einführung des Schulfaches Humanistische Lebenskunde, dessen Teilnehmerzahl sich 2017 auf knapp 62.650 Schüler beläuft.
Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche, die im Stadtgebiet mit sieben Kirchengemeinden vertreten ist, ging zumeist aus der 1830 entstandenen Evangelisch-lutherischen Kirche hervor. Diese Kirchengemeinden gehören zum Kirchenbezirk Berlin-Brandenburg.
Ebenfalls in Berlin ansässig sind ein russisch-orthodoxer und ein bulgarisch-orthodoxer Bischof, die meisten anderen orthodoxen und altorientalischen Nationalkirchen sind ebenfalls mit Gemeinden vertreten.
Die Anglikanische Gemeinschaft bzw. die Church of England hat eine sogenannte „Chaplaincy“ (Gemeinde), St. George’s Anglican/Episcopal Church. Die Gemeinde hat ihre Kirche in Westend in der Preußenallee. Ferner existiert in Wilmersdorf eine altkatholische Gemeinde, die in der Alt-Schöneberger Dorfkirche zu Gast war, seit 2010 aber eine eigene Hauskirche nahe dem Bundesplatz besitzt. Die alt-katholische und anglikanische Gemeinden stehen in Kirchengemeinschaft und feiern gemeinsame Gottesdienste in der Marienkirche.
Baptisten gibt es in Berlin seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit ihren 36 Gemeinden bilden sie die größte Freikirche der Stadt. Unter anderem gibt es auch 29 Gemeinden der Neuapostolischen Kirche. Es gibt sechs Gemeinden der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage. Die älteste Berliner Mennonitengemeinde besteht seit 1887.
Berlin ist seit 1999 Sitz des Zentralrats der Juden in Deutschland. Der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der größten Gemeinde jüdischen Glaubens in Deutschland, werden über 12.000 Mitglieder zugerechnet. Es befinden sich über elf Synagogen, mehrere buddhistische Tempel, sieben Moscheebauten und 91 islamische Gebetsräume in der Stadt. Seit 1907 gibt es Bahai in Berlin, die regelmäßig am interreligiösen Dialog in Berlin teilnehmen. Zudem leben rund 7.000 Hindus in Berlin.
Persönlichkeiten
Ehrenbürger sind in der Liste der Ehrenbürger von Berlin aufgeführt, in der Stadt geborene Persönlichkeiten in der Liste von Söhnen und Töchtern Berlins, Biografien von Menschen mit deutlichem Bezug zu Berlin werden in der Kategorie Person (Berlin) gesammelt. Die Mitglieder der Berliner Landesregierungen seit 1948 finden sich in den Auflistungen Liste der Bürgermeister von Berlin und Liste der Senatoren von Berlin. Verschiedene Stadtoriginale sind unter Berliner Originale zusammengefasst.
Politik
Deutsche Hauptstadt
Der Deutsche Bundestag entschied 1991 nach der Wiedervereinigung im sogenannten „Hauptstadtbeschluss“, dass Berlin als Bundeshauptstadt auch Sitz des Bundestages und der Bundesregierung werden sollte. Das Berlin/Bonn-Gesetz ist eine Folge des Hauptstadtbeschlusses vom 20. Juni 1991, in dem Berlin auch zum Regierungssitz bestimmt wurde.
Seit 1994 befindet sich der Erste Amtssitz des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue in Berlin. 1999 zog der größte Teil der Bundesregierung von Bonn nach Berlin um. Bundestag (im Reichstagsgebäude), Bundesrat und Bundesregierung haben seitdem ihren Betrieb in der Bundeshauptstadt aufgenommen. Im Jahr 2001 wurde das Bundeskanzleramt eingeweiht und erstmals von Bundeskanzler Gerhard Schröder bezogen. Die neuerrichtete Zentrale des Bundesnachrichtendienstes wurde im November 2018 bezogen.
Von den derzeit 16 Bundesministerien des 20. deutschen Bundeskabinetts haben zehn ihren Hauptsitz in Berlin. Darunter sind das Auswärtige Amt sowie die Bundesministerien für Wirtschaft und Klimaschutz; für Finanzen; für Familie, Senioren, Frauen und Jugend; für Arbeit und Soziales; des Innern; der Justiz; für Digitales und Verkehr. Die übrigen sechs Bundesministerien haben ihren Hauptsitz in der Bundesstadt Bonn. Alle Ministerien, auch die in der Hauptstadt ansässigen, haben einen Zweitsitz in der jeweils anderen Stadt.
In Berlin sind die Bundesministerien für Bildung und Forschung; für Ernährung und Landwirtschaft; für Gesundheit; für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz; der Verteidigung und für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mit einem Zweitsitz vertreten. Etwa zwei Drittel der Ministeriumsbeschäftigten, rund 12.600 Beamte und Tarifbeschäftigte (Stand: 2018), arbeiten in Berlin.
In Berlin haben 158 Staaten ihren deutschen Botschaftssitz, während die 16 Bundesländer mit Landesvertretungen repräsentiert sind. Eine Vielzahl der diplomatischen Vertretungen sind im Tiergartenviertel niedergelassen.
Als Regierungssitz des Staates mit der größten Volkswirtschaft Europas zählt Berlin zu den einflussreichen und gesuchten Zentren der europäischen Politik. Parteizentralen, Gewerkschaften, Stiftungen, Verbände und Lobbyvertretungen von Unternehmen haben dort ihren Sitz, um vor Ort ihren Einfluss auf Entscheidungsprozesse in Parlament und Regierung geltend machen zu können. Staatsbesuche und Empfänge auf allen politischen Ebenen sowie Staatsakte und gesellschaftlich bedeutende Feierlichkeiten prägen den politischen Jahreskalender Berlins. Das Bundesgesetzblatt hingegen wird bis heute in Bonn herausgegeben, und kein einziges Bundesgericht hat seinen Sitz in Berlin.
Land Berlin
Von 1808 bis 1935 und von 1945 bis 1948 wurde die preußische Landeshauptstadt Berlin von einem Magistrat verwaltet, an dessen Spitze ein Oberbürgermeister stand. In der Zeit von 1935 bis 1945 gab es gemäß der Deutschen Gemeindeordnung keinen Magistrat. Von 1948 bis zur Wiedervereinigung 1990 bestanden in der geteilten Stadt ein Magistrat in Ost-Berlin und ein Senat in West-Berlin.
Das heutige Berlin (Länderanhangscode BE) ist im staatsrechtlichen Sinne erst seit der Wiedervereinigung auch ein deutsches Land. Dieses umfasst exakt die Stadt Berlin. Zwar erklärte neben der Berliner Landesverfassung von 1950 auch das deutsche Grundgesetz das Land Berlin zum Gliedstaat der Bundesrepublik Deutschland, wegen der Vorbehalte der Alliierten war dies bis dahin jedoch völkerrechtlich unwirksam. Faktisch war West-Berlin seit 1949 mit einigen Einschränkungen Teil der Bundesrepublik Deutschland, während dasselbe für das formal miteinbezogene Ost-Berlin keine faktische Wirksamkeit hatte. In Artikel 3 des Einigungsvertrages ist die ständige Rechtsauffassung der Bundesrepublik, dass das Grundgesetz in West-Berlin bereits vor der Wiedervereinigung gegolten hat, festgeschrieben.
Legislative
Das Landesparlament des Landes, die gesetzgebende Gewalt, ist nach der Verfassung von Berlin das Abgeordnetenhaus von Berlin. In ihm sind derzeit Abgeordnete aus CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und AfD vertreten.
Exekutive
Der Senat von Berlin, bestehend aus dem Regierenden Bürgermeister und zehn Senatoren, bildet die Landesregierung. Der Regierende Bürgermeister ist zugleich das Oberhaupt des Landes und der Stadt. Die Senatsverwaltungen entsprechen den Ministerien in Flächenländern und konstituieren sich gegenwärtig wie folgt: Senatsverwaltung für Finanzen, Senatsverwaltung für Arbeit, Soziales, Gleichstellung, Integration, Vielfalt und Antidiskriminierung, Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie, Senatsverwaltung für Wissenschaft, Gesundheit und Pflege, Senatsverwaltung für Inneres und Sport, Senatsverwaltung für Justiz und Verbraucherschutz, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen, Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe, Senatsverwaltung für Kultur und Gesellschaftlichen Zusammenhalt, sowie die Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt. Der Berliner Senat wird seit 2023 von der CDU angeführt. An der Regierung war seit 1991 stets die SPD beteiligt, zumeist auch die Partei Die Linke, teilweise aber auch die CDU und Bündnis 90/Die Grünen.
Nach der Wahl zum Abgeordnetenhaus vom 12. Februar 2023 wurde der Senat von CDU und SPD unter Führung von Kai Wegner (CDU) als Regierendem Bürgermeister gebildet.
Justiz
Im Gerichtsbezirk Berlin gibt es 15 Untere Landesgerichte und vier Obere Landesgerichte. Von den vier Standorten der Oberverwaltungsgerichte in Berlin gehören zwei zum Gerichtsbezirk der Länder Berlin und Brandenburg.
Der Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin besteht seit 1990. Im Jahr 2020 verfügte das Land über acht Justizvollzugsanstalten.
Finanzen
Die Ausgaben des Landes Berlin 2012 betrugen 22,5 Milliarden Euro. Die Gesamtverschuldung des Landes Berlin betrug 2013 etwa 59,8 Milliarden Euro bzw. 57,72 % des Bruttoinlandsprodukts. Die Europäische Union steuert während der Periode 2014–2020 rund 850 Millionen Euro zum Haushalt hinzu.
Für den Gesamthaushalt erhielt das Land 2012 etwa 3,2 Milliarden Euro aus dem Länderfinanzausgleich und etwa 2,4 Milliarden Euro Bundesergänzungszuweisungen. 2018 führte Berlin mit 4,4 Milliarden Euro an Zuwendungen aus dem Länderfinanzausgleich die Liste der vier Empfängerländer mit deutlichem Abstand an.
In einer Studie von 2013, bei der sich die Wiedereinführung der Vermögensteuer an einem Konzept der damaligen rot-grünen Bundesländer orientierte, wurden die daraus resultierenden zusätzlichen Steuereinnahmen nach Bundesländern aufgeschlüsselt. Demnach würden sich die Steuereinnahmen aller Bundesländer erhöhen und durch den Länderfinanzausgleich auch ärmere Bundesländer von den Mehreinnahmen profitieren. Die höchsten zusätzlichen Steuereinnahmen je Einwohner hätten (nach dem Länderfinanzausgleich) Hamburg, Bremen und Berlin.
Wappen und Flaggen
Das Berliner Wappen zeigt im silbernen (weißen) Schild einen rot bewehrten und rot gezungten, aufrecht schreitenden schwarzen Bären, den sogenannten Berliner Bären. Auf dem Schild ruht eine goldene fünfblättrige Laubkrone, deren Stirnreif als Mauerwerk mit geschlossenem Tor in der Mitte ausgelegt ist. Die Herkunft des Bären als Wappentier ist ungeklärt, Dokument oder Unterlagen fehlen hierzu. Es gibt mehrere Theorien, warum sich die Stadtvertreter für den Bären entschieden. Eine davon besagt, dass die Berliner an Albrecht den Bären, den Begründer der Mark Brandenburg dachten. Eine andere geht von der lautmalerischen Interpretation des Stadtnamens aus. Der Bär ist erstmals auf einem Siegel von 1280 zu sehen. Über mehrere Jahrhunderte musste sich der Bär die Siegel- und Wappenbilder mit dem brandenburgischen und preußischen Adler teilen. Erst im 20. Jahrhundert konnte sich der Berliner Bär endgültig gegen die Adler als Hoheitszeichen der Stadt durchsetzen.
Die Berliner Landesflagge zeigt den Berliner Bären vor weißem Hintergrund, mit einem roten Streifen am oberen und unteren Rand der Flagge. Sie wird mit geringfügigen stilistischen Änderungen seit 1911 von Berlin geführt und wehte das erste Mal 1913 über dem Roten Rathaus. Vorher führte Berlin eine Flagge in den Farben Schwarz-Rot-Weiß, die wegen ständiger Verwechslungen mit der später entstandenen Flagge des Deutschen Kaiserreichs gegen die Bärenflagge getauscht wurde. Das Landessymbol ist der Bärenschild ohne Laubkrone in drei Farbausführungen. Es wird von der Senatsverwaltung für Inneres und Sport bereitgestellt, um Privatpersonen, Unternehmen und nichthoheitlichen Einrichtungen zu ermöglichen, die Verbundenheit mit Berlin mit einem Symbol zu dokumentieren. Die Berliner Bezirke besitzen eigene Wappen. Als verbindendes Element aller Berliner Bezirke mit der Stadt Berlin, aber auch untereinander, ruht auf den Schilden eine dreitürmige Mauerkrone, deren mittleren Turm mit dem Berliner Wappenschild (silber) belegt ist.
Städtepartnerschaften
Das Land Berlin unterhält folgende Gemeindepartnerschaften. Bis auf zwei Ausnahmen sind alle Partnerstädte ebenfalls die Hauptstadt ihres Staates.
Die einzelnen Berliner Bezirke unterhalten weitere Partnerschaften, häufig auch mit einem einzelnen Stadtteil anderer Großstädte.
Polizei und Feuerwehr
Die Polizei Berlin (bis März 2021 „Der Polizeipräsident in Berlin“) ist die Polizei des Landes Berlin. Die Landespolizei ist in fünf örtliche und eine überörtliche Direktion sowie das Landeskriminalamt unterteilt.
Die Polizei Berlin beschäftigt über 27.000 Bedienstete, davon rund 18.500 im Polizeivollzugsdienst und ca. 3.000 in der Verwaltung. Die Gesamtausgaben für die Polizei in Berlin belaufen sich auf etwa 1,9 Milliarden Euro pro Jahr.
Dem Bundesinnenministerium untersteht der Dienststab der Bundespolizeidirektion Berlin mit Sitz in Oberschöneweide. Der Stab ist für die Länder Berlin und Brandenburg zuständig und mit rund 3.700 Mitarbeitern besetzt (Stand: 2017).
Die Berliner Feuerwehr wurde im Jahr 1851 gegründet und ist damit die erste Berufsfeuerwehr Deutschlands. Mit ihren rund 4.050 Mitarbeitern (Stand: 2016) und 34 Berufsfeuerwachen ist sie auch die größte städtische Feuerwehr in Deutschland. Unterstützt wird sie durch 58 Freiwillige Feuerwehren mit rund 1.400 aktiven ehrenamtlichen Mitgliedern und ggf. durch die Hilfsorganisationen und das Technische Hilfswerk (THW).
Wirtschaft
Überblick
2019 betrug das nominale Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Landes Berlin 153,3 Milliarden Euro. Gemessen am nominalen BIP ist Berlin die größte städtische Wirtschaft in Deutschland und im deutschsprachigen Raum sowie die drittgrößte innerhalb der Europäischen Union.
Zwischen 2009 und 2019 stieg das Bruttoinlandsprodukt um jahresdurchschnittlich 4,5 %, gegenüber bundesweit 3,5 %. 2019 betrug das BIP pro Kopf im Land Berlin 41.967 Euro und lag erstmals seit 1990 über dem bundesdeutschen Durchschnitt. Die Zahl der Erwerbstätigen in Berlin lag im selben Jahr bei rund 2,064 Millionen Personen. Das waren 2,4 % mehr als im Vorjahr.
Laut dem Sozialbericht 2019 des Amtes für Statistik waren in Berlin 16,5 % der Bevölkerung armutsgefährdet. Dagegen lebten 9,1 % der Bevölkerung über der Reichtumsgrenze in Einkommensreichtum. Im Jahr 2016 lebten 489 Einkommensmillionäre in Berlin. Bis 2019 stieg diese Anzahl in ganz Berlin um mehr als 50 % auf 749 Einkommensmillionäre.
Die bedeutendsten Wirtschaftszweige Berlins sind die Kreativ- und Kulturwirtschaft, Tourismus, Biotechnologie, Medizintechnik, pharmazeutische Industrie, Medien/Informations- und Kommunikationstechnologie, Bauwirtschaft, Einzelhandel, Verkehrssystemtechnik, Optik sowie die Energietechnik. Die Gesamtwirtschaftsleistung Berlins wird zu rund 80 % durch den Dienstleistungssektor erbracht.
Zu den wesentlichen Standortfaktoren der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg zählen unter anderem die renommierte Universitäts- und Forschungslandschaft, die kulturelle Attraktivität der Metropole, eine Vielzahl von akademisch ausgebildeten Arbeitnehmern, die Nähe zum Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland, die internationale Bekanntheit der Metropole, der Zugang zu Wagniskapitalgebern sowie die hochausdifferenzierte lokale Verkehrsinfrastruktur und medizinische Versorgung. In verschiedenen international angelegten Studien und Ranglisten wird die Lebensqualität Berlins zudem als sehr überdurchschnittlich bewertet.
Zu den größten Problemfeldern der Berliner Wirtschaft zählt die im internationalen Vergleich zu niedrige Geburtenrate und der hohe Grad an Kinderlosigkeit in weiten Teilen der Bevölkerung. Mittel- und langfristig könnte dies zu einem ansteigenden Fachkräftemangel und einem Verlust an Innovationsfähigkeit führen. Im Bestandsranking des Zukunftsatlas 2019 belegte die Stadt Berlin Platz 93 von 402 Landkreisen, Kommunalverbänden und kreisfreien Städten in Deutschland. Berlins größte Stärke ist, laut dem Report, die hohe Dynamik der Stadt, während das vergleichsweise niedrige Wertschöpfungssniveau die größte Schwäche darstellt. Insbesondere seit 2019 wurde Berlin im Ergebnis mehrerer Studien unter anderem als „dynamischste Großstadt Deutschlands“, „Deutschlands attraktivste Stadt“ und „Deutschlands Stadt mit den besten Zukunftsaussichten“ bewertet.
Es wird – unter anderem durch Wissenschaftler – eine erhebliche Erhöhung der Investitionen in die städtische Infrastruktur Berlins für elementar erachtet, um im globalen Wettbewerb um Talente – etwa mit Paris und London – bestehen zu können und den gegenwärtigen und zukünftigen sozio-ökologisch-ökonomischen Herausforderungen und Anforderungen gerecht zu werden. Darin wird überwiegend zugleich eine „enorme Chance“ – nicht nur für Deutschland und die EU – gesehen.
Unternehmen
Von den 40 deutschen im DAX gelisteten Konzernen haben Delivery Hero SE, Deutsche Wohnen SE, die Siemens AG (geteilt mit München), Zalando und HelloFresh einen nominellen Hauptsitz in Berlin. Ferner hat das Dax-Mitglied Siemens Energy SE seine Konzernleitung in Berlin angesiedelt. Unter den umsatzstärksten Unternehmen der Welt (Fortune Global 500) ist die Deutsche Bahn AG mit ihrem Berliner Hauptsitz im Jahr 2020 auf Rang 232 verzeichnet. Von den 50 MDAX-Unternehmen hat AUTO1 Group seinen Sitz in Berlin. Drei weitere Berliner Unternehmen sind im SDAX gelistet. Weitere bekannte Berliner Unternehmen sind Axel Springer und Rocket Internet. Das umsatzstärkste Berliner Familienunternehmen ist der Süßwarenhersteller August Storck.
Nach dem Jahr 2000 verzeichnete Berlin ein im deutschen und europäischen Vergleich sehr überdurchschnittliches Gründungsgeschehen. In einer Vielzahl von Branchen wurden neue Unternehmen aufgebaut. Sowohl Deutsche als auch internationale Jungunternehmer verwirklichten ihre Geschäftsmodelle in Berlin. 2015 wurden 41.400 Unternehmen geschaffen. Bezogen auf 10.000 Einwohner gab es in Berlin 29 neue Gewerbe (Bundesdurchschnitt: vier). Aufgrund der Dynamik bei neugeschaffenen Unternehmen wird Berlin weltweit zu den zehn herausragenden Gründerstandorten gezählt. 2019 wurden 60 Prozent des investierten Kapitals in Deutschland in Berliner Unternehmen investiert.
Innerhalb von Deutschland fließt das meiste Kapital in Start-up-Unternehmen in Berlin, dort landen ca. 50 % aller Risikokapital-Investitionen (3,25 Mrd. Euro im ersten Halbjahr 2022). Im Jahr 2019 floss in die Berliner Start-up-Unternehmen mit 3,5 Milliarden Euro vergleichsweise das meiste Wagniskapital deutschlandweit.
Die starke Präsenz namhafter Unternehmen in Berlin kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Wirtschaft der Stadt in den vergangenen Jahrzehnten in beträchtlichem Umfang industrielle Arbeitsplätze infolge von Unternehmensschließungen und -verlagerungen (z. B. General Electric, Philip Morris, Daimler, Samsung u. a.) verloren hat. Insbesondere in den 1990er und 2000er Jahren wurden zahlreiche Arbeitsplätze im produzierenden Gewerbe abgebaut. In den Jahren nach der Wiedervereinigung gingen rund drei Viertel der Industriearbeitsplätze verloren, gleichwohl setzte in den 2010er Jahren eine Trendumkehr ein. Der relative Anteil von Arbeitsplätzen im produzierenden Gewerbe ist nichtsdestoweniger deutlich niedriger als in anderen deutschen Großstädten.
Tourismus
Berlin ist eines der meistbesuchten Zentren des nationalen und internationalen Städtetourismus. Im Jahr 2016 wurden bei über 12,7 Millionen Gästen etwa 31 Millionen Übernachtungen in Berliner Beherbergungsbetrieben gezählt. Dies stellt im Vergleich zum Jahr 2001 (11,3 Millionen Übernachtungen von 4,9 Millionen Gästen) einen Zuwachs von etwa 250 % dar. Die Stadt ist damit nach London und Paris ein bevorzugtes Reiseziel innerhalb Europas.
Die Berliner Beherbergungslandschaft bestand 2015 aus 814 Unterkünften mit einer Bettenkapazität von rund 136.000 und einer Durchschnittsauslastung von 60,5 %. Die Verweildauer der Hotelgäste beträgt im Durchschnitt 2,4 Tage. Internationale Gäste machen etwa 40 % der Besucherzahlen aus. Hierbei liegen Besucher aus dem Vereinigten Königreich, Italien, den Niederlanden, Spanien und den Vereinigten Staaten in der Spitzengruppe. Hauptanziehungspunkte sind Architektur, historische Stätten, Museen, Festlichkeiten, Einkaufsmöglichkeiten, das Nachtleben sowie Großveranstaltungen, die jährlich mehrere hunderttausend Besucher zählen.
Durch die positive Entwicklung ist die Tourismusbranche in Berlin zu einer wichtigen Säule der regionalen Wirtschaft geworden. Neben der Hotellerie und Gastronomie profitiert auch der Einzelhandel in großem Maße von den Berlintouristen.
Messe- und Kongresswirtschaft
Berlin ist einer der besucher- und umsatzstärksten Messe- und Kongressstandorte der Welt. Im Jahr 2011 wurden etwa 115.700 Veranstaltungen mit rund 9,7 Millionen Teilnehmern durchgeführt. Laut ICCA Statistik ist Berlin, gemessen an der Anzahl von Kongressen mit internationaler Beteiligung im Jahr 2015, auf Rang 1 aller Kongressstädte gelistet.
Das Messegelände im Ortsteil Westend des Bezirks Charlottenburg-Wilmersdorf rund um den Funkturm wurde 1921 mit einer Automobilausstellung, damals in einer einzigen Ausstellungshalle, eröffnet und weist eine Hallenausstellungsfläche von 160.000 Quadratmetern und eine Freifläche von etwa 100.000 Quadratmetern aus. Betreiber ist der zu 99 % stadteigene Veranstaltungsträger Messe Berlin.
Eine Vielzahl international relevanter Leitmessen sind auf dem Berliner Messegelände (Berlin ExpoCenter City) und auf dem Berlin ExpoCenter Airport in Brandenburg etabliert. Hierzu gehören u. a. die Konsumelektronikmesse IFA, die Tourismusbörse ITB, die Luft- und Raumfahrtschau ILA Berlin Air Show, die Schienenverkehrsmesse InnoTrans, die Landwirtschaftsschau Grüne Woche, die Ernährungsmesse Fruit Logistica sowie die Fachmesse für Erotik & Erwachsenenunterhaltung Venus Berlin. Der European Film Market findet während der Berlinale im Martin-Gropius-Bau statt.
Die Kongresswirtschaft, zu der international, national sowie lokal ausgerichtete Tagungen, Informationsveranstaltungen und geschäftliche Zusammenkünfte aller Art gehören, ist ein weiterer Zweig der Berliner Wirtschaft. Eine Vielzahl von Hotels sind auf Tagungen eingestellt und erzielen hiermit einen wichtigen Teil ihres Jahresumsatzes.
Gesundheitswirtschaft
Die Gesundheitswirtschaft gilt mit einer Bruttowertschöpfung von 10,7 Milliarden Euro im Jahr 2009 oder einem Wertschöpfungsanteil von über 13 % an der städtischen Gesamtwirtschaft als einer der Wachstumsmotoren Berlins. Es umfasst dabei das Gesundheits- und Sozialwesen, die Pharmaindustrie, den Fach-, Einzel- und Großhandel und die Medizintechnik. Dabei hat mit Abstand das Gesundheits- und Sozialwesen den größten Anteil (66 %) an der Bruttowertschöpfung.
Insgesamt waren 2011 über 252.000 Personen, das waren 15 % der Berliner Erwerbstätigen, in der Gesundheitswirtschaft beschäftigt. Davon waren 79 % im Gesundheits- und Sozialwesen tätig und jeweils knapp 6 % im verarbeitenden Gewerbe sowie im Handel. Im Jahr 2022 arbeiteten der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Technologie und Forschung zufolge ca. 360.000 Personen in der Berlin-Brandenburger Gesundheitswirtschaft.
Die Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg zählt in Europa zu den führenden Standorten der Biotechnologie. In Berlin-Brandenburg sind rund 200 kleine und mittlere Biotechnologieunternehmen – mit allein rund 3700 Beschäftigten in Produktion, Forschung und Entwicklung – tätig und darüber hinaus über 20 zumeist größere Pharmaunternehmen.
Kreativwirtschaft
Berlin gehört zu den führenden Standorten der Informations- und Kreativwirtschaft in Europa. Der Wirtschaftsbereich umfasst den Buch- und Pressemarkt, Softwareentwicklung, Telekommunikationsleistungen, den Werbemarkt, Marktforschung, die Film- und Rundfunkwirtschaft, den Kunstmarkt, die Musikwirtschaft, die Architektenbranche, die Designwirtschaft und den Markt für Darstellende Künste.
Die Kreativ- und Kulturwirtschaft ist ein wichtiger Standort- und Wirtschaftsfaktor in Berlin und wächst kontinuierlich. Im Jahr 2017 erwirtschafteten über 41.000 meist kleine und mittelständische Unternehmen mit etwa 202.000 Beschäftigten einen Umsatz von 25,7 Milliarden Euro und erreichten damit einen Anteil von über 15 % am Gesamtumsatz der Berliner Wirtschaft. Die größten Umsatzträger stellten dabei die Software/Spiele/Informations- und Kommunikationstechnik-Branche, der Buch- und Pressemarkt und die Film- und Rundfunkwirtschaft dar.
Die Textil- und Modeindustrie hat in Berlin ebenfalls einen wichtigen Standort. Insgesamt gibt es in Berlin über 2.500 Unternehmen mit mehr als 22.000 Beschäftigten in der Modebranche (Stand: 2017). Ihre Leitveranstaltung ist die jährlich im Januar und Juli stattfindende Berlin Fashion Week samt einer Vielzahl von begleitenden Modemessen.
In Europa gehört Berlin zu den führenden Zentren der Internetwirtschaft. Im europäischen Städte-Ranking belegte die Metropole 2015 gemessen an den Investitionen in die Branche vor London, Stockholm und Paris den ersten Platz.
Medien
Eine Vielzahl von Fernsehsendern, Radiostationen, Verlagen, Filmgesellschaften, Musiklabels, Printmedien, Werbeagenturen, Produzenten von Computerspielen, Pressediensten, sozialen Netzwerken und Internetmedien haben ihren Sitz in Berlin.
Mehr als 20 Nachrichtenagenturen aus aller Welt sind in der Stadt mit Niederlassungen vertreten, u. a. dpa, Thomson Reuters, AFP und ANSA. Der öffentlich-rechtliche Sender rbb und die privaten Sender TV Berlin und Welt sind in Berlin ansässig. Die meisten deutschen überregionalen Sender wie Das Erste, ZDF oder RTL betreiben Studios und Redaktionsgebäude. Fernsehproduzenten wie die Deutsche Welle haben Dependancen in der Stadt. Mehr als 30 Radiostationen mit lokaler und nationaler Reichweite verbreiten ihr Programm aus Berlin.
Berlin ist mit 151 Verlagen im Jahr 2016 einer der bedeutendsten Verlagsstandorte in Europa. Zu den umsatzgrößten europäischen Medienkonzernen zählt die Axel Springer SE. Die Bildungs- und Wissenschaftsverlage Walter de Gruyter, Cornelsen Verlag sowie die international tätige Springer Nature Gruppe haben ihren Sitz in der Stadt. Zu den wichtigen Publikumsverlagen zählen u. a. der Berliner Verlag, der Aufbau-Verlag und der Suhrkamp Verlag.
In keiner anderen deutschsprachigen Stadt erscheinen mehr Tageszeitungen und deren Internetportale. Zu den meistrezipierten überregionalen Tageszeitungen zählen die Bild und die Welt. Auch die taz sei hier erwähnt, die wohl größte als Genossenschaft betriebene Zeitung. Täglich erscheinende lokale Zeitungen und deren Internetableger sind die Berliner Zeitung, die Berliner Morgenpost sowie Der Tagesspiegel. Außerdem gibt es in Berlin die lokalen Boulevardzeitungen B.Z. und den Berliner Kurier und Stadtmagazine wie der tip und den englischsprachigen Exberliner. Zu den in Berlin produzierten Magazinen zählen u. a. der Focus, Cicero und Capital.
Durch die hohe Konzentration von Produzenten der Medien- und Unterhaltungsbranche in der Stadt zählte Berlin 2014 zu zehn umsatzstärksten Medienstandorten der Welt.
Industrie
Der Industriesektor, zu dem 333 Betriebe mit rund 79.300 Beschäftigten zählen, erwirtschaftete 2017 einen Umsatz von 23,5 Milliarden Euro. Die umsatzstärksten Produzenten im verarbeitenden Gewerbe sind Hersteller von chemischen – insbesondere pharmazeutischen – Erzeugnissen (8,2 Milliarden Euro), Ernährungsindustrie (2,3 Milliarden Euro), Maschinen- und Anlagenbauunternehmen (2,1 Milliarden Euro) und elektrotechnische Industrie (4,5 Milliarden Euro). Die Exportquote im verarbeitenden Gewerbe liegt bei mehr als 55 %. Die wichtigsten Exportmärkte für Berliner Produkte sind die USA, Frankreich, China, Polen und das Vereinigte Königreich. Exportiert werden insbesondere Pharmazeutika, Maschinen, Datenverarbeitungsgeräte, elektrische Ausrüstungen und Fahrzeuge.
Das 1847 in Berlin gegründete Unternehmen Siemens betreibt einen wichtigen Standort in Siemensstadt und produziert im Bezirk Mitte Gasturbinen für den internationalen Markt mit einer Exportquote von 90 %. Siemens, Siemens Energy, Siemens Healthineers und Osram beschäftigen in Berlin zusammen mehr als 13.000 Mitarbeiter. Im Bereich des weltweit größten Siemens-Produktionsstandortes in Siemensstadt wird zudem etappenweise ein Forschungs- und Innovationscampus realisiert.
Das 1902 gegründete Mercedes-Benz-Werk Berlin der Mercedes-Benz Group ist mit etwa 2500 Mitarbeitern einer der größten industriellen Arbeitgeber in Berlin. In dem Werk in Marienfelde werden verschiedenste Fahrzeuge hergestellt. Dort ist die Produktion des ersten eigenen Mercedes-Elektromotors für AMG-Hochleistungsmodelle vorgesehen. Auf dem Areal des traditionsreichsten Mercedes-Werks entsteht im Rahmen des Innovationsprojekts „Digital Factory Campus“ das „Kompetenzzentrum für Digitalisierung“ der Mercedes-Benz Group.
Das 1969 eröffnete BMW-Werk Berlin in Haselhorst beschäftigt etwa 2000 Mitarbeiter. In dem Werk werden täglich rund 700 Motorräder für den Weltmarkt hergestellt.
Das Pharmaunternehmen Schering wurde 1871 in Berlin gegründet. Es ging 2006 in der Bayer Schering Pharma AG auf. Die Bayer AG betreibt in Berlin-Wedding ihren größten Forschungsstandort, die Zentrale der Division Pharmaceuticals, einen wesentlichen Produktionsstandort für patentgeschützte Spezialpharmaka und beschäftigt in Berlin rund 5000 Mitarbeiter.
Die Berlin-Chemie AG wurde 1890 in Adlershof gegründet. Seit 1992 stellt sie die größte Auslandsaktivität der italienischen Menarini-Group dar. Der forschungsintensive Pharmakonzern Berlin-Chemie zählt weltweit rund 5500 Mitarbeiter, davon rund 2000 in seinem Berliner Stammwerk.
Stadler Rail, ein Schweizer Hersteller von Schienenfahrzeugen, betreibt im Pankower Ortsteil Wilhelmsruh seinen Deutschlandsitz und ein Werk, in dem unter anderem die neuen Berliner S-Bahn-Wagen und die neuen Züge für die Berliner U-Bahn montiert werden.
In Tempelhof produzieren der Backwarenhersteller Bahlsen und Procter & Gamble Waren für den deutschen und europäischen Markt. In Reinickendorf betreibt der Berliner Lebensmittelhersteller Freiberger Lebensmittel eine der größten Pizza-Fabriken Europas.
Ebenfalls in Reinickendorf stellt Storck vorwiegend Schokoladenspezialitäten, wie das Schokoladen-Konfekt Merci, her. In Marienfelde wird die Stollwerck-Tafelschokolade hergestellt und im Werksverkauf Sarotti-Schokolade vertrieben. Berlin ist seit mehr als 150 Jahren ein Hauptproduktionsort für Schokolade.
Handel und Finanzwirtschaft
Berlin ist einer der umsatzstärksten Standorte des stationären Einzelhandels in Europa. Von internationalen Handelsketten, die in Berlin repräsentative Vorzeigeläden betreiben, über eine große Anzahl von Einkaufszentren, bis hin zu individuellen Ladenkonzepten in belebten Kiezen sind alle Formen des Einzelhandels in der Stadt vertreten. 2014 gab es in Berlin 65 Einkaufszentren. Zu den bekanntesten Einzelhandelsbetrieben zählt das KaDeWe.
Nach dem Jahr 2000 hat sich Berlin zu einem wichtigen Standort für Unternehmen des elektronischen Handels entwickelt. Zu den erfolgreichsten Händlern gehören u. a. Zalando, Home24 und kfzteile24.
Berlin ist Deutschlands umsatzstärkster Standort für den Immobilienhandel. 2015 wurden Berliner Grundstücke und Immobilien im Wert von acht Milliarden Euro gehandelt. Der jährlich durch Immobiliengeschäfte erzielte Umsatz lag in Berlin von 2007 bis 2016 zwischen 6 und 17 Milliarden Euro. Dabei entwickelten sich von 2007 bis 2013 der Umsatz in absoluten Zahlen und dessen Anteil am bundesweiten Umsatz parallel zueinander. Im ersten Jahr nachdem Berlin die Möglichkeiten aus dem Mietrechtsänderungsgesetz anwandte, änderte sich dies: Während der absolute Umsatz wie in den Vorjahren bis 2015 weiter anstieg, sank der Anteil am bundesweiten Umsatz. Ab 2015, als die Mietpreisbremse eingeführt wurde, sank auch der absolute Umsatz. 2021 lag der Umsatz bei 23,8 Milliarden Euro.
Die 1695 gegründete Börse Berlin ist eine Regionalbörse und hat ihren Sitz im Ludwig-Erhard-Haus. Der Jahresumsatz der Börse betrug im Jahr 2021 etwa 79,6 Milliarden Euro. 39 Kreditinstitute, 15 Finanzdienstleister, fünf Skontroführer und vier Market Maker nahmen am Handelsgeschehen teil.
Die Tradegate Exchange ist eine 2009 gegründete, auf die Ausführung von Privatanleger‐Aufträgen spezialisierte Wertpapierbörse mit Sitz in Berlin. Der Jahresumsatz der Börse betrug im Jahr 2021 etwa 377,8 Milliarden Euro. Es waren 27 Handelsteilnehmer aus Deutschland, Österreich und dem Vereinigten Königreich angebunden.
Die 2002 als europäische Alternative zu den US-Agenturen Moody’s, Standard & Poor’s und Fitch gegründete Rating-Agentur Scope hat seit der Gründung ihren Hauptsitz in Berlin.
Die Big-Four-Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG wird ihren deutschen Hauptsitz im KPMG-Tower in der Berliner Europacity nehmen.
Zu den wesentlichen in Berlin, dem Gründungsort der Deutschen Bank, ansässigen Banken zählen u. a. die Deutsche Kreditbank (DKB), eine 100%ige Tochtergesellschaft der Bayerischen Landesbank und die Berliner Sparkasse, ein öffentlich-rechtliches Kreditinstitut. Die Sparkassen-Finanzgruppe, die mehr als 600 dezentral arbeitende Unternehmen in Deutschland im Bereich der Finanzdienstleistungen umfasst, hat ihren Sitz ebenfalls in der Stadt. Die Investitionsbank Berlin (IBB) ist das zentrale Förderinstitut des Landes Berlin. Zu den größten privaten Bankinstituten gehören die Berlin Hyp, die Weberbank, die Quirin Privatbank und N26. Berlin ist (Stand: Jahresmitte 2021) mit rund 30.000 Bankbeschäftigten einer der bedeutendsten Bankenplätze in Deutschland.
Mit mehr als 10.000 Versicherungsbeschäftigten (Stand: 30. Juni 2020) stellt Berlin, Gründungsort der Allianz, einen der wichtigsten Versicherungsstandorte Deutschlands dar.
Seit etwa 2015 ist Berlin die Stadt mit der größten Anzahl an privaten Wagniskapitalgesellschaften in Deutschland. Rund ein Viertel aller Investmentunternehmen im Land haben dort ihren Sitz.
Infrastruktur
Überblick
Die Berliner Straßen sind nach zwei verschiedenen Hausnummerierungssystemen nummeriert. Bis 1929 wurde die rundlaufende Hufeisennummerierung verwendet, seitdem die im Zickzack verlaufene Orientierungsnummerierung. Da nicht zuletzt wegen der politischen Umbrüche zahlreiche Berliner Straßen umbenannt wurden und diese Änderungen ab 1929 oftmals zur Einführung der Orientierungsnummerierung in der betreffenden Straße genutzt wurden, ist auch in vielen älteren Straßen die Orientierungsnummerierung anzutreffen.
Anfang der 1950er-Jahre fuhren die meisten Berliner noch mit Fahrrad, Bus, Tram und Bahn. Zunehmend wurden Motorräder populär und in den 1960er-Jahren stiegen die Verkaufszahlen der nun massenhaft produzierten Automobile stark an. Im Neu- und Wiederaufbau orientierte man sich in West-Berlin wie im Rest der Bundesrepublik überwiegend an der Charta von Athen (CIAM) von 1933, in Ost-Berlin wurden die 16 Grundsätze des Städtebaus verbindlich. Im Ergebnis folgte der Wiederaufbau in beiden Teilen dem Leitbild der autogerechten Stadt. Wohnen und Gewerbe wurden damit häufig voneinander getrennt. Fortan wurden auch zahlreiche suburbane Satellitenstädte („Schlafstädte“) geplant. Diese ineffiziente Art der Verkehrs- und Stadtentwicklung wurde bereits früh als schwerer Missstand erkannt, aber dennoch über Jahrzehnte beibehalten.
Öffentlicher Verkehr
Berlin ist im internationalen Fernverkehr ein wichtiger Knotenpunkt insbesondere für Züge zwischen West- und Osteuropa. 2006 wurden der Hauptbahnhof als zentrale Bahnstation und im Zusammenhang damit der Tunnel Nord-Süd-Fernbahn, die Fernbahnhöfe Gesundbrunnen und Südkreuz sowie die Regionalbahnhöfe Potsdamer Platz (unterirdisch), Jungfernheide und Lichterfelde Ost in Betrieb genommen. Damit erhielt der Regional- und Fernverkehr der Bahn gemäß dem sogenannten Pilzkonzept zusätzlich zu der in Ost-West-Richtung angelegten Stadtbahn eine unterirdische Regional- und Fernverkehrsverbindung in Nord-Süd-Richtung. Der Umstieg zwischen dem Nord-Süd-Fernbahntunnel und der Stadtbahn erfolgt am Hauptbahnhof. Züge, die Berlin aus südlicher Richtung erreichen, fahren seitdem meist über die neue Nord-Süd-Trasse von Lichterfelde Ost über Südkreuz, Potsdamer Platz, Hauptbahnhof über die Überführung nach Gesundbrunnen oder Richtung Westen über Jungfernheide nach Spandau.
Dem innerstädtischen öffentlichen Personennahverkehr dienen 16 S-Bahn-Linien (betrieben von der S-Bahn Berlin GmbH) sowie neun U-Bahn-, 22 Straßenbahn-, 150 Bus- und sechs Fährlinien (alle betrieben von der BVG). Die Innenstadt wird in Ost-West-Richtung von der als Viaduktbahn angelegten Stadtbahn durchquert, die parallel von S-Bahn sowie Regional- und Fernverkehr befahren wird. Sie verbindet den Ostbahnhof mit dem Bahnhof Charlottenburg und passiert dabei unter anderem die Bahnhöfe Zoologischer Garten, Hauptbahnhof, Friedrichstraße und Alexanderplatz. In Nord-Süd-Richtung übernehmen die U-Bahn-Linien U9 und U6 den größten Teil des Fahrgastaufkommens, ergänzt durch die unterirdische Nord-Süd-Trasse der S-Bahn. Diese S-Bahn-Trasse kreuzt am Bahnhof Friedrichstraße die Stadtbahn. Vervollständigt wird der Bahnverkehr durch die Ringbahn, die die Innenstadt umschließt. Alle anderen Linien berühren diese Trassen. Die Barrierefreiheit der Bahnhöfe wird weitgehend gewährleistet.
Im Bezirk Treptow-Köpenick gibt es Deutschlands einzige Ruderfähre im ÖPNV. Sie wird von der Weißen Flotte im Auftrag der BVG betrieben. Hierbei ist auch die Mitnahme von Fahrrädern möglich.
Das Stadtbusnetz gliedert sich in Expressbusse (Buchstabe X), MetroBusse (Buchstabe M) und Omnibusse (mit dreistelliger Nummer). In gleicher Weise wird ein Teil der Straßenbahnlinien (zweistellige Nummer) durch Voranstellung eines ‚M‘ als MetroTram besonders herausgehoben. Nachtbusse haben als Linienbezeichnung ein ‚N‘ vor der Liniennummer, Metro-Linien (sowohl Busse als auch Straßenbahnen) fahren auch nachts. In den Nächten vor Sonnabenden, Sonn- und Feiertagen fahren zusätzlich fast alle S- und U-Bahn-Linien durchgehend, bei der S-Bahn teilweise mit veränderter Streckenführung. Der Fernbusverkehr zu deutschen und europäischen Zielen wird über den Zentralen Omnibus-Bahnhof am Funkturm (ZOB) abgewickelt. Die Berliner Nahverkehrsbusflotte soll bis 2030 elektrifiziert werden.
Im Berliner Taxigewerbe waren 2008 etwa 3100 Unternehmen tätig, über drei Viertel davon mit nur einem Fahrzeug. Berlin hatte im Januar 2012 rund 7600 Taxis und ist damit die Stadt mit den meisten Taxis in Deutschland. In Berlin gibt es keine Farbfreigabe und keine Zulassungsbeschränkung der Konzessionen.
Straßenverkehr
Im Jahr 2019 waren 335 Personenkraftwagen auf 1000 Einwohner in Berlin zugelassen, 2012 waren es 324 gewesen, im Jahr 2008 319. Im Vergleich mit anderen deutschen Stadtstaaten hat Berlin die niedrigste Dichte an Personenkraftwagen.
Die Innenstadt wird von Westen her von einem Autobahnhalbkreis (A 100 – Berliner Stadtring) umgeben, der langfristig zu einem Ring vervollständigt werden soll und eine reine Stadtautobahn darstellt. Der sogenannte Abschnitt BA 16 der A 100 befindet sich im Bau (Stand: 2021). Die A 100 beim Dreieck Funkturm ist der meistbefahrene Autobahnabschnitt in Deutschland. Rund um Berlin verläuft die Autobahn A 10 (E 55 – Berliner Ring).
Von der A 100 aus führen innerhalb des Stadtgebietes mehrere Autobahnabschnitte in Richtung Berliner Ring. Die A 111 (E 26) führt in nach Nordwesten in Richtung Hamburg und Rostock. Die A 113 in Richtung Südosten (nach Dresden und Cottbus) beginnt am Dreieck Neukölln und führt zum Schönefelder Kreuz (A 10) und bindet den Flughafen Berlin Brandenburg an das Autobahnnetz an. Die A 115 (E 51) erstreckt sich nach Südwesten (Richtung Hannover und Leipzig). Deren nördliches, gerades Teilstück ist als AVUS bekannt.
Zusätzlich hierzu gibt es im Norden der Stadt die A 114 von der Prenzlauer Promenade im Bezirk Pankow zur A 10 in Richtung Stettin. Die nur wenige Kilometer lange ehemalige A 104, die im Südwesten der Stadt den Berliner Stadtring (A 100) nach Süden hin mit dem Ortsteil Steglitz verbindet, wurde inzwischen zur Autostraße herabgestuft. Die A 103 (Westtangente), auf der die Bundesstraße 1 verläuft, verbindet den Berliner Stadtring – von einem weiter östlich gelegenen Anschluss – nach Südwesten hin mit dem Steglitzer Kreisel in Richtung Potsdam.
Die historische Mitte Berlins wird vom Innenstadtring umschlossen. Ferner verlaufen durch Berlin die Bundesstraßen B 1, B 2, B 5, B 96, B 96a, B 101, B 109 und B 158.
Die Autobahn GmbH des Bundes mit Sitz in Berlin ist für Planung, Bau, Betrieb, Erhaltung, Finanzierung und vermögensmäßige Verwaltung der Autobahnen in Berlin und Deutschland zuständig.
Fahrradverkehr
In Berlin existieren an stark befahrenen Straßen angelegte Radwege und Fahrradstreifen, einige ruhigere Straßen wurden als Fahrradstraßen gekennzeichnet. Etwa 1,5 Millionen Wege, rund 13 % des gesamten Personen-Transportaufkommens, wurden 2013 täglich mit dem Fahrrad als Hauptverkehrsmittel zurückgelegt. Deshalb zählt Berlin zu den Millionenmetropolen in Europa mit sehr überdurchschnittlich vielen Fahrradnutzern.
Der Anteil des Fahrradverkehrs am Gesamtaufkommen des Verkehrs in Berlin hat sich seit 1992 mehr als verdoppelt. Im Jahr 1992 wurden etwa sieben Prozent aller Wege mit dem Fahrrad zurückgelegt, 2009 waren es bereits etwa 15 %. Die durchschnittliche Entfernung einer mit dem Rad zurückgelegten Strecke beträgt 3,7 Kilometer. Die Radfahrstreifen wurden von insgesamt 50 Kilometer im Jahr 2004 auf 191 Kilometer im Jahr 2014 ausgebaut. Im Jahr 2016 erreichte die Initiative Volksentscheid Fahrrad einen Antrag auf ein Volksbegehren. 2018 wurde das Berliner Mobilitätsgesetz beschlossen, das wesentliche Ziele der Initiative zugunsten des Radverkehrs übernahm.
Durch Berlin führen überregionale touristische Radfernwege wie der Radweg Berlin–Kopenhagen, der Radweg Berlin–Usedom, der Radweg Berlin–Leipzig, der Europaradweg R1, die D-Netz-Route D11 sowie die D-Netz-Route D3 (Europaroute). Entlang des früheren Verlaufs der Berliner Mauer führt der Berliner Mauerweg. Mehrere tausend Mietfahrräder können im Innenstadtbereich per Telefonanruf oder (mobilem) Internet ausgeliehen werden. In einigen Gebieten der Stadt verkehren zur touristischen Nutzung Fahrradtaxis.
Flugverkehr
Der Flughafen Tegel (IATA-Flughafencode: TXL) war der letzte in Betrieb gewesene Flughafen auf Berliner Stadtgebiet. Im Jahr 2016 wurden dort rund 21,3 Millionen Fluggäste abgefertigt. Am 8. November 2020 wurde der Flughafen Tegel für den regulären Flugbetrieb geschlossen.
Der unmittelbar außerhalb der Stadtgrenze gelegene Flughafen Berlin Brandenburg (BER) gehört zur Gemeinde Schönefeld. Der darin integrierte, ehemals eigenständige Flughafen-Schönefeld-Standort war der zweite internationale Flughafen in der Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg und fertigte im Jahr 2016 etwa 11,7 Millionen Passagiere ab. Auf dem nach Süden erweiterten Schönefelder Flughafengebiet wurde seit 2006 der Flughafen Berlin Brandenburg errichtet, der am 31. Oktober 2020 eröffnet wurde.
Binnenschifffahrt
Berlin liegt im Zentrum des Bundeswasserstraßengebietes Ost und wird wasserseitig auf mehreren Wegen erschlossen. Der Binnenschifffahrt stehen von und nach Berlin drei Wasserstraßen zur Verfügung. Dabei kommt der Verbindung über Havel, Elbe-Havel-Kanal und Mittellandkanal zu Elbe und Nordsee beziehungsweise Weser und Rhein die größte Bedeutung zu. Außerdem verbindet die Havel-Oder-Wasserstraße Berlin mit der unteren Oder und der Ostsee. Beschränkt ausgebaut ist auch die Spree-Oder-Wasserstraße als Verbindung über die Spree zur oberen Oder.
Zum Warenumschlag können drei öffentliche Hafenanlagen genutzt werden: der Hafen Neukölln, der Südhafen Spandau sowie der Westhafen. Letzterer liegt in Moabit am Nordrand der Berliner Innenstadt und ist von allen drei Häfen der größte und bedeutendste. Die Anlagen am Westhafen und am Südhafen Spandau ermöglichen auch den Warenumschlag zwischen Binnenschiff, Eisenbahn und Lastwagen. Betrieben werden die Häfen von der BEHALA.
Brücken
Berlin hat durch seine exponierte Lage an Flussläufen und Kanälen und durch sein ungewöhnlich großes Territorium eine Vielzahl an Brücken und Überführungen in seinem Stadtgebiet. Offiziell gibt es 916 Brücken in Berlin. Davon verbinden 732 öffentliche Straßen, die restlichen 184 Wege und Straßen in Grünanlagen. Je nach Definition und Verständnis werden weitere Bauwerke in Berlin zu den Brücken gezählt. So gibt es 564 Brücken über Gewässer jeder Art und 300 Hochbahnviadukte der U-Bahn.
Die ältesten Berliner Spreequerungen sind Jungfern-, Mühlendamm-, Rathaus- und Roßstraßenbrücke, wobei die heutigen Bauwerke jeweils jüngeren Datums sind. Die längste Brücke der Stadt ist, mit über 930 Metern, die Rudolf-Wissell-Brücke, während die Oberbaumbrücke, als Wahrzeichen des Bezirks Friedrichshain-Kreuzberg, und die Glienicker Brücke als Verbindung nach Potsdam zu den bekanntesten Brücken Berlins zählen.
Wasserversorgung
Die Wasserversorgung Berlins wird durch die neun Wasserwerke Beelitzhof, Friedrichshagen, Kaulsdorf, Kladow, Spandau, Stolpe, Tegel, Tiefwerder und Wuhlheide sichergestellt, die von der Berliner Wasserbetriebe (AöR) betrieben werden. Der Wasserverbrauch der Stadt ist nach 1990 deutlich zurückgegangen. Dank der geringeren Grundwasserentnahme kam es in weiten Teilen des Urstromtals zu einem deutlichen Anstieg des Grundwasserspiegels. Vor allem in der Nähe der Wasserwerke verursachte dies Vernässungsschäden an Gebäuden.
Pro Tag wurden 2018 durchschnittlich 546.000 m³ Trinkwasser für die Berliner Haushalte, Industrie und Gewerbe bereitgestellt und rund 624.000 m³ Abwasser durch die Klärwerke gereinigt. Über das rund 9500 km lange Kanalsystem gelangen die Abwasser in sechs Großklärwerke.
Energieversorgung
Während der Zeit der deutschen Teilung war die Energieversorgung West-Berlins ab 1951 vom Stromnetz des Umlandes und des Ost-Berliner Gebiets getrennt. Die Stromversorgung musste über im westlichen Stadtgebiet gelegene thermische Kraftwerke wie das Kraftwerk Reuter-West und andere erfolgen. Im Jahr 1993 wurde die unterbrochene Leitungsverbindung mit dem Umland wiederhergestellt. In den Westbezirken Berlins sind mit wenigen Ausnahmen alle Stromleitungen als Erdkabel ausgeführt. Die Erdkabelsektion der 380-kV-Kabeldiagonale zwischen den Umspannwerken Reuter und Marzahn ist das längste 380-kV-Erdkabel in Deutschland.
Bis 1997 hielt das Land Berlin die Mehrheit der Anteile an der Bewag, dem bis dahin größten kommunalen Energieversorgungsunternehmen der Stadt. 2003 wurden die Anteile vollständig vom Vattenfall-Konzern aufgekauft. Seitdem ist das Unternehmen zusammen mit der GASAG der umsatzstärkste Energieversorger in Berlin. Mit Gründung der Berliner Stadtwerke im Jahr 2014 verfügt Berlin wieder über einen eigenen kommunalen Energieversorger, der mit dem Bau eigener Solar- und Windkraftanlagen das Ziel der Klimaneutralität Berlins bis 2050 unterstützen soll. Im Jahr 2021 leitete das Land Berlin eine Rekommunalisierung des Verteilnetzbetreibers Stromnetz Berlin GmbH ein.
Die Stromerzeugung in Berlin fußt im Wesentlichen auf der Nutzung von Steinkohle und Erdgas. Der Beitrag der Steinkohlenutzung an der Nettostromerzeugung betrug 45 % im Jahr 2009 und lag damit weit über dem bundesweiten Durchschnitt von 18 %. Auch die Erdgasnutzung ist überdurchschnittlich: Ihr Anteil umfasste 42 % und befand sich damit ebenfalls über dem Bundesdurchschnitt von 13 %. Braunkohle trug mit 9 % zur Erzeugung bei und lag weit unter dem bundesweiten Durchschnitt von 24 Prozent. Ebenfalls unterdurchschnittlich ist der Beitrag der erneuerbaren Energien: Ihr Anteil lag bei 3 % im Gegensatz zum deutschlandweiten Schnitt von 17 %.
Im Jahr 2017 beschloss das Land Berlin den Kohleausstieg und beendete im selben Jahr die Nutzung der als besonders klimaschädlich geltenden Braunkohle, indem das Heizkraftwerk Klingenberg und das Heizkraftwerk an der Markgrafenstraße auf die Verfeuerung von Erdgas umgestellt wurden. Gemäß Energiewendegesetz des Landes Berlin muss die Nutzung der Steinkohle spätestens bis zum Jahr 2030 beendet werden. Nachdem im Jahr 2019 Block C des Kraftwerks Reuter stillgelegt wurde, werden noch die Kraftwerke Reuter West und Moabit des Konzerns Vattenfall sowie das Holzheizkraftwerk Berlin-Neukölln und das Heizkraftwerk Schöneweide mit Steinkohle betrieben. Im Jahr 2021 wurde das Solargesetz Berlin mit dem Ziel beschlossen, im Rahmen des Masterplan Solarcity den Anteil der Solarenergie an der Stromerzeugung in Berlin auf 25 % zu erhöhen. Die Berliner Stadtwerke betreiben 13 Windräder (Stand: August 2021).
Der Endenergieverbrauch umfasste im Jahr 2010 rund 267,8 Petajoule. Damit lag der Verbrauch um 7,4 % höher als im Vorjahr, gegenüber 1990 ist er jedoch nur geringfügig um 2,4 % gestiegen. Der Endenergieverbrauch pro Einwohner im Land betrug im Jahr 2010 somit 77,4 Gigajoule. Der Anstieg dieses Anteils fällt mit 1,3 % im Vergleich zu 1990 geringer aus als der Anstieg des gesamten Endenergieverbrauchs im Land. Umgerechnet auf Sektoren zeigt sich, dass der Bereich „Gew. v. Steinen u. Erden, sonst. Bergbau und Verarbeitendes Gewerbe“ mit 6,3 % den geringsten Anteil am Endenergieverbrauch besitzt. Der Verkehrsbereich benötigt mit 24,6 % fast das Vierfache an Energie. Der größte Anteil entfällt allerdings auf den Sektor „Haushalte, Gewerbe, Handel und Dienstleistungen und übrige Verbraucher“ mit 69,1 %.
Nach dem Volksentscheid über die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung im Jahr 2013 verhandelte der Berliner Senat mit Vattenfall über eine Rekommunalisierung der Energienetze und kaufte das Stromnetz Berlin im Jahr 2021 zurück.
Wissenschaft und Bildung
Hochschulen
Berlin schaut auf eine mehr als 200-jährige Wissenschaftsgeschichte zurück. Mehr als 40 Nobelpreisträger lehrten und arbeiteten an den Instituten und Hochschulen der Stadt. In Berlin konzentrieren sich auch gegenwärtig eine Vielzahl von international ausstrahlenden Wissenschafts- und Forschungseinrichtungen. Als Universitätsstadt zählt Berlin zu den weltweit angesehenen Bildungsstandorten.
In Berlin waren im Wintersemester 2021/22 an über 40 Universitäten und Hochschulen, darunter vier Kunsthochschulen, rund 200.000 Studenten eingeschrieben. Damit verzeichnet die Stadt die größte Anzahl an Studenten und Studentinnen im deutschsprachigen Raum. Im globalen Umfeld zählt Berlin zu den Weltstädten mit sehr vorteilhaften Studienbedingungen.
Die vier Berliner Universitäten stellen gemeinsam über 110.000 Studierende. Die im Zuge der Preußischen Reformen durch Wilhelm von Humboldt gegründete und im Jahr 1809 eröffnete Humboldt-Universität zu Berlin (HU) hat gegenwärtig über 37.000 Studenten. Die Freie Universität Berlin (FU) hat über 35.000, die Technische Universität Berlin (TU) über 35.000 und die Universität der Künste Berlin (UdK) etwa 4.500 Studenten (Stand:2022). Die Berliner Hochschule für Technik zählt über 12.000 Studenten, die Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin hat über 14.000 Immatrikulierte und an der Charité sind rund 9.000 Studenten eingeschrieben.
Die Medizinischen Fakultäten der Freien Universität und der Humboldt-Universität wurden 2003 zur Charité – Universitätsmedizin Berlin zusammengefasst. Seitdem ist diese mit ihren vier Standorten die größte medizinische Fakultät Europas.
Im Rahmen der Exzellenzinitiative wurden die FU Berlin und die HU zu Berlin in der dritten Förderlinie positiv begutachtet. Das bereits 2007 ausgezeichnete Konzept der Freien Universität wurde in der Evaluation 2012 bestätigt. Die Humboldt-Universität war mit ihrem Konzept 2012 erfolgreich. Damit zählen beide Hochschulen zu den elf deutschen Eliteuniversitäten. Mit der Bekanntgabe des Ergebnisses der Exzellenzstrategie 2019 gehören die FU, die HU, die TU und die Universitätsmedizin der Charité als Einrichtungen der Berlin University Alliance gemeinsam zu den insgesamt elf deutschen Exzellenzuniversitäten.
Die European School of Management and Technology (ESMT) besitzt Promotionsrecht und gehört zu den führenden Wirtschaftshochschulen in Deutschland und Europa. In Berlin beheimatet ist auch die staatlich anerkannte private Hertie School, die zu den führenden Hochschulen im Bereich der Staatswissenschaften gehört. Die Deutsche Film- und Fernsehakademie Berlin und die Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch sind europaweit renommierte Kunsthochschulen. Niederlassungen weiterer Hochschulen sind u. a. ESCP Europe Campus Berlin, die Mediadesign Hochschule, die Games Academy und die Code University.
Forschung
Berlin ist seit 2012 die forschungsstärkste Region in Deutschland. 2020 wurden rund 4,1 Milliarden Euro öffentliche und private Mittel in die Berliner Hochschulstandorte und deren Forschung investiert.
Über 60.000 Beschäftigte lehren, forschen und arbeiten an den über 70 außeruniversitären öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen. Auch die großen nationalen Forschungsorganisationen Fraunhofer-Gesellschaft, Helmholtz-Gemeinschaft, Leibniz-Gemeinschaft und Max-Planck-Gesellschaft sind mit mehreren Instituten vertreten, ebenso verschiedene Bundesministerien mit insgesamt acht Forschungsinstituten. Die meisten Einrichtungen der Wissenschaft konzentrieren sich an den Standorten in Buch, Charlottenburg, Dahlem, Mitte sowie am Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Adlershof. Das Land Berlin ist „Korporativ Förderndes Mitglied“ der Max-Planck-Gesellschaft.
Die Internationale Mathematische Union, ein Mathematik-Weltverband, der alle vier Jahre die global renommierte Fields-Medaille verleiht, hat ihren Sitz in Berlin.
Kinderbetreuung und Schulsystem
In Berlin besteht ab dem vollendeten ersten Lebensjahr für jedes Kind ein Rechtsanspruch auf eine tägliche Halbtagsförderung von bis zu sieben Stunden in einer Kindertagesstätte bzw. in der Kindertagespflege. Krippenplätze sind seit August 2018 beitragsfrei. Etwa 46 % der unter Dreijährigen in der Stadt und etwa 95 % der Drei- bis Sechsjährigen wurden im Jahr 2016 in Kitas betreut.
Berlin hat eine sechsjährige Grundschule und seit 2010 ein sich anschließendes zweigliedriges Oberschulsystem mit Integrierten Sekundarschulen und Gymnasien. Im Schuljahr 2015/16 gab es in Berlin knapp 340.000 Schüler an 799 allgemeinbildenden Schulen, darunter 138 Privatschulen. Das Land verfügt über 433 Grund- und 165 integrierte Sekundarschulen, des Weiteren 113 Gymnasien, 10 Waldorf- und 77 Sonderschulen.
2004 verabschiedete das Abgeordnetenhaus ein neues Schulgesetz mit folgenden wesentlichen Reformen. Eine Verkürzung der Schulzeit bis zum Abitur von dreizehn auf zwölf Jahre. Diese Prüfung wird auch an den Gymnasien abgelegt. Das Zentralabitur wurde in den Fächern Deutsch, Mathematik und den Fremdsprachen eingeführt. An dreizehn Gymnasien mit „Schnellläuferprogramm“ ist es möglich, das Abitur ein Jahr früher abzulegen, das heißt, seit dem Inkrafttreten des neuen Schulgesetzes nach elf Jahren.
Insgesamt 38.633 Lehrlinge befanden sich 2016 in einer Berufsausbildung, darunter 9.355 im Handwerk. Die am stärksten besetzten Ausbildungsberufe in Berlin waren in dem Jahr Kauffrau/Kaufmann für Büromanagement (2.572) gefolgt von Kauffrau/Kaufmann im Einzelhandel (2.251). 18.273 Azubis erwarben einen Berufsabschluss.
Bibliotheken
Die Staatsbibliothek zu Berlin mit einem Bestand von 25 Millionen Werken ist die größte wissenschaftliche Universalbibliothek im deutschen Sprachraum und eine der bedeutendsten in der Europäischen Union.
Weitere große wissenschaftliche Bibliotheken sind die Universitätsbibliothek der Freien Universität, die Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität und die Zentralbibliothek der TU und UdK. Die Zentral- und Landesbibliothek Berlin ist die öffentliche Zentralbibliothek des Landes Berlin.
Die Berliner Kunstbibliothek der Staatlichen Museen zu Berlin stellt mit ihrem Bestand (ca. 400.000 Bände zur europäischen Kunstgeschichte und rund 1400 internationale Zeitschriften) eine der bedeutendsten kunstwissenschaftlichen Spezialbibliotheken in Deutschland dar.
In jedem Berliner Bezirk gibt es mindestens eine Bezirksbibliothek, weitere Filialen sind in den Ortsteilen angesiedelt. Im Jahr 2014 zählten die Berliner Bibliotheken mehr als neun Millionen Besucher, die rund 23 Millionen Entleihungen vornahmen.
Kultur
Überblick vorhandener Kultureinrichtungen
Berlin ist ein international herausragendes Zentrum der Künste und genießt den Ruf einer europäischen Weltstadt. Als Produktionsstätte verschiedener Zweige der Kreativwirtschaft ist die Metropole Anziehungspunkt für Kulturschaffende. Erstmals zu überregionaler Bedeutung gelangte das Kulturleben der Stadt in der auch als Berliner Klassik bezeichneten Bürgerkultur in Berlin um 1800.
Renommierte Einrichtungen wie die Staatsoper Berlin, die Deutsche Oper Berlin, die Komische Oper Berlin, mehrere Theater und Kinos, täglich stattfindende Ereignisse der populären Künste und ein sich stetig im Wandel befindliches Szeneleben prägen die kulturelle Landschaft Berlins.
Zu bedeutenden Institutionen der Stadt zählt u. a. die Deutsche Filmakademie, die jährlich den Deutschen Filmpreis in Berlin verleiht. Die Europäische Filmakademie, gegründet 1988, hat ihren Sitz ebenfalls in Berlin.
Musik
In Berlin bestehen mehrere Orchester: Die international renommierten Berliner Philharmoniker, die Staatskapelle Berlin, das Konzerthausorchester Berlin, das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin, das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, der Rundfunkchor Berlin und der RIAS Kammerchor. Diese Ensembles treten im Konzerthaus Berlin, der Berliner Philharmonie und in anderen Sälen in Deutschland oder auf Tourneen auf der ganzen Welt auf.
Daneben verfügt Berlin über drei Opernhäuser: die Staatsoper Unter den Linden, die Deutsche Oper und die Komische Oper. Mit der Berliner Waldbühne und der Kindl-Bühne Wuhlheide werden zwei Freiluftbühnen regelmäßig für Musikveranstaltungen genutzt.
Im Chorverband Berlin sind 236 Laienchöre mit über 10.000 Mitgliedern vereinigt. Die Sing-Akademie zu Berlin besteht als Wiege der bürgerlichen Musikpflege in Berlin seit 1791.
Zu den berühmten Komponisten und Dirigenten Berlins zählen Paul Lincke, Walter Kollo, Herbert von Karajan, Daniel Barenboim, Simon Rattle und Kurt Sanderling.
Festlichkeiten
Mehrere tausend Veranstaltungen mit den unterschiedlichsten kulturellen Ausrichtungen finden jeden Monat in Berlin statt. Im Februar werden die Internationalen Filmfestspiele abgehalten. Die auch Berlinale genannte Festlichkeit gilt als die größte Publikumsveranstaltung der Welt. Der Wettbewerb schließt mit der Verleihung des Goldenen und der Silbernen Bären.
Während des gesamten Jahres ist Berlin Spielstätte weiterer internationaler Festlichkeiten, von denen einige unter dem organisatorischen Dach der Berliner Festspiele stattfinden. Beim Berliner Theatertreffen werden die bemerkenswertesten deutschsprachigen Theaterinszenierungen einer Saison präsentiert. Weitere Festlichkeiten sind das Literaturfestival, Tanztage Berlin, Tanz im August, Young Euro Classic und die Berlin Biennale.
Umzüge, Paraden und Freiluftkonzerte sind ebenfalls feststehende Ereignisse im Veranstaltungskalender der Stadt. Der Karneval der Kulturen, der Christopher Street Day Berlin und das Berliner Myfest gehören zu den bekanntesten.
Das Jazzfest Berlin wird seit 1964 veranstaltet. Die Veranstaltungsreihe Pop-Kultur präsentiert alternative Musikstile. Seit 2015 findet das Lollapalooza in Berlin statt. Das Festival of Lights Berlin gehört zu den bekanntesten Lichtkunstveranstaltungen weltweit.
In keiner anderen europäischen Metropole werden zur Weihnachtszeit vergleichbar viele Weihnachtsmärkte eingerichtet. Mehr als 80 Weihnachtsmärkte fanden in Berlin jedes Jahr bis 2019 statt. Die Silvesterfeier am Brandenburger Tor zählt zu den bestbesuchten des Kontinents.
Theater
Zahlreiche Theaterbühnen prägen die kulturelle Landschaft der Metropole. Die bekanntesten sind das Berliner Ensemble, die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, die Schaubühne am Lehniner Platz, das Deutsche Theater, das Maxim-Gorki-Theater, das Renaissance-Theater sowie die Jugendtheater Grips-Theater und Theater an der Parkaue.
Das Theater des Westens und das Theater am Potsdamer Platz bieten in erster Linie Musicals. Groß inszenierte Revuen werden im Friedrichstadt-Palast gezeigt. Der Wintergarten, in dem jährlich das International Burlesque Festival stattfindet, und das Chamäleon sind für ihr Varieté berühmt.
Bühnen wie die Wühlmäuse, die Distel oder der Quatsch Comedy Club sind für Kabarett und satirische Unterhaltungsprogramme bekannt. Das Radialsystem V hat sich mit Tanz- und Performancestücken einen Namen gemacht.
Museen
Berlin verfügt über eine Vielzahl von Museen. Im Jahr 1841 bestimmte eine königliche Order, die von Spree und Kupfergraben umflossene Museumsinsel im nördlichen Teil der Spreeinsel zu einem „der Kunst und der Altertumswissenschaft geweihten Bezirk“. Schon zuvor war dort das Alte Museum am Lustgarten entstanden, dem mehrere Museen, wie das Neue Museum, die Alte Nationalgalerie, das heutige Bode-Museum und das Pergamonmuseum folgten. Diese Museen sind in erster Linie durch ihre Exponate aus der Zeit der Antike berühmt. 1999 wurde die Museumsinsel in die UNESCO-Liste des Weltkulturerbes aufgenommen.
Außerhalb der Museumsinsel befinden sich Museen verschiedener Themengebiete: Das Naturkundemuseum ist mit über 30 Millionen Objekten und dem höchsten Dinosaurierskelett der Welt eines der bedeutendsten Naturkundemuseen weltweit. Im Deutschen Technikmuseum Berlin werden auf 25.000 m² Exponate und Experimente rund ums Thema Technik ausgestellt. Die Gemäldegalerie und Neue Nationalgalerie sind Kunstmuseen im Kulturforum, das Bauhaus-Archiv ist ein Architekturmuseum. Das Deutsche Historische Museum im Zeughaus Unter den Linden veranschaulicht deutsche Geschichte aus 2000 Jahren. Einen ebenso langen Zeitraum jüdisch-deutscher Geschichte zeigt das Jüdische Museum in einer ständigen Ausstellung.
Das Jagdschloss Grunewald beherbergt eine Gemäldesammlung aus dem 15. bis 19. Jahrhundert. In Lichtenberg befinden sich auf Arealen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit der DDR die Forschungs- und Gedenkstätte Normannenstraße und die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. Das Mauermuseum am Checkpoint Charlie zeigt Geschichten und Geschehnisse über die Berliner Mauer. In der Nähe des Potsdamer Platzes steht das Denkmal für die ermordeten Juden Europas.
In Berlin hat die vom Bund und allen Bundesländern gemeinsam getragene Stiftung Preußischer Kulturbesitz ihren Hauptsitz. Auch die Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg unterhält hier wichtige Standorte. Beide verwalten, bewahren, pflegen und ergänzen in ihren international bedeutenden Einrichtungen die Kulturgüter des ehemaligen Staates Preußen.
Die Stiftung Stadtmuseum Berlin vereinigt weitere traditionsreiche Museen Berlins. Die 1995 gegründete Stiftung ist das größte stadthistorische Museum Deutschlands. Als Landesmuseum für Kultur und Geschichte Berlins ist es in seinem Kern aus der Vereinigung von Märkischem Museum (1874 gegründet) und Berlin Museum (1962 gegründet) entstanden. Die breite Palette der verschiedenen, zum Teil schon im 19. Jahrhundert begründeten Sammlungen dokumentieren in großer Vielfalt alle Bereiche der Entwicklung Berlins von den ersten Spuren menschlicher Besiedlung in der Steinzeit bis zur Gegenwart.
Bauwerke
Das 1791 errichtete Brandenburger Tor ist eines der bedeutendsten Berliner Wahrzeichen und wird von einer Quadriga mit der Siegesgöttin Victoria gekrönt. Das Tor ist das westliche Ende des Boulevards Unter den Linden, der sich bis zu der über den Spreekanal führenden Schloßbrücke zieht. Jenseits der Brücke, auf der Spreeinsel, befinden sich unter anderem der Lustgarten, die Museumsinsel, der Berliner Dom und das Humboldt Forum, für das drei Fassaden und die Kuppel des zerstörten Stadtschlosses rekonstruiert wurden. Das zum Teil rekonstruierte und zum Teil moderne Gebäude wird als Museum genutzt, das sich als „Ort für Kultur und Wissenschaft, für Austausch und Debatten“ versteht.
In diesem Areal liegen mit der im Jahr 1743 im Stil des Palladianismus erbauten Staatsoper Unter den Linden, dem Kronprinzen- und dem Prinzessinnenpalais, der 1780 errichteten, Alten Bibliothek, sowie dem 1706 nach Plänen von Andreas Schlüter vollendeten barocken Zeughaus fünf Prachtbauten aus dem 18. Jahrhundert direkt am Boulevard Unter den Linden. Dazu kommt das ebenfalls damals entstandene und heute der Humboldt-Universität dienende Palais des Prinzen Heinrich und die klassizistische Neue Wache. Südlich an die Oper angrenzend liegt die 1773 errichtete St.-Hedwigs-Kathedrale, die Hauptkirche des katholischen Erzbistums Berlin. Der Französische Dom am Gendarmenmarkt war im 17. Jahrhundert Mittelpunkt des französischen Viertels. Auf dem Gendarmenmarkt befinden sich auch das heute als Konzerthaus genutzte Schauspielhaus von Karl Friedrich Schinkel sowie der Deutsche Dom als Pendant zum Französischen Dom, ebenfalls von Carl von Gontard.
Östlich der beiden Spreearme, die die Spreeinsel umfließen, liegt der Alexanderplatz mit vielen Geschäften, ganz in der Nähe davon der 368 Meter hohe Fernsehturm – das höchste Bauwerk Deutschlands –, die gotische
Marienkirche, das Rote Rathaus sowie das Stadthaus.
1987 wurde das Nikolaiviertel in Anlehnung an seine historische Gestalt wiedererrichtet. Die Nikolaikirche im Zentrum ist die älteste Kirche Berlins. Nicht weit davon entfernt hinter dem Stadthaus in der Nähe der Ruine des Grauen Klosters liegt die barocke Parochialkirche. Die Oranienburger Straße war vor dem Zweiten Weltkrieg das Zentrum des jüdischen Viertels. Mit ihrem Wiederaufbau 1995 verbunden war unter anderem die Restaurierung der 1866 fertiggestellten Neuen Synagoge, die heute als Mittelpunkt für das Studium und die Erhaltung jüdischer Kultur dient. Ebenfalls in der Spandauer Vorstadt hat sich die barocke Sophienkirche erhalten.
Der Potsdamer Platz ist eine Verkehrsdrehscheibe im Zentrum Berlins. Er hatte sich im 19. Jahrhundert vor dem Potsdamer Tor, an dem eine Ausfallstraße ausging, entwickelt. 1923 begann von dem in der Nähe gelegenen Vox-Haus aus die Geschichte des Rundfunks in Deutschland. Bis 1940 war der Potsdamer Platz einer der verkehrsreichsten Plätze Europas. Im Jahr 1961 wurde er durch die Berliner Mauer geteilt und die Gegend verfiel. Der frühere Verlauf der Berliner Mauer wird seit einigen Jahren durch in den Boden eingelassene Pflastersteine gekennzeichnet. Durch die Neubebauung des Potsdamer Platzes nach 1990, die einer großen Anzahl an Geschäften und Restaurants Raum gibt, wurde der Platz wieder zu einem belebten Wirtschaftsstandort. Ähnlich wie der Platz selbst hat sich die östlich anschließende Gegend im Bezirk Mitte, wo vor dem Zweiten Weltkrieg das Regierungsviertel mit der Reichskanzlei sowie dem Reichspräsidentenpalais lag, baulich völlig verändert. Der Sitz des Preußischen Herrenhauses steht noch und dient heute als Bundesratsgebäude, während der Bau für den Preußischen Landtag heute als Berliner Abgeordnetenhaus dient. Zahlreiche andere, insbesondere auch barocke Bauten wie die Dreifaltigkeitskirche oder das Prinz-Albrecht-Palais, um nur wenige zu nennen, existieren dagegen heute nicht mehr.
Nördlich in der Nähe des Brandenburger Tors befindet sich das 1884 bis 1894 erbaute Reichstagsgebäude. Es wurde am 27. Februar 1933 durch einen Brand schwer beschädigt und im Zweiten Weltkrieg erneut erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Seit 1973 wird das Gebäude vom Deutschen Bundestag genutzt und ist seit 1999 sein Sitz. Jährlich wandeln zwei Millionen Menschen durch seine gläserne Kuppel. Der Reichstag ist inzwischen der zweitstärkste Touristenmagnet der Republik, nach dem Kölner Dom.
Das Schloss Bellevue liegt weiter westlich am Nordrand des Großen Tiergartens zwischen der Spree und der Siegessäule. Die klassizistische Dreiflügelanlage wurde 1786 erbaut und dient heute dem Bundespräsidenten als Amtssitz. Die bekannteste Einkaufspromenade in Berlin ist der Kurfürstendamm mit seinen zahlreichen Hotels, Geschäften und Restaurants. Die im Zweiten Weltkrieg zerstörte Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche wurde 1895 erbaut. Ihre Turmruine blieb als Mahnmal erhalten. Die östliche Verlängerung des Kurfürstendamms bildet die Tauentzienstraße, wo sich mit dem KaDeWe (Kaufhaus des Westens) das größte Kaufhaus des europäischen Kontinents und das 1965 erbaute Europa-Center befinden.
In Charlottenburg steht der 150 Meter hohe Funkturm, der 1926 anlässlich der 3. Deutschen Funkausstellung entstand und sehr schnell zu einem der Wahrzeichen Berlins avancierte. Weitere Bauwerke sind das Schloss Charlottenburg (Baubeginn 1695), ein barocker Repräsentationsbau der Hohenzollern mit bedeutender Gemäldesammlung, die Zitadelle Spandau sowie das an Havel und Glienicker Brücke gelegene Schloss Glienicke. In dem ebenfalls im Stil des Klassizismus durch Karl Friedrich Schinkel umgebauten Schloss Tegel sind die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt aufgewachsen. Im Ortsteil Prenzlauer Berg befinden sich viele Wohnbauten aus der Gründerzeit und belebte Straßen wie die Kastanienallee.
Die heutige Karl-Marx-Allee wurde im repräsentativen Stil des sozialistischen Klassizismus erbaut. Sie verläuft vom Alexanderplatz bis zum Frankfurter Tor. Die beiden Türme entstanden in Anlehnung an die doppelten Kuppeln des Gendarmenmarktes unter dem deutschen Architekten Hermann Henselmann.
Auf der internationalen Bauausstellung Interbau im Jahr 1957 präsentierten namhafte Architekten wie Walter Gropius, Le Corbusier und Oscar Niemeyer ihre Entwürfe. Realisiert wurden die Bauvorhaben im Hansaviertel. Die Kongresshalle mit der freitragenden Dachkonstruktion wurde 1957 als Beitrag der Vereinigten Staaten errichtet.
Weltkulturerbe
Berlin gehört zu den Städten mit den meisten UNESCO-Weltkulturerbestätten weltweit.
In das UNESCO-Weltkulturerbe aufgenommen wurden (Stand: August 2023): (1.) „Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin“ (1990), (2.) die „Museumsinsel Berlin“ (1999) sowie (3.) die „Siedlungen der Berliner Moderne“ (2008).
Der Berliner Bereich von (1.) umfasst: Schloss und Park Glienicke, Jagdschloss und Jagdschlosspark Glienicke, Böttcherberg mit Loggia Alexandra, Nikolskoe (St. Peter und Paul, Blockhaus, Forsthaus, Schulhaus und Forsthaus Moorlake) und die Pfaueninsel.
Zum UNESCO-Weltkulturerbe im Bereich von (2.) zählen: Das Alte Museum, das Neue Museum, die Alte Nationalgalerie, der Kolonnadenhof, das Bode-Museum und das Pergamonmuseum.
Dem UNESCO-Weltkulturerbe gehören im Rahmen von (3.) folgende sechs Siedlungen an: Die Gartenstadt Falkenberg, die Siedlung Schillerpark, die Großsiedlung Britz, die Wohnstadt Carl Legien, die Weiße Stadt und die Großsiedlung Siemensstadt.
Zum UNESCO-Weltkulturerbe gehören ferner – im Rahmen von „Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau“ (1996) – die wenige Kilometer nordöstlich der Berliner Stadtgrenze befindlichen Bauhaus-Stätten in Bernau bei Berlin, insbesondere die ADGB-Bundesschule und deren Erweiterungsbau.
Zu den meistbesuchten UNESCO-Weltkulturerbestätten in Berlin und seiner Agglomeration gehören die Museumsinsel (2019: 3,095 Mio. Besucher) – im Besonderen das Pergamonmuseum und das Neue Museum mit jeweils mehr als 800.000 Besuchern (2019) – und das „preußische Versailles“ in Form des Potsdamer Schlosses Sanssouci mit etwa 350.000 zahlenden Besuchern pro Jahr (2019).
Die Karl-Marx-Allee und das Hansaviertel könnten – als „einzigartige Nachkriegsarchitektur“ – in den nächsten Jahren (Stand: 2023) zur Aufnahme auf die UNESCO-Weltkulturerbeliste gelangen. Zur informatorischen Begleitung der anvisierten Aufnahme der Karl-Marx-Allee in die Welterbeliste ist die Einrichtung eines Informationszentrums – eines „Welterbe-Hubs“ – im dortigen Café Sibylle vorgesehen.
Zudem gibt es Bestrebungen, unter anderem die Zitadelle Spandau, die Philharmonie, die AEG-Turbinenhalle Moabit – etwa als Teil einer Berliner „Elektropolis“ –, das Tempelhofer Feld, den Jüdischen Friedhof Weißensee und die Reste der Berliner Mauer in die Welterbeliste aufnehmen zu lassen. Ferner hat die gemeinnützige Organisation „Rave the Planet“ Anfang 2023 einen überarbeiteten Antrag zur Aufnahme der Technokultur in Berlin in die UNESCO-Liste des geistigen Kulturerbes bei der UNESCO eingereicht.
Als zeitnah erreichbar gilt insgesamt insbesondere die Aufnahme der Waldsiedlung Zehlendorf als Erweiterung zu (3.) – jene könnte bereits 2024 die siebente Berliner Siedlung mit UNESCO-Weltkulturerbestatus werden.
Die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) griffen das Thema „Weltkulturerbe“ im Berliner Kontext unter anderem – bezeichnet als „auf humorvolle, selbstironische Weise“ – in ihrer preisgekrönten Imagekampagne „BVG – Nächster Halt: Weltkulturerbe“ auf.
Sport
In Berlin gab es im Jahr 2016 etwa 2400 Sportvereine, in denen sich rund 640.000 Aktive dem Breitensport widmeten. Im Jahr 2015 waren 73 Berliner Mannschaften in den verschiedenen ersten deutschen Bundesligen sowie 70 Mannschaften in den zweiten Bundesligen vertreten. Einige Vereine sind dabei im Bereich des professionellen Sports tätig. Zu den prominentesten Vertretern zählen hier Hertha BSC und der 1. FC Union Berlin (Fußball), Alba Berlin (Basketball), die Eisbären Berlin (Eishockey), die Füchse Berlin (Handball), die Berlin Recycling Volleys (Volleyball). und die Wasserfreunde Spandau 04 (Wasserball).
Berlin war in der Geschichte mehrfach Austragungsort internationaler Sportwettkämpfe. 1936 wurden die Olympischen Sommerspiele in der Stadt abgehalten. Während der Fußball-Weltmeisterschaft 1974 wurden drei Spiele der ersten Finalrunde in Berlin ausgetragen. 2006 fanden Vorrunden-, ein Viertelfinal- und das Finalspiel der Fußball-Weltmeisterschaft im Olympiastadion statt. 2009 wurden auch die Leichtathletik-Weltmeisterschaften dort ausgetragen.
Jedes Jahr findet einer der weltgrößten Marathonläufe, das Finale des DFB-Pokals sowie die Leichtathletik-Veranstaltung ISTAF in Berlin statt. Seit 2015 wird der Berlin E-Prix, ein Automobilrennen der FIA-Formel-E-Meisterschaft, in Berlin ausgetragen.
Alle zwei Jahre jeweils zur Fußball Europa- und Weltmeisterschaft finden große öffentliche TV-Übertragungen statt, bei denen zehntausende Zuschauer die Fußballspiele auf Großbildleinwänden verfolgen. Der Veranstaltungsort, die Fanmeile, hat seinen Platz in der Straße des 17. Juni.
In Berlin wurden die aktuellen Weltrekorde (Stand: 2021) im Marathon- (Eliud Kipchoge), im 100- und 200-Meter-Lauf (beide Usain Bolt) aufgestellt.
Der Deutsche Olympische Sportbund betreibt mit dem Olympiastützpunkt Berlin einen von 19 Olympiastützpunkten. Rund 500 Bundeskaderathleten aus über 30 olympischen Sportarten bilden das leistungssportliche Kontingent. Bekannte Berliner oder in Berlin lebende Olympioniken sind Franziska van Almsick, Christoph und Robert Harting, Katarina Witt sowie Claudia Pechstein.
Zu den größten Sportstätten der Stadt gehören das Olympiastadion mit 74.649 Plätzen, das Stadion An der Alten Försterei mit rund 22.000 Plätzen, der Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark mit 19.000 Plätzen, die Mercedes-Benz Arena mit maximal 17.000 Plätzen, das Velodrom mit maximal 12.000 Plätzen und die Max-Schmeling-Halle mit bis zu 11.900 Plätzen.
Freizeit
Etwa 18 Prozent der Berliner Stadtfläche ist bewaldet. Die Stadtforstverwaltung Berliner Forsten betreut mit rund 29.000 Hektar die größte Stadtwaldfläche Deutschlands. Zu den größten Wäldern gehört der Grunewald, der von der Grunewaldseenkette durchzogen und im Westen von der Havel begrenzt wird, sowie der Spandauer Forst im äußersten Nordwesten. Mit dem Wannsee liegt in Zehlendorf ein viel besuchtes Naherholungsgebiet, das vor allem durch das Strandbad bekannt ist.
Im Südosten Berlins bildet der Müggelsee mit den Müggelbergen und dem Strandbad Müggelsee in Rahnsdorf ein großes Erholungsgebiet. Am Westhang des Kleinen Müggelbergs wurde der Müggelturm errichtet. Er bietet einen Ausblick über die Seen und Wälder der Umgebung. Unweit davon befindet sich die Wuhlheide, ein Waldgebiet mit dem ehemaligen Volkspark Wuhlheide und dem Freizeit- und Erholungszentrum, mit der Parkeisenbahn Wuhlheide und der Parkbühne Wuhlheide und dem Modellpark Berlin-Brandenburg.
In den städtischeren Bereichen der Stadt haben sich an den Fluss- und Seenlandschaften der Spree und Havel einige Strandbars etabliert. Die 20 grünen Hauptwege vernetzen als Wanderwege einen großen Teil der Parks, Grünanlagen, umliegenden Regionalparks und Berliner Wasserläufe.
Berlin ist außerdem weltweit für sein Nachtleben bekannt. Die hohe Zahl an Studenten in der Stadt, eine große kreative Musikszene, viele junge feiernde Touristen und der besonders nach dem Mauerfall verbreitete Leerstand waren für die Entstehung der Clublandschaft mitverantwortlich. Besondere Bekanntheit genießen in diesem Zusammenhang ehemalige Clubs wie das Kunsthaus Tacheles oder das E-Werk und bestehende Nachtclubs wie der Tresor, das Watergate, der KitKatClub, der Club der Visionaere, das Berghain, der Salon zur Wilden Renate und das Kater Blau (Stand: 2018).
Küche
In Berlin existieren rund 5000 Cafés, Bars und Restaurants (Stand: 2018). Die Spitzengastronomie in Berlin hat sich seit Beginn der 2000er Jahre erfolgreich entwickelt. Im Jahr 2020 verzeichnete der Guide Michelin mit dem Rutz ein Restaurant mit drei Michelin-Sternen, fünf Restaurants mit zwei und 17 Restaurants mit einem Stern. Berlin zählte damit zu den europäischen Städten mit den meisten Sterne-Restaurants.
Als typische Berliner Speisen gelten beispielsweise Kasseler, Bulette und Leber nach „Berliner Art“. Die Kartoffel ist in deutschsprachigen Haushalten in ihren diversen Zubereitungsformen eine allgegenwärtige Essensbeilage. Die Schrippe, Splitterbrötchen und der Berliner Pfannkuchen sind berlintypische Gebäcke. Das Deutsche Brotinstitut hat seinen Sitz in Berlin.
Die am häufigsten verkauften Imbissgerichte in der Stadt sind Currywurst (häufig mit Pommes frites) und verschiedenste Varianten des Döner Kebabs. Daneben besaß Berlin bis Ende des 20. Jahrhunderts eine Brautradition. Die gängigste Biersorte ist das Pilsener. Als traditionelles Mixgetränk gilt der Futschi.
Berlin in der Kunst
Film
Berlin spielte als Produktionsstandort in der Filmgeschichte eine besondere Rolle. Zur Blütezeit, in den Jahren nach 1920, war die Berliner Filmindustrie für ihre stil- und genreprägenden Kinofilme berühmt. Viele Produktionen entstanden in den Studios von Babelsberg. Nach 1945 und 1990 manifestierte sich allerdings eine schwach ausgeprägte Stellung des Films innerhalb des deutschen Kulturfördersystems. Seit 2004 besteht das Medienboard Berlin-Brandenburg, das Standortmarketing sowie Förderung von Film- und Fernsehproduktionen in der Hauptstadtregion zusammengeführt hat. Berlin entwickelte sich nach der politischen Wende wieder zum bedeutendsten deutschen Produktionsort für Filme und Serien und Produktionen aus der Stadt gewannen nationale und internationale Preise, so u. a. Das Leben der Anderen 2007 den Oscar für den besten internationalen Film, Spielzeugland 2009 den Oscar für den besten Kurzfilm, Oh Boy 2013 den Europäischen Filmpreis als Bester Nachwuchsfilm, Berlin Alexanderplatz 2020 den Filmpreis in Silber als Bester Spielfilm und Unorthodox 2021 den Grimme-Preis.
Folgende Auswahl von Berliner Filmproduktionen spielen in Berlin oder handeln von der Metropole: Berlin – Die Sinfonie der Großstadt (1927), M (1931), Der Hauptmann von Köpenick (1956), Die Legende von Paul und Paula (1973), Taxi zum Klo (1980), Christiane F. – Wir Kinder vom Bahnhof Zoo (1981), Der Himmel über Berlin (1987), Linie 1 (1988), Lola rennt (1998), Sonnenallee (1999), Good Bye, Lenin! (2003), Das Leben der Anderen (2006), Who Am I – Kein System ist sicher (2014), Ku'damm 56 (2016), Ku'damm 59 (2018), Undine (2020) und Ku'damm 63 (2021).
Neben deutschen Produktionen fanden seit den 1950er-Jahren auch immer wieder internationale Film- und Serienproduktionen in Berlin statt. U. a. waren das Eins, Zwei, Drei, Cabaret, James Bond 007: Octopussy, Æon Flux, die Jason-Bourne-Reihe, Bridge of Spies – Der Unterhändler, Homeland, Die Tribute von Panem und Das Damengambit.
Seit Jahrzehnten gibt es auch viele deutsche Serien die in Berlin spielen und/oder Berlin thematisieren. Darunter waren u. a. Drei Damen vom Grill, Ich heirate eine Familie, Liebling Kreuzberg, Verliebt in Berlin, Gute Zeiten, schlechte Zeiten, Berlin, Berlin, Charité, Deutschland 83, 4 Blocks, Babylon Berlin, Beat, Unorthodox, Wir Kinder vom Bahnhof Zoo.
Malerei
Ab 1893 fand jährlich die überregional bedeutende Große Berliner Kunstausstellung statt. Mit dem Aufkommen der Berliner Secession 1898, die den Impressionismus in der Malerei prägte, entwickelte sich Berlin als herausragendes Zentrum der bildenden Kunst in Deutschland.
Durch den Umzug der expressionistisch arbeitenden Künstlergruppe „Brücke“ nach Berlin erlangte die Kunstszene der Metropole Weltgeltung. Nach 1933 und 1945 gelang der Anschluss an die internationale Kunstwelt jedoch nicht mehr.
Erst mit Beginn des 21. Jahrhunderts hat die Bedeutung der Stadt für die bildenden Künste wieder wesentlich zugenommen. Seitdem leben und arbeiten eine Vielzahl anerkannter Kunstschaffender in der Stadt. Durch die im internationalen Vergleich sehr hohe Anzahl von über 300 ansässigen Galerien spielt der Standort innerhalb Deutschlands auch auf dem Kunstmarkt eine wichtige Rolle.
Literatur
Zahlreiche erfolgreiche Schriftsteller, Philosophen, Dramaturgen, Historiker, Kritiker, Humoristen und Drehbuchautoren leben und arbeiten in Berlin. Zu den in der Vergangenheit und Gegenwart anerkanntesten Literaten zählen u. a. Moses Mendelssohn, Wilhelm von Humboldt, Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Theodor Mommsen, Georg Simmel, Alfred Kerr, Alfred Döblin, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz, Kurt Tucholsky, Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Vladimir Nabokov, Erich Kästner, Christopher Isherwood, Robert Jungk, Günter Grass, Heiner Müller, Christa Wolf, Wolfgang Kohlhaase, Heinrich August Winkler, Herta Müller, Max Goldt, Jonathan Franzen und Maxim Biller.
Musik
Seit der Entwicklung Berlins zur Millionenmetropole Ende des 19. Jahrhunderts entstanden in der Popkultur eine Vielzahl von Liedern, die den Berliner Zeitgeist und das Leben in der Stadt widerspiegeln.
Eines der frühen Musikstücke ist Berliner Luft (1899), das mitunter als inoffizielle Landeshymne gespielt wird. Weitere bekannte Lieder sind u. a. Pack die Badehose ein (1951), Heimweh nach dem Kurfürstendamm (1963) und Berlin (1980).
Zu den erfolgreichsten Künstlern, Sängern und Bands, die in Berlin geboren wurden oder langjährig gewirkt haben oder wirken, gehören u. a. Comedian Harmonists, Marlene Dietrich, Hildegard Knef, Conny Froboess, Rio Reiser, Gebrüder Blattschuss, Ideal, City, Nina Hagen, Thomas Quasthoff, Tangerine Dream, Max Raabe, Harald Juhnke, Ton Steine Scherben, Reinhard Mey, Roland Kaiser, Helga Hahnemann, Frank Zander, Die Ärzte, Rammstein, Seeed, Bushido und Paul van Dyk.
Internationale Musiker wie Leonard Cohen, David Bowie, Iggy Pop, Lou Reed oder die Band U2 sangen über Berlin oder produzierten ihre Alben in der Stadt. Die Hansa-Tonstudios waren dabei für viele Künstler eine wichtige Anlaufstelle um ihre Musikaufnahmen zu realisieren. Durch die große und vielseitige Musikszene Berlins zählt die Metropole zu den meistbesungenen Städten der Welt.
Siehe auch
Berliner Statistiken
Liste der größten Städte der Welt (historisch)
Liste der größten Metropolregionen der Welt
Liste der größten Städte Europas
Liste der Millionenstädte
Literatur
alphabetisch nach Nachnamen geordnet
Udo Arnold: Preußen und Berlin. Beziehungen zwischen Provinz und Hauptstadt. Verlag Nordostdeutsches Kulturwerk, Lüneburg 1981, ISBN 3-922296-21-1.
Michael Bienert: Literarisches Berlin. 100 Dichter, Schriftsteller und Publizisten; Wohnorte, Wirken und Werke. 3. Auflage. Verlag Jena 1800, Berlin 2013, ISBN 978-3-931911-18-8.
Jens Bisky: Berlin. Biographie einer großen Stadt. Rowohlt Berlin, Berlin 2019, ISBN 978-3-87134-814-3.
Horst Bosetzky, Jan Eik: Das Berlin-Lexikon. Jaron Verlag, Berlin 1998, ISBN 3-932202-57-0.
Deutscher Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin-Brandenburg e. V. (Hrsg.): Unvollendete Metropole. Band 1: 100 Jahre Städtebau für Groß-Berlin. Band 2: Internationaler Wettbewerb Berlin-Brandenburg 2070. Blick nach Europa. Berlin 2020, ISBN 978-3-86922-241-7.
Christian Härtel: Berlin. Eine kleine Geschichte. Unter Mitarbeit des Bildarchivs Preußischer Kulturbesitz. bebra-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-89809-041-8 (englische, italienische und spanische Ausgaben).
Joachim Herrmann u. a. (Hrsg.): Berlin. Ergebnisse der heimatkundlichen Bestandsaufnahme (= Werte unserer Heimat. Band 49/50). Akademie-Verlag, Berlin 1987, ISBN 3-05-000379-0.
Heinz Kullnick: Berliner und Wahlberliner. Personen und Persönlichkeiten in Berlin von 1640–1914. Hayn, Berlin 1961.
Kai-Uwe Merz: Vulkan Berlin. Eine Kulturgeschichte der 1920er Jahre. Elsengold Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-96201-039-3.
Kurt Pomplun: Berliner Häuser – Geschichte und Geschichten (= Berliner Kaleidoskop. Band 14). 2. Auflage. Hessling, Berlin 1975, ISBN 3-7769-0119-5.
Wolfgang Ribbe (Hrsg.): Geschichte Berlins. 3. Auflage. 2 Bände. Berlin 2002 (Veröffentlichungen der Historischen Kommission zu Berlin, Standardwerk anlässlich des 750. Jubiläums von Berlin).
Uwe Schaper (Hrsg.) in Verbindung mit dem Landesarchiv Berlin: Berlinische Lebensbilder. Historische Kommission zu Berlin, Duncker & Humblot, Berlin 1987 ff. (Stand 2015: 10 thematische Einzelbände).
Karl Scheffler: Berlin, ein Stadtschicksal. E. Reiss, Berlin 1910.
neu herausgegeben von Florian Illies: Suhrkamp, Berlin 2015, ISBN 978-3-518-42511-4.
Roswitha Schieb: Der Berliner Witz. Eine Kulturgeschichte. Elsengold Verlag, Berlin 2020, ISBN 978-3-96201-051-5.
Volker Spiess (Hrsg.): Berliner biographisches Lexikon. 2., überarb. und erw. Auflage. Haude & Spener, Berlin 2003, ISBN 3-7759-0468-9.
Martin Wörner, Karl-Heinz Hüter, Paul Sigel und Doris Mollenschott (Hrsg.): Architekturführer Berlin. Mit einer Einleitung von Wolfgang Schäche. 7., überarbeitete und erweiterte Auflage. Reimer, Berlin 2013, ISBN 978-3-496-01380-8.
Reimer Wulf (Fotos), Karl Kessler (Texte): Über den Dächern des Neuen Berlin. Herbig, München 2004, ISBN 3-7766-2403-5 (Luftaufnahmendokumentation).
Weblinks
Offizielle Webpräsenz Berlins
Offizielle Webpräsenz des Markenauftritts Wir.Berlin
Berlin-Bibliographie
Amt für Statistik Berlin-Brandenburg
Wirtschaftsatlas Berlin
Berlin auf stadtpanoramen.de
Einzelnachweise
Bundesland (Deutschland)
Deutsche Hauptstadt
Gemeinde in Deutschland
Kreisfreie Stadt in Deutschland
Deutsche Landeshauptstadt
Hauptstadt in Europa
Hauptstadt in der EU
Ort mit Binnenhafen
Ort an der Spree
Millionenstadt
Deutsche Universitätsstadt
Hansestadt
Ehemalige Kreisstadt
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Stadt in Deutschland
Wikipedia:Artikel mit Video
Deutscher Ortsname slawischer Herkunft
Ersterwähnung 1244
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Q64
| 4,732.836017 |
3723873
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bern
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Bern
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Die Stadt Bern ( [], [], , berndeutsch Bärn []) ist eine Einwohnergemeinde und Hauptort des gleichnamigen Kantons. Als «Bundesstadt» nimmt sie für die Schweiz die Funktion der Hauptstadt wahr. Als Sitz der städtischen und grosser Teile der kantonalen sowie eidgenössischen Verwaltung ist Bern das grösste Zentrum öffentlicher Verwaltung des Landes.
Die 1191 gegründete Zähringerstadt ist mit ihren charakteristischen Lauben teilweise in ihrer ursprünglichen Form erhalten. Seit 1218 Freie Reichsstadt, trat Bern 1353 der Eidgenossenschaft bei und entwickelte sich bis ins 16. Jahrhundert zum grössten Stadtstaat nördlich der Alpen. 1983 wurde die Berner Altstadt in die Liste des UNESCO-Welterbes aufgenommen.
Die Stadt verfügt über eine Gesamtbevölkerung von Einwohnern (Stand ). Nach Zürich, Genf, Basel und Lausanne sowie vor Winterthur gehört sie zu den einwohnerreichsten Gemeinden der Schweiz. In der Agglomeration Bern, zu der 70 Gemeinden gehören, beträgt die ständige Wohnbevölkerung 422'706 Personen (Stand: 2021).
Seit Jahren wird Bern mit Zürich und Genf als eine der Städte mit den weltweit höchsten Lebenshaltungskosten gelistet.
Die Stadt Bern ist Zentrum der Verwaltungsregion Bern-Mittelland und der Regionalkonferenz Bern-Mittelland mit ihrer Teilkonferenz Wirtschaftsraum Bern. Seit längerem bestehen ausserdem Bestrebungen, die Stadt und die Agglomeration als Hauptstadtregion Schweiz noch deutlicher zu positionieren. Mitglieder dort sind die Kantone Bern, Freiburg, Wallis, Neuenburg und Solothurn sowie Städte, Gemeinden und Regionalorganisationen.
Geographie
Die Stadt Bern liegt auf im Schweizer Mittelland beidseits der Aare zwischen dem Hausberg Gurten im Süden und dem Bantiger im Osten. Die Aare umfliesst die Berner Altstadt mit einer nach Osten ausgreifenden Schleife (Aareschlaufe). Sie ist im Bereich der Altstadt und nördlich davon mit einem schmalen Tal rund 30 bis 50 Meter tief in die Umgebung eingesenkt.
Topographie
Topographisch befindet sich das Gemeindegebiet im Schweizer Mittelland und bedeckt eine Fläche von 51,60 Quadratkilometern. Es dehnt sich in West-Ost-Richtung auf einer Länge von 15 Kilometern aus, während sich die durchschnittliche Breite in Nord-Süd-Richtung auf rund vier Kilometer beläuft. Die alte Sternwarte (heute abgerissen und durch das Institut für exakte Wissenschaften ersetzt) bildet das historische Zentrum der Landesvermessung der Schweiz und trägt die Schweizer Landeskoordinaten 600'000/200'000.
Landschaftsbildender Faktor ist die Aare, die von Südosten in das Gebiet fliesst. Das knapp ausserhalb des Gemeindebodens noch breite Aaretal verengt sich zusehends und bildet ab Beginn der Flussschleife um die Altstadt eine schmale Talkerbe. Der Talboden liegt hier auf rund Nach nur kurzem, geradem Lauf in nördlicher Richtung unterhalb des Altstadtbogens folgt das Flussbogensystem um das Plateau von Tiefenau und Felsenau. Etwa ab der Mündung des Flüsschens Worble unterhalb der Tiefenau markiert die Aare die nördliche Gemeindegrenze. Sie fliesst, noch immer in das umgebende Plateau eingeschnitten, westwärts weiter. Ihr Lauf verbreitert sich durch den Aufstau des Wohlensees.
Östlich an die Aare schliesst ein Plateau an, das auf durchschnittlich liegt. Es ist grossenteils besiedelt und verfügt über ausgedehnte Flächen sowohl gewerblicher als auch industrieller Nutzung, Sportanlagen (Stadion Wankdorf) sowie Verkehrsflächen. Einzelne Anhöhen wie der Schärmenwald () und die Schosshalde () sind mit Wald bedeckt. Ganz im Osten reicht das Stadtgebiet bis an den Fuss des Ostermundigenberges. Auch der westlich der Aare gelegene Teil des Plateaus von Bern erreicht eine Höhe von rund Nordwestlich an das Siedlungsgebiet schliesst der etwa 5 Quadratkilometer grosse Bremgartenwald an. Er fällt im Norden mit einer Steilstufe zum Aaretal ab und wird durch mehrere kurze Erosionstälchen untergliedert. Zwischen dem Stadtteil Bümpliz und der Vorortsgemeinde Köniz befindet sich der Könizbergwald, ein bewaldeter Hügelrücken, mit die höchste Erhebung des Gemeindeareals der Stadt.
Der lange westliche Zipfel des Gemeindegebietes ist ländlich geprägt. Das Gelände zeigt verschiedene Mulden, ehemals moorige Senken (zum Beispiel das Bottigenmoos) und Anhöhen, ist insgesamt aber nur schwach reliefiert. Es wird durch den Gäbelbach, dessen Tal im unteren Teil bis zu 80 Meter in die Umgebung eingetieft ist, zur Aare entwässert. Neben kleineren Siedlungen gibt es hier ausgedehnte Acker- und Wiesenflächen, die nach Süden zum grossen Waldgebiet des Forstes (bis ) überleiten.
Von der Gesamtfläche der Stadt Bern wurden bei der Erhebung im Jahr 2006 44,2 Prozent als Siedlungs-, Industrie-, Gewerbe- und Verkehrsfläche, 33,5 Prozent als Wald und Gehölze sowie 20,2 Prozent als Landwirtschaftsfläche ausgewiesen. Die restlichen 2,1 Prozent figurieren als unproduktive Fläche.
Geologie
Geologisch liegt Bern im Molassebecken des Schweizer Mittellandes. Das Becken wurde im Lauf des Tertiärs mit dem Abtragungsschutt der entstehenden Alpen aufgefüllt, wobei sich die Sedimente in verschiedene Schichten unterteilen lassen.
Der Untergrund im Raum Bern besteht aus Sedimenten der Unteren Süsswassermolasse, die im Aquitanium in der Zeit vor etwa 23 bis 20 Millionen Jahren abgelagert wurden. Die sogenannten Gümmenen-Schichten enthalten relativ weiche Sandsteine unterschiedlicher Korngrösse mit dazwischengelagerten, oft rötlichen Mergeln. Diese Sedimente, deren Dimension im Bereich von Bern auf rund 800 Meter geschätzt wird, wurden von Flüssen aus den Alpen hierher transportiert. Grössere Ablagerungs- und Umschichtungsereignisse fanden insbesondere während Hochwassern und Überschwemmungen statt, was den raschen horizontalen und vertikalen Wechsel der einzelnen Schichten erklärt. Ganz im Süden des Gebietes sind die Gümmenen-Schichten durch die im Burdigalium vor 20 bis 16 Millionen Jahren abgelagerten Sense-Schichten aus Oberer Meeresmolasse überdeckt. Dieser feste, gebankte Sandstein enthält Glaukonit und ist als Baustein in der Berner Altstadt weit verbreitet.
Die Oberflächenformen auf dem Stadtgebiet von Bern sind von eiszeitlichen Ablagerungen geprägt, die eine Ausdehnung von wenigen Metern bis über 50 Meter erreichen. In den Eiszeiten stiess der Aaregletscher jeweils weit über Bern ins Mittelland vor und vereinigte sich hier mit dem Rhonegletscher. Während von den älteren Gletschervorstössen nur wenige Zeugen an der Oberfläche (insbesondere Altmoränen im Aaretal) erhalten sind, bestehen die Plateaus beidseits des Aaretals im Bereich der Stadt Bern, der Bremgartenwald sowie das Gebiet des Forstes aus Schottern. Diese wurden im Rahmen des Vorstosses und Rückzuges des würmeiszeitlichen Aaregletschers abgelagert, der seine maximale Ausdehnung etwa vor 20'000 Jahren erreicht hatte. Die Schotter zeigen im Gegensatz zur Nagelfluh nur schwach verfestigte Lagen von Kies, die bis zu 20 Zentimeter grosse Blöcke aus Flyschsandsteinen und Kieselkalk der Berner Alpen enthalten. Dazwischen sind sandige Schichten gelagert. In der Region Bern wird daher an zahlreichen Orten Kiesabbau betrieben. Überreste einer Endmoräne, die beim letzten Rückzug des Aaregletschers entstand, dem sogenannten Bern-Stadium, bilden eine Reihe von Anhöhen, die vom Steinhölzli über den Veielihubel, die Falkenhöhe bei der Universität, den Rosengarten und den Schönberg bis zur Schosshalde reichen.
Klima
Die Stadt befindet sich in der gemässigten Klimazone mit Laubwäldern (effektive Klimaklassifikation Cfb). Die einzelnen Jahreszeiten sind wie in der ganzen Schweiz nördlich der Alpen stark ausgeprägt. Mit rund 110 mm pro Monat regnet es aufgrund der mehrheitlich konvektiven Niederschläge im Sommer ungefähr doppelt so viel wie im Winter; im Durchschnitt ist an 122 Tagen im Jahr mit mehr als einem Millimeter Niederschlag zu rechnen. Die Messstation des Bundesamtes für Meteorologie und Klimatologie (MeteoSchweiz) befindet sich im Vorort Zollikofen, auf , ca. 5 km nördlich des Stadtzentrums (Luftlinie).
Die Jahresmitteltemperatur für die Normalperiode 1991–2020 beträgt 9,3 °C, wobei im Januar mit 0,2 °C die kältesten und im Juli mit 18,8 °C die wärmsten Monatsmitteltemperaturen gemessen werden. Im Mittel sind hier rund 99 Frosttage und 19 Eistage zu erwarten. Sommertage gibt es im Jahresmittel rund 46, während normalerweise 9 Hitzetage zu verzeichnen sind; in besonders heissen Sommern kann es um 37 °C warm werden. Da die Messstation ausserhalb der Stadt liegt, können die Messwerte nicht direkt auf das Stadtklima übertragen werden. Ausgehend vom IPCC-Szenario ohne Klimaschutzmassnahmen (RCP 8.5), wird es in Zollikofen gegen Ende des Jahrhunderts acht bis zehn Tropennächte geben. Modellierungen von «Urban Climate Bern» zeigen, dass dieser Wert in der Stadt Bern bei rund 30 bis 45 liegen könnte.
Mit im Durchschnitt 1797 Stunden Sonnenschein pro Jahr hat die Stadtgemeinde im Vergleich zu anderen Messstationen im Mittelland der Deutschschweiz eine relativ hohe Besonnungsrate.
Der Höchstwert bei der Durchschnittssonnenscheindauer des Monats Januar wurde 2020 mit 137,4 Std. erreicht. Damit wurde der langjährige Rekord von 1949 mit 103,7 Std. bei weitem gebrochen.
Die mittlere Windgeschwindigkeit belief sich in der Messperiode von 1991 bis 2000 auf 1,6 m/s, wobei Winde aus südwestlichen und nordöstlichen Richtungen (Bise) überwogen. Die höchsten mittleren Windgeschwindigkeiten werden bei Westwindlagen erreicht.
Stadtgliederung und Nachbargemeinden
Das Stadtgebiet ist in sechs Stadtteile gegliedert, die ihrerseits in insgesamt 32 Statistische Bezirke unterteilt sind. Darunter gibt es noch die Ebene von 114 Gebräuchlichen Quartieren.
Den Kern des Siedlungsgebietes bildet die Berner Altstadt, als Stadtteil Innere Stadt genannt. Diese ist seit der napoleonischen Besetzung von 1798 in fünf mit Farbe bezeichnete Quartiere eingeteilt.
An die Innenstadt grenzen im Nordwesten und Norden der Stadtteil Länggasse-Felsenau, im Norden Breitenrain-Lorraine, im Osten und Südosten Kirchenfeld-Schosshalde sowie im Südwesten und Süden Mattenhof-Weissenbühl. Nur der Stadtteil Bümpliz-Oberbottigen liegt weiter im Westen.
Die folgende Tabelle stellt die Stadtteile und Statistischen Bezirke von Bern gegenüber. Alle Einwohnerzahlen der Wohnbevölkerung innerhalb Berns werden von Statistik Stadt Bern, der zuständigen Fachstelle, bereitgestellt. Sie enthalten alle in der Stadt Bern mittels Heimatschein, Heimatausweis oder Ausländerausweis registrierten Personen (einschliesslich Nebenwohnsitz und nichtständige Wohnbevölkerung). Dieser Unterschied zu üblicherweise verwendeten Zahlen des BfS wird damit begründet, dass alle Personen für die Planung der Infrastruktur von Bern berücksichtigt werden müssen.
Bern grenzt an elf Gemeinden: im Norden an Bremgarten bei Bern, Kirchlindach, Wohlen bei Bern und Zollikofen, im Osten an Ittigen, Muri bei Bern und Ostermundigen, im Süden an Köniz und im Westen an Frauenkappelen, Mühleberg und Neuenegg.
Agglomeration und geplante Fusionen
Die Einwohnerzahl der gesamten Agglomeration Bern, zu der 70 Gemeinden gehören, wird 2021 mit 422'706 Personen angegeben. Ohne die Stadt Bern sind es 288'416 Personen. Im sogenannten Agglomerationshauptkern (14 Gemeinden) leben 265'510 Personen, ohne die Stadt Bern 131'220 Personen, im Agglomerationsgürtel und Nebenkern 157'196 Personen. Die Regionalkonferenz Bern-Mittelland zählt 416'830 Personen, ohne Stadt Bern 282'540 Personen. Seit 1930 hat sich das Gebiet der Agglomeration mehrfach erweitert. Der Verwaltungskreis Bern-Mittelland ist nicht wesentlich grösser.
Die Gemeinden Bolligen, Bremgarten bei Bern, Frauenkappelen, Kehrsatz und Ostermundigen prüften im Rahmen einer Machbarkeitsstudie Kooperation Bern die Chancen und Risiken einer Fusion mit Bern. Bolligen grenzt nicht an Bern, wäre dann über Ostermundigen mit Bern verbunden gewesen. Bis auf Ostermundigen haben sich alle Gemeinden gegen Fusionsverhandlungen ausgesprochen. Die Vernehmlassung zum Fusionsvertrag fand von Mitte Oktober bis Mitte Dezember 2022 statt, die Volksabstimmung wurde am 22. Oktober 2023 durchgeführt. Während die Stimmberechtigten der Stadt Bern der Fusion mit rund 57 % zugestimmt haben, lehnte sie die Ostermundiger Stimmbevölkerung mit über 72 % ab. Das Fusionsprojekt ist somit gescheitert.
Weitere Ortschaften namens Bern
Nach der Stadt Bern wurden mehrere Ortschaften in den Vereinigten Staaten von Amerika benannt. Am bekanntesten ist die 1710 vom Berner Patrizier Christoph von Graffenried gegründete Hafenstadt New Bern in North Carolina, in der die Pepsi-Cola erfunden wurde. Daneben gibt es in den Staaten Idaho: Bern (Idaho), Kalifornien: Bern (Kalifornien), Kansas: Bern (Kansas), Pennsylvania: Berne (Pennsylvania) und Wisconsin: Bern (City) je eine Ortschaft mit dem Namen Bern – in der amerikanischen Fernsehserie «Jericho» New Bern, Kansas – in Indiana und New York jeweils Berne geschrieben.
Das italienische Verona wurde veraltet auf Deutsch ebenfalls Bern genannt und umgekehrt Bern Verona im Üechtland.
Geschichte
Name
Der Name der Stadt Bern ist erstmals in einer Urkunde vom 1. Dezember 1208 belegt.
Der Name wurde schon früh volksetymologisch gedeutet mit Bezug auf den Bären, seit dem 13. Jahrhundert das Wappentier Berns. In der Justingerchronik wird eine Legende berichtet, nach der der Stadtgründer Herzog Berchtold V. von Zähringen beschlossen habe, die Stadt nach dem ersten in den umliegenden Wäldern erlegten Tier zu benennen. Dies soll ein Bär gewesen sein.
Sprachgeschichtlich wird der Name Berns auf eine keltische Etymologie zurückgeführt.
Der «überzeugendste Vorschlag» ist gemäss dem Lexikon der schweizerischen Gemeindenamen die Herleitung des Namens der Stadt Bern von einem keltischen (gallischen) Toponym *berna mit einer Deutung von «Kluft» oder «Schlitz» (in Anlehnung an das Mittelirische Femininum bern, berna, «Kluft», ausserdem verglichen mit dem Namen von Behren bei Saarbrücken). Untermauert wird die vorromanische Deutung des Namens durch die Form brenodor auf der seit den 1980er Jahren bekannten Berner Zinktafel (deren Echtheit allerdings als unsicher gilt). Dieser Name wurde als *Brenno-durum gedeutet, der Ortsname Bern, falls damit verwandt, würde sich in diesem Fall vom gut bezeugten gallischen Personennamen oder Titel Brennos herleiten.
Dieser Name hätte ursprünglich als Orts- oder Flurname eine bestimmte Stelle oder einen Aareabschnitt bezeichnet. Er wäre dann von der galloromanischsprachigen Bevölkerung weiterverwendet worden, bevor er schliesslich ins Deutsche entlehnt wurde.
Gründung und Mittelalter
Das Gebiet der Stadt Bern war spätestens seit der Latènezeit besiedelt. Die älteste nachgewiesene Siedlung war eine wahrscheinlich seit der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts v. Chr. befestigte keltische Siedlung auf der Engehalbinsel. In römischer Zeit bestand auf der Engehalbinsel ein gallo-römischer Vicus, der zwischen 165 und 211 n. Chr. aufgegeben wurde.
Für das Frühmittelalter sind zahlreiche Gräberfelder nachgewiesen, so in Bümpliz, wo eine Mauritiuskirche aus dem 7. bis 9. Jahrhundert steht und ein Königshof aus der Zeit des hochburgundischen Königreichs mit einer hölzernen Wehranlage.
Ende des 12. Jahrhunderts erfolgte die Gründung der heutigen Stadt Bern durch Herzog Berchtold V. von Zähringen. Die Cronica de Berno gibt als Gründungsjahr 1191 an. Nach dem Aussterben der Zähringer wurde Bern laut der Goldenen Handfeste 1218 eine Freie Reichsstadt. König Rudolf I. von Habsburg bestätigte 1274 Berns Reichsfreiheit und legte der Stadt eine Reichssteuer auf, zu der nach der Niederlage an der Schosshalde 1289 noch eine Busse hinzukam. Als Schutz gegen die Grafen von Kyburg, die die Zähringer beerbt hatten, wählte Bern die Schirmherrschaft Savoyens. Mit dem Sieg gegen die durch Kauf an Habsburg gelangte Stadt Freiburg bei «Dornbühl» 1298 setzte Berns Territorialpolitik ein.
Im Jahr 1339 errangen die Berner im Laupenkrieg dank der Unterstützung der Eidgenossen einen wichtigen Sieg gegen die umliegenden Adelshäuser und legten damit den Grundstein für den Aufstieg zum Stadtstaat. Das bereits seit 1323 bestehende und 1341 erneuerte Bündnis mit den Innerschweizer Waldstätten wurde 1353 nochmals bestätigt. Das Bündnisgeflecht mit Zürich, Luzern und den Waldstätten mündete in die Eidgenossenschaft. Die Teilnahme an den Burgunderkriegen 1474 bis 1477 brachten Bern erste Landgewinne im Kanton Waadt. Seit dem 15. Jahrhundert verstand sich die Stadt Bern als Staat.
16. bis 18. Jahrhundert
Im Februar 1528 setzte sich die von der Stadt unterstützte Reformation unter Berchtold Haller in Bern durch. Mit der Eroberung der Waadt im Jahr 1536 wurde Bern der grösste Stadtstaat nördlich der Alpen. 1648 erhielt Bern im Westfälischen Frieden die volle staatliche Souveränität und löste sich endgültig vom Reich. Trotz des Macht- und Gebietszuwachses blieb die mittelalterliche oligarchische Regierungsform des Ancien Régime bis Ende des 18. Jahrhunderts bestehen: Der Grosse Rat hatte als höchste Entscheidungsinstanz stets zwischen 200 und 299 Mitglieder. Der Kreis der effektiv regierenden Geschlechter, des eigentlichen Patriziates, verkleinerte sich im Verlauf des 18. Jahrhunderts drastisch. Mitglieder des Grossen Rates bildeten den Kleinen Rat, die eigentliche Regierung. An der Spitze stand der regierende Schultheiss.
Politisch gärte es im 18. Jahrhundert in der Stadt und Republik Bern. 1723 kam es in der Waadt zur Revolte von Major Davel gegen die Berner Herrschaft. Am 27. Januar 1798 marschierten französische Truppen ins Berner Waadtland ein und drangen in der Folge immer weiter in die Schweiz vor. Bern musste sich, nachdem die Regierung bereits kapituliert hatte, trotz heftigem Widerstand nach der Schlacht am Grauholz Anfang März geschlagen geben. Ausserdem verlor Bern die vorher abhängigen Gebiete Waadtland und Aargau sowie zeitweise das Berner Oberland.
Von Mai 1802 bis März 1803 war Bern die Hauptstadt der Helvetischen Republik. Zuvor waren Aarau (bis September 1798) und Luzern (bis Mai 1799) Hauptstädte gewesen.
19. Jahrhundert
Im Jahr 1815 erhielt Bern im Zuge der Restauration den Status eines Vorortes und diente im Zweijahresrhythmus wechselnd als Regierungssitz des Staatenbundes. Am 14. Januar 1831, im Zuge der Regeneration, dankte die Patrizierregierung ab und machte den Weg zu Wahlen im Kanton frei. Mit der Verfassung von 1831 wurde der Vorrang der Stadt Bern, die Kantonshauptort wurde, im Kanton aufgehoben. 1832 wurde neben der Bürgergemeinde neu die Einwohnergemeinde, in der alle ansässigen Bürger mit einem Mindestvermögen stimmberechtigt waren, geschaffen.
Am 5. September 1832 erklärte die Kantonsregierung die Verfassung der Stadt Bern für aufgehoben und den Stadtrat für abgesetzt. Auch in der neuen Einwohnergemeinde behielten Patriziat und Burger allerdings die Mehrheit.
In den folgenden Jahrzehnten blieb die Stadt Bern konservativ regiert und stand damit im Gegensatz zum freisinnigen Kanton.
Erst 1886 wurde die konservative Mehrheit in Stadtparlament und -regierung durch eine freisinnige abgelöst. 1887 wurde die Gemeindeversammlung abgeschafft und stattdessen die Urnenwahl und -abstimmung eingeführt. Die Arbeiterschaft Berns hatte sich seit Gründung der sogenannten Ersten Internationale von 1864 in verschiedenen Vereinen organisiert, die Sozialdemokratische Partei Berns wurde 1877 gegründet. Die Zeitung Berner Tagwacht, die bis 1997 weiterbestand, wurde 1893 gegründet, im Jahr des Käfigturmkrawalls, eines Arbeiteraufstands, der mit Hilfe eidgenössischer Truppen niedergeschlagen wurde. Im Mai 1895 führte die Stadt Bern als eine der ersten Gemeinden der Schweiz den Proporz für die Gemeindewahlen ein. Im gleichen Jahr wurde Gustav Müller als erster Sozialdemokrat in den Gemeinderat gewählt; 1899 sassen bereits zwei Vertreter der Sozialdemokraten in der Berner Regierung.
Bern als Bundesstadt
Den Widerständen bei der Hauptstadtfrage der Schweiz gegen eine zentrale Hauptstadt wurde dadurch Rechnung getragen, dass statt einer Hauptstadt lediglich eine Bundesstadt als Sitz von Bundesregierung, Bundesversammlung und Bundesverwaltung gewählt werden sollte. Die Wahl der Bundesversammlung fiel auf Bern. National-, Stände- und Bundesrat tagten in drei verschiedenen Gebäuden in der Stadt, bevor das erste sogenannte Bundesrathaus 1857 eingeweiht wurde.
Als Bundesstadt wurde Bern attraktiv für internationale Organisationen. Im Jahr 1868 wurde Bern Sitz der drei Jahre vorher in Paris gegründeten Internationalen Telegraphenunion (seit 1934 Internationale Fernmeldeunion [ITU]). Am 9. Oktober 1874 wurde in Bern der Allgemeine Postverein von 22 Staaten gegründet, 1878 wurde er in Weltpostverein umbenannt und 1947 eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen, der Hauptsitz blieb in Bern. Die Verhandlungen zur Vereinheitlichung der technischen Mindestvoraussetzungen für den internationalen Eisenbahnverkehr wurden von 1882 bis 1886 in Bern geführt, der Technische Einheit im Eisenbahnwesen genannte Staatsvertrag, der 1887 in Kraft trat, enthält unter anderem eine Bestimmung, die als Berner Raum bezeichnet wird. 1886 wurde die Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst in Bern unterzeichnet; 1893 entstand daraus das Internationale Büro für geistiges Eigentum mit Sitz in Bern, die Vorgängerorganisation der World Intellectual Property Organization (WIPO). Auch die Ligue internationale de la Paix und die Interparlamentarische Union, die mit Friedensnobelpreisen geehrt wurden, hatten ihren Sitz in Bern.
20. und 21. Jahrhundert
1914 fand die Schweizerische Landesausstellung in Bern statt, die von rund 3,2 Millionen Personen besucht wurde und mit einem Einnahmenüberschuss von fast 35'000 Franken abschloss, trotz dem gleichzeitig im Gange befindlichen Ersten Weltkrieg.
1918 wurde die Kunsthalle mit einem Überblick über das Berner Kunstschaffen eröffnet. Im bereits seit 1879 bestehenden Kunstmuseum waren schon 1910 Arbeiten von Paul Klee ausgestellt worden.
Mit der Eingemeindung von Bümpliz wurde 1919 das bisher einzige Mal in der Geschichte Berns das Gemeindegebiet erweitert. Nachdem die Sozialdemokraten am Ende des Ersten Weltkriegs kurzzeitig die absolute Mehrheit in Stadt- und Gemeinderat erlangt hatten, bestand während des 20. Jahrhunderts meist eine knappe bürgerliche Mehrheit.
Ab 1920 amtieren sieben vollamtliche Gemeinderäte. 2005 wird die Zahl auf fünf verkleinert.
Seit 1968 sind Frauen in der Gemeinde Bern stimm- und wahlberechtigt, 1988 wurde das Stimm- und Wahlrechtsalter von 20 auf 18 Jahre gesenkt.
Eine kulturelle Blütezeit erlebte Bern in den 1960er-Jahren. In den Klein- und Kellertheatern wurden Stücke zeitgenössischer Autoren aufgeführt, die Mundart wurde mit Kurt Marti und den Berner Chansons der Berner Troubadours, Berner Trouvères und Mani Matter neu belebt. Die Berner Rockband Span startete einen neuen Schweizer Mundartrock. Unter Harald Szeemann wurde die Kunsthalle zu einem Ausstellungsforum der Avantgarde, so erhielt der Künstler Christo 1968 anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Kunsthalle erstmals Gelegenheit, ein Gebäude zu verpacken.
Als Ergebnis der 1968er Jugendbewegung wurden die Gaskessel des stillgelegten Gaswerkes als Jugendzentrum Gaskessel umgenutzt. Die 1980er Jugendunruhen führten in Bern zur Umnutzung der zentral gelegenen Reitschule, die schon nach ihrer Eröffnung 1897 ein gesellschaftliches Zentrum Berns gewesen war, als alternatives Kulturzentrum Reithalle und zur Einrichtung der Dampfzentrale als weiteres Kulturzentrum. Auch das aus der Hausbesetzerszene hervorgegangene alternative Wohnprojekt Zaffaraya besteht weiter.
Bei den Gemeindewahlen von 1992 gewann das Wahlbündnis «RotGrünMitte» (RGM) erstmals die Mehrheit in Stadt- und Gemeinderat – diese linksgrüne Mehrheit hat sich seither kontinuierlich verfestigt. Ansonsten wurde der Beginn des 21. Jahrhunderts geprägt durch die Erneuerung des Berner Bahnhofs, die schweren Ausschreitungen anlässlich eines Umzugs der national-konservativen SVP in der Innenstadt im Oktober 2007 sowie die Fussball-Europameisterschaft 2008. 2017 war Bern einer von zehn Schweizer Orten, die von der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa das Etikett «Reformationsstadt Europas» verliehen bekommen haben.
Bevölkerung
Bevölkerungsentwicklung
Die Stadt Bern verdankt ihr Wachstum in erster Linie der Zuwanderung vom Land.
Zur Gründungszeit Ende des 12. Jahrhunderts zählte die Stadt etwa 500 Einwohner, 100 Jahre später waren es vermutlich bereits 3000. In den folgenden Jahrhunderten nahm die Bevölkerung trotz der grassierenden Pest stetig zu und war zur Mitte des 15. Jahrhunderts auf 5000 angewachsen. Nach einem Rückgang in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wuchs die Bevölkerungszahl in den nachfolgenden Jahrhunderten kontinuierlich weiter. Im Jahr 1764, als die erste Bevölkerungszählung erfolgte, waren es 11'000, um 1800 vermutlich bereits 12'000 und 1850 schon beinahe 30'000 Einwohner, ohne dass die Stadt sich wesentlich vergrössert oder ihr Äusseres grundlegend verändert hätte.
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verdoppelte sich die Einwohnerzahl und überschritt 1920 die 100'000-Marke. Das Bevölkerungswachstum dauerte bis in die 1960er Jahre weiter an, erreichte mit über 165'000 Einwohnern 1963 seinen vorläufigen Höhepunkt und entwickelte sich danach rückläufig.
Nach einer längeren Periode mit zum Teil grossen Wegzugsüberschüssen haben sich ab dem Jahr 2000 bei den Personen wieder Wanderungsgewinne ergeben. Weiterhin negativ ist der Wanderungssaldo der Familien. In die Stadt verlegen vorwiegend jüngere Einzelpersonen (Ausbildung, Arbeit) ihren Wohnsitz. Viele von ihnen heiraten später und ziehen als Familien ins Umland der Stadt Bern. Die Zahl der Zu- und Wegzüge von Personen fällt seit Mitte der 1970er Jahre deutlich tiefer aus als in den vorangegangenen Jahren. Früher schlugen bei den Wanderungsbewegungen Ein- resp. Ausreisen der Saisonarbeitskräfte stark zu Buche.
Ende Dezember 2019 betrug die Bevölkerungszahl 143'278, was gegenüber 2018 einer Zunahme von 0,6 % entsprach. 75,9 % waren Schweizer und 24,1 % Ausländer.
Bevölkerungszusammensetzung
109'242 (76,3 Prozent) der Einwohner der Stadt Bern waren Ende 2021 Schweizer Staatsbürger, 33'912 (23,6 Prozent) sind ausländische Staatsbürger. Die grössten Ausländergruppen stammen aus Deutschland (6300 Personen), Italien (4005), Spanien (1849), Portugal (1378), Nordmazedonien (1193), dem Kosovo (1170) und der Türkei (1116).
Bern hat einen Frauenüberschuss; 52 Prozent (74'509) sind Frauen, 48 Prozent (68'645) Männer, aber es gibt markante Unterschiede zwischen der schweizerischen und der ausländischen Wohnbevölkerung. Auf 100 Schweizerinnen kommen rund 87 Schweizer, auf 100 Ausländerinnen jedoch rund 110 Ausländer.
Das Durchschnittsalter der Berner Bevölkerung ist in den 2000er Jahren gesunken, es betrug 2008 41 Jahre und neun Monate. Bei den Schweizern sind die Männer jünger als die Frauen, 2008 im Durchschnitt 1616 Tage mit abnehmender Tendenz, während es bei der ausländischen Wohnbevölkerung umgekehrt ist. Die Männer sind älter als die Frauen, 2008 um 477 Tage, und bei beiden steigt das Durchschnittsalter. Es betrug 2008 bei den Männern 36,05 und bei den Frauen 34,75 Jahre.
Die Zahl der Ledigen an der Gesamtbevölkerung hat 2015 auf 53,2 Prozent der Frauen und 57,1 Prozent der Männer zugenommen. Die Zahl der Verheirateten beträgt noch 29,5 Prozent der Frauen und 33,6 Prozent der Männer. Geschieden sind 8,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.
Bürgerrecht
Die Stadt Bern ist eine zweiteilige Bürgergemeinde. Neben der 1832 geschaffenen Einwohnergemeinde existiert die Burgergemeinde Bern mit 13 Gesellschaften und Zünften als öffentlich-rechtliche Personalgemeinde mit 18'266 Mitgliedern per Ende 2015.
Sprachen
Die Amts- und Schriftsprache in der Stadt Bern ist Deutsch. In der eidgenössischen Volkszählung von 2000 gaben gut 81 Prozent der Berner Wohnbevölkerung Deutsch als Hauptsprache an, je knapp vier Prozent Französisch und Italienisch.
Eine im Jahr 2020 durchgeführte Erhebung des Bundesamtes für Statistik zu den Hauptsprachen in der Stadt Bern zeigte folgende Resultate: 82,1 % der Bevölkerung ab 15 Jahren bezeichnen Deutsch, 7,9 % Englisch, 6,7 % Französisch und 4,7 % Italienisch als ihre Hauptsprache.
Die gesprochene Umgangssprache ist Berndeutsch, ein hochalemannischer Dialekt. Die Stadtberner Mundart weist eine in anderen Schweizer Städten kaum mehr zu beobachtende soziale Gliederung auf, die heute aber auch weniger ausgeprägt ist als noch Mitte des 20. Jahrhunderts. Eines der auffallendsten Merkmale der «gehobenen» Stadtberner Mundart ist das Fehlen des vokalisierten «L»: So heisst etwa die Milch «Milch» und nicht «Miuch», ich wollte «i ha welle» und nicht «i ha wöue». Gewisse Besonderheiten zeichnen ausschliesslich die Sprache des bernischen Patriziats aus, die sich aber immer mehr verlieren. Eine zusätzliche Eigenheit des Berndeutschen ist die Übernahme einiger Wörter aus dem früheren Unterschichtsquartier Matte, das mit dem Mattenenglisch über eine konstruierte Geheimsprache verfügte, die heute noch folkloristisch gepflegt wird. Die häufig verwendeten Worte «jiu/ieu» für «ja» oder «Giel/Gieu» für «Bub/Knabe» entstammen dem Matteberndeutschen.
Religionsgemeinschaften und Konfessionen
Zwischen 1999 und 2009 hat die evangelisch-reformierte Kirche ihre Mehrheit verloren: Waren 1999 52 % der Gesamtbevölkerung der Stadt Bern Mitglied dieser Kirche, waren es 2009 noch 44 % und 2013 noch 39,8 %. Auch die Anzahl der Katholiken hat abgenommen: von 27 % 1999 auf 24 % 2009 und 22,5 % 2013. Seitdem nimmt die Dominanz der beiden grossen Landeskirchen weiter stetig ab, während die Zahl der Konfessionslosen deutlich gestiegen ist. In den fünf grössten Städten der Schweiz, darunter auch Bern, bilden die Konfessionslosen unter der Bevölkerung ab 15 Jahren bereits die grösste Gruppe im Vergleich zu den einzelnen Konfessionsgruppen (Stand 2020).
Für die schweizerische Wohnbevölkerung ergaben sich folgende Anteile laut Volkszählung des Jahres 2000: evangelisch-reformierte Kirche knapp 59 %, römisch-katholische Kirche knapp 20 %, keine Zugehörigkeit gut 13 % und keine Angabe/ Komfessionlose gut 4 %. Bei den Ausländern stand die römisch-katholische Kirche mit 43 % an der Spitze, gefolgt von den islamischen Gemeinschaften mit knapp 15 %, der evangelisch-reformierten Kirche mit über 5 % und den christlich-orthodoxen Kirchen mit knapp 5 %. Beinahe 11 % der ausländischen Bevölkerung gehört keiner Religionsgemeinschaft an, und 13 % haben keine Angabe zu dieser Frage gemacht.
Christentum
Die Stadt Bern ist seit ihrer Gründung christlich geprägt. Bereits Ende des 12. Jahrhunderts wurde eine Kirche errichtet, die sich wie ihr seit 1255 als Stadtkirche St. Vinzenz belegter Nachfolgebau an der gleichen Stelle befand, an der das heutige spätgotische Münster steht.
Reformation
Nachdem sich in Bern 1528 mit der Berner Disputation die Reformation durchgesetzt hatte und 1532 eine Kirchenordnung erlassen worden war, bildete die Stadt eine einzige reformierte Kirchgemeinde mit dem Münster als Pfarrkirche, die 1720 in fünf – heute zwölf – reformierte Kirchgemeinden aufgeteilt wurde. Die französischsprachigen Protestanten hatten mit der Französischen Kirche, der Kirche des früheren Dominikanerklosters, der ältesten erhaltenen Kirche Berns, seit 1623 ihre eigene Kirche. 46 Prozent der Stadtberner Bevölkerung, rund 60'000 Personen, sind evangelisch-reformiert. Bern ist einer der zehn Schweizer Orte, die 2017 von der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa das Etikett «Reformationsstadt Europas» verliehen bekommen haben.
Katholizismus
Die seit der Reformation zunächst nicht mehr vertretene römisch-katholische Kirche unterhält seit 1799 wieder eine Kirchgemeinde in der Stadt, aber erst 1853 gestattete die Berner Regierung den katholischen Einwohnern den Bau einer eigenen Kirche. Die 1858 bis 1864 neben dem Rathaus erbaute katholische Kirche St. Peter und Paul wurde jedoch nach der Abspaltung der Alt- oder Christkatholiken von der römisch-katholischen Kirche nach dem Ersten Vatikanischen Konzil 1876 christkatholisch und Sitz des christkatholischen Bischofs. Sie zählt rund 300 Mitglieder.
Die älteste römisch-katholische Kirche der Stadt Bern ist die 1899 nach dreijähriger Bauzeit eingeweihte Dreifaltigkeitskirche. Knapp 25 Prozent der Bevölkerung Berns oder 31'500 Personen gehören der römisch-katholischen Kirche an.
1963 entstand die italienische Diasporakirche Madonna degli Emigrati.
Orthodoxie
Die christlich-orthodoxe Glaubensgemeinschaft zählt laut Volkszählung des Jahres 2000 weniger als 2000 Personen.
Weitere
Das im Jahr 1831 in Bern gegründete Evangelische Gemeinschaftswerk, damals Evangelische Gesellschaft, zählt zu den grössten freikirchlichen Gemeinden. 1834 wurde in Bern die erste, heute weltweit verbreitete Freie Evangelische Gemeinde gegründet. Zur lokalen Sektion der Evangelischen Allianz gehören 33 Kirchgemeinden und evangelische Vereine.
Im Weiteren gibt es die Siebenten-Tags-Adventisten und zwei Gemeinden der Neuapostolischen Kirche.
Judentum
Juden sind in Bern 1259 erstmals urkundlich erwähnt. Im Jahr 1294 wurden sie des Ritualmordes an einem Kind, das tot aufgefunden worden war und als Rudolf von Bern bekannt wurde, bezichtigt. Obwohl die Obrigkeit nicht an eine Schuld der Juden glaubte, fasste sie den Beschluss, die Aufgebrachtheit der Bevölkerung zu nutzen und die Juden aus der Stadt zu vertreiben, um sich ihrer Schulden bei den jüdischen Geldgebern zu entledigen. Juden dürften sich jedoch schon bald danach wieder in Bern angesiedelt haben. Während der Zeit der grossen Pest Mitte des 14. Jahrhunderts wurden sie erneut verfolgt und vertrieben. In der Justingerchronik werden die Juden stark verunglimpft, kurz danach wurden sie 1427 auf Beschluss von Schultheiss und Rat der Stadt Bern «für ewig» aus der Stadt verbannt. Die auf Karl Howald zurückgehende Theorie, der Mitte des 16. Jahrhunderts errichtete Kindlifresserbrunnen erinnere an den angeblichen Ritualmord und stelle einen Kinder verschlingenden Juden dar, gilt als überholt.
Seit 1848 gibt es in Bern wieder eine jüdische Gemeinde. Eine erste Synagoge bestand seit 1856 in der heutigen Genfergasse, der jüdische Friedhof wurde 1871 angelegt, 1906 wurde die im sogenannten maurischen Stil erbaute Synagoge im Monbijouquartier eingeweiht. 1996 wurde die jüdische Gemeinde Berns öffentlich-rechtlich anerkannt. Sie zählt rund 300 Mitglieder.
Islam
Seit 1979 besteht in Bern ein islamisches Zentrum. Die Berner Muslime sind seit 2005 im Dachverband der islamischen Zentren und Moscheevereine des Kantons Bern Umma zusammengeschlossen. Gemäss Volkszählung des Jahres 2000 leben rund 5000 Muslime in Bern, also ungefähr 4 Prozent der Gesamtbevölkerung. Im Jahr 2020 waren rund 6 Prozent der Bevölkerung Muslime.
Hinduismus
Die hinduistischen Vereinigungen der Stadt Bern zählen knapp 1500 Mitglieder. 1994 wurde der grösste Tempel der Schweiz in Bern-Bethlehem eröffnet. In Zollikofen bei Bern befindet sich ein Sathya-Sai-Baba-Zentrum.
Persönlichkeiten
In der Stadt geborene Persönlichkeiten werden in der Liste von Persönlichkeiten der Stadt Bern aufgeführt, Biographien von Menschen mit deutlichem Bezug zu Bern werden in der Kategorie Person (Bern) gesammelt.
Politik
Ein Artikel der NZZ bezeichnete 2019 Bern als «die linkeste Grossstadt der Schweiz». Grund dafür sei der soziostrukturelle Wandel, wobei es einen Unterschied zwischen Stadt und Agglomeration gäbe. Nachdem sich Schweizer Grossstädte Anfang der 1990er Jahre zu sozialen Brennpunkten entwickelt hätten, habe ein vermehrter Zuzug von gut ausgebildeten, wohlhabenden und jungen Menschen die Negativspirale durchbrochen, die Städte seien als Wohnorte wieder attraktiv.
Gemeinderat
Der Gemeinderat der Stadt Bern umfasst fünf Mitglieder, die alle vier Jahre von den Stimmberechtigten der Gemeinde Bern gewählt werden. Der Berner Gemeinderat wird im Unterschied zu anderen Schweizer Exekutiven nach dem Proporzprinzip gewählt. Die letzte Wahl fand am 29. November 2020 statt.
Der Gemeinderat trifft sich wöchentlich zur Sitzung im Erlacherhof. Jedes Mitglied leitet eine der fünf Direktionen der Stadt. Der Stadtpräsident leitet die Sitzungen des Gemeinderats.
Die historische Zusammensetzung des Berner Gemeinderates findet sich im Artikel Gemeinderat (Bern).
Stadtpräsidium
Die Auflistung der Stadtpräsidenten von Bern ab 1832 findet sich im Artikel Liste der Stadtpräsidenten von Bern.
Ein Mitglied des Gemeinderats wird von den Stimmberechtigten in direkter Wahl zum Stadtpräsidenten gewählt. Dieser steht der Präsidialdirektion vor und leitet die Sitzungen des Gemeinderats. Zudem vertritt er die Stadt nach aussen. Seit 2017 ist Alec von Graffenried von der GFL Berner Stadtpräsident.
Stadtrat
Die Legislative, der Stadtrat, hat 80 Abgeordnete, die wie der Gemeinderat alle vier Jahre, letztmals im November 2020, im Proporzverfahren gewählt werden. In der laufenden Legislaturperiode sind 16 verschiedene Listen im Stadtrat vertreten. Linke und Mitte-links-Parteien bilden zusammen eine klare Mehrheit.
Die stärkste Partei sind mit 21 Sitzen die Sozialdemokraten, darauf folgen das linke Grüne Bündnis mit zehn und die Grünliberalen mit neun Sitzen. SVP, FDP und Grüne Freie Liste (GFL) haben je sieben Sitze, Die Mitte vier (je zwei von der BDP und der CVP). Die Junge Alternative JA! und die Alternative Linke verfügen je über drei Sitze, EVP, JUSO und die Jungen Grünliberalen je über zwei. Mit je einer Person vertreten sind die radikal-grüne Grün alternative Partei, die kommunistische Partei der Arbeit und die Jungfreisinnigen. Die nebenstehende Grafik zeigt die Sitzverteilung des Stadtrates nach der Wahl vom 29. November 2020. Gewählt wurden 55 Frauen und 25 Männer; somit ergibt sich ein rekordhoher Frauenanteil von 68,75 %.
Der Stadtrat tagt im Berner Rathaus, jeweils jeden zweiten Donnerstagabend. Die Sitzungen sind öffentlich.
Wahlergebnisse der Stadtratswahlen seit 1888 finden sich im Artikel Ergebnisse der Kommunalwahlen in Bern
Nationale Wahlen
Die Wähleranteile der Parteien anlässlich der Nationalratswahlen 2019 betrugen:
* inkl. DM
Städtepartnerschaften
Im Gegensatz zu vielen anderen Städten verzichtet die Stadt Bern auf Städtepartnerschaften. Eine Ausnahme bildete die befristete Städtepartnerschaft, die Bern anlässlich der Fussball-Europameisterschaft 2008 mit Salzburg und den drei Schweizer Austragungsorten Basel, Genf und Zürich eingegangen war. In seiner Antwort auf eine Interpellation der SP-Fraktion im Stadtrat hält der Gemeinderat im Oktober 2008 fest, dass «die Stadt Bern [bisher] bewusst auf eine Städtepartnerschaft verzichtet [hat]. Diese Haltung wurde vom Gemeinderat erstmals 1979 in Zusammenhang mit einem Postulat […], das Städtepartnerschaften für Bern vorschlug, ausformuliert. Der Gemeinderat hat seitdem an dieser Strategie festgehalten und alle Anfragen für Städtepartnerschaften abgelehnt. Die Stadt Bern pflegt aktiv Beziehungen zu verschiedensten Städten. Diese Beziehungen sind meist organisationsbezogen […] oder themen- beziehungsweise projektspezifisch […]. Der Gemeinderat ist bereit zu prüfen, ob zusätzlich eine oder mehrere Städtepartnerschaften eingegangen werden sollen.»
Ausserdem gehört Bern zu den Zähringerstädten.
Wappen
Der Bär als Wappentier Berns ist bereits für das 13. Jahrhundert belegt. Das erste Wappen Berns soll gemäss Justingerchronik einen schwarzen, nach heraldisch rechts aufwärts schreitenden Bären auf silbernem Hintergrund gezeigt haben. Die Änderung zum heutigen Wappen dürfte bereits Ende des 13. Jahrhunderts erfolgt sein.
Bei der Trennung von Stadt und Kanton Bern 1831 wurde das Berner Wappen sowohl das Wappen des Kantons wie der Stadt Bern; seit 1944 ist es das Wappen des Amtsbezirks Bern. Die Blasonierung lautet: «In Rot ein goldener Rechtsschrägbalken, belegt mit einem schreitenden schwarzen Bären mit roten Krallen.»
Wappen und verbale Marke «Stadt Bern» bilden zusammen die Stadtmarke. Für alle Dienststellen der Stadtverwaltung gilt: Das Stadtwappen tritt nie alleine auf. Es wird immer zusammen mit der Wortmarke «Stadt Bern» eingesetzt.
Das Berner Wappen ist ebenfalls das Wappen der Stadt New Bern in North Carolina. Ein Unterschied besteht allerdings darin, dass in der Version von New Bern der rote Bärenpenis fehlt.
Wirtschaft und Infrastruktur
Wirtschaft
Die Stadt Bern ist das Zentrum der Wirtschaftsregion Bern-Mittelland, die mit rund 350'000 Einwohnern und 298'923 Beschäftigten etwa einen Drittel des Kantons Bern umfasst. Zusammen mit den Zentren Lausanne und Genf gehört die Stadt Bern zur Greater Geneva Berne area. Am 13. Februar 2017 wurde die Stadt Bern offiziell als Fair Trade Town ausgezeichnet.
Gemäss Betriebszählung von 2008 existieren in der Stadt Bern 8605 Arbeitsstätten mit 152'560 Beschäftigten, 81'087 Männer, 71'473 Frauen. Die Arbeitslosenquote betrug 2007 3,5 Prozent. Seit 2011 wird die «Statistik der Unternehmensstruktur» (STATENT) erhoben.
2015 wurden 14'344 Arbeitsstätten mit 184'891 Beschäftigen gezählt, was 140'924 Vollzeitäquivalenten entspricht. 91,6 % sind im 3. Sektor (Dienstleistungen) tätig, 8,2 % im Sektor 2 (Industrie und Gewerbe) und im 1. Sektor (Land-/Forstwirtschaft und Fischerei) nur 0,2 %. Der Frauenanteil bei den Beschäftigten liegt bei 49,2 %. 2018 wurden in der Stadt Bern rund 14'620 Arbeitsstätten mit insgesamt 188'250 Beschäftigten bzw. 142'110 Vollzeitäquivalenten gezählt. Jede achte beschäftigte Person arbeitete entweder für die öffentliche Verwaltung, die Verteidigung oder die Sozialversicherung.
Im Jahr 2017 wurden Zahlen bis zur Ebene der Statistischen Bezirke veröffentlicht. Die Arbeitslosenquote für die Stadt Bern betrug 2,7 %, die der Statistischen Bezirke bewegt sich zwischen 0,5 % und 4,3 %. Der Arbeitslosenanteil wurde anhand der registrierten Arbeitslosen Ende 2016 in Prozent der wirtschaftlichen Wohnbevölkerung im erwerbsfähigen Alter (15- bis 64-Jährige) ermittelt und ist nicht mit der durch das SECO ermittelten Arbeitslosenquote zu verwechseln.
Fast die Hälfte des Bruttoinlandproduktes des Kantons Bern von 90'409 Millionen Franken stammt 2018 aus der Agglomeration Bern (38'480 Millionen Franken). Pro Einwohner wurden 146'600 Franken BIP in der Agglomeration erwirtschaftet (Kanton: 77'900 Franken, Schweiz: 81'000 Franken). Das Jahreswachstum von 1,5 % über die letzten 10 Jahre entspricht dem der Schweiz insgesamt.
Die Stadt Bern ist nicht nur Sitz der städtischen und kantonalen, sondern als Bundesstadt auch der eidgenössischen Verwaltung und damit das grösste Verwaltungszentrum der Schweiz. Zudem haben die Bundesbetriebe Post, die Schweizerischen Bundesbahnen sowie die Bern-Lötschberg-Simplon-Bahn BLS ihren Hauptsitz in Bern. Hinzu kommen nationale Organisationen wie zum Beispiel Swissmedic, das schweizerische Heilmittelinstitut, die diplomatischen Vertretungen und der Weltpostverein.
Nach der öffentlichen Verwaltung weist im tertiären Sektor das Gesundheits- und Sozialwesen am meisten Beschäftigte auf. Im zweiten Sektor steht das Baugewerbe an erster Stelle, darauf folgt das Druck- und Verlagswesen.
Zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen von Bern zählen ferner der Energiemarkt (die BKW Energie AG ist alleinige Betreiberin des in Stilllegung befindlichen Kernkraftwerks Mühleberg), die Textilindustrie, der Maschinenbau, die Elektrotechnik, früher die Telekommunikation mit der Ascom, in der die Hasler Bern aufgegangen ist, sowie die Produktion von Präzisionsinstrumenten und Messgeräten. Auch die chemische Industrie ist in Bern vertreten mit der – aus dem vom Schweizerischen Roten Kreuz in Bern 1949 errichteten Zentrallaboratorium Blutspendedienst entstandenen – CSL Behring, der aus dem Schweizerischen Serum- & Impfinstitut Bern (Berna) hervorgegangenen, seit 2006 zur holländischen Crucell gehörenden Berna Biotech und der Galenica.
Bern ist zudem bekannt als Herstellungsort der Schokolade Toblerone, die von der Chocolat Tobler AG neben anderen Schokoladeprodukten von 1908 bis 1984 im Länggassquartier hergestellt worden war. Von der Tobler AG ist nur die Toblerone übrig geblieben, die von Mondelēz International in Bern-Brünnen mit einer Belegschaft von rund 220 Personen produziert und zum grössten Teil exportiert wird. Die ehemalige Toblerfabrik in der Länggasse beherbergt seit 1993 die «Unitobler», einen Teil der Universität Bern.
Ebenfalls ein Unternehmen aus der Stadt Bern ist die Wander AG, die seit 1904 das Getränk Ovomaltine – im englischen Sprachraum Ovaltine genannt – herstellt. Seit 2002 ist die Wander AG eine Tochtergesellschaft des britischen Nahrungsmittelkonzerns Associated British Foods und hat ihren Sitz in Neuenegg.
Der Bankensektor ist neben den Filialen der Grossbanken mit einigen lokalen Banken vertreten; die 1834 gegründete Berner Kantonalbank war die erste Kantonalbank der Eidgenossenschaft. In Bern befindet sich die staatliche Münzprägeanstalt, in der alle Schweizer Münzen geprägt werden.
Tourismus
Bern ist eines der meistbesuchten Zentren des nationalen und internationalen Städtetourismus. Laut einem Bericht des BAK Basel Economics, einer Basler Arbeitsgruppe für Konjunkturforschung, aus dem Jahr 2008 liegt Bern im Vergleich 43 internationaler Städtedestinationen unter den besten zehn.
Bern gehört zudem gemäss dem Städteranking der Unternehmensberatung Mercer zu den zehn Städten mit der höchsten Lebensqualität weltweit.
Im Jahr 2007 wurden 665'104 Übernachtungen in Hotelbetrieben verzeichnet. Ausländische Gäste machen etwa 59 Prozent der Übernachtungen aus. An erster Stelle stehen Gäste aus Deutschland mit rund 30 Prozent der Übernachtungen ausländischer Besucher, danach folgen Gäste aus den Vereinigten Staaten mit 9 Prozent, dem Vereinigten Königreich und Italien mit je 6 Prozent und Frankreich mit 5 Prozent. Die durchschnittliche Bettenbesetzung in den Jahren 2006 bis 2008 betrug 56 Prozent der vorhandenen Betten. Die meisten Gäste werden in den Monaten Juni bis August gezählt. Der Einbruch ab 2020 bei den Übernachtungen ist auf die Covid-19-Pandemie zurückzuführen.
Die Stadt Bern ist mit 44 Prozent an dem Tourismusmarketingunternehmen Bern Welcome beteiligt.
Medien
Bern hat zwei Tageszeitungen, die Berner Zeitung und den Bund, sowie das einmal wöchentlich erscheinende Gratisblatt Bärnerbär. Bemerkenswert ist, dass beide Tageszeitungen zur zürcherischen TX Group gehören, bis Ende 2016 auch der Bärnerbär. Das offizielle amtliche Publikationsorgan der Stadt und Region Bern ist der Anzeiger Region Bern. Es erscheint jeden Mittwoch (zuvor auch freitags) und wird an alle Haushalte, Unternehmen und Verwaltungen kostenlos verteilt, ausser es wurde eine offizielle Verzichtserklärung eingereicht. 2020 kam es beim Anzeiger Region Bern zu einem Management-Buy-out. Voraussichtlich 2022 soll der Anzeiger als digitale Publikation erscheinen. Der Gemeindeverband Anzeiger Region Bern wird per Ende 2023 aufgelöst.
In Bern befindet sich eines der vier Hauptstudios von Schweizer Radio und Fernsehen. Im Studio Bern werden die wichtigsten Radio-Informationssendungen wie die stündlichen Nachrichten und die täglichen Sendungen «Heute Morgen», «Rendez-vous», «Tagesgespräch», «Echo der Zeit» und «Info 3» und auch alle Sportsendungen hergestellt, ebenso wie die wöchentlichen Hintergrundsendungen «Samstagsrundschau», «International», «Trend» und die Sondersendungen zum Beispiel zu Abstimmungen und Wahlen. Ausserdem wird hier das Regionaljournal für die Region Bern-Freiburg-Wallis produziert.
Im Weiteren existieren drei private regionale Radiosender, Energy Bern, Radio Bern 1 und Radio RaBe, sowie der Regionalfernsehsender TeleBärn.
Seinen Hauptsitz in der Stadt Bern hat auch das Webradio Radio Blind Power, das von blinden, sehbehinderten und sehenden Jugendlichen produziert und betrieben wird und sich für die Integration von blinden und sehbehinderten Menschen einsetzt.
Verkehr
Öffentlicher Verkehr
Der Berner Hauptbahnhof ist ein bedeutender Eisenbahn- und Busknotenpunkt. Er erzielt nach dem Zürcher Hauptbahnhof mit 150'000 Bahnreisenden pro Tag die schweizweit höchste Benutzerfrequenz. Auf zwölf normalspurigen Hauptgeleisen (Geleise 1–10, 12 und 13) werden die Züge aus der gesamten Schweiz und viele internationale Züge wie EuroCity und ICE abgefertigt; angeschlossen als Kopfbahnhof ist der RBS-Tiefbahnhof mit vier meterspurigen Geleisen (Geleise 21–24).
Ausser dem Hauptbahnhof gibt es auf Berner Gemeindegebiet mehrere kleine, zum Teil alte Bahnhöfe, die als Haltestellen der S-Bahn dienen: Felsenau (RBS), Tiefenau (RBS), Wankdorf, Europaplatz (SBB und GBS), Stöckacker, Bümpliz Nord, Bümpliz Süd, Bern-Brünnen (direkt neben dem Westside-Einkaufszentrum), Riedbach, und Weissenbühl.
Die S-Bahn Bern verbindet die Stadt durch 13 Linien mit Thun, dem Emmental, Biel, Solothurn, Neuenburg, Freiburg und Schwarzenburg und der weiteren Agglomeration. Die S-Bahn wird von der BLS AG und dem Regionalverkehr Bern–Solothurn (RBS) betrieben. Letzterer betreibt auch die Bahnstrecke Bern–Worb Dorf.
Sowohl die Gurtenbahn von Wabern auf den Gurten wie die Marzilibahn, die als rentabelste Kleinbahn der Schweiz gilt, sind privat, ebenso der Mattenlift im Volksmund auch als Senkeltram bekannt.
Das städtische Verkehrsnetz von Bernmobil verbindet das Stadtzentrum mit den Aussenbezirken und den Vororten. Es umfasst die fünf Linien der Strassenbahn, die drei Linien des Trolleybus Bern sowie fünfzehn Autobuslinien. Der zentrumsnahe Verkehr wird dabei überwiegend von Bernmobil abgewickelt. Der Busverkehr in die weitere Agglomeration wird von Postautolinien und vom RBS abgedeckt.
Im Norden von Bern gibt es zwei privat betriebene Personenfähren über die Aare von und zur Engehalbinsel: die Fähre Reichenbach–Engehalbinsel die über die Gemeindegrenze nach Unterzollikofen führt, und die Fähre Zehendermätteli–Bremgarten in Bremgarten. Die Fähre Bodenacker bei der Elfenau liegt bereits nicht mehr auf dem Gebiet der Stadt Bern, sondern überquert die Aare bei der Gürbemündung von Muri nach Kehrsatz, wird von der Stadt jedoch mitfinanziert, gleich wie die Fähre Reichenbach und die Fähre Zehendermätteli–Bremgarten.
Das öffentliche Veloverleihsystem in der Stadt Bern wurde 2018 eingeführt und wird von Publibike betrieben. Zudem wurde im November 2020 die Bewilligung an die zwei E-Scooter-Verleihsysteme Tier und Voi erteilt.
Veloverkehr
Der Veloverkehr in Bern hatte 2015 einen Anteil von 15 % an der Verkehrsmittelwahl, gemessen als Anteil der Wege als Hauptverkehrsmittel. Die Stadt plant die Schaffung eines sternförmigen Netzes an Velohauptrouten, welche das Stadtzentrum mit der Agglomeration verbinden. Die Velohauptrouten werden entlang von Hauptverkehrsachsen geführt, werden wenn möglich baulich von der Autofahrbahn abgetrennt und, gegenüber normalen Velostreifen, mit einer höheren Minimalbreite von 1,80 Metern und einer höheren angestrebten Breite von 2,50 Metern realisiert. Stand 2020 sind die beiden Hauptrouten Bern–Wankdorf und Bern–Köniz realisiert, weiter wurden Etappen der Hauptroute Bern–Ostermundigen umgesetzt.
Strassenverkehr
Die Stadt Bern besitzt seit den 1970er Jahren eine Autobahnumfahrung, die den innerstädtischen Autoverkehr entlastet und Anschlüsse an alle wichtigen Schweizer Autobahnen hat. Die A1 verbindet Bern mit Genf und Zürich, die A12 mit Freiburg und Lausanne und die A6 mit Biel und Thun. Auf Stadtautobahnen sind zwischen 60 und 100 km/h, in der Stadt Bern maximal 80 km/h erlaubt. Bern ist Knotenpunkt der Hauptstrassen 1, 6, 10 und 12.
Beginnend im Norden von Bern wird ab Oktober 2022 schrittweise ein neues Verkehrsmanagementsystem eingeführt. Neben zahlreichen Tempo-30-Zonen in den Quartieren wird vermehrt auch auf den Hauptstrassen die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h bzw. 20 km/h reduziert. Bis 2025 wird Tempo 30 auf den meisten städtischen Strassen eingeführt und die Hälfte der rund 17'000 öffentlichen Autoparkplätze aufgehoben sowie die bestehenden verteuert. Auch die Gassen in der unteren Altstadt sollen vom ruhenden Verkehr entlastet werden. Bisher gibt es mehr als 150 kleine und drei grossflächige Begegnungszonen in der Stadt Bern. Daneben gibt es zwei Velostrassen, welche zuerst als Pilotprojekt vom Bundesamt für Strassen errichtet wurden. Zudem finden seit 2014 in der Regel jährlich autofreie Sonntage auf einzelnen Strassenabschnitten statt. Im Oktober 2022 hat der Gemeinderat Einsprache gegen den Ausbau der Autobahn im Grauholz erhoben.
Flugverkehr
Der 1929 eröffnete Flughafen Bern-Belp liegt weniger als zehn Kilometer südöstlich vom Stadtzentrum Berns in der Gemeinde Belp. Er ist mit dem Bus Linie 160 vom Bahnhof Belp oder mit dem Auto von der A6 erreichbar.
Der Lufttransportdienst des Bundes, welcher der Luftwaffe untersteht, ist in Bern-Belp stationiert. Er unterhält eine Flotte von Flugzeugen und Helikoptern für den Bundesrat und das Bundesamt für Zivilluftfahrt.
Linienverkehr findet seit dem Konkurs im Sommer 2018 der in Bern ansässigen Fluggesellschaft SkyWork Airlines nicht mehr statt. Air Engiadina (später umbenannt in Swisswings) hatte von 1992 bis zu deren Konkurs 2002 Bern bedient. Die Swiss hatte sich 2003 zurückgezogen. Mehrere kleine Fluggesellschaften gaben kürzere Gastspiele.
Öffentliche Versorgung
Die Energie- und Wasserversorgung sowie die Kehrichtverwertung der Stadt Bern werden von Energie Wasser Bern (ewb), einem öffentlich-rechtlichen Unternehmen in Besitz der Stadt Bern, wahrgenommen. ewb versorgt die Stadt als Partnerin der Wasserverbund Region Bern AG über ein 388 Kilometer langes Versorgungsnetz mit rund 14 Millionen Kubikmetern Trinkwasser. Das Wasser stammt zu 81,4 Prozent aus Grundwasser und zu 18,6 Prozent von Quellen aus dem Emmental, dem Aaretal, aus Kiesen und aus Schwarzenburg.
Das Abwasser wird in der ARA Region Bern geklärt, bevor es in die Aare fliesst. Im Jahr 1967 wurde gleich oberhalb der Neubrügg die städtische Abwasserreinigungsanlage (ARA) Bern-Neubrück in Betrieb genommen; die heutige ara region bern ag. An die ARA angeschlossen sind neben Bern die neun weiteren Aktionärsgemeinden Allmendingen, Bremgarten bei Bern, Frauenkappelen, Kehrsatz, Kirchlindach, Meikirch, Gemeindebetriebe Muri und ein Teil von Köniz und Wald. Auch die Abwässer des Gemeindeverbandes ARA Region Belp sowie der Energiezentrale Forsthaus und CSL Behring werden hier gereinigt. Inzwischen wird auch Biomethan produziert. In Zukunft soll eine vierte Reinigungsstufe zur Elimination von organischen Spurenstoffen gebaut werden.
Die beiden Wasserkraftwerke Felsenau und Matte, die Energiezentrale Forsthaus und weitere kleinere Produktionsanlagen erzeugen vor Ort einen Teil der Elektrizität, die in der Stadt Bern verbraucht wird. Im Übrigen wird die Elektrizitätsversorgung der Stadt Bern über zwei 220-kV-Zuleitungen sichergestellt. 84 Prozent des Energieverbrauchs der Stadt werden durch Erdöl, Erdgas und Uran gedeckt (Stand 2009). Die BKW Energie betreibt auf dem Dach des 2005 eröffneten Stadions Wankdorf das weltweit grösste in ein Stadion integrierte Solarkraftwerk.
Die Mattenschwelle leitet ca. 40 m3/s Wasser aus der Aare in das Wasserkraftwerk Matte, das eine elektrische Leistung von 1,1 MW erzeugt.
Der Trägerverein «Energiestadt» hat die Stadt Bern bereits 1998 mit dem gleichnamigen Label, dem Leistungsausweis für eine konsequente und zukunftsorientierte Energiepolitik, ausgezeichnet. Seit 2010 ist die Stadt Bern zudem mit dem European Energy Award Gold prämiert, dem höchsten Zertifikat für nachhaltige Klimapolitik, das auf europäischer Ebene vergeben wird.
Es gibt seit über 200 Jahren sowohl freiwillige Feuerwehren (die Milizfeuerwehren Nachtwache und Brandcorps) und seit über 100 Jahren eine Berufsfeuerwehr in Bern. Bern kann auf die Feuerwehrpflicht bzw. die Feuerwehrersatzabgabepflicht verzichten. Seit 1. Januar 2020 bilden die Berufsfeuerwehr, beide Milizfeuerwehren (Freiwillige Feuerwehr), die Sanitätspolizei Bern, die Zivilschutzorganisation Bern plus und das Katastrophenmanagement die neue Abteilung Schutz und Rettung Bern mit insgesamt 300 Berufs- und 1'000 Milizeinsatzkräften.
Bildung und Forschung
Schulsystem
Die Volksschulen in der Stadt Bern werden von Stadt und Kanton Bern gemeinsam getragen. Die Aufsicht über die Kindergärten und Schulen haben die Schulinspektorate, beauftragt durch die Erziehungsdirektion des Kantons Bern. Die Schulen sind in sechs Schulkreise aufgeteilt.
Der Besuch eines Kindergartens ist in der Stadt Bern seit 2013 obligatorisch und dauert zwei Jahre.
Die obligatorische Schulzeit beträgt neun Jahre. Sechs davon sind Primarschule, drei Jahre Sekundarstufe I, die in Real- und Sekundarschule aufgeteilt ist und für die es drei verschiedene Modelle gibt. Vom dritten Schuljahr an wird Französisch als erste Fremdsprache unterrichtet, ab dem fünften Schuljahr lernen die Schüler Englisch. Für Kinder mit Lernschwierigkeiten bestehen verschiedene Klein- und Sonderklassen. Neben den öffentlichen Schulen bestehen in Bern mehrere private, zum Teil staatlich subventionierte Schulen.
Der Übertritt in die Mittelschule oder Sekundarstufe II erfolgt nach dem achten oder neunten Schuljahr. Das Gymnasium dauert vier Jahre und wird mit der Maturität abgeschlossen. Es gibt in Bern zwei öffentliche Gymnasien, das Gymnasium Kirchenfeld und das Gymnasium Neufeld, sowie das private Freie Gymnasium und drei weitere private Schulen, die Gymnasialklassen führen.
Hochschulen und Forschung
Die 1834 gegründete, kantonale Universität Bern ist mit rund 18'500 Studierenden (Herbstsemester 2019) die viertgrösste universitäre Hochschule der Schweiz und bietet als klassische Volluniversität in acht Fakultäten ein grosses Angebot von Studiengängen an. Zudem besitzt Bern eine Universitätsklinik, das Inselspital. Ebenfalls von der Universität Bern betrieben wird der Botanische Garten Bern. Die Universitätsbibliothek in der Altstadt hat einen Bestand von über zwei Millionen Büchern und Medien.
International bekannt wurde die Universität Bern unter anderem
durch die erste Habilitation einer Frau 1898, der Philosophin Anna Tumarkin, Europas erster Professorin, die das Recht hatte, Doktoranden und Habilitanden zu prüfen und im Senat der Universität Einsitz zu nehmen;
durch Emil Theodor Kocher, Dozent an der Medizinischen Fakultät der Universität Bern, der 1909 als erster Chirurg den Nobelpreis für Medizin erhielt;
und durch Walter Benjamin, der an der Berner Universität 1919 über den «Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik» promovierte.
In der Stadt Bern befinden sich mehrere Departemente der dezentralen staatlichen Berner Fachhochschule, an der rund 5000 Personen studieren; so die Fachbereiche Wirtschaft und Verwaltung, Gesundheit, Soziale Arbeit und die Hochschule der Künste Bern.
Der Universität angegliedert ist die Pädagogische Hochschule, weitere Berufsschulen sind die Swiss Jazz School, die grösste Berufsschule der Schweiz, die Gewerblich Industrielle Berufsschule, und die Wirtschaftsinformatikschule Schweiz.
Seit 2002 besteht der Verein zur akademischen Förderung Swissuni – Universitäre Weiterbildung Schweiz.
Kultur
Kinos
In Bern befinden sich zahlreiche Kinos. Neben kommerziell agierenden Häusern gibt es diverse Programmkinos. Das Kino Rex zeigt monatliche Retrospektiven zu internationalen Persönlichkeiten und Premieren von sogenannten Independentproduktionen. In der Altstadt kann man das Kellerkino finden, das mit dem Kino Rex kooperiert und die dort gezeigten Premieren später in das Programm nimmt. Das Lichtspiel / Kinemathek verbindet eine Art Museum mit einem Kino und einer Kinemathek.
Mit knapp 33'000 Besuchern war das US-amerikanische Survival-Abenteuer «The Revenant» in der Stadt Bern der grösste Kinoerfolg des Jahres 2016. Beinahe 28'000 Besucher lockte der zweiterfolgreichste Animationsfilm «The Secret Life of Pets» in die Berner Kinosäle. «Zootropolis» (auch «Zootopia», «Zoomania»), ein Animationsfilm aus dem Hause Disney, war der drittmeist besuchte Film in den Berner Kinos.
Museen und Galerien
Bern hat viele Museen, die sich auf die ganze Stadt verteilen. Im Zentrum an der Hodlerstrasse befindet sich das 1879 eröffnete Kunstmuseum, das Werke aus acht Jahrhunderten beherbergt. In unmittelbarer Nähe befindet sich der «Progr», das erste Gymnasium und spätere Progymnasium Berns, das heute als Ausstellungs- und Veranstaltungsort dient.
Im Kirchenfeld beim Helvetiaplatz liegen das ursprünglich als Landesmuseum geplante Historische Museum, das neben seiner Sammlung auch Wechselausstellungen zeigt und 2005 das Einstein Museum eingerichtet hat, das Schweizerische Alpine Museum und die Kunsthalle, die mehrere der Gegenwartskunst gewidmete Einzel- und Gruppenausstellungen pro Jahr zeigt. Nicht weit davon entfernt sind das Museum für Kommunikation und das der Burgergemeinde gehörende Naturhistorische Museum mit seiner Dioramenschau.
Weit ausserhalb der Innenstadt an der Autobahn A6 befindet sich das im Juni 2005 eröffnete, von Renzo Piano entworfene Zentrum Paul Klee, das mit rund 4000 Werken des mit Bern eng verbundenen Malers Paul Klee eines der grössten Künstlermuseen bildet.
Die zahlreichen Kunstgalerien befinden sich mehrheitlich in der Altstadt. Mit der Galerie Kornfeld hat Bern ein Auktionshaus für schweizerische und internationale Kunst.
Ebenfalls in der Altstadt, an der Kramgasse 49, befindet sich das Einsteinhaus. In der Wohnung im zweiten Stock, die Albert Einstein und seine erste Frau Mileva Marić von 1903 bis 1905, dem annus mirabilis, bewohnten, wurde ein Museum eingerichtet.
Theater
Das Stadttheater Bern ist ein vom Kanton, von der Stadt und den umliegenden Gemeinden subventioniertes Ensembletheater, das Aufführungen in allen drei Sparten, Schauspiel, Musiktheater und Ballett, bietet. Seit 2007 hat das Theater am Kornhausplatz eine zweite Spielstätte in einer stillgelegten Fabrik, in den Vidmarhallen in Bern-Liebefeld.
Das Theater an der Effingerstrasse ist ein Kammerspieltheater, das jährlich etwa 200 Aufführungen zeigt. Im ehemaligen Schlachthof befindet sich seit 1998 das Schlachthaus Theater Bern, ein mit öffentlichen Geldern subventioniertes Gastspieltheater für die freie Theaterszene der Schweiz. Die ehemalige Dampfzentrale im Marzili ist ein Kulturzentrum für zeitgenössischen Tanz und zeitgenössische Musik. Auch die Reitschule hat ein Theater, das Theater Tojo.
In der Altstadt befinden sich mehrere Klein- und Kellertheater, darunter das Berner Puppentheater, und mit dem Theater am Käfigturm hat Bern auch ein Boulevardtheater.
Musik
Das 1877 gegründete Berner Symphonieorchester ist das Stadtorchester von Bern. Dem Orchester, das sowohl als Symphonieorchester im Kultur Casino wie auch als Opernorchester im Stadttheater auftritt, gehören rund 100 Musiker an. Kleiner ist das Berner Kammerorchester, das sich der älteren und neueren klassischen Musik annimmt und an verschiedenen Aufführungsorten in der Stadt auftritt. Die aus 14 ausgebildeten Solisten bestehende Camerata Bern gehört zu den führenden Kammerorchestern Europas; das seit 1981 bestehende Berner Quintett I Salonisti hat mit seinem Auftritt als Bordorchester im Film Titanic Weltberühmtheit erlangt.
Der Jazz ist in Bern gut vertreten. Im Hotel Innere Enge befindet sich der Jazzclub «Marians Jazzroom», die «Mahogany Hall» existiert schon seit 1968, der Verein BeJazz hat seit 2007 in den Vidmarhallen ein Clublokal.
Bern ist bekannt für seinen Mundartrock, der auf die berndeutschen Chansons der 1960er-Jahre (u. a. von Mani Matter) zurückgeht. Bekannte Berner Rockmusiker und Bands sind bzw. waren Polo Hofer, Patent Ochsner, Span, Gölä, Stephan Eicher und Züri West. Auch der Liedermacher Roland Zoss ist dieser Szene zuzuordnen.
Zudem gibt es in der Stadt Bern eine grosse Anzahl Chöre mit verschiedenen Repertoires von volkstümlich bis klassisch; weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt ist zum Beispiel der Berner Kammerchor oder die Berner Kantorei.
Kulturzentren
Die Stadt Bern verfügt unter anderem über das alternative Kulturzentrum Reithalle, die Dampfzentrale Bern (Kulturzentrum für zeitgenössischen Tanz und Musik), das Progr Kulturzentrum und das Jugendzentrum Gaskessel.
Tierpark
In Bern gibt es seit 1936 den Tierpark Dählhölzli mit der Aussenstelle BärenPark am Bärengraben, wo in einem grossen Aussengelände gegenwärtig drei Braunbären als Berner Wappentiere leben.
Festivals
Das bekannteste Festival ist das Gurtenfestival, das seit 1977 auf dem Gurten stattfindet. Das Festival, bei dem internationale Musikstars auftreten, wird von Zehntausenden besucht und zählt zu den grössten der Schweiz.
Ebenfalls im Sommer gibt es das Strassenmusikfestival Buskers und ein Gratis-Outdoor-Festival von BeJazz in der Altstadt. Im Herbst werden das Internationale Kurzfilmfestival shnit (shnit International Shortfilmfestival), im Spätherbst das lesbisch-schwule Filmfestival «Queersicht» sowie alternierend mit dem Musikfestival die Biennale Bern veranstaltet. Im Winter organisiert der Verein BeJazz ein Jazzfestival. Im Frühling finden das Internationale Jazzfestival Bern, das schweizerische Theaterfestival für zeitgenössisches Theater «Aua wir leben», alle zwei Jahre das Musikfestival Bern sowie das SonOhr Hörfestival statt.
Das aus dem Umfeld des Magazins Reportagen heraus entstandene Reportagen Festival fand 2019 zum ersten Mal statt. Eine Fortführung der als alljährlich konzipierten international besetzten Veranstaltung wurde zunächst pandemiebedingt vertagt.
Volksfeste
Jährlich am vierten Montag im November findet in Bern der «Zibelemärit» statt; auf diesem Markt werden traditionell vor allem Zwiebeln verkauft, rund 30 Tonnen an über 600 Marktständen. Durch Besucher, die schon früh am Morgen anreisen, und eine ausgelassene Stimmung durch Konfetti und Plastik-Hämmerchen, mit denen die Kinder den Erwachsenen auf den Kopf schlagen, erhält der Zibelemärit den Charakter eines Volksfestes. Der Zibelemärit zählt zu den ältesten Jahrmärkten der Schweiz und ist der grösste Markt in Bern.
Seit 1957 findet jeweils an einem Mittwoch nach den Eisheiligen der Berner «Granium-Märit» (Geranium-Markt) statt. Im Jahr 1982 wurden insgesamt 19'949 Geranien verkauft. 1984 wurde die Stadt Bern vom europäischen Wettbewerb Entente Florale Europe zur «schönsten Blumenstadt Europas» gewählt. Seit 1997 wird am Berner Geranium-Markt im Rahmen des Wettbewerbs «Bern in Blumen» ein «Geraniumkönig» gewählt.
Zu den weiteren Märkten in Bern zählen unter anderem der «Bäremärit» (Bärenmarkt), der Gemüse-, Früchte- und Blumenmarkt, der jeden Dienstag und Samstag unter anderem auf dem Bundesplatz stattfindet, und der Weihnachtsmarkt.
Seit 1982 findet im Frühjahr in der Berner Altstadt mit über 50'000 Besuchern die drittgrösste Fasnacht der Schweiz statt. Der Berner Fasnachtsauftakt beginnt am 11. November um 11:11 Uhr auf dem Bärenplatz. Zu diesem Zeitpunkt wird der Berner «Fasnachtsbär» für seine Winterruhe in den Käfigturm eingeschlossen. Dieser Anlass wird von verschiedenen Guggenmusiken aus der Stadt Bern und Umgebung begleitet. Ungefähr drei Monate später, am Donnerstag nach dem Aschermittwoch, wird die Bärner Fasnacht beim Käfigturm mit der Bärenbefreiung und der anschliessenden «Ychüblete» (Eintrommeln) eröffnet. Dabei wird der Fasnachtsbär geweckt und aus seinem Käfig befreit.
Von 1996 bis 2005 fand jeweils am Bundesfeiertag das Aareleuchten-Fest statt, das vom Schweizer Hilfswerk Swissaid organisiert wurde. Nach dem Vorbild von hinduistischen und buddhistischen Licht- und Wasserfesten wurden am späteren Abend im Mattequartier Lichtschiffchen in die Aare gesetzt, die in einer Lichterkette aareabwärts zogen. Nachdem Swissaid diesen Anlass im Jahr 2005 zum letzten Mal durchführte, findet nun jährlich am 1. August auf dem Waisenhausplatz ein «Lichtermeer zu Lande» statt, das von Procap, der grössten Schweizer Selbsthilfeorganisation von Menschen mit Behinderung, organisiert wird. Bis ins Jahr 2019 wurde das 1. August-Feuerwerk der Stadt Bern auf dem Gurten gezündet.
Jeweils im September findet mitten in Bern auf dem Bundesplatz die «Sichlete» statt. Dieser seit 1999 durchgeführte Anlass ist eine Art Erntedankfest mit Alpabzug und Tierschau, das der städtischen Bevölkerung das Leben der Landleute näherbringen soll.
Sehenswürdigkeiten
Die Hauptsehenswürdigkeit Berns ist die Altstadt, die seit 1983 UNESCO-Weltkulturerbe ist. Die UNESCO hat die Aufnahme Berns in die Liste des Welterbes damit begründet, dass Bern ungeachtet der Änderungen, die die Stadt seit ihrer Gründung im 12. Jahrhundert erfahren hat, «ein positives Beispiel dafür darstellt, wie eine Stadt ihre mittelalterliche Struktur beibehalten und sich den zunehmend komplexeren Funktionen, die sie zu erfüllen hat, insbesondere den Aufgaben einer Hauptstadt eines modernen Staates, anpassen kann.»
Der Altstadtcharakter ist im Bereich unterhalb der Zytglogge am besten erhalten; oberhalb sind nur noch wenige Bauten vorhanden, die älter als 150 Jahre alt sind. Die Altstadt ist geprägt durch ihre Sandsteingebäude mit ihren Lauben, die sich über eine Länge von gut sechs Kilometern erstrecken und eine der längsten gedeckten Einkaufsstrassen Europas bilden. Ein barockes Kleinod ist das Rathaus zum Äusseren Stand. An der Junkernstrasse steht das Wohnhaus Béatrice von Wattenwyl und die ehemalige Eidgenössische Landestopographie mit der Adresse Hallwylstrasse 4.
In der Stadt Bern sind über 100 Brunnen zu besichtigen. Typisch sind die elf Figurenbrunnen aus dem 16. Jahrhundert, die sich auf den regelmässig angeordneten Gassen befinden. Der Stadtbach, früher eine offene Kanalisation, verbindet auch gegenwärtig unter- und oberirdisch die Brunnen miteinander. Im Keller der Staatskanzlei befindet sich der Lenbrunnen, die älteste Zisterne von Bern. Auf dem Waisenhausplatz steht seit 1983 der von Meret Oppenheim gestaltete Oppenheimbrunnen.
An der Stelle, wo vermutlich bereits vor der Stadtgründung die Burg Nydegg stand, befindet sich der Nydegghof mit der gotischen, mehrmals umgebauten Nydeggkirche, dem Zähringerdenkmal und Überresten der Burg. Der Nydeggstalden wurde nach dem Stadtbrand von 1405 errichtet; im Innern zahlreicher Häuser hat sich bis ins Spätmittelalter zurückgehende Bausubstanz erhalten, die bei einigen Häusern auch noch aussen sichtbar ist.
An der Flanke der Altstadt auf Höhe des Käfigturms befindet sich der Bundesplatz mit den Bundeshäusern und dem Parlamentsgebäude, dem Hauptsitz der Berner Kantonalbank in einem als Gesellschaftshaus erbauten Neurenaissancebau, der neubarocken Schweizerischen Nationalbank, die neue Bollwerkpost und der Spar- und Leihkasse, heute Valiant Bank. Dem Bundeshaus vorgelagert ist die Bundesterrasse und die noch als ehemalige Befestigungsanlage erkennbare Kleine Schanze.
Die Untertorbrücke, eine der ältesten spätmittelalterlichen Brücken der Schweiz, verbindet die Stadt mit der sogenannten Felsenburg, einem zu Wohnungen umgebauten Wehrturm aus dem 13. Jahrhundert. Auf dem Läuferplatz steht der Läuferbrunnen.
Der Rathausplatz mit dem Vennerbrunnen wird vom spätgotischen nach dem Stadtbrand zwischen 1406 und 1417 neu erbauten Rathaus beherrscht. In unmittelbarer Nachbarschaft steht die neugotische christkatholische Kirche St.-Peter-und-Paul aus dem 19. Jahrhundert.
Der Münsterplatz wird dominiert durch das spätgotische Münster, das nach der Grundsteinlegung im frühen 15. Jahrhundert erst im späten 19. Jahrhundert mit den Turmaufbauten vollendet werden konnte. Sowohl das Stiftsgebäude des Chorherrenstifts wie das Tscharnerhaus wurden von Albrecht Stürler geplant. Auch der Mosesbrunnen stammt aus dem 18. Jahrhundert.
Das übrige Stadtgebiet Berns wurde grösstenteils ab dem 19. Jahrhundert besiedelt. Die neueren Quartiere sind mit der Altstadt durch Hochbrücken verbunden.
Am Ende der Nydeggbrücke befindet sich der Bärengraben. Hier wurden von 1858 bis 2009 Bären gehalten, die Symboltiere Berns. Ein neuer, grösserer Bärenpark wurde im Oktober 2009 eröffnet. Oberhalb liegt der Rosengarten mit hervorragender Sicht auf die Altstadt. Erwähnenswert ist zudem die Kirche Bruder Klaus an der Segantinistrasse.
Sport
Sportstätten
In Bern stand über 50 Jahre das Stadion Wankdorf. Es wurde nach dem Berner Quartier benannt, in dem es sich befand. Gebaut wurde es 1920, nachdem der alte Spitalacker-Platz bezüglich der Tribüne zu klein war. Damals passten in das Wankdorf gerade einmal etwa 11'000 Personen. Im Laufe der Jahre wurde das Stadion immer wieder ausgebaut; so bot es zu Spitzenzeiten mehr als 60'000 Plätze. Das alte Wankdorf war über die Landesgrenzen hinaus bekannt, vor allem durch das sogenannte Wunder von Bern. Damals wurde im Wankdorf das Finale der Fussball-Weltmeisterschaft 1954 ausgetragen, das Deutschland gegen die favorisierten Ungarn für sich entscheiden konnte. Dieser Sieg wird gelegentlich «Geburtsstunde der Bundesrepublik Deutschland» genannt. Das Stadion blieb fast 50 Jahre bestehen, einzig die Kapazität wurde wieder verringert. Im Jahr 2001 wurde das alte Wankdorf gesprengt und als Stade de Suisse neu aufgebaut, das seit 2020 ebenfalls den traditionsreichen Namen trägt. Es bietet Platz für 31'783 Zuschauer und ist somit das zweitgrösste Fussballstadion der Schweiz. Der Bau kostete rund 350 Millionen Franken.
Die PostFinance-Arena ist mit derzeit 17'031 Plätzen die grösste Eissporthalle der Schweiz und eine der grössten in ganz Europa. Sie wurde im Jahre 1967 gebaut und 1969 überdacht. Besonders charakteristisch ist ihre riesige Stehplatzrampe mit einer Kapazität von 10'331 Plätzen – die weltweit grösste in einem Eishockeystadion.
Die Stadt Bern hat mehrere Hallen- und Freibäder. Das älteste Hallenbad befindet sich in der Innenstadt beim Hirschengraben. Es wurde Anfang des 20. Jahrhunderts erbaut und soll den Betrieb Mitte 2023, wegen erheblichen baulichen Mängeln, auf unbestimmte Zeit einstellen. Das bekannteste Freibad ist das Marzilibad an der Aare, ein weiteres Aareflussbad ist in der Lorraine. Beliebt sind das Bad Weyermannshaus und das Wellenbad Ka-We-De, die im Winter zur Eisbahn werden. Im Gegensatz zu den meisten andern Schweizer Städten sind die Freibäder mit öffentlich-rechtlicher Trägerschaft in der Stadt Bern bis auf wenige Ausnahmen kostenlos.
Sportvereine
Der Fussballclub BSC Young Boys spielt in der Super League, der höchsten schweizerischen Liga. Er wurde sechzehnmal Schweizer Meister, zuletzt 2023 und 8-mal Schweizer-Cup-Sieger, zuletzt 2023. Die U21 der Young Boys spielt in der 1. Liga. Der etwas ältere Stadtclub und Traditionsverein FC Bern war Anfang des letzten Jahrhunderts erfolgreich.
Der Stadtberner Eishockeyclub SC Bern spielt in der höchsten Eishockeyliga der Schweiz, der National League, und ist seit 1959 sechzehnmal Schweizer Meister geworden, zuletzt in der Saison 2018/19. Europaweit hat der SCB bei Heimspielen den höchsten Zuschauerdurchschnitt.
Der BSV Bern Muri wurde 1951 als TV Oberseminar gegründet und ist heute einer der grössten Handballclubs der Schweiz. Er wurde dreimal Meister in der Nationalliga A, das letzte Mal im Jahr 1985. Aktuell spielt der Verein in der höchsten nationalen Spielklasse.
Der Stadtturnverein Bern wurde 1873 gegründet und gehört mit rund 2000 Mitgliedern zu den grössten Turnvereinen der Schweiz. Bekannt ist der STB vor allem durch seinen Mitgliedsverein STBern Leichtathletik. Der STBern Leichtathletik ist der grösste und einer der erfolgreichsten Leichtathletik-Vereine der Schweiz. In weniger beachteten Sportarten haben insbesondere der American-Football-Verein Bern Grizzlies und der Baseball- und Softball-Verein Bern Cardinals einige internationale Erfolge aufzuweisen. Die Rolling Thunder Bern sind 7-maliger Schweizer Meister im Powerchair-Hockey. Sie spielen seit der Gründung der Nationalliga 2013 ununterbrochen in der obersten Liga.
Sportveranstaltungen
Bern war einer von sechs Spielorten der Fussball-Weltmeisterschaft 1954 und einer von acht Spielorten der Fussball-Europameisterschaft 2008. Weiterhin war Bern Spielort der Eishockey-Weltmeisterschaften 1971, 1990 und 2009 und wurde zum Austragungsort der Eiskunstlauf-Europameisterschaften 2011 erkoren.
Jährlich findet in Bern mit dem Grand Prix von Bern der grösste Breitensport-Anlass der Schweiz statt. An dieser Laufveranstaltung nehmen regelmässig über 25'000 Läufer aus dem In- und Ausland teil. Die Originalstrecke verläuft teilweise durch die historische Altstadt und der Aare entlang.
Der ebenfalls in Bern stattfindende Schweizer Frauenlauf steht nur Frauen offen und ist mit knapp 13'000 Teilnehmerinnen der grösste Frauenlauf in Europa und der grösste Frauensportanlass in der Schweiz. Der 5-Kilometer-Hauptlauf lockt als Teil des Post-Cups auch Eliteläuferinnen an. Seit 2005 gibt es zusätzlich eine 10-Kilometer-Strecke. Ausserdem gibt es eine 15-Kilometer-Strecke für Walking und Nordic Walking. Der Frauenlauf führt seit 2005 durch die Berner Innenstadt und endet auf dem Bundesplatz.
Das «Bern Open» ist heute das bestbesetzte Curling-Turnier Europas und zählt im internationalen Curling als eines der bedeutendsten Turniere ausserhalb der Curling-Hochburg Kanada.
Im Bremgartenwald lag die Bremgarten-Rundstrecke, auf der von 1931 bis 1955 Motorsportveranstaltungen stattfanden.
Im Weissenbühl wurden 2009 und 2011 die Beachvolleyball Amateur Schweizermeisterschaften ausgetragen.
Der Bern E-Prix war ein Automobilrennen der FIA-Formel-E-Meisterschaft und wurde am 22. Juni 2019 im Rahmen der FIA-Formel-E-Meisterschaft 2018/19 ausgetragen.
Ende Juli 2023 finden in der gesamten Stadt die EuroGames Bern, ein queerer Multisport-Anlass, statt. Ab dem 1. August startet die Kletterweltmeisterschaft 2023.
Siehe auch
Stadtteile der Stadt Bern
Liste der Kulturgüter in Bern
Liste von Sehenswürdigkeiten der Stadt Bern
Fahne und Wappen des Kantons und der Stadt Bern
Liste von Persönlichkeiten des Kantons Bern
Burgergemeinde Bern
Literatur
Armand Baeriswyl: Stadt, Vorstadt und Stadterweiterung im Mittelalter. Archäologische und historische Studien zum Wachstum der drei Zähringerstädte Burgdorf, Bern und Freiburg im Breisgau (= Schweizer Beiträge zur Kulturgeschichte und Archäologie des Mittelalters. Band 30). Schweizerischer Burgenverein, Basel 2003, ISBN 3-908182-14-X (zugl.: Zürich, Univ., Diss., 2001).
Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Stadt Bern:
Paul Hofer, Georges Herzog: Die Stadt Bern. Band III. Die Staatsbauten der Stadt Bern (Rathaus, Kornhäuser, Zeughäuser, Stift usw.) (= Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 19). Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. Birkhäuser, Basel 1947, .
Paul Hofer: Die Staatsbauten der Stadt Bern (= Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Band 3; Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 19). Unveränd. Nachdruck mit Nachträgen von Georges Herzog. 1982, ISBN 3-7643-1391-9.
Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Band III. Die Stadt Bern. Nachträge zu Band 3. Birkhäuser, Basel 1982, .
Paul Hofer: Die Stadt Bern (= Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Band 1: Stadtbild, Wehrbauten, Stadttore, Anlagen, Denkmäler, Brücken, Stadtbrunnen, Spitäler, Waisenhäuser. Band 2: Gesellschaftshäuser und Wohnbauten; = Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 28, Band 40). 2 Bände. Birkhäuser, Basel 1952–1959, .
Paul Hofer, Luc Mojon: Die Kirchen der Stadt Bern. Antonierkirche, Französische Kirche, Heiliggeistkirche und Nydeggkirche (= Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Band 5; Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 58). Birkhäuser, Basel 1969, .
Luc Mojon: Das Berner Münster (= Die Kunstdenkmäler des Kantons Bern. Band 4; Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 44). Birkhäuser, Basel 1960, .
Richard Feller: Geschichte Berns. 4 Bände. 4., korr. Auflage. Lang, Bern 1974, .
Bernhard Furrer: The Town of Berne (= Schweizerische Kunstführer. Nr. 553/555; Ser. 56). Hrsg. von Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte GSK. GSK, Bern 1994, ISBN 3-85782-553-7.
Fridolin Limbach: Die schöne Stadt Bern. Die bewegte Geschichte der alten «Märit»- oder «Meritgasse», der heutigen Gerechtigkeits- und Kramgasse und der alten Zähringerstadt Bern. Handdrucke, Zeichnungen, Bau- und Hausgeschichten, Chroniken, alte Drucke, Berner Mandate, Regierungserlasse und Karten. 2. Auflage. Benteli, Bern 1988, ISBN 3-7165-0273-1 (Einleitung von Hans Strahm).
Historischer Verein des Kantons Bern: Festschrift zum 800-Jahr-Jubiläum der Stadt Bern 1191–1991. In: Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde. Band 53, 1991, S. 3–98 (Digitalisat bei E-Periodica).
Christian Lüthi, Bernhard Meier (Hrsg.): Bern – eine Stadt bricht auf. Schauplätze und Geschichten der Berner Stadtentwicklung zwischen 1798 und 1998. Haupt, Bern/Stuttgart/Wien 1998, ISBN 3-258-05721-4.
Rainer C. Schwinges u. a. (Hrsg.): Berns mutige Zeit. Das 13. und 14. Jahrhundert neu entdeckt (= Berner Zeiten. Band [1]). Schulverlag blmv, Bern 2003, ISBN 3-292-00030-0; Stämpfli, Bern 2003, ISBN 3-7272-1272-1.
Hans Strahm: Geschichte der Stadt und Landschaft Bern. Francke, Bern 1971, .
Verzeichnis sämtlicher Burger der Stadt Bern; aus amtlichen Quellen bearbeitet. Stämpfli, Bern 1853–1914, .
Franz A. Roedelberger: Bern-Buch. Buchverlag Verbandsdruckerei AG, Bern 1953, .
Valerius Anshelm: Berner-Chronik, von Anfang der Stadt Bern bis 1526. 6 Bände.
Weblinks
Offizielle Webpräsenz der Stadt Bern
Berchtold Weber: Historisch-topographisches Lexikon der Stadt Bern. In: DigiBern (unibe.ch [PDF; 8,4 MB])
Statistische Jahrbücher der Stadt Bern (Sämtliche Bände bis ins Jahr 1930 stehen als PDF unter Alle Jahrbücher zur Verfügung.)
auf sfa-laboratory.ch
Interaktives 360°-Gigapixel-Panoramafoto, das die Stadt Bern aus der Vogelperspektive zeigt (als HTML oder mit Flash-Player)
Einzelnachweise
Hauptstadt in Europa
Ehemalige Hauptstadt (Schweiz)
Ort im Kanton Bern
Ort an der Aare
Schweizer Gemeinde
Hauptort eines Kantons (Schweiz)
Reichsstadt
Ortsbild von nationaler Bedeutung im Kanton Bern
Hochschul- oder Universitätsstadt in der Schweiz
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Ersterwähnung 1208
Gegründet 1191
Wasserverbund Region Bern
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Q70
| 856.643746 |
19039
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https://de.wikipedia.org/wiki/Glykolyse
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Glykolyse
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Die Glykolyse (; von und ) ist bei Lebewesen der schrittweise Abbau von Monosacchariden (Einfachzuckern) wie der D-Glucose (Traubenzucker), von der sich auch die Bezeichnung Glykolyse ableitet. Sie ist der zentrale Prozess beim Abbau aller Kohlenhydrate in allen Eukaryoten, dazu gehören Tiere, Pflanzen und Pilze. Bei Bakterien und Archaeen ist Glykolyse ebenfalls verbreitet. Manche Arten nutzen aber auch andere Stoffwechselwege, um Glucose abzubauen, beispielsweise den Entner-Doudoroff-Weg (ED-Weg). Die Glykolyse ist ein zentraler Vorgang im Energiestoffwechsel und einer der wenigen Stoffwechselwege, den fast alle Organismen gemeinsam haben, was auf eine sehr frühe Entstehung hinweist.
Der Abbau erfolgt in zehn Einzelschritten. Dabei entstehen aus einem Glucosemolekül zwei Moleküle Pyruvat. Außerdem werden zwei für das Übertragen von Energie geeignete Moleküle Adenosintriphosphat (ATP) gebildet und zwei Moleküle NAD+ werden zu NADH reduziert.
Die Glykolyse wird nach ihren Entdeckern Gustav Embden, Otto Meyerhof und Jakub Karol Parnas auch Embden-Meyerhof-Parnas-Weg oder EMP-Weg genannt. Nicht mehr gebräuchlich ist die Bezeichnung FDP-Weg, die auf das Zwischenprodukt D-Fructose-1,6-bisphosphat (veraltet: Fructosediphosphat) zurückgeht.
Entdeckungsgeschichte
Untersuchungen über den Abbau von Zucker gehen weit ins 19. Jahrhundert zurück und begannen ursprünglich mit der Erforschung der alkoholischen Gärung beziehungsweise später der Milchsäuregärung. Bei diesen Gärungen sind die Reaktionsschritte bis zur Bildung von Pyruvat identisch. 1837 wurde durch die Forscher Charles Cagniard-Latour, Theodor Schwann und Friedrich Traugott Kützing unabhängig voneinander nachgewiesen, dass der heutzutage als alkoholische Gärung bekannte Abbau von Glucose zu Ethanol durch Lebewesen, nämlich Hefen, verursacht wird. Dass für den anaeroben Abbau von Zuckern die Stoffwechselprozesse lebender Hefezellen verantwortlich sind, war zum damaligen Zeitpunkt noch sehr umstritten. Vor allem die prominenten Chemiker Jöns Jakob Berzelius, Friedrich Wöhler und Justus von Liebig zählten zu den heftigsten Gegnern dieser Ansicht. Liebig postulierte beispielsweise, dass verwesendes Material „Schwingungen“ auf den zu vergärenden Zucker übertrage, welcher dadurch zu Ethanol und Kohlenstoffdioxid zerfalle.
Dem Abbau von Zuckern in lebenden Hefezellen widmete sich ab 1857 auch der französische Forscher Louis Pasteur. 1860 veröffentlichte er eine Bestätigung der Ergebnisse von Cagniard-Latour, Kützing und Schwann und stellte sich damit gegen Liebigs Hypothese. Außerdem beobachtete er, dass der Verbrauch an Glucose unter anaeroben Bedingungen höher ist als wenn den Hefen Sauerstoff zur Verfügung steht. Diese Beobachtung wird heutzutage als der „Pasteur-Effekt“ bezeichnet.
Zu jener Zeit herrschte die Lehrmeinung vor, dass nur eine den Lebewesen innewohnende „Lebenskraft“ (vis vitalis) die Umwandlung von Glucose zu Ethanol bewerkstelligen könne. 1858 schlug dagegen Moritz Traube vor, dass für den Abbau von Zuckern in Hefezellen allein chemische Prozesse, weniger die „Lebendigkeit“ als solche verantwortlich seien.
1897 schließlich entdeckte Eduard Buchner, dass alkoholische Vergärung auch in einem zellfreien Hefeextrakt möglich ist. Damit zeigte er, dass der Stoffwechselweg auch dann stattfinden kann, wenn die Zellen nicht mehr intakt sind. Man bezeichnet dies als in vitro. Das katalytisch wirksame Präparat bezeichnete er als „Zymase“, ohne zu wissen, dass mehrere Enzyme in den anaeroben Glucoseabbau involviert sind. Auch Marie von Mannasein zog im selben Jahr in einer Veröffentlichung ähnliche Schlüsse wie Buchner. Jedoch konnte ihre Arbeit andere nicht überzeugen, da ihre Beweisführung unzureichend war.
Die Aufklärung der einzelnen Schritte der Glykolyse gelang ab Anfang des 20. Jahrhunderts. So konnten Arthur Harden und William John Young (1878–1942) Entscheidendes zur Aufklärung des glykolytischen Stoffwechselweges beitragen und veröffentlichten ihre Ergebnisse in einer Serie von Publikationen ab 1905. Unter anderem fanden sie heraus, dass isolierte Hefeextrakte Glucose nur langsam zu Ethanol und Kohlenstoffdioxid abbauten, wenn in den Extrakten kein anorganisches Phosphat vorhanden war.
Bei Zugabe von Phosphat jedoch konnte diese in vitro, also ohne lebende Zellen stattfindende Gärreaktion wieder schneller ablaufen. Außerdem gelang es ihnen, Fructose-1,6-bisphosphat zu isolieren und nachzuweisen, dass es ein Zwischenprodukt der Glykolyse ist. Zudem trennten sie zellfreien Hefeextrakt mittels Dialyse in zwei Fraktionen auf.
Die Forscher bezeichneten die nicht dialysierbare Fraktion, das sind normalerweise größere Moleküle und Proteine, nach Buchner als „Zymase“. Sie war wärmeempfindlich. Die dialysierbare Fraktion besteht dagegen aus Ionen und kleinen Molekülen, die die Dialysemembran passieren können. Diese war wärmestabil und wurde „Cozymase“ genannt. Nur beide zusammen konnten eine Gärreaktion in vitro hervorrufen. Es stellte sich heraus, dass die Zymase ein Enzymgemisch war, während die Cozymase die für diese Enzyme nötigen Coenzyme enthielt.
1918 konnte Otto Meyerhof nachweisen, dass in der Milchsäuregärung in Muskeln die gleichen Coenzyme benötigt werden wie bei der alkoholischen Gärung. Wegen der Kurzlebigkeit vieler Zwischenprodukte gestaltete sich die weitere Aufklärung des Stoffwechselweges als schwierig. Gustav Embden schlug 1932 eine erste biochemische Reaktionsfolge für die Glykolyse vor. Zwei Jahre später konnte Karl Lohmann im Labor Meyerhofs den Nachweis erbringen, dass der universelle Energieträger Adenosintriphosphat (ATP) bei der Glykolyse erzeugt wird. Meyerhofs Forschergruppe hatte Anteil an der Entdeckung etwa eines Drittels der an der Glykolyse beteiligten Enzyme.
Schließlich waren Ende der 1930er-Jahre durch die Arbeiten von Otto Warburg und Hans von Euler-Chelpin die Reaktionsschritte in Hefe aufgeklärt; Embden, Meyerhof und Jakub Karol Parnas arbeiteten dagegen mit Muskelzellen. Außerdem hatten auch Carl und Gerty Cori, Carl Neuberg, Robert Robinson sowie der unter Warburg tätige Erwin Negelein wesentlichen Anteil an der Aufklärung der Glykolyse.
Alle Schritte und Enzyme der Glykolyse sind seit den 1940er-Jahren bekannt. Genauere Untersuchungen der beteiligten Enzyme und ihrer Regulation folgten anschließend.
Bedeutung für die Zelle
Die Glykolyse ist der wichtigste Abbauweg der Kohlenhydrate im Stoffwechsel. Größtenteils werden alle Hexosen und Triosen durch diesen einen Stoffwechselweg metabolisiert und für den weiteren Abbau vorbereitet. Damit nimmt die Glykolyse einen zentralen Platz im katabolen Stoffwechsel ein. Die an den Reaktionen beteiligten Enzyme kommen in fast allen Lebewesen vor, so dass die Glykolyse auch universell ist. Die Glykolyse hat daneben auch noch weitere wichtige Funktionen:
Energiegewinnung unter anaeroben Bedingungen
In der Glykolyse wird Energie gewonnen und in Form von zwei Molekülen ATP je Molekül abgebauter D-Glucose bereitgestellt, unabhängig davon, ob Sauerstoff für die Atmungskette vorliegt oder nicht. Die Glykolyse erzeugt ungefähr ein Fünfzehntel so viel ATP auf ein Molekül D-Glucose wie der vollständige oxidative Abbau zu Kohlenstoffdioxid und Wasser im Citratzyklus und in der Atmungskette. Daher wird unter aeroben Bedingungen auch weniger Glucose verstoffwechselt, was bereits 1861 von Louis Pasteur bei Hefen beobachtet wurde (Pasteur-Effekt).
Da die Glykolyse auch unter anoxischen Bedingungen abläuft, eröffnet dies einige vorteilhafte Möglichkeiten im Stoffwechsel. Beispielsweise können Mikroorganismen in einem anoxischen Milieu auf diese Weise Energie gewinnen. Bei Wirbeltieren wird im Falle starker Muskelbeanspruchung manchmal mehr Sauerstoff verbraucht als in die Zellen transportiert wird. Daher muss die Zelle ihre Energie kurzfristig ausschließlich aus der Glykolyse beziehen. Dies ist häufig bei größeren Tieren wie Alligatoren, Krokodilen, Elefanten, Nashörnern, Walen und Robben der Fall, bei denen Sauerstoff für den oxidativen Abbau von Glucose nicht schnell genug bereitgestellt werden kann. Auch beim Menschen wird Glucose in schnell kontrahierenden Muskelzellen im Zuge der Glykolyse und der Milchsäuregärung zu Lactat umgesetzt. Ein großer Vorteil der Glykolyse ist die Tatsache, dass ATP dabei 100-mal so schnell bereitgestellt werden kann wie über die oxidative Phosphorylierung in der Atmungskette.
Pflanzen gewinnen ihre Energie entweder aus der Photosynthese oder aus der Atmungskette. Es gibt jedoch auch Situationen, in denen temporär Licht und Sauerstoff nicht zur Verfügung steht, beispielsweise bei der Imbibition während der Samenkeimung oder bei einer zeitweiligen Überflutung der Wurzeln mit Wasser. Unter diesen Bedingungen wird der lokale Stoffwechsel durch die Glykolyse aufrechterhalten.
Glucose als einziger Brennstoff
Zellen im Gehirn müssen den größten Teil ihrer Energie aus der Glykolyse gewinnen, manche spezialisierte Zellen beziehen ihre Energie sogar ausschließlich aus der Glykolyse. Darunter fallen beispielsweise Zellen des Nierenmarks, ferner Erythrozyten, denen die Mitochondrien und damit die Atmungskette fehlen, und Spermien. Schließlich gehören schnell wachsende und sich teilende Tumorzellen ebenfalls dazu. Otto Warburg entdeckte 1930, dass Tumorzellen eine sehr viel höhere Glykolyserate besitzen als gesunde Zellen. In der Positronen-Emissions-Tomographie wird dies genutzt, um Tumorgewebe bildlich darzustellen.
Bausteine für Zellmaterial
Die Glykolyse bereitet Glucose nicht nur für den oxidativen Abbau vor, sondern liefert auch Vorläufer für die Biosynthese anderer Verbindungen. So ist Pyruvat Ausgangsstoff für die Fettsäuresynthese und für manche Aminosäuren (L-Alanin, L-Valin und L-Leucin). Aus Dihydroxyacetonphosphat wird reduktiv Glycerin-3-phosphat gebildet, welches bei der Synthese von Lipiden eine Rolle spielt. Phosphoenolpyruvat ist Ausgangsstoff für die Biosynthese der aromatischen Aminosäuren L-Phenylalanin, L-Tryptophan und L-Tyrosin, während L-Serin aus 3-Phosphoglycerat gebildet wird.
Bereitstellung von NADH
In der Glykolyse wird neben ATP auch das Reduktionsmittel NADH erzeugt. Dies wird entweder in der Atmungskette für einen weiteren ATP-Gewinn reoxidiert oder als Reduktionsmittel für die Synthese anderer Moleküle verwendet – zumindest zum Zwecke der NAD+-Regeneration in Gärungen.
Reaktionsschritte
Zelluläre Lokalisation
Die Glykolyse findet im Zytoplasma einer Zelle statt. In multizellulären Organismen – wie beispielsweise dem Menschen – wird die Glykolyse in allen (differenzierten) Zelltypen durchgeführt. Pflanzen betreiben die Glykolyse auch zusätzlich in den Plastiden.
Allgemeiner Überblick
Der Abbau von Glucose bis zu Pyruvat läuft sowohl unter Sauerstoffmangelbedingungen (anaerob) als auch bei ausreichendem Sauerstoffangebot (aerob) gleichartig ab. Im Gegensatz zur Atmungskette wird kein Sauerstoff (O2) verbraucht.
Die Glykolyse lässt sich in zwei Phasen unterteilen. Die erste Phase ist eine Vorbereitungsphase, bei der zunächst Energie in Form von ATP investiert wird. Sie besteht aus der Spaltung der Hexose D-Glucose in zwei Triosephosphate: Dihydroxyacetonphosphat (DHAP) und Glycerinaldehyd-3-phosphat (GAP) (vgl. Abbildung). Hierbei wird DHAP in GAP für die zweite Phase isomerisiert. Dadurch wird der Zucker für den eigentlichen Abbau vorbereitet.
In der zweiten Phase werden zwei Moleküle GAP über mehrere Zwischenschritte in zwei Moleküle Pyruvat (Pyr) umgesetzt. Dabei werden zwei Moleküle NADH sowie vier Moleküle ATP gebildet. Diese Phase liefert somit Energie in Form von 4 ATP und 2 Reduktionsäquivalente NADH.
Die Gesamtbilanz der Glykolyse kann damit wie folgt formuliert werden:
Vorbereitungsphase
Der erste Schritt der Glykolyse ist die Phosphorylierung von D-Glucose (Glc) zu Glucose-6-phosphat (G6P). In Abhängigkeit vom Zelltyp wird diese Reaktion durch eine Hexokinase oder Glucokinase (Hexokinase IV) katalysiert, bei der ein Molekül ATP investiert wird. Dies hat zwei Vorteile: Zum einen ist die Zellmembran zwar aufgrund der in ihr vorhandenen Glucosekanäle (z. B. GLUT-1) durchlässig für Glucose, nicht aber für das durch die Phosphorylierung entstehende Glucose-6-phosphat. Dadurch reichert es sich in der Zelle an. Zum anderen verringert sich durch die Phosphorylierung der Glucose die Glucosekonzentration in der Zelle, während die Konzentration an G6P umgekehrt ansteigt. Die initiale Phosphorylierung bewirkt damit, dass innerhalb der Zelle weniger Glucose vorliegt als außerhalb der Zelle. Da die intrazelluläre Glucosekonzentration dadurch im Ungleichgewicht zu der extrazellulären steht, strömt weitere Glucose entlang dieses entstandenen Konzentrationsgefälles durch die Glucosekanäle der Zelle ein. Infolgedessen ist die Aufnahme von Glucose begünstigt.
In Bakterien wird die Phosphorylierung im ersten Schritt der Glykolyse nicht durch Hexo- beziehungsweise Glucokinasen, sondern durch das Phosphoenolpyruvat (PEP)-abhängige Zucker-Phosphotransferasesystem katalysiert.
Glucose-6-phosphat wird dann von der Glucose-6-phosphat-Isomerase in das isomere Fructose-6-phosphat (F6P) umgebaut. Das Enzym bevorzugt die Bindung des alpha-Anomers der G6P, als Reaktionsprodukt entsteht α-D-Fructose-6-phosphat. Unter Standardbedingungen liegt zwar das Gleichgewicht der Isomerisierungsreaktion auf Seite des G6P. Aber da F6P schnell weiterreagiert, wird dieses dem Reaktionssystem entzogen, so dass sich kein Gleichgewicht einstellt und die Isomerisierungsreaktion zu Gunsten des F6P abläuft.
Fructose-6-phosphat wird danach unter Einwirkung des ersten Schlüsselenzyms der Glykolyse, Phosphofructokinase 1, mit einem Molekül ATP zu Fructose-1,6-bisphosphat (F1,6bP) phosphoryliert, wobei ADP entsteht. Das Enzym bevorzugt das beta-Anomer des F6P, in der Vorreaktion ist dagegen das alpha-Anomer entstanden. Dies stellt jedoch kein Problem dar, da die beiden Anomere im Gleichgewicht stehen (Mutarotation). In anaeroben Bakterien, manchen Pflanzen, primitiven Eukaryoten und manchen Archaeen wird dieser Schritt von einer Pyrophosphat-abhängigen Phosphofructokinase (EC 2.7.1.90) katalysiert, bei der Pyrophosphat (PPi, von engl. pyrophosphate, inorganic) anstatt ATP verwendet wird.
Die damit erneute Investition von Energie ist aus zwei Gründen günstig und notwendig: Zum einen macht dieser Schritt – neben der Glucokinase sowie der Pyruvatkinase – die Glykolyse unter physiologischen Bedingungen unumkehrbar. Zum anderen ermöglicht die hier zugeführte Energie die Spaltung der Hexose im nächsten Schritt und damit die Bildung von zwei phosphorylierten Triosen für den weiteren Abbau, Dihydroxyacetonphosphat (DHAP) und Glycerinaldehyd-3-phosphat (GAP). Die Kohlenstoffatome C1-C3 der F1,6bP finden sich in DHAP, während die C-Atome in GAP aus der C4-C6 Einheit der F1,6bP stammen.
Die Spaltungsreaktion ist unter Standardbedingungen sehr ungünstig (ΔG0’ = +24 kJ/mol) und würde nicht ablaufen. Durch die schnelle Metabolisierung beider Reaktionsprodukte läuft sie aber unter physiologischen Bedingungen im annähernden Gleichgewicht ab.
Dihydroxyacetonphosphat wird noch von der Triosephosphatisomerase (TIM) in D-Glycerinaldehyd-3-phosphat umgewandelt. Diese stereospezifische Isomerisierung in Richtung GAP wird dadurch begünstigt, dass GAP in der Glykolyse weiter abgebaut wird und damit die Konzentration in der Zelle niedrig gehalten wird. Ohne weitere Metabolisierung würde das Gleichgewicht zwischen DHAP und GAP stark auf Seiten des Ketons, also DHAP liegen (22:1).
Amortisierungsphase
Jedes der beiden resultierenden Glycerinaldehyd-3-phosphat-Moleküle wird zu Beginn der Amortisierungsphase der Glykolyse durch eine Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase (GAPDH) oxidiert. Bei der Reaktion wird NAD+ zu NADH reduziert. Die Oxidation der Aldehydgruppe (GAP) zur Carboxygruppe ist energetisch sehr günstig. Sie wird ausgenutzt, um anorganisches Phosphat mit der Carboxygruppe zu verknüpfen. Es entsteht dadurch das gemischte Säureanhydrid 1,3-Bisphosphoglycerat (1,3-BPG). Das Gleichgewicht dieser Reaktion ist zwar auf Seiten des Eduktes GAP gegenüber 1,3-BPG (10:1). Durch die schnelle Umsetzung des Produktes wird aber die Einstellung des Gleichgewichts verhindert und ständig 1,3-BPG gebildet, außerdem begünstigt eine hohe Konzentration an NAD+ gegenüber NADH die Umsetzung in eine Richtung.
Ein in Erythrozyten vorhandener alternativer Nebenweg, vom 1,3-Bisphosphoglycerat zum 3-Phosphoglycerat, ist der über das Intermediat 2,3-Bisphosphoglycerat verlaufende Rapoport-Luebering-Zyklus, dessen zentrales Enzym die trifunktionale Bisphosphoglyceratmutase ist.
Im nächsten Schritt erzeugt die Phosphoglyceratkinase je ein Molekül ATP bei der Umwandlung von 1,3-Bisphosphoglycerat zu 3-Phosphoglycerat durch Übertragung eines Phosphatrests auf ADP. Die bei der vorangegangenen Oxidation frei gewordene Energie wird also konserviert, indem ATP aufgebaut wird. Die hier stattfindende Bildung von ATP aus ADP ist ein Beispiel der Substratkettenphosphorylierung. Falls die Zelle bereits viel ATP (und damit wenig ADP) hat, hält die Reaktion an dieser Stelle an, bis wieder genügend ADP zur Verfügung steht. Diese Feedbackregulation ist wichtig, da ATP relativ schnell zerfällt, wenn es nicht genutzt wird. Überproduktion von ATP wird somit verhindert.
Die Energiebilanz der Glykolyse ist an diesem Schritt ausgeglichen: zwei Moleküle ATP wurden verbraucht und zwei wieder gewonnen
Eine Kofaktor-unabhängige Phosphoglyceratmutase (PGM) katalysiert dann die Umwandlung von 3-Phosphoglycerat zu 2-Phosphoglycerat. Bei dem Vorgang wird die Phosphatgruppe zwischenzeitlich auf einen Aminosäurerest des Enzyms übertragen. In Erythrozyten wird diese Reaktion von einer Cofaktor-abhängigen PGM katalysiert, bei der 2,3-Bisphosphogylcerat als Zwischenprodukt gebildet wird.
2-Phosphoglycerat wird dann mit Hilfe der Enolase zu Phosphoenolpyruvat (PEP) dehydratisiert. Daher nennt man das Enzym auch 2-Phosphoglycerat-Dehydratase. PEP ist eine phosphorylierte Verbindung mit einem sehr hohen Gruppenübertragungspotential. Dies wird im letzten Schritt der Glykolyse genutzt, um ein weiteres Molekül ATP zu gewinnen. Hierbei katalysiert eine Pyruvatkinase (PK) unter ATP-Gewinn die Umsetzung von PEP zu Pyruvat (= Anion der Brenztraubensäure). Dabei entsteht jedoch nicht Pyruvat direkt, sondern das im Gleichgewicht stehende Enolpyruvat. Bei pH 7 liegt das Gleichgewicht auf Seiten der Ketonform. Auch dieser Schritt ist ADP-reguliert, es ist die dritte, irreversible Reaktion im Verlauf der Glykolyse.
Bei Phosphatmangel können Pflanzen PEP ohne ATP-Gewinn zu Pyruvat hydrolysieren, was in den Vakuolen stattfindet. Das beteiligte Enzym ist eine PEP-Phosphatase (EC 3.1.3.60), die anorganisches Phosphat freisetzt und damit dem Phosphatmangel entgegensteuert.
Regeneration des Cofaktors NAD+
In der Glykolyse werden pro Durchgang zwei Moleküle NAD+ zu NADH reduziert. Meistens ist die zelluläre Konzentration an NAD+ sehr niedrig, so dass es ohne eine Reoxidation schnell verbraucht wäre. Infolgedessen muss NAD+ wieder regeneriert werden, da sonst die Glykolyse zum Erliegen kommt. Wie das geschieht, hängt davon ab, ob anoxische oder oxische Bedingungen vorliegen. Zudem beeinflusst dies den weiteren Abbauweg des Pyruvates.
Oxische Bedingungen
Unter oxischen Bedingungen wird Pyruvat im Pyruvatdehydrogenase-Komplex zu Acetyl-CoA oxidativ decarboxyliert. Hierbei entstehen ein Molekül Kohlenstoffdioxid und ein Molekül NADH. Acetyl-CoA tritt anschließend in den Citratzyklus ein, in dem es vollständig zu zwei Molekülen Kohlenstoffdioxid oxidiert wird. Bei diesen Oxidationsschritten entstehen weitere Moleküle NADH. Diese und die aus der Glykolyse stammenden werden schließlich im Zuge der Atmungskette unter Verbrauch von Sauerstoff reoxidiert und somit steht NAD+ wieder der Glykolyse und dem Citratzyklus zur Verfügung. Gleichzeitig werden bei diesen Schritten weitere Moleküle ATP gebildet. Während Prokaryoten etwa insgesamt 38 Moleküle ATP je Molekül Glucose erzeugen können, hängt die Bilanz bei Eukaryoten vom Weg ab, auf dem im Cytosol gebildetes NADH die Mitochondrienmembran passiert (Malat-Aspartat-Shuttle beziehungsweise Glycerin-3-phosphat-Shuttle).
In Eukaryoten findet der Citratzyklus in der Matrix des Mitochondriums, die Glykolyse hingegen im Cytosol statt. NAD+ und NADH können nicht frei durch die innere Membran des Mitochondriums diffundieren, außerdem fehlen spezielle Translokatoren. Der Austausch von NAD+ und NADH findet daher entweder durch den Malat-Aspartat-Shuttle oder den Glycerin-3-phosphat-Shuttle statt.
In der Literatur werden manchmal die Glykolyse und der Folgeabbau von Pyruvat zu Kohlenstoffdioxid durch die Prozesse des Citratzyklus und der Atmungskette fälschlicherweise als aerobe Glykolyse zusammengefasst. Die Glykolyse endet jedoch mit der Entstehung von Pyruvat und findet sowohl unter oxischen als auch anoxischen Bedingungen statt.
Anoxische Bedingungen
→ siehe auch Hauptartikel alkoholische Gärung, Milchsäuregärung
Steht Sauerstoff nicht oder nur begrenzt zur Verfügung, kann Pyruvat reduktiv weiter umgesetzt werden, beispielsweise in der Milchsäuregärung oder in der alkoholischen Gärung. In der Milchsäuregärung wird Pyruvat mit NADH zu L-Lactat reduziert, in der alkoholischen Gärung wird es zu Ethanol decarboxyliert und reduziert. In beiden Fällen wird NADH zu NAD+ oxidiert und liegt für weitere Runden der Glykolyse bereit. In diesen Gärungsschritten wird aber im Gegensatz zum aeroben Abbauweg kein ATP gebildet.
In der alkoholischen Gärung bilden Hefen Ethanol aus Pyruvat in zwei Reaktionsschritten, die durch zwei Enzyme, die Pyruvatdecarboxylase (EC 4.1.1.1) und die Alkoholdehydrogenase, katalysiert werden. Dabei wird das durch die Glykolyse angefallene NADH zu NAD+ oxidiert. Bakterien, beispielsweise Milchsäurebakterien, sowie Muskelzellen im Menschen betreiben die Milchsäuregärung (vgl. auch Abbildung rechts). Hierbei wird Pyruvat durch eine Lactatdehydrogenase mittels NADH zu Lactat reduziert, sodass die Glykolyse weiter ablaufen kann. Diese Reaktion ist sowohl unter Standardbedingungen als auch unter physiologischen Bedingungen stark exergonisch (ΔG0′ = −25 kJ/mol beziehungsweise ΔG = −14,8 kJ/mol).
Die (homofermentative) Milchsäuregärung wird teilweise als anaerobe Glykolyse bezeichnet. Dies ist jedoch irreführend, da die Glykolyse mit dem Entstehen von Pyruvat endet und sowohl unter oxischen als auch anoxischen Bedingungen stattfindet.
Da die Glykolyse im Zytosol von Zellen abläuft, kann sie auch in Zellen ohne Mitochondrien ablaufen. Hier kann NADH jedoch nicht durch den Citratzyklus und die Atmungskette zu NAD+ oxidiert werden, sondern ohne Sauerstoffverbrauch durch Reduktion von Pyruvat zu Lactat, katalysiert durch Lactatdehydrogenase. Also entstehen in den Erythrozyten beim Abbau eines Glukosemoleküls nur zwei Moleküle ATP, durch die jedoch der Bedarf dieser Zellen gedeckt wird.
Energetische Aspekte
Gleichgewichtslage
Die meisten Reaktionen der Glykolyse sind unter Standardbedingungen bei einem pH-Wert von 7 energetisch ungünstig. So ist häufig die Änderung der freien Enthalpie G0’ positiv, so dass jene Reaktionen endergon sind und nicht ablaufen würden (vgl. Tabelle ΔG0’-Werte). Die Glykolyse würde bereits im vierten Schritt enden.
Definitionsgemäß entspricht die Stoffmengenkonzentration der Reaktanten unter solchen Bedingungen jeweils 1 mol·l−1. Dies kann aber nicht als Grundlage einer Berechnung dienen, da lebende Zellen solch hohe Konzentrationen nicht erzeugen beziehungsweise aufrechterhalten können. Für eine aussagekräftige Beurteilung müsste man dagegen die tatsächlichen Stoffmengenkonzentrationen kennen. Misst man diese unter physiologischen Bedingungen, kann die Änderung der freien Enthalpie G neu berechnet werden (vgl. Tabelle ΔG-Werte, Metabolitkonzentration).
Für die Berechnung dieser Werte bieten sich insbesondere Erythrozyten an. Erythrozyten beziehen ihre gesamte Energie ausschließlich aus der Glykolyse. Dabei finden auch alle übrigen zellulären Reaktionen im Cytoplasma statt, da sie weder über Mitochondrien, einen Zellkern noch ein Endoplasmatisches Retikulum verfügen. Dies erleichtert außerdem die Trennung der Zellbestandteile. Ohne Mitochondrien finden auch keine Reaktionen der Atmungskette und des Citratzyklus statt. Eine Quantifizierung der daran beteiligten Coenzyme wäre sonst erheblich erschwert. Schließlich nimmt der Pentosephosphatweg nur einen geringen Anteil am Stoffwechsel von Erythrozyten ein, es erfolgt auch keine Protein- und keine Lipidbiosynthese. Damit können die glykolytischen Zwischenprodukte leicht isoliert und bestimmt werden.
1965 wurden die Stoffmengenkonzentrationen (steady state) glykolytischer Intermediate aus menschlichen Erythrozyten bestimmt (vgl. Tabelle rechts). Es ergab sich, dass gewisse Intermediate in sehr niedrigen Konzentrationen vorliegen. Unter Berücksichtigung dieser Konzentrationen ändert sich die Gleichgewichtslage der korrespondierenden Reaktionen derart, dass unter physiologischen Bedingungen die gesamte Glykolyse bis auf drei Reaktionen reversibel verläuft (ΔG ungefähr 0 kJ·mol−1).
Bei jenen Reaktionen bleibt die Stoffmengenkonzentration deswegen so niedrig, weil die erzeugten Produkte schnell umgesetzt und abschließend durch irreversible Reaktionen dem System entzogen werden. Diese drei irreversiblen Reaktionen werden von den Schlüsselenzymen Glucokinase beziehungsweise Hexokinase, Phosphofructokinase 1 sowie Pyruvatkinase katalysiert. Durch die schnelle, irreversible Umsetzung mittels eines der Schlüsselenzyme werden die Stoffmengenkonzentrationen der vorher erzeugten Produkte ausreichend abgesenkt – die Glykolyse kann in eine Richtung ablaufen.
Bei der Berechnung der Gleichgewichtslage unter physiologischen Bedingungen ergeben sich für manche Reaktionen kleine, aber dennoch positive ΔG-Werte, beispielsweise bei der Isomerisierung von 3-Phosphoglycerat zu 2-Phosphoglycerat (ΔG = +0,8 kJ·mol−1). Streng genommen können diese Werte nicht ganz stimmen, da die Vorwärtsreaktion nur bei negativen ΔG-Werten stattfinden kann. Da die Glykolyse aber stattfindet, nimmt man an, dass für diesen Widerspruch Messfehler bei der Bestimmung der Stoffmengenkonzentrationen verantwortlich sind.
Aus dem Vorhandensein dreier Kontrollpunkte ergeben sich zwei Konsequenzen. Erstens kann die Glykolyse an jenen Stellen effektiv reguliert werden, so dass sie abhängig vom Energiestatus der Zelle schnell an- beziehungsweise abgeschaltet werden kann. Zweitens ermöglicht die vorliegende Gleichgewichtslage auch die Umkehrreaktion der Glykolyse, die Gluconeogenese. Bis auf drei Enzyme werden hierbei alle Enzyme der Glykolyse verwendet.
Effizienz
Unter Standardbedingungen wird bei der Umsetzung von D-Glucose zu zwei Molekülen Lactat 183,6 kJ/mol Energie frei (ΔG0’ = −183,6 kJ/mol):
Für den Aufbau von zwei Molekülen ATP aus jeweils zwei Molekülen ADP sowie anorganischem Phosphat (Pi) werden 61,0 kJ/mol benötigt:
Da die Glykolyse diese zwei Reaktionen durch Substratkettenphosphorylierung koppelt, wird somit eine Energie von 122,6 kJ/mol frei:
ΔG0’ = (−183,6 + 61) kJ·mol−1 = −122,6 kJ·mol−1
Unter Standardbedingungen werden beim anaeroben Abbau von Glucose zu Lactat damit 33 % der verfügbaren Energie genutzt, um zwei Moleküle ATP aufzubauen. Da unter physiologischen Bedingungen etwa 50 kJ·mol−1 für den Aufbau von ATP benötigt werden, ist die Energieausbeute auch etwas höher, etwa 50 %.
Regulation
Die Glykolyse dient der Bereitstellung von Energie, insbesondere wenn das entstehende Pyruvat unter aeroben Bedingungen weiter abgebaut wird. Liegt dagegen ein energetisch günstiger Zustand vor, wird Glucose gespeichert und im Zuge des Anabolismus unter Energieverbrauch in andere Metabolite umgewandelt.
Die Regulation der Glykolyse ist daher von entscheidender Bedeutung. Sie sollte beispielsweise nicht parallel zu deren Umkehrreaktion, der Gluconeogenese, ablaufen. In so einem Falle spricht man von einem „Leerlaufprozess“, der sinnlos ATP verbraucht und damit unproduktiv ist. Als Ausnahme sei die Wärmeerzeugung in Hummeln erwähnenswert, die durch beabsichtigte, gegenläufige Phosphorylierung und Dephosphorylierung von Fructose-6-phosphat zu Fructose-1,6-bisphosphat und umgekehrt Wärme erzeugen.
Biochemisch betrachtet werden irreversible Reaktionen kontrolliert. Unter physiologischen Bedingungen gibt es drei Reaktionen in der Glykolyse, die irreversibel sind. Sie werden von der Hexo- beziehungsweise Glucokinase, von der Phosphofructokinase-1 und der Pyruvatkinase katalysiert und sind damit Ziel einer Regulation.
Hexo- und Glucokinase
Die Hexokinase ist das erste Enzym in der Glykolyse, dessen Aktivität reguliert wird. Es phosphoryliert unter ATP-Verbrauch Glucose zu Glucose-6-phosphat (G6P), kann aber auch andere Hexosen als Substrat verwenden. G6P ist das Endprodukt der Hexokinasereaktion und inhibiert als solches das Enzym allosterisch.
Das in der Leber vorkommende Isoenzym der Hexokinase, die Glucokinase, wird nicht durch das Produkt G6P inhibiert. Im Gegensatz zur Hexokinase zeigt es auch einen höheren KM-Wert. Daher löst die Glucokinase erst bei sehr hohen Glucosekonzentrationen die Hexokinase ab. Unter diesen Bedingungen wird G6P durch nachfolgende Schritte aber als Glykogen gespeichert und nicht in der Glykolyse abgebaut, denn G6P wird auch für andere Stoffwechselwege abgezweigt. Die Leber fungiert daher als Homöostat des Blutzuckerspiegels, da sie diesen durch den Auf- beziehungsweise Abbau von Glucose aufrechterhält.
Ein leberspezifisches, regulatorisches Protein kann reversibel an die Glucokinase binden und sie dadurch hemmen. Das Binden dieses Regulators an die Glucokinase findet im Zellkern statt, so dass die gehemmte Glucokinase dort inaktiv verbleibt und nicht durch andere cytosolische Effektoren beeinflusst werden kann. Diese Bindung wird dann verstärkt, falls das Enzym allosterisch durch Fructose-6-phosphat modifiziert wurde. Dagegen bewirkt Glucose ein Ablösen dieses Leberproteins. Bei einer hohen Blutzuckerkonzentration dominiert Glucose, so dass die Dissoziation des Regulators ermöglicht und Glucose zu Glucose-6-phosphat phosphoryliert wird. Sinkt der Blutzuckerspiegel aber zu sehr ab (unter 5 mmol·l−1), erfolgt die Hemmung der Glucokinase – vermittelt durch Fructose-6-phosphat. Glucose wird nicht mehr phosphoryliert und kann die Leber wieder verlassen, um anderen Organen zur Verfügung zu stehen.
Schließlich wird die Glucokinase auf Ebene der Transkription reguliert. Hierbei beeinflusst das Hormon Insulin die Menge an Glucokinase in der Leber. Eine Stoffwechselstörung liegt bei Patienten mit Diabetes mellitus vor, da sie Insulin nicht ausreichend herstellen können. Bei ihnen ist die Menge an Glucokinase zu niedrig, sie tolerieren nicht eine hohe Blutzuckerkonzentration und weisen nur wenig Glucokinase in der Leber auf.
Phosphofructokinase-1
Der wichtigste Kontrollpunkt der Glykolyse ist die Phosphorylierung von Frc-6-P zu Frc-1,6-bP durch die Phosphofructokinase-1 (PFK-1). Er stellt den ersten wirklichen glykolysespezifischen Schritt dar und ist unter physiologischen Bedingungen irreversibel. Das Enzym weist zwei Bindungsstellen für ATP auf. Neben einer hochaffinen Substratbindestelle verfügt die PFK-1 auch über eine regulatorische Bindestelle. So kann ATP sowohl als Substrat dienen, als auch die PFK-1 allosterisch hemmen. Bei ausreichend hohen ATP-Konzentrationen wird der KM-Wert des Enzyms erhöht. Dies senkt die Aktivität der PFK-1, so dass die Glykolyse gedrosselt wird. Dennoch schwanken die ATP-Konzentrationen einer Zelle nur geringfügig, so dass ATP alleine nicht ausreichend wäre für eine genaue Regulation. Daher hängt die Aktivität der PFK-1 auch von der AMP-Konzentration ab und spiegelt die energetische Versorgung der Zelle wider. AMP fungiert als allosterischer, nicht kovalenter Aktivator. Falls der Energiezustand der Zelle hoch ist (ATP-Konzentration hoch, AMP-Konzentration niedrig), wird das Enzym gehemmt, andernfalls wird die Aktivität der PFK-1 erhöht, um mehr ATP zu bilden.
Auch Citrat inhibiert die PFK-1 allosterisch. Citrat ist ein Schlüsselmetabolit des Citratzyklus, dessen primärer Zweck die Erzeugung von Energie unter aeroben Bedingungen ist. Alternativ können aus dem Citratzyklus verschiedene Vorläufermoleküle entnommen werden. Falls viel Citrat vorliegt, ist der Citratzyklus gesättigt. Daher inhibiert Citrat die PFK-1 im Sinne einer Endprodukthemmung, so dass die Glykolyse den Citratzyklus weniger stark speist.
Die Aktivität der Phosphofructokinase-1 wird auch durch den pH-Wert beeinflusst. Ein niedriger pH-Wert hemmt das Enzym und drosselt die Glykolyse. Dies passiert beispielsweise bei starker Muskelbeanspruchung, bei der viel Milchsäure entsteht. Diese senkt den pH-Wert in den Zellen.
Schließlich wird PFK-1 in mikromolaren Konzentrationen durch β-D-Fructose-2,6-bisphosphat (F-2,6-bP) allosterisch aktiviert. Durch F-2,6-bP wird damit die Glykolyse gefördert, während sie die Fructose-1,6-bisphosphatase inhibiert. Dies ist das Enzym, das an dieser Stelle die Rückreaktion in der Gluconeogenese katalysiert. Unter physiologischen Bedingungen verbleibt das Enzym ohne F-2,6-bP in einem praktisch inaktiven Zustand. Nach Binden von F-2,6-bP an PFK-1 wird auch die Affinität der beiden Inhibitoren ATP und Citrat reduziert.
In Bakterien kommt Fructose-2,6-bisphosphat als Aktivator der PFK-1 nicht vor.
Pyruvatkinase
Der letzte Schritt in der Glykolyse ist irreversibel und wird von der Pyruvatkinase (PK) katalysiert. Diese wird zwar auch reguliert, aber im Gegensatz zu den anderen beiden Enzymen in vergleichsweise untergeordneter Weise. Fructose-1,6-bisphosphat und AMP stimulieren die PK, während ATP, Acetyl-CoA und L-Alanin diese allosterisch hemmen. Das in der Leber und Darm vorherrschende Isoenzym (L-Form) kann im Gegensatz zu der im Muskel vorkommenden M-Form zusätzlich durch die Proteinkinase A phosphoryliert werden. Die Aktivität der Proteinkinase A wird hormonell durch Glukagon vermittelt. In phosphorylierter Form wird dieses Isoenzym dann vergleichsweise stärker durch ATP und Alanin inhibiert als die unmodifizierte PK. Dies soll ein Abbau von Glucose in der Leber verlangsamen, damit dieses eher für andere Organe zur Verfügung steht. Die Dephosphorylierung wird durch eine Phosphatase katalysiert.
Hemmstoffe
Die Enolase wird durch Fluorid inhibiert. Iodacetat hemmt die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase, die Glycerinaldehyd-3-phosphat mit einem anorganischen Phosphat und unter Beteiligung von NAD+ zu 1,3-Bisphosphoglycerat oxidiert. Es modifiziert dabei eine SH-Gruppe des Enzyms, deshalb kann durch Zugabe von Mercaptanen diese Hemmung wieder aufgehoben werden.
Arsenat, HAsO42−, ähnelt anorganischem Phosphat HPO42− und wird an seiner Stelle durch die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase umgesetzt. Dadurch entsteht aus Glycerinaldehyd-3-phosphat somit 1-Arseno-3-phosphoglycerat (vgl. Abbildung). Im Gegensatz zu 1,3-Bisphosphoglycerat ist diese Arsenatverbindung wie jedes andere Acylarsenat sehr instabil, es zerfällt zu 3-Phosphoglycerat. Infolgedessen kann die Energie der Oxidation nicht mehr durch Substratkettenphosphorylierung nutzbar gemacht werden. Es entfällt ein Schritt der ATP-Bildung in der Glykolyse, die zwar weiterhin abläuft, aber netto kein ATP mehr liefert. Da Arsenat nicht verbraucht wird, wirkt es bereits in katalytischen Mengen. Harden und Young hatten die Wirkung Arsenats auf die Glykolyse Anfang des 20. Jahrhunderts mittels Hefeextrakten demonstriert.
Pathologie
Wegen der zentralen Rolle der Glykolyse im Stoffwechsel manifestieren sich Defekte relativ selten, denn betroffene Zellen sterben in den meisten Fällen ab. Daher sind nur wenige Krankheiten und Mutationen in der Glykolyse bekannt.
Am bekanntesten sind Defekte in der Pyruvatkinase, die zu einer hämolytischen Anämie führen. Durch einen Ausfall der Pyruvatkinase wird im letzten Schritt der Glykolyse kein ATP erzeugt, so dass Blutkörperchen nicht genug Energie bereitstellen können, um Ionenpumpen der Cytoplasmamembran zu betreiben. Dies führt zu einem Anschwellen und Platzen der roten Blutkörperchen. Wird die Aktivität der Triosephosphat-Isomerase durch eine Mutation reduziert, führt dies zur sogenannten Triosephosphat-Isomerase-Defizienz. Sie führt zu neurologischen Schäden und ebenfalls zu einer hämolytischen Anämie, häufig auch zum Tod. Ein Mangel der Phosphofruktokinase führt zu Morbus Tarui, der eine belastungsabhängige Muskelschwäche mit Muskelschmerzen und hämolytischer Anämie zur Folge hat.
Eintritt anderer Metabolite
Neben D-Glucose können auch andere Metabolite in der Glykolyse eintreten, sofern sie in eines der darin vorkommenden Zwischenprodukte umgewandelt werden können. Pentosen und Tetrosen werden dabei in der Regel durch den Pentosephosphatweg zu Glycerinaldehyd-3-phosphat beziehungsweise Fructose-6-phosphat umgewandelt und können dann weiter umgesetzt werden.
Auch die Abbauwege der Di- oder Polysacchariden münden in die Glykolyse ein. So wird zum Beispiel Saccharose in Glucose und Fructose gespalten. Wie Fructose weiter umgesetzt wird, wird weiter unten beschrieben. Beim Abbau von Milchzucker entstehen D-Glucose und D-Galactose, letzteres wird schließlich auch in Glucose umgewandelt und findet seinen Abbauweg in der Glykolyse.
Aus Vielfachzucker entstehen durch enzymatische Reaktionen einzelne Monosaccharide, die gegebenenfalls nach Isomerisierung zu Glucose-6-phosphat oder Fructose-6-phosphat direkt in den glykolytischen Abbauweg einfließen können. Ein bekanntes Beispiel ist der Speicherstoff Glykogen. Aus ihm wird durch eine Glycogenphosphorylase Glucose-1-phosphat, welches dann zu Glucose-6-phosphat isomerisiert wird.
Glycerin
Glycerin entsteht beim Abbau von Triglyceriden und kann als Vorstufe der Glykolyse beziehungsweise Gluconeogenese dienen. Eine cytosolische Glycerinkinase phosphoryliert Glycerin unter ATP-Verbrauch zu Glycerin-3-phosphat, welches dann zu Dihydroxyacetonphosphat oxidiert wird. Entweder wird dies von einer cytosolischen Glycerin-3-phosphat-Dehydrogenase (cGDH) oder einem membranständigen Isoenzym im Mitochondrium (mGDH) katalysiert. Bei ersterer wird NAD+, bei letzterer Ubichinon reduziert.
Fructose
Bei der Spaltung des Disaccharids Saccharose werden Glucose und Fructose freigesetzt. Fructose wird bei höheren Tieren in der Leber zu Fructose-1-phosphat phosphoryliert, was durch eine Fructokinase (Ketohexokinase, FK) unter ATP-Verbrauch katalysiert wird. Anschließend spaltet die Aldolase B (Fructose-1-phosphat-Aldolase, ALD-B) Fructose-1-phosphat in Dihydroxyacetonphosphat (DHAP) und Glycerinaldehyd. DHAP beziehungsweise Glycerinaldehyd werden beide in Glycerinaldehyd-3-phosphat umgewandelt. Diese beiden Umsetzungen werden von einer weiter oben beschriebenen Triosephosphatisomerase (TPI) beziehungsweise einer Triosekinase (TK) unter ATP-Verbrauch katalysiert. Fehlt die Fructokinase, führt dies bei höheren Tieren zu einer Fructosurie, einer autosomal-rezessiven Erbkrankheit.
In anderen Organen kann auch die Hexokinase die Funktion der Fructokinase übernehmen, um Fructose zu phosphorylieren. Ihre Affinität zur Glucose gegenüber der Fructose ist aber wesentlich höher (95 % Glucose, 5 % Fructose).
Mannose
D-Mannose ist Bestandteil verschiedener Glykoproteine und Polysaccharide. Um in die Glykolyse eintreten zu können, wird Mannose zunächst durch eine Hexokinase zu Mannose-6-phosphat unter ATP-Verbrauch phosphoryliert. Dieses wird schließlich zu Fructose-6-phosphat isomerisiert, was durch Mannose-6-phosphat-Isomerase (auch Phosphomannoseisomerase, EC 5.3.1.8) katalysiert wird.
Sorbit
Sorbit kann im Polyolweg zu Glucose beziehungsweise Fructose oxidiert werden.
Galactose
Nach Spaltung von Milchzucker werden D-Glucose und D-Galactose freigesetzt. Um Galactose in sein C4-Epimer Glucose zu überführen, wird der Zucker zunächst durch eine Galactokinase (GK) unter Verbrauch von ATP zu Galactose-1-phosphat umgesetzt. Eine Galactose-1-phosphat-Uridyltransferase (GALT) katalysiert nun einen Austausch von UDP-gebundener Glucose mit Galactose. Hierbei entstehen Glucose-1-phosphat und UDP-Galactose. Während Glucose-1-phosphat durch eine Phosphoglucomutase (PGM) zu Glucose-6-phosphat isomerisiert wird, epimerisiert eine UDP-Glucose-4-Epimerase (UGE) UDP-Galactose zu UDP-Glucose.
Ein Defekt der Galactokinase äußert sich der Stoffwechselkrankheit Galaktosämie.
Besonderheiten bei grünen Pflanzen
Bei grünen Pflanzen gibt es einige Variationen in der Glykolyse verglichen mit der bei Tieren. Diese werden im Folgenden beschrieben.
Glykolyse in den Plastiden
Es ist bekannt, dass in Pflanzen die Glykolyse nicht nur im Cytoplasma, sondern auch in den Plastiden der Zelle unabhängig voneinander betrieben wird. Nicht immer läuft sie dort jedoch vollständig ab, da häufig Enzyme der Amortisierungsphase fehlen, beispielsweise die Enolase oder die Phosphoglyceratmutase. Durch hochspezifische Translokatoren können Intermediate von einem zum anderen Zellkompartiment transportiert werden, um so alle Reaktionsschritte der Glykolyse zu vervollständigen. Im Cytosol vieler einzelliger Grünalgen fehlen die cytosolischen Enzyme für die Glykolyse, so dass diese in den Chloroplasten vollständig abläuft.
Grüne Pflanzen nutzen die Glykolyse in den Plastiden, um in der Dunkelheit oder in nicht-photosynthetischem Gewebe Stärke zu Pyruvat unter ATP- und NADH-Gewinn abzubauen. Außerdem stellen sie dadurch verschiedene Vorläufermoleküle zum Aufbau anderer Produkte bereit, beispielsweise für die Fettsäuresynthese.
Für das parallele Betreiben der Glykolyse sowohl im Cytoplasma als auch in den Plastiden werden Isoenzyme benötigt. So gibt es beispielsweise eine Pyruvatkinase, die sich im Cytoplasma befindet, als auch eine, die im Plastid die analoge Reaktion katalysiert. Alle Isoenzyme werden im Genom der Pflanze kodiert. Die plastidären Vertreter werden im Cytoplasma der Pflanzenzelle translatiert und anschließend in das Organell transportiert. Es ist noch unklar, ob die Isoenzyme durch Genduplikation aus einem Vorläufergen entstanden sind. Möglich wäre auch ein horizontaler Gentransfer aus dem Genom eines prokaryotischen Symbionten (Endosymbiontentheorie).
Rolle von Pyrophosphat
Eine weitere Besonderheit ist das Verwenden von Pyrophosphat (PPi) anstatt ATP als Phosphatdonor bei den ersten glykolytischen Reaktionen. Dies wurde ebenso in einigen Bakterien beobachtet. Normalerweise wird Pyrophosphat durch eine Pyrophosphatase (PPiase, EC 3.6.1.1) zu zwei Molekülen Phosphat hydrolysiert. Der Zweck dieser Hydrolyse ist es, biochemische Reaktionen unter physiologischen Bedingungen irreversibel zu machen. Man spricht umgangssprachlich davon, dass durch diese Hydrolyse die Reaktion auf eine Seite „gezogen“ wird. Die Erklärung dafür ist, dass die Hydrolyse exergonisch ist, dabei also Energie freigesetzt wird:
Im Cytosol der Pflanzen kommt die PPiase nicht vor, so dass dort eine Pyrophosphatkonzentration von bis zu 0,3 mmol/l entstehen kann. Die 1979 entdeckte Pyrophosphat-abhängige Phosphofructokinase (PFP, EC 2.7.1.90) nutzt das Pyrophosphat für die Phosphorylierung von Fructose-6-phosphat zu Fructose-1,6-bisphosphat. Diese Reaktion ist außerdem reversibel und könnte auch für den umgekehrten Weg, die Gluconeogenese, verwendet werden. PFP wird wie PFK-1 durch Fructose-2,6-bisphosphat reguliert.
Metabolische Vielfalt bei Phosphoenolpyruvat
Pflanzen nutzen PEP aus der Glykolyse in unterschiedlicher Weise (vgl. Abbildung rechts). Im klassischen, glykolytischen Abbauweg ist die Nutzung PEPs beschränkt: Eine Pyruvatkinase (PK) nutzt PEP als Substrat zur direkten Bildung von Pyruvat. Durch Substratkettenphosphorylierung wird dabei ATP erzeugt. In Pflanzen dient PEP darüber hinaus auch als Substrat für eine PEP-Carboxykinase (PEPC), was insbesondere in Pflanzen mit C4- beziehungsweise Crassulaceen-Säurestoffwechsel wichtig ist. Aus PEP und Hydrogencarbonat entsteht hierbei Oxalacetat, ein Intermediat des Citratzyklus. Oxalacetat wird dann durch eine cytosolische Malatdehydrogenase (MDH) zu L-Malat reduziert. L-Malat wird dann in verschiedene Organellen transportiert. Im Mitochondrium kann es durch ein mitochondrielles, NAD+-abhängiges Malatenzym (ME) zu Pyruvat decarboxyliert werden. Dies ist eine Umgehungsreaktion der Pyruvatkinase, bei der aber kein ATP erzeugt wird, dafür aber bei einem Phosphatmangel nützlich ist. Denn so wird das in PEP gebundene Phosphat wieder freigesetzt und steht der Pflanze für andere Reaktionen zur Verfügung. In den Wurzeln der Erbse wurde diese Umgehung nachgewiesen.
Aus durch PEPC und MDH erzeugtem L-Malat kann ein plastidäres, NADP-abhängiges Malatenzym Pyruvat erzeugen. Pyruvat wird dort für die Fettsäuresynthese benötigt oder wird zurück ins Cytosol transportiert. Auch dadurch wird die Reaktion der Pyruvatkinase umgangen, was unter Phosphatmangel vorteilhaft ist.
Unter Phosphatmangel kann auch eine PEP-Phosphatase (PEPase, EC 3.1.3.60) wertvolles Phosphat freisetzen. Hierbei wird PEP in die Vakuole transportiert und dort von einer PEPase zu Pyruvat hydrolysiert. Pyruvat und Phosphat werden dann ins Cytoplasma zurücktransportiert. Wenn kein Phosphatmangel vorliegt, wird die PEPase durch eine ausreichend hohe Pi-Konzentration inhibiert.
Schließlich gibt es auch eine cytosolische, phosphatunabhängige GADH (EC 1.2.1.9), die Glycerinaldehyd direkt zu 3-Phosphoglycerat oxidiert. Dabei entsteht nur NADPH, aber kein ATP.
Regulation
Bei der Regulation der an der Glykolyse beteiligten Enzyme gibt es einige wichtige Unterschiede zu der bei Tieren. So ist PEP ein besonderer allosterischer Effektor, das im Gegensatz zum Ablauf in Tieren die PFK inhibieren kann. Fructose-1,6-bisphosphat dagegen kann nicht die Pyruvatkinase aktivieren. Während Fructose-2,6-bisphosphat in Tieren die PFK aktiviert, geschieht nichts dergleichen in Pflanzen.
Damit wird die Glykolyse in grünen Pflanzen in erster Linie durch die Aktivitäten der Pyruvatkinase und PEP-Carboxykinase reguliert, in zweiter Linie durch die PFK-1 beziehungsweise PFP. Bei Tieren ist es prinzipiell umgekehrt.
Glykolyse bei Archaeen
Bei den zuckerabbauenden Archaeen werden Kohlenhydrate auf unterschiedliche Weise abgebaut. In hyperthermophilen und thermophilen Aerobiern, beispielsweise Thermoplasma acidophilum (Euryarchaeota) oder Sulfolobus solfataricus (jetzt reklassifiziert zu Saccharolobus solfataricus [en], Crenarchaeota), wird Glucose über eine Variante des Entner-Doudoroff-Weg (ED-Weg) zu Pyruvat umgesetzt. Dagegen verwerten hyperthermophile, gärende Anaerobier Kohlenhydrate in einen modifizierten EMP-Weg, wie:
unter den Euryarchaeota:
Pyrococcus furiosus,
Archaeoglobus fulgidus [en] (ein Sulfatreduziere) und
Vertreter der Gattung Thermococcus [en];
unter den Crenarchaeota:
Desulfurococcus amylolyticus [en] und
Pyrobaculum aerophilum [en] (ein Mikroaerobier).
Die darin vorkommenden Metabolite gleichen zwar denen der Glykolyse von Eukaryoten und Bakterien, jedoch werden hierfür Enzyme verwendet, die keine Ähnlichkeiten mit denen von Bakterien oder Eukaryoten aufweisen. So findet man in Archaeen ADP- anstatt ATP-abhängige Kinasen, beispielsweise die Glucokinase (EC 2.7.1.147) oder die Phosphofructokinase (EC 2.7.1.146). Im Gegensatz zu Bakterien verfügen sie nicht über ein PEP-abhängiges Zuckertransportsystem. Der letzte Schritt in der Glykolyse, die Umsetzung von PEP zu Pyruvat, kann neben der PK auch durch eine Pyruvat-Phosphat-Dikinase (PPDK, EC 2.7.9.1) erfolgen. Dieses Enzym katalysiert die reversible Umwandlung von PEP, AMP und PPi zu Pyruvat, ATP und Pi, wenngleich in Thermoproteus tenax die Bildung von Pyruvat bevorzugt wird.T. tenax ist ein anaerob lebendes, fakultatives, heterotrophes Archeon der Abteilung Crenarchaeota. PPDK wurde auch in Bakterien und Eukaryoten nachgewiesen.
Ein wichtiger Unterschied besteht bei der Oxidation von Glycerinaldehyd-3-phosphat. Dieses wird entweder von einer NAD(P)+-abhängigen (GAPN) oder einer Ferredoxin-abhängigen Dehydrogenase (GAPOR) direkt zu 3-Phosphoglycerat oxidiert, ohne aber dabei anorganisches Phosphat einzubauen. Daher wird bei diesem Schritt kein ATP durch Substratkettenphosphorylierung gebildet, so dass bei den meisten Archaeen durch diese modifizierte Glykolyse formal kein ATP gewonnen wird. Der am besten untersuchte Glykolysestoffwechselweg in Archaeen ist der von P. furiosus. Dort beträgt die Nettoreaktion:
Ein weiterer wichtiger Unterschied ist die fehlende allosterische Regulation der Schlüsselenzyme mit den Effektoren, die für Bakterien beziehungsweise Eukaryoten weiter oben beschrieben wurde. In T. tenax gibt es zumindest Hinweise darauf, dass die GAPN durch AMP, Glucose-1-phosphat, Fructose-6-phosphat, Fructose-1-phosphat, ADP und Ribose-5-phosphat allosterisch aktiviert wird, während NAD(P)H, NADP+ und ATP das Enzym hemmen. Möglicherweise findet auch eine Regulation auf Ebene der Transkription statt, wie bei der in T. tenax vorkommenden GAPDH.
Evolution
Die Glykolyse ist in den meisten Bakterien und Eukaryoten vertreten, in etwas abgewandelter Form auch bei Archaeen und hyperthermophilen Bakterien. Dies lässt darauf schließen, dass die Glykolyse sich sehr früh im Laufe der Evolution etabliert hatte und bereits in den ersten Organismen vertreten war. Durch phylogenetische Vergleiche mit thermophilen und hyperthermophilen Mikroorganismen vermutet man, dass der EMP-Weg nach dem ED-Weg entstanden ist. Außerdem lag wahrscheinlich die ursprüngliche Bedeutung des EMP-Weges nicht im Abbau von Kohlenhydraten, sondern er lief umgekehrt als Gluconeogenese zum Aufbau von Glucose ab. Dies stützt auch die Theorie, dass Stoffwechselwege für den Aufbau von Kohlenhydraten in der Evolution früher aufgetreten sind als solche, die Kohlenhydrate abbauen; so ist die „heutige“ Gluconeogenese bei den Organismen aller drei Domänen weiter verbreitet als die Glykolyse.
Die Enzyme des unteren Zweiges der Glykolyse (Amortisierungsphase) katalysieren größtenteils Reaktionen, die reversibel ablaufen und am höchsten konserviert sind. Außerdem kommen sie auch in dem phylogenetisch älteren ED-Weg vor. Wahrscheinlich waren sie – wie auch andere Stoffwechselwege – schon vor der Auftrennung der drei Domänen der Lebewesen vorhanden und zählen daher zu den ältesten Enzymen. Wegen ihrer essentiellen Bedeutung konnten sie weder verloren gehen noch im Laufe der Zeit durch andere Enzyme ersetzt werden. Die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase ist unter allen glykolytischen Enzymen am höchsten konserviert, lediglich 3 % der katalytischen Domäne haben sich in 100 Millionen Jahren verändert.
Der obere Zweig der Glykolyse (Vorbereitungsphase) hat sich vermutlich später etabliert. Während die darin involvierten Enzyme in Bakterien und Eukaryoten hohe Homologien aufweisen, sind die in Archaeen vorkommenden Enzyme dagegen einzigartig. Es wird noch diskutiert, ob ursprünglich Enzyme für den ersten Teil der Glykolyse bei Archaeen verloren gingen und erst später durch horizontalen Gentransfer wieder eingeführt wurden. Alternativ könnten auch Enzyme mit ähnlichen Funktionen für die ursprüngliche Glykolyse herangezogen worden sein, welche danach starken Modifikationen und Sequenzänderungen unterlagen. In beiden Fällen könnte dies erklären, warum sich die glykolytischen Enzyme in Archaeen so sehr von denen anderer Organismen unterscheiden.
Literatur
Donald Voet, Judith G. Voet: Biochemie. Wiley-VCH 1994, ISBN 3-527-29249-7, S. 420ff.
Jeremy M. Berg, John L. Tymoczko, Lubert Stryer: Biochemie. 6 Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2007, ISBN 978-3-8274-1800-5, S. 486ff.
H. Robert Horton, Laurence A. Moran, K. Gray Scrimgeour, Marc D. Perry, J. David Rawn, Carsten Biele (Übersetzer): Biochemie. 4. aktualisierte Auflage. Pearson Studium, 2008, ISBN 978-3-8273-7312-0, S. 442ff.
Reginald Garrett, Charles M. Grisham: Biochemistry. (International Student Edition). 4. Auflage. Cengage Learning Services, 2009, ISBN 978-0-495-11464-2, S. 535–562.
David L. Nelson, Michael M. Cox, Albert L. Lehninger (Begr.): Lehninger Biochemie. 4., vollst. überarb. u. erw. Auflage. Springer, Berlin 2009, ISBN 978-3-540-68637-8, S. 607–730.
Einzelnachweise
Weblinks
Die Glycolyse auf der Homepage von Ulrich Helmich
Jennifer McDowall/Interpro: Protein Of The Month: Enzymes of Glycolysis. (engl.)
Biochemische Reaktion
Stoffwechselweg
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Q162643
| 93.274645 |
33641
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https://de.wikipedia.org/wiki/Kation
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Kation
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Ein Kation [] (sprich: Kat-ion; von , Partizip Präsens Aktiv Neutrum zu ) ist ein positiv geladenes Ion. Da sich positiv geladene Ionen bei einer Elektrolyse stets zur Kathode bewegen, wurde für sie der Name Kationen gewählt.
Diese entstehen aus Atomen oder Molekülen durch Abgabe von Elektronen oder Aufnahme von Wasserstoff-Ionen H+ (Protonen).
Salze sind immer aus Kationen und Anionen zusammengesetzt.
Der Austausch zwischen verschiedenwertigen Kationen wird durch die Gapon-Gleichung beschrieben. Zum chemischen Nachweis von Kationen werden moderne Laborgeräte aus der instrumentellen Analytik oder auch nur einfache Kationennachweise im Reagenzglas eingesetzt.
Metallionen
Metallionen sind einfache Kationen, die sich aus Metallatomen durch Elektronenabgabe (Oxidation) bilden.
Beispiele von Metallionen, nach ihrer Wertigkeit geordnet:
einwertig (monovalent): K+, Na+, Li+, Cu+
zweiwertig (divalent): Mg2+, Ca2+, Ba2+, Cu2+, Fe2+, Zn2+
dreiwertig (trivalent): Al3+, Fe3+
vierwertig (tetravalent): Pb4+
Einige Metallionen wie Eisen-, Zink- oder Kupferionen haben als Spurenelemente in der Biologie eine Bedeutung. Sie sind beispielsweise Kofaktoren bei Metalloenzymen.
Zusammengesetzte Kationen
Beispiele für zusammengesetzte Kationen (Molekülkationen):
NH4+ (Ammonium-Ion)
H3O+ (Oxonium-Ion)
[NO]+ (Nitrosyl-Kation)
Organische Chemie
Tetramethylammoniumchlorid {N[CH3]4+ Cl−} und Triethylamin-Hydrochlorid {HN[C2H5]3+ Cl−} sind Beispiele für organische Ammonium-Salze, bei denen das Stickstoffatom ebenfalls vier Bindungspartner hat, diese jedoch organische Reste oder teils auch Wasserstoffatome sind, wie in Hydrochloriden, Hydrobromiden oder Hydroiodiden.
Die Ladung von einfachen Kationen
Na → Na+ + 1e−
Aus dem Natrium-Atom entsteht durch Abgabe eines Elektrons ein einfach positiv geladenes Natriumion. Dadurch, dass eine negative Ladung im Atom weniger vorhanden ist, überwiegt die positive Ladung.
Mg → Mg2+ + 2e−
Durch Abgabe von zwei Elektronen entsteht aus einem Magnesium-Atom ein zweifach positiv geladenes Magnesiumion.
Al → Al 3++ 3e−
Das Aluminiumatom wird nach Abgabe von 3 Elektronen zu einem dreifach positiv geladenen Aluminiumion.
Die Ladung der Metall-Ionen ergibt sich aus der Elektronenkonfiguration (Verteilung der Elektronen in der Atomhülle). Die Abgabe von Elektronen hat das Ziel, gleich viele Elektronen wie ein Edelgas zu erreichen (Edelgaskonfiguration). Die Anzahl der abzugebenden Elektronen richtet sich nach der Anzahl der Außenelektronen, die sich im Periodensystem für die Hauptgruppenelemente aus deren Hauptgruppennummer ablesen lässt.
Metallhydroxokationen
In wässrigen Lösungen liegen Metallkationen entweder hydratisiert vor oder sie bilden je nach pH-Wert und Art der Metallkationen und Ladungszahl Hydroxokomplexe bzw. Isopolyoxokationen mit der allgemeinen Formel [MxOu(OH)v(H2O)w]n+, wobei nicht alle Ligandenarten (H2O, OH−, O2−) gebunden werden müssen. Kationen mit kleinerer Ladungszahl bilden bevorzugt Aqua- (veraltet Aquo-) und Hydroxokomplexe, Kationen mit einer höheren Ladungszahl bilden bevorzugt Oxokomplexe. Mehrere Metallkationen im Komplex sind über Sauerstoffbrücken gebunden. Bei einem hohen pH-Wert können diese Komplexe zu Hydroxiden reagieren, die aus der Lösung ausfallen, oder sie bilden negativ geladene Hydroxokomplexe (Beispiel Aluminate).
Literatur
Hans Rudolf Christen: Grundlagen der allgemeinen und anorganischen Chemie. 8. Auflage. Otto Salle Verlag, Frankfurt am Main/Berlin/München 1985, ISBN 3-7935-5394-9.
K.H. Tytko: Isopolyoxokationen – Metallkationen in wässriger Lösung, Chemie in unserer Zeit, 13. Jahrg. 1979, S. 184–194, .
Einzelnachweise
Atomphysik
Ion
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Q326277
| 120.278735 |
67828
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https://de.wikipedia.org/wiki/Prozent
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Prozent
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Zahlenangaben in Prozent (von lateinisch-italienisch per cento „von Hundert, Hundertstel“) sollen Größenverhältnisse veranschaulichen und vergleichbar machen, indem die Größen zu einem einheitlichen Grundwert (Hundert) ins Verhältnis gesetzt werden. Daher wird das Prozent auch als Hilfsmaßeinheit für Verhältnisgrößen verwendet.
Vor allem ältere Gesetzestexte verwenden den Ausdruck „vom Hundert“ (abgekürzt: „vH“ oder „v. H.“); das DIN empfiehlt jedoch, diesen Ausdruck zu vermeiden.
Prozentangaben werden durch das Prozentzeichen % kenntlich gemacht (zum Beispiel 63,7 %). Laut DIN 5008 wird dabei zwischen der Zahl und dem Prozentzeichen ein Leerzeichen gesetzt. Die Prozentrechnung kann dann als Bruchrechnung (19 % = 19/100) oder im Dezimalsystem (19 % = 0,19) durchgeführt werden.
Definition
Das Prozentzeichen lässt sich mathematisch als einstelliger Postfix-Operator definieren, der den davorstehenden Prozentfuß (auch Prozentzahl genannt) durch 100 teilt und ihm somit den zugehörigen Prozentsatz zuordnet. Er ist durch eine lineare Funktion definiert, die von den reellen Zahlen in die reellen Zahlen abbildet:
Beispiele:
Ein Prozent ist ein Hundertstel:
Hundert Prozent sind ein Ganzes:
75 Prozent sind drei Viertel:
50 Prozent sind die Hälfte:
Begriffe
Prozentangaben beschreiben Größenverhältnisse und beziehen sich dabei auf einen Grundwert . Der Grundwert ist die Ausgangsgröße, auf die sich der Prozentsatz bezieht. Der Prozentfuß gibt an, wie viele Hundertstel des Grundwertes die Prozentangabe beträgt und bezeichnet so ein Größenverhältnis relativ zum Grundwert. Die absolute Bestimmung dieser Größe nennt man „Prozentwert“ . Der Prozentwert hat dieselbe Einheit wie der Grundwert.
Es gilt die Grundformel
Das ergibt umgeformt:
Beispiel:
Der Begriff „Prozentsatz“ wird in der Literatur unterschiedlich verwendet. Einige Autoren verwenden ihn für den Ausdruck , andere verwenden ihn für den Ausdruck . Einige Autoren verwenden um der besseren Unterscheidung willen die Begriffe Prozentfuß für den Ausdruck und Prozentsatz für den Ausdruck .
Verständnis
Für die Übertragung von Texten in Berechnungen ist ein präzises Verständnis erforderlich. Prozentangaben erfüllen die gleiche Funktion wie die Formulierungen „ein Halbes“ oder „ein Viertel“. Dabei bedeutet „ein Halbes“ das Gleiche wie „50 Prozent“ und „ein Viertel“ das Gleiche wie „25 Prozent“. Prozentangaben können darüber hinaus auch feinere Mengenverhältnisse ausdrücken als die in der Alltagssprache gängigen Formulierungen, zum Beispiel „23 Prozent“, was 23 Hundertstel eines Grundwertes entspricht.
Genau wie „ein Halbes“ oder „ein Viertel“ drückt eine Prozentangabe ein Verhältnis zu einem Grundwert aus: ein Halbes von welchem Grundwert? = 50 Prozent von welchem Grundwert?
Steigerung und Verminderung
Hier muss sprachlich zwischen den Ausdrücken „um“ und „auf“ unterschieden werden:
Eine Angabe, dass eine Größe um p Prozent gestiegen ist, entspricht einer Multiplikation mit dem Faktor welcher wiederum als Prozentsatz ausgedrückt werden kann:
Also bedeutet eine Steigerung um beispielsweise fünf Prozent eine Multiplikation mit dem Faktor
Eine Angabe, dass eine Größe auf p Prozent gestiegen ist, bezieht sich hingegen direkt auf den Faktor, bei , also eine Steigerung auf
Analoges gilt für eine Verringerung. Eine Verringerung um p Prozent entspricht einer Multiplikation mit dem Faktor : als Prozentsatz ausgedrückt also
Eine Verringerung um fünf Prozent ist eine Multiplikation mit dem Faktor , also eine Verringerung auf 95 Prozent.
Vergleicht man Prozentwerte, kann man dies in Prozentpunkten oder in Prozent vom Ausgangsprozentsatz ausdrücken. Beispiel: Das Wahlergebnis einer Partei steigt von 4 % auf 5 %. Die Partei verbessert sich um 1 Prozentpunkt oder um 25 % (auf 125 % des Ausgangsprozentsatzes). Prozentpunkte geben die einfache Differenz zwischen zwei Prozentsätzen an. Wird der Unterschied aber in Prozent (des Ausgangsprozentsatzes) ausgedrückt, dann muss der Ausgangsprozentsatz gedanklich auf 100 % gesetzt werden. Im obigen Beispiel sind 5 % gleich 125 % von 4 %.
Grundwertänderung bei Sequenzen
Besondere Vorsicht ist bei der Verkettung mehrerer Steigerungen oder Verminderungen geboten. Wird ein Ausgangswert nacheinander um den gleichen Prozentsatz (ungleich Null) erhöht und dann verringert, so ergibt sich keineswegs wieder der Ausgangswert als Ergebnis , sondern ein kleinerer Wert, weil sich die zweite Operation auf das Ergebnis der ersten und damit auf einen anderen Grundwert bezieht. Das wird bei Berechnung mittels Faktoren deutlich:
Beispiel: "Wenn 100 Euro zunächst um 10 % erhöht und dann um 10 % verringert wird, so ergibt das:
Es ergeben sich also nur noch 99 Euro. Das gilt wegen der Kommutativität der Multiplikation auch für die umgekehrte Reihenfolge.
Varianten der Prozentrechnung
Die Prozentrechnung wird je nach Voraussetzungen und Anforderungen auf unterschiedliche Weise ausgeführt und unterrichtet. So können mit Proportionen die üblichen Formeln gewonnen werden, was diese sich zu merken erspart. Beim sogenannten Kopfrechnen wird meist die vermittelnde Frage, was 100 % bzw. 1 % ist (entspricht), gestellt.
Beispiel:
42 kg sind 7 %. Wie viel sind (entsprechen) 100 %?Gegeben sind W (Prozentwert) und p % (Prozentsatz).Gesucht ist G (Grundwert).
Beispiele
Anteilsberechnung
Wir verwenden die bereits oben eingeführten Abkürzungen:
Grundwert G: Die Ausgangsgröße (die 100 % entspricht)
Prozentwert W: Der anteilige Wert, gemäß Prozentsatz vom Grundwert abgeleitet.
Prozentsatz p %: Der Anteil von W an G, ausgedrückt in Prozent
Prozentfuß p: Die Zahl vor dem Prozentzeichen.
Damit lautet die Grundformel für den Prozentsatz als Verhältnis aus Prozentwert und Grundwert:
.
Für den Prozentfuß an Stelle des Prozentsatzes nimmt die Formel folgende Form an:
.
Je nach Verwendungszweck kann die Grundformel auch nach dem Grundwert G oder nach dem Prozentwert W aufgelöst werden:
und
.
Beispiel
Wenn 42 kg genau 7 % sind, welches Gewicht entspricht den vollen 100 %?
Hier sind also folgende Größen bekannt:
Prozentwert W: 42 kg
Prozentsatz p %: 7 %.
Gesucht wird der Grundwert G.
Die Lösung ergibt sich mit der nach G aufgelösten Prozentsatz-Grundformel als
.
Umsatzsteuer
Ein alltägliches Beispiel ist die Berechnung der Umsatzsteuer. Diese ist definiert durch den Wert eines Produktes (Nettobetrag) multipliziert mit einem Umsatzsteuersatz, der in Prozent angegeben wird. Der Grundwert dieser Prozentangabe ist also der Nettobetrag. Der Bruttobetrag ist die Summe von Nettobetrag und Umsatzsteuer:
Umsatzsteuer = Nettobetrag · Umsatzsteuersatz
Bruttobetrag = Nettobetrag + Umsatzsteuer
Sind 100 Euro der Nettobetrag und der Umsatzsteuersatz beträgt 19 %, so errechnet man die Umsatzsteuer durch:
100 Euro · 19 % = 100 Euro · 0,19 = 19 Euro
Demzufolge errechnet sich der Bruttobetrag folgendermaßen:
100 Euro + 19 Euro = 119 Euro
Durch Einsetzen in die Formel erhält man:
Bruttobetrag = Nettobetrag + Umsatzsteuer
Bruttobetrag = Nettobetrag + (Nettobetrag · Umsatzsteuersatz)
Bruttobetrag = Nettobetrag · (1 + Umsatzsteuersatz)
Im gegebenen Beispiel mit einem Umsatzsteuersatz von 19 % erhält man
Bruttobetrag = Nettobetrag · (1 + 19 %) = Nettobetrag · (1 + 0,19) = Nettobetrag · 1,19
Durch Umstellung dieser Formel lässt sich aus dem Bruttobetrag der Nettobetrag einfach errechnen durch
.
Die im Bruttobetrag enthaltene Umsatzsteuer beträgt
.
Sprachgebrauch
Im allgemeinen Sprachgebrauch wird bei Angaben in Zusammenhang mit Prozenten häufig nicht auf die mathematische Definition geachtet, was die Ursache für Ungenauigkeiten und Fehler ist. Beispiele dafür sind:
„Im Rechnungsbetrag sind 19 % Umsatzsteuer enthalten“
bedeutet, dass der Umsatzsteuersatz 19 % beträgt und der Rechnungsbetrag der Bruttobetrag ist, also Nettobetrag plus Umsatzsteuer. Korrekt müsste es daher lauten: „Im Rechnungsbetrag ist die Umsatzsteuer mit einem Umsatzsteuersatz von 19 % enthalten“.
„Die Umsatzsteuer beträgt 19 %“
Falsch, sollte eigentlich heißen „der Umsatzsteuersatz beträgt 19 %“.
„19 % des Rechnungsbetrages sind Umsatzsteuer“
Falsch, da es sich beim Rechnungsbetrag um den Nettowert plus Umsatzsteuer handelt. 19 % von einem Betrag von beispielsweise 119 Euro entsprechen 22,61 Euro. Tatsächlich beträgt die enthaltene Umsatzsteuer hier aber 19 Euro und macht rund 15,97 % des Rechnungsbetrages aus.
Da 19 % und 15,97 % nicht weit auseinander liegen, kann die falsche Formulierung zu unbemerkten Fehlern führen. Deshalb noch folgende Beispiele:
„Mein Taschengeld hat sich um 50 % erhöht.“
Beträgt das Taschengeld nach der Erhöhung insgesamt 15 Euro, so entsprechen 50 % hier 5 Euro. „50 %“ bezieht sich auf den Grundwert 10 Euro. Das ist der Betrag des Taschengeldes vor der Erhöhung.
„50 % meines Taschengeldes sind ein Zuschuss von meiner Oma.“
Beträgt das Taschengeld insgesamt 15 Euro, so entsprechen 50 % hier 7,50 Euro. „50 %“ bezieht sich hier auf den Grundwert 15 Euro. Obwohl der Prozentsatz „50 %“ in beiden Aussagen gleich ist, sind die Prozentwerte „5 Euro“ und „7,50 Euro“ unterschiedlich, da sich die Aussagen auf unterschiedliche Grundwerte beziehen.
Steigung in Prozent
In der Technik (zum Beispiel Rohrleitung) wird auch die Steigung (bzw. das Gefälle) in Prozent angegeben. Diese Prozentangabe drückt das Verhältnis von Höhenunterschied und waagerechter Strecke aus. Eine Steigung von 100 % bedeutet demzufolge einen Steigungswinkel von 45°. Eine Steigung von 10 % bedeutet, dass auf einer horizontalen Strecke von 100 m ein Höhenunterschied von 10 m zurückgelegt wird.
Im Straßenverkehr gibt der auf einem Verkehrsschild angegebene Wert nicht die durchschnittliche Steigung der gesamten Strecke an, sondern die maximale Steigung, die auf dem Radabstand eines die Strecke zurücklegenden Kraftfahrzeugs wirkt.
Mathematisch kann man eine Steigungsangabe in Prozent über die Arcustangens-Funktion in eine Winkelangabe (je nach DRG-Einstellung des Taschenrechners in Grad, rad oder gon) umrechnen:
Die folgende Tabelle gibt für einige typische Werte für Eisenbahnstrecken (Bereich um 1 %), Gebirgsstraßen (Bereich zwischen 10 % und 30 %), Skipisten (Bereich bis 100 %) sowie zur Illustration einige extreme Werte an.
Stoffgemische
Zu beachten ist auch, dass Prozentangaben für den Gehalt eines Stoffes als Mengenverhältnis Gramm pro 100 Gramm angegeben werden können, wobei zu spezifizieren und zu differenzieren ist, ob (wie bei Löslichkeitsangaben) Gramm Stoff pro 100 g des Lösungsmittels gemeint sind oder Gramm Stoff pro 100 Gramm einer fertigen Lösung (im Sinne einer Konzentrationsangabe) (mehr dazu siehe Gehaltsangabe).
Bei Prozentangaben von Stoffgemischen muss angegeben sein, ob sich diese auf den Massenanteil oder den Volumenanteil bezieht. Haben die Stoffe unterschiedliche Dichten, so sind diese beiden Angaben verschieden. Beispielsweise wird bei Getränken der Alkoholanteil in Volumenprozent (% Vol.) angegeben.
Da Alkohol eine geringere Dichte (ca. 0,8 g/cm³) als Wasser (ca. 1 g/cm³) hat, ist der Anteil des Alkohols in Masseprozent geringer als der in Volumenprozent. Beispielsweise beträgt für ein Getränk mit 50 % Vol. Alkohol der Masseanteil des Alkohols lediglich 44,4 % (Masse).
Eingabe am Taschenrechner
Taschenrechner unterschiedlicher Bauart und Hersteller behandeln die Tastatureingabe einer Prozentrechnung unterschiedlich. Dies kann zu Verwirrungen bzw. dazu führen, dass Benutzer von Taschenrechnern bei Prozentrechnungen auf die Prozenttaste verzichten und eher auf den Dreisatz oder auf die obenstehende Formel zurückgreifen.
Etymologie
Der Begriff Prozent entstammt der Kaufmannssprache und taucht im Deutschen erstmals im 15. Jahrhundert in kaufmännischen Dokumenten aus Süddeutschland auf. Dort wird jedoch noch nicht das heutige Wort verwendet, sondern das aus dem Italienischen übernommene per cento (dt. pro hundert). Das italienische cento wiederum leitet sich von dem lateinischen centum (dt. hundert) ab. Im 16. Jahrhundert setzte sich im hochdeutschen Sprachraum dann eine Umstellung auf pro cento durch, die dann zum heutigen Prozent und der inzwischen veralteten relatinisierten Form pro centum geworden ist. In Österreich jedoch blieb die ursprüngliche italienische Form weiterhin erhalten und wurde zu dem heutigen (inzwischen allerdings auch veralteten) Perzent.
Schreibweise
Die typografisch korrekte Schreibweise ist mit einem Leerzeichen zwischen Zahl und Prozentzeichen. Im Computersatz ist hier ein geschütztes Leerzeichen zu verwenden, um einen Umbruch zwischen Zahl und Prozentzeichen zu verhindern.
Diese Regel gilt neben der deutschen in vielen weiteren Sprachen wie in der französischen, norwegischen, russischen und schwedischen Sprache. In der englischen Sprache wird dagegen kein Leerzeichen zwischen Zahl und Prozentzeichen gesetzt.
Bei Verwendung mit Nachsilbe wird zusammengeschrieben. Beispiel: „15%ige Steigung“. Eleganter ist jedoch, halb oder ganz auszuschreiben: „15-prozentige Steigung“ oder „fünfzehnprozentige Steigung“.
Singular/Plural: 1 % wird im Singular geschrieben, bevorzugt mit „ein“ statt Zahl: „Das ist nur ein Prozent aller Stimmen“. Andere Werte im Plural: „Das sind 7,5 % der Stimmen.“ oder „Das sind nur drei Prozent der Stimmen.“
Weitere Begriffe
Prozentränge oder Perzentile bezeichnen die Intervalle, die eine statistische Verteilung in 100 anteilsgleiche Teile zerlegen.
Promille haben als Referenzwert die 1000, nicht die 100.
Als Basispunkte werden bei Zinssätzen Hundertstel eines Prozents bezeichnet.
Der Begriff Bremshundertstel wird im Eisenbahnwesen bei der Angabe des Bremsvermögens von Schienenfahrzeugen verwendet.
Weblinks
Formelsammlung Mathe: Prozentrechnung – Übersichtliche Darstellung der wichtigsten Formeln zur Prozentrechnung
Einzelnachweise
Bruchrechnung
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Q11229
| 468.135071 |
14757
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https://de.wikipedia.org/wiki/Theorie
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Theorie
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Eine Theorie ist im allgemeinen Sprachgebrauch eine durch weitgehend spekulatives Denken gewonnene Erkenntnis oder ein System von Lehrsätzen, aus denen sich eine Erkenntnis ableiten lässt. Beruht dies vorwiegend auf der eigenen (langjährigen) Erfahrung und manifestiert sich individuell (oft unbewusst und unkontrolliert), handelt es sich um eine Subjektive Theorie. In der Alltagssprache wird Theorie also oftmals für eine Vermutung über einen Sachverhalt benutzt, die erst noch zu beweisen wäre.
Im wissenschaftlichen Sprachgebrauch ist eine Theorie hingegen ganz im Gegenteil ein System (möglichst objektiver) wissenschaftlich begründeter Aussagen, das geeignet ist, Gesetzmäßigkeiten zu erklären und Prognosen über die Zukunft zu erstellen; berühmte Beispiele sind die Evolutionstheorie und die Relativitätstheorie. Viele Fachdisziplinen, wie etwa die Physik, führen seit dem 19. Jahrhundert eigene Theoriedebatten. Die Frage nach dem Geltungsbereich und der Bestätigung oder Verifikation von Theorien wird in der Wissenschaftstheorie behandelt. Einen speziellen formalen Theoriebegriff verfolgt die mathematische Logik (siehe auch Theorie (Logik)).
Etymologie
Der Ausdruck taucht im 16. Jahrhundert im deutschen Sprachgebrauch auf und wird aus dem aus spätlateinischen theoria entlehnt, das wieder auf das griechische (‘'Anschauen’, ‘Betrachtung’, dann ‘Erkenntnis’) zurückgeht. Es wird eine Herleitung von vermutet, was die Bezeichnung eines Abgesandten der Polis zur Teilnahme an Götterfesten und Orakeln war
Das Wort Theorie (aus , kontrahiert , „beobachten, betrachten, [an]schauen“; „die Anschauung, Überlegung, Einsicht, wissenschaftliche Betrachtung“, „die Betrachtung oder Wahrnehmung des Schönen als moralische Kategorie“) bezeichnete ursprünglich die Betrachtung der Wahrheit oder des Wesens einer Sache durch gedankliche Arbeit, wie Kontemplation, Spekulation und Argumentation.
Definitionen
Je nach wissenschaftstheoretischem Standpunkt wird der Begriff Theorie unterschiedlich erklärt. Grob gesagt, entwirft jede Theorie ein Bild (Modell) der Realität. In der Regel bezieht sie sich dabei auf einen spezifischen Ausschnitt der Realität. Eine Theorie enthält im modernen Verständnis beschreibende (deskriptive) und erklärende (kausale) Aussagen über diesen Teil der Realität. Auf dieser Grundlage werden Vorhersagen getroffen. Viele wissenschaftstheoretische Grundbegriffe und weitergehende Fragen grundsätzlicher Art, die Theorien der Realität im Allgemeinen betreffen, werden in Teilbereichen der philosophischen Disziplinen Metaphysik und Erkenntnistheorie diskutiert.
Nach positivistischem Verständnis sind Theorien mit dem Anspruch verknüpft, sie durch Beobachtungen (z. B. mittels Experimenten oder anderer Beobachtungsmethoden) prüfen zu können (Empirie). Diese Beobachtung liefert dann direkt die Wahrheit oder Falschheit der Theorie, d. h., sie verifiziert oder falsifiziert die Theorie.
In der Logik bezeichnet Theorie im einfachsten Fall eine deduktiv abgeschlossene Formelmenge. Gängig ist auch folgende streng formale, mathematisch-logische Definition des Theoriebegriffs: Eine Menge T von Aussagen in einer Sprache heißt genau dann Theorie, wenn T erfüllbar ist und wenn jeder Satz, der aus T folgt, bereits zu T gehört. Einfacher ausgedrückt: Sie muss überhaupt wahr sein können und zudem in sich abgeschlossen und widerspruchsfrei sein.
Verschiedene Probleme haben dazu geführt, dass in den letzten Jahrzehnten kompliziertere Begriffe von Theorien und des Aussagewerts von Beobachtungen entwickelt wurden. Diese Diskussionen betreffen besonders die Präzisierung eines Begriffs der Bestätigung und hängen eng zusammen mit Problemen der Induktion, Kausalität und Wahrscheinlichkeit.
Nach der klassischen Sicht lassen sich aus Prognosen von Theorien wiederum Handlungsempfehlungen ableiten. Somit bildet die Theorie die Grundlage für die sich aus ihr ergebende Praxis.
Nach der kritisch-rationalen Sicht sind Alltagstheorien und wissenschaftliche Theorien erkenntnistheoretisch nicht voneinander zu unterscheiden und alle Theorien sind gleichermaßen spekulativ. Letztere kommen lediglich in der Regel der Wahrheit näher und Hypothesen sind weniger allgemeine Theorien. Handlungsempfehlungen lassen sich nicht aus Theorien ableiten, sondern nur damit kritisieren. Theorie und Praxis bilden aus dieser Sicht Gegensätze.
Aspekte des Theoriebegriffs
Die methodische Art und Weise, wie Theorien zustande kommen, wie also der Zuwachs an Wissen stattfindet, ist umstritten. In der Fortentwicklung von Theorien wird gelegentlich zwischen Induktion, Deduktion und Abduktion unterschieden:
Bei der Theorienbildung durch Induktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler im empirischen Prozess Datenmaterial erarbeitet, in dem schließlich innere Strukturen und Gesetzmäßigkeiten sichtbar werden. Weitere positiv verlaufende Experimente sollen die Theorie bestätigen und sind die Bausteine einer Verifikation (Überprüfung), die letztlich in naturgesetzlicher Sicherheit (Widerspruchsfreiheit) münden soll.
Bei der Theorienbildung durch Deduktion geht man davon aus, dass der Wissenschaftler durch kreative Akte sinnvolle Hypothesen erzeugt, deren Übereinstimmung mit dem Datenmaterial er anschließend überprüft. Weitere Experimente müssen mit dem ernsthaften Ziel der Falsifikation (Widerlegung) unternommen werden. Nur in dem Ausmaß wie sich Theorien bewähren (der Falsifikation entziehen), kann relative Sicherheit gewonnen werden.
Die Abduktion schließt von einem vorliegenden Resultat und einer möglichen oder spontan gebildeten Regel auf einen Fall. Um ein überraschendes Phänomen erklärbar zu machen, wird eine Regel hypothetisch eingeführt, damit das Resultat als sinnvoller Fall dieser Regel betrachtet werden kann. Abduktiv gewonnene Erkenntnisse können richtig sein, müssen es aber nicht.
In der Praxis der Wissenschaft mischen sich induktive und deduktive Elemente ohne Probleme, so dass diese Frage mehr eine wissenschaftstheoretische und weltanschauliche Bedeutung besitzt.
Bietet die Wissenschaft mit ihren Theorien einen Weg zu absoluter Wahrheit oder zu einer schrittweise stattfindenden Annäherung an die Wahrheit (der man sich jedoch nie ganz gewiss sein kann) oder ist Wahrheit nicht Teil der Wissenschaften oder gibt es keine Wahrheit an sich? Die zweite, auf Karl Popper zurückgehende Position wird derzeit von der Mehrheit der Naturwissenschaftler bevorzugt, die erste gilt – aufgrund prinzipieller Erkenntnisse über Beobachtbarkeit – als überholt.
In der Umgangssprache wird der Begriff meist im Sinne von „nur eine Theorie“ verstanden und bezieht sich dann lediglich auf besonders unsichere Erkenntnisse. Dies hat nicht viel mit der wissenschaftlichen Definition von Theorie zu tun und führt häufig zu Missverständnissen. Beispielsweise bedeutet der Begriff „Relativitätstheorie“ nicht, dass die Erkenntnisse nicht gesichert seien. Selbstverständlich ist sie prinzipiell falsifizierbar, könnte also nicht zutreffen, aber das Teilwort -theorie kennzeichnet sie einzig als „in sich schlüssig“ und bis Dato „nicht falsifiziert“ und grenzt sie von der Newton’schen Theorie – der klassischen Mechanik – ab.
Kriterien
Minimalforderungen an theoretische Modelle sind im Allgemeinen, dass sie den Vorschriften der Logik und Grammatik entsprechen, widerspruchsfrei (intern konsistent) sowie überprüfbar sind. Voraussetzung dafür ist, dass die verwendeten Begriffe
explizit sind, das heißt, es muss Einigkeit bestehen über ihre Bedeutung, und
empirisch verankert sind, d. h., sie müssen über Operationalisierungen mit Phänomenen verknüpft sein. Ob eine Theorie aber auf die Welt „passt“, muss sich empirisch erweisen. Intern richtige und auch empirisch bestätigbare Theorien sollten darüber hinaus praktischen Nutzen haben (Praktikabilität) und nicht unnötig kompliziert sein (Ockhams Rasiermesser).
Eine gute Theorie soll weiterhin
verträglich sein mit bereits bewährten älteren Theorien oder sie sogar in den eigenen Erklärungsbereich miteinschließen;
Erklärungswert besitzen, also z. B. nicht rein deskriptiv sein;
Prognosen ermöglichen, die in der Praxis auch eintreffen, und damit falsifizierbar sein;
extensiv sein, ihr Gegenstandsbereich soll also nicht zu speziell sein;
befruchten, also andere Wissenschaftler zu weitergehenden Forschungen inspirieren.
Weitere wichtige Forderungen an Theorien sind zum Beispiel die Möglichkeit, Axiome für eine Theorie anzugeben, sowie die „Ausdruckskraft“ einer Theorie: Ist es möglich, die Theorie durch endlich/abzählbar viele Axiome zu beschreiben, so heißt sie endlich/abzählbar axiomatisierbar. Eine Theorie heißt (negations-)vollständig genau dann, wenn jeder Satz ihrer zugrundeliegenden Sprache oder seine Negation Elemente der Theorie sind.
Donald Davidson formuliert es knapp: Eine vernünftige Forderung, die man an eine wissenschaftliche Theorie stellen kann, ist die, dass es möglich sein sollte, eine Struktur dermaßen zu definieren, dass es möglich ist, Exemplifizierungen dieser Struktur empirisch zu ermitteln. Dazu sind Gesetze und Verallgemeinerungen nötig, die prognostizieren, was bei gegebenem beobachteten Input beobachtet werden wird.
Bestandteile
Wissenschaftstheoretisch ist es weitgehend üblich, folgende mögliche Elemente von Theorien zu unterscheiden:
Grundannahmen: Dies sind Aussagen über die Grundstruktur der Realität und darüber, wie man sie untersuchen solle. Sie liegen allen Kernaussagen zugrunde. Darunter können metaphysische (etwa transzendente Aussagen über die Existenz und die Rolle von Gott, Göttern, Geistern usw.), kosmologische und biologische Annahmen (Aussagen über die Struktur der unbelebten und belebten Natur), anthropologische (Aussagen darüber, was Menschen seien) so wie erkenntnistheoretische und pragmatische Annahmen und Vorgaben (etwa darüber, wie im jeweiligen Gegenstandsbereich Wissen erzielbar ist, wie Wissenschaftler arbeiten sollten) fallen. Die Gesamtheit dieser Grundannahmen macht einen wichtigen Aspekt dessen aus, was in Anknüpfung an Kuhn manchmal Paradigma genannt wird, sowie des Lakatos’schen Begriffs des „Forschungsprogramms“.
Grundbegriffe: Diese sind die „Bausteine“ der Theorie (dies können theoretische Terme wie etwa physikalische Größen und Entitäten sein).
Theoriekern: Dieser besteht in den beschreibenden und erklärenden Aussagen. Die erklärenden Aussagen werden auch Hypothesen genannt, diese sind häufig als Wenn-Dann-Aussagen formuliert oder noch stärker formalisiert. Daneben können prognostische und empfehlende Aussagen Teil einer Theorie sein.
Messkonzepte: Hypothesen werden mit Indikatoren messbar gemacht (operationalisiert), um empirisch überprüft zu werden, z. B. kann dies durch eine Frage in einem Fragebogen geschehen.
Empirische Belege: Beobachtungen, die eine Theorie bestätigen oder widerlegen sollen.
In der wissenschaftlichen Praxis enthalten Theorien diese Elemente in höchst unterschiedlichem Ausmaß; dies hängt u. a. vom Erkenntnisinteresse der jeweilig wissenschaftlich Tätigen ab.
Beschreibende und erklärende Aussagen können unterschiedlich gewichtet werden: in manchen Theorien hat die Beschreibung Vorrang, in anderen die Erklärungsversuche, wieder andere streben eine Balance an. Ein Übergewicht beschreibender Aussagen weisen häufig Theorien auf, die ein neues Forschungsgebiet erkunden.
Prognostische und empfehlende Aussagen werden von manchen Wissenschaftlern gar nicht oder nur mit äußerster Vorsicht gemacht, andere betrachten diese als den Hauptzweck ihrer Arbeit (z. B. die anwendungsorientierten Naturwissenschaften oder Sozialwissenschaftler in der Politikberatung).
Ein großer Unterschied besteht zwischen Wissenschaftlern, die ihre Theorien strikt auf empirische Überprüfung anlegen, und solchen, die dies weniger oder nicht tun. Erstere bemühen sich intensiv um plausible Methoden, ihre Hypothesen überprüfbar zu formulieren, messbar zu machen und empirisch zu überprüfen. Daher gibt es Theorien mit und solche (fast) ohne klare Hypothesen, Indikatoren und empirische Belege.
Beispiele
Physik: Die Vorhersagen der klassischen Mechanik und der speziellen Relativitätstheorie unterscheiden sich beispielsweise deutlich, wenn die betrachteten Objekte sich mit Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit bewegen. Im Alltag kann man die Unterschiede nicht feststellen, da die klassische Mechanik der Grenzfall der speziellen Relativitätstheorie ist, wenn die Geschwindigkeit wesentlich geringer ist als die Lichtgeschwindigkeit. Daher ist die klassische Mechanik im Alltag die angemessene Theorie.
Theoretische Astronomie: Ihre analytischen oder numerisch-physikalischen Modelle (etwa des Sonneninneren oder der Galaxienhaufen) müssen mit allen Beobachtungsdaten (Strahlung, Bahnbewegung usw.) übereinstimmen. Allenfalls sind die Modelle zu modifizieren oder zu verwerfen.
Geometrie: Zu jeweils einer Geraden und einem Punkt, der nicht auf dieser Geraden liegt, gibt es genau eine Parallele durch diesen Punkt. Diese Aussage hat man lange versucht aus den anderen Axiomen der Geometrie zu folgern. Dadurch, dass man zeigen konnte, dass die Geometrien, in denen die Parallelenaussage nicht gilt, zu sinnhaften Modellen führen, ließ sich beweisen, dass die Parallelenaussage ein zu den übrigen Geometrieaxiomen unabhängiges Axiom ist (siehe nichteuklidische Geometrie).
Mathematik: Der Mathematiker Georg Cantor schlug eine naive, d. h. informelle Definition für den Begriff Menge vor. Die daraus resultierende Theorie erkannte er zwar als widersprüchlich (siehe Cantorsche Antinomie); dennoch genügt es in der Schulmathematik, mit dieser informellen Mengenlehre zu arbeiten. Mathematiker verwenden in der Regel die formale Theorie der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre (deren Widerspruchsfreiheit allerdings nicht beweisbar ist).
In der Soziologie wurde – für die Sozialwissenschaften allgemein – das Konzept der Theorie mittlerer Reichweite entwickelt.
Mehrere wissenschaftliche Theorien begründen die interdisziplinäre Evolutionsbiologie.
Eine Theorie kann auch ein rein algorithmisches Verfahren sein, wie zum Beispiel die Planetentheorie zur Berechnung der Positionen von Himmelskörpern.
Theorie und Forschungsfrage
Ohne Theorie gibt es keine Methoden und Messinstrumente, also existieren Methoden und Messinstrumente nur aufgrund theoretischer Vorannahmen, also nicht unabhängig von ihnen. Eine Fragestellung wiederum steht am Beginn des Prozesses, eine Theorie auszuwählen, auf deren Basis diejenigen Faktoren herausgefiltert werden, die beim Sammeln von Daten entscheidend sein sollen. Die Wahl der Theorie, die zugrunde gelegt wird, und die Fragestellung am Beginn eines Forschungsprozesses hängen also eng zusammen. Von der theoretischen Perspektive, die eingenommen wird, ebenso wie von der forschenden Person hängt die Wahl des Themas ab, das konkrete Erkenntnisinteresse, für welche Methode man sich entscheidet und die Ergebnisse der Studie, so eine Einschätzung aus den Kommunikationswissenschaften.
Siehe auch
Naive Theorie
Strukturalistisches Theorienkonzept
Subjektive Theorien
Theorievergleich
Literatur
Wissenschaftstheorie
Wolfgang Balzer: Die Wissenschaft und ihre Methoden. Grundsätze der Wissenschaftstheorie. Ein Lehrbuch. Alber-Lehrbuch. Freiburg i.Br./ München 1997. (relativ allgemeinverständliche Einführung in die analytische Wissenschaftstheorie)
Wolfgang Balzer, M. Heidelberger (Hrsg.): Zur Logik empirischer Theorien. Berlin / New York 1983.
Wolfgang Balzer, C. Ulises Moulines, Joseph D. Sneed: An Architectonic for Science. The Structuralist Program. Reidel, Dordrecht 1987.
Michael Gal: Was ist Theorie? Über Begriff, Vielfältigkeit und Nutzungsmöglichkeiten von Theorie in der Geschichtswissenschaft. In: ders., Internationale Politikgeschichte. Konzeption – Grundlagen – Aspekte. Dresden/München (2. Aufl.) 2021, ISBN 978-3-95908-446-8, S. 125–164.
R. N. Giere: Theories. In: W. H. Newton-Smith (Hrsg.): A Companion to the Philosophy of Science (= Blackwell Companions to Philosophy. 18). Malden, Mass. 2000, S. 515–524. (statement view und non-statement view von Theorien)
Thomas S. Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen (= Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft. 25). 2., rev. Auflage. Frankfurt am Main 1976, ISBN 3-518-27625-5. (klassisches Buch zur Theoriendynamik; beschreibt irrationale „Paradigmenwechsel“ v. a. in der Geschichte der Naturwissenschaften)
Theo A. F. Kuipers: Structures in Science. Heuristic Patterns Based on Cognitive Structures. An Advanced Textbook in Neo-Classical Philosophy of Science (= Synthese Library. 301). Dordrecht u. a. 2001. (anspruchsvoll und inhaltsreich; analytische Wissenschaftstheorie)
Werner J. Patzelt: Formen und Aufgaben von ‚Theorieforschung‘ in den Sozialwissenschaften. In: Ethik und Sozialwissenschaften. Streitforum für Erwägungskultur. 1993, 4 (1), S. 111–123.
Hendrikje Schauer, Marcel Lepper: Theorie. 100 Bücher nach 2001. Stuttgart/ Weimar 2017, ISBN 978-1-4051-7666-8. (mit Leseliste, Übersetzungen, Chronologie, Register)
Helmut Seiffert, Gerard Radnitzky: Handlexikon der Wissenschaftstheorie. Deutscher Taschenbuch-Verlag, 1992, ISBN 3-423-04586-8.
Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Teilbände II/2 – 3. Berlin / Heidelberg / New York 1973/1986. (Theorienstruktur und Theoriendynamik; vielzitiert)
Patrick Suppes: Representation and Invariance of Scientific Structures. Stanford 2002, ISBN 1-57586-333-2.
Christian Thiel: Theorie. In: Jürgen Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. Band 4, Stuttgart/Weimar 1996, S. 260–270.
Peter V. Zima: Was ist Theorie? Theoriebegriff und Dialogische Theorie in den Kultur- und Sozialwissenschaften (= UTB. 2589). Tübingen u. a. 2004, ISBN 3-8252-2589-5. (mit ideologiekritischem Schwerpunkt)
Geschichte
Joachim Ritter: Die Lehre vom Ursprung und Sinn der Theorie bei Aristoteles (= Veröffentlichungen der Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen. Geisteswissenschaften. 1). Westdt. Verlag, Köln/Opladen 1953, , S. 32–54.
Immanuel Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag in der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. 1793 (neuerer Abdruck in: Immanuel Kant: Schriften zur Geschichtsphilosophie. reclam, Stuttgart 1985, ISBN 3-15-009694-4).
Beispiele
Kurt Lewin: Feldtheorie in den Sozialwissenschaften. Huber, Bern/Stuttgart 1963.
R. Westermann: Wissenschaftstheorie und Experimentalmethodik. Ein Lehrbuch zur psychologischen Methodenlehre. Göttingen u. a. 2000. (gut verstehbare Anwendung der analytischen Wissenschaftstheorie auf die Psychologie)
Stephan Kammer, Roger Lüdeke (Hrsg.): Texte zur Theorie des Textes. Reclam, Stuttgart 2005. (Quellentexte zur Texttheorie von Lotman, Barthes, Derrida, Bachtin, Ricoeur u. a.)
Heinrich Schipperges: Theorica medicina. In: Werner E. Gerabek u. a. (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. de Gruyter, Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1386–1388.
Weblinks
Einzelnachweise
Wissenschaftstheorie
Logik
Modellierung und Simulation
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Q17737
| 417.416251 |
126527
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tryptophan
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Tryptophan
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Tryptophan, abgekürzt Trp oder W, ist in der L-Form (siehe Fischer-Projektion) eine proteinogene α-Aminosäure mit einem aromatischen Indol-Ringsystem. Gemeinsam mit Phenylalanin, Tyrosin und Histidin zählt Tryptophan daher zu den aromatischen Aminosäuren. Es gehört zu den essentiellen Aminosäuren, kann also vom menschlichen Körper nicht gebildet und muss mit der Nahrung zugeführt werden.
Isomere
Tryptophan besitzt ein Stereozentrum, somit existieren zwei Enantiomere. Die natürlich Vorkommende Form wird als L-Tryptophan [Synonym: (S)-Tryptophan] bezeichnet.
Das Enantiomer D-Tryptophan (Spiegelbild von L-Tryptophan) und das Racemat (1:1-Gemisch aus D- und L-Form) besitzen nur eine geringe Bedeutung. Wird in diesem Artikel oder in der Literatur „Tryptophan“ ohne weiteren Namenszusatz (Präfix) erwähnt, ist L-Tryptophan gemeint.
Vorkommen
Tryptophan ist Bestandteil von Proteinen und Peptiden. Da der menschliche Organismus nicht in der Lage ist, diese Aminosäure herzustellen, ist er auf die Zufuhr mit der Nahrung angewiesen. Die folgenden Beispiele beziehen sich jeweils auf 100 g des Lebensmittels, zusätzlich ist der prozentuale Anteil von Tryptophan am Gesamtprotein angegeben:
Alle diese Nahrungsmittel enthalten ausschließlich chemisch gebundenes L-Tryptophan als Proteinbestandteil, jedoch kein freies L-Tryptophan.
Die Einschätzungen des Tagesbedarfs für gesunde Erwachsene reichen, je nach verwendeter Methode, von 3,5 bis 6 mg Tryptophan pro Kilogramm Körpergewicht. Es gibt Hinweise darauf, dass der Tryptophan-Bedarf individuell sehr verschieden ausfallen kann.
Eigenschaften
Die Aminosäuren-Seitenkette von Tryptophan ist lipophil und aromatisch. Daher ist es schlecht wasserlöslich. Sein isoelektrischer Punkt liegt bei 5,89, der pKCOOH ist 2,4, der pKNH2 9,3 (beide bei 25 °C).
Tryptophan ist oxidationsempfindlich. Es lässt sich unter vergleichsweise milden Bedingungen, beispielsweise durch Dimethylsulfoxid (DMSO) in Salzsäure, zu 2-Hydroxytryptophan oxidieren.
Das Van-der-Waals-Volumen von Tryptophan ist 163 und der Hydrophobizitätsgrad −0,9. Freies Tryptophan als auch proteingebundene Tryptophan-Einheiten fluoreszieren unter Ultraviolettstrahlung. Bei Anregung mit UV-Licht mit einer Wellenlänge von 280 nm erfolgt die Fluoreszenzemission zwischen 308 und 350 nm abhängig von der Polarität der direkten Umgebung von Tryptophan. Falls in Proteinen Tryptophan-Einheiten vorhanden sind, überdeckt die Fluoreszenz von Tryptophan die Fluoreszenz der übrigen aromatischen Aminosäuren (Tyrosin, Phenylalanin).
Gewinnung und Darstellung
Biosynthese
Pflanzen und Mikroorganismen können L-Tryptophan herstellen, unter anderem aus der Shikimisäure über den Shikimisäureweg, wobei das Enzym Anthranilat-Synthase () die Umwandlung von Chorismat in Anthranilat katalysiert. Letzteres kondensiert mit Phosphoribosylpyrophosphat (PRPP) unter Abspaltung von Diphosphat zu N-(5-Phosphoribosyl)-anthranilat (durch Anthranilat-phosphoribosyl-Transferase, ). Nach isomerer Umlagerung des Riboseanteils (durch die Phosphoribosylanthranilat-Isomerase, ) folgt unter Einfluss der Indol-3-glycerolphosphat-Synthase () mit Decarboxylierung der Ringschluss zu Indol-3-glycerolphosphat. In den beiden letzten Schritten wird Indol abgespalten, und aus diesem dann mit L-Serin das L-Tryptophan gebildet, beidenfalls katalysiert durch die Tryptophan-Synthase ().
Bei einem Bakterium wie E. coli wird die zelluläre Tryptophan-Synthese über das trp-Operon kontrolliert, in welchem nach einem regulatorischen Bereich – hier für Repression und auch für Attenuation – die Segmente der Gene trpE, G-D, C-F, B und A aufeinanderfolgen. Diese werden gemeinsam als polycistronische mRNA transkribiert und führen in Polypeptide translatiert zur Bildung der teils heterotetramer assoziierten Proteine. Diese Multienzymkomplexe entfalten je entsprechend ihren Untereinheiten die Wirksamkeit von Anthranilat-synthase (trp-E und trp-G) und Anthranilat-phosphoribosyl-transferase (trp-D), Phosphoribosyl-anthranilat-isomerase (trp-F) und Indol-glycerolphosphat-synthase (trp-C), sowie Tryptophan-synthase (trp-A und trp-B).
Industrielle Synthese
Die industrielle Produktion von L-Tryptophan geschieht ebenfalls biosynthetisch aus L-Serin und Indol und nutzt dazu eine Wildtypmutante von Escherichia coli. Die Umsetzung wird dabei durch das Enzym Tryptophansynthase katalysiert.
Verwendung
Arzneimittel/Nahrungsergänzung/Ernährung
Als Bestandteil von Nährlösungen zur parenteralen Ernährung findet L-Tryptophan, neben anderen Aminosäuren, breite Anwendung.
Wirkung
Die Wirkung von L-Tryptophan wird oft als stimmungsaufhellend, beruhigend und gewichtsreduzierend beschrieben. Die stimmungsaufhellende Wirkung von L-Tryptophan beruht dabei vermutlich darauf, dass es im menschlichen Körper zu Serotonin umgewandelt wird. Es wird angenommen, dass durch einen erhöhten Serotoninspiegel die Stimmung aufgehellt und Depressionen gelindert werden können. Sollte Tryptophan zusätzlich in Form von Nahrungsergänzungsmittel aufgenommen werden, auch zusammen mit Medikamenten, die den Serotoninspiegel weiter erhöhen, kann das sogenannte Serotoninsyndrom auftreten. Als Nebenwirkungen sind hierbei zahlreiche Symptome wie z. B. Blutdruckanstieg (in schweren Fällen Koma und Schock), Hyperthermie, Schwitzen, Zittern, Myoklonie, Unruhe oder Durchfall bekannt.
Die Plasmahalbwertszeit beträgt 2 ± 0,1 Stunden; bei Lebererkrankungen wie Leberzirrhose kann diese auf 4,7 ± 0,4 h ansteigen.
Pharmakologie
L-Tryptophan gilt als „natürliches Antidepressivum“, ihm wird eine gewisse Wirksamkeit bei depressiven Erkrankungen bei gleichzeitig geringen Nebenwirkungen nachgesagt. Wissenschaftliche Belege einer Wirkung durch zusätzliche Tryptophangaben (z. B. als Nahrungsergänzungsmittel) fehlen jedoch.
Als schlichte Nahrungsergänzung ist L-Tryptophan nur bei gesichertem Mangel sinnvoll, der in Industrieländern praktisch unbekannt ist. Bei einer Fruktosemalabsorption ist jedoch ein signifikant erniedrigter Serumtryptophanspiegel beobachtet worden.
Der Spiegel dieser essentiellen L-Aminosäure in der Nährflüssigkeit des Gehirns ist nicht beliebig durch Verzehr entsprechend eiweißhaltiger Nahrung einstellbar, denn L-Tryptophan konkurriert mit fünf anderen Aminosäuren an der Blut-Hirn-Schranke um das Eindringen in die Nährflüssigkeit des Gehirns; nämlich mit den verzweigtkettigen (das sind L-Valin, L-Leucin und L-Isoleucin) und zwei aromatischen (L-Phenylalanin und L-Tyrosin) Aminosäuren. Dennoch lässt sich durch Nahrungsaufnahme der L-Tryptophanspiegel heben, indem man Kohlenhydrate zu einer eiweißreichen Mahlzeit verzehrt. Durch einen erhöhten Insulinspiegel werden die verzweigtkettigen Aminosäuren vorzugsweise von den Muskeln des Körpers aufgenommen. Obschon die Aminosäuren Valin, Leucin, Isoleucin, Arginin und Phenylalanin die Ausschüttung von Insulin stimulieren, wird durch Kohlenhydrate die Insulinausschüttung noch zusätzlich stimuliert und der Effekt so verstärkt. Die Konkurrenz um die Carrierproteine an der Blut-Hirn-Schranke verringert sich, Tryptophan sowie Phenylalanin und Tyrosin können in der Folge leichter die Blut-Hirn-Schranke passieren.
Statt L-Tryptophan wurde bei einem Serotoninmangel vorgeschlagen, L-5-Hydroxytryptophan einzunehmen, wodurch sich die Spiegel an Serotonin- bzw. Melatonin erhöhen sollen. Die Einnahme ist jedoch mit der Gefahr ernster Gesundheitsschäden bei längerfristiger und/oder hochdosierter Einnahme und im Allgemeinen mit mehr Nebenwirkungen verbunden.
Dosierung
Zu einer Überdosierung von L-Tryptophan kommt es nur schwerlich, da L-Tryptophan selbst der Hauptaktivator seines abbauenden Enzyms Tryptophan-Pyrrolase (genauer: Tryptophan-2,3-Dioxygenase, ) ist. Ein weiterer Aktivator ist Cortisol. Dies liefert auch eine Erklärung dafür, dass Stress (und der dadurch erhöhte Cortisolspiegel) zu einem verminderten Umsatz von L-Tryptophan zu 5-HTP führt. Nicotinsäure (Vitamin-B3) hingegen hemmt die Aktivität des Enzyms und fördert so den Umsatz von L-Tryptophan zu 5-HTP. Tryptophan-Pyrrolase baut L-Tryptophan unter Sauerstoffverbrauch zu N-Formyl-L-Kynurenin ab, welches in weitere Stoffe umgewandelt werden kann (u. a. Nicotinsäure). Dies ist auch der Hauptstoffwechselweg von L-Tryptophan (nur etwa 3 % wird zu 5-HTP bzw. Serotonin umgewandelt). Dabei fungiert Häm (Eisen) als Cofaktor. Einer Erhöhung der Zufuhr von L-Tryptophan steht ab einer gewissen Grenze eine überproportionale Aktivierung der Tryptophan-Pyrrolase gegenüber, so dass im Ergebnis mehr L-Tryptophan abgebaut wird, als zusätzlich zugeführt worden ist.
Daher kann es bei therapeutischer Verwendung sinnvoll sein, mindestens einmal die Woche eine Einnahmepause zu machen.
Rechtliche Situation
L-Tryptophan ist in Deutschland zur Behandlung depressiver Erkrankungen nicht zugelassen. Als mildes Schlafmittel dürfen Tryptophan-haltige Arzneimittel ohne Rezept abgegeben werden (erhältlich als Tabletten mit 500 mg L-Tryptophan in variablen Packungsgrößen). Die Kennzeichnung der Packung muss vor der Einnahme durch Schwangere, Stillende sowie Kinder und Jugendliche warnen, auf die mögliche Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit hinweisen und vor der Einnahme die Rücksprache mit einem Arzt oder Therapeuten nahelegen. In Österreich ist L-Tryptophan rezeptpflichtig, in der Schweiz ist es als Nahrungsergänzungsmittel bis 240 mg Tageshöchstdosis weder rezept- noch apothekenpflichtig.
Tryptophan-Skandal 1989
L-Tryptophan war bis Januar 1996 in den Vereinigten Staaten verboten. Das Verbot geht zurück auf die Verwendung von vermutlich verunreinigtem L-Tryptophan des japanischen Unternehmens Shōwa Denkō in den 1980er Jahren. Diese Substanz enthielt u. a. ‚dimere‘ Tryptophan-Derivate, war gentechnisch hergestellt worden und soll für das Auftreten von EMS-Fällen (Eosinophilie-Myalgie-Syndrom) mit teilweise tödlichem Ausgang verantwortlich gewesen sein. Die Entstehung des EMS ist nicht vollständig geklärt und dessen Wiederauftreten im Zusammenhang mit einer Einnahme von Tryptophan kann nicht ausgeschlossen werden. Schließlich konnten auch im Tierversuch Symptome des EMS mit Tryptophan-Derivaten und mit nicht verunreinigtem Tryptophan ausgelöst werden.
Futtermittel
Viele Getreidesorten weisen einen zu geringen Gehalt einer essentiellen Aminosäure auf. Durch diesen Mangel an nur einer Aminosäure sinkt die Verwertbarkeit aller aufgenommenen Aminosäuren auf den durch die in zu geringer Menge enthaltene essentielle Aminosäure („limitierende Aminosäure“) bestimmten Wert; die biologische Wertigkeit ist reduziert. Der Nährwert des Getreides kann dann durch den gezielten Zusatz geringer Mengen jener essentieller Aminosäuren, die darin defizitär sind, gesteigert werden. Der Zusatz von L-Tryptophan zu Mischfuttern ist in der Futtermittel-Industrie verbreitet.
Biologische Bedeutung
Das Codon UGG codiert die Aminosäure Tryptophan.
L-Tryptophan ist am Aufbau von diversen Proteinen im menschlichen Körper beteiligt, z. B. in den Muskeln, im Apolipoprotein B100 (Teil des Cholesterin-Transportmoleküls LDL) oder in Enzymen.
Es dient als Vorläufer für verschiedene Botenstoffe (Neurotransmitter, Hormone) wie Serotonin und Melatonin.
L-Tryptophan ist Provitamin für Vitamin B3.
Serotoninsynthese (Mensch)
L-Tryptophan wird durch das Enzym Tryptophan-Hydroxylase (TPH, ) in 5-Hydroxytryptophan (5-HTP) überführt. Die Tryptophanhydroxylase kann durch eine Reihe an Faktoren gehemmt werden, so z. B. durch Vitamin-B6- / Vitamin-B3-Mangel, Insulinresistenz, Magnesiummangel, aber auch durch Stress. Da der Übergang vom L-Tryptophan zum 5-HTP bei der körpereigenen Serotoninsynthese der geschwindigkeitsbestimmende Schritt ist, kommt der Tryptophan-Hydroxylase eine wichtige Regelfunktion dieses Syntheseweges zu.
5-HTP (auch bekannt unter dem Namen Oxitriptan) wird durch das Enzym Hydroxytryptophan-Decarboxylase (genauer: Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase, AADC, ) in Serotonin überführt. Das Vitamin-B6-Derivat Pyridoxalphosphat wirkt dabei als Cofaktor und verstärkt (oder vermindert) in Abhängigkeit seines Vorhandenseins die Aktivität der Hydroxytryptophan-Decarboxylase.
Abbau von Tryptophan
Der Abbau von L-Tryptophan erfordert die Spaltung beider aromatischer Ringe, was durch Oxygenasen katalysiert wird. Dabei wird durch die Tryptophan-2,3-Dioxygenase zunächst der Pyrrolring aufgebrochen, wodurch über die Abspaltung von Ameisensäure (mithilfe der Arylformamidase) Kynurenin entsteht. Dieses wird durch die Kynurenin-3-Monooxygenase (), zu 3-Hydroxykynurenin umgesetzt. Cofaktor ist dabei FAD, Cosubstrate sind molekularer Sauerstoff und NADPH. Nach Abspaltung von Alanin (mittels Kynureninase) katalysiert eine weitere Dioxygenase, die 3-Hydroxyanthranilat-3,4-Dioxygenase, die Spaltung des verbliebenen Aromatenrings, so dass nach mehreren Reaktionsschritten schließlich Acetacetat vorliegt. Der instabile Aldehyd, der nach Anwendung der zweiten Dioxygenase entsteht und sich spontan in Chinolinat umwandelt, wird teilweise bei der NAD-Biosynthese verwendet.
Mehrere der beim Abbau beteiligten Enzyme scheinen bei Ratten im Alter an Aktivität zu verlieren.
Bei der Oxidation von Tryptophan oder Tryptophan-Einheiten von Proteinen durch Photooxidation oder Sauerstoffradikale entsteht eine Vielzahl von Oxidationsprodukten, die bisher noch nicht alle identifiziert werden konnten.
Tryptophan und Immunsystem
Indolamin-2,3-Dioxygenase (IDO) ist ein Isoenzym der Tryptophan-2,3-Dioxygenase (Tryptophan-Pyrrolase), das während einer Immunreaktion aktiviert wird, um die Verfügbarkeit von Tryptophan für z. B. virusinfizierte Zellen oder Krebszellen und damit deren Wachstum einzuschränken. Aus diesem Grund werden im Blut von Patienten mit solchen Erkrankungen auch verminderte Tryptophanspiegel mit einer gleichzeitig gesteigerten Abbaurate beobachtet: je stärker die Tryptophanverminderung beim Patienten ausgeprägt ist, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit einer kürzeren Überlebenszeit. Die verminderte Tryptophanverfügbarkeit ist aber auch mit ein Grund für eine gesteigerte Depressionsneigung bei diesen Patienten.
Handelsnamen
Monopräparate
Ardeydorm (D), Ardeytropin (D), Kalma (A, D), sowie ein Generikum (D)
Kombinationspräparate
AKE (D), Alvesin (D), Aminofusin (D), Aminomel (D, A), Aminomix (D, A), Aminopäd (D, A), Aminoplasmal (D, A), Aminosteril (D), Aminoven (D), Clinimix (D, A), Custodiol (D, A), Deltamin (D), Glamin (D), Glavcamin (A), Infesol (D), Intrafusin (D), Kabiven (D), Nephrotect (D), Nutriflex (D, A), OliClinomed (D, A), Pädamin (A), Parentamin (D), Periplasmal (D, A), Salviamin (D), SmofKabiven (A), StructoKabiven (D, A), Synthamin (D), Vamin (A), Vitromix (A)
Siehe auch
Blaue-Windeln-Syndrom
Attenuation am Beispiel des Tryptophan
Literatur
Berg/Tymoczko/Stryer: Biochemie, 5. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag GmbH Heidelberg 2003, ISBN 3-8274-1303-6.
Burger/Wachter: Hunnius Pharmazeutisches Wörterbuch Walter de Gruyter, 7. Auflage, Verlag 1993, ISBN 3-11-013868-9.
Weblinks
Unabhängige Pharmainformation über L-Tryptophan. bei der Medizinischen Universität Innsbruck, 1989
Einzelnachweise
Tryptamin
Proteinogene Aminosäure
Arzneistoff
Antidepressivum
Hypnotikum
Sedativum
Nahrungsergänzungsmittel
Psychotropes Tryptamin
Psychotroper Wirkstoff
Alpha-Aminopropansäure
Futtermittelzusatzstoff (EU)
|
Q181003
| 128.482911 |
640331
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vulkankrater
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Vulkankrater
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Der Vulkankrater ist die schüsselförmige, oft schachtartige Vertiefung, aus der bei einem Vulkan das Magma austritt oder ausgetreten ist. Bei einem Schichtvulkan oder einem Zentralvulkan liegt der Krater oft am Gipfel des Vulkans. Gibt es mehrere Krater, so wird der größte und gipfelnächste als Hauptkrater, die anderen Krater als Nebenkrater bezeichnet.
Bei einem Vulkanausbruch werden nicht nur glutflüssige, sondern auch feste oder gasförmige Stoffe über den Vulkankrater freigesetzt (Vulkanismus), wenn der Druck durch die Gase infolge der hohen Temperatur der zähflüssigen Magma ansteigt, weil im Vulkankrater selbst sich die Lava abkühlt und allmählich zu einem Verschließen der Vulkanschlote führt. Die Gase können nicht anders als durch eine Eruption entweichen.
Definition und Abgrenzung
Typischerweise ist ein Vulkankrater eine trichter- bis schüsselförmige Vertiefung an der Spitze eines kegelförmigen Vulkangebäudes, meist über dem zentralen Vulkanschlot. Der Begriff ist aber nicht eindeutig definiert, insbesondere zum Maar und zur Caldera sind die Abgrenzungen fließend. Umgangssprachlich wird der Begriff Krater verwendet, um eine Vertiefung in einem Vulkan zu benennen, unabhängig von der Entstehung oder der Lage oberhalb oder unterhalb der Erdoberfläche.
Entstehung und Kratertypen
Ein Krater ist immer eine Einsenkung, eine Hohlform in der Erdoberfläche oder in einem Berg. Diese entstehen auf verschiedene Weise.
Kleinere Krater können einfach durch den Auswurf eruptiven Magmas, das durch aufgrund des Druckabfalls beim Aufstieg zur Erdoberfläche entgast, entstehen. Die sich bildenden Gasblasen zerreißen (fragmentieren) das Magma, das aufgrund des Gasdrucks (durch Volumenzunahme beim Ausgasen) explosiv mehr oder weniger hochgeschleudert wird und rings um den Schlot herabfällt und so einen Wall aufbaut. Das zerrissene („pyroklastische“) und dann abgekühlte Material (Tephra) bildet so einen Tuffwall (manchmal Umwallungskrater genannt) und bildet einen Schlackenkegel, Aschenkegel oder Tuffkegel genannten Vulkanbau. Am konkreten Aufbau des Kraters sind allerdings Erosionsvorgänge bereits in einer früheren Phase der Eruption abgelagerter Tephraablagerungen (die durch die Eruptionssäule weggeblasen werden) und Abrutschungen der zunächst zu steilen, instabilen Innenwände beteiligt.
Neben diesen „positiven“ Kratern, die sich durch hinzukommendes Material über der Oberfläche aufbauen, sind viele, darunter fast alle größeren, „negative“ Krater, die durch Einsturz oder Explosion, also die Entfernung zuvor vorhandenen oder abgelagerten Materials entstehen.
Einsturzkrater entstehen, wenn die Oberfläche über einem in der Tiefe entstehenden Hohlraum nachgibt und einstürzt. Der Unterschied zwischen einem „Krater“ und einer „Caldera“ ist unscharf definiert und fließend. Die größten Einsturzkrater werden Caldera genannt, sie haben Durchmesser im Kilometerbereich, minimal etwa ein bis zwei Kilometer meist mehrere Kilometer. Sie entstehen typischerweise, wenn das Dach einer durch vorangehende Eruptionen entleeerten, mehr oder weniger oberflächennahen Magmakammer einstürzt. Das fehlende Material kann durch den seitlichen Ausfluss flüssiger, basaltischer Lava oder durch den explosiven Auswurf von Tephra nach oben entleert worden sein. An der Gestalt einer Caldera sind immer auch nachfolgende Erosionsprozesse beteiligt. Die Decke kann dabei mehr oder weniger zusammenhängend großflächig absacken, so dass am Grund der Caldera die alte Bodenoberfläche erhalten bleibt, nur tiefer liegend als vorher.
Kleinere Einsturzkrater werden Pitkrater genannt. Diese kreisförmigen, extrem steilwandigen Kessel von bis zu etwa einem Kilometer Durchmesser und bis 300 Meter Tiefe entstehen meist, wenn flüssiges Magma an Flanken eines großen komplexen Vulkangebäudes austritt und dadurch unter dem Berg ein Hohlraum entsteht, der einstürzt. Pitkrater sind etwa typisch für den Vulkanismus Hawaiis. Der Grund eines Pitkraters in einem aktiven Vulkan kann durch einen Lavasee ausgefüllt sein.
Explosionskrater entstehen, wenn die Hohlform des Kraters durch Explosionsvorgänge ausgeräumt wurde. Neben explosiven vulkanischen Vorgängen sind an ihrer Entstehung oft Wasserdampfexplosionen beteiligt, wenn glutflüssiges Magma in Nähe der Erdoberfläche auf Grundwasserstockwerke trifft oder wenn das aufsteigende Magma von Inselvulkanen mit Meerwasser in Kontakt tritt. Ein durch eine solche Wasserdampfexplosion ausgeräumter Krater wird ein Maar genannt. Der Auswurf eines Maarvulkans besteht also neben Tephra (meist als Tuff), der oft einen Tuffring um das Maar herum aufbaut, aus großen Mengen explosiv zerrissenen Nebengesteins. Beim historischen Vulkanismus in Mitteleuropa begannen Vulkanausbrüche in den meisten Fällen mit der Bildung eines Maars. Wenn die Aktivität anhielt, konnte sich in dessen Inneren später ein Schlackenkegel (gelegentlich auch ein Lavasee) ausbilden.
Kraterreihe
Wenn es sich um einen Spaltenausbruch handelt, können sich über einer sich öffnenden Vulkanspalte regelrechte Reihen von Kratern aufbauen. Beispiele sind die Laki-Krater oder die Vatnaöldur-Krater in Island oder auch die Kraterreihe La Chaîne des Puys in der Auvergne in Frankreich.
Siehe auch
Pseudokrater
Literatur
Felix Frank: Handbuch der 1350 aktiven Vulkane der Welt. Ott Verlag, Thun 2003, ISBN 3-7225-6792-0.
Alfred Rittmann: Vulkane und ihre Tätigkeit. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1981, ISBN 3-432-87793-5.
Weblinks
Krater beim Global Volcanism Program (englisch)
Fotosammlung von Vulkankratern
Einzelnachweise
Endogene Morphodynamik
Vulkanismus
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Q109391
| 167.463135 |
12115
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bischof
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Bischof
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Ein Bischof (von ‚Aufseher‘, ‚Hüter‘, ‚Schützer‘) ist in christlichen Kirchen der Inhaber eines Leitungsamtes geistlicher und administrativer Art. Meistens handelt es sich um die Leitung innerhalb eines bestimmten Gebietes mit mehreren Lokalgemeinden. Das Bischofsamt und auch die Gesamtheit der Bischöfe werden als Episkopat bezeichnet. Die Bischöfe sind Teil des Bischofskollegiums.
Neues Testament und frühes Christentum
Das Neue Testament der Bibel bietet einige Anhaltspunkte für das Wesen des christlichen Bischofs:
Der Gemeindeleiter – :
Einsetzung geeigneter Bischöfe und Ältester – :
Das Bischofsamt in einer frühchristlichen Kirchenordnung (2. Jh.) – Didache 15,1–2:
Alte Kirche
Im Neuen Testament bezeichnen die griechischen Wörter epískopos (ἐπίσκοπος, „Aufseher“), presbýteros (πρεσβύτερος, „Ältester“, die Wurzel des Wortes „Priester“) und diákonos (διάκονος, „Diener“) Dienste in der Gemeinde.
Die frühen Christengemeinden wurden nicht von Einzelnen, sondern – wie auch in anderen religiösen Gemeinschaften im Altertum üblich – von einer Gruppe Ältester geleitet. Diese setzten bei Bedarf und meist zeitlich befristet einen epískopos ein oder wählten ihn auch wieder ab. Erst im Verlauf der ersten Jahrhunderte und abhängig vom Organisationsgrad der jeweiligen Gemeinde entwickelte sich neben dem Ältestenrat auch das Amt des Bischofs und des Diakons als Dauereinrichtungen mit definierten Zuständigkeiten. In dieser Zeit entstand also schrittweise und in regional sehr unterschiedlicher Geschwindigkeit das sogenannte „monarchische Episkopat“, in dem schließlich dem Bischof allein (mónos, ) die Führung (archía, ) übertragen wurde, nachdem ihn der Ältestenrat vorgeschlagen und die Gemeinde bestätigt hatte. Denn es galt der Grundsatz: „Wer allen vorsteht, muss von allen gewählt werden.“ Nach geltender katholischer Lehre bestand das monarchische Episkopat hingegen bereits in der Mitte des ersten Jahrhunderts, und Simon Petrus sei der erste Bischof von Rom gewesen.
Erstmals zeitgenössisch belegt ist ein Monepiskopat im zweiten Jahrhundert in den Schriften des Ignatius von Antiochien, doch erst in der Spätantike wurden die Presbyter systematisch von der Leitung der Gemeinde ausgeschlossen und eine eindeutige Hierarchie geschaffen. Im späten 2. und 3. Jahrhundert war der Bischof hingegen zumeist lediglich der Leiter einer lokalen Gemeinde, die teils weniger als 20 Personen umfasste, predigte und leitete die Feier der Eucharistie. Unterstützt wurde er von einem Gremium von Ältesten und von Diakonen. Diese Amtsfunktionen sind, mit unterschiedlichen Bezeichnungen, bis heute in den meisten Kirchen vorhanden.
Nach dem Ende des apostolischen Zeitalters der Kirche etablierten sich seit dem ausgehenden zweiten Jahrhundert mehr und mehr auch Bischöfe, die über mehrere Gemeinden die Aufsicht führten. In solchen Fällen leiteten dann Presbyter als Vertreter des Bischofs die Eucharistiefeier in den lokalen Gemeinden, die Diakone, waren die Mitarbeiter des Bischofs auf gemeindeübergreifender Ebene. Der Bereich eines solchen Bischofs wurde seit dem 4. Jahrhundert Diözese (von griech. dioíkēsis ‚Verwaltung[sbezirk]‘) genannt und umfasste meist eine Stadt und die umliegenden Dörfer; die Stadt war der Bischofssitz. Die Kirche übernahm damit die administrative Struktur des spätantiken Römischen Reiches, in dem es ebenfalls Diözesen gab: Die kirchliche Hierarchie (Bistum, Diözese und Patriarchat) entsprach teils sogar in der Grenzziehung der Sprengel genau der weltlichen von Provinz bzw. Civitas, Diözese und Prätorianerpräfektur. Sie bewahrte sie über das Ende der römischen Herrschaft hinaus.
Als Nord- und Mitteldeutschland sowie andere nord- und osteuropäischen Gebiete jenseits der römischen Grenzen christianisiert wurden, gab es dort noch keine Städte, daher wurden die neuen Diözesen dort ziemlich große ländliche Bezirke. Noch heute sind die Diözesen hier viel größer als im einstigen Gebiet des Imperium Romanum, wo es schon in der Antike Städte gab.
In der Auseinandersetzung mit häretischen Strömungen entwickelten sich drei Normen, um die christliche Glaubenslehre von abweichenden Lehren zu unterscheiden:
der Kanon der Schrift
die allgemein akzeptierten Glaubensbekenntnisse
das Episkopat als Amt der Lehre und der Liturgie, die in der Tradition der Kirche steht
In der Folge kam es bei den Bischöfen zu unterschiedlichen Verantwortungsbereichen, wobei manche Bischöfe, gewöhnlich diejenigen einer Provinzhauptstadt, eine Aufsichtsfunktion über die übrigen Bischöfe der Gegend bekamen, woraus sich dann eine Rangordnung von Patriarch, Metropolit oder Erzbischof und Bischof entwickelte (Kirchenprovinz).
Bischofsamt in den christlichen Denominationen
Römisch-katholische Kirche
Beim Bischofsamt handelt sich um die höchste Stufe des Weihesakramentes. In der Nachfolge der Apostel repräsentieren die Bischöfe Christus in der Kirche:
So setzt sich nach katholischer Lehre in den Bischöfen die Lehr- und Leitungsvollmacht fort, die Jesus den zwölf Aposteln übertrug. Das Bischofskollegium folgt dem Apostelkollegium nach. In einer ununterbrochenen „Reihe der Handauflegungen“ (apostolische Sukzession) sind die heutigen Bischöfe mit den Aposteln verbunden. Dabei ist nicht der „formaljuristische Beweis“ der Nachfolge entscheidend. Die Sukzession ist ein Zeichen der Nachfolge nur im Zusammenhang mit der Übereinstimmung mit dem Glauben der vorgehenden Bischöfe.
Der oberste Dienst der Einheit kommt dem Bischof von Rom zu.
In den Teilkirchen (Diözesen) übt ein Bischof das höchste Hirtenamt aus:
So hat der Bischof in Ausübung seines Hirtenamtes (munus pascendi) in seiner Diözese, unbeschadet der Pflichten gegen den Papst, die Fülle der Leitungs-, Lehr- und Heiligungsgewalt inne („als Lehrer in der Unterweisung, als Priester im heiligen Kult, als Diener in der Leitung“) und ist damit auch der erste Spender der Sakramente.
Vorbehalten sind ihm die Spendung des Weihesakramentes (Bischofsweihe, Priesterweihe und Diakonenweihe) und die Firmung (diese ist im Ausnahmefall an Priester delegierbar). Auch die Spendung bestimmter Sakramentalien – wie etwa die Jungfrauenweihe, die Weihe der Heiligen Öle und die Kirch- und Altarweihe – bleiben dem Ortsbischof vorbehalten.
Ein römisch-katholischer Bischof ist männlich. Vor der Bischofsweihe muss er zum Diakon und dann zum Priester geweiht worden sein. Die Weihe zum Bischof erfolgt durch einen anderen Bischof, mit mindestens zwei assistierenden Bischöfen, (Hauptkonsekrator und Mitkonsekratoren). Der Bischof leistet einen Treueid gegenüber dem Papst (can. 380 CIC/1983). Legitim ist die Weihe nur, wenn sie der Papst zuvor erlaubt hat. Das entsprechende Dekret wird in der Weiheliturgie verlesen.
Ortsbischöfe (Diözesanbischöfe) werden direkt vom Papst ernannt oder – je nach geltendem Staatskirchenrecht – von verschiedenen Wahlgremien, z. B. dem Domkapitel, gewählt. Eine solche Wahl ist rechtmäßig, wenn sie vom Papst bestätigt wird. Voraussetzung für den Amtsantritt ist die Bischofsweihe, die dem Ernannten – so er noch nicht Bischof ist – zuvor gespendet wird.
Sakramental ist der Ernannte mit der Bischofsweihe Bischof. Diözesanbischof wird er mit der Amtseinführung, mit der er von seinem Amt „Besitz ergreift“ (CIC can. 382 § 2f.). Das geschieht in der Regel im Weihegottesdienst, bei einem bereits geweihten neuen Diözesanbischof, oder in einem Einführungsgottesdienst, in dem er das apostolische Schreiben seiner Ernennung vorzeigt.
Das Bischofsamt besteht auf Lebenszeit. Mit Vollendung des 75. Lebensjahres sind jedoch alle Diözesanbischöfe gemäß Kirchenrecht und dem Apostolischen Schreiben Imparare a congedarsi angehalten, dem Papst den Amtsverzicht anzubieten (siehe Altdiözesanbischof). Ebenso kann ein Bischof schon vor Erreichen des 75. Lebensjahres den Amtsverzicht anbieten, wenn er wegen „angegriffener Gesundheit oder aus einem anderen schwerwiegenden Grund“ nicht mehr in der Lage ist, seine Amtsgeschäfte wahrzunehmen (emeritierter Bischof). Ein Amtsverzicht wird allerdings nicht immer angenommen.
Bischof und Papst
Die Bischöfe sind dem Jurisdiktionsprimat des Papstes unterstellt. Zu diesem gehören insbesondere:
die Ernennung zum (Weih-)Bischof
die Einsetzung und Absetzung eines Ortsbischofs einer Diözese
die Entscheidung in Strafsachen (Kirchenrecht)
Laut Überlieferung und Tradition der katholischen Kirche war der Apostel Petrus der erste Bischof der Stadt Rom; hierauf beruht der Primat seines Nachfolgers auf dem Stuhl Petri. Dem Papst stehen in seinen Aufgaben die Römische Kurie und die Rota Romana als geistlicher Gerichtsstand der Bischöfe unterstützend zur Verfügung. Für den Papst gilt: Zwar kann jeder männliche Katholik, der zur Amtsübernahme fähig und willens ist, zum Bischof von Rom gewählt werden; ist der Gewählte aber kein Bischof, werden ihm noch im Konklave die nötigen Weihen gespendet. Praktisch hat das keine Bedeutung, da seit der Wahl Urbans VI. 1378 alle Päpste dem Kardinalskollegium entstammten. Als letzter Papst, der bei seiner Wahl zwar Kardinal, aber nicht Bischof war, wurde Gregor XVI. im Jahr 1831 gewählt.
Zahl katholischer Bischöfe
2019 gab es weltweit 5.389 Bischöfe, davon 4.116 Diözesanbischöfe.
Ämterhierarchie
Ein Bischof ist entweder Diözesanbischof (auch residierender Bischof oder Ortsbischof genannt) oder Titularbischof. Weihbischöfe sind stets Titularbischöfe und einem Diözesanbischof als Helfer bei den bischöflichen Funktionen zugeordnet. Der Diözesanbischof ist Vorsteher seiner Diözese (Bistum) und hat über sie die volle Leitungsgewalt (oberste Lehr- und Rechtsvollmacht) inne. Er ist allein dem Papst verantwortlich. Zur Verwaltung der Diözese stehen dem Bischof mehrere Kleriker zur Seite, die mit ihm die bischöfliche Kurie bilden; unter anderen der Generalvikar (der allgemeine und ständige Vertreter des Bischofs), der Offizial (Inhaber der ordentlichen Gerichtsgewalt) und der Kanzler (Vorsteher der bischöflichen Registratur). Priester- und Laiengremien haben beratende Funktionen. Bischöfe beraten sich über Bistumsgrenzen hinaus in der meist nationalen Bischofskonferenz. Bei Bedarf kann ein Bischof für seine Diözese auch eine Diözesansynode einberufen.
Der Diözesanbischof kann durch Weihbischöfe unterstützt werden, die meist jeweils einen Teil des Bistums im Auftrag des Diözesanbischofs betreuen. Andere Weihbischöfe haben besondere seelsorgerische Aufgaben oder sind Teil der bischöflichen Kurie. Im deutschen Sprachraum haben, auch aus geschichtlichen Gründen, fast alle Diözesen mehrere Weihbischöfe, was andernorts nicht so ist.
Ein Metropolit bzw. Erzbischof ist der Vorsteher einer Kirchenprovinz, die aus mehreren Bistümern, den Suffraganbistümern, besteht. Der Metropolit ist Diözesanbischof innerhalb der Kirchenprovinz. Eine Leitungsgewalt in den Suffraganbistümern hat er aber nicht.
Der Begriff Erzbischof war ursprünglich mit dem des Metropoliten gleichbedeutend. Als Erzbischof werden allerdings auch die Titularbischöfe ehemaliger Erzbistümer bezeichnet, die keinerlei Jurisdiktion besitzen. Von da ausgehend hat sich die Bezeichnung Erzbischof heute auch als eine Art Rang etabliert; sämtliche kirchenrechtlichen Funktionen des Metropoliten werden nur noch unter dem letzteren Titel im Kirchenrecht aufgeführt. Ranghohe Kurienbischöfe und alle Nuntii werden zu Titularerzbischöfen ernannt. Einzelne exemte und Suffragandiözesen haben den Ehrenrang Erzdiözese erhalten (z. B. Straßburg), und auch einzelne Bischöfe anderer Diözesen erhalten den Ehrentitel Erzbischof (z. B. Josef Stimpfle). Dabei sind als gängige Praxis vor allem zwei Dinge zu beobachten: Kurienerzbischöfe, die auf einen einfachen Bischofssitz versetzt werden, behalten stets ihren Titel (z. B. Johannes Dyba). Und bei Zirkumskriptionsveränderungen werden zwar Metropolitansitze aufgehoben oder verschoben, die so degradierten Bistümer aber ausnahmslos dadurch entschädigt, dass sie weiterhin im Range einer Erzdiözese verbleiben (z. B. Aix et Arles). Dennoch werden die Begriffe Erzbischof und Metropolit, wenigstens in Deutschland, weiterhin landläufig als Synonyme verwendet. Vor diesem Hintergrund ist es als Kuriosum zu werten, dass die Erzbischöfe von Udine und Izmir als „Metropoliten ohne Suffragane“ aufgeführt werden. Dennoch sind Erzbischöfe ohne Metropolitansitz weiterhin sowohl grundsätzlich wie zahlenmäßig die Ausnahme.
Manche römisch-katholische Bischöfe tragen den Ehrentitel eines Patriarchen (Venedig, Lissabon, Ostindien), andere sind Patriarchen im Sinne einer eigenen Jurisdiktion über ihr Patriarchat (Unierte Ostkirchen und Jerusalem), verbunden mit besonderen Vorrechten. Bis 2005 gehörte der Titel „Patriarch des Abendlandes“ (auch „Patriarch des Westens“) zu den Titeln des Papstes und kennzeichnete den Papst als Patriarchen mit der Jurisdiktion über die Westkirche.
Die Kardinäle werden vom Papst ernannt und wählen nach dem Ende eines Pontifikates den Nachfolger. In der Regel ist ein Kardinal vor seiner Ernennung bereits zum Bischof geweiht, ansonsten hat dies gemäß Kirchenrecht nach der Ernennung zu geschehen. Im Einzelfall (z. B. bei hohem Alter), kann der Papst davon dispensieren (so geschehen bei Leo Kardinal Scheffczyk, Karl Josef Kardinal Becker SJ und zuletzt im November 2020 bei Raniero Cantalamessa OFMCap). Davon abgesehen, hat die Kardinalswürde nichts mit dem Amt des Bischofs zu tun. Lediglich die Kardinalbischöfe sind historisch aus bischöflichen Ämtern hervorgegangen, nämlich aus den Suffraganen des Papstes. Die Kardinalpriester und -diakone führen sich dagegen nicht auf Bischofsämter, sondern auf die der römischen Stadtpfarrer und -diakone zurück; bei der ursprünglich den Kardinalbischöfen zustehenden Papstwahl hatten diese Klassen zunächst ein Beratungsrecht und erhielten 1059 dann ein Stimmrecht.
Der Papst als Bischof von Rom leitet die Weltkirche und hat die oberste Jurisdiktion über alle Bischöfe inne (Jurisdiktionsprimat). Zur Verwaltung der Weltkirche steht dem Papst die römische Kurie zur Seite. Seine wichtigsten Mitarbeiter stehen im Rang eines Kardinals (Kurienkardinal) oder Titularbischofs (Erzbischof oder Bischof).
Aspekte des Amtes
Bischöflicher Stuhl
Der Bischöfliche Stuhl repräsentiert das Amt eines Bischofs und ist sowohl eigenständiges Rechtssubjekt als auch Vermögensträger, in Deutschland meist als Körperschaft des öffentlichen Rechts. Neben dem Bischof als Repräsentant gehören zum bischöflichen Stuhl auch die Verwaltungseinrichtungen der Diözesankurie. Wenn ein Bischof stirbt oder aus anderen Gründen sein Amt verlässt, ist der bischöfliche Stuhl vakant (Sedisvakanz). Die Bezeichnung „Stuhl“ leitet sich von der Funktion der Kathedra ab, ein seit der Antike überliefertes Symbol der Vollmacht eines öffentlichen Amtsträgers.
In der Alten Kirche wurde synonym die Bezeichnung „heiliger Stuhl“ für jeden Bischofssitz verwendet. Erst später hat sie sich auf den besonders bedeutsamen bischöflichen Stuhl des Bistums Rom fokussiert und wird seit dem 19. Jahrhundert nahezu ausschließlich auf diesen bezogen. Der Heilige Stuhl bildet als „nichtstaatliche souveräne Macht“ ein eigenes Völkerrechtssubjekt und vertritt in internationalen Beziehungen den Staat Vatikanstadt und die ganze römisch-katholische Kirche.
Insignien
Die sogenannten Pontifikalien eines Bischofs sind Mitra, Stab (Verdeutlichung der Hirtenaufgabe), Bischofsring (bzw. Fischerring des Bischofs von Rom) und Brustkreuz. Des Weiteren kommen hierzu die nur noch selten verwendeten Pontifikalschuhe und Pontifikalhandschuhe sowie die unter dem Messgewand getragene Dalmatik (beim Bischof spricht man von Pontifikaldalmatik), die eigentliche Kleidung des Diakons, welche die sakramentale Vollmacht des Bischofs symbolisieren soll. Ein Diözesanbischof ist berechtigt, in allen Kirchen seines Bistums mit der Cappa magna einzuziehen. Einige dieser Insignien finden sich auch bei nichtbischöflichen Amtsträgern mit besonderer Jurisdiktion, wie zum Beispiel Äbten. Diese sind jedoch nicht berechtigt, Pontifikalschuhe, -handschuhe, oder -dalmatiken zu verwenden. Metropoliten tragen zusätzlich zu den beschriebenen Insignien das Pallium, das ihnen vom Papst verliehen wird. Außerdem sind die Erzbischöfe von Paderborn und Krakau sowie die Bischöfe von Eichstätt und Toul-Nancy berechtigt, zusätzlich das Rationale zu tragen.
Anrede
Die standesgemäße Anrede eines Bischofs ist „Exzellenz“, „Hochwürdigster Herr“ oder „Herr Bischof“, für einen Erzbischof entsprechend „Herr Erzbischof“. Bis in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts war darüber hinaus die Anrede „Euer Bischöfliche Gnaden“ verbreitet, die im Schriftverkehr mit „Ew. Bischöfliche Gnaden“ abgekürzt werden konnte. Die protokollarische Anrede eines Kardinals lautet „Euer Eminenz“ oder „Herr Kardinal“.
Besoldung in Deutschland
Die Höhe der Bischofsbesoldung orientiert sich an der Beamtenbesoldung für leitende Positionen des höheren Verwaltungsdienstes, der Besoldungsordnung B. Es gibt hierbei Unterschiede zwischen den Diözesen. Erzbischöfe werden maximal nach Besoldungsgruppe B 11 bezahlt, dies entspricht einem Brutto-Monatseinkommen von etwa 12.000 Euro. Die Diözesanbischöfe von Freiburg (Erzbischof) und von Rottenburg-Stuttgart werden nach B 8 besoldet, die Weihbischöfe des Erzbistums Freiburg werden nach B 4 bzw. B 6 besoldet, die Weihbischöfe des Bistums Rottenburg-Stuttgart nur nach B 2 / B 3.
Der Diözesanbischof von Speyer ist in B 7 eingewiesen, sein Weihbischof in B 4. Der Erzbischof von München-Freising wird etwa nach B 10 bezahlt, der Erzbischof von Bamberg nach B 9 und die übrigen fünf bayerischen Diözesanbischöfe nach B 6. In kleineren Diözesen richtet sich die Bezahlung des Bischofs nach B 2 bis B 6 (insbesondere in den neuen Bundesländern).
Die Bezahlung der römisch-katholischen und der evangelischen landeskirchlichen Bischöfe erfolgt jedoch nicht aus Kirchensteuermitteln, sondern durch das jeweilige Bundesland – mit Ausnahme Hamburgs und Bremens. Allerdings wird den leitenden Geistlichen in der Regel kein unmittelbares Gehalt ausgezahlt, sondern Grundlage dieser Zahlungen sind Verträge aus dem 19. Jahrhundert, als im Zuge der Säkularisation Kirchengüter enteignet wurden und zum Ausgleich in den Staatskirchenverträgen Gesamtbeträge für die jährlichen Zahlungen vereinbart wurden, so genannte Dotationen, die der Kirche zur freien Verfügung stehen. Für die Dotationen an die Kirchen wurden im Jahre 2010 insgesamt 459 Millionen Euro in den Haushaltsplänen der Länder veranschlagt.
Bayern
Nach Artikel 10 § 1a des Bayerischen Konkordats aus dem Jahre 1924 sollen diese Zahlungen ersetzt werden:
Mithin zahlt der bayerische Staat weiterhin die Reineinkünfte unmittelbar an die Bistümer. Die Zahlungen sind Teil der sog. Staatsleistungen an die Religionsgemeinschaften.
Orthodoxe Kirchen
Die Ostkirche schließt sich in ihrem Verständnis des Bischofsamts eng an das der alten Kirche an. Die orthodoxen Bischöfe stehen ebenso wie die katholischen (römisch-katholisch, alt-katholisch, anglikanisch) in der apostolischen Sukzession.
Es gibt das dreifache Amtsverständnis, und beim Bischofsamt verschiedene Rangstufen vom Bischof bis zum Patriarchen. Die orthodoxe Kirche kennt jedoch keine geistliche Hierarchie der Bischöfe: Patriarch und Metropolit sind nur Primus inter pares im Bischofskollegium, nicht hierarchische Vorgesetzte, und ein Bischof ist innerhalb seiner eigenen Diözese nicht an Weisungen eines übergeordneten Bischofs gebunden. Andererseits kann eine lokale Synode Entscheidungen treffen, an die der lokale Bischof gebunden ist, und die Entscheidungen ökumenischer oder panorthodoxer Konzile sind auch für Patriarchen bindend.
Da Bischöfe in der orthodoxen Kirche im Zölibat leben, Priester und Diakone aber gewöhnlich verheiratet sind, kommen die meisten orthodoxen Bischöfe aus dem Mönchtum – ein verwitweter Priester kann aber ebenfalls Bischof werden.
Die Wahl der Bischöfe ist in den einzelnen orthodoxen Kirchen verschieden geregelt, jedoch wird die kollektive Zustimmung der Bevölkerung durch den Ruf Axios! (griechisch für „er ist würdig“) als wichtiger Teil der Weihe gesehen. Die Abdankung von Bischöfen aufgrund von Druck aus der Bevölkerung ist ebenfalls häufiger als in der katholischen Kirche. Die Größen der Diözesen unterscheiden sich sehr stark zwischen den einzelnen orthodoxen Kirchen.
Im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche ist das Sakrament der Firmung nicht dem Bischof vorbehalten, sondern wird direkt nach der Taufe durch den Priester gespendet. Das Wesen der altkirchlichen Tradition der Herabbittung des Heiligen Geistes auf den Getauften durch den Bischof wird dennoch beibehalten, indem das zur Firmung verwendete Öl nur von bestimmten Bischöfen geweiht werden darf (meist durch den Vorsteher der jeweiligen autokephalen Kirche oder sogar nur durch den Ökumenischen Patriarchen).
Zur liturgischen Kleidung orthodoxer Bischöfe gehört der Sakkos, das dem römisch-katholischen Pallium entsprechende Omophorion, die mit einem Kreuz versehene Mitra oder Stephanos und das auf der rechten Seite getragene Epigonation.
Kirchen der Reformation
Lutherische Kirchen
In den lutherischen Territorialkirchen im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation übernahmen die jeweiligen Landesherren faktisch die Leitung der Kirchen („Landesherrliches Kirchenregiment“). Als „Ersatzbischöfe“ übten sie ihre Kompetenzen aber nicht direkt, sondern durch Konsistorien aus. Versuche, das Bischofsamt auf evangelischer Grundlage zu reformieren, waren erfolglos. Im weiteren Verlauf des 16. Jahrhunderts wurden in fast allen Territorien Generalsuperintendenten zur Ausübung der geistlichen Aufsicht eingesetzt. Das änderte sich in den deutschen Monarchien erst durch deren Abschaffung durch die Revolutionen 1918/1919. Im Ergebnis der Debatten in den 1920er Jahren entstand im Deutschen Reich ein „synodal-episkopales Mischsystem“. In Dänemark wurden im Zuge der Reformation 1537 die Bischöfe durch Superintendenten ersetzt, deren Kompetenzen den deutschen Generalsuperintendenten entsprachen. Nur in Schweden blieb das historische Bischofsamt weitgehend erhalten.
Heute gibt es in den lutherischen Kirchen sowohl in Deutschland (VELKD) als auch in Nordeuropa in der Regel das Amt des Bischofs, der für eine Region oder eine Landeskirche zuständig ist und gegenüber den Pfarrern der Ortsgemeinden eine Leitungsfunktion hat. Dieses Amt wird meist als Bischof bezeichnet, daneben ist die Bezeichnung Landesbischof verbreitet. Die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK), eine altkonfessionelle lutherische Kirche in Deutschland, wird von einem Bischof geleitet. Er ist Bischof seiner Kirche für die gesamte Bundesrepublik Deutschland.
Unter den lutherischen Kirchen in den Vereinigten Staaten werden manche von einem Bischof geleitet (z. B. ELCA), bei anderen (z. B. Evangelisch-Lutherische Missouri-Synode) wird der leitende Geistliche als Präses bezeichnet.
In Deutschland gibt es, im Unterschied etwa zu den meisten lutherischen Kirchen in Skandinavien und Übersee, keinen eigenen Ritus der Ordination für Bischöfe, diese werden nur in ihr Amt eingeführt. Die Funktion wird nicht als höherer geistlicher Rang, sondern als eine Art Pfarrer im kirchenleitenden Dienst gesehen. Es gibt keine Sakramente, deren Spendung dem Bischof vorbehalten wäre. Im deutschen Sprachraum (anders als z. B. in den skandinavischen Ländern und im Baltikum) spielt die apostolische Sukzession im Bischofsamt für die lutherischen Kirchen keine Rolle. Evangelisch-lutherische Amtsinhaber werden in der Regel von der Synode (Kirchenparlament) für eine bestimmte Zeit oder auf Lebenszeit (meist bis zum 65. oder 68. Lebensjahr) gewählt.
In den meisten evangelischen Kirchen kann das Amt sowohl von Männern als auch von Frauen ausgeübt werden. In der SELK ist es, wie auch die Ordination zum Pfarrer, Männern vorbehalten.
Reformierte Kirchen
Die meisten reformierten Kirchen haben eine presbyterianische Struktur, in der die Leitung der Kirche nicht bei einem Bischof, sondern bei einem Gremium von Ältesten liegt, das als Presbyterium, Synode oder Generalversammlung bezeichnet werden kann. Diese Ältesten sind in der Regel nicht ordiniert; ihr Amt wird jedoch als geistliches Amt gesehen, und in manchen Kirchen gibt es eine spezielle Ordination für Älteste.
Die Ältesten beschränken sich jedoch in der Regel im Gegensatz zu Bischöfen auf leitende Funktionen, die Sakramente werden von ordinierten Pfarrern verwaltet – bei den Ältesten liegt jedoch die Verantwortung, die Kirche gemäß der Tradition zu führen, die in episkopalen Konfessionen beim Bischof liegt.
Ausnahmen von dieser Regel finden sich heute in der Evangelisch-reformierten Kirche in Polen, der Reformierten Kirche in Ungarn und den weiteren ungarischen reformierten Kirchen Osteuropas (Rumänien, Serbien, Slowakei, Ukraine), bei denen, ähnlich wie in den meisten lutherischen Kirchen, Bischöfe den Dienst der personalen Aufsicht wahrnehmen und mit den Synoden gemeinsam die Kirche leiten. Auch die im 16. Jahrhundert aus der Reformierten Kirche in Ungarn heraus entstandene Unitarische Kirche (existiert heute in Ungarn und Siebenbürgen) kennt das Bischofsamt, da sie die Kirchenorganisation der Reformierten Kirche übernommen hat.
In den reformierten Landeskirchen in Deutschland heißt die oberste kirchenleitende Person General- oder Landessuperintendent (Lippische Landeskirche), Kirchenpräsident (Evangelisch-reformierte Kirche) oder Präsident beziehungsweise Schriftführer (Bremische Evangelische Kirche), in unierten Landeskirchen Präses (Rheinland, Westfalen) oder Kirchenpräsident (Evangelische Kirche der Pfalz, Evangelische Kirche in Hessen und Nassau). Die reformierten Kirchen der Schweiz und die Church of Scotland sind presbyterianisch organisiert und kennen keine Bischöfe.
Anglikanische Kirche
Die anglikanische Kirche kennt ebenfalls die sakramentale Bischofsweihe und eine bischöfliche Hierarchie mit Primas, Erzbischof, Bischof, und Assistenzbischof. Der Erzbischof von Canterbury, der gleichzeitig Oberhirte der Kirche von England ist, wird auch als primus inter pares der Weltkirche angesehen. Allerdings ist der Erzbischof von Canterbury gegenüber anderen Nationalkirchen nicht weisungsberechtigt. Anglikanische Bischöfe stehen nach vorherrschender Meinung ebenfalls in der apostolischen Sukzession (wobei dies jedoch von der römisch-katholischen Kirche bestritten wird).
Für Anglikaner ist die Diözese die wesentliche Einheit der Kirche. Diözesen sind zu Provinzkirchen zusammengeschlossen, die entweder mit dem Territorium eines Teils eines Nationalstaates, dem Territorium eines einzigen Nationalstaats oder mit den Territorien mehrerer Nationalstaaten übereinstimmen. Die Bischöfe einer Provinzkirche sind zu einer Bischofssynode zusammengeschlossen, die je nach Provinzkirche unterschiedliche Befugnisse und Aufgaben hat. Ein anglikanischer Bischof darf in einer anderen Diözese nur mit Zustimmung des Ortsbischofs tätig werden.
Anglikanische Bischöfe sind oft verheiratet, in vielen anglikanischen Kirchen (darunter seit 2014 in der Church of England) kann auch eine Frau zum Bischof geweiht werden (vgl. Anglikanische Gemeinschaft #Frauenordination). Die Bischofswahl erfolgt nach den Statuten der betreffenden Kirche, gewöhnlich durch ein Gremium von Priestern und Laien.
Evangelisch-methodistische Kirche
Der Beginn der methodistischen Bewegung liegt innerhalb der anglikanischen Kirche, deren Bischöfe in der apostolischen Sukzession stehen. Die ersten Methodisten nahmen daher die Sakramente der Anglikanischen Kirche in Anspruch.
Mit der Unabhängigkeitserklärung der Vereinigten Staaten kam für die Methodisten in den Staaten eine Zeit, in der es keine anglikanischen Bischöfe in erreichbarer Nähe gab. Zurückgehend auf die orthodoxe Tradition, beispielsweise im Patriarchat von Alexandria im dritten Jahrhundert, als die Presbyter einen der ihren zum Bischof wählten, definierte John Wesley das methodistische Verständnis vom Bischofsamt: zwischen einem Bischof und einem Ältesten (Presbyter, Pfarrer) gibt es keinen Unterschied im Weihegrad, sondern nur einen Unterschied in der Funktion: ein Bischof ist ein Presbyter, der eine leitende Funktion gegenüber den Presbytern seiner Region hat. Daher kann das Bischofsamt in einer methodistischen Kirche zeitlich begrenzt sein, und der Bischof ist nach Ablauf seiner Amtszeit wieder ein Presbyter wie jeder andere, leitet beispielsweise eine Gemeinde. Es gibt allerdings auch lokale Kirchenordnungen, in denen die Wahl eines Bischofs auf Lebenszeit möglich ist. Die ersten Bischöfe der methodistischen Kirche wurden von John Wesley und einigen anderen ordinierten Geistlichen der anglikanischen Kirche gewählt. In der methodistischen Tradition gibt es also keine apostolische Sukzession des Bischofsamts.
Das Bischofsamt in der evangelisch-methodistischen Kirche in Europa ist in vielen Fällen länderübergreifend: der nordeuropäische Sprengel umfasst beispielsweise die skandinavischen und baltischen Länder, der südosteuropäische Frankreich, Mitteleuropa ohne Deutschland, den Balkan und Nordafrika. Deutschland musste aus politischen Gründen in den 1930er Jahren ein separater Sprengel werden und ist bis heute ein eigener Sprengel geblieben.
Kongregationalistische Konfessionen
Kongregationalistisch strukturierte Konfessionen, beispielsweise die Baptisten und viele Pfingstgemeinden, verfügen nur in seltenen Fällen über ein übergemeindliches Bischofsamt. Ausnahmen sind zum Beispiel die Baptisten in Lettland, Georgien und in der Demokratischen Republik Kongo. Kongregationalistische Kirchengemeinschaften betonen die Autonomie der Ortsgemeinden und halten die Begriffe Bischof und Ältester für synonym. Die meisten dieser Gemeinden kennen jedoch unter verschiedenen Bezeichnungen die Funktionen des dreifachen Amtes auf Gemeindeebene: Es gibt einen Gemeindeleiter (episkopos), ein Gremium von Ältesten (presbyteroi) und diakonische Funktionen. Sie begründen das unter anderem mit Hinweis auf Apostelgeschichte (Abschiedsrede des Paulus vor den Ältesten der Gemeinde Ephesus; siehe besonders die Verse 17 und 28). Dass das Bischofsamt ursprünglich eine Funktion der Ortsgemeinde war, wird ihres Erachtens auch an der alten katholischen Praxis deutlich, den Bischofstitel mit einem Ortsnamen zu verbinden.
Altkatholische Kirche
Nach altkatholischem Verständnis ist das Bischofsamt das höchste Amt der Kirche und an eine tatsächlich existierende Diözese gebunden. Hierin kommt der altkirchliche Grundsatz zum Ausdruck, der von Urs Küry um den zweiten Halbsatz erweitert wurde: nulla ecclesia sine episcopo, nullus episcopus sine ecclesia (keine Kirche ohne Bischof, kein Bischof ohne Kirche). Daher gibt es in den altkatholischen Kirchen Weihbischöfe nur noch in seltenen Fällen (z. B. schwere Krankheit oder hohes Alter des amtierenden Bischofs).
Voraussetzung für die Bischofsweihe ist, dass der Kandidat für das Bischofsamt vor der Bischofsweihe bereits zum Diakon und zum Priester geweiht wurde (Weihen, die in anderen katholischen Kirchen erfolgten, werden als gültig anerkannt und daher nicht wiederholt).
Folgende Schritte sind einzuhalten:
Der Kandidat muss vom dazu berufenen Gremium einer Diözese oder Landeskirche (Domkapitel oder Synode) zum Bischof gewählt werden. Dies ist die heutige Form der altkirchlichen Bischofswahl „durch Klerus und Volk“
Die Bischofsweihe erfolgt durch das Weihegebet unter vorausgehender Handauflegung durch einen in apostolischer Sukzession stehenden Bischof und gewöhnlich unter Assistenz wenigstens zweier weiterer Bischöfe
Merkmal eines altkatholischen Bischofs ist folglich, dass dieser sowohl gewählt als auch geweiht wurde. Fehlt der erste Schritt (wie dies bei Vagantenbischöfen der Fall ist), stellt das die Gültigkeit der Weihe in Frage. Ist dagegen der Konsekrand gültig gewählt, die Weihe jedoch noch nicht vollzogen, kann dieser als „Bischof electus“ – wenn die Ordnung seiner Ortskirche dies zulässt – bereits bischöfliche Funktionen ausüben, die nicht die Bischofsweihe voraussetzen.
Die altkatholischen Kirchen sind autonome Ortskirchen. So kommt dem Erzbischof von Utrecht, der zugleich Präsident der Internationalen Bischofskonferenz der Utrechter Union ist, als Inhaber des ältesten Bischofssitzes der Ehrenvorrang zu, er hat aber keine jurisdiktionellen Befugnisse, die über seinen Sprengel hinausgehen.
Der Eintritt in den Ruhestand und das Höchstalter des Bischofs sind auf ortskirchlicher, das heißt nationaler Ebene geregelt. In Deutschland etwa gilt, dass der Bischof oder die Bischöfin mit dem Erreichen des gesetzlichen Rentenalters in den Ruhestand tritt. In der Schweiz gilt 70 als Altersgrenze, nach der ein Bischof in den Ruhestand treten muss. Auch danach kann er oder sie in der Liturgie noch bischöfliche Funktionen ausüben, während die Leitung des Bistums allein dem Nachfolger oder der Nachfolgerin zukommt.
Die Insignien eines altkatholischen Bischofs entsprechen denen eines römisch-katholischen Bischofs: Mitra, Stab, Ring und Brustkreuz. Aufgrund der Trennung von Rom tragen die Erzbischöfe von Utrecht seit 1723 kein Pallium. Sie nehmen jedoch für sich beim feierlichen Einzug das Privileg eines Vortragekreuzes in Anspruch, welches mit dem Korpus zu ihnen gewendet ist. Dieses Privileg war ursprünglich mit der Verleihung des Palliums verbunden.
Entsprechend der altkirchlichen Überlieferung bleiben die Weihen der heiligen Öle, die Kirch- und Altarweihe sowie die Sakramente der Firmung und der Weihe dem geweihten Bischof vorbehalten. Ist er in einem Gottesdienst anwesend, so kommt ihm in der Regel die Leitung der Heiligen Messe und die etwaige Spendung anderer Sakramente zu, auch wenn sie ihm nicht ausdrücklich vorbehalten sind. Ein altkatholischer Bischof kann in allen Gemeinden seines Bistums aus seelsorgerischen Gründen gottesdienstliche Handlungen vornehmen (z. B. Taufen, Trauungen, Krankensalbungen, Requiem).
In einigen altkatholischen Kirchen kann, seit dort auch Frauen durch Synodenbeschlüsse zur Ordination zugelassen wurden, Frauen die Bischofsweihe gespendet werden. Altkatholische Bischöfe sind nicht zum Zölibat verpflichtet.
Neuapostolische Kirche
Die Neuapostolische Kirche (NAK) kennt drei Amtsklassen: Diakone, Priester und Apostel. Die Apostel, im Apostolat zusammengefasst mit dem Stammapostel als Haupt, bilden die höchste Ämterhierarchie.
Unter den priesterlichen Ämtern ist die Amtsstufe des Bischofs die höchste. Bischöfe werden in der Regel, wie auch die Apostel, direkt durch den Stammapostel ordiniert. Sie unterstützen ihren Apostel teils in ehrenamtlicher Tätigkeit, teils auch im festen Dienst der Kirche. Die priesterlichen Ämter in der NAK führen Gottesdienste durch, spenden das Sakrament der Heiligen Wassertaufe und das Sakrament des Heiligen Abendmahls, nehmen neue Mitglieder in die Kirche auf, segnen die Kirchenmitglieder zu Konfirmationen, Verlobungen, Trauungen, Hochzeitsjubiläen und führen Trauerfeiern durch. Das Bischofsamt wird in dem 2012 erschienenen Katechismus der Neuapostolischen Kirche auch so beschrieben:
Vereinigung Apostolischer Gemeinden (VAG)
Aufgrund der Geschichte der Vereinigung Apostolischer Gemeinden und ihrer Ursprünge in katholisch-apostolischer und neuapostolischer Tradition kennen auch diese Gemeinschaften eine Dreiteilung des ordinierten Dienstes in: Apostel, priesterliche Ämter (Priester, Hirte, Evangelist, Ältester und Bischof) und Diakonat. Unter den priesterlichen Ämtern gibt es jedoch keine Rangordnung. Es gibt die drei charismatischen Ämter Priester, Hirte und Evangelist und die Leitungsämter Ältester und Bischof. Die Bischöfe sind die nächsten Mitarbeiter der Apostel. Sie stehen den Aposteln bei der geistlichen und organisatorischen Leitung zur Seite, was sich auch darin ausdrückt, dass sie seit einigen Jahren an den Apostelkonferenzen teilnehmen. Die Bischöfe tragen in der Regel die Verantwortung für mehrere Ältestenbezirke, die wiederum aus einzelnen Gemeinden bestehen. Das Ordinationsrecht hatten in der VAG bis vor einigen Jahren nicht die Bischöfe, sondern die Apostel. Dies wurde inzwischen geändert und auch Bischöfe haben das Ordinationsrecht.
In der deutschen Apostolischen Gemeinschaft bilden die Apostel, Bischöfe und Ältesten den satzungsgemäßen Vorstand, der sich gegenüber der Delegiertenversammlung, die von den Mitgliedern gewählt wird, verantworten muss. Ähnliches gilt für die Vereinigung Apostolischer Christen in der Schweiz. In Frankreich gibt es, aufgrund der sehr geringen Größe der Gemeinschaft, keinen Bischof, die niederländischen Gemeinden werden seit dem Ruhestand des Apostels Den Haan am 18. März 2012 von dem neu ordinierten Bischof Bert Wolthuis geleitet, der die Gemeinschaft auch in der Apostel- und Bischofsversammlung der europäischen Gemeinschaften vertritt.
Seit 2003 ist in der europäischen VAG die Frauenordination für alle Ämter möglich und z. T. umgesetzt, d. h., dass auch das Bischofsamt von beiden Geschlechtern ausgeübt werden kann.
Ökumene
Zwischen den christlichen Konfessionen sind die Bischofsämter nicht deckungsgleich. Die ökumenische Theologie bringt die unterschiedlichen Ansätze miteinander ins Gespräch.
Im evangelisch-katholischen Dialog „über das Amtsverständnis sind grundlegende Übereinstimmungen erreicht worden“, stellt der Ökumenische Arbeitskreis 2020 fest. Problematisch bleiben jedoch zwischen protestantischer und katholischer Theologie insbesondere die apostolische Sukzession und die bischöfliche Kollegialität. In diesen Bereichen besteht aus katholischer Sicht auf protestantischer Seite ein Mangel. Regional lässt sich in der Ökumene eine Pluralisierung feststellen. Insbesondere bestehen große Unterschiede zwischen den Gesprächen im Norden Europas (Finnland und Schweden) und denen in Deutschland.
Im katholisch-orthodoxen ökumenischen Dialog über das Bischofsamt stellt sich vor allem die Stellung des Papsts, des Bischofs von Rom, als problematisch dar. Die neue Betonung der Kollegialität auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil wird von orthodoxer Seite hingegen als positiver Schritt gewertet.
Literatur
jeweils in der Reihenfolge des Erscheinens
Johannes Neumann, Günther Gaßmann, Gerhard Tröger: Bischof I. Das katholische Bischofsamt II. Das historische Bischofsamt III. Das evangelische Bischofsamt IV. Das synodale Bischofsamt. In: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 6, 1980, S. 653–697.
Erwin Gatz, Clemens Brodkorb: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648. Ein biographisches Lexikon. Duncker & Humblot, Berlin 1996, ISBN 3-428-08422-5.
Ralph Hennings: Hieronymus zum Bischofsamt, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 108 (1997), S. 1–11.
Georg Kretschmar, Dorothea Wendebourg (Hrsg.): Das bischöfliche Amt: Kirchengeschichtliche und ökumenische Studien zur Frage des kirchlichen Amtes. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1999, ISBN 3-525-55436-2.
Dorothea Sattler, Gunther Wenz (Hrsg.): Das kirchliche Amt in apostolischer Nachfolge. Band 2: Ursprünge und Wandlungen (= Dialog der Kirchen 13). Herder, Freiburg i. Br. / Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2006, ISBN 3-451-28618-1 / ISBN 3-525-56934-3.
Johannes Preiser-Kapeller: Der Episkopat im späten Byzanz. Ein Verzeichnis der Metropoliten und Bischöfe des Patriarchats von Konstantinopel in der Zeit von 1204 bis 1453. Verlag Dr. Müller, Saarbrücken 2008, ISBN 3-8364-8786-1.
Thomas Schumacher: Bischof – Presbyter – Diakon. Geschichte und Theologie des Amtes im Überblick. Pneuma-Verlag, München 2010, ISBN 978-3-942013-01-7. (Rezension)
Ines Weßels: Zum Bischof werden im Mittelalter. Eine praxistheoretische Analyse vormoderner Selbstbildung. transcript, Bielefeld 2020, ISBN 978-3-8376-5037-2. (Rezension)
Orthodoxes Bischofsamt
Jean Zizioulas: Eucharist, Bishop, Church. The Unity of The Church in The Divine Eucharist and The Bishop During the First Three Centuries. Holy Cross Orthodox Press, Brookline, Mass. 2001, ISBN 978-1-885652-51-5.
Katholisches Bischofsamt
Josef Hasenfuß: Die Bischöfe – Nachfolger der Apostel. Im neuen nachkonziliaren Kirchenverständnis. Paul Pattloch, Aschaffenburg 1970.
Johannes Neumann: Bischof / I. Das katholische Bischofsamt, in: Gerhard Müller u. a. (Hrsg.): TRE, Band 6, Berlin/New York, 1976–2007, S. 653–682.
Martin Leitgöb: Vom Seelenhirten zum Wegführer. Sondierungen zum bischöflichen Selbstverständnis im 19. und 20. Jahrhundert. Die Antrittshirtenbriefe der Germanikerbischöfe 1837–1962. Herder, Rom 2004, ISBN 3-451-26458-7.
Joseph Ratzinger: Die pastoralen Implikationen der Lehre von der Kollegialität der Bischöfe, in: Gesammelte Schriften 12, Herder, Freiburg/Basel/Wien 2010, S. 233–261.
Joseph Ratzinger: Die kirchliche Lehre vom Sacramentum ordinis, in: Gesammelte Schriften 12, Herder, Freiburg/Basel/Wien 2010, S. 70–84.
Sabine Demel, Klaus Lüdicke: Zwischen Vollmacht und Ohnmacht. Die Hirtengewalt des Diözesanbischofs und ihre Grenzen. Herder, Freiburg 2016, ISBN 978-3-451-80693-3.
Evangelisches Bischofsamt
Martin Luther: Wider den falsch genannten geistlichen Stand des Papstes und der Bischöfe, Weimarer Ausgabe 10/2, S. 105–158, 1522.
Wilhelm Maurer: Das synodale evangelische Bischofsamt seit 1918. Berlin 1955.
Dorothea Wendebourg: Die Reformation in Deutschland und das bischöfliche Amt. In: Die eine Christenheit auf Erden. Aufsätze zur Kirchen- und Ökumenegeschichte, Tübingen 2000, S. 195–224, ISBN 978-3-16-147297-8.
Norbert Roth: Das Bischofsamt der evangelischen Kirche. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-7887-2643-0.
Ökumene
Athanasios Vletsis: Einig in der Theologie der Ämter? Das Amtsverständnis in Lumen Gentium aus der Sicht der orthodoxen Theologie. In: Zeitschrift für katholische Theologie. Band 137, Nr. 3/4, 2015, , S. 314–333.
Ökumenischer Arbeitskreis Evangelischer und Katholischer Theologen: Gemeinsam am Tisch des Herrn. Herder, Freiburg im Breisgau 2020, ISBN 978-3-451-38647-3.
Weblinks
Apostolisches Schreiben Pastores Gregis Johannes Pauls II. über das Bischofsamt
Dekret über die Hirtenaufgabe der Bischöfe Christus Dominus (1965)
Radio Vatikan: „Wie ein (Weih-)Bischof ernannt wird“, Markus Graulich 18. Februar 2009
(PDF; 67 kB)
Einzelnachweise
Katholischer Titel
Weihesakrament
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Q29182
| 1,067.63472 |
1970
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https://de.wikipedia.org/wiki/Geschwindigkeit
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Geschwindigkeit
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Die Geschwindigkeit ist neben dem Ort und der Beschleunigung einer der grundlegenden Begriffe der Kinematik, eines Teilgebiets der Mechanik. Die Geschwindigkeit beschreibt, wie schnell und in welcher Richtung ein Körper oder ein Phänomen (beispielsweise ein Wellenberg) im Lauf der Zeit seinen Ort verändert. Eine Geschwindigkeit wird durch ihren Betrag und die Bewegungsrichtung angegeben; es handelt sich also um eine vektorielle Größe. Als Formelzeichen ist üblich nach dem lateinischen bzw. englischen Wort für Geschwindigkeit (, ).
Oft wird mit dem Wort Geschwindigkeit nur ihr Betrag gemeint (Formelzeichen ), der anschaulich gesprochen das momentane Tempo (englisch speed) der Bewegung wiedergibt, wie es beispielsweise im Auto vom Tachometer angezeigt wird. gibt an, welche Wegstrecke ein Körper innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zurücklegt, wenn die Geschwindigkeit entsprechend lange konstant bleibt; es handelt sich um eine skalare Größe. Die international verwendete Einheit ist Meter pro Sekunde (m/s), gebräuchlich sind auch Kilometer pro Stunde (km/h) und – vor allem in der See- und Luftfahrt – Knoten (kn).
Die höchstmögliche Geschwindigkeit, mit der sich die Wirkung einer bestimmten Ursache räumlich ausbreiten kann, ist die Lichtgeschwindigkeit . Diese Obergrenze gilt also auch für jedwede Informationsübertragung. Körper, die eine Masse besitzen, können sich nur mit geringeren Geschwindigkeiten als bewegen.
Eine Geschwindigkeitsangabe ist immer relativ zu einem Bezugssystem zu verstehen. Ruht ein Körper in einem Bezugssystem, so hat er in einem anderen Bezugssystem, welches sich gegenüber dem ersten mit der Geschwindigkeit bewegt, die entgegengesetzt gleich große Geschwindigkeit .
Begriffsgeschichte und Etymologie
Die genaue Fassung der alltäglichen Begriffe von Geschwindigkeit und Bewegung galt seit der Antike und das ganze Mittelalter hindurch als problematisch (siehe z. B. „Achilles und die Schildkröte“ und das „Pfeil-Paradoxon“). Die Klärung im physikalischen Sinn stammt von Galileo Galilei und markiert den wissenschaftlichen Durchbruch zur neuzeitlichen Physik am Anfang des 17. Jahrhunderts. Bis dahin war nur die Durchschnittsgeschwindigkeit längs einer gegebenen endlichen Strecke genau definiert worden, und eine Geschwindigkeitszunahme, wie beispielsweise beim freien Fall, stellte man sich als Folge kleiner Sprünge des Geschwindigkeitsbetrags vor. Bei Galilei hingegen überstreicht eine stetig variierende Geschwindigkeit ein Kontinuum aller Zwischenwerte, die er nicht als Durchschnittsgeschwindigkeit eines gegebenen Stückchens der Strecke, sondern als Momentangeschwindigkeit am jeweiligen Punkt der Bahn begriff. Die genaue Fassung dieses Geschwindigkeitsbegriffs mithilfe des Grenzübergangs zu unendlich kleinen Strecken wurde erst Ende des 17. Jahrhunderts von Isaac Newton gegeben. Dabei wurden die beiden Aspekte Betrag und Richtung der Geschwindigkeit zunächst nur getrennt behandelt, bis sie im 19. Jahrhundert zu einer einzigen mathematischen Größe, dem Geschwindigkeitsvektor, zusammengeführt wurden.
Das Wort Geschwindigkeit geht auf mittelhochdeutsch geswinde zurück ('schnell, vorschnell, ungestüm, kühn'), mittelniederdeutsch geswint, geswine ('stark', Bedeutungsverstärkung durch das Präfix ge-), mittelhochdeutsch swinde, swint ('gewaltig, stark, heftig, gewandt, schnell, böse, gefährlich') zurück. Althochdeutsches Vorkommen wird durch Namen wie Amalswind, Swindbert, Swinda erwiesen.
Definition
Bewegt sich ein Objekt entlang einer Bahnkurve, wobei es sich zum Zeitpunkt im Punkt und zu einem späteren Zeitpunkt im Punkt befindet, so ergibt sich seine Geschwindigkeit zum Zeitpunkt (bzw. im Punkt ) näherungsweise aus der Ortsänderung und der dafür benötigten Zeitspanne gemäß
Dabei ist der Verbindungsvektor von Punkt zu Punkt . Geometrisch entspricht er der Sehne des Kurvenabschnitts zwischen den beiden Punkten. Außerdem gibt er näherungsweise die Richtung der Geschwindigkeit an. Aus der Näherung erhält man die exakte Definition für die Momentangeschwindigkeit zum Zeitpunkt (bzw. am Punkt ), wenn man das Zeitintervall gegen null gehen lässt. Dabei rückt (aufgrund der Stetigkeit der Bewegung) der Punkt beliebig nah an den Punkt heran, so dass auch gegen null geht; der Quotient hingegen strebt einem Grenzwert zu, der gerade der Momentangeschwindigkeit entspricht:
Hierfür schreibt man auch
oder ,
da es sich um eine Zeitableitung handelt.
Da die Sehne beim Grenzübergang die Richtung der Tangente an die Bahnkurve annimmt, ist dies auch die Richtung der Momentangeschwindigkeit.
Der Betrag der Momentangeschwindigkeit (das „Tempo“ oder die Bahngeschwindigkeit) ist durch den Betrag des Geschwindigkeitsvektors
gegeben, wobei der Betrag des Ortsvektors ist. Die Bahngeschwindigkeit ist nicht dasselbe wie , wie man beispielsweise an der Kreisbewegung mit sehen kann.
Den Betrag der Momentangeschwindigkeit kann man auch erhalten, wenn man statt der dreidimensionalen Bahnkurve nur die Weglänge (Symbol ) entlang der Bahnkurve berücksichtigt (s. Abb.). Man bildet hierfür den Grenzwert des Quotienten aus zurückgelegter Weglänge und benötigter Zeit :
Durchschnittsgeschwindigkeit
Wenn man zur Berechnung der Geschwindigkeit die gesamte zurückgelegte Strecke durch die gesamte verstrichene Zeit teilt, so erhält man als Ergebnis die Durchschnittsgeschwindigkeit. Die Information über die zeitliche Veränderung geht dabei verloren. Wenn beispielsweise ein Auto eine Strecke von 100 km in einer Stunde zurücklegt, so hatte es eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 100 km/h. Dabei kann es tatsächlich mit konstanter Geschwindigkeit 100 km/h gefahren sein oder eine Viertelstunde mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h und eine Dreiviertelstunde mit einer Geschwindigkeit von 66,7 km/h.
Man beachte, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit stets den zeitlichen Mittelwert der Geschwindigkeit darstellt. Fährt ein Auto zunächst für eine halbe Stunde eine konstante Geschwindigkeit von 50 km/h und anschließend eine halbe Stunde mit einer konstanten Geschwindigkeit von 100 km/h, so beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit 75 km/h. Fährt das Auto aber zunächst eine Strecke von 25 km mit einer konstanten Geschwindigkeit von 50 km/h und danach eine Strecke von 25 km mit einer konstanten Geschwindigkeit von 100 km/h, so wird für den zweiten Bewegungsabschnitt nur die Hälfte der Zeit benötigt (eine Viertelstunde). Folglich beträgt in diesem Fall die Durchschnittsgeschwindigkeit 66,7 km/h, obwohl dies vielleicht der Intuition widerspricht.
Ein weiteres Beispiel für Körper mit veränderlicher Geschwindigkeit sind Himmelskörper, deren Geschwindigkeiten auf Ellipsenbahnen um einen Zentralkörper variieren. Beim Merkur beträgt die Durchschnittsgeschwindigkeit 47,36 km/s, schwankt allerdings wegen der merklichen Exzentrizität zwischen 39 und 59 km/s.
Anfangsgeschwindigkeit
Wenn die Geschwindigkeit eines Körpers oder Massenpunkts zu Beginn eines bestimmten Bewegungsabschnittes interessiert, wird sie auch als Anfangsgeschwindigkeit (Formelzeichen meist ) bezeichnet.
Die Anfangsgeschwindigkeit ist eine der Anfangsbedingungen beim Lösen der Bewegungsgleichungen in der klassischen Mechanik, zum Beispiel für numerische Simulationen in der Himmelsmechanik. Sie ist ein wichtiger Parameter z. B. für die Flugbahn beim senkrechten und schrägen Wurf sowie für die Reichweite von Schusswaffen oder Raketen.
Beispiele:
Beim Wurf wird sie auch als Abwurfgeschwindigkeit bezeichnet.
In der Außenballistik wird sie mit der Mündungsgeschwindigkeit identifiziert, mit der ein Projektil den Lauf der Waffe verlässt.
Anfangsgeschwindigkeit der ballistischen Flugbahn einer Rakete ist die Brennschlussgeschwindigkeit.
Die Einschussgeschwindigkeit eines Raumflugkörpers in eine Umlaufbahn oder Übergangsbahn bestimmt deren Gestalt.
Die Eintrittsgeschwindigkeit in die Erdatmosphäre eindringender Objekte (wie Meteoroide) ist wesentlich für ihr weiteres Schicksal.
Endgeschwindigkeit
Die Endgeschwindigkeit (auch: Grenzgeschwindigkeit) ist die Geschwindigkeit, die ein Objekt am Ende seiner Beschleunigung erreicht hat.
Ein Objekt erreicht seine Endgeschwindigkeit, wenn die bremsenden Kräften durch Zu- oder Abnahme der Geschwindigkeit so stark geworden sind, dass sich ein Kräftegleichgewicht aller beteiligten Kräfte ausbildet. Die Beschleunigung bei Erreichen der Endgeschwindigkeit ist daher null.
Der Begriff wird auch in der Technik verwendet. Im Automobilsektor spricht man zum Beispiel von Endgeschwindigkeit oder Maximalgeschwindigkeit, wenn sich das Fahrzeug begrenzt durch Motorleistung und äußere Umstände nicht weiter beschleunigen lässt.
Einfache Sonderfälle
Geradlinig gleichförmige Bewegung
Von geradlinig gleichförmiger Bewegung spricht man, wenn die Geschwindigkeit des Objekts immer die gleiche ist (d. h. gleich in Betrag und Richtung), was gleichbedeutend mit der Beschleunigung ist. In diesem Fall bewegt sich das Objekt auf einer Geraden, entlang derer man üblicherweise das Koordinatensystem ausrichtet, so dass die Geschwindigkeit eine skalare Größe ist. Dann gilt:
Hierbei ist der in der Zeitspanne zurückgelegte Weg.
Gleichmäßig beschleunigte Bewegung
Bei einer gleichmäßig beschleunigten Bewegung hat die Beschleunigung stets den gleichen Betrag und die gleiche Richtung. Ist die Bewegungsrichtung parallel zu , so bewegt sich das Objekt auf einer Geraden. Praktischerweise richtet man das Koordinatensystem in Richtung der Bewegung aus und schreibt Beschleunigung und Geschwindigkeit als Skalar. Dann gilt
.
Hierbei steht für die Anfangsgeschwindigkeit.
Kreisbewegung
Die Geschwindigkeit einer Kreisbewegung bezeichnet man als Umfangsgeschwindigkeit oder allgemein als Bahngeschwindigkeit:
Hierbei steht für die Winkelgeschwindigkeit und für den Radius der Kreisbewegung.
Bei einer gleichförmigen Kreisbewegung ist die Umfangsgeschwindigkeit konstant und kann als Quotient aus der auf der Kreisbahn zurückgelegten Streckenlänge und der dafür benötigten Zeit ausgedrückt werden:
Beziehungen zu anderen physikalischen Größen
Beziehung zum Ort
Bewegt sich ein Massepunkt im Raum (dreidimensionale Bewegung), so kann man aus dem zeitlichen Verlauf des Geschwindigkeitsvektors auf die Verschiebung des Massepunkts schließen, indem man über die Zeit integriert:
,
wobei und . Hieraus erhält man die Position des Massepunktes zum Endzeitpunkt als
.
Bewegt sich der Massepunkt auf einer Geraden (geradlinige bzw. eindimensionale Bewegung), so richtet man das Koordinatensystem üblicherweise entlang dieser Geraden aus. Die Position des Teilchens wird dann allein durch die Koordinate beschrieben. Die oben stehende Formel vereinfacht sich in diesem Fall zu
.
Dies ist die kinematische Version des Hauptsatzes der Differential- und Integralrechnung.
Beziehung zur Wegstrecke
Die zurückgelegte Strecke erhält man durch Integration des Geschwindigkeitsbetrags über die Zeit:
.
Im einfachsten Fall, nämlich bei konstanter Geschwindigkeit, wird daraus .
Beziehung zu Beschleunigung und Ruck
Die erste Zeitableitung der Geschwindigkeit ist die Beschleunigung: .
Umgekehrt gewinnt man die Geschwindigkeit aus der Beschleunigung durch Integration:
.
Findet die Bewegung auf einer Geraden statt, so richtet man das Koordinatensystem praktischerweise in Richtung der Bewegung aus, und erhält die skalare Gleichung
.
Die zweite Zeitableitung der Geschwindigkeit ergibt den Ruck einer Bewegung: . Umgekehrt gewinnt man die Geschwindigkeit aus dem Ruck durch zweifache Integration.
Beziehung zu Impuls und kinetischer Energie
Der Impuls – also anschaulich gesprochen der „Schwung“ – eines Körpers der Masse berechnet sich nach , während die kinetische Energie durch gegeben ist. Streng genommen gelten die letzten beiden Gleichungen nur näherungsweise für den sogenannten nichtrelativistischen Fall, also für Geschwindigkeiten, die viel kleiner als die Lichtgeschwindigkeit sind.
Messung
Am einfachsten kann die Geschwindigkeit bestimmt werden, indem man misst,
welche Zeit für eine bestimmte Wegstrecke benötigt wird oder
welche Strecke in einem gegebenen Zeitintervall zurückgelegt wird.
In beiden Fällen wird eigentlich nur eine Durchschnittsgeschwindigkeit gemessen. Wenn das Weg- bzw. Zeitintervall aber kurz genug gewählt wird oder die Bewegung annähernd gleichförmig ist, kann man mit beiden Methoden befriedigende Genauigkeiten erreichen. Ein Beispiel für die Methode 1 wäre die Messung der Lichtgeschwindigkeit nach Hippolyte Fizeau. Methode 2 wird unter anderem angewendet, wenn Geschwindigkeitswerte aus GPS-Daten berechnet werden.
Die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs lässt sich leicht mit einem Tachometer bestimmen. Dieses misst eigentlich die Drehzahl des Rades, welche direkt proportional zur Geschwindigkeit ist.
Es kann aber praktisch jeder andere geschwindigkeitsabhängige Effekt auch für eine Messmethode verwendet werden, so z. B. der Doppler-Effekt im Doppler-Radar, der Impuls im ballistischen Pendel oder der Staudruck in der Prandtlsonde.
Einheiten
Die SI-Einheit der Geschwindigkeit ist Meter pro Sekunde (m/s). Eine weitere gebräuchliche Einheit der Geschwindigkeit ist Kilometer pro Stunde (km/h).
In der Alltagssprache wird auch die Bezeichnung „Stundenkilometer“ verwendet. Da in der Physik eine derartige Zusammensetzung zweier Einheiten (hier: „Stunde“ und „Kilometer“) als eine Multiplikation dieser Einheiten verstanden wird, wird der Ausdruck „Stundenkilometer“ in den Naturwissenschaften normalerweise nicht verwendet.
Als nicht metrische Einheit wird vor allem in den USA und einigen anderen englischsprachigen Ländern Meilen pro Stunde (mph) benutzt. In der See- und Luftfahrt ist außerdem die Einheit Knoten (kn) gebräuchlich. Ein Knoten ist eine Seemeile (sm) pro Stunde. Vertikalgeschwindigkeiten in der motorisierten Luftfahrt werden oft in Fuß pro Minute (LFM von engl. linear feet per minute oder nur fpm von engl. feet per minute) angegeben.
Fast nur in der Luftfahrt wird die Mach-Zahl verwendet, die keine absolute Größe angibt, sondern das Verhältnis der Geschwindigkeit zur lokalen Schallgeschwindigkeit angibt. Die Schallgeschwindigkeit ist stark temperaturabhängig, aber nicht luftdruckabhängig. Der Grund für die Nutzung dieser Zahl ist, dass aerodynamische Effekte von ihr abhängen.
Umrechnung gebräuchlicher Geschwindigkeitseinheiten:
Anmerkung: Die fett gedruckten Umrechnungsfaktoren sind exakt, alle anderen auf vier geltende Ziffern gerundet.
Geschwindigkeiten und Bezugssystem
Je nach verwendetem Bezugssystem bzw. Koordinatensystem haben sich verschiedene Bezeichnungen eingebürgert:
Im homogenen Schwerefeld wird oft ein kartesisches Koordinatensystem verwendet. Geschwindigkeiten, die parallel zur Fallbeschleunigung gerichtet sind, werden meist als Vertikalgeschwindigkeiten, solche, die orthogonal zu dieser Richtung sind, als Horizontalgeschwindigkeiten bezeichnet.
Bei Polarkoordinaten ist die Radialgeschwindigkeit die Komponente des Geschwindigkeitsvektors in Richtung des Ortsvektors, also längs der Verbindungslinie zwischen dem bewegten Objekt und dem Koordinatenursprung. Die Komponente senkrecht dazu heißt Umfangsgeschwindigkeit . Somit ergibt sich: . Das Vektorprodukt aus der Winkelgeschwindigkeit und dem Ortsvektor ergibt die Umfangsgeschwindigkeit: .
Bei Bewegungen auf einer Kreisbahn um den Koordinatenursprung, aber auch nur in diesem Fall, ist die Radialgeschwindigkeit null und die Umfangsgeschwindigkeit gleich der Tangentialgeschwindigkeit, also der Bahngeschwindigkeit längs der Tangente an die Bahnkurve.
Aus der Änderung des Abstands zum Koordinatenursprung (Radius) folgt die Radialgeschwindigkeit: .
Setzt man voraus, dass es ein allgemein gültiges Bezugssystem gibt, so nennt man die Geschwindigkeiten, die in diesem System gemessen werden, Absolutgeschwindigkeiten. Geschwindigkeiten, die sich auf einen Punkt beziehen, der sich selbst in diesem System bewegt, heißen Relativgeschwindigkeiten. Beispiel: Eine Straßenbahn fährt mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Darin bewegt sich ein Fahrgast mit einer Relativgeschwindigkeit (gegenüber der Straßenbahn) von 5 km/h. Seine Absolutgeschwindigkeit (vom ruhenden Beobachter auf der Straße aus gesehen) beträgt also 55 km/h oder 45 km/h, je nachdem, ob er sich in Fahrtrichtung oder gegen die Fahrtrichtung bewegt.
Das Relativitätsprinzip besagt jedoch, dass es keinen physikalischen Grund gibt, warum man ein bestimmtes Bezugssystem herausgreifen und gegenüber anderen Systemen bevorzugen sollte. Sämtliche physikalischen Gesetze, die in einem Inertialsystem gelten, gelten auch in jedem anderen. Welche Bewegungen man als „absolut“ ansieht, ist also vollkommen willkürlich. Deswegen wird der Begriff der Absolutgeschwindigkeit spätestens seit der speziellen Relativitätstheorie vermieden. Stattdessen sind alle Geschwindigkeiten Relativgeschwindigkeiten. Aus diesem Relativitätsprinzip folgt, zusammen mit der Invarianz der Lichtgeschwindigkeit, dass Geschwindigkeiten nicht – wie im obigen Beispiel stillschweigend angenommen – einfach addiert werden dürfen. Stattdessen gilt das relativistische Additionstheorem für Geschwindigkeiten. Dies macht sich jedoch erst bei sehr hohen Geschwindigkeiten bemerkbar.
Geschwindigkeit zahlreicher Teilchen
Betrachtet man ein System aus vielen Teilchen, so ist es meist nicht mehr sinnvoll oder überhaupt möglich, für jedes einzelne Teilchen eine bestimmte Geschwindigkeit anzugeben. Stattdessen arbeitet man mit der Geschwindigkeitsverteilung, die angibt, wie häufig ein bestimmter Bereich von Geschwindigkeiten in dem Teilchenensemble auftritt. In einem idealen Gas gilt beispielsweise die Maxwell-Boltzmann-Verteilung (siehe nebenstehende Abbildung): Die meisten Teilchen haben eine Geschwindigkeit in der Nähe der wahrscheinlichsten Geschwindigkeit, die durch das Maximum der Maxwell-Boltzmann-Verteilung angezeigt wird. Sehr kleine und sehr große Geschwindigkeiten kommen auch vor, werden aber nur von ganz wenigen Teilchen angenommen. Die Lage des Maximums ist temperaturabhängig. Je heißer das Gas ist, desto höher ist die wahrscheinlichste Geschwindigkeit. Mehr Teilchen erreichen dann hohe Geschwindigkeiten. Dies zeigt, dass die Temperatur ein Maß für die mittlere kinetische Energie der Teilchen ist. Doch sind auch bei niedrigen Temperaturen sehr hohe Geschwindigkeiten nicht vollständig ausgeschlossen. Mit der Geschwindigkeitsverteilung lassen sich viele physikalische Transportphänomene erklären, wie z. B. die Diffusion in Gasen.
Strömungsgeschwindigkeit eines Fluids
Die mittlere Strömungsgeschwindigkeit eines Gases oder einer Flüssigkeit ergibt sich aus der Volumenstromstärke durch den Strömungsquerschnitt :
Allerdings können sich die lokalen Strömungsgeschwindigkeiten sehr stark voneinander unterscheiden. Beispielsweise ist die Geschwindigkeit in der Mitte eines idealen Rohres am größten und fällt durch die Reibung zur Wandung hin bis auf Null ab. Man muss daher die Strömung eines Mediums als Vektorfeld auffassen. Wenn die Geschwindigkeitsvektoren zeitlich konstant sind, spricht man von einer stationären Strömung. Verhalten sich die Geschwindigkeiten im Gegensatz dazu chaotisch, so handelt es sich um eine turbulente Strömung. Bei der Charakterisierung des Strömungsverhaltens hilft die Reynoldszahl, die die Strömungsgeschwindigkeit in Relation zu der Abmessungen des angeströmten Körpers und zur Viskosität des Fluids setzt.
Mathematisch wird das Verhalten der Geschwindigkeiten durch die Navier-Stokes-Gleichungen modelliert, die als Differenzialgleichungen die Geschwindigkeitsvektoren mit inneren und äußeren Kräften in Beziehung setzen. Damit haben sie für die Bewegung eines Fluids eine ähnliche Bedeutung wie die Grundgleichung der Mechanik für Massenpunkte und starre Körper.
Geschwindigkeit von Wellen
Die komplexe Bewegung von Wellen macht es nötig, verschiedene Geschwindigkeitsbegriffe zu verwenden. (Insbesondere kann mit dem Wort Ausbreitungsgeschwindigkeit verschiedenes gemeint sein.)
Die Auslenkungsgeschwindigkeit mechanischer Wellen wird als Schnelle bezeichnet. Das bekannteste Beispiel ist die Schwingungsgeschwindigkeit der Luftteilchen in einer Schallwelle.
Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Punkt bestimmter Phase vorwärts bewegt, heißt Phasengeschwindigkeit. Es gilt: . Hierbei sind die Wellenlänge, die Periodendauer, die Kreisfrequenz und die Kreiswellenzahl. Die Geschwindigkeit, mit der sich die Wellenkämme im Meer fortbewegen, ist ein typisches Beispiel für eine Phasengeschwindigkeit.
Die Geschwindigkeit, mit der sich ein ganzes Wellenpaket bewegt, wird Gruppengeschwindigkeit genannt: .
Phasen- und Gruppengeschwindigkeit stimmen nur in seltenen Fällen überein (z. B. Ausbreitung von Licht im Vakuum). In der Regel unterscheiden sie sich. Ein anschauliches extremes Beispiel ist die Fortbewegung von Schlangen: Fasst man die Schlange als eine Welle auf, so ist die Geschwindigkeit ihres Vorankommens eine Gruppengeschwindigkeit. Die Phasengeschwindigkeit ist beim Schlängeln jedoch Null, denn die Stellen, an denen sich der Körper der Schlange nach rechts oder links krümmt, sind durch den Untergrund vorgegeben und bewegen sich nicht über den Boden.
In aller Regel ist die Phasengeschwindigkeit einer physikalischen Welle von der Frequenz bzw. der Kreiswellenzahl abhängig. Diesen Effekt bezeichnet man als Dispersion. Er ist unter anderem dafür verantwortlich, dass Licht verschiedener Wellenlänge von einem Prisma unterschiedlich stark gebrochen wird.
Relativitätstheorie
Aus den Gesetzen der klassischen Physik folgt für Geschwindigkeiten unter anderem:
Die Messwerte für Längen und Zeiten sind unabhängig vom Bewegungszustand (und damit der Geschwindigkeit) des Beobachters. Insbesondere stimmen alle Beobachter darin überein, ob zwei Ereignisse gleichzeitig stattfinden oder nicht.
Bei einem Wechsel des Bezugssystems gilt die Galilei-Transformation. Dies bedeutet, dass Geschwindigkeiten von Bewegungen, die sich überlagern, vektoriell addiert werden dürfen.
Es gibt keine theoretische Obergrenze für die Geschwindigkeit von Bewegungen.
Zwar wird es von den Gesetzen der klassischen Physik nicht verlangt, aber es wurde vor Einstein allgemein angenommen, dass es für alle Geschwindigkeiten ein universelles Bezugssystem, den „Äther“, gebe. Wenn dem so wäre, müsste die Ausbreitungsgeschwindigkeit von elektromagnetischen Wellen vom Bewegungszustand des Empfängers abhängen.
Letztere Abhängigkeit ließ sich mit dem Michelson-Morley-Experiment nicht nachweisen. Einstein postulierte, dass das Relativitätsprinzip, das bereits aus der klassischen Mechanik bekannt war, auch auf alle anderen Phänomene der Physik, insbesondere die Ausbreitung des Lichts, angewendet werden müsse und dass die Lichtgeschwindigkeit unabhängig vom Bewegungszustand des Senders sei. Daraus folgerte er, dass die oben genannten Aussagen der klassischen Mechanik modifiziert werden müssen. Im Detail heißt dies:
Die Messwerte für Längen und Zeiten sind abhängig vom Bewegungszustand (und damit der Geschwindigkeit) des Beobachters (siehe Zeitdilatation und Längenkontraktion). Auch die Gleichzeitigkeit ist relativ.
Bei einem Wechsel des Bezugssystems gilt die Lorentz-Transformation. Dies bedeutet, dass Geschwindigkeiten von Bewegungen, die sich überlagern, nicht einfach vektoriell addiert werden dürfen.
Bewegungen von Körpern können nur mit Geschwindigkeiten erfolgen, die geringer als die Lichtgeschwindigkeit sind. Auch Informationen können nicht schneller als das Licht übertragen werden.
Es gibt keinen „Äther“.
Die Effekte, die sich aus der speziellen Relativitätstheorie ergeben, machen sich jedoch erst bei sehr hohen Geschwindigkeiten bemerkbar. Der Lorentz-Faktor, der für Zeitdilatation und Längenkontraktion maßgeblich ist, ergibt erst für Geschwindigkeiten von eine Abweichung von mehr als einem Prozent. Folglich stellt die klassische Mechanik selbst für die schnellsten bisher gebauten Raumfahrzeuge eine äußerst präzise Näherung dar.
Siehe auch
Liste von Größenordnungen der Geschwindigkeit
Weblinks
Beispiele zur Messung der Geschwindigkeit in Alltagssituationen (LEIFI)
Anmerkungen und Einzelnachweise
Kinematik
Physikalische Größenart
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Q11465
| 765.523365 |
81566
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Canon
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Canon
|
Canon (japanisch , Kiyanon kabushiki-gaisha) ist ein japanisches Unternehmen mit Sitz in Tokio, das 1937 gegründet wurde. Canon ist Weltmarktführer beim Verkauf von digitalen Kameras mit einem Marktanteil von 45,4 Prozent (2019).
Geschichte
Der Unternehmensname (Firma) Canon (), der am 26. Juni 1935 angemeldet wurde, leitet sich wohl von der Bezeichnung des ersten Kameraprototyps „Kwanon“ ab, der nach dem buddhistischen Bodhisattva der Barmherzigkeit Kannon genannt wurde. 1937 wurde ein Labor für optische Präzisions-Instrumente von Yoshida Goro, Uchida Saburo und dem Arzt Takeshi Mitarai gegründet.
1964 stellte Canon einen ersten elektronischen Taschenrechner her.
Das ursprüngliche Ziel des Unternehmens war es, preisgünstige Nachbauten der damals technisch führenden Kleinbildkameras von Leica und Contax herzustellen. Von den sechziger Jahren bis zur Mitte der siebziger Jahre gab es hohe Zuwachsraten im Kamerabau. Dabei arbeitete auch Canon mit geschicktem Marketing.
Mit dem Canon V-20 brachte Canon 1983 einen MSX-Heimcomputer auf den Markt. 1985 machte Canon 55 Prozent seines Umsatzes mit Bürotechnik; dazu gehörten elektronische Schreibmaschinen, Kopierer und Tischrechner. Canon produziert zudem Faksimile-Übertragungsgeräte und Geräte für die Halbleiterproduktion.
Bei den Olympischen Spielen in Los Angeles 1984 machten Sony und Canon erfolgreich Übertragungsversuche von Magnetbildern mit Zeitungsverlagen.
Seit 2002 ist Canon in Westeuropa Marktführer bei Digitalkameras. Die Rekordumsätze, die das Unternehmen etwa seit der Jahrtausendwende erwirtschaftet, resultieren vor allem aus dem sprunghaft gestiegenen Absatz von Digitalkameras.
2003 erwirtschaftete Canon einen Rekordumsatz von 3198 Milliarden Yen (rund 24,1 Milliarden Euro; 2002: 2940 Milliarden Yen, rund 22,2 Milliarden Euro). Der operative Gewinn lag bei 454,4 Milliarden Yen (rund 3,4 Milliarden Euro; 2002: 346,4 Milliarden Yen, 2,6 Milliarden Euro).
Ebenfalls im Jahr 2003 erreichte Canon in Japan zum ersten Mal in der Unternehmensgeschichte die Marktführerschaft für Digitalkameras. Mit einem Marktanteil von etwa 19 % verdrängte Canon die bisherigen Spitzenreiter und Konkurrenten Fuji Photo Film (14,9 Prozent) sowie Sony (15,3 Prozent).
Im Geschäftsjahr 2008 erlitt Canon in der Folge der Weltwirtschaftskrise und des rasanten Yen-Anstiegs den ersten Ergebnisrückgang seit neun Jahren. Dabei sank der Gewinn 2008 um 36,7 % auf 309,15 Mrd. Yen. Der Umsatz reduzierte sich um 8,6 % auf 4,1 Bio. Yen.
Mit der Übernahme des Druckerherstellers Océ am 16. November 2009 strebt Canon die Weltmarktführung in der Druckerindustrie an.
2011 produzierte Canon wie die Mitbewerber Nikon und Sony auch in Thailand.
Im Jahr 2013 hat Canon 3.825 Patente in den USA angemeldet.
2015 erwirtschaftet Canon einen 3.800 Milliarden Yen (rund 30,3 Milliarden Euro), der Nettogewinn lag bei 220,2 Milliarden Yen (rund 1,8 Milliarden Euro).
Im März 2016 wurde bekanntgegeben, dass Canon von Toshiba den Geschäftsbereich Toshiba Medical Systems für rund 5,3 Milliarden Euro erwirbt. Damit soll der Bereich Medizintechnik ausgebaut werden. 2018 wurde aus dem Bereich Toshiba Electron Tubes & Devices, der sich mit Röhren- und Röntgentechnik befasste, die Canon Electron Tubes & Devices Co; er hat etwa 400 Mitarbeiter. 2016 wurden 56 Prozent der Kameras in Japan hergestellt.
2018 kündigte Fujio Mitarai die Eröffnung eines Forschungs- und Entwicklungszentrum im Silicon Valley an.
2019 erwirtschaftete Canon 3/4 des Umsatzes nicht mit Kameras.
Im Januar 2020 wurde die Firma Océ offiziell umbenannt in Canon Production Printing.
Canon in Deutschland und Österreich
Canon Deutschland
1973 wurde die Canon Copylux GmbH in Düsseldorf gegründet und zog ein Jahr später nach Willich in das Gewerbegebiet Münchheide. 1990 wurden die Unternehmen Canon Copylux und Canon Rechner Deutschland zur Canon Deutschland GmbH zusammengelegt. Canon unterhält seit 1995 in Krefeld eine Handelsniederlassung. Zum 1. Juli 2001 kam dann mit der ehemaligen Euro-Photo GmbH (seit 1985 zu Canon gehörig) die Kamerasparte an Bord, die zuvor ihren Sitz im benachbarten Willich gehabt hatte.
Als erste deutsche Niederlassung wurde 1972 in Gießen die Canon Gießen GmbH als einziges europäisches Kopiererwerk eröffnet. Die Neugeräteproduktion wurde 2008 eingestellt und der Standort Gießen zum Servicezentrum umgestellt. Seit Januar 2008 werden dort unter anderem Reparaturen von digitalen Kompaktkameras durchgeführt. Ebenso werden in Gießen Kopiersysteme wiederaufgearbeitet. Seit 2005 befindet sich auch in Gießen das „Print-on-Demand“ Testlabor von Canon. Im Jahr 2013 wurde die Océ Deutschland GmbH auf die Canon Deutschland GmbH verschmolzen.
In Krefeld wird 2016 die Deutschlandzentrale zu einem hochmodernen Kommunikationszentrum umgebaut.
Das Unternehmen beschäftigt rund 2.400 Mitarbeiter.
Canon Österreich
Die österreichische Niederlassung wurde 1975 mit ihrer Zentrale in Wien gegründet. 1994 wurde die Canon CEE GmbH aus der Exportabteilung der Canon Österreich GmbH ausgegliedert und übernahm den Export in die zentral- und osteuropäischen Staaten und gründete dort Tochterunternehmen und Büros.
Aktie
Die Aktie ist an der Tokioter Börse notiert und dort im TOPIX und im Nikkei 225 gelistet. Außerdem wird die Aktie an der New York Stock Exchange gelistet.
Kritik zum Datenschutz
Im Jahre 2004 erhielt die Canon Deutschland GmbH die Negativ-Auszeichnung Big Brother Award in der Kategorie „Technik“ für das Einbetten einer unsichtbaren, damals weltweit einmaligen Geräte-Kennung in sämtliche Farbkopien von professionellen Farblaserkopierern, um bei jeder Kopie nachvollziehen zu können, welches Gerät benutzt wurde. Somit wäre es prinzipiell möglich, den Urheber eines anonymen Protestschreibens oder den Erzeuger von Demonstrationsaufrufen räumlich exakt einzukreisen. Vorgesehen war die Sicherung offenbar gegen das Fälschen von Banknoten, wofür häufig derartige Geräte genutzt werden.
Produktangebot
Canon ist heute der größte Kamerahersteller der Welt. Das Unternehmen bietet jedoch auch viele Produkte im Bereich des Digital Imagings an, die unter anderem Scanner und Drucker umfasst. Daneben vertreibt der Hersteller Videokameras, Ferngläser, Mikrofilm-Lesegeräte (Canon 100) sowie Fax- und Kopiergeräte.
Schon in den 1980er Jahren wurde das Produktangebot um Produkte wie Maskenjustierer und Stepper für die Halbleiterproduktion ergänzt. Auch Sonnenkollektoren wurden produziert.
Seit 2014 besteht zwischen Canon und dem US-Hersteller für 3-D-Drucker, 3D Systems, eine Unternehmenskooperation. Die Kooperation umfasst den Vertrieb und Support der 3-D-Drucker von 3D Systems. Im November 2015 gab das Unternehmen bekannt, neben Großbritannien, Belgien und den skandinavischen Staaten ab Januar 2015 auch in Deutschland 3-D-Drucker von 3D Systems zu vertreiben. Auf der Expo 2015 in Mailand stellte Canon den Prototyp eines eigenen 3-D-Druckers vor. 2016 wurden die Drucker in Europa, Arabien und Afrika (EMEA (Wirtschaftsraum)) vertrieben.
Nach der Akquisition von Toshiba Medical Systems im Jahr 2016 ist Canon auch ein bedeutender Anbieter von Produkten für die diagnostische Bildgebung. Angeboten werden in diesem Geschäftsbereich Systeme für Computertomografie, Röntgengeräte, Magnetresonanztomografen und Ultraschallgeräte.
Analoge Kleinbildkameras
Die Anfänge
Bis Juni 1934 wurden erste Prototypen unter der Bezeichnung Kwanon entwickelt und vorgestellt, die formal stark an die Leica I erinnerten. Noch existierende Exemplare werden heute zu Preisen von 30.000 bis 40.000 Euro gehandelt. Im Februar 1936 brachte Canon die „Hansa Canon“ für 275 Yen auf den Markt. Ab 1939 ergänzten die Leica-Nachbauten Canon S, J, NS und JS das Angebot.
Zu Beginn produzierte Canon keine eigenen optischen Gläser; die für die ersten Kameras benötigten Objektive wurden von der Nippon Kogaku Kogyo Kabushiki Kaisha (kurz: Nippon Kogaku K. K.), später NIKON Corporation, geliefert und unter der Bezeichnung NIKKOR in die Kameras eingebaut. Die Produktion von eigenen Optiken (SERENAR Optiken) für Canon-Kameras begann erst ab 1947.
In den folgenden 25 Jahren bestimmten hauptsächlich Kleinbild-Messsucherkameras und dazugehörige Objektive (Leica-Schraubgewinde) das Angebot. Mit der Canon-V entwickelte sich ab 1956 das typische „Canon-Design“, das bis in die 1990er-Jahre bestimmend war. Als einziger Hersteller von Kleinbild-Messsucherkameras mit Wechselobjektiven stattete Canon die Kameras mit Schnellspannhebel, Filmrückspulkurbel, aufklappbarer Rückwand und (ab 1961) eingebautem Belichtungsmesser aus. Weitere Modelle waren die Canon V-T (mit Schnellspannhebel im Bodendeckel), Canon VI (mit verstellbarer Suchervergrößerung), Canon-P und Canon-7, die mit den besten Messsucherkameras von Leitz und Nikon konkurrierten. In den frühen 1960er-Jahren wurden auch hervorragende und kompakte Objektive entwickelt, die noch als FL- und FD-Linsen weiter produziert wurden, beispielsweise das 1.8/85, 1.4/50 oder 2.0/35. Unter den japanischen Herstellern Zunow, Nikon und Canon entstand zu einer Zeit, als Farbfilme zwischen 10 und 25 ASA Empfindlichkeit hatten, ein prestigeträchtiges Rennen um die lichtstärksten Objektive. Am berühmtesten war das lichtstärkste jemals serienmäßig gebaute Normalobjektiv 0.95/50, das nur an die Canon-7 passte. Um 1968 wurden die Kleinbild-Messsucherkameras von Canon eingestellt. Der Markt für anspruchsvolle Amateur- und Profikameras verlangte jetzt nach Spiegelreflexkameras. Canon produzierte mittlerweile auch Filmkameras, kleine automatische Kleinbildkameras und Tischrechner.
F-Serie
Die Spiegelreflexkameras der F-Serie, welche im April 1964 mit der Canon FX eingeführt wurde, läuteten den Siegeszug von Canon ein. Mit der FT QL (QL = Quick Load) wurde im März 1966 eine stark vereinfachte Filmeinlegung eingeführt, bei der man den Kleinbildfilm nicht mehr mühsam einzufädeln brauchte. Der Film musste lediglich eingelegt und bis zu einer Markierung herausgezogen werden. Nach dem Schließen der Rückwand wurde der Film durch manuelles Spannen automatisch weitergeführt, wie man es von heutigen motorbetriebenen Kameras kennt. Dieses gut funktionierende QL-System setzte sich jedoch vorerst nicht durch und wurde nur in den Modellen FT, FTb, TL und Pellix angeboten. Die Kern- und Erfolgsmodelle der F-Serie stellen jedoch die Modelle F-1/n, die F-1 New, die FT, deren Weiterentwicklung, die FTb, und die EF dar.
Das Spitzen- und Profi-Modell Canon F-1 gab es in insgesamt drei Versionen: Die 1971 eingeführte F-1, die 1976 leicht überarbeitete F-1n und schließlich die von 1981 bis 1988/1992 gebaute F-1 New. In allen Versionen waren sowohl der Sucher (fünf Modelle) als auch die Mattscheiben (13 Modelle) austauschbar; außer den FD-Objektiven ist aber das Zubehör zwischen F-1/F-1n und F-1 New nicht kompatibel.
Die F-1-Modelle gab es auch alternativ mit motorischem Filmtransport.
Der Standardsucher der F-1 (alt) ermöglichte eine Nachführmessung. Neben dem Spezialsucher für Sportfotografen (dieser ermöglichte den Suchereinblick aus bis zu 60 mm Entfernung, ohne die Kamera direkt am Auge zu halten, so dass man das Gesamtgeschehen außerhalb des Sucherbildes beobachten konnte) und dem Aufsichtsucher (Lichtschachtsucher, beliebt bei Studio-Fotografen), war deswegen besonders der Automatiksucher Servo EE beliebt, der die Kamera in eine Blendenautomatik-Kamera verwandelte. Zeitautomatik war mit dem Booster T Finder möglich. Beide Lösungen waren wegen der umständlichen Handhabung weniger für den mobilen Einsatz (obwohl möglich), sondern vor allem für den stationären Einsatz vom Stativ gedacht (unter anderem für Überwachungsaufgaben und Langzeit- sowie Mikroskopaufnahmen). Mit diesen batteriebetriebenen Suchern wechselte die F-1 (alt) von der Selektiv- zur Integralmessung.
Bei der Canon F-1 New war im Grundzustand ebenfalls Nachführmessung eingebaut. Zeitautomatik ließ sich durch Ansetzen des Automatiksuchers AE-FN realisieren, Blendenautomatik durch Ansetzen des „Motor Drive FN“.
Von der F-1 wurden auch diverse Sondermodelle gefertigt.
Modelle der F-Serie: FX, FP, Pellix, FT QL, Pellix QL, TL QL, F-1, F-1n, FTb QL, FTb-N QL, EF, TX, TLb, New F-1.
A-Serie
Im April 1976 brachte Canon mit der AE-1 mit Blendenautomatik das erste Modell der A-Serie auf den Markt, welches die bisherige Kameratechnik revolutionieren sollte, denn sie war die erste Kamera, deren Belichtungsprogramm von einer CPU gesteuert wurde. Sie war damit die erste vollelektronische Spiegelreflexkamera.
Die im April 1978 erschienene A-1 gilt noch heute als Meilenstein der Kameratechnik. Sie verfügte über fünf Automatikprogramme, darunter auch eine Programmautomatik, die Zeit und Blende vollautomatisch einstellt. Das von der Kamera errechnete Zeit-Blenden-Verhältnis wurde erstmals digital im Sucherfenster eingeblendet. Die Helligkeit dieser Anzeige passte sich zudem noch den Lichtverhältnissen an. In Verbindung mit dem dazugehörigen Motor kann sie bis zu 5 Bilder/Sekunde aufnehmen – ein Wert, der zu FD-Zeiten nur noch von der F-1 übertroffen wurde.
1981 folgte mit der „AE-1 Program“ die Nachfolgerin der AE-1, die neben der Canon-typischen Blendenautomatik nun auch eine Programmautomatik anbot. Auch ihre Sucheranzeigen waren nun elektronisch. Während die AE-1 noch eine Messnadel aufwies, zeigte die „AE-1 Program“ die automatisch eingestellten Blendenwerte mit LED an. Die alphanumerische Anzeige von Zeit und Blende blieb dem Top-Modell A-1 vorbehalten.
Mit der im März 1982 eingeführten AL-1 QF (QF= Quick-Focus) wurde ein Vorläufer des Autofokus eingeführt. Im Sucherfenster befanden sich drei Leuchtdioden, zwei rote in Form von Richtungspfeilen nach links und rechts sowie eine runde grüne in deren Mitte. Die roten Leuchtdioden zeigten die notwendige Drehrichtung des Objektives an, die grüne leuchtete bei der korrekten Fokussierung auf. Gleichzeitig entfielen der Schnittbildindikator sowie der Mikroprismenring auf der Mattscheibe.
Weitere Modelle der A-Serie waren die voll manuelle AT-1, bei der Zeit und Blende per Keil und Messnadel im Sucher abgeglichen werden mussten sowie die AV-1, der einzige reine Zeitautomat im damaligen Canon-Programm, bei der jedoch eine manuelle Einstellung bzw. Korrektur der Belichtung nur umständlich (z. B. über die Verstellung der ISO-Werte) möglich war.
Modelle der A-Serie: AE-1, AT-1, A-1, AV-1, AE-1 Program, AL-1.
Besonderheiten der F- und A-Serie
Das Amateurmodell der Profikamera F-1, die EF, verfügte zusätzlich noch über eine Blendenautomatik sowie den interessanten Hybridverschluss: Die kurzen Zeiten bis zur 1/2s werden mechanisch gebildet, die langen Verschlusszeiten elektronisch.
Die F-1N war wie ihre Vorgängerin F-1 ein Profimodell in Modulbauweise. Die Sucheraufsätze waren auswechselbar und je nach verwendetem Sucher bzw. angesetztem Motorantrieb verfügt die Kamera über Nachführmessung, Zeit- und/oder Blendenautomatik. Sie galt als Herausforderin der Nikon F3, der sie durchaus das Wasser reichen kann, doch erst mit der Autofokusserie EOS (insbesondere mit dem Modell EOS-1) konnte Canon verstärkt in Profibereiche eindringen und Nikon überflügeln.
Die F- und A-Serie von Canon gelten als sehr robust. Selbst erste Modelle der F-Serie, mittlerweile 40 Jahre alt, funktionieren in der Regel noch heute problemlos und zeigen keinerlei Verschleiß. Bei den älteren Modellen der rein mechanischen F-Serie stellt heute jedoch die Stromversorgung für den Belichtungsmesser ein Problem dar, da diese durch 1,35-Volt-Quecksilberbatterien erfolgt, welche nicht mehr vertrieben werden dürfen. Eine Ausnahme stellt die EF dar, welche aufgrund einer aufwendigen Spannungsversorgung des Belichtungsmessers auch mit problemlos erhältlichen 1,5-Volt-Alkali-Batterien betrieben werden kann. Bei der FTb kann man sich dadurch behelfen, dass man eine 1,5-Volt-Batterie einsetzt und die Filmempfindlichkeit auf ein Viertel des angegebenen ASA-Wertes reduziert (statt 200 stellt man 50, statt 800 stellt man 200 ASA ein usw.). Ob diese oder eine ähnliche Einstellungskorrektur auch für die anderen Modelle der F-Serie gilt, kann man durch den Vergleich der Belichtungseinstellung mit einer zweiten Kamera ermitteln. Die F-1 NEW wird, wie die Modelle der A-Serie, mit 6-Volt-Batterien betrieben, die auch quecksilberfrei im Handel erhältlich sind.
Bei der A-Serie kommt es bei seltener Benutzung der Kamera oftmals zum sogenannten „Keuchhusten“ oder „Asthma“, der sich durch ein quietschendes bzw. pfeifendes Geräusch beim Auslösen bemerkbar macht. Die Ursache hierfür ist eine verharzte Spiegelbremse. Im Internet findet sich eine Reparaturanleitung für dieses Problem.
T-Serie
Im März 1983 wurde mit der T-50 die T-Serie eingeführt. Diese Kameras hatten ebenfalls noch keinen Autofokus, aber schon einen eingebauten Motorantrieb, die FD-Objektive der F- und A-Serie konnten somit an dieser Serie weiterverwendet werden. Die T-Serie wurde mit Hilfe von Digitalanzeigen auf dem Gehäuse und im Sucher eingestellt. Die Einstellung erfolgte durch Druckknöpfe.
Die T-70 übernahm die Rolle der A-1 als Spitzenkamera für den engagierten Amateur und bot zusätzlich noch einen eingebauten Winder (d. h. einen Motoraufzug), der den Film automatisch transportierte. Sie bietet vier Automatikprogramme:
Normalprogramm: Blende und Belichtungszeit werden passend zur Lichtsituation eingestellt. Ist für die korrekte Belichtung eine Belichtungszeit von 1/60 s oder länger erforderlich, erscheint eine Warnung im Sucher.
Teleprogramm: Dieses Programm bevorzugt kurze Belichtungszeiten. Warnung im Sucher bei Belichtungszeiten von 1/125 s oder länger.
Weitwinkelprogramm: Dieses Programm bevorzugt kleine Blenden für große Schärfentiefe. Warnung im Sucher bei Belichtungszeiten ab 1/30 s.
Blendenautomatik: Die Belichtungszeit wird manuell vorgewählt, und das Programm wählt die dazu passende Blende.
Die unterschiedlichen Automatikprogramme sind bei allen an die Kamera passenden FD-Objektiven benutzbar, z. B. heißt „Teleprogramm“ nicht, dass nur Teleobjektive mit diesem Programm benutzt werden könnten.
Außerdem lässt sich die T-70 – im Gegensatz zur T-50 – auch ganz manuell einstellen.
Diese Kamera bietet neben einer mittenbetonten Integralmessung auch Selektivmessung mit Messwertspeicherung (sehr praktisch z. B. für Gegenlichtaufnahmen). Die Belichtungszeiten reichen von 2 s bis zu 1/1000 s.
Mit der speziell für die T-70 entwickelten Datenrückwand sind – neben weiteren interessanten Funktionen – Belichtungszeiten von bis zu rund 24 h möglich. Außerdem gibt es mit dem „Canon Speedlite 277T“ ein optimal angepasstes Blitzlicht für dieses Modell.
Die T-70 war sehr erfolgreich und wurde mehrfach ausgezeichnet, unter anderem wurde es von der Stiftung Warentest im Mai 1985 mit „sehr gut“ bewertet.
Die T-90 erschien 1986 und ist auch das am besten ausgestattete Modell mit dem Canon FD Bajonett dar. So beherrscht die T-90 wahlweise die Integral-, die Selektiv- oder die Multi-Spotmessung, enthält eine TTL-Blitzautomatik und erreicht mit ihrem eingebauten Motor eine Serienbildrate von 4,5 Bildern/Sekunde. Mit ihr waren Verschlusszeiten bis zur 1/4000 Sekunde möglich. Ihr für die gesamte Kameraentwicklung wegweisendes Produktdesign stammt von Luigi Colani.
Auch für die T-90 gibt es eine passende Datenrückwand, welche die Funktionalität der Kamera erweitert. Das Blitzlicht „Canon Speedlite 300TL“ wurde speziell auf die T-90 zugeschnitten.
Im Gegensatz zur High-Tech-Kamera T-90 steht die T-60, die allerletzte Kamera des FD-Systems, die Anfang der 1990er-Jahre auf den Markt kam. Canon ließ sie von Cosina produzieren (wie auch Nikon die FE10/FM10), was dafür sorgte, dass ihr der typische Charme sonstiger Canon-Modelle ein wenig abgeht: Sie ist rein aus Kunststoff gefertigt und macht keinen besonders wertigen Eindruck. Interessant ist sie aber dennoch, weil sie ein reiner Zeitautomat mit allen manuellen Eingriffsmöglichkeiten ist. In das FD-System ist sie allerdings nur über das Bajonett eingebunden, denn sie verfügt im Blitzschuh nur über einen normalen Standard-X-Anschluss, so dass die Besonderheiten der Canon-Systemblitze nicht genutzt werden können. Außerdem hat sie keine Anschlussmöglichkeit für einen Motorantrieb.
Eine Besonderheit ist die T-80: sie war die erste Spiegelreflexkamera von Canon mit echtem Autofokus. Voraussetzung hierfür sind spezielle und durch den eingebauten Autofokusmotor etwas breitere Objektive. Es gab nur drei dieser Spezialobjektive (AC 50 mm f/1.8, AC 35–70 mm f/3.5-4.5, AC 75–200 mm f/4.5), die einen Fokusmotor beinhalten und über zusätzliche Kontakte mit der Kamera kommunizieren. Dennoch besitzt die T-80 das FD-Bajonett und ist somit voll kompatibel zu allen anderen manuellen FD- und FL-Objektiven. Damit können neben den Objektiven zur automatischen Scharfstellung auch alle übrigen FD- und FL-Objektive zur Fokusbestätigung durch die Kamera und so zur sichereren manuellen Scharfstellung genutzt werden.
EOS
Canon stellte mit der EOS 650 seine erste Autofokus-Spiegelreflexkamera mit dem völlig neuen EF-Bajonett für das Kleinbildformat im März 1987 vor – zwei Jahre nach dem Mitbewerber Minolta; der Autofokusmotor sitzt bei den Canon EF-Objektiven allerdings nicht im Gehäuse, sondern im Objektiv; im September 1989 wurden die nahezu lautlosen Ultraschall-Motoren (USM) vorgestellt. Mit der EOS 1 gelang es Canon erstmals, mit den bis dahin dominierenden Nikon-Kameras gleichzuziehen. Aufgrund der schnelleren USM-Superteles wurde Canon innerhalb weniger Jahre sogar zur führenden Marke unter Sportfotografen. Der Name EOS steht für Electro-Optical System.
Modelle der analogen EOS-Serie sind: 650 QD, 620, 750 QD, 850, 600, 1, RT, 10, 700, 100 / Elan (USA), 1000F QD, 1000F, 1000N, 5, 500, Rebel X (USA), 1N, 1N HS, 1N DP, 5000, 888 (Asien), 1N RS, 50, 50E, 500N, IX, IX7, 3, 3000, 88 (Asien), 300, 300 QD, 1V, 30, KISS III L (Japan), 3000N, 300V, 300X, 3000V, 30V, 33V, EF-M.
Digitalkameras
Canon bietet Digitalkameras seit etwa 1984 an. Die erste erhältliche Kamera war die Canon RC-701 der RC-Modellreihe. Später folgten digitale Kompaktkameras der Reihen PowerShot und Digital IXUS sowie die digitalen Spiegelreflexkameras der EOS-Digital-Serie.
Canon war 2012 der letzte große Hersteller von Systemkameras, der mit dem System EOS M ein spiegelloses Kamerasystem ins Angebot nahm.
Zwar führte Canon mit der EOS R im September 2018 seine erste spiegellose Vollformatkamera mit dem neuen RF-Bajonett ein, jedoch wird im APS-C-Bereich die EOS-Reihe mit DSLR weiter bedient. 2019 wurde mit der DSLR Canon EOS 90D die damals höchstauflösende APS-C-Kamera (32 Megapixel) auf den Markt gebracht.
Siehe dazu die Hauptartikel:
PowerShot
PowerShot G-Reihe
Digital IXUS
EOS Digital
EOS M
EOS R
Videokameras
Canon bietet neben professionellen Fotoapparaten und Digitalkameras auch eine Reihe von digitalen Videokameras sowohl für Einsteiger in Standard Definition und High Definition als auch für Hobbyfilmer und für professionelle Einsätze.
Legria-/Vixia-Serie
Einsteiger- und Hobby-Camcorder werden von Canon unter dem Namen Legria in Europa und Vixia in Amerika vertrieben, wobei es sich um dieselben Modelle handelt.
Standard-Definition-Kameras werden in der FS-Serie geführt, wahlweise mit internem Speicher wie beim 2011er Modell FS40 oder mit externer Speicherkarte beim Modell FS400.
High-Definition-Kameras der Legria-/Vixia-Serie sind in Einsteigermodelle, mit der HF-R-Serie, Hobbyfilmer mit der HF-M-Serie und Professional-Modelle mit der HF-G- und HF-S-Serie unterteilt. Sowohl in der R- als auch in der M-Serie bietet Canon Modelle wahlweise mit internem Speicher oder externer Speicherkarte an. Zu unterscheiden ist dies an der Anzahl der Ziffern nach dem Buchstaben, wobei zwei Ziffern (z. B. HF M41) generell bedeutet, dass das Modell einen internen Speicher besitzt und drei Ziffern (z. B. HF M406), dass das Gerät lediglich auf externe Speicherkarten speichert.
Professional-Serie
Neben der Legria-/Vixia-Serie bietet Canon auch eine Professional-Serie an. Geräte dieser Serie in High-Definition-Aufnahmequalität sind generell mit einem „X“ beginnend gekennzeichnet, Standard-Definition-Geräte mit einem „G“ beginnend.
Cinema-EOS-Serie
Canon bietet eine Serie von professionellen digitalen Filmkameras für Wechselobjektive an, beginnend Ende 2011 mit der Canon EOS C300, im darauffolgenden Jahr gefolgt von der EOS C500 und EOS C100 sowie der Canon EOS-1D C. Letztere ist anders als die anderen drei Modelle nicht spiegellos, sie ähnelt in vielerlei Hinsicht der Canon EOS-1D X.
C100, C300 und C500 haben Sensoren im Super-35-Format, die 1D C einen Vollformatsensor.
Seit 2015 wurden nach und nach die Nachfolgermodelle C100 mkII und C300 mkII auf den Markt gebracht. 2017 brachte Canon die C200 heraus, welche die Lücke zwischen dem Einsteigermodell C100 und der C300 schließen soll, und in 4K max. 50 Bilder/Sekunde sowie in Full-HD bis zu 120 Bilder/Sekunde aufnehmen kann.
Das Top-Modell der C-Serie ist die C700, welche in 4,5K bis zu 100 Bilder/Sekunde aufnehmen kann, und mit einem Preis von über 30.000 EUR auf den Professional-Bereich abzielt.
Canon bietet außerdem eine ganze Reihe an für Filmaufnahmen ausgelegten Objektiven für EF- und Arri-PL-Objektivanschlüsse an.
Kamera-Zubehör
Canon bot und bietet für alle Kamera-Reihen ein umfangreiches Zubehörsortiment an; dazu zählen unter anderem die Blitzgeräte mit dem Markennamen „Speedlite“.
Scanner
Canon stellt seit vielen Jahren Scanner für den Einsatz am Computer her. Dazu gehören Flachbettscanner, Flachbettscanner mit Durchsichteinheit (Dia-Scanner) und Dokumentenscanner.
Drucker und Kopierer
Canon entwickelt und produziert seit 1970 Kopiersysteme (NP-1100) und seit 1979 Laserdrucksysteme (Laser Printer LBP-10). Etwa seit Mitte der 1970er Jahre arbeitete Canon an der Tintenstrahltechnik, 1985 erschien Canons erster Tintenstrahldrucker BJ-80; die Tintenstrahldrucker hießen bis Ende der 90er Jahre noch BJ (bubble jet).
Seit den 1980er Jahren besteht eine Partnerschaft mit HP, worüber HP auch Technik für Laserdrucker erwarb.
1987 brachte Canon mit dem CLC-1 ein digitales Vollfarb-Kopiersystem auf den Markt. Mit diesem Kopiersystem wurden Anfang der 1990er-Jahre häufig und sehr erfolgreich Banknoten kopiert, bis 1993 Canon eine Selbstschwärzungsfunktion als Gegenmaßnahme implementierte.
2004 erschien der erste Tintenstrahldrucker PIXMA iP8500 in neuem Design und dem ChromaLife100 system mit mehr als 6.000 Tintendüsen. Er hatte damit eine sehr gute Fotodruckqualität. Zum Herbst desselben Jahres wurde die PIXMA-Serie vervollständigt.
Nach der Übernahme des Herstellers Océ im Jahre 2009 brachten Canon und Océ das erste Digitaldrucksystem aus gemeinsamer Entwicklung – die imagePRESS-C7010VPS-Serie – auf den Markt. Durch die Produkt- und Marktanteile von Océ schloss Canon eine Lücke im Portfolio und kann nun auch Hochleistungs-Digitaldrucksysteme für den Produktionsdruck-Bereich anbieten.
Im Jahr 2010 lag Canon in Deutschland bei den Druckerverkäufen über den Großhandel mit 6,3 Prozent auf dem dritten Platz nach HP (58 %) und Epson (16 Prozent), vor Brother (5,6 Prozent), Samsung (4,6 Prozent).
Das gemeinsam von Canon und Océ entwickelte Digitale Drucksystem Océ VarioPrint® DP Line gewann am 19. März 2012 den iF Product Design Award 2012.
Für sehr hohe Ansprüche bietet Canon imagePROGRAF PRO-Drucker mit zwölf Tintenfarben an.
2019 lag Canon bei den weltweiten Druckerverkäufen mit etwa 20 Prozent Anteil auf Platz 2 (drittes Quartal), mit einigem Abstand hinter HP (etwa 40 Prozent).
Am 1. Januar 2020 wurde die Firma Océ offiziell umbenannt in Canon Production Printing.
Canon V-10/V-20
1983 stellte Canon mit dem V-10 und dem V-20 zwei MSX-Heimcomputer vor, die technologisch nicht besonders überzeugen konnten. Ohne zusätzliche Features realisierten sie nur den minimalen Umfang des MSX-Standards. Weiters wurde eine Hardware-Erweiterung hergestellt, die Aufnahmedaten wie Blende, Belichtungszeit oder Aufnahmedatum vom Datenrückteil der Canon T90 empfangen konnte. Die Erweiterung war wegen der Standardisierung von MSX auch auf Computern anderer Hersteller lauffähig.
Literatur
S. Noma (Hrsg.): Canon, Inc. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 162.
Weblinks
Canon Deutschland
Einzelnachweise
Fotounternehmen
Bürogerätehersteller
Optikhersteller
Hardwarehersteller (Japan)
Drucker nach Hersteller
Königlicher Hoflieferant (Belgien)
Unternehmen (Ōta, Tokio)
Unternehmen (Willich)
Unternehmen im Nikkei 225
Anlagenbauunternehmen für die Halbleiterindustrie
Gegründet 1937
Produzierendes Unternehmen (Kreis Viersen)
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Q62621
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1662
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Asien
1. Februar: Die Niederländische Ostindien-Kompanie unter Gouverneur Frederick Coyett verliert nach längerer Belagerung von Fort Zeelandia die seit 1624 bestehende Kolonie Niederländisch-Formosa auf der Insel Taiwan an die Streitmacht des chinesischen Armeeführers und Piraten Koxinga, der sich im Kampf mit der erst 1644 etablierten Qing-Dynastie in China befindet. Kurz nach der Errichtung des Königreichs Tungning stirbt Koxinga jedoch am 23. Juni an der Malaria. Die Niederländer, die freies Geleit erhalten haben, gehen nach Batavia, wo Gouverneur Coyett vor ein Kriegsgericht gestellt wird. Er entgeht der Todesstrafe, wird jedoch für zwölf Jahre auf die Banda-Inseln verbannt.
23. Juni: Nach dem Tod von Koxinga übernimmt sein Sohn Zheng Jing im Streit mit seinem Onkel Zheng Shixi die Herrschaft im Königreich Tungning. Er bemüht sich um eine Annäherung und Aussöhnung mit der Qing-Dynastie und schickt Gesandte nach Peking, um für Tungning den Status eines autonomen Staates zu erreichen. Dieses Vorhaben scheitert aber an den Forderungen der Qing-Regierung. Als Reaktion auf Überfälle der Tungning-Flotte auf chinesische Küstenstädte verfügt Peking die Blockade Taiwans sowie die Unterstützung von Zheng Jing-feindlichen Kräften auf der Insel. Ausgelöst durch eine Hungersnot in China und die Verfolgung der Ming-Anhänger kommt es bis 1664 zu mehreren Einwanderungswellen von Festlandschinesen nach Taiwan, die von Zheng Jing kräftig gefördert werden.
Europa
6. Februar: Im Vertrag von Montmartre mit Herzog Karl IV. erlangt der französische König Ludwig XIV. Einfluss auf das Herzogtum Lothringen.
31. Mai: Der englische König Karl II. heiratet Katharina von Braganza. Als Katholikin wird sie jedoch nicht zur Königin von England gekrönt.
27. Oktober: Der englische König Karl II. verkauft die Stadt Dünkirchen für fünf Millionen Livres an das von Ludwig XIV. regierte Frankreich.
Eine Hungersnot in Frankreich führt zu erfolglosen Aufständen. Etwa gleichzeitig beginnt der Ausbau des Schloss Versailles.
Die Auseinandersetzungen zwischen Kurfürst Friedrich Wilhelm I. und preußischen Ständen eskalieren erneut im Königsberger Aufstand
Nach der Einführung des Absolutismus in Dänemark-Norwegen durch das Souveränitätsgesetz im Vorjahr gliedert König Friedrich III. die Verwaltung Dänemarks in 44 Amtsbezirke.
Amerika
Die Stadt Milton im US-Bundesstaat Massachusetts wird gegründet.
Die New Haven Colony wird mit der Colony of Connecticut vereinigt.
Wirtschaft
18. März: Die von dem französischen Philosophen und Mathematiker Blaise Pascal konzipierten Carrosses à cinq sols nehmen in Paris als weltweit erstes öffentliches Nahverkehrssystem den Betrieb auf.
Wissenschaft und Technik
Robert Boyle veröffentlicht seine Nova experimenta physico-mechanica, die das Gesetz über Gase enthält, dass bei fester Temperatur das Produkt aus Druck und Volumen eine Konstante ist.
John Graunt analysiert in seinem Werk Natural and Political Observations Made upon the Bills of Mortality die Londoner Sterbeverzeichnisse und legt damit die Grundlage für die moderne Statistik.
Die Akademie der Bildenden Künste Nürnberg wird gegründet und ist damit die älteste Kunstakademie im deutschsprachigen Raum.
Joan Blaeu beginnt in Amsterdam mit der Herausgabe seines Atlas Maior, eines elfbändigen Weltatlas mit 594 Karten.
Kultur
Literatur
Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel, seit 1659 Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft, gibt sein Werk Des Trojanischen Paridis Urtheil / Von dem Goldenen Apffel der Eridis heraus.
Theater und Musiktheater
7. Februar: Die Uraufführung der Oper Der verliebte Herkules von Francesco Cavalli findet in Paris statt.
26. September: Die Uraufführung des musikalischen Dramas Antiopa giustificata von Johann Caspar Kerll erfolgt in München.
18. November: Das Drama La Zenobia di Radamisto von Antonio Bertali hat seine Uraufführung an der Hofburg in Wien.
26. Dezember: Die Uraufführung von Molières Komödie Die Schule der Frauen findet mit großem Erfolg in Paris statt. Das Werk gilt als das erste Meisterwerk Molières und der französischen Hohen Komödie überhaupt. Die Tatsache, dass Molière seinem Protagonisten nicht nur lächerliche, sondern auch ernste Züge verleiht, und die unkonventionelle Art und Weise, mit der er das Regelwerk der dramatischen Genres unterläuft, führt zu einer heftigen öffentlichen Debatte.
Teekultur
31. Mai: Katharina von Braganza führt nach ihrer Heirat mit König Karl II. den Tee am englischen Hof ein und gilt damit als Begründerin der Britischen Teekultur.
Sonstiges
Das von Hans Hamelau erbaute Baumhaus im Hamburger Hafen wird fertiggestellt.
Gesellschaft
Eleonora Magdalena Gonzaga von Mantua-Nevers stiftet den Orden der Sklavinnen der Tugend.
Religion
Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg erlässt ein erstes Toleranzedikt, das die gegenseitige Kanzelpolemik, das heißt die Kritik zwischen Calvinisten und Lutheranern an der jeweils anderen Lehre von der Kanzel herab verbietet. Es sollen nur noch solche Kandidaten zum Pfarramt zugelassen werden, die im Sinne der Irenik zu handeln gedenken. Maßgeblich ist hier das Programm des Heidelberger Reformierten David Pareus mit dem Ziel, Glaubensgegensätze zwischen Reformierten und Lutheranern zu überbrücken, um eine gemeinsame Front gegen die Katholische Kirche zu schaffen. Darüber hinaus wird den Kandidaten ein Studium in Wittenberg verboten, das als lutherische Hochburg der Reformation schlechthin gilt. Dieses Edikt stößt vor allem bei der lutherischen Orthodoxie auf massive Kritik.
Auf Einberufung des Kurfürsten Friedrich Wilhelm beginnt am 8. September das Berliner Religionsgespräch zwischen lutherischen und reformierten Theologen der Mark Brandenburg mit dem Ziel der Annäherung der beiden protestantischen Konfessionen.
Historische Karten und Ansichten
Geboren
1. Januar: Pierre Gobert, französischer Hofmaler († 1744)
9. Januar: John Holles, 1. Duke of Newcastle, englischer Peer und Politiker († 1711)
12. Januar: Samuel Shute, englischer Offizier, Gouverneur von Massachusetts und New Hampshire († 1742)
13. Januar: Johann Christian Adami der Ältere, deutscher Theologe und Kirchenlieddichter († 1715)
21. Jänner: Franz Ehrenreich von Trauttmannsdorff, österreichischer Diplomat und Politiker († 1719)
27. Januar: Richard Bentley, englischer klassischer Philologe und Textkritiker († 1742)
9. Februar: Paolo De Matteis, italienischer Maler († 1728)
8. März: August Wilhelm, Herzog zu Braunschweig und Lüneburg († 1731)
22. März: August Christoph von Wackerbarth, kursächsischer Generalfeldmarschall und Staatsminister († 1734)
13. April: Eleonore von Sachsen-Eisenach, Markgräfin von Brandenburg-Ansbach und Kurfürstin von Sachsen († 1696)
15. April: Fernando de Alencastre Noroña y Silva, spanischer Offizier, Kolonialverwalter und Vizekönig von Neuspanien († 1717)
21. April: Friedrich von Ahlefeldt, Herr der Herrschaften Rixingen (Réchicourt), Langeland, General und Statthalter († 1708)
28. April: Aurora von Königsmarck, deutsche Adelige, Mätresse Augusts des Starken, danach Pröpstin des Stiftes Quedlinburg († 1728)
30. April: Maria II., Königin von England und Schottland († 1694)
3. Mai: Matthäus Daniel Pöppelmann, Baumeister in Dresden († 1736)
27. Mai: Johan II. de Witt, niederländischer Patrizier († 1701)
7. Juni: Celia Fiennes, englische Reiseschriftstellerin († 1741)
11. Juni: Tokugawa Ienobu, sechster Shogun des Tokugawa-Shogunats in Japan († 1712)
18. Juni: Charles FitzRoy, 2. Duke of Cleveland, unehelicher Sohn des englischen Königs Karl II. († 1730)
11. Juli: Maximilian II. Emanuel, Kurfürst von Bayern († 1726)
3. August: Sophia Henriette von Waldeck, Herzogin von Sachsen-Hildburghausen († 1702)
7. August: Andreas Dietrich Apel, deutscher Handelsherr und Seidenfabrikant († 1718)
13. August: Charles Seymour, 6. Herzog von Somerset, englischer Peer, sowie Hof- und Staatsbeamter († 1748)
22. August: Christoph Hochreutiner, Schweizer Bürgermeister und Tagsatzungsgesandter († 1742)
29. August: Alvise Mocenigo III., 112. Doge von Venedig († 1732)
13. September: Adam II. Batthyány, ungarischer Feldherr, Ban von Kroatien († 1703)
14. Oktober: Johann Christian Lünig, deutscher Jurist, Historiker und Publizist († 1740)
17. Oktober: Johannes d’Outrein, niederländischer Prediger, Schriftsteller und Verfasser evangelischer theologischer Werke († 1722)
18. Oktober: Matthew Henry, presbyterianischer Pfarrer und Bibelkommentator († 1714)
30. Oktober: Wilhelm Ernst, Herzog von Sachsen-Weimar († 1728)
1. November: Tobias Eckhard, deutscher Pädagoge, evangelischer Theologe und Philologe († 1737)
15. November: Christian Andreas Siber, deutscher Pädagoge und lutherischer Theologe († 1704)
26. November: Georg Albrecht Hamberger, deutscher Mathematiker und Physiker († 1716)
29. November: Heinrich X., Graf Reuß jüngere Linie, Stifter der Linie Reuß-Ebersdorf († 1711)
24. Dezember: Adam Zrinski, kroatischer Adeliger und kaiserlicher Offizier († 1691)
Gestorben
Erstes Halbjahr
10. Januar: Honoré II., Fürst von Monaco (* 1597)
13. Januar: Christian Keimann, deutscher Pädagoge, Dichter und evangelischer Kirchenlieddichter (* 1607)
23. Januar: Johann Kemény, ungarischer Militärführer und Fürst von Siebenbürgen (* 1607)
9. Februar: Michael Walther der Ältere, deutscher lutherischer Theologe (* 1593)
13. Februar: Elisabeth Stuart, Titularkönigin von Böhmen, auch bekannt als die Winterkönigin (* 1596)
17. Februar: Johann Zechendorf, deutscher Philologe und Pädagoge (* 1580)
17. Februar: Konrad Barthels, deutscher lutherischer Theologe (* 1607)
21. Februar: Domenicus Morelli, Schweizer Steinmetzmeister und Bildhauer (* 1627)
27. Februar: Pedro Porter Casanate, spanischer Offizier und Gouverneur von Chile (* 1611)
5. März: Johann Crüger, deutscher Komponist (* 1598)
15. März: Andreas Kunad, deutscher Pädagoge und lutherischer Theologe (* 1602)
14. April: William Fiennes, 1. Viscount Saye and Sele, englischer Adeliger und Politiker (* 1582)
14. April: Leonhard Kern, deutscher Bildhauer (* 1588)
11. Mai: Johann Adlzreiter von Tettenweis, deutscher Jurist und Politiker (* 1596)
11. Mai: Joachim von der Marwitz, kurbrandenburgischer Hofbeamter und Soldat (* 1603)
16. Mai: Abraham de Fabert, französischer Heerführer und Militäringenieur, Marschall von Frankreich (* 1599)
27. Mai: Wilhelm IV., Herzog von Sachsen-Weimar (* 1598)
28. Mai: Robert Douglas, schottisch-schwedischer Feldmarschall (* 1611)
30. Mai: William Backhouse, englischer Alchemist (* 1593)
14. Juni: Henry Vane, englischer Politiker und Staatsmann (* 1612)
23. Juni: Zheng Chenggong, chinesischer Armeeführer und Seeräuber (* 1624)
26. Juni: Lawrence Rooke, englischer Astronom und Mathematiker (* 1622)
Zweites Halbjahr
7. Juli: Andreas Düben, deutscher Kapellmeister, Organist und Komponist (* um 1597)
7. Juli: Friedrich von Fürstenberg, kurkölner Diplomat und Domherr (* 1618)
12. Juli: Ludwig Heinrich, Graf bzw. Fürst von Nassau-Dillenburg (* 1594)
16. Juli: Alfonso IV. d’Este, Herzog von Modena und Reggio (* 1634)
14. August: Christine Magdalena von Pfalz-Zweibrücken-Kleeburg, Markgräfin von Baden-Durlach (* 1616)
19. August: Blaise Pascal, französischer Philosoph, Physiker und Mathematiker (* 1623)
21. September: Adriaen van Stalbemt, flämischer Maler, Zeichner und Radierer (* 1580)
13. Oktober: Isaak Volmar, kaiserlicher Gesandter bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden (* 1582)
29. Oktober: William Pynchon, stellvertretender Finanzverantwortlicher der Massachusetts Bay Colony (* 1590)
9. November: Giovanni Francesco Romanelli, italienischer Maler (* 1610)
11. November: Otto von Senheim, deutscher kurfürstlicher Geistlicher (* 1601)
19. November: Cornelis van Aerssen van Sommelsdijk, niederländischer Edelmann (* 1600)
20. November: Leopold Wilhelm von Österreich, Statthalter der spanischen Niederlande, Feldherr und Kunstmäzen (* 1614)
10. Dezember: Johann Grienwald, Benediktiner und Abt der Abtei Niederaltaich (* um 1600)
29. Dezember: Antonio de Acuña Cabrera y Bayona, spanischer Offizier und Gouverneur von Chile (* um 1597)
30. Dezember: Ferdinand Karl, Landesfürst von Tirol (* 1628)
Genaues Todesdatum unbekannt
Ulrich Loth, deutscher Maler des Frühbarock (* vor 1599)
Weblinks
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Q7574
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8941937
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https://de.wikipedia.org/wiki/UTC%2B8%3A30
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UTC+8:30
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UTC+8:30 ist eine Zonenzeit, die den Längenhalbkreis 127,5° Ost als Bezugsmeridian hat. Auf Uhren mit dieser Zonenzeit ist es achteinhalb Stunden später als die koordinierte Weltzeit und siebeneinhalb Stunden später als die MEZ. Derzeit findet die Zeitzone keine Verwendung mehr.
Korea
Das Kaiserreich Korea führte im Jahre 1908 eine Korea-Standardzeit UTC+8:30 ein. Sie wurde 1912 von der Okkupationsmacht Japan abgeschafft und die Japan-Standardzeit UTC+9 in Korea eingeführt. Nach dem Koreakrieg führte Südkorea 1954 UTC+8:30 ein, schaffte diese Zeit aber 1961 wieder ab.
Anlässlich des 70. Jahrestages des Endes der japanischen Kolonialherrschaft in Nordkorea, die von 1910 bis 1945 dauerte, entschloss sich Nordkoreas Oberster Führer Kim Jong-un, die von den Japanern eingeführte Zeitzone UTC+9 abzuschaffen und zum 15. August 2015 die Pjöngjang-Zeit UTC+8:30 (= Korea-Standardzeit) einzuführen. Südkorea verblieb in der bisherigen Zeitzone. Zum 5. Mai 2018 wechselte Nordkorea zurück zur Zeitzone UTC+9, was als Zeichen der Annäherung an Südkorea verstanden wurde.
China
Ab 1912 wurden Zeitzonen in China offiziell eingeführt. Das Land wurde in fünf Zonen, namentlich GMT+5:30, GMT+6, GMT+7, GMT+8 und GMT+8:30 eingeteilt. Nach dem chinesischen Bürgerkrieg 1949 übernahm die Kommunistische Partei Chinas die Macht in Festlandchina. Die nun bestehende Volksrepublik China führte eine gemeinsame Zeitzone (UTC+8) für das gesamte beanspruchte Territorium ein.
Einzelnachweise
UTC28.5
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1505283
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ostanatolien
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Ostanatolien
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Ostanatolien () ist flächenmäßig das größte und bevölkerungsmäßig das kleinste der sieben geographischen Gebiete der Türkei. Mit einer Fläche von 163.000 km² stellt die Region etwa 20,9 Prozent des türkischen Staatsterritoriums dar. Die offizielle Bezeichnung ist Doğu Anadolu Bölgesi („Ostanatolien-Gebiet“).
Diese Region existiert offiziell seit dem Ersten Türkischen Geographenkongress von 1941 in Ankara und ist geographisch in vier Teilregionen bzw. Gebiete geteilt.
Einteilung
Geographisch
Die geographische Einteilung:
Anatolien
Ostanatolien
Erzurum-Kars Bölümü – Bereich Erzurum-Kars
Yukarı Fırat bölümü – Bereich oberer Euphrat
Yukarı Murat-Van Bölümü – Bereich oberer Murat-Van
Hakkari Bölümü – Bereich Hakkari
Politisch
Die Türkei ist politisch in 81 Provinzen gegliedert. Die Region Ostanatolien umfasst die folgenden Provinzen:
Klima
Geographie
Ostanatolien grenzt an die Schwarzmeerregion, an Zentralanatolien, an die Mittelmeerregion, an Südostanatolien sowie an Georgien, Armenien, Nachitschewan/Aserbaidschan, Iran und Irak. Die durchschnittliche Höhe beträgt etwa 2000 m. Die höchsten Berge der Türkei liegen in dieser Region, wie z. B. der Ararat mit , der Uludoruk in den Cilobergen mit und der Süphan Dağı mit .
Bevölkerung
Laut der Volkszählung im Jahr 2000 beträgt die Bevölkerungszahl 6.137.414 und die Einwohnerdichte 37,7 Einw./km² (TR-landesweit: 88,25 Einw./km²). 53,05 % (3.255.896) der Bevölkerung leben in Städten und 46,95 % (2.881.518) auf dem Land. Das jährliche Bevölkerungswachstum beträgt 1,375 %.
Sehenswürdigkeiten und Landschaften
Ağrı:
Ağrı liegt mit über dem Meeresspiegel an der Transitstraße in den Iran. Der Legende nach sollen sich Überreste der Arche Noah noch heute auf dem im Ararathochland gelegenen hohen Berg Ağrı (Ararat) befinden, der darum immer wieder Abenteurer anzieht.
Das prächtigste Bauwerk Ostanatoliens, der Ishak-Pascha-Palast, befindet sich nahe der Stadt Doğubeyazıt. Gegenüber dem Palast befindet sich eine von Urartäern errichtete Festung. Die eigentliche Festung wurde 1380 vom Prinz Beyazıt errichtet und hat von ihm ihren Namen erhalten. Im Bezirk Diyadin befinden sich Thermalbäder, die als das 'Pamukkale Ostanatoliens' bezeichnet werden.
Bingöl:
Die Stadt und die Provinz Bingöl (türkisch „Tausend Seen“) wurden nach einem Gletschersee in diesem Gebiet benannt. Im Nordteil der Provinz existieren viele Berg- bzw. Gletscherseen, die aus der Eisschmelze hervorgegangen sind. Bingöl-Yolçatı ist ein beliebter Skiort. Mehrere Thermalquellen und -bäder gibt es in der Provinz. Die meisten Gebäude der Stadt sind Neubauten, da sie bei der Erdbebenkatastrophe im Jahre 1971 zerstört wurde.
Bitlis:
Die in einer Hochebene liegende Provinz Bitlis ist eines der bedeutenden Anbaugebiete von Tabak in der Türkei. Am Ufer des Vansees liegt Ahlat, ein altes Kultur- und Kunstzentrum aus dem Mittelalter. Der seldschukische Friedhof in Ahlat zählt zu den großen Kunstwundern der damaligen Welt. Das malerisch anzusehende Tatvan dagegen liegt im Westen des Vansees und hat einen vor Winden gut geschützten Hafen.
Erzincan:
Die historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt Erzincan wurden 1939 durch ein Erdbeben zerstört. Die urartäische Siedlung Altıntepe aus dem ersten vorchristlichen Jahrtausend liegt wenige Kilometer östlich von Erzincan. In Tercan sind das Grabmal Mama Hatun-Kümbeti und die Karawanserei Mama Hatun Hanı aus dem 13. Jahrhundert zu sehen. Kemah besitzt eine Festung. Neben den Obstgärten und Weinbergen erlangte auch die Kupferverarbeitungskunst regionale Beliebtheit. Die Traubensorte Karaparmak wird in dieser Provinz angebaut, die im Norden und Süden von Bergketten umgeben ist.
Hakkâri:
Hakkari bildet die gebirgigste Provinz der Türkei, wo Eigenschaften der „vier Jahreszeiten auf einmal“ zu sehen sind. Viele Berge in dieser Provinz sind das ganze Jahr über mit Schnee/Eis bedeckt, so dass auch mehrere Gletscherseen vorhanden sind. Die „Cilo-Sat-Berge“ und das „Zap-Tal“ ermöglichen einen schönen Panoramablick und werden von Bergsteigern besucht. Die im 15. Jahrhundert erbaute „Melikesat-Medresse“ im Zentrum von Hakkari ist das bedeutendste historische Bauwerk der Stadt.
Malatya:
Die Provinz liegt in einer fruchtbaren Ebene, wo seit Jahrhunderten verschiedene Obstsorten gezüchtet werden. Die Aprikosen von Malatya haben in der Türkei einen hohen Bekanntheitsgrad. In der nach dem Volkshelden Battal Gazi benannten Stadt Battalgazi befindet sich heute noch eine historische Stadtanlage. Der römische Kaiser Titus ließ die Festung der Stadt im 1. Jahrhundert n. Chr. errichten. Sie wurde jedoch im 12. Jahrhundert von den Seldschuken gründlich restauriert. Ein weiteres Bauwerk aus seldschuk-türkischer Zeit ist die Battalgazi Ulu-Camii, die einzige Moschee in Anatolien, deren Plan auf einer Säulenhalle beruht. Zwischen Battalgazi und Malatya befindet sich die archäologische Ausgrabungsstätte Arslantepe (türkisch „Löwenhügel“).
Muş:
Die Provinz Muş gehört sowohl hinsichtlich ihrer wirtschaftlichen Stellung als auch ihrer Naturschönheiten zu den interessanten Gebieten der Türkei. Sie nimmt einen wichtigen Platz in der Geschichte der Türken ein. In Malazgirt gewannen die Türken in der Schlacht von Manzikert und „manifestierten“ ihre Existenz in Anatolien. Die Sehenswürdigkeiten der Stadt sind die Festung von Muş, das Kloster von Surp Karabet (Çengel-Kirche), die Große Moschee (Ulu Camii), die Moscheen von Haci Seref und Alaeddin Bey und die Karawanserei von Aslanlı. Immer wieder kam es in Muş zu Auseinandersetzungen zwischen Sunniten und Aleviten. Die Sunniten stellen in Muş mit mehr als 80 % die größte Religionsgruppe vor den Aleviten (ca. 12 %). Daneben gibt es noch einige jesidische Dörfer im Osten der Provinz.
Tunceli:
Die Landschaft dieser Provinz besitzt eine unberührte reiche Flora und Fauna. Im Munzur-Tal-Park befinden sich viele der weltweit vom Aussterben bedrohten Hänge-Birken. Die Geschichte von Tunceli geht bis auf die Hethiter zurück. Bauwerke, Festungen, Monumente, Moscheen und Säulen aus assyrischer, seldschukischer und osmanischer Zeit sind bis heute erhalten geblieben. Die Stadt ist für ihre mit Naturfarben gefärbten Kelime, ihre „Dersim“ genannten bunten Wollstrümpfe sowie die Kaugummis aus Distelwurzeln bekannt.
Van:
Die Stadt Van liegt am südöstlichen Ufer des Vansees (Van Gölü), des größten Sees der Türkei. Die Stadt mit ihrem alten Namen „Tušpa“ (sprich Tuschpa) war um 1000 v. Chr. die Hauptstadt des Urartu-Reiches. Im 9. Jahrhundert v. Chr. ließ der König Sarduri I. die „Festung von Van“ errichten, welche 1800 m lang und 120 m breit ist und sich 80 m über dem Wasserspiegel des Vansee befindet.
Besonders bekannt ist die Stadt auch für ihre naturfarbenen Kelime, das ausgeprägte Silberhandwerk, die Vankatzen mit ihren verschiedenfarbigen Augen sowie den großen See, welcher sich über dem Meeresspiegel befindet. Die florenreichste Insel ist der Akdamar.
Literatur
Volker Eid: Im Land des Ararat. Völker und Kulturen im Osten Anatoliens. Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2006, ISBN 3-534-18206-5.
Michael Zick: Türkei. Wiege der Zivilisation. Konrad Theiss, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8062-2110-7.
Region in der Türkei
Geographie (Kurdistan)
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103029
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https://de.wikipedia.org/wiki/Desertifikation
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Desertifikation
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Desertifikation (auch Desertation, , oder Verwüstung, auch Sahel-Syndrom) bezeichnet in der Bodenökologie die Verschlechterung des Bodens in relativ trockenen (ariden, semiariden und trocken subhumiden) Regionen, die durch unterschiedliche Faktoren wie Klimawandel und andere menschliche (anthropogene) Aktivitäten herbeigeführt wird. Diese Bodendegradation bewirkt die Entstehung bzw. Ausbreitung von Wüsten, Halbwüsten oder wüstenähnlichen Verhältnissen.
Allgemeines
Wenige Autoren unterscheiden speziell Desertation für natürliche Wüstenbildung (einschließlich durch natürlichen Klimaveränderungen), und Desertifikation für von Menschen verursachte Prozesse. Beide Begriffe leiten sich vom lateinischen desertus (= wüst), der zweite außerdem von facere (= machen; tun) ab. Voraussetzung hierfür ist der störende Eingriff des Menschen in das jeweilige Ökosystem. In der verbreitetsten Definition durch die Resolution auf der Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung in Rio 1992 ist auch Degradation von Land durch klimatische Veränderungen enthalten.
Jedes Jahr verliert die Erde dadurch momentan etwa 12 Millionen weitere Hektar fruchtbaren Bodens (dies entspricht etwa der Ackerfläche Deutschlands), mit weiter steigender Tendenz.
Ursachen
Desertifikation kann durch Deflation (Windböen), Denudation (Wasser), Versalzung und Skelettierung fortschreiten. Die wesentlichen Ursachen der Desertifikation beruhen auf menschlichen Handlungen, die Desertifikation ist also anthropogen. Daneben spielen aber auch natürliche Schwankungen der Niederschlagsmengen eine Rolle, indem durch Dürreperioden ein Desertifikationsprozess ausgelöst oder verstärkt werden kann.
Infolge der Dürre – und damit verbunden der Hungerkatastrophe in der afrikanischen Sahelzone – gewann Anfang der 1970er Jahre das Problem der Desertifikation immer stärker an Bedeutung. In der 1977 im kenianischen Nairobi erstmals abgehaltenen „United Nations Convention to Combat Desertification (UNCCD)“ kam man zur Übereinkunft, dass die menschliche Degradierung der biologischen Grundlagen durch folgende anthropogene Eingriffe in die Natur geschieht:
Überweidung
Übernutzung
Abholzung
falsche Bewässerungsmethoden
Überweidung
Jahrzehntelang galt es als gesichertes Wissen, dass vor allem Überweidung von ariden Gebieten die Pflanzendecke zerstört, was zu Wasser- und Winderosion führt und schließlich, durch Desertifikation, menschengemachte Wüsten hinterlässt. In der Region vor Ort Forschende haben aber seit langer Zeit auf die theoretischen und praktischen Schwächen dieses intuitiv so einleuchtenden Modells hingewiesen. Diesem neuen Ansatz zufolge kommt es in Trockengebieten normalerweise nicht zu Desertifikation durch Überweidung, weil Viehbestände durch die unvorhersagbare Abfolge von Regen- und Dürrejahren normalerweise nie eine dafür notwendige Dichte erreichen können. Die lokalen Viehhalter hätten dies seit jeher in ihre Nutzungsstrategien eingerechnet, was (zuerst oft koloniale) fremde „Experten“ schlicht nicht erkannt hätten. Außerdem seien die Klagen über Devastierung und Übernutzung jahrzehntelang gleich geblieben, ohne dass, wie vielfach vorhergesagt, die Systeme zusammengebrochen seien. Die folgende Debatte zwischen zwei Lagern, den Anhängern der „Gleichgewichts“-Theorie, für die die ökologische Tragfähigkeit des Weidelands die zentrale Größe ist, und den Anhängern der „Ungleichgewichts“-Hypothese, für die die jährliche und jährlich schwankende Regenmenge den Viehbestand so begrenzt, dass er das Weideland nicht übernutzen kann, ist bisher nicht entschieden. Es erwies sich als sehr schwer, lokal die Effekte von Wetter und Klima von denjenigen der Nutzung zu unterscheiden, eindeutige Effekte von Überweidung waren schwer nachweisbar und oft zeitlich und lokal begrenzt, was auch die Beurteilung möglicher Gegenmaßnahmen schwierig macht. Insgesamt erwiesen sich flexible, an die lokalen Verhältnisse angepasste Weideführung oft als entscheidender als die reine Betrachtung von Viehdichten. Maßnahmen wie die forcierte Anpflanzung nicht standortgerechter Baumarten anstelle von Weideland können sogar zu einer verstärkten Bodenerosion führen. Möglicherweise hat die Beweidung durch neolithische Rinderhirten die Wüstenbildung in der Sahara nach der letzten humiden Periode vor ca. 5500 Jahren nicht beschleunigt, sondern sogar verzögert.
Durch langjährige Feldforschung in der Sahelzone konnte aber zumindest gezeigt werden, dass erhöhte Viehbestände zu degradierten, weniger nutzbaren Pflanzenbeständen führen können, wenn die Viehherden nicht mehr, wie traditionell üblich, wandern, sondern durch Brunnen oder Pumpen ganzjährig an einem Ort weiden können. Insgesamt zeigte sich aber, dass gerade traditionelle Weidesysteme auch bei höheren Viehdichten nicht zwingend zu einer Desertifikation der genutzten Lebensräume führen müssen.
Übernutzung
An zweiter Stelle ist eine unangepasste ackerbauliche Nutzung zu nennen. Verkürzte Brachezeiten, fehlerhafte Bewässerungstechniken, die Erosion begünstigendes Pflügen auf geneigten Flächen in Hangneigung und ungeeignete Pflanzen sind Ursachen von Bodenveränderungen, die zu geringerem Bewuchs und damit stärkerer Erosion führen. Durch chemische Stoffe wie Dünger oder Pestizide und maschinelle Verdichtung wird das Bodenleben beeinträchtigt, was bis zur Ausrottung von vielen im Boden lebenden Tierarten (z. B. Regenwürmer) führen kann. Auf solchen Flächen ist eine Desertifikation wesentlich wahrscheinlicher als auf Weideland.
Eine Übernutzung führt unter anderem zum Verlust von Terrassen, zur Versalzung, zum Verlust von Pflanzendecke und Nährstoffen, wodurch sich ein Teufelskreis aus Übernutzung und Desertifikation ergibt. Hinzu kommen oft eine illegale Grundwassernutzung sowie die Verwendung von Plastikplanen, die nach der Ernte in den Boden eingepflügt werden und dadurch dem Boden weiter schaden.
Entwaldung
Schließlich ist auch die Entwaldung in Trockengebieten als wichtige Ursache der Desertifikation zu nennen. Die Gewinnung von Ackerland und der Bedarf an Brenn- und Bauholz haben in vielen ariden Gebieten der Erde den Baumbestand dramatisch reduziert, insbesondere in vielen dichtbesiedelten Regionen Afrikas, in denen Holz auch heute noch den wichtigsten Energieträger darstellt. Der fehlende Schutz durch die Baumkronen und insbesondere durch das Wurzelwerk geben den Boden der Erosion preis. Die natürliche Regeneration tropischer Trockenwälder ist häufig nicht gegeben. Allerdings ist bei höherer Beweidungsdichte oft zu beobachten, dass für das Vieh nutzbare Grasland-Ökosysteme durch nicht beweidungsfähige Strauchsavannen ersetzt werden können, vor allem in semiariden Regionen.
Komplexe Ursachenverflechtung
Die Bekämpfung der Desertifikation gestaltet sich komplex. Übernutzung und Klimavariationen können identische Auswirkungen haben und in Rückkopplungen verbunden sein, was es sehr schwierig macht, die Ursachen für ein Vorrücken der Wüste zu identifizieren, und geeignete Gegenmaßnahmen zu treffen. Hier kommt der Erforschung der Vergangenheit (historische Desertifikation) eine besondere Rolle zu, da sie eine bessere Unterscheidung zwischen natürlichen und anthropogenen Faktoren ermöglicht. Neuere Forschungsergebnisse zur historischen Desertifikation in Jordanien lassen es dabei fraglich erscheinen, ob die aktuellen Maßnahmen zum Schutz der Vegetation und der Böden unter fortschreitendem Klimawandel zum Erfolg führen können, und ob der Einfluss des Menschen nicht deutlich überschätzt wurde. Fortschreitende Erwärmung könnte z. B. zum Absterben aufgeforsteter Wälder führen.
Folgen
Nach Schätzungen des Millennium Ecosystem Assessment der Vereinten Nationen sind weit über eine Milliarde Menschen und etwa ein Drittel aller landwirtschaftlich nutzbaren Flächen der Erde von Bodendegradation und damit potenziell auch von Desertifikation betroffen. Dies gilt insbesondere für weite Teile Nordafrikas im Bereich der Sahelzone, für Südafrika, Zentral- und Südasien, Australien, Teile Nord- und Südamerikas sowie Südeuropa.
In der EU sind folgende 13 Staaten von Desertifikation betroffen: Bulgarien, Griechenland, Spanien, Kroatien, Italien, Zypern, Lettland, Ungarn, Malta, Portugal, Rumänien, Slowenien und die Slowakei.
Die Folgen der Desertifikation sind aus ökologischer wie ökonomischer Hinsicht tiefgreifend und dabei fast durchweg negativ. Zusammengefasst: Die land- und insbesondere forstwirtschaftliche Produktivität, Artenvielfalt und auch die Individuenzahl nehmen markant ab, was gerade in ärmeren Ländern aufgrund der dort großen Abhängigkeit von natürlichen Ressourcen sowie durch die meist geringen Reserven und Ausweichmöglichkeiten schwerwiegende Folgen haben kann. Desertifikation verringert die Verfügbarkeit von elementaren Ökosystem-Dienstleistungen und gefährdet die menschliche Sicherheit. Ebenfalls hat sich durch die Desertifikation die Anzahl und Intensität von Sandstürmen in den vergangenen Jahren vervielfacht. Sie stellt daher ein wichtiges Entwicklungshindernis dar, weshalb die Vereinten Nationen das Jahr 2006 zum Internationalen Jahr der Wüsten und Wüstenbildung proklamiert haben.
Freigelegter und umgelagerter Oberboden kann von Wind fortgeweht oder von Regen weggespült werden. Die physikalische Struktur und biochemische Zusammensetzung des Bodens kann sich dadurch verschlechtern. Erosionsrinnen und -risse können entstehen und lebensnotwendige Pflanzennährstoffe von Wind oder Wasser davongetragen werden. Wenn der Grundwasserspiegel aufgrund unangemessener Drainage sowie mangelhafter Bewässerungspraktiken ansteigt, kann der Boden versumpfen oder versalzen. Wird der Boden zudem von Vieh zertrampelt und verdichtet, kann dies zur Folge haben, dass keine Pflanzen mehr wachsen und die Niederschläge nicht in den Boden eindringen können, sondern oberflächlich abfließen. Der Verlust der Vegetationsdecke ist dabei sowohl Folge als auch Ursache der Landdegradation. Bei lockerer Erde können Pflanzen durch Flugsand begraben oder ihre Wurzeln freigelegt werden. Wenn Weideland von zu vielen Tieren bzw. nicht angepassten Tierarten übermäßig beansprucht wird, können traditionelle Futterpflanzen durch übermäßigen Fraß verschwinden.
Einige der obengenannten Folgen können sich auch auf Menschen außerhalb der direkt betroffenen Gebiete auswirken. Verödetes Land kann zu Überschwemmungen, zu einer verringerten Wasserqualität, zu verstärkten Ablagerungen von Sedimenten in Flüssen und Seen sowie zur Verschlammung von Reservoiren und Fahrrinnen führen.
Die verursachte vervielfachte Anzahl und Intensität von Sandstürmen, führt unter anderem zu Schäden an Maschinen und zu psychischen und gesundheitlichen Belastungen (z. B. Infektionen an den Augen, Erkrankungen der Atemwege und Allergien).
Ein weiterer Aspekt ist, dass die Produktion von Nahrungsmitteln beeinträchtigt wird. Wenn die Desertifikation nicht gestoppt und rückgängig gemacht wird, werden die Erträge an Nahrungsmitteln in vielen betroffenen Gebieten abnehmen. Unterernährung, Hunger und letzten Endes Hungersnöte wären die Folge (insbesondere angesichts der wachsenden Weltbevölkerung).
Zwar hängt die Nahrungsmittelproduktion nicht nur vom Voranschreiten der Landverödung ab, man kann aber mit Gewissheit sagen, dass Desertifikation zur Entstehung von Hungersnöten beiträgt. Desertifikation stellt eine gewaltige Belastung wirtschaftlicher Ressourcen dar. Eine unveröffentlichte Studie der Weltbank legt nahe, dass die Abnahme der natürlichen Ressourcen in einem Land der Sahelzone 20 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) dieses Staates entsprach. Weltweit, so wird geschätzt, belaufen sich die Einnahmen, auf die in den von Desertifikation direkt betroffenen Gebieten jedes Jahr verzichtet werden muss, auf ungefähr 42 Milliarden US-Dollar. Die indirekten wirtschaftlichen und sozialen Kosten für nicht unmittelbar betroffene Gebiete – etwa der Zustrom von „Umweltflüchtlingen“ und Verluste bei der Nahrungsmittelproduktion für den Binnenmarkt – können sehr viel höher sein.
Dürre und Landdegradation tragen zudem dazu bei, Krisen (z. B. wegen der Verletzung von Grenzen bei der Nahrungssuche) auszulösen, die in der Folge dadurch verschärft werden, dass Nahrungsmittel unzureichend verteilt werden und die Bevölkerung keinen Zugang zu ihnen hat. Aufgrund von Kriegen, Dürren und Landdegradation in Trockengebieten sind in Afrika viele Menschen innerhalb ihres Landes vertrieben oder gezwungen worden, in andere Länder abzuwandern. Die Umweltressourcen in Städten und Lagern, in denen diese Menschen sich niederlassen, sowie in deren Umgebung sind erheblichen Belastungen ausgesetzt (z. B. durch Kahlschlag der verbleibenden Vegetation). Schwierige Lebensbedingungen und der Verlust kultureller Identität untergraben die Stabilität sozialer Gefüge.
Gegenmaßnahmen
Die Konvention zur Bekämpfung der Desertifikation wird durch Nationale Aktionsprogramme (NAPs) umgesetzt.
Von den Unterzeichnerstaaten der Konvention wird erwartet, dass sie sich mit ihrer Rolle bei der Unterstützung dieser Programme auseinandersetzen und einen ganzheitlichen, integrierten und beteiligungsorientierten Ansatz zur Bewirtschaftung von natürlichen Ressourcen in den Ökosystemen der Trockengebiete anvisieren.
Das heißt, wenn die betroffenen Staaten zusammen mit helfenden Staaten ein nationales Aktionsprogramm entwickelt haben und es konkrete Projekte gibt, können diese von Gebern direkt (z. B. finanziell) unterstützt werden.
Bis März 2008 wurden 102 Nationale Aktionsprogramme (NAPs) ausgearbeitet und verabschiedet. Sie sind Referenzpunkte für laufende Planungsprozesse zur Verminderung der Armut und zur nachhaltigen Entwicklung in Trockengebieten, quasi ein Kontrollmechanismus für die Konvention, um zu sehen, ob ihre Bemühungen fruchten.
Die Bemühungen zur Bekämpfung der Desertifikation sollen außerdem in andere Entwicklungsrahmenprogramme integriert werden (z. B. Landdegradation und die Linderung der Armut). Zu diesen beiden Zielen gehören eine verbesserte Nahrungsmittelversorgung, Bildungs- und Ausbildungsmaßnahmen für die Menschen, die Stärkung der Kapazitäten auf lokaler Ebene und die Mobilisierung nichtstaatlicher Organisationen. In den nationalen Aktionsprogrammen wird versucht langfristige Strategien, mit der Teilnahme der lokalen Bevölkerung, zu realisieren. Denn nur wenn die Bevölkerung politische Prozesse mitgestalten kann, wird sie sich mit den daraus resultierenden Strategien identifizieren. Anvisierte Prioritäten sind vorbeugende Maßnahmen und die Förderung des Engagements für nachhaltige Aktivitäten der Menschen, die das Land bewirtschaften und von ihm abhängig sind.
Von den Nationalen Aktionsprogrammen (NAPs) wird erwartet, wesentliche Finanzmittel aus externen Quellen zu mobilisieren. NAPs beschreiben auch konkrete Schritte und Maßnahmen sowie die Verpflichtungen der Regierungen, ein „günstiges Umfeld“ zu schaffen.
Insgesamt lässt sich also eine wirksame Gegenstrategie gegen Desertifikation im Regelfall nur durch ein solches Maßnahmenpaket mit sowohl klimatischen und forst- und landwirtschaftlichen wie auch sozialen und politischen Aspekten umsetzen (z. B. Afrikas Grüne Mauer im Sahel oder Chinas Grüne Mauer). Das heißt, dass sich auf lokaler Ebene beispielsweise Wiederaufforstungsprojekte zusammen mit der Anlage von Waldschutzstreifen nur dann dauerhaft umsetzen lassen, wenn in der lokalen Bevölkerung einerseits ein Problembewusstsein und andererseits eine Alternative zum Feuerholz existiert. Dabei sind auch Fragen des lokalen Bevölkerungswachstums, der Armut und der Verstädterung entscheidend, da sie derartige Alternativen oft unmöglich machen können. Ein (nach früheren Misserfolgen teurer monothematisch und technisch orientierter Programme) eher erfolgversprechender Ansatz wird als Farmer Managed Natural Regeneration bezeichnet. Er erwies sich etwa in den Regionen Maradi und Zinder im Niger als unerwartet erfolgreich.
Als Maßnahme vor Ort gegen die Desertifikation werden oft Stein- oder Lehmwälle errichtet, um das geringe Aufkommen an Niederschlägen aufzustauen. Dabei reicht es aus, 30 bis 40 cm hohe Anlagen zu errichten. Gleichzeitig müssen in der Regel Bildungsmaßnahmen für die Bevölkerung hinsichtlich der Wartung der Dämme erfolgen, damit Schäden durch Wasser, Viehtritt und andere Faktoren jährlich vor der Regenzeit behoben werden. Auf den entstandenen Feldern können in der Folge Futterpflanzen, wie zum Beispiel Hirse, angepflanzt werden. Eine andere Möglichkeit ist die Anlage von Hecken und Rainbepflanzungen.
Eine weitere Strategie gegen die Ausbreitung der Wüste könnte der Einsatz sparsamer Öfen bzw. von Solarkochern sein. Da sie deutlich weniger bzw. gar kein Brennholz benötigen, sinkt auch die Brennholzentnahme. Durch die leichte Bauweise dieser fortschrittlichen Geräte soll es den Anwohnern ermöglicht werden, selbst einen solchen Ofen zu bauen. Diese Methode stärkt die eigene Wirtschaft und reduziert die Abholzung. Ein weiterer Ansatzpunkt, in Zentralasien, ist die bessere Wärmedämmung der Häuser, da so weniger Brennholz zur Beheizung benötigt wird.
Ein in der Entwicklungszusammenarbeit häufig diskutierter und viel versprechender Ansatz sind agrarforstliche Maßnahmen. Dabei werden auf Ackerflächen Bäume gepflanzt. Die bremsen einerseits die Erosionswirkung des Windes und mindern andererseits die Verdunstungsverluste aufgrund der Schattenwirkung; so steuern sie der Austrocknung der Böden entgegen.
Weiterhin ist es notwendig, auch die ökonomischen und politischen Probleme der betroffenen Länder zu lösen, um eine wirksame und langfristige Bekämpfung der Desertifikation zu erreichen.
Siehe auch
Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Bekämpfung der Wüstenbildung (UNCCD)
Literatur
Hans-Heinrich Bass, Klaus von Freyhold und Cordula Weisskoeppel: Wasser ernten, Bäume schützen: Ernährungssicherung im Sahel, Bremen 2013 (PDF-Datei; 2,79 MB)
Weblinks
Die schleichende Katastrophe. In: Das Parlament, Ausgabe 32–33 2010
FAO/UNCCD: Informationsportal zum Thema Desertifikation und Trockengebiete
GTZ: Der Begriff Desertifikation und Desertifikationsbekämpfung
Website zum International Year on Deserts and Desertification der UN (englisch)
Website zu Desertifikation (deutsch, abgerufen 1. Dezember 2018)
Spektrum.de: Mit grünen Oasen gegen die Wüste 10. Januar 2019
Einzelnachweise
Klimageschichte
Biogeographie
Bodenökologie
Ökologischer Prozess
Hydrologie
Forstwirtschaft
Wüsten
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Q183481
| 155.898858 |
13180
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https://de.wikipedia.org/wiki/Gericht
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Gericht
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Ein Gericht ist ein Organ der Rechtsprechung (Judikative). In der Rechtsgeschichte sind etliche Formen als Vorläufer der heutigen Gerichte bekannt.
Etymologie
Der deutsche Begriff Gericht hat in historischer Linguistik nachgewiesene Wurzeln in mehreren frühen Sprachstufen. Gericht (von althochdeutsch girihti ‚Urteil, Gericht, Satzung, Regel‘) hat Ableitungen zu ahd. rëht ‚recht, Recht‘, die schon früh mit ahd. rihten ‚recht, gerade machen; in Ordnung bringen; herrschen; Recht sprechen‘ verbunden wurden. Die Begriffe garaíhtei (gotisch für ‘Gerechtigkeit’) und ga-rihtia (germanisch für Recht sprechen, Richteramt ausüben) weisen in dieselbe Richtung. Die Lexikalisierung des Begriffes erschwert eine genauere Ableitungsbestimmung.
Geschichte
Gerichte als rechtsprechende Institutionen gibt es seit den Anfängen menschlicher Zivilisation. Wissenschaftlich wird die Entstehung von Gerichten im Rahmen der Rechtsgeschichte und der Rechtsphilosophie erforscht.
Erkenntnisse zur frühen Entwicklung der Gerichte und Rechtsgeschichte für den mitteleuropäischen Raum basieren auf Angaben von Tacitus und auf der Entwicklungsgeschichte des Naturrechtes. Vorläufer heutiger Gerichte waren teilweise höchste Instanz für kollektiv legitimierte Entscheidungen des Gemeinwesens. Relativ früh entstand die Verbindung des Grundeigentums zur Komponente der Legitimation für Gerichtsbarkeit. Kleinräumlich wurde die sogenannte Gerichtsherrschaft ausgeübt. Spezialisierungen oder Einschränkungen der Gerichte durch Niedere Gerichtsbarkeit versus Blutgerichtsbarkeit (auch „Peinliche Gerichte“) oder Klassengerichtsbarkeit sind überliefert. Je nach Herrschaftsform wurden Gerichtsausprägungen auch für größere Territorien bestimmt.
Zeitweise war die Rechtsprechung Aufgabe der Monarchen, oder der von ihm belehnten bzw. beauftragten Personen. Im Laufe der Aufklärung setzte sich mit dem Konzept der Gewaltentrennung in Europa und den europäisch beeinflussten Staaten die Überzeugung durch, dass die Rechtsprechung von der Regierungsgewalt unabhängig sein müsse.
Für den Begriff des Gerichts in modernen Rechtsstaaten ist die Garantie der richterlichen Unabhängigkeit daher zentral. Das schweizerische Bundesgericht hat beispielsweise festgehalten, dass als Gericht im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention eine Behörde gilt, die nach Gesetz und Recht in einem justizförmigen, fairen Verfahren begründete und bindende Entscheidungen über Streitfragen trifft. Sie braucht nicht in die ordentliche Gerichtsstruktur eingegliedert zu sein, muss jedoch organisatorisch und personell, nach der Art ihrer Ernennung, der Amtsdauer, dem Schutz vor äußeren Beeinflussungen und nach ihrem äußeren Erscheinungsbild sowohl gegenüber anderen Behörden als auch gegenüber den Parteien unabhängig und unparteiisch sein. Nebst den Merkmalen der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit gehört zu seinem Wesen, dass ein Gericht die rechtserheblichen Tatsachen selber erhebt, die Rechtssätze auf diesen in einem rechtsstaatlichen Verfahren ermittelten Sachverhalt anwendet und für die Parteien bindende Entscheidungen in der Sache fällt. Es muss über umfassende Kognition in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verfügen.
In der Regel sind Gerichte staatlich (oder zwischenstaatlich). Beispiele für nichtstaatliche Einrichtungen mit justizieller Funktion sind die Kirchengerichte, private Schiedsgerichte oder auch die gemeindlichen Schiedsämter.
Gerichte in verschiedenen Ländern
Deutschland
Gerichte in der Bundesrepublik Deutschland sind je nach Gerichtsträger die Bundesgerichte und die Gerichte der Länder. Zwar wird die rechtsprechende Gewalt (Judikative) nach GG durch unabhängige Richter ausgeübt. Die Judikative ist aber keine selbstverwaltete Staatsgewalt. Die Gerichtsverwaltung (z. B. Erhaltung der Gerichtsgebäude, Deckung des Personal- und Sachbedarfs) ist vielmehr Teil der öffentlichen Verwaltung und damit der Exekutive.
Der Aufbau der Gerichtsbarkeiten wird durch (verschiedene) Gerichtsverfassungen geregelt. Gerichtsbarkeiten in Deutschland sind die Verfassungsgerichtsbarkeiten (des Bundes und der einzelnen Länder), die Ordentliche Gerichtsbarkeit (für Zivilrecht und für Strafrecht) und die Fachgerichtsbarkeiten, zu denen Arbeitsgerichtsbarkeit, Finanzgerichtsbarkeit, Sozialgerichtsbarkeit und Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören. Um die Einheitlichkeit der Rechtsprechung zu wahren, besteht ein Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, der angerufen werden kann, falls ein oberstes Bundesgericht die Absicht hat, von der Entscheidung eines anderen obersten Bundesgerichts abzuweichen.
Dienstgerichtsbarkeit und Ehrengerichtsbarkeit sind Teil der Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Besonderheiten ergeben sich im Militärwesen. So können im Verteidigungsfall Wehrstrafgerichte als Bundesgerichte errichtet werden Abs. 2 Grundgesetz, die Recht nach dem Wehrstrafgesetz sprechen. Historisch bestanden sogenannte Standgerichte als Ausnahmegerichte, die gemäß Grundgesetz in der Bundesrepublik Deutschland nach Abs. 1 Satz 1 Grundgesetz unzulässig sind.
Spricht man vom Gerichtsaufbau, bezeichnet der Begriff Gericht eine Behörde (so z. B. Amtsgericht). Das Gericht kann aber auch als Spruchkörper verstanden werden (z. B. Einzelrichter, Schwurgericht, Schöffengericht usw.); jedes Gericht ist dann mit mindestens einem Richter besetzt. Behördenleiter sind Gerichtspräsidenten oder aufsichtführende Richter, die einem Präsidium vorstehen ( GVG).
Die Beteiligung von Laien als ehrenamtliche Richter ist im Strafverfahren vorgesehen (dann „Schöffen“ genannt), in der Handelsgerichtsbarkeit (dann „Handelsrichter“ genannt), sowie in der Arbeits-, Finanz-, Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit. Schöffen wirken am Amtsgericht im Schöffengericht, am Landgericht im Schwurgericht und in anderen Strafkammern mit. Eine Besonderheit sind die sogenannten Beamtenbeisitzer in Disziplinarsachen bei Verwaltungsgerichten. Dies sind im weiteren Sinn Schöffen, gehören jedoch der Beamtenschaft als besonderer Gruppe an.
Welches Gericht tätig wird, bestimmt sich nach der Zuständigkeit.
Welcher Spruchkörper (Einzelrichter, Kammer, Senat) zuständig ist, bestimmt sich nach dem anwendbaren Verfahrensgesetz (z. B. GVG, ZPO) und nach dem Geschäftsverteilungsplan, der von den Gerichten in eigener Verantwortung erstellt wird.
Der Ablauf einer Gerichtsverhandlung ist in verschiedenen Rechtsquellen normiert.
Keine Gerichte im Sinne des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) sind die sogenannten Seeamtsverhandlungen („Seegerichte“); sie sind behördliche Sachverständigenverfahren der Seeämter.
Siehe auch: Liste deutscher Gerichte, Liste historischer deutscher Gerichte, Neutralität des Gerichts
Schweiz
In der Schweiz ist die Rechtspflege in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und die Organisation der Zivil- und Strafgerichte teilweise kantonal geregelt. Das kantonale Recht bestimmt namentlich, welches kantonale Zivil- und Strafgericht die von der Verfahrensgesetzgebung des Bundes vorgesehenen Funktionen der ersten und zweiten Instanz wahrnimmt. In der Regel bestehen regionale Gerichte als erste Instanz (Bezirks-, Regionalgerichte) und gesamtkantonale Kantons- bzw. Obergerichte als zweite Instanz. Auf Bundesebene bestehen ein erstinstanzliches Patent-, Verwaltungs- und Bundesstrafgericht sowie das Schweizerische Bundesgericht als letztes Berufungsgericht in allen Rechtsgebieten.
Österreich
Siehe: Gerichtsorganisation in Österreich
Ein (Land-)Gericht war in der Grafschaft Tirol seit dem Spätmittelalter eine territoriale Einheit für Justiz und Verwaltung, vergleichbar den heutigen Bezirkshauptmannschaften und Bezirksgerichten.
Siehe auch: Oberes Gericht
Vereinigte Staaten
Die Gerichtsorganisation in den USA ist durch ihren stark föderativen Charakter gekennzeichnet. Sowohl der Bund als auch die einzelnen Bundesstaaten unterhalten eigene Gerichtsorganisationen und Instanzenzüge, die nicht voneinander abhängig sind. Die Bundesgerichte folgen den Vorgaben der Verfassung der Vereinigten Staaten und sind ausschließlich für Fälle nach Bundesrecht zuständig. Die Gerichte der Bundesstaaten basieren auf der jeweilig geltenden Verfassung und sind nur für die Rechtsbereiche zuständig, die in die Rechtssetzungskompetenz des Bundesstaates fallen.
Zitate
„Wo Gericht, da ist auch Ungerechtigkeit.“ (Aus: Krieg und Frieden von Leo Tolstoi, Übersetzung: Werner Bergengruen)
Juristenweisheit: Coram iudice et in alto mari sumus in manu Dei. („Vor dem Richter und auf hoher See sind wir in Gottes Hand.“)Andere Version: Coram iudice et in alto mari in manu Dei solius sumus. („Vor dem Richter und auf hoher See sind wir in der Hand des alleinigen Gottes.“)
Siehe auch
Berggericht
Militärgericht
Schiedsgericht
Sportgericht
Einzelnachweise
Weblinks
Rechtsstaat
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Q41487
| 596.272323 |
134326
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https://de.wikipedia.org/wiki/Omaha
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Omaha
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Omaha [] ist die größte Stadt des US-Bundesstaates Nebraska. Sie liegt am Missouri und trägt den Spitznamen Gateway to the West.
Etymologie
Der Stadtname leitet sich vom gleichnamigen Indianerstamm ab und bedeutet soviel wie stromaufwärts.
Geographie
Geographische Lage
Omaha liegt im Osten von Nebraska am westlichen Ufer des Missouri River, der die Grenze zu Iowa bildet. Etwas weiter südlich mündet der Platte River in den Missouri.
Klima
Die mittlere Durchschnittstemperatur in Omaha liegt zwischen −6,1 °C (21 °F) im Januar und 24,4 °C (76 °F) im Juli. Omaha liegt in der kontinental-gemäßigten Klimazone (Dfa) mit heißen Sommern und kalten Wintern. Omaha liegt in etwa auf derselben geographischen Breite wie Rom, wegen des kontinentalen Klimas ist die mittlere Durchschnittstemperatur in Omaha jedoch im Winter 7 °C niedriger. The Weather Channel bewertete Omaha auf Grundlage der Daten der letzten 30 Jahren aus den Monaten Dezember, Januar und Februar mit einer Durchschnittstemperatur von −3,4 °C (25,9 °F) als fünftkälteste Stadt der 100 größten US-amerikanischen Städte.
Geschichte
1804 wurde die Gegend um Omaha im Rahmen der Lewis-und-Clark-Expedition erkundet. Mit dem Kansas-Nebraska Act, der am 30. Mai 1854 unterzeichnet wurde, begann die dauerhafte Besiedlung des Landes. Omaha wurde am 4. Juli 1854 gegründet und nach dem Indianerstamm der Omaha benannt, die einen großen Teil ihres Landes an den Staat verkauft hatten. Die Stadt lag auf dem Weg der Goldsucher, die durch den kalifornischen Goldrausch 1848–1854 angelockt wurden. Omaha war Hauptstadt des Nebraska-Territoriums, verlor seinen Status als Hauptstadt jedoch 1867 an Lincoln, als Nebraska als 37. Bundesstaat in die Union aufgenommen wurde. Zunächst war Omaha lediglich über eine Dampfschifflinie nach St. Louis mit dem Rest des Landes verbunden. Mit den Pacific Railroad Acts wurde Omaha als östlicher Endpunkt der First Transcontinental Railroad bestimmt, die 1869 fertiggestellt wurde. In jenem Jahrzehnt wuchs die Bevölkerung von 1883 Einwohnern im Jahr 1861 auf 16.083 Einwohner im Jahr 1870. Mit der Fertigstellung der Union Pacific Missouri River Bridge im Jahr 1872 wurde Omaha auch an den östlichen Teil des amerikanischen Eisenbahnnetzes angeschlossen.
Seit den 1870er Jahren wurde der schnell wachsende Ort ein Zentrum der fleischverarbeitenden Industrie. 1919 kam es zu massiven Rassenunruhen. Seit etwa 1940 ist Omaha ein Zentrum der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung.
Bekanntheit erlangte Omaha sowohl durch die Wild-West-Show von Buffalo Bill als auch gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, als ein Küstenabschnitt der Normandie im Zusammenhang mit der Invasion in Frankreich (Operation Overlord) nach ihm benannt wurde. Der Abschnitt Omaha Beach war einer der blutigsten Schauplätze dieses Krieges.
Einwohnerentwicklung
¹ 1950–2020: Volkszählungsergebnisse
Wirtschaft
Die Metropolregion von Omaha erbrachte 2016 eine Wirtschaftsleistung von 61,3 Milliarden US-Dollar und belegte damit Platz 52 unter den Großräumen der USA und erwirtschaftet einen bedeutenden Teil der Wirtschaftsleistung von Nebraska. Die Arbeitslosenrate in der Metropolregion betrug 2,8 Prozent und lag damit unter dem nationalen Durchschnitt von 3,8 Prozent (Stand: Mai 2018). Das persönliche Pro-Kopf Einkommen liegt 2016 bei 53.613 US-Dollar, womit Omaha ein überdurchschnittliches Einkommensniveau besitzt.
Omaha ist der wirtschaftliche Mittelpunkt des Staates Nebraska. Die Stadt ist Sitz mehrerer großer und internationaler Unternehmen. Hierzu gehören (In Klammern der Rang in der Forbes-Fortune-1000-Liste 2016):
Berkshire Hathaway (4.)
Union Pacific Railroad (129.)
Kiewit (314.)
Mutual of Omaha (367.)
TD Ameritrade (680.)
Green Plains Renewable Energy (742.)
Valmont Industries (813.)
West Corporation (869.)
Werner Enterprises (945.)
Einer der bekanntesten Söhne der Stadt ist der Multimilliardär Warren Buffett (auch genannt: das Orakel von Omaha), der mit seiner Firma Berkshire Hathaway von Omaha aus sein Investment-Imperium lenkt. Die jährlichen Aktionärstreffen finden im CenturyLink Center statt.
Sport und Kultur
In Omaha ist kein Franchise aus den vier großen amerikanischen Sportligen (Major League Baseball (MLB), National Basketball Association (NBA), National Football League (NFL) und National Hockey League (NHL)) ansässig. Von 1972 bis 1978 trug das NBA-Franchise Kansas City-Omaha Kings (ab 1975 Kansas City Kings, heute die Sacramento Kings) nach dem Umzug aus Cincinnati einen Teil seiner Heimspiele in Omaha aus, bevor das Team ganz nach Kansas City zog.
Das Eishockeyteam Omaha Ak-Sar-Ben Knights, das von 2005 bis 2007 in der American Hockey League (AHL) spielte, war in Omaha beheimatet und spielte im Omaha Civic Auditorium. Zudem hat Omaha ein Junioreneishockeyteam aus der USHL, die „Omaha Lancers“.
Das Joslyn Art Museum beherbergt die wichtigste Kunstsammlung des Bundesstaates Nebraska. Im historischen Old Market District, der in den 1880er Jahren erbaut wurde, liegt das Bemis Center for Contemporary Arts für artists in residence. Seit den 1950er Jahren entwickelte sich eine rege Musikszene.
Die zweitgrößte Universität Nebraskas, die University of Nebraska Omaha mit etwa 14.000 Studierenden hat ihren Sitz in Omaha. Sie ist auf drei Standorte in der Stadt verteilt.
Partnerstädte
, Niedersachsen, seit 1992 „Städtefreundschaft“
, Japan
, Litauen
, Irland
, Mexiko
, Ukraine
, Volksrepublik China
, Italien
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt (Auswahl)
Fred Astaire (1899–1987), Tänzer, Sänger und Schauspieler
James L. Baldwin (1921–1979), Generalmajor der United States Army
Marlon Brando (1924–2004), Schauspieler
Warren Buffett (* 1930), Investor und Multimilliardär
Montgomery Clift (1920–1966), Schauspieler
Jim Fitzpatrick (* 1959), Schauspieler, Filmproduzent, Filmregisseur, Drehbuchautor, Model und American-Footballspieler
Mike Flood (* 1975), Politiker
Gerald Ford (1913–2006), 40. Vizepräsident der Vereinigten Staaten von Amerika (von 1973 bis 1974), und 38. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika (von 1974 bis 1977)
Jake Guentzel (* 1994), Eishockeyspieler
Jaime King (* 1979), Schauspielerin
Lawrence Klein (1920–2013), Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger
Malcolm X (1925–1965), Führer der Bürgerrechtsbewegung
Nick Nolte (* 1941), Schauspieler
Conor Oberst (* 1980), Musiker
Andrew Rannells (* 1978), Schauspieler und Sänger
Andy Roddick (* 1982), Tennisspieler
John Richard Sheets (1922–2003), Weihbischof in Fort Wayne-South Bend
Elliott Smith (1969–2003), Musiker
Nicholas Sparks (* 1965), Schriftsteller
Richard Stoltzman (* 1942), Klarinettist
Gabrielle Union (* 1972), Schauspielerin und Model
Julie Wilson (1924–2015), Sängerin und Schauspielerin
Jackson Withrow (* 1993), Tennisspieler
Persönlichkeiten, die vor Ort gewirkt haben
Orenda Fink (* 1975), Musikerin
Edward Flanagan (1886–1948), katholischer Geistlicher, Gründer der Jugendhilfeorganisation Boys Town und des gleichnamigen Vororts von Omaha, Boys Town
Leisha Hailey (* 1971), Schauspielerin und Musikerin
Frederick Krug (1833–1919), deutschstämmiger Brauereibesitzer
John L. Watson (* 1951), Schachspieler und -autor
Weblinks
Website der Stadt (Nicht verfügbar aus der EU)
Einzelnachweise
County Seat in Nebraska
Hochschul- oder Universitätsstadt in den Vereinigten Staaten
Ort am Missouri
Gemeindegründung 1854
|
Q43199
| 199.188766 |
101152
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Rechtsextremismus
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Rechtsextremismus
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Der Rechtsextremismus (auch die extreme Rechte oder die Ultrarechte) bezeichnet verschiedene extremistische Strömungen innerhalb der politischen Rechten. Der Begriff umfasst ultranationalistische, faschistische, neonazistische oder neofaschistische politische Ideologien und Aktivitäten.
Rechtsextremisten orientieren sich an einer ethnischen Zugehörigkeit, bestreiten und bekämpfen den Anspruch aller Menschen auf soziale und rechtliche Gleichheit und vertreten ein antipluralistisches, antidemokratisches und autoritäres Gesellschaftsverständnis. Politisch wollen sie den Nationalstaat zu einer autoritär geführten „Volksgemeinschaft“ umgestalten. „Volk“ und „Nation“ werden dabei rassistisch oder ethnopluralistisch definiert.
Kennzeichen solcher Konzepte sind verschiedene rechtsextreme Symbole und Zeichen, Geschichtsrevisionismus hinsichtlich bestimmter Epochen, etwa zum italienischen Faschismus und zur Zeit des Nationalsozialismus, Islamfeindlichkeit oder „Islamkritik“, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit bis hin zum Fremdenhass sowie antisemitische, antiamerikanische und/oder andere Verschwörungstheorien. Bei organisierten rechtsextremen Gewalttaten spricht man von Rechtsterrorismus.
Nationale Staatsbehörden definieren und behandeln Rechtsextremismus verschieden. Gegenmaßnahmen umfassen zivile und strafrechtliche Mittel der streitbaren Demokratie (→ Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland, Rechtsextremismus in Österreich, Rechtsextremismus in der Schweiz).
Begriff
Der Begriff enthält eine inhaltliche – politisch „rechts“ stehend – und eine formale Komponente – Extremismus. Beide Bestandteile sind nicht eindeutig und unterliegen der Kritik. Die auf die Sitzordnung in der Französischen Nationalversammlung von 1789 zurückgehende Einteilung des politischen Spektrums nach „rechts“ und „links“ bezieht sich auf eine unbestimmte „Mitte“ der Gesellschaft, die historisch stark schwankend definiert wurde. Positionen, die vor 1945 mehrheitsfähig waren und als gemäßigt galten, etwa der Vertragsrevisionismus in der Weimarer Republik, gelten heute als rechtsextrem.
Zudem bewertet der Begriff etwas als „extrem(istisch)“ und definiert so indirekt die politische „Mitte“ als vom „äußeren Rand“ her gefährdete Normalität. Dies diente meist dazu, die bestehende Ordnung gegen so definierte Theorien, Personen, Gruppen und ihre Politik zu verteidigen. Daher bezeichnen sich als rechtsextrem Eingestufte selbst kaum mit diesem Begriff, sondern heute meist als „konservativ“, „rechtskonservativ“ oder „national“. Dadurch wird die Abgrenzung vom verfassungsgemäßen demokratischen Konservatismus und Patriotismus, die der unscharfe Begriff „Rechtsextremismus“ leisten soll, erschwert. Die entsprechende Abgrenzung vollziehen Politologen, Soziologen und Verfassungsschützer mittels näherer inhaltlicher Abgrenzungen, die der überkommene Begriff an sich nicht enthält.
Umgangssprachlich werden die Begriffe „Rechtsextremismus“ und „Rechtsradikalismus“ oft gleichgesetzt oder nicht scharf voneinander abgegrenzt. Brigitte Bailer-Galanda vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes kritisierte 2008:
Die Vossische Zeitung benannte 1924 als rechtsradikal „alle die Gruppen, Bünde und Vereinigungen, die sich teils völkisch, teils deutschsozial, teils großdeutsch, teils nationalsozialistisch nennen […].“
Seit den 1970er Jahren verwendet der deutsche Verfassungsschutz den Begriff „Rechtsextremismus“ für verfassungsfeindliche, gegen die Freiheitliche demokratische Grundordnung (FDGO) gerichtete Inhalte und Aktivitäten, den Begriff „Rechtsradikalismus“ dagegen für politische Ziele im demokratischen Spektrum, die als Ausdruck legitimer Radikalkritik an einer bestehenden Gesellschaftsordnung verstanden werden.
Die Definition beider Begriffe ist (Stand 2008) in der Wissenschaft umstritten und wird durch ihre historisch uneinheitliche Verwendung erschwert. Der Vorschlag einiger Autoren, „das Attribut extremistisch für die Beobachtungsgegenstände der Verfassungsschutzbehörden zu reservieren und die Bezeichnung Radikalismus für das wesentlich breitere sozialwissenschaftliche Betätigungsfeld zu verwenden“, konnte sich bislang nicht durchsetzen.
Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer schlug 2018 den Begriff des „autoritären Nationalradikalismus“ vor, da die korrespondierenden Phänomene Rechtspopulismus und Rechtsextremismus darauf abzielen, Institutionen zu destabilisieren, die wichtig für die Gesellschaft seien.
Hauptmerkmale
Rechtsextremismus ist eine Sammelbezeichnung für Ideologien, deren gemeinsamer Kern die Überbewertung der ethnischen Zugehörigkeit, die Infragestellung der Gleichheit aller Menschen sowie ein antipluralistisches und autoritär geprägtes Gesellschaftsverständnis ist. Die Verwendung von Verschwörungstheorien kann eine rationale Analyse gesellschaftlicher Missstände ersetzen. Dies dient sowohl der Entlastung als auch der Integration rechtsextremer Gruppen. Zudem werden Verschwörungstheorien herangezogen, um historische Anknüpfungspunkte an den Faschismus und Nationalsozialismus zu schaffen (→ Geschichtsrevisionismus). Häufig Verwendung findet die Behauptung einer „Verschwörung des Weltjudentums“ oder das Anknüpfen an verschwörungstheoretische Elemente des Antiamerikanismus.
Zu den strukturellen Merkmalen des Rechtsextremismus zählen Dogmatismus, Sendungsbewusstsein und ein ausgeprägtes Schwarz-Weiß-Denken. Im politischen Stil lässt sich eine Gewaltlatenz und Gewaltakzeptanz erkennen, die ihren Ausdruck vor allem in verbalen Angriffen auf politische Gegner und Andersdenkende findet.
Ethnizismus
Rechtsextremisten betonen bei allen sonstigen Unterschieden eine naturgegebene Zugehörigkeit von Menschengruppen zu einem als Ethnie (Abstammungseinheit) oder Rasse verstandenen Volk oder einer Nation. Die Menschen seien durch biologische Abstammung sowie kulturell so stark vorgeprägt, dass kein friedliches, gleichberechtigtes und selbstbestimmtes Zusammenleben verschiedener Ethnien in einem Staat möglich sei. Die Gesellschaft müsse daher zu einem homogenen „Volkskörper“ vereinheitlicht werden. Damit gehen überhöhter Nationalismus und oft auch Rassismus einher, also die Überhöhung des eigenen Volkes gegenüber anderen Ethnien und Nationen. Zur Rechtfertigung wird bis heute auf Rassentheorien verwiesen, die rassistischen Argumentationen eine scheinbare wissenschaftliche Erklärungsgrundlage liefern sollen.
Deren Gestalt kann variieren und wird meist nur vage umrissen. Das „Volk“ wird nicht immer eindeutig „rassisch“ definiert, sondern oft mit einem Ethnopluralismus umschrieben, der die Eigenarten der Völker betont, um die eigene Abstammungseinheit von anderen Völkern und ethnischen Minderheiten abzugrenzen und Konzepte eines Multikulturalismus abzuwehren. Statt der Höherwertigkeit der eigenen Nation betont dieses Konzept teilweise eine Höherwertigkeit der eigenen Kultur und leitet daraus einen Anspruch auf Vorherrschaft ab. Im älteren Sozialdarwinismus wird dagegen ein Zwang zur nationalen Selbstbehauptung nach innen wie außen postuliert.
Ungleichheit der Menschen
Rechtsextremisten begründen einen minderen Wert und Rechtsstatus bestimmter Individuen und Gruppen durch ethnische, kulturelle, geistige und biologische Unterschiede. Daraus folgen zwangsläufig Freund-Feind-Haltungen und Intoleranz gegenüber Menschen anderer Herkunft und Prägung. Fremden- und Ausländerfeindlichkeit gehen ineinander über; abgelehnt werden meist nicht alle Ausländer, sondern ganz bestimmte ethnisch, rassisch und/oder kulturell als fremd erscheinende Gruppen, die von der eigenen, meist nicht genauer definierbaren Norm abweichen. Es wird zwischen positiv eingeschätzten (willkommenen) und negativ eingeschätzten (unwillkommenen) Ausländern unterschieden und die aktive Ausgrenzung der zweiten Gruppe betrieben.
Antipluralismus
Rechtsextremisten sehen keine Möglichkeit einer friedlichen Koexistenz unterschiedlicher Interessen und Ansichten in einem Staat. Die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und Meinungsverschiedenheiten werden als schädlich für die Gemeinschaft angesehen. Die Ursache von gesellschaftlichen Konflikten wird in der Ungleichheit der Menschen gesehen. Deswegen sollen pluralistische politische Institutionen durch autoritäre ersetzt werden. Der Rechtsstaat wird als eine die Volksgemeinschaft „zersetzende“ Institution angesehen und seine Grundlagen, wie der Parlamentarismus, eine demokratische Opposition und die Gewährung von gleichen Grundrechten, delegitimiert und/oder bekämpft. Auch die Bemühungen um die Integration von Menschen anderer Herkunft sowie das Konzept einer multikulturellen Gesellschaft werden abgelehnt und als „Verbrechen am eigenen Volk“ diffamiert.
Autoritarismus
Rechtsextremisten wollen den Nationalstaat durch eine autoritär geführte Volksgemeinschaft ersetzen. Charakteristisch ist ein autoritäres, auf hierarchische und zentralistische Strukturen unter Führung nationaler „Eliten“ ausgerichtetes Politikverständnis. Der liberale Rechtsstaat, der weniger auf Gefügsamkeit als auf die Einsicht zivilisierter Bürger setzt und daher tendenziell unautoritär, gemäßigt und geduldig auftritt, wird von Rechtsextremisten angesichts ihrer radikalen Zielsetzungen als verweichlicht, kraftlos und ineffektiv angesehen. Eine autoritäre Ordnung wird nicht als Bedrohung, sondern als Schutzraum herbeigesehnt; entscheidend sind hierfür oft vorpolitische, persönliche Prägungen (etwa autoritäre Eltern), charakterliche Ursachen oder eine Überforderung durch die vom liberalen Rechtsstaat vorausgesetzte bürgerliche Selbstkontrolle.
Es wird daher ein identischer Volkswille behauptet, sodass „Freiheit“ nur bedeutet, sich diesem unterzuordnen. Individuelle Selbstbestimmung und Chancengleichheit werden zu Gunsten von sozialem Einheitszwang bekämpft. Außenpolitisch folgt daraus – je nach besonderer Ländersituation – meist eine auf Abgrenzung, militärische und ökonomische Machtsteigerung, ethnische „Säuberungen“ und/oder territoriale Expansion ausgerichtete Politik.
Internationale Szene-Tendenzen
Die wachsende international operierende rechtsextreme Szene nutzt vor allem das Internet zur Kommunikation. Es werden aber auch gemeinsame Demonstrationen, Rechtsrock-Konzerte und Veranstaltungen organisiert. Eine wichtige Rolle spielt die internationale Vernetzung beim Vertrieb von in einigen Staaten verbotenen Produkten mit speziellen Symboliken. Richard Stöss sieht im Ausmaß der Vernetzung von Rechtsextremisten einen wichtigen Indikator für das Bedrohungspotential, das von ihnen ausgeht. Eine kollektive Identität entsteht dabei über die Vorstellung der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Rasse sowie zu einem gemeinsamen Kulturkreis (Abendland).
Rechtsextreme Netzwerke
Im europäischen Parlament gibt es Versuche, eine rechtsextreme Fraktion aufzubauen. Die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität bestand von Januar bis November 2007. Vorausgegangen waren Bemühungen um eine einheitliche europäische Wahlplattform für die Europawahl 2004 unter dem Dach der Europäischen Nationalen Front. Ein erster Versuch von Rechtsextremisten, sich auf europäischer Ebene zu konstituieren, war die Gründung des Nazi-Netzwerkes Europäische Soziale Bewegung 1951 in Malmö (Schweden).
In Nordamerika gründeten sich die neonazistischen Hammerskins, die heute in vielen Ländern Ableger haben. International agieren auch das von Ian Stuart Donaldson gegründete Netzwerk Blood and Honour („Blut und Ehre“) und sein „bewaffneter Arm“ Combat 18.
Einfluss auf andere Szenen und Subkulturen
Ein relativ konstanter Anteil der Bevölkerung moderner Industriestaaten vertritt rechtsextreme Einstellungen, in Deutschland laut der SINUS-Studie zum Rechtsextremismus etwa 12 bis 13 Prozent. Allerdings gibt es Subkulturen, in denen Rechtsextremisten sich bevorzugt bewegen, ihre Meinungen und Ansichten offen vertreten und/oder neue Anhänger zu gewinnen suchen. Zu Propagandazwecken suchen sich rechtsextreme Agitatoren häufig Protestkulturen, bei denen thematische Anknüpfungspunkte bestehen. Dabei setzen sich nur einige Szenen, etwa Rock Against Communism, ausschließlich aus bekennenden Rechtsextremisten zusammen. Bei den Skinheads bilden sie nur ein Teilspektrum. Wegen der großen medialen Aufmerksamkeit dafür wird fast die gesamte Skinhead-Szene öffentlich mit Rechtsextremismus assoziiert. Dies deckt sich zum Teil mit Strategien von Rechtsextremisten, eine Szene über bestimmte Kleidermarken, Symbole und das Imitieren von Verhaltensformen für sich zu vereinnahmen (siehe auch: Querfront-Strategien), um eine breite gesellschaftliche Akzeptanz oder zumindest Hegemonie vorzutäuschen.
Hooligans und Ultras
Hooligans sind Personen, die vor allem im Rahmen bestimmter Sportereignisse wie beispielsweise Fußballspielen durch aggressives Verhalten auffallen. Sie sind nicht nur von gewöhnlichen Fans und Ultras, sondern auch von anderen Gruppen, Szenen und Einzelpersonen zu unterscheiden, da sie eine bestimmte, charakteristische Art von Gewalt kultivieren. Die ersten Vorfälle von Hooligans gehen bis ans Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Anhand der Namen der Hooligangruppen kann man in einigen Fällen erkennen, ob sie politisch motiviert sind oder nicht. Die Polizei geht davon aus, dass weniger als 6 % der Hooligans organisiert sind, aber weit mehr rechtsextreme Einstellungen haben, was etwa das Rufen von rassistischen oder fremdenfeindlichen Parolen in Stadien nahelegt. Viele dieser Hooligans gehören der Skinhead-Szene, einige auch der Ultra-Szene an.
2008 wurde in Sachsen-Anhalt erstmals eine rechtsextreme Hooligangruppe, die Blue White Street Elite, durch das Innenministerium verboten. Gegen das Verbot klagte die Gruppe. Nach Rückverweisung durch das Bundesverfassungsgericht im Revisionsverfahren wurde das Verbot im zweiten Rechtsgang vom Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt im Jahr 2010 aufgehoben. Das OVG kam zu der Erkenntnis, dass die Gruppe keine Vereinigung im Sinne des Vereinsgesetzes sei und das Verbot daher rechtswidrig sei (Az. 3 K 380/10).
Musik
Seit Beginn der 1980er Jahre werden verschiedene Formen der Unterhaltungsmusik immer mehr als Vehikel für rechtsextremes und neonazistisches Gedankengut benutzt. Dafür hat sich im deutschen Sprachraum, auch unter den Rezipienten selbst, die Bezeichnung „Rechtsrock“ eingebürgert. Im Englischen ist „RAC“ als Abkürzung für Rock Against Communism gebräuchlich.
Rechtsextremisten und völkische Esoterik
Rechtsextreme Esoterik oder Völkische Esoterik bezeichnet Systeme von Ideen, Wertvorstellungen und Theorien, die esoterische Vorstellungen mit völkischem oder rassistischem Gedankengut verbinden und häufig an die Ariosophie anknüpfen. Der Historiker und Journalist Stefan Meining versteht „Rechte Esoterik“ als „Sammelbezeichnung für weltanschauliche Richtungen und Praktiken […], die sich in den verschiedensten Ausprägungen durch übersinnliche Erleuchtung, Geheimwissen, Gruppen- und Elitebewußtsein auszeichnen und in ihren Schriften antiaufklärerische Erklärungsmuster mit kruden Weltverschwörungsthesen vermengen.“
Neopaganismus
Rechtsextremisten benutzen gelegentlich „nordische“ Symbole, Runen und Namen als Erkennungszeichen. Beispiele für rechtsextreme neuheidnische Organisationen in Deutschland sind die Deutsche Heidnische Front (deutsche Sektion der Allgermanischen Heidnischen Front) und der Armanen-Orden.
In einigen rechtsextremen Gruppen wird eine „Germanische Heilkunde“ propagiert, die mit Argumenten der Alternativmedizin für angeblich germanische Heilpraktiken wirbt. Das Postulat einer germanischen Heilkunde geht auf die NS-Zeit zurück (siehe dazu auch: Neue Deutsche Heilkunst).
Heimat-, Tier- und Naturschutz
Ausgehend von einem rückwärtsgewandten, romantisierenden Heimat-Begriff versuchen Neonazis in nationalsozialistischer Tradition wieder die Themen Natur- und Heimatschutz zu besetzen. Dabei wird Umwelt- und Naturschutz mit völkischen, rassistischen, islamfeindlichen und antisemitischen Inhalten verknüpft, beispielsweise durch die Behauptung von einer „unverwechselbare[n] völkische[n] Eigenart und Überlebensfähigkeit (‚Ewigkeit‘)“. Seit den 1980er Jahren wird insbesondere die Ablehnung des Schächtens propagiert und mit anti-islamischer Propaganda und Antisemitismus verbunden. Als wesentliche ökologische Publikation des Rechtsextremismus in Deutschland gilt das Magazin Umwelt & Aktiv.
Die Bedeutung des Schutzes der Natur in der Ideologie des Rechtsextremismus, aufbauend auf dem Nationalsozialismus, ist nicht zu überschätzen. Natur war ein Schlüsselbegriff der nationalsozialistischen Ideologie, und die Zeitspanne von 1933 bis 1945 war eine entscheidende Zeit für die Entwicklung des Naturschutzes. Er profitierte immens, was vielen Rechtsextremisten oft besser bekannt ist als Naturschützern. Die angenommene Überlegenheit der „deutschen Rasse“ wurde von den Nationalsozialisten von einem Mythos abgeleitet, der für die „Germanen“ – und in der Nachfolge für die Deutschen – ein besonderes Verhältnis zur Natur unterstellte. Dabei bauten sie auf der Schrift des Tacitus De origine et situ Germanorum auf und gingen davon aus, dass die „Germanen“ ein unvermischtes, „reinrassiges“ Volk seien, das zudem durch die sie umgebende unwirtliche Umwelt – Schnee, Frost, tiefe Wälder, wilde Tiere usw. – physisch und psychisch abgehärtet worden sei. Daher stammten die angeblich überlegenen Eigenschaften, die sie über andere Völker erhöben und die sie über Generationen ausgebildet und genetisch weitergegeben hätten. Damit sollte die „Überlegenheit“ der deutschen Nation begründet werden. Es war aus dieser Sicht konsequent, dass die „deutsche Urnatur“ einen herausgehobenen Wert erhielt und eines besonderen Schutzes bedurfte. In der Folge erließ Hermann Göring z. B. 1935 das Reichsnaturschutzgesetz. Die Landwirte als der Berufsstand, der am nächsten mit der „heiligen deutschen Erde“ verbunden war, erhielt eine besondere Fürsorge, wie z. B. durch das Reichserbhofgesetz von 1933.
Rechtsextremisten greifen das geschilderte Argumentationsmuster im Bereich Natur- und Umweltschutz fast ungebrochen auf. Aussagen in diesem Zusammenhang sind z. B. auf der Homepage der NPD in Mecklenburg-Vorpommern unter dem Stichwort „Verantwortungsbewusste Landwirtschaft“ zu lesen. Hier wird nach wie vor der Bauernstand heroisiert. Er wird in artamanischer Tradition als biologische Urzelle des Staates begriffen, die zu schützen sei: „Der deutsche Bauernstand ist in wirtschaftlicher, volksbiologischer und kultureller Hinsicht von größter Bedeutung, woraus sich eine Schutzpflicht des Staates ergibt.“
Die rechtsextreme Partei „Der III. Weg“ tritt für einen biologistisch definierten Umweltschutz ein, der auch den Naturschutz umfasst. „Umweltschutz ist Heimatschutz. […] Ziel der Partei ‚Der III. Weg‘ ist die Schaffung bzw. Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt, die Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes und die Förderung der Gesundheit.“ Unter „Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes“ werden nicht nur die Umweltmedien Boden, Wasser und Luft, Flora und Fauna verstanden, sondern aus rechtsextremer Perspektive auch die „genetische Reinrassigkeit“ von Menschen, Tieren und Pflanzen. Damit wird implizit an den völkischen Heimatschutz der völkischen Bewegung und die darauf aufbauende „Blut-und-Boden-Ideologie“ des Nationalsozialismus angeknüpft.
In der Wahrnehmung von Rechtsextremisten verfälschen „gebietsfremde“ Tiere, Pilze oder Pflanzen, sogenannte Neobiota, die reaktionäre ästhetische Vorstellung einer „deutschen Natur“. Die industriell geprägte Landwirtschaft stößt in diesen Kreisen auch deswegen auf Ablehnung, da hinter den beteiligten internationalen Konzernen aus rechtsextremer Sicht häufig eine „jüdische Elite“ vermutet wird. Ein derart verstandener Heimatschutz richtet sich grundsätzlich gegen sämtliche Menschen, die nicht einem völkisch-deutschen Verständnis entsprechen, da diese – nach rechtsextremer Definition – nicht in die hiesige Natur und Umwelt passen, sondern sie verändern und ihr damit schaden.
Autonome Nationalisten
Als „Autonome Nationalisten“ (AN) bezeichnen sich zumeist jugendliche Neonazis aus den Reihen der freien Kameradschaften. Ihren Ursprung hat diese Strömung im Jahr 1990, als Neonazis aus dem Umfeld der Nationalen Alternative (NA) in Berlin-Lichtenberg ein Haus besetzten und damit besonders augenfällig eine Aktionsform der linken Hausbesetzer-Bewegung übernahmen. Aber erst seit etwa 2002 traten sie unter dem Namen Autonome Nationalisten auf und imitierten in ihren Aktionsformen bewusst die autonome Bewegung. Dazu gehören neben Hausbesetzungen das Erregen von Aufmerksamkeit durch Aufkleber und Sprühereien, Anti-Antifa-Tätigkeiten und das einheitliche Auftreten als Schwarzer Block auf Demonstrationen. Bisweilen werden auch schwarze Handschuhe mit Protektoren getragen oder demonstrativ in den Gesäßtaschen eingesteckt, die wie in Teilen der Autonomen oder bei Hooligans als Zeichen der Gewaltbereitschaft zu deuten sind.
In den Folgejahren übernahmen in der gesamten Bundesrepublik einzelne junge Neonazis und Kleingruppen die Bezeichnung und den Stil der „Autonomen Nationalisten“. Ziel ist es, dem Bedürfnis auch Jugendlicher und junger Erwachsener mit rechtsextremen und neonazistischen Weltbildern nach einem modernisierten Lifestyle entgegenzukommen und nicht dem Image des Ewiggestrigen und den Klischees vom „Stiefel-Nazi“ und „Skinhead“ zu entsprechen. „Autonome Nationalisten“ sehen sich selbst als bewusste Provokateure der Altnazis und lehnen deren „schwarz-weiß-rote Deutschtümelei“ oder „1933er-Romantik“ ab. Das Auftreten bei Demonstrationen und Kundgebungen der rechtsextremen Szene führte in der Vergangenheit zu Spannungen mit der NPD, die als Wahlpartei nach außen hin um ein moderates Auftreten bemüht ist.
Auch in einigen anderen Ländern gibt es die „Autonomen Nationalisten“, so in Schweden, wo Varenus Luckmann 2009 als deren Vertreter beim Fest der Völker redete.
Naziskins
Zwar ist Skinhead eine Sammelbezeichnung für alle Angehörigen der Skinheadszene, einer sehr heterogenen, jugendlich dominierten Subkultur, die einen gemeinsamen Dresscode und kurz bis kahl geschorene Köpfe haben. Ursprünglich rekrutierten sich die Skinheads aus Anhängern der englischen Arbeiterklasse. Zu Beginn der 1980er-Jahre formierten sich dann in Deutschland, den USA und in England immer mehr so genannte naziskins (englisch), neonazistische Jugendliche, die mit ihrem Äußeren an die Skinheadbewegung anknüpften. Diese prägten bald das öffentliche Bild von Neonazis. Heute wird der Begriff Skinhead in der Öffentlichkeit oft synonym zu Neonazi gebraucht, selbst in Bezug auf Neonazis, die nicht im Habitus der Skinheads erscheinen. Gefördert wurde diese Identifikation durch Massenmedien, die eher über rassistische Gewaltakte berichteten als über Demonstrationen von Skinheads gegen Rassismus. Angesichts der auch politisch sehr heterogenen Szene ist diese Gleichsetzung (Skinhead gleich Naziskin) jedoch falsch.
Zu den bekannten Naziskin-Gruppen gehören Blood and Honour, Combat 18 und die Hammerskins. Einige Skinheads, meist Gegner der Naziskins, verwenden für diese das Wort Bonehead, weil sie meist vollkommen kahlrasiert oder mit sehr kurzen Haaren auftreten.
Protest gegen COVID-19-Schutzmaßnahmen
Unter den Veranstaltern und Teilnehmern von Protest-Demonstrationen gegen Schutzmaßnahmen wegen der COVID-19-Pandemie finden sich zahlreiche Personen des Rechtsextremismus. Sie demonstrieren oft Seite an Seite mit Verschwörungstheoretikern und Esoterikern. Allgemein sind eine Affinität zu Verschwörungstheorien und eine Ablehnung demokratischer Institutionen eng mit dem Rechtsextremismus verbunden, was zu einer geringeren Bereitschaft zur Akzeptanz der Maßnahmen gegen die Pandemie führt. Eine Studie von Christoph Richter et al. zeigte für Deutschland empirisch einen positiven Zusammenhang zwischen Wahlergebnissen rechtsextremer Parteien und den Inzidenzzahlen im selben Wahlkreis während der Corona-Infektionswellen des Jahres 2020.
Medien
Rechtsextremisten benutzen seit etwa 1993 verstärkt das Internet zur Kommunikation. In einigen Rechtsstaaten, darunter Deutschland, wird dies als Problem öffentlich beobachtet und erörtert, besonders sofern die Verbreitung rechtsextremer Inhalte im Netz sich dem national geltenden Strafrecht entzieht. Dieser Missbrauch hat – wie in vergleichbaren anderen Bereichen – verschiedene gesellschaftliche, staatliche und internationale Gegenmaßnahmen in Gang gesetzt.
Symbole und Zeichen
Anhänger der internationalen rechtsextremen Szene bedienen sich bestimmter Symbole und Zeichen, um ihre Gesinnung in der Öffentlichkeit zu zeigen. Wie alle Symbole dienen sie dem schnellen Wiedererkennen, stellen also einen gruppen- und länderübergreifenden Code dar.
Rechtsextreme Parteien in Parlamenten europäischer Staaten
Länderberichte
Rechtsextremismus ist ein weltweit auftretendes Phänomen. Neben einem gemeinsamen Kern gibt es allerdings unterschiedliche gesellschaftliche Voraussetzungen in unterschiedlichen Ländern, da sich die Bezeichnung „rechts“ jeweils auf einen konkreten geschichtlichen Kontext bezieht. Besondere Probleme ergeben sich bei der genauen Abgrenzung zum religiösen Extremismus. In nicht demokratisch verfassten Ländern kann hingegen laut Definition nicht von Rechtsextremismus gesprochen werden.
Deutschland
Das rechtsextreme Weltbild, geprägt von rassistischen, völkischen und nationalistischen sowie chauvinistischen Werteverständnissen, steht im Widerspruch zum Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland.
Bis zum Anfang der 1970er Jahre war die Bezeichnung „rechtsradikal“ für Bestrebungen, die heute als rechtsextrem bezeichnet werden, üblich. 1975 führte der damalige Innenminister Werner Maihofer im Vorwort des Verfassungsschutzberichts den Extremismusbegriff in den Sprachgebrauch staatlicher Behörden ein. Er sollte den bis dahin verwendeten Begriff des Rechts- und Links-Radikalismus, der nicht unbedingt verfassungsfeindliche Haltungen bezeichnet, ergänzen. Heute werden mit der Bezeichnung „Rechtsextremismus“ politische Bestrebungen am rechten Rand des politischen Spektrums beschrieben, die die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung zum Ziel haben. Der Rechtsextremismus in Deutschland wird in drei Lager eingeteilt: die parlamentarisch orientierten Parteien, die intellektuell orientierte Neue Rechte und die aktionistisch orientierte Neonazi- und Skinheadszene. Die Heterogenität lässt sich aus der Geschichte des Rechtsextremismus in Deutschland erklären, die im 19. Jahrhundert begann.
Im Unterschied zu anderen europäischen Ländern, wie Italien oder Frankreich, konnte sich in der Bundesrepublik Deutschland keine rechtsextreme Partei, abgesehen von einzelnen Landesverbänden wie der AfD Bremen, dauerhaft auf Landes- oder Bundesebene etablieren. Rechtsextreme Aktivitäten werden mit Hilfe der Instrumente einer streitbaren Demokratie strafrechtlich verfolgt. Mit der Beobachtung und Überwachung rechtsextremer Bestrebungen beschäftigen sich die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. So wird derzeit (2020) der rechtsextreme Flügel der AfD unter Björn Höcke und Andreas Kalbitz vom Verfassungsschutz beobachtet. Darüber hinaus existieren staatliche und oftmals staatlich geförderte zivilgesellschaftliche Initiativen gegen Rechtsextremismus in Deutschland.
Das „Rechtsextremismuspotential (Gesamt)“ gibt für 2019 eine Zahl der organisierten sowie nichtorganisierten Rechtsextremisten von rund 32.080 Personen an (2018: 24.100), von denen rund 13.000 Personen vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als gewaltorientiert eingestuft werden. Dem Phänomenbereich „politisch motivierte Kriminalität – rechts“ wurden laut Bundeskriminalamt (BKA) 21.290 Straftaten im Jahr 2019 zugeordnet.
Der Verfassungsschutzbericht 2019 stuft folgende Parteien als rechtsextrem ein: NPD, Die Rechte und Der III. Weg. Beobachtet werden demzufolge auch: die Identitäre Bewegung Deutschland, die Jungen Nationalisten (JN), der Ring Nationaler Frauen (RNF), die Kommunalpolitische Vereinigung der NPD (KPV) sowie die Deutsche Stimme Verlagsgesellschaft (DS Verlag). In der AfD werden der Der Flügel und die Junge Alternative für Deutschland (JA) als Verdachtsfälle eingestuft.
Seit etwa 2012 tritt zudem die rechtsextreme Identitäre Bewegung (IBD) auf, die hauptsächlich als Ableger des französischen Bloc identitaire beschrieben wird und deren Mitgliederanzahl in Deutschland auf 600 geschätzt wird. Einige soziale Netzwerke gingen im August 2020 gegen die Mitglieder der IBD und der IBÖ vor und sperrten Accounts im Zusammenhang dieser Organisationen. Seitdem weichen Rechtsextreme zunehmend auf geschlossene Chatgruppen wie bei Telegram oder Discord aus.
Latente Neigungen zu rechtsextremen Positionen werden auch in anderen Gruppierungen vermutet und teilweise beobachtet. Dazu zählen Der Flügel der AfD, kleine Teile der Bundeswehr und des übrigen Öffentlichen Dienstes sowie die Reichsbürger und Selbstverwalter.
Die neue Kalibrierung, Aufstockung und Umstrukturierung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), die eine erhöhte Aktivität zur Beobachtung der rechtsextremen Szene zum Ziel hat, ergibt sich aus einer Zunahme der rechtsextremen Straftaten und Phänomenen im Zusammenhang mit den NSU-Prozessen, dem Mordfall Walter Lübcke, dem Mord und Ausschreitungen in Chemnitz (2018), Bedrohungen von Kommunalpolitikern, Journalisten und Ehrenamtlichen, der Sammlung von Personen auf sog. „Feindeslisten“ und der allgemeinen Anti-Asyl-Agitation der Szene.
Frankreich
1968 begann sich in Frankreich die Nouvelle Droite zu konstituieren. Führender Protagonist war Alain de Benoist mit seiner Theoriegruppe GRECE. 1969 gründete sich der Ordre Nouveau (ON), der 1972 maßgeblich die Gründung des Front National (FN) vorantrieb. 1973 wurde der ON verboten.
Erst ab 1984 konnte sich der FN als rechtsextreme Partei im französischen Parteiensystem fest etablieren. Die ersten Wahlerfolge gründeten sich auf Gruppen aus dem traditionellen Mittelschichten; kleine Unternehmer, Bauern, Handwerker und einige freie Berufe waren die Hauptwählergruppe. Vor allem Enttäuschungen über die regierende Linkskoalition halfen Jean-Marie Le Pen, seine Anhänger mit neoliberalen Parolen zu mobilisieren. Während der Kommunalwahlen 1983 gelang es der Rechten, Migration zum Wahlkampfthema zu machen. Alle Parteien bemühten sich hier, Härte zu zeigen. Dem FN kam zu ersten nennenswerten Wahlerfolgen; gleichzeitig stiegen rassistische Straftaten drastisch an. Im Zeitraum 1980–1985 wurden 130 rassistisch motivierte Morde verzeichnet. Landesweit erhielt der FN Mitte der 1990er Jahre 15 Prozent der Wählerstimmen und erreichte damit dieselbe Größenordnung wie der RPR (heute UMP) des ehemaligen Staatschefs Jacques Chirac. Ihm warfen der zurückgetretene RPR-Chef Philippe Séguin und der zum FN übergetretene Enkel von General Charles de Gaulle „Unterwerfung“ Frankreichs unter die USA und die EU vor.
Le Pen, der langjährige Vorsitzende des FN, war wegen zahlreicher Skandale auch in der eigenen Partei umstritten. FN-Plakatkleber lieferten sich vor der letzten Parlamentswahl wiederholt mit Plakatklebern der Sozialisten und der Kommunisten handgreifliche Konflikte. Auch Parteichef Le Pen wurde verurteilt, weil er eine Journalistin geschlagen hatte. Er pflegte Freundschaften mit Gerhard Frey und Wladimir Schirinowski, dem er 1993 als erster zu seinem Achtungserfolg gratulierte.
Französische Politikwissenschaftler unterteilen die extreme Rechte in folgende Strömungen:
Nationalistes contre-révolutionnaires, die sich auf die Tradition der katholischen Monarchie vor 1789 beziehen und die Errungenschaften der Französischen Revolution wie Demokratie, Parlamentarismus und Laizismus ablehnen, hier haben auch Vertreter des katholischen Traditionalismus großen Einfluss.
Nationalistes révolutionnaires betrachten sich hingegen als sozialrevolutionär und beziehen sich oft auf den historischen Faschismus, sie lehnen das Christentum ab und sind teilweise neuheidnisch geprägt.
Andere Strömungen sind demokratisch, aber autoritär und nationalpopulistisch orientiert, sie werden aus historischen Gründen bonapartistisch genannt. Großen Einfluss in diesen Kreisen haben auch die Ideen von Charles Maurras, der einen hierarchischen Ständestaat zur Vermeidung von Klassenkämpfen vorschlug und im Vichy-Regime leitende Positionen innehatte.
Im FN vereinigten sich Vertreter aller dieser Gruppen wie auch gemäßigtere Nationalisten.
Hochburgen des FN sind das Elsass, die von wirtschaftlichen und sozialen Problemen geprägten früheren Industriezentren in Lothringen und Nord-Pas de Calais sowie die südfranzösischen Regionen Provence-Alpes-Côte d’Azur und Languedoc-Roussillon. In mehreren Großstädten des Südens, darunter Toulon, stellte der FN den Bürgermeister. Darum fühlten sich die vorwiegend nordafrikanischen Einwanderer bedroht. Die Leiter der „Charlemagne Hammer Skin“-Gruppe stammten ebenfalls aus dem Süden Frankreichs.
Nach dem Misserfolg bei den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen 2007, bei denen auch Kandidaten anderer Parteien die Themen Einwanderung, Integration und nationale Identität ansprachen, geriet der FN in eine Krise, die schließlich im Januar 2011 mit der Wahl von Marine Le Pen, der Tochter des Parteigründers, zur neuen Vorsitzenden beendet wurde. Sie steht für eine Öffnung der Partei hin zu Demokratie und Laizismus und eine Abkehr von Antisemitismus und offenem Rassismus. Stattdessen definiert sie die Nation über die „Kultur“. Von rechtsextremen Parteien wie der British National Party (BNP) oder der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) hält die Partei seither Abstand und versucht sich als Kraft der rechten Mitte zu positionieren; ihr zentrales Thema ist dabei die Islamkritik und die Warnung vor einer „Islamisierung“ Frankreichs. Von Experten wird die Glaubwürdigkeit dieser Kehrtwende aber bezweifelt, da viele Parteimitglieder an alten Positionen festhalten. Tanja Wolf ordnete den FN in ihrer 2019 veröffentlichten Typologie rechtsextremer und rechtspopulistischer Parteien in Europa als „rechtspopulistische Partei mit rechtsextremen Tendenzen“ ein. Der Front National benannte sich 2018 in Rassemblement National („Nationale Sammlungsbewegung“) um.
Noch weiter rechts als der (reformierte) FN stehen Gruppen wie Renouveau français. Dies gilt auch für den Bloc identitaire und die Ligue du Sud, die ähnlich wie die Lega Nord die Ablehnung von Einwanderung und anti-islamischen Rassismus mit der Betonung regionaler Identitäten gegenüber dem Zentralstaat verbinden und vor allem in Südfrankreich über einen gewissen Einfluss verfügen. Der Bloc identitaire war Vorbild für die Identitäre Bewegung in Deutschland und Österreich.
Seit 2007 besteht zudem die rechtsextreme und betont antizionistische Bewegung Égalité et Reconciliation („Gleichheit und Versöhnung“) des Antisemiten Alain Soral. Dieser unterhält enge Verbindungen zu dem Komiker Dieudonné M’bala M’bala und dem Karikaturisten Joe Le Corbeau (bürgerlich Noël Gérard), die ebenfalls antisemitische und holocaustrelativierende Inhalte verbreiten. Damit stehen sie für einen entgegengesetzten Kurs zum Front National, der sich unter Marine Le Pen vom Antisemitismus distanziert hat und sich seither als Freund Israels und „Schutzschild der Juden“ präsentiert. Ebenfalls im bewussten Gegensatz zum islamfeindlichen Front National sprechen Dieudonné und Sorals Bewegung mit ihren antizionistischen und verschwörungstheoretischen Parolen auch junge Muslime aus den Banlieues an. Dieudonné unterhält zudem Beziehungen zu islamistischen Organisationen.
Großbritannien
Bereits 1945 propagierte Oswald Mosley, Gründer der Partei Union Movement, eine europaweite Zusammenarbeit rechtsextremer Organisationen. Er bemühte sich nach dem Ende des Krieges, an die Erfolge der britischen Faschisten vor 1939 anzuknüpfen und seiner Bewegung eine neue Massenbasis zu geben. Doch seine Bemühungen scheiterten. Mosley gründete 1948 die Partei Union Movement (1973 umbenannt in Action Party), die sich offiziell erst 1994 auflöste. Von dieser spaltete sich 1974 die noch heute existente League of Saint George ab. 1962 gründete sich die erste offen neonazistische Organisation, das National Socialist Movement (NSM). 1967 folgte die Gründung der neofaschistischen British National Front. Hier entstand, gespeist von der starken Hooligan- und Skinheadszene, um 1990 die „Blood and Honour“-Bewegung, die sich um die rassistische Band „Skrewdriver“ versammelte. Dem 1993 verstorbenen „Skrewdriver“-Sänger Ian Stuart Donaldson wurde auf den Konzerten der Bewegung regelmäßig gehuldigt. Neuerdings unterstützt die Bewegung die Anti-Euro-Kampagne der rechtsradikalen British National Party. Diese zahlenmäßig stärkste Rechtsradikalenorganisation hat ihre Hochburgen traditionell in den Innenstädten, konnte aber durch die Unterstützung von „Blood and Honour“ ihr Agitationsfeld auf die Farmer und Vorstädter ausweiten, deren Ängste vor Preisverfall und Immigration sie zu bedienen sucht. Den Kampf um die Innenstädte vor allem der Städte mit einem hohen Migrantenanteil (dies sind meist auch die alten Industriestädte mit wirtschaftlichen und sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit und Kriminalität, Liverpool, Sheffield oder Wolverhampton) führte hingegen die zahlenmäßig schwächere British National Front, die allerdings seit den 1980er Jahren im Niedergang begriffen ist.
Einige Wahlerfolge erzielte die BNP bei den Europawahlen 2009; sie entsendet seither zwei Vertreter in das Europäische Parlament. Als Hauptgründe gelten Enttäuschung über Korruption bei den etablierten Parteien, Kritik am ausgeprägten Multikulturalismus und Ängste vor „Überfremdung“; vor allem muslimische Einwanderer aus Pakistan oder Bangladesch standen in der Kritik. Seither hat die Partei allerdings wieder an Stimmen verloren, auch weil andere Parteien stärker Einwanderungs- und Integrationsprobleme thematisierten und die Partei aufgrund ihres teilweise offenen Rassismus für Wähler der Mitte als zu radikal gilt.
Offen terroristisch geht „Combat 18“ (die Zahlen stehen für den 1. und den 8. Buchstaben im Alphabet, A. H.; übersetzt „Kampfgruppe Adolf Hitler“) gegen Migranten in England, Schottland und Wales vor. Die Türen der Betroffenen werden mit Farbe markiert, die Häuser mit Brandsätzen angegriffen. Auch Sprengstoffanschläge werden Combat 18 angerechnet. Die Combat 18 ist die stärkste Neonazibewegung in Schottland. Mit der dortigen Nationalpartei sympathisiert sie jedoch nicht, denn Anhänger der rechtsradikalen Szene in Schottland und Nordirland sind Protestanten, die eine starke Verwurzelung mit England vorgeben (so genannte „Unionisten“). Sie begehen zwar vorwiegend religiös motivierte Straftaten, sympathisieren aber oft mit der nationalsozialistischen Ideologie und mit „Blood and Honour“. Auf der britischen Insel sind Fußballspiele immer wieder der Rahmen für rassistische oder religiös motivierte Übergriffe mit einer jährlich zweistelligen Zahl von Opfern. In Schottland wurden schon Jugendspieler der Vereine Opfer der Gewalt. Eine Reihe von Sprengstoffanschlägen auf Londoner Schwulenbars wird der Gruppe „International Third Position“ zugerechnet, deren Unterschlupf in Spanien im November 1999 nur noch verlassen aufgefunden wurde.
Mutmaßlich rassistische Übergriffe von englischen Polizeibeamten lösten in den Städten Oldham und Leeds im Juni 2001 schwere Krawalle vorwiegend den Minderheiten angehöriger Jugendlicher aus. Einige Sprecher widersprachen aber, dass es sich um Rassenunruhen handele; vielmehr gehe es um einen Konflikt zwischen Jugendlichen und der Polizei. Ähnliche Übergriffe von Polizeibeamten soll es bereits wiederholt gegeben haben. Dies ermöglichte es Vertretern der rechtsradikalen Parteien, in einer dieser Städte gleich zwei Sitze zu erlangen.
Die English Defence League ist eine islamfeindliche Organisation und Kleinpartei, bei der personelle Überschneidungen zur gewaltbereiten rechtsextremen Szene bestehen.
Italien
Italien war unter Benito Mussolini die erste faschistische Diktatur in Europa. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Partei Movimento Sociale Italiano (MSI) von Giorgio Almirante gegründet. Sie war durchgängig im italienischen Parlament vertreten, konnte sich aber bis auf die Unterstützung der kurzlebigen Regierung von Fernando Tambroni (Mai–Juli 1960) nie an der Macht beteiligen. Ihre Wahlergebnisse lagen relativ stabil bei 5–8 Prozent. Mehrere noch radikalere Abspaltungen gingen aus dem MSI hervor: So die militanten Ordine Nuovo (1954) und die Avanguardia Nazionale (1959). Nach 1995 wurde der MSI aufgelöst und aus ihm wurde die Alleanza Nazionale (AN), die sich zu einer nationalkonservativen Partei wandelte. Das neofaschistische Erbe haben Kleinstparteien wie die Fiamma Tricolore angetreten. Bis auf einige Achtungserfolge, wie etwa die Wahl des Rechtsextremisten Luca Romagnoli zum Europaabgeordneten, sind diese Gruppen keine Hauptakteure im politischen Geschehen. Von ziemlicher Bedeutung ist hingegen die Unterwanderung der italienischen Ultrà-Bewegung durch Rechtsradikale.
Großes Aufsehen erregen vor allem im Ausland die fremdenfeindlichen Äußerungen prominenter Mitglieder der Regierungspartei Lega Nord, die zum Teil als rechtsextrem eingestuft wird. Ferner existieren zahlreiche Neonazigruppen mit traditionell guten Verbindungen zu deutschen Rechtsextremisten, vor allem in Südtirol. Dort kam es in den letzten Jahren vereinzelt zu Auseinandersetzungen zwischen italienischen und deutschen Nationalisten.
Niederlande
In den Niederlanden sind einige politische Entwicklungen später als anderswo in Gang gekommen, denn die Industrialisierung kam relativ spät, und das Land hat nicht am Ersten Weltkrieg teilgenommen. Sozialdemokraten waren erstmals 1939 in der Regierung vertreten. In der Zwischenkriegszeit sind linke und rechte Extremisten jeweils unter zehn Prozent bei den Wahlen zum nationalen Parlament geblieben. Nach dem Zweiten Weltkrieg dominierten lange weiterhin die konfessionellen Parteien die politische Landschaft.
Die Niederlande haben eine koloniale Vergangenheit und ebenso wie die Bundesrepublik Gastarbeiter angeworben. Die Einwanderer gelten als unterschiedlich gut integriert; Asiaten bereiten in dieser Hinsicht weniger Probleme als Einwanderer aus dem Mittelmeerraum. Lange Zeit aber ist die Einwanderung kaum ein Thema in der nationalen Politik gewesen, bis in den 1980er Jahren Parteien wie die Centrumspartij und dann die Centrumdemocraten von Hans Janmaat ins Parlament gewählt worden sind.
Von der etablierten Politik wurde das Einwandererthema zuerst um 1991 aufgegriffen, und zwar vom rechtsliberalen Frits Bolkestein (VVD). Um 2000 lebte das Thema weiter auf, und im Jahre 2002 erreichte die Wahlliste von Pim Fortuyn aus dem Stand heraus 17 % der Wählerstimmen. Fortuyn ist aber wie auch der ebenfalls ermordete Theo van Gogh nicht als Rechtsextremist anzusehen.
Nach der Ermordung des Islamkritikers van Gogh (2004) kam es zu Ausschreitungen, bei denen Moscheen und Kirchen in Brand gesetzt wurden. Die Regierung unter Jan Peter Balkenende hat nach dem Vorbild Dänemarks restriktivere Einwanderungsgesetze erlassen. Der Rechtsextremismus als demokratiefeindliche Bewegung ist in den Niederlanden eher schwach vertreten. Die Partij voor de Vrijheid des Islamgegners Geert Wilders wird in Untersuchungen und Studien des niederländischen Innenministeriums und der Anne Frank Stiftung als rechtsextrem eingestuft. Die Partei Nederlandse Volks-Unie, 1971 nach deutschem neonazistischem Vorbild gegründet, kann am ehesten mit der NPD verglichen werden. Sie hatte bislang keine Erfolge bei Wahlen.
Polen
Der Nationalismus war für Polen die Ideologie, die seit den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert die Beseitigung von Fremdherrschaft durch Russland, Preußen und Österreich, Deutschland von 1939 bis 1945 und die Sowjetunion von 1947 bis 1989 sowie die Herstellung von Demokratie und Volkssouveränität gefordert hatte, während er in Deutschland vor allem die Ideologie imperialistischer Expansion war. Daher ist Nationalismus in Polen weniger diskreditiert als in westeuropäischen Ländern. Häufig wird auf diesen Umstand rechtfertigend hingewiesen, um zu begründen, warum in den aktuellen Auseinandersetzungen zwischen Polen und der EU – ob es um die Öffnung des Landes für Gentechnik-Anbau, die Rolle ausländischer Banken im polnischen Finanzsektor oder den unbeschränkten Grunderwerb von Ausländern geht – das Beharren polnischer (auch sozialdemokratischer) Politiker auf nationalen Interessen nicht mit herkömmlichem aggressivem Nationalismus verwechselt werden sollte.
Als geistiger Wegbereiter des polnischen Nationalismus gilt Roman Dmowski, auf dessen Ideen polnische Nationalisten heute noch Bezug nehmen. In den Umbruchzeiten der frühen 1990er Jahre kam auch in Polen der radikale Nationalismus wieder auf. Traditionelle Ressentiments wurden dabei verstärkt durch das schon kurz nach der Wende aufkommende Gefühl vieler Polen, dass ihr Land wieder fremdbestimmt werde und abhängig bleibe, nur dass die Kolonialmacht nicht mehr im Osten, sondern im Westen beheimatet sei. Gerade in letzter Zeit sind deshalb – neben der angeblichen „Bevormundung“ durch die EU – immer mehr Deutschland und die Deutschen zum Objekt nationalistischer Propaganda in Polen geworden. Traditionell ein Problem war in Polen auch der katholische Antisemitismus. Die gesellschaftlich einflussreiche katholische Kirche in Polen leistet dem Rechtsextremismus mit ihrem ambivalenten Verhalten zu den Massenmorden an Juden in Polen Vorschub: Einerseits entschuldigte sie sich erst kürzlich für die Gräuel, andererseits sind die starken antisemitischen Vorbehalte noch immer zu spüren. So sagte das Oberhaupt der katholischen Kirche in Polen, Józef Glemp, kurz vor der mit einem Gottesdienst feierlich begangenen Entschuldigung: „Ich überlege mir, ob die Juden nicht anerkennen sollten, dass sie gegenüber den Polen schuldig sind, insbesondere was die Zusammenarbeit mit den Bolschewisten und die Mittäterschaft bei den Deportationen nach Sibirien betrifft.“
Die rechtsextreme Szene in Polen wird durch die sozialen Probleme des Landes gestärkt. Von den jungen Menschen unter 25 Jahren sind mehr als die Hälfte arbeitslos oder arbeiten in ungesicherten Hilfsjobs im In- oder Ausland. Nachdem sich im Zuge des Wirtschaftsaufschwungs der Jahre 2006–2010 die Lage zunächst verbessert hatte, wurde Polen von der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise getroffen; die Jugendarbeitslosigkeit stieg wieder auf 26 Prozent. Die Disparität zwischen Verarmung und Konsumangebot lässt Frustrationen entstehen, die vielfach einen Nährboden für Gewalt und Kriminalität bilden. Andererseits lassen sie den Wunsch nach einer Identität jenseits des trostlosen Alltags und in Abgrenzung zu „den Anderen“ (Deutschen, Homosexuellen, Juden, „Zigeunern“ usw.) wach werden. Diese Umstände machen sich Fußball-Fanclubs und Hooligan-Gruppen ebenso zu Nutze wie nationalistische Gruppen wie die Jugendorganisation der Liga Polskich Rodzin (Liga der polnischen Familien) und die Młodzież Wszechpolska (Allpolnische Jugend). In diesem Klima entwickelte sich eine Neonaziszene, die sich der deutschen stark annähert und teilweise mit dieser gemeinsame Aktionen veranstaltet, so geschehen bei einer Jagd auf deutsche und polnische Punks in Frankfurt (Oder). Übergriffe auf Konzentrationslager und jüdische Friedhöfe sind keine Seltenheit. Wie in Deutschland sind Ausländer in manchen Regionen einer Gefährdung durch Rechtsextremisten ausgesetzt. Polen ist, wie die meisten osteuropäischen Staaten, Umschlagplatz für Devotionalien und Waffen aller Art. Auch hier veranstaltet die starke Blood-and-Honour-Bewegung oft und gerne Skinheadkonzerte.
Russland
Die Gruppe Pamjat, die in den letzten Tagen der Sowjetunion eine wichtige Position einnahm, zerfiel in den 1990er Jahren. Aus ihr heraus entstanden viele weitere rechtsextreme Gruppen in Russland wie die Russische Nationale Einheit und führende rechte Ideologen wie Alexander Geljewitsch Dugin, der 1988 und 1989 zur Führung von Pamjat gehörte. Die Liberal-Demokratische Partei Russlands (LDPR) war in den 1990er Jahren eine wichtige Kraft im rechten politischen Spektrum. Ihr Vorsitzender Wladimir Schirinowski unterhielt unter anderem Kontakte zu Gerhard Frey und Jean-Marie Le Pen. 1993 erzielte Schirinowski mit etwa 12 Millionen Wählerstimmen einen Erfolg, der in den internationalen Medien ein breites Echo fand. Bei den folgenden Wahlen blieb er jedoch stets unter dem Ergebnis von 1993.
Es ist umstritten, ob die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) zur Rechten gehört. Einerseits vertritt sie einen russischen Imperialismus und Nationalismus und ihr Vorsitzender Gennadi Andrejewitsch Sjuganow hat Kontakte zu ultranationalistischen, antisemitischen Organisationen. Andererseits sind Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit nicht die wichtigsten Elemente der Partei. Die KPRF und die LDPR knüpfen beide an Ideologien aus unterschiedlichen politischen Lagern an, was eine eindeutige Verortung im Rechts-links-Spektrum erschwert.
Parteipolitisch war ferner die Nationalbolschewistische Partei Russlands (NBP, unter Eduard Limonow) in einigen größeren Städten präsent. Sie wurde 2005 verboten. Die SA-ähnlich organisierte Gefolgschaft der Russischen Nationalen Einheit (RNE) des mit deutschen Neonazikreisen befreundeten Alexander Barkaschow besteht dagegen bis heute. Die von dem Neonazi Dimitri Djomuschkin geführte Organisation Slawische Union gilt bis heute als eine der größten rechtsextremen Organisationen Russlands.
Als eine zentrale Figur des rechten Flügels in Russland gilt Alexander Geljewitsch Dugin, der eine quasi-geopolitische Ideologie des „Neo-Eurasismus“ vertritt. Er stieg in den 1990er Jahren rasant auf, war Berater des Duma-Sprechers Gennadi Seleznew und gründete die Bewegung Evrazija ( „Eurasien“), die er später in eine Partei umwandelte, um als Teil des Parteienbündnisses Rodina Wladimir Putin zu unterstützen. Dugin gehört zum politischen und wissenschaftlichen Establishment in Russland.
In den 2000er-Jahren war ein Anstieg des latenten Rassismus, bei gleichzeitig steigender Zahl von Gewalttaten gegen Ausländer und Minderheiten, zu verzeichnen. Auch die Anzahl rassistisch motivierter Morde ist gestiegen. 2007 wurden 67 Menschen von Rechtsextremisten ermordet, weitere 550 zum Teil schwer verletzt. Nach Angaben der Organisation Sowa wurden im Jahr 2011 mindestens 20 Menschen und in den drei Jahren 2009 bis 2011 mindestens 155 Menschen durch autonome rechtsextreme Gruppen in Russland ermordet. Zu den Opfern zählen vor allem Kaukasier, Asiaten und Antifaschisten. Seit den 2010er-Jahren sind rechtsextreme Gewaltdelikte in Russland rückläufig; aber dennoch ist die Gewaltbereitschaft innerhalb des russischen Rechtsextremismus nach wie vor sehr hoch. Im Jahr 2012 wurden 19 Menschen durch Neonazis getötet und 178 verletzt. Außerdem kommt es im russischen Fußball häufig zu rassistischen Vorfällen.
Jährlich finden am 4. November „Russische Märsche“ statt, auf denen Rechtsextremisten gegen die Ausländerpolitik demonstrieren.
Auf ca. 50.000 Personen wird die gewaltbereite rechtsextreme Szene in Russland geschätzt; Fremdenfeindlichkeit ist darüber hinaus in weiten Teilen der russischen Gesellschaft verbreitet.
Im Russisch-Ukrainischen Krieg standen Anhänger der von Russland unterstützten sogenannten „Volksrepublik Donezk“ in enger Verbindung mit der neonazistischen Partei Russische Nationale Einheit unter der Führung von Alexander Barkaschow, die aktiv Kämpfer für die prorussischen Milizen anwirbt. Auch sollen Söldner der Gruppe Wagner für die russische Seite im Einsatz sein – ein privates russisches Militärunternehmen, das von dem Neonazi Dmitri Utkin gegründet wurde und wegen „schwerer Menschenrechtsverstöße“ auf einer Sanktionsliste der EU steht. Die Aufgabe der 400 Mann starken Miliz soll die Ermordung des ukrainischen Präsidenten Selenskyj sein. Während seiner Stationierung in Luhansk im Rahmen seines Einsatzes im russisch-ukrainischen Krieg bestand Utkin darauf, dass seine private Einheit Helme trägt, die den Helmen der deutschen Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg nachempfunden sind. Utkin trägt Siegrunen der Schutzstaffel (SS) als Tätowierungen.
Schweden
Schon im Zweiten Weltkrieg lieferte Schweden, trotz offizieller Neutralität, Eisenerz für die deutsche Wehrmacht. Schwedische Nationalsozialisten hatten bereits Listen für den Fall einer Machtergreifung bereit. Lange Zeit war der Umgang mit Neonazis teilweise halbherzig bis fahrlässig, erst seit kurzem wird die Szene wirklich ernst genommen.
Am 12. Mai 1951 fand in Malmö der erste „europäische Nationalkongress“ statt. 60 Delegierte aus zehn Nationen berieten über die Bildung eines europäischen rechtsextremen Netzwerkes sowie über die Kultivierung der SS-Europa-Idee.
Wie die Gesetze der meisten skandinavischen Länder gewährt auch das schwedische Strafrecht eine sehr weitreichende Pressefreiheit. Das macht diese Länder zu einem Brückenkopf des Vertriebes von Propagandamaterial sowie zum Aufmarschgebiet der Neonazis an ihren traditionellen „Gedenktagen“. So wird das Delikt der Volksverhetzung in Schweden durchschnittlich mit drei Monaten auf Bewährung bestraft; Gefängnisstrafen oder Strafen von bis zu einem Jahr – die in der deutschen Justiz gängige Eingangsforderung – werden kaum verhängt. Das resultiert auch aus einer langen Tradition der Verharmlosung rechtsradikaler Gewalt in Schweden: So wurden zum Beispiel 30 besonders aggressive Neonazis als Resozialisierungsmaßnahme für einige Wochen in eine Eliteeinheit des schwedischen Militärs geschickt, um sie sich „austoben“ zu lassen, so der Hintergedanke. In Wahrheit erhielten die Kriminellen eine kostenlose Waffenausbildung. Einer der Führer der Neonaziszene, Erik Blücher, bekam wegen des Verkaufs rassistischer Tonträger eine Gefängnisstrafe von drei Monaten, die aber zur Bewährung ausgesetzt wurde. Begründung: Es sei von einem einmaligen Vergehen seitens des Angeklagten auszugehen. Sein Partner, der Deutsche Marcel Schilf, leitet den Vertrieb der Blood and Honour, NS-Records. Von Helsingborg aus organisieren die beiden Schwedens Neonaziszene. Diese besteht laut Schätzungen im Kern aus höchstens 600 Personen – eine kleine, aber aktive Szene, die fast ausschließlich der in Deutschland verbotenen Blood-and-Honour-Bewegung zuzuordnen ist. Ihr ist auch mit Aussteigerprogrammen nur schwer beizukommen.
Die radikale Rechte in Schweden genießt mit ihrer effektiven, weil weitgehend ungestörten Propagandaproduktion – CDs, Bücher wie Die Auschwitzlüge des erst kürzlich in Dänemark verstorbenen Mitbegründers der deutschen Neonaziszene Thies Christophersen und andere Devotionalien werden von Blücher und Schilf europaweit vertrieben – und mit ihren brutalen Morden und Mordanschlägen (allein 1999 drei Tote; bei einem Briefbombenanschlag wurden zwei Journalisten und ein Kind verletzt) europaweiten „Respekt“ unter Gleichgesinnten.
Mittlerweile rücken neben Ausländern, Homosexuellen und Antifaschisten auch zunehmend staatstragende Persönlichkeiten in das Visier der Neonazi-Szene: 1998 erhielt Schwedens Justizministerin eine Briefbombe, die jedoch nicht explodierte.
Spanien
In Spanien existiert zwar eine staatliche Beobachtungsstelle gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit, allerdings werden bislang keine offiziellen Statistiken über rechtsextreme oder rassistische Gewalt- und Straftaten geführt. Organisationen wie der spanische „Movimiento contra la Intolerancia“ (Bewegung gegen die Intoleranz) schätzen die Zahl der jährlichen rassistischen Übergriffe auf 4.000. In den Medien wird davon ausgegangen, dass sich die Zahl der organisierten Rechtsextremisten zwischen 11.000 und 15.000 bewegt. Die extreme Rechte kann an die Traditionen der Franco-Diktatur anknüpfen.
Bis zu Francisco Francos Tod 1975 konnten flüchtige Nationalsozialisten und später auch Neonazis, wie Otto Skorzeny, in Spanien Zuflucht finden. Auch danach wurden rechtskräftig verurteilte Altnazis, Rechtsextremisten und Holocaustleugner, wie der in Deutschland zu 22 Monaten Haft verurteilte ehemalige Offizier der Wehrmacht Otto Ernst Remer oder Léon Degrelle, nicht ausgeliefert. Maßgebliche Stellen des franquistischen Staats, der Nationalrat, der Königliche Rat und die Cortes, blieben zunächst weiterhin durch Franquisten besetzt, was eine Aufarbeitung der Franco-Diktatur nachhaltig verzögerte. Ende der 1970er Jahre kam es zu rechten Terrorakten. So kam es zu Bombenattentaten vermutlich rechtsgerichteter Kräfte gegen Carlisten des Partido Carlista (PC) auf dem Montejurra und 1977 zum Blutbad von Atocha. Die Aufarbeitung der Vergangenheit findet intensiv erst seit etwa 2000 statt. Die Beseitigung von Überresten der Diktatur löst immer wieder revisionistische Abwehrhaltungen aus.
Franquisten und Neofalangisten sind auch heute noch aktiv. So organisierten sie Demonstrationen gegen die Enteignung des Besitzes der untergetauchten Mitglieder der Neonazi-Gruppe „International Third Position“, die in dem Dorf Los Pedriches nahe Valencia drei Gebäude besitzt und eines zur Miete nutzte. Als rechtsextrem gilt u. a. der 1965 gegründete CEDADE (Círculo Español de Amigos de Europa, „Spanischer Kreis von Freunden Europas“), der sich mit rechtsextremen Gruppen in ganz Europa vernetzt hat. Als rechtsextreme Partei gelten die Plataforma per Catalunya, Alianza Nacional, Falange Auténtica und Democracia Nacional.
Eines der sozialen Probleme Spaniens, die illegale Einwanderung, wird wiederholt von Rechtsextremisten für ihre Zwecke instrumentalisiert. Vor allem in der Region Andalusien kommt es immer wieder zu Zwischenfällen. Am 5. Februar 2000 kam es zu einem dreitägigen Pogrom gegen marokkanische Gastarbeiter in El Ejido. Einheimische brannten insgesamt 500 marokkanische Behausungen nieder und zerstörten deren Geschäfte. Auch das Büro der spanischen Frauenorganisation Mujeres Progresistas, die sich um die illegalen Arbeiter kümmert, wurde angegriffen. Die Behörden griffen erst nach zwei Tagen ein.
Probleme mit Rechtsextremismus gibt es im spanischen Fußball. Einige Fanclubs werden von Rechtsextremisten dominiert. Im Dezember 1998 starb Aitor Zabaleta als Opfer rassistischer Gewalt eines Fußballanhängers. 2004 und 2005 gab es anhaltend motivierte rassistische Gewalt in Fußballstadien.
Verleger wie Pedro Varela Geiss publizieren Texte von Neonazis aus ganz Europa, darunter den Autor der Auschwitzlüge, Thies Christophersen, und die Österreicher Gerd Honsik und Walter Ochsenberger. Varela wurde als erster hochrangiger Nazi in Spanien Anfang 1999 wegen Aufstachelung zum Rassenhass zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Nachdem Varela klagte, fällt das Leugnen des Holocaust seit 2007 nun unter die Meinungsfreiheit. Das Strafgesetzbuch, das bis dahin für dieses Vergehen eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren vorsah, musste geändert werden.
Ungarn
Ungarn verlor nach dem Ersten Weltkrieg 71 Prozent seines Gebiets und 64 Prozent seiner Bevölkerung. Ein Drittel der heute ca. 15 Millionen europäischen Magyaren lebt außerhalb der Landesgrenzen, vorwiegend in Rumänien und der Slowakei, andere in Serbien, Ukraine, Slowenien, Kroatien und Österreich. Diese Teilung des Landes, die durch den Vertrag von Trianon 1920 bestätigt wurde, ist für die Ungarn heute noch eine „nationale Schmach“. Vor allem seit dem Ende des Kommunismus treten verschiedene Gruppen und Parteien sowie auch Politiker der großen Parteien mit revisionistischen und nationalistischen Parolen gegen die Nachbarländer und nicht selten antisemitischen Ausfällen hervor.
Das Land war in den 1990er Jahren neben Deutschland eine Hochburg rechtsextremen Wirkens in Mitteleuropa. Dort wurden Waffen und illegales Propagandamaterial international gehandelt, es wurden Neonazikonzerte, Hundekämpfe und Wehrsportcamps abgehalten. Die wichtigste politisch anerkannte und zugelassene rechtsextreme Partei war die MIÉP (Partei für ungarische Gerechtigkeit und Leben), die von 1998 bis 2002 im Parlament vertreten war. Bei der Wahl 2006 bekamen MIÉP und ihre Partnerpartei Jobbik (Der Name ist eine ungarische Polysemie und bedeutet gleichzeitig in etwa Die Rechten und Besser) zusammen 2,9 % der Stimmen. Sie zogen somit nicht ins Parlament ein. Am 25. August 2007 wurde aus der Partei Jobbik heraus die paramilitärische Magyar Gárda (Ungarische Garde) gegründet. Diese gibt sich als nationaler, karitativer Verein. Ihr Auftreten in Uniform und Armbinde ist eindeutig nationalsozialistisch geprägt. Bei den Wahlen im April 2010 erhielt die Jobbik 12,2 % der Stimmen und wurde damit die zweitstärkste Fraktion.
Schon vor der Wende von 1989 gab es Verbindungen zwischen ungarischen und ostdeutschen Neonazis. Für deutsche Neonazis war Ungarn ein Urlaubsziel. Sie konnten dort preiswert und legal nazistische Symbole als Tattoos erwerben.
In den vergangenen Jahren richtete sich die rechtsextreme Szene vor allem gegen die Roma-Minderheit und gegen Homosexuelle. Seit 2007 wird die Gay-Pride-Parade durch Budapest von Rechtsextremisten gewaltsam gestört.
Ungarn ist nach Bulgarien das Land mit der höchsten Empfänglichkeit für Rechtsextremismus. Von 2003 bis 2009 hat sich der Anteil der Bevölkerung, der sich dafür ausspricht, verdoppelt.
Europa
Ein vertraulicher Lagebericht der Polizeiagentur Europol spricht im September 2019 von der Zunahme rechtsextremer Gewalt und internationaler Vernetzung in Europa. Demzufolge sei die Zahl der Verhaftungen im Zusammenhang mit rechtem Terror in Europa in den vergangenen drei Jahren kontinuierlich und signifikant gestiegen (2016: 12, 2017: 20, 2018: 44 Verhaftungen). Signale seien u. a. die Morde an Walter Lübcke und an der britischen Politikerin Jo Cox. Letztere Gewalttat steht in Verbindung mit Aktivitäten im Themenfeld Brexit. Rechtsradikale Gruppen versuchen demnach, Mitglieder aus Militär und Sicherheitsbehörden anzuwerben. Als Objekte des rechten Terrors werden Asylbewerber, Muslime, Politiker, politische Gegner aus dem linken Spektrum und sexuelle Minderheiten genannt. Das Thema steht Anfang Oktober 2019 auch auf der Tagesordnung der EU-Innen- und Justizministerkonferenz.
Vereinigte Staaten
In den 1960er Jahren war die American Nazi Party (ANP) von größerer Bedeutung. Bis heute aktiv ist die National Alliance (NA). Auch der Ku-Klux-Klan ist heute noch vor allem in den Südstaaten aktiv. Die fundamentalistische Organisation richtet sich insbesondere gegen Afroamerikaner, Juden und Katholiken. Daneben gibt es die der NSDAP/AO nachempfundene NSDAP-Aufbauorganisation von Gary „Gerhard“ Lauck. In den USA werden aufgrund des dort besonders ausgeprägten Rechts auf Freiheit der Meinungsäußerung Menschen, die NS- und sonstiges rechtsextremes Gedankengut verbreiten, nicht rechtlich verfolgt.
Die mit der Militia-Bewegung sympathisierenden Terry Nichols und Timothy McVeigh verübten am 19. April 1995 einen Bombenanschlag auf das Murrah Federal Building in Oklahoma City. Bei diesem bis zum 11. September 2001 schwersten Terroranschlag in der Geschichte der Vereinigten Staaten wurden 168 Menschen getötet. Beide Täter wurden mittlerweile verurteilt, McVeigh wurde hingerichtet. Der Hintergrund des Anschlages gilt als multikausal, rechtsextreme Motive werden nicht ausgeschlossen.
Das Southern Poverty Law Center schätzt in seinem Jahresbericht, dass die Anzahl der rechtsradikalen Gruppen 2008 um über vier Prozent gestiegen ist. Die Gesamtzahl solcher Gruppen beziffert es auf 926.
Am 7. April 2009 gab das Department of Homeland Security in Koordination mit dem Federal Bureau of Investigation ein nur zum Dienstgebrauch bestimmtes Memorandum über Rechtsextremismus heraus. Da es in diesem Zusammenhang amerikanische Veteranen erwähnte, kam es zu einer öffentlichen Kontroverse, aufgrund deren United States Secretary of Homeland Security Janet Napolitano eine offizielle Stellungnahme veröffentlichte. Schließlich kündigte Napolitano im Mai 2009 an, das Memorandum von den Webseiten des DHS entfernen und durch einen präziseren Bericht ersetzen zu lassen.
Kurzübersicht über weitere Länder
Historische Besonderheiten
Parteien und Gruppen
Protagonisten
Siehe auch
Faschismus in Europa bis 1945
Faschismustheorie
Mitte-Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung
Mitte-Studien der Universität Leipzig
Rechtspopulismus
Literatur
Allgemein
Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Suhrkamp, Berlin 2019, ISBN 978-3-518-58737-9.
Kai Arzheimer: Die Wähler der Extremen Rechten 1980–2002. VS Verlag, Wiesbaden 2008, ISBN 978-3-531-16065-8.
Uwe Backes, Patrick Moreau (Hrsg.): The Extreme Right in Europe. Current Trends and Perspectives (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Vol. 46). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2012, ISBN 978-3-525-36922-7.
Gideon Botsch: Die extreme Rechte in der Bundesrepublik 1949 bis heute. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2012, ISBN 978-3-534-23832-3.
Rainer Fromm: Rechtsextremismus in Thüringen. 2. Auflage, Schüren, Marburg 1993, ISBN 3-89472-082-4.
Samuel Salzborn: Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze (= UTB. 4162). 2. aktualisierte und erweiterte Auflage, Nomos (UTB), Baden-Baden 2015, ISBN 978-3-8252-4476-7.
Fabian Virchow, Alexander Häusler (Hrsg.): Handbuch Rechtsextremismus (= Edition Rechtsextremismus). Band 1: Analysen. Springer VS, Wiesbaden 2012, ISBN 978-3-531-18411-1.
Ideologie
Uwe Backes (Hrsg.): Rechtsextreme Ideologien in Geschichte und Gegenwart (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 23). Böhlau, Köln u. a. 2003, ISBN 3-412-03703-6.
Peter Glanninger: Rassismus und Rechtsextremismus. Rassistische Argumentationsmuster und ihre historischen Entwicklungslinien (Mensch und Gesellschaft. Schriftenreihe für Sozialmedizin, Sozialpsychiatrie und medizinische Anthropologie, Bd. 16). Peter Lang Verlag, Frankfurt am Main 2009, ISBN 978-3-631-57501-7.
Bente Gießelmann, Robin Heun, Benjamin Kerst, Lenard Suermann, Fabian Virchow (Hrsg.): Handwörterbuch rechtsextremer Kampfbegriffe. Wochenschau Verlag, Schwalbach 2015, ISBN 978-3-7344-0155-8.
Andreas Lienkamp: Zum Widerstand verpflichtet. Rechtsextremismus als Herausforderung für Christinnen und Christen. In: Herder Korrespondenz 63, 9/2009, S. 477–480 (online).
Fabian Virchow: Gegen den Zivilismus. Internationale Beziehungen und Militär in den politischen Konzeptionen der extremen Rechten, VS Verlag, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-15007-3.
Parteien
Henrik Steglich: Rechtsaußenparteien in Deutschland. Bedingungen ihres Erfolgs und Scheiterns (= Schriften des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung. Bd. 39). Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2010, ISBN 978-3-525-36915-9.
Frauen und Rechtsextremismus
Christel Eckart (Hrsg.): Sackgassen der Selbstbehauptung. Feministische Analysen zu Rechtsradikalismus und Gewalt. Jenior & Pressler, Kassel 1995.
Ulrike Prokop: Mythen der Rechten – ihre Faszination für junge Frauen in der Adoleszenz, dargestellt an einem Gespräch von Franziska Tenner (PDF; 878 kB).
Regina Weber: Rechtsextremistinnen. Zwischen Kindererziehung und nationalem Kampfauftrag. Metropol-Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-86331-075-2.
Heimat- und Naturschutz
Oliver Geden: Rechte Ökologie. Umweltschutz zwischen Emanzipation und Faschismus. Elefanten-Press-Verlag, Berlin 1996, ISBN 3-88520-576-9.
Internationale Vernetzungen
Spanien
José L. Rodríguez Jiménez: Antisemitism and the Extreme Right in Spain (1962–1997). In: Analysis of Current Trends in Antisemitism, 1999, Nr. 15.
Weblinks
Allgemein
Tagesschau (17. Januar 2017): Ein Übersichtsartikel, der verschiedene Aspekte wie eine Definition des Rechtsextremismus oder Rechtsextremismus als Problem thematisiert. Archiviert vom Original am 20. April 2019. Abgerufen am 4. Mai 2019.
Bundeszentrale für politische Bildung, bpb.de: Dossier Rechtsextremismus
Bayerischer Rundfunk, br.de: #rechtsaussen
eofa-ausstellung.vvn-bda.de: Ausstellung Neofaschismus in Deutschland
Informationsportal zur politischen Bildung, politische-bildung.de: Rechtsextremismus
spiegel.de: Thema Rechtsextremismus
Internationale Vernetzungen
bpb.de: Internationale rechtsextreme Netzwerke
kai-arzheimer.com: Rechtsextremismus in Westeuropa (Wissenschaftliche Texte, Präsentationen, Materialien und Links zu rechtsextremen Parteien und ihren Wählern in Westeuropa)
Netzwerk für Osteuropa-Berichterstattung, n-ost.org/: Rechtsextremismus und Antisemitismus in Mittel-, Ost- und Südosteuropa
projekt-entgrenzt.de: Transeuropäische Perspektiven auf die extreme Rechte
Einzelnachweise
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Q204481
| 221.582058 |
5063
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https://de.wikipedia.org/wiki/Theologie
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Theologie
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Theologie (, von theós ‚Gott‘ und λόγος lógos ‚Wort, Rede, Lehre‘), älter auch Gottesgelehrsamkeit und Gottesgelehrtheit, bedeutet „die Lehre von Gott“ oder Göttern im Allgemeinen und die Lehren vom Inhalt eines spezifischen religiösen Glaubens und seinen Glaubensdokumenten im Besonderen.
Historische Entwicklung des Begriffs
Griechische Antike
Der Begriff theologia trat in der griechischen Antike zu der dortigen polytheistischen Götterwelt auf. Dort bezeichnete er die „Rede von Gott“, das Singen und Erzählen (gr. μυθέεσθαι mythéesthai) von Göttergeschichten. (Später verstanden christliche Theologen wie zum Beispiel Karl Barth unter diesem Begriff „Gottes Rede zu den Menschen“.) Der älteste Beleg für dieses mythische Verständnis von Theologie findet sich in Platons Staat (379a). Platon legt an die Göttermythen der kritisierten Theologie den kritischen Maßstab der Frage nach der Wahrheit als dem Einen, Guten und Unveränderlichen an. Bei Aristoteles zeigt sich eine Umprägung des Theologiebegriffs: Theologie als die oberste der theoretischen Wissenschaften richtet sich darin auf das Göttliche als das erste und eigentliche Prinzip (Metaphysik (Aristoteles) 1064a/b). Die Theologie hat sich damit von der Mythologie hin zur Metaphysik gewandelt.
Christentum
Im zweiten Jahrhundert wurde der Begriff von christlichen Autoren, den Apologeten, aufgegriffen, die ihn im Kontrast zur mythologia (Erzählen von Göttergeschichten) der polytheistischen heidnischen Autoren verwendeten. Bei Eusebius bedeutet der Begriff etwas wie „das christliche Verständnis von Gott“. Bei allen patristischen Autoren bezog sich der Begriff jedoch nicht auf die christliche Lehre im Allgemeinen, sondern nur auf die Aspekte von ihr, die sich direkt auf Gott bezogen. So wurden als einzige frühchristliche Autoren der Autor des Johannesevangeliums und Gregor von Nazianz spezifisch als „Theologen“ bezeichnet, weil Gott in ihrer Lehre im Mittelpunkt stand. Die Fragen nach dem Heilshandeln und der Heilsordnung Gottes für die Menschen wurden unter dem Begriff der Ökonomie (gr. οἰκονομία oikonomía) behandelt.
Theologen in der Alten Kirche waren häufig Bischöfe, im Mittelalter in der Regel Mönche. Mit der Entstehung der Universitäten als Ordenshochschulen im Mittelalter bildete die Theologie meist die erste Fakultät. Im Hochmittelalter bekam der Begriff bei Peter Abaelard (Frühscholastik) und Bonaventura (Hochscholastik) erstmals die allgemeinere Bedeutung „das Gebiet des heiligen Wissens“, das die gesamte christliche Lehre umfasste. Zum feststehenden Begriff in diesem Sinn wurde Theologie insbesondere aufgrund der Summa theologica von Thomas von Aquin, der Theologie in erster Linie als spekulative, theoretische Wissenschaft ansah.
Die Reformatoren betonten den praktischen Aspekt der Theologie wieder stärker. Damit steht Martin Luther auch in der Tradition der monastischen Verankerung der Theologie wie sie im Mittelalter zum Beispiel bei Anselm von Canterbury und Bernhard von Clairvaux wirksam war. Praktische Wissenschaft war die Theologie in dem Sinne, dass sie ganz auf die Zueignung des Heils durch Gott, also auf den praktischen Vollzug des Glaubenslebens bezogen war. In diesem Sinne bestimmten auch zahlreiche Vertreter der lutherischen Orthodoxie die Theologie als eine scientia practica, die allerdings in ihrer Durchführung auch Anleihen bei der theoretischen Wissenschaft machen müsse. Deshalb gewannen die theologischen Systeme der lutherischen Orthodoxie vielfach äußerlich einen ähnlichen Charakter wie die alten scholastischen Summen, waren inhaltlich aber anders angelegt und auch in ihrem systematischen Aufbau (der sich an den analytischen ordo des Aristoteles anlehnte) stärker auf die Glaubenspraxis hin ausgerichtet. Teilweise etablierte sich auch wieder ein stärker oder rein theoretisches Verständnis der Theologie.
Die Unterscheidung der Theologie als Wissenschaft von der Glaubenspraxis und der unmittelbaren Erkenntnis des Glaubens wurde zur Zeit der lutherischen Orthodoxie durch den Theologen Georg Calixt vorbereitet. In Ansätzen liegt sie auch bei Abraham Calov und Johann Andreas Quenstedt vor. Während diese allerdings die Theologie dem Glauben vorordnen, wird das Verhältnis in der Aufklärung umgekehrt: Die Theologie ist als Reflexionsform gegenüber dem Glauben beziehungsweise der Religion sekundär. Diese Verhältnisbestimmung tritt erstmals bei Johann Salomo Semler auf. Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher begriff die Theologie als eine positive Wissenschaft, die auf die Kirchenleitung bezogen ist. Während die Unterscheidung von Theologie und Glaube bis heute für den theologischen Diskurs maßgeblich ist, bleibt die Ausrichtung der Theologie auf die Kirchenleitung umstritten.
Christliche Theologie
Die Theologien im Christentum verstehen sich als wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit den Quellen des Glaubens (Biblische Theologie und Historische Theologie) und der Glaubenspraxis (Praktische Theologie) sowie als systematische Analyse und Darstellung des Glaubens (Systematische Theologie, unter anderem Fundamentaltheologie, Dogmatik und Ethik). Im 20. Jahrhundert kam als Disziplin die Interkulturelle Theologie hinzu, die das Verhältnis der christlichen Theologie und Praxis im Kontext verschiedener Kulturen, Religionen und Gesellschaften untersucht und sich den Fragen des interkulturellen wie interreligiösen Miteinanders widmet.
Christliche Theologie bezieht sich meist auf eine bestimmte Konfession. Hierbei werden nicht nur die dargestellten Inhalte, sondern oft auch die Denkweisen und angewandten Methoden von der jeweiligen Konfession bestimmt. In der wissenschaftlich betriebenen Theologie wird diese Tatsache selbst noch einmal problematisiert und reflektiert.
Kritik innerhalb der Theologie
Kritik begleitet die ganze Kirchengeschichte, denn Auseinandersetzungen zwischen der etablierten Kirche und abweichenden Strömungen sind stets mit Kritik (an den Ansichten der anderen) verbunden. Daneben gibt es von Beginn an auch ein selbstkritisches Hinterfragen des eigenen Verständnisses. Paulus mahnte: „Prüft alles und behaltet das Gute!“ () und verwies auf die Vorläufigkeit unseres jeweiligen Erkenntnisstandes („unser Erkennen ist Stückwerk …“ ). Gegenwärtig betonen theologische Lexika die kritische Aufgabe der Theologie. Für Heinzpeter Hempelmann ist Kritik „die einzig angemessene Antwort auf (einen) Offenbarungsanspruch“, denn die Spuren eines die menschliche Vernunft derart in Frage stellenden Ereignisses wie die Menschwerdung Gottes seien „unterscheidend und prüfend“ wahrzunehmen. Das Thema Kritik im Bereich der christlichen Religion behandelt Franz Graf-Stuhlhofer grundsätzlich im Buch Christliche Bücher kritisch lesen sowie in der Studie Facetten kritischen Denkens.
Kritik an der Theologie
Einige Wissenschaftstheoretiker sprechen jeder (christlichen) Theologie aufgrund ihrer Bekenntnisgebundenheit die Wissenschaftlichkeit ab und kritisieren ihre Präsenz und Finanzierung an staatlichen Universitäten in Form von theologischen Fakultäten.
Kritik an der Theologie richtet sich zum Beispiel gegen
eine fehlende Ergebnisoffenheit: „Gott“, „der Glaube“, „die Offenbarung“ und dergleichen würden vorausgesetzt und seien nicht falsifizierbar. Ein solcher Anspruch auf absolute Wahrheit sei in anderen Wissenschaften ausgeschlossen. Mit Ausnahme einzelner Teildisziplinen gehe die Theologie in ihrer Gesamtheit ohne die Bejahung der Glaubenswahrheiten in Philologie, Hebraistik, Geschichte und Religionswissenschaft auf.
eine fehlende Freiheit der Lehre: Theologische Lehrstühle würden im Einvernehmen mit der Kirche besetzt und zumindest an katholischen Fakultäten sei eine Lehrerlaubnis erforderlich, die im Konfliktfall entzogen werden kann, siehe Liste von katholischen Theologen, denen die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Damit sei eine Freiheit der Lehre bzw. Forschungsfreiheit nicht mehr garantiert.
eine Entfernung der dogmatischen Theologie von den Erfahrungen der Menschen, besonders von ihren Sehnsüchten, Ängsten und Nöten. Diese könne zu einem „Begriffsfetischismus“ herabsinken.
die parallele Existenz einer protestantischen und einer katholischen Theologie an Universitäten. Da sich beide auf dieselbe Tradition bezögen, widerspräche diese Trennung jeglichem Anspruch auf Wissenschaftlichkeit.
Auf diese Kritikpunkte gibt es verschiedene Reaktionen seitens der Theologen:
Manche Theologen sehen Gott nicht als unmittelbaren Gegenstand einer theologischen Wissenschaft; zum Beispiel sieht Wolfhart Pannenberg Gott als Gegenstand des Glaubens. Vertreter der Natürlichen Theologie dagegen argumentieren für die grundsätzliche Erkennbarkeit Gottes mithilfe der (natürlichen) Vernunft, also auch ohne Glauben bzw. Annahme von Offenbarungen.
Mitunter beruht Kritik an der Theologie auf einem spezifischen, z. B. naturwissenschaftlich orientierten „objektiven“ Wissenschaftsbegriff, beispielsweise im Kontext des sogenannten Logischen Empirismus oder auch des Kritischen Rationalismus, z. B. bei Hans Albert. Einwände gegen solche Wissenschaftsverständnisse und alternative Vorschläge, z. B. in der Aufnahme von Ideen Thomas S. Kuhns, können daher die Grundlagen entsprechender Argumentationen verändern und den Raum öffnen, Theologie als Wissenschaft zu begreifen. Im Bereich der sogenannten Analytischen Philosophie wurden einerseits Argumente vorgebracht, die theologische Grundannahmen und Vorgehensweisen in Frage stellen, wie z. B. von John Leslie Mackie. Andererseits gibt es viele einflussreiche analytisch geschulte Forscher, die sich als Philosophen oder als Theologen („Analytische Theologie“) verstehen, und die in ihren Beiträgen Grundbegriffe und Grundprobleme der Theologie konstruktiv zu bearbeiten versuchen.
Theologie in anderen Religionen
Konfessionell gebundene Fakultäten und Seminare gibt es in Deutschland nur für Christentum, Judentum und Islam. Es findet zwar im Rahmen der Vergleichenden Religionswissenschaft eine wissenschaftliche Beschäftigung mit vielen Religionen und ihren Inhalten statt, und es werden Studiengänge wie Judaistik und Islamwissenschaft angeboten, jedoch ist die Perspektive und Methodik hierbei deutlich von einer theologischen Herangehensweise unterschieden, und es gibt dabei auch keine konfessionelle Festlegung.
Judentum
Im Judentum gibt es keine allgemeinverbindlichen Dogmen und demzufolge auch keine Theologie im eigentlichen Sinne („Lehre von Gott“). Die Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg wird vom Zentralrat der Juden in Deutschland getragen. Sie widmet sich der Wissenschaft des Judentums. Auch gibt es an mehreren Universitäten Studiengänge für Judaistik, die unabhängig von der Religionszugehörigkeit besucht werden können.
Islam
Die islamwissenschaftlichen Institute und Seminare der Universitäten beschäftigen sich mit der Geschichte und Praxis des Islam aus einer forschenden Außenperspektive. Im deutschen Sprachraum ist seit 2009, für die Religionspädagogik auch bereits zuvor, darüber hinaus eine Islamische Theologie als akademische Disziplin mit einer Innenperspektive wissenschaftlicher Forschung entstanden:
Im Jahr 2010 sprach sich der Wissenschaftsrat für eine Einrichtung von Zentren für theologisch orientierte Islamische Studien an mehreren Standorten in Deutschland aus. Seitdem wurden unter Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) entsprechende Fachbereiche bzw. Zentren begründet an den Universitäten Erlangen-Nürnberg, Frankfurt, in Verbindung damit auch der Universität Gießen, in Münster, Osnabrück und Tübingen, seit 2019 auch an der Berliner Humboldt-Universität und der Universität Paderborn. Darüber hinaus gibt es Studienmöglichkeiten an den Pädagogischen Hochschulen in Freiburg im Breisgau, Karlsruhe und Ludwigsburg, vormals auch in Weingarten. Die Curricula führen klassische Studienstrukturen weiter wie die traditionellen Disziplinen Ilm al-Kalam (Systematische Theologie) oder Rechtswissenschaften Fiqh, schreiben diese auf neuere Fragestellungen und wissenschaftsmethodische Zugänge hin weiter und ergänzen zusätzliche Arbeitsschwerpunkte wie Religionspädagogik oder Praktische Theologie. Mehrere Standorte bieten auch Studiengänge mit spezifischen praxisbezogenen Schwerpunkten an, z. B. für Kontexte von Schule, Seelsorge, Wohlfahrtsarbeit oder Sozialer Arbeit. Mit der Akademie für Islam in Wissenschaft und Gesellschaft (AIWG) wurde 2017 in Frankfurt am Main eine Vernetzungs- und Kommunikationsplattform begründet, die unterschiedliche Projekte initiiert und fördert wie z. B. eine 2022 vorgestellte Studie zum Berufsfeld Islam.
In Österreich gibt es an den Universitäten Wien und Innsbruck Fachbereiche der Islamischen Theologie.
In Fribourg wurde 2016 das Schweizerische Zentrum für Islam und Gesellschaft (SZIG) an der Universität Fribourg als „Kompetenzzentrum für aktuelle gesellschaftliche Fragen zum Islam in der Schweiz mit Fokus auf einer islamischen Selbstreflexion“ eröffnet.
Das Verhältnis islamisch-theologischer Fachwissenschaft zur „muslimischen Glaubensgemeinschaft“ sieht Jan Felix Engelhardt in der Auswertung verschiedener Selbstbestimmungen als in fortwährender Aushandlung begriffen und von weitem Bezug, insofern „Problem- und Fragestellungen aus verschiedenen religiösen, ethischen, praktischen und Identität formierenden Bereichen von Musliminnen und Muslimen in Deutschland theologisch zu reflektieren“ sind; er beobachtet eine „Aufnahme (angenommener) glaubensgemeinschaftlicher Erwartungen und Bedürfnisse gegenüber der universitären Theologie in die Lehre und Forschung. Dabei werden allerdings mehrheitlich alle Musliminnen und Muslime weltweit als Angehörige dieser glaubensgemeinschaftlichen Bezugsgruppe definiert. […] Das Fach wird also nicht nach den Erwartungen eines religionsgemeinschaftlichen Adressatenkerns ausgerichtet, sondern nimmt alle Personen, die sich auf unterschiedliche Art und Weise als muslimisch identifizieren, in den Blick.“ In einem Positionspapier von 2019 sprechen sich „FachvertreterInnen der Islamisch-Theologischen Studien“ dafür aus, „dass die inhaltlichen curricularen Vorgaben, die Berufung von akademischem Personal, wie auch die Generierung von Forschungsschwerpunkten nach genuin fachlichen Kriterien zu erfolgen hat, um die Fachautonomie zu wahren und nachhaltig forschen und lehren zu können. Die FachvertreterInnen verpflichten sich der genuin theologischen Aufgabe, die immanenten Wahrheitsansprüche, so wie sie sich aus den Grundlagen des Islams heraus artikulieren lassen, zu reflektieren und auf dieser Basis die Religionspraxis der Glaubensgemeinschaften sowie öffentliche und mediale Islamdiskurse kritisch zu begleiten.“
Hinduismus
Brahman ist das unbeschreibbare, unerschöpfliche, allwissende, allmächtige, nicht körperliche, allgegenwärtige, ursprüngliche, erste, ewige und absolute Prinzip. Es ist ohne Anfang und ohne Ende, in allen Dingen versteckt und die Ursache, die Quelle und das Material aller bekannten Schöpfung, selbst jedoch unbekannt und doch dem gesamten Universum immanent und transzendent. Die Upanishaden beschreiben es als das eine und unteilbare, ewige Universalselbst, das in allem anwesend ist und in dem alle anwesend sind.
Von manchen Richtungen wird der Ishvara (wörtlich: der „höchste Herr“) als die manifestierte Form (siehe Avatara) von Brahman gesehen. Die Illusionskraft, durch die das Brahman als die materielle Welt, die einzelnen Seelen und der Ishvara gesehen zu werden, wird Maya genannt. Es gibt auch ihm unterstellte Wesen, die Devas genannt werden. Sie gelten gemäß dieser Sichtweise als die weltlichen Äußerungen des einen Ishvara.
Nach Auffassung des Advaita Vedanta ist der Mensch in seinem innersten Wesenskern mit dem Brahman gleich, und diese Einheit gilt es zu erkennen. Advaita Vedanta (Nichtdualität) ist die Lehre Shankaras (788–820 n. Chr.), die auf diese Erkenntnis der Einheit zielt. Nach der Lehre des Vishishtadvaita von Ramanuja dagegen ist das höchste Prinzip alles, was existiert. Es besteht jedoch ein qualitativer Unterschied zwischen individueller Seele und höchstem Prinzip. Am anderen Ende des Spektrums steht die rein dualistische Philosophie des Dvaita Vedanta des Madhvas, die streng zwischen Seele und höchstem Prinzip unterscheidet (siehe: Indische Philosophie).
Wicca und Neopaganismus
So wie auch im Judentum, gibt es im Wicca keine Dogmen und demzufolge kein einheitliches theologisches Verständnis. Von den meisten Anhänger des Wicca werden die große Göttin und der gehörnte Gott nicht als real-existente Wesenheiten, sondern vielmehr als Sinnbilder für alle Aspekte des Seins verstanden, deren Verständnis zu einem erfüllten Leben führen soll. Gemeinsam haben alle Traditionen des Wicca und auch sonstige Religionen des Neopaganismus, dass sie die Natur als heilig betrachten und häufig so genannte Magie als rituelle Komponente eingesetzt wird.
Pagane Theologie, bzw. Pagan Studies, ist international bereits an vielen Universitäten und Seminaren (siehe auch: Cherry Hill Seminary) ein anerkanntes Studienfach.
Die älteste Erwähnung von paganer Theologie findet sich im Werk De Natura Deorum von Marcus Tullius Cicero (45 v. Chr.).
Siehe auch
Liste theologischer Fachbibliotheken
Liste von theologischen Nachschlagewerken
Angewandte Theologie
Literatur
Auswahlliteratur zur Christlichen Theologie findet sich im dortigen Hauptartikel
Oswald Bayer: Theologie. Handbuch Systematische Theologie. Band 1. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 19
Gerhard Ebeling u. a.:Art. Theologie. In: Die Religion in Geschichte und Gegenwart. 3. Auflage. Band 6, Tübingen 1962, ISBN 3-16-145098-1, S. 754–781.
Lloyd P. Gerson: God and Greek Philosophy. Routledge, London 1990.
Mohammad Gharaibeh, Esnaf Begic, Hansjörg Schmid, Christian Ströbele (Hrsg.): Zwischen Glaube und Wissenschaft: Theologie in Christentum und Islam. (= Theologisches Forum Christentum – Islam. Band 10). Pustet, Regensburg 2015, ISBN 978-3-7917-2671-7.
Otto Kallscheuer: Die Wissenschaft vom Lieben Gott. Eine Theologie für Recht- und Andersgläubige, Agnostiker und Atheisten. Piper, München und Zürich 2008, ISBN 978-3-492-25221-8.
Christoph Schwöbel: Art. Theologie. In: Religion in Geschichte und Gegenwart. 4., völlig neu bearbeitete Auflage. Band 8, Tübingen 2005, ISBN 3-16-146948-8, S. 255–306.
Matthias Viertel (Hrsg.): Wörterbuch Theologie, CD-ROM, Directmedia Publishing GmbH, Berlin 2006, ISBN 978-3-89853-548-9.
Henning Wrogemann: Theologie Interreligiöser Beziehungen. Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2015, ISBN 978-3-579-08143-4.
Barbara Davy: Introduction to Pagan Studies. AltaMira Press, Lanham 2006, ISBN 978-0-7591-0819-6.
Weblinks
→ Für Weblinks zu den Theologien bestimmter Religionen vgl. jeweiligen Nachbarartikel, z. B. den Hauptartikel Christliche Theologie.
Einzelnachweise
Wissenschaftliches Fachgebiet
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Q34178
| 1,044.65581 |
19433
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https://de.wikipedia.org/wiki/Odessa
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Odessa
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Odessa ([], [], [], ) ist eine Millionenstadt am Schwarzen Meer und das administrative Zentrum der Oblast Odessa in der Ukraine. Die Stadt mit knapp über einer Million Einwohnern (Stand 2019) ist die bedeutendste Hafenstadt des Landes. Das historische Zentrum von Odessa wurde 2023 in die Welterbe-Liste der UNESCO aufgenommen (Status: gefährdet).
Geographie
Lage
Odessa liegt im Schwarzmeertiefland in der Südukraine, das sich als Teil der größeren Osteuropäischen Ebene in Richtung Süden immer mehr dem Meer neigt. Die Hafenstadt liegt an der nordwestlichen Küste des Schwarzen Meeres, am südwestlichen Ufer der großen Bucht von Odessa, etwa 40 km nördlich der Dnister-Mündung. Sie liegt 180 km nordwestlich der Halbinsel Krim und ca. 440 km südlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew. Die Staatsgrenze zwischen Ukraine und der Republik Moldau verläuft nur etwa 40 km westlich der Stadt.
Die Stadt liegt auf einer mehrfach von tiefen Wasserrinnen (Balki) durchfurchten Hochfläche, die an der Küste im Bereich der Stadt und südlich von ihr etwa 30 Meter tief steil zum Meer hin abfällt. Von der Stadt aus kann der Hafen über Treppen erreicht werden.
Stadtgliederung
Am 12. Juni 2020 wurde die Stadt zum Zentrum der neugegründeten Stadtgemeinde Odessa (Одеська міська громада, Odeska miska hromada), bis dahin bildete sie die gleichnamige Stadtratsgemeinde Odessa (Одеська міська рада/Odeska miska rada) und war direkt unter Oblastverwaltung gestellt.
Seit dem 17. Juli 2020 ist sie ein Teil des Rajons Odessa und wurde gleichzeitig dessen Hauptstadt.
Odessa gliedert sich in folgende vier Stadtrajone: Rajon Kiew, Rajon Malynowskyj, Rajon Prymorske, Rajon Suworow, vier weitere ursprünglich vorhandene Stadtrajone (Rajon Schowtnewe, Rajon Illitsch, Rajon Lenin, Rajon Zentral) wurden zum 20. März 2009 aufgelöst und auf die verbliebenen vier Rajone aufgeteilt. Jeder Rajon hat seine eigene Verwaltung, die dem Odessaer Stadtrat untersteht. Im Rajon Kiew befindet sich der 1805 von deutschen Siedlern gegründete Badeort Ljustdorf ().
Klima
In Odessa herrscht ein humides mediterranes Klima (nach Köppen und Geiger Cfa). Die Wassertemperatur liegt im Jahresdurchschnitt zwischen 13 und 14 °C, zwischen Januar und März bei 6 °C und im August bei 24 °C.
Geschichte
Etymologie
Der Ursprung des Namens Odessa ist nicht eindeutig geklärt. Eine populäre Legende besagt, er sei von der antiken griechischen Stadt Odessos (heute Warna) abgeleitet – möglicherweise aufgrund einer Verwechslung, da Warna zwar ebenfalls am Schwarzen Meer, allerdings in Bulgarien liegt. Einer anderen Erklärung zufolge stammt der Name von der türkischen Bezeichnung Jedisan für die Region ab, die „sieben Flaggen“ oder „sieben Titel“ bedeutet und auf die Jedisan-Sippe der Nogaier-Horde zurückgeht, die wiederum aus sieben Untergruppen bestand.
Vorgeschichte
In der Antike lebten in dem Gebiet verschiedene Steppenvölker wie die Skythen und Sarmaten sowie der thrakische Stamm der Tyrageten. Griechische Siedler gründeten die antike Stadt Borysthenes. Im ersten Jahrhundert vor Christus gelangte es unter dakische Herrschaft. Im Frühmittelalter war das Gebiet von ostslawischen Stämmen (Tiwerzen und Duleben) bewohnt, die mit der Zeit von türkischen Nomadenvölkern wie den Petschenegen und Kumanen verdrängt wurden.
Hacıbey
Die durch den Khan der Krim Hacı gegründete Siedlung Hacıbey (Hadschi Bej, Khadzhibei) wurde erstmals 1415 erwähnt, als der Hafen der Siedlung, aus dem Getreide exportiert wurde, bereits relativ groß war. Auf dem Siedlungsgelände lag eine große Burg, deren Überreste bis Mitte des 18. Jahrhunderts erhalten blieben. Khan Hacı trat das Gebiet an das Großfürstentum Litauen ab und 1562 ging es an das Osmanische Reich.
Um 1764 wurde nahe Hacıbey die Festung „Yeni Dünya“ („Jeni-Dünja“, zu deutsch „Neue Welt“), errichtet. Am 14. September 1789 wurde diese von russischen Truppen unter dem Befehl des katalonisch-neapolitanischen Generalmajors in kaiserlich russischen Diensten José de Ribas (1749–1800) im Russisch-Türkischen Krieg von 1787 bis 1792 in kurzer Zeit eingenommen.
Gründung von Odessa
1792 ging das Gebiet östlich des Dnister mit dem Frieden von Jassy an das Russische Kaiserreich. 1794 wurde auf Anweisung Katharinas der Großen die Stadt Odessa nahe der Festung Jeni Dünja gegründet. Es sollte ein leistungsfähiger Militärhafen für den Schwarzmeer- und Mittelmeerraum geschaffen werden.
Die neue Stadt wurde ein großer Erfolg. Der erste Statthalter wurde José de Ribas (1794–1797), der mit dem Militäringenieur François Sainte de Wollant die Grundlage für die weitere Entwicklung schuf. 1803 übernahm Herzog Armand du Plessis die Leitung der Stadt. Ihm verdankt die Stadt viel, die Anlagen und die Infrastruktur, auf ihn gehen die langen unterirdischen Gänge, die Katakomben, zurück.
Auch seinem Nachfolger, Graf Alexandre Andrault de Langeron verdankt Odessa viel, so gründete er 1817 das Lyceum Richelieu (später dann Kaiserliche Neurussland-Universität) und erklärte Odessa zu einem Freihafen.
Zwischen 1803 und 1818 bestand das Fürsorgekontor Neurussland als Kanzlei für die Neurussland-Siedler im Gebiet von Odessa. Sie war 1818 für etwa 15.500 nichtrussische Siedler zuständig. Dazu gehörten die nordwestlich gelegenen Siedlungen der Schwarzmeerdeutschen mit den vier Distrikten: Liebenthal, Beresan, Kutschurgan und Glücksthal und verschiedene einzelne deutsche Dörfer, sowie die bulgarischen und griechischen Distrikte: Ternowka, Bujalik und Parkani. Zusätzlich wurden vier schwedische, neun jüdische und das serbische Dorf Zetin verwaltet. Nach 1818 wurde die Kanzlei zu einer regionalen Niederlassung des Fürsorgekomitees für ausländische Siedler in Cherson. Sie wurde 1833 geschlossen.
Entwicklung Odessas
Ihren Aufschwung als moderne Hafenstadt nahm Odessa nach 1823 unter dem Generalgouverneur von Neurussland und Bessarabien, Graf Michail Semjonowitsch Woronzow. Er machte die Stadt zu seinem Verwaltungssitz, engagierte westeuropäische Ingenieure und Ärzte und organisierte viele städtebauliche Projekte. Er gründete ein Theater, eine öffentliche Bibliothek, ein Lyzeum, ein Institut für orientalische Sprachen, verschiedene wissenschaftliche Gesellschaften und protegierte englische und französische Lokalzeitungen. Zwischen 1823 und 1849 verdoppelte sich die Bevölkerung Odessas.
1856 wurde die Stadt Hauptsitz der Russischen Gesellschaft für Dampfschifffahrt und Handel (russisch: Русское Oбщество Пароходства и Торговли), einer börsennotierten Schifffahrtsgesellschaft, deren Aktien an der St. Petersburger Börse gehandelt wurden.
Der russische Dichter Alexander Puschkin lobte in der Erzählung Eugen Onegin die Freiheit und Ungezwungenheit in der Stadt.
Von 1867 bis 1878 war Nikolai Alexandrowitsch Nowosselski Stadthaupt Odessas, der von einer konzessionierten britischen Gesellschaft die Wasserleitung und Kanalisation anlegen ließ. Von 1878 bis 1895 stand Grigori Marasli an der Spitze der Stadt. Er war der Sohn eines in Odessa zu Wohlstand gekommenen griechischen Getreidehändlers und Förderers des in Odessa 1814 gegründeten griechischen Geheimbundes Filiki Eteria. Marasli finanzierte mit Teilen seines ererbten Vermögens eine Vielzahl von öffentlichen Bauten in Odessa. Das Schulwesen wurde durch Maraslis Vertreter und Nachfolger Walerian Nikolajewitsch Ligin wesentlich verbessert.
Russische Revolution 1905
Auf dem russischen Linienschiff Fürst Potjomkin von Tauris (rus. Knjas Potjomkin Tawritscheski) der Schwarzmeerflotte kam es am 27. Juni 1905 zur Meuterei. Das von den Meuterern übernommene Schiff lief in den Hafen von Odessa ein, aber die Matrosen unterstützten nicht einen zu dieser Zeit stattfindenden Generalstreik in der Stadt, der Teil der Russischen Revolution von 1905 war. Das Ereignis war Grundlage für den Film Panzerkreuzer Potemkin.
Ukrainische Volksrepublik
Die Ukrainische Volksrepublik wurde im Verlauf des Russischen Bürgerkriegs gegründet, doch war sie dem Angriff der Roten Armee nicht gewachsen. So wurde Odessa von Januar bis März 1918 von der sowjetischen Rumtscherod regiert. Durch den Friedensvertrag von Brest-Litowsk vom 3. März 1918 wurde die Volksrepublik, einschließlich der Stadt Odessa, offiziell unabhängig, doch tatsächlich war sie abhängig vom Deutschen Kaiserreich und seinen Verbündeten.
Russischer Bürgerkrieg 1918–1919
Von März bis Dezember 1918 hielten sich Truppen der Mittelmächte in der Ukrainischen Volksrepublik auf. Der südliche Teil des Landes und damit Odessa wurde von den Österreichern bis zum Ende von Österreich-Ungarn kontrolliert. Die Verantwortlichen waren erst Eduard von Böhm-Ermolli und danach Alfred Krauß.
Nach deren Rückzug (Deutschland hatte am 11. November 1918 einen Waffenstillstand mit Großbritannien und Frankreich geschlossen; Österreich-Ungarn war zerfallen) eroberte die Entente Odessa. Das Ziel war unter anderem die Unterstützung von Anton Iwanowitsch Denikin, General der Weißen Armee. Französische, griechische und einige wenige polnische, rumänische und freiwillige russische Truppen landeten in Odessa an und blieben dort vom 18. Dezember 1918 bis zum 8. April 1919. General Borius war Militärgouverneur von Odessa. Nach einer schweren Niederlage der Alliierten in Cherson zogen sich die Franzosen zurück. Grund war ein drohender Hungeraufstand in der Stadt. Im Frühling 1919 kam es auf den französischen Kriegsschiffen France und Jean Bart im Schwarzen Meer unter der Führung von André Marty zum Aufstand in der französischen Schwarzmeerflotte.
Danach übernahm Denikin die Stadt, und die griechische Bevölkerung Odessas wurde mit Schiffen evakuiert. General Lucjan Żeligowski führte seine polnische Division, die im Gebiet um den Fluss Kuban operierte, ebenfalls aus Russland via Odessa heraus.
Ukrainische SSR
Ab 1920 war Odessa Teil der Ukrainischen SSR und ab 1922 der Sowjetunion.
Der Hungersnot von 1932/1934, dem Holodomor, fielen auch in Odessa viele Menschen zum Opfer. So sollen im ersten Halbjahr 1933 in der Oblast Odessa täglich nur 830 kcal pro Person zur Verfügung gestanden haben, was etwa die Hälfte des als notwendig betrachteten Grundumsatzes ist.
Odessa lag 1941 bei Beginn des Deutsch-Sowjetischen Krieges im Angriffsbereich der rumänischen 4. Armee, die gegen die verteidigende sowjetische 9. Armee rasch Erfolge erzielte. Als die Rumänen am 5. August 1941 die Stadt erreichten, begann die Schlacht um Odessa. Die sowjetische Führung erklärte Odessa zur Verteidigungszone, in der sich Reste der zurückflutenden Truppen mit den etwa 35.000 Verteidigern (Marine und Freiwillige) einigelten. Die „Unterstadt“ (höhlenartige Steinbrüche) wurde zur Deckung genutzt. Weiter über See verstärkt, konnte die Garnison alle rumänischen Angriffe bis zum Oktober abwehren. Da die Rumänen trotz starker Übermacht kaum vorankamen, wurde der Oberbefehlshaber der rumänischen Belagerer, Korpsgeneral Nicolae Ciupercă, am 9. September 1941 abgelöst und durch den bisherigen Kriegsminister General Iosif Iacobici ersetzt. Die Lage für die Verteidiger wurde wegen des deutschen Vormarschs Richtung Krim schließlich aussichtslos, so dass Odessa ab dem 1. Oktober geräumt wurde. Die sowjetische Schwarzmeerflotte brachte bis zum 16. Oktober 1941 70.000 Soldaten und 15.000 Zivilisten nach Sewastopol.
Daraufhin wurde Odessa von 1941 bis 1944 von rumänischen und deutschen Truppen besetzt. Die Stadt war ab Dezember 1941 Sitz des rumänischen Hauptquartiers von Transnistrien. Während der Besatzungszeit wurden etwa 60.000 Einwohner ermordet oder deportiert, die meisten waren Juden. Besonders das Massaker vom 23. bis zum 25. Oktober 1941 blieb in Erinnerung. Bei einer Explosion im rumänischen Hauptquartier in Odessa starben insgesamt 61 Personen, einschließlich des rumänischen Generals Glogojeanu. Ministerpräsident Ion Antonescu gab daraufhin den Befehl, als Vergeltung für jeden getöteten Offizier 200 und für jeden Soldaten 100 Juden oder Kommunisten zu töten. Daraus entwickelte sich ein Massaker, bei dem etwa 30.000 Juden getötet wurden. Der erste von mehreren Kriegsverbrecherprozessen gegen zunächst 38 Täter begann unmittelbar nach Kriegsende am 14. Mai 1945 in Bukarest, mit Haftstrafen bis zu 25 Jahren.
Im März 1944 erhielt die 3. Ukrainische Front unter General Malinowski, die bereits am Südlichen Bug hielt, den Auftrag, zum Dnister vorzustoßen und Odessa einzunehmen. Ende März 1944 gingen aus mehreren Brückenköpfen am rechten Bug-Ufer drei sowjetische Armeen gegen die deutsche 6. Armee vor. Diese konnte sich unter General de Angelis nur hinhaltend verteidigen, zumal sie im Rücken von starker Partisanentätigkeit bedroht war. Am 10. April 1944 musste sie Odessa räumen und hinter den Dnister zurückgehen. Mit dem Verlust dieses Hafens zeichnete sich das Ende der deutschen Kriegführung im Schwarzen Meer ab.
Kriegsgefangenenlager 159
Der Befehl des NKWD vom 3. Juli 1944 Nr. 00756 führte dazu, dass in Odessa im Verlauf des Sommers und Herbstes 1944 unter der Lagerverwaltung 159 acht Lagerabteilungen für insgesamt bis zu 12.000 Kriegsgefangene eingerichtet wurden. Die Zahl der Lagerabteilungen änderte sich in der Folgezeit nach Möglichkeiten und Bedürfnissen – vor allem denen des Arbeitseinsatzes. Bis Ende des Jahres 1946 waren 14 Lagerabteilungen mit einer Belegung von 10.800 Mann vorgesehen. Tatsächlich befanden sich im Januar 1947 12.102 Gefangene im Lager 159, auf 16 Abteilungen verteilt und hauptsächlich im Wiederaufbau des Kriegshafens Odessa, der Werften, des Landmaschinenbaus und anderer Industrien eingesetzt.
Ende 1948 wurde das bis dahin selbständige Kriegsgefangenenlager 126 Nikolajew als Lagerabteilung 7 verwaltungsmäßig dem Lager 159 Odessa angegliedert. Über die Sterblichkeit im Lager liegen nur bruchstückhafte Angaben vor. So sind im Berichtsabschnitt des medizinischen Dienstes für das (vermutlich letzte) Quartal des Jahres 1944 654 Tote verzeichnet, die auf den physischen wie psychischen Erschöpfungszustand, auf ungeheizte Unterkünfte und schlechte Ernährung zurückgeführt wurden. Das ergäbe bei der andernorts erwähnten Belegung mit 11.687 Mann eine Todesrate von 5,6 % bzw. aufs Jahr hochgerechnet 22 %. Für das Jahr 1946 werden 66 Tote – an anderer Stelle 81 Tote – aufgeführt, was 0,08 % der Lagerbelegung entsprechen soll.
Insgesamt haben 68.256 Kriegsgefangene das Lager 159 durchlaufen, darunter 26.331 deutsche und 2584 österreichische sowie 13.496 rumänische und 12.563 ungarische. Diese im Vergleich zum Bestand sehr viel höhere Zahl ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass in Odessa die Repatriierung konzentriert war.
Die Stadt als Teil der unabhängigen Ukraine
Seit ihrer Unabhängigkeitserklärung im Dezember 1991 gehört Odessa zur unabhängigen Ukraine.
Odessa ist eine der Städte, in die die OSZE am 21. März 2014 Beobachter entsandte. In den Tagen und Wochen davor war es in Odessa zu prorussischen Protesten gekommen, bei denen Demonstranten ein Referendum nach dem Vorbild der Krim gefordert hatten. Am 2. Mai 2014 kam es in der Stadt zu schweren Ausschreitungen mit 48 Todesopfern und über 200 Verletzten.
Seit der Annexion der Krim und damit der Stadt Sewastopol durch Russland ist Odessa das Hauptquartier der Ukrainischen Seestreitkräfte.
Nach der Invasion der russischen Streitkräfte in der Ukraine 2022 blieb Odessa in den ersten Kriegswochen weitgehend verschont. Die Stadt gilt als militärisch wichtig, da sie mit ihrem Seehafen einen wichtigen Brückenkopf bildet und etliche Bahnlinien in die ganze Ukraine dort zusammenlaufen.
Die russische Offensive kam vor Mykolajiw für lange Zeit zum Stehen. Dem größten Freiluftmarkt Europas, dem „7. Kilometer“ („Promrynke 7 km“), ging nach Monaten, in welchen kein Handelsschiff im Hafen anlegte, mehr und mehr die Ware aus. Bis Anfang August 2022 blieb Odessa zwar nicht ganz von russischen Raketenangriffen verschont, aber die Schäden waren niemals vergleichbar mit anderen Städten; der bis zu diesem Zeitpunkt blutigste Angriff kostete Anfang Juli 2022 20 Menschen das Leben. Erstmals nach Kriegsbeginn im Februar fuhr Anfang August 2022 ein Getreidefrachter aus dem Hafen von Odessa. Aufgrund der getroffenen Vereinbarung hoffte man zum Beginn drei Schiffe pro Tag beladen zu können.
Im Zusammenhang mit der Aufkündigung des Getreideabkommens durch Russland wurde insbesondere der Hafen von Odessa ab Mitte Juli 2023 häufiges Ziel von Luftangriffen. Beim bisher schwersten Angriff seit Kriegsbeginn wurden in der Nacht zum 23. Juli 2023 zahlreiche Gebäude in der historischen Innenstadt, darunter die orthodoxe Verklärungskathedrale, schwer beschädigt.
Demographie
Überblick
Die Geschichte der Stadt ist traditionell von vielen Völkern und Konfessionen geprägt. Historisch gesehen bildeten Russen und Juden lange Zeit die größten Bevölkerungsgruppen in der Stadt. Im Jahr 1900 hatte Odessa 449.673 Einwohner, darunter ca. 133.000 Juden (29 %) und 7000 Deutsche; zahlreich vertreten waren auch Franzosen, Italiener, Griechen, Südslaven und Armenier. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts stellen die Ukrainer jedoch die größte Gruppe in Odessa dar.
Die Ukrainer stellten im Jahr 2001 mit 61,6 % die Mehrheit der Einwohner. Zweitgrößte Bevölkerungsgruppe waren mit 29 % die Russen. Es gibt signifikante Minderheiten von Bulgaren (1,3 %), Juden (1,2 %), Rumänen (Moldauer) (0,7 %) und Belarussen (0,6 %). Daneben leben in der Stadt noch zahlreiche Griechen, Albaner, Deutsche, Armenier, Georgier, Tataren, Gagausen, Araber und Türken. Insgesamt sollen es mehr als 130 Nationalitäten sein.
Jüdische Bevölkerung
Viele Juden verließen Polen nach den Teilungen von 1793 und 1795 in Richtung Odessa, so dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Bevölkerung zu etwa 30 % aus Juden bestand. 1821 kam es in Odessa bei der Beerdigung des Patriarchen von Konstantinopel Gregor V. zum ersten Judenpogrom, bei dem 14 Juden getötet wurden. Dem folgten weitere Pogrome 1859, 1871, 1881 und 1905.
Berühmt war Anfang des 20. Jahrhunderts das Stadtviertel Moldawanka, damals ein Zentrum jüdischen Lebens, aber auch berüchtigt für seine Kriminalität. Ein literarisches Denkmal setzte Isaak Babel dem dortigen Leben mit seinen Geschichten aus Odessa.
Sprache
In Odessa wird Ukrainisch und Russisch gesprochen. Russisch war aufgrund der kulturellen und historischen Siedlungsgeschichte der Region bis zum russischen Überfalls auf die Ukraine 2022 die weitverbreitetste Sprache der Stadt. Im offiziellen Zensus aus dem Jahr 2001 gaben 65 % der Einwohner Russisch als Muttersprache an. Eine 2015 veröffentlichte Befragung des International Republican Institute ergab, dass in Odessa 93 % der Einwohner zuhause Russisch sprechen.
Russisch war infolge der im Russischen Kaiserreich und in der Sowjetunion betriebenen Russifizierung der Ukraine bis 1991 Amtssprache des gesamten Landes, verlor nach der Unabhängigkeit jedoch diese Stellung zu Gunsten des Ukrainischen. 2012 wurde Russisch in der Oblast Odessa (als erste von insgesamt neun Regionen des Landes mit einem Anteil von mindestens 10 Prozent russischer Muttersprachler) im Rahmen des Neuen Sprachgesetzes und zur Anpassung der ukrainischen Gesetzgebung an europäische Standards als regionale Amtssprache wieder eingeführt.
Aufgrund des russischen Angriffs und der hierdurch ausgelösten Stärkung des ukrainischen Patriotismus auch unter russischstämmigen Odessiten hat das Russische seit Kriegsbeginn viel seiner bisherigen Popularität verloren, gleichzeitig stieg die Nachfrage nach Ukrainisch-Sprachkursen.
Das Jiddische spielte in der jüngeren Geschichte der Stadt eine große Rolle. Es wurde bis zum Holocaust von mehr als einem Drittel der Odessiten gesprochen und war damit in Odessa zeitweise weiter verbreitet als das Ukrainische. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg verblieb in der Stadt noch eine bedeutende jüdische Minderheit, die die Sprache am Leben erhielt. Durch Emigration nach 1991 ist das Jiddische in Odessa aber endgültig weitgehend verschwunden.
Das in Odessa gesprochene Russisch zeichnet sich durch einige spezifische Besonderheiten aus, unter anderem durch etliche Ukrainismen und speziell durch viele Lehnwörter aus dem Jiddischen. Das spezifische odessitische Russisch spielt eine wichtige Rolle in der Identität der Stadt. Es wurde besonders durch Isaak Babels Geschichten aus Odessa einem breiteren Publikum bekannt gemacht und fand seitdem Erwähnung in zahlreichen Filmen und Büchern. Die Verbreitung dieses Regiolekts ist, bedingt durch Emigration größerer Teile der historischen Stadtbevölkerung, inzwischen aber rückläufig.
Gesundheit
Odessa hatte 2007 und 2011 eine der höchsten HIV-Infektionsraten in Europa.
Die COVID-19-Pandemie in der Ukraine begann Anfang 2020. Stand 29. Mai 2022 wurden 112.459 COVID-Tote in der Ukraine registriert.
Religion
Die Mehrheit der Bevölkerung ist christlich-orthodox. Odessa ist Bischofssitz der Deutschen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Ukraine und seit 2002 Sitz eines römisch-katholischen Bischofs (Bistum Odessa-Simferopol). Daneben gibt es eine signifikante jüdische Gemeinde.
Wirtschaft, Messen, Bildung
Überblick
Über die Häfen in Odessa werden fast die Hälfte der Ex- und Importe der Ukraine abgewickelt.
Schiffbau, Ölraffinerien, Chemie, Metallverarbeitende Betriebe, Nahrungsgüterproduktion, Fischfang und Tourismus sind die Grundlagen der Odessaer Wirtschaft.
Bekannt ist der Markt „Promrynke 7 km“, häufig nur als „7. km“ bezeichnet. Er wird auf derzeit 70 ha Fläche vor allem aus zahlreichen aneinander gereihten Containern gebildet und beherbergt so mehr als 15.000 Händler und Geschäfte. Seinen Namen hat er daher, dass er sich bei Straßenkilometer 7 an der Straße Odessa–Owidiopol befindet.
Verkehr
Der Hafen Odessa ist, neben dem nahegelegenen Tschornomorsk sowie Mykolajiw, Cherson und Sewastopol, einer der wichtigsten Häfen der Ukraine. Im Containerterminal Odessa wurden 2012 mehr als 329.000 TEU ISO-Container umgeschlagen.
Von Odessa aus bestehen Straßen- und Eisenbahnverbindungen ins Hinterland, vor allem nach Galizien, Podolien und die Republik Moldau, sowie in die Hauptstadt Kiew.
Die wichtigsten internationalen Fernstraßen sind:
M 05 nach Kiew
M 14 nach Mariupol
M 15 nach Ismajil
M 16 nach Kutschurhan
M 27 nach Tschornomorske
M 28 nach Juschne
Die Geschichte der Odessaer Eisenbahnen ist mit Sergei Juljewitsch Witte verbunden, bereits 1865 wurde die erste Strecke der Odessaer Eisenbahn eröffnet, zentraler Ausgangspunkt war und ist der Hauptbahnhof Odessa (Odessa-Holowna). Folgende Eisenbahnstrecken existieren derzeit:
Bahnstrecke Bachmatsch–Odessa
Bahnstrecke Krasne–Odessa
Bahnstrecke Odessa–Basarabeasca
Der Flughafen der Stadt liegt im Südwesten und verfügt über nationale und internationale Flugverbindungen.
Der öffentliche Nahverkehr begann 1880 mit der als Pferdebahn eröffneten Straßenbahn Odessa. Der gesamte öffentliche Verkehr wird mittels Trolleybussen, Autobussen, Trams und Marschroutki-Taxi abgewickelt. Die Errichtung einer U-Bahn-Strecke ist wegen der Katakomben unterhalb weiter Teile des Stadtgebietes nicht möglich.
Erwähnenswert ist darüber hinaus eine Standseilbahn, die den Höhenunterschied zwischen dem Hafen und dem Stadtzentrum neben der Potemkinschen Treppe überwindet. Alle genannten Verkehrsmittel gehören zur Odesgorelektrotrans, dem städtischen Verkehrsunternehmen.
Hochschulen und weitere Bildungseinrichtungen
Die Kaiserliche Neurussland-Universität wurde am 13. Mai 1865 eröffnet, 1945 wurde sie nach dem russisch-ukrainischen Träger des Nobelpreises für Physiologie oder Medizin Ilja Metschnikow in Staatliche I.I. Metschnikow Universität Odessa umbenannt. Heute heißt sie Nationale Ilja-Iljitsch-Metschnikow-Universität Odessa. Unter anderem betreibt sie das Astronomische Observatorium Odessa.
Weitere Universitäten in Odessa sind die am 18. September 1918 gegründete Staatliche Polytechnische Universität Odessa, die Staatliche Marineuniversität Odessa, die um 1900 gegründete Staatliche Medizinische Universität Odessa, die Südukrainische Staatliche Pädagogische K.-D.-Uschinski-Universität Odessa (nach dem russischen Pädagogen Konstantin Dmitrijewitsch Uschinski (1824–1871)) und die Nationale Wirtschaftsuniversität Odessa. Darüber hinaus gibt es das Konservatorium Odessa sowie einige weitere Akademien in Odessa wie beispielsweise die Militärakademie Odessa.
Ausstellungen, Festivals, Messen (Auswahl)
InterAgroBusiness: – Internationale Fachmesse für Landwirtschaft, Landtechnik, Viehzucht, Öko-Landbau und Bioenergie
Wine & Winemaking: Internationale Fachmesse für Wein, Weinherstellung und Weinbau
Seit 2015 findet Ende September / Anfang Oktober das Internationale Literaturfestival Odessa (Міжнародний літературний фестиваль в Одесі, МЛО) statt.
Politik
Allgemeines
Im Juli 1994 wurde Eduard Hurwiz zum Bürgermeister gewählt. Im März 1998 erfolgte seine Wiederwahl, doch wurde stattdessen sein Konkurrent Rouslan Bodelan mit Hilfe der Justiz Bürgermeister und Hurwiz floh nach Israel. Bei der Wahl 2002 traten wieder beide an, und Bodelan gewann. 2005 erklärte ein Gericht die Wahl für ungültig und ernannte stattdessen Hurwiz zum Bürgermeister. Bodelan ging nach Russland. Bei der folgenden Wahl 2006 wurde Hurwiz zum Bürgermeister gewählt. Bei den Bürgermeisterwahlen 2010 trat Hurwiz für die „Front Smin“ von Arsenij Jazenjuk an, doch verlor er gegen den Kandidaten der Partei der Regionen, Oleksij Kostussew, der bis dato dem Antimonopolkomitee vorstand. Dieser trat von seinem Amt jedoch nach nur einer Legislaturperiode wieder ab. Amtierender Bürgermeister der Stadt ist seit dem 25. Mai 2014 Hennadij Truchanow, der wie sein Vorgänger für die Partei der Regionen zur Wahl stand.
Städtepartnerschaften
Odessa unterhält mit rund 40 Städten aus zahlreichen Ländern Beziehungen, die nach eigener Darstellung in Bruderstädte und Partnerstädte unterschieden werden. Im Folgenden sind die Städte beider Kategorien alphabetisch aufgelistet.
Bauwerke, Parks und weiteres
Gebäude
Die historische Altstadt wurde am 25. Januar 2023 in die Liste des UNESCO-Weltkulturerbes aufgenommen.
Wahrzeichen Odessas ist die Potemkinsche Treppe von der Altstadt zum Hafen. Dort steht die Kanone des englischen Schiffs Tigris, das während des Krimkriegs sank.
Opernhaus Odessa (Teatr operi ta baletu)
Philharmonie Odessa
Palais Kinsky, hier übernachteten Winston Churchill und seine Gefolgsleute vor dem Treffen von Jalta.
Haus der Wissenschaftler (früher Tolstoi-Palais)
Woronzowpalast
Theater
Rathaus
Nationale Wissenschaftliche Bibliothek Odessa
Haus Falz-Fein, Herrenhaus der deutschstämmigen Familie Falz-Fein
Hauptpostamt Odessa
Kotzebue-Brücke
Denkmäler (Auswahl)
Iwan Franko
Bohdan Chmelnyzkyj
Antin Holowaty
Wera Wassiljewna Cholodnaja
Katharinendenkmal
Adam Mickiewicz
Alexander Sergejewitsch Puschkin (auf dem Hochufer über der Hafenbucht, vor der Duma; ein weiteres vor dem Puschkinmuseum)
Armand Emmanuel du Plessis, duc de Richelieu (am oberen Ende der Potemkinschen Treppe)
Taras Schewtschenko
Michail Woronzow (Generalgouverneur von Neurussland und Bessarabien, auf dem Kathedralenplatz)
Goldenes Kind von Ernst Iossifowitsch Neiswestny
Matrosendenkmal im Schewtschenkopark
Darth Vader (ehemaliges Lenindenkmal)
Kirchen und Klöster
Verklärungskathedrale auf dem Kathedralen-Platz (Soborka)
Deutsche Evangelisch-Lutherische Kirche St. Paul
Uspenski-Kathedrale
Armenische Kirche auf dem Gagarinplateau
Griechisch-Orthodoxe Kirche
Kirche des heiligen Elias
Kirche des heiligen Panthelemon
Kirche der heiligen Muttergottes
Polnische Kirche/ Kirche des heiligen Petrus
Frauenkloster Erzengel Michael
Uspenski-Mönchskloster
mehrere Synagogen
Museen und Kunstgalerien
Archäologisches Museum
Heimatkundemuseum (Nowikowpalast)
Gemäldegalerie in der Sofiejewska vul.
Literaturmuseum (Gagarinpalast)
Museum für westeuropäische und orientalische Kunst
Puschkinmuseum.
Parks, Plätze und Gärten
Stadtpark (Міський сад)
Botanischer Garten Odessa (Ботанічний сад)
Schewtschenko-Park (Парк Шевченка)
Park des Sieges (Парк Перемоги)
Griechischer Platz
Zoologischer Garten (Зоопарк)
Prospekte und Katakomben
Die Flaniermeile Derybasiwska ist benannt nach dem Gründer der Stadt, Admiral José de Ribas.
Die Katakomben von Odessa bestehen aus einem Netz unterirdischer Gänge und Labyrinthe und sind für Besucher geöffnet. Hier versteckten sich Partisanen während des Zweiten Weltkriegs.
Sport (Auswahl)
Außer einer Vielzahl von Sportvereinen sind insbesondere folgende zu nennen:
Der bekannteste Fußballverein der Stadt ist Tschornomorez Odessa. Der Klub spielt in der Premjer-Liha, der ersten ukrainischen Liga. Das Stadion Zentralstadion Tschornomorez (auch als Schwarzmeerstadion bezeichnet) diente als Ausweichstadion für die Fußball-Europameisterschaft 2012.
Die Box-Klubs der Stadt spielen eine bedeutende Rolle, beispielsweise Sparta Odessa.
Persönlichkeiten
Literatur
Joachim Baumann, Uwe Moosburger: Odessa, Facetten einer Stadt im Wandel. Pustet, Regensburg 2003, ISBN 3-7917-1848-7.
Anatole Bond: Deutsche Siedlung am Schwarzen Meer, Lustdorf bei Odessa (= Deutsche Dialektographie. Band 104). Elwert, Marburg/L. 1978, ISBN 3-7708-0576-3 (geschichtliche und sprachliche Studien).
Brigitte Schulze: Odessa – Aufstrebende Metropole am Schwarzen Meer. Verlag UKIN, Weilheim 2008, ISBN 978-3-9810467-2-4.
Walentin Petrowitsch Katajew: In den Katakomben von Odessa. Kultur und Fortschritt, Berlin 1955.
Petra Reski: Odessa – eine Stadt erwacht zu neuem Leben. In: Geo Saison. Heft 2, 2006, (geo.de).
Nadja Helling: Odessa. Ein Stadtführer. Kiew 2009, ISBN 966-8169-10-7.
Steven Zipperstein: The Jews of Odessa: A Cultural History, 1794–1881. Stanford University Press, Stanford, Calif. 1985.
Digitalisierte ältere Publikationen
Odessa, Lexikoneintrag in: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage, Band 14, Leipzig/Wien 1908, S. 902–904 (Zeno.org).
Friedrich Bienemann: Geschichte der evangelisch-lutherischen Gemeinde zu Odessa. Druck von A. Schultze, Odessa 1890 (Google Books).
L. Pinsker: Die See- und Limanbäder von Odessa. Braumüller, Wien 1881 (Google Books).
Karl Koch: Die Krim und Odessa. Reiseerinnerungen. Neue Ausgabe, Leipzig 1867 (Google Books).
Ferdinand von Hellwald: Odessa. In: Slavische Blätter. Erster Jahrgang. Zweites Heft (Februar), Wien 1865, S. 140–143 (Google Books).
Weblinks
Offizielle Homepage von Odessa omr.gov.ua (englisch, ukrainisch, russisch)
Fotos von Odessa in der Vergangenheit und in der Gegenwart. Prospekt Group
Einzelnachweise
Ort in der Oblast Odessa
Ort mit Seehafen
Millionenstadt
Marinestützpunkt (Ukraine)
Bestandteil einer Welterbestätte in Europa
Kurort in der Ukraine
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
Hochschul- oder Universitätsstadt in der Ukraine
Hauptstadt einer Oblast in der Ukraine
Ersterwähnung 1415
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Q1874
| 423.879738 |
131617
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https://de.wikipedia.org/wiki/Talkshow
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Talkshow
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Eine Talkshow (engl. talk „Gespräch“, show „Sendung“) ist eine Diskussionssendung im Rundfunk (Fernsehen oder Hörfunk) oder über Online-Kanäle. Im Fernsehen heißt sie auch Fernsehdebatte, im Radio Radiodebatte, Hörfunkdebatte oder Talkradio, im Internet Webtalkshow.
Die Diskussion findet dabei ähnlich wie bei einem Interview zwischen dem Gastgeber und einem oder mehreren Gesprächsgästen statt, aber auch zwischen den Talkgästen selbst. Der Gastgeber wird Moderator oder Talkmaster genannt, englisch Host. Typisch ist der Ablauf, bei der der Moderator die Gesprächsgäste zunächst zu einem Thema befragt, und sich anschließend ein mehr oder weniger freies und/oder von dem Gastgeber gelenktes Gespräch unter den Gesprächsgästen entwickelt. Es gibt nicht die idealtypische Talkshow, sondern verschiedene Sendeformate, die als einzige Gemeinsamkeit das Gesprächselement aufweisen. Europäische Vorläufer der Talkshow waren politische, soziale oder religiös-philosophische Diskussionsrunden im Radio. Die BBC erkannte sechs Jahre nach dem Beginn des Rundfunks in Europa die Bedeutung von Gesprächen im Radio und widmete in ihrem BBC Hand Book von 1929 dem Thema ein eigenes Kapitel „How to Conduct a Wireless Discussion-Group“ und gab eine Broschüre für die Interessenten heraus. Die Talkshow, die damals noch nicht so hieß, richteten keine festen Moderatoren im Funkhaus in London aus, sondern freiwillige Fachleute in den jeweiligen Vereinen, Clubs etc. vor Ort.
Arten
Talkshows lassen sich zunächst in drei Arten aufteilen:
Der Personality-Talk dient insbesondere der (Selbst-)Darstellung von Prominenten. Häufiger Kritikpunkt ist, dass es in manchen Sendungen weniger um inhaltliche Auseinandersetzungen, sondern vielmehr darum gehe, dass die prominenten Gäste die Gelegenheit nutzen, ihr neues Produkt – Buch, Film oder CD – zu präsentieren.
Die Debatten-Show widmet sich überwiegend der Präsentation politischer Themen, die normalerweise nicht personenorientiert behandelt werden (Polittalk). Polittalk sind alle Talkshows, bei denen kontrovers diskutierbare politische Themen im Vordergrund stehen.
Die Bekenntnis-Show behandelt persönlich-intime Themen, wobei Scham- und Peinlichkeitsgrenzen erreicht und überschritten werden können. Die Nachmittagsshows, in denen Bürger Alltagsprobleme diskutieren, werden als „Daytime talk“ oder „Daily Talk“ bezeichnet
Grundsätzlich lassen sich „Daily Talk“ und „Polit-Talk“ unterscheiden.
Es gibt Talkshows mit vorher vorgegebenem Inhalt und auch Formate, deren Inhalt sich erst während der Gesprächsrunde ergibt („television talk“ ohne Drehbuch). Das Publikum wird in beiden kaum bis gar nicht eingebunden und meistens nur als Kulisse eingeladen. Verschiedene Talkshows des gleichen Genres unterscheiden sich häufig nicht durch ihre Themen, sondern eher durch ihre Moderatoren und den äußeren Rahmen, in dem sie stattfinden.
„Daily Talk“
Charakteristika
Zwischen den meisten Daily-Talk-Formaten lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen:
Die Sendungen werden meistens an jedem Werktag (montags bis freitags) ausgestrahlt und haben somit Reihencharakter.
Die Shows sind nicht in der Hauptsendezeit, sondern in der zuschauerschwachen Zeit zwischen 11:00 und 17:00 Uhr platziert.
Es gibt ein Saalpublikum, das in den meisten Sendungen die Möglichkeit hat, sich mit Fragen, Diskussionsbeiträgen oder Statements an der Diskussion zu beteiligen.
Die Talk-Gäste rekrutieren sich fast ausschließlich aus „einfachen Leuten“, Prominente werden nur selten eingeladen. Entscheidend für die Einladung ist die echte oder vermeintliche Sachkompetenz der Gäste, also ihre Fähigkeit, zum Thema der Sendung als direkt oder indirekt Betroffene authentisch Stellung zu beziehen. Üblicherweise sind dies pro Sendung zwischen fünf und zehn Personen.
Die Shows sind billig und effektiv, da hohe Marktanteile vergleichsweise kostengünstig erreicht werden können.
Das Publikum vieler Daily-Talk-Formate besteht zu einem hohen Anteil aus Frauen (zwei Drittel der Zuschauer) und Älteren. Trotz des hohen Anteils an älteren Zuschauern wenden sie sich in erster Linie jedoch meist an ein jüngeres, für die Werbung interessantes Publikum.
Diese Formate tragen oft die Namen ihrer Gastgeber als Sendungstitel, da der Moderator – als personalisierte Präsentationsform des Fernsehens – den Bezug zwischen Programm und Publikum herstellt. Für den Zuschauer wird er zur imageprägenden Identifikationsfigur. In den Gesprächen werden Alltagsnähe und enthemmte Umgangsformen – sowohl von den Gästen als auch von den Moderatoren – zunehmend praktiziert und vermitteln dem Zuschauer den authentischen Charakter der Sendungen. Dieser Eindruck wird durch die Anwesenheit des Studiopublikums noch intensiviert.
Trotzdem beinhalten Daily Talks viele Elemente der alltäglichen zwischenmenschlichen (face to face) Kommunikation, da das Gespräch zwischen dem Moderator und seinem oft unprominenten Gast zwar in eine Sendungsdramaturgie eingebunden ist, diese aber weder durch Showelemente in seinem alltagsnahen Charakter beeinträchtigt wird, noch deren Inhalte zum Zweck der medialen Verbreitung inszeniert werden.
Themenstruktur in Daily Talkshows
Auch wenn sich die Themen deutscher Nachmittags-Talkshows insgesamt auf alle Bereiche des Lebens erstrecken, stehen meist sehr persönliche und intime Belange der Gäste im Vordergrund. Bezüglich der Themenschwerpunkte zeichnen sich vier dominante Bereiche ab:
Prominenz und Unterhaltung
Familie, Liebe und Partnerschaft
Soziales, Gesundheit und Arbeitsleben
Individuelle Konflikte in privaten Beziehungen und Alltagsprobleme
Themen des öffentlichen Lebens mit Bezug zu Politik, Wirtschaft und Justiz sind nur nachrangig vertreten, noch geringer ist die Bedeutung solcher Themen, die einen Bezug zur Kultur, Wissenschaft, Forschung und Technik haben. Auf der anderen Seite sind aber auch typische Kategorien des Boulevards unterrepräsentiert: Sex- und Erotikthemen erhalten etwas weniger Sendezeit als Themen zu Politik und Gesellschaft im weiteren Sinne. Eine sehr geringe Rolle spielen Kriminalität und Katastrophen. Insgesamt scheint sich das Themenspektrum an den alltäglichen Lebensbereichen der Bevölkerungsmehrheit zu orientieren, während die institutionellen Handlungsbereiche wie Politik und Kultur nahezu bedeutungslos sind.
Mit der Kultivierung des Privaten verlieren auch der Glamour der Prominenz und die institutionelle Öffentlichkeit relativ an Gewicht, stattdessen werden die Bereiche des privaten Alltags mit seinen Problemen und Konflikten, die einerseits in den Beziehungen des Einzelnen zur Außenwelt, andererseits im persönlichen Intimbereich liegen, häufig dargestellt.
Mit steigender Konkurrenz dieser Sendeformate untereinander werden die Themen zunehmend provokativ formuliert. Außerdem orientieren sie sich inhaltlich stärker an privat artikulierten Wünschen, Problemen und Konflikten, die zum Teil den Bereich der gesellschaftlich akzeptierten Normen überschreiten. Sex- und Erotikthemen haben zwar einen hohen öffentlichen Aufmerksamswert, ihr tatsächlicher Anteil spielt jedoch nur eine relativ geringe Rolle.
Wichtiger als dieser Bereich erscheint die Tendenz zur konzeptionellen Veränderung der Daily Talkshows, wobei das Thema an Bedeutsamkeit verliert, dafür das Affektpotential und die Artikulationsformen der Akteure aus Randmilieus neuen Aufmerksamkeits- und Unterhaltungswert erhalten. Diese Tendenz zur Entthematisierung der Talkshow geht einher mit einem anderen Verständnis von der Rolle der Akteure: Es bedarf keiner Kompetenz mehr in einem bestimmten Sachgebiet, um eine Position mit Argumenten zu vertreten, sondern es kommt vielmehr darauf an, in ungewöhnlichen Formen der Selbstdarstellung neue Aufmerksamkeitsimpulse zu erschließen.
Kritik
Kritiker bemängeln, dass in diesen Formaten meist „Menschen aus problematischen Umfeldern oder in schwierigen persönlichen Situationen, Menschen in seelischen Krisen, Opfer von Missbrauch, Menschen mit finanziellen Schwierigkeiten aufgrund Verschuldung, Problemfamilien“ zur Schau gestellt werden. Weiterhin diene die Selbstentäußerung der Privatheit und Intimität lediglich einer Befriedigung voyeuristischer Interessen des Publikums, oftmals führt dies gar zu stärkeren Problemen des Protagonisten nach der Ausstrahlung. Einige dieser Talkshows setzen auch bezahlte Laiendarsteller ein, auch Publikumsreaktionen werden durch schriftliche oder optische Anweisungen manipuliert.
Medienpsychologen sprechen hier auch vom Affektfernsehen, dessen Merkmale eine meist künstlich erzeugte Personalisierung, Authentizität, Intimisierung oder Emotionalisierung sind. Die Medienwissenschaftler Gary Bente und Bettina Fromm etablierten 1997 für diese Talkshows die Bezeichnung „Affekt-Talks“. Angela Keppler unterscheidet zwischen dem narrativen Realitätsfernsehen und dem performativen Realitätsfernsehen. Beim performativen Realitätsfernsehen handelt es sich „um Unterhaltungssendungen, die sich zur Bühne herausgehobener Aktionen machen, mit denen gleichwohl direkt oder konkret in die Alltagswirklichkeit der Menschen eingegriffen wird.“ Beim narrativen Realitätsfernsehen werden die „Zuschauer mit der authentischen oder nachgestellten Wiedergabe tatsächlicher Katastrophen unterhalten“.
„Polit-Talk“
Speziell für Polit-Talkshows lassen sich nach Girnth/Michel (2007) folgende Charakteristika nennen:
Institutionalisierung: Die Sprechhandlungen sind institutionell reglementiert, was Auswirkungen beispielsweise auf das Rederecht, die Rededauer etc. hat.
Diskursivität: Sprachliche Äußerungen verweisen immer auf vorangehende Diskurse/Texte und nachfolgende Diskurse/Texte. Politiker müssen somit das Vorwissen ihrer (direkten und indirekten) Gesprächspartner berücksichtigen.
Repräsentationalität: Die Politiker sind Repräsentanten der jeweiligen Partei, mit der sie die gleichen Deutungsmuster und Bewertungsmaßstäbe teilt. Es grenzt sich somit eine Eigen- von einer Fremdgruppe ab.
Öffentlichkeit und Massenmedialität: Zwei Interaktionsebenen lassen sich hinsichtlich des öffentlich-politischen Sprachgebrauchs unterscheiden. Erstens die direkte Interaktion zwischen Politikern (und Parteien) und zweitens die Interaktion zwischen Politikern und der lediglich indirekt beteiligten Öffentlichkeit. Hierdurch manifestiert sich vielfach der Inszenierungscharakter der ersten Ebene, was zur Persuasion auf der zweiten Ebene führt.
Kritik an politischen Talkshows
Viele Kritiker beanstanden die fehlende Meinungsvielfalt bei politischen Talkshows. Laut einer Studie, welche über 1200 Sendungen u. a. von Anne Will, Hart aber fair, Maischberger und Maybrit Illner analysiert, gebe es eine Art "Cliquenbildung" in den großen deutschen Talkrunden. Fast zwei Drittel der Gäste sind Bundespolitiker und Journalisten. Kaum eingeladen hingegen werden EU- und Kommunalpolitiker, Gewerkschaften, Sozialverbände und Nichtregierungsorganisationen. Die fehlende Repräsentation dieser Gruppen sei eine vergebene Chance für mehr Bürgernähe.
Kritisiert werden insbesondere manche solcher Polittalk-Formate, da Talkshow-Auftritte von Politikern eher der Steigerung des Bekanntheitsgrads dienen und weniger eine ernsthafte und gründliche Auseinandersetzung mit politischen Themen ermöglichen sollen. Ferner wird eine Zunahme politischer Meinungsbildung im außerparlamentarischen Raum sowie die zunehmende Bedeutung von „professioneller Selbstdarstellung“ und „Inszenierung von Problemlösungskompetenz“ und eine „Politik der Verbandsvertreter und Lobbyisten“ kritisiert.
Erklärungsmodelle zur Rezeption von Fernseh-Talkshows
Grundsätzliche medienpsychologische Funktionen
In der Medienforschung finden sich verschiedene Erklärungsansätze, warum Fernsehzuschauer Unterhaltungsangebote nutzen. Am häufigsten wird dies als eine Form des Eskapismus interpretiert, um der Monotonie des Alltags zu entfliehen und sich leicht und risikolos in reizvolle und interessante medial vermittelte Scheinwelten zu versetzen. Demgegenüber wies Ursula Dehm schon 1984 darauf hin, dass die Zuschauer Informationssendungen aber auch als unterhaltsam und vermeintlich reine Unterhaltungssendungen als informativ begreifen. Unterhaltungsangebote können von den Zuschauern auf zwei Ebenen wahrgenommen werden – einmal als pure Unterhaltung und einmal als eine Art von Informationsangebot, mit dessen Hilfe es gelingt, soziale Orientierungsbedürfnisse zu befriedigen.
Geht man von den klassischen Funktionen der Massenmedien aus, so sprechen Talkshows folgende Grundbedürfnisse an:
Die soziale Orientierungs- oder Informationsfunktion, nach der Medien ihre Nutzer mit vielfältigen Informationen versorgen und ihnen helfen, sich in einer komplexen Umwelt zurechtzufinden.
Die Rekreationsfunktion spricht das Bedürfnis der Rezipienten nach Entspannung und Entlastung an. Durch das Fernsehen wird es möglich, dem Alltagsleben zu entfliehen und Traumwelten, die außerhalb des eigenen Erlebensbereiches liegen, kennenzulernen.
Die Integrationsfunktion, nach der das Fernsehen fehlende Kontakte zur Umwelt herstellt, Informationsdefizite und Unsicherheiten angesichts einer unbekannten oder sich verändernden Umwelt ausgleicht.
Die interaktive Funktion, indem neue Anregungen und Inhalte vermittelt werden, die zur Knüpfung sozialer Kontakte und zu gemeinsamen Gesprächsinhalten beitragen.
Die Bedeutung von Talkshows für Rezipienten
Einerseits können Talkshows als inszenierte Shows gesehen werden, die lediglich der Unterhaltung dienen. Da sie durch ihre oftmals oberflächliche, plakative und inszenierte Form weder ihrem Anspruch gerecht werden können, tatsächlich aufzuklären und zu informieren, noch einer sachlichen Auseinandersetzung und ausgewogenem Meinungsbild dienlich sind, bleibt zuletzt nur ihr Showcharakter im Sinne einer medialen Inszenierung von Betroffenheitskommunikation. Gerade diesen Showcharakter findet ein Teil der Zuschauer attraktiv. So werden Talkshows im Hinblick auf ihren Anspruch, sachliche Aufklärung und Information zu leisten, zwar insgesamt eher negativ beurteilt, gleichzeitig aber auch als eine Art von „Freak-Show“ als unterhaltsam gesehen.
Andererseits schätzen die Zuschauer Talkshows aufgrund ihrer wahrgenommenen Authentizität: Es sind dort „normale“ Menschen – und nicht etwa Experten – zu sehen, die etwas zu einem Alltagsthema oder -problem zu sagen haben, wobei die Talkgäste als Stellvertreter fungieren, die der eigenen Person ähnlich sind. Schließlich eröffnet sich die Möglichkeit, sich selbst (wenn auch nicht direkt) in die Diskussion einzumischen und die eigene Meinung mit der im Fernsehen geäußerten zu vergleichen. Die Nutzung von Talkshows ist somit vorrangig mit Motiven verbunden, die sich auf den sozialen Vergleich mit anderen Personen beziehen, um die Angemessenheit der eigenen Lebensführung oder des zwischenmenschlichen Verhaltens zu überprüfen. Die (vermeintliche) Normalität der präsentierten Themen und Personen unterstützt solche Vergleichsprozesse, die sowohl in der Identifikation mit, als auch in der Abgrenzung von den auftretenden Personen bestehen können. Gleichzeitig wollen Talkshow-Rezipienten auch emotional mitbeteiligt werden, was durch emotionale Bindungen zu den Moderatoren und den Kandidaten geschieht.
Zugangsweisen zu Talkshow-Inhalten
Als Zugangsweisen zu Talkshows sind – je nach Vorstellungen und Erwartungen der Zuschauer – drei Dimensionen zu unterscheiden:
Man kann die Inszenierung naiv für wahr und die Argumente für glaubwürdig halten und die Sendung somit als ernsthafte Problemdiskussion einordnen. Oder man kann die Sendung reflektiert betrachten, was ein gewisses Maß an Hintergrundwissen voraussetzt, und sich über den Inszenierungscharakter, die Dramaturgie sowie die Motive der Teilnehmer Gedanken machen.
Man kann die Sendung involviert verfolgen, also von einem Thema selbst betroffen oder von einer Person fasziniert bzw. angerührt sein. Oder dazu ein distanziertes Verhältnis haben.
Die Sendung kann eher unterhaltungsorientiert verfolgt werden, oder aber um Orientierung in spezifischen Fragen gewinnen zu können.
Emotionale Beteiligung in der Rezeption von Talkshows
In Bezug auf die Fernsehrezeption lassen sich drei Modalitäten emotionaler Beteiligung unterscheiden, die jeweils durch die Art der Beziehung zwischen Rezipient und Akteur charakterisiert sind:
Empathie: Im Falle der empathischen Beteiligung befindet sich der Zuschauer in der Position des Augenzeugen und fühlt auf der Basis empfundener Sympathie mit dem Protagonisten. So könnte der Zuschauer von Affekt-Fernsehangeboten Mitleid für einen Studiogast empfinden, der über eine belastende, dem Rezipienten jedoch fremde Erfahrung, berichtet.
Identifikation: Die Identifikation transportiert hingegen das Gefühl, der Protagonist zu sein, wodurch der Zuschauer das Geschehen mit den Augen des Akteurs sieht und beispielsweise Bedrohung, Trauer und Freude miterlebt. Er würde sich selbst belastet fühlen, wenn ein Gast ein dem Zuschauer ähnliches Schicksal schildert und vor der Kamera in Tränen ausbricht.
Parasoziale Interaktion: Das Konzept der parasozialen Interaktion bzw. parasozialen Beziehung geht schließlich davon aus, dass es zwischen Bildschirmakteur und Zuschauer zu Interaktionen kommen kann, auf deren Grundlage sich längerfristige gefühlsmäßige Bindungen entwickeln können.
Talkshows aus kultivierungstheoretischer Perspektive
Die Kultivierungsthese (auch Kultivierungsanalyse) geht von langfristigen Interaktionsprozessen zwischen dem omnipräsenten Medium Fernsehen und der Realitätswahrnehmung der Rezipienten aus. In Analogie dazu lässt sich ein Zusammenhang zwischen bestimmten Darstellungsformen und Inhalten von Talkshows und der Realitätswahrnehmung der Rezipienten vermuten. Der tägliche Senderhythmus der einzelnen Shows, die flächendeckende Präsenz dieser Formate im Nachmittagsprogramm der zuschauerstärksten Programme, die sich innerhalb einzelner Formate oft wiederholenden Themen, die über verschiedene Formate und Sendungen hinweg stereotypen Darstellungen von Themen, Konflikten nicht prominenter Gäste und die von ihnen eingebrachten Problemstellungen aus dem Alltagsleben, die es den Zuschauern ermöglichen, die Sendungen auf ihre eigene Realität zu beziehen, sowie die stabilen, ritualisierten Inszenierungsformen – all das lässt einen Zusammenhang zwischen Talkshow-Inhalten, Talkshow-Nutzung und Realitätswahrnehmung vorstellbar erscheinen.
Folgende drei Merkmale könnten dabei zu bestimmten Verzerrungen der Realitätswahrnehmung führen:
Talkshows lassen dysfunktionale Beziehungen und bizarre Probleme als normale und charakteristische Merkmale der Gesellschaft erscheinen.
Sie desensibilisieren Zuschauer gegenüber menschlichem Leiden, indem sie sich ausschließlich sensationellen Begebenheiten widmen.
Außerdem veranlassen sie die Zuschauer, komplexe soziale Zusammenhänge zu trivialisieren.
Wahrscheinlich ist darüber hinaus ein Wirkmechanismus, der sich auf die Entstehung sozialer Kategorien bezieht und bei dem das Plakative des Dargestellten eine besondere Rolle spielt: Mit vielen Themen, die in Talkshows behandelt werden, ist der Rezipient in seiner Lebensrealität kaum oder gar nicht konfrontiert. Die Begegnung mit Personen, die solche wenig bekannten oder unbekannten Lebensrealitäten repräsentieren, prägt daher die Vorstellung über diese Gruppe sehr viel stärker als generelle (z. B. statistische) Informationen. Ein Grund dafür mag sein, dass die drastischen, lebhaften und emotionalisierenden Darstellungen in Talkshows einen größeren Einfluss auf die Meinungsbildung beim Zuschauer haben, als eine nüchterne, abwägende und sachliche Behandlung eines Themas.
Deutschland
Entwicklung
Unmittelbar nach dem Neubeginn des deutschen Fernsehens in der Bundesrepublik wie der DDR war die Gesprächssendung eine häufige Sendeform, weil es den Fernsehpionieren an technischen und finanziellen Mitteln fehlte. Auch hier kam es zu Kooperationen mit dem Hörfunk, ferner wurden Veranstaltungen wie Podiumsgespräche mit Zuschauerbeteiligung ins Programm übernommen. Auch in den ersten Jahren des ZDF und später beim Sendestart der kommerziellen Sender in Westdeutschland wurden die Programme aus Kostengründen in beträchtlichem Maße mit Gesprächssendungen bestückt. Am 6. Januar 1952 begann in Deutschland im UKW-Programm des NWDR der Internationale Frühschoppen – ebenfalls wie das amerikanische Vorbild sonntags – und ging nach Aufspaltung des NWDR im 1956 auf den WDR über. Ab 30. August 1953 strahlte das Fernsehen die Fernsehserie aus, die erste deutsche TV-Talkshow war entstanden. Bis zum 20. Dezember 1987 liefen 1874 Folgen der weißweintrinkenden Beteiligten.
1955–1957 moderierte Margot Hielscher im Bayerischen Fernsehen die Talkshow Zu Gast bei Margot Hielscher. In der Sendung waren unter anderem Maurice Chevalier und Romy Schneider zu Gast.
Die erste Talkshow nach heutigem Verständnis startete zunächst am 18. März 1973 im Dritten Programm des WDR mit Dietmar Schönherr unter dem Titel Je später der Abend, wurde ab 31. Dezember 1973 im Ersten Programm gezeigt und lief bis 29. Juli 1978. Sie war der Prototyp der Talkshow, dem im NDR Fernsehen die Sendung 3 nach 9 ab 19. November 1974 folgte. Ebenfalls im Dritten Programm, und zwar im Westdeutschen Fernsehen, wurde ab dem 25. Januar 1976 aus dem Kölner Kabarett- und Kleinkunsttheater Senftöpfchen der Kölner Treff ausgestrahlt.
Mit dem Aufkommen der Privatsender stieg auch die Zahl der Talkshows. RTL Television setzte mit Karl Dall in Dall-As ab 19. Januar 1985 auf die Schlagfertigkeit dieses Moderators, Explosiv – Der heiße Stuhl mit Ulrich Meyer seit 15. Januar 1989 auf Konfrontation. Nachdem die ARD mit Talk täglich bereits erste Versuche in dieser Richtung unternommen hatte, setzte sich mit der Übernahme der amerikanischen Programmstruktur durch den Sender RTL im Jahr 1992 das Konzept der nachmittäglichen Talkshows auch auf dem deutschen Fernsehmarkt durch. Hans Meiser präsentierte ab 14. September 1992 die unter seinen Namen laufende erste tägliche Talkshow. Nach der schnellen Etablierung des RTL-Vorreiters folgte ein Jahr später Ilona Christen (RTL), worauf mehrere Daily Talks auf vielen Programmen starteten: Arabella (ProSieben), Fliege (Das Erste), Bärbel Schäfer (RTL), Vera am Mittag (Sat.1), Kerner (Sat.1) und andere mehr. Das Magazin Focus zählte 1996 pro Woche über 80 Talkshows im deutschen Fernsehprogramm.
„Die protektionistische Pastoralität eines Jürgen Fliege steht neben der moralischen Betroffenheit einer Vera Int-Veen, die schrille Arabella Kiesbauer neben der emotionalen Betroffenheit einer Ilona Christen, die (gespielte) Naivität von Juliane & Andrea neben dem verständnisvollen Kumpel Johannes B. Kerner, die zwischen (gespielter) Unsicherheit und Provokation schwankende Bärbel Schäfer neben dem mit einem Anflug von Ironie ausgestatteten Hans Meiser.“
Durch ein Überangebot an Sendungen und den zunehmenden Substanzverlust verlor diese Programmform jedoch mit der Zeit an Bedeutung und wurde zunächst durch die formal wie inhaltlich verwandten Gerichtsshows und danach durch sogenannte Scripted-Reality-Formate ersetzt.
Konventionelle Talkshow-Formate zu Politik, Kultur, Sport und Gesellschaft
Aktuell auf Sendung
Anne Will mit Anne Will (Das Erste)
Der Internationale Frühschoppen mit Werner Höfer (Deutsches Fernsehen/ARD, 1952–1987), unterschiedlich (WDR, seit 2002)
Hart aber fair mit Louis Klamroth (Das Erste / WDR)
maischberger. die woche (vormals Maischberger und Menschen bei Maischberger) mit Sandra Maischberger (Das Erste)
Presseclub mit Monika Piel, Volker Herres oder Jörg Schönenborn (Das Erste / WDR)
Maybrit Illner mit Maybrit Illner (ZDF)
Markus Lanz mit Markus Lanz (ZDF)
Münchner Runde mit Ursula Heller oder Sigmund Gottlieb (Bayerisches Fernsehen)
Der Sonntags-Stammtisch mit Helmut Markwort (Bayerisches Fernsehen)
Tagesgespräch (ARD-alpha)
Riverboat (MDR)
NDR Talk Show (NDR)
Tietjen und Bommes mit Bettina Tietjen und Alexander Bommes (NDR)
3 nach 9 mit Giovanni di Lorenzo und Judith Rakers (Radio Bremen)
Thadeusz und die Beobachter mit Jörg Thadeusz (RBB)
Nachtcafé (SWR)
Kölner Treff (WDR)
Phoenix Runde mit Anke Plättner /Alexander Kähler (Phoenix)
Unter den Linden mit Michaela Kolster und Michael Hirz (Phoenix)
Bei Brender! mit Nikolaus Brender (n-tv)
Das Duell bei n-tv mit Heiner Bremer (n-tv)
Studio Friedman mit Michel Friedman (WeLT)
Doppelpass (Sport1)
Eins gegen Eins mit Claus Strunz (Sat.1)
Ehemalige/bereits abgesetzte Talkshows
Absolute Mehrheit mit Stefan Raab und Peter Limbourg (ProSieben)
Beckmann mit Reinhold Beckmann (Das Erste)
Blond am Freitag mit Ralph Morgenstern (ZDF, 2001–2007)
Boulevard Bio mit Alfred Biolek (Das Erste)
Günther Jauch mit Günther Jauch (Das Erste)
Je später der Abend (Westdeutsches Fernsehen/Deutsches Fernsehen)
Johannes B. Kerner mit Johannes B. Kerner (ZDF)
Kerner mit Johannes B. Kerner (Sat.1, 2009–2011)
Nachtstudio mit Volker Panzer (ZDF, 1997–2012)
Sabine Christiansen mit Sabine Christiansen (Das Erste)
Vorsicht! Friedman mit Michel Friedman
Leute (SFB, 1983–1989) mit Henryk M. Broder, Elke Heidenreich, Gisela Marx, Wolfgang Menge übertragen aus dem Café Kranzler in Berlin
Dickes B (RBB)
Leute am Donnerstag
Donnerstag-Gespräch (Fernsehen der DDR/DFF)
Porträt per Telefon (DFF/Fernsehen der DDR)
Klönsnack aus Rostock (DFF/Fernsehen der DDR)
Quergefragt im SWR Fernsehen
Busch@n-tv mit Leo Busch (n-tv)
Kaffeeklatsch mit Ralph Morgenstern (ZDF)
Roche & Böhmermann mit Charlotte Roche und Jan Böhmermann (ZDFkultur)
Talk op Platt mit Ewald Christophers und Gerlind Rosenbusch (NDR, 1982–2006)
Talk im Turm mit Hauptmoderator Erich Böhme (Sat1, 1990–1999)
Unter uns – Geschichten aus dem Leben (MDR) mit Griseldis Wenner und Axel Bulthaupt
Zimmer frei! mit Christine Westermann und Götz Alsmann (WDR)
2+Leif mit Thomas Leif (SWR)
Ehemalige tägliche Talkshow-Formate zu Alltagsthemen
ARD/ZDF
Dieter Speck mit Dieter Speck (Das Erste, 2003)
Fliege – die Talkshow mit Jürgen Fliege (Das Erste, 1994–2005)
Inka! mit Inka Bause (ZDF, 2013)
Mensch, Ohrner! mit Thomas Ohrner (ZDF, 1998–1999)
RTL
Erste tägliche Talkshow war Hans Meiser mit Hans Meiser, die am 14. September 1992 auf Sendung ging und werktags um 16.00 Uhr ausgestrahlt wurde. Ein Jahr später folgte auf dem 15.00-Uhr-Sendeplatz Ilona Christen mit Ilona Christen, 1995 Bärbel Schäfer mit Bärbel Schäfer um 14.00 Uhr.
Ab September 1998 kam mit Birte Karalus und Birte Karalus eine vierte Talkshow hinzu, die um 14.00 Uhr ausgestrahlt und wofür Bärbel Schäfer bereits auf den Sendeplatz um 13.00 Uhr vorgezogen wurde. Als fünfte Talkshow des Senders und einzige am Vormittag wurde im Januar 1999 zudem Sabrina mit Sabrina Staubitz ins Programm genommen. Anfang 1999 wurden außerdem die Sendeplätze von Bärbel Schäfer (ab dann um 15.00 Uhr) und Ilona Christen (ab dann um 13.00 Uhr) getauscht. Im August wurde Oliver Geissen mit der Oliver Geissen Show Christens Nachfolger auf dem Sendeplatz um 13.00 Uhr.
Aufgrund nachlassender Zuschauerzahlen wurden zuerst die beiden kurzlebigsten Sendungen des Senders wieder aus dem Programm genommen: Birte Karalus im September und Sabrina im Oktober 2000. Auf dem 14.00-Uhr-Sendeplatz wurde fortan Bärbel Schäfer gezeigt, auch Hans Meiser war ab diesem Zeitpunkt bereits eine Stunde früher um 15.00 Uhr zu sehen. Nach gut einem halben Jahr auf diesem Sendeplatz wurde jedoch auch Meisers Talkshow im März 2001 nach etwa 1700 Folgen aus dem Programm genommen. Schäfers Sendung wurde noch etwa eineinhalb Jahre weiter gesendet und schließlich im August 2002 abgesetzt.
Als einzige Sendung wurde die Oliver Geissen Show beibehalten, die im Oktober 2007 nach der Verlängerung des Magazins Punkt 12 auf 14.00 Uhr verlegt wurde. Im Mai 2008 wurde mit Natascha Zuraw und Natascha Zuraw sogar nochmals um 15.00 Uhr eine zweite Talkshow gestartet, nach nur 19 Folgen jedoch wieder aus dem Programm genommen. Komplett vom Genre der täglichen Talkshows verabschiedete sich RTL dann im August 2009 mit der Absetzung der Oliver Geissen Show nach genau zehn Jahren Laufzeit.
Nach mehr als 10 Jahren ohne Talkshow bei RTL versucht sich RTL ab dem 10. Februar 2020 wieder mit einer Talkshow. Marco Schreyl moderiert dann die gleichnamige Talkshow werktags um 16:00 Uhr.
Sat.1
Erste tägliche Talkshow im Programm des Privatsenders Sat.1 war die von Wolf-Dieter Herrmann moderierte halbstündige Sendung Herrmann – Die Talkshow für Sie, die von Januar bis März 1993 zur Mittagszeit um 12.00 Uhr ausgestrahlt wurde. Nach deren Ende dauerte es fast drei Jahre, bis mit der von Johannes B. Kerner moderierten Sendung Kerner im Januar 1996 wieder eine Talkshow ins Programm aufgenommen wurde. Die um 11.00 Uhr gezeigte Sendung wurde bereits zwei Wochen später um eine zweite Talkshow Vera am Mittag mit Vera Int-Veen ergänzt, die im Anschluss daran um 12.00 Uhr ausgestrahlt wurde. Ein Jahr später kam mit der nach ihrer Moderatorin Sonja Zietlow benannten Sendung Sonja um 13.00 Uhr die dritte Talkshow hinzu.
Ende 1997 wechselte Johannes B. Kerner zum ZDF, sodass ab Anfang 1998 Jörg Pilawa mit der gleichnamigen Sendung Jörg Pilawa den Sendeplatz um 11.00 Uhr übernahm. Ab August 1999 wurde mit Ricky Harris und seiner Sendung Ricky! um 14.00 Uhr eine vierte Talkshow ins Programm genommen, die jedoch bereits im März 2000 durch Peter Imhof mit Peter Imhof ersetzt wurde.
Weitere Personalwechsel entstanden, als Pilawa die Quiz Show im Abendprogramm von Sat.1 übernahm und Zietlow zu RTL wechselte. Pilawas Nachfolger wurde im August 2000 die Sendung Franklin – Deine Chance um 11 mit Franklin, Britt Hagedorn übernahm im Januar 2001 mit Britt – Der Talk um eins den Sendeplatz von Zietlow.
Dem nachlassenden Zuschauerinteresse fiel zunächst im November 2001 Peter Imhof zum Opfer, im August 2004 dann auch die gegen Ende noch kurzzeitig auf den Sendeplatz um 10 Uhr verlegte Talkshow von Franklin. Nach zehn Jahren Laufzeit wurde im Januar 2006 auch Vera am Mittag aus dem Programm genommen. Lediglich Britt – Der Talk um eins hielt sich als einzige Talkshow einige weitere Jahre. Mit 2112 Folgen wurde aber auch sie als letzte verbliebene und am längsten gelaufene tägliche Talkshow im deutschen Fernsehen am 28. März 2013 abgesetzt.
ProSieben
Nach dem Erfolg der Talkshows bei RTL startete auch ProSieben im April 1994 seine erste Talkshow, die eigentlich von Arabella Kiesbauer moderiert werden sollte. Diese fiel jedoch wegen einer Stimmbandentzündung für den anvisierten Sendestart aus, sodass am 5. April 1994 um 15.00 Uhr zunächst der Journalist Michael Lindenau mit der Sendung Lindenau auf Sendung ging. Bereits nach einem Monat wurde dessen Sendung wegen schlechter Quoten jedoch auf den Sendeplatz um 9.00 Uhr verschoben, wo sie nach einem weiteren Monat wieder eingestellt wurde.
Kiesbauer ging schließlich mit der Sendung Arabella unmittelbar darauf am 6. Juni 1994 um 14.00 Uhr wesentlich erfolgreicher an den Start. Zwischen Februar 1996 und März 1997 wurde mit Arabella Night zusätzlich eine Spätabendvariante von Arabella ausgestrahlt. 1998 nahm ProSieben mit Andreas Türck, moderiert von Andreas Türck, eine zweite Talkshow ins Programm, die ab dem 25. Februar 1998 auf dem Sendeplatz um 15.00 Uhr ausgestrahlt wurde. Ein Jahr später folgte am 4. März 1999 mit Nicole – Entscheidung am Nachmittag und Nicole Noevers um 16.00 Uhr die dritte Talkshow des Senders.
Am 7. Dezember 2001 wurde zunächst Nicole – Entscheidung am Nachmittag wieder eingestellt. Kurz darauf folgte am 15. Januar 2002 auch Andreas Türck, als Wiederholung im Mittags- bzw. Vormittagsprogramm überdauerte die Sendung bis Mitte 2003. Türcks Sendeplatz am Nachmittag übernahm Tobias Schlegl mit Absolut Schlegl, ehe die Sendung Ende 2002 nach knapp einem Jahr wieder eingestellt wurde. Nach immer weiter zurückgehenden Quoten wurde mit Arabella nach zehn Jahren Laufzeit am 4. Juni 2004 auch die letzte Talkshow aus dem Programm des Senders genommen.
Weitere
Zusammenschnitte verschiedener Talkshows werden in den Formaten talk talk talk (ProSieben), Voll Total (Super RTL) und Best Of Talk (Sat.1) gezeigt.
RTL II hatte im Jahr 2017 die Talkshow Detlef Soost moderiert von Detlef Soost im Programm. Nach 22 Folgen wurde die Talkshow allerdings wegen schlechten Quoten wieder abgesetzt.
USA
Entwicklung
Der Fernsehvorläufer der Talkshows war Meet the Press im amerikanischen Privatfernsehen: Die Show startete auf NBC am 6. November 1947 und gilt als die am längsten laufende Fernsehserie überhaupt. 1951 fand die erste Talkshow im heutigen Sinne statt, die The Joe Franklin Show, die 42 Jahre lang bis 6. April 1993 lief. Ebenfalls sonntags lief vom 12. Oktober 1958 bis zum 29. Mai 1960 Small World mit Edward R. Murrow. Am 2. April 1962 startete die Late-Night-Show The Tonight Show. 30 Jahre lang moderierte sie Johnny Carson.
Bezüglich der historischen Entwicklung der US-amerikanischen Talkshow-Szene lassen sich vier Entwicklungsstränge nachzeichnen:
Die US-Talkshows hatten ihren Ursprung bereits Anfang der 1950er-Jahre mit einer Konzeption, bei der im Wesentlichen unterhaltende Gespräche mit Prominenten im Vordergrund standen.
Mit den Moderatoren Dick Cavett und Phil Donahue begann Ende der 1960er Jahre eine zweite Phase, bei der sich das sachliche Interview und die Zuschauerbeteiligung als neue Elemente der Talkshow etablierten.
Im Zuge einer Popularitätskrise Mitte der 1970er-Jahre wurden informative Talkshows weitgehend in den Hintergrund gedrängt, nur unterhaltende Talk-Programme, wie Johnny Carsons Tonight Show, konnten ihr Stammpublikum halten.
Erst in den 1980er Jahren entwickelten sich aus dem Vorbild Phil Donahues zwei neue Talkshow-Gattungen: Zum einen die „Confessional-Talkshow“ (umfasst auch die „Daily Talkshow“), in denen nicht-prominente Gäste über gesellschaftliche Tabuthemen sprechen. Zum anderen der „Confro-Talk“, bei dem über ein kontroverses Thema in einer künstlich angeheizten Ringkampfatmosphäre gestritten wird.
Erfolgreichste Daytime Show war die vom 8. September 1986 bis zum 25. Mai 2011 laufende Oprah Winfrey Show.
Auswahl
The Phil Donahue Show (1967–1996) mit Phil Donahue, eine der ersten landesweit ausgestrahlten Talkshows
The Sally Raphael Show, später Sally (1986–2002) mit Sally Jessy Raphael
The Oprah Winfrey Show (1986–2011) mit Oprah Winfrey
El Show de Christina (seit 1989), spanischsprachige Talkshow mit Christina Saralegui
The Christina Show (1990), englische Variante von El Show de Christina mit Christina Saralegui
The Montel Williams Show (1991–2008) mit Montel Williams
The Jerry Springer Show (1991–2018) mit Jerry Springer
The Maury Povich Show, später Maury (seit 1991) mit Maury Povich
The Jenny Jones Show (1991–2003) mit Jenny Jones
The Ricki Show (1993–2005) mit Ricki Lake
The Howard Stern Show (1994–2005) mit Howard Stern
The Klingbling Show (1995–2003) mit Morry Jackson
The Ellen DeGeneres Show (2003-2022) mit Ellen DeGeneres
The Tyra Banks Show (seit 2005), mit Tyra Banks
The Steve Wilkos Show (seit 2007) mit Steve Wilkos
Liste der Fernseh-Talkshows weiterer Länder
Österreich
Guten Abend am Samstag mit Heinz Conrads (ORF, 1957–1986)
Club 2 mit Günther Nenning, Franz Kreuzer u. a. (ORF 2, 1976–1995)
Phettbergs Nette Leit Show mit Hermes Phettberg (ORF-Satire-Talk, 1995–1996)
Schiejok Täglich mit Walter Schiejok (ORF, 1995–1999)
Vera mit Vera Russwurm (ORF 2, 1995–2005)
Lebenskünstler biographische Talkshow mit Helmut Zilk (seit 1995 feiertags auf ORF 2)
Die Barbara Karlich Show mit Barbara Karlich (seit 1999, Nachmittagstalk in ORF 2)
Speed mit Hadschi Bankhofer (ATV, 2000–2002)
Talk to Me mit Eva Pölzl (ATV, 2000 -?)
Bei Stöckl Abendtalk mit Barbara Stöckl (ORF 2, 2003–2005)
Offen gesagt vormals Zur Sache (Polittalk am Sonntagabend, ORF 2)
Natascha Kampusch trifft mit Natascha Kampusch (Puls 4, 2008)
hautnah mit Christine Walli (tirol tv seit 2010)
Gansterer zur Geisterstunde mit Helmut A. Gansterer (Mitternachtstalk, seit 2013 in Schau TV)
Im Zentrum mit Ingrid Thurnher (ORF2, seit 2007)
Talk im Hangar-7, (Servus TV)
Schweiz
Aeschbacher mit Kurt Aeschbacher (SRF 1)
Arena (SRF 1)
Club (SRF 1)
fussballtalk (SRF zwei)
TalkTäglich und SonnTalk (TeleZüri)
Fohrler live mit Dani Fohrler (TV3) (1999–2001)
Im Gespräch mit Michel von Tell
Liste gemischter Radio- und Fernseh-Talkshows
Domian mit Jürgen Domian (Radio 1 Live und WDR Fernsehen, 1995–2016), mit Gesprächen am Telefon
nachtwach mit Barbara Bürer (Radio SRF 3 und SRF 1 Fernsehen, 2007–2018), mit Gesprächen am Telefon
Lateline mit Jan Böhmermann (sieben der neun Jugendradios der ARD und EinsPlus, seit 2012), mit Gesprächen am Telefon. In mehreren Staffeln wurde die Radiosendung parallel im Fernsehen gesendet.
Liste der Radio-Talkshows
Radio-Talkshows aktuell auf Sendung
Talkshows vorwiegend mit Gästen am Telefon (Call-In)
Blue Moon (Jugendsender Fritz des rbb)
Çılgın, deutsch-türkisch (WDR Funkhaus Europa)
Lateline (sieben der neun Jugendradios der ARD), einmal monatlich Gespräch mit Studiogast
Nightlounge – kultiger Nighttalk auf bigFM und RPR1
Frag das ganze Land – Die Ö3-Communityshow mit Hiller & Hansa | Hitradio Österreich 3
Talkshows vorwiegend mit Gästen im Studio
Eins zu Eins – Der Talk (Bayern 2)
Leute (SWR)
Der Radio-Brunch (bei den Lokalradios von The Radio Group)
Ehemalige/bereits abgesetzte Radio-Talkshows
911 – Deine Talkshow bei Energy (Energy, von 2006 bis 2009), eine Call-in-Talkshow
Hallo Ü-Wagen (WDR Radio, von 1974 bis 2010), eine Talkshow von unterwegs
2254 – Nachtgespräche am Telefon (Deutschlandradio Kultur)
Literatur
Gary Bente, Bettina Fromm: Affektfernsehen. Motive, Angebotsweisen und Wirkungen (= Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen, Band 24). Leske und Budrich, Opladen 1997.
Birgit van Eimeren, Heinz Gerhard: Talkshows – Formate und Zuschauerstrukturen. Überblick über Entwicklung und Nutzung eines alltäglichen Programmformats. In: Media Perspektiven. 12/1998, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt/Main, S. 600–607.
Heiko Girnth, Sascha Michel: Von diskursiven Sprechhandlungen bis Studiodekorationen. Polit-Talkshows als multimodale Kommunikationsräume. In: Der Sprachdienst. 3/2007, S. 85–99.
Uli Gleich: Talkshows im Fernsehen – Inhalte und Wirkungen, Zuschauer- und Kandidatenmotive. In: Media Perspektiven. 12/1998, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt/Main, S. 625–632 (PDF; 97 kB).
Uli Gleich: Populäre Unterhaltungsformate im Fernsehen und ihre Bedeutung für die Zuschauer. Forschungsüberblick zu Nutzungsmotiven, Funktionen und Wirkungen von Soap Operas, Talkshows und Reality-TV. In: Media Perspektiven. 10/2001, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt/Main, S. 524–532 (PDF; 104 kB).
Harald Keller: Die Geschichte der Talkshow in Deutschland. S. Fischer, Frankfurt/Main 2009
Udo Michael Krüger: Thementrends in Talkshows der 1990er Jahre. Talkshows bei ARD, ZDF, RTL, SAT.1 und PRO SIEBEN im Vergleich. In: Media Perspektiven. 12/1998, ARD-Werbung Sales & Services GmbH, Frankfurt/Main, S. 608–624.
Sascha Michel, Heiko Girnth (Hrsg.): Polit-Talkshows – Bühnen der Macht. Ein Blick hinter die Kulissen. Bouvier, Bonn 2009
Klaus Plake: Talkshows. Die Industrialisierung der Kommunikation. Primus, Darmstadt 1999.
Christian Schneiderbauer (Hrsg.): Daily Talkshows unter der Lupe. Wissenschaftliche Beiträge aus Forschung und Praxis (= Angewandte Medienforschung, Band 20). Reinhard Fischer, München 2001.
Michael Steinbrecher, Martin Weiske: Die Talkshow: 20 Jahre zwischen Klatsch und News. Tips und Hintergründe (= Reihe praktischer Journalismus. Band 19). Ölschläger, München 1992.
Andreas Weiß: Wer sieht sich das nur an? Den Zuschauern von Daily Talks auf der Spur. Eine Rezipientenbefragung (= Angewandte Medienforschung. Band 10). Reinhard Fischer, München 1999.
Siehe auch
Podiumsdiskussion
Weblinks
„…und unseren täglichen Talk gib uns heute!“, Studie der Otto Brenner Stiftung 2011 (PDF 2.8 MB)
"Lasst sie reden", Porträt eines Talkshowstammzuschauers, taz
Einzelnachweise
Fernsehgattung
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Q622812
| 124.964526 |
175791
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tontr%C3%A4gerunternehmen
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Tonträgerunternehmen
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Tonträgerunternehmen (umgangssprachlich Schallplattenfirma, Plattenfirma) ist ein Verlag der Unterhaltungs- oder Musikindustrie, der die Produktion und den Vertrieb akustischer Werke wie Musik, Hörbücher und Hörspielen auf Tonträgern betreibt.
Allgemeines
Der Begriff Tonträgerunternehmen ist neutral und umfasst alle heute noch erhältlichen Musik-Tonträger wie insbesondere Schallplatten, Kompaktkassetten, Compact Discs, MiniDisks oder DVD-Audio. Durch die Markteinführung der Compact Disc im Jahre 1982 wurde die Schallplatte weitgehend verdrängt, sodass die Bezeichnungen Schallplattenfirma oder Plattenfirma nicht mehr der Realität entsprachen und dem Begriff Tonträgerunternehmen weichen mussten. Heute verkaufen Tonträgerunternehmen Musik auch in „nicht-physischer“ Form als Musik-Download (Audiodateien zum Herunterladen).
Tonträgerunternehmen bilden heute den wichtigsten Teil der Musikindustrie, zu der neben Musiklabels auch Musikverlage, Tonstudios oder Interpreten gehören.
Geschichte
Am 27. Juni 1887 wurde mit der „American Gramophone Co.“ durch den aus Deutschland ausgewanderten Emile Berliner weltweit die erste Plattenfirma gegründet. Es folgte die 1888 in Philadelphia gegründete „Berliner Gramophone Co.“, an welcher Berliner nur wenige Aktien besaß. Er hatte zuvor am 8. November 1887 und am 15. Mai 1888 in den Vereinigten Staaten die Patente 372.786 und 382.790 für das von ihm erfundene Grammophon erhalten. Die ersten Schallplatten entwickelte Berliner am 25. Oktober 1887 aus wachsbeschichtetem Zink. Die erste Schallplatte der Berliner Gramophone Co. erschien im Mai 1888 unter der Tonträgerkatalog-# 1 mit Chef-Trompeter Emil Cassi der Rough Riders unter dem Musiktitel Bugle Calls.
Einige Quellen behaupten, dass bis zum Herbst 1894 etwa 25.000 Schallplatten und 1.000 Abspielgeräte die Berliner-Fabrik verlassen haben sollen, 1898 waren es bereits über 700.000 Stück. Die nächsten drei amerikanischen Labels entstanden mit Edison Amberol (Juni 1888), Columbia Records (Januar 1889 als „Columbia Phonograph Co.“) und Victor Talking Machine Company (Januar 1901).
Am 6. November 1898 gründeten Emil und sein Bruder Joseph Berliner in Hannover die Deutsche Grammophon GmbH. Hier begann auch die Massenproduktion der Schellack-Schallplatte. Am 27. Juni 1900 wurde die Deutsche Grammophon GmbH in Deutsche Grammophon AG mit Sitz in Berlin umfirmiert und führte 1901 bereits 5000 Musiktitel im Katalog. Im Jahr 1900 verlegte die Deutsche Grammophon den Sitz der Verwaltung nach Berlin und wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, Schallplatten wurden weiter in Hannover hergestellt. Am 16. Juli 1900 wurde das Warenzeichen Nipper, der Mischlingshund vor dem Grammophon, registriert. In London entstand im Oktober 1899 His Master’s Voice, die deutsche Carl Lindström GmbH wurde im Februar 1904 (AG seit Juni 1908) gegründet. Am 8. Mai 1925 entstand die Electrola als Tochter der EMI und „Gramophone Co. Ltd“. Im Februar 1929 erfolgte die Gründung der englischen Decca Records, im August 1934 folgte die US-Schwester der Decca.
Heute dominieren lediglich noch drei Major-Labels als Tonträgerunternehmen den Musikmarkt, und zwar Universal Music Group, Warner Music Group und Sony Music Entertainment. Der letztgenannte Konzern begann im Januar 1888 als Columbia Records. Damit handelt es sich bei den Anbietern um ein Oligopol.
Organisation
Die Aufbauorganisation von Tonträgerunternehmen ähnelt der von anderen Unternehmensarten. Sie verfügen über Stabsstellen (Personalabteilung, Organisationsabteilung, Rechtsabteilung) und Dienstleistungsstellen wie Marketing, Verwaltung, Kantine oder Fuhrpark. Was Tonträgerunternehmen von anderen Unternehmensarten unterscheidet, ist die Dominanz des künstlerisch-schöpferischen Bereichs.
Die wichtigste typische Funktion in Tonträgerunternehmen übernimmt der Artists-and-Repertoire-Bereich (A&R), der sich im Rahmen des Talentmanagements mit der Entdeckung und Förderung neuer Interpreten (), der Betreuung vorhandener Interpreten (Talent Relationship Management) sowie der Suche nach neuen Musiktrends befasst. Entweder prüfen A&R-Manager die Ergebnisse einer Audition oder von eingesendeten Demotapes oder werden durch andere Quellen (Massenmedien, Konzerte) auf Künstler aufmerksam. Auch Castings kommen für die Künstlersuche in Frage. Der A&R-Manager entscheidet, ob ein Act für das Tonträgerunternehmen mit einem Künstlervertrag verpflichtet wird. Die nachfolgenden Tonaufnahmen im Tonstudio werden entweder vom Tonträgerunternehmen oder von freien Musikproduzenten vorfinanziert und über einen so genannten Bandübernahmevertrag des Tonträgerunternehmens weiterverkauft. Das Mastertape wird als Vorlage für die CD-Herstellung benutzt.
Ein weiterer Bereich ist das Management der häufig als Abteilung integrierten Plattenlabels, die durch einen Label-Manager geführt werden. Die Promotionsabteilung übernimmt die Aufgabe, gemeinsam mit der Public-Relations-Abteilung neue Tonträger den Massenmedien vorzustellen. Üblich ist die kostenlose Überlassung der Tonträger an Disc Jockeys von Radiosendern oder Videojockeys bei Musikfernsehsendern, die ungewollt als Marketinginstrument der Tonträgerunternehmen fungieren. Je nach Fertigungstiefe können einem Tonträgerunternehmen auch eigene Tonstudios oder Presswerke angehören.
Weblinks
Einzelnachweise
Unternehmensart nach Wirtschaftszweig
Organisation (Musikwirtschaft)
Speichermedium
fr:Label (musique)
hy:Ձայնագրման լեյբլ
id:Perusahaan rekaman
|
Q2442401
| 535.541728 |
4881
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https://de.wikipedia.org/wiki/Scientology
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Scientology
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Scientology [] ist eine neue religiöse Bewegung, deren Dogmen auf Schriften des amerikanischen Schriftstellers L. Ron Hubbard zurückgehen. Ihre Ideologie und Praxis sind von szientistischen und psychotherapeutisch anmutenden Komponenten geprägt, die später um transzendente Aspekte erweitert wurden.
In der Öffentlichkeit sind sowohl der Religionscharakter als auch die Methoden der Organisation überaus umstritten. Dies gilt in besonderem Maße für Deutschland und Frankreich. In Deutschland wird die Scientology-Kirche seit 1997 in mehreren Bundesländern aufgrund eines Beschlusses der Innenministerkonferenz durch den Verfassungsschutz beobachtet. So heißt es im Bericht 2016: „Die SO (Scientology Organisation) strebt eine Gesellschaft ohne allgemeine und gleiche Wahlen an und lehnt das demokratische Rechtssystem ab.“
In einigen anderen Ländern, wie den Vereinigten Staaten, genießt die Church of Scientology nach jahrelangem Rechtsstreit den Status einer steuerbefreiten Religionsgemeinschaft.
Etymologie
Der Begriff Scientology ist aus dem Partizip Präsens Aktiv des lateinischen Verbs scire („wissen“) bzw. dessen nominalisierter Form scientia („Wissen“, „Wissenschaft“) und dem griechischen λόγος (Logos, u. a. „Wort“, „Rede“ oder „Logik“) zusammengesetzt und wird von der Scientology-Kirche mit Wissen über das Wissen übersetzt.
Das Oxford English Dictionary führt den ersten Gebrauch des Begriffs auf den Schriftsteller Anastasius Nordenholz zurück, dessen Buch Scientologie – Wissenschaft von der Beschaffenheit und der Tauglichkeit des Wissens 1934 erschien. Tatsächlich ist der Begriff in der englischen Schreibweise Scientology schon früher nachweisbar.
Geschichte
1950 beschrieb L. Ron Hubbard in Dianetics (deutsch: „Dianetik“) ein System von Psychotechniken, das er in den folgenden Jahren in ein „Scientology“ genanntes Gedankensystem einbettete. In den Jahren von 1950 bis 1954 existierten eine Reihe unterschiedlicher Gruppen, teils als kurzlebige formale Organisationen, die versuchten, Hubbards Dogmen umzusetzen. 1953 ließ Hubbard die Church of Scientology als Markenzeichen eintragen und gründete im Februar 1954 mit der Church of Scientology of California die erste Zweigstelle. In der folgenden Zeit erweiterte er das scientologische Gedankensystem um kosmologische und metaphysische Elemente, systematisierte die Ideologie und gestaltete die Organisation hierarchischer. In den Jahren bis 1967 konnte seine Church of Scientology quasi einen Alleinvertretungsanspruch für Scientology erlangen, expandierte in den USA und dehnte sich auch ins Vereinigte Königreich, nach Australien, Neuseeland, Südafrika sowie in das damalige Rhodesien aus. Ende der 1960er-Jahre hatte Scientology den vorläufigen Höhepunkt ihres Erfolges erreicht.
Im folgenden Jahrzehnt expandierte Scientology weniger stetig; in Kopenhagen wurde eine Filiale für Kontinentaleuropa eingerichtet, und Scientology versuchte, in Skandinavien, Deutschland und den Benelux-Staaten Fuß zu fassen. Während die Zahl der Niederlassungen wuchs – in den USA und in Großbritannien wurden allein zwischen 1971 und 1977 einhundert Missionen gegründet, in Kontinentaleuropa weitere dreißig – entfernte sich Hubbards 1967 gegründete Sea Organization (kurz: Sea Org), die von da an faktische Machtzentrale, welche zunächst bis 1975 auf einem Schiff im Pazifik untergebracht war, immer stärker von der Basis der anderen Scientology-Organisationen. Gleichzeitig wurde Hubbards Führungsstil zunehmend autokratischer. Nachdem einige führende Mitglieder der Church of Scientology Hubbards Organisation und Führungsstil als zu autoritär betrachteten, gründeten diese in den Jahren ab 1982 eigenständige Gruppen, insbesondere die Freie Zone. So kam es von 1982 bis 1984 zu vermehrten Austritten aus Hubbards Organisation.
Nach Hubbards Tod 1986 stabilisierte sich die Organisation unter Führung des von David Miscavige gegründeten und geleiteten Religious Technology Centers. Unter Miscavige hat sich Scientology vor allem einer Produktdifferenzierung gewidmet und eine Reihe neuer Unterorganisationen gebildet. Auch in geographischer Hinsicht hat Scientology versucht, weiter zu expandieren. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs eröffnete sich religiösen Bewegungen ein neues Missionierungsgebiet. Scientology versuchte in den postkommunistischen Staaten Fuß zu fassen und hatte dabei gemischten Erfolg. Zum Beispiel gelang es in Russland zwar, eine „größere Anhängerschaft“ zu bilden; jedoch geht der russische Staat sehr repressiv gegen Scientology-Organisationen vor. In Ostdeutschland hatte Scientology unerwartet geringen Erfolg.
Anhängerschaft
Anders als die meisten Neuen religiösen Bewegungen ist Scientology nicht aus der Gegenkultur der 1960er-Jahre entstanden; dementsprechend unterscheidet sich ihre Mitgliederstruktur wesentlich von der anderer Bewegungen. So werden bei Scientology insbesondere verheiratete Angestellte mit überdurchschnittlichem Bildungsniveau rekrutiert; das Verhältnis von Männern zu Frauen beträgt in etwa drei zu zwei.
Die Zahl der Anhänger der Scientology ist nicht eindeutig feststellbar, weil unklar ist, wer zu den Mitgliedern der Organisationen gezählt werden kann und wer nur zu den Anhängern der Ideen der Scientology gehört.
Scientology sprach 2005 von über 10 Millionen Anhängern. Diese Zahl umfasst auch Personen, die lediglich an einem Einführungskurs teilnahmen. Seriöse empirische Annahmen gingen, ebenfalls 2005, von kaum mehr als 100.000 Anhängern aus.
Die mit Abstand meisten Scientologen leben in den USA. Dort wurden schon Mitte der 1960er Jahre 50.000 bis 100.000 Anhänger vermutet. 1990 ergab eine repräsentative Umfrage unter US-Amerikanern nur noch 45.000 Scientologen. Schätzungen von 2004 stellten eine Konsolidierung auf 55.000 US-amerikanische Anhänger (etwa 0,018 % der Gesamtbevölkerung) fest. Die US-Volkszählungsbehörde nahm 2012 sogar nur noch ca. 25.000 aktive Scientologen in den USA an und berief sich dabei auf eine 2008 erschienene Studie des Trinity College, Hartford.
In Deutschland, wo die Scientology-Kirche 2004 die Zahl ihrer Anhänger mit 12.000 bezifferte, soll es laut Quellen des bayerischen Verfassungsschutzes 3.500 Scientologen geben (Stand 2019), wobei der engere Kreis noch deutlich kleiner geschätzt wird.
In Basel entstand 2015 nach Berlin und Hamburg das dritte „Musterzentrum“ (Ideal Org) im deutschsprachigen Raum. Die lokale Bevölkerung stellt sich auf „langfristigen Widerstand ein“, so hieß es im Tages-Anzeiger. Die Zahl der Schweizer Mitglieder wird mit 5.000 angegeben, welche von 300 „hauptamtlichen Mitgliedern“ betreut werden.
In Ungarn gab es 1993 etwa 5.000 Scientologen; das sind rund ein halbes Promille der Gesamtbevölkerung. Die geographische Hochburg der Bewegung bleiben die Vereinigten Staaten, insbesondere die Westküste. Daneben vermutete der Soziologe William S. Bainbridge anhand von Websites von Scientologen 2004 weitere Schwerpunkte in Italien, dem Vereinigten Königreich, Australien, Deutschland, Russland, Frankreich und Mexiko.
Lehre und Praktiken
Herzstück der scientologischen Lehre ist die Vorstellung, dass das unsterbliche Wesen jedes Menschen, der Thetan, durch traumatische Erlebnisse und insbesondere durch zwei Ereignisse vor Millionen Jahren massiv in seiner Funktionsweise beeinträchtigt worden sei. Scientology-Technologien, vor allem das Auditing, könnten die Funktionen des Thetan zumindest teilweise wiederherstellen. Erklärtes Ziel der Scientology ist es, auf diese Weise das Leben des Einzelnen zu verbessern, sein geistiges und körperliches Wohlbefinden zu steigern, und mehr Geld zu verdienen. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die Hinwendung aller Menschen zu den Gedanken der Scientology das Hauptziel, daneben wird vornehmlich die Abschaffung der Psychiatrie gefordert.
Scientologys Weltbild
Einen wichtigen Ausgangspunkt des scientologischen Wirklichkeitsmodells bildet das physikalische Universum, welches laut Scientology aus Matter, Energy, Space und Time (MEST; deutsch: Materie, Energie, Raum und Zeit) besteht. Parallel zu diesem Modell setzt sich der Mensch laut Scientology aus drei Teilen, dem Thetan, dem Verstand und dem sterblichen Körper zusammen.
Der Thetan
Der in Anlehnung an den griechischen Buchstaben Theta (Θ) benannte Thetan ist nach scientologischer Vorstellung das unsterbliche Wesen eines Menschen, also dessen Seele oder Geist. Der Thetan habe zunächst eine Reihe von Fähigkeiten besessen, diese jedoch im Laufe der Geschichte durch traumatische Erlebnisse verloren. Thetane würden, ähnlich wie im Weltbild des Hinduismus, über mehrere Millionen Jahre in verschiedenen physischen Formen reinkarnieren.
Das Universum ist nach scientologischer Vorstellung eine Schöpfung des Thetans; es habe keine unabhängige Existenz, sondern gewinne seine Realität nur dadurch, dass die meisten Thetane ihm diese Existenz zusprechen. Das MEST-Universum (Matter, Energy, Space, Time) sei also nur eine Illusion, in welcher der sich nun als sterblicher Körper wahrnehmende Thetan, der seine ursprüngliche Natur vergessen hat, gefangen sei.
Ein zentrales Problem der irdischen Thetane wird hierbei durch den Xenu-Mythos erklärt, der von einem das „Böse“ verkörpernden intergalaktischen Herrscher handelt, der Thetane von weit entfernten Planeten auf die Erde verschleppt habe und dort durch gewaltsame Verfahren so schwer traumatisiert habe, dass sie nun als körperlose Cluster (Körper-Thetanen genannt) anderen Menschen anhängen und sie in ihren Möglichkeiten beeinträchtigen würden. Für die meisten Scientologen spielt dieser Mythos, der erst spät in der Scientology-Schulung eingeführt wird und eher sinnbildliche Bedeutung haben mag, jedoch kaum eine Rolle; allerdings messen einige Vertreter der Freien Zone ihm mehr Bedeutung zu, und er ist zentral im Diskurs vieler Scientology-Kritiker.
Der Verstand
Der Verstand vermittelt nach scientologischer Lehre zwischen Thetan und Körper, er setze sich aus einem „analytischen“ und einem „reaktiven“ Teil zusammen. Der analytische Verstand löse bewusst Probleme und speichere Erfahrungen für spätere Problemlösungen als mentale Bilder. Demgegenüber speichere der reaktive Teil unabhängig davon körperliche oder emotionale Schmerzen als sogenannte Engramme in einem separaten Speicher. Engramme würden den Thetan noch weiter in seinen schöpferischen Fähigkeiten einschränken; je mehr Engramme sich ansammelten, desto weiter sei der Mensch von seiner wahren Natur entfernt. Dieses Schicksal zu vermeiden, ist das Ziel des Scientologen. Die Methoden der Dianetik sollen diese Engramme auflösen, den Scientologen von ihrem hemmenden Einfluss befreien und ihm die Gewissheit zurückgeben, dass er ein Thetan, ein spirituelles Wesen, sei.
Überlebenswille und Ethik
Ein weiteres zentrales Konzept im Rahmen des scientologischen Weltbilds ist der Überlebenswille. Dieser finde seinen Ausdruck auf acht Ebenen, die als „die acht Dynamiken“ bezeichnet werden. Die erste Dynamik entspricht dem Überlebenswillen der Einzelperson, die zweite Dynamik der Ebene der Familie und der sexuellen Fortpflanzung. Auf der dritten und vierten Ebene geht es um soziale Gruppen bzw. die Menschheit als Ganzes, auf der fünften um alle Formen des Lebens, und auf der sechsten um das physikalische Universum. Die siebte Dynamik ist der Geist oder die Spiritualität, die achte die Unendlichkeit, Alleinheit oder Gott. Der scientologische Ethik-Begriff, der sich an diesen acht Dynamiken orientiert, betont, dass Rationalität gegenüber Moralität: „gut“ sei, was das Überleben auf der größtmöglichen Anzahl dieser Ebenen fördere und auf der geringstmöglichen Anzahl der Ebenen beeinträchtige. Das achtzackige Scientology-Kreuz symbolisiert die acht Dynamiken.
„Unterdrückerische Personen“
Das scientologische Weltbild geht davon aus, dass der Mensch grundsätzlich gut ist. Gleichwohl postulierte Hubbard, dass es abgesehen von sozialen Persönlichkeiten, die sich dem Wohl der Allgemeinheit verpflichten, auch unterdrückerische Personen (suppressive persons) gebe. Unterdrückerische Personen hätten einen schädlichen Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung, und Umgang mit ihnen schade der spirituellen Entwicklung des Einzelnen.
Kritiker von Scientology – insbesondere Ex-Scientologen, die sich öffentlich gegen Scientology wenden – werden zu „unterdrückerischen Personen“ erklärt, und Scientologen brechen in der Regel alle freundschaftlichen Kontakte mit ihnen ab. Personen, die Kontakt mit „unterdrückerischen Personen“ pflegen, werden Scientology-intern als potentielle Schwierigkeitsquellen (potential trouble sources) bezeichnet.
Scientology-Praktiken
Scientologen streben das Wiedererlangen der ursprünglichen Fähigkeiten eines Thetans an. Zu Beginn ihres Lebens sei jede Person ein Pre-Clear und könne mittels körperlicher und geistiger Reinigungs- und Bearbeitungsprozesse letztlich den Clear-Status erreichen. In diesem anzustrebenden Zustand, der durch das Durchlaufen eines detailliert beschriebenen Programms zu erzielen sei, wäre die Person von ihrem „reaktiven Verstand“ befreit, der sie zuvor dazu gezwungen habe, auf der Grundlage traumatischer Erfahrungen zu handeln. Der befreite Verstand könne nun alle auftretenden Probleme mit inneren Zuständen, anderen Menschen oder Gegenständen in den Griff bekommen.
Nachdem ein Mitglied den Zustand Clear erreicht habe, führe der Weg zur völligen Befreiung über derzeit acht Operating-Thetan-Stufen (kurz: OT-Stufen) hin zum Ziel des frei operierenden Thetans; dieser sei nicht mehr an Materie, Energie, Raum und Zeit gebunden.
Während sich die Clear-Stufen mit der Aufarbeitung traumatischer Ereignisse im Diesseits befassen, betreffen die OT-Stufen darüber hinaus auch transzendente Bereiche. Unter anderem wird dabei versucht, sich mit den Körper-Thetanen auseinanderzusetzen und ihren störenden Einfluss zu entfernen. Das Gesamtprogramm der zu absolvierenden Kurse und Stufen wird innerhalb von Scientology als „Brücke zur völligen Freiheit“ bezeichnet.
Auditing
Das Auditing ist dabei eine zentrale Technik zur Erreichung von Clear. Gemeint ist eine besondere Form des Gesprächs zwischen dem Auditor und dem Pre-Clear, der „auditiert“ wird. Ziel des Gespräches ist es, die negativen Auswirkungen des „reaktiven Verstands“ zu verringern.
Als wichtigstes technisches Hilfsmittel beim Auditing findet das E-Meter Anwendung. Dieses Gerät verfügt über zwei zylindrische Elektroden, die der Auditierte beim Auditing in seinen Händen hält, und über einen Zeiger, der Veränderungen des elektrischen Widerstands zwischen den Elektroden anzeigt.
Das Ziel ist, zurückliegende „Geschehnisse“ (z. B. mit emotionalem und körperlichem Schmerz verbundene Erlebnisse) „aufzufinden“, welche den meisten psychischen Schwierigkeiten zugrunde liegen sollen. Diese Geschehnisse sollen so lange erzählend „wiedererlebt“ werden, bis ihre „Ladung“ (emotionale Spannung) verschwindet. Der Auditor unterstützt diesen Prozess, indem er Anweisungen gibt, Fragen stellt und die Anzeigen des E-Meters beobachtet, um solche Engramme aufzuspüren. Das utopische Ziel von Scientology ist ein erleuchtetes Zeitalter, in dem jeder Mensch Clear, also von seinen Engrammen befreit sei („clear the planet“).
Weitere Techniken
Neben dem Auditing sollen Scientologen Scientologys ethisch-moralische Ideologie verinnerlichen, die sich an den Ethikstandards der großen Weltreligionen orientieren.
Pre-Clears, aber auch Teilnehmern des Scientology-Antidrogenprogramms Narconon wird außerdem ein Purification Rundown empfohlen, bei dem Leibesertüchtigungen, Vitaminpräparate und häufige Sauna-Gänge den Körper entgiften sollen.
Eine sogenannte Oxford-Persönlichkeits-Analyse () wird als ein standardisierter vorgeblicher Persönlichkeitstest angewendet. Der Test hat keine Verbindung zur Universität in Oxford, es besteht jedoch der Verdacht, dass der Name bewusst gewählt wurde, um eine solche Verbindung zu suggerieren.
Bei einer Betroffenenbefragung wurden als weitere Psycho- und Sozialtechniken die geführte Imagination sowie die Induktion von Trancezuständen genannt.
Die Rolle L. Ron Hubbards
Schon zu Lebzeiten ist der Scientology-Gründer quasi zu einer mythischen Figur aufgestiegen. Er sei der jüngste Elite-Pfadfinder der Vereinigten Staaten, Leiter und Organisator vieler Forschungsexpeditionen gewesen, habe als einer der besten Segelflieger des Landes gegolten, sei ein tollkühner Kunstflieger und Erforscher der Luftfahrtgeschichte gewesen. Daneben habe er Universitätszeitschriften herausgegeben, habe Literaturpreise erhalten und sei anerkannter Fotograf und bedeutender Drehbuchautor in Hollywood gewesen. Heute verfügt Scientology über ein Büro für Hubbard in jeder seiner Kirchen und Organisationen, welches dauerhaft leersteht.
Parallelen zu anderen Weltanschauungen
Obwohl Scientology nicht direkt aus einer anderen Weltanschauung hervorgegangen ist, sondern eine der wenigen Neukreationen im religiösen Bereich ist, lassen sich doch einige der Quellen, aus denen Hubbard geschöpft hat, nachvollziehen. Was Einflüsse aus der westlichen Philosophie betrifft, so finden sich deutliche Parallelen zu dem Werk von Will Durant, dem Hubbard das Buch Dianetics widmete, sowie zur Psychologie Sigmund Freuds, die in den 30er- und 40er-Jahren eine breite populärwissenschaftliche Rezeption erfuhr. Auch das Werk Alfred Korzybskis hat deutliche Spuren in Hubbards Gedankengut hinterlassen; Hubbard war mit A. E. van Vogt befreundet, dessen Science-Fiction-Romane viel zur Popularisierung von Korzybskis „Allgemeiner Semantik“ beitrugen, und Korzybskis „Anthropometer“ mag bei Hubbards Gestaltung des E-Meters Pate gestanden haben.
Allgemein sind szientistische Gedankenlinien zu erwähnen, die von Beobachtern mit ansonsten sehr unterschiedlichen Meinungen zu Scientology festgestellt worden sind. So erhebt Scientology den Anspruch, eine empirische Wissenschaft zu sein und will mit immanenten „Technologien“ die Funktionsfähigkeit der Thetane erneuern. Eine Reihe von Autoren weist auch auf Anleihen aus den Werten der „US-amerikanischen“ Kultur hin, insbesondere den Glauben an Individualismus, Demokratie und Freiheit. Das scientologische „Glaubensbekenntnis“ ist demnach lediglich eine Neuformulierung der UN-Menschenrechtskonvention, deren Wurzeln in der (westlichen) Aufklärung zu finden sind. Demgemäß wird Scientology im Zuge des Antiamerikanismus in vielen Staaten auch als kulturimperialistische Bewegung aufgefasst.
Anleihen aus den Weltreligionen sind dagegen meist nur indirekt festzustellen. Hubbard selbst behauptete zwar, Anleihen aus östlichen Religionen übernommen zu haben. So knüpfe er an vedische Religionen an; es stellte sich jedoch schnell heraus, dass er von diesen nur sehr oberflächliches Wissen besaß. Trotzdem ziehen einige Forscher Parallelen zum Buddhismus, Jainismus, Hinduismus, Taoismus und Gnostizismus.
Organisationen
Scientologys organisatorischer Unterbau wird von Scientology-Organisationen, die mit der Church of Scientology verbunden sind, dominiert; daneben gibt es einige kleinere Gruppen, insbesondere die Freie Zone, die sich von jenem Organisationskonglomerat abgespalten haben.
Scientology-Organisationen
Das Organisationscluster um die Church of Scientology verfügt über eine komplexe hierarchische Organisationsstruktur, an deren Spitze das Religious Technology Center praktisch die höchste Autorität innerhalb des Organisationengeflechts ausübt, aber formal keinen Führungsanspruch geltend machen kann. Unterhalb des Religious Technology Centers existieren drei Hauptorganisationssäulen, die Church of Scientology International mit ihren weltweiten Niederlassungen, das ABLE-Netzwerk, welches eine Reihe themenspezifischer Organisationen umfasst, und das World Institute of Scientology Enterprises (WISE), ein Dachverband für Firmen und Einzelpersonen, die Verwaltungs- und Managementmethoden der Scientology anwenden. Daneben existieren eine Reihe kleiner Organisationen.
Die Church of Scientology International organisiert, verbreitet und vermarktet die scientologyspezifischen Produkte und Techniken; insbesondere das Auditing. Sie unterhält in vielen Ländern sogenannte Missionen und Kirchen, in denen Scientology-Trainingskurse abgehalten werden, wobei „Kirchen“ über ein breiteres Dienstleistungsangebot verfügen; für prominente Scientologen gibt es außerdem acht „Celebrity Centers“, die luxuriöser als die normalen Niederlassungen ausgestattet sind. Die höchsten Trainingstufen werden in weltweit fünf „Advanced Organizations“ angeboten. Zwei der „Advanced Organizations“ befinden sich in Los Angeles, die übrigen in East Grinstead, Kopenhagen und Sydney. In Deutschland, Österreich und der Schweiz wurden Anfang der 1970er Jahre die ersten Dependancen errichtet. Die Organisation in Deutschland verfügt über vierundzwanzig (zehn Kirchen, vierzehn Missionen), in der Schweiz über fünf und in Österreich über zwei Standorte.
Das neben der Church of Scientology aufgebaute ABLE-Netzwerk ist ein Dachverband verschiedener themenspezifischer Gruppen, die sich insbesondere der Öffentlichkeitsarbeit widmen. Die älteste der ABLE-Gruppen ist das 1966 gegründete Narconon, ein neunstufiges, aus medizinischer Sicht unhaltbares Drogenrehabilitationsprogramm, das unter anderem auf ein Maßnahmenbündel aus Sauna, Leibesübungen und Lebensmittelzusätzen, insbesondere Vitaminen, zurückgreift, um den Körper von Drogenresten zu reinigen. Aus diesem Programm hervorgegangen ist das Straftäterrehabilitationsprogramm Criminon. Dieses von Scientology-Freiwilligen betriebene Programm verwendet ein ähnliches Regiment wie Narconon. Im deutschsprachigen Raum ist der Verein „Sag NEIN zu Drogen – Sag JA zum Leben“ aktiv. Applied Scholastics bietet ein Programm zum „Lernen, wie man lernt“, an. Im Mittelpunkt dieses Programms stehen einfachste Grammatik- und Wortdefinitionsübungen, die darauf abzielen, die „richtige“ Definition von Wörtern zu erkennen, um so „richtige“ Kommunikation zu ermöglichen; es wird insbesondere in den Vereinigten Staaten in einigen Privatschulen eingesetzt und auch Grundschulen in Dritte-Welt-Ländern angeboten. Im deutschsprachigen Raum besteht die Lernhilfe-Organisation ZIEL. Die Stiftung The Way to Happiness („Der Weg zum Glücklichsein“) vertreibt eine Broschüre, die einen generischen Moralcode vertritt, der aus Sicht der Scientology „nicht religiös“ ist; dieser wird auch im Narconon-Programm verwendet, um Strafgefangene auf den „moralisch richtigen“ Weg zu bringen.
Die dritte organisatorische Stütze ist WISE, ein Dachverband von Privatunternehmen, Einrichtungen und Einzelpersonen, die als Kunden und Lizenznehmer von Scientology die scientologische Verwaltungs- und Managementtechnologie bei ihrer Geschäftstätigkeit anwenden. WISE fördert wirtschaftliche Vernetzung und bietet seinen Mitgliedern die Möglichkeit, Streitigkeiten unter Anwendung der scientologischen „Ethik“-Standards zu lösen.
Neben den drei organisatorischen Hauptsäulen existiert eine Anzahl anderer Organisationen, von denen hier nur die wichtigsten aufgezählt werden. Die Rehabilitation Project Force betreibt drei oder vier „Besserungscamps“ für hochrangige Scientologen (Mitglieder der Sea Org), die aus Sicht der Church of Scientology ethische Verfehlungen begangen haben. Sie ist vor allem durch die vehemente Außenkritik bekannt. Ebenfalls im Brennpunkt der Kritik ist die Anti-Psychiatriegruppe Citizens Commission on Human Rights. Diese im deutschsprachigen Raum unter dem Namen Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte firmierende Gruppe betreibt Lobbyarbeit gegen die Psychiatrieberufe in der Form von Petitionen und Demonstrationen; sie versucht außerdem, mit Menschenrechtsgruppen zusammenzuarbeiten. Das Office of Special Affairs (OSA) ist offiziell für die Rechtsangelegenheiten Scientologys zuständig. Allerdings wird ihm von journalistischer Seite wie auch von manchen staatlichen Stellen, zum Beispiel der Stadt Hamburg, vorgeworfen, eine Art scientologischer „Geheimdienst“ zu sein. Insbesondere wird dabei kritisiert, dass das OSA unter Zuhilfenahme von Privatdetektiven und in zunehmendem Maße auch Rechtsanwälten Schmähkampagnen gegen Scientology-Kritiker führt. Im Gegensatz zu seiner bis 1983 existierenden Vorgängerorganisation Guardian Office (siehe Operation Snow White) soll sich das OSA im gesetzlichen Rahmen bewegen. Schließlich gibt es die Verlagshäuser New Era Publications und Bridge Publications, die Hubbards Schriften herausbringen.
Die internen Strukturen von Scientology-Organisationen sind sehr stark bürokratisch gefärbt, mit detaillierter Koordinierung aller Aktivitäten und der Sammlung von „Stats“ (Leistungskennwerten) zur Messung der persönlichen wie auch der organisationellen Leistung. Organisationsbudgets sind leistungsabhängig und unterliegen häufigen Reviews. Scientology-Organisationen verfügen ferner über ein internes Rechtsprechungssystem, das „Ethics“-System. Ethics-Offiziere sind in jeder Scientology-Organisation vorhanden; ihre Aufgabe ist es, die regelgerechte Anwendung der Scientology-Technologie sicherzustellen und Verfehlungen wie beispielsweise die Abweichung von Standardverfahren oder sonstige leistungsbeeinträchtigende Verhaltensweisen zu ahnden. Von der Organisation als solche betrachtete Straftaten werden durch interne Dokumente definiert.
Freie Zone
Anfang der 1980er Jahre kam es nach Richtungskämpfen im Management zur Gründung der Freien Zone, die aus Splittergruppen außerhalb der Scientology-Organisation besteht. Diese Gruppen verwenden die gleiche Technik wie die Scientology-Kirche, nehmen aber aus Sicht letzterer falsche Abänderungen der Technik vor. Umgekehrt erklären Vertreter der Freien Zone, dass sie die ursprünglichen Materialien von Hubbard verwenden, und werfen den Scientology-Organisationen vor, diese nach seinem Tod geändert zu haben.
Rezeption
Das Bild der Scientology in der Öffentlichkeit wird durch ihre Kritiker geprägt. Dies trifft insbesondere für die deutsch- und französischsprachigen Diskurse zu, in denen auch staatliche Behörden eine aktive Rolle gegen Scientology einnehmen. So stuft eine Studie der französischen Nationalversammlung aus dem Jahre 1995 Scientology als „Kult mit gefährlichen Eigenschaften“ ein. In Deutschland beobachten mehrere Verfassungsschutzbehörden die Scientology-Kirche. Auch im angelsächsischen Raum ist Scientology zeitweise auf staatlichen Widerstand gestoßen. 1965 befand in Australien ein für die dortige Regierung erstellter Bericht Scientology als „böse“ und „gefährlich für die mentale Gesundheit“ seiner Anhänger. In den Vereinigten Staaten war Scientology neben den Mormonen des 19. Jahrhunderts in den 1970er und 1980er Jahren die weltanschauliche Organisation mit dem schlechtesten Leumund. Auch Mitte der 1990er Jahre zeigte eine Umfrage unter US-amerikanischen Journalisten, dass diese Scientology generell misstrauten.
Neben christlichen Kirchen und staatlichen Akteuren treten private Netzwerke von Kritikern neuer religiöser Bewegungen in den Vordergrund des öffentlichen Diskurses; diese Gruppen haben aus der Sicht des Religionswissenschaftlers Hubert Seiwert in den 1990er Jahren Scientology erfolgreich als Inbegriff der bedrohlichen Gefahr, die von allen Sekten ausgehe, inszeniert. Mannigfaltig sind die Kritikpunkte an Scientology, die von Totalitarismusvorwürfen bis zur Dubiosität scientologischer medizinischer Praktiken reichen.
Religionscharakter
Die Frage, ob Scientology der Status einer Religion zuzuerkennen ist, ist umstritten. Sie hängt einerseits von dem zugrunde liegenden Religionsbegriff ab, andererseits aber auch davon, ob die Merkmale, durch die Scientology Kriterien einer Religionsdefinition erfüllt, als für Scientology wesentliche oder aber nur vorgetäuschte Eigenschaften beurteilt werden.
Die Mehrheit der Religions- und Sozialwissenschaftler, die sich mit dem Thema befasst haben, bejaht die Einstufbarkeit als Religion, was sich in entsprechenden wissenschaftlichen Gutachten zur Verteidigung der Scientology-Kirche in rechtlichen und politischen Prozessen niedergeschlagen hat. Christliche Theologen wie Friedrich Wilhelm Haack und Religionswissenschaftler wie Irving Hexham heben hervor, dass diese Einstufung noch nicht die Frage beantwortet, ob Scientology als eine „gute“ oder „schlechte“ Religion zu beurteilen ist.
Der kanadische Religionssoziologe Stephen A. Kent räumt ein, dass viele Sozialwissenschaftler zu dem Schluss kommen, Scientology sei eine Religion. Eine zielführendere Einschätzung sei es jedoch, Scientology als eine „facettenreiche transnationale Organisation“ anzusehen, in der Religion nur eine Komponente neben „politischen Bestrebungen, wirtschaftlichen Unternehmungen, kulturellen Produktionen, pseudomedizinischen Praktiken und pseudopsychiatrischen Ansprüchen“ ausmacht. Sektenberater sehen Scientology nicht als religiöse Weltanschauung, sondern als „Geistesmagie“ oder sprechen von einer „Psychogruppe mit weltanschaulichem Hintergrund“. Dem evangelischen Theologen und Publizisten Werner Thiede zufolge lässt sich bei der Frage, ob Scientology eine Religion ist, seit Jahrzehnten Widersprüchliches beobachten: Während das Urteil „der akademisch mit dem Phänomen der ,Religion der Religionen‘, wie ihr geistiger Vater L. Ron Hubbard sie einmal genannt hat, Befassten günstig auszufallen pflegt, sehen die eher praktisch-empirisch sich mit ihr Auseinandersetzenden in ihr eine allenfalls religiös getarnte, ihrem Wesen nach aber mehr oder weniger säkulare Größe.“
Bei staatlichen und juristischen Beurteilungen ist die Frage des Religionscharakters vor allem mit der Frage der Schutz- und Förderwürdigkeit als Religion sowie mit der Frage der rechtlichen Behandlung der Mitglieder verbunden. Obwohl es in vielen Staaten keine offiziellen Anerkennungsprozedere für Religionen gibt, kann man doch aus den Handlungen vieler westeuropäischer Staaten schließen, dass sie Scientology nicht als Religion auffassen; eine Enquête für die französische Nationalversammlung kategorisierte Scientology beispielsweise als „Sekte“ bzw. „Kult“ (secte).
Das deutsche Bundesverwaltungsgericht hat 2005 entschieden, dass Einzelpersonen Scientology durchaus als Religion im Sinne des Grundgesetzes betreiben können. Dessen ungeachtet können sich in Deutschland erb- und arbeitsrechtliche Folgen an die Zugehörigkeit zu Scientology anknüpfen. In Deutschland galt die Frage nach der Zugehörigkeit zu Scientology in Vorstellungsgesprächen als zulässig, es bestand die Pflicht zur wahrheitsgemäßen Beantwortung. Nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes im August 2006 besteht jedoch eine Rechtsunsicherheit, die durch die Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt wurde.
Russland hat der Church of Scientology den Status einer religiösen Gemeinschaft versagt; diese Entscheidung wurde im Fall der Niederlassung in Moskau allerdings vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für rechtswidrig befunden. Demgegenüber haben die Vereinigten Staaten Scientology nach jahrelangen Rechtsstreiten 1993 den Status einer steuerbefreiten Religionsgemeinschaft zuerkannt. In Australien wurde der Religionscharakter von Scientology 1983 vom High Court of Australia ausdrücklich bestätigt. Weitere Länder, in denen Scientology als Religion anerkannt ist, sind Italien, Spanien, Portugal, Schweden, Slowenien, Kroatien, Ungarn Neuseeland, Taiwan und Großbritannien.
Alleingültigkeitsanspruch
Obwohl Scientology sich bisweilen als überkonfessionell bezeichnet und dies besonders bei der Rekrutierung neuer Mitglieder herausstreicht, vertritt sie letztendlich doch einen Alleingültigkeitsanspruch. Da Scientology im Widerspruch zu zentralen Glaubensinhalten insbesondere der etablierten christlichen Kirchen steht, ist auch aus deren Sicht eine Doppelmitgliedschaft nicht möglich.
Gewinnstreben
Der Produktcharakter der Scientology ist ökonomisch ausgeformt. Die Gewinnorientierung wird von Kritikern häufig als Vorwurf vorgebracht. Diese Profitorientierung stehe dem „abendländischen Religionsverständnis“ entgegen. Die deutsche Bundesregierung schloss sich 1998 der Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes von 1995 an, dass Scientology weder Religions- noch Weltanschauungsgemeinschaft ist. Ziel der Organisation ist demnach die Gewinnerzielung, was mit dem Status einer Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft unvereinbar sei. Hubbard, so Stephen A. Kent 1999, habe Scientology nur den Deckmantel einer „Religion“ umgehängt, um Steuern zu sparen und auf potenzielle Mitglieder attraktiver zu wirken. Kent vermutet, dass viele Mitglieder ihr Engagement als religiös betrachten.
In der deutschen Rechtsprechung befand der Verwaltungsgerichtshof Mannheim 2003 unter Bezugnahme auf wissenschaftliche Erkenntnisse, es hätten sich „keine greifbaren Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Ideologie des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard als bloßer Vorwand für eine Wirtschaftstätigkeit benutzt wird“. Renate-Maria Besier und Johannes Neumann (2004) konstatieren „immer häufiger Konflikte zwischen der politischen Willensbildung und der Judikativen“.
Die Produkte und Dienstleistungen der Scientology werden häufig als überteuert bemängelt, wenn auch die meisten Scientologen ihnen diesen Wert beimessen. Ein E-Meter kostete 1998 bei der Church of Scientology etwa 4.000 US-Dollar. Einführungs- und Demonstrationsauditing kostete 1990 umgerechnet ca. 200 Euro für 12½ Stunden, auf einer höheren Stufe können es 3.500 Euro oder mehr sein. Der Weg zur „völligen Freiheit“, also bis hin zur höchsten OT-Stufe, kostet den Scientologen laut dem Religionspsychologen Benjamin Beit-Hallahmi (2003), der eine Pressequelle von 1998 zitiert, 376.000 $ (inflationsbereinigt €).
Artifizialität
Der Biologe, Vertreter des „Neuen Atheismus“ und der Brights-Bewegung Richard Dawkins zählt Scientology zu den Religionen. Scientology sei eine von wenigen Religionen, die willentlich als solche konzipiert worden seien.
Stellung zu den Gesundheitsberufen
Scientology ist ausgewiesener Gegner der Psychiatrie und unterstützt nach Auffassung ihrer Kritiker Gesundheitspraktiken, die nicht dem Stand der medizinischen Forschung entsprechen, so zum Beispiel die „stille Geburt“, bei der der Geburtsvorgang unter größtmöglicher Stille erfolgt. Dies wird (hier nach einer Quelle von 1976) insbesondere von Vereinigungen der Gesundheitsberufe kritisch gesehen.
Scientology lehnt laut George D. Chryssides den Gebrauch von Psychopharmaka strikt ab. Zum Beispiel startete die Vereinigung in den 1980er Jahren eine Kampagne gegen die Verschreibung von Ritalin bei Kindern mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS).
Der wohl bekannteste Fall mutmaßlichen scientologischen Fehlverhaltens auf dem Gebiet der Medizin ist der Tod der amerikanischen Scientologin Lisa McPherson, die von Organisationsmitgliedern nach einem Verkehrsunfall nicht genügend medizinisch versorgt worden sein soll. Juristische Verfahren endeten mit einem vertraulichen Vergleich.
Prominente Scientologen
Die Organisation versucht, insbesondere Schauspieler und andere Personen des öffentlichen Lebens zu rekrutieren, und hat damit in den USA auch Erfolg (z. B. tritt Tom Cruise quasi als Repräsentant von Scientology auf). Eine Reihe weiterer Personen des öffentlichen Lebens, zum Beispiel John Travolta, Juliette Lewis, Lisa Marie Presley, Laura Prepon, Nancy Cartwright und Kirstie Alley, verrichten ähnliche Dienste für Scientology. Im deutschsprachigen Raum ist Franz Rampelmanns Scientology-Mitgliedschaft bekannt.
Scientology betreibt Celebrity Center, die sich speziell um Künstler und Personen kümmern, die in der Öffentlichkeit stehen. Hubbard war der Ansicht, dass Künstler die Art von Menschen sind, die die zukünftige Welt maßgeblich beeinflussten. Ursula Caberta (1997) sieht hierin ein „Rezept, mit berühmten Namen Reklame zu machen“, das totalitären Systemen entlehnt sei.
Scientology-Aussteiger
Nach 35-jähriger Mitgliedschaft verließ Regisseur Paul Haggis 2009 Scientology und begründete dies vor allem damit, dass Scientology sich im Zusammenhang mit der kalifornischen Proposition 8, die gleichgeschlechtliche Ehen für verfassungswidrig erklärte, ungenügend für Homosexuellenrechte eingesetzt habe.
Andere Aussteiger sind beispielsweise die Amerikaner Gerald Armstrong, Lawrence Wollersheim, Jenna Miscavige Hill und Leah Remini. Im deutschsprachigen Raum ist der Österreicher Wilfried Handl ein bekannter Aussteiger und aktiver Kritiker von Scientology.
Manipulationsvorwürfe
Von Kritikern werden Scientologys Praktiken als Manipulationstechniken betrachtet. Rekrutierungsbestrebungen von Scientology, so ein Vorwurf, konzentrieren sich zum Teil ganz bewusst auf Menschen, die sich in ihrem Leben in einer Krisensituation befinden und deswegen besonders anfällig für Rekrutierungsbemühungen sind.
Zentral im kritischen Scientology-Diskurs sind sogenannte Gehirnwäsche-Theorien. Dabei wird eine psychologische Theorie über die Verhaltensänderung bei Gefangenen totalitärer Regime herangezogen, um den vermeintlichen Verlust der individuellen Autonomie bei Mitgliedern von Scientology (und anderen „neuen religiösen Bewegungen“) zu erklären. Obwohl die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages zu „Sogenannte Sekten und Psychogruppen“ dieses Konzept ausdrücklich ablehnt, zieht sie es dennoch zur Erklärung heran.
Seltener wird Scientology wegen des Gebrauchs von Hypnosetechniken kritisiert. Während Hubbard in Dianetik Hypnose ablehnt, sprach der Report für die australische Regierung im Jahr 1965 davon, dass beim Auditing hypnotisierende Techniken eingesetzt werden.
Der OCA-Test sei zwar kostenfrei, jedoch pseudowissenschaftlich und diene lediglich der Mitgliederwerbung. Er biete keine eigentliche „Analyse“, sondern ende stets mit dem Ergebnis, dass der Getestete ein Verbesserungspotenzial besitze.
Unter anderem aufgrund einiger vorgenannter Praktiken wurde die Scientology-Kirche in Paris am 27. Oktober 2009 durch ein Strafgericht des bandenmäßigen organisierten Betrugs für schuldig befunden und zu einer Geldstrafe von 600.000 Euro verurteilt; vier Führungsmitglieder der Organisation wurden zu bedingten Freiheitsstrafen von bis zu zwei Jahren verurteilt. Das Gericht blieb unter den Anträgen der Anklage und lehnte auch ein Verbot von Scientology ab. Ehemalige Mitglieder hatten Scientology die Ausnutzung ihrer auf einer Lebenskrise gründenden damaligen seelischen Notlage vorgeworfen. Dadurch leicht beeinflussbar und leichtgläubig, seien sie zu hohen Ausgaben für Kurse, Bücher und Medikamente genötigt worden. Die Scientology-Kirche bezeichnete das Urteil als „moderne Inquisition“ und kündigte an, Berufung einzulegen.
Vorwürfe antidemokratischer Tendenzen
Der Vorwurf, Scientology sei eine totalitäre Ideologie mit antidemokratischer Stoßrichtung, wird von zahlreichen Kritikern der Scientology im deutschsprachigen Raum geteilt, darunter zum Beispiel das Schweizer Justizdepartement. Dabei rückt unter anderem die Rehabilitation Project Force ins Zentrum der Kritik. Günther Beckstein sieht in den Lagern des Projekts „KZ-ähnliche Zustände“; eine von der Stadt Hamburg herausgegebene Broschüre vergleicht sie mit „Gulags“. Es würden, so Stephen A. Kent, dort „fast mit Sicherheit die Artikel 9 und 10 der Erklärung der Menschenrechte“ verletzt. Kent kritisiert insbesondere auch, dass Scientologen, die die Rehabilitation Project Force verlassen wollen, oft mit Schulden im fünfstelligen Dollarbereich (freeloader debt) belastet werden, also einer nachträglichen Bezahlung aller Kurse, die sie als Mitglieder der Sea Org umsonst in Anspruch nehmen durften, und – zumindest in früheren Zeiten – vor ihrer Entlassung zur Unterzeichnung selbstinkriminierender Erklärungen genötigt wurden.
Etwas vorsichtiger sprechen die Politiker Freimut Duve und Daniel Cohn-Bendit sowie die Soziologin Antonia Grunenberg von „lagerähnlichen Einrichtungen“ und „totalitären Strukturen“. Auch ohne auf die Rehabilitation Project Force zurückzugreifen, attestierte der Politologe Hans-Gerd Jaschke 1995 in einer Auftragsarbeit für das nordrhein-westfälische Innenministerium Scientology „totalitäre Grundzüge“ – ein Vorwurf, dem sich 1998 auch das deutsche Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend anschloss. Eine der wenigen wissenschaftlichen Arbeiten zur Stellung der Scientology zur Demokratie kommt ebenfalls zu dem Schluss, es handele sich um eine extremistische Ideologie. Nach überwiegender Meinung in der deutschen Rechtswissenschaft verfolgt Scientology vermutlich grundgesetzwidrige Ziele.
Folgerichtig wird die Scientology-Kirche in Deutschland seit 1997 vom Bundesamt für Verfassungsschutz und von einigen Landesämtern für Verfassungsschutz wegen Verdachts auf „Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ beobachtet. Im Saarland wurde eine Beobachtung mit nachrichtendienstlichen Mitteln 2003 aus Gründen der Verhältnismäßigkeit jedoch in letzter Instanz gerichtlich untersagt.
Zwar ist der Vorwurf der Demokratiefeindlichkeit im deutschsprachigen Raum besonders verbreitet, doch hat auch Griechenland Scientology 1993 zum „Staatsfeind“ erklärt.
Vorwürfe heimlicher Machtbestrebungen
Die Strategie der Scientology, gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen – so ein weiterer Vorwurf – mache ausgiebigen Gebrauch von oft kurzlebigen Tarnorganisationen und der gezielten Unterwanderung bestehender Organisationen. Der Religionssoziologe Roy Wallis verglich die Arbeitsweise von Scientology in dieser Hinsicht mit der kommunistischer Parteien. Diese heimliche Vorgehensweise, so Benjamin Beit-Hallahmi, sei ein Zeichen dafür, dass die Organisation etwas zu verbergen habe.
Ein 1960 von Hubbard erstellter Plan hätte beispielsweise die Infiltrierung der amerikanischen Steuer- und Justizbehörden sowie der Medien zum Ziel gehabt; die Infiltrierung der Steuerbehörden gelang den Scientologen in den 70er-Jahren vorübergehend. Andere Organisationen, die ins Visier genommen wurden, seien die Weltbank und der Internationale Währungsfonds. Zu den zahlreichen Tarnorganisationen zählt Beit-Hallahmi u. a. Narconon, ABLE, Applied Scholastics International, Scientologys „World Literacy Crusade“ und die Foundation for Advancements in Science and Education (FASE), die von Großunternehmen wie IBM und McDonald’s unterstützt werde. Der politische Einfluss dieser Tarnorganisationen beschränke sich hauptsächlich auf die Vereinigten Staaten, doch einige der betreffenden Organisationen spiegeln nach Ansicht von Stephen A. Kent „eine totalitäre Ideologie mit dem Ziel weltweiter Dominanz“ wider.
Scientology startete weltweit gezielte Kampagnen wie etwa „Clear Europe“ und „Clear Germany“ (1994), um durch die Besetzung von Schlüsselpositionen mit Scientologen Einfluss auf Wirtschaftsverbände und Politik zu gewinnen. Der damalige Sprecher der deutschen Scientologen sagte 1995: „Derartige Vorwürfe sind billige Propaganda, um Hysterie zu erzeugen.“
Positive Außenansichten
Positive Außenansichten über Scientology sind selten. Eine Ausnahme bildet eine Studie aus dem Jahr 2003 zur Entwicklung der Scientology im ukrainischen Charkiw, wonach der dortige Scientology-Ableger teilnehmenden Personen vermutlich geholfen hat, sich besser im postkommunistischen Alltag zurechtzufinden. Einerseits sei Scientology als „kultartige Organisation“ gerade in einer Transformationskrise für Menschen attraktiv, denen das weggefallene totalitäre System der Sowjetunion einen Halt geboten hatte; andererseits finde die Organisation auch nur dort positive Resonanz, wo sie religiöse Aspekte ihrer eigenen Ausrichtung vor den Menschen verberge.
Vorwurf der Diskriminierung in Deutschland
Vertreter von Scientology haben wiederholt den Vorwurf erhoben, die Organisation beziehungsweise Mitglieder derselben seien in Deutschland Opfer von Diskriminierung. Ähnliche Vorwürfe wurden teilweise auch von offiziellen Stellen in den USA erhoben. In den jährlichen Menschenrechtsberichten des US-Außenministeriums wurde wiederholt auf die Lage von Scientology beziehungsweise Mitgliedern der Organisation in Deutschland eingegangen. Hervorgehoben werden Praktiken wie ein sogenannter „Scientology-Filter“ bei Bewerbungen, der gezielt die Einstellung von Scientology-Mitgliedern verhindern soll, faktische Berufsverbote gegen Scientologen, die Sammlung und der Austausch von Informationen über Scientologen durch staatliche Stellen und anderes mehr.
1997 wurde ein Asylantrag eines deutschen Scientology-Mitglieds, das nach eigenen Angaben in Deutschland aufgrund seiner Religion diskriminiert wurde, in den USA von einem dortigen Gericht positiv beschieden.
Literatur
Primärliteratur (Auswahl)
L. Ron Hubbard: Dianetics: The Modern Science of Mental Health. Hermitage House, New York 1950.
L. Ron Hubbard (Hrsg.): The Organization Executive Course. An Enzyclopedia of Scientology Policy. The American Saint Hill Organization, Los Angeles 1974.
Sekundärliteratur
Stefan Braun: Scientology – Eine extremistische Religion. Vergleich der Auseinandersetzung mit einer umstrittenen Organisation in Deutschland und den USA (= Extremismus und Demokratie. Bd. 10). Nomos, Baden-Baden 2004, ISBN 3-8329-0764-5.
Frank Nordhausen, Liane von Billerbeck: Scientology. Wie der Sektenkonzern die Welt erobern will., Ch. Links Verlag, 2008, ISBN 978-3-86153-470-9, Auszug auf Google Books.
(Grundlage für den Dokumentarfilm Scientology: Ein Glaubensgefängnis unter der Regie von Alex Gibney aus dem Jahr 2015).
Weblinks
Deutschsprachige Website von Scientology
Center for Studies on New Religions (CESNUR) (englisch/italienisch)
Hubbardismus (Relinfo.ch) – Scientology aus Sicht der schweizerischen Evangelischen Informationsstelle: Kirchen – Sekten – Religionen
Verfassungsschutzbericht 2022 (S. 325)
Einzelnachweise
L. Ron Hubbard
Neue religiöse Bewegung
Wissenschaftsleugnung
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Q131036
| 186.994153 |
6038
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https://de.wikipedia.org/wiki/1952
|
1952
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Das Jahr 1952 war geprägt von dem weiterhin andauernden Koreakrieg. In Europa wird mit der Montanunion die Grundlage der späteren Europäischen Gemeinschaft gelegt, die Bundesrepublik wird damit weiter in Westeuropa eingegliedert.
Überblick
Ostasien/Koreakrieg
Der weiterhin andauernde Koreakrieg entwickelte sich zu einem Stellungskrieg entlang des 38. Breitengrades; auch massive Bombardements auf die Infrastruktur Nordkoreas änderten daran wenig. Die USA waren an der Stärkung ihrer Position in Fernost interessiert und waren maßgeblich daran beteiligt, dass mit Japan ein Friedensvertrag abgeschlossen wurde, der das Besatzungsregime offiziell beendete. Zugleich demonstrierten die USA mit der Zündung ihrer ersten Wasserstoffbombe ihre militärische Stärke gegenüber dem Ostblock; an dieser festen Haltung änderte auch die Wahl des Republikaners Dwight D. Eisenhower zum US-Präsidenten nichts, der den Demokraten Harry S. Truman ablöste.
Bundesrepublik Deutschland
In der Deutschlandfrage setzte die CDU-Regierung Adenauers gegen den Widerstand der SPD konsequent auf die Westintegration. Die Sowjetunion versuchte dieser Entwicklung gegenzusteuern, indem sie mit der Stalin-Note das Angebot eines wiedervereinigten, aber neutralen Deutschlands machte. Damit konnte Stalin jedoch nicht verhindern, dass sich die Bonner Regierung für den Beitritt zur Europäischen Verteidigungsgemeinschaft entschloss.
Die am 18. April 1951 durch den Vertrag von Paris gegründete Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (= „Montanunion“: Bundesrepublik, Benelux-Staaten, Frankreich und Italien) trat am 23. Juli 1952 in Kraft.
DDR
Am 24. Juli 1952 wurden die Kreisreformen in der DDR durchgesetzt. Das bedeutete eine Neuaufteilung durch Gebietsreformen in Bezirke und Kreise. Ebenfalls fand im Juli 1952 in der Werner-Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin die 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) statt. Unter der von Walter Ulbricht geprägten Formel des „planmäßigen Aufbaus des Sozialismus“ wurde eine „Sowjetisierung“ der Gesellschaft und eine Stärkung der Staatsmacht nach sowjetischem Vorbild eingeführt.
Naher Osten
Der Nahe Osten wurde vor allem durch zwei Staatsstreiche erschüttert: Im Juli wurde König Faruq in Ägypten durch das Militär gestürzt und dessen minderjähriger Sohn Fu'ād II. formal zum König gekrönt; wenig später entmachtete in Jordanien das Militär König Talal, an dessen Stelle König Hussein I. trat. Israel vereinbarte unterdessen mit der Bundesrepublik ein Wiedergutmachungsabkommen, das vor allem von Seiten der Holocaust-Hinterbliebenen auf Kritik stieß.
Lateinamerika
In den Staaten Lateinamerikas sind vor allem der Putsch von Fulgencio Batista auf Kuba und die Machtübernahme von Víctor Paz Estenssoro in Bolivien erwähnenswert; Letzterer erweckte durch seine Sozialisierungspolitik das Misstrauen konservativer Kreise in Amerika.
Afrika
In Afrika dauerte die Kolonialherrschaft, vor allem der Briten und Franzosen, weiter an; mit dem Mau-Mau-Aufstand in Kenia meldete sich aber bereits deutlich eine erste schlagkräftige Unabhängigkeitsbewegung zu Wort, der die Briten die Verhängung des Kriegsrechts entgegensetzten.
Technik
In der Technik zeigte sich der Fortschritt unter anderem in der Vorstellung neuer Supercomputer wie dem UNIVAC. Der Einsatz von Düsenflugzeugen (De Havilland DH.106 Comet) setzte sich auch im zivilen Bereich zunehmend durch und ermöglichte Flüge von England nach Südafrika oder die Hin- und Rückreise über den Atlantik am selben Tag. In den beiden deutschen Staaten wurde unterdessen Ende des Jahres das Fernsehen eingeführt.
Sport
Im Sport standen die Olympischen Spiele im Mittelpunkt. Die Winterspiele fanden in Oslo statt, die Sommerspiele, die von den Leistungen Emil Zátopeks dominiert wurden, in Helsinki. Es waren die ersten Olympischen Spiele nach dem Zweiten Weltkrieg, an denen auch deutsche Sportler wieder teilnehmen durften.
28. Juli: Pakistan wird Full Member der Imperial Cricket Conference (dem heutigen International Cricket Council, ICC).
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Internationale Organisationen
8. Februar: Der Bundestag beschließt in der Großen Wehrdebatte mit 204:156 Stimmen, dass die Bundesrepublik einen militärischen Beitrag an der Seite der Westmächte leisten solle.
18. Februar: Griechenland und Türkei treten der NATO bei.
22. Februar: Nicaragua wird Mitglied in der UNESCO.
10. März: Die Sowjetunion unterbreitet den Westmächten die Stalin-Note.
14. August: Die Bundesrepublik Deutschland wird Mitglied im Internationalen Währungsfonds (IWF).
10. November: Der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Trygve Lie, tritt von seinem Amt zurück.
Europäische Organisationen
2. Januar: Gustav Heinemann und Helene Wessel gründen die Notgemeinschaft für den Frieden Europas.
27. Mai: Unterzeichnung des Vertrags zur Gründung der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) von Frankreich, der Bundesrepublik Deutschland, Italien und den drei Benelux-Staaten
23. Juli: Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl tritt in Kraft.
Deutschland
2. Januar: Die DDR verweigert einer UNO-Kommission die Einreise. Sie sollte die Voraussetzungen für mögliche gesamtdeutsche Wahlen klären.
2. Januar: Der evangelische Kirchenpräsident Martin Niemöller reist in die Sowjetunion, um mit der dortigen Führung über die Freilassung deutscher Kriegsgefangener zu sprechen.
11. Januar: Der Bundestag ratifiziert gegen die Stimmen der SPD den Vertrag zur Gründung der Montanunion.
5. Februar: Otto Grotewohl legt den Grundstein für den Wohnungsneubau an der Ost-Berliner Stalinallee, einem der bedeutendsten Prestigeprojekte der DDR.
8. Februar: Laut Angabe des Statistischen Bundesamtes leben 9,6 Millionen Flüchtlinge in der Bundesrepublik.
20. Februar: Der Bundestagsabgeordnete „Dr. Franz Richter“ (SRP) wird unter dem Vorwurf, in Wahrheit der ehemalige NSDAP-Gauhauptstellenleiter von Sachsen Fritz Rößler zu sein, im Bundeshaus verhaftet.
1. März: Die Briten geben Helgoland wieder an Deutschland zurück.
27. März: Bei der Explosion eines mit Sprengstoff gefüllten Paketes, das an Bundeskanzler Konrad Adenauer adressiert war, kommt ein Sprengmeister ums Leben.
25. April: Gründung des Bundeslandes Baden-Württemberg durch Vereinigung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern. Der FDP-Politiker Reinhold Maier wird erster Ministerpräsident des Landes an der Spitze einer sozial-liberalen Regierung; die CDU verliert ihre Mehrheit im Bundesrat.
6. Mai: Bundespräsident Theodor Heuss spricht sich dafür aus, die 3. Strophe des Deutschlandliedes als deutsche Nationalhymne zu verwenden.
11. Mai: Auf dem "Essener Blutsonntag" wird der Kommunist Philipp Müller bei einer Demonstration von der Polizei erschossen.
26./27. Mai: In der DDR beginnt die Einrichtung einer fünf Kilometer breiten Sperrzone entlang der Demarkationslinie zur Bundesrepublik Deutschland. Damit startet die Zwangsumsiedlung von über 12.000 Anwohnern. Auf Anordnung der SED werden am 27. Mai die Telefonleitungen zwischen West-Berlin und der DDR gekappt.
1. Juni: Westberliner dürfen die DDR nur noch mit Genehmigung betreten.
30. Juni: Ende der Marshall-Plan-Hilfe.
8. Juli: In München werden für Fußgänger die ersten Zebrastreifen in Deutschland angelegt.
9. Juli: Der SED-Generalsekretär Walter Ulbricht verkündet den Beschluss der II. Parteikonferenz, dass in der DDR „der Sozialismus planmäßig aufgebaut werde“, damit Beginn der Sowjetisierung der DDR.
16. Juli: Am Werbellinsee weiht DDR-Präsident Wilhelm Pieck das Pionierlager der Pionierrepublik Wilhelm Pieck ein.
23. Juli: Die Volkskammer der DDR beschließt die Auflösung der fünf mitteldeutschen Länder zu Gunsten von 14 Bezirken.
10. September: Im Luxemburger Abkommen verpflichtet sich die Bundesrepublik Deutschland zu Entschädigungszahlungen an jüdische NS-Opfer in Höhe von 3,5 Mrd. DM.
28. September: Erich Ollenhauer wird Nachfolger des verstorbenen Kurt Schumacher als Vorsitzender der SPD.
17. Oktober: Walter Freitag wird neuer DGB-Vorsitzender als Nachfolger von Christian Fette.
23. Oktober: In der Bundesrepublik Deutschland wird die SRP verboten.
29. November: Gründung der Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP) durch die Bundestagsabgeordneten Thea Arnold, Helene Wessel (beide Deutsche Zentrumspartei), Hans Bodensteiner (CSU) und Hermann Etzel (Bayernpartei) sowie die späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann und Johannes Rau.
25. Dezember: Bei einem Grenzzwischenfall in Berlin-Frohnau wird ein West-Berliner Wachtmeister von sowjetischen Soldaten erschossen.
Weitere Ereignisse in Europa
1. Januar: Karl Kobelt wird erneut Bundespräsident der Schweiz.
1. Januar: Die neue Verfassung Griechenlands tritt in Kraft und regelt die Verteilung von Grundbesitz neu.
20. Januar: Edgar Faure wird neuer französischer Premierminister als Nachfolger des am 7. Januar zurückgetretenen René Pleven.
6. Februar: Elisabeth II. wird nach dem Tod ihres Vaters Georg VI. Königin und Staatsoberhaupt des Vereinigten Königreichs und verschiedener anderer Länder des Commonwealth. Sie erfährt davon, nachdem sie in Kenia die Nacht im Treetops Hotel verbracht hat.
29. Februar: Edgar Faure tritt nach nur sechs Wochen Amtszeit als Premierminister Frankreichs zurück; sein Nachfolger wird Antoine Pinay.
27. April: Der im Zweiten Weltkrieg zerstörte Wiener Stephansdom wird wieder eingeweiht.
13. Juni: Sowjetische Jagdflugzeuge schießen über der Ostsee eine schwedische Militärmaschine ab.
12. August: etwa 30 russisch-jiddische Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle werden in der Moskauer Lubjanka in der „Nacht der ermordeten Poeten“ hingerichtet, die genaue Zahl der Opfer ist unsicher. Viele von ihnen standen in Verbindung mit dem Jüdischen Antifaschistischen Komitee, darunter waren Itzik Feffer, Leib Kwitko, Solomon Abramowitsch Losowski und Perez Markisch.
5. bis 14. Oktober: XIX. Parteitag der KPdSU
21. November: In der Tschechoslowakei kommt es zu Schauprozessen gegen parteiinterne Gegner von Ministerpräsident Gottwald. Im Slánský-Prozess werden elf Todesurteile verhängt.
Ägypten
26. Januar: In Kairo kommt es, nachdem die britischen Besatzungstruppen in der Kanalzone ein ägyptisches Regierungsgebäude in Ismailia belagert und beschossen hatten, zu den Ereignissen des „Schwarzen Samstags“. Bei den Ausschreitungen gehen westliche Einrichtungen wie Hotels oder Kinos in Flammen auf, auch Büros der Muslimbrüder werden angegriffen.
23. Juli: Staatsstreich in Ägypten: Inhaftierung des Königs Faruq durch General Muhammad Nagib
26. Juli: Abdankung von Faruq. Proklamation von Fu'ād II. zum letzten ägyptisch-sudanesischen König
24. August: Britische Truppen evakuieren den Sueskanal.
10. Dezember: Außerkraftsetzung der Verfassung des Königreichs Ägypten von 1923 durch die Militärregierung von Nagib
Südafrika
26. Juni: Die Defiance Campaign gegen die Apartheid in der Südafrikanischen Union beginnt. Bereits am 6. April ist es zu Demonstrationen gekommen. Die Teilnehmer der Kampagne verstoßen bewusst gegen Gesetze der Apartheid, etwa das Verbot der Nutzung von Einrichtungen für Weiße und die Pflicht zum Tragen von Pässen. Die Idee ist, sich für das Übertreten der Gesetze verhaften zu lassen, so die Gefängnisse übervoll werden zu lassen und damit das Justizwesen lahmzulegen. Die unerwartet zahlreichen gewaltfreien Aktivitäten des zivilen Ungehorsams im Verlauf dieser Kampagne bringen die südafrikanische Regierung in eine politisch wie taktisch schwierige Lage, da gegen Zivilisten ohne Gewaltpotenzial mit polizeilichen Mitteln nur sehr schwierig vorgegangen werden kann. Obschon Tausende Akteure in den nächsten Monaten verhaftet werden, nimmt die Kampagne nicht ab.
Kenia
20. Oktober: In Kenia erklärt der britische Gouverneur Evelyn Baring, 1. Baron Howick of Glendale den Ausnahmezustand, begründet mit dem Mau-Mau-Aufstand.
18. November: Der spätere kenianische Präsident Jomo Kenyatta wird von den britischen Kolonialbehörden wegen Teilnahme am Mau-Mau-Aufstand inhaftiert.
Asien
21. Februar: Bengalische Sprachbewegung: Die Entscheidung der pakistanischen Regierung, Urdu als alleinige Amtssprache zu verwenden, führt zu Widerstand in Ostpakistan, wo fast ausschließlich Bengalisch gesprochen wird. Bei Studentendemonstrationen in Dhaka kommen bei Zusammenstößen mit der Polizei mehrere Demonstranten ums Leben.
28. April: In Taipeh wird der Friedensvertrag zwischen Japan und der Republik China (Taiwan) unterzeichnet. Am selben Tag tritt der Friedensvertrag von San Francisco zwischen den Alliierten (allerdings ohne die Volksrepublik China und die Sowjetunion) und Japan in Kraft, das damit seine Souveränität zurückgewinnt.
13. Mai: Nachdem die Kongresspartei Indiens bei der ersten Parlamentswahl seit der Unabhängigkeit bestätigt wird, tritt Jawaharlal Nehru seine zweite Amtszeit als Ministerpräsident an.
23. Juni: Bombardierung von Nordkorea durch die USA
11. August: König Talal von Jordanien wird vom Militär abgesetzt; sein Nachfolger wird Hussein I.
29. November: Der neu gewählte US-Präsident Eisenhower stattet Korea einen Besuch ab, um eine Lösung für den Koreakrieg auszuloten.
Lateinamerika
10. März: Staatsstreich von Fulgencio Batista in Kuba. Der bisherige Präsident Carlos Prío flüchtet in die USA.
15. April: Staatsstreich von Víctor Paz Estenssoro in Bolivien; er lässt den Bergbau verstaatlichen und setzt eine Agrarreform durch.
Nordamerika
29. März: Der seit 1945 amtierende US-Präsident Harry S. Truman verkündet seinen Verzicht auf eine weitere volle Amtszeit bei den anstehenden Wahlen im November.
4. November: Der Republikaner Dwight D. Eisenhower wird zum 34. Präsidenten der USA gewählt. Er siegt über seinen demokratischen Herausforderer Adlai Stevenson.
Wirtschaft
2. Januar: Bei der Firma Ford in Köln werden die ersten Autos produziert.
2. Mai: Die britische Fluggesellschaft BOAC verwendet als erstes Unternehmen ein Düsenverkehrsflugzeug im Linienverkehr. Eine De Havilland DH.106 Comet befliegt die Route London–Johannesburg.
21. Mai: Königin Juliana übergibt in den Niederlanden den Amsterdam-Rhein-Kanal seiner Bestimmung.
12. Juni: Im Wedeler Ortsteil Schulau wird an der Unterelbe die Schiffsbegrüßungsanlage Willkomm-Höft in Betrieb genommen. Den Hamburger Hafen anlaufende Schiffe werden damit begrüßt oder verabschiedet.
24. Juni: erstes Erscheinen der Bild (Zeitung)
Gründung der ersten bundesdeutschen Luftfahrtgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg (Südflug International) durch Rul Bückle
Wissenschaft und Technik
18. Juli: Die deutsche Fulbright-Kommission wird gegründet. Sie ermöglicht mit dem Fulbright-Programm über Stipendien Studenten und Akademikern Studienaufenthalte in den USA und vice versa in Deutschland.
14. August: In einem in L'Observateur unter der Überschrift Trois mondes, une planète („Drei Welten, ein Planet“) erscheinenden Artikel formuliert der französische Demograph und Historiker Alfred Sauvy erstmals den Begriff der „Dritten Welt“.
26. August: Erstmals gelingt einem britischen Düsenflugzeug der Hin- und Rückflug über den Atlantik binnen eines Tages.
11. September: Der US-amerikanische Arzt Charles A. Hufnagel setzt dem ersten Patienten eine künstliche Herzklappe ein, die er selbst entwickelt hat.
17. September: E. J. Smith fliegt mit seinem Hubschrauber Bell 47 D über 1.958,2 km: Weltrekord.
3. Oktober: Zündung der ersten britischen Atombombe vor den australischen Montebello-Inseln.
14. Oktober: In Marseille wird die Cité radieuse eröffnet. Das Gebäude ist das erste von fünf Wohneinheiten modernen Typs, die der Architekt Le Corbusier geplant hat.
1. November (Ortszeit): US-amerikanische Kernphysiker zünden auf dem Eniwetok-Atoll im Pazifischen Ozean die erste Wasserstoffbombe. Der Test unter dem Codenamen Ivy Mike führt nebenbei zur Entdeckung der chemischen Elemente Fermium und Einsteinium.
21. Dezember: In der DDR beginnt das Fernsehen als „öffentliches Versuchsprogramm“ aus Berlin-Adlershof mit zwei Stunden täglicher Sendezeit.
25. Dezember: Ab Weihnachten gibt es regelmäßige offizielle Fernsehsendungen in der Bundesrepublik Deutschland, die vom Nordwestdeutschen Rundfunk ausgestrahlt werden. Nur 1.000 Anschlüsse sind registriert.
Kultur
Bildende Kunst
19. April: Mit einer Ausstellung in Mannheim beginnt die Wiederentdeckung des Werks von Emil Nolde.
16. Juni: In der Hugo-Galerie in New York City zeigt Andy Warhol Fifteen Drawings Based on the Writings of Truman Capote, seine erste Einzelausstellung.
Film
17. Januar: Bei der Uraufführung des Films Hanna Amon mit Veit Harlan kommt es wegen dessen NS-Vergangenheit zu Protesten.
30. September: Im New York Broadway Theatre hat der erste im Cinerama-Verfahren vorgeführte Film Das ist Cinerama (This is Cinerama) Uraufführung.
Literatur
7. Februar: Der Roman Tauben im Gras von Wolfgang Koeppen erscheint.
16. August: Schwein oder Nichtschwein, ein weiterer Roman von P. G. Wodehouse mit dem zerstreuten Lord Emsworth als Protagonisten, erscheint erstmals als Fortsetzungsgeschichte im US-amerikanischen Magazin Collier's Weekly.
September: Jenseits von Eden von John Steinbeck erscheint.
4. September: Ernest Hemingways Roman Der alte Mann und das Meer erscheint.
Musik und Theater
13. Januar: Uraufführung der komischen Oper Die schlaue Susanne von Franz Xaver Lehner in Nürnberg
17. Februar: Uraufführung des lyrischen Dramas Boulevard Solitude von Hans Werner Henze am Staatstheater in Hannover.
26. März: Uraufführung der Oper Leonore 40/45 von Rolf Liebermann in Basel.
29. März: Doktor Eisenbart, ein großmächtiges Spectaculum in sieben Bildern von Nico Dostal (Musik) und Hermann Hermecke (Libretto) erlebt in Nürnberg seine Uraufführung.
16. Mai: Uraufführung der Operette Bozena von Oscar Straus in München
10. Juni: Der Goethepreis des Jahres 1952 wird an den Dramatiker Carl Zuckmayer vergeben.
12. Juni: Uraufführung der Oper Trouble in Tahiti von Leonard Bernstein an der Brandeis University in Waltham, Massachusetts.
23. Juni: Die Neufassung der Oper Cardillac von Paul Hindemith – von drei auf vier Akte erweitert und textlich vom Komponisten neu gestaltet – wird am Stadttheater in Zürich uraufgeführt.
23. September: Uraufführung der Ballett-Oper Preußisches Märchen von Boris Blacher in der Deutschen Staatsoper.
25. September: Uraufführung des Bühnenstücks Die Mausefalle (The Mousetrap) von Agatha Christie im Ambassadors Theatre in London.
31. Dezember: Uraufführung der Operette Alles Kapriolen von Siegfried Köhler in Koblenz
Das Theaterstück Warten auf Godot von Samuel Beckett wird veröffentlicht; es wird 1953 uraufgeführt.
Sport
Olympische Spiele
Die VI. Olympischen Winterspiele finden vom 14. bis 25. Februar in Oslo, Norwegen, statt.
Die XV. Olympischen Sommerspiele finden vom 19. Juli bis 3. August in Helsinki, Finnland, statt.
Sonstiges
2. Februar: In Dortmund wird die Westfalenhalle, mit 13.500 Plätzen die damals größte Sporthalle Europas, eingeweiht.
18. Mai bis 7. September: Austragung der 3. Formel-1-Weltmeisterschaft
8. Juni: In Köln schlägt Mittelgewichtler Peter Müller, genannt de Aap, während eines Boxkampfes den Schiedsrichter k.o.
4. Juli: Im Tennis-Finale von Wimbledon siegt Frank Sedgman (USA) über Jaroslav Drobný (Ägypten).
20. Juli: Fausto Coppi gewinnt die Tour de France.
7. September: Der Italiener Alberto Ascari gewinnt die Weltmeisterschaft der Formel 1.
14. September: Deutscher Höhenrekord mit 13.015 m im Segelflugzeug durch Joachim P. Kuettner im Rahmen des „Jetstream-Project“
16. Oktober: KFC Phönix und VfB Mühlburg fusionieren zum Karlsruher SC.
Katastrophen
10. Januar: Vor der englischen Küste sinkt der Frachter Flying Enterprise. Der Kapitän, Kurt Carlson, hatte sich erst unmittelbar vor dem Untergang retten lassen, nachdem er zwei Wochen lang auf dem mit Schlagseite dahintreibenden Wrack ausgeharrt hatte.
27. April: Der Schnelle Minensucher USS Hobson sinkt während eines Manövers im Atlantik nach der Kollision mit dem Flugzeugträger Wasp (beide USA). 176 Tote und viele Verletzte.
8. Oktober: Im nordwestlich von London gelegenen Bahnhof Harrow & Wealdstone ereignet sich eines der schwersten Eisenbahnunglücke in der Geschichte der British Rail. 112 Menschen sterben und 340 werden verletzt, als ein Schnellzug den hinteren Teil eines Nahverkehrszugs rammt und ein weiterer Schnellzug aus der Gegenrichtung in die Unglücksstelle hineinfährt.
5. November: Ein Tsunami zerstört die Stadt Sewero-Kurilsk auf den Kurilen, 2336 Menschen sterben.
5. bis 9. Dezember: London: Eine Smog-Katastrophe fordert mehrere Tausend Todesopfer.
Geboren
Januar
1. Januar: Ahn Sung-ki, südkoreanischer Schauspieler
1. Januar: François Chatriot, französischer Rallyefahrer
1. Januar: Steve Earle, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
1. Januar: Ítalo Estupiñán, ecuadorianisch-mexikanischer Fußballspieler († 2016)
1. Januar: Knut Folkerts, ehemaliger RAF-Terrorist
1. Januar: Urs Leimgruber, Schweizer Saxophonist
2. Januar: Indulis Emsis, lettischer Biologe, Politiker und ehemaliger Premierminister
2. Januar: Hartmut Büttner, deutscher Politiker
2. Januar: Konrad Steffen, Schweizer Glaziologe († 2020)
3. Januar: Adelheid Arndt, deutsche Schauspielerin
3. Januar: Gianfranco Fini, italienischer Politiker
4. Januar: Rudolf Borchert, deutscher Politiker († 2019)
4. Januar: Josef Cap, österreichischer Politiker
4. Januar: Michael Hoenig, deutscher Musiker
5. Januar: Uli Hoeneß, deutscher Fußballspieler und Manager
5. Januar: Leif Øgaard, norwegischer Schachspieler
6. Januar: Wolfgang Merkel, deutscher Politikwissenschaftler
7. Januar: Sammo Hung, chinesischer Martial-Arts-Künstler
7. Januar: Hans-Josef Fell, deutscher Politiker
8. Januar: Klaus-Peter Flosbach, deutscher Politiker
9. Januar: Marek Belka, polnischer Ministerpräsident
9. Januar: Hans-Martin Leili, deutscher Fußballspieler
10. Januar: William Parker, US-amerikanischer Jazz-Bassist
10. Januar: Oleh Romanyschyn, ukrainischer Schachgroßmeister
10. Januar: Monika Schnaitmann, deutsche Politikerin
10. Januar: Gerhard Schöne, deutscher Liedermacher
11. Januar: Bille Brown, australischer Schauspieler († 2013)
11. Januar: Lucas da Costa, osttimoresischer Politiker, Unabhängigkeitsaktivist († 2019)
11. Januar: Jens Goebel, deutscher Politiker
11. Januar: Diana Gabaldon, US-amerikanische Autorin der Gegenwart
11. Januar: Lee Ritenour, US-amerikanischer Musiker und Produzent
12. Januar: John Walker, neuseeländischer Leichtathlet
12. Januar: Florian Havemann, deutscher Schriftsteller, Maler und Komponist
12. Januar: Ricky Van Shelton, US-amerikanischer Country-Sänger
12. Januar: Walter Mosley, US-amerikanischer Krimi-Schriftsteller
13. Januar: Max Beck, liechtensteinischer Rennrodler († 2019)
13. Januar: Klaus Rapp, deutscher Politiker
13. Januar: Pekka Pohjola, finnischer Musiker († 2008)
14. Januar: Gaby Berger, deutsche Schlagersängerin
14. Januar: Michele Castoro, italienischer Theologe, Erzbischof von Manfredonia († 2018)
14. Januar: Elmar Gutmann, deutscher Musiker, Synchronsprecher und Schauspieler
14. Januar: Klaus Jensen, deutscher Politiker; Staatssekretär
14. Januar: Călin Popescu-Tăriceanu, rumänischer Politiker und Regierungschef
15. Januar: Juan Antonio Ahuntchain Alles, uruguayischer Fußballtrainer und Fußballspieler
15. Januar: Boris Blank, Schweizer Musiker
15. Januar: C. George Boeree, US-amerikanischer Psychologe († 2021)
16. Januar: Piercarlo Ghinzani, italienischer Automobilrennfahrer
17. Januar: Saulius Arlauskas, litauischer Jurist, Rechtsphilosoph
17. Januar: Michael Sommer, Bundesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB)
17. Januar: Lothar Vogt, deutscher Schach-Großmeister
18. Januar: Michael Jüllich, deutscher Perkussionist und Komponist
18. Januar: Wim Rijsbergen, niederländischer Fußballspieler und Trainer
18. Januar: K. M. Veerappan, indischer Bandenchef († 2004)
19. Januar: Erwin Kaipel, österreichischer Politiker (SPÖ)
19. Januar: Christiane Kuby, deutsche Übersetzerin
20. Januar: Ute Hommola, deutsche Leichtathletin
20. Januar: Thomas Reuter, deutscher Komponist, Chorleiter und Pianist
20. Januar: Ann Savoy, US-amerikanische Cajun-Musikerin (Gesang und Gitarre)
20. Januar: Hans-Joachim Schabedoth, deutscher Gewerkschafter und Politiker († 2020)
20. Januar: Paul Stanley, US-amerikanischer Gitarrist und Sänger
21. Januar: Karl Timmermann, deutscher Sänger, Texter, Komponist und Produzent
21. Januar: Werner Grissmann, österreichischer Skirennläufer
21. Januar: Michail Umansky, russisch-deutscher Schachmeister († 2010)
22. Januar: Stefano Bartolini, italienischer Politikwissenschaftler
22. Januar: Aloys Wobben, deutscher Elektroingenieur und Unternehmer († 2021)
23. Januar: Dorothee Eberhardt, deutsche Komponistin
23. Januar: Henrique da Costa Mecking, brasilianischer Schachmeister und Geistlicher
23. Januar: Jaroslav Pouzar, tschechoslowakischer Eishockeyspieler
23. Januar: Reinhard Saftig, deutscher Fußballtrainer
24. Januar: Siegmund Ehrmann, deutscher Politiker
24. Januar: Fausto Gaibor García, ecuadorianischer katholischer Bischof († 2021)
25. Januar: Malan Marnersdóttir, färöische Literaturwissenschaftlerin
26. Januar: Frédéric Lodéon, französischer Cellist und Dirigent
26. Januar: Konrad Samwer, deutscher Physiker und Materialwissenschaftler
27. Januar: Asma Jilani Jahangir, pakistanische Rechtsanwältin († 2018)
27. Januar: Billy Johnson, US-amerikanischer American-Football-Spieler
28. Januar: Richard Glatzer, US-amerikanischer Regisseur und Filmproduzent († 2015)
28. Januar: Michael Jones, französischer Sänger und Gitarrist
29. Januar: Jakob Brechbühl, ehemaliger Schweizer Fußballspieler
29. Januar: Klaus-Uwe Nommensen, deutscher evangelischer Theologe und Autor
30. Januar: Waleri Michailowitsch Chalilow, russischer General und Komponist († 2016)
30. Januar: Christa Moog, deutsche Schriftstellerin
30. Januar: Lorenz-Günther Köstner, deutscher Fußballtrainer
31. Januar: Ulrike Apel-Haefs, deutsche Politikerin († 2009)
31. Januar: Rodolfo Daluisio, argentinischer Komponist und Musikpädagoge
31. Januar: Leslie Lemke, US-amerikanischer Musiker und Komponist
Februar
1. Februar: Norbert Barthle, deutscher Politiker, MdB
1. Februar: Jenő Jandó, ungarischer Pianist († 2023)
2. Februar: Jeffrey Archibald, neuseeländischer Hockeyspieler
2. Februar: Yuri Boidman, ukrainisch-deutscher Schachmeister
2. Februar: Agenor Girardi, brasilianischer katholischer Bischof von União da Vitória († 2018)
2. Februar: Reinhard Häfner, deutscher Fußballspieler († 2016)
2. Februar: Ralph Merkle, Pionier für asymmetrische Kryptosysteme
2. Februar: Park Geun-hye, südkoreanische Politikerin
2. Februar: Carol Ann Susi, US-amerikanische Schauspielerin († 2014)
2. Februar: Michael Wickmann, deutscher Kommunalpolitiker
3. Februar: Cellou Dalein Diallo, Premierminister von Guinea
3. Februar: Andrei Makejew, sowjetischer Basketballspieler († 2021)
4. Februar: Kudsi Erguner, türkischer Nay-Spieler und Komponist
4. Februar: Kurt Klühspies, deutscher Handballspieler
4. Februar: Dominique Lacaud, französischer Automobilrennfahrer
5. Februar: Daniel Balavoine, französischer Sänger († 1986)
6. Februar: Viktor Giacobbo, Schweizer Autor, Kabarettist, Moderator und Schauspieler
6. Februar: Ricardo Antonio La Volpe, mexikanischer Fußballspieler und -trainer
6. Februar: Christian Mähr, österreichischer Redakteur und Schriftsteller
7. Februar: Hans-Jürgen Appelrath, deutscher Informatiker († 2016)
7. Februar: Antonio Catricalà, italienischer Jurist, Hochschullehrer und Manager († 2021)
7. Februar: Wolfgang U. Eckart, deutscher Medizinhistoriker († 2021)
7. Februar: Vasco Rossi, italienischer Sänger, Liedermacher und Radiomoderator
7. Februar: Didi Senft, deutscher Künstler und Erfinder, „Tourteufel“
8. Februar: Francisco Marinho, brasilianischer Fußballspieler († 2014)
9. Februar: Tony Attwood, britischer Psychologe
9. Februar: Zhang Jilong, chinesischer Fußballfunktionär
10. Februar: Frank Bsirske, deutscher Gewerkschaftsfunktionär, Vorsitzender der Gewerkschaft ver.di
10. Februar: Lee Hsien Loong, Premierminister von Singapur
12. Februar: Patrick Gaillard, französischer Formel-1-Rennfahrer
12. Februar: Anton Himstedt, deutscher Bildhauer
12. Februar: Heinz-Josef Koitka, deutscher Fußballspieler
12. Februar: Simon MacCorkindale, britischer Schauspieler und Filmemacher († 2010)
12. Februar: Michael McDonald, US-amerikanischer Rocksänger und -keyboarder
12. Februar: Ariel Muzicant, österreichischer Unternehmer und Verbandsfunktionär
12. Februar: Angelika Speitel, deutsche RAF-Terroristin
13. Februar: Freddy Maertens, belgischer Radrennfahrer
13. Februar: Hans-Joachim Fuchtel, deutscher Politiker
13. Februar: Irene Dische, deutsch-US-amerikanische Schriftstellerin
14. Februar: Marlies Ameling, deutsche Formgestalterin und Industriedesignerin
14. Februar: Peter-Michael Diestel, stellvertretender Ministerpräsident und Minister des Inneren der DDR
14. Februar: Sushma Swaraj, indische Politikerin († 2019)
14. Februar: Leslie Wilson, neuseeländischer Hockeyspieler
15. Februar: George Antonysamy, indischer Erzbischof
15. Februar: Bill T. Jones, US-amerikanischer Tänzer und Choreograph
15. Februar: Hans Kruppa, deutscher Schriftsteller
15. Februar: Tomislav Nikolić, serbischer Politiker
15. Februar: Arthur Parkin, neuseeländischer Hockeyspieler
15. Februar: Nikolai Jewgenjewitsch Sorokin, russischer Schauspieler und Regisseur († 2013)
15. Februar: Rosemarie Tüpker, deutsche Musiktherapeutin und Musikwissenschaftlerin
16. Februar: James Ingram, US-amerikanischer Soulmusiker, Songschreiber und Musikproduzent († 2019)
16. Februar: Jan Kerouac, US-amerikanische Autorin († 1996)
16. Februar: Wolfgang Lippert, deutscher Sänger, Moderator und Entertainer
17. Februar: Anders Åslund, schwedischer Wirtschaftswissenschaftler
17. Februar: Karin Büttner-Janz, deutsche Kunstturnerin und Klinikdirektorin
17. Februar: Ludger Volmer, deutscher Politiker
17. Februar: Peter Freund, deutscher Schriftsteller
18. Februar: Efva Katarina Attling, schwedische Schauspielerin und Model
18. Februar: Hansjörg Aemisegger, Schweizer Radrennfahrer
18. Februar: Johann Schneider-Ammann, Schweizer Unternehmer und Politiker
19. Februar: Amy Tan, chinesisch-US-amerikanische Schriftstellerin
19. Februar: Ryū Murakami, japanischer Autor
19. Februar: Matthias Kurth, Präsident der Bundesnetzagentur (Regulierungsbehörde)
19. Februar: Danilo Türk, slowenischer Politiker
20. Februar: Udo Böbel, deutscher Handballspieler und Handballtrainer
20. Februar: Abdalá Bucaram, ecuadorianischer Rechtsanwalt und Politiker
20. Februar: Hans-Jürgen Irmer, deutscher Politiker
21. Februar: Witali Tschurkin, russischer UN-Diplomat († 2017)
21. Februar: Jean-Jacques Burnel, britisch-französischer Musiker
22. Februar: Bernd August, deutscher Boxer († 1988)
22. Februar: Helmut Nieuwenhuis, deutscher Jurist
22. Februar: Thomas Wessinghage, deutscher Leichtathlet
23. Februar: Sören Åkeby, schwedischer Fußballtrainer
23. Februar: Peter Ammon, deutscher Diplomat
23. Februar: Pedro Pérez, kubanischer Leichtathlet, Dreispringer († 2018)
23. Februar: Stefan Winghart, deutscher prähistorischer Archäologe, Denkmalpfleger und Landeskonservator († 2022)
23. Februar: Knud Wollenberger, deutscher Lyriker († 2012)
24. Februar: Fred Dean, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2020)
24. Februar: Jadwiga Rappé, polnische Sängerin
24. Februar: Bruno Zuppiger, Schweizer Politiker der SVP († 2016)
25. Februar: Kristin Heyne, deutsche Politikerin († 2002)
25. Februar: Joey Dunlop, britischer Motorradrennfahrer († 2000)
25. Februar: Christian Kolonovits, österreichischer Komponist und Dirigent
26. Februar: John Giblin, britischer Bassist († 2023)
28. Februar: Rudolf Bastiaan Andeweg, niederländischer Politikwissenschaftler
28. Februar: Arthur Barrow, US-amerikanischer Musiker
28. Februar: Michel Bury, französischer Sportschütze
28. Februar: Winfried Thaa, deutscher Politikwissenschaftler
29. Februar: Raúl González, mexikanischer Geher und Olympiasieger
29. Februar: Holger Oertel, deutscher Handballtorwart und Handballtrainer
29. Februar: Gérard Pansanel, französischer Jazzgitarrist
29. Februar: Hermann Schützenhöfer, österreichischer Politiker
März
1. März: Matthäus Strebl, deutscher Politiker und MdB
2. März: Nugsar Aschuba, abchasischer Politiker
2. März: Sergei Wadimowitsch Stepaschin, russischer Ministerpräsident
3. März: Wolfgang Kubicki, deutscher Politiker
4. März: Terje Andersen, norwegischer Eisschnellläufer
3. März: Günter Assenmacher, Offizial des Erzbistum Köln
4. März: Jürgen Großmann, deutscher Manager, Unternehmer und Lobbyist
4. März: Claudia Guderian, deutsche Autorin und Journalistin
4. März: Michael Hirz, deutscher Journalist und Moderator
4. März: Umberto Tozzi, italienischer Musiker
5. März: Rodrigo Aguilar Martínez, mexikanischer Bischof
5. März: Alan Clark, britischer Keyboarder
5. März: Hartmut Heinrich, Entdecker der sogen. Heinrich-Ereignisse
5. März: Juri Michailowitsch Kuzenko, sowjetischer Leichtathlet, Zehnkämpfer († 2018)
5. März: Fernando da Piedade Dias dos Santos, Premierminister von Angola
5. März: Isatou Njie Saidy, Vizepräsidentin von Gambia
6. März: Marielle Labèque, französische Pianistin (Duo Katia und Marielle Labèque)
7. März: Stelian Anghel, rumänischer Fußballspieler und Sportfunktionär († 2009)
7. März: William Boyd, schottischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur
7. März: Dominique Mamberti, französischer Kurienkardinal
7. März: Wolf Rauch, österreichischer Informationswissenschaftler
8. März: Pius Segmüller, Kommandant der Päpstlichen Schweizergarde, Nationalrat
9. März: Bill Beaumont, englischer Rugbyspieler
9. März: Reto Parolari, Schweizer Dirigent († 2019)
9. März: Amir Peretz, israelischer Politiker und Gewerkschafter
10. März: Romeo Morri, san-marinesischer Politiker und Schriftsteller († 2022)
10. März: Morgan Tsvangirai, simbabwischer Politiker († 2018)
11. März: Douglas Adams, englischer Schriftsteller († 2001)
11. März: Pier Paolo Bianchi, italienischer Motorradrennfahrer
11. März: Ricardo Martinelli, panamaischer Politiker und Unternehmer
12. März: Yasuhiko Okudera, japanischer Fußballspieler
12. März: Randy Stonehill, US-amerikanischer Sänger und Komponist
13. März: Wolfgang Rihm, deutscher Komponist, Musikwissenschaftler und Essayist
13. März: Joesi Prokopetz, österreichischer Liedermacher, Musiker, Autor, Darsteller und Kabarettist.
14. März: Jaime Caruana, spanischer Banker
14. März: Martin E. Dempsey, General der US Army
16. März: Alice Hoffman, US-amerikanische Autorin
16. März: Jan Jóźwik, polnischer Eisschnellläufer († 2021)
17. März: Susie Allanson, US-amerikanische Country-Sängerin
17. März: Manolo Badrena, puerto-ricanischer Perkussionist
18. März: Pat Eddery, irischer Jockey († 2015)
18. März: Dennis Chun, US-amerikanischer Schauspieler
18. März: Michaela May, deutsche Schauspielerin
18. März: Peter Prager, deutscher Schauspieler
18. März: Salome Surabischwili, georgische Außenministerin
19. März: Wolfgang Ambros, österreichischer Musiker, Liedermacher
19. März: Joseph Borġ, maltesischer Politiker und EU-Kommissar
19. März: Jörg Pfeifer, deutscher Leichtathlet
19. März: Ulrich Schröder, deutscher Jurist und Bankmanager († 2018)
19. März: Joseph J. Urusemal, Präsident der Föderierten Staaten von Mikronesien
19. März: Harvey Weinstein, US-amerikanischer Filmproduzent
20. März: Geoff Brabham, australischer Automobilrennfahrer
21. März: John Fergus, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
21. März: John Holmes, britischer Rugbyspieler († 2009)
23. März: Peter Louis Cakü, myanmarischer Bischof von Kengtung († 2020)
23. März: Bodo Dieckmann, deutscher Archäologe
23. März: Jan Hadermann, belgischer Komponist
23. März: Pola Kinski, deutsche Schauspielerin
23. März: Kim Stanley Robinson, amerikanischer Science-Fiction-Schriftsteller
23. März: Rex Tillerson, US-amerikanischer Manager und Politiker
23. März: Franziska Walser, deutsche Schauspielerin
24. März: Dioni Fernández, dominikanischer Merengue-Musiker
24. März: Reinhard Genzel, deutscher Astrophysiker
24. März: Allan Guggenbühl, Schweizer Psychologe und Experte für Jugendgewalt
25. März: Jung Chang, chinesischstämmige britische Schriftstellerin
25. März: Antanas Mockus, kolumbianischer Philosoph, Mathematiker und Politiker
26. März: Yoshitaka Amano, japanischer Künstler
26. März: David Amess, britischer Politiker († 2021)
26. März: Peter Augar, deutscher Fußballschiedsrichter
26. März: Bodo Henkel, deutscher Moderator und Synchronsprecher
26. März: Wolfgang Hegewald, deutscher Schriftsteller
26. März: Didier Pironi, französischer Formel-1-Rennfahrer († 1987)
26. März: Pavol Szikora, tschechoslowakischer Geher († 2021)
26. März: Wang Jun, chinesischer Politiker
27. März: Felix Haug, Schweizer Popmusiker († 2004)
27. März: Pamela Roylance, US-amerikanische Schauspielerin
27. März: Maria Schneider, französische Schauspielerin († 2011)
28. März: Keith Ashfield, kanadischer Politiker († 2018)
28. März: Tony Brise, britischer Formel-1-Rennfahrer († 1975)
29. März: Rainer Bonhof, deutscher Fußballspieler und Trainer
29. März: Teófilo Stevenson, kubanischer Amateurboxer († 2012)
29. März: Bola Tinubu, nigerianischer Politiker, Staatspräsident
30. März: Jose F. Advincula, philippinischer Erzbischof von Manila und Kardinal
30. März: Wallace Arthur, britischer Zoologe
31. März: Horst Bredemeier, deutscher Handballtrainer und- funktionär
31. März: Nelly Miricioiu, rumänische Opernsängerin, Sopran
31. März: Paul-Heinz Wellmann, deutscher Leichtathlet
31. März: Vanessa del Rio, US-amerikanisches Model, Pornodarstellerin und Unternehmerin
März: Chen Zhenggao, chinesischer Politiker
März: Yuan Chunqing, chinesischer Politiker
April
1. April: Angelika Bahmann, deutsche Kanutin
1. April: Uwe Behrendt, deutscher Rechtsextremist († 1981)
1. April: Hans-Georg Bürger, deutscher Automobilrennfahrer († 1980)
1. April: Abdel Basset Ali al-Megrahi, libyscher Attentäter († 2012)
2. April: Thomas Bscher, deutscher Automobilrennfahrer, Banker und Manager
2. April: Alex Conti, deutscher Gitarrist
2. April: Richard Spénard, kanadischer Automobilrennfahrer
3. April: Beat Fäh, Schweizer Regisseur, Schauspieler und Autor
3. April: Dieter Krause, deutscher Handballspieler († 2023)
3. April: Franz X.A. Zipperer, deutscher Musikjournalist († 2015)
4. April: Rosemarie Ackermann, deutsche Leichtathletin
4. April: Pat Burns, kanadischer Eishockeyspieler und -trainer († 2010)
4. April: Klaus Franz, deutscher Gewerkschaftsfunktionär
4. April: María Mendiola, spanische Schlagersängerin († 2021)
4. April: Gary Moore, nordirischer Blues- und Rockmusiker († 2011)
4. April: Villy Søvndal, dänischer Politiker
4. April: Pius Walder, österreichischer Holzfäller und Wilderer († 1982)
5. April: Mitch Pileggi, US-amerikanischer Schauspieler
6. April: Michael Vesper, deutscher Politiker
7. April: Rubén Galván, argentinischer Fußballspieler († 2018)
7. April: Hans-Ulrich Krüger, deutscher Politiker, MdB
7. April: Wladimir Alexandrowitsch Scharow, russischer Schriftsteller († 2018)
8. April: Arcadi Gaydamak, israelischer Milliardär
8. April: Kim Warwick, australischer Tennisspieler
9. April: Jerzy Szmajdziński, polnischer Politiker († 2010)
10. April: Grigori Alexejewitsch Jawlinski, russischer Politiker der Partei Jabloko
10. April: Steven Seagal, US-amerikanischer Schauspieler
10. April: Richard Wagner, deutscher Schriftsteller († 2023)
11. April: Karl-Heinz Dellwo, deutscher Verleger, ehemaliger Terrorist der RAF
12. April: Hellmut Hattler, deutscher Jazz- und Rockbassist
12. April: Hermann Strampfer, deutscher Jurist und Verwaltungsbeamter († 2015)
12. April: Christof Wetterich, deutscher theoretischer Physiker
13. April: Nari Erick Avari, indischer Schauspieler
13. April: Thomas Milani, kanadisch-italienischer Eishockeyspieler († 2021)
14. April: Udo Voigt, deutscher Politologe und Politiker
15. April: Glenn Shadix, US-amerikanischer Schauspieler († 2010)
16. April: Yochanan Afek, israelisch-niederländischer Schachkomponist und -spieler
16. April: Peter Arnold, deutscher Hornist
16. April: Ulrich Deuschle, deutscher Politiker
16. April: Rico Saccani, US-amerikanischer Dirigent
16. April: Alexander Tschäppät, Schweizer Politiker († 2018)
16. April: Billy West, US-amerikanischer Sprecher für Zeichentrickserien und Filme
16. April: Peter Westbrook, US-amerikanischer Fechter
17. April: Helge Achenbach, deutscher Kunstberater
17. April: Joe Alaskey, US-amerikanischer Schauspieler und Synchronsprecher († 2016)
17. April: Ernest Wichner, deutscher Schriftsteller
18. April: Enzo Calderari, Schweizer Unternehmer- und Automobilrennfahrer
18. April: Andreas Hellmann, deutscher Arzt und Ärztefunktionär
18. April: Bo Katzman, Schweizer Musiker, Sänger
18. April: Hans-Ulrich Seidt, deutscher Diplomat
19. April: Alexis Argüello, nicaraguanischer Boxer und Politiker († 2009)
20. April: Peep Aru, estnischer Politiker
20. April: Karl Friedrich von Hohenzollern, deutscher Unternehmer
21. April: Soslan Petrowitsch Andijew, sowjetischer Ringer († 2018)
21. April: Pascal Auberson, schweizerischer Sänger, Perkussionist und Pianist
22. April: François Berléand, französischer Schauspieler
22. April: Marilyn Chambers, US-amerikanische Pornodarstellerin († 2009)
22. April: Dave Mancini, US-amerikanischer Perkussionist, Musikpädagoge und Komponist
22. April: Alfons Karl Zwicker, Schweizer Komponist und Pianist
23. April: Esther Dischereit, deutsche Schriftstellerin
23. April: Narada Michael Walden, US-amerikanischer Produzent und Sänger
24. April: Jean-Paul Gaultier, französischer Modeschöpfer
25. April: Wladislaw Alexandrowitsch Tretjak, russischer Eishockeyspieler
25. April: Claus Bernhard Auer, deutscher Diplomat
25. April: Michael Aufhauser, deutscher Tierschützer
25. April: Jacques Santini, französischer Fußballtrainer und Fußballspieler
26. April: Renate Ackermann, deutsche Politikerin
26. April: Hans-Friedrich Lange, deutscher Jurist
27. April: Ari Vatanen, finnischer Rallyefahrer und Politiker
28. April: Mary McDonnell, US-amerikanische Schauspielerin
29. April: Barbara Hendricks, deutsche Politikerin
29. April: David Icke, britischer Publizist und Fußballspieler
29. April: Anatoli Nogowizyn, russischer Generaloberst († 2019)
29. April: Karl Rauber, deutscher Politiker
29. April: Dietmar Schmidt, deutscher Handballspieler und Handballtrainer
29. April: Dave Valentin, US-amerikanischer Jazzflötist († 2017)
29. April: Marino Zanotti, san-marinesischer Politiker
30. April: Jacques Audiard, französischer Filmregisseur und Drehbuchautor
30. April: Martin Gutzeit, Gründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR
Mai
2. Mai: Christopher Doyle, australischer Kameramann, Fotograf, Regisseur, Drehbuchautor
2. Mai: Gotthold Schwarz, Thomaskantor und Leiter des Thomanerchores Leipzig
3. Mai: Robert Donatucci, amerikanischer Politiker († 2010)
3. Mai: Ruth W. Lingenfelser, deutsche Dichterin
3. Mai: Christine Prinsloo, simbabwische Hockeyspielerin
3. Mai: Christian Schramm, ehemaliger Oberbürgermeister von Bautzen
3. Mai: Joseph William Tobin, US-amerikanischer Kardinal, Erzbischof von Newark
3. Mai: Allan Wells, britischer Leichtathlet
4. Mai: Hans Affenzeller, österreichischer Politiker
4. Mai: Günter Aumann, deutscher Mathematiker
4. Mai: Antony Hamilton, britischer Filmschauspieler († 1995)
4. Mai: This Jenny, Schweizer Unternehmer und Politiker († 2014)
4. Mai: Vera Lengsfeld, deutsche Politikerin
4. Mai: Bärbel Höhn, deutsche Politikerin
5. Mai: Maia Ciobanu, rumänische Komponistin
5. Mai: Edwin M. Lee, US-amerikanischer Bürgermeister († 2017)
5. Mai: Jorge Llopart, spanischer Geher († 2020)
5. Mai: Ryszard Szeremeta, polnischer Komponist, Dirigent und Jazzsänger
6. Mai: Claudius Armbruster, deutscher Romanist
6. Mai: Klaus Buciek, deutscher Jurist († 2011)
6. Mai: Christian Clavier, französischer Schauspieler
6. Mai: Andrea Čunderlíková, tschechische Schauspielerin
6. Mai: Michael O’Hare, US-amerikanischer Schauspieler († 2012)
6. Mai: Alexander Radszun, deutscher Schauspieler
6. Mai: Herbert Rusche, deutscher Politiker und Schwulenaktivist
7. Mai: Stanley Dickens, schwedischer Automobilrennfahrer
8. Mai: Matti Geschonneck, deutscher Regisseur
8. Mai: Charles J. Camarda, US-amerikanischer Astronaut
8. Mai: Vittorio Sgarbi, italienischer Kunstkritiker und Politiker
9. Mai: Dick Annegarn, niederländischer Sänger, Songwriter und Gitarrist
10. Mai: Kikki Danielsson, schwedische Sängerin und Akkordeonistin
10. Mai: Vanderlei Luxemburgo, brasilianischer Fußballtrainer
10. Mai: Mario Capezzuto, deutscher Politiker und MdL
10. Mai: Ulrich Hahnen, deutscher Politiker († 2016)
10. Mai: Roland Kaiser, deutscher Schlagersänger
10. Mai: Sly Dunbar, jamaikanischer Schlagzeuger und Produzent
11. Mai: Frances Fisher, britisch-amerikanische Theater- und Filmschauspielerin
11. Mai: Hallur Ellingsgaard, färöischer Parteivorsitzender der Republikanischen Partei
11. Mai: Renaud, französischer Musiker
11. Mai: Shohreh Aghdashloo, iranische Schauspielerin
12. Mai: Carlos Burga, peruanischer Boxer († 2021)
12. Mai: André Greiner-Pol, deutscher Rockmusiker († 2008)
12. Mai: Patrick Hooper, irischer Marathonläufer († 2020)
12. Mai: Scott Johnson, US-amerikanischer Komponist († 2023)
12. Mai: Margie Mahoney, US-amerikanische Skilangläuferin
13. Mai: Olaf Bernstengel, deutscher Puppenspieler († 2020)
13. Mai: Mary Cleere Haran, US-amerikanische Sängerin und Autorin († 2011)
14. Mai: Bolat Atabajew, kasachischer Theaterregisseur und Menschenrechtskämpfer († 2021)
14. Mai: David Byrne, britischer Musiker
14. Mai: Robert Zemeckis, US-amerikanischer Regisseur und Filmproduzent
15. Mai: Christine Goetz, deutsche Kunsthistorikerin († 2020)
15. Mai: Herbert Marxer, liechtensteinischer Skirennläufer
15. Mai: Peter Strieder, deutscher Politiker
16. Mai: James Herndon, US-amerikanischer Medienpsychologe
16. Mai: Erich Weishaupt, deutscher Eishockeyspieler
17. Mai: Bernhard Brink, deutscher Schlagersänger und Fernsehmoderator
17. Mai: Eva Schmidt, österreichische Schriftstellerin
17. Mai: Klaus Zapf, deutscher Unternehmer († 2014)
18. Mai: Jeana Yeager, US-amerikanische Testpilotin
18. Mai: George Strait, US-amerikanischer Country-Musiker
19. Mai: Gustav Deutsch, österreichischer Filmkünstler († 2019)
19. Mai: Guri Ingebrigtsen, norwegische Ärztin und Politikerin († 2020)
19. Mai: Lambertus van Marwijk, niederländischer Fußballspieler und Trainer
19. Mai: Cristóbal López Romero, spanischer Priester, Erzbischof von Rabat, Kardinal
19. Mai: Heiko Wildberg, deutscher Politiker
20. Mai: Christian Klar, deutscher Terrorist (RAF)
20. Mai: Roger Milla, kamerunischer Fußballspieler
20. Mai: Rick Upchurch, US-amerikanischer American-Football-Spieler
21. Mai: Mr. T, US-amerikanischer Schauspieler
22. Mai: Bernhard Brinkmann, deutscher Politiker († 2022)
22. Mai: Piotr Jaskóła, polnischer katholischer Priester und Professor der Theologie
22. Mai: Waldemar Victorino, uruguayischer Fußballspieler († 2023)
23. Mai: Deborah Adair, US-amerikanische Schauspielerin
23. Mai: Christina Vanja, deutsche Historikerin und Archivarin
24. Mai: Ranieri Randaccio, italienischer Automobilrennfahrer
25. Mai: Wera Wassiljewna Anissimowa, sowjetische Sprinterin
25. Mai: Philipp Graf Lerchenfeld, deutscher Politiker († 2017)
26. Mai: Ursula Arnold-Cramer, deutsche Politikerin
27. Mai: Hans Peter Stauch, deutscher Industriemeister und Politiker
28. Mai: Mahmud Dschibril, libyscher Politiker († 2020)
28. Mai: Heino Wiese, deutscher Politiker
29. Mai: Walter Landin, deutscher Schriftsteller († 2021)
29. Mai: Ekkehard Wenger, deutscher Wirtschaftswissenschaftler
30. Mai: Zoltán Kocsis, ungarischer Pianist und Dirigent († 2016)
30. Mai: Immanuel Ngatjizeko, namibischer Politiker († 2022)
30. Mai: Younus Shaikh, pakistanischer Arzt, Menschenrechts-Aktivist, Rationalist und Freidenker
31. Mai: Frank Ulrich Montgomery, deutscher Mediziner und Verbandsfunktionär
Juni
1. Juni: Johannes Lerle, deutscher Abtreibungsgegner und Theologe
1. Juni: Peter Thiesen, deutscher Pädagoge und Schriftsteller
1. Juni: Mindaugas Urbaitis, litauischer Komponist
2. Juni: Pete Farndon, britischer Rockmusiker († 1983)
2. Juni: Hildegard Krekel, deutsche Schauspielerin († 2013)
3. Juni: David Richards, britischer Motorsportfunktionär
3. Juni: Dominique Laffin, französische Schauspielerin († 1985)
4. Juni: Bronisław Komorowski, polnischer Politiker, Staatspräsident
4. Juni: Karl-Heinz Lambertz, belgischer Politiker
5. Juni: Helmuth Markov, deutscher Politiker
5. Juni: Nicko McBrain, englischer Musiker und Schlagzeugspieler der Gruppe Iron Maiden
5. Juni: Bernd Busemann, deutscher Politiker
6. Juni: Bernd Wehmeyer, deutscher Fußballspieler und -manager
6. Juni: Thomas Arndt, deutscher Ornithologe
7. Juni: Hubert Auriol, französischer Motocross- sowie Enduro-Rennfahrer († 2021)
7. Juni: Liam Neeson, irischer Schauspieler
7. Juni: Orhan Pamuk, türkischer Journalist und Schriftsteller
8. Juni: Peter Fischli, Schweizer Künstler
8. Juni: Paul Hildgartner, italienischer Rennrodler
8. Juni: Janusz Kowalski, polnischer Radrennfahrer
9. Juni: Elia Andrioletti, italienischer Endurosportler
9. Juni: Günter Hujara, deutscher Skisportfunktionär und Trainer
9. Juni: Carlos Perón, Schweizer Musiker
10. Juni: Bernd Stegmann, deutscher Kirchenmusiker
11. Juni: Doris Maletzki, deutsche Leichtathletin
11. Juni: Wolfgang Bosbach, deutscher Politiker
11. Juni: Anote Tong, Präsident von Kiribati
11. Juni: Bronisław Wildstein, polnischer Journalist und Schriftsteller
12. Juni: Spencer Abraham, US-amerikanischer Politiker
12. Juni: Jean-Pierre Audy, französischer Politiker
12. Juni: Wolfgang Bierstedt, deutscher Politiker und MdB
12. Juni: Cornelia Hanisch, deutsche Fechterin
13. Juni: Jonathan Feldman, US-amerikanischer Pianist und Musikpädagoge
13. Juni: Wilfried Kowarik, österreichischer Benediktiner und Historiker († 2018)
13. Juni: Angelo Moreschi, italienischer Bischof in Äthiopien († 2020)
15. Juni: Aina Kemanis, US-amerikanische Sängerin und Flötistin
16. Juni: Giorgos Andrea Papandreou, griechischer Politiker
16. Juni: Alexander Gennadijewitsch Saizew, russischer Eiskunstläufer
16. Juni: Jerry Hadley, US-amerikanischer Opernsänger († 2007)
17. Juni: Miguel Ángel Ayuso Guixot, spanischer Kurienbischof, Kardinal
17. Juni: Franz Böni, Schweizer Schriftsteller († 2023)
17. Juni: Sergio Marchionne, italienisch-kanadischer Manager († 2018)
17. Juni: Nikolaus Piper, deutscher Journalist
17. Juni: Matteo Thun, italienischer Architekt und Designer
18. Juni: Tiiu Aro, estnische Politikerin
18. Juni: Marcella Bella, italienische Sängerin
18. Juni: Idriss Déby, Staatspräsident des Tschad († 2021)
18. Juni: Isabella Rossellini, italienische Schauspielerin
18. Juni: Isotta Ingrid Rossellini, italienische Literaturwissenschaftlerin
18. Juni: John Carl Buechler, US-amerikanischer Filmregisseur und Schauspieler († 2019)
19. Juni: Robert William Ainsworth, britischer Politiker
19. Juni: Philippe Manoury, französischer Komponist
20. Juni: Valerio Evangelisti, italienischer Schriftsteller († 2022)
20. Juni: John Goodman, US-amerikanischer Schauspieler und Komiker
20. Juni: Mabel Rivera, spanische Schauspielerin
21. Juni: Luis Días, dominikanischer Rock- und Jazzmusiker († 2009)
21. Juni: Kadir Özcan, türkischer Fußballspieler und -trainer († 2013)
22. Juni: Graham Greene, kanadischer Schauspieler
23. Juni: Jürgen Schmieder, deutscher Politiker
23. Juni: Rita Maiburg, deutsche Pilotin, erster weiblicher Linienflugkapitän der Welt († 1977)
23. Juni: Peter Whiteside, britischer Moderner Fünfkämpfer († 2020)
25. Juni: Hans-Joachim Abel, deutscher Fußballspieler
25. Juni: Marieluise Beck, deutsche Politikerin
25. Juni: Péter Erdő, Erzbischof von Budapest und Kardinal
25. Juni: Oswaldo Frossasco, argentinischer Radsportler († 2022)
26. Juni: Enrico Ghezzi, italienischer Filmkritiker, Autor und Fernsehmoderator
26. Juni: Hansi Kraus, deutscher Schauspieler
26. Juni: Gordon McQueen, schottischer Fußball-Nationalspieler († 2023)
27. Juni: Verena Plangger, italienische Schauspielerin und Regisseurin
27. Juni: Rita Russek, deutsche Schauspielerin und Regisseurin
27. Juni: Paul Wellens, belgischer Radrennfahrer
28. Juni: Abdo Arbach, syrischer Geistlicher und Exarch von Argentinien
28. Juni: Pietro Mennea, italienischer Leichtathlet († 2013)
28. Juni: Alan Pasqua, US-amerikanischer Jazz- und Rockpianist
29. Juni: Frank Magnitz, deutscher Politiker
29. Juni: Klaus Ohlmann, deutscher Zahnarzt und Segelflieger
29. Juni: Hans-Werner Rhein, deutscher Versicherungsjurist
30. Juni: David Garrison, US-amerikanischer Schauspieler
30. Juni: Stefan Zauner, deutscher Musiker
Juli
1. Juli: David Arkenstone, US-amerikanischer Musiker und Komponist
1. Juli: Dan Aykroyd, kanadischer Filmschauspieler
1. Juli: Philippe Barakat, syrisch-katholischer Priester, Erzbischof von Homs († 2020)
1. Juli: Leon Ndugu Chancler, US-amerikanischer Schlagzeuger, Musikproduzent († 2018)
1. Juli: Peter Graham, tschechischer Komponist und Musikpädagoge
2. Juli: Ian Affleck, kanadischer theoretischer Physiker
2. Juli: Ahmed Ouyahia, algerischer Politiker
2. Juli: Norbert Hansen, deutscher Gewerkschafter
2. Juli: Jamey George Haddad, US-amerikanischer Schlagzeuger und Perkussionist
2. Juli: Joseph Vu Duy Thông, vietnamesischer katholischer Bischof († 2017)
3. Juli: Lena Andersson, schwedische Tischtennisspielerin und -trainerin
3. Juli: Laura Branigan, US-amerikanische Popsängerin († 2004)
3. Juli: Andy Fraser, britischer Musiker († 2015)
3. Juli: Hugo Moraga, chilenischer Cantautor
3. Juli: Klaus-Peter Wiedmann, deutscher Wirtschaftswissenschaftler
4. Juli: Álvaro Uribe Vélez, kolumbianischer Politiker und Präsident
5. Juli: Albert Fortell, österreichischer Schauspieler und Autor
5. Juli: Nicky Gebhard, deutscher Schlagzeuger und Musikpädagoge († 2021)
5. Juli: Adolphe Lechtenberg, deutscher Maler und Zeichner
5. Juli: Kitamura Sō, japanischer Dramatiker und Essayist
6. Juli: Hilary Mantel, britische Schriftstellerin († 2022)
6. Juli: Dimitris Reppas, griechischer Politiker
6. Juli: Ralph Richeson, US-amerikanischer Maler und Schauspieler († 2015)
6. Juli: Adi Shamir, israelischer Mathematiker und Kryptologe
7. Juli: James Hand, US-amerikanischer Country-Musiker († 2020)
7. Juli: Ulrich Potofski, deutscher Sportmoderator
7. Juli: Christina Voß, deutsche Handballspielerin
8. Juli: Ahmad Nazif, ägyptischer Premierminister
8. Juli: Ulrich Wehling, deutscher Skisportler
8. Juli: Alan Whitney Brown, US-amerikanischer Comedian
9. Juli: Rodney Boll, kanadischer Sportschütze († 2021)
9. Juli: François Diederich, luxemburgischer Chemiker († 2020)
9. Juli: Hans Jürgen Fahn, bayerischer Politiker (Freie Wähler)
9. Juli: David Macdonald, kanadischer Organist († 2003)
9. Juli: Bryan Saunders, kanadischer Sprinter († 2022)
10. Juli: Michael Schottenberg, österreichischer Schauspieler und Regisseur
10. Juli: Scott Adams, US-amerikanischer Programmierer, Computerspiel-Entwickler
10. Juli: Lee Hae-chan, südkoreanischer Politiker und Premierminister
11. Juli: Bill Barber, kanadischer Eishockeyspieler
11. Juli: Otto Hauser, deutscher Politiker und MdB
11. Juli: Raymond Voß, deutscher Musiker
12. Juli: Peter Marti, Schweizer Fußballspieler († 2023)
12. Juli: Liz Mitchell, jamaikanische Sängerin
12. Juli: Tomy Wigand, deutscher Regisseur
14. Juli: José Aristeu Vieira, brasilianischer Bischof
14. Juli: André De Wolf, belgischer Radrennfahrer
14. Juli: Joel Silver, US-amerikanischer Filmproduzent
15. Juli: Włodzimierz Kiniorski, polnischer Komponist, Jazz-Saxophonist und Multiinstrumentalist
15. Juli: Terry O’Quinn, US-amerikanischer Schauspieler
15. Juli: Pierluigi Pairetto, italienischer Fußballschiedsrichter
15. Juli: Marky Ramone, US-amerikanischer Schlagzeuger bei den Ramones
15. Juli: Johnny Thunders, New Yorker Punk-Musiker († 1991)
16. Juli: Stewart Copeland, US-amerikanischer Popstar
16. Juli: Brigitte Fronzek, deutsche Politikerin und Bürgermeisterin von Elmshorn († 2021)
16. Juli: Juliane Plambeck, deutsche Terroristin († 1980)
16. Juli: Gabriela Schimmer-Göresz, deutsche Politikerin (ÖDP)
17. Juli: Thomas Ahlström, schwedischer Fußballspieler
17. Juli: Donal Fox, US-amerikanischer Pianist und Komponist
17. Juli: David Hasselhoff, US-amerikanischer Sänger und Schauspieler
17. Juli: Renate Köcher, deutsche Meinungsforscherin
18. Juli: James Forbes, US-amerikanischer Basketballspieler und -trainer († 2022)
18. Juli: Klaus Moegling, deutscher Lehrer, Politikdidaktiker sowie Sportwissenschaftler
19. Juli: Harald Aumeier, deutscher Fußballspieler
19. Juli: Allen Larkin Collins, US-amerikanischer Musiker († 1990)
19. Juli: Winfried Hermann, deutscher Politiker (Bündnis 90/Die Grünen), Landesminister
19. Juli: Bonnie Johansen-Werner, US-amerikanische Komponistin und Musikpädagogin
19. Juli: Hans-Georg Panczak, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher
20. Juli: Frederik Kristensen, grönländischer Maler, Bildhauer, Musiker und Dichter († 2021)
21. Juli: Hannele Lauri, finnische Schauspielerin
21. Juli: Peter Schoenen, deutscher Lehrer, Schriftsteller und Sachbuchautor († 2014)
21. Juli: Nina Serbina, ukrainische Hochspringerin
21. Juli: Roberto Vencato, italienischer Regattasegler († 2022)
23. Juli: Leopoldo Billings, venezolanischer Komponist († 2010)
23. Juli: Peter Bleser, deutscher Politiker und MdB
23. Juli: Mark Weiser, US-amerikanischer Informatiker († 1999)
24. Juli: Mario Mettbach, deutscher Politiker
24. Juli: Gus Van Sant, US-amerikanischer Filmregisseur und Filmproduzent
25. Juli: Hans-Robert Metelmann, Kultusminister von Mecklenburg-Vorpommern
26. Juli: Heiner Brand, deutscher Handballspieler und -trainer
26. Juli: Stellan Bengtsson, schwedischer Tischtennisspieler
26. Juli: Mathias Schubert, deutscher Politiker († 2004)
27. Juli: Roxanne Hart, US-amerikanische Schauspielerin
27. Juli: Ellen Streidt, deutsche Leichtathletin und Olympionikin
28. Juli: Maha Vajiralongkorn, Rama X., König von Thailand
28. Juli: Cordt Schnibben, deutscher Journalist
28. Juli: Eva Wilms, deutsche Leichtathletin
29. Juli: Susanne Amatosero, deutsche Malerin, Theater- und Hörspielautorin und Regisseurin
29. Juli: Jürgen Gerner, deutscher Ingenieur, Maler und Grafiker
29. Juli: Wendy Hughes, australische Schauspielerin († 2014)
29. Juli: Joe Johnson, englischer Snookerspieler
29. Juli: Christa Nickels, deutsche Politikerin
29. Juli: Harold Robinson, US-amerikanischer Kontrabassist und Musikpädagoge
30. Juli: Renata Al-Ghoul, deutsche Wirtschaftsjuristinin, Künstlerin und Ölmalerin
30. Juli: Ilan Chester, venezolanischer Musiker und Sänger
31. Juli: Marlies Amann-Marxer, liechtensteinische Politikerin
31. Juli: Alejandro Víctor Washington Atchugarry Bonomi, uruguayischer Politiker († 2017)
31. Juli: Reinhard Goebel, deutscher Barockgeiger
31. Juli: Helmuts Balderis, lettischer Eishockeyspieler
Juli: Anne Anderson, irische Diplomatin
August
1. August: Zoran Đinđić, serbischer Politiker und Schriftsteller († 2003)
2. August: Alain Giresse, französischer Fußballspieler
2. August: Sebastiano Tusa, italienischer Archäologe und Politiker († 2019)
3. August: Osvaldo Ardiles, argentinischer Fußballspieler
3. August: Axel Schäfer, deutscher Politiker
3. August: Thomas Munkelt, deutscher Leichtathlet
3. August: Frank Schaeffer, US-amerikanischer Autor, Regisseur und Maler
3. August: Ihor Wosnjak, ukrainischer Geistlicher, Erzbischof von Lemberg
4. August: Moya Brennan, irische Sängerin
4. August: Daniel Bautista, mexikanischer Leichtathlet
4. August: Gábor Demszky, ungarischer Politiker
4. August: Franco Saudelli, italienischer Comiczeichner
4. August: Tadeusz Wojciechowski, Dirigent und Cellist
5. August: Hun Sen, kambodschanischer Politiker
6. August: Vito Angiuli, italienischer Bischof
6. August: Hans-Jörn Arp, deutscher Politiker
6. August: Christoph Biemann, deutscher Autor, Regisseur und Fernsehmoderator
6. August: Wojciech Fortuna, polnischer Skispringer und Olympiasieger
6. August: David McLetchie, britischer Politiker († 2013)
6. August: Vinnie Vincent, US-amerikanischer Gitarrist
7. August: Caroline Aaron, US-amerikanische Schauspielerin
7. August: Helga Lopez, deutsche Politikerin und MdB († 2022)
7. August: Karl Schweitzer, österreichischer Politiker
8. August: Brigitte Ahrenholz, deutsche Ruderin († 2018)
8. August: Anton Fig, US-amerikanischer Rock- und Jazzschlagzeuger
8. August: Norbert Glante, deutscher Politiker
8. August: Jostein Gaarder, norwegischer Schriftsteller
8. August: Jean-Claude Mermoud, Schweizer Politiker († 2011)
8. August: Carsten Peter Thiede, deutscher Historiker und Papyrologe († 2004)
9. August: Jürgen Gehb, deutscher Politiker
9. August: Hubert Haensel, deutscher Schriftsteller
9. August: Rui Jordão, portugiesischer Fußballspieler († 2019)
10. August: Dietmar Käbisch, deutscher Radsportler
10. August: Jerzy Pilch, polnischer Schriftsteller († 2020)
10. August: Diane Venora, US-amerikanische Schauspielerin
11. August: Tabea Blumenschein, deutsche Schauspielerin und Autorin († 2020)
11. August: Curt Cress, deutscher Schlagzeuger
12. August: Gerardo Amato, italienischer Schauspieler
12. August: Ingela Bruner, schwedisch-österreichische Wissenschaftlerin († 2014)
12. August: Chen Kaige, chinesischer Regisseur und Autor
12. August: Hans-Ulrich Treichel, deutscher Schriftsteller
12. August: Charlie Whiting, britischer Motorsportfunktionär († 2019)
13. August: Herb Ritts, US-amerikanischer Fotograf († 2002)
14. August: Joseph Atanga, kamerunischer Erzbischof
14. August: Christina Rost, deutsche Handballspielerin
14. August: Alex van Warmerdam, niederländischer Regisseur
15. August: Jirō Atsumi, japanischer Enka-Sänger
15. August: Barbara Imhof, deutsche Politikerin
15. August: Rudi Kargus, deutscher Fußballspieler
15. August: Bernard Lacombe, französischer Fußballspieler
15. August: Heinzpeter Moecke, deutscher Arzt, Manager und Publizist († 2015)
16. August: Isa Jank, deutsche Schauspielerin
16. August: Walter Olivera, uruguayischer Fußballspieler
16. August: Sonia Silvestre, dominikanische Sängerin († 2014)
16. August: Reginald VelJohnson, US-amerikanischer Schauspieler
17. August: Gary Armagnac, US-amerikanischer Schauspieler
17. August: Nelson Piquet, brasilianischer Formel-1-Rennfahrer
17. August: Heiner Goebbels, deutscher Komponist, Regisseur und Hörspielmacher
17. August: Walter Knofel, österreichischer Regisseur († 2018)
17. August: Guillermo Vilas, argentinischer Tennisspieler
17. August: Werner Stepanek, deutscher Pädagoge
18. August: Lowell Lyttleton Lewis, deutscher Politiker
18. August: Markus Meckel, deutscher Politiker und DDR-Außenminister
18. August: Wolfgang Niess, deutscher Historiker, Autor und Moderator
18. August: Patrick Swayze, US-amerikanischer Schauspieler († 2009)
18. August: Ricardo Julio „Ricky“ Villa, argentinischer Fußballspieler
19. August: Jonathan Frakes, US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur
19. August: Gabriela Grillo, deutsche Unternehmerin und Dressurreiterin
19. August: Bodo Hombach, deutscher Politiker
19. August: David Munyon, US-amerikanischer Singer-Songwriter und Gitarrist
19. August: Alexei Nikolajewitsch Rudoi, russischer Geograph († 2018)
20. August: John Hiatt, US-amerikanischer Country-Sänger und Songwriter
21. August: Joe Strummer, englischer Punk-Musiker († 2002)
21. August: Jiří Paroubek, tschechischer Politiker
21. August: Tor Wennesland, norwegischer Diplomat
22. August: Hans Otfried Dittmer, deutscher Schriftsteller und Verleger († 2018)
22. August: George Ferguson, kanadischer Eishockeyspieler († 2019)
22. August: Klaus Gruner, deutscher Handballspieler
22. August: Walerij Pidluschnyj, sowjetischer Weitspringer († 2021)
22. August: Santiago Santamaría, argentinischer Fußballspieler († 2013)
22. August: Michael Sziedat, deutscher Fußballspieler
23. August: Stephan Articus, deutscher Soziologe
23. August: Terry Austin, US-amerikanischer Comiczeichner
23. August: Kirby Dick, US-amerikanischer Filmregisseur, Filmproduzent und Drehbuchautor
23. August: Bernd Protzner, deutscher Politiker, Generalsekretär der CSU († 2018)
23. August: Santillana, spanischer Fußballspieler
23. August: Klaus-Dietrich Flade, deutscher Astronaut
24. August: Raymond Asquith, britischer Diplomat und Politiker
24. August: Ian Grob, britischer Automobilrennfahrer
24. August: Linton Kwesi Johnson, englischer Dichter und Reggae-Musiker
24. August: Udo Pastörs, deutscher Politiker
24. August: Rubén Tierrablanca González, mexikanischer Ordenspriester und Bischof († 2020)
24. August: Billy Ward, US-amerikanischer Jazzschlagzeuger
25. August: Geoff Downes, britischer Rockmusiker
26. August: Michael Jeter, US-amerikanischer Schauspieler († 2003)
26. August: Peter Wolf, austroamerikanischer Produzent und Komponist
27. August: Karl Adamek, deutscher Musiksoziologe
27. August: Daniel Astegiano, argentinischer Fußballspieler
27. August: Karel De Wolf, belgischer Komponist und Dirigent († 2011)
27. August: Undine Gruenter, deutsche Schriftstellerin († 2002)
27. August: Matthias Raue, deutscher Komponist und Musiker
27. August: Paul Reubens, US-amerikanischer Schauspieler und Designer († 2023)
28. August: Rita Dove, US-amerikanische Dichterin und Schriftstellerin
28. August: Eduardo Fernández, uruguayischer Gitarrist
28. August: Wendelin Wiedeking, Vorstandsvorsitzender Volkswagen AG und Porsche AG
29. August: Sanny Åslund, schwedischer Fußballspieler, -trainer und -manager
29. August: Michael Wessing, deutscher Leichtathlet († 2019)
30. August: Hans-Werner Ehrenberg, deutscher Lehrer und Politiker
30. August: Wojciech Fibak, polnischer Tennisspieler
31. August: Herbert Reul, deutscher Europaabgeordneter
31. August: Kim Kashkashian, US-amerikanische Bratschistin
31. August: Lee Hyla, US-amerikanischer Komponist († 2014)
September
1. September: Ed Neumeister, US-amerikanischer Jazzposaunist
1. September: Clemente Rojas, kolumbianischer Boxer
2. September: Jimmy Connors, US-amerikanischer Tennisspieler
3. September: François Emmanuel, belgischer Schriftsteller, Psychiater und Psychoanalytiker
3. September: Kurt Gartlehner, österreichischer Politiker
4. September: Rishi Kapoor, indischer Schauspieler († 2020)
4. September: Evelyn Roll, deutsche Journalistin und Publizistin
5. September: Ricky Fataar, südafrikanischer Schlagzeuger
6. September: Dominik Graf, deutscher Film- und Fernsehregisseur
6. September: Alfred Klink, deutscher Koch
6. September: Bernd Römer, deutscher Gitarrist, Band Karat
7. September: Ricardo Tormo, spanischer Motorradrennfahrer († 1998)
8. September: Ioanna Karystiani, griechische Schriftstellerin
8. September: Udo Schnelle, deutscher evangelischer Theologe
9. September: Marie-Daniel Dadiet, ivorischer römisch-katholischer Erzbischof († 2023)
9. September: Manuel Göttsching, deutscher Elektronik-Musiker und Komponist († 2022)
9. September: Phil Palmer, englischer Sessiongitarrist
9. September: Bi Skaarup, dänische Historikerin († 2014)
9. September: Luzi Stamm, Schweizer Politiker
9. September: José María de la Torre Martín, mexikanischer römisch-katholischer Bischof († 2020)
10. September: Wolfgang Aßbrock, deutscher Politiker († 2007)
10. September: Gregor Eichele, Schweizer Chemiker und Molekularbiologe
10. September: Bruno Giacomelli, italienischer Formel-1-Rennfahrer
10. September: Werner Hug, Schweizer Schachmeister
10. September: Margitta Pufe, deutsche Leichtathletin
11. September: Klaus-Peter Hildenbrand, deutscher Leichtathlet
12. September: Neil Peart, Texter und Schlagzeuger der Rockband Rush († 2020)
12. September: Selimchan Abdumuslimowitsch Jandarbijew, tschetschenischer Dichter und Separatistenführer († 2004)
13. September: Johanna Schaller, später Johanna Klier, deutsche Leichtathletin und Olympiasiegerin
13. September: Don Was, US-amerikanischer Musiker und Plattenproduzent
14. September: Martyn Burke, kanadischer Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur
14. September: Margit Schumann, deutsche Rennrodlerin († 2017)
14. September: William Taylor, britischer Boxer († 2022)
16. September: Fatos Nano, albanischer Premierminister
16. September: Gernot Grumbach, deutscher Politiker
16. September: Mickey Rourke, US-amerikanischer Schauspieler
17. September: Barbara Engel, deutsche Reality-TV-Darstellerin
17. September: Milan Šašik, ukrainischer Bischof († 2020)
17. September: Harold Solomon, US-amerikanischer Tennisspieler
17. September: Norbert Walter-Borjans, deutscher Politiker
18. September: John Ruocco, US-amerikanischer Jazzklarinettist und -saxophonist
18. September: Heinz Seiffert, deutscher Politiker, MdB
19. September: Holger Biege, deutscher Komponist, Sänger, Pianist, Arrangeur und Texter († 2018)
19. September: Bernard de Dryver, belgischer Automobilrennfahrer
19. September: Nile Rodgers, US-amerikanischer Musiker und Musikproduzent
19. September: Marina Ruperti, deutsche Fernsehjournalistin
19. September: Elfi Scho-Antwerpes, deutsche Politikerin
20. September: Gabriele Badorek, deutsche Handballspielerin
20. September: Grażyna Rabsztyn, polnische Leichtathletin und mehrfache Weltrekordinhaberin
21. September: Claus Dittbrenner, deutscher Politiker († 2013)
21. September: Anneliese Michel, deutsche Katholikin, starb nach Exorzismus († 1976)
22. September: Jürgen Jürgens, deutscher Radiomoderator († 2018)
22. September: Lutz Rathenow, deutscher Lyriker und Prosaautor
24. September: Annegret Kroniger, deutsche Leichtathletin
24. September: Sepp Zeilbauer, österreichischer Leichtathlet, Zehnkämpfer
25. September: Colin Friels, australischer Schauspieler
25. September: Christopher Reeve, US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur († 2004)
28. September: Sylvia Kristel, niederländische Schauspielerin († 2012)
28. September: Lenny Solomon, kanadischer Jazzgeiger, Arrangeur und Komponist
29. September: Lonzo, deutscher Musiker († 2001)
29. September: Ross Daly, Weltmusiker und Multiinstrumentalist irischer Herkunft
29. September: Monika Zehrt, Leichtathletin der DDR
30. September: Glenn Leslie Aitken, englischer Fußballspieler
30. September: Margit Conrad, deutsche Politikerin
30. September: Jürgen Glowacz, deutscher Fußballspieler
30. September: Philippe Laguérie, französischer katholischer Priester
30. September: Al Leong, US-amerikanischer Schauspieler und Stuntman
Oktober
1. Oktober: Olga Minejewa, russische Leichtathletin und Olympionikin
2. Oktober: Matthias Brand, deutscher Schriftsteller
2. Oktober: Saleemul Huq, bangladeschischer Klimawissenschaftler († 2023)
3. Oktober: Wolfgang Burger, deutscher Kriminalschriftsteller
3. Oktober: Neil Gehrels, US-amerikanischer Astronom († 2017)
3. Oktober: Randy Tate, US-amerikanischer Baseballspieler († 2021)
5. Oktober: Regine Aeppli Wartmann, Schweizer Politikerin
5. Oktober: Clive Barker, britischer Schriftsteller und Regisseur
5. Oktober: Imran Khan, pakistanischer Cricketspieler und Politiker
5. Oktober: David Lebón, argentinischer Rockmusiker
5. Oktober: Wladimir Newsorow, sowjetisch-russischer Judoka und Olympiasieger
5. Oktober: Hermes Phettberg, österreichischer Künstler, Schauspieler, Autor und Talkmaster
5. Oktober: Emomalij Rahmon, tadschikischer Staatspräsident
6. Oktober: Matthew Sweeney, irischer Schriftsteller († 2018)
7. Oktober: Mary Badham, US-amerikanische Schauspielerin
7. Oktober: Don Edward Machholz, US-amerikanischer Amateurastronom († 2022)
7. Oktober: Wladimir Putin, russischer Präsident
7. Oktober: Neithardt Riedel, deutscher Schauspieler und Drehbuchautor
8. Oktober: Manfred Hinz, deutscher Romanist
9. Oktober: Philipp Meikl, österreichischer Sänger und Musikant
9. Oktober: Dennis Stratton, britischer Musiker
10. Oktober: Siegfried Stohr, italienischer Automobilrennfahrer
11. Oktober: Jim Kahr, US-amerikanischer Gitarrist und Sänger
11. Oktober: Angelika Mertens, deutsche Politikerin († 2019)
11. Oktober: Hartmut Schreier, deutscher Schauspieler
12. Oktober: Danielle Proulx, kanadische Schauspielerin
13. Oktober: Michael R. Clifford, US-amerikanischer Astronaut († 2021)
13. Oktober: Helmut F. Kaplan, österreichischer Schriftsteller, Philosoph, Ethiker
13. Oktober: John Lone, chinesisch-amerikanischer Schauspieler
13. Oktober: Elisabeth Motschmann, deutsche Politikerin
13. Oktober: Henry Padovani, französischer Gitarrist
14. Oktober: Harry Anderson, US-amerikanischer Schauspieler († 2018)
14. Oktober: Nikolai Andrianow, sowjetischer Kunstturner († 2011)
14. Oktober: Rick Aviles, US-amerikanischer Stand-up-Comedian und Schauspieler († 1995)
14. Oktober: Margriet Eshuys, niederländische Popsängerin († 2022)
14. Oktober: Kaija Saariaho, finnische Komponistin († 2023)
14. Oktober: Peach Weber, Schweizer Kabarettist und Komiker
15. Oktober: Manuel Jiménez, dominikanischer Sänger und Komponist
16. Oktober: Ray Anderson, US-amerikanischer Jazzposaunist
18. Oktober: Haya Raschid Al Chalifa, bahrainische Juristin und Diplomatin
19. Oktober: Marie-Christine Arnautu, französische Politikerin
19. Oktober: Perico Fernández, spanischer Boxer († 2016)
19. Oktober: Virginio Ferrari, italienischer Motorradrennfahrer
19. Oktober: Heike Wilms-Kegel, deutsche Politikerin
19. Oktober: Edo Zanki, deutscher Musiker und Produzent († 2019)
20. Oktober: Linus Okok Okwach, kenianischer Bischof († 2020)
20. Oktober: Ed Fagan, US-amerikanischer Anwalt
21. Oktober: Mehdi Charef, algerischer Schriftsteller, Filmregisseur und Bühnenautor
21. Oktober: Brent Mydland, Keyboarder bei Grateful Dead († 1990)
22. Oktober: Jeff Goldblum, US-amerikanischer Schauspieler
22. Oktober: Yoshiki Tanaka, japanischer Schriftsteller
23. Oktober: Pierre Moerlen, französischer Schlagzeuger und Komponist († 2005)
23. Oktober: Bengt Nilsson (Radsportler), schwedischer Radrennfahrer
23. Oktober: Heimo Schwilk, deutscher Journalist und Autor
24. Oktober: Rafael Caro Quintero, mexikanischer Drogenhändler
24. Oktober: Tania Libertad, peruanisch-mexikanische Sängerin
24. Oktober: David Weber, US-amerikanischer Science-Fiction- und Fantasyautor
25. Oktober: Martin Heller, Schweizer Kulturunternehmer, Kurator und Autor († 2021)
26. Oktober: Solveig Fiske, norwegische Bischöfin
26. Oktober: William Wright, australischer römisch-katholischer Bischof († 2021)
27. Oktober: Anthony Arndt, deutscher Schauspieler, Moderator und Radrennfahrer
27. Oktober: Roberto Benigni, italienischer Regisseur und Schauspieler
27. Oktober: Francis Fukuyama, US-amerikanischer Politologe
27. Oktober: Horst-Dieter Krasshöfer, deutscher Jurist
27. Oktober: Serge Saulnier, französischer Automobilrennfahrer, Rennstallbesitzer und Motorsportfunktionär
28. Oktober: Tuck Andress, US-amerikanischer Jazz-Gitarrist
28. Oktober: Jörgen Augustsson, schwedischer Fußballspieler
29. Oktober: Peter Bond, deutscher Schauspieler und Fernsehmoderator polnischer Herkunft
29. Oktober: Marcia Fudge, US-amerikanische Politikerin
29. Oktober: Ida Kavafian, US-amerikanische Geigerin, Bratschistin und Musikpädagogin
30. Oktober: Arnold Karibone Amet, papua-neuguineischer Jurist und Politiker
30. Oktober: Patrick Pugliese, kanadischer Wasserballspieler († 2020)
30. Oktober: Hans-Joachim Otto, deutscher Politiker
31. Oktober: Andrea Breth, deutsche Theaterregisseurin
31. Oktober: Kim Fripp, kanadischer Skispringer († 2023)
31. Oktober: Franz-Josef Tenhagen, deutscher Fußballspieler und -trainer
November
1. November: Ali-Reza Asgari, iranischer Politiker und Offizier
2. November: Hanery Amman, Schweizer Musiker († 2017)
2. November: David Andrews, US-amerikanischer Schauspieler
2. November: Larry Fink, US-amerikanischer Unternehmer
2. November: Maxine Nightingale, britische Disco- und Soulsängerin
2. November: Jean-Remy von Matt, Schweizer Unternehmer und Werbetexter
3. November: Roseanne Barr, US-amerikanische Schauspielerin
3. November: Jim Cummings, US-amerikanischer Synchronsprecher
4. November: Robin Lautenbach, deutscher Fernsehjournalist
4. November: Tawadros II., Patriarch von Alexandrien und Papst der Kopten
5. November: Oleh Blochin, ukrainischer Fußballspieler
5. November: Vandana Shiva, indische Philosophin, Ökologin, Bürgerrechtlerin und Feministin
6. November: Michael Cunningham, US-amerikanischer Romanautor
7. November: Modibo Sidibé, malaiischer Politiker
8. November: John Denny, US-amerikanischer Baseballspieler
8. November: Christie Hefner, US-amerikanische Unternehmerin
8. November: Jan Raas, niederländischer Radrennfahrer
9. November: Andreas Aigmüller, deutsch-österreichischer Musiker und Komponist
9. November: Peter Hahne, deutscher Fernsehmoderator
10. November: Vesna Acevska, mazedonische Dichterin, Autorin und Übersetzerin
10. November: Fernando Allende, mexikanischer Schauspieler und Sänger
10. November: Marco Arnolfo, italienischer Erzbischof
11. November: Lothar Angermund, deutscher Fußballspieler
11. November: Christopher Loeak, Präsident der Marshallinseln
11. November: Mohan Patel, neuseeländischer Hockeyspieler
11. November: Gertrude Tumpel-Gugerell, österreichische Bankdirektorin
12. November: Dietrich Grönemeyer, deutscher Arzt und Mitbegründer der Mikrotherapie
12. November: Mary Honeyball, deutsche Europaabgeordnete
12. November: Ernie Fletcher, Gouverneur von Kentucky
12. November: Ján Kubiš, slowakischer Diplomat und OSZE-Generalsekretär
12. November: Thomas Lengauer, deutscher Informatiker
13. November: Stuart Cornfeld, US-amerikanischer Filmproduzent († 2020)
13. November: Hans Heiss, italienischer Historiker und Archivar sowie Südtiroler Politiker
13. November: Bjambasürengiin Scharaw, mongolischer Komponist († 2019)
14. November: Metin Kaplan, selbsternannter „Kalif von Köln“
14. November: Maria Kliegel, deutsche Cellistin
14. November: Pascal Pessiot, französischer Automobilrennfahrer und Unternehmer
14. November: Manfred Schmid, deutscher Jurist
15. November: Rolf Arnold, deutscher Pädagoge
15. November: Dieter R. Fuchs, deutscher Wissenschaftler und Schriftsteller
15. November: Antonella Ruggiero, italienische Sängerin
15. November: Randy Savage, US-amerikanischer Wrestler († 2011)
16. November: Karl-Heinz Ach, deutscher Fußballspieler und -trainer
16. November: Lawrence Rush Atkinson IV., US-amerikanischer Journalist, Militärhistoriker und Sachbuchautor
16. November: Diepreye Alamieyeseigha, nigerianischer Politiker († 2015)
16. November: Lauren Newton, US-amerikanische Sängerin und Komponistin
16. November: Jean Salem, französischer Philosoph († 2018)
16. November: Klaus Zeh, deutscher Politiker
16. November: Shigeru Miyamoto, Hauptmanager der japanischen Videospielefirma Nintendo
17. November: Ernst-Michael von Abercron, deutscher Politiker
17. November: Christopher Butterfield, kanadischer Komponist, Musikpädagoge, Performancekünstler und Rockgitarrist
17. November: Hubert von Goisern, österreichischer Musiker
17. November: Ties Kruize, niederländischer Hockeyspieler
17. November; Miroslava Němcová, tschechische Politikerin
17. November: Cyril Ramaphosa, südafrikanischer Politiker
17. November: Marion Tietz, deutsche Handballspielerin
18. November: Frank Köllges, deutscher Jazz-Perkussionist, Komponist und Performancekünstler († 2012)
18. November: Harald Konopka, deutscher Fußballspieler
18. November: Willi Frommelt, liechtensteinischer Skisportler
18. November: Karl-Georg Wellmann, deutscher Politiker (CDU) und MdB
18. November: Paul Wengert, Oberbürgermeister der Stadt Augsburg
20. November: Hans Jürgen Noss, deutscher Politiker
20. November: Wolfgang Kneib, deutscher Fußballspieler
20. November: Elfi Graf, österreichische Schlagersängerin
21. November: Pietro Ghedin, italienischer Fußballspieler und -trainer
21. November: Cornelius Littmann, deutscher LGBT-Aktivist
21. November: Eimuntas Nekrošius, litauischer Regisseur († 2018)
23. November: Josip Turčik, jugoslawischer Fußballspieler
23. November: Corinna Werwigk-Hertneck, deutsche Politikerin († 2023)
24. November: Norbert Haug, deutscher Journalist und Motorsport-Chef von Daimler-Chrysler
24. November: Ilja Richter, deutscher Schauspieler und Fernsehmoderator
24. November: Rachel Chagall, US-amerikanische Schauspielerin
25. November: Daniel Marco Kur Adwok, sudanesischer Weihbischof
25. November: Stanisław Krupowicz, polnischer Komponist und Musikpädagoge
25. November: Gabriele Oriali, italienischer Fußballspieler
26. November: Eva Brunner, schweizerische Autorin und Übersetzerin
26. November: Richard Carrión, puerto-ricanischer Finanzmanager und Sportfunktionär
26. November: Jan Philipp Reemtsma, deutscher Literaturwissenschaftler, Essayist
26. November: Wendy Turnbull, australische Tennisspielerin
27. November: Wilhelm-Albrecht Achilles, deutscher Jurist und Richter am Bundesgerichtshof
27. November: Michele Barra, Schweizer Politiker († 2013)
27. November: Klaus-Michael Körner, deutscher Politiker († 2022)
27. November: Daryl Stuermer, US-amerikanischer Rockmusiker
27. November: Axel Viehweger, Minister für Bauwesen und Städtebau der DDR
28. November: Rolf Oesterreich, deutscher Eiskunstläufer
28. November: Pat Cox, Präsident des Europäischen Parlaments
29. November: John D. Barrow, britischer Physiker und Mathematiker († 2020)
29. November: Erzsébet Wolf, ungarische Badmintonspielerin
29. November: Tom Wright, US-amerikanischer Schauspieler und Stuntman
30. November: Chris Joris, belgischer Jazzmusiker (Perkussion, Piano) und -komponist
30. November: Christine Price, ehemalige britische Mittel- und Langstreckenläuferin
Dezember
1. Dezember: Franz Wiese, deutscher Unternehmer und Politiker († 2021)
2. Dezember: Andreas Mölzer, österreichischer Politiker und Publizist
2. Dezember: Klaus F. Zimmermann, deutscher Ökonom
3. Dezember: Bruno Jonas, deutscher Kabarettist
4. Dezember: Heinz Strobl, österreichischer Komponist und Musiker
5. Dezember: Günther Förg, deutscher Künstler († 2013)
5. Dezember: Michaela Pilters, deutsche Journalistin
5. Dezember: Walter Sittler, deutscher Schauspieler
5. Dezember: Georg Schuchter, österreichischer Schauspieler († 2001)
5. Dezember: David Tomassoni, US-amerikanisch-italienischer Eishockeyspieler und Politiker († 2022)
6. Dezember: Christian Kulik, deutscher Fußballspieler
7. Dezember: Paco Romero, spanischer Automobilrennfahrer
8. Dezember: Heinz Prokop, deutscher Handballtrainer und Handballspieler
9. Dezember: Michael Dorn, US-amerikanischer Schauspieler
9. Dezember: Robert Winley, US-amerikanischer Schauspieler († 2001)
10. Dezember: Julianne Baird, US-amerikanische Sopranistin und Fachautorin
10. Dezember: Herbert Bastian, deutscher Schachlehrer, Internationaler Meister
10. Dezember: Bernd Jakubowski, deutscher Fußballtorhüter († 2007)
11. Dezember: Josef Bläser, deutscher Fußballspieler
11. Dezember: Andrea De Carlo, italienischer Schriftsteller
11. Dezember: Thomas Gumpert, deutscher Schauspieler († 2021)
11. Dezember: Susan Seidelman, US-amerikanische Filmregisseurin
12. Dezember: Päivi Aulikki Aaltonen, finnische Bogenschützin
12. Dezember: Sarah Douglas, britische Schauspielerin
12. Dezember: Helen Dunmore, britische Schriftstellerin († 2017)
12. Dezember: Pankraz Freitag, Schweizer Politiker († 2013)
12. Dezember: Frank Schwalba-Hoth, deutscher Politiker
13. Dezember: Jean Rouaud, französischer Schriftsteller
14. Dezember: Tamara Danz, deutsche Sängerin († 1996)
14. Dezember: John Lurie, US-amerikanischer Komponist, Musiker, Schauspieler
15. Dezember: Lee Aronsohn, US-amerikanischer Fernsehproduzent und -drehbuchautor
15. Dezember: Robert Jarowoy, deutscher Autor und Politiker († 2020)
15. Dezember: Allan Simonsen, dänischer Fußballspieler
16. Dezember: Manuel Barrueco, kubanischer Gitarrist
16. Dezember: Alex Fergusson, schottischer Gitarrist und Musikproduzent
16. Dezember: Francesco Graziani, italienischer Fußballspieler
16. Dezember: Jon Laukvik, norwegischer Organist und Musikprofessor
17. Dezember: Charlotte Schwab, Schweizer Schauspielerin
17. Dezember: Ed Starink, niederländischer Studiomusiker, Komponist, Arrangeur und Musikproduzent
18. Dezember: Irja Askola, finnische Bischöfin
18. Dezember: Hans Hurch, österreichischer Filmjournalist und Kulturmanager († 2017)
18. Dezember: Phil Shoenfelt, britischer Sänger, Songwriter
18. Dezember: Bettina Rheims, französische Fotografin
18. Dezember: Krystyna Janda, polnische Schauspielerin
19. Dezember: Paul-Siméon Ahouanan Djro, ivorischer Priester und Erzbischof
19. Dezember: Peter Stephan Jungk, US-amerikanischer deutschsprachiger Schriftsteller
20. Dezember: Jenny Agutter, britische Schauspielerin
20. Dezember: Lena Strothmann, deutsche Politikerin
20. Dezember: Ray Bumatai, US-amerikanischer Schauspieler, Komödiant und Musiker († 2005)
20. Dezember: Frederick Schipizky, kanadischer Kontrabassist und Komponist
21. Dezember: Hani Shaker, ägyptischer Schauspieler und Sänger
22. Dezember: Uri Yehuda Ariel, israelischer Politiker
22. Dezember: Jochen Wiedemann, deutscher Wissenschaftler
22. Dezember: Sandra Kalniete, lettische EU-Kommissarin
23. Dezember: William Kristol, US-amerikanischer politischer Kommentator und Kolumnist
23. Dezember: Andreas Martin, deutscher Schlagersänger
24. Dezember: Lorne Calvert, kanadischer Politiker
24. Dezember: Helmut Schüller, österreichischer katholischer Priester
25. Dezember: Christine Lehder, deutsche Politikerin
25. Dezember: Desireless, französische Sängerin
25. Dezember: Youssouf Ouédraogo, Premierminister von Burkina Faso († 2017)
26. Dezember: Alexander Ankwab, abchasischer Premierminister
26. Dezember: André-Michel Schub, US-amerikanischer Pianist und Musikpädagoge
26. Dezember: Riki Sorsa, finnischer Pop- und Rocksänger († 2016)
27. Dezember: Ainsley Edward Armstrong, Sprinter aus Trinidad und Tobago
27. Dezember: Bob Flanagan, US-amerikanischer Schriftsteller und Künstler († 1996)
27. Dezember: Herman Jeurissen, niederländischer Hornist
27. Dezember: Gerlinde Kaupa, deutsche Politikerin
27. Dezember: David Knopfler, schottischer Musiker (Dire Straits)
27. Dezember: Raimund Krauth, deutscher Fußballspieler († 2012)
28. Dezember: Arun Jaitley, indischer Politiker († 2019)
29. Dezember: Joe Lovano, US-amerikanischer Jazzmusiker
30. Dezember: June Anderson, US-amerikanische Opernsängerin
30. Dezember: Hans-Lothar Bock, deutscher Handballspieler
30. Dezember: Woody Mann, US-amerikanischer Gitarrist († 2022)
30. Dezember: Gerd Schädlich, deutscher Fußballtrainer und Fußballspieler († 2022)
31. Dezember: Thomas Bopp, baden-württembergischer Politiker
31. Dezember: Lawrence Fritts, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge
31. Dezember: Vaughan F. R. Jones, neuseeländischer Mathematiker († 2020)
31. Dezember: Jean-Pierre Rives, französischer Rugby-Union-Spieler und Bildhauer
31. Dezember: Wolfgang Welt, deutscher Schriftsteller († 2016)
Tag unbekannt
Youssouf Saleh Abbas, tschadischer Politiker
Mustafa Muhammad Abd al-Dschalil, libyscher Politiker
Fulvio Accialini, italienischer Filmwirkender
Bernd Ahlert, deutscher Gitarrist, Hochschullehrer und Gitarrenbauer
Ahn Sang-soo, südkoreanischer Grafikdesigner und Typograf
Wolfgang Aichinger, österreichischer Cellist
Hamad bin Chalifa bin Hamad bin Abdullah bin Jassim bin Muhammed Al Thani, Emir von Katar
Mohammed Al-Fassi, saudi-arabisch-marokkanischer Geschäftsmann († 2002)
Dan Allender, US-amerikanischer Psychologe, Therapeut, Autor und Referent
Christine Amor, australische Schauspielerin
Craig A. Anderson, US-amerikanischer Psychologe
Walt Anderson, US-amerikanischer Zahnarzt und American-Football-Schiedsrichter
Dörte Andres, deutsche Dolmetschwissenschaftlerin
Kurt App, deutscher Objektkünstler
Malcolm Archer, britischer Organist, Chorleiter und Komponist
Atsuo Asami, japanischer Amateurastronom und Asteroidenentdecker
William Aspray, US-amerikanischer Wissenschaftshistoriker
Carlos Atilano, venezolanischer Komponist und Gitarrist
Caroline Atkinson, US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin und Journalistin
Scott Atran, US-amerikanischer Anthropologe
Pascal Attinger, schweizerischer Altorientalist
Dimos Avdeliodis, griechischer Regisseur und Schauspieler
Vishwa Mohan Bhatt, indischer Gitarrist
Karl Braun, deutscher Ethnologe
Michael Brook, kanadischer Musiker, Gitarrist und Musikproduzent
Klaus vom Bruch, deutscher Medienkünstler
Philip Carr-Gomm, englischer Psychologe und Druide
Maria Berica Dalla Vecchia, italienische Tänzerin, Choreographin und Musikpädagogin
Susanne Fischer-Rizzi, deutsche Heilpraktikerin, Phytotherapeutin und Autorin
Benedict Freitag, Schweizer Theater- und Filmschauspieler
Manfred Gey, deutscher Mathematiker
Perry Goldstein, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge
Ali Gomaa, ägyptischer Großmufti
Thomas Goritzki, deutscher Schauspieler und Regisseur
Henry Gwiazda, US-amerikanischer Komponist
Werner Hagen, deutscher Musiker
Michel Jarraud, französischer Meteorologe
Gernot Krää, deutscher Filmregisseur und freier Autor
Lothar Kurzawa, deutscher Drehbuchautor und Filmproduzent
Frank Lloyd, britischer Hornist
Michael Loceff, US-amerikanischer Informatiker, Produzent und Drehbuchautor
Thomas Lubowski, deutscher Journalist
Hugh Lupton, englischer Storyteller und Autor
Luo Baoming, chinesischer Politiker
Samuel Magrill, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge
Susanne Mahlmeister, deutsche Malerin, Fotografin und Bildhauerin († 2000)
Nele Moost, deutsche Autorin
Linsey Pollak, australischer Musiker und Instrumentenbauer
Gabriele Quandt-Langenscheidt, deutsche Unternehmerin
Wang Sanyun, chinesischer Politiker
Wolfgang Schröder (Radsportler), deutscher Radrennfahrer
James Signorile, US-amerikanischer Komponist
Stephanie Sloan, kanadische Freestyle-Skierin
Ernst Stötzner, deutscher Schauspieler und Regisseur
Serhij Swjattschenko ukrainischer Künstler
Katerina Vatsella, Kunsthistorikerin und Kuratorin
Udo Witte, deutscher Regisseur
Manfredo Zimmermann, argentinischer Flötist und Hochschullehrer
Paula Zsidi, ungarische Archäologin und Museologin
Gestorben
Januar
3. Januar: Luigi Stefano Giarda, italienischer Komponist, Cellist und Musikpädagoge (* 1868)
6. Januar: Alfred Meebold, deutscher Botaniker, Schriftsteller und Anthroposoph (* 1863)
6. Januar: Hermann Stopperich, deutscher Politiker (* 1895)
8. Januar: Antonia Maury, Astronomin (* 1866)
9. Januar: Paul Außerleitner, österreichischer Skispringer (* 1925)
9. Januar: Antonie Straßmann, deutsche Sport- und Zeppelinfliegerin (* 1901)
10. Januar: Honoré Jackson, kanadischer Journalist (* 1861)
11. Januar: Jean de Lattre de Tassigny, französischer General (* 1889)
14. Januar: Artur Kapp, estnischer Komponist (* 1878)
15. Januar: Samuel M. Shortridge, US-amerikanischer Politiker (* 1861)
17. Januar: Paul Langhans, deutscher Geograph und Kartograph (* 1867)
18. Januar: Curly Howard, US-amerikanischer Komiker (* 1903)
19. Januar: Wilhelm Schäfer, deutscher Schriftsteller (* 1868)
20. Januar: Arthur Farwell, US-amerikanischer Komponist (* 1872)
20. Januar: Pat Morris Neff, US-amerikanischer Politiker (* 1871)
22. Januar: Alexander Behm, deutscher Physiker (* 1880)
22. Januar: Karl Glässing, Oberbürgermeister von Wiesbaden, Oberfinanzpräsident in Darmstadt (* 1866)
22. Januar: Robert Porter Patterson, US-amerikanischer Politiker (* 1891)
22. Januar: Albert von Thurn und Taxis, deutscher Adeliger (* 1867)
22. Januar: Roger Vitrac, französischer Dramatiker und Surrealist (* 1899)
25. Januar: Sveinn Björnsson, erster Präsident von Island (* 1881)
26. Januar: Chorloogiin Tschoibalsan, mongolischer kommunistischer Politiker (* 1895)
28. Januar: Thomas Hicks, US-amerikanischer Marathonläufer, Olympiasieger (* 1876)
30. Januar: Alfred Thon, deutscher Maler, Zeichner und Kunstpädagoge (* 1886)
31. Januar: Georg Kohl, deutscher Politiker (* 1881)
31. Januar: Pedro Prado, chilenischer Schriftsteller (* 1886)
Februar
2. Februar: Emma Meyn, deutsche Malerin (* 1875)
3. Februar: Kambara Ariake, japanischer Schriftsteller (* 1876)
5. Februar: Elisabeth von Plotho, Vorbild für Theodor Fontanes Effi Briest (* 1853)
5. Februar: Adela Verne, englische Komponistin, Pianistin und Musikpädagogin (* 1877)
6. Februar: Lipót Aschner, ungarischer Industrieller (* 1872)
6. Februar: Georg VI., König von Großbritannien und Nordirland (* 1895)
7. Februar: Rudolf Hans Bartsch, österreichischer Schriftsteller (* 1873)
7. Februar: Pete Henry, US-amerikanischer American-Football-Spieler und -Trainer (* 1897)
9. Februar: Peter Nonnenmühlen, Kommunalpolitiker und Bürgermeister in Mönchengladbach (* 1868)
10. Februar: Macedonio Fernández, argentinischer Schriftsteller (* 1874)
11. Februar: Alfred Liebig, deutscher Architekt (* 1878)
12. Februar: Ernst Zahn, Schweizer Schriftsteller (* 1867)
13. Februar: Alfred Einstein, deutscher Musikwissenschaftler und Musikkritiker (* 1880)
14. Februar: Maurice Dewaele, belgischer Radrennfahrer (* 1896)
14. Februar: William Joseph Elford, britischer Chemiker und Mikrobiologe (* 1900)
15. Februar: Gustaf Nagel, deutscher Sonderling und Wanderprediger (* 1874)
17. Februar: Lotte Pritzel, deutsche Puppenmacherin, Kostümbildnerin und Zeichnerin (* 1887)
18. Februar: Cliff Aeros, deutscher Zirkusunternehmer, Sensationsdarsteller, Artist und Dompteur (* 1889)
18. Februar: Johannes Antonius James Barge, niederländischer Anatom (* 1884)
19. Februar: Lawrence Grant, britischer Schauspieler (* 1870)
19. Februar: Knut Hamsun, norwegischer Schriftsteller (* 1859)
20. Februar: Carlos Julio Arosemena Tola, ecuadorianischer Bankier und Präsident (* 1888)
20. Februar: Wilhelm Knothe, deutscher Politiker (* 1888)
25. Februar: Erwein von Aretin, bayerischer Journalist und Heimatpolitiker (* 1887)
25. Februar: Saitō Mokichi, japanischer Lyriker und Essayist (* 1882)
25. Februar: Carl Schröter, deutscher Politiker (* 1887)
26. Februar: Theodoros Pangalos, General und Politiker in Griechenland (* 1878)
28. Februar: Albert Forster, Gauleiter der NSDAP und Reichsstatthalter in Danzig (* 1902)
März
1. März: Kume Masao, japanischer Schriftsteller (* 1891)
1. März: Gregory La Cava, US-amerikanischer Filmregisseur und Cartoonist (* 1892)
1. März: Theodor Mollison, deutscher Anthropologe (* 1874)
2. März: Bernhard Lohmüller, deutscher Politiker (* 1891)
3. März: Howard Chandler Christy, US-amerikanischer Maler (* 1872)
4. März: Charles Scott Sherrington, britischer Neurophysiologe (* 1857)
5. März: Georg Arends, deutscher Pflanzenzüchter und Gärtner (* 1863)
5. März: Wladimir Wladimirowitsch Schtscherbatschow, russischer Komponist (* 1889)
6. März: Giacomo Rimini, US-amerikanischer Opernsänger und Musikpädagoge italienischer Herkunft (* 1887)
6. März: Jürgen Stroop, SS-Gruppenführer, Anführer des Massenmordes im Warschauer Ghetto (* 1895)
7. März: Yogananda, Yogi und Guru (* 1893)
9. März: Alexandra Kollontai, russische Revolutionärin, Diplomatin und Schriftstellerin (* 1872)
9. März: Eberhard Wildermuth, deutscher Politiker (* 1890)
10. März: Ben Fuller, australischer Theaterunternehmer (* 1875)
13. März: Giovanni Battista Nasalli Rocca di Corneliano, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1872)
13. März: Johan Nygaardsvold, norwegischer sozialdemokratischer Politiker (* 1879)
15. März: Wilhelm Burger, deutscher Weihbischof (* 1880)
16. März: Stephan Weickert, deutscher Politiker (* 1892)
17. März: Nándor Láng, ungarischer Archäologe, Historiker und Klassischer Philologe (* 1871)
19. März: John H. Bartlett, US-amerikanischer Politiker (* 1869)
19. März: Hans Wittwer, Schweizer Architekt (* 1894)
20. März: Mario Ajmone Cat, italienischer General (* 1894)
21. März: Peter Petersen, deutscher Reformpädagoge (* 1884)
22. März: Uncle Dave Macon, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1870)
24. März: Wilhelm Jelinek, deutscher Betriebsratsvorsitzender und Anarchosyndikalist (* 1889)
25. März: William Sutherland Maxwell, kanadischer Bahai (* 1874)
25. März: Egon von Tresckow, deutscher Illustrator, Comiczeichner und Karikaturist (* 1907)
26. März: John Ponsonby, britischer General und Divisionskommandeur im Ersten Weltkrieg (* 1866)
29. März: Katherine Sophie Dreier, US-amerikanische Malerin und Kunstmäzenin (* 1877)
30. März: Jigme Wangchuck, zweiter König von Bhutan (* 1905)
31. März: John George Clark Anderson, britischer Althistoriker und Epigraphiker (* 1870)
31. März: Walter Schellenberg, Chef der militärischen Geheimdienste im Dritten Reich (* 1910)
31. März: Wallace H. White, US-amerikanischer Politiker (* 1877)
April
1. April: Ferenc Molnár, ungarischer Schriftsteller und Journalist (* 1878)
2. April: Antonio Cortis, spanischer Opernsänger (* 1891)
2. April: Bernard Ferdinand Lyot, französischer Astronom (* 1897)
9. April: Carl Friedemann, Schweizer Komponist und Dirigent (* 1862)
10. April: Frederic Austin, englischer Opernsänger und Komponist (* 1872)
10. April: Anna Mollwo, deutsche Malerin (* 1874)
15. April: Bruno Barilli, italienischer Komponist, Journalist und Schriftsteller (* 1880)
15. April: Ludwig Kaas, Zentrumspolitiker während der Weimarer Republik (* 1881)
15. April: Wiktor Tschernow, russischer Politiker (* 1873)
17. April: Rudolf Dix, deutscher Rechtsanwalt und Notar (* 1884)
18. April: Agnes Smidt, deutsch-dänische Malerin (* 1874)
18. April: Leo Smith, kanadischer Komponist, Cellist und Musikpädagoge (* 1881)
19. April: Carl August Graf von Attems-Petzenstein, österreichischer Zoologe (* 1868)
19. April: Jean-Marie Musy, Schweizer Politiker (* 1876)
21. April: Alfred Andersen-Wingar, norwegischer Komponist (* 1869)
23. April: Richard Stafford Cripps, britischer Jurist und Politiker (* 1889)
23. April: Wilhelm Paschek, deutscher Politiker (* 1897)
23. April: Elisabeth Schumann, deutsch-US-amerikanische Sopranistin (* 1888)
24. April: Hendrik Anthony Kramers, niederländischer Physiker (* 1894)
26. April: Jan van der Hoeve, niederländischer Augenarzt (* 1878)
Mai
2. Mai: Leopold van Itallie, niederländischer Pharmakologe und Toxikologe (* 1866)
3. Mai: Georges Cordey, Schweizer Motorradrennfahrer (* unbekannt)
5. Mai: Hans Adolf von Arenstorff, deutscher Generalmajor und Rittergutsbesitzer (* 1895)
6. Mai: Maria Montessori, italienische Ärztin, Reformpädagogin, Philosophin und Philanthropin (* 1870)
7. Mai: Alfred La Liberté, kanadischer Komponist, Pianist und Musikpädagoge (* 1882)
9. Mai: Kurt Beyer, deutscher Ingenieur (* 1881)
10. Mai: Paul Greifzu, deutscher Automobil- und Motorradrennfahrer (* 1902)
11. Mai: Alessio Ascalesi, Erzbischof von Neapel und Kardinal (* 1872)
11. Mai: Philipp Müller, deutscher Arbeiter (* 1931)
11. Mai: Giovanni Tebaldini, italienischer Komponist, Musikwissenschaftler und Organist (* 1864)
15. Mai: Albert Bassermann, deutscher Schauspieler (* 1867)
18. Mai: Rosetter Gleason Cole, US-amerikanischer Komponist (* 1866)
21. Mai: John Garfield, US-amerikanischer Schauspieler (* 1913)
23. Mai: Georg Schumann, deutscher Komponist (* 1866)
25. Mai: Ibrahim Dalliu, albanischer Geistlicher und Publizist (* 1878)
25. Mai: Ettore Tolomei, italienischer Nationalist (* 1865)
26. Mai: Emilie Flöge, österreichische Designerin, Modeschöpferin, Unternehmerin und Lebensgefährtin von Gustav Klimt (* 1874)
27. Mai: Arthur Illies, deutscher Maler und Grafiker (* 1870)
Juni
1. Juni: John Dewey, US-amerikanischer Philosoph und Pädagoge (* 1859)
6. Juni: Josef Moser, österreichischer Politiker (* 1870)
8. Juni: Johnny McDowell, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1915)
9. Juni: Alice Austen, US-amerikanische Fotografin (* 1866)
9. Juni: Adolf Busch, deutscher Geiger und Komponist (* 1891)
12. Juni: Michael von Faulhaber, Kardinal und Erzbischof von München und Freising (* 1869)
13. Juni: Emma Eames, US-amerikanische Opernsängerin und Gesangspädagogin (* 1865)
13. Juni: Max Pulver, schweizerischer Psychologe, Graphologe, Lyriker, Dramatiker und Erzähler (* 1889)
14. Juni: Felix Calonder, Schweizer Politiker (* 1863)
15. Juni: Krystyna Skarbek, polnische Agentin der britischen nachrichtendienstlichen Spezialeinheit Special Operations Executive (* 1908)
16. Juni: Theodor Geiger, deutscher Soziologe (* 1891)
17. Juni: Heinrich Germer, SED-Politiker und Stadtrat für Volksbildung und Kultur in Magdeburg (* 1900)
17. Juni: Alberto Williams, argentinischer Komponist und Dirigent (* 1862)
18. Juni: Efim Bogoljubow, russisch-deutscher Schachgroßmeister (* 1889)
18. Juni: Charles Montier, französischer Automobilrennfahrer und Fahrzeugkonstrukteur (* 1879)
18. Juni: Heinrich Schlusnus, deutscher Opern- und Konzertsänger (Bariton) (* 1888)
20. Juni: Luigi Fagioli, italienischer Automobilrennfahrer (* 1898)
22. Juni: Eugen Abresch, deutscher Unternehmer, Erfinder, Kunstsammler und Politiker (* 1867)
23. Juni: Peter Georg Cohrs, deutscher Politiker (* 1894)
23. Juni: Arthur Lisowsky, Professor der Handelshochschule St. Gallen (* 1895)
24. Juni: Botho Henning Elster, deutscher Generalmajor (* 1894)
25. Juni: Luke Jordan, US-amerikanischer Blues-Gitarrist und Sänger (* 1892)
28. Juni: Ludwig Radermacher, deutscher Altphilologe (* 1867)
Juli
1. Juli: Johann Paul Arnold, deutscher Aquarianer (* 1869)
2. Juli: Frank Welsman, kanadischer Dirigent, Musikpädagoge und Pianist (* 1873)
3. Juli: Wilhelm Schmidtbonn, deutscher Schriftsteller (* 1876)
3. Juli: Daniel Zamudio Guerrero, kolumbianischer Komponist und Musikwissenschaftler (* 1887)
6. Juli: Felix Huch, deutscher Arzt und Schriftsteller (* 1880)
7. Juli: André Pisart, belgischer Automobilrennfahrer (* 1898)
8. Juli: Karl Jakob Hirsch, deutscher Künstler und Schriftsteller (* 1892)
9. Juli: Max Clarenbach, deutscher Maler der Düsseldorfer Malerschule (* 1880)
10. Juli: Rued Langgaard, dänischer Komponist und Organist (* 1893)
19. Juli: Elly Heuss-Knapp, deutsche Politikerin, Gründerin des Müttergenesungswerks (* 1881)
20. Juli: Ferdinand Lot, französischer Historiker (* 1866)
21. Juli: Edwin Hoernle, deutscher Schriftsteller, Funktionär der KPD (* 1883)
21. Juli: Ben Olcott, US-amerikanischer Politiker (* 1872)
22. Juli: Antonio María Valencia, kolumbianischer Komponist (* 1902)
23. Juli: Carl Severing, deutscher Politiker und Minister (* 1875)
26. Juli: Léon Molon, französischer Flugpionier und Autorennfahrer (* 1881)
26. Juli: Eva Perón, First Lady Argentiniens und zweite Frau von Juan Perón (* 1919)
29. Juli: Georg Michael Martin Hubert von Arnswaldt, deutscher Forstmann und Naturschützer (* 1866)
31. Juli: Clara Viebig, deutsche Erzählerin (* 1860)
31. Juli: Waldemar Bonsels, deutscher Schriftsteller (* 1880)
August
2. August: Johann Lemmerz, deutscher Konstrukteur und Unternehmer (* 1878)
2. August: Joseph Schnetz, österreichischer Philologe (* 1873)
6. August: Richard Charles Mills, australischer Wirtschaftswissenschaftler (* 1886)
9. August: Bartholomäus Koßmann, deutscher Politiker (* 1883)
12. August: David Bergelson, sowjetisch-jiddischer Schriftsteller (* 1884)
12. August: Itzik Feffer, sowjetisch-jiddischer Schriftsteller (* 1900)
12. August: David Hofstein, sowjetisch-jiddischer Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer (* 1889)
12. August: Leib Kwitko, sowjetisch-jiddischer Schriftsteller und Kinderbuchautor (* 1890 oder 1893)
12. August: Solomon Losowski, sowjetischer Staats- und Gewerkschaftsfunktionär (* 1878)
12. August: Perez Markisch, sowjetisch-jiddischer Lyriker (* 1895)
12. August: Boris Schimeliowitsch, sowjetischer Arzt (* 1902)
12. August: Leon Talmi, Mitglied des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (* 1893)
12. August: Emilia Teumin, Mitglied des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (* 1905)
12. August: Ilja Watenberg, Mitglied des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (* 1887)
12. August: Tschajka Watenberg-Ostrowskaja, Mitglied des Jüdischen Antifaschistischen Komitees (* 1901)
13. August: Wilm Hosenfeld, Offizier der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg (* 1895)
15. August: Richard Adamík, tschechischer Arzt und Moralidealist (* 1867)
15. August: Armida Barelli, italienische Aktivistin der Frauenbewegung (* 1882)
15. August: Jesse Thoor, deutscher Schriftsteller (* 1905)
16. August: Philipp Auerbach, deutscher Politiker und Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte (* 1906)
20. August: Kurt Schumacher, deutscher Politiker (* 1895)
27. August: Armand Gagnier, kanadischer Klarinettist und Dirigent (* 1895)
31. August: Ernst Busse, Leiter des Internationalen Häftlingskomitees im KZ Buchenwald (* 1897)
31. August: Jim Rigsby, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1923)
September
1. September: Kosugi Tengai, japanischer Schriftsteller (* 1865)
4. September: Carlo Sforza, italienischer Politiker, Antifaschist (* 1872)
5. September: Franz Odermatt, Schweizer Beamter, Politiker und Schriftsteller (* 1867)
6. September: William Ewart Napier, US-amerikanischer Schachspieler englischer Herkunft (* 1881)
11. September: Robert Lauterborn, deutscher Hydrobiologe, Zoologe, Botaniker und Wissenschaftshistoriker (* 1869)
13. September: Friedrich Bothe, deutscher Lehrer und Historiker (* 1869)
13. September: Hermann Hummel, deutscher Politiker (* 1876)
17. September: Fred Sauer, österreichischer Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor (* 1886)
20. September: Bill Schindler, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1909)
21. September: Roland H. Hartley, US-amerikanischer Politiker (* 1864)
22. September: Kaarlo Juho Ståhlberg, erster Präsident von Finnland (* 1865)
23. September: Karel Hoffmeister, tschechischer Pianist und Musikwissenschaftler (* 1868)
26. September: George Santayana, US-amerikanischer Philosoph und Schriftsteller (* 1863)
29. September: Clifford Hugh Douglas, britischer Wirtschaftstheoretiker, Ingenieur (* 1879)
30. September: Waldorf Astor, britischer Politiker und Zeitungsverleger (* 1879)
September: Alexander Popovich, österreichischer Fußballspieler und -trainer (* 1891)
Oktober
3. Oktober: Alfred Neumann, deutscher Schriftsteller (* 1895)
5. Oktober: Vincentius Eugenio Bossilkoff, Seliger, bulgarischer Bischof (* 1900)
5. Oktober: Jola Jobst, deutsche Schauspielerin (* 1913)
6. Oktober: Felix Daniel Ascher, deutscher Architekt (* 1883)
10. Oktober: Franz Johann Ludwig August Adenauer, deutscher Jurist (* 1872)
11. Oktober: Jack Conway, US-amerikanischer Regisseur, Schauspieler und Produzent (* 1887)
13. Oktober: Gaston Baty, französischer Regisseur, Dramatiker und Theaterleiter (* 1885)
14. Oktober: Paul Hey, deutscher Illustrator und Grafiker (* 1867)
18. Oktober: Francis P. Matthews, US-amerikanischer Politiker (* 1887)
19. Oktober: Doi Bansui, japanischer Dichter und Übersetzer (* 1871)
19. Oktober: Ernst Streeruwitz, österreichischer Offizier, Industriemanager und Politiker (* 1874)
19. Oktober: Jan van der Sluis, niederländischer Fußballspieler (* 1889)
19. Oktober: Aleksander Wielhorski, polnischer Pianist und Komponist (* 1890)
20. Oktober: Michael Rostovtzeff, russisch-amerikanischer Althistoriker (* 1870)
21. Oktober: Bernard Povel, deutscher Politiker (* 1897)
22. Oktober: Ernst Rüdin, Schweizer Arzt, Psychiater und Rassenhygieniker (* 1874)
24. Oktober: Frederick Jacobi, US-amerikanischer Komponist (* 1891)
25. Oktober: Sergei Bortkiewicz, russischer Komponist (* 1877)
25. Oktober: Vincenzo Lanfranchi, italienischer Radsportler, Motorradrennfahrer und Unternehmer (* 1875)
27. Oktober: Ludwig Fahrenkrog, deutscher Dichter und Maler (* 1867)
29. Oktober: Sepp Straffner, österreichischer Politiker (* 1875)
31. Oktober: Alexander Alexandrowitsch Andronow, sowjetischer Physiker (* 1901)
31. Oktober: Adolf Chybiński, polnischer Musikwissenschaftler und -pädagoge (* 1880)
November
5. November: Joseph James, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1925)
9. November: Chaim Weizmann, erster Präsident von Israel (* 1874)
10. November: Otto Appel, deutscher Phytomediziner (* 1867)
15. November: Wassyl Krytschewskyj, ukrainischer Kunstwissenschaftler, Maler, Architekt, Grafiker und Bühnenbildner (* 1873)
16. November: Charles Maurras, französischer Schriftsteller und politischer Publizist (* 1868)
17. November: Franz John, deutscher Fußballfunktionär und Fotograf (* 1872)
18. November: Paul Éluard, französischer Dichter (* 1895)
18. November: A. Harry Moore, US-amerikanischer Politiker (* 1879)
18. November: Dutch Speck, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1886)
20. November: Benedetto Croce, italienischer Philosoph, Humanist, Historiker, Politiker und Kritiker (* 1866)
20. November: Jock Porter, britischer Motorradrennfahrer, Unternehmer und Motorradkonstrukteur (* 1894)
25. November: Julien-Fernand Vaubourgoin, französischer Organist, Komponist und Musikpädagoge (* 1880)
26. November: Sven Hedin, schwedischer Geograf, Topograf, Entdeckungsreisender (* 1865)
28. November: Ota Wićaz, sorbischer Literatur- und Kulturhistoriker und Schriftsteller (* 1874)
28. November: Elena von Montenegro, Königin von Italien (* 1873)
Dezember
1. Dezember: Edward James Gay, US-amerikanischer Politiker (* 1878)
1. Dezember: Wilhelm Speyer, deutscher Schriftsteller (* 1887)
3. Dezember: Vladimír Clementis, slowakischer Politiker, Jurist, Schriftsteller und Übersetzer (* 1902)
3. Dezember: Otto Fischl, tschechoslowakischer Politiker (* 1902)
3. Dezember: Josef Frank, tschechoslowakischer Gewerkschafter (* 1909)
3. Dezember: Ludvík Frejka, tschechischer Politiker und Publizist (* 1904)
3. Dezember: Otto Katz, tschechoslowakischer Autor und Agent der Sowjetunion (* 1895)
3. Dezember: Rudolf Margolius, tschechoslowakischer Außenhandelsminister (* 1913)
3. Dezember: Rudolf Slánský, Generalsekretär der KP der Tschechoslowakei (* 1901)
3. Dezember: Otto Šling, tschechoslowakischer Politiker (* 1912)
4. Dezember: Giuseppe Antonio Borgese, italienischer Kritiker und Schriftsteller (* 1882)
4. Dezember: Karen Horney, deutsch-US-amerikanische Psychologin (* 1885)
5. Dezember: Imre Waldbauer, ungarischer Geiger und Musikpädagoge (* 1892)
6. Dezember: Karl Lautenschlager, Oberbürgermeister (* 1868)
7. Dezember: Helmut Hugo Alfred Augustin, deutscher Pfarrer (* 1912)
8. Dezember: Pedro Sinzig, Franziskaner, brasilianischer Schriftsteller, Journalist und Komponist (* 1876)
12. Dezember: Lawrence Henry Aurie, kanadischer Eishockeyspieler und -trainer (* 1905)
12. Dezember: Bedřich Hrozný, tschechischer Linguist und Orientalist (* 1879)
12. Dezember: Max Laeuger, deutscher Künstler (* 1864)
14. Dezember: Fartein Valen, norwegischer Komponist (* 1887)
17. Dezember: Wilhelm Bruckner, Schweizer Germanist und Linguist (* 1870)
18. Dezember: Ernst Mayer, deutscher Politiker (* 1901)
18. Dezember: Ernst Stromer von Reichenbach, deutscher Paläontologe (* 1871)
20. Dezember: Heinrich Lilienfein, deutscher Schriftsteller und Generalsekretär der Deutschen Schillerstiftung (* 1879)
20. Dezember: Ivan Olbracht, tschechischer Schriftsteller, Publizist, Journalist und Übersetzer (* 1882)
22. Dezember: Vincas Bacevičius, litauischer Musikpädagoge, Pianist, Dirigent und Komponist (* 1875)
23. Dezember: Eli Filip Heckscher, schwedischer Wirtschaftshistoriker (* 1879)
24. Dezember: Ivo Zeiger, päpstlicher Diplomat (* 1898)
25. Dezember: Herman Sörgel, deutscher Architekt (* 1885)
27. Dezember: Henri Winkelman, niederländischer General (* 1876)
28. Dezember: Carlo Agostini, Erzbischof und Patriarch von Venedig und Kardinal (* 1888)
28. Dezember: Alexander G. Barry, US-amerikanischer Politiker (* 1892)
28. Dezember: Fletcher Henderson, US-amerikanischer Jazz-Pianist, Bandleader und Komponist (* 1897)
30. Dezember: Willie Brown, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1900)
Tag unbekannt
Alessandro Abate, italienischer Maler (* 1867)
Edith Andreae, deutsche Salonnière (* 1883)
Johan Emil Hans Henningsen, grönländischer Landesrat (* 1876)
Red Newman, kanadischer Komiker und Sänger (* 1887)
Nobelpreise
Physik: Felix Bloch und Edward Mills Purcell
Chemie: Archer John Porter Martin und Richard L. M. Synge
Medizin: Selman Abraham Waksman
Literatur: François Mauriac
Friedensnobelpreis: Albert Schweitzer
Weblinks
Jahresrückblick von tagesschau.de
Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD
Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung (1952) im Bundesarchiv
Zeitzeugnisse zur Alltagskultur des Jahres 1952 im Wirtschaftswundermuseum
Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, Adenauer und die Hohen Kommissare 1952. ISBN 978-3-486-55201-0 (1. Auflage 1952)
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Q5272
| 1,798.12868 |
72803
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zentralafrika
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Zentralafrika
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Als Zentralafrika wird eine unklar definierte Großregion auf dem afrikanischen Kontinent bezeichnet.
Zentralafrika
Gliederung nach der UN-Statistikabteilung
In der Statistikabteilung der Vereinten Nationen werden unter dem Statistikbezirk Zentralafrika folgende neun Länder geführt. Diese Einteilung wird von der Afrikanischen Union in ähnlicher Weise vorgenommen, jedoch ohne Angola und mit Burundi:
Gliederung nach anderen geographischen Gesichtspunkten
Die Staaten Ruanda und Burundi werden nach anderen Gliederungen auch zu Ostafrika gezählt:
Literatur
Dieter H. Kollmer, Torsten Konopka, Martin Rink (Hrsg.): Zentrales Afrika (= Wegweiser zur Geschichte). Im Auftrag des Zentrums für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Zusammenarbeit mit der Landesverteidigungsakademie des Österreichischen Bundesheeres. Ferdinand Schöningh, Paderborn 2015, ISBN 978-3-506-78470-4.
Weblinks
Einzelnachweise
Zentralafrika
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Q27433
| 598.269073 |
3817
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https://de.wikipedia.org/wiki/Oviparie
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Oviparie
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Als ovipar (lateinisch oviparus ‚eigeboren‘) bezeichnet man Tiere, die Eier legen. Diese Tiere machen mit 99 Prozent den Großteil aller Tierarten aus.
Der Oviparie steht die Viviparie gegenüber. Die Vertreter beider Fortpflanzungsformen stellen keine taxonomischen Gruppen (Taxon) dar, sondern werden lediglich über Unterschiede bei der geschlechtlichen Fortpflanzung gegeneinander abgegrenzt.
Der Begriff der Oviparie ist eng mit dem Taxon der Amniota verknüpft, deren Eigenschaft es ist, sich ohne freies Larvalstadium unabhängig von Gewässern fortpflanzen zu können.
Definition und Beispiele
Bei Oviparie handelt es sich um eine Fortpflanzungsform, bei der entweder befruchtete Eier abgelegt werden oder die Eier unmittelbar nach der Eiablage befruchtet werden. Die innere Befruchtung findet dabei vor der Eiablage durch Begattung oder durch die Übergabe einer Spermatophore. Weichschalige Eier, wie der Laich von Fischen, Amphibien, Schwämmen, Blumentieren (wie Korallen) wird dabei oftmals durch äußere Besamung befruchtet, bei der die unbefruchteten Eier im Wasser von den abgegebenen männlichen Spermien befruchtet werden.
Der Embryo wird während seiner gesamten Embryogenese (Embryonalentwicklung) vom im Ei gespeicherten Dotter ernährt. Hat das Jungtier nach der Eiablage eine bestimmte Größe und damit ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht, schlüpft es aus. Die Anzahl der Jungtiere ist bei oviparen Arten in der Regel höher als bei lebend gebärenden Spezies.
Abzugrenzen ist die Oviparie von der Viviparie. Tiere, bei denen die Embryonalentwicklung im Mutterleib abläuft und Jungtiere anschließend geboren werden, sind vivipar oder lebendgebärend. Echte Viviparie besteht nur bei höheren Säugetieren (Plazentatiere), bei denen die Versorgung des Embryos über eine Plazenta erfolgt.
Ovipar sind Vögel, innerhalb der Säugetiere die Kloakentiere, die meisten Reptilien, inklusive der Dino- und anderer Saurier, sowie der überwiegende Teil der Schwanzlurche, Gliederfüßer, Würmer und Insekten.
Sonderformen
Ovoviviparie
Eine Spezialform der Oviparie beziehungsweise eine Übergangsform zwischen Oviparie und Viviparie ist die Ovoviviparie. Dabei verbleiben die Embryonen im Mutterleib in ihren Eiern, wo sie durch den Dotter versorgt werden. Erst wenn ihre Embryonalentwicklung abgeschlossen ist, schlüpfen die Jungtiere, kurz vor, während oder direkt nach der Geburt aus ihren Eiern. Obwohl ovovivipare Tiere ihre Eier im Leibesinneren ausbrüten, ist die Bezeichnung lebendgebärend nicht zutreffend. Das Verhalten gilt als evolutionäre Anpassung, da es die Risiken, denen die Eier durch Hitze, Kälte, Trockenheit oder Räuber ausgesetzt wäre, verringert.
Verschiedene Skinke, Boas, Vipern, Seeschlangen und Schleichen sind ovovivipar.
Auch von Haien und andere Knorpelfischen, wenigen Knochenfischen, einigen Spinnen und Blattläusen ist ein ähnliches Fortpflanzungsverhalten bekannt.
Ovuliparie
Ovuliparie (von Ovulation – als Entstehung unbefruchteter Eizellen) liegt vor, wenn unbefruchtete Eier abgelegt werden, die erst außerhalb des Körpers der Mutter befruchtet werden, also durch äußere Befruchtung. Ovulipar sind die meisten Knochenfische und der größte Teil der Froschlurche.
Ovipare Säugetiere
Die einzigen eierlegenden Säugetiere sind die Kloakentiere, von denen es nur noch fünf rezente Arten gibt; das Schnabeltier (Ornithorhynchus anatinus), den Kurzschnabeligel (Tachyglossus aculeatus) und die drei Arten der Langschnabeligel (Zaglossus).
Vivipare Froschlurche
Beinahe alle Froschlurche legen Eier. Ausnahmen gibt es lediglich bei Australischen Südfröschen der Gattungen Pseudophryne (siehe hierzu engl. Eintrag Pseudophryne).
Literatur
Erwin Hentschel, Günther Wagner: Zoologisches Wörterbuch. Tiernamen, allgemeinbiologische, anatomische, physiologische Termini und biographische Daten. 4., überarbeitete und erweiterte Auflage. Gustav Fischer Verlag, Jena 1990, ISBN 3-334-00348-5.
Adolf Remane, Volker Storch, Ulrich Welsch: Kurzes Lehrbuch der Zoologie. 6., neubearbeitete Auflage. Gustav Fischer Verlag, Stuttgart u. a. 1989, ISBN 3-334-00333-7.
Hans-Günter Petzold: Aufgaben und Probleme bei der Erforschung der Lebensäußerungen der Niederen Amnioten (Reptilien). In: Milu. Mitteilungen aus dem Tierpark Berlin-Friedrichsfelde. Bd. 5, Heft 4/5, 1982, , S. 485–786, (Nachdruck: (= Berliner Tierpark-Buch. Nr. 38). Verlag für Biologie und Natur, Berlin 1984).
Einzelnachweise
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Fortpflanzung (Zoologie)
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Q212306
| 92.793099 |
284340
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https://de.wikipedia.org/wiki/Seife
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Seife
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Unter Seife (von althochdeutsch seifa „Seife, Harz“) wird im allgemeinen Sprachgebrauch ein festes Reinigungsmittel verstanden, das zur Reinigung der Hände und des Körpers benutzt wird. Aus chemischer Sicht sind diese festen Seifen Salze von Fettsäuren. Die zur Körper-Reinigung verwendeten Seifen sind entweder Natriumseifen (Kernseife) oder Kaliumseifen (Schmierseife). Lithiumseife wird unter anderem als Verdickungsmittel in Mineralöl-basierten Schmierfetten eingesetzt. Daneben sind auch Calciumseifen und Bariumseifen technisch wichtige Metallseifen, die vielfältig verwendet werden. Zur Entfernung von einzelnen hartnäckigen Flecken aus Textilien wird als bekanntes Hausmittel häufig feste oder flüssige Gallseife eingesetzt.
Aus Sicht der Chemie versteht man unter Seifen oder Detergentien, oder Tensiden sog. waschaktive Substanzen, die zur Reinigung verwendet werden können, aber auch wegen ihrer grenzflächenaktiven Eigenschaften als Emulgatoren oder zur Solubilisierung eingesetzt werden können.
Seifen im engeren Sinne kommen nicht natürlich vor und werden durch Verseifung (lat. Saponifikation) unter Verwendung eines Hydroxids (z. B. Natriumhydroxid bei Natriumseifen) mittels einer chemischen Reaktion künstlich hergestellt. Nur in Ausnahmefällen kann es in der Natur auch spontan zu einer chemischen Verseifungsreaktion kommen (Adipocire). In Wasser unlösliche Kalkseifen bilden sich hingegen oft unerwünscht bei der Verwendung von Seifen in hartem Wasser. Kalkseifen schlagen sich als Ablagerungen zum Beispiel in Waschbecken und Abflussrohren nieder. Sie können auch nach der Haarwäsche mit Seife auf dem Haar zurückbleiben, aber mit sauren Flüssigkeiten ausgespült werden. Die meisten handelsüblichen Flüssigseifen (z. B. Duschgel oder Shampoo) bestehen aus waschaktiven Substanzen (z. B. SLS oder SLES), die auf andere Weise künstlich hergestellt werden, und enthalten keine Seife.
Aus diesen Substanzen lässt sich auch ein festes Waschstück herstellen, das wie eine Stückseife verwendet werden kann.
Geschichte der Seife
Erste Hinweise auf Seifenherstellung finden sich bei den Sumerern. Sie erkannten, dass Pflanzenasche vermengt mit Ölen besondere Eigenschaften hat, und schufen die Basis einer Seifenrezeptur. Man vermutet, dass sie den reinigenden Effekt des alkalischen Gemisches übersahen und sie als Heilmittel für Verletzungen verwendeten. Ägypter und Griechen übernahmen die Anleitung zur chemischen Herstellung, wobei die reinigende Wirkung der Seife erst von den Römern festgestellt wurde.
Im Alten Testament bei Jeremia () wird der Gebrauch mineralischer Soda (hebräisch ) und Lauge aus Pflanzenasche (hebräisch ) zum Waschen erwähnt.
Plinius beschrieb eine altertümliche Seife aus Ziegentalg und Holzasche, und dass bei den Germanen eine weiche Seifenart im Gebrauch sei. Galen fand bei den Galliern einen häufigen Gebrauch von seifenähnlichen Stoffen.
Im Nahen Osten wurde im 7. Jahrhundert erstmals Öl und Lauge miteinander verkocht und somit die Seife in ihrer heute bekannten Form geschaffen (siehe z. B. die nach wie vor produzierte Aleppo-Seife). Mit den Eroberungen der Araber breitete sich dieses Wissen rasch auch nach Europa aus. Frankreich und Spanien gehörten später zu den Zentren der Seifenherstellung weltweit.
Im Mittelalter war der Besuch des Badehauses sehr beliebt und die Körperreinigung war besser als gemeinhin angenommen. Erst der Ausbruch von Pest und Cholera führte dazu, dass das Waschen mit Wasser eingestellt wurde. Da die Übertragungswege unbekannt waren, war man der Meinung, das Badewasser öffne den Körper für die Erreger. Dass es an den dreckigen Straßen und Rinnsalen vor den Häusern sowie den Ratten lag, erkannte man nicht. Die Trockenreinigung fand ihre Anwendung. Krankheitserreger, sowie Läuse und Flöhe als Überträger, konnten sich ungehindert ausbreiten. Bis ins 17. Jahrhundert vertraten Ärzte in Europa die Meinung, dass Wasser und Luft dem Körper schade. Kleidung diente als Schutz vor diesen schädlichen Elementen. Auch das Einpudern erfüllte den Zweck, den Körper nach außen hin abzuschließen. Unterwäsche sog den Körperschweiß auf; man dachte, dass der Körper so gereinigt würde.
Im Mittelalter fand Seife (lateinisch sapo, in der Humoralpathologie als „heiß und trocken im dritten Grade“ geltend) als Salbenzutat auch als Heilmittel gegen Schmerzen bei Gelenkentzündungen (Gicht) und Hexenschuss (Ischialgie).
Im 17. Jahrhundert verhalf der französische König Ludwig XIV. der Seife zu neuer Blüte, indem er die besten Seifensieder nach Versailles holte. Er erließ 1688 das noch heute bekannte Reinheitsgebot für Seife. Demzufolge galt eine Seife als besonders hochwertig, wenn sie mindestens 72 % reines Öl enthielt. In der Mitte des 17. Jahrhunderts entstanden in den französischen Städten Marseille, Toulon und Lyon größere Seifenfabrikationen. Dem Franzosen Nicolas Leblanc (1742–1806) gelang es erstmals im Jahr 1790, größere Mengen Soda künstlich herzustellen, so dass die zuvor verwendete Pottasche ersetzt werden konnte.
Im Jahr 1829 wurden in Frankreich etwa 4000 Tonnen Seife produziert. Auch in England und Deutschland gab es dann bereits bedeutende Seifenfabrikationen.
Seifen wurden auch zur Reinigung von Stoffen und Holz sowie bei der Dampfwäsche von Textilien verwendet. Nachteilig war die Bildung von Kalkseife, daher wurde das Waschwasser vorab mit Sodalösung entkalkt.
1865 entwickelte der Belgier Ernest Solvay das Solvay-Verfahren, das das Leblanc-Verfahren ablöste. So war genügend Soda für die Seifenherstellung vorhanden und Seife wurde zu einem bezahlbaren Produkt. Der Körper konnte nun regelmäßig mit Seife gewaschen und von unangenehmen Gerüchen befreit werden.
Die traditionelle Seifenherstellung aus Olivenöl hat in Marseille (Savon de Marseille), Aleppo (Aleppo-Seife), Nablus (Nabulsi-Seife) und vielen Mittelmeerländern bis heute Bestand.
Seifenherstellung
Seifen werden in der Regel aus pflanzlichen oder tierischen Fetten hergestellt. Zur Herstellung von Seifen werden meist minderwertige Fette verwendet, die durch Heißpressungen oder durch Extraktion mit Lösungsmitteln gewonnen sein können. Hauptsächlich werden pflanzliche Fette wie Kokosfett, Palmkernfett, Palmöl, Olivenöl, Sonnenblumenöl, Maisöl, Sojabohnenöl und tierische Fette wie Talg, Schmalz oder Fett aus Knochen, die bei der Tierverwertung anfallen, verwendet.
Zur Herstellung werden Fette mit einer Lauge (wie Natronlauge oder Kalilauge, früher auch Pottasche oder Soda) gekocht. Man nennt dieses Verfahren Seifensieden, die chemische Reaktion Verseifung. Die Fette werden dabei in Glycerin und in die Alkalisalze der Fettsäuren (die eigentlichen Seifen) zerlegt. Die Herstellung erfolgte früher in offenen Kesseln. Heute werden Seifen bei großtechnischer Herstellung in geschlossenen Anlagen im kontinuierlichen Betrieb gewonnen.
Die beim Sieden entstehende zähflüssige Emulsion wird Seifenleim genannt. Zur Herstellung von Kernseife wird der Seifenleim mit Natriumchloridlösung versetzt. Dabei trennt sich die Emulsion durch Aussalzen in den aufschwimmenden Seifenkern, der hauptsächlich die Natriumsalze der Fettsäuren enthält, und in die Unterlauge, die hauptsächlich überschüssige Lauge, Glycerin und gelöstes Kochsalz enthält. Der Seifenkern wird durch Abscheidung von der Unterlauge getrennt, mit reichlich Wasser und etwas Lauge aufgekocht, um die restlichen Verunreinigungen herauszulösen. Eine Wiederholung der Aussalzung führt zu einer erhöhten Reinheit der Kernseife.
Alternativ lassen sich Seifen direkt aus freien Fettsäuren herstellen (Laugenverseifung), indem diese mit Laugen zu ihren Salzen umgesetzt werden. Geeignete Fettsäuren sind beispielsweise Laurinsäure, Myristinsäure, Palmitinsäure, Stearinsäure, Ölsäure und Ricinolsäure.
Die Konsistenz eines Seifenprodukts hängt von der Kettenlänge der Fettsäuren ab. Langkettige gesättigte Fettsäuren wie Stearinsäure oder Palmitinsäure führen zu eher fester Konsistenz. Entscheidend ist jedoch, ob Kalium- oder Natriumsalze der Fettsäuren gewonnen wurden. Wird aus dem Seifenleim durch Zusatz von Natriumchlorid der Seifenkern gewonnen, bildet sich tendenziell eine festere Seife, die Kernseife. Wird hingegen mit Kalilaugen und Kaliumsalzen gearbeitet, bilden sich Kaliumsalze der Fettsäuren, die weich bis schmierig und gut mischbar mit Wasser sind. Man erhält Schmierseifen.
Kernseife wird in Blöcken geformt und getrocknet. Zur Herstellung von Toiletteseifenstücken werden die Blöcke entweder zu Quadern aufgeschnitten oder grob gemahlen, mit Farbstoffen, Duftstoffen und Füllstoffen angeteigt, auf Walzenstühlen kalandriert (um Luft einzuschließen und Glanz zu erzeugen) und ausgewalzt, die Bänder anschließend in einer Heißpresse stranggepresst bzw. extrudiert und aus dem Strang Formen gestanzt und gleichzeitig zu Seifenstücken gepresst.
Handwerkliche Seifenherstellung:
Neben den industriellen Verfahren werden, der steigenden Nachfrage nach Naturkosmetik folgend, auch Seifen im Kaltverseifungsverfahren handwerklich hergestellt. Dabei wird den zumeist hochwertigeren Fetten, Ölen und Wachsen eine genau abgemessene Menge an Natronlauge beigefügt. Ziel ist eine unvollständige Verseifung der Fette und Öle, um eine pflegende Wirkung zu erzielen (Überfettung genannt). Da die Zutaten natürlichen Schwankungen unterliegen, wird die notwendige Menge an Natronlauge über die Verseifungszahl berechnet, aber die Überfettung nur grob angegeben, etwa „ca. 7 % Überfettung“.
Typischerweise werden diese Seifen als Seifenleim in Blockformen gegossen und anschließend in Stücke geschnitten oder in Silikonformen gegossen. Oft werden den Seifen Düfte und Farben zugesetzt. Diese Seifen sind zum Beispiel in Bioläden, auf Handwerker- und Weihnachtsmärkten zu finden und verzichten häufig auf allergene Bestandteile (künstliche Konservierungsmittel, Duftstoffe), so dass sie auch für Allergiker geeignet sind.
Im Internet finden sich Informationen zur Herstellung von Seifen im häuslichen Bereich und Rechenhilfen zur Bestimmung der nötigen Laugenmenge. Aufgrund der ätzenden Wirkung von Kali- oder Natronlauge und teilweise allergenhaltiger Zusatzstoffe (z. B. Parfümölen) sind geeignete Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Waschwirkung der Seife
Seifen sind Gemische verschiedener Alkalisalze langkettiger Fettsäuren und zählen zu den Tensiden, genauer zu den anionischen Tensiden. Wie alle Tenside verdanken auch die Seifenmoleküle ihre Eigenschaften einer besonderen Molekülstruktur. Ein Seifenmolekül ist aufgebaut aus einer langen, wasserabweisenden (hydrophoben) Kohlenwasserstoffkette (Molekülschwanz) und einer relativ kleinen, wasserfreundlichen (hydrophilen) funktionellen Gruppe (charakteristische Gruppe, Molekülkopf), der sogenannten Carboxylatgruppe (–COO−), die in normalen, nicht sauren wässerigen Lösungen überwiegend deprotoniert vorliegt, also im polaren geladenen Zustand (Abb. 1). Man nennt Moleküle, die so gegensätzliche Eigenschaften gegenüber Wasser in sich vereinen, amphiphile Moleküle. Seifenrückstände können die Wirkung von bestimmten Desinfektionsmitteln, insbesondere quartären Ammoniumverbindungen, blockieren. Dieser Seifenfehler ist in der medizinischen Händedesinfektion von Bedeutung.
Seifen lösen sich zwar in Wasser, bilden dann aber in der Lösung aus vielen einzelnen Molekülen Assoziate, die sogenannten Mizellen (Abb. 2). Mizellen sind sehr klein und nicht sichtbar, können aber die Lösung trüben. Im Inneren einer Mizelle befinden sich die langen, unpolaren, hydrophoben Kohlenwasserstoffketten, geschützt vor dem Wasser von den hydrophilen, polaren Carboxylatgruppen, die in das Wasser hinausragen. Durch die sich abstoßenden gleichen Ladungen der Kopfgruppen wird das Zusammenballen mehrerer Mizellen verhindert.
An der Oberfläche einer Seifenlösung ordnen sich die Seifenmoleküle so an, wie es Abb. 3 zeigt. Die Anordnung hat zur Folge, dass in Seifenlösungen die Oberflächenspannung (allgemeiner: Grenzflächenspannung) der Seifenlösung viel niedriger ist als die Oberflächenspannung von reinem Wasser. Dadurch wird die Benetzbarkeit der Wasseroberfläche erhöht und das Ablösen, Emulgieren und Eindringen von Schmutz und Fett in die Wasserphase erleichtert. Dort werden Fett und Schmutz von den aus Seifenmolekülen gebildeten Mizellen aufgenommen. Wenn bei einem Reinigungsvorgang zu wenig Seife verwendet wird bzw. wenn zu viel Fett vorhanden ist, können sich zunächst sogenannte Emulsionen bilden, die dann zuletzt mit frischem Wasser oder neuer Seifenlösung abgespült werden müssen.
Leitungswasser kann regional unterschiedlich erhöhte Konzentrationen an Calciumkationen enthalten, die das Wasser „hart“ machen. Positiv geladene Calciumkationen können auch an die negativ geladenen polaren Endgruppen der Seifen-Mizellen gebunden werden. Dadurch wird die Reinigungswirkung der Seifenlösung stark verringert, denn es bilden sich in Wasser unlösliche sog. Kalkseifen ohne Waschwirkung, die sogar als weißer Film auf dem Wasser schwimmen können, sich an Gefäßwandungen und Armaturen absetzen können und zur Bildung von Fettläusen führen.
Seifensorten
Leimseife
Leimseifen (Seifenleim) sind homogene Massen, bei denen nach der Verseifung das Glycerin nicht abgetrennt wird. Kaltgesiedete Seifen werden gelegentlich als Leimseife angeboten. Dabei werden die Fette und die Lauge bei 40 °C verseift und die Masse unmittelbar danach in ein Behältnis gegossen. Es werden viele hausgemachte Leimseifen angeboten.
Kernseife
Kernseifen sind feste Seifen und bestehen in der Regel aus den Natriumsalzen von Fettsäuren. Sie werden durch das Aussalzen des Seifenleims gewonnen, wobei das Glycerin abgetrennt wird. Kernseifen sind die meisten handelsüblichen Körperseifen, also auch die Feinseifen. Im Handel werden vor allem billigere, unparfümierte Seifen „Kernseifen“ genannt, die für Reinigungszwecke und zum Filzen verwendet werden.
Schmierseife
Schmierseifen sind flüssige oder halbfeste Seifen, die aus preiswerten Fetten oder Ölen durch Verseifen mit Kalilauge hergestellt werden. Sie sind also ein Gemisch von Kalium-Salzen von höheren Fettsäuren, also Kaliumseifen. Sie werden auch Flüssigseife oder historisch Fassseife genannt, lassen sich leicht in Wasser auflösen und zu Reinigungszwecken z. B. im Haushalt verwenden. Aufgrund der Bildung von Kalkseifen muss die Seifenmenge bei hartem Wasser deutlich erhöht werden, um die Waschwirkung zu erhalten.
Schmierseife war bereits vor 1859 unter dieser Bezeichnung bekannt und wurde damals häufig aus Leinöl, Rapsöl und Hanföl (Grüne Seife) bereitet.
Feinseife
Feinseifen oder auch Toilettenseifen sind in der Regel Zubereitungen auf der Basis von reinen, geruchsneutralen Kernseifen, die hauptsächlich zum Waschen der Hände verwendet werden. Sie sind oft mit pflegenden Zusätzen, etwa Lanolin (Wollwachs), sowie Parfüms und Farbstoffen versetzt. Manchmal werden auch Leimseifen als Feinseifen angeboten.
Bereits vor 1859 wurden Toilettenseifen verwendet, damals diente der Zusatz von Parfümölen zur Geruchsüberdeckung von Talgresten in der Seife.
Rückfettende Seifen
Vielfach werden sogenannte rückfettende Seifen angeboten. Diese Seifen sollen das beim normalen Waschvorgang gelöste Hautfett ersetzen. Dazu werden der Kernseife Fette hinzugefügt oder kaltgesiedete Seifen mit Fett-Überschuss eingesetzt.
Glycerinseife
Glycerinseife (Transparentseife) ist eine Seife, die einen hohen Glycerinbestandteil hat. Sie ist trübe bis glasig durchsichtig. Sie ist einfach zu schmelzen (wie viele Wachse) und wird deshalb auch als Bastelseife gebraucht. Glycerinseifen sind leichter als Wasser.
Bereits vor 1859 war die Transparentseife bekannt, damals löste man die Fettsäure in Alkohol und füllte die Mischung bis zur Erstarrung in Formen.
Papierseife
Papierseife ist hauchdünn geschnittene Feinseife. Die Stücke sind so portioniert, dass sie sich zügig auflösen.
Rasierseife
Rasierseife wird mit einem hohen Anteil Stearinsäure aus Stearin und Kokosöl gefertigt, damit der Schaum cremig wird und stabil bleibt. Dabei wird nicht nur mit Natronlauge, sondern häufig mit einem Anteil Kalilauge verseift. Hierdurch wird die Rasierseife geschmeidiger und lässt sich besser anschäumen. Sie wird sowohl in Form von runden Seifenstücken als auch in Stangenform („Sticks“) angeboten.
Gallseife
Eine weitere Seife ist die Gallseife, die bei der Vermengung von Seife mit Rindergalle entsteht. Die Gallensäuren fungieren als zusätzliche Emulgatoren und helfen bei der Entfernung von Fett- und Eiweißflecken aus Textilien.
Bereits vor 1859 wurde auf die Vorteile dieser Seife zur Fleckentfernung von Gaultier de Claubry hingewiesen. Die Seife wurde auch unter den Namen Fleckseife oder Fleckkugeln in den Handel gebracht.
Arztseife und antibakterielle Seife
Sogenannte Arztseifen sind Seifen mit angeblich hautschonenden Zusammensetzungen. „Arztseife“ ist nicht unbedingt desinfizierend. Häufig werden auch reine Glycerinseifen als Arztseifen angeboten. Einige Seifen enthalten bakterienhemmende Zusätze, wie z. B. Farnesol oder Triclosan. Untersuchungen der Universität von Michigan haben gezeigt, dass spezielle für den Hausgebrauch produzierte antibakterielle Seifen Keime nicht besser entfernen als herkömmliche Seife. Wie bei allen antibakteriellen Wirkstoffen besteht das Risiko, dass die Keime Resistenzen entwickeln. Nicht untersucht wurden Seifen zum medizinischen Einsatz, die deutlich höhere Konzentrationen von antibakteriellen Mitteln enthalten.
Benzinseife
Benzinseife ist ein Fleckenentferner auf Benzinbasis zum Entfernen organischer Verschmutzungen und zur Vorbehandlung bei Verschmutzung durch Schmieröl und -fette auf Textilien.
Moderne Flüssigseifen
pH-neutrale Flüssigseifen finden Anwendung zum Händewaschen, überwiegend aber als Duschgel, Shampoo und Schaumbäder. Sie sind aus den Schmierseifen hervorgegangen, haben jedoch völlig andere Inhaltsstoffe (Tenside) und Eigenschaften.
Waschmittel
Als Textilienwaschmittel haben Seifen an Bedeutung verloren, da sich durch die Wasserhärte unlösliche, flockige bis klebrige Calcium- und Magnesiumsalze der Fettsäuren bilden und Seifen nur im basischen Bereich waschaktiv sind, was Textilfasern belasten kann. In heutigen Waschmitteln werden Seifen nur in kleinen Mengen zugesetzt, da die beim Waschvorgang entstehenden Kalkseifen die Schaumentwicklung mindern, d. h. als Entschäumer wirken.
Vor- und Nachteile von Seifen
Seifen werden in Industrieländern kaum als Waschmittel eingesetzt, da andere Tenside verfügbar sind. Seifen in modernen Waschmitteln regulieren lediglich durch die Bildung von Kalkseifen die Schaumbildung.
Nachteile von Seifen sind:
Seifen entfernen nicht nur Schmutz, sondern auch einen Teil des natürlichen Fettfilmes der Haut. Dies kann, besonders bei zu häufigem Waschen, zu rissiger, rauer Haut führen. Schutz davor bieten Seifen mit hohem Glyceringehalt (das z. B. beim Kaltverseifen im Fertigprodukt bleibt).
Seifen als Alkalisalze von Fettsäuren reagieren in Wasser alkalisch, erhöhen also den pH-Wert. Das kann nicht nur Textilfasern schädigen, sondern auch den Säureschutzmantel der Haut beeinträchtigen:
Seifen können mit den Calciumionen im harten Wasser einen Niederschlag (Kalkseife) bilden, der sich auf festen Oberflächen als weißlicher Belag absetzt:
Vorteile von Seifen gegenüber synthetischen Tensiden sind:
gute biologische Abbaubarkeit
Naturreine Seifen (z. B. Olivenölseifen) sind für Allergiker geeignet, da Seifen, hergestellt aus natürlichen Fetten, von den meisten Menschen vertragen werden. Dagegen können synthetische Tenside als Allergen wirken.
geringer Energieaufwand und Ressourceneinsatz bei der Herstellung
Physiologie des Waschens mit Seife
Seife entfernt beim Waschen Talgstauungen, Puder- und Cremereste aus den Poren. Dadurch wird die Hautatmung normalisiert.
Seife greift den Fettmantel der Haut an und löst ihn mehr oder weniger ab.
Das Seifen-Alkali neutralisiert den Säuremantel der Haut. Diese Wirkung ist jedoch 30 Minuten nach dem Waschen wieder ausgeglichen.
Seifenlösung bewirkt Quellung der Haut. Diese Quellwirkung ist bei gesunder Haut ohne Bedeutung, kann aber im krankhaften Zustand zum Austrocknen und zur Rissbildung führen.
Seifen können reizend wirken, wenn höhere Anteile an kurzkettigen, gesättigten Fettsäuren vorhanden sind. Allergische Hautreaktionen werden jedoch eher durch enthaltene Parfümöle und Zusatzstoffe ausgelöst.
Seife und Erziehung
In der Kindererziehung vor allem des amerikanischen Kulturraumes fand die Seife bis in die jüngere Vergangenheit Verwendung: Um den Kindern den Gebrauch von Schimpf- und Fäkalwörtern abzugewöhnen, wurde deren Mund zur Strafe mit Seife, meist auf einen Lappen aufgetragen, ausgewaschen. Hiermit sollte die „Schmutzigkeit“ bestimmter Begriffe verdeutlicht werden. Der ekelerregende Geschmack sollte die Kinder konditionieren, den Gebrauch der Wörter zu vermeiden.
Verschlucken und Einatmen von Seifen
Kleinkinder verschlucken gelegentlich feste oder flüssige Seifen, insbesondere aromatisierte Produkte (Ingestion). Die Gefährlichkeit (Toxizität) von Seife ist gering, jedoch ist sie schleimhautreizend und kann zum Brennen im Hals, zu Übelkeit, Würgen, Erbrechen, Blähungen oder auch Bauchschmerzen führen. Gelangen Seifenprodukte in die Lunge, wirken sie auf die Oberflächenproteine in den Lungenbläschen und können Entzündungen und Gewebsveränderungen hervorrufen. Ein versehentliches Einatmen (akzidentielle Aspiration), v. a. bei schäumenden Seifen, äußert sich oft in Hustenreiz oder Atemnot. Gelegentlich treten Atemnot, andere Lungenbeschwerden (pulmonale Beschwerden), Fieber oder Erbrechen auch mit Verzögerung ein. Um ein Aufschäumen der Seife im Magen und ein mögliches Einatmen zu vermeiden, sollte möglichst bald nach Aufnahme ein „Entschäumer“ (Dimeticon) eingenommen und stilles Wasser oder Tee nachgetrunken werden.
Seifen zur Oberflächenbehandlung
In Marokko und anderen nordafrikanischen Staaten werden in der Tadelakt-Technik zur Ausschmückung von Hausinnenwänden Natrium- und Kaliumseifen auf Kalkputz aufgetragen. Durch die Bildung wasserunlöslicher Kalkseifen erhält man eine wasserfeste, glänzende Oberfläche. Frisch verputzte oder gekalkte (mit Kalkputz oder Kalkfarbe) Flächen werden mit Seife eingerieben und mit glatten Steinen poliert. Je nach Ausführungsart ergeben sich zart schimmernde, teils marmorierte Oberflächen.
Anstriche mit Seifen aus unraffiniertem, naturbelassenem, gelbrotem Palmöl duften nach Veilchen, da durch Zersetzung des im Öl enthaltenen Carotins der Duftstoff Jonon entsteht.
Seife wird traditionell zur Oberflächenbehandlung von Holz, Terracotta und anderen porösen Baustoffen verwendet. Farbtönungen werden aufgehellt, Strukturen werden vereinheitlicht. Im Gegensatz zu Öl verbleiben Seifenlösungen oder Wachse an der Oberfläche. Öl dringt tief in das Material ein und führt zu einer Abdunkelung und zur Hervorhebung von Strukturen und Maserungen. Ein Seifenauftrag kann auf eine Öl-Imprägnierung folgen, um die Poren zu verschließen. Das Öl wird dabei oberflächlich verseift. Das Anfeuern der Oberfläche wird abgemildert, jedoch nicht rückgängig gemacht.
Der Auftrag einer Seifenlösung hinterlässt einen schmutzabweisenden Film, der das Eindringen von Fett und färbenden Flüssigkeiten wie Rotwein jedoch nicht verhindern kann. Helle Steinoberflächen verändern ihr Erscheinungsbild meist kaum. Auf dunklen Oberflächen kann sich ein Schleier bilden, der leicht zu entfernen ist. Größere Mengen Seife können zu einem matten Glanz poliert werden.
Durch regelmäßiges Waschen mit Seifenlauge werden Flecken und Holzoberflächen ausgebleicht. Fettflecken sind zunächst deutlich sichtbar, verblassen jedoch im Verlauf von einigen Monaten. Bestimmte Holzinhaltsstoffe werden ausgewaschen, das Nachdunkeln des Holzes wird ausgeglichen, Weichholz erhält eine sehr helle, gelaugte Oberfläche. In Köln und anderen Regionen werden Wirtshaustische aus unbehandeltem Ahornholz hergestellt, die durch das gelegentliche Scheuern mit Seife (und gegebenenfalls feinem Sand) eine dauerhaft helle, schmutzunempfindliche Oberfläche erhalten.
Filmbeiträge
Annette Frei Berthoud: Schaum und Duft. Dokumentation von NZZ Format, 30 Min. (Informationen; online bei YouTube).
Orientalische Seife. In Aleppo, Tripoli und Beirut. Dokumentation, 45 Min., ein Film von Birgitta Ashoff, Produktion: SR, Erstsendung: 17. Januar 2007
Siehe auch
Stahlseife
Handwaschpaste
Schaum
Seifenoper
Literatur
Eberhard Schmauderer: Seifenähnliche Produkte im alten Orient. In: Technikgeschichte. Band 34, 1967, S. 300–310.
Eberhard Schmauderer: Seife und seifenähnliche Produkte im klassischen Altertum. In: Technikgeschichte. Band 35, 1968, S. 205–222.
Bernhard Dietrich Haage: Zu deutschen Seifenrezepten des ausgehenden Mittelalters. In: Sudhoffs Archiv. Band 54, 1970, S. 294–298.
Peter Donkor: SMALL-SCALE SOAPMAKING – A handbook. Ebook englisch online bei SlideShare, 1986, ISBN 0-946688-37-0.
Bob Spencer / Practical Action: SOAPMAKING. PDF 2005, englisch online.
Weblinks
Einzelnachweise
Reinigungsmittel
Tensid
Carbonsäuresalz
Stoffgemisch
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Q34396
| 138.812783 |
479222
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https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%A4hrungssymbol
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Währungssymbol
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Ein Währungssymbol (oder Währungszeichen) ist ein besonderes Schriftzeichen, das als Abkürzung für eine Währung verwendet wird. Es wird entweder nach (12,80 €) oder vor dem Betrag ($ 12,80) geschrieben. Es wird ein oder kein Leerzeichen zwischen Symbol und Betrag gesetzt (sprachabhängig).
In manchen Ländern, am bekanntesten Portugal und Frankreich, wurden die Währungssymbole vor Einführung des Euro auch als Dezimaltrennzeichen in dem Betrag verwendet (12$80 oder in Franc 12F80).
Um Verwechslungen auszuschließen, werden Währungssymbole, die für mehrere Währungen gelten, auch zusammen mit Buchstabenkürzeln verwendet (beispielsweise US-$, US$).
Im internationalen Zahlungsverkehr werden Abkürzungen nach ISO 4217 ihrer Eindeutigkeit wegen bevorzugt; auch sind sie mit Informationstechnik austauschbar und Symbole aus fremden Kulturkreisen werden oft nicht verstanden.
Weblinks
Chart-Tabelle mit der Codierung der Währungszeichen. (PDF; 88 kB; englisch) Unicode-Konsortium
Einzelnachweise
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Q308229
| 118.22249 |
15771
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https://de.wikipedia.org/wiki/Flughafen
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Flughafen
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Mit Flughafen, seltener auch Lufthafen, wird ein Flugplatz samt Infrastruktur bezeichnet, auf dem normalerweise regelmäßiger kommerzieller Flugverkehr stattfindet. Im Gegensatz dazu ist die Allgemeine Luftfahrt (General Aviation, abgekürzt GA) meistens nur am Rande vertreten. Militärflugplätze werden nicht als Flughäfen deklariert. Flughäfen erfüllen meist einen höheren Sicherheitsstandard als andere Flugplätze wie zum Beispiel Landeplätze. Auf ihnen ist je nach Größe eine unterschiedliche Flughafeninfrastruktur wie Hangars, Wartungseinrichtungen für Flugzeuge, Abfertigungsanlagen am Boden, Luftverkehrskontrolle und Serviceeinrichtungen für Passagiere (Restaurants, Lounges und Sicherheitsdienste) vorhanden. In anderen Ländern werden unter Airport manchmal auch kleinere Flugplätze verstanden, auf denen ausschließlich die allgemeine Luftfahrt oder das Militär beheimatet ist.
Begriffsherkunft
Die ersten befestigten Flughäfen waren eigentlich Schiffshäfen, da zu Beginn der Luftfahrtgeschichte die ersten größeren koordinierten Fluglinien mit Wasserflugzeugen eingerichtet wurden. Später wurden dann die ersten Ausschreibungen für den Bau von Flughäfen veröffentlicht und so die ersten Erfahrungen gesammelt, welche die Entwicklung der Flughäfen nachhaltig prägten.
Geschichte der Flughäfen
Die ersten speziell für einen ständigen Flugbetrieb von Flugzeugen vorgesehenen Flugplätze wurden Aerodrom bzw. Aerodrome genannt (im Deutschen belegt seit 1909). Sie bestanden aus baum- und strauchlosen Grasflächen, die je nach Windrichtung von allen Seiten zu befliegen waren und an deren Rand Flugzeuge in einfachen Hangars abgestellt und gewartet werden konnten. Oft wurden auch Zuschauertribünen errichtet, um mit Eintrittsgeldern von Fluginteressierten einen Teil der Bau- und Unterhaltskosten zu decken. Diese Plätze dienten anfänglich nicht dem Verkehr – dem Transport von Post, Gütern oder Menschen –, sondern wurden ausschließlich für Test- und Schauflüge sowie Fliegertreffen und Flugwettbewerbe genutzt. Das erste Aerodrome dieser Art war der Port-Aviation bei Viry-Châtillon, der offiziell am 23. Mai 1909 mit einem Flug von Léon Delagrange eröffnet wurde. Das erste Aerodrom in Deutschland war der am 26. September 1909 eröffnete Flugplatz Johannisthal.
Erst nach dem Ersten Weltkrieg – mit zunehmender Sicherheit der entwickelten Flugzeuge, Zunahme der Flugzeuggrößen und dem Angebot von Überlandflügen durch Lufttransportunternehmen – entwickelten sich Flugplätze zu Flughäfen mit stetig steigenden Passagierzahlen.
Die Nachfrage der Passagiere nach einem regelmäßigen Flugverkehr führten zu erhöhten Anforderungen bezüglich Sicherheit und eines geordneten, konfliktfreien Ablaufs.
Der Brasilianer Alberto Santos Dumont stellte bei einem Besuch bei Theodore Roosevelt 1902 erstmals das Konzept eines Airports vor. Eines der ersten Flughafenrestaurants wurde 1914 in Leipzig-Mockau durch Otto Wilhelm Scharenberg errichtet.
Der erste internationale Flughafen, der Flughafen Croydon, entstand 1920 im Süden von London. Im Deutschen ist die Wortschöpfung Flughafen seit 1917 belegt. Im Jahre 1922 wurde in Königsberg (Preußen) der erste rein kommerzielle Flughafen fertiggestellt, der Flughafen Devau. 1952 wurde der Flughafen Hannover-Langenhagen am derzeitigen Standort errichtet. Er war der erste seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Deutschland neu erbaute Flughafen.
Die Flughäfen in ihrer heutigen Komplexität entstanden nach und nach und passten sich in der Entwicklung dem jeweiligen Stand der Flugzeugtechnik an. Grasflächen konnten bei zunehmendem Gewicht der Flugzeuge nur bei relativ trockenem Wetter genutzt werden, daher wurden vielfach auf solchen Plätzen eine oder zwei Bahnen (Parallelbahnsystem) aus verdichtetem Erdreich, Asphalt oder Beton in der vorherrschenden Windrichtung angelegt, so zum Beispiel in Berlin-Tempelhof. An Orten mit wechselnden Windrichtungen wurden Start- und Landebahnen auch als Parallelbahnsysteme mehrfach angelegt, wie etwa in Chicago O’Hare, oder als Triangularbahnsystem, wie in Johannesburg, oder als Tangentialbahnsystem.
Die ersten Flugzeuge flogen ausschließlich unter Sichtflug-Bedingungen. Um auch bei schlechten Sichtbedingungen oder gar nachts einen Flughafen anfliegen zu können, wurde Ende der 1920er Jahre die Beleuchtung (Befeuerung) der Runways eingeführt. Etwa Mitte 1930 kam dann das ALS (engl. approach lighting system) in Gebrauch: Landelichter, welche dem Piloten die Richtung und den Anflugwinkel signalisierten. Dieses System wurde in den folgenden Jahren verfeinert und mit Hilfe der ICAO standardisiert. Anfang der 1940er Jahre wurden erste erfolgreiche Versuche mit einem vollautomatischen Landesystem bei den Askania-Werken mit einer Junkers Ju 52/3m durchgeführt. Das Instrumentenlandeverfahren (ILS) ist heute das häufigste Anflugverfahren bei Instrumentenflügen.
Das Aufkommen der Strahlflugzeuge in den 1960er Jahren und die dadurch erreichbaren größeren Entfernungen führte zu einer drastischen Zunahme der Passagierzahlen und der Luftfracht. Das veränderte das Bild der Flughäfen deutlich. Es wurden wesentlich längere Start- und Landebahnen notwendig. Die ehemals eher gemütlichen kleinen Flughäfen entwickelten sich zu rasanten, hektischen Gebilden. Konnten sich vormals nur einige gut betuchte Fluggäste einen Flug erlauben, ist er heute im Zeitalter des Massentourismus und der Billigfluggesellschaften für viele erschwinglich.
Rechtliche Situation
Deutschland
Flughäfen sind im deutschen Luftrecht Flugplätze, die nach Art und Umfang des vorgesehenen Flugbetriebes einer Sicherung durch einen Bauschutzbereich nach LuftVG bedürfen. Bauschutzbereiche sind die Bereiche um einen Flughafen, in denen aus Gründen der Sicherheit des Flugbetriebs eine Hinderniserfassung und -kontrolle stattfinden muss. Das bedeutet, dass Bauwerke (Gebäude und andere Hindernisse wie Windkraftanlagen, LuftVG) innerhalb und teilweise außerhalb des Bauschutzbereichs von der Baubehörde nur mit Zustimmung der Luftfahrtbehörde genehmigt werden dürfen ( Abs. 2 LuftVG).
Das deutsche Luftrecht unterscheidet die Flugplätze in Abs. 1 LuftVG und weiter differenzierend in der LuftVZO ():
Flughäfen
Verkehrsflughäfen
Sonderflughäfen
Landeplätze
Verkehrslandeplätze
Sonderlandeplätze
Segelfluggelände
Die Genehmigung zur Anlegung und zum Betrieb von Flugplätzen wird nach den , bis LuftVG von der Luftfahrtbehörde des Landes erteilt, in dem das Gelände liegt. Probleme können sich bei länderübergreifenden Bauschutzbereichen von Flugplätzen ergeben.
Deutsche Flughäfen, wie sie in der Liste der Verkehrsflughäfen in Deutschland aufgeführt sind, unterscheidet man weiter in
Internationale Flughäfen ( LuftVG) und
Regionalflughäfen.
Zwischen Regionalflughäfen und Internationalen Verkehrsflughäfen besteht ausschließlich ein rechtlicher Unterschied insofern, als bei einem internationalen Verkehrsflughafen der Bund einen Bedarf für die Vorhaltung von Flugsicherung anerkannt hat ( Abs. 1 LuftVG), bei einem regionalen Platz hingegen nicht. Somit führen auf einem Internationalen Verkehrsflughafen die Lotsen der DFS die Flugsicherung durch, auf einem regionalen Platz arbeiten Lotsen eines weiteren zertifizierten Flugsicherungsunternehmens. In Deutschland sind zurzeit folgende Flugsicherungsunternehmen durch das BMVBS zertifiziert worden: DFS (übernimmt per Gesetz die 16 internationalen Verkehrsflughäfen), DFS Aviation Services (eine Tochter der DFS, um auf Regionalflughäfen Flugsicherungsdienste anbieten zu können) und Austro Control. Zusätzlich haben sich die Flugplätze Mannheim und Hamburg-Finkenwerder für ihre eigenen Flugsicherungsdienste zertifizieren lassen.
An den „regionalen“ Plätzen dürfen – trotz der Bezeichnung – internationale Flüge stattfinden. Für den Begriff internationaler Verkehrsflughafen besteht zudem effektiv kein rechtlicher Schutz. So verwendet ihn die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Verkehrsflughäfen auch für eine Reihe von Plätzen, die behördlich als Regionalflughäfen eingestuft sind.
Das Flughafenmanagement wird vom Flughafenbetreiber gestellt, der auch für die Flughafeninfrastruktur verantwortlich ist.
In Deutschland herrscht Flugplatzzwang.
Österreich
Das österreichische Luftfahrtgesetz besagt: „(Ein) Flughafen ist ein öffentlicher Flugplatz, der für den internationalen Luftverkehr bestimmt ist und über die hiefür erforderlichen Einrichtungen verfügt.“ Als Überbegriff wird Flugplatz verwendet. Das österreichische Recht unterscheidet folgende Arten von Zivilflugplätzen:
Flughafen
Flugfeld (definiert als „Flugplatz, der nicht Flughafen ist“)
Weitere Unterscheidungsmöglichkeiten gemäß österreichischen Recht sind:
öffentlicher Flugplatz und Privatflugplatz
Flugplätze für Motorflugzeuge, Hubschrauber, Segelflugzeuge
nach den Ausmaßen der für Start und Landung vorgesehenen Bewegungsflächen
nach zugelassenem Flugbetrieb: Sichtflugbetrieb bei Tag/Nacht, Instrumentenflugbetrieb, Präzisionsinstrumentenflugbetrieb der Kategorie I, II oder III
Militärflugplätze und Zivilflugplätze: Militärflugplätze sind Flugplätze, deren Leitung in den Wirkungsbereich des Bundesministers für Landesverteidigung fällt, alle anderen sind Zivilflugplätze.
Schweiz
In der Schweiz gibt es folgende Begriffe: Flugplatz, Flughafen, Flugfeld, Gebirgslandeplatz, Militärflugplatz.
Flugplatz ist der Oberbegriff. In der Schweiz herrscht Flugplatzzwang, d. h., Flugzeuge, Segelflugzeuge und Ecolight-Flugzeuge dürfen nur auf offiziellen Flugplätzen starten und landen. Diese Plätze sind (bis auf wenige Ausnahmen!) im AIP veröffentlicht. Segelflugzeuge dürfen außenlanden, Flugzeuge dürfen mit Fluglehrer Außenlandeübungen durchführen und auch Helikopter dürfen unter bestimmten Voraussetzungen außenlanden.
Ein Flughafen ist ein Flugplatz mit Konzession. Diese gibt dem Flughafenbetreiber gewisse Rechte. Im Gegenzug besteht eine Betriebs- und Zulassungspflicht. Betriebspflicht heißt, der Flughafenbetreiber muss feste Betriebszeiten veröffentlichen und den Flughafen zu diesen Zeiten dann auch offen halten. (Das impliziert z. B. einen Winterdienst.) Zulassungspflicht heißt, dass kein Flugzeug, das dort landen will, abgewiesen werden darf. Es darf aber Beschränkungen geben, z. B. Privatflugzeuge nur nach Voranmeldung und in einem zugewiesenen Zeitfenster. Ein Verbot für Segelflugzeuge ist zulässig.
Ein Flugfeld ist ein Flugplatz ohne Konzession, Betriebs- und Zulassungspflicht. Die meisten Flugfelder in der Schweiz haben keine festen Öffnungszeiten und sind PPR, d. h., sie dürfen nur nach vorheriger Anfrage angeflogen werden. (Diese Anfrage kann vor dem Start telefonisch, aber durchaus auch erst vor der Landung über Funk erfolgen.) Einige Flugfelder sind auch für auswärtige Flugzeuge ganz gesperrt.
Ein Gebirgslandeplatz ist eine unbefestigte Landestelle über 1100 m ü. M. In der Schweiz sind rund 40 Gebirgslandeplätze ausgewiesen. Das sind Plätze in den Alpen ohne jede Infrastruktur, auf denen wie auf Flugplätzen gelandet und gestartet werden darf. Es gibt auch Gebirgslandeplätze nur für Helikopter. Der Pilot muss eine besondere Ausbildung absolviert und eine Prüfung abgelegt haben. Die meisten Gebirgslandeplätze befinden sich auf Gletschern, d. h. sie können ganzjährig nur von mit Skikufen ausgerüsteten Maschinen angeflogen werden.
Ein Militärflugplatz ist ein Flugplatz, der durch das Militär betrieben wird. Zivilen Flugzeugen ist die Landung auf Militärflugplätzen unter Umständen möglich.
Vereinigte Staaten von Amerika
In den Vereinigten Staaten werden die englische Begriffe Airport und Aeorodrome meist synonym für kommerzielle Flughäfen verwendet. Air Base bezeichnet Flugplätze für die militärische Nutzung.
Rechtlich wird nicht zwischen Flughafen und Flugplatz unterschieden. Die rechtliche Kategorisierung ergibt sich nicht aus der vorwiegenden Nutzung, sondern der Passagierzahl. Diese Kategorisierung ist Grundlage für die Höhe der Bundesmittel aus dem National Plan of Integrated Airport Systems.
Commercial Service Airports
Primary Airports
Large Hub mit einem Passagieraufkommen von über einem Prozent in den Vereinigten Staaten.
Medium Hub mit einem Passagieraufkommen zwischen 0,25 % und ein Prozent.
Small Hub mit einem Passagieraufkommen zwischen 0,05 % und 0,25 %.
Nonhub mit einem Passagieraufkommen von über 10.000 Passagieren, aber weniger als 0,05 %.
Nonprimary Commercial Service Airports mit einem Passagieraufkommen zwischen 2.500 und 10.000 Personen.
Reliever Airports als Ausweichflughäfen, wenn kommerziellen Flughäfen eine Überlastung droht.
General Aviation Airports sind Flughäfen der Allgemeinen Luftfahrt von nationaler, regionaler oder lokaler Bedeutung mit einem Passagieraufkommen von weniger als 2.500 Personen.
Cargo Service Airports mit einer jährlichen Fracht von mehr als 100 Millionen Pfund
Flughäfen, die ausschließlich einer privaten Nutzung unterliegen (z.B Privatflugplätze oder Vereinsflugplätze), werden nicht kategorisiert und erhalten keine Finanzmittel.
Aufgaben von Flughäfen
Flughäfen verknüpfen land- und luftseitige Verkehrsträger, was als intermodale Verkehrsanbindung (Verknüpfung verschiedener Verkehrsarten) bezeichnet wird. Der Modal-Split gibt hierbei Auskunft über die Anteile der verschiedenen Verkehrsträger am Verkehrsaufkommen bzw. der Verkehrsleistung. Landseitig können Flughäfen mit dem motorisierten Individualverkehr (MIV) über eine Straßenanbindung und Parkraum, dem ÖPNV (Linienbus, Straßen-, U-Bahn), dem Schienenpersonennahverkehr (S- und Regionalbahnen), dem Schienenpersonenfernverkehr (IC/EC/ICE) oder der Schifffahrt auf Flüssen und Kanälen sowie der See vernetzt werden. Man kann zwischen der infrastrukturellen Verknüpfung (physisch) einerseits, und der intermodalen Dienstleistungskette andererseits unterscheiden. Ersterer ist bei den Verkehrsflughäfen in Deutschland gut ausgebaut, letztere kaum vorhanden.
Aus der Verknüpfung von bodengebundenem Verkehr (Schienenverkehr, Straßenverkehr) und Luftverkehr ergeben sich für Passagiere und Fracht vier mögliche Verkehrsrichtungen:
Boden-Boden
Boden-Luft (Abflug)
Luft-Boden (Ankunft)
Luft-Luft (Transit)
Der Boden-Boden-Verkehr kann hier vernachlässigt werden, da er auf Flughäfen im Allgemeinen nicht von großer Bedeutung ist. Lediglich im Zusammenhang mit Flughafenbahnhöfen, wie am Flughafen Frankfurt Main oder Flughafen Paris-Charles de Gaulle erhält dieser Verkehr größere Bedeutung. Die wesentlichen verkehrslenkenden Aufgaben eines Flughafens bestehen in der Abwicklung von Ankunft, Abflug und Transit von Passagieren und Fracht.
Hierfür muss der Flughafen je nach Aufkommen eine ausreichende Infrastruktur bereitstellen. Das beinhaltet Parkplätze für Kurz- und Dauerparker, Taxi- und Bushaltestellen, Gepäck- und Passagierlenkungseinrichtungen, Zoll- und Passkontrollanlagen und Sicherheitseinrichtungen.
Wirtschaftliche Aspekte
Geschäftsmodelle
Die Ausrichtung der Geschäftsmodelle eines Flughafens zählt zu den fundamentalsten und wichtigsten Aufgaben des Flughafenbetreibers. Von ihnen ist neben den Aufgaben und Tätigkeitsfeldern des Flughafens, die Einnahmestruktur, die Unternehmensführung sowie die Positionierung abhängig. Das Finden der richtigen Geschäftsmodelle für einen Flughafen ist ein langwieriger Prozess, bei dem viele verschiedene individuelle Faktoren berücksichtigt werden müssen. Gegebenenfalls müssen aufgrund weitreichender Änderungen im Luftverkehr Anpassungen bzw. Veränderungen vorgenommen werden. Eine ständige Überprüfung der Marktsituation sowie der eigenen Gegebenheiten ist daher unerlässlich.
Bei der Positionierung der Flughäfen spielen folgende Strategiekonzepte eine wesentliche Rolle:
Drehkreuz-Flughäfen
Der Drehkreuz-Flughafen, auch Hub-Flughafen genannt, wird als ein Flughafen definiert, von dem eine oder mehrere Fluggesellschaften ein integriertes Servicenetzwerk zu einer Vielzahl von verschiedenen Destinationen mit einer hohen Frequenz an Verbindungen anbieten. Damit stellt er einen zentralen Verkehrsknotenpunkt bzw. Umsteigeflughafen für eine oder mehrere Linienfluggesellschaften dar. Hub-Flughäfen haben sich hauptsächlich auf Linienfluggesellschaften spezialisiert und richten sich ganz nach deren Bedürfnissen. Sie bieten einen hochwertigen, an die Passagiergruppen im Business- und First-Class-Bereich angepassten Service an. Hierunter fallen beispielsweise eine schnelle Verkehrsanbindung, Bürodienstleistungen oder Lounges. Sie verfügen aber auch über Ferienflug- sowie teilweise über Billigflugpassagiere. Hub-Flughäfen weisen einen hohen Anteil an Transferverkehr auf. Um diese Funktion ausüben zu können, müssen sie über spezielle Infrastruktureinrichtungen verfügen.
Hybridmodelle
Die Hybridmodelle oder Vollsortimenter ohne eindeutige Spezialisierung bzw. Positionierung sind als mittelgroße Hubs und Punkt-zu-Punkt-Flughäfen durch einen Mix heterogener Fluggesellschaften und einer starken Ausrichtung an ihrem Einzugsgebiet geprägt. Die Erfüllung der divergierenden Anforderungen der unterschiedlichen Kundengruppen hat sich jedoch als schwierig erwiesen. Zudem ist eine eindeutige Positionierung beispielsweise über eine Differenzierung oder Kostenführerschaft nicht möglich. Die Flughäfen sehen sich deshalb der Herausforderung gegenüber, sich durch die Umsetzung hybrider Strategien erfolgreich im Wettbewerb mit konkurrierenden Flughäfen in überlappenden Einzugsgebieten zu behaupten.
Spezialisierung auf Billigfluggesellschaften
Für Flughäfen, die sich auf Billigfluggesellschaften spezialisiert haben, wird zunehmend der Begriff „Low-Cost-Flughafen“ verwendet. Billigfluggesellschaften siedeln sich zum Aufbau einer Basis häufig an kostengünstigeren Flughäfen wie Regional- oder Militärflughäfen an, die sich in erreichbarer Nähe zu Wirtschaftszentren oder großen Städten befinden.
Frachtflughäfen
Neben den reinen Frachtflughäfen gibt es Großflughäfen wie beispielsweise Frankfurt, die den Frachtbetrieb als zweites Standbein fördern. Um dieses Frachtaufkommen zu bewältigen, verfügen die Flughäfen zum einen über einen bestimmten Terminalaufbau und zum anderen unterliegen sie keinen gesetzlichen Beschränkungen wie beispielsweise dem Nachtflugverbot. Darüber hinaus ist es wichtig, dass die Flughäfen eine gute Schienen- und Straßenanbindung aufweisen, damit die Fracht auf dem kürzesten Weg weiter transportiert werden kann. Zudem sollten die Frachtflughäfen über ausreichend Platz für die Frachtterminals verfügen. Ein Frachtterminal beinhaltet einen Frachtannahme-/-ausgabebereich, einen Sortier- und Lagerbereich, einen Frachtlade-/-entladebereich, Lagerräume für Spezialfracht sowie den Verwaltungsbereich. Den größten Bereich stellt das Sortierzentrum dar.
Einfluss von Flughäfen auf die Umgebung
Die volkswirtschaftliche Bedeutung von Flughäfen für die jeweilige Region werden in vielen Gutachten betont. Die behaupteten Effekte lassen sich aber nur schwer verifizieren. Der Einfluss von Flughäfen auf die Umgebung wird in den Gutachten durch vier Effekte beschreiben:
Direkter Effekt
Die ökonomische Aktivität auf den Flughäfen, d. h. die Kaufkraftabschöpfung der durchreisenden oder verbleibenden Touristen, und die unmittelbare Belebung des Arbeitsmarktes durch Einstellungen von Personal im Dienstleistungsbereich hat für die Gesamtbilanz einer Region eine Bedeutung. Allerdings wird durch den Ferienflugverkehr auch Kaufkraft in die Urlaubsregionen exportiert.
Indirekter Effekt
Flughäfen bieten weiter ein wirtschaftliches Potenzial für die gesamte Region, in welcher der Flughafen liegt, durch Auftragsvergaben an Zulieferer und Dienstleister, und durch Transport von Personen und Gütern, in erster Linie von hochwertigen Produkten und rasch verderblichen Gütern, über große Entfernungen. Die qualitative Dimension des Luftfrachtverkehrs spiegelt sich darin, dass einem Anteil am Weltfrachtverkehr von lediglich 2 bis 3 Prozent bis zu einem Drittel des gesamten Frachtwertes gegenübersteht.
Induzierter Effekt
Flughäfen beleben nach außen hin ihr näheres und weiteres wirtschaftliches Umfeld durch Konsumnachfrage aus dem Erwerbseinkommen der Beschäftigten auf dem Flughafen und den zuarbeitenden Betrieben. Das gilt auch im Hinblick auf den Arbeitsmarkt. Prosperierende Flughäfen schaffen als Multiplikatoren nicht nur neue Arbeitsplätze am Flughafen, sondern darüber hinaus auch in der Region.
Katalytischer Effekt
Der Standortvorteil, der durch die Nähe zum Flughafen und zu dessen Verknüpfungen mit dem Straßen- und Schienennetz entsteht, ist ein Entscheidungskriterium bei der Ansiedlung besonders von international operierenden Hochtechnologiefirmen und von Unternehmen mit engen inhaltlichen Bindungen an den Luftverkehr.
Für innerstädtisch gelegene Flughäfen (z. B. Flughafen São Paulo-Congonhas, Berlin-Tempelhof oder London City) ergeben sich spezielle wirtschaftliche Aspekte. Sie können einerseits innerstädtische Gewerbeflächen blockieren, andererseits als Verkehrsknotenpunkt auch die Wirtschaft fördern. Die darauf abgestimmten Angebote kleiner Fluggesellschaften und der Allgemeinen Luftfahrt werden an solchen Plätzen insbesondere vom Geschäftspublikum genutzt und sind damit auch ein Standortvorteil.
Darüber hinaus entstehen noch:
Wirtschaftliche Auswirkung der Lärmbelastung
Ein Flughafen verursacht durch seine Schallemissionen in der Umgebung einen lärmbedingten Abschlag vom Bodenwert, der von Fachleuten unterschiedlich bewertet wird.
Das Umweltbundesamt definiert einen Noise Sensitivity Depreciation Index (NSDI) mit 0,87 % je dB(A) als Ergebnis einer Auswertung verschiedener Veröffentlichungen („Metax-Analyse“). Der NSDI misst die prozentuale Wertänderung einer Immobilie pro Dezibel Lärmbelastung.
Der Einfluss von Verkehrslärm auf den Verkehrswert von bebauten Immobilien wurde mit Hilfe von Kaufpreisen bei Neubauten in mittleren Wohnlagen im Durchschnitt zwischen 5 % und 10 % ermittelt.
Messung der wirtschaftlichen Bilanz von Flughäfen
Drei Kenngrößen sind für den wirtschaftlichen Erfolg eines Flughafens entscheidend:
Passagieraufkommen
Anzahl der Flugbewegungen.
Höchstabfluggewicht (MTOW = maximum take-off weight)
Die Anzahl der beförderten Passagiere wirkt sich über den Fluggasttarif, der von der jeweiligen Fluggesellschaft erhoben wird, direkt auf die Ertragslage eines Flughafens aus. Die Anzahl der Flugbewegungen gibt als Summe der Starts und Landungen Auskunft über die Auslastung der Start- und Landebahn- und Abstellkapazitäten am Vorfeld. Das MTOW wird vom Hersteller für jeden Flugzeugtyp definiert und fließt in die Berechnung des Landetarifs einer Maschine ein.
Eine ideale, aber selten erreichte Konstellation ergibt sich für einen Flughafen bei einer Kombination aus hohem MTOW-Wachstum, verbunden mit hohen Passagierzahlen und einer unterproportionalen Zunahme der Flugbewegungen. Das bedeutet zusammengenommen eine optimale Auslastung der Pistenkapazität.
Aufbau eines Flughafens
Moderne Flughäfen sind sehr unterschiedlich konzipiert. Kleinere Flughäfen wie Bremen besitzen nur eine Landebahn. Auf größeren Flughäfen wie etwa Zürich oder Frankfurt ermöglichen mehrere Landebahnen, die z. T. in unterschiedliche Richtungen zeigen, und eventuell mehrere Terminals die gleichzeitige und schnelle Abfertigung mehrerer Flugzeuge. Einige Grundprinzipien sind jedoch allen Flughäfen gemeinsam, um Start und Landung sowie Versorgung und Beladung der Flugzeuge sicher und reibungslos bewerkstelligen zu können.
Funktionelle Abläufe
Flughäfen verzeichnen einen auf relativ engem Platz stark verdichteten Flugverkehr, der durch Starts und Landungen zusätzlich verkompliziert wird. Aus diesem Grunde ist eine exakte Leitung des Flugverkehrs an Flughäfen unbedingte Voraussetzung für eine sichere und reibungslose Abwicklung. Auf dem Vorfeld werden Bewegungen von Flugzeugen und Fahrzeugen jeder Art von der Rollkontrolle (engl. ground control) visuell und mittels Radar überwacht. Die Rollkontrolle übergibt das Flugzeug für einen Start an den Kontrollturm (engl. tower). Der Tower kontrolliert Pisten und Rollwege, ist also für Starts und Landungen sowie An-, Ab- und Überflüge innerhalb der Kontrollzone (CTR) zuständig. Die weitere Umgebung eines Flughafens wird von der An-/Abflugkontrolle (arrival/departure) überwacht.
Auf einem stark frequentierten Großflughafen wie beim Flughafen Frankfurt erfolgen die Starts und Landungen, besonders in den Rush-Hour-Zeiten, im 2-Minuten-Takt. Durch diese engen Zeitvorgaben wird eine Eigenschaft wichtig, die alle Flugzeuge im Flug aufweisen. Ein Flugzeug hinterlässt auf seiner Flugbahn zwei gegenläufige Luftwirbel, die als Wirbelschleppen (engl. wake turbulence) bezeichnet werden. Wirbelschleppen entstehen, weil durch einen Druckunterschied zwischen Unter- und Oberseite einer Auftrieb erzeugenden Fläche an deren Ende eine Umströmung von unten nach oben erfolgt. Diese Turbulenzen sind für das jeweils nachfolgende Flugzeug gefährlich, deswegen muss ein Mindestabstand eingehalten werden. Bei ausgefahrenen Klappen, also bei Start oder Landung, verstärkt sich in Abhängigkeit vom Gewicht (MTOW) des Flugzeuges die Intensität der hinter dem Flugzeug verbleibenden schlauchartigen Wirbelschleppen. Die Lebensdauer wird vom Wind und der Atmosphäre beeinflusst. Das Auftreten von Wirbelschleppen auf Flughäfen beeinflusst somit die An- und Abflugfrequenz sowie die Startabfolge. Die Koordinierung der unterschiedlichen Flugzeugtypen ist Aufgabe der Fluglotsen in der Ab-/Anflugkontrolle.
Die ICAO schreibt beispielsweise folgende Mindestabstände (engl. wake turbulence separation minima) für bestimmte Gewichtsklassen vor:
light ← light: 3 NM (C182 – C182)
medium ← medium: 3 NM (A320 – A320)
heavy ← medium: 5 NM (B747 – A320)
heavy ← light: 6 NM (B747 – C182)
Da die Kapazität mancher Flughäfen wegen der starken Nachfrage bei vorgegebenen Ressourcen und Beschränkungen irgendwann erschöpft ist, erhalten die Fluggesellschaften hier enge Zeitfenster, sogenannte Slots, während der eine Fluggesellschaft einen Flughafen zum Starten oder Landen eines Flugzeugs nutzen kann.
Die Beschreibung der Passagier- und Frachtabfertigung ist im Einzelnen unter Abfertigung (Flugverkehr) zu finden.
Umwelt
Der insbesondere beim Abflug entstehende Fluglärm belastet die Anrainer von Flughäfen schwer. Für Fluglärm ist kennzeichnend, dass die Beschallung vorwiegend von oben erfolgt. Daher ist eine Abschirmung durch Barrieren, wie beispielsweise andere Gebäude, Wälle oder Hauswände nicht möglich. Rückzugsmöglichkeiten innerhalb der Wohnung in weniger laute Räume, wie z. B. in das ruhigere Schlafzimmer an der Rückseite des Hauses fehlen. Außenwohnbereiche, wie Terrassen und Gärten, können nur passiv durch eine Abstandsvergrößerung zum Flughafen wirkungsvoll gegen Fluglärm geschützt werden.
Der Nachtflugverkehr kann zu erheblichen Gesundheitsgefahren führen (Störung des Immunsystems, Störung der Gedächtnisfunktionen, Bluthochdruck etc.). Von Kritikern wird vor allem für den Nachtflugverkehr angenommen, dass der volkswirtschaftliche Schaden den Nutzen der Nachtflüge übersteigt.
In den letzten Jahren werden durch aktive und passive Maßnahmen von allen Beteiligten Anstrengungen zur Minderung der Geräuschbelastung durch den Luftverkehr unternommen:
Entwicklung lärmgeminderter Flugzeuge durch die Hersteller
steilere An- und Abflugrouten, um durch raschen Höhengewinn und -verlust den Schalldruck zu mindern (hier gibt es allerdings nur sehr wenig Spielraum, da diese Kriterien von der ICAO festgelegt werden (z. B. ILS-Anflug 3 Grad))
Verlegung der An- und Abflugrouten
freiwillige Nachtflugbeschränkungen der Verkehrsflughäfen
zeitliche Betriebsbeschränkungen für laute Flugzeuge
lärmdifferenzierte Landegebühren als Benutzervorteil für lärmarme Flugzeuge, um die Fluggesellschaften im Eigeninteresse zum Kauf von geräuscharmen Flugzeugen zu bewegen
freiwillige Schallschutzfensterprogramme der Flughäfen
zusätzliche stationäre Fluglärmüberwachungsanlagen in der Umgebung von Flughäfen, um eine ständige Kontrolle und Dokumentation der aktuellen Geräuschbelastung zu erhalten
planerische Maßnahmen, wie die Festsetzung von Siedlungsbeschränkungsbereichen
Siedlungs- und Verkehrspolitik spielen eine erhebliche Rolle für das Ausmaß der Lärmbelastung. Einige deutsche Flughäfen waren bei ihrer erstmaligen Genehmigung/Inbetriebnahme weitab jeglicher Wohnbebauung angesiedelt. In diesen Fällen ist die eigentliche Ursache für die Lärmprobleme in der kommunalen Bebauungspolitik zu suchen, die im Laufe der Jahrzehnte eine immer näher an die Flughäfen heranreichende Wohnbebauung gestattete. Andere, auch inzwischen sehr große Flughäfen wie Berlin-Tegel oder Hamburg-Fuhlsbüttel, wurden als kleine Flugplätze mitten in Siedlungsgebieten angelegt und zu Lasten der Wohnbebauung immer weiter ausgebaut. Einige Flughäfen – wie z. B. München – haben den Standort verlegt. Allerdings haben sich auf Grund der Tatsache, dass der Flughafen ein großer Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor ist, Siedlungen um den Flughafenbereich gebildet, deren Bewohner nun gegen den Ausbau des Flughafens demonstrieren.
Neben der Lärmbelastung, den Abgasemissionen, der Oberflächenversiegelung, der Müllproduktion und dem Trinkwasserverbrauch ist besonders der Winterdienst ein belastender Faktor für die Umwelt. Um auch im Winter den Betrieb von Flughäfen aufrechtzuerhalten, müssen die Flugbetriebsflächen durch Flächenenteisung und auch die Flugzeuge selbst von Eis und Schnee befreit werden. Neben der mechanischen Beseitigung werden hierfür biologisch abbaubare Bewegungsflächenenteiser und Enteisungsmittel verwendet, die zusätzlich in speziellen Kläranlagen rückgewonnen werden.
Der Bau von Flughäfen führt wegen des großen Flächenbedarfs und der zu erwartenden Beeinträchtigungen von Mensch und Natur immer wieder zu erheblichen Protesten und zu sehr langwierigen Planungsverfahren. Bekanntestes Beispiel für Proteste gegen Flughafenerweiterungen in Deutschland ist der Kampf gegen die Startbahn West des Frankfurter Flughafens in den 1980er Jahren.
Bei der Gestaltung und Bewirtschaftung von Flughafengrünland steht die Flugsicherheit im Vordergrund. Hindernisfreiheit und Tragfähigkeit sind wichtige Kriterien, aber auch die Verringerung der Attraktivität für Schwarm- und Großvögel, die dem Luftverkehr gefährlich werden können.
Zur Verhütung von Vogelschlägen im Luftverkehr müssen für jeden Flughafen Bewirtschaftungsformen gefunden werden, die auf die ökologischen Gegebenheiten vor Ort abgestimmt sind und auf eine Verringerung des Vogelschlagrisikos abzielen. Diesem Zweck dient auch die Ausmagerung der vorhandenen Grünflächen, d. h. der weitgehende Verzicht auf Düngung. Als Begleiterscheinung dieser Maßnahme wurde an vielen Flughäfen eine Zunahme der Artenvielfalt bei Pflanzen und Kleinlebewesen beobachtet. Es gibt Flughäfen, auf denen Arten wieder heimisch sind, die man im Umland seit langem nicht mehr findet.
Der Ausbau von Flughäfen und die damit einhergehende Erhöhung des Flugverkehrs wird häufig kritisch von Klimaschützern beurteilt, da Emissionen von Flugzeugen erheblich stärker zur Klimaerwärmung beitragen als lange Zeit angenommen.
Zumindest in Schweden und der Schweiz werden zum Teil emissionsabhängige Landegebühren erhoben.
Flughafensicherheit
Die großen Verkehrsflughäfen mit ihrer Ansammlung von Personen auf vergleichsweise geringem Raum waren immer potentielle Ziele von Terroristen; umso mehr nach den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001.
Die Flughafensicherheit (engl. security) bezieht sich auf die Abwehr betrieblicher, technischer und von außen kommender Gefahren am Boden, während mit Flugsicherheit (engl. safety) die Verhinderung von Flugunfällen gemeint ist. Als äußere Gefahren gelten z. B. Flugzeugentführungen, Sabotageakte und andere terroristisch motivierte Angriffe oder Eingriffe. Die Zugangsbeschränkungen und Sicherheitskontrollen an Flughäfen gehören zu den Maßnahmen der Flughafensicherheit, die sich direkt auf die Flugsicherheit auswirkt.
Seit dem ersten September 2015 gibt es neue EU-Vorschriften für die Sicherheitskontrollen auf europäischen Flughäfen. Die Änderungen sollen vor allem dabei helfen, Spuren von Sprengstoff am Handgepäck der Fluggäste effektiver und sicherer aufzuspüren. Längere Wartezeiten soll es durch die ergänzende Regelung nicht geben.
Die meisten großen Flughäfen haben eigene von Polizeibeamten unterstützte Sicherheitskräfte. In einigen Ländern schützen auch Soldaten oder paramilitärische Kräfte die Flughäfen.
Benennung
Flughafencodes
Flughäfen werden durch ihren individuellen dreistelligen IATA-Flughafencode und den vierstelligen ICAO-Code (Location Indicator) gekennzeichnet.
Namen
Viele Flughäfen haben einen individuellen Namen oder auch verschiedene Namen. Ein Verkehrsflughafen wird in der Regel nach einer größeren Stadt benannt, zum Beispiel Flughafen Dresden. Eine genauere Angabe zum Standort kann als Namenszusatz hinzutreten, zum Beispiel Flughafen Berlin-Tegel zur Unterscheidung von anderen Berliner Flughäfen – oder Flughafen Kassel-Calden wegen der Lage des Flughafens im Gebiet der Gemeinde Calden. Manchmal weist eine Kombination von Ortsnamen wie beim Flughafen Leipzig/Halle darauf hin, dass der Flughafen zwei große Städte als Einzugsgebiete versorgt. Beim Flughafen Berlin Brandenburg wird die Metropolregion Berlin/Brandenburg als Einzugsgebiet angesprochen. Ein Beispiel für die Bezeichnung nach einer berühmten Person ist der John F. Kennedy International Airport in New York City. Gelegentlich wird die Ortsbezeichnung mit einem Personennamen kombiniert, wie beim Flughafen Paris-Charles-de-Gaulle.
Häufig werden verschiedene Namen oder Namensformen nebeneinander verwendet, etwa ältere neben jüngeren Namen, inoffizielle neben offiziellen Bezeichnungen oder fremdsprachliche neben eingedeutschten Namensformen. Zum Beispiel wurde der Flughafen Köln/Bonn 1994 umbenannt in „Flughafen Köln/Bonn – Konrad Adenauer“ und im Jahr 2002 weiter umbenannt in „Köln Bonn Airport“, wobei die deutsche Bezeichnung „Flughafen Köln/Bonn“ weiterhin gebräuchlich ist. Verkürzt kann der Flughafen auch als „Köln/Bonn“ angesprochen werden. Eine weitere Bezeichnung ist „Flughafen Köln-Wahn“, nach der Lage im Kölner Stadtteil Wahn.
Beispiele für Flughäfen mit genauerer Standortbezeichnung
Flughafen Berlin-Tegel – liegt im Ortsteil Tegel
„Flughafen Hamburg-Fuhlsbüttel“ (frühere Bezeichnung für den Flughafen Hamburg) – liegt im Stadtteil Fuhlsbüttel
Flughafen Kassel-Calden – liegt im Gebiet der Gemeinde Calden
Flughafen Rostock-Laage – liegt im Gebiet der Stadt Laage
Flughafen Wien-Schwechat – liegt im Gebiet der Stadt Schwechat
„Flughafen Zürich-Kloten“ (frühere Bezeichnung für den Flughafen Zürich) – liegt im Gebiet der Stadt Kloten
Flughafen Amsterdam Schiphol – benannt nach einer historischen Befestigungsanlage
Flughafen Helsinki-Vantaa – liegt im Gebiet der Stadt Vantaa
Flughafen Kopenhagen-Kastrup – liegt im Gebiet des Stadtteils Kastrup in Tårnby
Airport Stockholm Arlanda – liegt in einem Gebiet, das im Mittelalter Arland genannt wurde
Beispiele für Flughäfen mit kombinierten Ortsnamen
Flughafen Leipzig/Halle
Baltimore Washington International Airport
Flughafen Münster/Osnabrück
Flughafen Paderborn/Lippstadt
Flughafen Basel-Mülhausen, offiziell sogar nach drei Städten benannt: EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg
Maastricht Aachen Airport
Flughafen Erfurt-Weimar
Beispiele für die Benennung nach einer Person
John F. Kennedy International Airport in New York City
Aeroporto Francisco Sá Carneiro bei Porto
Aeropuerto Internacional José Martí bei Havanna
Beispiele für die Kombination Ortsbezeichnung, Personenname
Flughafen Berlin Brandenburg „Willy Brandt“
Flughafen München „Franz Josef Strauß“
Flughafen Nürnberg „Albrecht Dürer“
Hamburg Airport „Helmut Schmidt“
Salzburg Airport W. A. Mozart
Aéroport de Lyon-Saint-Exupéry
Aéroport de Paris-Charles-de-Gaulle
Aeroporto do Rio de Janeiro-Santos Dumont
Budapest Liszt Ferenc Airport
Beispiele für die Kombination Personenname, Ortsbezeichnung
Flughafen Johannes Paul II. Krakau-Balice
Flughafen Nikola Tesla Belgrad
Letiště Václava Havla Praha
Wissenswertes
Der am niedrigsten gelegene Flughafen in Europa ist Amsterdam-Schiphol, der etwa drei Meter unter dem Meeresspiegel liegt.
Einer der am niedrigsten gelegenen Flughäfen der Welt befindet sich nahe der US-amerikanischen Stadt Thermal (Kalifornien), ICAO-Code KTRM und liegt etwa 35 m unter dem Meeresspiegel.
Der Flugplatz Courchevel in den französischen Alpen verfügt über die Start- und Landebahn mit dem größten Gefälle/Steigung von 18,5 %, Flugzeuge landen bergauf und starten bergab. Er liegt in einer Höhe von 2007 m und ist damit der höchstgelegene Flugplatz Europas.
Der höchstgelegene Flughafen der Welt ist der Flughafen Dabba-Yardêng in der chinesischen Provinz Sichuan mit einer Höhe von 4411 m (14.472 ft) über dem Meeresspiegel.
Bis März 2023 wurde die Start-/Landebahn des Flughafens von Gibraltar von einer öffentlichen Straße gekreuzt, die bei Flugbetrieb mit einer Schranke abgesperrt wurde. Die Straße war die einzige Verbindung vom Festland zur Halbinsel.
Die Start-/Landebahn des Flughafens Gisborne in Neuseeland wird von einer Bahnlinie gekreuzt.
Der Princess Juliana Airport (Sint Maarten, ehemalige Niederländische Antillen) beginnt direkt am Strand. Die Flugzeuge fliegen nur wenige Meter über die Strandurlauber hinweg. In Europa gibt es fast ebenso spektakuläre Szenen am Flughafen Lanzarote und dem Flugplatz Helgoland.
Der weltweit einzige Flughafen, der von zwei Staaten gleichzeitig betrieben wird (nämlich von der Schweiz und Frankreich), ist der Flughafen Basel-Mülhausen.
Von 38 Flughäfen in Deutschland erwirtschaften sechs einen Gewinn.
Trivia
Treffpunkt Flughafen, Fernsehserie der DDR aus den Jahren 1985/1986.
Siehe auch
Liste der größten Flughäfen nach Passagieraufkommen
Liste der größten Flughäfen nach internationalem Passagieraufkommen
Liste der größten Verkehrsflughäfen
Liste von Flughafenprojekten
Listen für Deutschland: Verkehrsflughäfen, Verkehrs- und Sonderlandeplätze, Fliegerhorste (Militärflugplätze)
Liste der Flughäfen in Österreich
Liste der Flughäfen in der Schweiz
Listen der Verkehrsflughäfen nach Kontinent: Europa, Afrika, Nordamerika, Südamerika, Asien, Australien und Ozeanien
Luftverkehr, Flugreise
Slot (Luftfahrt)
Abfertigung (Transport)
Literatur
Norman Ashford, H. P. Martin Stanton, Clifton A. Moore: Airport Operations. McGraw-Hill, 1997, ISBN 0-07-003077-4.
P. Bachmann: Internationale Flughäfen Europas: Pläne – Daten – Fakten. Motorbuch, Stuttgart 1997, ISBN 3-613-01649-4.
Deutsches Verkehrsforum: Fakten zum Luftverkehrsstandort Deutschland. Berlin 2003.
Andreas Fecker: Flughäfen. GeraMond Verlag, München 2002, ISBN 3-7654-7237-9.
Oliver Hengstenberg, Bernd-Burkhard Borys, Thomas C. Gudehus: Kooperativer Flughafenbetrieb. kassel university press, Kassel 2003, ISBN 3-89958-026-5.
R. Hujer, H. Bulwien, S. Kokot, C. Mehlinger, B. Rürup, T. Voßkamp: Einkommens- und Beschäftigungseffekte des Flughafens Frankfurt am Main – Status Quo – Analysen und Prognosen. Mediationsgruppe Flughafen Frankfurt am Main, 1999.
R. Hujer, S. Kokot, C. Mehlinger, B. Rürup, C. Zeiss: Einkommens- und Beschäftigungseffekte des Flughafens Frankfurt am Main. 2004.
Wolfgang Kühr: Der Privatflugzeugführer. Band 5: Luftrecht, Luftverkehrs- und Flugsicherungsvorschriften. Luftfahrtverlag Schiffmann, Bergisch Gladbach 1983, ISBN 3-921270-13-8.
Willy Puchner: Flughafen. Eine eigene Welt. 2003, ISBN 3-85326-277-5.
Brigitte Rothfischer: Flughäfen der Welt. GeraMond Verlag, München 2005, ISBN 3-7654-7211-5.
Axel Schulz, S. Baumann, S. Wiedenmann: Flughafen Management. Oldenbourg, München 2010, ISBN 978-3-486-59179-8.
Michael Trumpfheller: Strategisches Flughafenmanagement. DUV, Wiesbaden 2006, ISBN 3-8350-0478-6.
Peter Wysk: Luftverkehr. In: Jan Ziekow (Hrsg.): Praxis des Fachplanungsrechts. München/Unterschleißheim 2004, ISBN 3-8041-4306-7, S. 571 ff.
Weblinks
AirNav.com – detaillierte Informationen zu Flughäfen in den USA (englisch)
Live ATC – Informationen zu Internationalen Flughäfen und Live ATC zum Mithören aus dem Tower (englisch)
Suche nach Flughäfen/Flugplätzen, Codes verschiedener Normen
ACI Airports Council International
ACI Airports Council International Europe
Informationen zum Flughafen Management
Links auf die Websites von Flughäfen und Flugplätzen in Deutschland, Österreich, Schweiz. Teilweise mit nützlichen Zusatzinformationen
Airport Search – alle Flughäfen/Flugplätze der Welt
Einzelnachweise
Zoll
Wikipedia:Artikel mit Video
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Q1248784
| 893.957845 |
50458
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https://de.wikipedia.org/wiki/Seleukidenreich
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Seleukidenreich
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Das Seleukidenreich gehörte zu den hellenistischen Diadochenstaaten, die sich nach dem Tod Alexanders des Großen bildeten. Während des 3. und 2. Jahrhunderts v. Chr. beherrschte das 312 v. Chr. begründete Reich den Vorderen Orient und erstreckte sich in seiner größten Ausdehnung von Kleinasien bis Baktrien.
Die Dynastie der Seleukiden wurde zum Nachfolger der Achaimeniden, die in den zwei Jahrhunderten vor Alexander in diesem Gebiet geherrscht hatten. Der Name der Familie wird von ihrem Gründer Seleukos I. Nikator abgeleitet, der sich ab 320 v. Chr. in den asiatischen Satrapien des Alexanderreiches als König durchsetzte. In der westlichen Geschichtsschreibung treten die Seleukiden zum einen als Gegenspieler des Römischen Reiches während des Römisch-Syrischen Krieges (192–188) unter Antiochos III. dem Großen in Erscheinung, zum anderen als Fremdherrscher während des jüdischen Makkabäeraufstandes (167–142).
Seit dem gewaltsamen Tod des Königs Antiochos VII. 129 v. Chr. und dem endgültigen Verlust Mesopotamiens waren die Seleukiden keine Großmacht mehr. Nach einem mehrere Generationen dauernden Niedergang zu einem auf Syrien beschränkten Kleinstaat endete ihr Reich im Jahr 63 v. Chr. mit der Absetzung des letzten seleukidischen Königs durch den römischen Feldherrn Gnaeus Pompeius Magnus und der Umwandlung Syriens in eine römische Provinz. Westlich des Flusses Euphrat wurde Rom Nachfolger der Seleukiden, östlich davon das Partherreich der Arsakiden.
Geografie
Das Seleukidenreich befand sich auf dem Territorium des untergegangenen persischen Achaimenidenreiches (ohne Ägypten). Dieses weitläufige Gebiet umfasste die ehemals selbstständigen Kulturräume von Kleinasien, Palästina, Mesopotamien, Babylonien, Medien, Persien und Baktrien.
Im Westen grenzte das Seleukidenreich an das griechische Mutterland und die makedonische Antigonidendynastie. Im Nordwesten lagen die kleineren Reiche von Pergamon, Bithynien, Galatien, Pontos, Kappadokien, Armenien und Atropatene, im Nordosten die Gebiete der nomadischen Parther und das Griechisch-Baktrische Reich, im Osten das indische Maurya-Reich. Im Südosten wurden die Seleukiden durch den Persischen Golf, im Südwesten durch die arabische Nefud-Wüste und die ägyptische Ptolemaierdynastie begrenzt.
Die Seleukidenkönige verwalteten ihr Reich angesichts seiner Größe nicht zentral, sondern bildeten verschiedene politische Schwerpunkte ihrer Herrschaft aus. Der wichtigste befand sich im nördlichen Syrien, welches seit 301 v. Chr. Teil des Reiches war. Hier hielten sich die Könige für gewöhnlich in Friedenszeiten auf. Syrien war zuvor nur ein Randgebiet angrenzender Völker wie der Hethiter oder Assyrer gewesen und wurde stärker als die anderen Regionen durch die Seleukiden beeinflusst. Diese gründeten mehrere Städte in Syrien, in denen Griechen angesiedelt wurden. Das Herz des Landes bildete die sogenannte Tetrapolis, die aus den vier Städten Antiocheia am Orontes, Seleukeia in Pierien, Laodikeia am Meer und Apameia am Orontes bestand. Der südliche Teil Syriens mit der heutigen Hauptstadt Damaskus gehörte allerdings lange Zeit den Ptolemaiern und kam erst 200 v. Chr. zum Seleukidenreich. Als Koilesyrien wurde dieses wohlhabende Gebiet meist mit Phönizien und Palästina zu einer politischen Einheit zusammengefasst. Gegen Ende der Seleukidenherrschaft im Jahr 63 v. Chr. beschränkte sich ihr gesamtes Territorium nur noch auf Syrien.
Von enormer ökonomischer Bedeutung für das Reich war das Zweistromland, das sich aus den beiden wohlhabenden Satrapien (Provinzen) Mesopotamien und Babylonien zusammensetzte. Noch vor der Eroberung Syriens wurden hier 320 und 312 v. Chr. die Grundlagen des Seleukidenreiches errichtet. Das Zweistromland wurde von zahlreichen griechischen Kolonien durchzogen, von denen Seleukeia am Tigris als Hauptstadt des Ostens fungierte. Nach der endgültigen Niederlage gegen die Parther 129 v. Chr. ging das Gebiet für die Seleukiden verloren, was auch das Ende ihrer Großmachtstellung bedeutete.
Der dritte Schwerpunkt seleukidischer Macht befand sich in Sardes im westlichen Kleinasien, wo die Dynastie 281 v. Chr. Fuß fassen konnte. Da aber alle bedeutenden Diadochenstaaten Ansprüche auf die mehrheitlich griechisch besiedelte Halbinsel erhoben, konnten sich die Seleukiden hier nie vollständig durchsetzen. Ihr Besitz beschränkte sich in der Regel auf das an Syrien angrenzende Kilikien sowie die binnenländischen Gebiete in Ionien und Phrygien. Dennoch versuchte die Dynastie regelmäßig auch in den Küstenregionen sowie dem in Europa gelegenen Thrakien Fuß zu fassen. Nach der Niederlage gegen das Römische Reich 188 v. Chr. blieb den Seleukiden allerdings nur noch Kilikien bis zum Tauros.
Im westlichen Iran konnten sich die Seleukiden als Nachfolger des Achämenidenreichs etablieren. Seit 310 v. Chr. gehörten Medien, Susiane, die Persis und Karmanien zum Reich. Die Seleukidenkönige heirateten regelmäßig in iranische Herrscherhäuser ein, um dadurch ihre Legitimation zu bewahren. Eine umfassende Besiedlung des Landes mit Griechen erfolgte im Gegensatz zu den übrigen wichtigen Reichsteilen nicht. Im Jahr 141 v. Chr. eroberten die Parther den Iran.
Während der frühen Phase des Seleukidenreiches umfasste dieses ab 305 v. Chr. auch das östliche iranische Hochland sowie den Hindukusch. Die dort etablierten Satrapien Parthien und Baktrien machten sich jedoch um 256 v. Chr. unabhängig. Nominell verblieben sie zwar lange seleukidische Vasallen, wurden aber nie mehr direkt verwaltet. Aus Parthien und Baktrien gingen zwei bedeutende Reiche hervor, die sich später bis Mesopotamien beziehungsweise Indien erstreckten.
Im Osten grenzte Baktrien an das Maurya-Reich unter Ashoka. Der Sohn des Bindusara strebte nach freundschaftlichen Beziehungen mit seinen Nachbarn wie den Seleukiden und den Griechen in Baktrien.
Geschichte
Etablierung des Reiches (320/312–281)
Zwei Jahre nach dem Tode Alexanders des Großen wurde dessen Reich von seinen militärischen Kommandeuren auf der Konferenz von Triparadeisos 320 v. Chr. untereinander aufgeteilt. Die Satrapie Babylon wurde an den späteren Seleukos I. Nikator übertragen, der ein hoher Offizier während des Alexanderzuges gewesen war. In den folgenden Jahren zog er die städtische Bevölkerung auf seine Seite. Nach einem Angriff von Antigonos I. Monophthalmos, des mächtigsten Diadochen, musste Seleukos 315 an den Hof Ptolemaios’ I. nach Ägypten fliehen, kehrte aber 312 nach Babylon zurück. Dieses Datum wurde von den Seleukiden als offizieller Beginn ihrer Herrschaft angesehen.
In einem mehrjährigen Krieg gegen Antigonos verteidigte Seleukos dieses Mal seine Machtbasis. Nach Antigonos’ Rückzug unternahm Seleukos in der Tradition Alexanders eine Anabasis, welche die seleukidische Herrschaft auf den östlichen Teil des alten Perserreiches (Medien, Persepolis, Susa, Karmanien, Parthien, Baktrien) ausdehnte. Er mied dabei eine Konfrontation mit dem indischen Maurya-Herrscher Chandragupta Maurya und überließ diesem die Provinzen Gedrosien und Arachosien im Tausch gegen mehrere hundert Kriegselefanten. 305 v. Chr. nahm Seleukos wie die übrigen Diadochen den Königstitel an und gründete Seleukeia am Tigris als neue Residenzstadt.
Antigonos blieb durch seinen Anspruch auf das Gesamtreich Alexanders eine Bedrohung für die übrigen Diadochen, weshalb diese eine Allianz miteinander eingingen. In der Schlacht bei Ipsos 301 v. Chr. wurde Antigonos von Seleukos, Lysimachos und Kassander besiegt. Seleukos nahm daraufhin Syrien als zweites Zentrum neben Babylon in Besitz, musste allerdings auf Koilesyrien verzichten, welches von den Ptolemaiern besetzt wurde. Er gründete mehrere griechische Städte in Syrien, von denen Antiocheia am Orontes als zweite Residenz fungierte. Dadurch gelang es Seleukos, sich eine eigene griechisch-makedonische Machtbasis zu verschaffen, deren Potenzial dem seleukidischen Heer zugutekam.
Antigonos’ Sohn Demetrios I. Poliorketes zog 285 v. Chr. mit seinem Heer nach Syrien, wurde jedoch von Seleukos geschlagen und gefangen genommen. 281 griff Seleukos seinen Rivalen Lysimachos unter dem Vorwand an, für die Rechte von dessen vertriebener Schwiegertochter einzutreten. In der Schlacht bei Kurupedion siegte Seleukos und brachte Kleinasien an sich, so dass er für einen kurzen Zeitraum zum mächtigsten Diadochen wurde. Nachdem Seleukos jedoch die Dardanellen überquert hatte, um seine Herrschaft auch in Makedonien durchzusetzen, wurde er von Ptolemaios Keraunos ermordet, der den makedonischen Thron für sich beanspruchte.
Instabile Großmacht (281–223)
Die Nachfolger des Dynastiebegründers sahen sich drei dauerhaften außenpolitischen Konflikten gegenüber: Die Seleukiden erkannten niemals die ptolemaiische Herrschaft über Koilesyrien an, konnten aber ihren Anspruch in den ersten vier Syrischen Kriegen militärisch nicht durchsetzen. In Kleinasien erkämpften sich in der Folge mehrere nichtgriechische, aber hellenisierte Königreiche, wie die von Pergamon, Bithynien, Pontos und Kappadokien ihre Freiheit, während sich die Ptolemaier in den meisten kleinasiatischen Küstengebieten festsetzen konnten. Im Osten des Reiches unterstanden zahlreiche Satrapien nur noch nominell der seleukidischen Oberhoheit, da sich zwei Konkurrenten etablierten: zum einen das ehemals nomadische Volk der iranischen Parther unter den Arsakiden, welches sich südöstlich des Kaspischen Meeres niederließ, und zum anderen das Griechisch-Baktrische Reich unter Diodotos I., welches im Machtzenit bis nach Indien reichte. Zusätzlich kam es innerhalb des Seleukidenhauses zu Machtkämpfen, die sich mit den außenpolitischen Konflikten vermengten und das Reich schwächten.
Antiochos I. Soter (281–261), der Sohn Seleukos’ I., musste in Kleinasien die Unabhängigkeit Bithyniens hinnehmen, konnte aber den dort eingefallenen Galatern in der Elefantenschlacht 268 v. Chr. erfolgreich entgegentreten. Im Ersten Syrischen Krieg verbündete sich Antiochos mit dem ptolemaiischen Statthalter der Kyrene, Magas, gegen dessen Halbbruder Ptolemaios II. von Ägypten. Die Seleukiden konnten ihre Position allerdings weder in Koilesyrien noch Kleinasien verbessern. Nach einer militärischen Niederlage musste Antiochos 262 die Unabhängigkeit Eumenes’ I. von Pergamon anerkennen. 261 fiel Antiochos I. im Kampf gegen die Galater.
Seinem Sohn Antiochos II. Theos (261–246) gelang es im Zweiten Syrischen Krieg, den Ptolemaiern einige Besitzungen in Ionien abzunehmen. Teil der Friedensbedingungen mit den Ptolemaiern war die Heirat zwischen Antiochos und der ägyptischen Prinzessin Berenike, für die der Seleukidenkönig seine erste Frau Laodike verstieß. Später kehrte Antiochos II. zu Laodike zurück, die ihn jedoch zusammen mit Berenike und deren gemeinsamem Sohn ermorden ließ, um die Nachfolge ihrer eigenen Kinder zu sichern.
Unter Seleukos II. Kallinikos (246–226), dem ältesten Sohn Antiochos’ II. und der Laodike, verschlechterte sich die Lage des Seleukidenreiches erheblich. Ptolemaios III. nutzte die Ermordung seiner Schwester Berenike als Vorwand zur Eröffnung des Dritten Syrischen Krieges. Die ptolemaiischen Truppen eroberten Syrien kurzzeitig und drangen nach Mesopotamien vor, bis ein Aufstand in Ägypten ihre Rückkehr erzwang. Seleukos konnte die verlorenen Gebiete zurückgewinnen, musste aber den Verlust einiger Gebiete in Ionien sowie der wichtigsten seleukidischen Hafenstadt Seleukeia Pieria hinnehmen. Er setzte seinen Bruder Antiochos Hierax als Vizekönig in Kleinasien ein, wo sich dieser jedoch 240 selbstständig machte. Seleukos musste die Herrschaft Hierax’, der sich mit den Galatern und Ptolemaiern verbündet hatte, hinnehmen. Als Hierax 228 durch Attalos I. von Pergamon aus Kleinasien vertrieben wurde, konnte Seleukos eine Invasion seines Bruders in Syrien abwehren. Die östlichen Satrapien Parthien und Baktrien nutzten die Schwäche der Zentrale und machten sich um 245 v. Chr. unabhängig. Ein Feldzug Seleukos’ II. zur Rückgewinnung dieser Gebiete blieb erfolglos.
Sein ältester Sohn, Seleukos III. Keraunos (226–223), unternahm 223 einen Feldzug nach Kleinasien, um die an Pergamon verlorenen Territorien zurückzuerobern. Das Unternehmen verlief zwar militärisch erfolgreich, doch wurde Seleukos III. bei einem Söldneraufstand ermordet.
Wiederherstellung der Großmacht und Konflikt mit Rom (223–164)
Antiochos III. „der Große“, der jüngere Bruder Seleukos’ III., musste zu Beginn seiner Herrschaft den Abfall der östlichen Gebiete unter dem Vizekönig Molon hinnehmen, der damit das Zweistromland und den Iran kontrollierte. Erst 220 v. Chr. konnte Antiochos Molons Aufstand niederschlagen und brachte zusätzlich das nur noch formell dem Seleukidenreich zugehörige Atropatene unter seine Kontrolle. Zu dieser Zeit machte sich sein Onkel Achaios, der als Vizekönig Kleinasiens fungierte, zum König. Antiochos griff allerdings zunächst die mit Achaios verbündeten Ptolemaier in Koilesyrien an: Im Vierten Syrischen Krieg konnte Antiochos zunächst einen Großteil Koilesyriens erobern, bis er 217 in der Schlacht bei Raphia dem Heer Ptolemaios’ IV. unterlag. Dennoch blieb das wiedereroberte Seleukeia in Pierien in seleukidischer Hand. Antiochos wandte sich nun gegen seinen Onkel Achaios, den er in dessen Hauptstadt Sardes einschloss und 213 besiegte, wodurch das binnenländische Kleinasien wieder Teil des Seleukidenreiches wurde.
212 v. Chr. begann Antiochos einen achtjährigen Feldzug (Anabasis) gegen die unabhängig gewordenen östlichen Teile des Reiches: Nachdem Armenien die seleukidische Oberhoheit auferzwungen worden war, erkämpfte sich Antiochos in zahlreichen Schlachten und Belagerungen die nominelle Anerkennung seiner Suzeränität über die Parther und das Griechisch-Baktrische Reich und beließ die regionalen Könige gegen Zahlung von Tributen im Amt und Würden. Wie zuvor sein Ururgroßvater Seleukos I. beendete Antiochos III. seinen Ostfeldzug in Indien, wo er ein Friedensabkommen mit dem indischen König Sophagasenos von Kabul schloss. Nach seiner Rückkehr in den Westen nutzte Antiochos im Bündnis mit dem Makedonenkönig Philipp V. die innenpolitische Schwäche des Ptolemaierreiches unter Ptolemaios V. aus und fiel 202 v. Chr. erneut in Koilesyrien ein. In der siegreichen Schlacht bei Paneion 200 sicherten sich die Seleukiden im Fünften Syrischen Krieg die umstrittene Provinz endgültig.
196 v. Chr. baute Antiochos III. seine Position in Kleinasien erheblich aus, wo er die früheren Küstenbesitzungen der Ptolemaier eroberte, den Hellespont überquerte und sich in Thrakien festsetze. Dadurch geriet er in Konkurrenz zu den Römern, die zeitgleich in Griechenland Fuß fassten und Philipp V. besiegen konnten. Mehrjährige Verhandlungen zwischen Römern und Seleukiden über eine zukünftige Interessengrenze brachten keine Ergebnisse. Antiochos verbündete sich mit dem Aitolischen Bund und landete 192 auf dessen Einladung in Griechenland, wodurch er den Römisch-Syrischen Krieg auslöste. Zwar konnte er zunächst einige Gebiete in Mittelgriechenland für sich gewinnen, doch wurde er von den Römern in der Zweiten Schlacht bei den Thermopylen geschlagen. Nach mehreren Niederlagen zu See verlor er 190 auch die entscheidende Schlacht bei Magnesia in Kleinasien. Daraufhin musste Antiochos im Frieden von Apameia 188 alle seleukidischen Gebiete in Thrakien und Kleinasien außer Kilikien an Roms Alliierte, vor allem Rhodos und Pergamon, abtreten. Zusätzlich hatten die Seleukiden über Jahre hinaus hohe Tributzahlungen an Rom zu entrichten. Beim Versuch, eine außerordentliche Tempelsteuer einzutreiben, wurde Antiochos 187 v. Chr. in Iran von empörten Einheimischen getötet, als er nahe Susa ein Bel-Heiligtum plündern lassen wollte.
Nach dem Tod Antiochos’ III. fielen die Satrapen bzw. die Könige Parthiens, Baktriens, Armeniens, der Atropatene, Sophene, Elymais und Persis wieder vom Seleukidenreich ab, welches sich damit unmittelbar auf Syrien, Palästina, Kilikien, das Zweistromland und den westlichen Iran beschränkte. Die Seleukiden blieben zwar weiterhin die militärisch stärkste Kraft im Nahen Osten, waren von nun an aber zunehmend in ihrer Außenpolitik eingeschränkt und wurden in die Defensive gedrängt. Im Osten nahm der Druck des aufstrebenden Partherreiches zu, im Westen war immer stärker mit römischen Interventionen in griechische Angelegenheiten zu rechnen. Zudem schwächten permanente dynastische Streitigkeiten das Reich dauerhaft und führten letztendlich zum Verlust aller außersyrischen Gebiete.
Unter den beiden Söhnen Antiochos’ III. blieb das Seleukidenreich relativ stabil: Die Herrschaft Seleukos’ IV. Philopater (187–175) wurde dabei vom Zwang der Reparationszahlungen an Rom bestimmt. Sein jüngerer Bruder Antiochos IV. Epiphanes (175–164), der Seleukos’ Söhne bei der Thronfolge übergangen hatte, gewann dagegen wieder an Handlungsfreiheit. Er kam im Sechsten Syrischen Krieg 170 v. Chr. einem ptolemaiischen Angriff zuvor, führte einen überaus erfolgreichen Präventivschlag durch, eroberte einen Großteil Unterägyptens und machte Ptolemaios VI. faktisch zur seleukidischen Marionette. Damit schien ein Befreiungsschlag gelungen und die Großmachtstellung des Seleukidenreiches gesichert bzw. erneuert. Doch Antiochos, der im Begriff war, in die ägyptische Hauptstadt Alexandria einzuziehen und sich bereits im Vorort Eleusis befand, konnte die Früchte des Sieges nicht ernten: Am Tag von Eleusis 168 wurde er vielmehr von einer römischen Gesandtschaft unter Androhung eines Krieges gezwungen, Ägypten kampflos wieder aufzugeben. Auf dem Rückweg ließ er, durch die Kriegskosten und noch immer ausstehende Reparationszahlungen an Rom belastet, 167 den Tempel in Jerusalem plündern, wodurch er den Makkabäeraufstand auslöste. Mit einer beispiellosen Siegesparade versuchte der gedemütigte König anschließend beim „Festzug von Daphne“, die politische Katastrophe, in der der Syrische Krieg durch die römische Intervention geendet hatte, zu kaschieren. Dennoch wurde seit 168 deutlich, dass nun Rom im östlichen Mittelmeerraum das letzte Wort hatte. 165 zwang Antiochos IV. immerhin Armenien unter König Artaxias I. zurück ins Seleukidenreich und forderte von ihm Tribute ein, starb jedoch ein Jahr darauf in Iran während eines Feldzuges gegen die Parther zur Rückgewinnung der nach 187 abgefallenen Ostgebiete unter das seleukidische Supremat.
Vergebliches Ringen gegen den Niedergang (164–129)
Antiochos V. Eupator (164–162), Sohn von Antiochos IV., war bei seiner Thronbesteigung noch unmündig. Diesen Umstand ausnutzend, erhob sich der seleukidische Satrap Ptolemaios zum König (Selbstkrönung) der Kommagene mit der Hauptstadt Samosata. Ein überlebender Sohn von Seleukos IV., Demetrios I. Soter (162–150), kehrte daher aus römischem Exil zurück und ließ seinen Cousin ermorden. Der römische Senat wandte sich nun gegen den neuen König und unterstützte seine Feinde. Demetrios schlug zunächst erfolgreich 160 v. Chr. den durch Rom anerkannten Usurpator Timarchos, der sich auf die iranischen Satrapien stützte. 150 tauchte mit dem von Rom, Pergamon und Ägypten unterstützten Alexander I. Balas (150–146) ein weiterer Thronprätendent auf, der sich als unehelicher Sohn Antiochos’ IV. ausgab und Demetrios I. ermorden ließ. Dessen Sohn Demetrios II. Nikator (145–138; erste Regierung) einigte sich mit den Makkabäern und besiegte Alexander Balas. In Teilen Syriens verlor Demetrios II. jedoch Einfluss an den General Diodotos Tryphon (142–138), der den unmündigen Sohn des Balas, Antiochos VI. Dionysos (145–142), zum König ausrufen ließ. Nach der Ermordung seiner Marionette übernahm Diodotos in seinem Machtbereich 142 die syrische Königswürde. Um seine Herrschaft zu sichern, suchte er ein Auskommen mit den Makkabäern und erkannte die Autonomie und Steuerbefreiung Judäas an.
Spätestens nach 141/140 nutzten die parthischen Arsakiden unter Mithridates I. den in Syrien herrschenden Bürgerkrieg aus und überrannten die östlichen Satrapien bzw. Vasallenkönigtümer der Seleukiden (Babylonien, Medien, Persis, Elymais), so dass das effektive Herrschaftsgebiet des legitimen Königs Demetrios II. im Osten am Oberlauf des Euphrats und Tigris endete. Dieser gewann zwar Babylonien für die Seleukiden zurück, geriet aber 139 auf einem Rückeroberungsfeldzug in Iran in einen Hinterhalt der Parther und damit in die Gefangenschaft des Mithridates I.
Daraufhin bestieg Demetrios’ jüngerer Bruder Antiochos VII. Sidetes (139–129) den Thron, der sich zuvor in Side im Exil befunden hatte. Dieser gilt als der letzte bedeutende Seleukidenherrscher. Er verbündete sich zunächst mit dem Hasmonäer Simon und setzte mit jüdischer Hilfe bei Dor der Herrschaft des Usurpators Diodotos Tryphon 137 ein Ende. 135/134 stand Antiochos dann mit seinen Truppen vor Jerusalem und verlangte vom Nachfolger des Simon, Johannes Hyrkanos I., erfolgreich die Unterwerfung. Er erzwang so noch einmal für die Seleukiden die Anerkennung der Suzeränität über die Juden sowie Tribute und Heeresfolge. 131 zog er dann mit der wohl letzten schlagkräftigen seleukidischen Armee gegen die Parther in den Krieg und eroberte Babylonien, Medien und die angrenzenden Gebiete zurück. Damit konnte Antiochos VII. noch einmal einen erheblichen Teil des alten Seleukidenreiches in einer Hand vereinen. Der Niedergang des Reiches schien abgewendet; ein Friedensangebot der Arsakiden lehnte der König siegesgewiss ab. Als er jedoch 129 nach Parthien vorrückte, wurde er von den Arsakiden in einen Hinterhalt gelockt; der König wurde in der Schlacht getötet und sein Heer vernichtet. Die Seleukiden verloren im Zuge dieser Niederlage endgültig die Herrschaft über den Iran, das Zweistromland und sogar Ostsyrien, das sich unter dem Namen Osrhoene als unabhängiges Königreich konstituierte. Ihre Zeit als Großmacht war für immer vorüber.
Klientelstaat Ägyptens und Roms (129–63)
Nach dem Tod Antiochos’ VII. war das Seleukidenreich nur noch eine Regionalmacht, die unter dem Einfluss ihrer Nachbarstaaten stand. Das Reich existierte im Grunde nur noch deshalb, weil sich die Nachbarn nicht über dessen Aufteilung einigen konnten. Seine Könige kontrollierten darum noch das westliche Syrien sowie Teile Koilesyriens und Kilikiens. Die meiste Zeit über existierten parallel mehrere Prätendenten auf den Thron, die jeweils von äußeren Mächten gestützt wurden.
Demetrios II. (129–125; zweite Regierung) wurde nach zehnjähriger parthischer Gefangenschaft freigelassen und bestieg ein zweites Mal den syrischen Thron. Als er 129/128 in die ägyptische Politik einzugreifen versuchte, baute Ptolemaios VIII. den Usurpator Alexander II. Zabinas (129/128–123) als angeblichen Nachkommen Alexanders I. Balas auf, welcher sich in einem Teil Syriens durchsetzen konnte.
Kleopatra Thea (125–121) war nacheinander die Frau von Alexander Balas, Demetrios II., Antiochos VII. und danach wieder von Demetrios II. gewesen. Nachdem sich Alexander II. Zabinas gegenüber Demetrios militärisch behauptet hatte, ließ sie ihren Mann ermorden und übernahm selbst die Regierung über den ihr verbliebenen Teil Syriens. Als ihr ältester Sohn mit Demetrios, Seleukos V. (125), die alleinherrschaft forderte, ließ sie ihn ebenfalls ermorden. Zur Legitimation ihrer Herrschaft teilte sich Kleopatra den Thron mit ihrem jüngeren Sohn Antiochos VIII. Grypos (125–96). Dieser besiegte 123 v. Chr. Alexander Zabinas und ließ 121 seine Mutter ermorden, wodurch er vorübergehend zum alleinigen Herrscher Syriens wurde, mit seiner Gattin Tryphaina an seiner Seite.
115 v. Chr. kehrte sein Halbbruder Antiochos IX. Kyzikenos (115–96), der aus der Ehe zwischen Antiochos VII. und Kleopatra Thea hervorgegangen war, aus dem Exil zurück und setzte sich mit ptolemaiischer Unterstützung im südlichen Syrien durch. Fast zwanzig Jahre lang kämpften beide um die Herrschaft des Landes, wobei sie wechselseitig durch verschiedene ptolemaiische Fraktionen unterstützt wurden. Während dieser Zeit gewannen die syrischen Städte an Einfluss, während sich die Römer und Makkabäer in Kilikien beziehungsweise Koilesyrien festsetzten. 96 wurde Antiochos VIII. Grypos ermordet, doch besiegte und tötete sein ältester Sohn Seleukos VI. Epiphanes (96–95) seinen Onkel Antiochos IX. Kyzikenos in der Schlacht. Dessen Sohn Antiochos X. Eusebes (95–83) schlug wiederum seinen Cousin und kämpfte anschließend gegen dessen Brüder Antiochos XI. Epiphanes (95–92), Demetrios III. Eukairos (95–87), Philipp I. Philadelphos (92–83) und Antiochos XII. Dionysos (87–84), die sich auch untereinander bekriegten.
Im Jahr 83 v. Chr. nutzte der armenische König Tigranes der Große (83–69) das dynastische Chaos unter den Seleukiden aus und besetzte das, was zu dem Zeitpunkt von deren einstigen Großreich übriggeblieben war, Syrien, was dem Land wieder politische Stabilität verlieh. Als Verbündeter und Schwiegersohn von Mithridates VI. von Pontos geriet Tigranes jedoch mit Rom in Konflikt und wurde 69 vom römischen Feldherrn Lucullus geschlagen. Daraufhin wurde von Gnaden Roms mit Antiochos XIII. Asiatikos (69–64), dem Sohn Antiochos’ X., die seleukidische Herrschaft in Syrien restauriert. Nach einem gescheiterten Feldzug gegen die Araber wurde jedoch Philipp II. Philorhomaios (65–63), der Sohn Philipps I., zum Gegenkönig erhoben. Schließlich, als die Nachkommen des Generals Seleukos begannen erneut in alte Verhaltensmuster zurückzufallen, entschied der römische Feldherr Pompeius im Jahr 63 v. Chr. der seleukidischen Herrschaft, als Herrschaft des Chaos, ein Ende zu setzen und richtete die römische Provinz Syria ein.
Politik
Reichsaufbau
An der Spitze des Seleukidenreiches stand der König. Dieser wurde von seinem Rat unterstützt, der sich aus hohen Militärs und Zivilbeamten, seinen Freunden („philoi“), zusammensetzte. Auf der regionalen Herrschaftsebene wurden Satrapen eingesetzt, die für Steuereintreibung und Rekrutierung zuständig waren. Diese waren entweder bedeutende regionale Adlige oder Freunde des Königs. Über die Ämtervergabe entschied die Gunst des Königs und die Machtbalance im Rat der Freunde. Gegenüber der achaimenidischen Zeit hatte sich die Anzahl der ehemals etwa zwanzig Satrapien vermutlich verdoppelt oder verdreifacht, wodurch die Seleukiden Separatismus zu erschweren versuchten. Da die Peripherie aber eine starke Führung benötigte, wurden zusätzlich Generalstatthalter oder Vizekönige eingesetzt, von denen es meistens zwei gab. Diese saßen in Seleukeia am Tigris und Sardes, von wo aus der Osten des Reiches beziehungsweise Kleinasien regiert wurde. Aufgrund ihrer Machtfülle stellten die Vizekönige eine Bedrohung für den König dar, weshalb nur Verwandte oder besonders verdiente Freunde auf dieser Position platziert wurden.
Die einzelnen Territorien des Seleukidenreiches standen in unterschiedlichem Abhängigkeitsverhältnis zur Reichszentrale. Erstens existierte der eigentliche seleukidische Staat, der sich aus den direkt durch die königliche Bürokratie oder den Satrapen verwalteten Gebieten zusammensetzte. Zweitens bestanden innerhalb der Satrapien weitere Territorien, die innere Autonomie genossen. Dazu zählten die griechisch-makedonischen Städte, verschiedene Tempelstaaten sowie regionale Fürsten. Vor allem die Städte in Kleinasien legten großen Wert auf ihre formale Selbstständigkeit, in abgeschwächter Form gilt dies auch für Orte in Syrien und den östlichen Reichsgebieten. Die Tempelstaaten in Kleinasien oder dem Iran wurden durch die Seleukiden zwar in ihrer Größe begrenzt, behielten jedoch ihre Autonomie. Einige Fürsten der regionalen Nationalitäten in Iran oder Palästina übten Hoheitsrechte aus, wurden aber außenpolitisch von den Seleukiden kontrolliert. Neben direkt verwalteten sowie den autonomen Gebieten existierten als dritte Kategorie Nachbarstaaten des Seleukidenreiches, welche diesem formal unterstellt waren: Die Könige von Armenien, Atropatene, Parthien und Baktrien anerkannten zeitweilig die seleukidische Oberherrschaft, ohne ihre Titel aufgeben zu müssen.
Königtum
Die Seleukidenkönige zogen ihre Legitimation einerseits aus der Abstammung vom Dynastiegründer Seleukos I. und andererseits aus dem makedonischen Heerkönigtum. Der zweite Seleukide, Antiochos I., ließ bei seinem Herrschaftsantritt die Zeitrechnung seines Vaters (ab 312 v. Chr.) fortführen, um dynastische Kontinuität zu erzeugen. Zusätzlich führte jener vermehrt den Kult des Apollon im Reich ein, der als ideeller Stammvater der Seleukiden galt. Ein zusätzlicher Herrscherkult sollte die Dynastie im gesamten Reich unantastbar machen. Darüber hinaus trugen fast alle Könige die beiden dynastischen Namen Antiochos und Seleukos, was ebenfalls Kontinuität erweckte. So hatte Antiochos IV. ursprünglich als dritter Sohn den iranischen Namen Mithridates erhalten, nahm jedoch den neuen Namen bei seiner Thronbesteigung an. Angesichts der Etablierung der Dynastie gaben sich die meisten Usurpatoren wie Alexander I. Balas daher als illegitime Nachkommen verstorbener Seleukiden aus, um ihre Herrschaft zu legitimieren.
Die zweite Basis der Monarchie war das makedonische Heerkönigtum. Vom Herrscher wurde erwartet, dass er im Krieg siegreich war und die Zustimmung der Heeresversammlung genoss. Die meisten Seleukiden stellten sich daher in die Tradition Alexanders des Großen und nahmen aktiv am Kampfgeschehen teil. Die beiden Prinzipien der dynastischen Legitimation und der Akklamation durch das Heer konnten sich auch widersprechen: 220 riefen die Soldaten in Kleinasien ihren erfolgreichen Feldherrn Achaios zum König aus, weigerten sich aber im Anschluss gegen ihren bisherigen Herrscher Antiochos III. zu ziehen.
Innenpolitik
Das Verhältnis zwischen dem seleukidischen König und den Bewohnern seines Reiches fußte auf keiner Verfassung, sondern wurde im Einzelfall ausgehandelt. Die autonomen Gebiete mussten im Regelfall Tribute entrichten und die Einrichtung von Garnisonen hinnehmen, doch hing dies von der jeweiligen politischen Situation ab. Im Frieden verschärften die Seleukidenkönige teilweise die Bedingungen, während sie sich in Krisenzeiten auch mit einer rein formalen Oberhoheit zufriedengaben. Vor allem die östlichen Regionalfürsten, die jüdische Orthodoxie und einige der kleinasiatischen Städte waren für die syrische Zentrale nur schwer zu kontrollieren. Nach seleukidischen Thronwechseln drängten diese oft aus dem Reichsverband hinaus, so dass der neue König seinen Anspruch wieder militärisch durchsetzen musste. Diese mangelnde Kontinuität in der Peripherie war ein Schwachpunkt des Seleukidenreiches: Sobald ein mittelmäßiger Herrscher den syrischen Thron bestieg, bewirkten diese zentrifugalen Kräfte den Verlust großer Territorien.
Die Seleukidenkönige sahen sich als rechtmäßige Herrscher der Welt an. Sie strebten daher keine endgültigen Verträge und Grenzen an, sondern richteten ihre Politik an den gegebenen Möglichkeiten aus. In religiösen Zentren wie Babylon bekleideten die Seleukidenkönige sakrale Positionen, um diese Gebiete an das Reich zu binden. Gegenüber den kleinasiatischen Städten bemühten sie sich in erster Linie als Wohltäter und Beschützer aufzutreten, um den Schein der politischen Gleichberechtigung zu wahren. In den iranischen Satrapien nahmen die Seleukiden die Position der achaimenidischen Großkönige ein. Diese Rolle ermöglichte ihnen auch die Tolerierung der Existenz von Regionalkönigen innerhalb des Reiches, welche dem seleukidischen Überherrscher somit formal unterstellt waren.
Dynastie
Der älteste Sohn des Königs wurde für gewöhnlich irgendwann zum Mitkönig seines Vaters bestimmt, um bei einem späteren Thronwechsel kein Machtvakuum zu hinterlassen. Alle Söhne wurden möglichst früh als den Satrapen übergeordnete Generalstatthalter bzw. Vizekönige installiert. Auf diese Weise sollte die Kontrolle der Dynastie über die Peripherie des Reiches gewahrt werden. Zudem erhielten die Prinzen auf diese Weise das Kommando über sekundäre militärische Unternehmungen. Selbst wenn sie noch zu unerfahren waren, fiel ihnen zumindest der nominelle Oberbefehl zu, so dass sie schrittweise in die Rolle des späteren Heerkönigs hineinwachsen konnten.
Die Heiratspolitik der Seleukiden war wichtig für ihre Beziehungen zum eigenen Volk und den Nachbarmächten. Schon Seleukos I. hatte die iranische Prinzessin Apame geheiratet, was ihm und seinen Nachkommen die Unterstützung der dortigen Bevölkerung einbrachte. Auch Antiochos III. heiratete mit Laodike eine Angehörige der iranischstämmigen Dynastie von Pontos. Ansonsten wurden vorzugsweise Ehen eingegangen, um Allianzen mit den Nachbarn zu schließen oder Friedensabkommen zu besiegeln. Die Seleukiden heirateten mehrmals in den kleinasiatischen Fürstentümern ein. Die Ehen mit den Ptolemaiern waren riskant, weil dadurch häufig für beide Seiten gefährliche Rechtsansprüche entstehen konnten. Des Weiteren waren für die Nachkommen Antiochos’ III. auch mehrere Geschwisterehen belegt: Seine Tochter Laodike heiratete nacheinander ihre drei Brüder, darunter die späteren Könige Seleukos IV. und Antiochos IV. Im Gegensatz zu den Ptolemaiern war die Geschwisterehe bei den Seleukiden aber die Ausnahme.
Das zentrale Problem der seleukidischen Dynastie waren die internen Kämpfe: Auch die jüngeren Prinzen wurden als Vizekönige eingesetzt, um sie in die Führung des Reiches zu integrieren und ihre Energie für die Dynastie zu nutzen. Sehr häufig entwickelten sie sich aber nach dem Tod des Vaters zu einer Bedrohung für ihre älteren Brüder. Fast in jeder Generation, in der mehr als ein Prinz das Erwachsenenalter erreichte, kam es zu Thronstreitigkeiten. Auf diese Weise gingen mehrmals Satrapien des Reiches auf Jahre hinaus verloren. Vor allem in den letzten drei Generationen nahm der Kampf innerhalb der Dynastie derartig zu, dass die verbliebenen Kräfte des Reiches aufgezehrt wurden. In diesem Punkt unterschieden sich die Seleukiden deutlich von den Attaliden, welche von ihrer familiären Geschlossenheit profitierten.
Stammbaum
Gesellschaft
Bevölkerung
Die Seleukiden hatten von den Achaimeniden die Herrschaft über verschiedene Ethnien geerbt. Die größten Bevölkerungsgruppen wurden dabei von Griechen bzw. Makedonen, Iranern und Babyloniern gestellt. Anstelle der alten iranischen Eliten stützte sich das Reich allerdings mehrheitlich auf die griechisch-makedonische Bevölkerung. Besonders die frühen Seleukidenkönige gründeten daher über einhundert neue Poleis in Syrien, Mesopotamien, Babylonien, dem Iran und Baktrien, um stabile Stützpfeiler ihrer Dynastie zu errichten. Im Osten des Reiches blieben die Griechen jedoch eine klare Minderheit. Im Westen hingegen, vor allem in Kleinasien und Syrien, wurde eine teils dauerhafte Hellenisierung in Gang gesetzt. Unter Antiochos IV. war diese Entwicklung ein Grund für den Aufstand der Makkabäer.
Die Seleukiden kannten zwei unterschiedliche Arten von Städten: relativ autonome Bürgerstädte (Poleis) und Militärkolonien. Erstere waren zum Beispiel die alten Griechenstädte in Ionien, denen gegenüber sich die Seleukidenkönige möglichst tolerant verhielten; teils auch wegen der Konkurrenz durch Ptolemäer und Attaliden, die hier ebenfalls Einfluss hatten. Auch wenn diese Städte faktisch zum Reich gehörten, behielten sie daher formal ihre Autonomie und wurden in der Ausübung der lokalen Gesetzgebung wenig gestört, solange nur regelmäßig Tribute an den König entrichtet wurden. Allerdings setzte dieser gelegentlich neue, ihm genehme Eliten in den Städten ein. Um die faktische Königsherrschaft in eine für die Griechenstädte akzeptable Form zu bringen, gewährten die Seleukiden ihnen oft offiziell die „Freiheit“; dafür ließen sie sich dann von den Bürgern als Euergeten verehren und mit „Geschenken“ statt Steuern bedenken. Auch der Herrscherkult gehört in diesen Zusammenhang und ging äußerlich von den Poleis aus; erst unter den späteren Königen (seit Antiochos III.) wurde ein Dynastiekult zentral eingefordert.
Die makedonischen Militärkolonien unterstanden im Gegensatz dazu vollständig dem Willen des Königs. Ihre griechisch-makedonischen Bewohner dienten den Seleukiden als Reservoir für die Phalanx, das Herzstück des Heeres.
Die nicht-griechische Bevölkerung wurde in geringerem Ausmaß an der Reichsregierung beteiligt. Die Mitglieder der zentralen und regionalen Verwaltung rekrutierten sich aus den Freunden des Königs, so dass sie im Regelfall griechischer Abstammung waren. Die einzelnen Nationalitäten wurden allerdings auf lokaler Ebene von ihren eigenen Eliten regiert wie in Jerusalem oder Babylon. Die Seleukidenkönige bemühten sich aber von den einzelnen Völkern nicht als Fremde wahrgenommen zu werden. Schon Seleukos I. konnte sich in Babylonien nur gegen Antigonos durchsetzen, weil er die Zustimmung der Bevölkerung genoss. Daher passten die Könige ihr Auftreten als Herrscher nach Möglichkeit an regionale Traditionen und Religionen an. Auch behielten sie bei der Errichtung repräsentativer Bauten die regionstypischen Baustile bei.
Wirtschaft
Wie bei allen europäischen und orientalischen Reichen im Altertum war auch im Seleukidenreich die Landwirtschaft Grundlage des wirtschaftlichen Systems. Der überwiegende Teil der Bevölkerung bestand aus relativ rechtlosen Bauern, die als „Leibeigene“ an ihren Boden gebunden waren. Der Grundbesitz befand sich entweder in den Händen des Königs, der regionalen Adligen, der Städte oder der Tempel.
Die Bauern in den Dörfern und den königlichen Ländereien trugen zu einem großen Teil zu den Einnahmen des Reiches bei. Zusätzlich vergaben die Könige Land an verdiente Privatpersonen aus dem Verwaltungs- oder Militärstab. Diese „Lehen“ waren allerdings nicht erblich und fielen nach dem Tod der Lehnsmänner zurück an den König, wenn dieser den Erben nicht den Besitz von Neuem verlieh. Von besonderer Bedeutung waren die Militärkolonien (Kleruchien), in denen die griechisch-makedonischen Veteranen der Seleukiden angesiedelt wurden, und die direkt dem König unterstellt waren. Ihre Bewohner waren zwar auch Bauern, dienten aber in erster Linie als Reservoir für das Heer und zur Kontrolle der übrigen Nationalitäten.
Das Handelsaufkommen im Mittelmeer war zur Zeit der Seleukiden begrenzt, doch fanden einige Güter und Dienstleistungen innerhalb wie außerhalb des Reiches ihre Abnehmer. Der Nahhandel bestand in erster Linie aus dem Transport von Getreide aus den Dörfern in die Städte. Der Fernhandel trug durch Reisezölle zur Finanzierung des königlichen Haushaltes bei. Die Seleukiden profitierten wie ihre Vorgänger und Nachfolger von ihrer günstigen Lage an der Seidenstraße und bauten die Transportwege und -häfen beständig aus. Wichtigstes Exportgut des Seleukidenreiches waren Sklaven. Da im eigenen Land aufgrund der Leibeigenschaft nur wenig Bedarf für Sklaverei bestand, wurden Gefangene aus eroberten Städten nach Griechenland und Italien verkauft.
Die Städte Syriens waren auf Metallschmuck (Gold, Silber, Bronze) sowie Keramik spezialisiert und exportierten ihre Erzeugnisse in den Iran oder nach Griechenland. Des Weiteren wurden syrische Maurer und Mosaikleger für Auftragsarbeiten in Griechenland angeheuert. Außerdem taten sich die syrischen wie auch phönizischen Handwerker in der Glasgießerei und dem Schiffbau hervor. Die Städte Mesopotamiens und Babyloniens waren in der Textilproduktion vorherrschend. Asphalt zum Straßenbau wurde am Toten Meer gewonnen. Zentren der Parfümgewinnung befanden sich in Kleinasien und Mesopotamien.
Kultur
Als Amtssprache des Seleukidenreiches fungierte auf der höchsten Verwaltungsebene Griechisch, darunter aber vor allem das von den Achaimeniden übernommene Aramäisch. Im Osten wurden zusätzlich königliche Dekrete in den iranischen Sprachen verfasst. Die indigenen Völker sprachen aber weiterhin ihre eigenen Sprachen wie Akkadisch, Phönizisch oder Hebräisch. Sie nahmen allerdings während der Seleukidenherrschaft zahlreiche griechische Begriffe in ihren Wortschatz auf.
Die Seleukidenkönige versuchten, ihre Herrschaft über die zahlreichen Nationalitäten zum einen durch Hellenisierung und zum anderen durch einen dynastischen Kult abzusichern. Letzterer war ursprünglich für die verstorbenen Herrscher gedacht, wurde jedoch im zweiten Jahrhundert v. Chr. auch auf die lebenden Könige und ihre Familie ausgedehnt. Der Herrscherkult war in erster Linie politischer und nicht religiöser Natur. Er sollte die Seleukidenherrschaft im gesamten Reich sakral erhöhen und bot zudem den Mitgliedern der Dynastie leichten Zugang zu Priesterämtern für ihre verstorbenen Vorfahren. Neben dem Herrscherkult existierten unzählige weitere Religionen, die von den Seleukiden im Regelfall toleriert wurden. Da der griechische Gott Apollon als Stammvater der Dynastie galt, wurden dessen Heiligtümer in Delphi, Delos und vor allem Didyma finanziell gefördert. Der zerstörte Tempel von Didyma wurde unter Seleukos I. und seinen Nachfolgern wiedererrichtet.
Das bekannteste Kunstwerk im Seleukidenreich war die Statue der Tyche, die von Eutychides, einem Schüler des Lysipp, geschaffen wurde. Sie stand in Antiocheia am Orontes und war das Wahrzeichen der Stadt. Die Statue wurde bereits unter Seleukos I. fertiggestellt. Die Schicksalsgöttin Tyche symbolisierte aus der Sicht damaliger Menschen die chaotischen Verhältnisse der Diadochenzeit, in der ein Mann wie Seleukos mit ursprünglich nur wenigen Gefolgsleuten zum Herrscher eines weitläufigen Reiches aufsteigen konnte.
Im Gegensatz zum ptolemaiischen Alexandria und dem attalidischen Pergamon existierte im Seleukidenreich kein geistiges Zentrum. Dies hing teilweise damit zusammen, dass der König und sein Hofstaat aufgrund der Größe des Reiches wanderten. Es fehlte damit eine lokal gebundene Institution wie die Bibliothek von Alexandria, welche die Wissenschaft hätte unterstützen können. Dennoch hielten sich am seleukidischen Hof bedeutende Dichter und Denker der hellenistischen Epoche auf. Die Könige stellten darüber hinaus führende Mediziner wie Erasistratos und dessen Schüler als Leibärzte an. Der Priester und Philosoph Berossos verfasste im Auftrag Antiochos’ I. eine Geschichte Babylons. Antiochos III. förderte den Dichter Euphorion und einige Historiker. Des Weiteren unternahmen seleukidische Forscher mehrere Entdeckungsreisen im Kaspischen Meer, im Persischen Golf oder am Ganges.
Militär
Strategie
Das militärische Hauptquartier der Seleukiden befand sich in Friedenszeiten in Apameia am Orontes. Ihre Heere gehörten zu den größten Armeen überhaupt in der hellenistischen Ära, da der Zusammenhalt des Reiches in erster Linie von der militärischen Schlagkraft abhing. Daher wurden aus allen Reichsteilen Truppen rekrutiert, so dass das Heer im Gegensatz zur griechischen Staatsverwaltung heterogen zusammengesetzt war. Allerdings setzten sich die schweren Truppen größtenteils aus Kriegern griechisch-makedonischer Abstammung zusammen, um separatistische Erhebungen unter den übrigen Nationalitäten zu erschweren.
Nach Möglichkeit übernahmen die Seleukidenkönige selbst das Oberkommando über das Heer. In diesem Punkt unterschieden sie sich von den Ptolemaiern, welche die militärischen Planungen meist erfahrenen Söldnerführern aus Griechenland überließen. Die Seleukiden sahen sich in der Tradition der makedonischen Heerkönige, die ihre Macht dem Wohlwollen des Heeres und ihrem Erfolg in der Schlacht geschuldet sahen. War der König verhindert oder wurde eine sekundäre Armee gebildet, so fiel das Kommando einem der Vizekönige bzw. einem ranghohen Mitglied der Dynastie zu.
Die Seleukiden waren nur bedingt in der Lage, an zwei Fronten schlagkräftige Armeen aufzustellen, so dass die entscheidenden militärischen Operationen fast immer vom König ausgeführt wurden. Die Struktur des Hauptheeres sah einen elitären Kern aus stehenden Truppen vor, der dann mit regionalen Kontingenten verstärkt wurde. Diese Truppen waren grundsätzlich dem König unterstellt, während sich sekundäre Armeen häufig aus Söldnern zusammensetzten. Die Seleukiden unterschieden sich militärisch somit erheblich von den Römern, deren Legionen selbstständig operieren konnten, so dass an mehreren Schauplätzen schlagkräftige römische Armeen aufgestellt werden konnten.
Fand eine Schlacht auf offenem Gelände statt, so wurde vom Seleukidenkönig erwartet, dass er aktiv an ihr teilnahm. Davon ging zwar eine positive Wirkung auf die eigenen Soldaten aus, doch verlor der König dadurch in seiner Funktion als General den Überblick auf das Schlachtgeschehen. Dies vergrößerte die Bedeutung der Kommandeure der einzelnen Waffengattungen und -kontingente. Die ranghohen Offiziere waren in der Regel Angehörige des Königshauses oder der adligen Familien am syrischen Hof. Sie wurden durch Söldnerführer ergänzt, welche die Dienste anderer hellenistischer Staaten verlassen hatten, doch war deren Rolle schwächer als im ptolemaiischen Ägypten ausgeprägt. Die Beförderung im seleukidischen Heer war nicht allein von der sozialen Herkunft, sondern auch vom Verdienst abhängig, so dass es Soldaten möglich war, bis in hohe Positionen aufzusteigen. Den nicht-griechischen Eliten blieb hingegen eine Karriere im Heer verwehrt.
Heer
Die Seleukiden unterhielten ein stehendes Heer von etwa 30.000 Mann. Dieses setzte sich aus den Elitetruppen sowie verschiedenen Söldnereinheiten zusammen. Bei langwierigen Feldzügen in entlegene Gebiete beschränkte sich die Armee weitgehend auf diese Soldaten. Kurzfristig konnte das Seleukidenreich aber weitaus größere Heere mobilisieren, indem es Militärkolonisten und städtische Kontingente zu den Waffen rief. In den Entscheidungsschlachten gegen die Ptolemaier bei Raphia und Paneion kämpften um die 70.000 Soldaten auf beiden Seiten. Diese Heeresstärke konnte annähernd bis zum endgültigen Verlust der östlichen Reichsgebiete 129 aufrechterhalten werden.
Wie bei allen hellenistischen Mächten stand während der Schlacht die makedonische Phalanx, deren Kämpfer ausschließlich griechisch-makedonischer Nationalität waren, als schwere Infanterie im Zentrum des Heeres. Ihre Elite waren die Argyraspiden (Silberschilde), die sich aus den Söhnen der Militärkolonisten rekrutierten. Ihre Anzahl wurde in Analogie zu den achaimenidischen Unsterblichen konstant auf zehntausend gehalten. Sie standen dem König im Gegensatz zu den übrigen Phalangiten permanent zur Verfügung. Die übrigen Militärkolonisten dienten nur als Reserve und waren ansonsten Bauern. Kamen noch die Krieger der autonomen Städte dazu, konnte die Stärke der seleukidischen Phalanx im Notfall auf etwa 30.000 Mann gebracht werden. Die Phalangiten waren mit langen Lanzen (Sarissa) bewaffnet und standen in enger Formation nebeneinander, was sie sehr unbeweglich aber auch extrem kampfstark machte. Brach die Kampfreihe der Phalanx ein, war die Schlacht verloren. Nach der Niederlage gegen Rom wurde die seleukidische Infanterie nach 190 v. Chr. reformiert: Am Vorbild der römischen Manipel wurde die Syntagma (mit 256 Mann allerdings größer) als taktische Einheit gebildet, während einige Infanteristen auf römische Weise bewaffnet wurden.
Auf den Flügeln des Heeres wurde die Kavallerie eingesetzt. Die Reiter rekrutierten sich größtenteils aus den östlichen Satrapien des Reiches, wo die Meder und Perser mehr als 10.000 Mann aufbieten konnten. Ihre Elite waren die etwa dreitausend schwer gepanzerten Kataphrakten, die nach dem Ostfeldzug Antiochos’ des Großen in die Armee integriert wurden. Damit das iranische Element innerhalb der Kavallerie nicht zu stark geriet, unterhielten die Seleukiden zusätzlich eine schwere griechisch-makedonische Reiterei, an deren Spitze sich oft der König befand. Zu diesen schweren Einheiten kamen mehrere tausend leichte Einheiten, die vor allem als Grenztruppen eingesetzt wurden. Die seleukidische Kavallerie war ihren Gegnern dank der Reiter aus dem Ostteil des Reiches qualitativ wie quantitativ meist überlegen.
Zwischen Flügeln und Zentrum wurde im seleukidischen Heer leichtbewaffnete Infanterie als bewegliches Bindeglied eingesetzt. Diese rekrutierte sich zum einen aus Kriegern der nicht-griechischen Reichsteile sowie Söldnern aus angrenzenden Regionen wie den kleinasiatischen Galatern oder den Arabern. In den hinteren Reihen wurden zusätzlich indigene Fernkämpfer wie Bogenschützen, Speerwerfer und Steinschleuderer eingesetzt, welche jeweils die gängigen Kampftechniken ihrer Herkunftsländer repräsentierten.
Aus Indien wurden Kriegselefanten importiert, die bereits zur seleukidischen Gründungszeit eine wichtige Rolle spielten. Allerdings konnten die Elefanten in Syrien nicht effizient gezüchtet werden, so dass die Könige regelmäßig ihre Bestände an der Ostgrenze ihres Reiches auffüllen mussten. Gegenüber den Ptolemaiern besaßen die Seleukiden einen Vorteil, da die Indischen Elefanten den kleineren Waldelefanten ihrer Konkurrenten überlegen waren. Des Weiteren besaßen die indischen Mahuts eine ältere Tradition in der Zähmung von Elefanten. Im Gefecht wurden die Tiere sowohl an den Flanken als auch im Zentrum der Schlachtreihe eingesetzt und konnten allein durch ihre psychologische Wirkung auf den Feind einen Kampf entscheiden. Kriegselefanten entschieden mehrere wichtige Schlachten zu Gunsten der Seleukiden, doch erwiesen sich die Tiere gegenüber den beweglichen und disziplinierten römischen Legionen als ineffektiv.
Flotte
Im Gegensatz zu den Ptolemaiern unterhielten die Seleukiden keine nennenswerte Flotte. Zum einen konnten die Peripherien des Reiches auch zu Land erreicht werden, zum anderen war der Erhalt von Seestreitkräften sehr kostspielig. Somit waren in den wichtigen Hafenstädten Seleukeia Pieria und Laodikeia am Meer nur wenige Kriegsschiffe stationiert. Zusätzlich befand sich eine Flottille im Persischen Golf, wo sich einige seleukidische Stützpunkte befanden. Die Letztere war wahrscheinlich in Alexandria am Tigris stationiert.
Während des Römisch-Syrischen Krieges stellten die Seleukiden ausnahmsweise eine große Flotte von insgesamt etwa 100 schweren Schiffen und der doppelten Anzahl leichter Einheiten auf, da sich dieser Konflikt im Ägäisraum abspielte. Nachdem sich diese Armada jedoch den vereinten Flotten der Römer, Pergamener und Rhodier hatte beugen müssen, beschränkte sich das seleukidische Hoheitsgebiet zur See wieder auf die syrischen und phönizischen Gewässer.
Die letzte stärkere Flotte der Seleukiden wurde unter Antiochos IV. eingesetzt, als dieser während des Sechsten Syrischen Krieges die Insel Zypern besetzen ließ.
Quellen
Die Außenpolitik des Seleukidenreiches lässt sich weitgehend durch Abhandlungen von Historikern aus dem griechischen Mutterland, Rom oder Judäa rekonstruieren. Dies gilt allerdings in erster Linie für Ereignisse, die den Mittelmeerraum betreffen, während die Aktivitäten der Seleukiden im Osten ihres Reiches gelegentlich unklar bleiben. Der Fokus der Historiker liegt unter anderem auf der Entstehung der Diadochenreiche, Roms Konflikt mit den Seleukiden und dem jüdischen Unabhängigkeitsbestrebungen. Teilweise sind die antiken Betrachtungen parteiisch, da sie mehrheitlich von Historikern der Gegenseite verfasst wurden.
Eine zentrale literarische Quelle zur Rekonstruktion der Seleukidengeschichte ist der griechische Historiker Polybios, der ein Zeitgenosse der mittleren Könige war, aber auch Material zur Geschichte der frühen Seleukiden sammelte. Sein primäres Ziel war es, den Aufstieg Roms zur einzigen Großmacht des Mittelmeerraumes darzustellen. Polybios war persönlich mit Demetrios I. befreundet, der zeitgleich mit ihm als Geisel in Rom lebte. An Polybios knüpft der aus Syrien stammende Grieche Poseidonios an, der als Zeitgenosse über die späten Seleukiden berichtet.
Mehrere Chronisten beziehen sich direkt oder indirekt auf Polybios und Poseidonios: Appian schrieb in nachchristlicher Zeit eine Abhandlung über die Seleukiden, die Syriake. Auf römischer Seite sind vor allem Justin und Titus Livius von Bedeutung, auf jüdischer Seite Flavius Josephus sowie die beiden ersten Bücher der Makkabäer.
Die Innenpolitik und die Gesellschaftsgeschichte sind anhand der antiken Autoren schlechter zu erfassen. Allerdings lassen auch hier vereinzelte Anmerkungen beispielsweise zur Militärgeschichte Rückschlüsse auf den Staatsaufbau zu. Dafür geben die zahlreichen epigraphischen Quellen wie Verwaltungsdekrete Auskunft über die Innenpolitik des Seleukidenreiches. Dadurch können unter anderem das Verhältnis zwischen Reichszentrale und Stadt oder zwischen König und Gefolgsmann rekonstruiert werden. Dennoch bleiben aufgrund der dünnen Quellenlage gerade im Bereich der Wirtschafts- und Sozialgeschichte einige Strukturen des Seleukidenreiches unklar.
Die häufigen Münzfunde sind ebenfalls bedeutsam, da sie Auskunft über die Herrschaftsprogrammatik der Könige sowie chronologische Abläufe geben.
Literatur
Überblicksdarstellungen
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Einzeluntersuchungen (Auswahl)
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David Engels: Benefactors, Kings, Rulers. Studies on the Seleukid Empire between East and West (= Studia Hellenistica. Band 57). Peeters, Leuven 2017, ISBN 978-90-429-3327-9.
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John D. Grainger: The Rise of the Seleukid Empire. Pen and Sword, Barnsley 2014, ISBN 978-1-78303-053-8.
John D. Grainger: The Seleukid Empire of Antiochus III 223–187 BC. Pen & Sword, Barnsley 2015, ISBN 978-1-78303-050-7 (fachwissenschaftliche Rezension).
John D. Grainger: The Fall of the Seleukid Empire 187–75 BC. Pen & Sword, Barnsley 2015, ISBN 978-1-78303-030-9 (fachwissenschaftliche Rezension).
Jeffrey D. Lerner: The Impact of Seleucid Decline on the Eastern Iranian Plateau. The Foundations of Arsacid Parthia and Graeco-Bactria (= Historia Einzelschriften. Band 123). Franz Steiner, Stuttgart 1999, ISBN 3-515-07417-1.
Edward Dąbrowa (Hrsg.): New Studies on the Seleucids (= Electrum. Journal of Ancient History. Band 18). Jagiellonian University Press, Krakau 2011, ISBN 978-83-233-3053-0 (Aufsatzsammlung zu verschiedenen Aspekten des Seleukidenreiches).
Werner Widmer: Hellas am Hindukusch. Griechentum im Fernen Osten der antiken Welt. Fischer, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-8301-1661-5.
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Józef Wolski: The Seleucids. The Decline and Fall of their Empire. Nakładem Polskiej Akademii Umiejętności, Kraków 1999, ISBN 83-86956-55-0.
Herrscherbiografien
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Militär
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John D. Grainger: The Roman War of Antiochos the Great (= Mnemosyne Supplements. Band 239). Brill, Leiden/Boston 2002, ISBN 90-04-12840-9.
Wirtschaft und Gesellschaft
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John D. Grainger: The Cities of Seleukid Syria. Clarendon Press, Oxford 1990, ISBN 0-19-814694-9.
Heinz Kreißig: Wirtschaft und Gesellschaft im Seleukidenreich. Die Eigentums- und die Abhängigkeitsverhältnisse (= Schriften zur Geschichte und Kultur der Antike. Band 16). Akademie Verlag, Berlin 1978.
Amélie Kuhrt (Hrsg.): Hellenism in the East. The Interaction of Greek and non-Greek Civilizations from Syria to Central Asia after Alexander. Duckworth, London 1987, ISBN 0-7156-2125-4.
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Kultur und Architektur
Winfried Held: Die Residenzstädte der Seleukiden. Babylon, Seleukia am Tigris, Ai Khanum, Seleukia in Pieria, Antiochia am Orontes. In: Jahrbuch des Deutschen Archäologischen Instituts. Band 117, 2002, S. 217–250.
Ehsan Yarshater (Hrsg.): The Cambridge History of Iran 3.2. The Seleucid, Parthian and Sasanian Periods. Cambridge et al. 1983.
Weblinks
Umfassende Bibliographie von Rolf Strootman (Universität Utrecht)
Überblick bei Iran Chamber
Stemma und Abstammung bei „Seleucid Genealogy“
Anmerkungen
Historischer Staat (Vorderasien)
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Q93180
| 266.189862 |
21007
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https://de.wikipedia.org/wiki/Nordwest-Territorien
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Nordwest-Territorien
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Die Nordwest-Territorien ( [], []) sind neben Yukon und Nunavut ein Gebiet (Territorium) in Kanada. Diese drei den Norden des Staates Kanada bildenden Territorien sind im Gegensatz zu den Provinzen im Süden der kanadischen Bundesregierung direkt unterstellt. Hauptstadt der Nordwest-Territorien ist Yellowknife.
Im Jahr 2016 lebten auf einer Fläche von 1.143.793,86 km² 41.786 Menschen. Davon zählten sich 20.635 zu den Ureinwohnern, also Inuit, Métis oder First Nations, wie die Indianer in Kanada genannt werden. Letztere gliedern sich in 26 Stämme mit mehr als 17.000 Angehörigen auf. Die Bevölkerung, die 2011 bei 41.462 Einwohnern lag und damit nahezu unverändert blieb, lebt ganz überwiegend um die Hauptstadt und an der Mündung des Mackenzie in die Beaufortsee.
Das Klima ist vor allem im Norden polar, Flora und Fauna sind an die kurzen Sommer und die langen Winter angepasst, wobei vor allem die größten Karibuherden Amerikas, im Norden auch Herden von Moschusochsen, prägend sind.
Die Wirtschaft basiert überwiegend auf der Gewinnung von Rohstoffen. Keine bedeutende Rolle mehr spielt der Pelzhandel, der allerdings für die Entwicklung des Gebiets von erheblicher Bedeutung war.
Ursprünglich umfassten die Nordwest-Territorien den überwiegenden Teil Kanadas und dessen gesamten Norden. Das Territorium Yukon gehörte bis 1898 zu den Nordwest-Territorien, die Gebiete der Provinzen Alberta und Saskatchewan bis 1905, Teile von Manitoba bis 1912. Ein weiteres Mal verkleinert wurde das Gebiet mit der Gründung des Territoriums Nunavut im Jahr 1999. Der heute noch gebrauchte Plural für die Verwaltungseinheit Nordwest-Territorien wurde durch die Gründung der beiden anderen territorialen Verwaltungseinheiten sachlich überholt.
Geographie
Ausdehnung und Gliederung
Die Nordwest-Territorien grenzen im Westen an Yukon, im Osten an Nunavut, im Südwesten an British Columbia, im Süden an Alberta und im Südosten an Saskatchewan. Im äußersten Südosten stößt das Territorium außerdem am Vierländereck Four Corners an die Provinz Manitoba.
Nach den Großen Seen finden sich hier die größten Seen Kanadas, wie der Große Bärensee mit einer Fläche von 31.153 km² und der Große Sklavensee mit 27.048 km². Zwischen den mit Abstand größten Seen liegt der Lac la Martre, der mit 1776 km² drittgrößte See des Territoriums.
Das größte Entwässerungsgebiet ist das des Mackenzie im Westen, der seinen Ausgang im Großen Sklavensee nimmt. Ihm strömen Flüsse wie der Liard, der wiederum den South Nahanni River aufnimmt, und der Peel River zu, die sich jedoch nur zu einem geringen Teil im Territorium befinden, sowie der Keele River. Im Osten befinden sich zahlreiche Seen, von denen die Vierergruppe Kasba Lake (1341 km²), MacKay Lake (1061 km²), Aylmer Lake (847 km²) und Clinton-Colden Lake (737 km²) zu den größten zählen. Hottah (918 km²), Selwyn (717 km²) und Wholdaia Lake (678 km²) schließen sich weiter im Osten an.
Im Norden gehören einige Inseln des kanadisch-arktischen Archipels im Arktischen Ozean zum Territorium, wie die Banksinsel, die Prinz-Patrick-Insel sowie Teile von Victoria Island und Melville Island. Die beiden größten Seen dort sind der Aubry und der Colville Lake.
Der höchste Punkt ist mit 2773 Metern ein namenloser Gipfel, der inoffiziell Mount Nirvana genannt wird und in den Mackenzie Mountains liegt, die zugleich den höchsten Gebirgszug darstellen. Er bildet zugleich die Grenze zu Yukon. Zweithöchster Berg ist der 26 km nördlich gelegene Mount Sir James MacBrien mit 2762 m.
Geologie und Landschaft
Flüssiger Basalt lagerte sich vor knapp 1,3 Milliarden Jahren im Gebiet um den Coppermine River auf einer Fläche von 170.000 km² ab. Innerhalb von weniger als fünf Millionen Jahren lagerte sich Basalt bis zu einer Höhe von 3,5 km ab. Einen äußerst aktiven Magmabereich bildete dabei der Mackenzie Hotspot, später entstanden weitere vulkanische Hotspots in Nunavut bis nach Ellesmere Island.
Im Westen bilden die Mackenzie Mountains einen Teil der nördlichen Rocky Mountains. Entlang der Westgrenze des Territoriums bilden Gebirgszüge (Ranges) wie die Tawu Range oder die Backbone Range Abschnitte der Mackenzie Mountains. An dessen Ostseite befinden sich vergleichsweise waldreiche Flusstäler, ebenso wie im Süden des Territoriums, wo sich auch die Hauptstadt Yellowknife an der Einmündung des Yellowknife River in den North Arm des Großen Sklavensees befindet.
Zur Kreidezeit waren die tiefer liegenden Gebiete östlich der Mackenzie-Berge, die heute zum Entwässerungsgebiet des Mackenzie gehören, von einem Meeresarm bedeckt. Ostwärts des Mackenzie erheben sich Plateaus, wie das Horn Plateau (838 m), oder Gebirgszüge wie die Franklin Mountains (Cap Mountain, 1577 m), bergige Landschaften die noch weiter ostwärts von zahlreichen Seen durchsetzt sind. Ostwärts der beiden großen Seen des Territoriums schließt sich eine weitgehend weglose Seenlandschaft an, durch die sich nordöstlich des Großen Bärensees bereits die Grenze nach Nunavut zieht.
Im äußersten Norden erstreckt sich die Küste des Festlands von der Mackenziemündung bis zum Amundsen Gulf, eine Region, die arktisch ist und eine geringe Vegetation aufweist, und in der nur der Ort Paulatuk besteht. Darüber hinaus gehören mehrere Inseln zum Territorium, wie etwa ein Teil der Victoria-Insel, an dessen Westküste die Siedlung Ulukhaktok liegt, die Banksinsel, die bis 750 m aufsteigt, oder die Prinz-Patrick-Insel. Die arktische Landschaft ist geologisch noch sehr jung. Das Gebiet war vor 20.000 Jahren vollständig mit Gletschern bedeckt und erst ab etwa 8000 v. Chr. wurde es von Süden nach Norden zunehmend eisfrei.
Im Südwesten von Fort Smith liegt das bedeutendste Gipskarstgebiet Nordamerikas mit zahlreichen Höhlen, Dolinen, Sinklöchern (das bekannteste ist der Pine Lake) und unterirdischen Flüssen. Im Wood Buffalo National Park finden sich mit Salzkrusten überzogene Gebiete, deren Salz aus dem hier befindlichen Meeresarm stammt, der einst den überwiegenden Teil des Territoriums bedeckte.
Klima
Im Süden des Territoriums ist das Klima subpolar, im Norden arktisch. In der sogenannten Kryosphäre herrscht lang anhaltender Frost bis hin zum Permafrost. Die Sommer sind dementsprechend im Süden etwas milder, im Norden kürzer und kühler. Im Winter sind Temperaturen unter −40 °C keine Seltenheit. So lagen die Temperaturen in Yellowknife zwischen dem 31. Dezember 1993 und dem 19. Januar 1994 durchgängig unter −37 °C. Trotz eines sehr kalten Winters 2007/08, bei dem Yellowknife neun Tage lang −40 °C erlebte, waren die Winter der letzten 25 Jahre von vergleichsweise hohen Temperaturen geprägt. Die niedrigste jemals gemessene Temperatur von −57,2 °C wurde in Fort Smith am 26. Dezember 1917 gemessen. Die Niederschläge sind dabei gering, jedoch kam es um die Hauptstadt am 20. Juli 2008 zu ausgedehnten Niederschlägen mit starkem Hagel, bei Temperaturen von über 30 °C. In der Subarktis (Yellowknife) liegt die durchschnittliche Höchsttemperatur im Januar bei −23 °C und 21 °C im Juli, in der arktischen Zone bei −33 °C bzw. 10 °C. Im Juni herrscht dort 20 bis 24 Stunden Tageslicht und bis zu 24 Stunden Dunkelheit im Dezember.
Flora und Fauna
Während der Westen und der Süden des Territoriums von Wäldern bedeckt sind, die nach Norden lichter werden, liegt der Osten und der Norden jenseits der Waldgrenze. Häufig vertreten ist die Schwarz-Fichte, jenseits der Waldgrenze dominieren bodennahe Pflanzen, wie Gegenblättriger Steinbrech (purple mountain saxifrage), die am nördlichsten wachsende höhere Pflanzenart.
Im Territorium existieren sieben große Herden von Karibus, die bis über eine halbe Million Tiere umfassen und von denen die im Osten lebende Qamanirjuaq-Herde die größte ist. Ohne sie wäre eine Besiedlung durch die frühesten Bewohner kaum möglich gewesen. Das Tal des Thompsen River auf der Banksinsel bildet dagegen eines der wichtigsten Lebensgebiete für Moschusochsen, die in Kanada seit 1917 unter Schutz stehen. Allerdings dürfen die lokalen Inuit eine kleine Zahl von Tieren pro Jahr erlegen. Ihre Zahl wird auf 50.000 geschätzt, zudem leben rund 26.000 Elche, mindestens 10.000 Vielfraße und 15.000 Wölfe im Territorium.
Städte und Orte
Die bei weitem größte Siedlungskammer bildet der Große Sklavensee mit dem oberen Mackenzie. Dort befindet sich Yellowknife, die Hauptstadt des Territoriums, und mit 19.569 Einwohnern der größte Ort. Er liegt am Großen Sklavensee, ähnlich wie die zweitgrößte Stadt Hay River mit 3.528 Einwohnern. Etwas weiter südlich liegt Fort Smith, schon fast in Alberta. Ebenfalls im Raum des Großen Sklavensees liegt Behchokò mit 1.874 Einwohnern (inklusive der Einwohner des Reservates), das frühere Rae-Edzo und die größte Dené-Siedlung, sowie Fort Simpson und Fort Providence am Mackenzie. Außerhalb dieser großen Siedlungskammer findet sich eine weitere im Mündungsgebiet des Mackenzie, wo sich Inuvik, die drittgrößte Stadt befindet, ebenso wie Fort McPherson und Tsiigehtchic, das frühere Arctic Red River mit 172 Einwohnern.
Die folgende Tabelle enthält die zehn größten Gemeinden des Territoriums (inklusive aller Orte, die den Gemeindestatus City, Town oder Village haben), ihre Region und den Gemeindestatus sowie ihre Einwohnerzahlen aus den jeweiligen Volkszählungen von Statistics Canada, der nationalen Statistikagentur.
Bevölkerung
Die frühen Bevölkerungsangaben sind zum einen unzuverlässig, zum anderen beziehen sie sich auf das erheblich größere Gebiet der Nordwest-Territorien des 19. Jahrhunderts. So lieferte erst die Volkszählung von 1911, also nach der Abspaltung von Yukon, Alberta und Saskatchewan, genauere und vergleichbare Ergebnisse. Ähnliches gilt für die Volkszählung von 1991 und die Abspaltung von Nunavut.
Die ursprünglich hier lebenden First Nations und Inuit sowie Métis bilden die absolute Mehrheit der Bevölkerung, doch bezeichnet sich etwa ein Fünftel der Bevölkerung als Kanadier, rund die Hälfte hat europäische, vor allem englische, schottische und irische, aber auch französische und deutsche Vorfahren.
Die indianischen Gruppen stellen vier First Nations der Gwich'in im Mackenzie-Gebiet. Die Teetl'it Zheh oder Fort McPherson leben am Peel River und sind die größte Gwich'in-Gruppe in den Nordwest-Territorien. Ihr Name bedeutet „Volk vom Oberlauf“. Die zweite Gruppe sind die Tsiigehtchic („Volk der Ebenen“), die im gleichnamigen Dorf leben. Die Edhiitat Gwich'in („Delta-Volk“) leben in Aklavik am Peel Channel im MacKenzie-Delta, ebenso wie die Nihtat Gwich'in („gemischte Nationen“), die in Inuvik am East Channel leben.
Die zweite große Gruppe bilden die Sprecher der Chipewyan-Sprachen, vor allem die Fort Resolution/Deninu Kue First Nation und Smiths Landing. Zwischen 2006 und 2011 gab es erneut eine Stagnation beim Bevölkerungswachstum, jedoch war das Bevölkerungswachstum in den anderen nördlichen und unwirtlichen Provinzen Nunavut und Yukon mit 11,6 bzw. 8,3 Prozent in nur 5 Jahren sehr hoch. Der Grund ist nicht bekannt und die kanadische Volkszählungsbehörde rechnet zwischen 2011 und 2016 wieder mit einem spürbaren Wachstum.
Gemäß der Volkszählung von 2006 waren die folgenden zehn Ethnien die am meisten in den Nordwest-Territorien vertretenen (Mehrfachnennungen waren möglich):
First Nations – 36,0 %
„Kanadier“ – 19,6 %
Engländer – 16,6 %
Schotten – 14,0 %
Iren – 12,0 %
Inuit – 11,2 %
Franzosen – 10,4 %
Deutsche – 8,1 %
Métis – 8,0 %
Ukrainer – 3,4 %
Im Territorium sind 26 First Nations anerkannt, denen im Februar 2009 zusammen rund 17.000 Menschen angehörten. Die größte Gruppe mit rund 2.700 Angehörigen bilden die Tli Cho zwischen Großem Bären und Sklavensee, die früher Dog Rib genannt wurden. Weitere anerkannte Stämme mit ihren registrierten Angehörigen sind nach Angaben des Department of Indian Affairs and Northern Development:
Geschichte
Frühgeschichte
Die Frühgeschichte des Nordwestens ist auf die mündliche Tradition der dortigen Ureinwohner und auf archäologische Quellen angewiesen (vgl. Geschichte der First Nations). Die Funddichte nimmt dabei beständig zu. Im Jahr 2006 waren mehr als 6.000 archäologische Stätten bekannt, die jedoch nur einen Bruchteil der vorhandenen Stätten darstellen.
Dabei hat sich seit 2002, ähnlich wie schon vorher im Yukon-Gebiet, eine Quellengattung als besonders fruchtbar erwiesen. Diese entstand dadurch, dass Karibuherden im Sommer Schutz vor der Hitze und vor Insekten suchen, indem sie sich auf Eisfeldern niederlassen. Dabei hinterließen sie selbst Spuren, vor allem in Form von Dung, aber auch die Jäger, die ihnen auf das Eis folgten, hinterließen zahlreiche Artefakte. Diese tauen, bedingt durch die Klimaerwärmung, zunehmend auf. Daher wurde 2002 ein Forschungsprojekt initiiert, das mit der Hilfe der Tulita First Nations Band und Hubschraubern die Spuren am Gebirgsrand systematisch erfassen sollte. Dabei traten bis zu 7000 Jahre alte Gegenstände zutage, die auch aus organischem Material bestehen, Material, das weiter im Süden erst aus sehr viel jüngeren Fundstätten bekannt ist.
Die früheste in der Region fassbare Tradition im Norden ist jedoch die Arctic Small Tool tradition, die, wie der Name zum Ausdruck bringt, kleine Werkzeuge hinterließ, die auf die Zeit zwischen 2500 und 800 v. Chr. datiert werden, und sich von Alaska bis Grönland finden. Ihre Ausprägungen im Norden Kanadas waren Independence I und Pre-Dorset. Man nimmt an, dass die ethnischen Gruppen aus Asien um 2500 v. Chr. eingewandert sind, und erstmals den Norden der Nordwest-Territorien besiedelten. Ihr folgte die Dorset-Kultur bis etwa 1000 n. Chr. (vgl. Inuit-Kultur). Um 1000 zogen Gruppen im Zuge einer Klimaerwärmung süd- und ostwärts. In der so genannten 2. Expansion drangen sie bis an die Hudson Bay vor. Nach 1300 kühlte sich das Klima wieder ab, was den Menschen das Überleben zunehmend erschwerte. In der Kleinen Eiszeit zwischen 1550 und 1850, mit einem kurzzeitigen Wärmehoch um 1800, wurde der größere Teil des äußersten Nordwestens entvölkert.
Pelzhandel und Missionierung
In den Nordwest-Territorien und in Yukon hatte der Pelzhandel zwei Wurzeln. Biber, Bisam, Nerz, Echte Marder und auch Luchse wurden von den Bewohnern des Mackenzie-Beckens gejagt, später von denen des Deltas. Der mit der Jagd verbundene Handel dehnte sich seit dem 17. Jahrhundert nordwestwärts aus und erreichte die Küsten der Arktis im 19. Jahrhundert. Die zweite Wurzel war die Jagd auf den Polarfuchs. Erstere Jagd führten die Indianer, Letztere die Inuit aus.
Samuel Hearne bereiste 1770 bis 1772 die Polargebiete, ausgehend vom Fort Prince of Wales (Churchill) an der Hudson Bay. Er erreichte den Coppermine River und berichtete als erster vom Großen Sklavensee. Er schilderte die Lake Wholdaia Chipewyan als erfolgreiche Karibujäger, bei denen auch die Ältesten gut versorgt waren, und die er für besonders glücklich hielt. Die Bereitwilligkeit, mit der viele von ihnen Pelze an die Hudson Bay brachten, und sich damit in Hearnes Augen zu Sklaven machten, erklärt sein Führer und Beschützer Matonabbee mit ihrem Stolz auf ihre Tätigkeit, die es ihnen erlaubte, großzügig zu verschenken und Ansehen zu gewinnen. Schon Matonabbees Vater war Angestellter bei Richard Norton im Prince of Wales Fort um 1735, und nach dem Tod des Vaters adoptierten er und seine Cree-Frau seinen Sohn.
1786 entstand mit Fort Resolution (nahe der Mündung des Slave River in den Great Slave Lake) der erste Handelsposten im Bereich der späteren Nordwest-Territorien. Als Alexander Mackenzie den Zugang zum Pazifik suchte, entstand mit Lac La Martre der erste Handelsposten, der den athapaskischen Stämmen den direkten Handel mit europäischen Pelzhandelsgesellschaften ermöglichte. Bis dahin hatten Cree und Chipewyan die Vermittlerrolle inne. Dazu kamen nach 1700 Métis-Gruppen aus Saskatchewan, die die Methy Portage überschritten (s. Portage) und deren Nachkommen heute als Northern Métis bezeichnet werden.
In dieser frühen Phase spielte eine junge Frau eine wichtige Rolle. Thanadelthur wurde 1713 von Cree am Großen Sklavensee geraubt. Diese Raubtrupps waren seit 1670 immer wieder mit Gewehren ausgestattet auf Sklavenjagd gegangen. Die Gewehre wiederum stammten häufig aus dem Handelsposten der Hudson’s Bay Company (HBC), York Factory. Thanadelthur gelang jedoch 1714 die Flucht in das Fort, und der dortige Leiter James Knight erkannte den Wert ihrer Informationen über Pelzjäger im Nordwesten sofort. Sie führte auf seine Bitte hin William Stewart und 150 Cree zum Ostarm des Großen Sklavensees und vermittelte Frieden zwischen ihrem Volk, den Chipewyan, und den Cree. Tatsächlich errichtete die HBC einen neuen Handelsposten am Churchill, Prince of Wales. Thanadelthur starb allerdings bereits im Alter von 17 Jahren im Jahr 1717. Der Frieden ermöglichte den Cree einen ungestörten Zwischenhandel zwischen der HBC und den im Nordwesten lebenden Stämmen.
Nach der Niederlage der Franzosen gegen die Briten von 1760 bekämpften sich mehrere Handelsgesellschaften gegenseitig. Dabei drang die North West Company Richtung Nordwesten vor. Simon McTavish hatte hier neun kleine Handelsgesellschaften verbunden. 1786 bauten die beiden rivalisierenden Gesellschaften der North West Company unter Führung von Cuthbert Grant und Laurent Leroux von Gregory, Macleod and Company getrennte Forts. Die 1787 vereinten Gesellschaften bauten Old Fort Providence an der Yellowknife Bay. Doch am Prinzip der konkurrierenden Gesellschaften änderte sich nichts, denn nun trat die Hudson’s Bay Company in Konkurrenz zur vereinigten North West Company. Dieser Zustand endete erst 1821 nach dem Pemmikan-Krieg mit der zwangsweisen Vereinigung zu einer Gesellschaft, die nun als Hudson’s Bay Company firmierte und bis 1870 ein Monopol genoss.
Erst 1796 entstand ein Handelsposten am Trout River, doch musste der Posten drei Jahre später aufgegeben werden, nachdem Inuit seinen Erbauer Duncan Livingston umgebracht hatten. 1801 spaltete sich die North West Company und die XY Company entstand. Dennoch gründete sich neben kurzlebigen Handelsposten auf Dauer Fort of the Forks (1802 bis 1811, später Fort Simpson), Fort Good Hope, Fort Norman und Fort Liard. Dennoch wurden die Forts, besonders nach der Übernahme der North West Company durch die HBC, immer wieder verlagert – auch auf Wunsch der liefernden Indianer. Dabei diente Ft. Simpson als Hauptquartier für das riesige Mackenzie-Gebiet. Allein 1827 kamen so 4.800 Biber-, 6.900 Nerz- und 33.700 Bisamfelle an die HBC.
Zur Steigerung der Erträge trug auch bei, dass die rund ein halbes Jahrhundert anhaltenden Kriege zwischen Dogrib und Yellowknives nach 1823 durch einen Friedensschluss endeten. Im Oktober 1823 hatten die Dogrib sich für eine Niederlage gerächt, indem sie 34 Yellowknife-Leute töteten, wohl ein Fünftel des Stammes. Der Friedensschluss wurde am Mesa Lake gefeiert.
Fort Liard und Fort Halkett wurden am oberen Liard River erbaut. Damit sollten die in Alaska dominierenden russischen Mittelsmänner zu den Kaska-Indianern beim Handel über die pazifischen Küstengebiete auf dem Weg durch das Inland umgangen werden. Die weit abgelegenen Posten waren dabei, trotz Kartoffelanbau und dergleichen, von der Lebensmittelversorgung durch die Indianer abhängig, vor allem von Fleisch. Drei Expeditionen unter Leitung von Captain John Franklin erforschten die Gebiete zwischen zentraler Arktisküste und Sklavensee (1825–1827, 1836–1939, 1845).
Um 1850 entsprach die Streuung der Handelsposten ziemlich genau der heutigen. Die Indianer lebten zwar weiterhin nomadisch, doch vor allem in Herbst und Frühjahr lebten sie zunehmend in der Nähe der Handelsposten. Die Händler gaben den Jägern immer häufiger Kredit – je größer die Beute früherer Jahre gewesen war, desto höher konnten die Kredite ausfallen. Für die Indianer wurde es zu einer Art Anerkennung ihrer Jagdfähigkeiten, möglichst hohe Kredite und damit Schulden zu bekommen. Das Biberfell (madebeaver) wurde zur einzigen Währung des Gebiets. Dessen Tauschwert war klar: drei Nerze, zehn bis 15 Bisam, ein ausgewachsener Luchs oder sechs Schwäne entsprachen einem Madebeaver. Ein einziges Messer kostete zwei Madebeaver. Die Indianer erhielten für ihre Pelze Gewehre, Munition und Pulver, Messer, Fallen, Mehl, Tabak, Tee, Vieh und Rum. Auch dies veränderte bis weit in den Norden die Handels- und Machtstrukturen.
1847 kam der Oblatenmissionar Alexandre-Antonin Taché nach Fort Chipewyan. Hier entstand die Nordwest-Diözese, deren Bischof der 27-Jährige wurde. Von diesem späteren Bistum Mackenzie (seit 1967 Suffraganbistum des Erzbistums Grouard-McLennan), wurden weitere Missionare nach Norden entsandt. So entstand 1852 eine Missionsstation am Großen Sklavensee. Als ab den 1850er Jahren viele Indianer zum Katholizismus übertraten und die HBC in Hungerjahren mit Lebensmitteln aushalf, wuchs die Abhängigkeit von den Handelsposten. Die von Europäern eingeschleppten Epidemien, allen voran Pocken und Masern, die zahlreiche Indianer das Leben kosteten, führten dazu, dass Waisenkinder aufgenommen wurden. Durch Impfungen verliefen die Krankheiten bald weniger häufig tödlich. Andere kulturelle Veränderungen trugen dazu bei, die Abhängigkeit von Waren der Briten zu steigern. So hatten die Indianer ihr Fleisch üblicherweise mit heißen Steinen vergraben und auf diese Art gekocht, nun wurden dazu Eisenpfannen zum Braten benutzt. Die traditionellen Techniken gingen verloren.
Den Oblaten standen anfangs anglikanische Konkurrenten, vor allem aber die zahlreichen Sprachen und der Nomadismus der Indianer im Weg, dem sich die Oblaten auf Weisung Tachés allerdings anpassten. Zudem war die HBC keineswegs bereit, eine größere Zahl von Missionaren zu transportieren, zu versorgen und gegebenenfalls zu schützen; nur wenige Missionare waren in der Lage, den Wanderzyklen der Stämme zu folgen. Pater Pierre-Henri Grollier zog 1858 in den Norden nach Fort Simpson. Im selben Jahr kam auch der anglikanische Missionar James Hunter dort an. Grollier sprach Chipewyan und wohl auch Slavey. Der Oblate Émile Petitot lernte nicht nur die Sprachen, sondern erlangte auch durch kulturelle Beobachtungen eine gewisse Bekanntheit. Mit der Ankunft von Nonnen ab 1867 verlagerte sich der Schwerpunkt auf die Schulen. Dennoch war den Oblaten nicht an einer Sesshaftmachung oder gar an einer Gewinnung für ein bäuerliches Leben gelegen, das im Norden sowieso nicht möglich war.
Als die HBC 1870 ihr Handelsgebiet an Kanada verkaufte, bestanden in den Nordwest-Territorien neun Forts: Good Hope, Liard, McPherson, Norman, Providence, Resolution, Simpson, Hay River und Old Ft. Rae (bis 1875).
Die Pelzpreise stiegen stetig, inzwischen waren Silberfuchsfelle mit Abstand die teuersten Pelze. Die Pelze wurden mit Booten, dann mit Dampfbooten den Mackenzie aufwärts transportiert, von Edmonton aus (ab 1890) ging es mit der Eisenbahn weiter in die Verbrauchszentren. Dabei war die HBC nur noch eine von mehreren konkurrierenden Gesellschaften, zu denen vor allem Hislop and Nagle zählten.
Zwar waren erst 1894 die ersten Pelzhändler persönlich über den 60. Breitengrad vorgedrungen, doch mit dem Goldrausch am Klondike River überstürzten sich die Ereignisse. Die Pelztierpopulationen gingen spürbar zurück, so dass 1906 bzw. 1917 der Northwest Game Act verabschiedet wurde. Es wurden Ruhezeiten eingeführt und außer den Indianern musste jeder eine Lizenz erwerben, deren Preis bald drastisch angehoben wurde. Dennoch stieg die Zahl der weißen Fallensteller von 140 im Jahr 1920 auf 500 sechs Jahre später. Gleichzeitig brachen etliche Tierpopulationen, wie die vom Nerz, ein. Die Zahl der erbeuteten Nerzfelle fiel von 21.205 (1923/24) auf 3.630 (1927/28). In den 1920er und 1930er Jahren wurden Lamson and Hubbard und Northern Traders Limited zu den schärfsten Konkurrenten der HBC. Doch die Weltwirtschaftskrise ließ die Preise zusammenbrechen, nur die HBC blieb übrig. Nun durften nur noch Indianer und Weiße, die bereits eine Lizenz besaßen, Fallen aufstellen. Damit war die Ära der Fallenstellerei zu Ende.
Das Territorium
Das Territorium wurde im Juni 1870 geschaffen, als die Hudson’s Bay Company ihre Rechte an Ruperts Land und am Nordwestlichen Territorium an die kanadische Bundesregierung verkaufte. Das Gebiet umfasste den größten Teil des heutigen Kanada. In den Jahren danach erfolgten zahlreiche Grenzbereinigungen und Abspaltungen.
Am 15. Juli 1870 wurde mit dem Inkrafttreten des Manitoba Act die Provinz Manitoba gegründet, die damals nur ein kleines quadratisches Gebiet um die Stadt Winnipeg umfasste (1881 zu einem etwas größeren Rechteck vergrößert, das heute den südlichen Teil der Provinz bildet). Die übrigen Nordwest-Territorien wurden bis 1905 von Winnipeg aus mitverwaltet.
British Columbia, das am 20. Juli 1871 der Kanadischen Konföderation beitrat, hatte bereits 1866 jene Teile des Nordwestlichen Territoriums zugesprochen erhalten, die südlich von 60° N und westlich von 120° W lagen, ein Gebiet, das den größten Teil des Stikine-Territoriums umfasste. Am 12. April 1876 trennte man im Zentrum der Territorien den Distrikt Keewatin ab, der bis 1905 eine separate Verwaltungseinheit bildete. 1880 trat Großbritannien die britischen Arktis-Territorien an Kanada ab. 1882 und 1896 wurden die verbleibenden Gebiete der Nordwest-Territorien in die folgenden Distrikte aufgeteilt:
Alberta (südliches Alberta, 1882)
Assiniboia (südliches Saskatchewan, 1882)
Athabasca (nördliches Alberta und Saskatchewan, 1882)
Franklin (der kanadisch-arktische Archipel mit den Halbinseln Boothia und Melville, 1895)
Mackenzie (Festlandteil der NWT und westliches Nunavut, 1895)
Saskatchewan (zentrales Saskatchewan, 1882)
Ungava (nördliches Québec, Labrador und Inseln in der Hudson Bay)
Yukon (heutiges Territorium Yukon)
1889 wurde Ontario westwärts vergrößert, 1898 verschob Québec seine Grenzen nach Norden. Ebenfalls 1898 erfolgte die Gründung des Yukon-Territoriums, um die Folgen des Goldrauschs am Klondike River administrativ besser bewältigen zu können.
1899 schloss die Regierung mit den Indianern einen der so genannten Numbered Treaties (Nummerierte Verträge), in denen sie gegen Sicherung ihrer traditionellen Lebensweise ihre Gebiete abtraten. Dieser Vertrag Nr. 8 berührte nur den Südosten der heutigen Nordwest-Territorien, 1921 wurde jedoch Vertrag Nr. 11 geschlossen, der den Rest des Territoriums einschloss.
Am 1. September 1905 wurden die neuen Provinzen Alberta und Saskatchewan gegründet. Erster und einziger Premier der Nordwest-Territorien war Sir Frederick Haultain. Er lebte seit 1884 in Fort McLeod, das er im Northwest Territories Council bzw. in der Legislative Assembly of the Northwest Territories vertrat (ab 1887), und arbeitete als Staatsanwalt. Am 7. Oktober 1897 wurde er als Präsident des Executive Council oder Premier vorgeschlagen, ein Amt, das er bis 1905 innehatte. Er war ein Verfechter einer Provinz namens Buffalo, die Alberta und Saskatchewan umfassen sollte. Doch konnte er nicht Premier von einer der beiden 1905 gegründeten Provinzen werden, weil die Führer der regierenden Liberalen Partei ihn ablehnten.
1912 erweiterten Manitoba, Ontario und Québec ihr Territorium bis zu den heute gültigen Grenzen, die letztgenannte Ausdehnung hieß Nouveau-Quebec. So verblieben nur noch die Distrikte Mackenzie, Franklin (absorbierte 1920 den Rest von Ungava) und Keewatin. 1925 wurden die Grenzen der Nordwest-Territorien bis zum Nordpol ausgedehnt. Von 1925 bis 1999 betrug die Fläche der Nordwest-Territorien 3.439.296 km² (entspricht in etwa der Größe Indiens). Das Restgebiet der Nordwest-Territorien hatte von 1907 bis 1947 keinen Vertreter im kanadischen Unterhaus, danach nur der Mackenzie-Distrikt. Die Inuit erhielten erst 1953 das Wahlrecht und waren nach der Neubildung eines Wahlkreises im Jahr 1962 im Bundesparlament vertreten. Im Zuge der Abtrennung des Territoriums Nunavut von den Nordwest-Territorien am 1. April 1999 fand ein offizieller Ideenwettbewerb statt, um einen neuen Namen für das verbleibende Gebiet zu finden. Nachdem eine persiflierende Initiative von Studenten mit dem Namensvorschlag „Bob“ für immer mehr Aufmerksamkeit sorgte, wurde der Wettbewerb ergebnislos abgebrochen.
Religion
Der Anteil der Katholiken lag 2001 bei 45,7 % der Bevölkerung. Zweitgrößtes christliches Bekenntnis war die Anglikanische Kirche mit 14,9 %, ihr folgte die Vereinigte Kirche (6,0 %), Baptisten und Lutheraner mit 1,8 bzw. 1,1 %. Die sonstigen protestantischen Gruppen umfassen über 5 %, dazu kamen 65 griechisch-orthodoxe und zahlreiche weitere christliche Gruppen, jedoch mit geringen Mitgliederzahlen. Rund 180 Muslime, 30 Juden, 155 Buddhisten, 70 Hindus und 45 Sikhs kamen hinzu. 17,4 % der Bevölkerung gaben keine Religion an.
Politik
Die Nordwest-Territorien werden offiziell von einem Kommissar (Commissioner) regiert, der von der kanadischen Bundesregierung eingesetzt wird (vor 1905 von einem Vizegouverneur). Bereits seit 1881 existiert aber auch eine eigene Legislativversammlung (legislative assembly), deren Mitglieder zunächst bestimmt, dann ab 1951 gewählt wurden. Erst seit 1975 werden alle 19 Mitglieder durch Wahl bestimmt. Der Vorsitzende ist der Speaker. Die Versammlung bestimmt einen Premierminister und ein Kabinett; politische Parteien gibt es jedoch nicht. Die Mehrheit der Mitglieder der Versammlung gehört den Ureinwohnern an.
Seit 1967, als Yellowknife Hauptstadt wurde, wurden immer mehr Zuständigkeiten vom Commissioner an die gewählte Regierung abgegeben, dieses Amt ist damit heute nur noch von symbolischer Bedeutung. Streitigkeiten gibt es aber bis heute um die Teilhabe an den Einnahmen aus Bodenschätzen zwischen der Bundesregierung und der Regierung der Territorien.
Entsprechend der Siedlungsstruktur ist die Verwaltung in zwei Regionen geteilt, die Fort Smith Region und die Inuvik Region. 47 inkorporierte Orte (municipalities) und 35 Weiler (hamlets), insgesamt etwa hundert Siedlungspunkte, sind dabei mehr oder minder stark von örtlichen Traditionen und politischen Strukturen geprägt, die oftmals in den ethnischen Traditionen wurzeln. Indianerreservate (Indian reserves genannt) existieren nur bei Hay River nahe Fort Smith. Seit 1984 wurden jedoch Verträge mit den Inuvialuit der Western Arctic geschlossen, dann 1993 mit der Tungavik Federation, wodurch nach einem Volksentscheid von 1982 im Jahr 1999 Nunavut abgetrennt wurde, und 1994 mit den Sahtu Dene und den Métis des Mackenzietals.
Verwaltungsgliederung
Verwaltungstechnisch ist das Territorium in die folgenden Regionen gegliedert:
Dehcho Region
Inuvik Region
North Slave Region
South Slave Region
Sahtu Region
Umwelt
Um den Großen Sklavensee im Süden befinden sich mehrere Schutzgebiete, wie das Mackenzie Bison Sanctuary am Westufer, das Slave River Reserve um die Mündung des gleichnamigen Flusses in den See, an den sich südwestwärts der Wood-Buffalo-Nationalpark anschließt, der größte Nationalpark Kanadas. Beidseitig der Grenze zu Yukon befindet sich im Norden das Naturschutzgebiet des Peel River Reserve, weiter im Süden die 2009 um das Sechsfache erweiterte Nahanni National Park Reserve, die zum Weltnaturerbe zählt. Darüber hinaus findet sich an der Yukon-Grenze das kleine Norah Willis Michener Game Reserve.
Um den Großen Bärensee wurde im Jahr 2016 ein Biosphärenreservats der UNESCO eingerichtet. Das Biosphärenreservat Tsá Tué umfasst dabei eine Fläche von rund 93.300 km².
Im äußersten Norden, bereits an der Beaufortsee, befindet sich der Aulavik-Nationalpark auf der Banksinsel, wo zahlreiche Moschusochsen leben. Auf dem Festland nahe der Grenze nach Nunavut, wurde der Tuktut-Nogait-Nationalpark (16.340 km²) eingerichtet, nahe der Grenze zum Yukon das Reindeer Grazing Reserve. Es liegt nördlich und östlich von Inuvik und umfasst neben Richards Island die Gebiete um die Kugmallit Bay und die Liverpool Bay und reicht im Osten bis zum Anderson River. Hier stehen Karibuherden, vor allem Bluenose West und East sowie Cape Bathurst unter Schutz, Letztere wurde erst im Jahr 2000 als eigene Herde wahrgenommen. Ihre Zahlen sind allerdings rückläufig. So wies die Cape-Bathurst-Herde 1992 noch 17.500 Tiere auf, 2006 nur noch 1.800; Bluenose-West schrumpfte von 98.900 auf 18.000, Bluenose-East von 104,000 im Jahr 2000 auf 66,200 im Jahr 2006.
Die Karibuherden in ganz Kanada werden seit den 1990er Jahren kleiner, das gilt auch für die Nordwest-Territorien, die allein sieben dieser riesigen Herden von Barrenground Caribous beherbergen. Mitte der Achtzigerjahre umfassten sie wohl mindestens eine Million Tiere, Mitte der Neunziger vielleicht 1,3 Millionen. Besonders rapide schrumpfen die kleineren Herden, wie Cape Bathurst und Bluenose West, aber auch von den vier großen Herden sind Porcupine und besonders Bathurst stark rückläufig, während Beverly und Qamanirjuaq im Osten (also weitab von Siedlungen), die 1994 aus rund 500.000 Tieren bestand, sich zumindest bis Mitte der 90er Jahre noch vergrößert haben – weitere Daten fehlen jedoch.
In den ersten Jahren der Goldgewinnung am Großen Bärensee ab 1935 wurde zur Trennung von Gold und Erz ein Verfahren genutzt, bei dem große Mengen an Arsen(III)-oxid-Staub freigesetzt wurden. Von 1951 bis 1956 sanken die Arsenikmengen von 7,4 auf 2,6 t pro Tag, bis 1959 auf 52 kg. Insgesamt produzierte die Giant Mine während der 50 Jahre der Produktion (bis 1999) 237.000 t dieses giftigen Stoffes, der unterirdisch eingelagert worden ist. Diese Lager werden durch Grundwasser ausgeschwemmt, so dass aufwändige Reinigungsverfahren nötig wurden. Hinzu kommen die Störungen der Tierwanderungen durch Straßenbauten und den zunehmenden LKW-Verkehr. Die Erforschung dieser ökologischen Belastungen hat einen Schwerpunkt in Bremen.
Wirtschaft
Die Wirtschaft der Nordwest-Territorien basiert auf der Ausbeutung der natürlichen Ressourcen. Dabei ist die Fallenstellerei nur noch von geringer gesamtwirtschaftlicher Bedeutung (0,9 Millionen CAD im Jahr 1999), doch existieren noch rund 5.000 Jagdlizenzen. Die Waljagd existiert nicht mehr, einzig bedeutsame Fischerei ist die auf dem Sklavensee, wobei fast nur Weißfisch gefangen wird. Auf dem Sklavensee ist kommerzielle Fischerei nicht erlaubt. Holzwirtschaft wird nur im Tal des Mackenzie betrieben.
In verschiedenen Minen werden, vor allem seit den 1930er Jahren, Gold, Uran, Blei, Zink, Silber, Kupfer, Wolfram und Diamanten abgebaut. Im Jahr 2000 trugen Diamanten 636 Millionen, Gold 56 und Silber 0,25 Millionen Dollar zur Wirtschaftsleistung bei. 1999 musste jedoch die größte Goldmine, die seit 1935 bestehende Giant Mine, schließen, da die Inhaberin, die Royal Oak Company, bankrott war. Außerdem existieren im Mackenzie-Delta umfangreiche Reserven an Erdöl (bei Norman Wells) und Erdgas. Während das Öl nach Alberta fließt, wird das Gas von Bent Horn auf Cameron Island nach Montreal verschifft. Bis 1986 kam die gesamte kanadische Wolframproduktion aus dem Territorium. Insgesamt beschäftigen die Minen rund 2000 Mitarbeiter, was etwa 15 % der Arbeitsplätze entspricht. Zu den Diamantenminen in den Nordwest-Territorien gehören die Ekati-Diamantenmine, die Diavik-Diamantenmine und die Snap-Lake-Diamantenmine. Die Minen nördlich der Stadt Yellowknife sind von der Außenwelt abgeschnitten und an nur zwei Monaten im Jahr über die Eisstraße Tibbitt to Contwoyto Winter Road an das amerikanische Straßennetz angeschlossen. Die Doku-Serie Ice Road Truckers behandelt diese Besonderheit.
Stromproduzenten sind die Northwest Territories Power Corporation, die 49 Orte beliefert, und die Northland Utilities Enterprises Ltd. die fünf Orte versorgt. 1994 lagen dabei 84 % der Kapazitäten bei ersterer Gesellschaft. Rund drei Viertel der Energie stammten dabei aus thermischen Quellen, ein Viertel aus Wasserkraft, also von Kraftwerken bei Yellowknife, Snare (allein drei Kraftwerke) und Taltson.
Im Süden wird zwar etwas Landwirtschaft betrieben, doch die meisten Nahrungsmittel werden importiert, wobei die niedrigen Preise wiederum eine lokale Landwirtschaft verhindern. Rund die Hälfte der Bevölkerung ist im Dienstleistungsbereich tätig, etwa ein Fünftel in der öffentlichen Verwaltung. Aufgrund der Bodenschätze und der relativ geringen Bevölkerungszahl haben die Nordwest-Territorien das höchste Bruttoinlandsprodukt pro Kopf aller Provinzen und Territorien Kanadas.
Von wachsender Bedeutung ist der Tourismus, obwohl die Region nicht leicht zu erreichen ist. Dazu tragen erheblich die Nationalparks bei, wobei diese auch Verwaltungsstellen schaffen. So wird Wood Buffalo von Fort Smith, Nahanni von Fort Simpson und Aulavik von Sachs Harbour aus verwaltet.
Schließlich trägt der Kunstmarkt erheblich zu den Familieneinkommen der Ureinwohner bei, wie etwa Drucke und Skulpturen der Inuit. Fast 50 Kooperativen versorgen rund 5.000 Menschen mit Arbeit und Einkommen. Dabei unterhalten diese Kooperativen auch Hotels, Restaurants und Geschäfte.
Verkehr
Auf dem Mackenzie gibt es nach wie vor eine Flussschifffahrt, bei der die Häfen Hay River und Tuktoyaktuk entscheidende Rollen spielen. Die Schifffahrt entlang der Küste ist nur wenige Wochen im Sommer möglich, dort verkehren auch Eisbrecher.
Die Binnenhäfen sind über Schotterstraßen an das dünne Pistennetz angebunden. Dabei verbinden Mackenzie und Yellowknife Highway das rund 2.200 km lange Straßennetz des Territoriums über Hay River und Yellowknife mit Alberta. Der einzige Weg zum Wood Buffalo National Park verbindet zugleich Hay River mit Fort Resolution und Fort Smith. Die Nordverbindung durch das Mackenzietal reicht bis Wrigley nördlich von Fort Simpson. Der 1984 eröffnete Liard Highway verbindet diesen Ort über Fort Liard mit dem Alaska Highway. Der Dempster Highway verbindet die Orte des Mackenziedeltas mit Dawson in Yukon. Von besonderer Bedeutung sind die nur im Winter befahrbaren Winterstraßen und die zugefrorenen Seen, die oftmals die einzige Außenverbindung darstellen.
Zwar gibt es Flugverbindungen von Edmonton zu Flugplätzen im Mackenzietal und nach Resolute, von Montréal in den Osten und nach Resolute, sowie von Winnipeg nach Yellowknife, Rankin Inlet und Iqaluit, doch neun von zehn Flügen gehen von und nach Yellowknife. Orte über 100 Einwohner haben einen Flugplatz.
Kultur
Sprachenvielfalt
In den Nordwest-Territorien gibt es elf Amtssprachen, mehr als in allen anderen Provinzen und Territorien, wobei zu den im übrigen Kanada vorherrschenden beiden europäischen die Sprachen der Inuit und die der Indianer kommen. Letztere gehören der Gruppe der athabaskischen Sprachen an. Die Amtssprachen sind dementsprechend Chipewyan, Cree, Englisch, Französisch, dann die Sprache der Gwich'in, Inuinnaqtun, Inuktitut, Inuvialuktun, North Slavey, South Slavey und Dogrib. Einwohner haben das Recht, sich in diesen Sprachen an Gerichte und an Regierungsstellen zu wenden. Jedoch sind Gesetze nur in der englischen und französischen Fassung rechtlich bindend. Gesetze und andere Dokumente werden nur übersetzt, wenn dies ausdrücklich gewünscht wird.
Bildung und Forschung
Die Aufgabe der staatlich organisierten Bildung und Erziehung lag zunächst bei Missionaren und Kirchen. Es entstanden 13 sogenannte Residential Schools, in denen aus den Ureinwohnern Christen gemacht werden sollten, und die Ureinwohner entsprechend dem Gradual Civilization Act „zivilisiert“ werden sollten. Dazu wurden die meist nomadischen oder halbnomadischen Gruppen angesiedelt. Die Schulen wurden bis in die 1970er Jahre betrieben.
Im Jahr 2000 bestanden im Territorium 77 Schulen mit 1.253 Vollzeitlehrern und 9.800 Schülern. 1962 lag diese Zahl erst bei 6.000. Dabei sind die Curricula der Ureinwohner, DeneKede und Inuuqatigiit, maßgeblich für die Vermittlung von Kulturen und Sprachen.
1984 entstand das Arctic College mit je einem Campus in Fort Smith und Iqaluit. Zwischen 1987 und 1990 wurden die örtlichen Bildungsstätten dem College-System angegliedert. 1995 wurde das Arctic College aufgeteilt und es entstanden das Aurora College in der Western Arctic und das Nunavut Arctic College in der Eastern Arctic.
Museen, Archive, Bibliotheken
Das Prince of Wales Northern Heritage Centre ist sowohl das bedeutendste Museum als auch das Archiv des Territoriums und besitzt eine eigene Bibliothek. Es repräsentiert als Zweig des Department of Education, Culture and Employment die Kulturen des Territoriums, sammelt und erhält die zugehörigen Artefakte und stellt sie im Haus und online aus. Pläne zum Bau einer solchen Institution nahmen 1971 Gestalt an und wurden 1972 von der Regierung genehmigt. 1979 konnte das Zentrum in Gegenwart des britischen Thronfolgers und Namensgebers eingeweiht werden. Die Sammlungen umfassen über 350.000 Fotografien, mehrere tausend Stunden Ton- und Filmaufnahmen, sowie 9.000 Bücher. Hinzu kommen Tagebücher und Briefe, Karten, Regierungsakten sowie zahlreiche wissenschaftliche Publikationen und Feldberichte von Grabungskampagnen.
Die größte Bibliothek mit über 70.000 Medien befindet sich ebenfalls in der Hauptstadt. Die Yellowknife Public Library ist dabei Teil der NWT Public Library Services. Dazu gehören Regionalbibliotheken in den meisten Orten des Territoriums, wie etwa die Aklavik Community Library oder die Fort McPherson Community Library im Nordwesten oder die Zhahti Koe Community Library in Fort Providence, die Hay River Centennial Library oder die Hay River Dene Reserve Community Library, die sich beide in Hay River befinden, jedoch verschiedene Schwerpunkte bilden. Hinzu kommt die Mary Kaeser Library in Fort Smith, die über Zeitschriftenabonnements mit regionalen Schwerpunkten verfügt, wie etwa den Inuit Art Quarterly oder das Arctic Bulletin.
Zeitungen, Radio, Fernsehen
Neben landesweiten Blättern bestehen in den Nordwest-Territorien mehrere Wochenzeitungen mit regionalen Schwerpunkten. So bildet die Deh Choh Drum einen Schwerpunkt im Süden und sie erscheint, wie einige andere auch, im Internet. Die Orte Fort Chipewyan in Alberta und Fort Smith werden vom Slave River Journal versorgt. Hinzu kommen The Hub, Inuvik Drum, Tusaayaksat (Inuit, zweimonatlich), das französische Blatt L'Aquilon, News North, die in Yellowknife zweimal pro Woche erscheint.
Im Territorium bestehen heute vier lokale Radiostationen, neben den landesweiten Angeboten der Canadian Broadcasting Corporation (CBC). In den 50er Jahren wurde eine erste private Radiostation eingerichtet, die in Yellowknife ihren Betrieb aufnahm und erst 1958 offizielle Anerkennung durch die CBC fand (CFYK-AM (Radio One)). Wie bei anderen Stationen auch, so ergänzte die CBC 1995 das vorhandene Tagesprogramm durch ein Nachtprogramm. Mit CJCD-FM folgte ein zweiter Sender in der Hauptstadt ab 1979, den Charles A. Dent leitete. 2007 verkaufte die Dent-Familie den Sender jedoch an Vista Broadcast Group Inc. Ein dritter Sender, CKLB-FM, entstand 1985. Er hat ein stärker multikulturelles Programm.
Die zweite Radiostation im Territorium nahm am 22. November 1960 ihren Sendebetrieb in Inuvik auf. Weitere Stationen folgten als Transmitter in Fort Norman (1969), Fort Good Hope (1973), Fort McPherson (1974), Cambridge Bay (1975), zuletzt in Tuktoyaktuk (2005). 1990 strahlte der Sender in Inuvik mehr als 40 Stunden pro Woche ein eigenes Programm aus, von dem 15 Stunden in der Sprache der Gwich'in und Inuvialuktun vorgesehen waren. Erst 1986 entstand eine Radiostation in Aklavik.
Ähnlich wie bei den Radiosendern, so bestehen Fernsehsender nur in Inuvik und Yellowknife. Dort entstand 1967 CFYK-TV, in Inuvik folgte 1968/69 CHAK-TV. Der Sender in Yellowknife war der erste Fernsehsender im Norden Kanadas und entstand im Zuge des Frontier Coverage Package Program der CBC.
Sport
Sportler aus dem Territorium nehmen regelmäßig an den Arctic Winter Games teil, neben Athleten aus Nunavut und dem Yukon sowie Nunavik und Nord-Alberta. Weiterhin nehmen auch Athleten aus Alaska und Grönland an diesen Spielen teil.
Literatur
Tara Browner: Music of the First Nations. Tradition and Innovation in Native North America. University of Illois Press, Urbana IL 2009, ISBN 978-0-252-02221-0, S. 21–33: Kap. 2: Musical Expressions of the Dene. Doghrib Love and Land Songs.
Weblinks
Regierung der Nordwest-Territorien (engl.)
Northwest Territories Tourism Deutschland
NWT Archives
Prince of Wales Northern Heritage Centre
Lessons from the Land. Cultural Journey through the Northwest Territories (Englisch, Doghrib, Französisch)
Quellen und Anmerkungen
Provinz oder Territorium in Kanada
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Q2007
| 541.725006 |
146902
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https://de.wikipedia.org/wiki/Honolulu
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Honolulu
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Honolulu (in älterer deutscher Literatur auch: Honoruru) ist die Hauptstadt des US-Bundesstaates Hawaii und befindet sich an der Südküste der Insel Oʻahu. Sie ist eine der größten Städte des Pazifik und der einwohnerreichste Census-designated place der Vereinigten Staaten. Fast jeder ausländische Tourist landet hier auf dem größten Luftdrehkreuz des Pazifik. Honolulus Stadtteil Waikīkī ist mit seiner exponierten Lage direkt am Meer und den enormen Hotelkapazitäten ein attraktives Touristenziel.
In der hawaiischen Sprache bedeutet Honolulu „geschützte Bucht“.
In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Honolulu im Jahre 2018 den 36. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit und den dritten Platz innerhalb der Vereinigten Staaten.
Geschichte
Es ist unbekannt, wann Honolulu zuerst besiedelt oder der Name zuerst benutzt wurde, mündlich überlieferte Geschichten deuten aber darauf hin, dass die Gegend erstmals im 12. Jahrhundert von Polynesiern besiedelt wurde. Der Hafen von Honolulu wird auch „Kulolia“ oder „Ke Awa O Kou“ genannt. Der erste Europäer, der Honolulu erreichte, war der britische Kapitän William Brown mit seinem Schiff Butterworth; er kam 1794 und nannte den Hafen „Fair Haven“. Andere nannten ihn auch „Brown’s Harbour“. Honolulu wurde schnell zum größten Hafen Hawaiis. Zu jener Zeit war der Handel mit dem Holz des Sandelholzbaums bedeutend. Weiterhin war Honolulu ein wichtiger Versorgungspunkt für Walfänger. 1845 machte Kamehameha III. Honolulu zur Hauptstadt des Königreichs Hawai'i. Es war auch die Hauptstadt der Republik und des Territoriums Hawaiis und ist auch heute noch die Hauptstadt des US-Bundesstaates Hawaii.
Zehn Bauwerke und Stätten in Honolulu haben den Status einer National Historic Landmark, darunter Pearl Harbor, der ʻIolani-Palast und das Schiffswrack der USS Arizona. 103 Bauwerke und Stätten der Stadt sind im National Register of Historic Places (NRHP) eingetragen (Stand 2. November 2018).
Geographie
Östlich von Honolulu erhebt sich der 232 m hohe, aus Tuffstein bestehende Diamond Head. Der Berg ist das Wahrzeichen der Stadt.
Stadtgliederung
Honolulu ist in 5 Distrikte aufgeteilt:
Downtown Honolulu: In diesem Bezirk, der auch die historische Chinatown umfasst, liegen die wichtigsten Regierungs- und Geschäftsgebäude der Insel. Zudem ist er das politische und wirtschaftliche Zentrum von Honolulu. Dort befinden sich viele Sehenswürdigkeiten, mehrere Museen, das Hawaii Theatre und das höchste Gebäude von Hawaii. Die wichtigsten Gebäude der Regierung sind das Hawaii State Capitol, der Washington Place und das Rathaus Honolulu Hale. In der historischen Altstadt befindet sich außerdem die Statue von König Kamehameha I. und der ʻIolani-Palast.
Waikīkī: Waikiki liegt direkt am Meer und wird im Norden vom Ala Wai Canal eingerahmt. Im Osten liegt der Diamond Head Krater. Vorwiegend sind in dem Bezirk Hotels, Restaurant und Bars angesiedelt.
Mānoa Makiki: Der Bezirk grenzt nördlich an Downtown Honolulu an und das Gelände ist bergiger. Der Hochpunkt der Landschaft ist der erloschene Punchbowl Krater. In Mānoa Makiki liegt die University of Hawaiʻi at Mānoa. In dieser Gegend ist Barack Obama aufgewachsen.
Eastern Honolulu: Diese Region weist viele Sandstrände und felsige Küstenabschnitte auf. Er besteht aus fünf Wohngebieten und reicht bis zum südöstlichen Zipfel von Oʻahu. Im Westen liegen Waikiki und der Diamond Head.
Western Honolulu: In diesem Bezirk befindet sich der Flughafen. Er besteht aus drei Wohngebieten. Hier liegt der berühmte Militärhafen Pearl Harbor.
Klima
Das Klima von Honolulu ist tropisch mit trockenen Sommern (April bis September) und etwas Regen im Winter (Oktober bis März). Von einer Regenzeit kann jedoch nicht gesprochen werden.
Die Anzahl der Sonnenscheinstunden ist das ganze Jahr über konstant hoch, ebenso die Temperatur. Die Höchsttemperatur liegt das Jahr über zwischen 26,7 und 31,5 Grad, die Tiefsttemperatur liegt zwischen 18,6 und 23,4 Grad. Die tiefste jemals gemessene Temperatur war 13,3 Grad.
Auch wenn Honolulu in den Tropen liegt, sind Wirbelstürme sehr selten.
Die Wassertemperatur an den Stränden von Honolulu ist ebenfalls das ganze Jahr über konstant warm und beträgt auch im Winter mindestens 24 Grad.
Demographie
Im Zensus von 2010 gaben die 371 657 Einwohner folgende Ethnizitätszugehörigkeit an: Asiatisch 55,9 %, „weiß“ 19,7 %, gemischtrassig 14,9 %, Hawaiianer und Pazifikinsulaner 6,8 %, Hispanic 4,4 %, „schwarz“ oder „Afroamerikaner“ 1,6 %. Der Anteil der Einwohner unter 21 Jahre lag bei 22,9 %, der ab 65 Jahre bei 17,8 %. In Familienhaushalten lebten 62,3 %, in Einpersonenhaushalten 29,7 % der Einwohner.
Verkehr
Luftfahrt
Honolulu hat am westlichen Stadtrand einen internationalen Flughafen, den Flughafen Honolulu.
Auto
Einige Freeways (Autobahnen) bedienen Honolulu:
Interstate H-1, welcher vom Westen am Joint Base Pearl Harbor-Hickam und Flughafen vorbeigeht, knapp nördlich von Downtown verläuft und Richtung Osten durch Makiki und Kaimukī geht. Er endet bei Waiʻalae/Kāhala.
Westlich vom Downtown ist er an dem Interstate H-2 und dem Interstate H-3 angeschlossen.
Interstate H-201, auch unter dem Namen „Moanalua Freeway“ bekannt und früher auch als Hawaii State Rte. 78 nummeriert, ist an zwei Stellen an den Interstate H-1 angeschlossen, beim Aloha Stadium und bei Fort Shafter.
Nahe dem Aloha Stadium und dem Anschluss an den Interstate H-1 hat der Freeway einen Anschluss an dem von Norden kommenden Interstate H-3, der dort endet. Diese beiden Anschlüsse liegen in Hālawa.
Interstate H-3 auch als John A. Burns Freeway bekannt, beginnt nahe dem Aloha Stadium, dort ist er an den Interstate H-1 und dem Interstate H-201 angeschlossen. Er verbindet Honolulu mit Kāneʻohe. Trotz seiner Nummer, die auf einen Ost-West-Verlauf deutet, betrachten die meisten Bewohner ihn als in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Freeway.
Andere wichtige Highways, die Honolulu mit anderen Teilen der Insel Oʻahu verbinden, sind:
Pali Highway, auch als „Hawaii Route 61“, verläuft nördlich über die Koʻolau-Berge durch die Pali-Tunnel nach Kailua und Kāneʻohe.
Likelike Highway, auch als „Hawaii Route 63“, verläuft auch über die Koʻolau-Berge, jedoch durch die Wilson Tunnel nach Kāneʻohe.
Kalanianaole Highway, auch als „Hawaii Route 72“, verläuft ostwärts ab Waialae/Kahala über Hawaiʻi Kai nach Waimanalo Beach an der Ostküste der Insel entlang
Kamehameha Highway, teils auch als „Hawaii Route 99“, verläuft westwärts vom Joint Base Pearl Harbor-Hickam nach ʻAiea und Wahiawa im Zentrum der Insel, anschließend darüber hinaus nach Haleʻiwa und entlang der Nord- und Ostküste bis nach Kāneʻohe.
Wie in vielen US-amerikanischen Städten gibt es viele Verkehrsstauungen insbesondere zur Rush Hour, insbesondere bei Fahrten in und aus den westlichen Vororten wie Kapolei, ʻEwa Beach, ʻAiea, Pearl City, Waipahu und Mililani. Land, um die Straßenkapazitäten aufzubessern, ist sehr gesucht auf Oʻahu.
Öffentlicher Personennahverkehr
Bus
Der frühere Bürgermeister der Stadt, Frank Fasi hat ein Bussystem unter dem Namen TheBus aufgebaut. Es wurde zweimal von der American Public Transportation Association als „America’s Best Transit System“ (Amerikas bestes Verkehrssystem) ausgezeichnet, einmal 1994–1995 und einmal 2000–2001.
Im Jahre 2004 begann der Aufbau eines Bus-Rapid-Transit-Systems, welches die Vorfahrt der Busse unterstreicht. Das System, vorgeschlagen vom früheren Bürgermeister Jeremy Harris, sollte den Stadtteil Iwilei an Waikīkī anbinden. Jedoch hat Mufi Hannemann, Bürgermeister von 2005 bis 2010, das Busway-System auseinandergenommen und dessen Fahrzeuge auf anderen Schnellbusrouten eingesetzt.
Hochbahn
Seit dem 30. Juni 2023 verfügt Honolulu über eine Hochbahn. Die Umsetzung dieses Projekts hat lange Zeit in Anspruch genommen: Der letzte Vorschlag eines Bürgermeisters für den Bau eines Schienenverkehrssystems war das „Honolulu Area Rail Rapid Transit project“.
Dieses Projekt, allgemein bekannt als „HART“, wurde beinahe verwirklicht, dann jedoch vom früheren Bürgermeister Eileen Anderson im Jahre 1981 vorerst eingestellt, da es das Versprechen von fiskaler Verantwortlichkeit breche.
Ab 2004 wurden die Pläne unter dem neuen Bürgermeister Mufi Hannemann wieder aktiviert. Um den Bau des Bahnsystems zu finanzieren, wurde die Hawaii General Excise Tax auf O'ahu von 4 % auf 4,5 % erhöht. Nach längeren Verhandlungen und Verzögerungen wurde am 22. Februar 2011 der Grundstein für die Bahnstrecke gelegt. In der ersten Ausbaustufe, deren Inbetriebnahme ursprünglich für 2018 geplant war, soll die Strecke von Kapolei bis zum Aloha Stadium führen. Danach soll die Strecke bis zum Ala Moana Center führen, womit auch der Flughafen eine Bahnverbindung zur Innenstadt von Honolulu bekäme. Die 32 Kilometer lange, auf Stelzen gebaute Strecke soll 21 Bahnhöfe erhalten und vollautomatisch betrieben werden. Spätere Erweiterungen nach Waikiki und zur Universität Manoa sind geplant, aber noch nicht beschlossen.
Im Mai 2016 teilte die Federal Transit Authority (FTA) mit, dass das Projekt deutlich teurer als geplant werde und forderte das Konsortium auf, bis zum 7. August 2016 einen Plan zur Kostenreduzierung vorzulegen. Bürgermeister Kirk Caldwell hat die FTA um eine Verlängerung der Frist bis Juni 2017 gebeten, die FTA entsprach dem bis Ende 2016.
Am 5. September 2017 unterzeichnete der Gouverneur von Hawaii ein Finanzierungsgesetz, das 2,4 Milliarden US-Dollar für das Hochbahnprojekt generieren soll. Es sieht vor, den bereits bestehenden 0,5 % Zuschlag auf die Mehrwertsteuer auf O'ahu für drei weitere Jahre bis Ende 2030 zu verlängern sowie die Hotelsteuer in Hawaii in den nächsten 13 Jahren um 1 % zu erhöhen.
Am 30. Juni 2023 wurde der erste Abschnitt offiziell eröffnet und inklusive Wagenpark an die kommunalen Institutionen übergeben.
Wirtschaft
Die Metropolregion von Honolulu erbrachte 2016 ein Bruttoinlandsprodukt von 64,7 Milliarden US-Dollar und belegte damit Platz 50 unter den Großräumen der USA. Die Arbeitslosenquote in der Metropolregion betrug nur 1,9 Prozent und gehört zu den niedrigsten des Landes. (Stand: Mai 2018). Das persönliche Pro-Kopf Einkommen liegt 2016 bei 54.229 US-Dollar, womit Honolulu ein überdurchschnittliches Einkommensniveau besitzt.
Honolulu ist ein wichtiger Luftverkehrs- und Schifffahrts-Knotenpunkt (Flughafen Honolulu) und wegen des tropischen Klimas vor allem für den Fremdenverkehr von Bedeutung. Hier befindet sich der berühmte Badestrand Waikīkī und in der Nähe liegt der US-Marinestützpunkt Pearl Harbor.
Die wichtigsten Wirtschaftssektoren der Stadt sind der Fremdenverkehr, hier arbeiten 15,7 % der Beschäftigten, der Einzelhandel (12,8 %), der Gesundheits- und Sozialdienst (10,9 %), der Bildungsbereich (10,8 %) und die öffentliche Verwaltung (Government) (7,8 %).
Lebenshaltungskosten
Hawaii weist die höchsten Lebenshaltungskosten aller US-Bundesstaaten auf und Honolulu verzeichnet von allen „Metro-Areas“ der USA das niedrigste Durchschnittseinkommen nach Abzug der Lebenshaltungskosten.
Universitäten und Colleges
In Honolulu gibt es vier Universitäten und zwei Colleges, die von der Western Association of Schools and Colleges akkreditiert sind:
Argosy University Hawaii
Chaminade University of Honolulu
Hawaii Pacific University
University of Hawaii at Manoa
Honolulu Community College
Kapiolani Community College
Sehenswürdigkeiten
ʻIolani-Palast
Der ʻIolani-Palast ist die ehemalige Residenz der Könige von Hawaii. Der heutige Bau wurde 1882 fertiggestellt. Er befindet sich in der historischen Altstadt.
Aliʻiolani Hale
Aliʻiolani Hale ist ein Verwaltungsgebäude in Honolulu. Es wurde 1874 fertiggestellt und vereinigte damals alle wichtigen Regierungsbehörden des damaligen Königreiches von Hawaii. Heute beherbergt der Bau den Obersten Gerichtshof des Bundesstaates Hawaii, ein Geschichtszentrum und eine juristische Bibliothek.
Bishop Museum
Das Bishop Museum ist das größte Museum auf Hawaii und zeigt mehr als 24 Millionen Einzelstücke über die polynesische Kultur und die Natur der Insel.
Hawaii State Art Museum
Hier werden Werke von einheimischen Künstlern ausgestellt sowie Sammlungen älterer Kunstwerke.
Aloha Tower
Er wurde 1926 im Hafen von Honolulu gebaut und war lange Zeit das höchste Gebäude der Insel.
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt
Anjani (* 1959), Sängerin
Barack Obama (* 1961), 44. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika
Mark Dacascos (* 1964), Sportler und Schauspieler
Tia Carrere (* 1967), Schauspielerin, Sängerin
Lauren Graham (* 1967), Schauspielerin
Nicole Kidman (* 1967), Schauspielerin
James Mercer (* 1970), Musiker
Jason Momoa (* 1979), Schauspieler
Weitere Persönlichkeiten
Bernhard Hermann Köckemann (1828–1892), Apostolischer Vikar der Hawaiischen Inseln (1882 bis 1892); starb in Honolulu
Lunalilo (1835–1874), König von Hawaii
Dado Marino (1915–1989), Boxer
Steve Case (* 1958), Gründer von America Online (AOL)
Israel Kamakawiwoʻole (1959–1997), Sänger
Bobby Wood (* 1992), Fußballspieler
Städtepartnerschaften
Honolulu listet folgende Partnerstädte auf:
Siehe auch
USS Honolulu, Schiffe der United States Navy, die nach der Stadt benannt sind.
Liste der Bürgermeister von Honolulu
Weblinks
Einzelnachweise
Hauptstadt in den Vereinigten Staaten
Ort mit Seehafen
County Seat in Hawaii
Ehemalige Hauptstadt (Australien und Ozeanien)
Ehemalige Hauptstadt (Vereinigte Staaten)
Hochschul- oder Universitätsstadt in den Vereinigten Staaten
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Q18094
| 403.087669 |
5891
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https://de.wikipedia.org/wiki/1600
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1600
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Südosteuropa
Nach der Eroberung Siebenbürgens im Vorjahr gelingt dem walachischen Fürsten Mihai Viteazul im Mai auch die Eroberung des Fürstentums Moldau. Er vertreibt den moldauischen Woiwoden Ieremia Movila, der freundschaftliche Beziehungen zu Polen und dem Osmanischen Reich gepflegt hat. Dieser flüchtet nach Polen. Die von kaiserlichen Subsidien abhängige Herrschaft Mihais bricht jedoch bereits im Herbst zusammen, als polnische Armeen unter dem Grosskronhetman Jan Zamoyski Moldau und Walachei erobern, die Verbände Mihais gemeinsam mit einem habsburgischen Heer unter Giorgio Basta am 18. September bei Mirislau (Miriszló) besiegen und aus dem Lande vertreiben.
Polnisch-Schwedischer Krieg
Der bis 1629 dauernde Polnisch-Schwedische Krieg beginnt. Anlass ist der Anspruch des polnischen Königs Sigismund III. Wasa auf das unter schwedischer Herrschaft stehende Estland. Nach dem Verlust der schwedischen Krone ist es König Sigismund gelungen, die führenden Adelskreise Polen-Litauens für einen Feldzug nach Estland zu gewinnen. Die Schweden kommen jedoch dem polnisch-litauischen Angriff zuvor und gehen selbst in die Offensive. Im Verlauf des Jahres 1600 dringen von Estland aus schwedische Truppen unter der Führung des Reichsverwesers Herzog Karls nach Livland ein und besetzen die Städte Dorpat und Pernau. Die Schweden dringen bis zur Düna vor und beginnen mit der Belagerung der Burg Kokenhusen östlich von Riga. Den direkten Angriff auf das stark befestigte Riga wagt Herzog Karl jedoch nicht. Angesichts der schwedischen Erfolge bewilligt der Sejm die Geldmittel für die Aufstellung einer Armee von etwa 20.000 Mann. Unter der Führung des Großhetmans von Litauen Krzysztof Radziwiłł rückt diese Streitmacht nach Livland vor.
Achtzigjähriger Krieg
In der Schlacht von Nieuwpoort im Achtzigjährigen Krieg besiegt am 2. Juli das Heer der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen unter Moritz von Oranien die Spanier unter Albrecht VII. von Österreich. Die Schlacht hat jedoch keine weiteren Auswirkungen. Die niederländischen Linien sind überdehnt und Moritz von Oranien muss sich mit seinen Truppen bald ebenfalls zurückziehen. Die Flamen, auf deren Unterstützung er gehofft hat, bleiben auf der Seite Spaniens. Darüber hinaus liegt der große Hafen Dünkirchen, das Hauptziel der Kampagne, außerhalb seiner Reichweite in spanischer Hand.
Weitere Ereignisse in Europa
20. September bis 9. Oktober: Die Schlacht am Moyry Pass zwischen englischen Truppen und irischen Rebellen während des Neunjährigen Krieges in den nördlichen Grafschaften Armagh und Louth in Irland endet mit einem Patt.
8. Oktober: San Marino nimmt seine geschriebene Verfassung an.
17. Dezember: In der Kathedrale von Lyon heiraten der französische König Heinrich IV. und Maria de’ Medici. Heinrichs kinderlose Ehe mit Margarete von Valois war im Jahr 1599 von Papst Clemens VIII. annulliert worden.
Japan
April: William Adams betritt als erster Engländer den Boden Japans.
21. Oktober: Die Schlacht von Sekigahara stellt den Übergang von der Sengoku-Zeit zur Edo-Zeit in der Geschichte Japans dar. Durch den Sieg in dieser Schlacht gelingt es dem Haus Tokugawa, seine Vormachtstellung in Japan zu festigen. Im Laufe der nächsten fünfzig Jahre gibt es zwar noch einige kleinere Aufstände, aber das Land wird letztendlich befriedet.
Südamerika
24. Januar: Der niederländische Seefahrer Sebald de Weert erreicht die Falklandinseln und benennt sie als „Sebald Eilands“.
Wirtschaft
31. Dezember: Mit einem Freibrief Königin Elisabeths I. an verschiedene Londoner Kaufleute entsteht die Gesellschaft Governors and Company of merchants of London trading to the East-Indies, die spätere Britische Ostindien-Kompanie. Ihr wird das Recht zugestanden, auf 15 Jahre sämtlichen Handel zwischen dem Kap der guten Hoffnung und der Magellan-Straße abzuwickeln. Sie erhält ein Siegel, kann ihren Gouverneur und die 24 Direktoren selbst wählen und darf sich selbst Korporationsgesetze (by-laws) geben.
Wissenschaft und Technik
4. Februar: Die Astronomen Tycho Brahe und Johannes Kepler treffen sich erstmals im Schloss Benatek nahe Prag.
18. August: Der niederländische Astronom und Kartograf Willem Janszoon Blaeu entdeckt den veränderlichen Stern P Cygni.
William Gilbert erkennt als erster die elektrischen Phänomene.
Veröffentlichung der Schrift über Embryonen, Uterus und Plazenta durch Hieronymus Fabricius
um 1600: William Gilbert entwickelt das Versorium.
Kultur
Literatur
William Shakespeares Komödie Viel Lärm um nichts erscheint im Druck.
Das Drama Heinrich V. von William Shakespeare erscheint in einem unvollständigen Raubdruck erstmals.
Musik und Theater
6. Oktober: L'Euridice favola drammatica, eine Favola in Musica von Jacopo Peri mit dem Libretto von Ottavio Rinuccini hat ihre Uraufführung im Palazzo Pitti in Florenz.
7. Oktober: Anlässlich der Hochzeit per procurationem König Heinrichs IV. von Frankreich mit Maria de’ Medici erfolgt die Uraufführung der Oper Il rapimento di Cefalo von Giulio Caccini im Palazzo Vecchio in Florenz.
Religion
8. Februar: Nach sieben Jahren Kerkerhaft in der Engelsburg wird der Priester und Philosoph Giordano Bruno von der vatikanischen Inquisition der Ketzerei und des Praktizierens von Magie schuldig befunden, aus dem Orden der Dominikaner und der Kirche ausgeschlossen und dem weltlichen Gericht überantwortet. Seine Bücher werden auf den Index der verbotenen Schriften gesetzt und öffentlich zerrissen und verbrannt. Er selbst wird trotz der Bitte der Inquisition, auf Strafen gegen Leib und Leben zu verzichten, am 17. Februar auf Befehl des römischen Gouverneurs auf dem Campo de’ Fiori öffentlich verbrannt.
8. August: In der Paulustorvorstadt von Graz werden nach der Ausweisung der Protestanten als Schlusspunkt 10.000 protestantische Bücher und Schriften verbrannt. Zwei Tage später legt der päpstliche Nuntius an dieser Stelle den Grundstein zur Antoniuskirche.
Nach Vorarbeiten unter den Päpsten Gregor XIII. und Sixtus V. lässt Papst Clemens VIII. die erste amtliche Ausgabe des Caeremoniale Episcoporum erscheinen.
Natur und Umwelt
Seegfrörne: Der Bodensee ist komplett zugefroren.
19. Februar: Der Vulkan Huaynaputina im Süden Perus explodiert. Dieser Vulkanausbruch, der bis März andauert, gilt als der katastrophalste in historischer Zeit in ganz Südamerika.
Historische Karten und Ansichten
Geboren
Geburtsdatum gesichert
1. Januar: Heinrich von Brockdorff, Soldat und Politiker († 1671)
17. Januar: Pedro Calderón de la Barca, spanischer Dramatiker († 1681)
23. Januar: Alexander Keirincx, flämischer Maler († 1652)
28. Januar: Giulio Rospigliosi, unter dem Namen Clemens IX. Papst († 1669)
1. Februar: Johan Evertsen, niederländischer Vizeadmiral († 1666)
2. Februar: Nicolaus Zapf, deutscher lutherischer Theologe († 1672)
5. Februar: Johan Picardt, deutsch-niederländischer Arzt, Pastor und Schriftsteller († 1670)
14. Februar: Otto Brüggemann, deutscher Kaufmann († 1640)
19. März: Tilemann Olearius, deutscher lutherischer Theologe und Philologe († 1671)
25. März: Johann Heinrich Waser, Bürgermeister von Zürich († 1669)
13. April: Johann Wilhelm, Herzog von Sachsen-Altenburg und Herzog von Jülich-Kleve-Berg († 1632)
16. April: Paulus Arnolt, deutscher Stück- und Glockengießer († nach 1642)
28. Mai: Christoph Gumpp der Jüngere, österreichischer Hofbaumeister und Hoftischler († 1672)
11. Juni: Johann Botsack, deutscher evangelischer Theologe († 1674)
24. Juni: Juan de Palafox y Mendoza, spanischer Bischof der katholischen Kirche und Vizekönig von Neuspanien († 1659)
7. Juli: Johann Born, deutscher Rechtswissenschaftler († 1660)
11. August: Matthaeus von Wesenbeck, brandenburgischer Staatsmann († 1659)
31. August: Franz Romanus deutscher Rechtswissenschaftler († 1668)
7. September: Johann Andreas von Rosenberg, bedeutender Vertreter des katholischen Adels in Kärnten († 1667)
15. September: Adolf von Schleswig-Holstein-Gottorf, deutscher Adeliger († 1631)
19. September: Johann Friedrich, Herzog von Sachsen-Weimar († 1628)
4. Oktober: Giovanni Paolo Oliva, 11. General der Societas Jesu († 1681)
18. Oktober: Gioacchino Assereto, italienischer Maler († 1650)
11. November: Maria Felicia Orsini, Herzogin von Montmorency († 1666)
18. November: Markus Otto, Gesandter von Straßburg bei den Verhandlungen zum Westfälischen Frieden († 1674)
19. November: Karl I. (Charles I.), König von England († 1649, geköpft)
19. November: Lieuwe van Aitzema, niederländischer Historiker, Diplomat, Bonvivant, Schürzenjäger und Spion († 1669)
20. Dezember: Nicolas Sanson, französischer Kartograph († 1667)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Juni: Jerónimo Jacinto Espinosa, spanischer Maler († 1667)
Dezember: Marie de Rohan-Montbazon, duchesse de Chevreuse, französische Adlige, Gegenspielerin von Kardinal Richelieu und Kardinal Mazarin († 1679)
Cornelis van Aerssen van Sommelsdijk, niederländischer Edelmann († 1662)
Charles d’Avaugour, französischer Diplomat († 1657)
Piotr Baryka, polnischer Schriftsteller († 1675)
Girolamo Fantini, italienischer Trompeter und Komponist († 1675)
Camillo Gonzaga, italienischer Militär († 1658)
Claude Lorrain, französischer Maler des Barock († 1682)
Bathsua Makin, englische Gelehrte und Frauenrechtlerin († um 1675)
Geboren um 1600
Jakob Allet († 1678), Schweizer Politiker und Offizier
Gestorben
Erstes Halbjahr
21. Januar: Georg Radziwill, Kardinal der römisch-katholischen Kirche und Bischof von Krakau (* 1556)
26. Januar: Lorenzo Priuli, Patriarch von Venedig (* 1538)
9. Februar: Johann Friedrich, Herzog von Pommern und weltlicher Bischof von Cammin (* 1542)
17. Februar: Giordano Bruno, italienischer Philosoph (öffentlich in Rom verbrannt) (* 1548)
20. Februar: Hermann von Hatzfeld, kurkölnischer Rat und Drost zu Balve (* 1527)
20. Februar: Markus Tegginger, deutscher Geistlicher, Hochschullehrer und Stifter (* 1540)
16. März: Johann Major, deutscher lutherischer Theologe, Humanist und Poet (* 1533)
19. März: Joachim von Ortenburg, niederbayerischer Reichsgraf (* 1530)
20. März: Gustaf Axelsson Banér, schwedischer Staatsmann (* 1547)
28. März: Salomon Alberti, deutscher Mediziner (* 1540)
17. April: Konrad Friederich, Bürgermeister von St. Gallen (* 1542)
23. April: Nikolaus II. Pálffy, kaiserlicher Feldherr und Schlosshauptmann von Pressburg (* 1552)
21. Mai: Jacob Horst, deutscher Mediziner (* 1537)
22. Mai: Jacob Heerbrand, deutscher lutherischer Theologe, Reformator und Kanzler der Eberhard Karls Universität Tübingen (* 1521)
25. Mai: Anna Walburga von Neuenahr, regierende Gräfin von Moers (* 1522)
18. Juni: Eduard Fortunat von Baden, Markgraf von Baden (* 1565)
20. Juni: Joachim von Brandenburg, Markgraf von Brandenburg (* 1583)
22. Juni: Samuel Fischer, deutscher Theologe (* 1547)
25. Juni: David Chyträus, deutscher evangelischer Theologe, Historiker, Schulorganisator und Rektor der Universität Rostock (* 1530)
Zweites Halbjahr
7. Juli: Thomas Lucy, englischer Friedensrichter (* 1532)
22. Juli: Laurentius Fabritius, Weihbischof in Köln (* um 1535)
29. Juli: Adolf von Schwarzenberg, kaiserlicher Feldherr in den Türkenkriegen (* 1551)
1. August: Dom Frei Amador Arrais de Mendoza, portugiesischer Geistlicher, Theologe, Bischof und Schriftsteller (* um 1530)
18. August: Dietrich von Broemse, Bürgermeister der Hansestadt Lübeck (* 1540)
31. August: Octavianus Secundus Fugger, deutscher Handelsherr (* 1549)
31. August: Karl von Utenhove, flämischer Gelehrter und Dichter (* 1536)
1. September: Tadeáš Hájek z Hájku, tschechischer Astronom und persönlicher Arzt des Rudolf II. (* 1525)
9. September: Georg Hoefnagel, flämischer Miniaturen- und Buchmaler (* 1542)
20. September: Melchior von Redern, kaiserlicher Heerführer in den Türkenkriegen (* 1555)
12. Oktober: Luis de Molina, jesuitischer Theologe (* 1535)
17. Oktober: Cornelis de Jode, niederländischer Kartograph (* 1568)
22. Oktober: Georg Friedrich I., Graf zu Hohenlohe-Waldenburg (* 1562)
3. November: Richard Hooker, englischer, anglikanischer Theologe (* 1554)
4. November: Calixtus Schein, Syndicus der Hansestadt Lübeck (* 1529)
5. November: Sigmund Fugger von Kirchberg und Weißenhorn, Bischof von Regensburg (* 1542)
6. November: Ishida Mitsunari, japanischer Samurai und Heerführer (* 1560)
12. November: Andreas von Österreich, Kardinal, Bischof von Konstanz und Brixen (* 1558)
13. Dezember: Albert Friedrich von Brandenburg, Markgraf von Brandenburg (* 1582)
16. Dezember: Karl I., Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld (* 1560)
Weblinks
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Q6720
| 278.570298 |
22097
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https://de.wikipedia.org/wiki/Simferopol
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Simferopol
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Simferopol (, , ) ist die Hauptstadt der Autonomen Republik Krim. Die Stadt hat 337.285 Einwohner und ist das Zentrum des gleichnamigen Rajons Simferopol, aber selbst kein Bestandteil desselben.
Seit dem international nicht anerkannten Anschluss der Halbinsel Krim an Russland im März 2014 ist Simferopol de facto Hauptstadt des Föderationssubjektes Republik Krim der Russischen Föderation. De jure nach Angaben der administrativ-territorialen Teilung der Ukraine bleibt Simferopol die Hauptstadt der Autonomen Republik Krim, die zu den von Russland besetzten Gebieten gehört.
Geographie
Die Stadt liegt am größten Fluss der Krim, dem Salhyr, an den Nordhängen des Krimgebirges, etwa 60 Kilometer nordöstlich von Sewastopol.
Stadtgliederung
Die Stadt gliedert sich in die drei Stadtrajone Eisenbahnrajon, Kiewer Rajon und Zentralrajon, die vier „Siedlungen städtischen Typs“ (SsT) Ahrarne (), Aeroflotskyj (), Hressiwskyj () und Komsomolske () sowie die Siedlung Bitumne ().
Geschichte
Auf dem Gebiet der heutigen Stadt Simferopol stand einst die im 2. Jahrhundert v. Chr. von König Skiluros gegründete skythische Hauptstadt Neapolis. Ihr skythischer Name ist nicht überliefert. Die unter dem griechischen Namen Neapolis Skythika bekannte Stadt bestand auch noch in den Zeiten des von Rom abhängigen Bosporanischen Reiches (Regnum Bospori). Im Laufe des 3. Jahrhunderts n. Chr. wurde sie von den Goten zerstört.
Anfang des 16. Jahrhunderts bestand eine Tataren-Siedlung namens Aqmescit (auch Ak-Metschet). Sie war zeitweise Residenz des Statthalters des von den Osmanen abhängigen Krim-Khanats. Nach der russischen Eroberung der Krim im Russisch-Türkischen Krieg von 1768 bis 1774 wurde die Stadt Simferopol durch eine Verordnung Katharinas der Großen im Februar 1784 gegründet und gehörte zum Gouvernement Taurien, das bis Oktober 1921 bestand. Nach der Oktoberrevolution war sie Teil der ASSR der Krim innerhalb der Russischen SFSR. 1914 wurde die Straßenbahn Simferopol in Betrieb genommen, diese wurde aber Ende 1970 wieder eingestellt.
Am 1. November 1941 wurde Simferopol von der 11. Armee der Wehrmacht unter ihrem Oberbefehlshaber General Erich von Manstein eingenommen, worauf im Dezember 1941 beim berüchtigten Simferopol-Massaker annähernd 14.000 Juden innerhalb von wenigen Tagen von SS-Leuten und Angehörigen der Feldgendarmerie Abteilung 683 ermordet wurden. Hitler plante, die Stadt in Gotenburg umzubenennen, als Hauptstadt einer als Gotengau annektierten Krim.
In der Stadt bestand das Kriegsgefangenenlager 299 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.
Durch Beschluss des Obersten Sowjets der UdSSR aus Anlass des 300. Jahrestags des Vertrags von Perejaslaw wurde Simferopol zusammen mit der Oblast Krim am 26. April 1954 an die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik angeschlossen. Von 1991 bis 2014 war Simferopol Teil der unabhängigen Ukraine.
Am 25. September 1992 wurde Simferopol Hauptstadt der „Republik Krim“, seit 1995 ist sie Hauptstadt der Autonomen Republik Krim.
Seit dem international nicht anerkannten Anschluss der Halbinsel Krim an Russland im März 2014 gehört Simferopol de facto zum Föderationssubjekt Südrussland der Russischen Föderation. De jure nach Angaben der administrativ-territorialen Teilung der Ukraine ist Simferopol Teil der Autonomen Republik Krim, die zu den durch Russland besetzten Gebieten gehört.
Demographische Entwicklung
Partnerstädte
Heidelberg (Deutschland) ist seit 1991 Simferopols Partnerstadt. In der ukrainischen Stadt gibt es seit dem Jahr 2000 das Heidelberg-Haus, das aus Spenden einer Heidelberger Stiftung erbaut wurde. Es liegt im Zentrum der Stadt und bietet rund ums Jahr ein kulturelles Programm. Es werden dort auch ehemalige, im Zweiten Weltkrieg ausgebeutete Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter betreut.
Insgesamt werden für Simferopol elf Partnerstädte aufgelistet:
Kultur
International bekannt ist das Puppentheater von Simferopol.
2008 wurde bekannt, dass sich im Kunstmuseum Simferopol 87 Gemälde des Suermondt-Ludwig-Museums aus Aachen befinden, die nach der Auslagerung im Zweiten Weltkrieg als Beutekunst hierher gekommen waren.
Als Hauptstadt der Krim ist Simferopol auch das Zentrum des von Krimtataren dominierten Islam in der Ukraine.
Wirtschaft
Neben den traditionellen handwerklichen und kleinindustriellen Strukturen etablieren sich seit der Jahrtausendwende auch moderne Industrien. Neben lokalen Technologieanbietern haben sich mehrere internationale Softwareunternehmen in Simferopol angesiedelt.
Wissenschaft
Anlässlich des 200-jährigen Bestehens wurde 1984 der am 30. August 1970 entdeckte Asteroid (2141) Simferopol nach der Stadt benannt.
Verkehr
Der Bahnhof von Simferopol ist Ausgangspunkt der längsten Oberleitungsbuslinie der Welt. Sie wird von der Gesellschaft Krymskyj trolejbus betrieben und verkehrt zwischen Simferopol, Aluschta und Jalta am Schwarzen Meer. In Simferopol selbst existiert außerdem noch ein städtisches Oberleitungsbusnetz, es wird ebenfalls von Krymskyj trolejbus betrieben und umfasst insgesamt fünfzehn Linien (1, 3 bis 13, 13A, 14 und 15). Die Straßenbahn in Simferopol bestand von 1914 bis 1970.
Mit der Eisenbahn von Simferopol aus erreichbar sind unter anderem Sewastopol und die Touristenattraktion Bachtschyssaraj (Strecke nach Sewastopol) sowie die Kurstadt Jewpatorija. Außerdem gab es bis 2013 täglich einen Kurswagen zwischen Simferopol und Berlin. Die Reisezeit betrug 41 bis 49 Stunden.
In Simferopol gibt es den Flughafen Simferopol (ICAO: UKFF, IATA: SIP) mit Verbindungen nach Russland.
Fußball
Das 19.978 Zuschauer fassende RSC Lokomotiv Stadion war bis 2014 die Spielstätte des ehemaligen Fußballvereins Tawrija Simferopol.
Söhne und Töchter der Stadt
Klimatabelle
Literatur
Digitalisiertes älteres Schrifttum
Simferópol, Lexikoneintrag in: Meyers Großes Konversations-Lexikon. 6. Auflage, Band 18, Leipzig/Wien 1909, S. 478 ( Zeno.org).
F. Remy: Die Krim in ethnographischer, landschaftlicher und hygienischer Beziehung. Verlag Emil Berndt, Odessa/Leipzig 1872, S. 182–187 (Google Books).
Neuere Beschreibungen
Думнов Д. Ф. Симферополь: Справочник. — Симферополь: Таврия, 1989. — 144 с. (rus.)
Байцар А. Л. Крим. Нариси історичної, природничої і суспільної географії: Навчальний посібник / А. Л. Байцар; Львівський національний університет ім. І. Франка. — Львів: Видавничий центр ЛНУ ім. Івана Франка, 2007. — 224 с.(ukr.)
Енциклопедія українознавства. У 10-х томах. / Головний редактор Володимир Кубійович. — Париж; Нью-Йорк: Молоде життя, 1954—1989.(ukr.)
Weblinks
Freundeskreis-Heidelberg-Simferopol
Flughafen (englisch)
Info Portal Simferopol City
Quellen
Ort in der Autonomen Republik Krim
Geographie (Krim)
Antike griechische Stadt
Archäologischer Fundplatz in der Ukraine
Archäologischer Fundplatz in Europa
Hochschul- oder Universitätsstadt in der Ukraine
Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden
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Q19566
| 158.293539 |
3784105
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https://de.wikipedia.org/wiki/Punjab
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Punjab
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Das Punjab, auch Pandschab oder Pundschab, war eine Provinz in Britisch-Indien von 1849 bis 1947. Im Jahr 1947 wurde das Gebiet zwischen den nun unabhängig gewordenen Staaten Pakistan (Provinz Punjab) und der Indischen Union (Bundesstaat Punjab) aufgeteilt. Der Name Punjab (Pandschabi: ) leitet sich von (aus und ) ab.
Geografie
Geografisch bezeichnet Punjab die keilförmig nach Südwesten zulaufende Stromebene der fünf linksseitigen Induszuflüsse Jhelam, Chanab, Ravi, Beas und Satluj. Die westliche Begrenzung des Punjab wird durch das Suleimangebirge an der Grenze zu Afghanistan gebildet. Nach Norden begrenzen die Salt Range und der Himalaya, nach Süden die Wüste Thar und nach Osten eine niedrige Wasserscheide zum Ganges-Tiefland den Punjab. Das Gebiet des Punjab wird hauptsächlich von äußerst fruchtbaren quartären Schwemmfächern gebildet, die 10 bis 15 m über den Talsohlen liegen. Es ist das größte geschlossene Bewässerungsgebiet der Erde, das mit einer Bewässerungsfläche von 102.000 km² fast das Vierfache der Bewässerungsfläche des Nils (26.000 km²) erreicht.
Traditionell wurden nur die Flächen in unmittelbarer Nähe der Flüsse im Frühsommer bewässert, indem das Hochwasser des Sommermonsuns auf die Felder geleitet wurde. Während der britischen Kolonialherrschaft wurde durch den Bau von Dämmen und Kanälen die Möglichkeit geschaffen, durch ganzjährige Bewässerung auch höher gelegene Flächen landwirtschaftlich zu nutzen und mehrere Ernten im Jahr zu erzielen.
Wassernutzung
Im Jahr 1960 regelten Indien und Pakistan im Indus-Wasservertrag die Wassernutzung im Punjab. Danach darf Indien die Oberläufe der Flüsse Ravi, Satluj und Beas auf sein Staatsgebiet ableiten, muss dafür aber sicherstellen, dass Pakistan Zugriff auf das Wasser der Flüsse Indus, Chanab und Jhelam hat. Um einerseits eine ganzjährige Bewässerung zu ermöglichen und andererseits Überschwemmungen während des Sommermonsuns zu verhindern, wurden weitere Staudämme und Kanäle angelegt.
Die Ausweitung des Bewässerungslandes hatte schwerwiegende ökologische Auswirkungen. Durch die ganzjährige Wasserzuführung stieg der Grundwasserspiegel stark an, ausgedehnte Flächen versumpften. Im südlichen Teil des Punjab führen die hohen Temperaturen und die dadurch starke Verdunstung bei geringen Niederschlägen (siehe Klimadiagramm Multan) zur Versalzung der Böden. Durch die Anlage von bis zu 100 m tiefen Brunnen und das Abpumpen des Grundwassers versucht man, dieses Problem zu lösen.
Geschichte
Die ältesten Besiedlungsspuren im Punjab reichen bis in die Zeit der Induskultur zurück, dieser Raum wurde vor allem von Harappa beeinflusst. Während der Vedischen Periode war das Punjab ein kulturelles Zentrum der Indoarier, angeblich soll das Ramayana von Valmiki nahe der heutigen Stadt Amritsar geschrieben worden sein.
Der westliche Rand des Punjab wurde vom Perserreich kontrolliert und von Alexander dem Großen im Jahr 326 v. Chr. erobert. Später gehörte das Gebiet zum Kuschana-Reich, bevor dieses von Gruppen der sogenannten iranischen Hunnen (Kidariten, Alchon, Nezak und Hephthaliten) abgelöst wurde.
Schon bald nach 700 setzten erste Vorstöße der Muslime ein, doch erst mit der Errichtung des Sultanats von Delhi (1206) konnten sie die Region fest unterwerfen. Das Jahr 1399 sah den Einfall der Heere Tamerlans, bei dem Delhi komplett zerstört und die ganze Region verwüstet wurde. Mit der Schlacht von Panipat 1526 kamen die – von Tamerlan abstammenden – Moguln an die Macht, die den Punjab zu einem politischen Zentrum ganz Indiens machten; Delhi und Lahore wurden zu Residenzen.
Einen Wendepunkt in der Geschichte des Punjab stellt das Auftreten von Guru Nanak (1469–1538), dem Begründer der Sikh-Religion, dar, die bis heute im Punjab signifikant vertreten ist und im „Goldenen Tempel“ (Harmandir Sahib) von Amritsar ihr wichtigstes Heiligtum hat. Alle Versuche der Moguln scheiterten, die neu gegründete Religion zu beseitigen, die das Kastensystem der Hindus ablehnt und an einen universellen Gott glaubt.
Nach dem Zusammenbruch der Mogulherrschaft wurde das Punjab 1756 von den Marathen erobert und befand sich somit zum ersten Mal seit Jahrhunderten nicht mehr unter islamischer Kontrolle. Die Marathen ihrerseits wurden im Jahr 1759 vom afghanischen Herrscher Ahmad Schah Durrani besiegt, dessen Invasion ganz Nordindien schwer verwüstete. In diesem Chaos konnte der Sikhherrscher Ranjit Singh die Macht im Punjab an sich bringen und ein Reich der Sikh etablieren, das bald nach seinem Tod 1839 in innere Wirren geriet. Nach dem Ersten Sikh-Krieg musste das Punjab Gebietsverluste hinnehmen, bis er am 29. März 1849 von den Briten annektiert wurde. Einzig der muslimische Staat Bahawalpur konnte seine Unabhängigkeit von Ranjit Singh wahren, indem er sich bereits im Jahr 1833 der britischen Schutzherrschaft unterstellte. Er bestand als Fürstenstaat bis zum Jahr 1947.
Auch in Britisch-Indien spielte das Punjab eine zentrale Rolle, vor allem seit im Jahr 1912 die Hauptstadt nach Delhi verlegt wurde. Die Briten hatten vor allem auch ein Interesse, die Sikhs zu fördern, von denen sie die loyalsten Truppenteile rekrutierten. Die Infrastruktur- und Bildungsmaßnahmen der Briten veränderten gerade den Punjab und brachten eine neue Bildungsschicht hervor, die ab den 1920er Jahren immer mehr zur Unabhängigkeitsbewegung tendierte.
Die tatsächliche Unabhängigkeit des Subkontinents im Jahr 1947 verlief allerdings dramatisch. das Punjab wurde zwischen den beiden Nachfolgestaaten geteilt – die Teilungslinie verlief halbwegs zwischen den beiden wichtigsten Städten Lahore und Amritsar. Im Zuge dieser Teilung gerieten die Flüchtlingsströme von Hindus und Sikhs aus dem Westpunjab und von Muslimen aus dem Ostpunjab außer Kontrolle. Es kam zu bürgerkriegsartigen Szenen, die sich über mehrere Wochen hinzogen. Seither ist das Punjab in eine pakistanische Provinz und einen indischen Bundesstaat geteilt. In Pakistan hat das Punjab insofern ein Übergewicht, als er die bei weitem bevölkerungsreichste Provinz darstellt. Der indische Punjab wiederum ist ein industrielles Zentrum und einer der reichsten Bundesstaaten.
Die Überschwemmungskatastrophe in Pakistan 2010 war für dieses Gebiet die schlimmste Überschwemmung seit 1929. Häuser wurden weggespült, Brücken und Straßen stark beschädigt, Vieh ertrank und die Ernten wurden weitgehend zerstört.
Siehe auch
Doab
Weblinks
Panjab Digital Library (englisch)
Region in Asien
Historisches Territorium (Indien)
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Q169132
| 286.148129 |
87544
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https://de.wikipedia.org/wiki/Landgewinnung
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Landgewinnung
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Landgewinnung oder Neulandgewinnung umfasst verschiedene Maßnahmen zur Erschließung von Neuland, heute vor allem aus Meer und Gewässern. In der Deutschen Bucht steht der Begriff traditionell in erster Linie für die künstliche Beschleunigung des Verlandungsvorgangs an geeigneten Stellen von Küsten im Wattenmeer. Das Wort wird aber auch für das Aufschütten großer Flächen im Küstenbereich, z. B. mittels Saugbaggern, die Trockenlegung von Gebieten durch Eindeichung (und anschließendes, ggf. dauerhaftes, Abpumpen) sowie allgemein für die Urbarmachung von bisher landwirtschaftlich nicht genutzten Flächen verwendet.
Landgewinnung durch Ablagerung
Im Nordseeraum wird zur Landgewinnung häufig ein System aus Buhnen und Lahnungen angelegt, um das Wasser zu beruhigen und ein Abfließen der im Wasser mitgetragenen Schwebteilchen bei Ebbe zu verzögern. Im ruhigen Wasser setzen sich diese als Sedimente oder Schlick auf dem Meeresboden ab.
Die Flut transportiert Sand, Schluff, Ton, organisches Material und anderes als Schwebstoffe an. Während der Ruhephase des Wassers während des Gezeitenwechsels setzt sich dieses Material als Schlick zwischen den Buhnen und Zäunen sowie in den damit umgrenzten Becken ab, der Meeresboden erhöht sich allmählich. Pionierpflanzen wie zum Beispiel der salztolerante Queller oder der Strandhafer können sich ansiedeln und Sedimente binden.
Erreicht der Meeresboden die Fluthöhe, werden Gräben ausgehoben und der ausgehobene Schlick zur weiteren Erhöhung auf dem Land verteilt. In den Gräben können sich jetzt wieder neue Sedimente ablagern. Das auf diese Weise gewonnene Land liegt meist vor dem schützenden Deich und wird daher als Vorland bezeichnet. Als solches dient es auch dem Schutz des Deiches, indem es auf den Deich zulaufende Flutwellen bremst.
Ist das Vorland groß genug und soll es dauerhaft genutzt werden, wird es mit Deichen vor Sturmfluten geschützt. Das eingedeichte Land nennt man je nach Region Koog (Schleswig-Holstein), Groden (Oldenburg) oder Polder (Niederlande, Ostfriesland). Erst die Eindeichung ermöglicht langfristig eine vollständige Entsalzung des Bodens. Dies geschieht durch Niederschläge, welche das im Boden vorhandene Salz ausspülen. In der Regel wird dieses Niederschlagswasser in Wettern gesammelt und durch Siele abgeleitet, die zugleich ein erneutes Eindringen von Salzwasser verhindern. Üblicherweise galt das Vorland als reif für die Eindeichung, wenn dort der Weißklee blüht, da diese Art einen ähnlichen Salzgehalt toleriert wie landwirtschaftliche Nutzpflanzen.
Indem man Eindeichungen zunehmend durch Maßnahmen zur Ablagerung vorbereitet hat, sind in einigen Marschländern Poldertreppen entstanden. Dort liegen die später eingedeichten Flächen höher als die früher eingedeichten.
In Deutschland wurden bisher rund 180 Köge bzw. Polder gewonnen. Bei einigen Eindeichungsprojekten wie dem Hauke-Haien-Koog wurde das Koogland nicht für die Landwirtschaft, sondern als Vogelschutzgebiet genutzt.
Landgewinnung durch Abdämmung
In den Niederlanden hat man – in Verbindung mit dem Küstenschutz – nach der Eindämmung des IJsselmeeres eine andere Form der Landgewinnung betrieben, indem man in den vom Meer abgedämmten Bereich zunächst die Deiche baute und dann die so neu umgrenzten Polder zunächst mit Windpumpen, später auch mit dampf- oder motorbetriebenen Pumpen leer pumpte. Die klassische, zeit- und kostenintensive Neulandgewinnung durch Sedimentablagerung wurde hier nicht angewandt, der Boden liegt also auch heute noch durchgängig unter dem Meeresspiegel (= Depression). Der Nachteil dieser Vorgehensweise ist, dass die Niederschläge dauerhaft abgepumpt werden müssen. Teilweise wurde das Verfahren auch andernorts angewandt (u. a. beim Bau des Speicherkooges in der Meldorfer Bucht), wenn die Landgewinnung durch Ablagerung noch nicht so weit fortgeschritten wie erwünscht war.
Landgewinnung durch Aufschüttung
In Einzelfällen wird Land aber auch durch massive Aufschüttung von Sand oder Steinen gewonnen, z. B. zur Küstensicherung oder um Baugrund zu gewinnen. In Singapur wurden 135, in Tokio sogar 249 Quadratkilometer Land aufgeschüttet und gesichert, in Japan als Umetate chi bezeichnet. So wurden auch in Deutschland für den Bau des JadeWeserPorts in der Nähe von Wilhelmshaven 360 Hektar Land aufgespült. Auch auf den Malediven wird ein ähnlicher Ansatz verfolgt, auch um gegen den Anstieg der Meere zu bestehen. So wurde die Flughafeninsel Hulhulé und die benachbarte Insel Hulhumalé durch Landgewinnung vergrößert. In Monaco entsteht durch Landgewinnung bis 2025 ein neuer Stadtteil namens Le Portier. Solche Großvorhaben des Erdbaus sind erst seit einigen Jahren technisch möglich.
Gesellschaftliche Diskussion
Der Nutzen der Landgewinnung ist umstritten. Einerseits soll sie dem Küstenschutz dienen, indem besiedelten Gebieten Köge vorgelagert werden, andererseits werden durch Landgewinnung wertvolle Ökosysteme wie das Watt und Salzwiesen zerstört.
In Deutschland wurde zuletzt 1923/24 der Neufelderkoog aus rein kommerziellen Gründen angelegt (finanziert aus privater Hand). Neuere Köge wie der Hauke-Haien-Koog von 1958 bis 1960 umfassen bewusst große Vogelschutzgebiete. Die letzte große Eindeichung Deutschlands war der Bau des Beltringharder Kooges (Deichschluss 1987) mit einer Fläche von 3350 ha, der heute das größte Naturschutzgebiet des schleswig-holsteinischen Festlandes darstellt.
Bedeutungsvariante: Urbarmachung bisher ungenutzter Flächen
Als Neulandgewinnung bezeichnet man ebenfalls die Gewinnung von Ackerland, also die Urbarmachung von zuvor landwirtschaftlich ungenutzter Wildnis. Bekannt sind in neuerer Zeit die Neuland-Kampagnen () in der ehemaligen Sowjetunion in Schwarzerdgebieten von Südsibirien, Kasachstan, Usbekistan und Turkmenistan in den 1920er, 1930er und auch 1950er Jahren. Diese großflächige Neulandgewinnung ging meist mit der Anlage von Schutzwaldstreifen gegen Winderosion und zum Teil mit der Schaffung von großen Bewässerungssystemen einher. Es ergaben sich allerdings massive ökologische Probleme wie zum Beispiel am Aralsee.
Auch die Gewinnung von Land in der Ukraine, in Südrussland, im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten, in Argentinien, Teilen Afrikas oder Australien vom 18. bis ins 20. Jahrhundert folgte ähnlichen Prinzipien.
Weblinks
Einzelnachweise
Geomorphologie
Sedimentation
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Q1130322
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9579
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bahamas
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Bahamas
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Die Bahamas, , amtlich Commonwealth der Bahamas, , sind ein Inselstaat im Atlantik und Teil der Westindischen Inseln. Sie liegen südöstlich der Vereinigten Staaten sowie nordöstlich von Kuba und werden geographisch zu Mittelamerika gezählt. Von den mehr als 700 Inseln sind nur 30 bewohnt.
Die Inselgruppe erhielt ihren Namen durch die spanischen Konquistadoren. Sie nannten die Gewässer um die Inseln Baja Mar ( für ‚flaches Meer‘), woraus später Bahamas wurde. Seit 1973 sind die Bahamas vom Vereinigten Königreich unabhängig. Sie sind als parlamentarische Monarchie mit Charles III. als König der Bahamas organisiert und Mitglied des Commonwealth of Nations. Das politische System basiert auf dem britischen Westminstersystem. Englisch ist Amtssprache, und auf den Inseln herrscht Linksverkehr.
Geographie
Die Bahamas erstrecken sich von der Südostküste der USA entlang der Nordostküste Kubas bis zur Nordwestküste der Turks- und Caicosinseln mit einer Nord-Süd-Ausdehnung von etwa 650 km und einer West-Ost-Breite von bis zu 750 km.
Die Bahamas setzen sich aus den Inseln und mehr als 2400 Korallenriffen, den sogenannten Cays, zusammen. In vielen Fällen trennt nur ein wenige Zentimeter tiefer Meeresarm zwei Inseln beziehungsweise Cays voneinander. Daher schwanken die Zahlen abhängig davon, ob in diesem Fall zwei Inseln oder eine Insel mit einer leicht unter Wasser gesetzten Landbrücke gezählt werden.
Die Inseln werden unterteilt in die beiden am stärksten bewohnten Inseln New Providence sowie Grand Bahama und in die sogenannten Out Islands beziehungsweise Family Islands. Die flächengrößte Insel ist Andros mit 5957 km². Der höchste Punkt der Bahamas ist der Mount Alvernia mit 63 m auf Cat Island.
Wichtigste Inseln
Wichtigste Städte
Die beiden mit Abstand wichtigsten Städte der Bahamas sind die Hauptstadt Nassau und Freeport. In beiden zusammen leben mehr als drei Viertel der Bevölkerung der Bahamas. Nassau ist mit seinen mehr als 200.000 Einwohnern die mit Abstand größte Stadt des Inselstaates.
Klima
Die Bahamas weisen ein für einige Regionen der Subtropen typisches Ostseitenklima auf, da sie durch die Luftsysteme des Nordamerikanischen Kontinents abgekühlt werden. Im Sommer liegt die Durchschnittstemperatur bei ca. 28 °C, im Winter lässt der warme Golfstrom (Wassertemperaturen zwischen 24 und 29 °C) die Temperatur selten unter 20 °C sinken. Im Jahresmittel liegt die Temperatur bei 26 °C.
Distrikte
Seit 1999 sind die Bahamas durch den Local Government Act von 1996 in 31 Kommunalverwaltungsdistrikte und New Providence, das von der nationalen Regierung verwaltet wird, aufgeteilt.
Bevölkerung
Die Bevölkerungszahl der Bahamas lag im Jahr 2020 bei 393.000 Menschen. Die Bevölkerung ist relativ jung, so sind rund 26 % unter 15 Jahren alt und nur 6 % der Bahamaer 65 Jahre oder älter. Im Jahr 2010 lag das natürliche Bevölkerungswachstum bei 0,77 %. Prognosen gehen davon aus, dass sich dieser Wert in etwa 30 Jahren auf 0 % abgesenkt haben wird. Die Lebenserwartung der Einwohner der Bahamas ab der Geburt lag 2020 bei 74,1 Jahren (Frauen: 76,2, Männer: 71,8).
Menschen afrikanischer Herkunft bilden mit 85 % den größten Anteil der Inselbevölkerung. Die restlichen 15 % teilen sich in 12 % europäischer Herkunft sowie 3 % asiatischer und lateinamerikanischer Herkunft auf.
Neben der Amtssprache Englisch wird noch haitianisches Kreol gesprochen, allerdings hauptsächlich von den zahlreichen Einwanderern aus Haiti. Nach dem Erdbeben in Haiti 2010 stieg die Immigration aus Haiti sprunghaft an. Im Jahre 2017 waren 15,6 % der Bevölkerung Migranten.
Religion
Die Bahamas sind christlich geprägt: Die wichtigsten Glaubensrichtungen sind laut Zahlen von 2010 die Protestanten mit 69,9 % (Baptisten 34,9 %, Anglikaner 13,7 %, Pfingstbewegung (Pentecostalism) 8,9 %, Siebenten-Tags-Adventisten 4,4 %, Gemeinde Gottes (Church of God) 1,9 %, Methodisten 3,6 %) und die römisch-katholische Kirche mit 12,0 % sowie andere Christen mit 13,0 % Anteil an der Bevölkerung.
Bildung und Wissenschaft
Die durchschnittliche Schulbesuchsdauer der über 25-Jährigen lag 2019 bei 11,4 Jahren. Die nachwachsende Generation erreicht voraussichtlich 12,9 Jahre.
Die einzige Hochschule, die ihren Sitz ausschließlich auf den Bahamas hat, ist die University of The Bahamas, die 2016 aus dem 1974 gegründeten College of The Bahamas hervorging. Es sind über 5000 Studierende an ihr eingeschrieben.
Auch die University of the West Indies hat einen Open Campus auf den Bahamas.
Geschichte
Die frühesten Spuren einer Besiedlung gehen in das 4. Jahrhundert zurück. Dauerhaft besiedelt wurden einige der Inseln aber erst im 9. und 10. Jahrhundert durch die Lucayan, ein zum Volk der Arawak zählender Stamm.
Nachdem Christoph Kolumbus am 12. Oktober 1492 die Bahamainseln entdeckt hatte, wurden die etwa 40.000 Inselbewohner bis 1520 nach Hispaniola verschleppt und versklavt, wo sie in den Minen durch Krankheit und Auszehrung umkamen.
Mitte des 17. Jahrhunderts errichteten englische Siedler die ersten Kolonien, nachdem König Karl I. von England die Inseln 1629 beansprucht hatte. Freibeuter, wie der berühmte Blackbeard, nutzten die Inseln Ende des 17. und Anfang des 18. Jahrhunderts als Unterschlupf, da sie für die Kolonialmächte, auf Grund ihres Rohstoffmangels und der für Landwirtschaft ungeeigneten Böden, nur eine geringe Bedeutung hatten.
Im Jahr 1717 wurden die Bahamas zur britischen Kronkolonie und Woodes Rogers zum ersten Krongouverneur der Inseln ernannt. Er löste das Piratenproblem, das sich auf der Inselgruppe entwickelt hatte, und gab den Bahamas 1729 ein eigenes Parlament, das House of Assembly. Im Zuge des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs flohen eine große Zahl britischer Loyalisten auf die Bahamas, speziell nach Abaco. Während des Amerikanischen Unabhängigkeitskriegs (1775–1783), des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) und der Prohibition in den USA (1919–1932) waren die Inseln auf Grund ihrer günstigen Nähe zu den USA Ausgangspunkt von ausgeprägtem Handel mit Schmuggelware. Während des Zweiten Weltkriegs war der Gouverneur der Bahamas der Duke of Windsor. Großbritannien gewährte 1964 den Bahamas die innere Selbstverwaltung, was schließlich dazu führte, dass sie 1973 in die Unabhängigkeit entlassen wurden.
1959 wurde unter britischer Verwaltung das Wahlrecht für Männer eingeführt. Wer bestimmte Anforderungen in Bezug auf Vermögen erfüllte, erhielt eine zweite Stimme. Frauen erhielten im Februar 1961 das aktive Wahlrecht, und 1964 waren alle Einschränkungen in Bezug auf Eigentum abgeschafft. Bei der Unabhängigkeit 1973 wurde das Wahlrecht bestätigt.
Seit Mitte des 20. Jahrhunderts gilt der zum Commonwealth of Nations zählende Inselstaat als Touristenziel und Steueroase. Auf den Bahamas leben heute etwa 300.000 Menschen, davon mehr als 70 % in der Hauptstadt Nassau.
Am 13. November 1965 ging 60 Meilen vor Nassau der amerikanische Passagierdampfer Yarmouth Castle in Flammen auf, brannte aus und sank, wobei 90 Passagiere und Besatzungsmitglieder ums Leben kamen. Das Unglück führte zu neuen Regelungen für die Sicherheit auf See im Rahmen der International Convention for the Safety of Life at Sea.
Im Sommer, während der Hurrikansaison 2019, traf Dorian als Kategorie-5-Hurrikan auf die Inseln Abaco und Grand Bahama im Norden der Bahamas.
Politik
Politisches System
Die Bahamas sind seit 1973 ein souveräner Staat. Das Staatsoberhaupt ist der König des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, Charles III. Er wird auf den Bahamas durch den vom Staatsoberhaupt ernannten Generalgouverneur vertreten. Dies ist seit dem 28. Juni 2019 Cornelius A. Smith, von Königin Elisabeth II. persönlich ernannt.
Regierungschef ist der Premierminister, der von der Regierungspartei gestellt wird. Seit 17. September 2021 ist das Philip Davis. Er ist Nachfolger von Hubert Minnis vom Free National Movement, der seinerseits 2017 Perry Christie von der Progressive Liberal Party gefolgt war. Die Bahamas wenden das Westminster-System an. Die Regierungspartei wird alle fünf Jahre durch die Parlamentswahlen bestimmt. Das Parlament besteht nach dem britischen Vorbild aus zwei Kammern, dem Senat mit 16 Mitgliedern und dem House of Assembly mit 39 Mitgliedern. Die 16 Mitglieder des Senats werden vom Generalgouverneur ernannt, neun in Absprache mit dem Premierminister, vier in Absprache mit dem Führer der Opposition und drei durch den Generalgouverneur selbst. Die Mitglieder des House of Assembly werden alle fünf Jahre nach dem Mehrheitswahlrecht vom Volk selbst gewählt.
Die Bahamas sind Mitglied in der Alliance of Small Island States (AOSIS).
Politische Indizes
Militär
Die 1980 gegründeten Streitkräfte der Bahamas werden als (RBDF) bezeichnet. Die Bahamas verfügen über keine Land- oder Luftstreitkräfte, die vorhandenen Einheiten sind der Marine zugeordnet und haben Polizeicharakter.
Wirtschaft
Da das Land über keine nennenswerten Rohstoffe verfügt, ist die Wirtschaft stark auf den Tourismus und das Bankengewerbe angewiesen.
Die Landwirtschaft auf den Bahamas ist unterentwickelt, da es keine geeigneten Bewässerungsmöglichkeiten gibt. Der Transport zwischen den zahlreichen und weit auseinanderliegenden Inseln ist schwierig und es sind auch keine geeigneten Böden vorhanden. Hauptsächlich wird für den Eigenbedarf produziert, der aber nicht abgedeckt wird. In wenigen moderneren Farmen werden vor allem Gurken, Tomaten, Zwiebeln, Zitrusfrüchte und Ananas für den Export angebaut.
Kiefern, Hart- und Farbhölzer auf Andros, Great Abaco und Grand Bahama kommen als Bauholz in den Handel oder werden für den Schiffbau und die US-amerikanische Papierindustrie geschlagen.
Für die Fischerei bestehen durchweg günstige Bedingungen; sie erfolgt für den Eigenbedarf.
Die Industrie besteht hauptsächlich aus Kleinbetrieben, aber auch Schiffbau, Gewinnung von Meersalz sowie die Erzeugung von Konsumgütern wird ausgeweitet. 1954 wurde auf Grand Bahama eine zoll- und steuerfreie Zone eingerichtet, die zur Ansiedlung ausländischer Unternehmen führen sollte. Seit 1968 ist die Bahama Monetary Authority für die Ausgabe von Banknoten verantwortlich. Durch die günstige Steuergesetzgebung erreichten die Bahamas den Status eines internationalen Finanzzentrums mit Sitz vieler Banken, Investment- und Treuhandgesellschaften.
Am 28. Januar 2016 legte die EU-Kommission ein Maßnahmenpaket zur Bekämpfung von Steuerflucht vor, bei dem unter anderem die Bahamas auf der schwarzen Liste der Steueroasen auftauchen.
Die Bahamas sind im Vergleich zur restlichen Karibik-Region relativ wohlhabend. Das BIP pro Kopf lag 2016 mit ca. 24.000 US-Dollar ungefähr auf dem Niveau von Malta.
Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegt das Land 2017 Platz 90 von 180 Ländern.
Kennzahlen
Alle BIP-Werte sind in US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben.
Verkehr
Der wichtigste Flughafen ist der bei Nassau gelegene Flughafen Nassau Lynden Pindling. Staatsfluggesellschaft ist die Bahamasair mit weniger als zehn Flugzeugen. Die Infrastruktur für den Luft- und Seeverkehr ist gut ausgebaut, allerdings gibt es wegen der topographischen Bedingungen keine Eisenbahn. Brauchbare Landverkehrswege befinden sich auf New Providence, Grand Bahama und einigen anderen Inseln. Auf den Bahamas gilt Linksverkehr.
Tourismus
Haupterwerbszweig der Bahamas ist der Tourismus, der mit Stand von 2019 einen Anteil von etwa 50 % zum BIP beitrug. Wichtig sind insbesondere Kreuzfahrten US-amerikanischer Passagiere ab Miami.
Auf den Tourismus hat sich auch der Dreh mehrerer James-Bond-Filme auf den Bahamas günstig ausgewirkt. Die Bahamas beziehungsweise Nassau dienten unter anderem für Casino Royale, Feuerball und dessen 1983 erschienene Neuverfilmung Sag niemals nie als Drehorte.
Banken
Lockere Gesetze haben dazu geführt, dass es auf den Bahamas bis zu 400 Finanzunternehmen gab. Ein Großteil dieser Banken, so wird vermutet, beschäftigt sich hauptsächlich mit Geldwäsche. 2001 wurden auf Druck der USA die Gesetze verschärft, seitdem wurden fast 15 % der Geldinstitute geschlossen.
Die größte Bank der Bahamas ist die 1960 gegründete Commonwealth Bank.
Umweltschutz
Auf den Bahamas existieren insgesamt 22 Nationalparks, die vom Bahamas National Trust verwaltet werden. Damit sind über 260.000 Hektar Land- und Meeresfläche geschützt. Der Central-Andros-Nationalpark ist mit 117.000 Hektar der flächenmäßig größte Nationalpark. Er umfasst ebenso Mangroven- und Feuchtgebiete wie auch Teile des Andros Barrier Reef, das drittgrößte Riff der Welt. Das nördlichste Schutzgebiet der Bahamas ist der Walker’s Cay Marine Park mit seinen Korallen und einer äußerst vielseitigen Meeresfauna. Der südlichste Nationalpark ist die Insel Little Inagua. Die Insel ist unbewohnt und allein der Natur und ihren Besuchern vorbehalten. Am Strand von Little Inagua legen die gefährdeten Meeresschildkröten ihre Eier. Über 60.000 westindische Flamingos leben auf der Insel Great Inagua.
Auf Bimini hingegen planen amerikanische Investoren eine riesige Touristenanlage mit über 1000 Appartements, 450 Villen, einem Luxushotel, Restaurants, Casino, Wellness Center und einem Golfplatz sowie einem Yachthafen mit rund 400 Anlegeplätzen. Auf Druck der Bevölkerung konnten diese für die Natur verheerenden Pläne gestutzt werden. Ganz verhindern konnte man das Projekt bisher aber nicht. Mit der Unterstützung von Reiseveranstaltern und Tauchgästen aus aller Welt wehren sich die Bewohner von Bimini gegen das Mega-Projekt auf ihrer winzigen Insel, das zur Vernichtung ihrer Naturressourcen führen würde.
Staatshaushalt
Der Staatshaushalt umfasste im Fiskaljahr 2016 Ausgaben von umgerechnet 2,3 Mrd. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 1,9 Mrd. US-Dollar gegenüber. Dies entspricht einem Haushaltsdefizit von 4,4 % des BIP.
Im Jahr 2016 betrug die Staatsverschuldung 64,4 % des BIP.
Kultur und Medien
Medien
Es gibt drei Tageszeitungen, The Nassau Guardian, The Tribune und The Freeport News. Die einzige Fernsehstation ist ZNS TV.
Im Februar 2023 wurde das Elon-Musk-Star-Link-Programm (als „Starlink Services Bahamas Ltd.“) für die Bahamas lizenziert.
Sport
Cricket ist der beliebteste Sport auf den Bahamas und gilt als Nationalsport. Im Gegensatz zu den meisten anderen ehemaligen britischen Überseegebieten der Westindischen Inseln stellen die Bahamas keine Spieler für das West Indies Cricket Team und verfügen stattdessen über ihre eigene Nationalmannschaft.
Special Olympics Bahamas wurde in den späten 1970er Jahren gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Papenburg betreut.
Feiertage
Literatur
Wolfgang Gieler: Bahamas. In: Wolfgang Gieler, Markus Porsche-Ludwig (Hrsg.): Staatenlexikon Amerika: Geographie, Geschichte, Kultur, Politik und Wirtschaft. Peter Lang, Berlin 2018, ISBN 978-3-631-77017-7, S. 43–48.
Michael Craton: A History of the Bahamas. Collins, London, 2. Aufl. 1968.
Weblinks
Regierung der Bahamas (englisch)
Angaben zu den Bahamas auf der Website des deutschen Außenministeriums
(JPG; 12,4 MiB)
Einzelnachweise
Inselgruppe (Nordamerika)
Inselgruppe (Atlantischer Ozean)
Commonwealth Realm
Staat in Mittelamerika
Inselgruppe der Westindischen Inseln
Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Inselstaat
Ehemaliges Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung
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Q778
| 1,851.953867 |
2874266
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https://de.wikipedia.org/wiki/Boxeraufstand
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Boxeraufstand
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Der Boxeraufstand, auch Boxerkrieg () genannt, war ein bewaffneter Konflikt zwischen den chinesisch-nationalistischen Yihetuan
() bzw. Yihequan () und westlichen Großmächten. Das gewaltsame Vorgehen der Yihetuan, die aufgrund ihrer traditionellen Kampfkunstausbildung im Westen als „Boxer“ bezeichnet wurden, gegen christliche Missionare und andere Vertreter westlicher Staaten, entwickelte sich zu einem Krieg zwischen dem Kaiserreich China und den europäischen Großmächten, den USA und Japan.
Nach dem Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg von 1895 fürchteten die Dorfbewohner in Nordchina die Ausdehnung ausländischer Einflusssphären und ärgerten sich über die Ausweitung der Privilegien für christliche Missionare, die diese zur Expansion nutzten. 1898 wurde Nordchina von mehreren Naturkatastrophen heimgesucht, darunter die Überschwemmung des Gelben Flusses und Dürreperioden. Die Boxer machten ausländische und christliche Einflüsse für diese Katastrophen verantwortlich. Ab 1899 verbreiteten die Boxer in Shandong und in der nordchinesischen Tiefebene Gewalt, zerstörten ausländisches Eigentum, griffen christliche Missionare und chinesische Christen an oder ermordeten sie. Die Ereignisse spitzten sich im Juni 1900 zu, als Boxer-Kämpfer, die überzeugt waren, gegen ausländische Waffen unverwundbar zu sein, unter der Parole „Unterstützt die Qing-Regierung und vernichtet die Ausländer“ auf Peking zustürmten. Diplomaten, Missionare, Soldaten und einige chinesische Christen flüchteten in das diplomatische Gesandtschaftsviertel und wurden 55 Tage lang von der Kaiserlichen Armee Chinas und den Boxern belagert.
Eine Acht-Nationen-Allianz aus amerikanischen, österreichisch-ungarischen, britischen, französischen, deutschen, italienischen, japanischen und russischen Truppen rückte in China ein, um die Belagerung aufzuheben und die gestrandeten Zivilisten zu retten. Die Kaiserinwitwe Cixi, die zunächst gezögert hatte, unterstützte nun die Boxer und erließ am 21. Juni ein kaiserliches Dekret, mit dem sie den Invasionsmächten den Krieg erklärte. Die chinesische Beamtenschaft war gespalten zwischen denjenigen, die die Boxer unterstützten, und denjenigen, die für eine Versöhnung eintraten, angeführt von Prinz Qing. Der Oberbefehlshaber der chinesischen Streitkräfte, Mandschu-General Ronglu, behauptete später, er habe zum Schutz der Fremden gehandelt. Die Beamten in den südlichen Provinzen ignorierten den kaiserlichen Befehl, gegen die Ausländer zu kämpfen.
Nachdem die Vereinigten acht Staaten zunächst von der kaiserlich-chinesischen Armee und der Boxermiliz zurückgeschlagen worden waren, brachten sie 20.000 bewaffnete Truppen nach China, besiegten die kaiserliche Armee in Tianjin und erreichten am 14. August Peking, wo sie die Belagerung der Gesandtschaften aufhoben. Es folgten Plünderungen in der Hauptstadt und im Umland sowie summarische Hinrichtungen von Personen, die verdächtigt wurden, Boxer zu sein. Das Boxerprotokoll vom 7. September 1901 sah die Hinrichtung von pro-boxerischen Regierungsbeamten vor, die Stationierung ausländischer Truppen in Peking und 450 Millionen Tael Silber – etwa 10 Milliarden Dollar zum Silberpreis von 2018 und mehr als das jährliche Steueraufkommen der Regierung –, die im Laufe der nächsten 39 Jahre als Entschädigung an die acht beteiligten Nationen gezahlt werden sollten. Der Umgang der Qing-Dynastie mit dem Boxeraufstand schwächte ihre Kontrolle über China weiter und veranlasste die Dynastie, in der Folgezeit umfangreiche Regierungsreformen durchzuführen.
Historischer Hintergrund
Die Ursprünge der Boxer
Von chinesischen Autoren wurde unmittelbar nach dem Aufstand die These verbreitet, die „Boxer“ seien ein Ableger der rebellischen Sekte Weißer Lotus, die 1795 bis 1804 einen substanziellen Aufstand organisiert hatte. Heute herrscht die Auffassung vor, dass es sich bei den „Boxern“ um eine soziale Bewegung handelte, die sich zwischen 1898 und 1900 als unmittelbare Reaktion auf die Krisenstimmung gegen Ende des 19. Jahrhunderts gebildet hatte. Die Fäuste der Gerechtigkeit und Harmonie (Yìhéquán) entstanden im Landesinneren der nördlichen Küstenprovinz Shandong, einer Region, die lange Zeit von sozialen Unruhen, religiösen Sekten und Kampfverbänden geplagt war. Amerikanische christliche Missionare waren wahrscheinlich die ersten, die die trainierten, athletischen jungen Männer als Boxer bezeichneten und zwar aufgrund der von ihnen praktizierten Kampfkünste und Waffentrainings. Ihre primäre Praxis war eine Art „spirituelle Besessenheit“, die das Wirbeln von Schwertern, Niederwerfungen und das Singen von Beschwörungsformeln an Gottheiten beinhaltete.
Die Möglichkeit, gegen das Eindringen des Westens und die Kolonialisierung zu kämpfen, war für die arbeitslosen und meist noch jugendlichen Dorfbewohner besonders attraktiv. Die Tradition der spirituellen Besessenheit und der religiöse Glaube der Boxer, unverwundbar zu sein, reichten mehrere hundert Jahre zurück und erhielten angesichts der neuen Waffen des Westens eine besondere Bedeutung. Die mit Gewehren und Schwertern bewaffneten Boxer behaupteten, auf übernatürliche Weise unverwundbar gegen Kanonen, Gewehrschüsse und Messerangriffe zu sein. Außerdem verbreiteten sie im Volksmund, dass Millionen von Soldaten vom Himmel herabsteigen würden, um ihnen bei der Befreiung Chinas von ausländischer Unterdrückung zu helfen.
Im Jahr 1895 arbeitete Yuxian, ein Mandschu, der damals Präfekt von Caozhou war und später Provinzgouverneur wurde, trotz seiner ambivalenten Haltung gegenüber ihren heterodoxen Praktiken mit der Gesellschaft der Großsäbel (Dàdāo Huì) zusammen, deren ursprünglicher Zweck die Bekämpfung von Banditen war. Die Missionare der „Deutschen Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ hatten ihre Präsenz in der Region ausgebaut, indem sie einen großen Teil der Konvertiten aufnahmen, die Schutz vor dem Gesetz benötigten. Bei einer Gelegenheit im Jahr 1895 gab eine große Banditenbande, die von der „Gesellschaft der Großsäbel“ besiegt wurde, vor, Katholiken zu sein, um einer Strafverfolgung zu entgehen. Der Historiker Paul Cohen weist darauf hin, die Grenze zwischen Christen und Banditen sei immer unschärfer geworden. Einige Missionare wie George Stenz nutzten ihre Privilegien auch, um in Rechtsstreitigkeiten einzugreifen. Die „Großsäbel“ reagierten darauf mit Angriffen auf katholisches Eigentum und brannten es nieder. Aufgrund des diplomatischen Drucks in der Hauptstadt ließ Yuxian mehrere Anführer der „Großsäbel“ hinrichten, bestrafte aber sonst keine weiteren Personen. Danach entstanden weitere kriegerische Geheimbünde.
In den ersten Jahren gab es eine Vielzahl von dörflichen Aktivitäten, aber keine breite Bewegung mit einem einheitlichen Ziel. Martialische volksreligiöse Gesellschaften wie die Baguadao (deutsch: „Acht Trigramme“) bereiteten den Weg für die Boxer. Wie die Rote Boxerschule oder die Pflaumenblumen-Boxer waren die Boxer von Shandong mehr an traditionellen sozialen und moralischen Werten wie der kindlichen Pietät interessiert als an ausländischen Einflüssen. Ein Anführer, Zhu Hongdeng (von der Roten Laterne Zhu), begann als Wanderheiler, der sich auf Hautgeschwüre spezialisierte und sich durch seine kostenlosen Behandlungen großen Respekt verschaffte. Zhu behauptete, von den Kaisern der Ming-Dynastie abzustammen, da sein Nachname der Nachname der kaiserlichen Familie war. Er verkündete, sein Ziel sei es, die „Qing wiederzubeleben und die Ausländer zu vernichten“ ( fu Qing mie yang).
Konflikte zwischen Christen und Nichtchristen entstanden in China bereits nach Etablierung der ersten christlichen Gemeinden, als die Christen sich weigerten, lokale (informelle) Steuern zu bezahlen, die vorwiegend für religiöse Zwecke verwendet wurden. Zunehmende Zerwürfnisse zwischen diesen Kontrahenten führten vereinzelt bereits zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Hinzu kamen innerhalb kurzer Zeit zwei Kriege, bei denen China von westlichen Staaten angegriffen wurde: Der Erste Opiumkrieg (1839 bis 1842) gegen Großbritannien und der Zweite Opiumkrieg (1856 bis 1860) gegen Großbritannien und Frankreich. Diese Kriege schürten die chinesischen Vorbehalte gegenüber den christlichen, westlichen Ausländern weiter. Man entschied, dass die „primären Teufel“ die christlichen Missionare und die „sekundären Teufel“ die chinesischen Konvertiten zum Christentum waren. Beide mussten widerrufen, vertrieben oder getötet werden.
Ursachen für den Konflikt und die Unruhen
Das Zusammentreffen von extremen Wetterbedingungen, westlichen Kolonialisierungsversuchen und einer wachsenden antiimperialistischen Stimmung schürte die Bewegung. Zunächst zwang eine Dürre mit anschließenden Überschwemmungen in der Provinz Shandong in den Jahren 1897–1898 die Bauern, auf der Suche nach Nahrung in die Städte zu fliehen. Der britische Gesandte in China, Sir Claude MacDonald, war überzeugt, „dass ein paar Tage heftiger Regenfälle zur Beendigung der lang anhaltenden Dürre […] mehr zur Wiederherstellung der Ruhe beitragen würden als alle Maßnahmen, die entweder die chinesische Regierung oder ausländische Regierungen ergreifen können.“
Eine der Hauptursachen für die Unzufriedenheit in Nordchina waren die missionarischen Aktivitäten. Der Vertrag von Tianjin und die Pekinger Konvention, die 1860 nach dem Zweiten Opiumkrieg unterzeichnet worden waren, hatten ausländischen Missionaren die Freiheit eingeräumt, überall in China zu predigen und auf gekauftem Land Kirchen zu bauen. Am 1. November 1897 stürmte eine Gruppe bewaffneter Männer, bei denen es sich möglicherweise um Mitglieder der „Großsäbel“ handelte, das Haus eines deutschen Missionars der „Deutschen Gesellschaft des Göttlichen Wortes“ und tötete zwei Priester (Juye-Vorfall). Als Kaiser Wilhelm II. die Nachricht von diesen Morden erhielt, entsandte er das deutsche Ostasiengeschwader, um die Bucht von Jiaozhou an der Südküste der Halbinsel Shandong zu besetzen. Im Dezember 1897 erklärte Wilhelm II. seine Absicht, Territorium in China an sich zu reißen, was ein „Gerangel um Zugeständnisse“ auslöste, bei dem sich auch Großbritannien, Frankreich, Russland und Japan ihre eigene Einflusssphäre in China sicherten:
Deutschland erhielt die exklusive Kontrolle über Entwicklungskredite, Bergbau und Eisenbahnbesitz in der Provinz Shandong.
Russland erlangte Einfluss auf alle Gebiete nördlich der Chinesischen Mauer sowie die frühere Steuerbefreiung für den Handel in der Mongolei und in Xinjiang; außerdem erhielten sie ähnliche wirtschaftliche Befugnisse wie Deutschland über die Provinzen Liaoning, Jilin und Heilongjiang. Die russische Regierung besetzte ihr Gebiet militärisch, führte ihr Recht und ihre Schulen ein, beschlagnahmte Bergbau- und Holzfällerprivilegien, siedelte ihre Bürger an und errichtete sogar ihre Stadtverwaltung in mehreren Städten, letzteres ohne chinesische Zustimmung.
Frankreich gewann den Einfluss auf Yunnan und den größten Teil der Provinzen Guangxi und Guangdong.
Japan auf die Provinz Fujian.
Großbritannien erhielt das gesamte Jangtse-Tal (heißt: Alle an den Jangtse angrenzenden Provinzen sowie die Provinzen Henan und Zhejiang), Teile der Provinzen Guangdong und Guangxi und einen Teil von Tibet.
Nur der Antrag Italiens auf die Provinz Zhejiang wurde von der chinesischen Regierung abgelehnt. Die Pacht- und Konzessionsgebiete, über die die ausländischen Mächte die volle Verfügungsgewalt hatten, sind hier nicht mitgerechnet.
Im Oktober 1898 griff eine Gruppe von Boxern die christliche Gemeinde des Dorfes Liyuantun an, wo ein Tempel des Jadekaisers in eine katholische Kirche umgewandelt worden war. Um die Kirche hatte es seit 1869 Streit gegeben, als der Tempel den christlichen Bewohnern des Dorfes zugesprochen worden war. Bei diesem Vorfall verwendeten die Boxer zum ersten Mal den Slogan „Unterstützt die Qing, vernichtet die Ausländer“ ( fu Qing mie yang). Die Boxer nannten sich ein Jahr später, bei der Schlacht am Senluo-Tempel (Oktober 1899), einem Zusammenstoß zwischen Boxern und Qing-Regierungstruppen, zum ersten Mal „Miliz, vereint in Rechtschaffenheit“. Durch die Verwendung des Wortes „Miliz“ anstelle von „Boxer“ distanzierten sie sich von verbotenen Kampfkunstsekten und versuchten, ihrer Bewegung die Legitimität einer Gruppe zu verleihen, die die Orthodoxie verteidigte.
Die Aggressionen gegen Missionare und Christen zogen den Zorn ausländischer (vor allem europäischer) Regierungen auf sich. 1899 half der französische Gesandte in Peking den Missionaren, ein Edikt zu erwirken, das jedem Orden in der römisch-katholischen Hierarchie den offiziellen Status zuerkannte und es den örtlichen Priestern ermöglichte, ihre Leute bei Rechts- oder Familienstreitigkeiten zu unterstützen und die örtlichen Beamten zu umgehen.
Das frühe Aufkommen der Boxerbewegung fiel mit der Hundert-Tage-Reform (11. Juni – 21. September 1898) zusammen, bei der fortschrittliche chinesische Beamte mit Unterstützung protestantischer Missionare den chinesischen Kaiser Guangxu davon überzeugten, weitreichende Reformen durchzuführen. Dies verärgerte viele konservative Beamte, deren Widerstand die Kaiserinwitwe Cixi veranlasste, einzugreifen und die Reformen rückgängig zu machen. Das Scheitern der Reformbewegung desillusionierte viele gebildete Chinesen und schwächte so die Qing-Regierung weiter. Die Kaiserin ergriff die Macht und stellte den reformorientierten Kaiser unter Hausarrest.
Die nationale Krise wurde weithin als eine durch „ausländische Aggression“ verursachte wahrgenommen. Zu dieser Zeit war die Qing-Regierung korrupt, das einfache Volk wurde häufig von Regierungsbeamten erpresst und die Regierung bot keinen Schutz vor den gewalttätigen Aktionen der Boxer.
Der Boxeraufstand
Zuspitzung der Krise
Im Januar 1900 änderte die Kaiserinwitwe Cixi mit einer konservativen Mehrheit am kaiserlichen Hof ihre Haltung zu den Boxern und erließ Edikte zu deren Verteidigung. Ausländische Mächte protestierten dagegen. Im Frühjahr 1900 breitete sich die Boxerbewegung von Shandong aus rasch nach Norden in die ländlichen Gebiete nahe Peking aus. Die Boxer brannten christliche Kirchen nieder, töteten chinesische Christen und schüchterten chinesische Beamte ein, die sich ihnen in den Weg stellten. Der US-Diplomat Edwin H. Conger kabelte nach Washington: „Das ganze Land wimmelt von hungrigen, unzufriedenen, hoffnungslosen Müßiggängern.“ Am 30. Mai baten die Diplomaten unter der Führung des britischen Gesandten Claude Maxwell MacDonald darum, dass ausländische Soldaten zur Verteidigung der Gesandtschaften nach Peking kommen sollten. Die chinesische Regierung willigte widerwillig ein und am nächsten Tag verließ eine multinationale Truppe von 435 Marinesoldaten aus acht Ländern die Kriegsschiffe und reiste mit dem Zug von Taku-Forts nach Peking. Sie errichteten Verteidigungsperimeter um ihre jeweiligen Missionen.
Am 5. Juni 1900 wurde die Bahnstrecke nach Tianjin von Boxern auf dem Land unterbrochen und Peking war isoliert. Am 11. Juni wurde der Sekretär der japanischen Gesandtschaft, Sugiyama Akira, am Yongding-Tor von den sogenannten Gansu-Kriegersoldaten unter General Dong Fuxiang überfallen und getötet. Dongs Truppen, die mit Mausergewehren bewaffnet waren, aber traditionelle Uniformen trugen, hatten im Herbst 1898, kurz nach ihrer Ankunft in Peking, die ausländischen Gesandtschaften so sehr bedroht, dass Marinesoldaten der Vereinigten Staaten zur Bewachung der Gesandtschaften nach Peking gerufen wurden. Der deutsche Kaiser Wilhelm II. war über die chinesischen muslimischen Truppen so beunruhigt, dass er den osmanischen Sultan Abdülhamid II. bat, einen Weg zu finden, die muslimischen Truppen vom Kampf abzuhalten.
Der Kalif stimmte der Bitte des Kaisers zu und schickte 1901 Enver Pascha (nicht zu verwechseln mit dem späteren Jungtürkenführer) nach China; der Aufstand war zu diesem Zeitpunkt aber bereits beendet.
Ebenfalls am 11. Juni wurde der erste Boxer im Gesandtschaftsviertel gesichtet. Der deutsche Gesandte Clemens von Ketteler und deutsche Soldaten nahmen einen Boxerjungen gefangen und richteten ihn auf unerklärliche Weise hin. Als Reaktion darauf drangen Tausende von Boxern am Nachmittag in die ummauerte Stadt Peking ein und brannten viele der christlichen Kirchen und Kathedralen der Stadt nieder, wobei einige Menschen bei lebendigem Leib verbrannten. Amerikanische und britische Missionare hatten sich in die Methodistenmission geflüchtet und ein Angriff dort wurde von amerikanischen Marinesoldaten abgewehrt. Die Soldaten der britischen Botschaft und der deutschen Gesandtschaft erschossen mehrere Boxer, was die chinesische Bevölkerung der Stadt verärgerte und die Qing-Regierung dazu brachte, die Boxer zu unterstützen.
Die muslimischen Gansu-Krieger und Boxer griffen daraufhin gemeinsam chinesische Christen in der Umgebung der Gesandtschaften an und töteten sie, um sich für die ausländischen Angriffe auf Chinesen zu rächen.
Seymour-Expedition
Als sich die Situation zuspitzte, wurde am 10. Juni 1900 eine zweite multinationale Truppe von 2.000 Matrosen und Marinesoldaten unter dem Kommando des britischen Vizeadmirals Edward Hobart Seymour, dem größten britischen Kontingent, von Taku-Forts nach Peking entsandt. Die Truppen wurden mit Zustimmung der chinesischen Regierung mit dem Zug von Taku-Forts nach Tianjin transportiert, aber die Eisenbahnlinie zwischen Tianjin und Peking war unterbrochen worden. Seymour beschloss, voranzugehen und die Bahnlinie zu reparieren oder notfalls zu Fuß weiterzugehen, da die Entfernung zwischen Tianjin und Peking nur 120 km betrug. Als Seymour Tianjin verließ und sich auf den Weg nach Peking machte, verärgerte er den kaiserlichen Hof.
Daraufhin wurde der boxerfreundliche Mandschu-Prinz Duan zum Leiter des Zongli Yamen (Außenamt) ernannt und löste damit Prinz Qing ab. Prinz Duan war ein Mitglied des kaiserlichen Aisin-Gioro-Klans und Kaiserinwitwe Cixi hatte ihren Sohn als nächsten Anwärter auf den Kaiserthron bestimmt. Er wurde zum effektiven Anführer der Boxer und wurde von Zeitgenossen als „extrem ausländerfeindlich“ beschrieben. Schon bald befahl er der kaiserlichen Qing-Armee, die ausländischen Streitkräfte anzugreifen. Durch widersprüchliche Befehle aus Peking verwirrt, ließ General Nie Shicheng die Armee von Seymour in ihren Zügen vorbeifahren.
Nachdem der Konvoi Tianjin verlassen hatte, erreichte er schnell Lángfāng, fand aber die dortige Eisenbahnstrecke zerstört vor. Seymours Ingenieure versuchten, die Strecke wieder instand zu setzen, aber die alliierte Armee war umzingelt, da die Eisenbahn hinter und vor ihr zerstört war. Sie wurden von allen Seiten von chinesischen Freischärlern und chinesischen Regierungstruppen angegriffen. Fünftausend von Dong Fuxiangs Gansu-Kriegern und eine unbekannte Anzahl von Boxern errangen in der „Schlacht von Langfang“ am 18. Juni einen kostspieligen, aber wichtigen Sieg über Seymours Truppen. Während sich die verbündete europäische Armee aus Langfang zurückzog, wurde sie ständig von der Kavallerie beschossen und die Artillerie bombardierte ihre Stellungen. Es wurde berichtet, dass die chinesische Artillerie der europäischen überlegen war, da die Europäer sich nicht die Mühe gemacht hatten, sich für den Feldzug adäquat auszurüsten, aufgrund des Irrglaubens, den chinesischen Widerstand leicht überwinden zu können.
Die Europäer konnten die chinesische Artillerie, die ihre Stellungen mit Granaten beschoss, nicht orten. Die chinesischen Truppen setzten Minen, Technik, Flutung und gleichzeitige Angriffe ein. Die Chinesen setzten auch Zangenbewegungen, Hinterhalte und Scharfschützentaktiken mit einigem Erfolg gegen die Fremden ein.
Am 18. Juni trafen Nachrichten über Angriffe auf ausländische Gesandtschaften ein. Seymour beschloss, weiter vorzurücken, diesmal entlang des Beihe-Flusses in Richtung Tongzhou, 25 km von Peking entfernt. Am 19. Juni mussten sie ihre Bemühungen aufgrund des immer stärker werdenden Widerstands aufgeben und begannen, sich mit über 200 Verwundeten entlang des Flusses nach Süden zurückzuziehen. Sie beschlagnahmten vier zivile chinesische Dschunken entlang des Flusses, luden alle Verwundeten und die verbliebenen Vorräte auf die Dschunken und zogen sie mit Seilen vom Flussufer heran. Zu diesem Zeitpunkt waren ihre Vorräte an Lebensmitteln, Munition und medizinischen Hilfsgütern bereits knapp. Sie stießen auf das „Große Xigu-Arsenal“, ein verstecktes Munitionslager der Qing, von dem die alliierten Mächte bis dahin nichts gewusst hatten. Unmittelbar danach eroberten und besetzten sie es und entdeckten Krupp-Feldgeschütze und Gewehre mit Millionen von Schuss Munition sowie Millionen von Pfund Reis und reichlich medizinische Vorräte.
Im Lager verschanzten sie sich und warteten auf Rettung. Einem chinesischen Diener gelang es, die Boxer- und Qing-Linien zu infiltrieren und die Acht Mächte über die missliche Lage der Seymour-Truppen zu informieren. Die Seymour-Truppen waren fast rund um die Uhr von Qing-Truppen und Boxern umzingelt und angegriffen worden und standen kurz davor, überrannt zu werden. Am 25. Juni traf schließlich ein Regiment von 1.800 Mann (900 russische Soldaten aus Port Arthur, 500 britische Seeleute und eine Ad-hoc-Mischung aus anderen Truppen der Allianz) zu Fuß von Tientsin aus ein, um Seymour zu retten. Nachdem sie die berittenen Feldgeschütze unbrauchbar gemacht und alle Munition, die sie nicht mitnehmen konnten (schätzungsweise 3 Millionen Pfund), in Brand gesetzt hatten, marschierten Seymour, seine Truppe und die Rettungsmission am 26. Juni ohne Gegenwehr nach Tientsin zurück. Seymours Verluste während der Expedition beliefen sich auf 62 Gefallene und 228 Verwundete.
Widersprüchliche Haltungen am kaiserlichen Hof der Qing
In Peking berief die Kaiserinwitwe Cixi am 16. Juni den kaiserlichen Hof zu einer Massenaudienz ein und diskutierte über die Entscheidung zwischen dem Einsatz der Boxer zur Vertreibung der Ausländer und der Suche nach einer diplomatischen Lösung. Auf die Frage eines hohen Beamten, der die Wirksamkeit der Boxer bezweifelte, antwortete Cixi: „Beide Seiten am kaiserlichen Hof sind sich darüber im Klaren, dass die Boxer auf dem Lande von fast allen unterstützt werden. […] Eine Unterdrückung ist schwierig und unpopulär, vor allem, wenn ausländische Truppen im Anmarsch sind.“
Während dieser Debatte waren zwei Fraktionen aktiv: Auf der einen Seite standen die „Anti-Ausländer“, die Ausländer als invasiv und imperialistisch ansahen und einen nativistischen Populismus beschworen. Sie sprachen sich dafür aus, die Boxer auszunutzen, um die Vertreibung ausländischer Truppen und ausländischer Einflüsse zu erreichen. Die „Ausländerbefürworter“ hingegen befürworteten die Annäherung an ausländische Regierungen und hielten die Boxer für abergläubisch und unwissend.
Das Ereignis, das die kaiserliche Qing-Regierung unwiderruflich zur Unterstützung der Boxer und zum Krieg mit den ausländischen Mächten veranlasste, war der Angriff ausländischer Flotten auf die Taku-Forts-Festungen bei Tianjin am 17. Juni 1900.
Belagerung des Pekinger Gesandtschaftsviertels
Am 15. Juni setzten die kaiserlichen Streitkräfte der Qing elektrische Minen im Fluss Beihe ein, um zu verhindern, dass die Vereinigten acht Staaten Schiffe zum Angriff schicken. Angesichts der schwierigen militärischen Lage in Tianjin und des völligen Zusammenbruchs der Kommunikation zwischen Tianjin und Peking ergriffen die verbündeten Nationen Maßnahmen, um ihre militärische Präsenz erheblich zu verstärken. Am 17. Juni nahmen sie Taku-Forts ein und brachten von dort aus eine wachsende Zahl von Truppen an Land. Als Cixi am selben Tag ein Ultimatum erhielt, nach dem China die vollständige Kontrolle über alle seine militärischen und finanziellen Angelegenheiten an das Ausland abgeben sollte, erklärte sie vor dem gesamten Großen Rat:
Zu diesem Zeitpunkt begann Cixi, die Gesandtschaften mit den Armeen der Pekinger Feldarmee zu blockieren, was die Belagerung einleitete. Cixi erklärte:
Als die Kaiserinwitwe Cixi am 19. Juni die Nachricht vom Angriff auf Taku-Forts erhielt, erteilte sie den Gesandtschaften sofort den Befehl, die Diplomaten und andere Ausländer innerhalb von 24 Stunden unter Eskorte der chinesischen Armee aus Peking zu führen.
Am nächsten Morgen kamen die Diplomaten der belagerten Gesandtschaften zusammen, um das Angebot der Kaiserin zu erörtern. Die meisten waren sich schnell einig, dass sie der chinesischen Armee nicht trauen konnten. Aus Angst, getötet zu werden, stimmten sie zu, die Forderung der Kaiserin abzulehnen. Der deutsche kaiserliche Gesandte, Freiherr Clemens von Ketteler, war über das Vorgehen der chinesischen Truppen erzürnt und beschloss, seine Beschwerden an den königlichen Hof zu tragen. Entgegen dem Rat der anderen Ausländer verließ der Baron die Gesandtschaft mit nur einem einzigen Adjutanten und einem Trägerteam, das seine Sänfte trug. Auf dem Weg zum Palast wurde von Ketteler auf den Straßen von Peking von einem Mandschu-Hauptmann getötet. Seinem Adjutanten gelang es, dem Angriff zu entkommen und er überbrachte die Nachricht vom Tod des Barons in die diplomatischen Räumlichkeiten. Nach dieser Nachricht befürchteten die anderen Diplomaten, ebenfalls ermordet zu werden, wenn sie das Gesandtschaftsviertel verließen und entschlossen sich, dem chinesischen Befehl, Peking zu verlassen, weiterhin zu widersprechen. Die Gesandtschaften wurden in Eile befestigt. Die meisten ausländischen Zivilisten, darunter eine große Zahl von Missionaren und Geschäftsleuten, suchten Zuflucht in der britischen Gesandtschaft, dem größten der diplomatischen Gebäude. Die chinesischen Christen wurden vor allem im angrenzenden Palast von Prinz Su untergebracht, der von den ausländischen Soldaten gezwungen wurde, seinen Wohnort zu verlassen.
Am 21. Juni erklärte Cixi allen ausländischen Mächten den Krieg. Die regionalen Gouverneure im Süden, die über umfangreiche modernisierte Armeen verfügten – Li Hongzhang in Guangdong, Yuan Shikai in Shandong, Zhang Zhidong in Wuhan und Liu Kunyi in Nanjing – schlossen den „Verteidigungspakt der südöstlichen Provinzen“. Sie weigerten sich, die Kriegserklärung des kaiserlichen Hofes anzuerkennen, da dieser ein luan-ming (deutsch: unrechtmäßiger Befehl) sei. Yuan Shikai setzte seine eigenen Truppen ein, um die Boxer in Shandong zu unterdrücken und Zhang nahm Verhandlungen mit den Ausländern in Shanghai auf, um seine Armee aus dem Konflikt herauszuhalten. Durch die Neutralität dieser Provinz- und Regionalgouverneure blieb der Großteil der chinesischen Streitkräfte aus dem Konflikt herausgehalten.
Die Gesandtschaften des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Österreich-Ungarns, Spaniens, Belgiens, der Niederlande, der Vereinigten Staaten, Russlands und Japans befanden sich im Pekinger Gesandtschaftsviertel südlich der Verbotenen Stadt. Die chinesische Armee und irreguläre Boxer belagerten das Gesandtschaftsviertel vom 20. Juni bis 14. August 1900. Insgesamt 473 ausländische Zivilisten, 409 Soldaten, Marinesoldaten und Matrosen aus acht Ländern und etwa 3.000 chinesische Christen fanden dort Zuflucht. Unter dem Kommando des britischen Gesandten in China, Claude Maxwell MacDonald, verteidigten das Gesandtschaftspersonal und die militärischen Wachen das Gelände mit Handfeuerwaffen, drei Maschinengewehren und einer alten Vorderladerkanone. Chinesische Christen in den Gesandtschaften führten die Ausländer zu der Kanone; sie erwies sich als wichtig für die Verteidigung. Auch die katholische Erlöserkirche in Peking wurde belagert. Die Kirche wurde von 43 französischen und italienischen Soldaten, 33 ausländischen katholischen Priestern und Nonnen und etwa 3.200 chinesischen Katholiken verteidigt. Die Verteidiger hatten schwere Verluste zu beklagen, vor allem wegen des Mangels an Lebensmitteln und der Minen, die die Chinesen in den unter der Anlage gegrabenen Tunneln zündeten. Die Zahl der chinesischen Soldaten und Boxer, die das Gesandtschaftsviertel und den Beitang belagerten, ist nicht bekannt.
Am 22. und 23. Juni setzten chinesische Soldaten und Boxer Gebiete nördlich und westlich der britischen Gesandtschaft in Brand und nutzten dies als Abschreckungstaktik, um die Verteidiger anzugreifen. Die nahe gelegene Hanlin-Akademie, ein Komplex von Höfen und Gebäuden, der „die Quintessenz der chinesischen Gelehrsamkeit […] die älteste und reichste Bibliothek der Welt“ beherbergte, geriet in Brand. Jede Seite gab der anderen die Schuld an der Zerstörung der unzähligen irreparabel zerstörten Bücher, die sie enthielt.
Nachdem es nicht gelungen war, die Ausländer zu vertreiben, wandte die chinesische Armee eine „anakondaähnliche Strategie“ an. Die Chinesen errichteten Barrikaden rund um das Gesandtschaftsviertel und rückten Stein für Stein auf die ausländischen Linien vor, so dass die Wachen der ausländischen Gesandtschaft gezwungen waren, sich jeweils ein paar Meter zurückzuziehen. Diese Taktik wurde insbesondere im Fu angewandt, das von japanischen und italienischen Seeleuten und Soldaten verteidigt wurde und in dem die meisten chinesischen Christen lebten. Fast jede Nacht wurden die Gesandtschaften mit Kugeln, Artilleriegeschossen und Feuerwerkskörpern beschossen, die jedoch kaum Schaden anrichteten. Das Scharfschützenfeuer forderte seinen Tribut unter den ausländischen Verteidigern. Trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit versuchten die Chinesen nicht, das Gesandtschaftsviertel direkt anzugreifen, obwohl es nach den Worten eines der Belagerten „ein Leichtes gewesen wäre, mit einer starken, schnellen Bewegung der zahlreichen chinesischen Truppen die gesamte Gruppe von Ausländern […] in einer Stunde zu vernichten.“ Der amerikanische Missionar Frank Gamewell und seine „Mannschaft der kämpfenden Pfarrer“ befestigten das Gesandtschaftsviertel und beeindruckten chinesische Christen, die den größten Teil der körperlichen Arbeit beim Bau der Verteidigungsanlagen leisteten.
Die Deutschen und die Amerikaner besetzten die vielleicht wichtigste aller Verteidigungspositionen: die Tatarenmauer. Es war von entscheidender Bedeutung, die Spitze der 14 Meter hohen und 12 Meter breiten Mauer zu halten. Die deutschen Barrikaden standen auf der Mauer in östlicher Richtung, während die amerikanischen Stellungen 370 Meter weiter westlich lagen. Die Chinesen rückten auf beide Stellungen vor, indem sie die Barrikaden noch näher heranbauten. Kapitän John Myers kommentierte dies wie folgt: „Die Männer haben das Gefühl, in einer Falle zu sitzen und warten nur auf die Stunde der Hinrichtung.“ Am 30. Juni drängten die Chinesen die Deutschen von der Mauer ab und ließen die amerikanischen Marinesoldaten bei der Verteidigung der Mauer allein. Im Juni 1900 beschrieb ein Amerikaner die Szene, als 20.000 Boxer die Mauer stürmten:
Zur gleichen Zeit rückte eine chinesische Barrikade bis auf wenige Meter an die amerikanischen Stellungen heran, und es wurde klar, dass die Amerikaner die Mauer aufgeben oder die Chinesen zum Rückzug zwingen mussten. Um 2 Uhr morgens am 3. Juli starteten 56 britische, russische und amerikanische Marinesoldaten und Matrosen unter dem Kommando von Myers einen Angriff gegen die chinesische Barrikade auf der Mauer. Der Angriff überraschte die Chinesen im Schlaf, tötete etwa 20 von ihnen und vertrieb den Rest von den Barrikaden. Für den Rest der Belagerung versuchten die Chinesen nicht mehr, ihre Stellungen auf der Tatarenmauer vorzurücken.
Claude Maxwell MacDonald bezeichnete den 13. Juli als den „anstrengendsten Tag der Belagerung“. Die Japaner und Italiener in der Fu wurden auf ihre letzte Verteidigungslinie zurückgedrängt. Die Chinesen zündeten eine Mine unter der französischen Gesandtschaft und drängten die Franzosen und Österreicher aus dem größten Teil der französischen Gesandtschaft. Am 16. Juli wurde der fähigste britische Offizier getötet und der Journalist George Ernest Morrison verwundet. Der amerikanische Gesandte Edwin H. Conger nahm jedoch Kontakt mit der chinesischen Regierung auf und am 17. Juli wurde von den Chinesen ein Waffenstillstand erklärt. Mehr als 40 % der Gesandtschaftsangehörigen waren tot oder verwundet. Die Motivation der Chinesen war wahrscheinlich die Erkenntnis, dass eine alliierte Streitmacht von 20.000 Mann in China gelandet war und die Vergeltung für die Belagerung unmittelbar bevorstand.
Beamte und Befehlshaber im Widerspruch zueinander
Der Mandschu-General Ronglu kam zu dem Schluss, dass es aussichtslos war, alle Mächte gleichzeitig zu bekämpfen und lehnte es ab, die Belagerung fortzusetzen. Der Mandschu Zaiyi, ein ausländerfeindlicher Freund von Dong Fuxiang, wollte Artillerie für Dongs Truppen, um die Gesandtschaften zu zerstören. Ronglu blockierte die Übergabe von Artillerie an Zaiyi und Dong und hinderte sie so am Angriff. Er zwang Dong Fuxiang und seine Truppen, die Belagerung abzubrechen und die Gesandtschaften zu zerstören, wodurch die Ausländer gerettet und diplomatische Zugeständnisse gemacht wurden. Ronglu und Prinz Qing versorgten die Gesandtschaften mit Lebensmitteln und setzten ihre Mandschu-Bannermänner ein, um die muslimischen Gansu-Krieger von Dong Fuxiang und die Boxer anzugreifen. Sie erließen Edikte, die den Schutz der Ausländer anordneten; die Gansu-Krieger ignorierten dies jedoch und kämpften gegen die Bannerträger, die versuchten, sie von den Gesandtschaften zu vertreiben. Ronglu versteckte absichtlich einen kaiserlichen Erlass vor General Nie Shicheng. Darin wurde ihm befohlen, den Kampf gegen die Boxer wegen der ausländischen Invasion und wegen der Not der Bevölkerung einzustellen. Aufgrund von Ronglus Handeln kämpfte General Nie weiter gegen die Boxer, selbst als die ausländischen Truppen nach China vordrangen. Ronglu befahl Nie auch, die Ausländer zu schützen und die Eisenbahn vor den Boxern zu retten. Da Teile der Eisenbahn unter Ronglus Befehl gerettet wurden, konnte sich die ausländische Invasionsarmee schnell nach China durchschlagen. General Nie setzte Tausende von Truppen gegen die Boxer ein. In der Schlacht von Tianjin beschloss General Nie, sein Leben zu opfern, indem er in die Reichweite der alliierten Geschütze lief.
Xu Jingcheng, der als Gesandter der Qing in vielen derselben Staaten gedient hatte, die im Gesandtschaftsviertel belagert wurden, argumentierte, dass „die Umgehung der extraterritorialen Rechte und die Tötung ausländischer Diplomaten in China und im Ausland beispiellos sind“. Xu und fünf weitere Beamte forderten die Kaiserinwitwe Cixi auf, die Unterdrückung der Boxer, die Hinrichtung ihrer Anführer und eine diplomatische Einigung mit den ausländischen Armeen anzuordnen. Die Kaiserinwitwe war empört und verurteilte Xu und die Beamten wegen „vorsätzlicher und absurder Aufforderung an den kaiserlichen Hof“ und „Bildung subversiver Gedanken“ zum Tode. Sie wurden am 28. Juli 1900 hingerichtet und ihre abgetrennten Köpfe auf dem Hinrichtungsgelände Caishikou in Peking ausgestellt.
In Anbetracht dieser Unentschlossenheit schossen einige chinesische Soldaten von Anfang an recht freizügig auf die belagerten Ausländer. Cixi hatte den kaiserlichen Truppen nicht persönlich befohlen, eine Belagerung durchzuführen, sondern hatte ihnen im Gegenteil befohlen, die Ausländer in den Gesandtschaften zu schützen. Prinz Duan führte die Boxer an, um seine Feinde innerhalb des kaiserlichen Hofes und die Ausländer auszuplündern, obwohl die kaiserlichen Behörden die Boxer auswiesen, nachdem sie in die Stadt gelassen worden waren und sowohl gegen die ausländischen als auch gegen die kaiserlichen Streitkräfte der Qing auf Raubzug gingen. Ältere Boxer wurden aus Peking hinausgeschickt, um die anrückenden ausländischen Armeen aufzuhalten, während jüngere Männer in die muslimische Gansu-Armee eingegliedert wurden.
Angesichts der widersprüchlichen Loyalitäten und Prioritäten, die die verschiedenen Kräfte innerhalb Pekings motivierten, wurde die Lage in der Stadt immer verworrener. Die ausländischen Gesandtschaften waren weiterhin sowohl von den kaiserlichen Qing- als auch von den Gansu-Truppen umzingelt. Während die Gansu-Krieger von Dong Fuxiang, die nun durch die Boxer aufgestockt worden war, die Belagerung vorantreiben wollte, versuchten die kaiserlichen Truppen von Ronglu offenbar weitgehend, dem Erlass der Kaiserinwitwe Cixi zu folgen und die Gesandtschaften zu schützen. Um die Konservativen am kaiserlichen Hof zufrieden zu stellen, feuerten Ronglus Männer jedoch auch auf die Gesandtschaften und ließen Feuerwerkskörper ab, um den Eindruck zu erwecken, dass auch sie die Ausländer angriffen. Innerhalb der Gesandtschaften und ohne Verbindung zur Außenwelt feuerten die Ausländer einfach auf alle Ziele, die sich ihnen boten, darunter Boten des kaiserlichen Hofes, Zivilisten und Belagerer jeder Couleur. Dong Fuxiang wurde die von Ronglu gehaltene Artillerie vorenthalten, was ihn davon abhielt, die Gesandtschaften zu zerstören. Als er sich am 23. Juni bei der Kaiserinwitwe Cixi beschwerte, sagte sie abfällig: „Dein Schwanz wird zu schwer, um mit ihm zu wedeln.“ Nach der Aufhebung der Belagerung entdeckte die Allianz große Mengen unbenutzter chinesischer Krupp-Artillerie und -Granaten.
Der Waffenstillstand wurde zwar gelegentlich gebrochen, hielt aber bis zum 13. August, als sich eine alliierte Armee unter der Führung des Briten Alfred Gaselee auf Peking zubewegte und die Chinesen ihre schwersten Geschütze auf das Gesandtschaftsviertel richteten. Als sich die ausländische Armee näherte, schmolzen die chinesischen Streitkräfte dahin.
Gaselee-Expedition
Ab Ende April 1900 begannen ausländische Seestreitkräfte ihre Präsenz entlang der nordchinesischen Küste zu verstärken. Mehrere internationale Streitkräfte wurden mit unterschiedlichem Erfolg in die Hauptstadt entsandt und die chinesischen Streitkräfte wurden schließlich von den Vereinigten acht Staaten aus Österreich-Ungarn, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Russland, dem Vereinigten Königreich und den Vereinigten Staaten besiegt. Unabhängig von der Allianz entsandten die Niederlande im Juli drei Kreuzer, um ihre Bürger in Shanghai zu schützen.
Der britische Generalleutnant Alfred Gaselee fungierte als Befehlshaber der Vereinigten acht Staaten, die schließlich 55.000 Mann umfasste. Das Hauptkontingent setzte sich aus japanischen (20.840), russischen (13.150), britischen (12.020), französischen (3.520), US-amerikanischen (3.420), deutschen (900), italienischen (80), österreichisch-ungarischen (75) und chinesischen Anti-Boxer-Truppen zusammen. Das „Erste Chinesische Regiment“ (sog. „Weihaiwei-Regiment“) bestand aus chinesischen Kollaborateuren, die im britischen Militär dienten. Zu den bemerkenswerten Ereignissen gehörten die Einnahme von Taku-Forts und die Kaperung von vier chinesischen Zerstörern durch den britischen Kommandanten Roger Keyes. Unter den Ausländern, die in Tianjin belagert wurden, befand sich ein junger amerikanischer Bergbauingenieur namens Herbert Hoover, der später der 31. Präsident der Vereinigten Staaten wurde.
Die internationale Truppe nahm Tianjin schließlich am 14. Juli ein. In der „Schlacht von Tianjin“ erlitt die internationale Truppe ihre schwersten Verluste. Von Tianjin aus marschierte sie mit 20.000 verbündeten Soldaten etwa 120 km weit nach Peking. Am 4. August waren etwa 70.000 kaiserliche Truppen der Qing und 50.000 bis 100.000 Boxer auf dem Weg. Die Verbündeten stießen nur auf geringen Widerstand und kämpften bei Beicang und Yangcun. In Yangcun führte das 14. Infanterieregiment der US-amerikanischen und britischen Truppen den Angriff an. Das Wetter stellte ein großes Hindernis dar: Die hohe Luftfeuchtigkeit, die Temperaturen von bis zu 42 °C und die Insekten sorgten dafür, dass die Soldaten dehydrierten und viele ihrer Pferde starben. Alliierte Truppen, die nach Brunnen suchten, wurden von chinesischen Dorfbewohnern getötet.
Die Kriegstaktiken beider Seiten wurden später kritisiert: Alliierte Soldaten enthaupteten bereits tote chinesische Leichen, bajonettierten oder köpften lebende chinesische Zivilisten und vergewaltigten chinesische Mädchen und Frauen. Die Japaner traten chinesische Soldaten zu Tode. Die Chinesen reagierten auf die Gräueltaten der Allianz mit ähnlichen Gewalttaten und Grausamkeiten, insbesondere gegenüber gefangenen Russen. Leutnant Smedley Butler berichtete über die Überreste von zwei japanischen Soldaten, die an eine Wand genagelt, die Zunge abgeschnitten und die Augen ausgestochen worden waren.
Die internationale Truppe erreichte Peking am 14. August. Nach der Niederlage der Beiyang-Armee im Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg hatte die chinesische Regierung massiv in die Modernisierung der kaiserlichen Armee investiert, sodass diese nunmehr mit modernen Mauser-Repetiergewehren und Krupp-Artillerie ausgerüstet wurde. Drei modernisierte Divisionen, die aus Mandschu-Bannermännern bestanden, schützten die Metropolregion Peking. Zwei davon standen unter dem Kommando der Anti-Boxer-Fürsten Qing und Ronglu. Währenddessen befehligte der ausländerfeindliche pro-Boxer Duan die zehntausend Mann starke Hǔshényíng, die sich den Gansu-Kriegern und den Boxern beim Angriff auf die Ausländer angeschlossen hatte. Es war ein Hauptmann der Hǔshényíng, der den deutschen Diplomaten Ketteler ermordet hatte. Die Truppen unter Nie Shicheng wurden von deutschen und russischen Offizieren nach westlichem Vorbild ausgebildet und hatten modernisierte Waffen und Uniformen. Sie leistete der Allianz in der Schlacht von Tianjin wirkungsvollen Widerstand. Die Gansu-Krieger unter Dong Fuxiang, die von einigen Quellen als „schlecht diszipliniert“ bezeichnet wurden, waren zwar mit modernen Waffen ausgerüstet, wurden aber nicht nach westlichem Drill ausgebildet; außerdem trugen sie traditionelle chinesische Uniformen. Sie führten die Niederlage der Allianz bei Lángfāng im Rahmen der Seymour-Expedition an und waren bei der Belagerung der Gesandtschaften in Peking die führenden Kräfte. Unter den Toten der Mandschu war auch der Vater des Schriftstellers Lao She.
Die britisch-indischen Truppen erreichten als erstes das belagerte Gesandtschaftsviertel. Die USA spielten in der Kriegstaktik der Vereinigten acht Staaten eine wichtige Rolle, da seit der Eroberung der Philippinen durch die USA während des Spanisch-Amerikanischen Krieges und des anschließenden Philippinisch-Amerikanischen Krieges amerikanische Schiffe und Truppen in Manila stationiert waren. Im US-Militär war die Aktion gegen den Boxeraufstand als „China Relief Expedition“ bekannt. Die britische Armee erreichte das Gesandtschaftsviertel am Nachmittag des 14. August und befreite den Großteil der gefangen gehaltenen Diplomaten. Der Beitang wurde am 16. August zunächst von japanischen Soldaten und dann offiziell von den Franzosen abgelöst.
Evakuierung des Qing-Kaiserhofs von Peking nach Xi’an
In den frühen Morgenstunden des 15. August, gerade als die ausländischen Gesandtschaften abgelöst wurden, kletterte die Kaiserinwitwe Cixi, gekleidet in die gepolsterte blaue Baumwolle einer Bäuerin, Kaiser Guangxu und ein kleines Gefolge in drei hölzerne Ochsenkarren und floh mit groben Decken bedeckt aus der Stadt. Der Legende nach befahl die Kaiserinwitwe daraufhin entweder, die Lieblingskonkubine des Kaisers, Zhen, in einen Brunnen der Verbotenen Stadt zu werfen oder sie mit einer List zum Ertrinken brachte. Die Reise wurde durch die mangelnde Vorbereitung noch beschwerlicher; die Kaiserinwitwe bestand aber darauf, dass es sich nicht um einen Rückzug, sondern um eine „Inspektionsreise“ handelte. Nach wochenlanger Reise kam die Gruppe in Xi’an in der Provinz Shaanxi an, jenseits der Bergpässe, tief im muslimischen Gebiet Chinas und geschützt von den Gansu-Kriegern. Die Ausländer hatten keine Befehle, die Kaiserinwitwe zu verfolgen; deshalb beschlossen sie, in Peking zu bleiben.
Russische Invasion der Mandschurei
Das Russische Reich und die Qing-Dynastie hatten seit dem Vertrag von Nertschinsk (1689) lange Zeit Frieden gehalten. Später aber nutzten die russischen Streitkräfte chinesische Niederlagen, um den Vertrag von Aigun (1858) und den Vertrag von Peking (1860) durchzusetzen, mit dem ehemals chinesische Gebiete in der Mandschurei an Russland abgetreten wurden. Ein Großteil von ihnen ist bis heute (Stand: 2022) in russischer Hand (Region Primorje). Die Russen strebten die Kontrolle über den Fluss Amur für die Schifffahrt und die Allwetterhäfen Dalian und Port Arthur auf der Halbinsel Liaodong an. Der Aufstieg Japans zur asiatischen Großmacht beunruhigte Russland, insbesondere angesichts des wachsenden japanischen Einflusses in Korea. Nach dem Sieg Japans im Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg von 1895 zwang die Dreierintervention Russlands, Deutschlands und Frankreichs Japan zur Rückgabe des in Liaodong gewonnenen Gebiets, was de facto zu einem chinesisch-russischen Bündnis führte.
Die einheimischen Chinesen in der Mandschurei waren über diese russischen Vorstöße verärgert und begannen, Russen und russische Einrichtungen wie die Chinesische Ostbahn zu schikanieren. Im Juni 1900 bombardierten die Chinesen die Stadt Blagoweschtschensk auf der russischen Seite des Amur. Die Regierung des Zaren Nikolaus II. verlegte etwa 200.000 Truppen in das Gebiet, um die Boxer zu zerschlagen. Die Chinesen zerstörten am 27. Juli durch Brandstiftung eine Brücke, über die eine Eisenbahnlinie führte und eine Kaserne. Die Boxer zerstörten Eisenbahnen, kappten Telegrafenleitungen und brannten die Minen von Yantai nieder.
Am 21. September nahmen die russischen Truppen Jilin und Liaodong ein und besetzten am Ende des Monats die Mandschurei vollständig. Ihre Anwesenheit dort war ein wichtiger Faktor für den Russisch-Japanischen Krieg darstellte.
Die chinesischen Honghuzi-Banditen der Mandschurei, die im Krieg an der Seite der Boxer gekämpft hatten, stellten ihre kämpferischen Handlungen auch nach dem Boxeraufstand nicht ein. Sie setzten den Guerillakrieg gegen die russische Besatzung bis zum Russisch-Japanischen Krieg fort.
Massaker an Missionaren und chinesischen Christen
Orthodoxe, protestantische und katholische Missionare und ihre chinesischen Gemeindemitglieder wurden in ganz Nordchina massakriert, einige von den Boxern, andere von Regierungstruppen und Behörden. Nach der Kriegserklärung an die Westmächte im Juni 1900 setzte Yuxian, der im März desselben Jahres zum Gouverneur von Shanxi ernannt worden war, eine brutale, ausländer- und christenfeindliche Politik um. Am 9. Juli kursierten Berichte, dass er vierundvierzig Ausländer (darunter Frauen und Kinder) aus Missionarsfamilien, die er unter dem Vorwand des Schutzes in die Provinzhauptstadt Taiyuan eingeladen hatte, hingerichtet habe. Obwohl die angeblichen Augenzeugenberichte in neuerer Forschung als unglaubwürdig angezweifelt werden, wurde dieses Ereignis zu einem berüchtigten Symbol des chinesischen Zorns, das als Massaker von Taiyuan bekannt wurde. Bis zum Ende des Sommers wurden in der Provinz weitere Ausländer und bis zu 2.000 chinesische Christen getötet. Der Journalist und Geschichtsschreiber Nat Brandt bezeichnete das Massaker an den Christen in Shanxi als „die größte Tragödie in der Geschichte der christlichen Evangelisation.“
Während des Boxeraufstands wurden insgesamt 136 protestantische Missionare und 53 Kinder getötet. Es wird geschätzt, dass 47 katholische Priester und Nonnen, 30.000 chinesische Katholiken, 2.000 chinesische Protestanten und 200 bis 400 der 700 russisch-orthodoxen Christen in Peking getötet wurden. Die protestantischen Toten wurden als die „Heiligen chinesischen Märtyrer“ bezeichnet. 222 russisch-christliche chinesische Märtyrer, darunter der heilige Metrophanes, wurden am 22. April 1902 vor Ort als „neue Märtyrer“ heiliggesprochen, nachdem Archimandrit Innocent (Fugurovsky), Leiter der russisch-orthodoxen Mission in China, den Allerheiligsten Synod gebeten hatte, ihr Andenken zu verewigen. Dies war die erste Heiligsprechung vor Ort seit mehr als zwei Jahrhunderten. Die Boxer ermordeten in der Folge Christen in 26 Präfekturen.
Aktionen nach Niederschlagung des Boxeraufstands
Besatzung
Die Vereinigten acht Staaten besetzten militärisch die Provinz Zhili, während Russland die Mandschurei besetzte. Der Rest Chinas wurde nicht besetzt, da mehrere Han-Gouverneure, darunter Zhang Zhidong, Yuan Shikai, Liu Kunyi und Li Hongzhang, sich zum gegenseitigen Schutz Südostchinas zusammengeschlossen hatten und sich demnach weigerten, die Kriegserklärung Cixis zu befolgen; sie hielten ihre Armeen und Provinzen gänzlich aus dem Krieg heraus.
Peking, Tianjin und die Provinz Zhili (die heutige Provinz Hebei) wurden mehr als ein Jahr lang von einem internationalen Expeditionskorps unter dem Kommando des deutschen Generals Alfred von Waldersee besetzt. Die Amerikaner und Briten bezahlten General Yuan Shikai und seine Armee, um den Vereinigten acht Staaten bei der Niederschlagung der Boxer zu helfen. Yuan Shikais Truppen töteten bei ihrem Feldzug gegen die Boxer in den Provinzen Zhili und Shandong Zehntausende von Menschen, nachdem die Allianz Peking erobert hatte. Yuan operierte während des Feldzugs, der 1902 endete, von Baoding aus. Auch Li Hongzhang befahl seinen Soldaten, Boxer zu töten, um die Allianz zu unterstützen.
Der deutsche Kaiser Wilhelm II. hatte unverzüglich auf den Vorschlag einer gemeinsamen Militäraktion europäischer Staaten reagiert, weil sich in diesem Rahmen die verstärkte Rolle des Deutschen Reiches in der Weltpolitik demonstrieren ließ. Auf ihn ging auch die Ernennung Graf von Waldersees zum Oberbefehlshaber zurück. Bei der Verabschiedung eines Teils der deutschen Truppen am 27. Juli in Bremerhaven hielt Wilhelm II. seine berüchtigte Hunnenrede:
Bernhard von Bülow, Reichskanzler Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst und auch der Direktor des Norddeutschen Lloyds unternahmen Anstrengungen, die Verbreitung dieser Brandrede zu verhindern. Langfristig prägte sie den (vor allem in England verwendeten) Begriff the Huns für die Deutschen, der besonders in der Propaganda im Ersten Weltkrieg eine Rolle spielen sollte.
Plünderungen und Gräueltaten
Sawara Tokusuke, ein japanischer Journalist, schrieb in „Verschiedene Notizen über die Boxer“ über die Vergewaltigungen von mandschurischen und mongolischen Bannermädchen, bspw. als der mandschurische Bannermann Yulu vom Hitara-Klan in Yangcun getötet und seine sieben Töchter im Himmelspalast gruppenvergewaltigt wurden. Tochter und Frau des Mongolenbanner-Adligen Chongqi vom Alute-Klan wurden angeblich gruppenvergewaltigt. Mehrere Verwandte, darunter sein Sohn Baochu, brachten sich nach seinem Suizid am 26. August 1900 um. Die zeitgenössischen britischen und amerikanischen Beobachter kritisierten vor allem die deutschen, russischen und japanischen Truppen für ihre Rücksichtslosigkeit und ihre Bereitschaft, Chinesen jeden Alters und jeder Herkunft willkürlich hinzurichten und zum Teil ganze Dörfer niederzubrennen.
Eine Zeitung nannte die Folgen der Belagerung einen „Karneval der antiken Beute“, andere sprachen von einer „Orgie der Plünderung“ durch Soldaten, Zivilisten und Missionare. Diese Charakterisierungen erinnerten an die Plünderung des Alten Sommerpalastes im Jahr 1860 während des Zweiten Opiumkrieges. Ein amerikanischer Diplomat, Herbert G. Squiers, füllte mehrere Eisenbahnwaggons mit Beute und Artefakten. Die britische Gesandtschaft veranstaltete jeden Nachmittag Beuteversteigerungen und verkündete: „Die Plünderungen seitens der britischen Truppen wurden auf die ordentlichste Weise durchgeführt.“ Ein anonymer britischer Offizier bemerkte jedoch: „Es ist eines der ungeschriebenen Gesetze des Krieges, dass eine Stadt, die sich nicht als letzte ergibt und im Sturm genommen wird, geplündert wird.“ Für den Rest der Jahre 1900–1901 veranstalteten die Briten täglich vor dem Haupttor der britischen Gesandtschaft Plünderungsversteigerungen. Viele Ausländer, darunter Claude Maxwell MacDonald und der The Times-Journalist George Ernest Morrison, waren aktive Bieter in der Menge. Viele der geplünderten Gegenstände gelangten nach Europa. Die katholische Erlöserkirche wurde zum „Verkaufsraum für gestohlenes Eigentum“. Im Gegensatz zu den anderen Mächten verbot der amerikanische Befehlshaber Adna Chaffee Plünderungen durch amerikanische Soldaten, aber das Verbot war wirkungslos.
Nach einem Bericht des Museums für Asiatische Kunst Berlin gelangten „Tausende von Kunstwerken und anderen Artefakten aus den Plünderungen […] in der Folge direkt oder auch indirekt, zum Beispiel über den Kunsthandel, in deutsche Museumssammlungen, wo sie bis heute aufbewahrt und ausgestellt werden.“ Das Berliner Völkerkundemuseum entsandte den Direktionsassistenten Friedrich Wilhelm Karl Müller vom April bis September 1901 nach Peking, um dort Einkäufe zu tätigen. Im November 2021 startete ein gemeinsames Projekt von sieben Museen in Deutschland mit Förderung durch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste mit dem Ziel, sowohl Sammlungsbestände aus dem Kontext des „Boxerkrieges“ als auch Personen zu untersuchen, die „in Raub, Transport und Handel [von Objekten] verwickelt waren.“ Dabei soll neben Provenienzforschung auch ein methodologischer Leitfaden für eine Aufarbeitung dieser Objekte in nationalen wie internationalen Museen entstehen.
Einige westlichen Missionare beteiligten sich aktiv an der Forderung nach Vergeltung. Um Missionare und chinesische Christen zu entschädigen, führte ABCFM-Führer William Scott Ament amerikanische Truppen durch Dörfer und beschlagnahmte das Eigentum derer, die er als Boxer vermutete. Als Mark Twain von der Expedition erfuhr, schrieb er die Streitschrift An den, der da sitzt in der Finsternis und An meine Kritiker aus Missionarskreisen, eine Kritik an den Raubzügen der amerikanischen Missionare. Während eines Großteils des Jahres 1901 war von den Raubzügen auf den Titelseiten zu lesen, wobei die meisten Artikel vernichtend ausfielen.
Ein historischer Bericht behauptete, japanische Truppen seien erstaunt darüber gewesen, dass andere Truppen der Allianz Zivilisten vergewaltigten. Die meisten historischen Schriften stellten dagegen fest, dass japanische Truppen „ohne Gnade plünderten und brandschatzten“ und dass „chinesische Frauen und Mädchen zu Hunderten Selbstmord begingen, um einem noch schlimmeren Schicksal in den Händen der russischen und japanischen Bestien zu entgehen.“ Roger Keyes, der den britischen Zerstörer Fame kommandierte und die Gaselee-Expedition begleitete, widersprach der brutalen Darstellung der Japaner. Die Japaner hätten sogar eigene Prostituierte an die Front gebracht, um ihre Soldaten von der Vergewaltigung chinesischer Zivilisten abzuhalten. Der Journalist E. J. Dillon vom The Daily Telegraph berichtete, er habe die verstümmelten Leichen von chinesischen Frauen gesehen, die von den französischen Truppen der Allianz vergewaltigt und getötet worden waren. Der französische Kommandeur wies die Vergewaltigungen entschieden zurück und schrieb die Toten der „Tapferkeit der französischen Soldaten“ zu. Der irische Korrespondent George Lynch sagte als Bestätigung der Gräueltaten:
Das „Boxerprotokoll“
Nach der Einnahme Pekings durch die ausländischen Armeen sprachen sich einige Berater der Kaiserinwitwe Cixi dafür aus, den Krieg fortzusetzen. Sie argumentierten, dass China die Ausländer hätte besiegen können, da die Einnahme Pekings und Tianjins durch die Alliierten nur durch „korrupte, illoyale Chinesen“ möglich gewesen sei. Die Kaiserinwitwe war jedoch praktisch veranlagt und entschied, die Bedingungen anzunehmen, wenn sie nach dem Krieg weiter regieren dürfte und wenn China nicht zum Abtritt weiterer Gebiete gezwungen werden würde.
Am 7. September 1901 stimmte der kaiserliche Hof der Unterzeichnung des „Boxerprotokolls“ zu, das auch als „Friedensabkommen zwischen den Vereinigten acht Staaten und China“ bekannt ist. Das Protokoll ordnete die Hinrichtung von zehn hochrangigen Beamten an, die mit dem Ausbruch in Verbindung standen. Gegengezeichnet wurde das Protokoll unter anderem von den Diplomaten Alfons Mumm von Schwarzenstein (Deutschland), Ernest Satow (Vereinigtes Königreich) und Komura Jutarō (Japan).
China wurde für die von ihm verursachten Verluste zu einer Kriegsentschädigung von 450.000.000 Tael Feinsilber verurteilt (sog. „Boxerentschädigung“). Die Entschädigung sollte bis 1940, also innerhalb von 39 Jahren, in Höhe von 982.238.150 Tael, einschließlich Zinsen (4 % pro Jahr), gezahlt werden. Um die Zahlung zu erleichtern, wurde vereinbart, den bestehenden Zolltarif von derzeit 3,18 auf 5 Prozent zu erhöhen und bisher zollfreie Waren zu besteuern. Die Summe der Reparationen wurde auf die chinesische Bevölkerung (etwa 450 Millionen im Jahr 1900) umgelegt, so dass jeder Chinese einen Tael zahlen musste. Die chinesischen Zolleinnahmen und die Salzsteuer wurden als Garantie für die Reparationszahlungen herangezogen. China zahlte von 1901 bis 1939 668.661.220 Tael Silber, was im Jahr 2010 auf der Grundlage der Kaufkraftparität in etwa 54 Milliarden Euro entspricht.
Ein großer Teil der an die Vereinigten Staaten gezahlten Reparationszahlungen wurde für die Ausbildung chinesischer Studenten an US-Universitäten im Rahmen des „Boxer Indemnity Scholarship Program“ (BISP) abgezweigt. Zur Vorbereitung der für dieses Programm ausgewählten Studenten wurde ein Institut eingerichtet, das die englische Sprache lehren und als Vorbereitungsschule dienen sollte. Aus diesem Institut ging die Tsinghua-Universität Peking hervor.
Da das ausländische evangelikalische Missionswerk OMF International durch die Boxer stark beschädigt wurde – 58 Erwachsene und 21 Kinder wurden getötet, außerdem zahlreiches Eigentum zerstört – forderten deutsche Diplomaten im Jahr 1901, dass das Boxerprotokoll um weitere Entschädigung für das Missionswerk ergänzt wird. Dies wurde jedoch aufgrund einer Intervention des Vorsitzenden, Hudson Taylor, mit der Begründung verhindert, Jesus Christus würde den Chinesen „seine Sanftmut und Milde“ auch ohne Zahlungen demonstrieren. Das Missionswerk blieb auch Jahre später ein großes Feindbild der chinesischen Regierung. Als Mao Zedong im Jahr 1949 die Volksrepublik China ausrief, mussten auch die verbliebenen Missionare das Land innerhalb von wenigen Jahren verlassen.
Neben den Hinrichtungen und den Entschädigungen stellte das „Boxerprotokoll“ noch Folgendes fest:
Die chinesische Regierung muss sich öffentlich für die Morde an ausländischen Diplomaten (neben Ketteler auch der japanische Gesandtschaftssekretär Graf Akira Sugiyama) entschuldigen und ein Denkmal für Ketteler („Ketteler-Bogen“) errichten.
Die Beamtenprüfung muss in allen Städten, in denen Ausländer getötet worden waren, für fünf Jahre ausgesetzt werden.
Es dürfen keine weiteren Waffen gekauft und eingeführt werden.
Das Gesandtschaftsviertel muss ausschließlich für Ausländer reserviert werden. Jeder Eintritt von Chinesen in das Viertel muss bestraft werden.
Es müssen ausländische Stützpunkte an der Bahnstrecke zwischen Peking und Taku-Forts errichtet werden.
Es muss ein modernes Außenministerium mit Vorrang vor allen anderen Ministerien eingerichtet werden.
Ausländerfeindliche Organisationen müssen durch Gesetz mit der Todesstrafe verboten werden.
Der kotau (, pinyin kētóu) – eine tiefe Verbeugung und Ehrenbezeigung – muss für ausländische Diplomaten abgeschafft werden.
Ein weiterer, als besonders demütigend eingeschätzter, Punkt war die sogenannte „Deutsche Sühnemission“. Der chinesische Prinz Zaifeng, Vater des letzten Kaisers Puyi, musste sich persönlich und auf Knien robbend in Berlin für den Mord an Ketteler entschuldigen. Die Qing-Regierung widersetzte sich diesem erniedrigenden Akt zumindest partiell, indem ausgehandelt wurde, dass der Akt nicht vor Kaiser Wilhelm II. ausgeführt werden muss. Der Sühneakt geschah stattdessen am 4. September 1901 im Neues Palais, Potsdam bei Ausschluss der Öffentlichkeit. Aufgrund solcher retrospektiv klar einseitigen Forderungen wird das „Boxerprotokoll“ von einigen Historikern den Ungleichen Verträgen zugerechnet.
Die Qing-Regierung kapitulierte nicht vor allen ausländischen Forderungen. So wurde zwar der Mandschu-General Yuxian hingerichtet, nicht jedoch der han-chinesische General Dong Fuxiang, obwohl auch er seine Gansu-Krieger zur Tötung von Ausländern gesandt hatte. Stattdessen führte er ein Leben in Luxus im „Exil“ seiner Heimatprovinz Gansu. Nach Dongs Tod im Jahr 1908 wurden alle Ehren, die ihm entzogen worden waren, wiederhergestellt und er erhielt – trotz Widerstand der Fremdmächte – ein vollständiges Militärbegräbnis.
Langfristige Auswirkungen
Einflussverlust europäischer Großmächte und Dominanz Japans
Die europäischen Großmächte gaben schließlich ihre Ambitionen auf, China zu kolonisieren. Aus den Boxeraufständen hatten sie gelernt, dass der beste Weg, mit China zu verhandeln, über die herrschende Dynastie und nicht direkt mit dem chinesischen Volk war. Es entstand das Sprichwort: „老百姓怕官,官怕洋鬼子,洋鬼子怕老百姓“ (Deutsch: „Das Volk hat Angst vor den Beamten, die Beamten haben Angst vor den Ausländern und die Ausländer haben Angst vor dem Volk.“) Sie unterstützten sogar kurzzeitig die Qing in ihrem Krieg gegen die Japaner, um eine japanische Vorherrschaft in der Region zu verhindern.
Gleichzeitig markiert dieser Zeitraum das Ende der Einmischung europäischer Großmächte in chinesische Angelegenheiten. Die Japaner hatten die Europäer aufgrund ihrer einseitigen Beteiligung am Krieg gegen die Boxer und ihres Sieges im Ersten Chinesisch-Japanischen Krieg als dominierende Macht abgelöst. Dieser Stand festigte sich mit der chinesischen Xinhai-Revolution im Jahr 1911: Mit dem hieraus resultierenden Sturz der Qing, der Abschaffung des Kaisertums und dem Aufstieg der nationalistischen Kuomintang wurde die europäische Herrschaft in China auf einen symbolischen Status reduziert. Nach der Eroberung der Mandschurei im Jahr 1905 dominierte Japan die asiatischen Angelegenheiten militärisch und kulturell. Viele chinesische Gelehrte wurden in Japan ausgebildet, das prominenteste Beispiel ist Sun Yat-sen, der erste provisorische Präsident der Republik und „Vater des modernen Chinas.“
Russisch-Japanischer Krieg
Im Oktober 1900 besetzte Russland die Provinzen der Mandschurei; ein Schritt, der die anglo-amerikanischen Hoffnungen auf die Aufrechterhaltung der Offenheit des Landes für den Handel (sog. „Politik der offenen Tür“) bedrohte.
Japans Auseinandersetzungen mit Russland über Liaodong und anliegende Provinzen in der Ostmandschurei waren darauf zurückzuführen, dass Russland die Bedingungen des Boxerprotokolls – ein Rückzug der russischen Truppen – nicht einhielt. Nachdem zweijährige Verhandlungen darüber im Februar 1904 gescheitert waren, kam es zum Russisch-Japanischen Krieg. Japan besiegte Russland – der erste bedeutsame Sieg einer asiatischen über eine europäische Großmacht in der Moderne.
Umfangreiche inländische Reformen („Neue Qing-Politik“)
Neben der Entschädigung leitete die Kaiserinwitwe Cixi entgegen ihren früheren Ansichten widerwillig Reformen ein. Unter dem Namen „Neue Qing-Politik“, die 1901 begann, wurde das kaiserliche Prüfungssystem für den Staatsdienst abgeschafft und die Bildung mit chinesischen Klassikern durch ein europäisches liberales System ersetzt; heißt: Ein Bildungssystem, das am Ende zu einem Universitätsabschluss führte. Neben der Bildung neuer Militär- und Polizeiorganisationen vereinfachten die Reformen auch die zentrale Bürokratie und begannen mit einer Neuordnung der Steuerpolitik. Nach dem Tod von Kaiser Guangxu (14. November 1908) und von Cixi (15. November 1908) leitete der Prinzregent Zaifeng weitere Reformen ein.
Einflussverlust und Sturz der Qing
Die Folgen für China waren eine Schwächung der Dynastie und der nationalen Verteidigungsfähigkeit. Die Regierungsstruktur wurde vorübergehend von den Europäern aufrechterhalten. Hinter dem internationalen Konflikt vertieften sich die internen ideologischen Differenzen zwischen den nordchinesischen ausländerfeindlichen Qing-Befürwortern und den südchinesischen Anti-Qing-Revolutionären weiter. Das Szenario in den letzten Jahren der Qing-Dynastie eskalierte allmählich zu einer chaotischen Kriegsherrenzeit zwischen den mächtigen nördlichen Warlords und den südlichen Anti-Qing-Revolutionären. Letztendlich konnten sich die Qing nie wieder rehabilitieren; im Nord-Süd-Konflikt errangen die südchinesischen Revolutionäre die Überhand und stürzten das Kaisersystem in der Xinhai-Revolution von 1911. Auch nach der Revolution und dem daraus folgenden Ausruf der Republik China hielt die Rivalität an: Sie wurde erst vollständig gelöst, als die nördlichen Kriegsherren durch den Nordfeldzug der Kuomintang (1926–1928) besiegt wurden. Vor der endgültigen Niederschlagung des Boxeraufstands waren alle gegen die Qing gerichteten Bewegungen des vorangegangenen Jahrhunderts, wie etwa der Taiping-Aufstand, von den Qing erfolgreich unterdrückt worden.
Stärkung der War-Powers des US-Präsidenten
Der Historiker Walter LaFeber vertrat die Ansicht, dass die Entscheidung von Präsident William McKinley, 5.000 amerikanische Soldaten zur Niederschlagung des Aufstands zu entsenden, „den Ursprung der modernen Kriegsbefugnisse des Präsidenten“ (sog. „War Powers“) markiert:
Arthur M. Schlesinger stimmte dem zu und schrieb:
Hintergrund für diesen Konflikt ist die widersprüchliche Kompetenzzuweisung in der Verfassung der Vereinigten Staaten, nach der der Kongress das Recht zur Kriegserklärung innehat (Artikel I, Absatz 8), der Präsident aber Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist (Artikel II, Abs. 2). Unklar ist daher, in welchem Umfang der Präsident als Oberbefehlshaber das Recht hat, Streitkräfte in bewaffneten Konflikten ohne Zustimmung des Kongress einzusetzen. Mit dem Boxeraufstand wurde die Kompetenz zum ersten Mal in der Geschichte einseitig zugunsten des Präsidenten interpretiert. Der Konflikt gilt bis heute, trotz dem Erlass der War Powers Resolution, als ungelöst.
Rufschädigung des Deutschen Reiches
Mit der Hunnenrede stieß Wilhelm II. besonders im Ausland auf Kritik. Dabei wurde der Vergleich mit den Hunnen auch in Deutschland als Metapher für grausame Kriegsführung herangezogen. In deutschen Zeitungen abgedruckte Soldatenbriefe, die über Ausschreitungen während des Einsatzes in China berichteten, wurden als „Hunnenbriefe“ bezeichnet. In Stuttgart kam es darauf im November 1901 zu politischen Prozessen (Sog. Hunnenbrief-Prozesse) gegen Zeitungsredakteure. Und der Reichstagsabgeordnete Friedrich Naumann erhielt wegen seiner Verteidigung der Militärintervention in China den Spitznamen „Hunnenpastor“. Der freisinnige Abgeordnete Eugen Richter verurteilte am 20. November 1900 im Reichstag das Vorgehen der deutschen Truppen in China, das durch die Bemerkungen des Kaisers angestachelt worden war. Die Hunnenrede ist insofern bemerkenswert, als in ihr ein Staatsoberhaupt seine Soldaten in aller Öffentlichkeit zu Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen auffordert.
Große Wirkung entfaltete die „Hunnenrede“ während des Ersten Weltkriegs, als britische Kriegspropaganda die „Hunnen“-Metapher aufgriff und als Synonym für die Deutschen und ihr als barbarisch bezeichnetes Verhalten verwendete. In Großbritannien prägte die Rede den Begriff The huns für die Deutschen. Von Großbritannien requirierte deutsche Handelsdampfer wurden als „Hunnendampfer“ bezeichnet.
Selbst heute, weit über 100 Jahre nach der Rede, wird das deutschenfeindliche Klischeebild des hässlichen Deutschen als Abwandlung des „hässlichen Hunnen“ benutzt, um Deutsche als Inbegriff der Grausamkeit und Empathielosigkeit zu charakterisieren. Neuere Beispiele sind der Steuerstreit zwischen der Schweiz und Deutschland im Jahr 2009, die Griechische Staatsschuldenkrise im Jahr 2015 und die Seenotrettung im Jahr 2019.
Kontroversen und wechselnde Ansichten über die Boxer
Von Anfang an gab es unterschiedliche Auffassungen darüber, ob die Boxer besser als antiimperialistisch, patriotisch und proto-nationalistisch oder als unzivilisierte, irrationale und nutzlose Gegner des unvermeidlichen Wandels gesehen werden sollten. Der Historiker Joseph W. Esherick merkt an, dass „die Verwirrung über den Boxeraufstand nicht einfach eine Frage der falschen Vorstellungen des Volkes ist“, denn „es gibt kein größeres Ereignis in der modernen Geschichte Chinas, bei dem die Bandbreite der professionellen Interpretationen so groß ist.“
Chinesische Liberale wie Hu Shi verurteilten die Boxer wegen ihrer Irrationalität und Barbarei. Sun Yat-sen, der Gründervater der Republik China und der Kuomintang, glaubte zunächst, dass die Boxerbewegung durch Gerüchte der Qing-Regierung geschürt worden war, die „Verwirrung in der Bevölkerung stifteten“. Sun lobte die Boxer für ihren „Widerstandsgeist“, nannte sie jedoch auch „Banditen“. Studenten teilten eine zwiespältige Haltung gegenüber den Boxern und erklärten, dass der Aufstand zwar von den „unwissenden und starrköpfigen Menschen im Landesinneren“ ausging, ihre Überzeugungen jedoch „mutig und rechtschaffen“ waren und „in eine bewegende Kraft für die Unabhängigkeit umgewandelt werden konnten“. Nach dem Sturz der Qing-Dynastie im Jahr 1911 zeigten nationalistische Chinesen mehr Sympathie für die Boxer. Im Jahr 1918 lobte Sun ihren Kampfgeist und bezeichnete die Boxer als „mutig“ und „furchtlos im Kampf bis zum Tod“ gegen die Armeen der Allianz. Der Vorsitzende der Bewegung für eine Neue Kultur, Chen Duxiu, verzieh die „Barbarei der Boxer […] angesichts der Verbrechen, die Ausländer in China begangen haben“ und behauptete, dass es diejenigen waren, die „den Ausländern untertänig sind“, die wirklich „unseren Groll verdienten“.
In anderen Ländern waren die Ansichten über die Boxer komplex und umstritten. Mark Twain sagte, dass „der Boxer ein Patriot (ist). Er liebt sein Land mehr als die Länder anderer Menschen. Ich wünsche ihm Erfolg.“ Auch der russische Schriftsteller Leo Tolstoi lobte die Boxer und beschuldigte Nikolaus II. (Russland) und Wilhelm II. (Deutschland), die Hauptverantwortlichen für die Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde und „christliche Brutalität“ der russischen und westlichen Truppen zu sein. Der russische Revolutionär Wladimir Lenin spottete über die Behauptung der russischen Regierung, sie würde die christliche Zivilisation schützen:
Der indische Bengali Rabindranath Tagore griff die europäischen Kolonialisten an. Eine Reihe indischer Soldaten in der britisch-indischen Armee sympathisierte mit den Boxern und 1994 gab das indische Militär eine von britischen Soldaten geplünderte Glocke aus dem Himmelstempel an China zurück.
Auch einige amerikanische Kirchenmänner sprachen sich für die Boxer aus. Der Evangelist George F. Pentecost sagte:
Die russische Zeitung Amurskii Krai kritisierte die Tötung unschuldiger Zivilisten und warf vor, dass „Zurückhaltung, Zivilisation und Kultur“ anstelle von „Rassenhass und Zerstörung“ einer „zivilisierten christlichen Nation“ angemessener gewesen wären. Das Papier fragte: „Was sollen wir zivilisierten Menschen sagen? Wir werden zu ihnen sagen müssen: 'Betrachtet uns nicht mehr als Brüder. Wir sind gemeine und schreckliche Menschen; wir haben diejenigen getötet, die sich bei uns versteckt haben, die unseren Schutz gesucht haben.'“
Auch viele Jahre später war das Bild der Boxer noch prominent. Der Historiker Robert Bickers stellte fest, dass der Boxeraufstand für die britische Regierung das „Äquivalent zur indischen 'Meuterei'“ war und die Ereignisse des Aufstands die Vorstellung von der Gelben Gefahr in der britischen Öffentlichkeit beeinflussten. Spätere Ereignisse, so fügt er hinzu, wie die chinesische nationalistische Revolution in den 1920er Jahren und sogar die Aktivitäten der Roten Garde in den 1960er Jahren, wurden als „im Schatten der Boxer stehend“ wahrgenommen.
In Taiwan und Hongkong stellen die Geschichtsbücher die Boxer oft als irrational dar, während die Lehrbücher der Zentralregierung in Festlandchina die Boxerbewegung als eine antiimperialistische, patriotische Bauernbewegung beschrieben, die an der mangelnden Führung durch die moderne Arbeiterklasse scheiterte; die internationale Armee wird als „Invasionsmacht“ bezeichnet. In den letzten Jahrzehnten haben jedoch groß angelegte Projekte zur Befragung von Dorfbewohnern und zur Erforschung von Archivquellen dazu geführt, dass Historiker in China eine differenziertere Sichtweise einnehmen. Einige nicht-chinesische Wissenschaftler wie Joseph W. Esherick sehen die Bewegung als antiimperialistisch an, während andere den Begriff „nationalistisch“ für anachronistisch halten, da die chinesische Nation noch nicht entstanden war und die Boxer sich eher mit regionalen Fragen befassten. Die jüngste Studie von Paul Cohen enthält einen Überblick über „die Boxer als Mythos“, der zeigt, wie die Erinnerung an die Boxer im China des 20. Jahrhunderts von der Bewegung für eine Neue Kultur bis zur Kulturrevolution auf unterschiedliche Weise genutzt wurde.
In den letzten Jahren wurde die Boxerfrage in der Volksrepublik China debattiert. Der kritische Gelehrte Wang Yi vertrat 1998 die Ansicht, dass die Boxer gemeinsame Merkmale mit dem „Extremismus der Kulturrevolution“ aufwiesen. Beide Ereignisse hatten das äußere Ziel, „alle Schädlinge zu beseitigen“ und das innere Ziel, „schlechte Elemente jeglicher Art zu eliminieren“; außerdem wurzele die Beziehung im „kulturellen Obskurantismus“. Wang erläuterte seinen Lesern die Veränderungen in der Haltung gegenüber den Boxern von der Verurteilung der Bewegung des vierten Mai bis zur Zustimmung Mao Zedongs während der Kulturrevolution. Im Jahr 2006 schrieb Yuan Weishi, Professor für Philosophie an der Sun-Yat-sen-Universität in Guangzhou, dass „die Boxer durch ihre kriminellen Handlungen unsagbares Leid über die Nation und ihr Volk gebracht haben! Das sind alles Tatsachen, die jeder weiß, und es ist eine nationale Schande, die das chinesische Volk nicht vergessen kann“. Yuan warf den Geschichtslehrbüchern mangelnde Neutralität vor, da sie den Boxeraufstand als „großartige Leistung des Patriotismus“ darstellten und nicht thematisierten, dass die meisten Boxerrebellen gewalttätig waren. Daraufhin wurde Yuan Weishi von vielen Politikern und Einwohnern als „Verräter“ (, pinyin Hànjiān) bezeichnet.
Terminologien
Die ersten Berichte aus China aus dem Jahr 1898 bezeichneten die Dorfaktivisten als „Yihequan“ (Wade-Giles: „I Ho Ch'uan“). Die erste bekannte Verwendung des Begriffs „Boxer“ findet sich in einem Brief, der im September 1899 von der Missionarin Grace Newton in Shandong geschrieben wurde. Aus dem Kontext des Briefes geht hervor, dass „Boxer“ zum Zeitpunkt der Abfassung des Briefes bereits ein bekannter Begriff war, der möglicherweise von Arthur H. Smith und Henry Porter, zwei Missionaren, die sich ebenfalls in Shandong aufhielten, geprägt wurde. Smith sagt in seinem Buch von 1902:
Am 6. Juni 1900 verwendete die Londoner Zeitschrift The Times den Begriff „Rebellion“ in Anführungszeichen; vermutlich um darauf anzuspielen, dass der Aufstand in Wirklichkeit von Kaiserinwitwe Cixi angezettelt worden war. Der Historiker Lanxin Xiang bezeichnet den Aufstand als „so genannte 'Boxer-Rebellion'“ und stellt fest, dass „ein Bauernaufstand in der chinesischen Geschichte nichts Neues (war); ein Krieg gegen die mächtigsten Staaten der Welt aber schon.“ Der Name Boxeraufstand, so folgert Joseph W. Esherick, ein weiterer zeitgenössischer Historiker, ist in der Tat eine „Fehlbezeichnung“, denn die Boxer „rebellierten nie gegen die Mandschu-Herrscher Chinas und ihre Qing-Dynastie“, und „der gängigste Slogan der Boxer während der gesamten Geschichte der Bewegung war 'Unterstützt die Qing, vernichtet das Fremde'; wobei mit 'fremd' eindeutig die fremde Religion, das Christentum, und seine chinesischen Konvertiten ebenso gemeint waren wie die Ausländer selbst.“ Er fügt hinzu, dass erst nach der Niederschlagung der Bewegung durch die alliierte Intervention sowohl die ausländischen Mächte als auch einflussreiche chinesische Beamte erkannten, dass die Qing als Regierung Chinas bestehen bleiben mussten, um die Ordnung aufrechtzuerhalten und Steuern für die Entschädigung einzutreiben. Um das Gesicht der Kaiserinwitwe und der Mitglieder des kaiserlichen Hofes zu wahren, behaupteten alle, dass die Boxer Rebellen seien und dass die einzige Unterstützung, die die Boxer vom kaiserlichen Hof erhielten, von einigen wenigen Mandschu-Fürsten stamme. Esherick kommt zu dem Schluss, dass der Ursprung des Begriffs Rebellion „rein politisch und opportunistisch“ war; dennoch hat er sich bemerkenswert lange gehalten, vor allem in der populären Darstellung.
Andere neuere westliche Werke bezeichnen den Aufstand als „Boxerbewegung“ oder „Boxerkrieg“, während chinesische Studien ihn als „义和团运动“ (pinyin: „Yihetuan yundong“), d. h. als „Yihetuan-Bewegung“ bezeichnen. In seiner Erörterung der allgemeinen und rechtlichen Implikationen der betreffenden Terminologie stellt der deutsche Wissenschaftler Thoralf Klein fest, dass es sich bei allen Begriffen, einschließlich der chinesischen, um „posthume Interpretationen des Konflikts“ handelt. Er argumentiert, dass jeder Begriff, sei es „Aufstand“, „Rebellion“ oder „Bewegung“, eine andere Definition des Konflikts impliziert. Selbst der Begriff „Boxerkrieg“, der von westlichen Wissenschaftlern häufig verwendet wurde, wirft Fragen auf. Da der Krieg nie erklärt wurde, verhielten sich die alliierten Truppen wie Soldaten, die eine Strafexpedition im kolonialen Stil durchführten und nicht wie Soldaten, die einen erklärten Krieg mit rechtlichen Beschränkungen führten. Die Alliierten machten sich die Tatsache zunutze, dass China das auf der Haager Friedenskonferenz von 1899 unterzeichnete Schlüsseldokument „Haager Landkriegsordnung“ nicht unterzeichnet hatte. Sie argumentierten, China habe gegen die Bestimmungen verstoßen; derweil ignorierten sie sie selbst.
Rezeption
In China
In den frühen Jahren der Republik China überwogen unter den Intellektuellen der Neuen Kulturbewegung eher negative Einschätzungen der Boxerbewegung und ihrer Ziele. Betont wurden die abergläubischen Elemente der Boxerbewegung, die als Symbol für die Rückständigkeit der chinesischen Gesellschaft gegenüber dem Westen aufgefasst wurden. Dies setzte die zeitgenössische Bewertung chinesischer Gelehrter fort. Ab Mitte der 1920er Jahre begann sich dieses Bild zu wandeln, und die revolutionären, patriotischen und antiimperialistischen Aspekte des Boxeraufstands wurden nun mehr in den Vordergrund gestellt, obwohl das faktische Bündnis der Boxer mit der Qing-Dynastie weiterhin abgelehnt wurde. Nach dem Sieg der Kommunisten im Bürgerkrieg 1949 wurde dies vollends zur offiziellen Lesart. Es kam zu einer Glorifizierung und Überhöhung der Boxer, die gar als Vorläufer des Kommunismus betrachtet wurden. Einen Höhepunkt erreichte die Heldenverehrung und Mythologisierung zur Zeit der Kulturrevolution (1966–1976). Insbesondere die „Leuchtenden Roten Laternen“ wurden in dieser Zeit zum Vorbild stilisiert.
Ein gefälschtes Dokument zum Boxeraufstand: Edmund Backhouse und das „Tagebuch des Jingshan“
Der Brite Sir Edmund Backhouse verschaffte sich über die Legende eines Privatgelehrten und Sammlers historischer Texte und Dokumente seit 1898 Zugang zu den Eunuchen am kaiserlichen Hof. Seine Informationen „verarbeitete“ er nach dem Boxeraufstand zu zwei Propaganda-Traktaten, die die spätere „Strafexpedition“ nachträglich rechtfertigten („Berichte und Memoiren vom Hof in Peking“, „China unter der Kaiserinwitwe“). Als vorgebliche „Quelle“ fertigte Backhouse einen chinesischen Text – das angebliche „Tagebuch des Jingshan“, eines hochrangigen Beamten am Pekinger Hof –, der die Entschlossenheit der Pekinger Kriegspartei und besonders der Kaiserinwitwe selbst dokumentieren sollte, die Ausländer in China zu vernichten. Erst 1976 enthüllte der britische Historiker Hugh Trevor-Roper, dass es sich bei diesem Text um eine Fälschung handelte. Zwar konnte Backhouse’ Fälschung auf den Kriegsverlauf in keiner Weise Einfluss nehmen – schon deshalb nicht, weil ihr Autor ja selbst in Peking eingeschlossen war. Diana Preston stellt fest, es habe Jahre gedauert, bis das angebliche Tagebuch des Jingshan „ans Licht der Öffentlichkeit kam.“ Es prägte jedoch über viele Jahrzehnte die öffentliche Wahrnehmung des Krieges in Europa und Nordamerika.
Straßennamen in Deutschland
In Deutschland haben etliche Straßennamen einen Bezug zum Boxeraufstand. In Berlin wurden die Takustraße nach den durch die Alliierten beschossenen Taku-Forts benannt, die Iltisstraße nach dem beim Boxeraufstand eingesetzten deutschen Kanonenboot Iltis und die Lansstraße nach Wilhelm von Lans, dem Kommandanten dieses Kanonenboots. Trotz jahrzehntelanger Forderungen, die Straßennamen zu ändern, weil sie Kolonialismus und Kriegsverbrechen wie Plünderungen und Vergewaltigungen heroisierten, wurden die Namensänderungen nicht durchgeführt, sondern eine Stele errichtet, die den historischen Kontext erläutert.
Zeitgenössische Rezeption
Um 1900 hatten sich zahlreiche neue Medien herausgebildet, darunter illustrierte Zeitungen und Zeitschriften, Postkarten, Breitseiten und Anzeigen, die allesamt Bilder der Boxer und der einmarschierenden Armeen zeigten. In der ausländischen illustrierten Presse wurde der Aufstand von Künstlern und Fotografen begleitet. Es wurden auch Gemälde und Drucke veröffentlicht, darunter japanische Holzschnitte. In den folgenden Jahrzehnten waren die Boxer ein ständiges Thema für Kommentare. Anbei eine Auswahl.
Film
Beheading the Chinese Prisoner, USA 1900, Regie: Siegmund Lubin.
Alarm in Peking. D 1937, Regie: Herbert Selpin, Produktion Minerva-Tonfilm GmbH, Uraufführung am 20. August 1937 Ufa-Palast am Zoo, Berlin.
Der Monumentalfilm 55 Tage in Peking von 1963 unter der Regie von Nicholas Ray mit Charlton Heston, Ava Gardner und David Niven in den Hauptrollen, behandelt den Boxeraufstand.
1975 produzierte das Hongkonger Studio Shaw Brothers den Film Aufstand in Peking (; pinyin: bāguó liánjūn) unter der Regie von Chang Cheh. Eine Geschichte über Desillusionierung und Rache.
Hongkongs Shaw Brothers Legendary Weapons of China (1981) vom Regisseur Lau Kar Leung ist eine Komödie mit Hsiao Ho in der Hauptrolle als desillusionierter Boxer, der den ehemaligen Anführer eines mächtigen Boxerclans ermorden soll, weil dieser sich weigert, seinen Schülern vorzumachen, sie seien unempfindlich gegen Schusswaffen.
In den Fernsehserien Buffy – Im Bann der Dämonen und Angel – Jäger der Finsternis gibt es mehrere Rückblenden auf den Boxeraufstand. Während des Konflikts tötet Spike seine erste Jägerin, um Drusilla zu beeindrucken, und Angel trennt sich entschlossen von Darla.
Der Film Shanghai Knights (2003) mit Jackie Chan und Owen Wilson in den Hauptrollen spielt im Jahr 1887 und zeigt Boxer als Handlanger des Antagonisten des Films, des englischen Lord Rathbone (Aidan Gillen), die entweder als Söldner für Rathbone arbeiten oder ihm im Rahmen ihrer Unterstützung für den antiimperialistischen Führer Wu Chow (Donnie Yen), Rathbones Verbündeten, helfen.
Imperium: Die letzten Tage von Peking. Dokudrama, 45 Min., Produktion: ZDF, Erstsendung: 21. Mai 2006.
Peking 1900 – Aufstand der Boxer. Dokudrama, 52 Min., Regie: Tilman Remme, D 2008. Eine auf 40 Min. gekürzte Version ist unter dem Titel Gefangen in Peking – Aufstand der Boxer ausgestrahlt worden.
Der Boxeraufstand ist der historische Hintergrund für die Folge „Kung Fu Crabtree“ (Staffel 7, Folge 16, ausgestrahlt am 24. März 2014) der Fernsehserie Murdoch Mysteries – Auf den Spuren mysteriöser Mordfälle, in der chinesische Beamte im Jahr 1900 Toronto besuchen, um Boxern aufzusuchen, die aus China geflohen sind.
Videospiel
Im Videospiel BioShock Infinite aus dem Jahr 2013 war der Boxeraufstand ein wichtiger historischer Moment für die fliegende Stadt Columbia. In dem Bemühen, amerikanische Geiseln während des Aufstands zu retten, eröffnete Columbia das Feuer auf die Stadt Peking und brannte sie nieder. Diese Aktionen führten dazu, dass die Vereinigten Staaten Columbia zurückriefen, was zur Abspaltung der Stadt von der Union führte.
Bühne
In dem polnischen Theaterstück Die Hochzeit von Stanisław Wyspiański, das am 16. März 1901, also noch vor der endgültigen Niederschlagung des Aufstands, uraufgeführt wurde, stellt die Figur des Czepiec dem Journalisten eine der bekanntesten Fragen in der Geschichte der polnischen Literatur: „Cóż tam, panie, w polityce? Chińczyki trzymają się mocno!?“ (deutsch: „Wie sieht es in der Politik aus, mein Herr? Halten die Chinesen stand?“).
Der Illusionist William Ellsworth Robinson (alias Chung Ling Soo) hatte einen Kugelfangtrick mit dem Titel „Von den Boxern zum Tode verurteilt“, der bekanntlich zu seinem Tod auf der Bühne führte.
Bruno Frank: Die verbotene Stadt. Ein Schauspiel in drei Akten. Basel 1940.
Romane / Fiktion
Liu Es Die Reisen des Lao Can (1903) zeigt einen Beamten, der versucht, Reformen durchzuführen und stellt die Boxer als sektiererische Rebellen dar.
George Alfred Henty stellt die Boxer im 1903 veröffentlichten Roman With the Allies to Pekin, a Tale of the Relief of the Legations als „eine Bande von Rüpeln“ dar.
Das gefälschte Tagebuch, Diary of his Excellency Ching-Shan: Being a Chinese Account of the Boxer Troubles, geschrieben von Edmund Backhouse, der behauptete, er habe das Dokument aus einem verbrannten Gebäude geborgen. Es wird vermutet, dass Backhouse das Dokument und andere Geschichten gefälscht hat, aufgrund seiner Neigung zu zweifelhaften Geschichten wie denen der nächtlichen Besuche bei der Kaiserinwitwe Cixi.
In Hergés Comic Tim und Struppi (Der Blaue Lotos) fragt Tims chinesischer Freund Chang Chong-Chen (inspiriert von Zhang Chongren) nach einer Rettungsaktion, warum er ihn vor dem Ertrinken gerettet habe, da nach Ansicht von Changs Onkel, einem Boxer, alle Weißen böse seien.
Der Roman Moment in Peking (1939) von Lin Yutang spielt zur Zeit des Boxeraufstands und zeigt die Unruhen aus der Sicht des Protagonisten.
Tulku, ein Kinderroman von Peter Dickinson aus dem Jahr 1979, schildert die Auswirkungen des Boxeraufstandes in einem abgelegenen Teil Chinas.
Diamond Age (1995) von Neal Stephenson enthält eine quasi-historische Nacherzählung des Boxeraufstandes als integralen Bestandteil des Romans.
Der Roman Der Palast der Himmlischen Freuden (2003) von Adam Williams beschreibt die Erfahrungen einer kleinen Gruppe ausländischer Missionare, Händler und Eisenbahningenieure in einer fiktiven Stadt in Nordchina kurz vor und während des Boxeraufstands.
Die letzte Kaiserin (2007) von Anchee Min beschreibt die lange Regierungszeit der Kaiserinwitwe Cixi, in der die Belagerung der Gesandtschaften einen der Höhepunkte des Romans darstellt.
Mo Yans Die Sandelholzstrafe schildert den Boxeraufstand aus der Sicht der Dorfbewohner.
Die beiden von Gene Luen Yang verfassten und von Lark Pien kolorierten Graphic Novels Boxers and Saints (deutsch: Boxer und Heilige) beschreiben die „Banden ausländischer Missionare und Soldaten“, „die durch die Lande ziehen und chinesische Bauern schikanieren und ausrauben“. Little Bao, „der sich die Kräfte alter chinesischer Götter zunutze macht“, rekrutiert eine Armee von Boxern, „in Kung-Fu ausgebildete Bürger, die kämpfen, um China von 'fremden Teufeln' zu befreien.“
Literatur
Monographien und Sammelbände
Richard O’Connor: Der Boxeraufstand. Gewalt und Tragödie. Heyne Verlag, München, 1980, ISBN 3-453-48064-3.
Gerd Kaminski: Der Boxeraufstand – entlarvter Mythos. Löcker Verlag, Wien 2000, ISBN 3-85409-325-X.
Egbert Kieser: Als China erwachte. Der Boxeraufstand. Bechtle, Esslingen 1984, ISBN 3-7628-0435-4.
Kollektiv für die „Serie der Geschichte des modernen China“ (Hrsg.): Die Yihotuan-Bewegung von 1900. Peking 1978. (= Geschichte des modernen China 1840–1911. Band 3).
Susanne Kuß, Bernd Martin (Hrsg.): Das Deutsche Reich und der Boxeraufstand. Iudicium, München 2002, ISBN 3-89129-781-5.
Mechthild Leutner, Klaus Mühlhahn (Hrsg.): Kolonialkrieg in China. Die Niederschlagung der Boxerbewegung 1900–1901. Links, Berlin 2007, ISBN 978-3-86153-432-7.
Diana Preston: Rebellion in Peking. Die Geschichte des Boxeraufstands. DVA, Stuttgart 2001, ISBN 3-421-05407-X.
Horst Rosteck, Roland Felber: Der „Hunnenkrieg“ Kaiser Wilhelms II. Deutscher Verlag der Wissenschaften, Berlin (DDR) 1987. (Illustrierte historische Hefte Nr. 45)
Gerhard Seyfried: Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer. 2008, ISBN 978-3-8218-5797-8.
S. Noma (Hrsg.): Boxer Rebellion. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 118.
Aufsätze
Ralph Erbar: „Peking muß rasiert werden“. Die europäischen Großmächte und der „Boxeraufstand“ in China 1900/01. In: Praxis Geschichte. 4/1994, S. 12–16.
Tilemann Grimm: Die Boxerbewegung in China 1898–1901. In: Historische Zeitschrift. Bd. 224, München 1977, S. 615–634.
Kuo Heng-yü: Boxerbewegung. In: Wolfgang Franke, Brunhild Staiger: China Handbuch. Eine Veröffentlichung der Deutschen Gesellschaft für Ostasienkunde in Verbindung mit dem Institut für Asienkunde. Gütersloh 1974, Sp. 175–178.
Thoralf Klein: Sühnegeschenke: Der Boxerkrieg. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.): „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft.“ Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast-Verlag, Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2, S. 208–214.
Günter Moltmann, Jürgen Lütt, Bernhard Dahm, Tilemann Grimm: Soziale Protestbewegungen in Asien in der Zeit des Imperialismus. In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht. Bd. 29, Nr. 6, 1978, S. 345–374.
Literatur zu Einzelaspekten
Peter Fleming: Die Belagerung zu Peking. Zur Geschichte des Boxer-Aufstandes. Eichborn, Frankfurt 1997, ISBN 3-8218-4155-9.
Archibald Glover: Tausend Meilen voller Wunder – Die dramatische Flucht von Chinamissionaren zur Zeit des Boxeraufstandes. Betanien, Oerlinghausen 2011, ISBN 978-3-935558-49-5.
Jacobus J. A. M. Kuepers: China und die katholische Mission in Süd-Shantung 1882–1900. Die Geschichte einer Konfrontation. Steyl 1974.
Georg Lehner, Monika Lehner: Österreich-Ungarn und der „Boxeraufstand“ in China. StudienVerlag, Innsbruck u. a. 2002, ISBN 3-7065-1713-2.
Bernd Martin: Soldatische Radikalisierung und Massaker. Das deutsche erste und Zweite Seebataillon im Einsatz im „Boxerkrieg“ in China 1900. In: Militärgeschichtliche Zeitschrift. 69 (2010), , S. 221–241.
Eckard Michels: Das „Ostasiatische Expeditionskorps“ des Deutsche Reiches in China 1900/01. In: Tanja Bührer, Christian Stachelbeck, Dierk Walter (Hrsg.): Imperialkriege von 1500 bis heute. Strukturen, Akteure, Lernprozesse. Paderborn u. a. 2011, ISBN 978-3-506-77337-1, S. 401–418.
Bernd Sösemann: Die sog. Hunnenrede Wilhelms II. Textkritische und interpretatorische Bemerkungen zur Ansprache des Kaisers vom 27. Juli 1900 in Bremerhaven. In: Historische Zeitschrift. Bd. 222, München 1976, S. 343–358.
Richard Szippel: A German View of the Boxer Rebellion in China: Max von Brandt and German Interests in China at the Turn of the Century. In: Academia – Humanities and Social Studies. (Nanzan University) 58, September 1993, S. 47–76.
Aljoscha Utermark: China-Bilder zwischen Exotismus und Orientalismus. Feldpost deutscher Offiziere aus dem Boxeraufstand 1900–1901. Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2021, ISBN 978-3-339-12132-5.
Verein für hessische Geschichte und Landeskunde: China 1900. Der Boxeraufstand der Maler Theodor Rocholl und das alte China. 2000.
Zeitgenössische Werke
Admiralstab der Marine (Hrsg.): Die Kaiserliche Marine während der Wirren in China 1900–1901. Berlin, E. M. Mittler 1903 Digitalisat
Eugen Binder von Krieglstein: Die Kämpfe des Deutschen Expeditionskorps in China und ihre militärischen Lehren. Berlin 1902. (Digitalisat)
Alfred von Müller: Die Wirren in China und die Kämpfe der verbündeten Truppen. Berlin 1902. 2 Bände. (Digitalisate: Band 1, Band 2)
Adolph Obst u. a.: Deutschland in China 1900–1901. Bagel, Düsseldorf 1902. (Digitalisat)
Rudolf Zabel: Deutschland in China. Leipzig 1902. (Digitalisat)
Weblinks
„Die »Boxer« und ihr Mythos“, Deutsches Historisches Museum (DHM), Artikel anlässlich der Qingdao (Tsingtau)-Ausstellung, 27. März bis 19. Juli 1998
Boxeraufstand nach Darstellung des DHM
„Einige Daten und Fakten zum Boxer Aufstand“ – jaduland.de
Boxeraufstand in zeitgenössischen Postkarten und Texten – boxeraufstand.de
Zeitgenössische Dokumente zum Boxeraufstand – boxeraufstand.com
Boxeraufstand – Zusammenfassung des Krieges in China 1900/01 in: Deutsche Schutzgebiete
Henriette Wrege: Der Boxeraufstand – Chinas Kampf gegen alles Fremde Bayern 2 Radiowissen. Ausstrahlung am 2. Mai 2022. (Podcast)
Siehe auch
Spanischer Bürgerkrieg
Donghak-Aufstand
Erlöserkirche (Peking)
Fußnoten
Krieg in der chinesischen Geschichte
Krieg (Vereinigtes Königreich)
Militärgeschichte (Japanisches Kaiserreich)
Krieg der Vereinigten Staaten
Österreichisch-Ungarische Militärgeschichte
Militär (Deutsches Kaiserreich)
Krieg (Frankreich)
Krieg in der italienischen Geschichte
Militärgeschichte (Russisches Kaiserreich)
Aufstand in China
Aufstand (20. Jahrhundert)
Kolonialkrieg
Nationalismus
Konflikt 1899
Konflikt 1900
Konflikt 1901
|
Q150229
| 135.290938 |
16224
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https://de.wikipedia.org/wiki/G
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G
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G bzw. g (gesprochen: []) ist der siebte Buchstabe des klassischen und modernen lateinischen Alphabets. Er wurde um 230 v. Chr. von dem römischen Schreibschulbetreiber Spurius Carvilius Ruga als Variante des C eingeführt.
Der Buchstabe G hat in deutschen Texten eine durchschnittliche Häufigkeit von 3,01 %. Er ist damit der 13.-häufigste Buchstabe in deutschen Texten.
Herkunft
Zur Entstehung des Zeichens G im Lateinischen Alphabet siehe Artikel C.
Darstellung
Der Buchstabe G hat im Lauf der Geschichte der lateinischen Schrift viele Formen angenommen:
In der Majuskel fand neben der Form eines C mit einer angehängten Cauda (vgl. O>Q, P>R) auch die heute geläufige Form mit einer gebrochenen auf der Zeile endenden Cauda Verwendung. Eine Variante davon ist das G mit einer eingerollten Cauda. In der Fraktur ist der Großbuchstabe G ganz geschlossen und hat einen Zierstrich als integralen Bestandteil aufgenommen.
In der Minuskel unterscheiden sich die meisten g-Formen durch die Gestaltung der Unterlänge: sie kann links oder rechts am Buchstabenkörper ansetzen, sie kann offen bleiben oder geschlossen werden. Viele Menschen sind sich der Existenz des „doppelstöckigen“, mit links ansetzender Unterlänge und nur typografisch (gedruckt oder online) vorkommenden kleinen g nicht bewusst und können es wegen fehlender Übung nicht handschriftlich reproduzieren.
In den Kursiven des 15. Jahrhunderts ist eine Form üblich, bei der die an sich offene Cauda direkt mit dem Deckstrich des Buchstabenkörpers verbunden wird. Markant ist die Form des halbunzialen g, das einer unter die Zeile reichenden 3 oder einem z der Kurrentschrift ähnelt (ähnlich: ʒ).
Das Fingeralphabet für Gehörlose bzw. Schwerhörige stellt den Buchstaben G dar, indem die geschlossene Hand zum Körper und Zeigefinger und Daumen davon weg zeigt.
Siehe auch: Abkürzung, Akronym, beginnend mit dem Buchstaben G oder g
Funkalphabet
Zitat
Siehe auch
ج, der arabische Buchstabe Dschīm
ג, der hebräische Buchstabe Gimel
Stimmhafter velarer Plosiv, in IPA-Lautschrift dargestellt durch ɡ
Weblinks
Einzelnachweise
Lateinischer Buchstabe
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Q9739
| 326.200042 |
7183
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https://de.wikipedia.org/wiki/1290
|
1290
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Westeuropa
18. Juli: In England wird ein judenfeindlicher Erlass des Königs Edward I. verkündet, der alle Juden mit Frist bis Ende Oktober aus dem Land weist.
König Dinis von Portugal erklärt die portugiesische Sprache zur offiziellen Landessprache.
Heiliges Römisches Reich
Die Reichsstadt Duisburg wird für 2000 Silbermark an den Grafen von Kleve verpfändet und verliert so ihre Reichsfreiheit.
Skandinavien
18. Dezember: Nach dem Tod von Magnus I. wird sein zehnjähriger Sohn Birger König von Schweden. Unter Reichsmarschall Torgils Knutsson wird eine Vormundschaftsregierung gebildet.
Osteuropa
10. Juli: König Ladislaus IV. von Ungarn, zugleich König von Kroatien, Dalmatien und Rama, wird von Kumanen ermordet. Da er keine Nachkommen hinterlässt, wird Andreas III. aus einer Seitenlinie der Arpaden von Italien nach Ungarn geholt und zum neuen König gekrönt. Im gleichen Jahr heiratet er die polnische Fürstentochter Fenena von Kujawien.
Levante
August: In Akkon, einer der letzten Bastionen des Königreichs Jerusalem, des letzten der vier Kreuzfahrerstaaten im „Heiligen Land“, kommt es zu einem Massaker an muslimischen Händlern durch betrunkene, demoralisierte Kreuzfahrer. Qalawun, Sultan der Mamluken aus der Bahri-Dynastie in Ägypten, verlangt daraufhin die Auslieferung der Täter und eine hohe Entschädigungszahlung, was von den Stadtherren Akkons abgelehnt wird. Qalawun beginnt daraufhin ein Heer aufzustellen.
5. November: Das Heer setzt sich in Richtung Syrien in Bewegung. Doch am 11. November stirbt Sultan Qalawun. Überraschenderweise kann sich Qalawuns Sohn al-Ashraf Chalil ohne die sonst üblichen Wirren binnen weniger Wochen als Sultan durchsetzen und führt den Plan seines Vaters entschieden weiter. Wegen der fortgeschrittenen Jahreszeit verschiebt er den Angriff jedoch auf den nächsten Frühling.
Afrika
um 1290: Mit dem Niedergang von Mapungubwe beginnt der Aufstieg Groß-Simbabwes.
Urkundliche Ersterwähnungen
Conters im Prättigau, Göschenen, Röschenz, Saas im Prättigau und Uhwiesen werden erstmals urkundlich erwähnt.
Wissenschaft und Technik
1. März: Die Universitäten zu Coimbra, Lissabon und Marcerata werden gegründet.
um 1290: Die arabische Arzneimittellehre Aggregator wird in die lateinische Sprache übersetzt.
Kultur
Ältestes französisches Kochbuch
Vielleicht ausgelöst durch den Tod seiner Jugendliebe Beatrice beginnt Dante mit der Planung zu seinem Hauptwerk, der Göttlichen Komödie (geschrieben von 1307 bis 1321).
Spätestens in diesem Jahr entsteht Unser frouwen leich, der Marienleich, das bestüberlieferte Werk Frauenlobs, das seinen Namen Vrouwenlop begründet haben dürfte.
um 1290: Aufkommen der italienischen Gotik
um 1290: In Faenza (Italien) entsteht eine Tonwarenindustrie; daraus leitet sich der Begriff Fayence für die weiß glasierte, bemalte Keramik ab.
um 1290: Das Straßburger Münster erhält Glasmalereien im nördlichen Seitenschiff und einen reichen bildnerischen Schmuck der drei Westportale, was eine neue Entwicklung der deutschen Bildnerei einleitet.
um 1290: Giotto di Bondone beginnt in der Oberkirche von San Francesco in Assisi mit selbständigen Arbeiten.
Gesellschaft
Im Herzogtum Liegnitz wird der Orden der alten Hacke gegründet, dessen Anliegen ist, Ritter für die Zeit von Not und Gefahr zu sensibilisieren.
König Johann I. von Kastilien gründet den Orden von der Taube. Ziel des Ordens ist die Verteidigung des katholischen Glaubens und der Schutz der Waisen. Die Ritter müssen eheliche Keuschheit geloben.
Religion
um 1290: Gertrud von Helfta beteiligt sich auch an der Aufzeichnung der Offenbarungen ihrer Mitschwester Mechthild von Hackeborn, dem Liber specialis gratiae.
um 1290: Der Augustiner Heinrich von Friemar (Augustinerkloster in Erfurt) wird zum ersten Mal Provinzial.
Geboren
Geburtsdatum gesichert
4. August: Leopold I., Herzog von Österreich († 1326)
15. Oktober: Anna Přemyslovna, Königin von Böhmen († 1313)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Butön Rinchen Drub, Person des tibetischen Buddhismus († 1364)
Matthias von Arras, französischer Architekt und Baumeister († 1352)
Taddeo Gaddi, italienischer Maler († 1366)
Johann Parricida, Herzog von Österreich und Steyer († 1313)
Viola Elisabeth von Teschen, Königin von Ungarn und Böhmen († 1317)
Giovanni Visconti, Sohn des Matteo I. Visconti († 1354)
Geboren um 1290
Richard Airmyn, englischer Kleriker († um 1340)
Thomas Bradwardine, Mathematiker und Erzbischof von Canterbury († 1349)
Johann II. von Bubenberg, Schultheiss von Bern († um 1369)
Clemens VI., Papst († 1352)
Franz von Prag, böhmischer Chronist († um 1362)
Hermann von Schildesche, Augustiner-Eremit und theologischer Schriftsteller († 1357)
Maud de Burgh, anglo-irischer Adelige († 1320)
Niccolò de’ Rossi, italienischer Dichter und Jurist († nach 1348)
Isabel le Despenser, englische Adelige († 1334)
John Maltravers, englischer Adeliger und Höfling († 1364)
Maurice Moray, schottischer Adeliger († 1346)
Agnolo di Ventura, italienischer Architekt und Bildhauer († um 1349)
Gestorben
Todesdatum gesichert
25. Januar: Heinrich II., Graf von Hoya
28. Januar: Johann I., Graf der vorderen Grafschaft Sponheim (* um 1247)
3. Februar: Heinrich XIII., Herzog von Bayern (* 1235)
26. März: John Kirkby, englischer Beamter und Geistlicher, sowie Bischof von Ely
9. April: Winrich, Abt des Zisterzienserklosters Ebrach
3. Juni: Friedrich von Montfort, Bischof von Chur
8. Juni: Beatrice Portinari, Florentiner Bankierstochter, möglicherweise Jugendschwarm Dante Alighieris (* 1266)
23. Juni: Heinrich IV., Oberherzog von Polen und Herzog von Breslau (* um 1256)
10. Juli: Ladislaus IV., König von Ungarn (* 1262)
3. August: Rudolf von Hoheneck, Erzbischof von Salzburg
24. August: Zawisch von Falkenstein, bedeutender Adliger aus dem Geschlecht der Witigonen (* um 1250)
11. November: Qalawun, Sultan der Mamluken in Ägypten (* 1222)
28. November: Eleonore von Kastilien, Königin von England (* 1241)
18. Dezember: Hermann I. von Henneberg, Graf von Henneberg (* 1224)
18. Dezember: Magnus I., König von Schweden (* 1240)
21. Dezember: Gerhard I., Graf von Holstein-Itzehoe (* 1232)
Genaues Todesdatum unbekannt
Mai: Alice de Lusignan, französisch-englische Adelige (* 1236)
um den 26. September: Margarete, norwegische Königstochter, designierte Königin von Schottland (* 1283)
Alv Erlingsson, norwegischer Lehnsmann und Jarl
Elisabeth von Cumania, Königin von Ungarn (* 1240)
Gregor II. von Zypern, Patriarch von Konstantinopel (* 1241)
Johann von Bardewik, Bürgermeister der Hansestadt Lübeck
Jorays, Beamter im nubischen Reich von Makuria
Bonagiunta Orbicciani, italienischer Dichter (* 1220)
Witiko II., Herr von Krumau
Gestorben um 1290
Albert II. von Störmede, Truchsess der Herren von Lippe und Marschall von Westfalen
Weblinks
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Q5552
| 90.642113 |
15048
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https://de.wikipedia.org/wiki/Czernowitz
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Czernowitz
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Czernowitz oder Tschernowitz (; ; ; ; ; ; ; ; ; Spitzname: Jerusalem am Pruth, Klein-Wien) ist die Hauptstadt der Oblast Tscherniwzi in der Westukraine und die traditionelle Hauptstadt der Bukowina.
Namensschreibweise auf Deutsch
Die gebräuchliche Schreibweise Czernowitz mit dem im Deutschen ungewöhnlichen „cz“, die der heute üblichen Transkription nicht mehr entspricht, geht auf die vom Polnischen abgeleitete Schreibung zurück, die in der Donaumonarchie bis 1918 amtlich war.
Geographie
Czernowitz liegt in 248 m Seehöhe in einem von Hügeln durchzogenen Gebiet mit Wäldern und Feldern. Die Stadt erstreckt sich überwiegend am rechten Ufer des Pruth, an dem sich bis 2016 die Stadtbezirke Rajon Perschotrawnewyj und Rajon Schewtschenko befanden. Am linken Flussufer befindet sich der ehemals jüdische Stadtteil Sadhora im ehemaligen Rajon Sadhora.
Am 12. Juni 2020 wurde die Stadt zum Zentrum der neu gegründeten Stadtgemeinde Tscherniwzi (Чернівецька міська громада/Tscherniwezka miska hromada). Zu dieser zählen auch die 2 in der untenstehenden Tabelle aufgelisteten Dörfer; bis dahin bildet sie die Stadtratsgemeinde Tscherniwzi (Чернівецька міська рада/Tscherniwezka miska rada) als Teil der direkt unter Oblastverwaltung stehenden Stadt Czernowitz.
Seit dem 17. Juli 2020 ist der Ort ein Teil des Rajons Tscherniwzi.
Folgende Orte sind neben dem Hauptort Czernowitz Teil der Gemeinde:
Geschichte
Kiewer Rus
Eine befestigte Siedlung am linken Ufer des Pruths (im heutigen Stadtteil Lenkiwzi) stammt aus der Zeit der Kiewer Rus bzw. ihres Teilfürstentums Galizien-Wolhynien. Sie wurde unter dem Rurikiden-Fürst Jaroslaw Osmomysl gegründet, der zwischen 1153 und 1187 regierte. Einer Theorie zufolge wurde die Stadt in ihrer Anfangszeit Tschern (Schwarze Stadt) genannt. Dies kann auf die schwarze Farbe der Stadtmauern oder auf die Schwarzerde zurückgehen. Eine in dieser Region gelegene Stadt mit diesem Namen ist in der sogenannten Liste der fernen und der nahen russischen Städte aufgezählt, einem Anhang altrussischer Chroniken. Nach der mongolischen Invasion der Rus wurden die Herrscher von Galizien-Wolhynien 1259 gezwungen, die noch verbliebenen Festungen, darunter auch die Lenkiwzi-Burg, zu zerstören. Die Reste dieser Festung wurden jedoch bis ins 17. Jahrhundert weiterhin zu Verteidigungszwecken genutzt. Nach 1259 verlagerte sich die Bebauung auf das strategisch günstigere, höhere rechte Pruth-Ufer. Der neue Name Tscherniwzi/Tschernowzy wäre demnach ein ostslawisches Katoikonym und bedeutet also „die Bewohner von Tschern“.
Fürstentum Moldau
Von 1359 bis 1774 gehörten die Stadt und ihre Umgebung zum Fürstentum Moldau, das ab 1512 in Vasallenabhängigkeit zum Osmanischen Reich stand. Aus dieser Zeit stammt auch die erste urkundliche Erwähnung der Stadt als Zollstelle (8. Oktober 1408) in einem Handelsbrief zwischen dem moldauischen Fürsten Alexandru cel Bun (Alexander der Gute) und Kaufleuten aus Lemberg (damals im Königreich Polen). In osmanischen Quellen wurde die Stadt als Çernovi bezeichnet, eine phonetische Transliteration eines lateinischen Cognomens, das „neue Burg“ bedeutet (vgl. franz. Castelnau oder wal. Carno). Im 15. Jahrhundert war Czernowitz ein Marktflecken im Einzugsgebiet des wichtigen Warenumschlagplatzes Suceava und wurde 1497 während des Kriegs zwischen Stefan cel Mare (Stefan dem Großen) und Polen niedergebrannt.
Habsburgermonarchie
1774 wurde Czernowitz wie die gesamte Bukowina von Österreich besetzt und nach Verhandlungen mit der osmanischen Seite 1775 offiziell Teil der Habsburgermonarchie. In dieser vorerst zum Königreich Galizien und Lodomerien gehörig, hatte die Stadt 1816 erst 5.400 Einwohner. Die Kreuzerhöhungsbasilika war 1814 das erste gemauerte Gebäude. 1849 wurde das Herzogtum Bukowina als eigenes Kronland mit der Landeshauptstadt Czernowitz konstituiert, 1861 der Bukowiner Landtag eingerichtet. In der 1867 gebildeten Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörte das Land bis 1918 zu „den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern“ (Cisleithanien) mit deren gemeinsamer k.k. Regierung in Wien.
1875 wurde von Kaiser Franz Joseph I. anlässlich der 100-jährigen Zugehörigkeit zu Österreich eine Universität mit deutscher Unterrichtssprache gegründet, die Franz-Josephs-Universität Czernowitz. Sie umfasste 1893 eine griechisch-orientalisch theologische, eine rechts- und staatswissenschaftliche und eine philosophische Fakultät und besaß eine Bibliothek mit 50.000 Bänden, einen botanischen Garten, ein chemisches Labor und ein naturhistorisches Museum. 1892/93 unterrichteten 40 Lehrer 281 Studierende.
Der Großteil der ostjüdischen Bevölkerung hatte sich schon von Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts aus Galizien kommend in der Bukowina angesiedelt und verwendete statt des Jiddischen immer stärker die deutsche Sprache. Die deutschsprachige Kultur von Czernowitz wurde hauptsächlich von der jüdischen Bevölkerung getragen. Im Jahr 1880 waren um die 30 Prozent der Bevölkerung von Czernowitz Juden.
Bistumssitz
Nach Radautz war Czernowitz Bistumssitz der griechisch-orthodoxen Diözese.
Blüte
1895 vermerkte ein Lexikon für Czernowitz eine neue griechisch-orientalische Domkirche (vollendet 1864), eine armenisch-katholische Kirche (1875), eine neue Jesuitenkirche, den Israelitischen Tempel Czernowitz, eine griechisch-orientalische erzbischöfliche Residenz und 54.000 Einwohner (27.000 Deutsche, 10.000 Ruthenen, 8.000 Polen und 8.000 Rumänen), darunter 17.000 Juden. (In der Literatur wird für alle Gebiete im östlichen Altösterreich darauf hingewiesen, dass die Einwohner mit jiddischer Muttersprache zumeist Deutsch als Muttersprache angegeben haben, da Jiddisch nicht als eigenständige Sprache anerkannt war.) Zur Wirtschaft wurden eine Bierbrauerei, zwei Dampfmühlen, eine Sägemühle, eine Ölfabrik, eine Maschinenfabrik und reger Handel insbesondere nach Russland und Rumänien festgehalten. An Schulen wurden ein Obergymnasium, eine Oberrealschule, eine Staatsgewerbeschule, Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt und eine landwirtschaftliche Lehranstalt registriert, für die Kultur das Landesmuseum und ein Theater angeführt. 1897 wurde auch die Straßenbahn Czernowitz eröffnet; diese verkehrte bis 1967.
In Czernowitz entstand eine multikulturelle Stadtbevölkerung, die aus Juden, Deutschen, Rumänen, Ukrainern und Polen bestand. Die im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft dominierende Sprache war das Deutsche. In Czernowitz, und auch in anderen Teilen der Bukowina, bildete sich eine spezifische, deutschsprachige Kultur heraus, die insbesondere in den Städten präsent war und bis in die 1940er Jahre existierte. Es gab auch ein prosperierendes Kulturleben und zahlreiche deutschsprachige Presseerzeugnisse.
Im Ersten Weltkrieg war die Stadt zwischen August 1914 und August 1917 dreimal für insgesamt rund 19 Monate von der russischen Armee besetzt. Die dritte Besetzung dauerte vom 18. Juni 1916 bis zum 3. August 1917.
In Czernowitz geboren oder aufgewachsen sind unter anderem die Schriftsteller und Dichter Paul Celan, Rose Ausländer, Selma Meerbaum-Eisinger, Klara Blum, Alfred Margul-Sperber, Ludwig Adolf Staufe-Simiginowicz, Immanuel Weissglas, Gregor von Rezzori, Aharon Appelfeld, der Komponist Ludwig Rottenberg oder der Opernsänger Joseph Schmidt. Auch das jiddische Kulturleben in der Stadt blühte; 1908 fand in der Stadt die internationale Konferenz für die jiddische Sprache statt. Mit Olha Kobyljanska lebte in Czernowitz auch eine der bedeutendsten ukrainischen Schriftstellerinnen.
Rumänien (1918–1940)
Österreich-Ungarn zerfiel Ende Oktober 1918. Galizien schloss sich der entstehenden Zweiten Polnischen Republik an; der Widerstand der Ukrainer (Ruthenen) Ostgaliziens, die ihre Westukrainische Republik ausriefen (zu der Teile der Bukowina gehören sollten), wurde von Polen schließlich militärisch niedergekämpft (die von den Ukrainern verlangte Teilung Galiziens fand erst ab 1944 statt).
Die Bukowina ging daraufhin im Königreich Rumänien auf, was ebenfalls von den Ukrainern des ehemaligen Kronlandes nicht gewünscht war. Der Anschluss an Rumänien wurde mit der Furcht vor der Vereinnahmung durch Sowjetrussland begründet und am 28. November 1918 (nach julianischem Kalender 15. November) in der Residenz des bukowinischen Erzbischofs und Politikers Basil von Repta erklärt. Rumänien war die Bukowina von der Triple Entente in einem geheimen Vertrag schon im August 1916 zugesagt worden, um das Land zum Kriegseintritt gegen Österreich-Ungarn zu bewegen.
Am 10. September 1919 wurde die Übernahme des Landes durch Rumänien im Vertrag von St. Germain sanktioniert. Czernowitz wurde auf Rumänisch Cernăuţi genannt. Großrumänien, wie es ab 1919 hieß, führte an der Universität mit Beginn des Wintersemesters 1919/20 Rumänisch als Unterrichtssprache ein, was zur Abwanderung der meisten deutschen Professoren führte. Der rumänische Staat versuchte, die gesamte Bukowina kulturell zu rumänisieren, was jedoch nur begrenzt erfolgreich war.
Für 1925 werden „etwa 90.000 Einwohner“ auf einem Stadtgebiet von 52 km² angegeben, davon 40 % Juden und je 20 % Deutsche, Rumänen und Ukrainer. Tschernowitz war damals Hauptstadt des gleichnamigen rumänischen Kreises (Județ) und Sitz zahlreicher Behörden, darunter einer Eisenbahndirektion. Die Wirtschaft umfasste zu dieser Zeit neben Mühlen, Brauereien und Spiritusfabriken auch Unternehmen der Lederwarenindustrie.
Die Ober- und Mittelschicht der Czernowitzer Juden fühlte sich auch nach 1918 noch mit Österreich und dessen Hauptstadt Wien verbunden und wehrte die Rumänisierungsversuche Groß-Rumäniens bis zum Einmarsch der Sowjets im Jahr 1940 ab.
Sowjetunion (1940–1941)
Wie im sogenannten Ribbentrop-Molotow-Pakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion am 24. August 1939 vereinbart, wurde die Stadt am 28. Juni 1940 von der Sowjetunion besetzt und der Großteil der deutschen Bevölkerung, etwa 25.000, nach Verhandlungen mit Deutschland anschließend „heim ins Reich“ geholt. Die Stadt hieß nun russisch Tschernowizy / Черновицы, am 9. August 1944 wurde sie dann per Ukas in Tschernowzy / Черновцы umbenannt. Die neuen sowjetischen Herrscher behandelten reiche Stadtbürger, darunter auch viele Juden, als Klassenfeinde, etwa 3500 Juden wurden in Güterzügen nach Sibirien und in andere entlegene Gebiete der Sowjetunion deportiert.
Rumänien (1941–1944)
Von 1941 bis 1944 gehörte Czernowitz wieder zu Rumänien, das mit dem Deutschen Reich verbündet war. In dieser Zeit kam es zur Ermordung und Deportation eines großen Teils der jüdischen Gemeinde. Die ersten Einheiten der rumänischen Armee drangen am 5. Juli 1941 in die Stadt ein, nachdem sie zuvor in Storoschynez und in der südlichen Umgebung von Czernowitz tausende Juden umgebracht hatten. Am nächsten Tag erschienen die ersten Mitglieder des deutschen Einsatzkommando 10b und begannen mit der Verhaftung und Ermordung von Juden. Im September 1941 betrug die Zahl der Juden in Czernowitz nach deutschen Quellen 45.759 (über 58 % der Einwohner) und nach rumänischen Quellen 41.118 (52 %). Jüdische Männer und Frauen wurden unter der Aufsicht rumänischer Polizisten ohne Bezahlung zu schwerer sklavenähnlicher Arbeit gezwungen. Im September 1941 wurden Pläne zur Einrichtung eines Ghettos für die Juden diskutiert.
Von August 1941 bis Juni 1942 war Traian Popovici (1892–1946) Bürgermeister von Czernowitz. Für seinen Einsatz, mit dem er das Leben vieler Juden rettete, ehrte ihn die israelische Gedenkstätte Yad Vashem postum mit dem Titel Gerechter unter den Völkern. Am 10. Oktober 1941 erhielt er den auf Ion Antonescu zurückgehenden Befehl, in der Stadt ein Ghetto einzurichten, dem er sich trotz heftigen Einspruchs nicht widersetzen konnte. Corneliu Calotescu (1889–1970), der Militärgouverneur von Bukowina, verkündete die Entscheidung, ab 14. Oktober alle Juden aus der Stadt zu deportieren. Dieser Befehl wurde am 15. Oktober dahingehend geändert, 15.000 bis 20.000 Juden zu behalten, die als „ökonomisch wertvoll“ galten, da sie für die industrielle Produktion benötigt würden. Während Calotescu drängte, Abstriche an der Liste der von der Deportation auszunehmenden „wertvollen“ Juden, darunter 256 Ärzte, vorzunehmen, wurden Popovici und seine Rathausangestellten beschuldigt, von den Juden korrumpiert zu sein, weil sie eine möglichst umfangreiche Liste präsentierten.
Mitte Oktober 1941 begann die Deportation der Juden aus dem Ghetto mit Güterzügen über die Zwischenstation Otaci oder Mărculești Richtung Transnistrien. Bis zum 15. November 1941, als die Deportationen plötzlich gestoppt wurden, waren 33.891 Juden aus Czernowitz deportiert worden und einer Schätzung zufolge knapp über 20.000 in der Stadt verblieben. Im Februar 1942 lebten über 21.000 Juden in Czernowitz, davon besaßen 16.391 eine von der Popovici-Verwaltung ausgestellte Bleibebescheinigung, die übrigen rund 5000 Juden waren als „ökonomisch nutzlos“ eingestuft. Um sie zu schützen, stellte Popovici auch ihnen Bescheinigungen aus. Weil Popovici damit seine Befugnisse überschritten hatte, wurde er im Juni 1942 abgesetzt und gegen einen überzeugten Antisemiten ausgetauscht. Im Juni 1942 wurden die Deportationen nach Transnistrien wieder aufgenommen, der erste Güterzug verließ Czernowitz am 8. Juni mit 1781 Juden. Mit dem vierten Zug am 26. Juni waren 11.110 Juden deportiert. Am 13. Oktober 1942 wurden die Deportationen ausgesetzt. Die Situation für die verbliebenen Juden entspannte sich, als im März oder April 1943 Gouverneur Calotescu abgesetzt wurde.
Sowjetunion (1944–1991)
Als am 29. März 1944 die Rote Armee die Stadt erneut einnahm und wieder die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik installierte, wurden die noch verbliebenen deutschen Bewohner der Stadt vertrieben, auch ein Großteil der rumänischsprachigen Bevölkerung verließ Czernowitz. Es siedelten sich nun tausende Ukrainer und Russen in der Stadt an. Die ehemals deutschsprachige Kultur der Stadt verschwand fast vollständig.
Ukraine (seit 1991)
Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 gehört die Stadt als Tscherniwzi zur unabhängig gewordenen Ukraine. Am 21. März 2014 entsandte die OSZE im Zusammenhang mit der Annexion der Krim Beobachter in die Stadt.
Czernowitz ist (Stand 18. März 2022) eine der wenigen ukrainischen Großstädte, die seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine (am 24. Februar 2022) noch nicht von russischen Truppen angegriffen wurde. Im Zuge des Krieges ist die Stadt zu einem Zufluchtsort für Ukrainer aus den umkämpften Regionen im Osten des Landes geworden. Zeitweise beherbergte die Stadt 100.000 ukrainische Binnenflüchtlinge.
In diesem Zusammenhang entschied zudem die Stadt Düsseldorf, eine Städtepartnerschaft einzugehen.
Sportgeschichte
Bis zum Zweiten Weltkrieg gab es in Czernowitz eine Reihe von Sportvereinen, von denen viele ihre Ursprünge in der k.u.k. Monarchie hatten und in denen sich die einzelnen Nationalitäten wiederfanden. Dazu zählten Dowbusch (ukrainisch), Dragoș Vodă (rumänisch), Hakoah (jüdisch), Jahn (deutsch), Makkabi (jüdisch) und Polonia (polnisch). Die steigende Bedeutung des Sports nach dem Ersten Weltkrieg hatte zudem zu der Gründung von Sportvereinen für Arbeiter (IASK) und Bahnarbeiter (CFR) geführt, die ebenfalls am überregionalen Meisterschaftsbetrieb teilnahmen. Neben Fußball war Eishockey die wichtigste Sportart, die zudem durch den rumänischen Meistertitel 1937/38 gekrönt wurde.
Bedeutendster Sportverein ist heute der FSK Bukowina Czernowitz.
Bevölkerung
In Czernowitz lebten Ukrainer/Ruthenen, Rumänen/Moldauer, Polen, Juden, Roma, Österreicher und Bukowinadeutsche. Ihre kulturelle Blüte erlebte die Stadt während ihrer Zugehörigkeit zu Österreich-Ungarn als Hauptstadt des Kronlandes Bukowina. Czernowitz war für seine Malerei und Literatur berühmt – und ist es bis heute für seine Architektur. Im Jahr 1890 hatte die Stadt 54.171 Einwohner (27.256 Deutsche, 10.384 Ruthenen, 7.624 Rumänen, 7.610 Polen), darunter 17.356 Israeliten.
Das Deutsche, begünstigt durch seine Stellung als Amtssprache, bildete sich im 19. Jahrhundert als allgemeine Umgangssprache in Czernowitz heraus und wurde auch als Sprache zur interethnischen Kommunikation verwendet. Um 1900 sprachen 52,4 % der Stadtbewohner Deutsch als Muttersprache; 14,3 % Rumänisch, 19,8 % Ukrainisch und 13,1 % Polnisch. Bei der österreichischen Volkszählung wurden jiddischsprachige Juden allerdings zur deutschsprachigen Bevölkerung dazugezählt. Bis 1918 stieg der Anteil der Deutschsprachigen weiter an; Deutsch war die unangefochten dominierende und offizielle Sprache der multikulturellen Stadt. Als Czernowitz nach dem Ersten Weltkrieg an Rumänien fiel, verlor Deutsch seinen offiziellen und privilegierten Status. Rumänien versuchte, die rumänische Sprache durch eine staatliche Rumänisierungspolitik – mit mäßigem Erfolg – als einzige Amtssprache durchzusetzen. Nach dem Ersten Weltkrieg stellten Deutsche (etwa 15 %) und die zumeist ebenfalls deutschsprachigen Juden (38 %) zusammen aber noch immer die Mehrheit der Stadtbevölkerung, der Anteil der Rumänen lag trotz einsetzender Rumänisierung lediglich bei 27 %, der der Ukrainer bei etwa 10 %. Bei der rumänischen Volkszählung von 1930, die Deutsch und Jiddisch wieder separat führte, wurde für das „Munizip Cernăuți“ eine Bevölkerungszahl von rund 112.000 ermittelt. Davon gaben 29,1 % der Einwohner Jiddisch als Muttersprache an, 25,9 % Rumänisch, 23,3 % Deutsch, 11,3 % Ukrainisch und 7,4 % Polnisch. Jiddische und deutsche Muttersprachler machten zusammen 52,4 % der Stadtbevölkerung aus. In einem Zeitzeugenbericht wurde beschrieben, dass Deutsch auch in den 1930er-Jahren die allgemeine Umgangssprache in Czernowitz blieb und sogar von Nicht-Muttersprachlern häufig untereinander gesprochen wurde.
Durch die Ermordung der Juden, den Zweiten Weltkrieg und die Umsiedlung und Vertreibung ganzer Volksgruppen, vor allem der Deutschen und der Rumänen, ging die multikulturelle Tradition nach dem Zweiten Weltkrieg weitgehend verloren. Ukrainer stellten nun die mit weitem Abstand größte Bevölkerungsgruppe der Stadt dar, hinzu kamen zahlreiche zugewanderte Russen. Viele Juden, die den Holocaust überlebt hatten, emigrierten in der Folgezeit. Die jüdische Gemeinde von Czernowitz in der Diaspora hält heute noch durch die Zeitung Die Stimme weltweit untereinander Kontakt. Bis heute finden sich zahlreiche Spuren der jüdischen Gemeinde, z. B. ein großer, 1866 eingerichteter Friedhof. Manche als Sakralbauten errichtete Gebäude werden heute für andere Zwecke benutzt, zum Beispiel der Rest der Synagoge, in dem ein Kino untergebracht worden ist. 1989 stellten Ukrainer 66,5 % der Bevölkerung, Russen waren mit 17,8 % die zweitgrößte Bevölkerungsgruppe, danach folgten Rumänen/Moldauer mit 7,5 % und Juden (6,1 %). Mit der Unabhängigkeit der Ukraine erhöhte sich der Anteil der ethnischen Ukrainer in der Stadt bis 2001 auf etwa 80 %.
Sehenswürdigkeiten
Die bedeutendste Sehenswürdigkeit von Czernowitz ist die ehemalige Residenz des orthodoxen Metropoliten der Bukowina, ein imposanter Ziegelbau auf dem „Bischofsberg“. Der Bau wurde 1864, in der Amtszeit von Bischof Eugen Hakman begonnen, der kurz vor seinem Tod 1873 erster Metropolit von Czernowitz wurde. Vollendet wurde das Bauwerk 1882. Seit sowjetischer Zeit ist darin die Nationale Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz untergebracht. Zuvor befand sich die 1875 gegründete Universität in der heutigen Universytetska Straße 12, wo heute die Mathematische Fakultät untergebracht ist. Am 29. Juni 2011 wurde der Gebäudekomplex in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen.
Des Weiteren sind der Kuppelbau der im Stile der Sankt-Petersburger Isaakskathedrale gebauten, 1864 vollendeten griechisch-orthodoxen Kathedrale am Franz-Josephs-Platz und das Theater hervorzuheben.
Der bedeutendste Platz ist der Austria-Platz mit dem 1875 errichteten, 1918 verschollenen und erst 2003 teilweise wiederaufgefundenen Austria-Monument, einer Marmorfigur der Austria auf einem mit Bronzereliefs und Inschriften ausgestatteten Sockel.
Im Jahr 1904 wurde mit dem Bau des vom Wiener Architekturbüro Fellner & Helmer geplanten neuen Theatergebäudes in Czernowitz begonnen. Seine Front wird, wie bei vielen anderen Theatern dieser Zeit, durch eine Portalbogenarchitektur hervorgehoben. Ein fast baugleicher „Zwilling“ ist das Stadttheater Fürth in Mittelfranken. Die Eröffnung erfolgte nach nur 14 Monaten Bauzeit am 3. Oktober 1905 als „Czernowitzer deutsches Stadttheater“. Von 1907 bis 1922 stand vor dem Theater ein Denkmal von Friedrich Schiller.
1922 wurde es zum „Rumänischen Nationaltheater“. Seit 1940 bzw. 1944 ist es das „Ukrainische musikalisch-dramatische Olha-Kobyljanska-Theater“. Seit 1980 steht ein Denkmal der ukrainischen Nationaldichterin Olha Kobyljanska vor dem Gebäude. Das Theater liegt inmitten eines damals neu entstandenen Stadtteils am ehemaligen „Elisabeth-Platz“, heute „Theaterplatz“, und ist von einer Parkanlage umgeben.
Die Einkaufsstraße Wulyzja Olhy Kobyljanskoii (Olha–Kobyljanska–Straße), die frühere „Herrengasse“, war schon im 19. Jahrhundert die Flaniermeile der Stadt und bewahrt das geschlossene Straßenbild der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis heute.
Museen
Regionales Staatliches Museum für Volksarchitektur und Brauchtum (Чернівецький обласний державний музей народної архітектури та побуту), eröffnet 1986
Museum der Militärgeschichte der Bukowina (Музей військової історії Буковини), eröffnet 2008
Museum für jüdische Geschichte und Kultur der Bukowina im ehemaligen Jüdischen Nationalhaus am Theaterplatz, eröffnet 2010
Musik
Zeitungen
Wirtschaft
Die Wirtschaft der Stadt wird von Unternehmen der Nahrungsmittel-, Textil- und Holzindustrie bestimmt.
Verkehr
Czernowitz ist ein wichtiger Verkehrsknoten im Südwesten der Ukraine, über den der größte Teil des Verkehrs des Landes in Richtung Rumänien abgewickelt wird.
Durch die Stadt führt die Europastraße 85 von Klaipėda in Litauen nach Alexandroupoli in Griechenland. Weitere wichtige Straßenverbindungen existieren in Richtung Iwano-Frankiwsk–Lemberg, Chmelnyzkyj und Wyschnyzja in den Karpaten.
Zudem führt durch die Stadt die internationale Eisenbahnstrecke von Lemberg bzw. Kiew nach Suceava–Bukarest.
Im Südosten der Stadt liegt der Internationale Flughafen Czernowitz.
Den städtischen Nahverkehr bewältigt neben mehreren Omnibuslinien ein 1939 als Ersatz für die davor existierende Straßenbahn Czernowitz eröffnetes O-Bus-Netz. Fernbusse verkehren ab dem zentralen Busbahnhof im Süden der Stadt.
Städtepartnerschaften
Czernowitz listet folgende elf Partnerstädte auf:
Persönlichkeiten
Filme
Herr Zwilling und Frau Zuckermann. Deutschland 1998/1999, Dokumentarfilm, 132 Min., Regie: Volker Koepp
Dieses Jahr in Czernowitz. Deutschland 2003/2004, Dokumentarfilm, 134 Min., Regie: Volker Koepp
Czernowitz, einstige Kronstadt der K.K. Österreich-Ungarischen Monarchie. Deutschland 2006, Doku-Film, 80 Min., Produzenten: Oksana Czarny, geb. Nakonechna und Reinhold Czarny – RCP
Bukovina Style – Czernowitz, Gestern und Heute. Deutschland 2008; medienpädagogisches Dokumentarfilmprojekt 36 Min. Regie: Stefan Koeck, Drehbuch und Redaktion: Michael Petrowitz
3.Generation – Auf den Spuren unserer Vorfahren. Deutschland, Ukraine, Russland 2017; Dokumentarfilmprojekt 62 Min. Produzenten und Drehbuch: Alexander Stoler, Sergij Kolesnikow, David Vataman und Regie: Anatoli Nat Skatchkov
Zitate
Bezeichnet wurde Czernowitz auch als Klein-Wien, Babylon des südöstlichen Europas, Jerusalem am Pruth, Alexandrien Europas und Tschernopol.
Klimatabelle
Benennungen
In der südhessischen Stadt Darmstadt wurde 1953 eine Straße nach der Stadt Czernowitz benannt, die Czernowitzer Straße.
Literatur
Gregor Gatscher-Riedl: k. u. k. Sehnsuchtsort Czernowitz: „Klein-Wien“ am Ostrand der Monarchie. Kral-Verlag, Berndorf 2017, ISBN 978-3-99024-690-0.
Czernowitzer kleine Schriften. Schriftenreihe des Traditionsverbandes Katholischer Pennäler. 28 Publikationen (1995–2015): ; darunter:
Hugo Weczerka: Czernowitz. Städtebauliche Entwicklung in österreichischer Zeit. Traditionsverband Katholischer Czernowitzer Pennäler (Hrsg.), Innsbruck 2000.
Raimund Lang: Czernowitz – mon amour! Traditionsverband Katholischer Czernowitzer Pennäler (Hrsg.), Innsbruck 2007.
Ernst Trost: Das blieb vom Doppeladler. Auf den Spuren der versunkenen Donaumonarchie. Fritz Molden, München 1966; Deutscher Taschenbuchverlag, dtv 561, München 1969, S. 52 ff.
Martin Pollack: Nach Galizien. Von Chassiden, Huzulen, Polen und Ruthenen. Eine imaginäre Reise durch die verschwundene Welt Ostgaliziens und der Bukowina. Christian Brandstätter, Wien 1984; 3. Auflage 1994, ISBN 3-85447-075-4, S. 131 ff.
Andrei Corbea-Hoișie (Hrsg.): Jüdisches Städtebild Czernowitz. Frankfurt 1998.
Andrei Corbea-Hoișie: Czernowitzer Geschichten. Über eine städtische Kultur in Mittelosteuropa. Böhlau, Wien 2003. ISBN 978-3-205-77034-3.
Andrei Corbea-Hoișie: Politik, Presse und Literatur in Czernowitz 1890–1940. Kulturgeschichtliche und imagologische Studien. Stauffenburg, Tübingen 2013. ISBN 978-3-86057-498-0.
Harald Heppner (Hrsg.): Czernowitz. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Stadt. Böhlau, Köln 2000, ISBN 3-412-04900-X.
Cecile Cordon und Helmut Kusdat (Hrsg.): An der Zeiten Ränder. Czernowitz und die Bukowina. Geschichte – Literatur – Verfolgung – Exil. Theodor Kramer Gesellschaft, Wien 2002, ISBN 3-901602-16-X.
Florence Heymann: Le crépuscule des lieux. Identités juives de Czernowitz. Paris 2003.
Gaby Coldewey (Hrsg.): Zwischen Pruth und Jordan, Lebenserinnerungen Czernowitzer Juden. Köln 2003.
Kurt Scharr: Städtische Transformationsprozesse in der Westukraine seit der Unabhängigkeit 1991 am Beispiel der Entwicklung von Czernowitz. Eine Bestandsaufnahme. Mitteilungen der Österreichischen Geographischen Gesellschaft, Nr. 146 (2004), S. 125–146.
Helmut Braun (Hrsg.): Czernowitz: Die Geschichte einer untergegangenen Kulturmetropole. Christian Links, Berlin 2005, ISBN 3-86153-374-X.
Othmar Andrée: Czernowitzer Spaziergänge. Annäherungen an die Bukowina. 2008.
Christel Wollmann-Fiedler: „Czernowitz ist meine Heimat“. Gespräche mit der Zeitzeugin Hedwig Brenner. Munda, Brugg, 2009, ISBN 978-3-9523161-5-3.
Martin Pollack, Helmut Kusdat, Ioan-Constantin Lihaciu, Andrei Corbea-Hoișie, Gaby Coldewey, Isabel Röskau-Rydel, Jurko Prochasko, Mariana Hausleitner, Sergij Osatschuk: Mythos Czernowitz. Eine Stadt im Spiegel ihrer Nationalitäten. Deutsches Kulturforum östliches Europa e. V., Potsdam 2008, ISBN 978-3-936168-25-9.
Victoria Popovici, Wolfgang Dahmen, Johannes Kramer (Hrsg.): Gelebte Multikulturalität. Czernowitz und die Bukowina. Peter Lang, Frankfurt am Main 2010, ISBN 978-3-631-56484-4.
Ranner Gertrud, Halling Axel, Fiedler Anja (Hrsg.): …„und das Herz wird mir schwer dabei“. Czernowitzer Juden erinnern sich. Deutsches Kulturforum östliches Europa e. V., Potsdam 2009, ISBN 978-3-936168-28-0.
Martin A. Hainz: Nostallergie. Die Czernowitzer Inkongruenzkompensationskompetenz. In: CAS Working Paper 1/2010 (https://refubium.fu-berlin.de/bitstream/handle/fub188/18654/CAS-WP_No_2-09.pdf?sequence=1&isAllowed=y)
Dirk Schümer: Schwarze Milch. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. September 2010, S. 44 (Bericht über das erste Poesiefestival in Czernowitz).
Raimund Lang: Couleur in Czernowitz. WJK-Verlag, Hilden 2013
Zvi Yavetz: Erinnerungen an Czernowitz. Wo Menschen und Bücher lebten. Beck, München 2007, ISBN 3-406-55747-3.
Peter Rychlo, Oleg Liubkivskyj: Literaturstadt Czernowitz, 2., verbesserte Auflage. Czernowitz 2009.
Ion Lihaciu: Czernowitz 1848–1918. Das kulturelle Leben einer Provinzmetropole. Parthenon Verlag, Kaiserslautern 2012, ISBN 978-3-942994-00-2.
Weblinks
Czernowitz Bukowina. Wo Menschen und Bücher lebten. Umfangreiche private Website zu Czernowitz
Vladislav Davidzon: Everything Is Regurgitated – Living off of Jewish memory in old Chernowitz, once the Jerusalem of Ukraine
Luisa Hagen: Jüdisches Leben in Czernowitz in der longue durée (Universität Augsburg)
Einzelnachweise
Ort in der Oblast Tscherniwzi
Ehemalige Hauptstadt (Ukraine)
Hochschul- oder Universitätsstadt in der Ukraine
Ort am Pruth
Hauptstadt einer Oblast in der Ukraine
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Q157725
| 119.900684 |
8506
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https://de.wikipedia.org/wiki/Architekt
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Architekt
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Der Architekt ( „oberster Handwerker, Baukünstler, Baumeister“; aus „Anfang, Ursprung, Grundlage, das Erste“ und „Kunst, Handwerk“) befasst sich mit der technischen, wirtschaftlichen, funktionalen und gestalterischen Planung und Errichtung oder Änderung von Gebäuden und Bauwerken vorwiegend des Hochbaues. Seine Kernkompetenz ist das über das Bauen hinausgehende Schaffen von Architektur.
Überblick
Das Berufsbild des Architekten ist nicht eindeutig definier- und abgrenzbar, länderweise verschieden und ständig in Bewegung. Die Spannweite der Tätigkeitsbereiche reicht von der „Baukunst“, die sich dem Entwurf und der Architekturtheorie widmet, über Ingenieurtätigkeiten und das technische Entwerfen von Gebäuden bis hin zur Bauleitung, bei der Bauplanung und -ausführung koordiniert werden und deren Augenmerk vor allem auf Terminen, Qualität und Baukosten liegt. Durch ein vom italienischen Staat am 23. Juni 1923 erlassenes Gesetz wurde erstmals in Europa die Berufsbezeichnung „Architekt“ gesetzlich geschützt.
Dem Berufsfeld zwischen Baukunst aktuellen oder historischen Zuschnitts auf der einen und angewandter Technik auf der anderen Seite entsprechen auch die möglichen Ausbildungswege wie Universitäten (vor allem Technische Universitäten / Technische Hochschulen), Fachhochschulen, Kunstakademien und Berufsakademien, aber auch Colleges und technische Mittelschulen. Die Schwerpunkte der Ausbildung werden traditionell unterschiedlich gesetzt: bei Kunstakademien wird vor allem Wert auf den gestalterischen Aspekt gelegt, an Universitäten wird bei der Ausbildung ein besonderes Augenmerk auf Theorie und Wissenschaft gelegt, an Fachhochschulen wird auf wissenschaftlicher Grundlage anwendungsorientierter als an den Universitäten ausgebildet und an Berufsakademien wird praxisnah, aber weniger breit gefächert ausgebildet als an einer Hochschule. Die meisten Institutionen haben inzwischen ein individuelles Ausbildungsprofil mit eigenen Studienschwerpunkten.
Geschichte
Der Beruf des Architekten ist traditionell generalistisch angelegt: die Baumeister vergangener Zeiten erstellten in Personalunion den Entwurf und die Statik und beaufsichtigen den Bauablauf. Je nach Epoche kamen sie aus ganz verschiedenen Klassen und Berufszweigen, zum Beispiel waren sie im Römischen Reich meistens Militäringenieure (vgl. Vitruv), im Frühmittelalter oft Kleriker, im Spätmittelalter aus dem Handwerk, in der Renaissance und später Künstler, Bildhauer oder Wissenschaftler wie Christopher Wren.
Die aus dem Steinmetzhandwerk und der Bauhüttentradition hervorgegangenen mittelalterlichen Baumeister werden in zeitgenössischen Quellen als Werkmeister oder magister operis bezeichnet. Nach der Gesellenprüfung als Steinmetz absolvierten sie eine zusätzliche Ausbildung und waren nach der Meisterprüfung befähigt als Architekt zu arbeiten (siehe Werkmeisterbücher).
Erst im 19. Jahrhundert, im Zuge des ökonomischen und technischen Fortschritts durch die Industrialisierung, bildete sich der Beruf des Architekten als eigene akademische Disziplin heraus. Es gab enorme Fortschritte in der Bautechnologie, neue Bauaufgaben (Feuerwachen, Schulen etc.) ergaben sich. Es entstanden Architekturschulen und -akademien. Die dort im Regelfall kürzer ausgebildeten Baumeister führten weiterhin ihre auf die Umsetzung spezialisierten Bauunternehmungen, die akademischen Architekten spezialisierten sich auf den Entwurf von Gebäuden.
Zunehmend bildeten sich die Fachdisziplinen Architektur und Bauingenieurwesen heraus. Die Architekten beschäftigten sich schwerpunktmäßig mit der Gestaltung der Bauwerke des Hochbaus, die Bauingenieure erbrachten nun sämtliche Leistungen für die Bauwerke des Tief- und Ingenieurbaues und planten das Tragwerk für Hochbauten, ebenso wurden sie oft in der Bauleitung für Hochbauten tätig. Die Komplexität der Aufgaben nahm seitdem kontinuierlich weiter zu, so dass sich im 20. Jahrhundert weitere Fachdisziplinen etablierten: Städtebau, Landschaftsarchitektur, Innenarchitektur, Bauphysik etc.
Gegen Ende des 20. Jahrhunderts kamen Berufe hinzu, die viele Aufgaben des klassischen Architekten übernahmen. Baumanagement und Facilitymanagement übernahmen die Koordination der Bauausführung, große Unternehmen boten komplette Planungs- und Ausführungspakete an, so dass sich traditionelle Aufgabenfelder der Architekten verlagerten. In manchen Bereichen ist auch in Deutschland ein Rückzug der Architekten auf den Aspekt des Entwerfens zu beobachten, wie dies in den USA zum Beispiel schon weit verbreitet ist.
Der Trend zur Spezialisierung macht heute auch vor dem an sich generalistisch angelegten Architektenberuf nicht halt. Neben dem Architekten, der sich hauptsächlich mit Hochbau beschäftigt, gibt es in Deutschland noch die Berufsgruppen der Landschaftsarchitekten, Innenarchitekten und Stadtplaner. Weiterhin findet in den einzelnen Büros eine zunehmende Spezialisierung auf bestimmte Bauaufgaben (Verwaltungs- und Gewerbebau, Kulturbau, Wohnungsbau etc.) oder auf bestimmte Leistungsphasen der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (z. B. Wettbewerbsmanagement, Entwurf, Ausführungsplanung, Ausschreibung oder Bauleitung) statt. Überdies lässt sich eine weitere Spezialisierung auf bestimmte Nischen feststellen, wie z. B. das ökologische Bauen oder die Sanierung von Altbauten beobachten.
Arbeitsfelder
Übliche Arbeitsfelder, die von Architekten (je nach Land, Büro und Qualifikation in unterschiedlichem Maße) abgedeckt werden:
Während des gesamten Bauprozesses:
Projektsteuerung
Koordination der Planungsbeteiligten, Behörden und Ausführenden
Vertreter des Bauherren gegenüber Planungsbeteiligten, Behörden und Ausführenden
Überprüfung der Qualität am entstehenden Gebäude
In der Bauplanungsphase:
Wettbewerbsmanagement
Grundlagenermittlung, Vorplanung
Entwurfsplanung von Gebäuden und Bauwerken vorwiegend des Hochbaues (siehe auch Architektenwettbewerb)
Genehmigungsplanung (in der Schweiz als Baueingabe, in Österreich als Einreichplan bezeichnet)
Ausführungsplanung; Koordination zwischen den verschiedenen Fachplanern wie z. B. Versorgungstechnik, Tragwerksplanung oder Brandschutzgutachtern
Ausschreibung und Vergabe: Vorbereitung und Mitwirkung bei der Vergabe von Bauleistungen, Herbeiführung der erforderlichen Verträge
Während der Bauausführung:
Baumanagement: Kostenkontrolle, Terminkontrolle
Bauleitung (auch Objektüberwachung oder Bauüberwachung)
Nach der Fertigstellung, in der Baunutzungsphase:
Objektbetreuung und Dokumentation (HOAI)
Assetmanagement, Immobilienmanagement, Gebäude- oder Facilitymanagement
Weitere Arbeitsfelder:
Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung (Bauamt)
Forschung / Lehre: Architekturtheorie, Bauforschung, Bauökonomie
Spezialgebiete: Architekturdarstellung, Modellbau
Energieberatung: Umsetzung von Energieeinsparverordnung, EEWärmeG, Erneuerbare-Energien-Gesetz, Fördermittel durch KfW usw.
Arbeitsweise
So umfassend die Inhalte der Disziplin Architektur sind, so vielfältig und komplex ist auch die Arbeit des Architekten. Nach wie vor arbeiten die meisten freiberuflichen wie auch angestellten Architekten in kleinen, mittleren bis großen Architekturbüros für Bauentwurf, Bauplanung oder Bauleitung. Je nach Größe und Spezialisierung haben die Büros zum Teil eigene Abteilungen mit weiteren Fachplanern integriert wie etwa Labortechniker, Lichtplaner, Küchenplaner, Bauphysiker oder wie Spezialisten für Modellbau, Rendering/Visualisierung oder Public Relation. Durch den sich seit Jahren verändernden Markt sind jedoch immer mehr Architekten auch gewerblich tätig oder nehmen Funktionen als Gutachter oder Berater ein. Innenarchitekten, Stadtplaner und Landschaftsarchitekten (Freiraumplaner) sind keine Fachplaner, sondern Fachrichtungen des Berufsbildes Architektur.
Architekturbüros
Abgesehen von kleineren Bauvorhaben wie Einfamilien- oder Zweifamilienhäusern ist der Planungsprozess meist stark arbeitsteilig organisiert. Dies betrifft nicht nur die Arbeit innerhalb der Architekturbüros, sondern auch die Zusammenarbeit mit den externen Projektbeteiligten.
Nur noch wenige Architekten bearbeiten das komplette Leistungsspektrum der deutschen HOAI mit allen Leistungsphasen. Vielmehr befassen sich die Mitarbeiter mittlerer und größerer Büros i. d. R. schwerpunktmäßig mit Teilbereichen des Planungsprozesses, wie z. B. dem Entwurf, der Ausführungsplanung, der Ausschreibung und Vergabe von Bauaufträgen oder der Bauleitung. Auch eine Spezialisierung von Architekturbüros auf die jeweiligen Leistungsphasen 1 bis 5 (Entwurf, Genehmigung und Planung) oder die Leistungsphasen 6 bis 9 (wirtschaftliche und bauliche Umsetzung) ist inzwischen weit verbreitet.
Da bei fast allen Bauvorhaben die Arbeit verschiedener Fachingenieure wie Statiker und Versorgungstechniker, bei größeren Projekten zunehmend auch weiterer Experten wie Städtebauer, Verkehrsplaner, Fassaden- und Landschaftsplaner oder Facilitymanager, integriert werden muss, ist beim Architekten ein hohes Maß an Kommunikations- und Koordinationsfähigkeit sowie gleichzeitig Einfühlungs- und Durchsetzungsvermögen gefordert. Da Architektur meistens auch an den Aspekt der Wirtschaftlichkeit gekoppelt ist, ist auch wirtschaftliches Denken und Handeln vom Architekten gefordert. Auf dem sich verändernden und insgesamt schrumpfenden Markt sind unter hohem Wettbewerbsdruck in zunehmendem Maße Qualitäten in der Projektpräsentation gegenüber privaten und öffentlichen Bauherren erforderlich.
Je nach Arbeitsschwerpunkt des einzelnen Architekten sind verschiedene Qualifikationen gefordert. Benötigt der Entwurfsarchitekt vor allem herausragende Fähigkeiten konzeptioneller und darstellerischer Art, sind beim Ausführungsplaner ebenso gestalterische wie auch technisch-konstruktive und rechtliche Kenntnisse (Baurecht, Umweltschutz usw.) gefragt. In der Bauleitung sind vor allem organisatorische Fähigkeiten und detaillierte Kenntnisse des Bauablaufes und der Bauausführung durch Baumeister und Handwerker erforderlich.
Diese Spezialisierung ist jedoch nicht so zu verstehen, dass die an einem Bauvorhaben beteiligten Architekten isoliert voneinander arbeiten. Die verschiedenen Projektphasen sind stark miteinander verzahnt und voneinander abhängig. Ein Grundverständnis für den gesamten Planungsprozess ist daher auch für den Spezialisten unerlässlich, ebenso wie die Kooperation mit dem Bauingenieur und bei größeren Projekten mit dem Geodäten, weiteren Spezialisten und den zuständigen Ämtern.
Die digitale Revolution der letzten Jahrzehnte hat natürlich erst recht nicht vor planenden Berufen wie dem Architekten haltgemacht. Zwar werden im Planungsprozess immer noch traditionelle Mittel wie Skizzen oder Modellbau angewandt. Die endgültige Planung und Darstellung von Projekten wird allerdings inzwischen fast ausschließlich mit Hilfe von CAD-Programmen am Computer erstellt. So ist die Beherrschung von mindestens einem CAD-Programm heute für Architekten unerlässlich. Oft werden aber auch Erfahrungen mit verschiedenen Programmen sowohl in der zwei- als auch dreidimensionalen Darstellung erwartet, die bei Entwicklungs- und Zeitreihen bisweilen sogar in die vierte Dimension geht.
Mehr Informationen zu den verfügbaren CAD-Programmen sowie spezialisierten Programmen für den Architekten findet sich in den Artikeln CAD und Liste von CAD-Programmen.
Aufgrund der mittlerweile stark schwankenden Auftragslage und des infolgedessen ungleichmäßigen Arbeitsaufkommens innerhalb der meisten Architekturbüros sind je nach Organisation flexible Arbeitszeiten unverzichtbar. Vor wichtigen Terminen, wie z. B. Abgaben von Wettbewerben, Bauanträgen oder Bauherren-Präsentationen, sind daher oft Überstunden sowie Arbeit am Wochenende unerlässlich. Bei vielen Großprojekten muss darüber hinaus der verantwortliche Architekt oder eine von ihm befugte Person ständig erreichbar sein.
Arbeit in anderen Bereichen
Architekten sind auch außerhalb ihres klassischen Betätigungsfeldes beschäftigt. Dies können die Projektsteuerung auf Seite des Bauherren sein oder eine Tätigkeit in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Auch Tätigkeiten als Technische Sachverständige, Gutachter oder Berater (z. B. im Bereich Brandschutz oder Energie) sind üblich. Weitere interdisziplinäre Schnittstellen gibt es mit den Bereichen Produktdesign, Industrialdesign, Kunst, Film & Theater, Multimedia, Werbung und Kommunikationsdesign.
Deutschland
Ausbildung
Die Ausbildung zum Architekten ist in Deutschland (und Österreich/Schweiz) im Rahmen eines Architekturstudiums möglich und kann im Bundesgebiet an insgesamt 64 Hochschulen erfolgen (Stand 2015), die Zulassungsvoraussetzungen sind je nach Land und Hochschule sehr unterschiedlich. Ergänzend ist auch der zweite Bildungsweg über ein oder mehrere Handwerke und Praxis z. B. im Architekturbüro möglich. Die Architektenkammern der Bundesländer entscheiden, wer sich Architekt nennen darf, wer bauvorlageberechtigt ist und damit z. B. Bauanträge einreichen darf. Voraussetzung dafür ist ein abgeschlossenes Studium mit einer Mindest-Regelstudienzeit von acht Semestern, zwei Jahren Berufserfahrung sowie einem Nachweis von Weiterbildungsmaßnahmen im Umfang von 80 Unterrichtsstunden (Anforderungen NRW).
Ein konsekutives Bachelor-Master-Studium dauert i. d. R. zehn Semester bzw. fünf Jahre einschließlich der Master-Arbeit. Bei einigen Hochschulen ist ein Praxissemester in den Studienablauf integriert. Die durchschnittliche Studiendauer liegt jedoch oft über der theoretischen Regelstudienzeit.
Das Bachelor-Studium an den Hochschulen dauert mindestens sechs bis acht Semester und schließt mit dem akademischen Grad „Bachelor“ ab. Der Bachelorabschluss wird in der Regel zwischen dem Ende des 5. Fachsemesters bis Ende des 7. Fachsemesters abgelegt, wobei der Durchschnitt bei 6 Semestern liegt. Zirka 6000 Studentinnen und Studenten legten im Jahr 2010 erfolgreich die Abschlussprüfung ab.
Auch müssen oft Praktika vor Aufnahme des Studiums und während des Studiums von bis zu sechs Monaten nachgewiesen werden.
Architekt ist man erst dann, wenn man in der Architektenkammer eingetragen ist. Dazu muss man mindestens zwei Jahre Berufserfahrung vorweisen können.
Der Bachelor-Abschluss wird jedoch teilweise von den deutschen Architektenkammern als nicht berufsqualifizierend angesehen, weshalb man trotz erfolgreichen Abschlusses nicht die Berufsbezeichnung „Architekt“ führen darf. Vorteile dieses Abschlusses sollen in dem modularen Studienaufbau und der höheren internationalen Vergleichbarkeit liegen. Als Weiterbildung für Bachelor-Absolventen ist ein Master-Studium möglich und für Absolventen eines Master-Studiums und für Diplom-Absolventen die Promotion.
Der auslaufende Diplomstudiengang mit dem Abschluss Diplom-Ingenieur (Univ., FH) bzw. Ingenieur (Fachschule-FS) dauert normalerweise als Regelstudienzeit an einer Universität neun Semester, an einer Kunstakademie zehn Semester, an einer Fachhochschule acht Semester.
Berufsbezeichnung
In Deutschland darf sich Architekt nennen, wer in die Architektenliste einer deutschen Architektenkammer eingetragen ist. Dafür benötigt man ein abgeschlossenes Architekturstudium sowie eine Berufserfahrung von mindestens zwei Jahren. Details zum Aufnahmeverfahren regeln die jeweiligen Baukammergesetze der Bundesländer und die Satzungen der Architektenkammern.
Wer in eine Architektenkammer eines Bundeslandes aufgenommen wird, erhält die Bauvorlageberechtigung. Sie ist in einigen Bundesländern die Bedingung, um Bauanträge bei den Baugenehmigungsbehörden einreichen zu dürfen.
Die Kammern verstehen sich als Interessenvertretung aller angestellten und freiberuflich tätigen Architekten. Für Absolventen werden Seminare mit Praxisbezug angeboten. Grundlage der Tätigkeit der Architektenkammern sind die Ländergesetze, in der Regel die Architekten- oder Baukammerngesetze wie z. B. das Baukammerngesetz NRW.
Der Titel im Dienst katholischer Diözesen tätiger Architekten ist Diözesanarchitekt, auch Diözesanbaumeister, seltener auch Bistumsarchitekt; häufig tragen sie zugleich die Amtsbezeichnung Baudirektor. Der Diözesanarchitekt ist in der Regel auch Leiter der Bauverwaltung (Bauamt) der jeweiligen Diözese.
Berufsverbände
Im Bund Deutscher Baumeister, Architekten und Ingenieure sind rund 9000 Architekten und Ingenieure des Bauwesens organisiert.
Der Verband deutscher Architekten (VDA) ist ein Interessenverband der deutschen Architekten, Innenarchitekten und Landschaftsarchitekten.
Im Verband Deutscher Architekten- und Ingenieurvereine (DAI) sind 33 lokale Architekten- und Ingenieur-Vereine mit rund 4000 Mitgliedern organisiert.
Der Bund Deutscher Architektinnen und Architekten (BDA) ist eine Vereinigung freiberuflich tätiger Architekten in Deutschland, der rund 5000 Mitglieder hat.
Die Vereinigung Angestellter Architekten (VAA) ist ein Berufsverband, der die Interessen angestellter Architekten in der Architektenkammer Nordrhein-Westfalen und in der Öffentlichkeit vertritt.
Die Vereinigung freischaffender Architekten Deutschlands (VfA) nimmt die Interessen der freischaffenden Architekten, Landschaftsarchitekten, Innenarchitekten und Stadtplaner war.
Arbeitsmarkt
Laut Bundesarchitektenkammer gibt es (Stand 1. Januar 2018) rund 131.000 eingetragene Berufsträger, der Frauenanteil beträgt 34,2 %. (siehe auch: Frauen in der Architektur.) Insgesamt 111.000 sind im Hochbau tätig. Die Architektenschaft arbeitet zu ca. 42 % freischaffend, zu ca. 53 % in Angestelltenverhältnissen und zu ca. 2 % verbeamtet, ca. 3 % sind baugewerblich tätig. Der Berufsstand befand sich ab Mitte der 1990er Jahre in einer schweren Krise, in der sich die wirtschaftliche Situation der Architekten in Deutschland verschlechterte. Häufig wurde der Beruf des Architekten dem sog. Akademischen Prekariat zugeordnet. In der ersten Dekade nach der Jahrtausendwende besserte sich die Situation leicht, danach deutlich, da sich für die Baubranche aufgrund der niedrigen Zinsen eine sehr gute Auftragslage ergab. Die Arbeitslosenquote der Architekten betrug 2017 6,4 %.
Als sehr kapitalintensive, auf Investitionen der freien Wirtschaft und der öffentlichen Hand angewiesene Branche wurde die Bauwirtschaft in besonders starkem Maße von der Wirtschaftskrise der späten 1990er und frühen 2000er Jahre und der prekären Finanzlage der öffentlichen Kassen getroffen. Infolgedessen hatte die Mehrheit der deutschen Architekturbüros mit erheblichem Auftragsmangel zu kämpfen. Zahlreiche Büros haben diese Krise nicht überstanden.
Das Berufsbild des Architekten ist seit Jahren Veränderungen unterworfen. Viele einst klassische Betätigungsfelder – von der konzeptionellen Entwicklung von Großprojekten über die Ausführungsplanung bis zur Bauleitung – werden inzwischen von Projektentwicklern, Baukonzernen oder anderen Konkurrenten angeboten. Infolgedessen hat sich das Betätigungsfeld solcher Architekturbüros, die nicht in der Lage sind, auf diese Entwicklung in angemessener Weise zu reagieren, in den letzten Jahren mehr und mehr eingeengt.
Ähnlich Ärzten und Rechtsanwälten haben selbständige Architekten eine Honorarordnung (HOAI), die durch die Kopplung an die Baukosten dynamisiert ist.
Einkommen
Nach dem Bericht des Hommerich-Instituts, welches die jährlichen Statistiken für die Bundesarchitektenkammer erstellt, lag der durchschnittliche Jahresüberschuss je Inhaber von Architekturbüros im Jahr 2019 bei 99.084 Euro.
Die Durchschnittswerte der Jahresüberschüsse je Büroinhaber im Jahr 2019 (nach Bürogröße) können aus der folgenden Tabelle (auf Tsd. EUR gerundet) abgelesen werden:
In den vergangenen Jahrzehnten hat sich parallel zur Arbeitsmarktsituation, die wirtschaftliche Situation der freiberuflichen Architekten stark verändert. Während in den Zeiten des Nachkriegsbooms, insbesondere in den 1950er- und 1960er-Jahren freiberufliche Architekten neben Ärzten, Zahnärzten und Wirtschaftsprüfern noch zu den bestverdienenden Berufsgruppen in Westdeutschland gehörten, nahm der Realwert derer Durchschnittseinkommen schon während der 1970er-Jahre ab. In den 1980er-Jahren nahm das durchschnittliche Einkommen westdeutscher Architekten auch in absoluten Werten stark ab. Während dies im Jahr 1979 noch bei 81.700 DM (entspricht 2022: circa 108.000 Euro) lag, lag deren Durchschnittseinkommen im Jahr 1987 mit 76.700 DM (entspricht 2022: circa 77.000 Euro) deutlich niedriger. Anfang der 1990er-Jahre stiegen die Werte zwar kurzzeitig wieder, jedoch ist erst seit den letzten Jahren wieder eine positive Entwicklung auszumachen.
Das Statistische Bundesamt nannte 2008 aus Finanzamtsdaten ein durchschnittliches jährliches Bruttoeinkommen für Architekten von 54.529 Euro, die Bundesarchitektenkammer 2015 von ca. 54.206 Euro. Es ist jedoch zu beachten, dass in dieser Statistik nur in der Kammer offiziell als Architekten eingetragene Berufstätige erfasst sind. Die Mehrheit der in der Branche Tätigen verdient deutlich weniger, die Spanne ist sehr groß.
Österreich
Berufsbezeichnung
Die Berufsbezeichnung Architekt ist in Österreich geschützt und darf gemäß Ziviltechnikergesetz 2019 nur von Personen, denen eine entsprechende Befugnis verliehen wurde geführt werden.
Verbände
In Österreich gehören die Architekten gemeinsam mit den Ingenieurkonsulenten/Zivilingenieuren zur Gruppe der Ziviltechniker.
Schweiz
Ausbildung
In der Schweiz wird Architektur an verschiedenen Hochschulen im Rahmen eines Architekturstudiums gelehrt.
Berufsbezeichnung
Die Berufsbezeichnung Architekt ist in der Schweiz nicht geschützt, daher gibt es zahlreiche Praktiker, die sich so bezeichnen. So sind auch die Anforderungen an die Berufsausübung nicht einheitlich geregelt. Einzig in Kantonen der französischsprachigen Schweiz, im Tessin und in Luzern schreiben die kantonalen Baugesetze die qualitativen Mindestanforderungen an Architekten und Bauingenieure vor. Die akademischen Grade aus dem Erwerb von Hochschuldiplomen sind gesetzlich geschützt.
Verbände
Der Bund Schweizer Architekten (BSA)
Der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA)
Die Swiss Engineering STV (ehemals Schweizerischer Technischer Verband), als größter Berufsverband aller Ingenieure und Architekten.
Spanien
In Spanien ist die Berufsbezeichnung Architekt () geschützt und setzt ein Studium der Architektur, sowie die Zugehörigkeit zu einer spanischen Architektenkammer voraus.
Neben dem mit dem deutschen Architekt vergleichbaren Arquitecto existiert in Spanien noch eine weitere Berufsgruppe, die entscheidende Aufgaben bei der Gebäudeplanung und -erstellung übernimmt, die der oder . Anders als bei der , welche u. a. auch die entwurflichen, baukünstlerischen und -geschichtlichen Aspekte betrachtet und lehrt, konzentriert sich die vierjährige akademische , auf die technisch-konstruktiven Probleme des Bauens. Der ist allerdings kein Arquitecto, sondern ein und somit dem Bauingenieur oder anglo-amerikanischen gleichzusetzen. Sein Leistungsbild umfasst vorwiegend die Bereiche der Bauleitung und -überwachung, Ausschreibung, Vergabe und Abstimmung mit den Behörden.
Japan
Die japanische Entsprechung des allgemeinen Begriffs Architekt ist kenchikuka (jap. ), der aus kenchiku ‚Gebäude errichten‘ und ka hier etwa ‚Berufsausübender‘ zusammengesetzt ist. Dieser ist allerdings nicht rechtlich geschützt.
Bauplanung und Bauausführung darf in Japan jedoch nur von staatlich zertifizierten Architekten durchgeführt werden, die als kenchikushi () bezeichnet werden, wobei shi für ‚Gelehrter‘ steht. Deren rechtlichen Anforderungen sind im Kenchikushi-hō () von 1950 festgelegt. Dieses kennt drei Klassen von Architekten: Architekten 1. Klasse () die jede Art von Gebäuden planen und errichten dürfen, Architekten 2. Klasse () für eine begrenzte Art von Gebäuden kleineren Ausmaßes und Holzbau-Architekten () für kleinere Holzgebäude. So dürfen zum Beispiel öffentliche Gebäude wie Schulen, Krankenhäuser, Theater usw. mit einer Grundfläche von mehr als 500 m² oder einer Höhe von mehr als 13 m nur von Architekten 1. Klasse errichtet werden. Diese erhalten ihre Lizenz vom Bauministerium, die beiden anderen Architektenklassen von ihrer jeweiligen Präfektur. 1995 gab es 264.398 Architekten 1. Klasse, 566.791 Architekten 2. Klasse und 11.386 Holzbau-Architekten.
Siehe auch
Liste bedeutender Architektinnen
Liste estnischer Architekten
Liste russischer Architekten
Liste niederländischer Architekten
Literatur
Günther Binding: Meister der Baukunst. Geschichte des Architekten- und Ingenieurberufes. Primus Verlag, Darmstadt 2004, ISBN 3-89678-497-8.
Kerstin Dörhöfer: Pionierinnen in der Architektur: Eine Baugeschichte der Moderne. Wasmuth, Tübingen 2004, ISBN 3-8030-0639-2.
Werner Durth: Deutsche Architekten. dtv, München 1992, ISBN 3-7828-1141-0.
Mathias Eisenmenger: Der Architekt: Das zukünftige Berufsbild unter Berücksichtigung seiner Verantwortung als Baumeister. kassel university press, Kassel 2007, ISBN 978-3-89958-252-9.
Robert Hodonyi: Von Baustelle zu Baustelle. Ein Streifzug durch die Geschichte des Architektenmotivs in der Literatur. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturwissenschaften. 54, H. 4, 2008, S. 589–608.
Ralph Johannes (Hrsg.): Entwerfen. Architektenausbildung in Europa von Vitruv bis Mitte des 20. Jahrhunderts: Geschichte – Theorie – Praxis. Junius Verlag, Hamburg 2009, ISBN 978-3-88506-441-1.
Isabel Kuhl, Kristina Lowis, Sabine Thiel-Siling: 50 Architekten die man kennen sollte. Prestel Verlag, München 2008, ISBN 978-3-7913-4044-9.
Winfried Nerdinger (Hrsg.): Der Architekt. Geschichte und Gegenwart eines Berufsstandes. Zwei Bände, München 2012.
Ulrich Pfammatter: Die Erfindung des modernen Architekten: Ursprung und Entwicklung seiner wissenschaftlich-industriellen Ausbildung. Birkhäuser, Basel u. a. 1997, ISBN 3-7643-5473-9.
Hanno Wolfensberger: Architektendämmerung : 10 Abgesänge auf einen Berufsstand. Campus, Frankfurt am Main/ New York 1993, ISBN 3-593-34922-1.
Tanja Kullack: Architektur – eine weibliche Profession. Jovis Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-86859-114-9.
Ingrid von Kruse: Eminent Architects. Jovis Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-86859-111-8.
Ulrike Eichhorn: Architektinnen. Ihr Beruf. Ihr Leben. Edition Eichhorn, Berlin 2013, ISBN 978-3-8442-6702-0.
Mary Pepchinski, Christina Budde, Wolfgang Voigt und Peter Cachola Schmal (Hrsg.): Frau Architekt. Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architektenberuf = over 100 years of women in architecture. Tübingen : Wasmuth, 2017.
Ursula Schwitalla (Hrsg.): Frauen in der Architektur. Rückblicke, Positionen, Ausblicke. Hatje Cantz, Berlin 2021, ISBN 978-3-7757-4868-1.
Weblinks
Interviews mit interdisziplinär tätigen Architekten
Einzelnachweise
Freier Beruf (Deutschland)
Bauberuf
Hochschulberuf
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Q42973
| 999.261919 |
78664
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https://de.wikipedia.org/wiki/K%C5%8Dbe
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Kōbe
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Kōbe (, -shi) ist eine Großstadt in Japan auf der Insel Honshū. Die Stadt ist Sitz der Präfekturverwaltung von Hyōgo und hat einen der größten Seehäfen Japans. Die moderne, internationale Stadt bildet mit Osaka und Kyōto (Keihanshin) und kleineren Städten das Herz der Kansai-Gegend. Kōbe ist eine der ersten designierten Großstädte von 1956.
Geographie
Geographische Lage
Kōbe liegt auf der nördlichen Seite der Bucht von Ōsaka (siehe auch Seto-Inlandsee). Das Stadtgebiet wird durch den Rokkō-Bergrücken (Höhe bis 931 m) in ein dicht besiedeltes Band (ca. 40 km lang und 2–7 km breit) direkt an der Küste und einen eher ländlichen Teil im Norden (Stadtbezirke Kita-ku und Nishi-ku) mit sogenannten New Towns (Satellitenstädte) geteilt. Die Stadt geht nahtlos in die benachbarten Städte Akashi im Westen und Ashiya im Osten über und ist damit Teil des großen urbanen Kōbe-Osaka-Kyōto-Ballungsraumes. Aufgrund der natürlichen Barriere auf der Landseite der Stadt hat man, wie auch in den anderen an die Bucht angrenzenden Städten, schon vor langer Zeit begonnen, durch künstliche Aufschüttungen dem Meer Land abzugewinnen. Beispiele hierfür sind die künstlichen Inseln Port Island, Rokkō Island sowie der neue Flughafen von Kōbe.
Mehrere kleine Flüsse durchqueren das Stadtgebiet von Kōbe auf ihrem Weg vom Rokkō zum Meer.
Größere natürliche Süßwasserflächen sind nicht vorhanden, in den Bergen aber kann man einige Stauseen finden. Der größte davon ist der Tsukuhara-ko im Bezirk Nishi-ku.
Geologie
Vor der Ostküste Japans treffen drei Kontinentalplatten (Eurasische Platte, Philippinische Platte und Pazifische Platte) aufeinander. Wie in ganz Japan gibt es auch in der Gegend von Kobe mehrere seismisch aktive Verwerfungen.
Bereits am 22. Mai Jahr 1925 erschütterten mehrere heftige Erdstöße die Region. Das Zentrum des Bebens lag allerdings bei dem Fischerdorf Toyo-oka, das vollkommen zerstört wurde und rund 5000 Menschen in den Tod riss.
Nach etwa 600 Jahren relativer Ruhe im zentralen Gebiet von Kinki ereignete sich am 17. Januar 1995 um 5:46 Uhr Ortszeit ein Erdbeben der Stärke 7,2 der Richterskala (Mj7,3 auf der neuen JMA-Magnituden-Skala). Dadurch kam es zu Erschütterungen mit einer maximalen Intensität von 7 auf der in Japan weit verbreiteten JMA-Skala. Das Epizentrum lag nahe der Stadt in der Akashi-Meerenge, so dass der Abstand der Pfeiler der damals im Bau befindlichen Akashi-Kaikyō-Brücke durch das Beben um fast einen Meter vergrößert wurde. Infolge des Bebens starben 6.433 Menschen, 43.792 wurden verletzt und 300.000 wurden obdachlos. Weite Flächen der Stadt wurden zerstört. Die Schäden waren die bisher größten bei einem Erdbeben (nach Schätzungen ca. 100 Milliarden €), auch die Hanshin-Autobahn, eine damals als erdbebensicher geltende Autobahn, brach zusammen. Weil das Beben neben der Stadt Kōbe auch die Hanshin-Region betraf, wird es auch das große Hanshin-Erdbeben (beziehungsweise das Hanshin-Awaji-Erdbeben) genannt.
Stadtgliederung
Kōbe gliedert sich als designierte Großstadt in 9 Stadtbezirke:
Anmerkungen:
Klima
Kōbe liegt in der subtropischen Klimazone mit vollhumidem Klima. Die durchschnittliche Jahrestemperatur liegt bei ca. 16 Grad Celsius. Die wärmsten Monate sind der Juli und August mit einer Durchschnittstemperatur von etwa 27 Grad Celsius. Die kältesten Monate sind Januar und Februar mit fünf Grad Celsius im Mittel.
Die mittlere Jahresniederschlagsmenge beträgt ca. 1.316 Millimeter. Der meiste Niederschlag fällt in der Regenzeit im Juni (durchschnittlich 218 mm) und im September (durchschnittlich 170 mm), der wenigste dagegen im Dezember mit nur 38 Millimeter im Mittel. Im September beginnt die Taifunsaison, die für die spätsommerlichen Starkniederschläge verantwortlich ist.
Die relativ hohe Luftfeuchtigkeit (im Mittel 68 Prozent) macht vor allem im Sommer ziemlich zu schaffen. Von Juni bis September liegt die durchschnittliche relative Feuchte zwischen 70 und 80 Prozent.
Geschichte
Es wird vermutet, dass sich der Name Kōbe vom gleich geschriebenen Kambe ableitet. Kambe waren bestimmte Familien, die ihre gesamten Steuern einem bestimmten Schrein entrichten mussten – hier dem Ikuta-Schrein. Diese Kambe-Ansiedlung Kambe-mura soll dann im Laufe der Zeit als Kōbe-mura ausgesprochen worden sein.
Der Hafen von Kōbe hat sich durch seine gute Lage schon früh entwickelt. In der Nara-Zeit (710–784 n. Chr.) legten am Owada no Tomari Handelsschiffe aus China und anderen Ländern an. Schon seit die Hauptstadt für kurze Zeit von Heian-kyō nach Fukuhara-kyō im heutigen Hyōgo-ku verlegt worden war, wurden hier vermehrt militärische Konflikte (vor allem zwischen den Heike und den Genji) ausgetragen, so z. B. die Schlacht von Ichi-no-Tani im Jahre 1184.
Später entwickelte sich der Hafen weiter zu einem der wichtigsten in Japan. Es wird erzählt, dass der berühmte Reichseiniger Toyotomi Hideyoshi oft hierher kam, um die heißen Quellen des Arima Onsen zu besuchen.
In der Edo-Zeit (1603–1867) wurde der heutige Bezirk Nada-ku bekannt für seine Sake-Brauereien. Noch heute kommt der größte Teil der japanischen Sake-Produktion von dort.
Als sich Japan unter dem Druck Amerikas in der Meiji-Restauration der Welt öffnete, fiel 1868 der Startschuss für die Entwicklung Kōbes zu einer internationalen Hafenstadt. Viele Amerikaner und Europäer kamen nach Kōbe und etablierten sich im heutigen Kyū kyoryū-chi (ehemalige ausländische Siedlung) in der Nähe des Hafens und in Kitano. Durch die vielen Händler kamen so westliche Waren und westliche Kultur nach Japan. Kōbe gilt als der Geburtsort des Kinos und des Jazz in Japan. 1899 wurden die exterritorialen Rechte der europäischen Kolonialmächte aus den ungleichen Verträgen und das Ausländerviertel als solches abgeschafft.
In Kōbe leben heute (2005) ca. 44.500 Ausländer aus mehr als 115 Nationen, das sind knapp 3 % der Bevölkerung (davon mehr als 50 % Koreaner).
Bei der Einrichtung der Präfekturen in der Meiji-Restauration wurde die spätere Stadt 1868 Sitz der Präfekturverwaltung von Hyōgo, das sich bei der Konsolidierung der Präfekturen in den Folgejahren auf fünf Provinzen ausdehnte. Bei der Reaktivierung und Neuordnung der Kreise in Hyōgo wurden 1879 der Hafen Hyōgo (), die Stadt Kōbe () und das Dorf Sakamoto () aus dem Landkreis Yatabe (später Muko) zum Stadtkreis Kōbe (, Kōbe-ku) zusammengelegt. Aus diesem und zwei weiteren Dörfern entstand am 1. April 1889 mit der Einführung des modernen japanischen Gemeindewesens die heutige kreisfreie Stadt Kōbe (Kōbe-shi). 1922 wurde Kōbe eine der „sechs Großstädte“, 1956 Großstadt durch Regierungserlass mit ausgeweiteter Selbstverwaltung. 1931 wurde das damalige Stadtgebiet in acht Verwaltungsbezirke unterteilt, nach vielen Eingemeindungen (1941, 1947, 1950, 1951, 1955, 1958) und mehreren Neugliederungen (1945, 1946, 1973, 1980, 1982) sind es seit 1982 neun Bezirke.
Die Universität von Kōbe wurde 1902 gegründet.
Im Zuge des Zweiten Weltkriegs wurde die Stadt zwischen Februar 1945 und August 1945 mehrfach durch die United States Army Air Forces (USAAF) mit Napalmbomben bombardiert. Die Angriffe zerstörten rund 57 % des Stadtgebietes und forderten knapp 6.300 Tote und 15.800 Verletzte. Durch die Angriffe wurden 18,6–22,8 km2 der Stadt niedergebrannt und 452.059 Personen wurden obdachlos. (siehe Luftangriffe auf Kōbe)
Nach dem großen Hanshin-Erdbeben 1995 mussten viele Gebäude neu errichtet werden, was dazu führte, dass Kōbe heute in den meisten Stadtvierteln einen modernen Anblick bietet. Der Hafen, der bis zum Erdbeben der größte in Asien und der zweitgrößte in der Welt war, verlor seinen Rang an Nagoya, da viele Firmen durch das Erdbeben zu anderen Häfen ausweichen mussten und nur teilweise zurückkehrten.
Politik
Seit 2013 ist der ehemalige Vizebürgermeister Kizō Hisamoto Bürgermeister von Kōbe. Er wurde 2021, als die Bürgermeisterwahl mit der nationalen Unterhauswahl zusammenfiel, mit Unterstützung von LDP, KDP, Kōmeitō und DVP mit Zweidrittelmehrheit gegen vier Herausforderer für eine dritte Amtszeit wiedergewählt.
Der Stadtrat (Kōbe-shikai) hat seit 2023 regulär 65 Mitglieder, die in den Stadtbezirken durch nicht übertragbare Einzelstimmgebung gewählt werden. Bei der letzten Wahl im April 2023 blieb die Liberaldemokratische Partei (LDP) mit 17 Sitzen stärkste Partei, die Ishin no Kai wurde mit 15 Sitzen zweitstärkste Kraft.
Ins 86-köpfige Präfekturparlament von Hyōgo wählen die Stadtbezirke von Kōbe als Zwei- oder Dreimandatswahlkreise zusammen 23 Abgeordnete.
Für das nationale Unterhaus liegt Kōbe in den Wahlkreisen Hyōgo 1 bis 4; letzterer liegt zu großen Teilen außerhalb der Stadt, die anderen drei ganz in Kōbe. Bei der Unterhauswahl 2021 gingen die Wahlkreise Hyōgo 3 und 4 an Liberaldemokraten, der Wahlkreis 2 an die Kōmeitō, der Wahlkreis 1 an die KDP.
Stadtsymbol
Das Stadtsymbol von Kōbe – zwei sich überschneidende Halbkreise – symbolisieren die fächerartige Form der zwei Häfen Kōbe und Hyōgo. Das Symbol leitet sich außerdem vom japanischen Zeichen (Katakana) ab, welches im früheren Namen vorkam. Es wurde 1907 eingeführt und ist heute vielerorts sichtbar.
Städtepartnerschaften
Seattle, USA – seit 1957
Marseille, Frankreich – seit 1961
Rio de Janeiro, Brasilien – seit 1969
Tianjin, China – seit 1973
Riga, Lettland – seit 1974
Brisbane, Australien – seit 1985
Philadelphia, USA – seit 1986
Barcelona, Spanien – seit 1993
Kultur und Sehenswürdigkeiten
Obwohl Kōbe keine typische Touristenstadt ist, gibt es einiges zu sehen. Das Kobe-Stadtmuseum besitzt u. a. eine bedeutende Sammlung westlicher Kunst aus der Zeit des Handels der christlichen Missionierung um 1600. Bekannt ist Kōbe für die Arima Onsen, seine ehemaligen Ausländersiedlungen (, kyū kyoryūchi), Kitano und die Chinatown Nankin-machi (dt. „Nanking-Viertel“), den Sake-Distrikt in Nada und das Hafengebiet mit seinen Attraktionen. Weiterhin bietet das Rokkō-Gebirge mit fast 1000 Meter Höhe vielfältige Wandermöglichkeiten mit spektakulären Aussichten auf die gesamte Region. Im Hafengebiet von Hyōgo findet sich der Kōbe Daibutsu (große Buddha-Statue) und der historische Wanderpfad „Straße des Hafens Hyōgo“ (Hyōgo-tsu no Michi). Weiter im Westen in Suma gibt es Sandstrände und die berühmte Akashi-Kaikyō-Brücke.
Museen
DRI – Museum für Naturkatastrophen
Zentrum für Bodendenkmäler Kōbe ()
Hashi no Kagakukan („Brückenmuseum“)
Ausländerklub in Kitano ()
Wissenschaftsmuseum mit Planetarium Kōbe
Kōbe Water Science Museum ()
Lampenmuseum Kōbe
Puppenmuseum Kōbe
Aquarium Kōbe in Suma
Kunstmuseum Kitano ()
Kōsetsu-Kunstmuseum
Hakutsuru-Kunstmuseum
Maritimes Museum im Meriken Park ()
Moegi no Yakata ()
Museum der Sake-Brauerei Hakutsuru ()
Städtisches Museum Kōbe
Takenaka Carpentry Tool Museum
UCC-Kaffeemuseum () auf Port Island
Musik
Kōbe ist bekannt für seine Jazz-Clubs.
Bauwerke
Das Hafengebiet wird vom Kōbe Port Tower überragt. Das interessante Bauwerk ist ein 108 Meter hoher Stahlfachwerkturm in Form eines Hyperboloids mit einer Aussichtsplattform in 90,28 Metern Höhe. Der Hafenturm wurde 1963 eröffnet
Ebenfalls im Meriken-Park steht gleich neben dem Port Tower das Maritime Museum mit seiner ungewöhnlichen Dachkonstruktion
Das Meriken Park Oriental Hotel im Hafen fällt durch seine ungewöhnliche Form auf. Es sieht aus wie ein riesiges Schiff, was dadurch unterstrichen wird, dass es auf 3 Seiten von Wasser umgeben ist
Das 158 Meter hohe Oriental Hotel in Shin-Kōbe ist mit seinen 35 Etagen das höchste Gebäude in Kōbe
Die Akashi-Kaikyō-Brücke im Stadtteil Suma verbindet Kōbe mit der Insel Awaji. Gemessen an der frei überspannten Weite ist sie die größte Hängebrücke der Welt und bietet in der Nacht vielfältige Illuminationen.
Tempel und Schreine
Ikuta-Schrein in Sannomiya
Minatogawa-Schrein in der Nähe des JR-Bahnhofs Kōbe
Nagata-Schrein in Nagata
Suwayama-Schrein auf dem Berg Suwa
Tempel Sumadera in Suma
Kanteibyō (chinesischer Tempel)
Andere religiöse Stätten
Die erste Moschee Japans, die Kōbe-Moschee, wurde 1935 in Kitano gebaut
Auch eine Synagoge kann man seit 1937 in Kitano finden
Es gibt mehrere christliche Kirchen, so zum Beispiel die Kōbe Union Church, die Cathedral Church of St. Michael oder die St. Andrews Church.
Ausländerfriedhof (), schön, aber abgelegen am Hang des Futatabiyama. Nur zugänglich für „trauernde Angehörige.“
Thermalbäder (Onsen)
Arima Onsen (Kita-ku)
Tennō Onsen (Hyogo-ku)
Minatoyama Onsen (Hyogo-ku)
Suma Onsen (Suma-ku)
Nadeshiko no Yu (Nishi-ku)
Kanoko Onsen (Kita-ku)
Gosha Onsen (Kita-ku)
Shiawase no Mura (Kita-ku)
Ozo Onsen (Fruit&Flower Park, Kita-ku)
Parks
Fruit&Flower Park
Nunobiki Kräuter-Park
Sorakuen
Suma Rikyu Park
Kōbe Earthquake Memorial Park
Meriken Park
Sport
Stadien:
Noevir Stadium (einer der Austragungsorte der Rugby-Union-Weltmeisterschaft 2019)
Kōbe Sports Park mit Green Arena, Skymark Stadium (ehemals „Green Stadium“, auch als YahooBB-Stadium bezeichnet) und Universiade Memorial Stadium
Port Island Sports Center (Eisstadion)
Teams:
Baseball: Orix Buffaloes – Pacific League
Baseball: Hanshin Tigers – Central League
Fußball: Vissel Kōbe – J. League
Rugby: Kōbe Steel Kobelco Steelers
Eishockey: Nikko Kōbe IceBucks – Asia League Ice Hockey (zusammen mit Nikko)
Regelmäßige Veranstaltungen
Jedes Jahr im Dezember findet im Higashi Yuenchi Park in Sannomiya die Kōbe Luminarie in Erinnerung an das große Hanshin-Erdbeben statt. Die Luminarie kommt ursprünglich aus Italien und ist ein Lichterfest mit besonders dekorativen Illuminationen.
Im April findet die ebenfalls auf einen italienischen Brauch zurückgehende Infiorata in verschiedenen Teilen von Kōbe statt. Es werden ganze Straßen mit Blumenteppichen bedeckt, in denen Bilder dargestellt werden
Das große Kōbe Matsuri im Mai ist ein Festival in der ganzen Stadt. Das in diesem Rahmen stattfindende Samba-Festival ist sehr beliebt.
In Nankin-machi, der Chinatown von Kōbe, wird von Mitte Januar bis Anfang Februar das chinesische Neujahrsfest und Mitte September das Mittherbstfest gefeiert
Kōbe Jazz Street im Oktober in Kitano
Kulinarische Spezialitäten
Kōbe ist berühmt für seine besonderen Zuchtrinder, das daraus gewonnene Rindfleisch und den Sake (Reiswein) aus Nada. Weiterhin wird in den ländlichen Teilen (Nishi-ku und Kita-ku) Wein angebaut. Auch verschiedene Süßigkeiten (vor allem Pudding) und Gebäck kommen aus Kōbe. Eine weitere regionale Spezialität sind ikanago no kugini (), kleine Babyfische, die mit Sojasauce, Ingwer, Mirin und Zucker gekocht und meist auf Reis verzehrt werden.
Wirtschaft und Infrastruktur
Die Unternehmen in Kōbe sind zu 70 % im Tertiärsektor (Dienstleistungssektor), zu 30 % im Sekundärsektor (produzierende Gewerbe) und zu weniger als 1 % im Primärsektor (Urproduktion) angesiedelt.
Der bedeutende Hafen wickelte im Jahr 1998, gemessen am Wert, 8 % des gesamten japanischen Außenhandels ab und war damit nach den Häfen Yokohama und Tokio (je 11 %) der drittwichtigste Hafen.
Dank des Hafens ist hier auch Schwerindustrie wie z. B. Kawasaki Heavy Industries und Mitsubishi Heavy Industries mit großen Industrieanlagen und Werften (U-Boot-Bau) angesiedelt.
Wichtige industrielle Erzeugnisse sind Schiffe, Eisenbahnzüge, Eisen und Stahl, Motorräder, Gummi, Schuhe (bis zum Erdbeben 1995 etwa 60 % der jap. Produktion), Maschinen; typische Güter sind Sake, Wein, Gebäck und Süßigkeiten (siehe Karl Joseph Wilhelm Juchheim) und das exquisite Kōbe Beef. Kōbe hat im Perlenhandel eine überragende Stellung inne.
Verkehr
Nahverkehr
Der Bahnhof Sannomiya ist das Verkehrskreuz von Kōbe. Hier halten alle Nahverkehrszüge und fast alle Fernverkehrszüge außer der Shinkansen.
Die „Innenstadt“ von Kōbe liegt zwischen den JR-Bahnhöfen Kōbe und Sannomiya. Wer also ins Zentrum möchte, steigt am besten in Motomachi oder Sannomiya aus.
Aufgrund der Topografie ähneln sich die Streckenführungen der drei Bahngesellschaften Japan Railway (JR), Hanshin und Hankyū zwischen Kōbe und Ōsaka: Sie treffen sich jeweils in Sannomiya und Umeda und konkurrieren bei Fahrzeit und Preis miteinander (siehe Zugunglück in Amagasaki).
Das U-Bahn-Netz wurde 1977 eröffnet. Es besteht derzeit aus zwei Linien (siehe U-Bahn Kōbe).
Ein vollautomatischer Peoplemover (Port Liner) verbindet Sannomiya mit der künstlichen Insel Port Island und mit dem neuen Flughafen von Kōbe.
Rokkō Island ist mit einem zweiten Peoplemover (Rokkō Liner) erreichbar, der die Insel mit dem JR-Bahnhof Sumiyoshi und dem Hanshin-Bahnhof Uozaki verbindet.
Über die Akashi-Kaikyō-Brücke sind die Insel Awaji und auch Shikoku mit dem Auto und Bus erreichbar. Von Akashi aus gibt es auch einen Fährservice zur Insel Awaji.
Fernverkehr
Eisenbahn: Kōbe hat wie alle Städte in Japan hervorragende Verkehrsverbindungen. Aufgrund der Neubaustreckenführung unter dem gesamten Rokkōmassiv, wurde der Shinkansen-Bahnhof Shin-Kōbe etwa 1 km abseits des Bahnhofs Sannomiya errichtet und ist zu Fuß und mit der U-Bahn zu erreichen. Die Fahrzeiten mit dem schnellsten Nozomi-Shinkansen betragen: nach Tokio 2:50, Fukuoka 2:20, Hiroshima 1:15, Nagoya 1:08 und nach Kyōto 0:30.
Flugverkehr: Am 16. Februar 2006 wurde der umstrittene Neubau Flughafen Kōbe auf einer künstlichen Insel südlich von Kōbe in Betrieb genommen, obwohl selbst der benachbarte Flughafen Kansai auch im 10. Jahr seine Auslastungsprobleme nicht gelöst hat. Kansai International erreicht man von Sannomiya aus mit dem Flughafen-Bus in ca. 70 Minuten, mit dem Zug in ca. 90 Minuten. Vom Flughafen Kobe kann man mit einer High-Speed-Ferry in 30 Minuten zum Flughafen Kansai gelangen.
Schiffsverkehr: Schiffsverbindungen gibt es nach Shikoku, Kyūshū, Okinawa sowie Shanghai und Tianjin in der Volksrepublik China.
Busverkehr: Von Sannomiya aus fahren regelmäßig Busse nach Tokio, Kyūshū und Shikoku.
Bildung
In Kōbe gibt es 17 Universitäten und 8 andere Hochschulen. Außerdem 83 Fachschulen, 61 Oberschulen, 104 Mittelschulen, 175 Grundschulen, 10 Schulen für Behinderte und 156 Krippen. Aufgrund der relativ hohen Ausländerzahl finden sich hier auch 9 internationale Schulen (Stand: 2004).
Öffentliche Universitäten
Universität Kōbe, gegründet 1902, ca. 16.000 Studenten, eine der ältesten und größten staatlichen Universitäten in Japan
Präfekturuniversität Hyōgo, gegründet 2004, hervorgegangen aus dem Zusammenschluss der Kōbe University of Commerce, des Himeji Institute of Technology, und des College of Nursing Art and Science, Hyogo
Kōbe City University of Foreign Studies, gegründet 1946, ca. 2.000 Studenten
Kōbe City College of Nursing, gegründet 1995, ca. 400 Studenten
Private Universitäten
Kōnan-Universität
Kōnan-Frauenuniversität
Kōbe Kaisei College (Frauenuniversität)
Gakuin-Universität Kōbe
Design-Universität Kōbe
Kōbe International University
Shoin-Frauenuniversität Kōbe
Frauenuniversität Kōbe
Shinwa-Frauenuniversität Kōbe
Pharmazeutische Universität Kōbe
Yamate-Universität Kōbe
University of Marketing and Distribution Sciences
Internationale Schulen
Marist Brothers International School (Montessori-12), in Suma-ku, gegründet 1951
Canadian Academy (K-12), auf Rokkō Island, gegründet 1913
St. Michael’s International School, eine kleine britische Grundschule in Sannomiya, gegründet 1946
Deutsche Schule Kōbe – European School, in Nada-ku, gegründet 1909, englischer Zweig seit 2001
Mikage International Preschool in Higashinada-ku und Ashiya International School in Ashiya, gegründet 1963
Ecole Francaise du Kansai, in Higashinada-ku (Mikage-Grundschule)
Norwegische Schule, in Higashinada-ku
Kōbe Zhonghua Tongwen School (China), in Chūō-ku
Hyōgo Chōsen Gakuen (Korea), in Chūō-ku
Persönlichkeiten
Literatur
Otto Refardt: Die Deutschen in Kobe seit 1868. Erinnerungen an Alt-Kobe. Vortrag gehalten vor der Zweiggruppe Kobe-Osaka, Dezember 1954. In: Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur und Völkerkunde Ostasiens, Bd. 39, Teil A, 1956, S. 17–36.
S. Noma (Hrsg.): Kōbe. In: Japan. An Illustrated Encyclopedia. Kodansha, 1993. ISBN 4-06-205938-X, S. 802.
Weblinks
Website der Stadt
Einzelnachweise
Ort in der Präfektur Hyōgo
Ort mit Seehafen
Millionenstadt
Japanische Präfekturhauptstadt
Hochschul- oder Universitätsstadt
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Q48320
| 285.242204 |
48083
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https://de.wikipedia.org/wiki/Publikation
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Publikation
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Als Publikation (von ) bezeichnet man sowohl die Veröffentlichung eines Werkes (auch: Publizierung) als auch das veröffentlichte Werk selbst.
Zum Begriff
Laut Duden ist Publikation mit publiziertes Werk und publizieren gleichzusetzen. Somit meint Publikation den Inhalt eines Mediums oder/und das konkrete Medium samt Inhalt sowie den Vorgang der öffentlichen Verfügbarmachung eines Mediums. Synonym mit Publikation ist laut Duden auch die Publizierung im Sinne einer Veröffentlichung eines literarischen oder wissenschaftlichen Werkes oder das, der oder die Release (, ‚Veröffentlichung‘ – insbesondere einer neuen oder überarbeiteten Software).
Weitere im Duden aufgeführte Synonyme sind:
Abhandlung, Artikel, Aufsatz, Ausführung, Bearbeitung, Beitrag, Buch, Schrift, Text, Titel, Werk; (gehoben) Elaborat
Abdruck, Ausgabe, Druck, Herausgabe, Publizierung, Veröffentlichung; (Buchwesen) Auflegung, Edition
Laut Urheberrechtsgesetz (Deutschland) werden die „Veröffentlichung“ und das „Erscheinen“ (z. B. eines Druckwerks) auch als sogenannte bestimmte Rechtsbegriffe gebraucht, die vor allem im Urheberrecht von Belang sind (und hier insbesondere im deutschen Urheberrecht, das die Begriffe „Publikation/Publizieren/Release“ nicht kennt).
Allgemeines
Alles, was im weitesten Sinne unter anderem als Nachricht oder Kulturgut für eine Öffentlichkeit gedacht ist, ist eine Publikation. Publikationen können sich dadurch auszeichnen, dass sie für eine breite Öffentlichkeit oder auch nur für eine begrenzte Zielgruppe gedacht sind; sie können auf verschiedenen Trägermedien festgehalten werden oder auch nur einmalig mündlich „verlautbart“ werden.
Früheste Formen einer Publikation waren mit der mündlichen Überlieferung die erzählende Weitergabe von geschichtlichen, gesellschaftlichen und religiösen Informationen. Der oralen Informationsweitergabe an die Öffentlichkeit dienten zudem Verlautbarungen kommunaler oder auch höchster Instanzen, die u. a. ihre Bulletins, Dekrete und Gerichtsurteile durch Ausrufer nicht zuletzt einem noch nicht alphabetisierten Publikum mitteilen ließen. Einer ersten Form oral vorgetragener Werbung bedienten sich z. B. die Marktschreier.
Beispiele für mittelbar über Medien verbreitete Publikationen sind Druckerzeugnisse (u. a. Bücher, Zeitschriften, Zeitungen), Ton- oder/und Filmaufnahmen und Webseiten. Ersteller von Publikationen können Einzelpersonen sein (z. B. Selbstpublikationen, ggf. in Form eines Selbstverlags) oder Unternehmen wie u. a. Filmproduktionsgesellschaften, Tonträgerunternehmen (umgangssprachlich Plattenfirmen) oder Verlage sowie die Werbebranche oder auch Behörden im Sinne einer staatlichen Öffentlichkeitsarbeit (Amtliche Bekanntmachungen etc.). Angaben zum Urheberrecht z. B. der Autoren und Ersteller einer Publikation sind u. a. in Lektüren dem Impressum, bei Tonträgern beigefügten Booklets und in Filmen dem Abspann zu entnehmen. Die Sammlung und Erschließung von Publikationen wird von Archiven, Bibliotheken und auch privaten Sammlern wahrgenommen.
Erscheinungsdatum
Das Erscheinungsdatum bzw. -jahr ist maßgeblich für die Berechnung der Fristen für den urheberrechtlichen Schutz. Wird ein Werk anonym oder unter einem Pseudonym veröffentlicht, erlischt das Urheberrecht in Deutschland in der Regel 70 Jahre nach Veröffentlichung (§ 66 UrhG).
Publikationsformen
Die Anzahl der verschiedenen Publikationsformen ist seit Anfang des 20. Jahrhunderts sprunghaft angestiegen. Publikationsformen sind dabei anstelle einer mündlichen Überlieferung mittelbar durch Massenmedien verbreitete Veröffentlichungen. Die Medien lassen sich nach verschiedenen Kriterien unterteilen.
Inhaltliche Formen
Siehe dazu u. a.: Genres in den unterschiedlichen Kunstformen, Journalistische Darstellungsform, Öffentlichkeitsarbeit, Werbung, Wissenschaftliche Publikation
Trägermaterialien
Zur Verbreitung einer Publikation muss sich diese auf einem Informationsträger befinden oder über einen Übertragungskanal (Medium) verbreitet werden.
Als Träger von Information eignet sich prinzipiell jedes transportable Material, unter anderem Tontafeln, Papyrus, Pergament und Papier für Handschriften und Printmedien und verschiedene Datenträger für digitale Informationen. Eine übliche Form von Handschriften waren Papyrus-Schriftrollen im Altertum und Pergament-Kodizes in der Spätantike und im Mittelalter. Im Spätmittelalter trat das billigere Papier seinen Siegeszug an; in der Mitte des 15. Jahrhunderts wurde die aufwändige handschriftliche Einzelproduktion mit der Erfindung des Buchdrucks abgelöst.
Zur nicht-physischen Übertragung von Signalen (Rundfunk) werden in der Regel elektromagnetische Wellen eingesetzt, z. B. auch über das Internet (Pay-TV, digitale Videorecorder, Internet-Radio/TV, Digitales Fernsehen) – eine einfachere, aber auch begrenztere Möglichkeit stellen akustische (Sprache) und optische Signale (beispielsweise Rauchsignale) dar.
Die Archivierung und Vermittlung von publizierten Informationen übernehmen seit der Antike Bibliotheken.
Printmedien
Printmedien sind papiergebundene Druckerzeugnisse (im Unterschied zu Handschriften).
Beispiele für Printmedien:
Buch, Zeitung, Zeitschrift
Karte (Kartographie) (Landkarten, Stadtpläne, Messtischblätter)
Flugblatt, Plakat (nicht immer als Publikation)
Eine besondere Form von Printmedien sind Blindendrucke (Publikationen in Blindenschrift).
Nonprint-Medien: Publikationen auf anderen Trägermedien als Papier, beispielsweise elektronischen Datenträgern, bei denen die Informationen auf unterschiedlichste Art und Weise (mechanisch, elektromagnetisch, photochemisch) auf einem Trägermedium festgehalten werden, werden als Nonprint-Medien davon abgegrenzt.
Audiovisuelle Medien
Unter Audiovisuelle Medien fasst man Bild- und Tonmedien auf digitalen und früher analogen Speichermedien zusammen.
Tonträger
Musiktonträger (Vinyl-Schallplatte, Musikkassette, Compact Disc, Compact Cassette, MiniDisc)
Hörbücher, Hörspiele
Digitale Audiobänder (DAT und DCC) konnten sich nicht durchsetzen und fanden fast nur im professionellen Bereich Verwendung.
Filmmedien
Kinofilm
16-Millimeter-Film (in Medienzentren/Bildstellen, zu Lehrzwecken)
VHS, DVD
CD-i
Blu-ray Disc
HD DVD
VMD
Andere Formen (S-VHS, Laserdisc, VCD, SVCD) spielen als Medium für den kommerziellen Vertrieb von Filmen praktisch nur in Asien eine Rolle und werden nach und nach von der DVD verdrängt.
Mikroformen
Mikroform ist der Oberbegriff für auf Filmmaterial verkleinerte analoge Abbildungen von gedruckten Vorlagen. Die wichtigsten Mikroformen sind Mikrofiche (Mikroplanfilm) und Mikrofilm (Mikrorollfilm). Am verbreitetsten sind DIN-A6-Mikrofiche und 35-Millimeter-Mikrofilme. Mikroformen werden vor allem zur Archivierung benutzt.
Elektronische Publikationen
Elektronische Publikationen zeichnen sich dadurch aus, dass sie in digitaler Form vorliegen und zu ihrer Benutzung ein Computer benötigt wird. Man unterscheidet
Offline-Publikationen auf unterschiedlichen Speichermedien (Diskette, CD-ROM, DVD),
Online-Publikationen, die über das Internet oder über ein Intranet verbreitet werden (beispielsweise Webseiten).
Elektronische Publikationen sind vor allem für Nachschlagewerke, Lernprogramme, elektronische Zeitschriften sowie Computerspiele und Software geeignet. Die von einigen prophezeite Ablösung der Printmedien durch E-Books ist bislang nicht eingetreten.
Elektronische Publikationen unterscheiden sich von anderen Publikationsformen unter anderem durch eine sowohl funktional (Interaktivität) als auch temporal (Aktualisierungen) höhere Dynamik aus, was ihre Archivierung schwierig macht.
Medienkombinationen
Mögliche Kombinationen sind u. a.: Buch/CD-ROM, Buch/Audiokassette, Audio-CD/Booklet …
Weitere Formen
Cross Media Publishing – medienübergreifende Veröffentlichung
Corporate Publishing – unternehmenseigene Publikationen wie Kundenzeitschrift, Mitarbeiterzeitschrift, Mitgliederzeitschrift oder Business TV
Abgrenzungen
Das Wesentliche einer Publikation ist in der Regel ihr zeitgleich mehrfach veröffentlichter Inhalt über ein oder mehrere Medien.
Gespräche oder/und Mitteilungen über die häufigsten Kommunikationsmittel wie beispielsweise das Telefon oder Chat werden nicht als Publikation bezeichnet, da sie meist nur zur direkten Kommunikation eingesetzt, demzufolge nicht öffentlich zugänglich sind und (meist) nicht abgespeichert werden.
Kunstwerke als Unikate der Bildenden Kunst oder wie z. B. Grafiken in geringer Auflage werden im üblichen Sprachgebrauch nicht als Publikation bezeichnet, wiewohl sie einer Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.
Siehe auch
Edition (Ausgabe)
Hörfunk und Fernsehen
Kommunikationsmittel
Mediennutzung
Medienwissenschaft
Multimedia
Publizitätspflicht
Veröffentlichung
Web-First-Prinzip
Wissenschaftliche Publikation
Weblinks
Einzelnachweise
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Q732577
| 384.426765 |
5914
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https://de.wikipedia.org/wiki/1935
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1935
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Im Jahr 1935 beginnt das NS-Regime, den Friedensvertrag von Versailles zu unterhöhlen. Reichsluftfahrtminister Hermann Göring gibt die Gründung der Luftwaffe bekannt; die bis dahin bestehende Reichswehr wird in die Wehrmacht umgewandelt. Zur „Wiedererlangung der Wehrhoheit“ wird die allgemeine Wehrpflicht wieder eingeführt; mit dem deutsch-britischen Flottenabkommen, bei dem das britische Parlament mittels Austausch diplomatischer Noten umgangen wird, wird die Stärke der deutschen Marine, die von Reichsmarine in Kriegsmarine umbenannt wird, auf maximal 35 % der Royal Navy festgelegt. Dies ist Teil der Aufrüstung der Wehrmacht.
Nach der Saarabstimmung gibt der Völkerbund mit Wirkung zum 1. März das Saargebiet zurück ans Deutsche Reich, was von der NS-Propaganda als „heim ins Reich“ bezeichnet wird. Das Saarland wird direkt der Reichsführung unterstellt und ein Reichskommissar für die Rückgliederung des Saargebietes eingesetzt.
Innenpolitisch wird die Rassenideologie des NS-Regimes in den Nürnberger Gesetzen legistisch festgeschrieben. Erstmals wird der Begriff „Jude“ gesetzlich definiert; mit dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre werden die Eheschließung und Sexualkontakte zwischen Juden und Nichtjuden verboten und unter Strafe gestellt. Dieses Verbot der „Rassenschande“ wird in der Folge mittels Verordnung auch auf „Zigeuner, Neger und ihre Bastarde“ ausgeweitet. Mit dem Reichsbürgergesetz wird Juden überdies auch das Bürgerrecht aberkannt. In diesen Gesetzen und in der Verschärfung des § 175 RStGB, der homosexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellt, zeigt sich auch das nationalsozialistische Frauenbild. Mit Einführung der Deutschen Gemeindeordnung vom 30. Januar 1935 wird das bisher föderalistisch strukturierte Gemeindeverfassungsrecht der deutschen Länder zugunsten einer zentralistischen Regelung abgeschafft.
Italien versucht inzwischen, sein Kolonialreich auszubauen. Nachdem ein erster Versuch, das Kaiserreich Abessinien zu erobern, 1896 scheiterte, erklärt das faschistische Regime unter Benito Mussolini Äthiopien neuerlich den Krieg. Grundlage dafür ist das Französisch-Italienische Abkommen, in dem die beiden Kolonialmächte ihre Einflusssphären in Afrika abgrenzen.
In China kommt es während des Bürgerkriegs auf der Konferenz von Zunyi zum Machtkampf innerhalb der Kommunistischen Partei, den Mao Zedong für sich entscheidet, dessen „Langer Marsch“ nach einem Jahr in Yan’an endet.
In Thailand dankt König Rama VII. aus Protest gegen die seiner Ansicht nach undemokratischen Handlungen der Regierung ab und wird von seinem neunjährigen Neffen Rama VIII. gefolgt. Die Philippinen werden von der Kolonialmacht USA als Commonwealth in die Unabhängigkeit entlassen. Und in Südamerika endet der Chacokrieg, nach dem der Sieger Paraguay sein Staatsgebiet mit dem Gewinn des Gran Chaco auf Kosten Boliviens fast verdoppelt.
Im Bereich der Wissenschaften bringt der österreichische Nobelpreisträger Erwin Schrödinger zur Demonstration der Unvollständigkeit der Quantenmechanik eine Katze mittels Gedankenexperiment in den gleichzeitigen Zustand von Leben und Tod. In Amerika wird erstmals ein Lügendetektor getestet und Wallace Hume Carothers erhält ein Patent auf das von ihm entwickelte Nylon.
Der US-amerikanische Leichtathlet Jesse Owens stellt innerhalb von 45 Minuten in Ann Arbor, Michigan, fünf neue Weltrekorde auf, einen weiteren egalisiert er. Dies wird als Höhepunkt des Sportjahres rezipiert.
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Deutsches Reich
1. Januar: Der Stadtkreis Duisburg-Hamborn wird in Duisburg umbenannt.
1. Januar: Stichtag für den Einheitswert (in den später so genannten neuen Länder bis 2024 maßgeblich, in den westdeutschen Ländern 1973 durch den Stichtag 1. Januar 1964 abgelöst)
13. Januar: Bei der im Friedensvertrag von Versailles vorgesehenen und vom Völkerbund durchgeführten Volksabstimmung im Saargebiet sind 90,8 % für die Rückgliederung an das Deutsche Reich, 8,8 % für die Selbständigkeit des Saargebietes und 0,4 % für den Anschluss an Frankreich. Nach dem deutlichen Mehrheitsergebnis fliehen vier- bis achttausend Hitlergegner nach Frankreich oder in andere Länder. Das Saargebiet gehört ab dem 1. März wieder uneingeschränkt zum Deutschen Reich. Es wird aber nicht wieder an Preußen oder Bayern zurückgegliedert, sondern bleibt als politische Einheit unter dem neuen Namen Saarland erhalten und wird durch Josef Bürckel ab dem 11. Februar zunächst als Reichskommissar in Saarbrücken verwaltet.
24. Januar: 'Drittes Gesetz zur Überleitung der Rechtspflege auf das Reich'
30. Januar: Die reichseinheitlich konzipierte Deutsche Gemeindeordnung führt auf kommunaler Ebene das Führerprinzip ein. Demokratische Elemente wie die Bürgermeisterwahl oder Abstimmungen im Ratsgremium werden abgeschafft, die maßgebliche Stellung der NSDAP fest verankert.
1. März: Reichsluftfahrtminister Hermann Göring gibt die Existenz einer deutschen Luftwaffe bekannt. Am 14. März wird das erste Geschwader, das Jagdgeschwader Richthofen, aufgestellt. Zu diesem Zeitpunkt befinden sich noch 90 Prozent aller Flieger in Ausbildung.
16. März: Mit dem „Gesetz für den Aufbau der Wehrmacht“ wird die Allgemeine Wehrpflicht in Deutschland wiedereingeführt und eine Aufrüstung der deutschen Streitkräfte auf 550.000 Mann beschlossen.
19. Mai: Das erste Teilstück der Reichsautobahn zwischen Frankfurt am Main und Darmstadt wird eröffnet.
1. Juni: Die deutsche Reichsmarine wird in Kriegsmarine umbenannt. Oberbefehlshaber ist Erich Raeder.
18. Juni: Das deutsch-britische Flottenabkommen wird unterzeichnet. Darin gestattet die britische Regierung der deutschen, ihre Marine auf 35 % gemessen an der britischen Stärke auszubauen. Dieses Abkommen, das durch die Methode des diplomatischen Notenaustausches das britische Parlament umgeht, ersetzt de facto die entsprechenden Bestimmungen des Versailler Vertrages.
25. Juni: Der „Führer des NSDStB“, Albert Derichsweiler erlässt Richtlinien für die weltanschauliche Schulung in den Korporationen.
26. Juni: Mit dem Gesetz für den Reichsarbeitsdienst wird für Männer und Frauen zwischen 18 und 25 die halbjährige Reichsarbeitsdienstpflicht eingeführt. Der Reichsarbeitsdienst wird dem Reichsinnenminister unterstellt; die Befehlsgewalt liegt beim Reichsarbeitsführer Konstantin Hierl.
7. Juli: Reichsjugendführer Baldur von Schirach verbietet Angehörigen der Hitlerjugend die Mitgliedschaft in einer studentischen Verbindung. Auslöser ist die „Verächtlichmachung des Führers“ beim Spargelessen durch das Heidelberger Corps Saxo Borussia.
ab dem 15. Juli: Beim Kurfürstendamm-Krawall von 1935 kommt es über mehrere Tage zu antisemitischen Übergriffen, die der nationalsozialistischen Regierung wegen ihrer negativen außenpolitischen Wirkung nicht genehm sind und nach Intervention von Joseph Goebbels als Gauleiter von Berlin zur Ablösung des Berliner Polizeipräsidenten Magnus von Levetzow führen.
8. August: Das deutsche Reichsinnenministerium löst alle Freimaurerlogen auf und zieht deren Vermögen ein
1. September: Der verschärfte Paragraf 175, der sexuelle Handlungen zwischen Personen männlichen Geschlechts unter Strafe stellt, tritt in Kraft. Er bleibt in dieser Fassung bis 1969 bestehen.
15. September: Mit der Verabschiedung der Nürnberger Rassengesetze – bestehend aus dem Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre und dem Reichsbürgergesetz – auf dem 7. Reichsparteitag institutionalisieren die Nationalsozialisten ihre antisemitische Ideologie auf juristischer Grundlage.
15. September: Die Hakenkreuzflagge wird mit dem Reichsflaggengesetz als einzig gültige Nationalflagge für das Deutsche Reich bestimmt. Im Zuge dessen wird am 7. November auch eine neue Kriegsflagge eingeführt, die von der Gestaltung her wieder an die kaiserliche Kriegsflagge angelehnt ist. Der Entwurf für die neue Flagge stammt offenbar von Adolf Hitler selbst.
Tschechoslowakei
16. Mai: Die Sowjetunion und die Tschechoslowakei schließen ein Beistandsabkommen, das dem Muster des gleichartigen Vertrags zwischen der UdSSR und Frankreich zwei Wochen zuvor folgt.
Mai: Bei den Parlamentswahlen wird die Sudetendeutsche Partei von Konrad Henlein zur stimmenstärksten Partei.
Frankreich
17. März: Das loi Painlevé (ein Gesetz aus dem Jahr 1928) wird geändert: Die Dauer der Wehrpflicht (bis dahin 1 Jahr) wird angesichts besonderer Umstände bis 1939 auf zwei Jahre festgelegt.
11. bis 14. April: Auf der Konferenz von Stresa in Norditalien finden sich Großbritannien, Frankreich und Italien zu der Stresa-Konferenz zusammen und verpflichten sich, allen weiteren Vertragsbrüchen Deutschlands gemeinsam entgegenzutreten. Großbritannien verstößt schon nach zwei Monaten dagegen, indem es am 18. Juni das deutsch-britische Flottenabkommen abschließt.
2. Mai: Frankreich schließt einen Beistandsvertrag mit der Sowjetunion.
5./12. Mai: Kommunalwahlen
31. Mai: Ministerpräsident Pierre-Étienne Flandin wird durch Misstrauensvotum gestürzt. Parlamentspräsident Fernand Bouisson wird interimistisch sein Nachfolger; dann
7. Juni: Pierre Laval wird zum zweiten Mal Ministerpräsident. Seine Regierung (sie besteht 229 Tage) erhält umfassende Vollmachten, um den Franc zu verteidigen und gegen Spekulationen vorzugehen.
14. Juli (Nationalfeiertag): Die Front Populaire organisiert in Paris eine riesige Massenkundgebung (Motto: « pain, paix et liberté » (Brot, Frieden und Freiheit))
15. September: In Paris startet Radio Cité den Sendebetrieb.
23. Oktober: Pierre Laval schränkt per Verordnung den freien Waffenbesitz in Frankreich ein.
6. Dezember: Auflösung bewaffneter Miliz und Auflösung der rechtsextremen ligues
Schweiz
1. Januar: Rudolf Minger wird Bundespräsident der Schweiz.
Griechenland
Die Parlamentswahlen vom 9. Juni werden von den Oppositionsparteien und insbesondere der Liberalen Partei wegen des von der Volkspartei verabschiedeten Wahlrechts sowie wegen der Todesurteile gegen zwei prominente liberale Generäle boykottiert. Bei der Wahl erzielt die Volkspartei von Panagis Tsaldaris daher 254 der 300 Parlamentssitze.
10. Oktober: In Griechenland erklärt Ministerpräsident Panagis Tsaldaris seinen Rücktritt auf Druck der Armeeführung um den Chef des Generalstabes General Alexandros Papagos, die eine Rückkehr zur Monarchie wünscht. Kriegsminister Georgios Kondylis folgt ihm im Amt nach und wird zugleich vorläufiger Regent an Stelle Georgs II., sein Stellvertreter wird Ioannis Theotokis.
3. November: Die 1924 proklamierte Republik wird aufgelöst. König Georg II. von Griechenland kehrt auf seinen Thron zurück. Im Sinne der Aussöhnung der verfeindeten politischen Lager ernennt er am 30. November Konstantinos Demertzis zum Ministerpräsidenten.
Italien und seine Kolonien
1. Januar: Tripolitanien und Cyrenaika, Italiens nordafrikanische Kolonien, werden zur Kolonie Libia zusammengeschlossen.
7. Januar: Der französische Außenminister Pierre Laval und Italiens Regierungschef Benito Mussolini unterzeichnen das Französisch-Italienische Abkommen, mit dem sie unter anderem ihre Kolonialinteressen in Nordafrika abstimmen, was den Weg zur italienischen Besetzung Äthiopiens und zur Gründung von Italienisch-Ostafrika ebnet. Im Gegenzug verzichtet Italien auf Ansprüche in Französisch-Nordafrika.
3. Oktober: Italienische Truppen marschieren in Abessinien ein.
15. Oktober: Die italienische Führung proklamiert die Abschaffung der Sklaverei in Äthiopien.
Dezember: Der zwischen Großbritannien und Frankreich ausgehandelte Hoare-Laval-Pakt zur Beendigung des Abessinienkrieges gelangt an die Öffentlichkeit, bevor er dem Völkerbund vorgelegt werden kann. Das führt schließlich zum Rücktritt von Pierre Laval und dem britischen Außenminister Samuel Hoare. Hoares Nachfolger Anthony Eden präsentiert wenig später eine ähnliche Variante des Plans.
Afrika
Im Copperbelt der britischen Kolonie Nordrhodesien kommt es zum Copperbelt-Streik.
12. Dezember: Der ägyptisch-sudanesische König Fu'ād I. suspendiert die ägyptische Verfassung von 1930 und setzt wieder die liberale Verfassung von 1923 ein.
Indischer Subkontinent
Das britische Parlament verabschiedet den Government of India Act 1935, mit dem Britisch-Indien eine teilweise Selbstverwaltung eingeräumt wird. Burma wird von Britisch-Indien administrativ getrennt und eine eigene Kolonie.
Thailand
2. März: König Rama VII. dankt in Thailand ab. Sein neunjähriger Neffe Ananda Mahidol wird unter dem Namen Rama VIII. neuer Herrscher, hält sich aber die meiste Zeit außer Landes zur Ausbildung in der Schweiz auf.
China
15. bis 17. Januar: Die Konferenz von Zunyi des Politbüros der Kommunistischen Partei Chinas steht im Zeichen des Machtkampfes zwischen der Fraktion um Mao Zedong einerseits und der Komintern-treuen Fraktion um Bo Gu, Otto Braun und Wang Ming. Letztere werden auf dieser Konferenz des Opportunismus beschuldigt und für zahlreiche militärische Fehler und hohe Verluste verantwortlich gemacht.
20. Oktober: In Yan’an endet der fast einjährige „Lange Marsch“ der „Roten Armee der chinesischen Sowjetrepublik“ unter der Führung Mao Zedongs. Weniger als zehn Prozent der ursprünglich 90.000 Soldaten der Roten Armee haben den Gewaltmarsch überlebt.
Philippinen/Vereinigte Staaten von Amerika
23. März: Die Philippinen, bisher Außengebiet der USA, erhalten mit der Unterzeichnung durch den philippinischen Parlamentspräsidenten Manuel Quezon und US-Präsident Franklin D. Roosevelt eine Verfassung mit dem Status eines Commonwealth der Vereinigten Staaten für die Dauer von zehn Jahren. Damit soll ein friedlicher Übergang in die Unabhängigkeit des Landes gewährleistet werden. Im Oktober werden die ersten Präsidentschaftswahlen abgehalten.
6. Mai: Als Maßnahme des New Deal zur Bekämpfung der Great Depression in den Vereinigten Staaten wird von der Regierung Präsident Franklin D. Roosevelts mit der Executive Order 7034 die Works Progress Administration als Bundesbehörde zur Eindämmung der Massenarbeitslosigkeit geschaffen. Diese wird von Harry Hopkins geleitet. Eines der in der Folge ins Leben gerufenen Projekte zur Arbeitsbeschaffung ist das Federal Writers’ Project.
8. September: Huey Pierce Long, früherer Gouverneur und amtierender Senator für den US-Bundesstaat Louisiana, sowie ernstzunehmender Konkurrent für Franklin D. Roosevelt bei den kommenden Präsidentschaftswahlen, wird in Baton Rouge bei einem Attentat angeschossen. Zwei Tage später erliegt er seinen Verletzungen.
Südamerika
12. Juni: Der 1932 begonnene Chacokrieg, ein Grenzkrieg zwischen Bolivien und Paraguay um den nördlichen Teil des Gran Chaco, endet mit einem Waffenstillstand. Erst 1938 wird ein formaler Friedensvertrag geschlossen, der Paraguay den Großteil des umstrittenen Gebietes zuspricht. Die während des Krieges auf beiden Seiten verübten Brutalitäten werden vom paraguayischen Schriftsteller Augusto Roa Bastos in seinen Werken eindrucksvoll geschildert.
Wirtschaft
Internationale Ausstellungen
27. April: Belgiens König Leopold III. eröffnet die Weltausstellung 1935 in Brüssel. Neonlicht wird an dieser Weltausstellung auf vielfältige Art gestalterisch eingesetzt.
September: Auf der Internationalen Funkausstellung Berlin wird das erste Tonbandgerät, das Magnetophon K 1 vorgestellt.
Unternehmensgründungen und -beteiligungen
21. Februar: Der französische Parfümeur Armand Petitjean gründet in Paris das Unternehmen Lancôme, das rasch für seine Parfüms bekannt wird. Die Luxusmarke wird 1964 an den L’Oréal-Konzern verkauft.
1. Mai: Die Heinkel-Werke GmbH Oranienburg, ein Hersteller von Kampfflugzeugen wie die Heinkel He 111, wird gegründet und beginnt nahe Oranienburg mit dem Neubau eines Werkes.
28. Mai: Die Gründung der Argentinischen Zentralbank erfolgt in Buenos Aires.
12. November: Die erste Ausgabe der sozial-liberalen Schweizer Wochenzeitung Die Tat erscheint, herausgegeben von der Migros-Genossenschaft.
Die US-amerikanische Continental Can Company beteiligt sich am Vorgängerunternehmen des Verpackungskonzerns Schmalbach-Lubeca.
Verkehr
15. Mai: Die erste Linie der Metro Moskau zwischen den Stationen Sokolniki und Park Kultury wird eröffnet.
29. Mai: Das französische Passagierschiff Normandie tritt seine Jungfernfahrt an. Der Ozeanriese ist fünf Jahre lang weltgrößtes Schiff.
20. November: In Stockholm wird die Västerbron eingeweiht. Die zwei Bogenkonstruktionen der Brücke verbinden die Stadtteile Södermalm und Kungsholmen.
Die Deutsche Reichsbahn feiert 100 Jahre Deutsche Eisenbahnen.
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Sonstiges
1. Januar: Im Zuge der nationalsozialistischen Gleichschaltung wird die Augsburger Börse, Deutschlands erste Börse aus dem Jahr 1540, aufgelöst und mit der Münchner Börse zur Bayerischen Börse zwangsfusioniert.
24. Januar: In den Vereinigten Staaten kommt nach einer vorausgegangenen Testphase das erste Dosenbier, abgefüllt von der Brauerei Gottfried Krueger Brewery Company, in den Handel.
13. Mai: Der US-Amerikaner Carl C. Magee beantragt ein Patent für ein münzgesteuertes Parkmessgerät. Es wird ihm für die Erfindung dieser Parkuhr am 24. Mai 1938 zugebilligt.
30. Juli: Mit dem Angebot von zehn preiswerten Penguin Books-Taschenbüchern revolutioniert Allen Lane den britischen Buchmarkt.
31. August: Der sowjetische Bergmann Alexei Grigorjewitsch Stachanow fördert in einer Schicht 102 Tonnen Kohle und übererfüllt damit seine Arbeitsnorm um das 13fache. Trotz geschönter Fakten wird daraufhin in der Sowjetunion die Stachanow-Bewegung gestartet, die auf eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität abzielt.
19. Oktober: In Bad Dürkheim wird die Deutsche Weinstraße feierlich eröffnet. Sie soll sowohl heimischen Rebensaft stärker ins Bewusstsein rücken als auch den Tourismus fördern.
Wissenschaft und Technik
Luftfahrt
12. April: In Großbritannien hebt der zweimotorige Bomber Bristol Blenheim zu seinem Erstflug ab.
28. Mai: Das in Augsburg gestartete deutsche Jagdflugzeug Messerschmitt Bf 109 schließt seinen Jungfernflug ab.
21. November: Der sowjetische Testpilot Wladimir Kokkinaki fliegt mit einem Doppeldecker Polikarpow I-15 auf 14.575 Meter Höhe – Weltrekord.
Naturwissenschaften
28. Juni: Wendell Meredith Stanley berichtet im US-Wissenschaftsmagazin Science über seine Entdeckung, dass das Tabakmosaikvirus ein kristallines Protein ist. Bis dahin wurden Viren als Kleinst-Organismen betrachtet.
Das im November veröffentlichte Gedankenexperiment Schrödingers Katze des österreichischen Physikers Erwin Schrödinger (1887–1961) soll die Unvollständigkeit der Quantenmechanik demonstrieren, wenn man vom Verhalten subatomarer Systeme auf das makroskopischer Systeme schließen will.
Die Richterskala wird von Beno Gutenberg und Charles Francis Richter am California Institute of Technology entwickelt und anfänglich als ML-Skala (Magnitude Local) bezeichnet.
Der deutsche Mediziner Ernst Laqueur isoliert erstmals das Hormon Testosteron.
Rundfunk und Film
4. Februar: Im Berliner Harnack-Haus wird das Reichsfilmarchiv eröffnet.
22. März: Der Fernsehsender Paul Nipkow beginnt vom Berliner Funkturm aus mit der Ausstrahlung des ersten regelmäßigen Fernsehprogramms der Welt. An drei Wochentagen wird gesendet. Am 9. April wird im Reichspostmuseum Berlin die erste Fernsehstube für die Öffentlichkeit eingerichtet.
Technische Errungenschaften
24. Januar: Die US-amerikanische Brauerei Schlitz stellt in Richmond die erste Getränkedose vor.
2. Februar: Leonard Keeler testet in einem Experiment erstmals einen Lügendetektor.
26. Februar: In einem Radar-Feldversuch gelingt im britischen Daventry die Ortung eines Flugzeugs.
28. Februar: Wallace Hume Carothers gelingt im Auftrag der DuPont-Werke die Entwicklung von Nylon.
Der erste transparente Klebefilm wird entwickelt.
Sonstiges
1. Februar: Die Hagia Sophia in Istanbul, erst Hauptkirche des Byzantinischen Reiches und dann ab 1453 Moschee, wird als Museum eröffnet.
Die von Sven Hedin geleitete Chinesisch-Schwedische Expedition endet.
Kultur
Bildende Kunst
Unter Direktorin Grace Morley erfolgt die Eröffnung des San Francisco Museum of Art. Es ist zu diesem Zeitpunkt das einzige Museum an der Westküste der USA, das sich ausschließlich der Kunst des 20. Jahrhunderts widmet. Erste Heimstätte des SFMOA ist das San Francisco War Memorial and Performing Arts Center.
Die Frick Collection in New York City wird öffentlich zugänglich.
Literatur
Karl Heinrich Waggerl veröffentlicht seinen letzten Roman Mütter. Danach wendet er sich kürzeren Erzählformen zu.
Musik und Theater
22. Mai: Die Uraufführung der heiteren Oper Die Zaubergeige von Werner Egk findet in Frankfurt am Main statt. Das Libretto verfassten der Komponist selbst und Ludwig Strecker der Jüngere. Es basiert auf einem Marionettenspiel von Franz Graf von Pocci.
15. Juni: Das Versdrama Murder in the Cathedral (Mord im Dom) von T. S. Eliot hat seine Uraufführung beim Canterbury Festival.
5. Oktober: Am Stadttheater Zürich wird die Operette Drei Walzer von Oscar Straus uraufgeführt. Für den ersten Teil hat der Komponist Musik von Johann Strauss (Vater) und für den zweiten Teil Melodien von Johann Strauss (Sohn) verwendet. Das Libretto stammt von Paul Knepler und Armin Robinson.
10. Oktober: Zehn Tage nach der Vorpremiere in Boston erlebt George Gershwins Oper Porgy and Bess auf ein Libretto von DuBose Heyward am New Yorker Alvin Theatre ihre Broadway-Premiere mit Todd Duncan und Anne Wiggins Brown in den Titelrollen Die Liedtexte stammen von DuBose Heyward und Gershwins Bruder Ira. Die Produktion ist nur mäßig erfolgreich.
2. November: Die Uraufführung der komischen Oper Ero der Schelm (Ero s onoga svijeta) von Jakov Gotovac findet mit dem Komponisten am Dirigentenpult am Kroatischen Nationaltheater in Zagreb statt. Das Libretto stammt von Milan Begović basierend auf einem Stück von Hans Sachs. Das Singspiel des kroatischen Komponisten wird vom Publikum sehr gut aufgenommen, von der Kritik jedoch zerrissen.
19. November: Das Musikalische Lustspiel Das kleine Hofkonzert von Edmund Nick wird in München uraufgeführt. Das Textbuch stammt von Paul Verhoeven und Toni Impekoven.
21. November: Das Theaterstück La Guerre de Troie n'aura pas lieu (Der trojanische Krieg findet nicht statt) von Jean Giraudoux hat seine Uraufführung in Paris.
30. November: Die Uraufführung der Operette Hopsa von Paul Burkhard erfolgt am Stadttheater Zürich.
Sonstiges
22. Februar: Die Comedian Harmonists werden von der NS-Regierung verboten.
27. Februar: Als erster von bis heute nur drei Filmen wird die Komödie Es geschah in einer Nacht bei der Oscarverleihung in allen fünf Hauptkategorien ausgezeichnet.
11. Oktober: Das Ausstrahlen von Jazz-Musik wird allen deutschen Rundfunksendern von Reichssendeleiter Eugen Hadamovsky verboten.
Gesellschaft
8. März: In Tokio wird der landesweit als Inbegriff eines treuen Hundes bekannt gewordene Hachikō tot aufgefunden.
21. Mai bis 26. Mai: Beim Heidelberger Spargelessen machen sich Corpsstudenten des Heidelberger Corps Saxo-Borussia bei mehreren Gelegenheiten öffentlich über Adolf Hitler lustig, was den Auflösungsprozess der Studentenverbindungen im nationalsozialistischen Deutschen Reich beschleunigt.
22. bis 27. Mai: In der Kölner Narrenrevolte widersetzt sich der organisierte Kölner Karneval erfolgreich der Gleichschaltung der Karnevalsfeierlichkeiten, die durch die Angliederung an die NS-Organisation Kraft durch Freude (KdF) geplant war.
10. Juni: Robert Holbrook Smith trinkt sein letztes Glas Alkohol. Aus seinen Treffen mit William Griffith Wilson entsteht die Selbsthilfegruppe Anonyme Alkoholiker, die dieses Ereignis als Geburtszeitpunkt der Bewegung betrachtet.
19. Oktober: Der rheinpfälzische NSDAP-Gauleiter Josef Bürckel eröffnet in Bad Dürkheim die Deutsche Weinstraße.
23. Oktober: Die Auftragskiller Emanuel Weiss und Charles Workman geben in Newark, New Jersey, im Auftrag ranghoher Bosse des Organisierten Verbrechens auf den Mobster Dutch Schultz, dessen Buchhalter Otto Berman und zwei weitere Bandenangehörige tödliche Schüsse ab.
21. Dezember: Wegen der von der Mafiafamilie Genovese unter Ciro Terranova gegen Artischockenfarmer in Kalifornien geführten Artischockenkriege erklärt der New Yorker Bürgermeister Fiorello LaGuardia ein Verkaufsverbot für Artischocken in New York City. Nach wenigen Tagen wird das Verbot wieder aufgehoben.
Religion
20. Dezember: Die von Papst Pius XI. herausgegebene Enzyklika Ad catholici sacerdotii gilt als Grundsatzwerk für Priesterausbildung und Priesteramt in der römisch-katholischen Kirche.
Katastrophen
12. Februar: Beim Verlust des fliegenden Flugzeugträgers USS Macon vor der südkalifornischen Küste überleben zwar 81 von 83 Mann der Besatzung, trotzdem bedeutet der Unfall das Ende der Starrluftschifffahrt in den USA.
25. Januar: Vor der Küste von New Jersey kollidiert der amerikanische Passagierdampfer Mohawk mit einem norwegischen Frachter und sinkt, 47 Menschen sterben.
21. April: Ein Erdbeben der Stärke 7,1 in der Region um die Stadt Hsinchu verursacht auf Taiwan 3.276 Tote.
31. Mai: Die Stadt Quetta in der Provinz Belutschistan an der Westgrenze Britisch-Indiens (heute Pakistan) wird durch ein Erdbeben von etwa 7,5 Magnituden auf der Richterskala weitgehend zerstört. Das Beben fordert etwa 30–40.000 Todesopfer.
16. Juli: Erdbeben der Stärke 6,5 auf Taiwan, ca. 2.700 Tote
13. August: Die Staumauer Alla Sella Zerbino bei Ovada in den Ligurischen Apenninen, Italien bricht bei einem Hochwasser. Die Flutwelle richtet in Molare und Ovada großen Schaden an; es gibt über 100 Tote.
2. September: Der Labor-Day-Hurrikan auf den Florida Keys kostet mindestens 423 Menschen das Leben. Unter anderem verursacht er den Eisenbahnunfall von Islamorada.
Oktober: Ein Hurrikan der Kategorie 1 bei den Westindischen Inseln tötet geschätzte 2.150 Menschen auf den Großen Antillen und in Mittelamerika durch von ihm verursachte Überflutungen.
24. Dezember: Beim Eisenbahnunfall von Großheringen kommen 34 Menschen ums Leben, 27 werden schwer verletzt.
Natur und Umwelt
24. April: Im Gebiet des Ortlers entsteht der norditalienische Nationalpark Stilfserjoch.
Sport
22. April bis 22. September: Austragung der 3. Grand-Prix-Europameisterschaft
25. Mai: Jesse Owens stellt in Ann Arbor, Michigan innerhalb von 45 Minuten fünf neue Weltrekorde auf, einen Weltrekord stellt er ein. Um 15:15 Uhr egalisiert er mit 9,4 Sekunden den bisherigen Weltrekord über 100 Yards (91,44 m). Um 15:25 Uhr springt er die Weltrekordweite von 8,13 Meter, die erst am 12. August 1960 von Ralph Boston überboten werden wird. Um 15:45 Uhr siegt er im Lauf über 220 Yards (201 m) mit 20,3 Sekunden, wobei er den Weltrekord um 0,3 Sekunden verbessert. Gleichzeitig wird diese Zeit als Verbesserung des Weltrekords über die kürzere 200-Meter-Strecke anerkannt. Um 16:00 Uhr bricht er mit 22,6 Sekunden als erster Läufer die 23-Sekunden-Marke auf der 220-Yards-Hürdenstrecke.
13. Juni: Max Baer verliert unerwartet bei seiner ersten Titelverteidigung den Titel des Boxweltmeisters im Schwergewicht durch einen Punktsieg seines Gegners Jim Braddock.
16. August: Einer Seilschaft unter Führung von Lawrence Rickard Wager gelingt die Erstbesteigung von Gunnbjørn Fjeld, dem höchsten Berg Grönlands.
22. September: Rudolf Caracciola wird Grand-Prix-Europameister.
16. Dezember: Durch den Wettkampfsieg gegen Alexander Aljechin wird Max Euwe der fünfte Schachweltmeister.
29. Dezember: Beim Versuch, einen Langstreckenrekord auf der Route Paris–Saigon zu fliegen, muss Antoine de Saint-Exupéry in der ägyptischen Wüste notlanden. Nach fünftägiger Wanderung wird er gerettet.
Nobelpreise
Geboren
Januar
3. Januar: Alfredo del Águila, mexikanischer Fußballspieler († 2018)
3. Januar: Florencio Amarilla, paraguayischer Fußballspieler und Schauspieler († 2012)
3. Januar: Richard M. Karp, US-amerikanischer Informatiker
3. Januar: Walter Konrad, deutscher Jurist und Medienmanager († 2019)
3. Januar: Giovanni Kardinal Lajolo, italienischer Geistlicher und Apostolischer Nuntius in Deutschland
3. Januar: Renate Rasp, deutsche Schriftstellerin († 2015)
4. Januar: Walter Mahlendorf, deutscher Leichtathlet
4. Januar: Floyd Patterson, US-amerikanischer Boxer († 2006)
5. Januar: Forugh Farrochzad, iranische Dichterin und Filmregisseurin († 1967)
6. Januar: Jerzy Marchwiński, polnischer Pianist und Musikpädagoge
7. Januar: Sergio Ammirata, italienischer Schauspieler
7. Januar: Marion Asche, deutsche Physikerin und Professorin († 2013)
7. Januar: Noam Sheriff, israelischer Komponist klassischer Musik († 2018)
8. Januar: Heino-Karl Aunin, estnischer Badmintonspieler († 2010)
8. Januar: Robert Littell, US-amerikanischer Schriftsteller
8. Januar: Elvis Presley, US-amerikanischer Rock-’n’-Roll-Sänger († 1977)
9. Januar: Silvio De Florentiis, italienischer Marathonläufer († 2021)
9. Januar: Bob Denver, US-amerikanischer Schauspieler († 2005)
9. Januar: John McCormack, schottischer Boxer († 2014)
10. Januar: Werner Andreas Albert, deutscher Dirigent († 2019)
10. Januar: Herb Andress, deutscher Film- und Fernsehschauspieler († 2004)
10. Januar: Ronnie Hawkins, US-amerikanischer Sänger und Pianist († 2022)
10. Januar: Georg Katzer, deutscher Komponist († 2019)
12. Januar: Horst Luthin, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Hamm
13. Januar: Takashi Atōda, japanischer Schriftsteller
13. Januar: Mauro Forghieri, italienischer Motoren- und Rennwagen-Konstrukteur († 2022)
14. Januar: Werner Adam, deutscher Journalist und Germanist († 2009)
14. Januar: Sepp Viellechner, deutscher Sänger
14. Januar: Lucille Wheeler, kanadische Skirennläuferin
14. Januar: Jacob Yuchtman, Schachspieler († 1985)
15. Januar: Marcos Aguinis, argentinischer Neurochirurg und Schriftsteller
15. Januar: Mauro Bicicli, italienischer Fußballspieler und -trainer († 2001)
15. Januar: Luigi Radice, italienischer Fußballspieler und -trainer († 2018)
15. Januar: Heinz Siebeneicher, deutscher Radio- und Fernsehmoderator († 2010)
15. Januar: Robert Silverberg, US-amerikanischer Science-Fiction-Autor
15. Januar: Alfons Zschockelt, deutscher Richter (zuvor Jazzmusiker) († 2023)
16. Januar: Inger Christensen, dänische Schriftstellerin († 2009)
16. Januar: A. J. Foyt, US-amerikanischer Automobilrennfahrer
16. Januar: Joachim Grubich, polnischer Organist und Musikpädagoge
16. Januar: Christian Heins, brasilianischer Automobilrennfahrer († 1963)
16. Januar: Udo Lattek, deutscher Fußballspieler und -trainer († 2015)
17. Januar: Willi Altig, deutscher Radrennfahrer
17. Januar: Günter Bär, deutscher Fußballtorhüter
17. Januar: Ruth Ann Minner, US-amerikanische Politikerin († 2021)
18. Januar: Pjetër Arbnori, albanischer Schriftsteller und Politiker († 2006)
18. Januar: Clemens Ganz, deutscher Kirchenmusiker († 2023)
18. Januar: Oswald Ring, deutscher Jurist und Medienmanager († 2023)
19. Januar: Johnny O’Keefe, australischer Rock-’n’-Roll-Musiker († 1978)
19. Januar: Philip Agee, US-amerikanischer Geheimagent, Buchautor und Reiseunternehmer († 2008)
19. Januar: Shō Shibata, japanischer Schriftsteller, Übersetzer und Germanist
19. Januar: Herbert Walther, deutscher Physiker († 2006)
20. Januar: Achim Benning, deutscher Schauspieler und Regisseur
20. Januar: Alexander Men, russischer Geistlicher und Dissident († 1990)
21. Januar: Cheíto González, puerto-ricanischer Sänger, Gitarrist und Komponist († 1962)
22. Januar: Pierre S. du Pont IV., US-amerikanischer Politiker († 2021)
23. Januar: Mike Agostini, Sprinter aus Trinidad und Tobago († 2016)
23. Januar: Jerry Tubbs, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2012)
23. Januar: Fred Zander, deutscher Politiker († 2012)
24. Januar: John Trickey, australischer Radrennfahrer († 2022)
25. Januar: António Ramalho Eanes, Präsident von Portugal
25. Januar: James Gordon Farrell, irisch-britischer Schriftsteller († 1979)
25. Januar: Don Maynard, US-amerikanischer Footballspieler († 2022)
25. Januar: Franco Nenci, italienischer Boxer († 2020)
25. Januar: Maurice Nussbaumer, französischer Autorennfahrer († 1981)
26. Januar: Corrado Augias, italienischer Journalist, Autor und Fernsehmoderator
26. Januar: Lee Baxandall, US-amerikanischer Schriftsteller, Übersetzer und Aktivist der Nudismusbewegung († 2008)
26. Januar: Henry Jordan, US-amerikanischer Footballspieler und Konzertveranstalter († 1977)
26. Januar: Friðrik Ólafsson, isländischer Schachgroßmeister
26. Januar: Hans-Kurt Mees, Richter am Bundesgerichtshof
26. Januar: Peter Ronnefeld, deutscher Komponist und Dirigent († 1965)
27. Januar: Gerhard Hamann, deutscher Cellist († 2000)
28. Januar: Jürgen Andrees, deutscher Wirtschaftsingenieur und Politiker
28. Januar: David Lodge, englischer Schriftsteller
28. Januar: Hermann Peter Piwitt, deutscher Schriftsteller
28. Januar: Adolf Schwarte, deutscher Mittelstreckenläufer
28. Januar: Gerulf Stix, österreichischer Politiker und Wirtschaftsberater
29. Januar: Luboš Kohoutek, tschechischer Astronom
29. Januar: Theodor J. Reisdorf, deutscher Schriftsteller († 2015)
30. Januar: Richard Brautigan, US-amerikanischer Schriftsteller († 1984)
30. Januar: Ambros Seelos, deutscher Saxophonist, Klarinettist, Bandleader und Arrangeur († 2015)
31. Januar: Kenzaburō Ōe, japanischer Schriftsteller und Nobelpreisträger († 2023)
Februar
1. Februar: Wladimir Aksjonow, sowjetischer Kosmonaut
1. Februar: Dieter Kühn, deutscher Schriftsteller († 2015)
2. Februar: Elga Andersen, deutsche Schauspielerin und Sängerin († 1994)
2. Februar: Glenn Barber, US-amerikanischer Country-Musiker († 2008)
2. Februar: Marian Jochman, polnischer Leichtathlet († 2020)
2. Februar: Michel Subor, französischer Schauspieler († 2022)
2. Februar: Mary Louise Wehman, US-amerikanische Schwimmerin († 2021)
3. Februar: Dieter Bäumle, Schweizer Komponist († 1981)
3. Februar: Johnny „Guitar“ Watson, US-amerikanischer Blues-, Soul- und Funk-Musiker († 1996)
4. Februar: Rex Aubrey, australischer Schwimmer († 2021)
4. Februar: Gottfried Heller, deutscher Vermögensverwalter und Autor
4. Februar: Barbara Konopka, polnische Turnerin († 2023)
4. Februar: Konrad Porzner, deutscher Politiker, Staatssekretär und Präsident des Bundesnachrichtendienstes († 2021)
4. Februar: Peter Proksch, österreichischer Maler und Grafiker († 2012)
5. Februar: Max Deubel, deutscher Motorradrennfahrer
5. Februar: Jack Findlay, australischer Motorradrennfahrer († 2007)
5. Februar: Roger-Claude Guignard, Schweizer Regattasegler († 2022)
5. Februar: Alex Harvey, schottischer Rockmusiker († 1982)
5. Februar: Siegfried Kessler, deutsch-französischer Pianist, Komponist und Flötist († 2007)
5. Februar: Sandra Paretti, deutsche Schriftstellerin († 1994)
6. Februar: Bruno Hillebrand, deutscher Literaturwissenschaftler und Schriftsteller († 2016)
6. Februar: Theodor Maas-Ewerd, deutscher Professor für Liturgiewissenschaft († 2002)
6. Februar: Anne Marie Moss, kanadische Jazzsängerin († 2012)
6. Februar: Peter Thom, deutscher Schauspieler († 2005)
7. Februar: Heinz Czechowski, deutscher Lyriker und Dramaturg († 2009)
7. Februar: Jörg Schneider, Schweizer Schauspieler († 2015)
7. Februar: Herward Wieck, deutscher Handballspieler und Handballtrainer
8. Februar: Herbert Fenn, deutscher Rechtswissenschaftler, Tanzsportler und Sportfunktionär († 2001)
8. Februar: Bill Smith, britischer Motorradrennfahrer
9. Februar: Manfred Fitze, deutscher Ruderer
10. Februar: Theodore Antoniou, griechischer Dirigent und Komponist († 2018)
10. Februar: Ezard Haußmann, deutscher Schauspieler († 2010)
10. Februar: Konrad Klapheck, deutscher Grafiker und Maler († 2023)
10. Februar: Tadeusz Strugała, polnischer Dirigent und Musikpädagoge
11. Februar: Rudolf Hoffmann, deutscher Fußballspieler († 2020)
11. Februar: Heinz Niedrig, deutscher Professor für Experimentalphysik mit dem Arbeitsschwerpunkt Elektronenmikroskopie.
11. Februar: Gene Vincent, US-amerikanischer Musiker († 1971)
12. Februar: Art Adams, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker
12. Februar: Jean Jensen, britische Schwimmerin († 2021)
12. Februar: Harro Zimmer, deutscher Astronom, Raumfahrtexperte und Journalist
13. Februar: Dietrich Arndt, deutscher Mediziner († 2018)
13. Februar: Hasan Hanafi, ägyptischer Philosoph († 2021)
14. Februar: Ann Ladiges, deutsche Fernsehansagerin, Autorin und Drehbuchschreiberin († 2019)
14. Februar: Harald Rose, deutscher Physiker
15. Februar: John Rusling Block, US-amerikanischer Politiker
15. Februar: Roger B. Chaffee, US-amerikanischer Astronaut († 1967)
15. Februar: Wallace Sargent, US-amerikanischer Astronom († 2012)
16. Februar: Kurt Biesalski, deutscher Buch- und Filmautor († 2022)
16. Februar: Sonny Bono, US-amerikanischer Sänger, Schauspieler und Politiker († 1998)
16. Februar: Bradford W. Parkinson, Raumfahrtingenieur
17. Februar: Gene Gossage, US-amerikanischer Footballspieler († 2011)
17. Februar: Wolf-Dietrich Speck von Sternburg, deutscher Hotelier und Kunstmäzen
19. Februar: Siegfried Akkermann, deutscher Wissenschaftler, Arzt und Schriftsteller
20. Februar: Ellen Gilchrist, US-amerikanische Schriftstellerin
20. Februar: Gottfried Tröger, deutscher Politiker und MdB († 2016)
21. Februar: Jan Wallgren, norwegischer Komponist und Jazzmusiker († 1996)
22. Februar: Quirin Amper Jr., deutscher Komponist († 1998)
22. Februar: Danilo Kiš, serbischer Schriftsteller († 1989)
23. Februar: Rostom Abaschidse, sowjetischer Ringer
23. Februar: Alexander Deichsel, deutscher Soziologe
24. Februar: Peter Schukraft, deutscher Fußballspieler († 2021)
25. Februar: Tony Campolo, US-amerikanischer Soziologe und baptistischer Theologe
25. Februar: Gerhard Mauer, deutscher Landrat
26. Februar: Paul Anderson, britischer Regattasegler († 2022)
26. Februar: Brigitte Grothum, deutsche Schauspielerin, Synchronsprecherin, Filmproduzentin und Regisseurin
26. Februar: Ri Kaisei, japanischer Schriftsteller
26. Februar: Artur Rasizadə, aserbaidschanischer Politiker
26. Februar: Mäni Weber, Schweizer Fernseh-Quizmaster, Moderator und Radioreporter († 2006)
27. Februar: Eleanor Antin, US-amerikanische Künstlerin
27. Februar: Mirella Freni, italienische Opernsängerin (lyrischer Sopran) († 2020)
27. Februar: Theodor Hoffmann, Chef der NVA und Minister für Nationale Verteidigung der DDR († 2018)
27. Februar: Margarete Jehn, deutsche Schriftstellerin und Liedermacherin († 2021)
28. Februar: Raúl Arellano, mexikanischer Fußballspieler († 1997)
28. Februar: Klaus Piontek, deutscher Schauspieler († 1998)
März
1. März: Walter Acosta, uruguayischer Schauspieler, Theaterregisseur und Dramaturg
1. März: Francis Folorunsho Clement Alonge, Bischof von Ondo
1. März: Robert Conrad, US-amerikanischer Schauspieler († 2020)
1. März: Leze Qena, kosovo-albanische Schauspielerin († 2020)
1. März: Axel Scholtz, deutscher Schauspieler
2. März: Horst Singer, deutscher Handballspieler
3. März: Mal Anderson, australischer Tennisspieler
3. März: Dieter Appelt, deutscher Fotograf, Maler, Bildhauer, Video-, Aktions- und Objektkünstler
3. März: Hartmut Bossel, deutscher Umweltforscher
3. März: Schelju Schelew, bulgarischer Philosoph, Politiker und Staatspräsident († 2015)
4. März: Bent Larsen, dänischer Schachspieler († 2010)
4. März: Horst H. Vollmer, deutscher Hörspielregisseur und -sprecher († 2020)
5. März: Christoph Zülch, Richter am Bundesgerichtshof
6. März: Ron Delany, irischer Mittelstreckenläufer und Olympiasieger
6. März: Eva Rühmkorf, deutsche Politikerin († 2013)
6. März: Sergio Tagliapietra, italienischer Ruderer († 2022)
7. März: Giuseppe Anfossi, italienischer Bischof von Aosta
7. März: Josef Deutsch, deutscher Fußballspieler
10. März: Manfred Germar, deutscher Leichtathlet
11. März: Nancy Kovack, US-amerikanische Film- und Theaterschauspielerin sowie ehemaliges Fotomodell
11. März: Ernst Lindner, deutscher Fußballspieler († 2012)
11. März: Heinz Schemken, deutscher Politiker († 2021)
12. März: Heinz Ahrens, deutscher Industriemanager († 2017)
12. März: Jacques Benveniste, französischer Mediziner († 2004)
12. März: Arne Eggebrecht, deutscher Ägyptologe († 2004)
12. März: Manfred Werp, Richter am deutschen Bundesgerichtshof
13. März: Hans H. Hattemer, deutscher Forstwissenschaftler und Genetiker († 2022)
13. März: Hilmar Kopper, deutscher Bankier († 2021)
13. März: Frank Rand, US-amerikanischer Unternehmer und Automobilrennfahrer († 2003)
14. März: Jo van den Booren, niederländischer Komponist und Musiker
14. März: Jan van Nerijnen, niederländischer Komponist und Dirigent († 2016)
15. März: Doris Abeßer, deutsche Schauspielerin, Hörspiel- und Synchronsprecherin († 2016)
15. März: David Andrews, irischer Politiker und Minister
16. März: Lorenzo Chiarinelli, italienischer Bischof († 2020)
16. März: Qazi Massarrat Hussain, pakistanischer Hockeyspieler († 2021)
16. März: Peter Paetzold, deutscher Chemiker († 2023)
17. März: Valerio Adami, italienischer Maler
17. März: Óscar Panno, argentinischer Schach-Großmeister
18. März: Antonios Naguib, ägyptischer Patriarch von Alexandrien († 2022)
20. März: Óscar Chávez, mexikanischer Schauspieler und Sänger († 2020)
20. März: Bodo Heimann, deutscher Schriftsteller
20. März: Sam Lay, US-amerikanischer Bluessänger und -schlagzeuger († 2022)
21. März: Brian Clough, englischer Fußballspieler und Trainer († 2004)
21. März: Hubert Fichte, deutscher Schriftsteller († 1986)
21. März: Erich Kunzel, US-amerikanischer Dirigent († 2009)
21. März: Werner Theune, Richter am Bundesgerichtshof
21. März: Fred Willamowski, deutscher Motorradrennfahrer († 2003)
23. März: Ernst Finkemeyer, deutscher Jurist und Oberstadtdirektor von Essen († 1981)
23. März: Hans Lenk, Philosoph und Leistungssportler
23. März: Valentino Ragni, Schweizer Komponist und Pianist
24. März: Peter Bichsel, Schweizer Schriftsteller
24. März: Fritz Gallati, Schweizer Radrennfahrer († 2020)
24. März: Peret, spanischer Sänger und Gitarrist († 2014)
25. März: Gottfried Haschke, deutscher Politiker († 2018)
26. März: Stig Pettersson, schwedischer Hochspringer
27. März: Jochen Amme, deutscher Buchautor († 2016)
27. März: Julian Glover, englischer Schauspieler
27. März: Gerhard Gottschalk, deutscher Mikrobiologe und Genomforscher
28. März: Hubert Hahne, deutscher Rennfahrer († 2019)
28. März: Claus Jurichs, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher († 2005)
29. März: Renate Holland-Moritz, deutsche Schriftstellerin und Journalistin († 2017)
29. März: Hans-Ulrich Klose, deutscher Politiker († 2022)
29. März: Wolfgang Uhlmann, deutscher Schachspieler († 2020)
30. März: Karl Berger, deutscher Jazz-Vibraphonist und Pianist († 2023)
30. März: John Eaton, US-amerikanischer Komponist und Pianist († 2015)
30. März: Heather Goodman, britische Kanutin († 2022)
30. März: Gordon Mumma, US-amerikanischer Komponist und Hornist#
30. März: Karl Segelbacher, deutscher Fußballspieler
31. März: Rolf Becker, deutscher Schauspieler
April
1. April: Ena Hartman, US-amerikanische Schauspielerin
1. April: Yvon Mallette, kanadischer Animator
2. April: Stephen Addiss, US-amerikanischer Kunst- und Musikwissenschaftler, Hochschullehrer, Musiker, Komponist, Lyriker, Maler, Grafiker, Kalligraph und Keramiker († 2022)
2. April: Bernard John Ashley, britischer Schriftsteller
2. April: Dieter Schneider, deutscher Wirtschaftswissenschaftler († 2014)
2. April: Ivo Trumbić, jugoslawischer Wasserballspieler († 2021)
3. April: Richard Kaiser, österreichischer Landwirt und Politiker († 2019)
4. April: Wilfried Herbst, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher
4. April: François-Bernard Mâche, französischer Komponist
5. April: Claus Grobecker, deutscher Politiker († 2018)
5. April: Donald Lynden-Bell, britischer Astronom und Astrophysiker († 2018)
6. April: Pierre Durand, französischer Komponist und Musikpädagoge († 1998)
6. April: John Pepper Clark, nigerianischer Schriftsteller († 2020)
6. April: Takashi Ishimoto, japanischer Schwimmer († 2009)
6. April: Rolf Urs Ringger, Schweizer Komponist und Musikjournalist († 2019)
6. April: Luis del Sol, spanischer Fußballspieler († 2021)
7. April: Bobby Bare, US-amerikanischer Country-Sänger
7. April: Mário Ribeiro, portugiesischer Sportschütze († 2021)
8. April: Oscar Zeta Acosta, US-amerikanischer Rechtsanwalt, Schriftsteller, Politiker und Aktivist († 1974)
8. April: Tore Austad, norwegischer Politiker
8. April: Lars Clausen, deutscher Soziologe († 2010)
8. April: Avi Primor, israelischer Diplomat und Publizist
9. April: Irina Asisjan, russische Kunsthistorikerin, Architektin und Malerin († 2009)
9. April: Josef Fritzl, österreichischer Unternehmer, Sexualstraftäter und Entführer
9. April: Aulis Sallinen, finnischer Komponist
10. April: Jorge Mester, mexikanischer Dirigent und Musikpädagoge
11. April: Vader Abraham, niederländischer Sänger († 2022)
11. April: Kazys Almenas, litauischer Schriftsteller, Ingenieur und Physiker († 2017)
11. April: Richard Kuklinski, amerikanischer Serienmörder († 2006)
12. April: Jimmy Makulis, griechischer Schlagersänger († 2007)
12. April: Cora Roberts, deutsche Schauspielerin
14. April: Juan Báez, puerto-ricanischer Basketballspieler († 2022)
14. April: Erich von Däniken, Schweizer Hotelier und Schriftsteller
16. April: Nicolae Brânduș, rumänischer Komponist († 2023)
17. April: Lamar Lundy, US-amerikanischer Footballspieler († 2007)
19. April: Dudley Moore, englischer Schauspieler und Komiker († 2002)
19. April: Justin Francis Rigali, Erzbischof von Philadelphia und Kardinal
19. April: Josef Vojta, tschechoslowakischer Fußballspieler († 2023)
20. April: Reinhold Würth, deutscher Unternehmer
21. April: Peter Frisch, deutscher Jurist, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz († 2018)
21. April: Charles Grodin, US-amerikanischer Schauspieler († 2021)
21. April: Thomas Kean, US-amerikanischer Politiker
21. April: Heinz Meynhardt, deutscher Verhaltensforscher, Tierfilmer und Sachbuchautor († 1989)
21. April: Karl-Ernst Schottes, deutscher Leichtathlet
22. April: Paul Chambers, US-amerikanischer Jazz-Bassist († 1969)
22. April: W. S. Holland, US-amerikanischer Schlagzeuger († 2020)
22. April: Rita Johnston, kanadische Politikerin
23. April: Dieter Kürten, deutscher Sportreporter
24. April: Héctor Barinas, venezolanischer Sänger und Komponist († 1979)
24. April: Jerzy Godziszewski, polnischer Pianist und Musikpädagoge († 2016)
24. April: Gerd Hennig, deutscher Fußballschiedsrichter († 2017)
25. April: Inga Freidenfelds, australischer Basketballspieler († 2022)
26. April: George Draga, rumänischer Komponist († 2008)
26. April: Charles Plymell, US-amerikanischer Autor, Verleger
26. April: Amar Singh Mangat, kenianischer Hockeyspieler († 2022)
27. April: Theo Angelopoulos, griechischer Filmregisseur († 2012)
27. April: Ursula Hinrichs, deutsche Schauspielerin
29. April: Gundi Busch, deutsche Eiskunstläuferin († 2014)
29. April: Maria de Lourdes Pereira dos Santos Van-Dúnem, angolanische Sängerin († 2006)
29. April: Otis Rush, US-amerikanischer Blues-Gitarrist († 2018)
29. April: Otto M. Zykan, österreichischer Komponist († 2006)
Mai
1. Mai: Walter Deuss, deutscher Manager
1. Mai: Eberhardt Renz, Landesbischof der evangelischen Landeskirche in Württemberg
2. Mai: Luis Suárez, spanischer Fußballspieler († 2023)
3. Mai: Christoph Demke, deutscher evangelischer Theologe und Bischof († 2021)
4. Mai: Reshat Bardhi, albanischer Theologe († 2011)
4. Mai: Rüdiger Nehberg, deutscher Menschenrechtsaktivist, Konditor und Überlebenskünstler († 2020)
4. Mai: Luandino Vieira, angolanischer Schriftsteller
5. Mai: Heinrich Apel, deutscher Künstler, Bildhauer und Restaurator († 2020)
5. Mai: Almut Brömmel, deutsche Leichtathletin und Olympiateilnehmerin
5. Mai: Harlon Hill, US-amerikanischer Footballspieler († 2013)
6. Mai: Klaus Immelmann, deutscher Verhaltensbiologe († 1987)
7. Mai: Friedrich-Adolf Jahn, deutscher Politiker († 2016)
8. Mai: Jack Charlton, englischer Fußballtrainer und Fußballspieler († 2020)
9. Mai: Wolf von Fabeck, deutscher Solar-Aktivist
9. Mai: Halina Poświatowska, polnische Dichterin († 1967)
10. Mai: Judith Beckmann, US-amerikanische Sopranistin († 2022)
10. Mai: Peter Pütz, deutscher Germanist († 2003)
11. Mai: Doug McClure, US-amerikanischer Schauspieler († 1995)
13. Mai: Luciano Benetton, italienischer Unternehmer
13. Mai: Miki Taku, japanischer Schriftsteller
13. Mai: Teddy Randazzo, US-amerikanischer Musikproduzent, Komponist, Songwriter und Sänger († 2003)
13. Mai: Yizhak Sadai, israelischer Komponist und Musikpädagoge († 2019)
15. Mai: Barry Crump, neuseeländischer Schriftsteller († 1996)
15. Mai: René Regenass, Schweizer Schriftsteller
18. Mai: Josef Ahammer, österreichischer Priester († 2017)
18. Mai: Wolfgang Kermer, deutscher Kunsthistoriker
19. Mai: Fritz Rudolf Fries, deutscher Schriftsteller und Übersetzer († 2014)
19. Mai: Cecil McBee, US-amerikanischer Jazz-Bassist
20. Mai: Hanna Krall, polnische Schriftstellerin und Journalistin
20. Mai: Dino Saluzzi, argentinischer Bandoneonspieler und Komponist
21. Mai: Hisako Matsubara, japanische Schriftstellerin
22. Mai: Armando Almánzar Rodríguez, dominikanischer Schriftsteller und Filmkritiker († 2017)
22. Mai: Theodor Berchem, deutscher Wissenschaftler und Universitätspräsident
23. Mai: Susan Cooper, britische Schriftstellerin
25. Mai: Dieter Strützel, deutscher Kulturwissenschaftler und Soziologe († 1999)
25. Mai: Jim Trueman, US-amerikanischer Unternehmer und Autorennfahrer († 1986)
26. Mai: Joachim Jaeger, deutscher evangelisch-lutherischer Geistlicher
27. Mai: Luud Schimmelpennink, niederländischer Erfinder, Politiker
28. Mai: Jürgen Claus, deutscher Künstler, Schriftsteller († 2023)
29. Mai: André Brink, südafrikanischer Schriftsteller († 2015)
29. Mai: Jean-Pierre Escalettes, französischer Fußballfunktionär
29. Mai: Wolfgang Lohmann, deutscher Politiker
30. Mai: Dietrich Kittner, deutscher Kabarettist († 2013)
31. Mai: Karlmann Geiß, Präsident des Bundesgerichtshofs
31. Mai: Monika John, deutsche Schauspielerin
Juni
1. Juni: Percy Adlon, deutscher Film- und Fernsehregisseur, Autor und Produzent
1. Juni: John Dalley, US-amerikanischer Geiger
1. Juni: Norman Foster, britischer Architekt und Designer
1. Juni: Horst-Jürgen Lahmann, deutscher Jurist, Verwaltungsbeamter und Politiker
1. Juni: Gerd H. Pelletier, deutscher Journalist
2. Juni: George Atkinson, US-amerikanischer Stuntman und Geschäftsmann († 2005)
2. Juni: Ross Gillespie, neuseeländischer Hockeyspieler und -trainer († 2023)
2. Juni: Samuel Jones, US-amerikanischer Komponist und Dirigent
2. Juni: Wilhelm Wieben, deutscher Fernsehmoderator, Schauspieler und Autor († 2019)
3. Juni: Ervin Acél, ungarischer Dirigent († 2006)
3. Juni: Sigrid Böge, deutsche Mathematikerin
4. Juni: Kazimierz Zimny, polnischer Langstreckenläufer († 2022)
5. Juni: Amir Nasser Eftetah, iranischer Tombakspieler und -Lehrer († 1988)
5. Juni: Misha Mengelberg, niederländischer Pianist, Komponist und Bandleader († 2017)
5. Juni: Günter Noris, deutscher Musiker († 2007)
5. Juni: Peter Schat, niederländischer Komponist, Musikpädagoge und Musikschriftsteller († 2003)
6. Juni: Bobby Mitchell, US-amerikanischer Footballspieler († 2020)
7. Juni: Géza Alföldy, ungarischer Althistoriker († 2011)
7. Juni: Tetsuhiko Asai, japanischer Karate-Meister († 2006)
7. Juni: Arumugamangalam Venkatachalam Ganesan, indischer Verwaltungsbeamter und Mitglied des Appellate Body der WTO
8. Juni: Mireille Lagacé, kanadische Cembalistin, Organistin, Pianistin und Musikpädagogin
9. Juni: Knut Ipsen, deutscher Rechtswissenschaftler, Präsident des Deutschen Roten Kreuzes († 2022)
10. Juni: Vic Elford, britischer Automobilrennfahrer († 2022)
10. Juni: Barrie Gavin, britischer Filmregisseur
11. Juni: Günther von Lojewski, deutscher Journalist († 2023)
12. Juni: Christoph Meckel, deutscher Schriftsteller und Graphiker († 2020)
12. Juni: Eliseo Verón, argentinischer Semiologe († 2014)
13. Juni: Christo, in Bulgarien geborener Künstler († 2020)
13. Juni: Jeanne-Claude, US-amerikanische Künstlerin († 2009)
13. Juni: Enzo Robotti, italienischer Fußballspieler und -trainer
13. Juni: Samak Sundaravej, thailändischer Ministerpräsident († 2009)
14. Juni: Dieter Forte, deutscher Schriftsteller († 2019)
15. Juni: Wilfredo García, dominikanischer Fotograf († 1988)
15. Juni: François Jeanneau, französischer Jazzsaxophonist und -flötist
17. Juni: Fabrizio Violati, italienischer Unternehmer und Automobilrennfahrer († 2010)
18. Juni: Werner Altegoer, deutscher Fußballfunktionär († 2013)
18. Juni: José Enrique del Monte, dominikanischer Chorleiter und Komponist
18. Juni: Herbert Paulmichl, italienischer Komponist und Organist
20. Juni: Armando Picchi, italienischer Fußballspieler und -trainer († 1971)
21. Juni: Françoise Sagan, französische Schriftstellerin († 2004)
21. Juni: Agnes Simon, ungarische Tischtennisspielerin († 2020)
22. Juni: Rudolf Lippert, deutscher Tischtennisspieler
23. Juni: Paul Bischoff, deutscher Komponist, Liedermacher und Chorleiter († 2019)
24. Juni: Juan Bautista Agüero, paraguayischer Fußballspieler († 2018)
24. Juni: Jiří Teml, tschechischer Komponist
25. Juni: Larry Kramer, US-amerikanischer Autor und Dramatiker († 2020)
25. Juni: Lloyd McCollough, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker († 1976)
26. Juni: Carlo Facetti, italienischer Automobilrennfahrer
26. Juni: Wilhelm Schraml, 84. Bischof von Passau (2001–2012) († 2021)
26. Juni: Ludovic Zanoni, rumänischer Radrennfahrer († 2021)
28. Juni: Fritz Köppen, deutscher Leichtathlet († 2022)
28. Juni: Anatoli Tarabrin, sowjetischer Ruderer († 2008)
28. Juni: Nicola Tempesta, italienischer Judoka († 2021)
29. Juni: Dennis Crompton, britischer Architekt und Autor
29. Juni: Paul Tiedemann, deutscher Handballspieler und -trainer († 2014)
30. Juni: Loren Cunningham, US-amerikanischer Pfingstpastor († 2023)
Juli
1. Juli: James Cotton, US-amerikanischer Blues-Mundharmonikaspieler († 2017)
1. Juli: Lothar Koch, deutscher Oboist († 2003)
1. Juli: David Prowse, britischer Schauspieler und Fitnesstrainer († 2020)
2. Juli: Kerstin de Ahna, deutsche Schauspielerin
2. Juli: Stefan Hüfner, deutscher Festkörper-Physiker († 2013)
2. Juli: Gilbert Kalish, US-amerikanischer Pianist und Musikpädagoge
3. Juli: Rainer Assmann, deutscher Jurist und Historiker
3. Juli: Osvaldo Bagnoli, italienischer Fußballspieler und -trainer
3. Juli: Charles Brauer, deutscher Schauspieler und Sänger
3. Juli: Willi Forrer, Schweizer Skirennläufer
3. Juli: Bill Reichart, US-amerikanischer Eishockeyspieler († 2021)
3. Juli: Harrison Schmitt, US-amerikanischer Wissenschaftsastronaut und Politiker
5. Juli: Christian Doermer, deutscher Schauspieler, Filmemacher, Regisseur, Produzent und Drehbuchautor († 2022)
6. Juli: Tenzin Gyatso, 14. Dalai Lama, Friedensnobelpreisträger
7. Juli: Hans Belting, deutscher Kunstwissenschaftler und Medientheoretiker († 2023)
8. Juli: John David Crow, US-amerikanischer Footballspieler († 2015)
8. Juli: Witali Sewastjanow, sowjetischer Kosmonaut († 2010)
9. Juli: Wim Duisenberg, Wirtschaftswissenschaftler, Präsident der Europäischen Zentralbank († 2005)
9. Juli: Mercedes Sosa, argentinische Sängerin († 2009)
9. Juli: Mighty Sparrow, spanischer Calypsosänger, Komponist und Gitarrist
10. Juli: Friedel Neuber, deutscher Bankier und Politiker († 2004)
11. Juli: Andrés Ingólfsson, isländischer Musiker († 1979)
11. Juli: Giorgio Pianta, italienischer Autorennfahrer und Motorsportfunktionär († 2014)
12. Juli: Paige Cothren, US-amerikanischer Footballspieler († 2016)
12. Juli: Ursula Herwig, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin († 1977)
12. Juli: Hans Tilkowski, deutscher Fußballspieler und -trainer († 2020)
13. Juli: Luis Millares Sall „Totoyo“, spanischer Musiker († 2022)
13. Juli: Kurt Westergaard, dänischer Zeichner und Karikaturist († 2021)
14. Juli: Donald Arnold, kanadischer Ruderer († 2021)
14. Juli: Joaquín Jiménez Maxwell, dominikanischer Journalist, Rundfunksprecher und -Direktor († 2011)
14. Juli: Ei-ichi Negishi, japanischer Chemiker († 2021)
15. Juli: Donn Clendenon, US-amerikanischer Baseballspieler († 2005)
15. Juli: Alex Karras, US-amerikanischer Footballspieler und Schauspieler († 2012)
15. Juli: Ken Kercheval, US-amerikanischer Schauspieler († 2019)
15. Juli: Gerhard Koch, deutscher Automobilrennfahrer († 2010)
16. Juli: Michael Günther, deutscher Regisseur, Schauspieler, Synchronsprecher und Übersetzer
17. Juli: Benjamin R. Civiletti, US-amerikanischer Politiker († 2022)
17. Juli: Peter Schickele, US-amerikanischer Komponist und Satiriker
17. Juli: Donald Sutherland, kanadischer Schauspieler
18. Juli: Ioan Holender, österreichischer Sänger
19. Juli: Gerd Albrecht, deutscher Dirigent († 2014)
19. Juli: Teddy Podgorski, österreichischer Schauspieler, Radio- und Fernsehjournalist
20. Juli: André Isoir, französischer Organist († 2016)
20. Juli: Sleepy LaBeef, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker († 2019)
20. Juli: Henk Molleman, niederländischer Politiker († 2005)
21. Juli: Jeanne Arth, US-amerikanische Tennisspielerin
21. Juli: Norbert Blüm, deutscher Politiker († 2020)
23. Juli: Edward Acquah, ghanaischer Fußballspieler († 2011)
23. Juli: John Cordts, kanadischer Automobilrennfahrer
23. Juli: Wolfgang Kaus, deutscher Regisseur und Schauspieler († 2018)
24. Juli: Mel Ramos, US-amerikanischer Künstler († 2018)
24. Juli: Paavo Roininen, finnischer Boxer († 2022)
24. Juli: Víctor Zalazar, argentinischer Boxer († 2017)
25. Juli: Barbara Harris, US-amerikanische Schauspielerin († 2018)
25. Juli: Adnan Kashoggi, saudi-arabischer Geschäftsmann (Waffenhändler) († 2017)
25. Juli: Lars Werner, schwedischer Politiker († 2013)
26. Juli: Franz Karl Mater Formosa Prinz von Auersperg, österreichischer Politiker und Gewerkschafter († 2008)
26. Juli: Christian Büttrich, deutscher Germanist und Bibliothekar († 2004)
27. Juli: Jean Rolland, französischer Automobilrennfahrer († 1967)
27. Juli: Wolfgang Schad, deutscher Evolutionsbiologe und Goetheanist († 2022)
28. Juli: Taeko Tomioka, japanische Dichterin, Schriftstellerin und Kritikerin († 2023)
29. Juli: Karl Bruggmann, Schweizer Ringer († 2022)
29. Juli: Klaus Pagh, dänischer Schauspieler und Filmproduzent († 2020)
29. Juli: Alejandro Enrique Planchart, US-amerikanischer Musikwissenschaftler und -pädagoge, Dirigent und Komponist († 2019)
29. Juli: Peter Schreier, deutscher Sänger (Tenor) († 2019)
30. Juli: Győző Forintos, ungarischer Schachmeister († 2018)
30. Juli: Hubert Schleichert, österreichischer Philosoph († 2020)
31. Juli: August Paterno, österreichischer Fernsehpfarrer († 2007)
August
2. August: Volker Brandt, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher
2. August: Betty Brosmer, US-amerikanische Bodybuilderin und Pin-Up-Model
2. August: Wolfgang Frühwald, deutscher Literaturwissenschaftler († 2019)
3. August: Omero Antonutti, italienischer Schauspieler († 2019)
3. August: Pål Benum, norwegischer Langstreckenläufer († 2021)
3. August: Richard Lamm, US-amerikanischer Politiker († 2021)
3. August: Karl-August Schaal, deutscher Politiker († 2017)
5. August: Michael Ballhaus, deutscher Kameramann († 2017)
6. August: Michael Tubridy, irischer Flötenspieler
7. August: Moritz Amherd, Schweizer Theologe und Ökonom († 2009)
7. August: Rahsaan Roland Kirk, US-amerikanischer Saxophonist und Multi-Instrumentalist († 1977)
8. August: Donald P. Bellisario, US-amerikanischer Drehbuchautor, Regisseur und Produzent
8. August: Harvey Hook, Bobfahrer von den Amerikanischen Jungferninseln († 2011)
8. August: Jane Dee Hull, US-amerikanische Politikerin († 2020)
9. August: Klaus Stürmer, deutscher Fußballspieler († 1971)
10. August: Wolfgang Herger, deutscher Politiker
10. August: Gija Kantscheli, georgischer Komponist († 2019)
10. August: István Liptay, ungarischer Basketballspieler († 2022)
11. August: Anneli Granget, deutsche Schauspielerin († 1971)
12. August: John Cazale, US-amerikanischer Schauspieler († 1978)
12. August: André Kolingba, Präsident der Zentralafrikanischen Republik († 2010)
12. August: Harry Kupfer, deutscher Opernregisseur († 2019)
12. August: Karl Mickel, deutscher Lyriker, Dramatiker und Essayist († 2000)
12. August: Bengt Waller, schwedischer Regattasegler († 2021)
13. August: Joseph Victor Adamec, US-amerikanischer Bischof († 2019)
13. August: Brendan Comiskey, irischer Bischof
13. August: Rick Muther, US-amerikanischer Automobilrennfahrer († 1995)
13. August: Michael A. Roth, deutscher Fußball-Funktionär
14. August: Antón Arrufat, kubanischer Dramaturg und Schriftsteller († 2023)
14. August: Heiko Hoffmann, deutscher Politiker
15. August: Jürgen Werner, deutscher Fußballspieler († 2002)
16. August: Hans-Joachim Jarchow, deutscher Wirtschaftswissenschaftler und Hochschullehrer
16. August: Cyril Baselios Malancharuvil, Großerzbischof von Trivandrum († 2007)
16. August: Arnaldo Pambianco, italienischer Radrennfahrer († 2022)
16. August: Pam Seaborne, britische Hürdenläuferin († 2021)
16. August: Jörg Wischmeier, deutscher Dreispringer († 2012)
18. August: Anka Muhlstein, französische Historikerin
18. August: Hifikepunye Pohamba, namibischer Politiker
19. August: Martin Birrane, irischer Unternehmer und Automobilrennfahrer († 2018)
19. August: Story Musgrave, US-amerikanischer Astronaut
20. August: David Ruelle, belgisch-französischer Physiker und Mathematiker
21. August: Ali Mitgutsch, deutscher Illustrator, Maler, Bilderbuchautor († 2022)
22. August: Hansgünther Heyme, deutscher Theaterregisseur
22. August: Annie Proulx, kanadisch-US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin
23. August: Sol Kerzner, südafrikanischer Hotelmagnat († 2020)
23. August: Loren Rush, US-amerikanischer Komponist und Pianist
24. August: Peter Reuschenbach, deutscher Politiker († 2007)
29. August: Djamel Amrani, algerischer Schriftsteller und Freiheitskämpfer († 2005)
29. August: William Friedkin, US-amerikanischer Regisseur, Drehbuchautor und Produzent († 2023)
29. August: Peter Kirsten, deutscher Musiker, Musikproduzent und Musikverleger († 2004)
30. August: Gerhard Mitter, deutscher Rennfahrer († 1969)
31. August: Eldridge Cleaver, US-amerikanischer Schriftsteller, Mitbegründer der Black Panther († 1998)
September
1. September: Seiji Ozawa, japanischer Dirigent
2. September: Yıldırım Akbulut, türkischer Politiker († 2021)
2. September: Marc Augé, französischer Ethnologe und Anthropologe († 2023)
3. September: Klaus Münster, deutscher Schauspieler
3. September: Hans Sturm, deutscher Fußballspieler († 2007)
4. September: Walther Kauer, Schweizer Schriftsteller († 1987)
5. September: Dieter Hallervorden, deutscher Komiker, Moderator und Kabarettist
5. September: Aki Schmidt, deutscher Fußballspieler und Trainer († 2016)
6. September: Isabelle Collin Dufresne, amerikanisch-französische Schauspielerin und Künstlerin († 2014)
6. September: Erich Schönbächler, Schweizer Biathlet († 2022)
7. September: Abdou Diouf, Präsident des Senegal (1981 bis 2000)
7. September: Pedro Manfredini, argentinischer Fußballspieler († 2019)
8. September: Fritz Baumbach, deutscher Fernschachgroßmeister
8. September: Jörg K. Hoensch, deutscher Historiker († 2001)
9. September: Reiner Ascheid, deutscher Jurist
9. September: Bin Kaneda, japanischer Komponist und Hochschullehrer († 2002)
9. September: Leopold Maderthaner, österreichischer Politiker († 2007)
9. September: Fred Stone, kanadischer Flügelhornist, Trompeter und Komponist († 1986)
10. September: Giacomo Losi, italienischer Fußballspieler und -trainer
10. September: Mary Oliver, US-amerikanische Schriftstellerin und Pulitzer-Preisträgerin († 2019)
11. September: Jacques Gaillot, französischer Bischof († 2023)
11. September: Arvo Pärt, estnischer Komponist
11. September: Estiphan Panoussi, persisch-US-amerikanischer orientalischer Philologe und Philosoph
11. September: German Titow, sowjetischer Kosmonaut († 2000)
12. September: Rafael Ansón, spanischer Unternehmer
12. September: Geraldo Vandré, brasilianischer Sänger, Gitarrist und Komponist
13. September: Jürgen Baur, deutscher Jurist († 2022)
13. September: Heinrich Maul, Richter am deutschen Bundesgerichtshof
14. September: Fujio Akatsuka, japanischer Manga-Zeichner († 2008)
15. September: Gerold von Braunmühl, deutscher Diplomat († 1986)
16. September: Carl Andre, US-amerikanischer Bildhauer
16. September: Billy Boy Arnold, US-amerikanischer Blues-Musiker
16. September: Andrew Hedges, britischer Automobilrennfahrer († 2005)
16. September: Joe Lane, US-amerikanischer Politiker († 2014)
16. September: Esther Vilar, argentinisch-deutsche Schriftstellerin
17. September: Serge Klarsfeld, französischer Rechtsanwalt und Historiker
17. September: Einar Østby, norwegischer Skilangläufer († 2022)
18. September: Dimitri, Schweizer Clown und Pantomime († 2016)
19. September: Milan Antal, slowakischer Astronom († 1999)
20. September: Walter Eschweiler, deutscher Fußballschiedsrichter
20. September: William S. Hatcher, US-amerikanischer Mathematiker, Philosoph und Bahai-Theologe († 2005)
21. September: Santos Kardinal Abril y Castelló, spanischer Kurienkardinal
21. September: Jimmy Armfield, englischer Fußballspieler († 2018)
21. September: Sigrid Valdis, US-amerikanische Schauspielerin († 2007)
22. September: Victor Hendrix, deutscher Ruderer († 2020)
23. September: David Esrig, rumänischer Regisseur
24. September: Udo Baumbach, deutscher Museologe, Ethnograph, Historiker und Sachbuchautor († 2022)
24. September: Charlotte Dietrich, deutsche Künstlerin († 2017)
24. September: Dieter Pavlik, deutscher Politiker († 2000)
24. September: Max Vogt, Richter am Bundesgerichtshof
25. September: Maj Sjöwall, schwedische Schriftstellerin († 2020)
26. September: Toni Khoury, libanesischer Sportfunktionär
26. September: Ralph Roberts, neuseeländischer Segler († 2023)
26. September: Wiktor Tschischikow, russischer Illustrator und Designer († 2020)
27. September: Joe Quijano, puerto-ricanischer Perkussionist, Singer-Songwriter und Bandleader († 2019)
28. September: Heinz Jankofsky, deutscher Karikaturist († 2002)
28. September: Alan Shepherd, britischer Motorradrennfahrer († 2007)
29. September: Mylène Demongeot, französische Schauspielerin († 2022)
29. September: Jerry Lee Lewis, US-amerikanischer Rock-’n’-Roll-Pionier († 2022)
29. September: Ingrid Noll, deutsche Schriftstellerin
30. September: Johnny Mathis, US-amerikanischer Popsänger und Entertainer
30. September: Luboš Fišer, tschechischer Komponist und Regisseur († 1999)
Oktober
1. Oktober: Julie Andrews, britische Schauspielerin
1. Oktober: Walter De Maria, US-amerikanischer Künstler († 2013)
2. Oktober: Peter Frankl, britischer Pianist
2. Oktober: John Stanley Lockhart, australischer Jurist († 2006)
2. Oktober: Franco Oppo, italienischer Komponist († 2016)
2. Oktober: Omar Sívori, argentinisch-italienischer Fußballspieler und -trainer († 2005)
3. Oktober: Armen Dschigarchanjan, armenischer Schauspieler († 2020)
3. Oktober: Wolfgang Schuller, deutscher Althistoriker († 2020)
4. Oktober: Horst Janson, deutscher Schauspieler
5. Oktober: Takashi Sasagawa, japanischer Politiker
5. Oktober: Oswald Wiener, österreichischer Schriftsteller, Sprachtheoretiker und Kybernetiker († 2021)
6. Oktober: Ernesto Laclau, argentinischer politischer Theoretiker († 2014)
6. Oktober: Ali Lutfi, ägyptischer Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Premierminister († 2018)
7. Oktober: Hakkı Atun, zyperntürkischer Politiker
7. Oktober: Thomas Keneally, australischer Schriftsteller
8. Oktober: Badi Panahi, deutscher Sozialwissenschaftler († 2008)
8. Oktober: Hans Joachim Schädlich, deutscher Schriftsteller
9. Oktober: Edward, 2. Duke of Kent, Mitglied der britischen Königsfamilie
10. Oktober: Werner Groß, Richter am Bundesgerichtshof
10. Oktober: Yumiko Kurahashi, japanische Schriftstellerin († 2005)
10. Oktober: W. Jason Morgan, US-amerikanischer Geophysiker († 2023)
10. Oktober: Hermann Nuber, deutscher Fußballspieler († 2022)
11. Oktober: Jan van Vlijmen, niederländischer Komponist († 2004)
12. Oktober: Pascale Audret, französische Schauspielerin († 2000)
12. Oktober: Sakari Paasonen, finnischer Sportschütze († 2020)
12. Oktober: Luciano Pavarotti, italienischer Tenor († 2007)
15. Oktober: Barry McGuire, US-amerikanischer Folkrock-Sänger
15. Oktober: Bobby Morrow, US-amerikanischer Leichtathlet († 2020)
16. Oktober: Klaus Jakobi, deutscher Fußballspieler
16. Oktober: Frederick Tiedt, irischer Boxer († 1999)
17. Oktober: Dieter W. Angrick, deutscher Journalist
18. Oktober: Peter Boyle, US-amerikanischer Schauspieler († 2006)
18. Oktober: Luis Alfredo Torres, dominikanischer Lyriker, Journalist und Kritiker († 1992)
20. Oktober: Eva Choung-Fux, österreichische Künstlerin
20. Oktober: Fabio Cudicini, italienischer Fußballtorhüter
20. Oktober: Jerry Orbach, US-amerikanischer Schauspieler († 2004)
21. Oktober: Jadwiga Barańska, polnische Schauspielerin
21. Oktober: Derek Bell, irischer Musiker († 2002)
21. Oktober: Kurt Hartz, deutscher Politiker († 2014)
22. Oktober: Thérèse Brenet, französische Komponistin und Musikpädagogin
23. Oktober: Egon Franke, polnischer Fechter († 2022)
23. Oktober: Arthur Hannemann, deutscher Leichtathlet
23. Oktober: Zbigniew Rudziński, polnischer Komponist († 2019)
24. Oktober: Hermann Matschiner, deutscher Chemiker und Hochschullehrer († 2022)
24. Oktober: Philippe Morillon, französischer Politiker und General
25. Oktober: John Annus, lettisch-US-amerikanischer Maler und Fotograf († 2013)
26. Oktober: Heiko R. Blum, deutscher Filmkritiker und Autor († 2011)
26. Oktober: Julio de Windt, dominikanischer Geiger, Dirigent und Musikpädagoge
28. Oktober: Folke Rabe, schwedischer Komponist und Jazzposaunist († 2017)
30. Oktober: Ágota Kristóf, ungarisch-schweizerische Schriftstellerin († 2011)
30. Oktober: Jim Perry, US-amerikanischer Baseballspieler
31. Oktober: Dieter Dorn, deutscher Theaterregisseur und Intendant
31. Oktober: Ronald Graham, US-amerikanischer Mathematiker († 2020)
31. Oktober: David Harvey, britisch-US-amerikanischer Geograph und Sozialtheoretiker
November
1. November: Charles G. Koch, US-amerikanischer Unternehmer
1. November: Edward Said, palästinensisch-US-amerikanischer Literaturtheoretiker und -kritiker († 2003)
2. November: Ken Russell, US-amerikanischer Footballspieler († 2014)
2. November: Bilal Xhaferri, albanischer Schriftsteller und Publizist († 1986)
3. November: Gero Bisanz, deutscher Fußballspieler und -trainer († 2014)
3. November: Paulos, Patriarch der Äthiopisch-Orthodoxen Tewahedo-Kirche († 2012)
4. November: Marianne Tralau, deutsche Künstlerin und Galeristin († 2022)
4. November: Christian Vinge, schwedischer Regattasegler
7. November: Willibrordus S. Rendra, indonesischer Schriftsteller, Schauspieler und Regisseur († 2009)
8. November: Alain Delon, französischer Schauspieler
8. November: Peer Hultberg, dänischer Schriftsteller und Psychoanalytiker († 2007)
8. November: Antonín Kubálek, tschechisch-kanadischer Pianist und Musikpädagoge († 2011)
8. November: Alfonso López Trujillo, Erzbischof von Medellín und Kardinal († 2008)
11. November: Bibi Andersson, schwedische Schauspielerin († 2019)
11. November: Ikue Asazaki, japanische Sängerin
11. November: Karl Lamers, deutscher Politiker und MdB († 2022)
11. November: Manfred Schiek, deutscher Motorrad- und Automobilrennfahrer († 1965)
11. November: Raymund Schwager, katholischer Theologe und Jesuit († 2004)
11. November: Juan Carlos Zorzi, argentinischer Komponist und Dirigent († 1999)
13. November: Tom Atkins, US-amerikanischer Schauspieler
13. November: Hartmut Löwe, deutscher evangelischer Theologe und Militärbischof
14. November: Steve Andreas, US-amerikanischer Psychologe und Gestalttherapeut († 2018)
14. November: Hussein I., König von Jordanien († 1999)
15. November: Mahmud Abbas, palästinensischer Politiker
16. November: France-Albert René, Präsident der Seychellen († 2019)
17. November: Toni Sailer, österreichischer Skirennläufer und Schauspieler († 2009)
17. November: Audrey Thomas, kanadische Schriftstellerin und Hochschullehrerin
18. November: Rudolf Bahro, deutscher Journalist, Politiker und Philosoph († 1997)
18. November: Alain Barrière, französischer Sänger und Komponist († 2019)
19. November: Atanas Atanassow, bulgarischer Basketballspieler († 2021)
19. November: Rashad Khalifa, Biochemiker und Religionswissenschaftler († 1990)
19. November: Jack Welch, US-amerikanischer Manager († 2020)
22. November: Asterios Argyriou, griechischer Theologe und Neogräzist
23. November: Gerhard Eckle, deutscher Pianist, Schulmusiker und Astrologe
23. November: Wladislaw Wolkow, sowjetischer Kosmonaut († 1971)
24. November: Chalifa bin Salman Al Chalifa, bahrainischer Politiker († 2020)
24. November: Manlio Argueta, salvadorianischer Schriftsteller, Dichter, Literaturwissenschaftler und Universitätsdozent
25. November: Ana Lucía Frega, argentinische Musikpädagogin
25. November: Dietrich Grille, deutscher Politikwissenschaftler und Historiker († 2011)
25. November: Roland Wabra, deutscher Fußballspieler († 1994)
25. November: Joseph Zoderer, Südtiroler Schriftsteller († 2022)
26. November: Roque de Pedro, argentinischer Komponist, Pianist, Musikwissenschaftler und -pädagoge († 2019)
26. November: Jeffrey G. Williamson, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und -historiker
27. November: Helmut Lachenmann, deutscher Komponist
27. November: Michel Portal, französischer Jazz-Musiker
28. November: Urs Bitterli, Schweizer Historiker († 2021)
28. November: Albert Eickhoff, deutscher Textilhändler († 2022)
28. November: Masahito Hitachi, Mitglied des japanischen Kaiserhauses
28. November: Randolph Stow, australischer Schriftsteller († 2010)
29. November: Diane Ladd, US-amerikanische Schauspielerin
30. November: Trevor Blokdyk, südafrikanischer Speedway- und Automobilrennfahrer († 1995)
30. November: Hoyt Johnson, US-amerikanischer Country- und Rockabilly-Musiker († 1989)
30. November: Herbert Prikopa, österreichischer Dirigent und Kabarettist († 2015)
Dezember
1. Dezember: Woody Allen, US-amerikanischer Komiker, Regisseur, Autor und Schauspieler
1. Dezember: Heinz Riesenhuber, deutscher Politiker
1. Dezember: Ivica Šerfezi, jugoslawischer Schlagersänger († 2004)
1. Dezember: Amedeo Tommasi, italienischer Jazzmusiker und Komponist († 2021)
2. Dezember: Ronnie Mathews, US-amerikanischer Jazzpianist († 2008)
2. Dezember: Pit Schubert, deutscher Sachbuchautor und Bergsteiger
3. Dezember: Hubert Weinzierl, deutscher Diplomforstwirt
4. Dezember: Paul O’Neill, US-amerikanischer Politiker, ehemaliger Finanzminister der USA († 2020)
5. Dezember: Andrei Abramow, sowjetischer Boxer († 1994)
5. Dezember: Marise Chamberlain, australische Leichtathletin und Olympionikin
5. Dezember: Kaj Ikast, dänischer Offizier und Politiker († 2020)
6. Dezember: F. David Mathews, US-amerikanischer Politiker
7. Dezember: Jean-Claude Casadesus, französischer Dirigent
7. Dezember: Hanspeter Lanig, deutscher Skirennläufer († 2022)
8. Dezember: Michael Kahn, US-amerikanischer Filmeditor
8. Dezember: Tatjana Satulowskaja, russische Schachspielerin († 2017)
8. Dezember: Hans-Jürgen Syberberg, deutscher Regisseur
10. Dezember: Joachim Hruschka, deutscher Rechtswissenschaftler (Rechtsphilosophie, Strafrecht) († 2017)
11. Dezember: Günther Bredehorn, deutscher Politiker
11. Dezember: Klaus Miesner, deutscher Handballspieler und -trainer († 1989)
11. Dezember: Ferdinand Alexander Porsche, deutscher Industriedesigner († 2012)
12. Dezember: Juhani Aaltonen, finnischer Jazzmusiker
13. Dezember: Hogan Wharton, US-amerikanischer Footballspieler († 2008)
14. Dezember: Franz Adlkofer, deutscher Mediziner und Hochschullehrer († 2022)
14. Dezember: Bill Crofut, US-amerikanischer Banjospieler und Folksänger († 1999)
14. Dezember: Klaus Klingner, deutscher Politiker
14. Dezember: Barbara Leigh-Hunt, britische Schauspielerin
14. Dezember: Lee Remick, US-amerikanische Schauspielerin († 1991)
15. Dezember: Adnan Badran, jordanischer Akademiker und Politiker, Ministerpräsident
16. Dezember: Olaf Dinné, deutscher Politiker, Mitglied der Bremischen Bürgerschaft und einer der ersten grünen Abgeordneten in einem Landesparlament
16. Dezember: Nikos Sampson, zypriotischer Politiker, Präsident der Republik Zypern († 2001)
18. Dezember: Aimé Verhoeven, belgischer Ringer († 2021)
19. Dezember: Karl-Hans Arndt, deutscher Arzt, Chirurg und Sportmediziner († 2012)
19. Dezember: Syd Field, US-amerikanischer Sachbuchautor († 2013)
20. Dezember: Christopher Shaman Abba, nigerianischer Bischof († 2010)
21. Dezember: John G. Avildsen, US-amerikanischer Filmregisseur († 2017)
21. Dezember: Lorenzo Bandini, italienischer Automobilrennfahrer († 1967)
23. Dezember: Hans Georg Anscheidt, deutscher Motorradrennfahrer
23. Dezember: Theophilus Beckford, jamaikanischer Pianist († 2001)
23. Dezember: Paul Hornung, US-amerikanischer Footballspieler († 2020)
25. Dezember: Sadiq al-Mahdi, sudanesischer Politiker († 2020)
25. Dezember: Jonathan Beckwith, US-amerikanischer Biochemiker, Mikrobiologe und Genetiker
25. Dezember: Albín Brunovský, slowakischer Grafiker und Maler († 1997)
25. Dezember: Christa Hoffmann-Warns, deutsche Handballspielerin
25. Dezember: Susana Rinaldi, argentinische Schauspielerin und Sängerin
25. Dezember: Kazumi Watanabe, japanischer Leichtathlet († 2022)
26. Dezember: Bill Brack, kanadischer Automobilrennfahrer
26. Dezember: Gnassingbé Eyadéma, togolesischer Politiker und Präsident († 2005)
26. Dezember: Moisés Solana, mexikanischer Automobilrennfahrer († 1969)
30. Dezember: Omar Bongo, Präsident von Gabun (1967–2009) († 2009)
30. Dezember: Wolfgang Dauner, deutscher Keyboarder und Jazzpianist († 2020)
31. Dezember: Peter Herbolzheimer, deutscher Posaunist und Bandleader († 2010)
Dezember: Johann Abt, deutscher Motorrad- und Automobilrennfahrer († 2003)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Rennie Airth, südafrikanischer Schriftsteller
Andy Anderson, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker
Nguyên Trong Anh, französischer Chemiker
Dorothea Arnold, deutsche Ägyptologin
Humbert Augustynowicz, österreichischer Jazzpianist
Klaus Bergatt, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher
Margot Bernice Ashwin, neuseeländische Botanikerin († 1992)
Carlo Bruno, italienischer Pianist und Komponist
Jesús Martínez de Bujanda, spanisch-kanadischer Historiker
Teresa Burga, peruanische bildende Künstlerin († 2021)
Wolfgang Cajar, deutscher Heimatforscher
Carlos D’Alessio, argentinischer Komponist von Filmmusik († 1992)
June Finlayson, australische Journalistin, Schönheitskönigin und Rundfunkmoderatorin († 1979)
Youssof Kohzad, afghanischer Dichter, Schauspieler und Künstler und Schriftsteller
Johannes Ortner, österreichischer Automobilrennfahrer
Erich Schwandt, kanadischer Cembalist, Organist, Musikwissenschaftler und -pädagoge († 2017)
Nora Wompi, Aborigines-Künstlerin
Christopher Beeby, neuseeländischer Diplomat, Jurist und Mitglied des WTO Appellate Body († 2000)
Gestorben
Januar/Februar
5. Januar: Siegfried Schneider, deutscher Franziskaner und Verfasser christlicher Literatur, bekannt als „Krippenpater“ (* 1894)
10. Januar: Edwin Flack, australischer Leichtathlet und Olympiateilnehmer (* 1873)
11. Januar: Carl Paal, deutsch-österreichischer Chemiker (* 1860)
16. Januar: Ma Barker, US-amerikanische Kriminelle (* 1873)
16. Januar: Franklin S. Billings, US-amerikanischer Politiker (* 1862)
16. Januar: Wilhelm Schulze, deutscher Altphilologe und Indogermanist (* 1863)
16. Januar: Richard Wetz, deutscher Komponist und Musikpädagoge (* 1875)
19. Januar: Christian Hülsen, deutscher Archäologe (* 1858)
19. Januar: Marie-Louise Müller-Weiss, deutsche Hofopernsängerin (* 1876)
21. Januar: Robert Livingston Beeckman, US-amerikanischer Politiker (* 1866)
22. Januar: Zequinha de Abreu, brasilianischer Komponist und Instrumentalist (* 1880)
24. Januar: John Barton Payne, US-amerikanischer Politiker (* 1855)
27. Januar: Fritz Bopp, Schweizer Journalist, Dichter und Politiker (* 1863)
28. Januar: Michail Michailowitsch Ippolitow-Iwanow, russischer Komponist und Dirigent (* 1859)
28. Januar: Herbert James Hagerman, US-amerikanischer Politiker (* 1871)
28. Januar: Tsubouchi Shōyō, japanischer Dramatiker, Erzähler und Übersetzer (* 1859)
31. Januar: Otto Aichel, deutscher Embryologe, Anatom, Anthropologe und Hochschullehrer (* 1871)
31. Januar: Helene Glatzer, deutsche Widerstandskämpferin (* 1902)
31. Januar: Albert McIntire, US-amerikanischer Politiker (* 1853)
3. Februar: Hugo Junkers, deutscher Flugzeugkonstrukteur (* 1859)
3. Februar: Quincas Laranjeiras, brasilianischer Gitarrist und Komponist (* 1873)
5. Februar: Max de Pourtalès, französischer Automobilrennfahrer (* 1893)
6. Februar: Anton von Premerstein, österreichischer Althistoriker und Papyrologe (* 1869)
6. Februar: Jackson Whipps Showalter, US-amerikanischer Schachspieler (* 1860)
8. Februar: Max Liebermann, deutscher Maler und Grafiker (* 1847)
9. Februar: Karl Nef, Schweizer Musikwissenschaftler (* 1873)
12. Februar: Auguste Escoffier, französischer Meisterkoch (* 1846)
13. Februar: Herbert Allen Giles, britischer Sinologe (* 1845)
14. Februar: Antonius Mönch, deutscher Weihbischof (* 1870)
15. Februar: Pierre-Paulin Andrieu, französischer Erzbischof (* 1849)
17. Februar: Vincas Mickevičius-Kapsukas, litauischer KP-Politiker (* 1880)
18. Februar: Arturo Pellerano Alfau, dominikanischer Kaufmann und Journalist (* 1864)
19. Februar: Eugen Landau, deutscher Bankier, Industrieller und Philanthrop (* 1852)
23. Februar: Emma Adler, österreichische Journalistin und Schriftstellerin (* 1858)
26. Februar: John Victor Bergquist, US-amerikanischer Komponist und Organist (* 1877)
28. Februar: Chiquinha Gonzaga, brasilianische Pianistin und Komponistin (* 1847)
28. Februar: Alexander Willem Frederik Idenburg, Generalgouverneur von Niederländisch-Indien (* 1861)
März/April
4. März: Silvia Andrea, Schweizer Schriftstellerin (* 1840)
8. März: Willibald Adam, deutscher Abt (* 1873)
8. März: Gustaw Gwozdecki, polnisch-französischer Bildhauer, Maler, Grafiker und Kunstschriftsteller (* 1880)
8. März: Malcolm R. Patterson, amerik. Politiker, Gouverneur von Tennessee (* 1861)
11. März: Yusuf Akçura, tatarisch-osmanischer Aktivist und Ideologe (* 1876)
12. März: Joseph Delmont, österreichischer Artist, Regisseur und Schriftsteller; erste Raubtierszenen der Filmgeschichte (* 1873)
13. März: Richard Mollier, Professor für angewandte Physik und Maschinenbau (* 1863)
16. März: John James Richard Macleod, kanadischer Physiologe (* 1876)
16. März: Aaron Nimzowitsch, lettischer Schachspieler und -theoretiker (* 1886)
17. März: William John Adie, australischer Neurologe (* 1886)
17. März: Mary Grant Carmichael, englische Komponistin (* 1851)
19. März: Carl Duisberg, Chemiker und Industrieller (* 1861)
20. März: Alice Bensheimer, deutsche Politikerin und Frauenrechtlerin (* 1864)
22. März: Alexander Moissi, österreichischer Schauspieler (* 1879)
25. März: Percy Moran, US-amerikanischer Maler (* 1862)
26. März: Yosano Tekkan, japanischer Lyriker und Literaturkritiker (* 1873)
27. März: Helene Gries-Danican, deutsche Malerin (* 1874)
29. März: Tina Kofler, österreichische Grafikerin und Malerin (* 1872)
1. April: Dora Fabian, deutsche Sozialistin und Journalistin (* 1901)
3. April: Johanna Huber, deutsche Lehrerin, Kindergärtnerin, Fach- sowie Kinderliteraturschriftstellerin (* 1869)
6. April: Edwin Arlington Robinson, US-amerikanischer Dichter (* 1869)
6. April: Edward Curtis Smith, US-amerikanischer Politiker (* 1854)
7. April: Raquel Liberman, russisch-jüdische Prostituierte in Argentinien (* 1900)
9. April: Frank C. Archibald, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1857)
10. April: Rosa Campbell Praed, australische Schriftstellerin (* 1851)
11. April: Anna Katharine Rohlfs, US-amerikanische Schriftstellerin (* 1846)
14. April: Emmy Noether, deutsche Mathematikerin (* 1882)
15. April: Anna Kirstine Brøndum Ancher, dänische Malerin (* 1859)
20. April: Wilhelm Lattmann, deutscher Politiker (* 1864)
22. April: Magdalene von Prince, deutsche Kolonialistin und Plantagenbesitzerin (* 1870)
23. April: Wanda von Debschitz-Kunowski, deutsche Porträt-Fotografin (* 1870)
28. April: Alfred I. du Pont, US-amerikanischer Unternehmer (* 1864)
29. April: Leroy Carr, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1905)
Mai/Juni
1. Mai: Henri Pélissier, französischer Radrennfahrer (* 1889)
2. Mai: Philipp Siesmayer, deutscher Gartenarchitekt (* 1862)
4. Mai: August Asmuth, deutscher Politiker (* 1884)
5. Mai: Robert Battagliola, französischer Automobilrennfahrer (* 1896)
6. Mai: Bronson M. Cutting, US-amerikanischer Politiker (* 1888)
7. Mai: Charles Gordon-Lennox, 8. Duke of Richmond, britischer Adliger (* 1870)
8. Mai: Emil Ertl, österreichischer Dichter und Schriftsteller (* 1860)
10. Mai: Herbert Witherspoon, US-amerikanischer Sänger, Gesangspädagoge und Theatermanager (* 1873)
12. Mai: Józef Piłsudski, polnischer Marschall und Diktator (* 1867)
14. Mai: Magnus Hirschfeld, deutscher Nervenarzt und Vorreiter der Homosexuellen-Bewegung (* 1868)
15. Mai: Kasimir Malewitsch, ukrainischer Maler der „futuristischen“ Malerei (* 1879)
17. Mai: Paul Dukas, französischer Komponist (* 1865)
19. Mai: Thomas E. Lawrence, britischer Geheimagent und Archäologe (* 1888)
19. Mai: Charles Martin Loeffler, deutsch-amerikanischer Komponist, Geiger und Bratscher (* 1861)
20. Mai: Wilhelm Friedle, Betriebsdirektor der Daimler-Benz AG, brachte das Fließband nach Deutschland (* 1889)
21. Mai: Jane Addams, Feministin und engagierte Journalistin der Friedensbewegung (* 1860)
21. Mai: Hugo de Vries, niederländischer Biologe (* 1848)
29. Mai: René Dély, französischer Autorennfahrer (* 1888)
29. Mai: Josef Suk, tschechischer Komponist (* 1874)
30. Mai: Leberecht Migge, deutscher Landschaftsarchitekt (* 1881)
1. Juni: Hermann Bendix, deutscher Pädagoge, Kantor und Komponist (* 1859)
4. Juni: Raban Adelmann von Adelmannsfelden, deutscher Ministerialbeamter und Diplomat (* 1877)
6. Juni: Hans Bader, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1875)
7. Juni: Iwan Wladimirowitsch Mitschurin, russischer Botaniker und Pflanzenzüchter (* 1855)
7. Juni: Carl Pauen, deutscher Moderner Fünfkämpfer (* 1859).
7. Juni: Heinrich Welsch, deutscher Lehrer (* 1848)
10. Juni: Fausta Labia, italienische Opernsängerin (* 1870)
11. Juni: Johannes Geffcken, deutscher Altphilologe (* 1861)
13. Juni: Franz von Mendelssohn, deutscher Bankier und Wirtschaftsfunktionär (* 1865)
21. Juni: Angus McLean, US-amerikanischer Politiker (* 1870)
22. Juni: Szymon Askenazy, polnischer Historiker, Diplomat und Politiker (* 1866)
24. Juni: Wilhelm von Bismarck, deutscher Politiker (* 1867)
24. Juni: Carlos Gardel, argentinischer Tangosänger (* 1890)
25. Juni: Erich Schultz-Ewerth, deutscher Kolonialbeamter und Schriftsteller (* 1870)
29. Juni: Hayashi Fubō, japanischer Schriftsteller (* 1900)
Juli/August
Juli: Edwin T. McKnight, US-amerikanischer Politiker kanadischer Herkunft (* 1869)
1. Juli: Arthur Arz von Straußenburg, österreichisch-ungarischer Berufsoffizier (* 1857)
1. Juli: Hans von Pezold, deutscher Sanitätsoffizier und Sexualpädagoge (* 1870)
3. Juli: André Citroën, französischer Automobilkonstrukteur (* 1878)
8. Juli: Albert Ahn, deutscher Verleger und Industrieller (* 1867)
8. Juli: Ignát Herrmann, tschechischer Schriftsteller, Humorist und Redakteur (* 1854)
9. Juli: John Møller, grönländischer Fotograf, Buchdrucker, Dolmetscher, Ornithologe, Expeditionsteilnehmer und Landesrat (* 1867)
12. Juli: Alfred Dreyfus, französischer Offizier (* 1859)
14. Juli: Edoardo Agnelli, italienischer Großindustrieller und Vizepräsident von Fiat (* 1892)
16. Juli: Karl Dieterich, deutscher Sprachwissenschaftler und Literaturhistoriker (* 1869)
16. Juli: Annie Smith Peck, US-amerikanische Bergsteigerin (* 1850)
17. Juli: Francis Maclennan, US-amerikanischer Sänger (* 1873)
19. Juli: Lujo Adamović, kroatischer Botaniker und Pflanzensammler (* 1864)
24. Juli: Hugo Johann Asbach, deutscher Weinbrand-Fabrikant (* 1868)
24. Juli: Friedrich August Ferdinand Christian Went, niederländischer Botaniker (* 1863)
26. Juli: Gil Andersen, norwegisch-US-amerikanischer Ingenieur, Automobilrennfahrer und Automobilmanager (* 1879)
26. Juli: Käthe Paulus, deutsche Fallschirmspringerin (* 1868)
30. Juli: Adolf Damaschke, Pädagoge und ein Führer der Bodenreformbewegung (* 1865)
31. Juli: Georg Baur, deutscher Unternehmer (* 1859)
1. August: Hellmut von Gerlach, deutscher Politiker und Publizist (* 1866)
6. August: Karl Illner, österreichischer Flugpionier (* 1877)
8. August: Nathan P. Bryan, US-amerikanischer Politiker (* 1872)
10. August: Jasper Bisbee, US-amerikanischer Old-Time-Musiker (* 1843)
15. August: Adauctus Aurélio de Miranda Henriques, brasilianischer Erzbischof (* 1855)
15. August: Paul Signac, französischer Maler und Grafiker (* 1863)
17. August: Charlotte Perkins Gilman, US-amerikanische Schriftstellerin und Frauenrecht (* 1860)
21. August: Josef Cyrill Sychra, tschechischer Komponist, Organist, Chorleiter und Musikpädagoge (* 1859)
25. August: Thomas Alva Edison jr., US-amerikanischer Erfinder (* 1876)
25. August: Frank H. Hitchcock, US-amerikanischer Politiker (* 1867)
27. August: Otto Schott, deutscher Chemiker und Glastechniker (* 1851)
29. August: Carl Andres, deutscher Gutsbesitzer, Weinbaulobbyist und Politiker (* 1876)
29. August: Astrid Sofia Lovisa Thyra von Schweden, Königin der Belgier (* 1905)
30. August: Henri Barbusse, französischer Dichter (* 1873)
September/Oktober
7. September: Per Winge, norwegischer Komponist, Dirigent, Pianist und Organist (* 1858)
10. September: Huey Pierce Long, US-amerikanischer Politiker, Gouverneur und Senator von Louisiana (* 1893)
10. September: Simeon S. Pennewill, US-amerikanischer Politiker (* 1867)
18. September: Oswald Galle, deutscher Maler und Plastiker (* 1868)
19. September: Konstantin Ziolkowski, russischer Raumfahrtpionier (* 1857)
20. September: Amy Sherwin, australische Opernsängerin (* 1855)
20. September: Hermanus Frederik Roll, niederländischer Arzt (* 1867)
22. September: Hippolyte Lefèbvre, französischer Bildhauer (* 1863)
26. September: Andy Adams, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1859)
28. September: Italo Azzoni, italienischer Komponist, Pianist, Dirigent und Musikpädagoge (* 1853)
28. September: Hans Baluschek, deutscher Maler, Graphiker und Schriftsteller (* 1870)
30. September: Rudolf Presber, deutscher Schriftsteller und Journalist (* 1868)
1. Oktober: Wladimir Giljarowski, russischer Publizist und Schriftsteller (* 1855)
2. Oktober: Hermann Krukenberg, deutscher Arzt (* 1863)
4. Oktober: Marie Gutheil-Schoder, deutsche Opernsängerin (* 1874)
4. Oktober: Georg Gröne, deutscher Bildhauer (* 1864)
8. Oktober: Hans Tropsch, deutscher Chemiker (* 1889)
10. Oktober: Heinrich Gustav Arnhold, deutscher Bankier, Sammler, Mäzen und Esperantist (* 1885)
11. Oktober: Steele Rudd, australischer Schriftsteller (* 1868)
13. Oktober: Marcel Ballot, französischer Autorennfahrer (* 1900)
15. Oktober: Werner Abel, deutscher Journalist (* 1902)
20. Oktober: Arthur Henderson, britischer Politiker (* 1863)
22. Oktober: Joseph De Luca, italienisch-amerikanischer Musiker (* 1890)
23. Oktober: Johannes Eduard Franz Bölsche, deutscher Musiker und Komponist (* 1869)
24. Oktober: Otto Berman, US-amerikanischer Mafioso (* 1889)
24. Oktober: Dutch Schultz, US-amerikanischer Mafioso (* 1901)
26. Oktober: Ákos Buttykay, ungarischer Komponist (* 1871)
28. Oktober: Albert Grünwedel, deutscher Indologe und Tibetologe (* 1856)
November/Dezember
2. November: Rudolf Steinweg, deutscher Automobilrennfahrer (* 1888)
2. November: Themistocles Żammit, maltesischer Forscher (* 1864)
4. November: Miklós Radnai, ungarischer Komponist (* 1892)
7. November: Emil Hardmeier, Schweizer Lehrer und Politiker (* 1870)
9. November: Walter L. Fisher, US-amerikanischer Politiker (* 1862)
13. November: Paul Raschein, Schweizer Landwirt, Jurist und Politiker (* 1864)
16. November: Kurt Schindler, deutsch-US-amerikanischer Dirigent und Komponist (* 1882)
19. November: Hermann Dechent, deutscher evangelischer Theologe und Pfarrer (* 1850)
22. November: Eberhard Arnold, deutscher Theologe, Philosoph, Pädagoge und Publizist (* 1883)
25. November: Anastasia Nikolajewna von Montenegro, Adelige (* 1868)
25. November: Iyasu V., ungekrönter Kaiser von Äthiopien (* 1897)
26. November: Paul Gisevius, deutscher Agrarwissenschaftler (* 1858)
26. November: Paul Askonas, österreichischer Schauspieler (* 1872)
28. November: Erich Moritz von Hornbostel, österreichischer Musikethnologe (* 1877)
29. November: Theodor von Hassel, deutscher Offizier und Landwirt (* 1868)
30. November: Fernando Pessoa, portugiesischer Dichter (* 1888)
November: Charlie Green, US-amerikanischer Blues- und Jazz-Posaunist (* um 1895)
1. Dezember: Bernhard Schmidt, Optiker, Erfinder des Schmidt-Teleskops (* 1879)
3. Dezember: Milman Parry, US-amerikanischer Altphilologe und Homer-Forscher (* 1902)
4. Dezember: Charles Richet, französischer Mediziner und Nobelpreisträger (* 1850)
8. Dezember: Albert Jesionek, deutscher Dermatologe und Hochschullehrer (* 1870)
8. Dezember: Charlotte Niese, deutsche Schriftstellerin (* 1854)
9. Dezember: Minna Bollmann, deutsche Politikerin (SPD), Mitglied der Weimarer Nationalversammlung und Widerstandskämpferin (* 1876)
13. Dezember: Victor Grignard, französischer Chemiker (* 1871)
14. Dezember: Stanley G. Weinbaum, US-amerikanischer Science-Fiction-Schriftsteller (* 1902)
16. November: Félix José de Augusta, deutscher Chirurg, Missionar und Sprachwissenschaftler (* 1860)
16. Dezember: Thelma Todd, US-amerikanische Schauspielerin (* 1906)
17. Dezember: Juan Vicente Gómez, venezolanischer Diktator (* 1857)
19. Dezember: James Buchanan Aurig, deutscher Fotograf (* 1857)
21. Dezember: Kurt Tucholsky, deutscher Journalist und Schriftsteller (* 1890)
24. Dezember: Alban Berg, österreichischer Komponist (* 1885)
25. Dezember: Paul Bourget, französischer Schriftsteller (* 1852)
26. Dezember: Charles Brough, US-amerikanischer Politiker (* 1876)
31. Dezember: Edmund Brückner, deutscher Diplomat und Ministerialbeamter (* 1871)
Genaues Todesdatum unbekannt
John Frederick Abercromby, britischer Golfarchitekt (* 1861)
Emile Appay, französischer Landschaftsmaler und Aquarellist (* 1876)
Martiniano Leguizamón, argentinischer Schriftsteller (* 1853)
Hassan Pirnia, iranischer Politiker und Premierminister Irans (* 1872)
Weblinks
Chronik 1935 im lebendigen virtuellen Museum online
Einzelnachweise
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Q18658
| 1,607.403191 |
41368
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https://de.wikipedia.org/wiki/AOL
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AOL
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AOL, ehemals America Online, ist ein US-amerikanischer Medienkonzern mit Sitz in New York City. Im Jahr 2000 war AOL mit 30 Millionen zahlenden Mitgliedern der größte Internetdienstanbieter weltweit. In Deutschland hieß der Claim des Unternehmens damals „AOL – Alles OnLine“.
Geschichte
International
Das Unternehmen wurde 1985 in Dulles, Virginia von Jim Kimsey als Quantum Computer Services aus den Überresten der 1983 gegründeten Control Video Corporation (CVC) gegründet, die einen Onlinedienst für den Atari 2600 anbot. Das erste Produkt Quantum Link (Q-Link) war ein grafischer Onlinedienst für amerikanische Benutzer des Commodore 64 und 128. Im Mai 1988 veröffentlichten Apple und Quantum AppleLink Personal Edition für Apple II und Macintosh. Im August 1988 folgte in Kooperation mit Tandy der Dienst PC-Link für IBM-PC-kompatible Computer. Nach der Trennung von Apple im Oktober 1989 erfolgte die Umbenennung zu America Online.
Um 1990 – also kurz vor dem Start des World Wide Web – konkurrierten mehrere amerikanische Online-Anbieter; der größte war der Online-Pionier CompuServe. Im Unterschied zum in die Jahre gekommenen CompuServe mit seiner kargen Benutzeroberfläche ging AOL auf eine neue Generation von Nutzern zu und bot eine ansprechende farbenfrohe Software für den Zugang zu seinem Netz. 1991 folgte Steve Case, der schon Marketingdirektor bei CVC war, Kimsey als CEO nach. Der AOL-Onlinedienst erschien im selben Jahr erst für MS-DOS und ein Jahr später für Windows. Für AOL DOS wurde mit Neverwinter Nights das erste grafische MMORPG veröffentlicht. 1996 wurde das Bezahlmodell von AOL von Stundengebühren auf eine monatliche Flatrate umgestellt.
Der Fotokonzern Kodak startete im Sommer 1998 einen Dienst, bei dem AOL-Kunden ihre belichteten Filme in Geschäften abgeben und wenig später die digitalisierten Fotos über ihr AOL-Konto abrufen konnten. Mit dem Start des World Wide Web 1993 kam eine neue Netzkultur auf. Die Early Adopters entledigten sich der Bindung an zentralisierte Portale wie AOL und nutzten das Internet über Webbrowser. AOL galt damals als sicherer Hafen und die Netscape Communications Corporation als größte Herausforderung. Die New York Times schrieb 1998, America Online sei „allgemein als Schutz für technische Neulinge anerkannt, die noch nicht reif für die große weite Welt des Netzes sind.“
1997 übernahm AOL den Erzkonkurrenten CompuServe und 1998 Netscape sowie das von der israelischen Firma Mirabilis Ltd. entwickelte Chat-Programm ICQ.
Auf dem Höhepunkt seiner Popularität in der ersten Hälfte der 2000er Jahre war AOL mit über 30 Millionen Kunden weltweit der größte Internet-Anbieter. Im Jahr 2000 fusionierte AOL mit Time Warner und firmierte anschließend als AOL Time Warner. Im Jahr 2003 strich das Unternehmen das Kürzel AOL wieder aus dem Unternehmensnamen. Ende 2005 stieg Google Inc. für eine Milliarde Dollar (833 Millionen Euro) bei AOL ein. Am 3. April 2006 benannte sich America Online Inc. offiziell in AOL LLC. um. Die ursprüngliche Mission, die der Name ausdrücken sollte, Amerika online zu bringen, habe man schließlich längst erfüllt, begründete AOL-Chef Jon Miller.
Am 8. Juli 2009 kaufte Time Warner die Anteile von Google zurück, um AOL in einem weiteren Schritt an die Börse zu bringen. Mitte 2009 kündigte der neue Vorstandschef Tim Armstrong an, das Unternehmen bis Ende des Jahres an die Börse bringen zu wollen. Dafür wollte AOL selbst Inhalte produzieren und graphische Online-Werbung vermarkten. Am 19. November 2009 wurden Pläne des Unternehmens bekannt, mit dem Ziel einer Einsparung von 300 Millionen US-Dollar auch auf Basis von Entlassungen 2.500 Stellen abzubauen, das entsprach einem Drittel der Belegschaft. Im Rahmen dieser Umstrukturierungsmaßnahmen schloss AOL mehrere europäische Niederlassungen, darunter alle vier deutschen Niederlassungen. Hiervon waren insgesamt 140 Arbeitsplätze in Deutschland betroffen. Im Dezember 2009 trennte sich Time Warner von AOL. Erstmals am 10. Dezember 2009 wurde AOL an der New Yorker Börse wieder als eigenständiges Unternehmen gehandelt.
Im April 2010 verkaufte AOL den Instant Messenger ICQ für 187,5 Millionen Dollar an das russische Investment-Unternehmen Digital Sky Technologies.
Im Februar 2011 kaufte AOL The Huffington Post und führte alle journalistischen Sparten des Unternehmens unter dem neuen Dach AOL Huffington Post Media Group zusammen. Damit erweiterte sich das Geschäftsmodell, da die Huffington Post ihrerseits seit etwa 2010 systematisch namhafte Journalisten eingekauft hatte, um die Rolle eines bedeutenden journalistischen Mediums anzustreben.
Am 7. August 2013 wurde der Kauf der Onlinevideo-Werbefirma Adap.tv für 405 Millionen Dollar bekanntgegeben.
Am 12. Mai 2015 wurde bekannt, dass Verizon AOL für 4,4 Milliarden Dollar übernehmen will. Am 23. Juni 2015 schloss Verizon die Übernahme ab.
Am 3. April 2017 gab Verizon bekannt, dass man die Marken Yahoo! und AOL miteinander fusionieren möchte. Darüber ist aus Yahoo! und AOL die Marke Oath entstanden, seit dem Jahr 2019 als Verizon Media bekannt.
Am 3. Mai 2021 wurde bekannt gegeben, dass AOL (und Yahoo) für 5 Milliarden Dollar an Apollo Global Management verkauft werden.
AOL Deutschland
Die deutsche Niederlassung wurde 1995 als Joint Venture der Bertelsmann AG und AOL Europe gegründet und hatte ihren Hauptsitz in Hamburg, wo Geschäftsleitung und Redaktion angesiedelt waren. Die überwiegende Mehrzahl der rund 1.200 Mitarbeiter arbeiteten in den Call-Centern in Saarbrücken, Duisburg, Dessau, Erfurt, Görlitz, Düsseldorf, Essen sowie Frankfurt (Oder). Die Standorte in Dessau, Erfurt, Görlitz, Düsseldorf, Essen und Frankfurt (Oder) wurden von externen Dienstleistern betrieben. Der Onlinedienst AOL Deutschland erzielte im Geschäftsjahr 2003 mit rund zwölf Millionen Euro erstmals einen operativen Gewinn, der sich 2005 im Vergleich zum Vorjahr verdoppelte. Vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (EBITDA) erzielte der Konzern ein Ergebnis von rund 80 Millionen Euro (38 Millionen 2004). In Deutschland erreichte AOL mit seinen Internet-Angeboten der Marken AOL, CompuServe und Netscape Internet Service etwa fünf Millionen Menschen pro Monat (Stand: 2007).
Zum 1. März 2007 verkaufte AOL in Deutschland das Internet-Zugangsgeschäft mit allen Callcentern an HanseNet. Geschäftsführer der 2006 neu gegründeten AOL Deutschland Medien GmbH, die weiterhin das sogenannte Audience-Geschäft wie die AOL-Portale, die AOL-Zugangssoftware und den kostenlosen AOL-E-Mail-Service betreibt, war bis April 2008 Torsten Ahlers. Sein Nachfolger wurde Andreas Demuth, der das Unternehmen zum 30. November 2009 verließ. Ab 13. Dezember 2011 war Michael Edward Nolan Jr. Geschäftsführer, seit 29. Oktober 2015 ist es Amanda L. Reid.
Produkte und Geschäftsmodell
Einst hatte das Unternehmen das World Wide Web für Millionen von Menschen definiert. In den Anfangsjahren hatten die Amerikaner ihre Einnahmen vor allem über Einwählverbindungen per Modem gemacht. Jahrelang lagen Disketten und CDs mit der AOL-Zugangssoftware vielen Ausgaben von Computerzeitschriften bei. 26,7 Millionen Kunden kamen 2002 über AOL ins Internet. In Deutschland war AOL der Hauptkonkurrent der Deutschen Telekom. Der Vormarsch von DSL-Verbindungen und Flatrates ließ diese Einnahmen rapide schrumpfen und brachte AOL hohe Verluste ein. AOL versuchte dies aufzufangen, indem sie die Werbe-CD-ROMs mit der Zugangssoftware nicht nur Computerzeitschriften, sondern dann auch Tageszeitungen und Illustrierten beilegten; omnipräsent waren die CDs auch als Auslagen in Supermärkten, Kaufhäusern, Kinos etc., sowie als Postwurf-/Hauswurfsendung. Diese aggressive Werbung wurde von vielen Leuten als extrem ärgerlich empfunden. Ein Amerikaner startete daraufhin die Protestaktion No More AOL CDs. Sein Ziel: Er wollte eine Million AOL-Werbe-CDs sammeln und diese dann öffentlichkeitswirksam vor der AOL-Hauptzentrale per Lkw abkippen. Dazu kam es jedoch nicht, da AOL die CD-Kampagne beendete, bevor das Ziel erreicht wurde.
Seit 2007 gehört der Marketing-Dienstleister Adtech zu AOL. Zum 31. Oktober 2008 hat AOL die „Hometown“-Seiten mit den Internet-Seiten seiner Benutzer geschlossen.
2008 kam AOL in den USA mit 7,5 Millionen Kunden noch auf Platz 5, 2010 war der Anteil jener AOL-USA-Kunden, die sich nach dem alten Verfahren per Modem einwählen, mit 5 Millionen immer noch erstaunlich hoch.
Weitere bekannte Produkte von AOL sind bzw. waren u. a. AIM, ICQ (von 1998 bis 2010), Winamp (von 1999 bis 2014) und SHOUTcast (von 1999 bis 2014).
Seit Tim Armstrong 2009 als CEO von AOL eingestellt wurde, verschiebt sich das Geschäftsmodell von AOL in Richtung einer Content Farm. Seit 2010 ist es das Kerngeschäft des Unternehmens, durch Freelancer gewaltige Mengen an Texten zu aktuell gesuchten Themen möglichst billig herstellen zu lassen, die dann durch exzessive Anwendung von Methoden der Suchmaschinenoptimierung möglichst häufig aufgerufen werden und so Werbeeinnahmen generieren sollen. Zur Veröffentlichung nutzt AOL neben seiner Haupt-Domain und dem Projekt seed.com rund 75 special-interest-Seiten unter dem Dach der Tochtergesellschaft MediaGlow.
Mit der Übernahme der Huffington Post Anfang 2011 strebt AOL wieder in den Markt journalistischer Inhalte. Dabei gibt es Ende 2011 Berichte über Konflikte und Reibungsverluste zwischen den beiden ehemaligen Unternehmen und ihren konträren Geschäftsmodellen. Dies gilt sowohl innerhalb der ehemaligen Huffington Post, bei der die ursprünglichen, durch unbezahlte Blogger aufbereiteten Berichte über Storys anderer Medien mit den Artikeln hoch bezahlter und preisgekrönter Journalisten kontrastieren, die zur Aufwertung der Huffington Post engagiert wurden. Andererseits steht die erfolgreiche, wenn auch noch nicht konsolidierte Huffington-Post-Kultur gegen die Content-Farm-Mentalität, die AOL mit großem Aufwand aufgebaut hat.
Im Herbst 2012 hat AOL unter der Bezeichnung Alto einen Dienst gestartet, mit dem Nutzer mehrere E-Mail-Postfächer unter einer einheitlichen Oberfläche zusammenfassen können. Kontakte, Nachrichten und Anhänge werden in sogenannten Stacks (Stapeln) organisiert, die dabei helfen sollen, E-Mails besonders effizient zu organisieren und zu bearbeiten. AOL Alto unterstützt neben AOL Mail auch Yahoo Mail, Google Mail und Apple iCloud und erreichte eine breite Rezeption in den Medien, da es der erste Dienst seit mehreren Jahren war, den AOL unter eigener Regie vorgestellt hat.
Von 2009 bis Anfang 2014 betrieb AOL unter dem Namen Patch bis zu 1300 online-Plattformen zu Städten und Regionen in den USA, auf denen zu Höchstzeiten rund 1000 Mitarbeiter Lokaljournalismus produzierten. Im August 2013 war das Projekt auf 900 Plattformen und 500 Redakteure reduziert worden, Anfang 2014 wurde es an den Investor HaleGlobal verkauft. Hale wird voraussichtlich nur rund 250 Seiten weiterführen.
Technik
AOL setzte für die Einwahl in das Internet jahrelang auf eine proprietäre Software, ohne die es nicht möglich war, AOL zu nutzen. Die erste AOL-Einwahlsoftware für den PC erschien um 1990 für das GUI GeoWorks Ensemble (auch als „PC/GEOS“ bekannt), da die Firmengeschichte von AOL eng mit GEOS verbunden war – unter anderem aufgrund der Entwicklung von „Quantum Link“ für den Homecomputer C64. AOL brachte für den Zoomer, einen der weltweit ersten PDAs, als weltweit erstes Unternehmen eine mobile Interneteinwahl auf den Markt. Nach der Festigung der Marktherrschaft von Microsoft Windows gab es jahrelang nur Einwahlsoftware für die Betriebssysteme Microsoft Windows und MacOS. Etwa im Jahr 2000 änderte sich dies, und es kam die Möglichkeit hinzu, seine E-Mails über das standardisierte Protokoll IMAP abzurufen, sodass den Kunden eine große Auswahl an E-Mail-Programmen zur Verfügung stand, zum Beispiel Microsoft Outlook und Netscape. Im August 2003 wurde es, gleichzeitig mit dem Launch der AOL 8.0, möglich, über das standardisierte Point-to-Point-Protokoll online zu gehen. Dadurch war es möglich, Router mit AOL zu verwenden und zur Einwahl Linux oder das in Windows enthaltene „DFÜ-Netzwerk“ zu verwenden. Der Zwang zur Benutzung des AOL-Clients war damit abgeschafft.
AOL Desktop-Software
Ursprünglich wurde die AOL-Software benötigt, um sich (typischerweise über ein Modem) in das Internet einzuwählen und Verbindung zu einem Server aufzunehmen. Die AOL-Software bestand aus einem integrierten Browser und einer Einwahlsoftware, in die der Benutzer nach der Installation nur sein AOL Passwort eingeben musste. Daraufhin wurde die Verbindung hergestellt. Durch eine aggressive Werbung wurden Ende der 90er Jahre in zahllosen Zeitschriften Gratis-CDs von AOL beigelegt, vgl. hierzu No More AOL CDs. Diese waren verbunden mit Passwörtern, die für einige Stunden die kostenfreie Internetbenutzung über die AOL-Software erlaubten. Nach Ablauf der Gratisstunden erhöhten sich die Einwahlkosten extrem.
AOL hatte bis Mitte der 90er keine über den normalen Browser erreichbare Internetadresse. Anders als die Konkurrenten nutzte AOL stattdessen über die Desktop-Software seine Kundenbindung und lieferte Inhalte über die AOL-Software mit Download-Zugriff auf den eigenen FTP-Server. Zu den technischen Besonderheiten zählten die hauseigene Programmiersprache FDO (Form Definition Operator), das AOL-eigene Bildformat ART und der Online-Speicher „Xdrive“.
Heute ist für ehemals zentrale Funktionen (Chat, Kindersicherungen, Usenet-Zugang, FTP-Upload etc.) keine proprietäre Software mehr nötig; man erledigt das mit Apps, direkt im Browser oder mit dedizierten Hilfsprogrammen, etwa E-Mail-Clients. AOL stellte im Laufe der Jahre einige Module der Desktop-Software ein; Xdrive wurde nach dem 12. Januar 2009 nicht mehr angeboten, der Usenet-Zugang endete im Februar 2005 (siehe auch Eternal September).
Kritik
Die Zeitschrift PC World erklärte AOL im Mai 2006 zum schlechtesten technischen Produkt aller Zeiten. Der Dienst sei überteuert, nutzlos, aggressiv in der Werbung und Kundenbindung und habe „niemals das Stigma überwunden, der Online-Dienst für Leute zu sein, die es nicht besser wissen“.
Ende August 2006 wurde die US-Version von AOL 9.0 durch die amerikanische Stop Badware Coalition als „Badware“ eingestuft. Mit „Badware“ sind unter anderem Spyware, Malware und betrügerische Adware, mit der Unternehmen Online-Verhalten ausspionieren, gemeint. Sowohl dem Internet Explorer als auch der Windows-Taskbar werden ungefragt nicht entfernbare Zusätze hinzugefügt.
Siehe auch
No More AOL CDs
AOL-Phone
Ehemalige AOL-Arena
Weblinks
Offizielle Website von AOL Deutschland
Einzelnachweise
Verizon Communications
Internetdienstanbieter
Internetunternehmen
Webmail-Anbieter
AOL
Warner Bros. Discovery
Gegründet 1985
Dulles (Virginia)
Unternehmen (New York City)
Unternehmen (Loudoun County)
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Q27585
| 227.978428 |
96832
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https://de.wikipedia.org/wiki/Garnison
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Garnison
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Eine Garnison (aus altfranzösisch garnison für Besatzung, Ausrüstung) ist die allgemeine Bezeichnung für einen Ort, an dem militärische Verbände, Truppenteile, Einheiten, Teileinheiten, militärische Dienststellen oder Einrichtungen und Ähnliches ständig untergebracht sind. Auch die dort untergebrachten militärischen Formationen werden in der Regel als Garnison bezeichnet.
Entwicklung
Der Begriff Garnison stammt, wie auch Garnitur, vom mfrz. garnir, schmücken, ausrüsten. Im späten 15. Jahrhundert gelangte es ins Deutsche und verdrängte das mittelhochdeutsche hut und hutknechte, die Schutzmannschaft einer Stadt oder Festung. Ab etwa 1600 erweiterte sich die Bedeutung auf den Ort der „garnisonierenden“ (stationierten) Truppen. Im Laufe des 18. und 19. Jahrhundert wurden die Garnisonstruppen kaserniert anstatt in Bürgerquartieren untergebracht.
Der in einem Garnisonort dem Dienstgrad nach dienstälteste Offizier wurde in Deutschland Garnisonältester (heute: Standortältester) genannt und war Vorgesetzter der gesamten Garnison. Er hatte für die regelgerechte Handhabung des Garnisondienstes zu sorgen, der sich auf alle die Garnison in ihrer Gesamtheit betreffenden Verrichtungen, wie Wachdienst, Gerichtsdienst, Arbeitsdienst und ähnliches bezog.
Die Bestimmungen über die Handhabung des Garnisondienstes waren für das Deutsche Reich in der Garnisondienstvorschrift vom 15. März 1902 enthalten. Größere Garnisonorte und Festungen hatten besondere Kommandanten, denen zur Unterstützung noch ein Platzmajor beigegeben war. Große Festungen und Hauptstädte hatten zusätzlich einen Gouverneur.
Für die Orte der Garnisonen war die Anwesenheit der militärischen Einrichtungen in der Regel attraktiv, weil neben den direkten Umsätzen der Soldaten für persönliche Bedürfnisse auch die Aufträge und Einkäufe der Militärverwaltungen sowie Bautätigkeiten und sonstige Infrastrukturmaßnahmen den Orten und der Region zugutekamen. In größeren Garnisonsorten Deutschlands gab es Einrichtungen wie Tanzcafés sowie Standort- oder Garnisonkirchen, die eigens für den Besuch der am Ort stationierten Soldaten vorgesehen waren.
In Deutschland nennt man eine Garnison heute Standort, in Österreich ist der Begriff Garnison nach wie vor gebräuchlich. In der Schweiz spricht man vom Waffenplatz. In früheren Zeiten waren Garnisonen oftmals mit Zeughäusern oder Arsenalen verbunden oder benachbart untergebracht.
Siehe auch
Liste der Bundeswehrstandorte in Deutschland
Garnisonen der Landstreitkräfte Österreich-Ungarns
Liste der Kasernen des österreichischen Bundesheeres
Garnison Leipzig
Literatur
Robert Bohn, Michael Epkenhans (Hrsg.): Garnisonsstädte im 19. und 20. Jahrhundert (= IZRG-Schriftenreihe. 16). Verlag für Regionalgeschichte, Gütersloh 2015, ISBN 978-3-7395-1016-3.
Henning Roet de Rouet: Frankfurt am Main als preußische Garnison. Von 1866 bis 1914. Societäts-Verlag, Frankfurt am Main 2016, ISBN 978-3-95542-227-1 (Chemnitz, Technische Universität, Dissertation, 2015).
Weblinks
Garnisonskarte 1905
Liste der Garnisonorte des Deutschen Reiches um ca. 1913
Liste der Garnisonorte des Deutschen Reiches um ca. 1914
Einzelnachweise
Militärische Einrichtung
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Q88556
| 101.220526 |
5494
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https://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%B6rterbuch
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Wörterbuch
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Ein Wörterbuch ist ein Nachschlagewerk, das Wörter in einer meist alphabetisch sortierten Liste verzeichnet und jedem Eintrag (Lemma) erklärende Informationen (insbesondere Bedeutungen) oder sprachliche Äquivalente zuordnet.
Wörterbücher im engeren Sinn dienen zum Nachschlagen sprachlicher Information, während der Ausdruck in der weiteren Bedeutung auch andere nach Stichwörtern gegliederte Nachschlagewerke mit primär sachbezogener Information sowie Mischformen beider Typen umfasst.
Etymologie
Der Ausdruck Wörterbuch ist im Deutschen eine durch niederländische woordenboek beeinflusste Lehnübersetzung des griechischen Wortes lexikon (biblion) „Wörter betreffendes Buch“. Es ist ein zusammengesetzter Begriff, der nach einem Fremdwort gebildet wurde, indem alle Bestandteile des Fremdwortes einzeln ins Deutsche übersetzt wurden. Bis ins 17. Jahrhundert hinein wurden die Begriffe Lexikon und Dictionarium bevorzugt verwendet; dann trat Dictionarium zugunsten der neu eingeführten Übersetzung Wörterbuch (auch Wortbuch) zurück; der Begriff Lexikon blieb erhalten. Seit der Einführung des Wortes hat sich die Bedeutung von Wörterbuch im allgemeinen Sprachgebrauch überwiegend auf „Sprachwörterbuch“, die Bedeutung von Lexikon hingegen in der Tendenz auf „Sachwörterbuch“ verengt, wobei Lexikon oft auch als Synonym für „Enzyklopädie“ verwendet wird. Im Ergebnis treten damit Wörterbuch einerseits und Lexikon bzw. Enzyklopädie andererseits oft als Gegenbegriffe auf.
Fachsprachlich, besonders in der Lexikographie (Wörterbuchforschung), wird jedoch Wörterbuch auch noch in der weiteren Bedeutung als Oberbegriff für alle Arten von Nachschlagewerken mit einer Gliederung nach Stichwörtern beibehalten. Ebenso wird der Begriff Lexikon in fachsprachlichen Zusammenhängen weiterhin in seiner weiteren Bedeutung, also unter Einschluss sprachlexikographischer Werke, und in der Sprachwissenschaft auch speziell für das Inventar der Lexeme eines Sprechers oder einer Sprachgemeinschaft gebraucht.
Wörterbuch – Sachwörterbuch – enzyklopädisches Wörterbuch
Ein Wörterbuch im engeren Sinn (auch Sprachwörterbuch) dient der Vermittlung sprachlichen Wissens. Seine Auswahl der Lemmata (Morpheme, Lexeme, Phrasen und Phraseologismen) soll den Wortschatz einer Einzelsprache oder einen Teilwortschatz dieser Sprache (etwa einen Dialekt, Soziolekt oder Idiolekt) abdecken. Bei den zugeordneten Informationen handelt es sich primär um sprachliche Informationen, die die Schreibung, Aussprache und grammatischen Eigenschaften wie Wortart, Genus und Flexion des Lemmas, seine Herkunft, Bedeutung, Verwendungsweise und Übersetzbarkeit betreffen. Sie werden in Form von erklärenden Angaben oder durch Zuordnung vergleichbarer Einheiten aus der gleichen Sprache, etwa in einem Synonymenwörterbuch und einem Reimwörterbuch, oder aus einer oder mehreren anderen Sprachen in einem Übersetzungswörterbuch dargestellt. Sachinformationen zu den von den Wörtern bezeichneten Realien können dabei ebenfalls einbezogen werden, wenn das für die Erklärung der Wortbedeutung oder Wortgeschichte erforderlich ist, sie bilden jedoch keinen Selbstzweck. Eigennamen (Personen und Orte) werden in einem Sprachwörterbuch normalerweise nicht erklärt, abgesehen von Nachschlagewerken zur Namenforschung und Ortsnamenforschung (Onomastik und Toponomastik).
Ein neuer Ansatz ist es, nicht einzelne Wörter, sondern nur Sätze zu übersetzen („Sätzebuch“). Die Suche nach einzelnen Wörter geschieht mithilfe einer elektronischen Suchmaschine, die das Wort im Satzzusammenhang präsentiert; ein Beispiel hierfür ist Tatoeba.
Bei einem Sachwörterbuch (auch Realwörterbuch, Reallexikon, Realenzyklopädie) steht demgegenüber die Vermittlung von Sach- und Weltwissen statt Sprachwissen im Vordergrund (siehe Enzyklopädie). Das Lemma ist nicht als Element eines Wortschatzes Gegenstand sprachlicher Information, sondern beschreibt als thematisches Stichwort das Thema der Sachinformation. Sprachliche Eigenschaften des Lemmas werden nicht oder nur insoweit einbezogen, wie es dem Verständnis der vom Lemma bezeichneten Sache dient. Die Auswahl der Lemmata bezieht in einem Sachwörterbuch in der Regel auch Eigennamen ein und dient der Abdeckung und Strukturierung eines bestimmten Sach- oder Wissensbereiches, der ein spezielles Fachgebiet sein oder dem Anspruch nach auch das gesamte verfügbare Wissen über die Welt umfassen kann.
Ein enzyklopädisches Wörterbuch (auch Sprach- und Sachwörterbuch, integriertes Wörterbuch), in Deutschland seit den 1930er-Jahren vereinzelt auch Allbuch genannt und dem Typ nach besonders in Frankreich verbreitet, stellt sprachlexikographische und sachlexikographische Information gleichrangig nebeneinander und will Grundfunktionen beider Wörterbucharten erfüllen. Auch sonst treten die Typen von Sprach- und Sachwörterbuch oft in gemischter Form auf, besonders im Bereich der Fachlexika, wo fachsprachliche Wörterbücher oft auch einen eigengewichtigen Anteil an Sachinformation, oder fachspezifische Sachwörterbücher zusätzlich sprachliche Informationen zum Lemma und zu dessen Übersetzbarkeit integrieren.
Typologie
Gesamtwörterbücher (Universalwörterbuch) bieten umfassende Informationen zum allgemeinen Wortschatz der Gegenwartssprache (Beispiel: Duden Universalwörterbuch). Von ihnen lassen sich andere Wörterbuchtypen unterscheiden, die in der Lemmaauswahl oder den gebotenen Informationen andere Schwerpunkte setzen:
Typologie unter inhaltlichen Aspekten
Lemmatyporientierte Spezialwörterbücher verzeichnen nur einen ausgewählten Teil des Wortschatzes.
Wörterbücher mit pragmatisch beschränkter Lemmaauswahl verzeichnen Teile des Wortschatzes, die pragmatisch markiert sind. Darunter fallen unter anderem Umgangssprachenwörterbücher, Neologismenwörterbücher, Fremdwörterbücher, Schimpfwörterbücher.
Wörterbücher mit wortgeschichtlich beschränkter Lemmaauswahl. Darunter fallen Lehnwörterbücher, Erbwörterbücher und Wörterbücher untergegangener Worte. Kriterium für die Lemmaauswahl ist eine auffällige Wortgeschichte.
Wörterbücher mit semantisch beschränkter Lemmaauswahl. Darunter fallen Namenwörterbücher und Wörterbücher, die sich bestimmten semantischen Feldern widmen.
Wörterbücher mit formal beschränkter Lemmaauswahl. Auswahlkriterium ist hier die Form des Lemmazeichens. Darunter fallen unter anderem Morphemwörterbücher, Wortfamilienwörterbücher und Abkürzungswörterbücher.
Informationstyporientierte Wörterbücher zeichnen sich nicht durch Einschränkungen der Lemmaauswahl aus, sondern durch den Fokus der Informationen aus.
Syntagmatische Wörterbücher beschreiben die syntaktischen Eigenschaften lexikalischer Zeichen. Darunter fallen unter anderem die Valenzwörterbücher, Konstruktionswörterbücher und Kollokationswörterbücher.
Inhaltsparadigmatische Wörterbücher informieren hauptsächlich über die lexikalisch-semantischen Relationen, in denen die beschriebenen lexikalischen Einheiten zueinander stehen. Darunter fallen Synonymenwörterbücher, Antonymenwörterbücher, linguistische Thesauri, Analogiewörterbücher und Bildwörterbücher.
Ausdrucksparadigmatisch orientierte Wörterbücher informieren über Formaspekte sprachlicher Ausdrücke. Darunter fallen rückläufige Wörterbücher, Aussprachewörterbücher, phonologische Wörterbücher, Kreuzworträtselwörterbücher und Reimwörterbücher.
Weitere informationstyporientierte Wörterbuchtypen sind das etymologische Wörterbuch, das Fremdwörterbuch, das Frequenzwörterbuch (Häufigkeitswörterbuch) und das Rechtschreibwörterbuch.
Benutzergruppenorientierte Wörterbücher sind Wörterbücher, deren Lemmaauswahl und Informationen auf bestimmte Benutzer zugeschnitten sind. Darunter fallen die Lernerwörterbücher, die Grundschulwörterbücher und die Kinderwörterbücher.
Sprachvarietätenorientierte Wörterbücher verzeichnen den Wortschatz einzelner Sprachvarietäten. Dazu gehören Sondersprachenwörterbücher verschiedener Gruppen, Dialektwörterbücher und Fachwörterbücher.
Schließlich gibt es einige Typen textbezogener Wörterbücher. Der Beschreibungsgegenstand fällt hier mit der Wörterbuchbasis zusammen. Zu diesem Wörterbuchtypen gehören die Autorenwörterbücher, Autoren-Bedeutungswörterbücher, Werkwörterbücher und die Belegstellenwörterbücher.
Übersetzungswörterbücher vermitteln zwischen dem Wortschatz zweier oder mehrerer Sprachen. Sie werden nach denselben Kriterien unterteilt wie allgemeine Wörterbücher, also etwa in allgemeine und fachsprachliche Übersetzungswörterbücher.
Typologie unter formalen Aspekten
Gedruckte Wörterbücher (Printwörterbücher, von engl. print „Druck“) sind Wörterbücher, die im Buchdruck-Verfahren hergestellt werden. Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts waren sie die einzige Publikationsform für Wörterbücher. Besondere Formen sind:
das Handwörterbuch, das ursprünglich dafür konzipiert wurde, dem Benutzer als ständiges Nachschlagewerk am Arbeitsplatz zur Verfügung (zur Hand) zu stehen. Es entwickelte sich teilweise zu einem umfangreichen, auch mehrbändigen Werk.
das Taschenwörterbuch sollte ursprünglich praktisch in einer Tasche mitgeführt werden können und versucht daher in kleinem Format ein Höchstmaß an Informationen zu bieten.
Das Großwörterbuch ist das umfangreichste Sprachwörterbuch, das zum Teil in mehreren Bänden erscheint. Der Typ wurde zu Beginn der 1960er Jahre vom Verlag Langenscheidt geschaffen, indem er bereits eingeführte umfangreiche Wörterbücher unter dieser Bezeichnung neu auflegte. Das erste dieser Art war wohl das Deutsch-Griechische Wörterbuch von Hermann Menge, das 1960 unter diesem Titel erschien. Weitere Verlage folgten, sodass die Zahl dieser Wörterbücher schnell stieg.
Seit den 1980er Jahren werden Wörterbücher auch in digitaler Form verbreitet (elektronische Publikation). Dabei ist zu unterscheiden, ob die Daten vervielfältigt werden oder ob sie in einem zentralen Speicher vorliegen.
Als elektronisches Wörterbuch wird ein Wörterbuch bezeichnet, das auf reproduzierbare elektronische Datenträger, vor allem CD-ROM und DVD, gebracht und verbreitet wird.
Online-Wörterbücher sind digital erfasste Nachschlagewerke, die auf einem zentralen Datenspeicher vorliegen und nur online über das Internet abgefragt, teilweise auch bearbeitet werden können.
Struktur von Wörterbüchern und Wörterbuchartikeln
Ein Wörterbuch besteht in der Regel aus Außentexten und dem Wörterverzeichnis.
Im Wörterverzeichnis sind die Lemmata aufgelistet
Zu den Außentexten gehört alles, was außerhalb des eigentlichen Wörterverzeichnisses steht, beispielsweise Einleitung, Benutzerhinweise (Abkürzungsverzeichnis u. ä.) und Flexionstabellen.
befinden sich die Außentexte vor dem Wörterverzeichnis, so spricht man vom Vorspann (engl. front matter), stehen sie danach vom Nachspann (engl. back matter)
Im Wörterverzeichnis wird zwischen Makrostruktur und Mikrostruktur unterschieden:
Unter der Makrostruktur versteht man die Auswahl der Lemmata, ihre Anordnung sowie die Anordnung der Außentexte. Eine der wichtigsten makrostrukturellen Entscheidungen ist, wie die Lemmata angeordnet werden sollen. In den meisten Wörterbüchern geschieht das alphabetisch.
Wie der einzelne Wörterbucheintrag organisiert ist, d. h. die Anordnung der Wortinformation, ist Teil der Mikrostruktur.
Zur erleichterten Bestimmung des Wortschatzumfangs von mehrbändigen Wörterbüchern haben R. H. Seashore und L. D. Eckerson im Jahr 1940 die Methode der Stichprobenauswahl eingeführt.
Alphabetische Sortierung
In der alphabetischen Anordnung gibt es unterschiedliche Möglichkeiten:
Glattalphabetisch oder striktalphabetisch: Die Anordnung der Lemmata erfolgt – wie der Name sagt – strikt alphabetisch. Das heißt, für jedes Stichwort (außer im Alphabet direkt aufeinanderfolgende Varianten eines Lemmas wie z. B. „Epitaph“ und „Epitaphium“) gibt es einen eigenen Ansatz im Wörterbuch.
Nischenalphabetisch: Zunächst wie striktalphabetisch. Werden jedoch zu einer Wortfamilie mehrere Wörter aufgelistet, so erscheinen diese als Sublemmata vom Hauptlemma abgesetzt.
Nestalphabetisch: Hier kann die alphabetische Struktur durchbrochen werden, indem ein Sublemma auch aus einer flektierten Form oder einem zusammengesetzten Wort bestehen kann. Nestalphabetisch aufgebaute Wörterbücher richten sich teils nach dem Bestimmungswort, teils nach dem Grundwort aus.
Beispiel für eine Wortstrecke in unterschiedlicher Sortierung:
Die nischen- und die nestalphabetische Anordnung sind besonders platzsparend, was bei gedruckten Wörterbüchern ein wichtiger Faktor ist. Als am benutzerfreundlichsten gilt die glattalphabetische Sortierung, weil jedes Stichwort auf einer separaten Zeile steht und einen eigenen Eintrag eröffnet. Insofern stellt die nischenalphabetische Anordnung einen Kompromiss dar. Sie gruppiert Lemmata, ohne die alphabetische Reihenfolge zu durchbrechen.
Anhand der unterschiedlichen Auflagen des Duden Großwörterbuch kann man die verschiedenen Anordnungsformen beobachten: Bildete das sechsbändige Großwörterbuch noch Nester, so sind diese in der zweiten, achtbändigen Ausgabe durch Nischen ersetzt und die zehnbändige Ausgabe von 1999 verfolgt einen glattalphabetischen Ansatz. Nestalphabetische Wörterbücher mit Anordnung nach dem Grundwort werden teilweise in der wissenschaftlichen Lexikographie verwendet, weil damit beispielsweise das Wort Wagen und seine mit einem Bestimmungswort näher definierten Zusammensetzungen, mithin eine ganze Wortfamilie, gleichzeitig erarbeitet und vom Benützer im gleichen Band nachgeschlagen werden kann. Beispiele für solche Wörterbücher sind das Bayerische Wörterbuch, das Schweizerische Idiotikon und das Wörterbuch der bairischen Mundarten in Österreich.
Bei einem rückläufigen bzw. rückwärtigen Wörterbuch erfolgt die alphabetische Sortierung vom Wortende her.
Nichtalphabetische Sortierung
In Sprachen, die kein Alphabet benutzen, erfolgt die Sortierung nach anderen Kriterien, zum Beispiel im Chinesischen anhand von Radikalen (Klassenhäuptern) und Anzahl und Form der Striche.
Weitere makrostrukturelle Überlegungen betreffen die Auswahl der Lemmata und das Datensortiment, also welche Angaben es beispielsweise zu bestimmten Wortarten geben soll.
Unter der Mikrostruktur dagegen versteht man die konkreten Angaben, die zu einem Lemma gemacht werden. Diese Angaben sind in den meisten Sprachwörterbüchern durch Textverdichtung (Abkürzungen, Paraphrasen etc.) gekennzeichnet, um möglichst viele Angaben auf möglichst wenig Raum zusammenzufassen. In Sachwörterbüchern werden dagegen sehr unterschiedlich lange Texte geboten. In vielen Fällen werden den Artikeln Definitionen vorangestellt, dann folgen die Informationen in fortlaufender Prosa. Im Text oder am Ende des Textes werden Querverweise auf andere Artikel gegeben, die inhaltlich mit dem Text in Beziehung stehen. Am Schluss des Artikels werden – vor allem bei Enzyklopädien und Konversationslexika – vielfach Literaturhinweise gegeben.
Wörterbuchbenutzung
Wörterbücher sollen den Nutzern helfen, lexikalische Wissenslücken zu schließen, müssen also so strukturiert sein, dass Informationen schnell und gezielt nachgeschlagen werden können. Sowohl ein- als auch mehrsprachige Wörterbücher verlangen vom Nutzer zwei Voraussetzungen:
Die Systematik des Wörterbuchs zu verstehen.
Dem gesuchten Lexem anhand der Systematik das zugehörige Lemma zuzuordnen.
Die Wörterbuchbenutzungsforschung – oder auch Wörterbuchdidaktik – beschäftigt sich mit Benutzererwartungen an Wörterbücher („Welche Fragen werden in welchem Wörterbuch beantwortet?“) und untersucht die Bedingungen erfolgreicher Wörterbuchbenutzung. Die Erkenntnisse fließen in die Erstellung neuer Wörterbücher ein, oder in existierende Wörterbücher, die auf andere Medien übertragen werden.
Einen ausführlichen Überblick über deutsche Wörterbücher und Lexikographie gibt Haß-Zumkehr (2001).
Siehe auch
Geschichte und Entwicklung der Enzyklopädie
Idiotikon (Mundartwörterbuch)
Lernerwörterbuch
Liste bedeutender Wörterbücher
Plagiatsfalle
Sprachgebrauch in der DDR (ein Glossar)
Wortfamilienwörterbuch
Literatur
Einführungen
Stefan Engelberg, Lothar Lemnitzer: Lexikographie und Wörterbuchbenutzung. Stauffenburg, Tübingen 2004², ISBN 3-86057-285-7.
Thomas Herbst, Michael Klotz: Lexikografie. Eine Einführung. Schöningh, Paderborn 2003, ISBN 3-8252-8263-5.
Michael Schlaefer: Lexikologie und Lexikographie. Eine Einführung am Beispiel deutscher Wörterbücher. Erich Schmidt, Berlin 2002, ISBN 3-503-06143-6.
Ausgewählte Fachliteratur
Henning Bergenholtz, Sven Tarp: Die moderne lexikographische Funktionslehre. Diskussionsbeitrag zu neuen und alten Paradigmen, die Wörterbücher als Gebrauchsgegenstände verstehen. In: Lexikographica. Internationales Jahrbuch für Lexikographie 18/2002, S. 253–263.
Csaba Földes: Was gilt als Großwörterbuch? Zur Problematik der Größenklassen von Sprachlexika. In: Jarmo Korhonen (Hrsg.): Von der mono- zur bilingualen Lexikografie für das Deutsche. Lang, Frankfurt a. M./Berlin/Bern/Bruxelles/New York/Oxford/Wien 2001 (Finnische Beiträge zur Germanistik; 6), S. 31–42 (online).
Ulrike Haß-Zumkehr: Deutsche Wörterbücher – Brennpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte. De Gruyter, Berlin / New York 2001, ISBN 3-11-014885-4.
Franz Josef Hausmann u. a. (Hrsg.): Wörterbücher: Ein internationales Handbuch zur Lexikographie. De Gruyter, Berlin u. a. 1989–1991 (= Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft. Band 5), 3 Teilbde.
Kirsten Hjort: Lexikon, Wörterbuch, Enzyklopädie, Konversationslexikon: Versuch einer Begriffsklärung. In: Muttersprache 77 (1967), S. 353–365.
Werner Hupka: Die drei Haupttypen lexikographischer Werke und die Problematik jeder Klassifikation. In: Ders.: Wort und Bild: Die Illustrationen in Wörterbüchern und Enzyklopädien. Niemeyer, Tübingen 1989 (Lexicographica. Series Maior; 22), S. 23–37.
Peter Kühn: Deutsche Wörterbücher. Eine systematische Bibliographie. Niemeyer, Tübingen 1977.
Sidney I. Landau: Dictionaries. The Art and Craft of Lexicography. 2nd edition. Cambridge University Press, Cambridge 2001.
Anja Lobenstein-Reichmann, Peter O. Müller (Hrsg.): Historische Lexikographie zwischen Tradition und Innovation. De Gruyter, Berlin / New York 2016 (= Studia Linguistica Germanica. Band 129).
Jörg Mildenberger: Anton Trutmanns 'Arzneibuch', Teil II: Wörterbuch. I–V, Würzburg 1997 (= Würzburger medizinhistorische Forschungen. Band 56), ISBN 3-8260-1398-0. Vergleiche dazu Rainer Sutterer: Anton Trutmanns 'Arzneibuch', Teil I: Text. Medizinische Dissertation Bonn 1976.
Oskar Reichmann: Historische Lexikographie. Ideen, Verwirklichungen, Reflexionen an Beispielen des Deutschen, Niederländischen und Englischen. De Gruyter, Berlin / New York 2012 (= Studia linguistica Germanica. Band 111).
Burkhard Schaeder: Germanistische Lexikographie. Niemeyer, Tübingen 1987 (Lesenswert zur Geschichte von Lexikographie und Wörterbüchern).
Burkhard Schaeder: Kleine Bibliographie deutscher Wörterbücher – systematisch geordnet: Enzyklopädien, Fachwörterbücher, allgemeine Sprachwörterbücher, spezielle Sprachwörterbücher. Siegener Institut für Sprachen im Beruf, Siegen 2000.
Thomas Tinnefeld: Wörterbucharbeit im Fremdsprachenstudium – eine Fertigkeitsanalyse. In: Fremdsprachen und Hochschule (FuH) 34 (1992), S. 14–37.
Thomas Tinnefeld: Vorschläge zur Wörterbucharbeit an Schule und Hochschule. Teil 1. In: Hispanorama 71/1995, S. 139–141, Teil 2 in: Hispanorama 72/1996, S. 152–154, Teil 3 in: Hispanorama 73/1996, S. 152–155, Teil 4 in: Hispanorama 74/1996, S. 126–130.
Herbert Ernst Wiegand: Wörterbuchforschung: Untersuchungen zur Wörterbuchbenutzung, zur Theorie, Geschichte, Kritik und Automatisierung der Lexikographie. De Gruyter, Berlin / New York 2000.
Wolfram Zaunmüller: Bibliographisches Handbuch der Sprachwörterbücher. ein internationales Verzeichnis von 5600 Wörterbüchern der Jahre 1460–1958 für mehr als 500 Sprachen und Dialekte. Hiersemann, Stuttgart 1958.
Weblinks
Lexikographie, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften (zur Geschichte der deutschsprachigen Lexikographie mit Abbildungen und Artikelbeispielen)
DWDS Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache
FWB-online Frühneuhochdeutsches Wörterbuch - Wörterbuch zur hochdeutschen Sprache von der Mitte des 14. bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts
Einzelnachweise
Buchart (Nachschlagewerk)
Angewandte Linguistik
Lexikografie
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Q23622
| 1,085.922316 |
23411
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https://de.wikipedia.org/wiki/Daegu
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Daegu
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Daegu (koreanisch , []), früher Taegu, offiziell Daegu Metropolitan City, ist eine Stadt in der Provinz Gyeongsangbuk-do in Südkorea.
Daegu liegt rund 240 Kilometer von Seoul im Südosten des Landes und ist mit fast 2,5 Millionen Einwohnern die viertgrößte Stadt Südkoreas nach Seoul, Incheon und Busan. Politisch bildet sie eine unabhängige Einheit. Die Fläche der Stadt beträgt heute 883,7 km², die Höhenlage erstreckt sich von 50 Metern in Flussnähe bis zu 600 Metern auf den Bergketten. Die Stadt liegt am Nakdong-Fluss, dem längsten Fluss Südkoreas.
Daegu ist ein nationales Zentrum für Elektro- und Textilindustrie in Südkorea. Zahlreiche bekannte koreanische Unternehmen wie der Samsung-Konzern, TaeguTec und Kolon Industries wurden in Daegu gegründet. Aufgrund des subtropischen Klimas ist die Region um Daegu zudem eines der wichtigsten Obstanbaugebiete des Landes.
Die Stadt ist Sitz des römisch-katholischen Erzbistums Daegu, das aus dem 1911 errichteten Apostolischen Vikariat Taiku hervorging und 1962 zum Erzbistum erhoben wurde. Hauptkirche ist die Kyesan-Kathedrale „Unsere Liebe Frau von Lourdes“.
Geschichte
Nur wenige archäologische Funde belegen die 2500-jährige Geschichte. Der Name Daegu ("großer Hügel") geht auf das Jahr 757 n. Chr. zurück und ist vermutlich auf eine bronzezeitliche Lehmfestung zurückzuführen.
Daegu ist bereits seit langer Zeit das administrative, kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des koreanischen Südostens. Zwischen 1392 und 1910, während der Zeit der Joseon-Dynastie und Groß-Koreas, war Daegu die Hauptstadt der Provinz Gyeongsang, die 1896 in mehrere Teile gespalten wurde. In diesem Zeitraum entstanden in Daegu wichtige nationale Märkte, insbesondere der Yangnyeongsi-Markt für Pflanzenheilkunde und der Seomun-Markt, der drittgrößte Markt während der Joseon-Ära.
Im Jahr 1905 wurde die alte Festungsmauer zerstört. Zwischen 1910 und 1945 war Korea Teil des Japanischen Kaiserreichs. Da Japanisch in dieser Zeit Nationalsprache war, wurde der Stadtname japanisch Taikyū gelesen.
Nach dem Koreakrieg wuchs die Stadt explosionsartig; inzwischen hat sich die Bevölkerung mehr als verzehnfacht.
Am 28. Februar 1960 verboten die dem Regime von Rhee Syng-man ergebenen Behörden den Oberschülern der Stadt, an einer Wahlveranstaltung der Opposition teilzunehmen. Dies führte zu großen Unruhen und gewaltsamen Unterdrückungsversuchen, was wiederum heftige Proteste auch in anderen Städten auslöste und als „Daegu Democracy Movement“ in die Geschichtsbücher einging. Rhee Syng-man musste schließlich mit Hilfe der CIA nach Hawaii ausgeflogen werden.
Am 14. Mai 1981 kam es in der Nähe von Daegu zu einem schweren Eisenbahnunfall: An einem Bahnübergang erfasste ein Schnellzug von Pusan nach Seoul ein Motorrad, bremste und blieb stehen. Ein folgender Nahverkehrszug fuhr auf, entweder weil eine Signalstörung vorlag oder weil der Lokomotivführer des zweiten Zugs ein „Halt“ gebietendes Signal nicht beachtete. 54 Menschen starben.
2002 war Daegu Austragungsort für vier Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft, darunter auch das Spiel um Platz 3 zwischen Südkorea und der Türkei.
Am 18. Februar 2003 löste ein offenbar geistig verwirrter Attentäter in der Innenstadt eine U-Bahn-Katastrophe durch Brandstiftung mit weit über 100 Todesopfern aus.
2011 war Daegu Gastgeber der 13. Leichtathletik-Weltmeisterschaften.
Ab Mitte Februar 2020 geriet die Stadt auch international ins Rampenlicht, nachdem hier ein Infektionscluster der COVID-19-Pandemie in Südkorea entdeckt wurde.
Zum 1. Juli 2023 wurde der Landkreis Gunwi Teil von Daegu.
Jetzige Situation
Durch seine Binnenlage (heißeste Stadt im Sommer, kälteste Stadt im Winter) ist Daegu ideal für den Apfelanbau, den ein amerikanischer Missionar um 1880 einführte.
Heute ist die Stadt führend in der Textilindustrie des Landes und gilt auch als Modezentrum. Das Warenangebot ist üppig. Die Stadt weist 21 % aller Textilmanufakturen und 61 % aller Stoffproduzenten des Landes auf. Daneben gibt es auch eine bedeutsame Metallverarbeitungs- und Maschinenbauindustrie. Seit Jahrhunderten ist die Stadt auch Zentrum des Handels mit medizinischen Kräutern.
Das höchste Bauwerk der Stadt ist der 202 Meter hohe TV-Turm 83 Tower. Die Stadt wird von zwei Flüssen durchflossen. Im Norden der Stadt fließt von Osten nach Westen der Geumhogang (Gang = ‚Fluss‘), durch das Stadtzentrum fließt der Sincheon (Cheon = ‚Bach‘, ‚kleiner Fluss‘). Beide Flüsse werden von langgestreckten Parks und Promenaden begleitet, die eine hohe Naherholungsfunktion innerhalb der Großstadt erfüllen.
Etwa 60 km westlich der Stadt liegt der im Jahre 802 erbaute buddhistische Haein-Tempel (Haeinsa). Er hütet unter anderem als umfassendste Sammlung buddhistischer Texte in Asien die über 80.000 Holzdruckplatten der Tripitaka Koreana.
Die Talsong-Festung Daegus ist eine nationale Touristenattraktion. Diese ehemalige Festung hat die Stadt über Jahrhunderte vor wilden Tieren, Vagabunden und gewaltsamen Überfällen beschützt.
Der Yangnyeongsi () genannte Arzneimittelmarkt von Daegu ist mit einer Geschichte von 350 Jahren der älteste derartige Markt in Korea. Er wurde nach der Annexion des Landes durch Japan Anfang des 20. Jahrhunderts an den heutigen Ort verlegt und spielt noch immer eine wichtige Rolle in der Versorgung Koreas mit traditioneller Medizin.
Daegu hat fünf Universitäten. Die bedeutendste ist die 1946 gegründete Kyongpook Nationaluniversität, die zentral in einem weitläufigen Campusgelände liegt. Die 1398 gegründete ehemalige konfuzianische Lehranstalt Daegu Hyanggyo zog 1973 an ihren jetzigen Standort und dient heute als Schule für klassisches Chinesisch und koreanische Etikette.
Stadtgliederung
Wirtschaft
Messen
Daegu ist regelmäßig Veranstaltungsort nationaler und internationaler Messen wie der Daegu International Future Auto Expo und der Green Energy Expo.
Modeindustrie
Daegu ist ein Zentrum der koreanischen Modeindustrie und wirbt deshalb mit dem Slogan 'Daegu: Fashion City'. Die Stadt beherbergt mehrere Modeausstellungen wie die Daegu Fashion Fair. Im Stadtteil Bongmu-dong im Nordosten der Stadt entsteht mit der Esiapolis ein neuer Textilindustrie-Distrikt.
Verkehr
Schienenverkehr
Daegu ist das Zentrum des koreanischen Inlandverkehrs. Die wichtigste Zuglinie, die Gyeongbu Line, verläuft durch die Stadt. Die größte Zugstation der Stadt, Dongdaegu Station, hat das zweithöchste Passagieraufkommen Südkoreas nach der Seoul Station. Die Station wurde 2004 nach umfangreichen Renovationsarbeiten wiedereröffnet und dient nun als Station für KTX-, Saemaeul- und Mugunghwa-Züge. Alle Zugarten außer dem KTX halten zudem an der Daegu Station in der Nähe des Stadtzentrums. Die Daegu Station hat das zehnthöchste Passagieraufkommen Südkoreas.
Metro
Das Metronetz Daegus besteht aus drei Linien. Eine vierte Linie ist in Planung und soll als Ringlinie die anderen drei Linien verbinden.
Straße
Es gibt in Daegu zwei Arten von Bussen: Die normalen Stadtbusse und Expressbusse, die schneller und teurer sind und weniger Haltestellen ansteuern.
Luft
Daegu verfügt über einen internationalen Flughafen, den Daegu International Airport im Nordosten von Daegu. Internationale Ziele sind unter anderem Japan, China, mehrere Länder in Südostasien, und Wladiwostok in Russland.
Bildung und Kultur
In Daegu ist die Katholische Universität von Daegu, das Nationalmuseum Daegu sowie das Kunstmuseum Daegu ansässig.
Städtepartnerschaften
Daegu listet folgende Partnerstädte auf:
Persönlichkeiten
Weblinks
Offizielle Website (englisch; koreanisch, chinesisch, japanisch wählbar)
Einzelnachweise
Ort in Südkorea
Millionenstadt
Verwaltungsgliederung Südkoreas
Hochschul- oder Universitätsstadt
|
Q20927
| 179.922466 |
51755
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Staatssekret%C3%A4r
|
Staatssekretär
|
Staatssekretär ist eine Amtsbezeichnung in vielen Ländern. In Deutschland ist es der Amtstitel der höchsten Beamten eines Ministeriums oder einer sonstigen obersten Behörde. Staatssekretäre bilden in der Bundesrepublik Deutschland als Amtschefs in Ministerien, Senatsverwaltungen, Staatskanzleien und ähnlichen Institutionen die Schnittstelle zwischen den politischen Organen und der nicht-politischen Beamtenschaft.
Ferner kennt man außerhalb des deutschsprachigen Raums den Titel vor allem aus den Vereinigten Staaten und dem Vereinigten Königreich. Dort ist ein Staatssekretär meistens ein Politiker, der am ehesten mit einem deutschen oder österreichischen Minister verglichen werden kann. Der angelsächsische Sprachgebrauch war ab 1870 das Vorbild für die Leiter der obersten Bundes- bzw. Reichsbehörden im Norddeutschen Bund bzw. im Deutschen Reich. Die Stellvertreter hießen, ebenfalls nach britischem Vorbild, Unterstaatssekretäre. Erst 1919 erhielt Deutschland ein Kabinettssystem mit Ministern. Staatssekretär ist seitdem der Titel für die nachgeordnete Position.
Deutschland
Deutscher Bund 1815–1866
Der Deutsche Bund hatte als einziges Organ den Bundestag als Vertretung der Gliedstaaten, keine eigene Regierung. Mit dem entstehenden Deutschen Reich der Revolutionszeit 1848/1849 kam es allerdings zu einer Reichsregierung, die auch von den Gliedstaaten anerkannt wurde. Die Mitglieder der eigentlichen Regierung hatten den Titel eines Ministers. Ihre Stellvertreter erhielten den Titel Unterstaatssekretär.
Norddeutscher Bund und Deutsches Kaiserreich 1867–1918
Der Norddeutsche Bund von 1867 hatte nur einen einzigen verantwortlichen Minister, den Bundeskanzler. Das änderte sich auch nicht nach dem Beitritt der süddeutschen Staaten 1870/1871 und der Umbenennung des Staates in „Deutsches Reich“ (und des Bundeskanzlers in Reichskanzler). Nach und nach wurden einzelne Bundesämter (das Bundeskanzleramt und das Auswärtige Amt) bzw. Reichsämter eingerichtet. Die Leiter dieser Ämter hatten den Titel eines Staatssekretärs. Sie waren keine Kollegen des Kanzlers, sondern Beamte, denen er Weisungen erteilen konnte. Auf diese Weise gab es im Kaiserreich zum Beispiel keinen Reichsaußenminister, sondern – mit etwa gleicher Aufgabe – einen „Staatssekretär des Auswärtigen“. Die Leiter der Hauptabteilungen der Reichsämter wurden „Unterstaatssekretäre“ genannt.
Den Titel Staatssekretär hatte Otto von Bismarck nach britischem Vorbild eingeführt; er wollte allgemein den Eindruck einer Kollegialregierung vermeiden. Die obersten Reichsbehörden hießen nicht „Reichsministerium“, sondern Reichsamt oder Amt. Man sprach statt von einer „Regierung“ von der Reichsleitung. In der Praxis arbeiteten der Kanzler und die Staatssekretäre mehr und mehr wie ein Kabinett zusammen.
Auf der Ebene der Bundesstaaten führten die ersten Beamten der Ministerien und Senatsämter häufig – vor allem in Stadtstaaten – den Titel eines Staatsrats.
Weimarer Republik 1919–1933
Mit der Weimarer Verfassung wurde die deutsche Reichsexekutive 1919 zur „Reichsregierung“ umgebildet. Danach besaßen die Ressortchefs bis zum Untergang des Deutschen Reiches 1945 Ministerrang und -rechte (→ Reichsminister). Der Titel „Staatssekretär“ diente seit 1919 zur Bezeichnung des dem Minister zugeordneten ranghöchsten Beamten eines Ressorts.
Die obersten Reichsbehörden wurden in Reichsministerien umbenannt. So wurde aus dem Reichsamt des Innern das Reichsministerium des Innern. Eine Ausnahme bildete das Auswärtige Amt: Aus Gründen der Tradition behielt es (bis heute) seine ursprüngliche Bezeichnung.
Bundesrepublik Deutschland ab 1949
Staatssekretär
Staatssekretär (StS) ist in Deutschland die Amtsbezeichnung für das höchste statusrechtliche Amt, das ein Beamter erreichen kann und regelmäßig zugleich die Bezeichnung der damit verbundenen Funktion. Nur um eine Funktionsbezeichnung handelt es sich, wenn die Tätigkeit ausnahmsweise einem Beschäftigten übertragen ist. Der Staatssekretär vertritt den Minister innerministeriell in dessen Funktion als Behördenleiter, hat die höchste Dienststellung unterhalb der politischen Leitung inne und Weisungsrecht gegenüber den Beschäftigten des Ressorts. Dienstposten für Staatssekretäre gibt es nur in den Obersten Behörden des Bundes oder eines Landes. Die meisten Staatssekretäre des Bundes sind in den Bundesministerien tätig; ein (BMJ) bis fünf (BMI) Staatssekretäre mit Beamtenstatus pro Ministerium. Aktuell gibt es etwa 31 Staatssekretäre im Bund. Sie beziehen Dienstbezüge der Besoldungsgruppe B 11. Staatssekretäre sind auch der Chef des Bundespräsidialamtes sowie seit einiger Zeit auch der Direktor beim Deutschen Bundestag und der Direktor des Bundesrats, haben aber die vorgenannten Funktionen und nicht diejenige eines Staatssekretärs. Staatssekretäre können als politische Beamte in den einstweiligen Ruhestand versetzt bzw. entlassen werden.
Parlamentarischer Staatssekretär
Seit 1967 gibt es beim Bund den Parlamentarischen Staatssekretär (PStS), der im Regelfall zugleich Mitglied des Bundestages sein muss und wie der Minister, dem er beigegeben ist, in einem öffentlich-rechtlichen Amtsverhältnis steht. Er unterstützt den Minister oder Regierungschef bei der Erfüllung seiner Regierungsaufgaben und vertritt ihn nach außen, z. B. im Plenum, Ausschüssen und Fraktionen des Parlaments sowie bei öffentlichen Terminen, nicht aber innerbehördlich in seiner Funktion als Behördenleiter. Im Bund gibt es aktuell 37 Parlamentarische Staatssekretäre. Auf Landesebene gibt es Parlamentarische Staatssekretäre in Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern.
Deutsche Demokratische Republik
In der 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik (DDR), die bis 1990 bestand, gab es die Funktion von Staatssekretären zunächst ebenfalls im Sinne der Weimarer Tradition, wenn auch nicht im Sinne des (in der DDR abgeschafften) Beamtentums, so doch als ranghöchste Angestellte eines Ministeriums und Stellvertreter des vorgesetzten Ministers. Diese Gruppe von Staatssekretären gab es ebenfalls bis zum Ende der DDR. In den Ministerien, die von einem einer Blockpartei angehörenden Minister geleitet wurden, war der Staatssekretär in der Regel das ranghöchste SED-Mitglied im Ministerium und faktisch oft mächtiger als der offiziell vorgesetzte Minister.
Bereits seit 1950 wurde jedoch – in Anlehnung an die Regierungsorganisation in der Sowjetunion – eine zweite Gruppe von Staatssekretären geschaffen, die als Leiter eigenständiger, keinem Ministerium zugeordneter Ressorts („Staatssekretariate“) zugleich dem Ministerrat der DDR als vollberechtigte Mitglieder angehörten. Die heute bekanntesten Ressorts dieser Art waren das 1957 gebildete „Staatssekretariat für Kirchenfragen“ und das „Staatssekretariat für Arbeit und Löhne“.
Prominente Beispiele von Staatssekretären in der DDR
Günther Krause (CDU): Parlamentarischer Staatssekretär im Amt des Ministerpräsidenten; Verhandlungsführer der DDR bei der Ausarbeitung des Einigungsvertrags (1990)
Alexander Schalck-Golodkowski (SED): Staatssekretär im Ministerium für Außenhandel (1975 bis 1989)
Österreich
In Österreich gehören die Staatssekretäre – als Mandatsträger neben dem Bundespräsidenten, den Bundesministern und den Mitgliedern der Landesregierungen – zu den obersten Organen der Vollziehung des Bundes. Sie werden wie Minister bei der Regierungsbildung bestellt, gehören aber der Bundesregierung nicht an. Sie nehmen an den Ministerratssitzungen als beratende Organe teil und sind dem jeweiligen Regierungsmitglied (also Bundeskanzler oder Bundesminister) weisungsgebunden. Die Anzahl der Staatssekretäre ist nicht festgelegt.
Zur Zeit der Provisorischen Regierungen (1918 bis 1920; 1945) hießen in Österreich die Minister (Leiter eines Geschäftsbereiches der Regierung) Staatssekretäre, die heutigen Staatssekretäre Unterstaatssekretäre.
Schweiz
In der Schweiz wird der Titel Staatssekretär seit 1979 durch den Bundesrat verliehen. Er kann ihn weiteren Direktoren sowie Generalsekretären vorübergehend zuerkennen, wenn sie im Auftrag des Bundesrates die Schweiz an internationalen Verhandlungen auf höchster Ebene vertreten. Die Schweizer Staatssekretäre sind nicht primär Träger eines politischen Amtes, sondern im Wesentlichen protokollarisch höhergestellte Amtsdirektoren, die einem Staatssekretariat vorstehen.
Zurzeit (Stand 2019) bestehen die folgenden sechs Staatssekretariate:
Politische Direktion (PD) im Departement für auswärtige Angelegenheiten
Direktion für europäische Angelegenheiten (DEA) im Departement für auswärtige Angelegenheiten
Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) im Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung
Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) im Finanzdepartement
Staatssekretariat für Migration (SEM) im Justiz- und Polizeidepartement
Belgien
In Belgien sind die Staatssekretäre politische Mandatsträger und integraler Bestandteil der Föderalregierung und werden genau wie die Minister vom König ernannt oder entlassen. Sie unterscheiden sich vor allem insofern von den Ministern, als sie nicht dem Ministerrat angehören und immer einem Minister oder dem Premierminister selbst beigeordnet sein müssen und ihm unterstehen. Die Zuständigkeit eines Staatssekretärs schließt nie die des übergeordneten Ministers aus, und dieser bleibt immer befugt, sich selbst gewisser Akten anzunehmen. Andererseits sieht die Verfassung, anders als für die Minister, keine Höchstzahl und kein notwendiges Gleichgewicht zwischen niederländisch- und französischsprachigen Staatssekretären vor; so zählt die Regierung Leterme II sieben Staatssekretäre, davon zwei niederländischsprachige und fünf französischsprachige.
Das Statut der Staatssekretäre ist beinahe mit dem der Minister identisch und sie besitzen im Prinzip die gleichen Zuständigkeiten wie die Minister; sie können beispielsweise selbst Königliche Erlasse gegenzeichnen. In gewissen Fällen jedoch benötigt der Staatssekretär parallel die Unterschrift seines übergeordneten Ministers für die Gegenzeichnung. Dies ist der Fall für:
Königliche Erlasse zur Vorlegung von Gesetzesentwürfen in der Abgeordnetenkammer oder im Senat („Vorlegeerlasse“);
Sanktionen und Ausfertigungen von Gesetzen;
Königliche Erlasse mit Verordnungscharakter („Regelerlasse“);
Königliche Erlasse zur Schaffung von höheren Beamtenstellen in der Verwaltung oder in öffentlichen Einrichtungen.
Parallel zu den föderalen Staatssekretären sind ebenfalls die Staatssekretäre der Region Brüssel-Hauptstadt zu vermerken. Auch sie sind Politiker und nehmen Regierungsaufgaben wahr. Ihre Anzahl ist jedoch gesetzlich auf drei begrenzt und es ist vorgesehen, dass mindestens einer der Staatssekretäre der „weniger zahlreichen Sprachgruppe“ (sprich in Brüssel: der niederländischen Sprachgruppe) angehören muss.
Frankreich
Das Amt des sous-secrétaire d’État ist in seiner Funktion am ehesten mit dem Unterstaatssekretär 1848/1849 zu vergleichen.
Es wurde in Frankreich während der Hundert Tage mit den ersten beiden Unterstaatssekretären geschaffen, die in der Regierung der Hundert Tage zu Staatssekretären für auswärtige Angelegenheiten ernannt wurden. Diese Institution wurde durch die Verordnung vom 9. Mai 1816 verallgemeinert, die vorsah, dass einem Minister bei Bedarf Unterstaatssekretäre beigegeben werden konnten, wobei jeder den Titel eines Ministers als Staatssekretär trug (z. B. Minister als Staatssekretär für Inneres). Die Aufgabe des Unterstaatssekretärs erstreckte sich dann auf die gesamte Verwaltung des Ministeriums, wobei er vom Minister beauftragt wurde.
Mit Ausnahme des Zweiten Kaiserreichs wurde das Prinzip der Unterstaatssekretäre in den nachfolgenden Regimen bis einschließlich der Vierten Republik beibehalten, aber nicht alle Regierungen verfügten über Unterstaatssekretäre und ihre Zahl konnte von einer Regierung zur anderen erheblich schwanken.
So gab es in der Julimonarchie im dritten Kabinett Soult bei neun Ministern maximal drei Unterstaatssekretäre; manche Regierungen nutzten die Position überhaupt nicht. In der Dritten Republik gab es mehr Unterstaatssekretäre, da sie in den meisten Regierungen vertreten waren, oft in großer Zahl. Ab 1893 wurde einigen Unterstaatssekretären die Zuständigkeit für ein bestimmtes Ressort übertragen und um diese Ressorts wurden Unterstaatssekretariate gebildet. Von 1896 bis 1913 gab es mit einigen Unterbrechungen ein Unterstaatssekretariat für das Post- und Telegrafenwesen. Bestimmte Bereiche der ministeriellen Tätigkeit wurden zunächst einem Unterstaatssekretariat unterstellt, wie das technische Unterrichtswesen (1920) oder Jugend und wissenschaftliche Forschung (1936).
Die Volksfrontregierung Blum nutzte das Amt, um erstmals Frauen in Regierungsämter zu bringen. Cécile Brunschvicg, Irène Joliot-Curie und Suzanne Lacore wurden 1936 ernannt, obwohl Frauen damals weder das aktive noch das passive Wahlrecht besaßen. Vom 6. bis zum 16. Juni 1940 war General de Gaulle im Kabinett von Paul Reynaud Unterstaatssekretär für nationale Verteidigung und Krieg.
In der Vierten Republik hatten einige Regierungen sowohl Staatssekretäre als auch Unterstaatssekretäre. In der Fünften Republik ersetzte der Titel des Staatssekretärs endgültig den des Unterstaatssekretärs.
Staatssekretäre in anderen Ländern
In Norwegen ähnelt die Funktion eines Staatssekretärs () der eines Parlamentarischen Staatssekretärs in Deutschland, jedoch sind die Staatssekretäre meist nicht gleichzeitig Mitglied des Parlaments.
In Schweden wird der Titel „Staatssekretär“ () ähnlich wie der eines beamteten Staatssekretärs in Deutschland benutzt, jedoch werden diese leitenden Posten meist mit der jeweiligen Regierung nahestehenden Personen besetzt.
In den Niederlanden sind Staatssekretäre – so wie in Österreich, oder auch wie in Bayern – Politiker, die einen Geschäftsbereich eines Ministeriums betreuen und dem Kabinett angehören. In manchen Fällen betreuen sie auch Sachgebiete, die nicht in den Kompetenzbereich des übergeordneten Ministers fallen.
In den Nachfolgestaaten der Habsburgermonarchie ist die Bedeutung exakt dieselbe wie in Österreich, also politische Amtschefs der höchsten Ebene, die zwar formal nicht zur Regierung gehören, aber am Ministerrat in beratender Funktion teilnehmen, so in Tschechien, der Slowakei (), Ungarn oder Slowenien.
Präsidiale Systeme kennen häufig keine Ministerverantwortung; die politische Verantwortung liegt allein beim Staats- und Regierungschef, weshalb es formal nur Staatssekretäre gibt, die aber nach internationalem Protokoll wie Minister gruppiert werden.
Der deutsche Staatssekretär ist in der englischen Sprache der , was eben etwas anderes ist als der (obwohl per interwiki so verlinkt, ein falscher Freund).
Im englischen Sprachraum hat der Titel unterschiedliche Bedeutungen:
Im Vereinigten Königreich bezeichnet der einen wichtigen Minister des britischen Kabinetts. Die dem Staatssekretär im Deutschsprachigen entsprechende Position wird im Vereinigten Königreich mit (Unterstaatssekretär) bezeichnet.
In den Vereinigten Staaten ist mit meist der Außenminister auf Bundesebene gemeint; allerdings haben auch verschiedene Bundesstaaten, je nach Verfassungslage, einen Secretary of State, der sehr unterschiedliche Aufgaben haben kann. Für den Rang des Staatssekretärs gibt es in den Vereinigten Staaten die Entsprechungen (Vizeminister bzw. stellvertretender Minister) oder Under Secretary. Der nächst niedrige Rang („Unterstaatssekretär“ oder Abteilungsleiter) ist der .
In Südafrika wird mit Secretary auf Regierungsebene, neben den Sekretariatsmitarbeitern, ein Staatsangestellter in hoher leitender Funktion mit vorrangig administrativen Aufgaben bezeichnet, wie beispielsweise der Sekretär des Parlaments (Leiter der Parlamentsverwaltung). Ein Minister im Sinne der politischen Leitung eines Regierungsressorts (Ministry, Department oder portfolio) wird als Minister (Cabinet minister) bezeichnet, die Funktion des im deutschsprachigen Raum als Staatssekretär bezeichneten Verwaltungsleiters entspricht in Südafrika etwa dem ministeriellen Director-General.
In Italien und anderen romanischen Staaten wird diese Position ebenfalls als Unterstaatssekretär bezeichnet. Dieses Amt wird von Politikern und nicht von Verwaltungsbeamten bekleidet. Der Ausdruck Staatssekretär steht hier als weniger bekanntes und gebräuchliches Synonym für Minister. Der seltene Begriff Vizeminister stand wiederum als Synonym für den Unterstaatssekretär.
In japanischen Ministerien existieren mehrere Amtsträger, die die Aufgaben von Staatssekretären wahrnehmen.
Dem österreichischen Generalsekretär oder dem deutschen beamteten Staatssekretär (B11) vergleichbare Ministerialmitarbeiter heißen in den meisten Ministerien anderer Staaten Generalsekretär, der ist als höchster Verwaltungsbeamter in der Regel Amtschef, sofern keine Hauptabteilungsebene besteht. Kleinere Ministerien haben oft keinen Generalsekretär. Vor einigen Jahren wurde beispielsweise in Italien die eigene Stufe Vizeminister geschaffen, der zwischen dem Minister und dem Unterstaatssekretär steht und nur in wenigen, sehr großen Ministerien wie dem Wirtschafts- und Finanzministerium vorkommt.
In anderen Ländern ist aber der oft auch ein Amt neben den Ministern, so der Chief Secretary of Nauru als Leiter der Administrative, nicht als Regierungsbeteiligter.
Beim Heiligen Stuhl gibt es einen Kardinalstaatssekretär (offizielle Bezeichnung: Staatssekretär Seiner Heiligkeit des Papstes), welcher für den Papst die Verwaltungsgeschäfte des Heiligen Apostolischen Stuhls und dessen Kurie (die päpstliche Oberbehörde) leitet. Protokollarisch steht der Kardinalstaatssekretär auf der Ebene eines Regierungschefs.
In Namibia wurden die höchsten Verwaltungsmitarbeiter in Ministerien bis Ende 2018 als Staatssekretär () bezeichnet. Sie nahmen nach den Ministern und Vizeministern die dritthöchste hierarchische Position eines Ministeriums ein. Seitdem tragen diese den Titel des Exekutivdirektors (englisch Executive Director). Die Umbenennung sei durchgeführt worden, da die Positionen keinesfalls permanent vergeben seien und um die Aufgabe als Verwaltungsangestellter zu unterstreichen. Diese sollen Ministerien wie Unternehmen führen.
Siehe auch
Ämter in den deutschen Bundesministerien
Ratspensionär
Einzelnachweise
Historische Amtsbezeichnung
Amtsbezeichnung
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Q736559
| 103.208088 |
494445
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bhubaneswar
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Bhubaneswar
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Bhubaneswar () ist die etwa 850.000 Einwohner zählende Hauptstadt des ostindischen Bundesstaates Odisha. Mit rund 35 alten und hunderten neuen Hindutempeln gilt Bhubaneswar als „Stadt der Tempel“. Die Stadt ist überdies Sitz eines katholischen Erzbistums.
Lage
Bhubaneswar liegt auf einer Höhe von ca. 30 bis 50 m ü. d. M. auf dem Westufer des Mahanadi-River etwa 70 km (Fahrtstrecke) nördlich der Küstenstadt Puri bzw. des weltberühmten Sonnentempels von Konark. Die alte Festungsstadt Sisupalgarh liegt nur etwa 10 km südöstlich, der Chausath-Yogini-Tempel von Hirapur befindet sich etwa 6 km südöstlich an der Straße nach Puri.
Bevölkerung
Gemäß der Volkszählung des Jahres 2011 besteht die durch Zuwanderung aus den ländlichen Regionen immer noch zunehmende Bevölkerung zu etwa 95 % aus Hindus und nur zu gut 3 % aus Moslems; den Rest bilden andere religiöse Minderheiten wie Buddhisten, Jains, Sikhs und Christen, deren Anteil jeweils bei unter 1 % liegt. Man spricht die Regionalsprache Odia und auch Englisch und Hindi. Wie in Indien üblich, liegt der männliche Bevölkerungsanteil um ca. 10 % höher als der weibliche. Ein Großteil der Menschen sind Analphabeten.
Wirtschaft, Universitäten etc.
Vor allem in den Jahren nach 1990 erfuhr die Stadt einen Modernisierungsschub und viele kleinere und mittlere Unternehmen siedelten sich an. Bhubaneswar verfügt über den Flughafen Bhubaneswar (Biju Patnaik Airport, IATA-Code: BBI, ICAO-Code: VEBS), einen Hauptbahnhof an der Strecke Haora beziehungsweise Kalkutta – Chennai mit Verbindungen nach Mumbai, Ahmedabad, Delhi und Hyderabad, drei Universitäten (darunter die Utkal University, die 1943 gegründete älteste Universität Odishas) und andere Ausbildungsstätten von regionaler und im Fall des Xavier Institute of Management (XIMB) auch von überregionaler Bedeutung. Der Tourismus und der gesamte Dienstleistungssektor spielen inzwischen eine wichtige Rolle im Wirtschaftsleben der Stadt. Im Jahr 2014 stufte die Weltbank Bhubaneswar als besten Unternehmensstandort Indiens ein.
Geschichte
Historische Namen der Stadt lauteten Toshali, Kalinga Nagari, Nagar Kalinga, Chakra Kshetra, Ekamra Kanan, Ekamra Kshetra u. a.; der heutige Name leitet sich ab von Tribubaneswar, was so viel bedeutet wie „Herr der Drei Welten“, ein Ehrenname Shivas. Die Gegend gehörte zum Kalinga-Reich, welches von Kaiser Ashoka um das Jahr 260 v. Chr. unterworfen wurde; aus dieser Zeit stammt das Kalinga-Edikt von Dhauli. Etwa gleichzeitig entstanden die buddhistischen Höhlenklöster von Udayagiri und Khandagiri. Vom 8. bis 14. Jahrhundert beherrschten die Nachfolger der Kalinga-Könige, die Östliche-Ganga-Dynastie, erneut weite Teile des Landes und erbauten die außergewöhnlich imposanten und kunstreich gestalteten Tempel der Stadt und ihrer Umgebung. Danach versank die Stadt erneut in der Bedeutungslosigkeit. Diese Situation änderte sich allmählich nach der Unabhängigkeit Indiens im Jahr 1947; bereits zu der Zeit entwarf der deutschstämmige Architekt Otto Königsberger die weiträumigen Pläne für den Bau der im Norden und Nordwesten des alten Stadtzentrums gelegenen Neustadt, die jedoch von seinen Nachfolgern nur zum Teil umgesetzt wurden.
Sehenswürdigkeiten
Bhubaneswar verfügt über ca. 35 für die Geschichte der hinduistischen Tempelbaukunst Ostindiens überaus bedeutsame Tempel, die zumeist dem Hindu-Gott Shiva geweiht sind: Der Parasuramesvara-Tempel entstand im 7. Jahrhundert, der Vaital Deul-Tempel im 7. oder 8. Jahrhundert, der Mukteswar-Tempel um 970 und der Brahmeswara-Tempel um 1060. Der alles überragende und in seiner Bedeutung dem Jagannath-Tempel von Puri oder dem Sonnentempel von Konark kaum nachstehende Lingaraja-Tempel gehört in die Zeit um 1100. Allen genannten Tempeln gemeinsam sind der steilaufragende Turmaufbau (rekha-deul) über der Cella (garbhagriha) und die architektonische Gliederung in einen Sanktumsbereich mit dem Kultbild (zumeist ein Shiva-Lingam) und einer davor befindlichen Versammlungshalle (jagamohana); lediglich der Vaital Deul-Tempel hat einen breitgelagerten und eher südindisch anmutenden Dachaufbau. Der Akhadachandi-Tempel ist der Gottheit Durga geweiht.
Das Odisha State Museum gehört zu den bedeutendsten Regionalmuseen Indiens. Seit 2018 gibt es mit dem Odisha Crafts Museum ein Museum, das sich der lokalen Handwerkskunst widmet.
Im Süden und Südosten der Stadt befinden sich die Ruinen von Sisupalgarh sowie die Dhauli-Hills mit dem Felsedikt Kaiser Ashokas und dem neuzeitlichen Shanti-Stupa; viel besucht sind auch die nahegelegenen Udayagiri- und Khandagiri-Höhlen. Der Chausath-Yogini-Tempel von Hirapur liegt auf dem Ostufer des Mahanadi-River.
Klimatabelle
Persönlichkeiten
Söhne und Töchter der Stadt
Mira Nair (* 1957), Filmregisseurin
Budhia Singh (* 2002), jüngster Marathonläufer der Welt
Personen, die mit der Stadt in Verbindung stehen
J. B. S. Haldane (1892–1964), Genetiker, starb in Bhubaneswar
Nandini Satpathy (1931–2006), Politikerin und Autorin, starb in Bhubaneswar
Literatur
Debala Mitra: Bhubaneswar. Archaeological Survey of India, New Delhi 1984
Robert Strasser: Orissa, Bihar, Westbengalen. Indoculture, Stuttgart 1991, ISBN 3-921948-10-X, S. 61ff
Vandana Baweja: A Pre-history of Green Architecture: Otto Koenigsberger and Tropical Architecture, from Princely Mysore to Post-colonial London. Ann Arbore, MI 20008, (A dissertation submitted in partial fulfillment of the requirements for the degree of Doctor of Philosophy (Architecture) in The University of Michigan Ann Arbore, MI 2008, 234 Seiten Volltext online PDF, kostenfrei, 264 Seiten, 16,9 MB).
Weblinks
Stadtplan von Bhubaneswar
Tourismusseite von Bhubaneswar (englisch)
Offizielle Website der Bhubaneswar Municipal Corporation (englisch)
Tempel in Bhubaneswar – Video (englisch)
Einzelnachweise
Ort in Odisha
Municipal Corporation in Odisha
Hauptstadt eines indischen Bundesstaates oder Unionsterritoriums
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Q171771
| 92.771527 |
262922
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https://de.wikipedia.org/wiki/Superhaufen
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Superhaufen
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Als Superhaufen oder auch Supergalaxienhaufen bezeichnet man Ansammlungen mehrerer Galaxienhaufen, die sich zwar durch eine konzentrische Eigenbewegung oder überdurchschnittliche Dichte auszeichnen, deshalb aber noch kein gebundenes System darstellen müssen. Sie gehören zu den größten für uns erkennbaren Strukturen im Universum.
Struktur und Anordnung im Universum
Eine großräumige Betrachtung des Universums zeigt, dass Galaxien nicht gleichmäßig verteilt sind, sondern dass das Universum eine schaum- oder wabenartige Struktur aufweist. Das Innere der Waben entspricht dabei riesigen Leerräumen, den sogenannten Voids. Die Galaxien gruppieren sich – wegen ihrer gegenseitigen gravitativen Anziehung – zu Galaxienhaufen um diese Leerräume herum und bilden sozusagen die Wände der Waben.
In den Schnittbereichen zwischen den Waben ist die Galaxienhaufen-Dichte deshalb höher und hier formierten sich, wiederum infolge der gravitativen Anziehung, Ansammlungen von Haufen, sogenannten Superhaufen. Diese sind, neben den sie miteinander verbindenden Filamenten, die größten bisher entdeckten Strukturen im Weltall. Sie können eine Ausdehnung von einigen hundert Millionen Lichtjahren erreichen und aus mehreren zigtausend Galaxien bestehen. Das Wissen über die Superhaufen ist allerdings noch sehr begrenzt, so ist beispielsweise noch nicht klar, ob die Superhaufen allein durch Gravitation zusammengehalten werden oder ob sie sich aus anderen Vorgängen gruppiert haben. Der Einfluss dunkler Materie, welche ebenfalls eine Rolle spielen kann, ist derzeit Gegenstand weiterer Forschungen. Es kann derzeit nur vermutet werden, dass die dunkle Materie (etwa 74 % aller Materie des Universums) einen deutlich höheren Einfluss auf die Bildung von Superhaufen hat als bisher angenommen.
Bekannte Superhaufen
Auch die Milchstraße ist Teil eines Superhaufens, nämlich des Laniakea-Superhaufens. Bis in das Jahr 2014 ging man von der Zugehörigkeit zum Virgo-Superhaufen (auch Lokaler Superhaufen genannt) als größter beteiligter Struktur aus, dessen Zentrum der Virgo-Galaxienhaufen bildet. Virgo ist jedoch nur ein Teil von Laniakea. Zum Lokalen Superhaufen zählen neben der Lokalen Gruppe die zahlreichen Galaxiengruppen in der kosmischen Nachbarschaft der Milchstraße, wie die M81-Gruppe und die Sculptor-Gruppe, die die meisten helleren Galaxien enthalten.
Bekannt ist auch der wesentlich größere, aber sechsmal weiter entfernte Coma-Superhaufen, in dem die sogenannte Große Mauer (engl. Great Wall) liegt. Der gewaltigste Superhaufen befindet sich in Richtung des Sternbilds Horologium; ein weiterer ist der nach dem Astronomen Harlow Shapley benannte, und der sog. Große Attraktor. Eine Untersuchung der Umgebung bis zu einer Rotverschiebung von z = 0,1 (fast 1,5 Milliarden Lichtjahre) hat etwa 130 Superhaufen ergeben. Die größten Superhaufen in unserer Nähe sind dabei in unten stehender Tabelle aufgeführt, wobei „Größe“ die Anzahl der reichen Galaxienhaufen angibt, aus denen der Superhaufen besteht:
Weblinks
Einzelnachweise
Kosmologie (Physik)
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Q27521
| 122.462113 |
4595
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https://de.wikipedia.org/wiki/Schwarzwald
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Schwarzwald
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Der Schwarzwald ist mit bis zu und über 6.000 Quadratkilometern Fläche Deutschlands höchstes und größtes zusammenhängendes Mittelgebirge und liegt im Südwesten Baden-Württembergs. Er ist die wichtigste Tourismusregion des Landes und das meistbesuchte Urlaubsziel unter den deutschen Mittelgebirgen.
Geographie
Meist dicht bewaldet erstreckt sich der Schwarzwald vom Hochrhein im Süden bis zum Kraichgau im Norden. Im Westen wird er begrenzt von der Oberrheinischen Tiefebene (zu der naturräumlich auch die Vorhügelkette gehört), im Osten geht er über in Gäu, Baar und das Hügelland westlich des Klettgaus. Der Schwarzwald ist der höchste Teil der südwestdeutschen Schichtstufenlandschaft und aus Gesteinen des Grundgebirges und des Buntsandsteins aufgebaut. Die naturräumliche Abgrenzung von den umgebenden Landschaften orientiert sich am Auftreten des Muschelkalks, der innerhalb des Schwarzwalds fehlt. Diese Linie ist aufgrund der vom Gestein abhängigen Bodenfruchtbarkeit gleichzeitig eine Vegetationsgrenze und die Grenze zwischen Altsiedelland und dem erst im Hochmittelalter dauerhaft besiedelten Schwarzwald. Von Nord nach Süd erstreckt sich der Schwarzwald über etwa 150 km, seine Breite erreicht im Süden bis zu 50 km, im Norden bis zu 30 km. Tektonisch bildet das Gebirge eine Pultscholle, die im Westen aus dem Oberrheingraben imposant herausgehoben ist, während sie von Osten betrachtet den Eindruck einer waldreichen Hochfläche vermittelt.
Naturräume
Die Naturräume des Schwarzwaldes werden nach verschiedenen Merkmalen gegliedert:
Geomorphologisch wird vor allem einerseits zwischen der Ostabdachung mit meist gerundeten Bergformen und weiten Hochplateaus (sogenanntes danubisches – donaubündiges – Relief, besonders augenfällig im Norden und Osten auf Buntsandstein) und andererseits dem intensiv zertalten Abbruch zum Oberrheingraben hin (sogenannter Talschwarzwald mit rhenanischem – rheinbündigem – Relief) unterschieden. Dort liegen die höchsten Erhebungen und treten die größten unmittelbaren Höhenunterschiede (bis 1000 m) auf. Die Täler sind meist eng, oft schluchtartig, seltener beckenförmig. Die Gipfel sind gerundet, es kommen aber auch Plateaureste und gratartige Formen vor.
Geologisch ergibt sich die augenfälligste Gliederung ebenfalls in ostwestlicher Richtung. Den Ostschwarzwald bedeckt über größere Flächen das unterste Glied des Südwestdeutschen Schichtstufenlandes, der Buntsandstein, mit endlos scheinenden Nadelwäldern und davon umschlossenen Rodungsinseln. Das im Westen freiliegende Grundgebirge, überwiegend aus metamorphen Gesteinen und Graniten aufgebaut, war trotz seiner Steilheit leichter zu besiedeln und erscheint heute mit seinen vielgestaltigen Wiesentälern offen und freundlicher.
Die gängigsten Gliederungen teilen den Schwarzwald jedoch in nordsüdlicher Richtung. Zunächst, bis etwa in die 1930er Jahre, wurde der Schwarzwald in Nord- und Südschwarzwald geteilt, wobei man die Grenze an der Kinzigtallinie zog. Später wurde der Schwarzwald in den waldreichen Nordschwarzwald, den im Mittel niedrigeren, vorwiegend in den Tälern landwirtschaftlich geprägten Mittleren Schwarzwald sowie den deutlich höheren Südschwarzwald mit ausgeprägter Höhenlandwirtschaft und von eiszeitlichen Gletschern geprägtem Relief aufgeteilt. Der Begriff Hochschwarzwald stand für die höchsten Bereiche von Südschwarzwald und südlichem Mittelschwarzwald.
Die gezogenen Grenzen waren jedoch sehr verschieden. Robert Gradmann nannte 1931 als Mittleren Schwarzwald den Einzugsbereich der Kinzig und dazu im Westen den Abschnitt bis zur unteren Elz und zum Kinzig-Zufluss Gutach. Eine pragmatische Gliederung, die sich nicht an Natur- und Kulturräumen orientiert, nutzt die wichtigsten Quertäler. Ihr zufolge wird der Mittlere Schwarzwald von der Kinzig im Norden und der Linie Dreisam–Gutach (Wutach) im Süden begrenzt, entsprechend der Bonndorfer Grabenzone und dem Verlauf der heutigen B 31.
Rudolf Metz fasste 1959 die bisherigen Gliederungen zusammen und schlug selbst eine modifizierte Dreiteilung vor, die natur- und kulturräumliche Ansätze verbindet und weite Verbreitung fand. Sein Mittlerer Schwarzwald wird im Norden von der Wasserscheide zwischen Acher und Rench und im weiteren Verlauf zwischen Murg und Kinzig bzw. Forbach und Kinzig begrenzt, im Süden von der Bonndorfer Grabenzone, die den Schwarzwald im Osten einschnürt wie der Freudenstädter Graben weiter nördlich am Übergang zum Nordschwarzwald.
Arbeiten des Instituts für Landeskunde
Das seit den frühen 1950er Jahren von der Bundesanstalt für Landeskunde erstellte Handbuch der naturräumlichen Gliederung Deutschlands nennt den Schwarzwald als eine von sechs Großregionen 3. Ordnung innerhalb der naturräumlichen Großregion 2. Ordnung des Südwestdeutschen Stufenlandes und gleichzeitig eine von neun Haupteinheitengruppen. Er wird in insgesamt sechs sogenannte Haupteinheiten (Landschaften 4. Ordnung) aufgeteilt. Diese Gliederung wurde bis zum Jahre 1967 in mehreren, jeweils einzelne Kartenabschnitte betreffenden Nachfolgepublikationen (Einzelblätter 1: 200.000) verfeinert und modifiziert. Zu den dabei eingeführten Untereinheiten siehe Naturräumliche Gliederung des Schwarzwaldes. Eine Dreiteilung des Gebirges zeichnet sich ebenfalls ab. Die Nordgrenze des Mittleren Schwarzwaldes verläuft hier südlich des Renchtales und des Kniebis bis nahe Freudenstadt. Die Südgrenze wechselte je nach Bearbeitungsstand.
Die Landesanstalt für Umweltschutz Baden-Württemberg (heute Landesanstalt für Umwelt, Messungen und Naturschutz Baden-Württemberg LUBW) veröffentlichte 1998 eine überarbeitete Naturräumliche Gliederung Baden-Württembergs. Sie beschränkt sich auf die Ebene der naturräumlichen Haupteinheiten und findet seitdem in der Naturschutzverwaltung des Landes Verwendung:
Die Schwarzwald-Randplatten (150) bilden geomorphologisch zum Kraichgau im Norden und den Heckengäu-Landschaften im Osten abfallende Hochflächen am Nord- und Nordostrand des Mittelgebirges. Sie werden vor allem durch das Flusssystem der Nagold in einzelne Riedel zertalt; ein schmaler Nordwestausläufer reicht bis über die Enz bei Neuenbürg und umsäumt weiter westlich auch den Mittellauf der Alb bis unmittelbar oberhalb Ettlingens. Südwestlich schließen sich unmittelbar Grindenschwarzwald und Enzhöhen (151) an den Oberläufen von Enz und Murg an, die das Kernstück des Nordschwarzwaldes darstellen. Den Westen des Nordschwarzwalds bildet der Nördliche Talschwarzwald (152) mit dem Mittellauf der Murg um Gernsbach, dem der Oos bis Baden-Baden, dem der Bühlot oberhalb Bühls sowie dem Oberlauf der Rench um Oppenau, deren Austrittstäler aus dem Mittelgebirge alle nach Nordwesten gerichtet sind.
Der Mittlere Schwarzwald (153) beschränkt sich im Wesentlichen auf das Einzugsgebiet der Kinzig oberhalb Offenburgs nebst Schutter sowie auf das niedrige Bergland nördlich der Elz.
Der Südöstliche Schwarzwald (154) besteht in der Hauptsache aus den Einzugsgebieten der Oberläufe der Donau-Quellflüsse Brigach und Breg sowie dem der linken Seitentäler der Wutach nördlich Neustadts – und somit aus dem Nordosten des Südschwarzwaldes. Nach Süden und Westen schließt sich der Hochschwarzwald (155) an mit den höchsten Schwarzwaldgipfeln um Feldberg und Belchen. Sein Ostteil, der Südliche Hochflächenschwarzwald, ist durch die danubische Richtung geprägt, entwässert jedoch über die Wutach und die Alb zum Rhein. Der Südliche Kammschwarzwald im Westen ist durch vom Rhein her tief eingeschnittene Täler in zahlreiche Kämme aufgelöst. Unmittelbar rechts der Wiese oberhalb Lörrachs hebt sich morphologisch, geologisch und klimatisch noch einmal die flächenmäßig kleine Buntsandstein-Rotliegend-Tafel des Weitenauer Berglandes im äußersten Südwesten des Schwarzwaldes von den anderen Teilen des Südschwarzwaldes ab, die in dieser Einteilung ebenfalls zum Hochschwarzwald gerechnet wird.
Berge
Mit ist der Feldberg im Südschwarzwald der höchste Berggipfel. Dort liegen auch das Herzogenhorn () und der Belchen (). Allgemein sind die Berge des Süd- oder Hochschwarzwaldes höher als die des Nordschwarzwaldes. Der höchste Schwarzwaldberg nördlich der Linie Freiburg–Höllental–Neustadt ist der Kandel (). Wie auch die höchste Erhebung des Nordschwarzwaldes, die Hornisgrinde (), oder die Südschwarzwälder Aussichtsberge Schauinsland () und Blauen () liegt er nahe am Westrand des Gebirges.
Gewässer
Flüsse, die im Schwarzwald entspringen (der Länge nach, Verlauf außerhalb des Schwarzwaldes eingeschlossen):
Enz (105 km)
Kinzig (93 km)
Elz (90 km)
Nagold (90 km), hydrologischer Hauptstrang des Nagold-Enz-Systems (149 km)
Wutach (90 km)
Murg (79 km), im Nordschwarzwald
Pfinz (60 km, überwiegend außerhalb des Schwarzwaldes)
Rench (57 km)
Schutter (56 km)
Wiese (55 km)
Acher (54 km)
Alb (51 km), im Nordschwarzwald
Dreisam (mit Rotbach 49 km)
Breg (46 km), längster Quellfluss der Donau (2857 km)
Alb (43 km mit Menzenschwander Alb), im Südschwarzwald
Brigach (40 km), Quellfluss der Donau
Glatt (37 km),
Möhlin (32 km)
Wolf (31 km)
Schiltach (30 km)
Gutach (29 km), Nebenfluss der Kinzig
Wilde Gutach (28 km)
Wehra (mit Rüttebach 28 km)
Oos (25 km)
Murg (22 km), im Südschwarzwald
Glasbach (18 km), hydrologischer Hauptstrang des Neckar-Systems
Bedeutende Seen natürlichen, glazialen Ursprungs im Schwarzwald sind unter anderem der Titisee, der Mummelsee und der Feldsee. Besonders im nördlichen Schwarzwald finden sich eine Reihe weiterer kleiner Karseen. Zahlreiche Stauseen wie der – früher als Natursee noch kleinere – Schluchsee mit den weiteren Seen des Schluchseewerks, die Schwarzenbachtalsperre, die Talsperre Kleine Kinzig oder die Nagoldtalsperre dienen der Stromerzeugung, dem Hochwasserschutz oder der Trinkwasserversorgung.
Geologie
Entstehung
Seit dem Einbruch des Oberrheingrabens im Eozän wurden der Schwarzwald an der östlichen und die Vogesen an der westlichen Grabenschulter herausgehoben. Im Zentrum sitzt der (miozäne) Kaiserstuhlvulkan. Das mesozoische Deckgebirge wurde in der Folgezeit auf den Höhen bis auf Reste des Buntsandsteins und des Rotliegenden weitgehend abgetragen, während es im Grabeninneren erhalten ist. Im Pliozän setzte eine ausgeprägte, aber ungleichmäßige Aufwölbung ein, die den südlichen Schwarzwald mit dem Feldberg am stärksten erfasste. So liegt heute im nördlichen Teil um die Hornisgrinde die Oberfläche des Grundgebirges wesentlich niedriger. Im mittleren Schwarzwald entstand die tektonische Mulde des Kinzigtals.
Das geologische Fundament des Schwarzwalds bildet der kristalline Sockel des variszischen Grundgebirges. Er wird im Osten und Nordosten von Buntsandsteintafeln, dem sogenannten Deckgebirge, überlagert. Am Westrand erstreckt sich zum Oberrheingraben hin eine staffelbruchartig abtreppende Vorbergzone mit Gesteinen des Trias und Jura.
Grundgebirge
Im Grundgebirge herrschen Gneis-Gesteine vor (Ortho- und Paragneise, im Süden ebenso Migmatite und Diatexite, z. B. am Schauinsland und Kandel). In diese Gneise drangen im Karbon eine Anzahl von Granitkörpern ein. Zu den größeren gehören der Triberger Granit und der Forbachgranit, der jüngste ist der Bärhaldegranit. Im Süden liegt die Zone von Badenweiler-Lenzkirch, in der paläozoische Gesteine erhalten sind (Vulkanite und Sedimentgesteine), die als eingeschuppte Reste einer Mikrokontinentkollision gedeutet werden. Noch weiter im Südosten (um Todtmoos) liegen im Gneis eine Reihe von exotischen Einschlüssen (Gabbro von Ehrsberg, Serpentinite und Pyroxenite bei Todtmoos, Norit bei Horbach), die möglicherweise Reste eines Akkretionskeils aus einer Kontinentkollision sind. Zum geologischen Übergangsstockwerk zählen die Rotliegend-Senken, beispielsweise die Schramberger oder die Baden-Badener Senke, mit teils mächtigen Quarzporphyr- und Tuffdecken (aufgeschlossen zum Beispiel am Felsmassiv Battert bei Baden-Baden).
Deckgebirge
Über dem kristallinen Sockel (Grundgebirge) und dem Übergangsstockwerk erhebt sich im Nordschwarzwald und in den angrenzenden Teilen des Mittleren Schwarzwaldes das Buntsandstein-Deckgebirge mit markanten Stufen. Widerstandsfähigste Deckschicht auf der Stufenfläche der durch die Murgzuflüsse stark aufgelösten Grindenhöhen und der geschlossenen Enzhöhen ist das verkieselte Hauptkonglomerat (Mittlerer Buntsandstein). Nach Osten und Norden schließen sich die Platten des Oberen Buntsandsteins an (Plattensandsteine und Röttone). Südlich der Kinzig verschmälert sich die Buntsandsteinzone auf einen Randsaum im Osten des Gebirges.
Eiszeit und Formgebung
Es gilt als erwiesen, dass der Schwarzwald während der Hochphasen mindestens der Riß- und Würmeiszeit (bis vor rund 12.000 Jahren) mit dem Feldberg-Gletscher stark vergletschert war. Der glaziäre Formenschatz prägt fast den gesamten Hochschwarzwald und den Hauptkamm des Nordschwarzwalds. Ansonsten ist er lediglich in einer Vielzahl von meist nach Nordosten gerichteten Karen augenfällig. Besonders in dieser Exposition führten Schneeanhäufungen auf den sonnen- und windabgewandten Hängen der Gipfelplateaus zur Bildung kurzer Kargletscher, die diese trichterförmigen Mulden versteilten. In ihnen sind, teils durch anthropogene Überhöhung der Karschwelle, noch einige Karseen erhalten wie Mummelsee, Wildsee, Schurmsee, Glaswaldsee, Nonnenmattweiher, Feldsee. Der Titisee bildete sich als Zungenbeckensee hinter einer Gletschermoräne.
Klima
Klimatisch hebt sich das Gebirge durch geringere Temperaturen und höhere Niederschläge von den Randlandschaften ab. Regelmäßige Niederschläge während des ganzen Jahres prägen den Mittelgebirgscharakter des Schwarzwalds. Jedoch nehmen die Temperaturen mit zunehmender Höhe nicht etwa gleichmäßig ab und die Niederschläge nicht gleichmäßig zu. Vielmehr steigen die Niederschläge schon in tieferen Lagen und besonders an der niederschlagsreichen Westseite unverhältnismäßig an.
Regen- und Schneemengen
Die niederschlagsreichsten Bereiche sind die Höhenregionen um die Hornisgrinde im Nord- sowie Belchen und Feldberg im Südschwarzwald, wo jährliche Niederschlagsmengen von 1800 bis 2100 l/m² auftreten. Regenreichen atlantischen Westwinden frei ausgesetzt, fallen im Nordschwarzwald trotz geringerer Höhe in etwa gleich viele Niederschläge wie im Südlichen Schwarzwald. Dort wirken die davor liegenden Vogesen als Regenfänger. Auf der nach Osten exponierten Seite des Mittleren Schwarzwalds wird es wieder wesentlich trockener. So liegen die jährlichen Niederschlagsmengen hier teilweise nur bei etwa 750 l/m².
Temperaturen und Sonnenscheindauer
Thermisch zeichnen sich die höheren Lagen des Schwarzwalds durch relativ geringe Jahresschwankungen und gedämpfte Extremwerte aus. Gründe sind im Sommer häufig auftretende leichte Winde und eine stärkere Bewölkung. Im Winterhalbjahr führt die häufigere Hochdruckwetterlage auf den Gipfeln zu Sonnenschein, während die Täler in Kaltluftseen unter einer dichten Nebeldecke verschwinden (Inversionswetterlage).
Geschichte
In der Antike war der Schwarzwald unter dem Namen Abnoba mons bekannt, nach der keltischen Gottheit Abnoba. In der römischen Spätantike findet sich auch der Name Marciana Silva („Marcynischer Wald“; von germanisch marka, „Grenze“). Wahrscheinlich beschrieb der Schwarzwald die Grenze zum Gebiet der östlich des römischen Limes siedelnden Markomannen („Grenzleute“). Diese wiederum gehörten zu dem germanischen Volk der Sueben, von denen sich die späteren Schwaben ableiteten.
Eine Besiedlung des Schwarzwalds könnte nach neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen bereits in der Vor- und Frühgeschichte erfolgt sein. Darauf deuten unter anderem Pollenanalysen und Ergebnisse von Surveys hin. Sicher nachgewiesen sind Siedlungsaktivitäten an den Randbereichen, zum Beispiel im Zartener Becken (Tarodunum), bei Neuenbürg, wo sich vom 6. bis 4. Jh. v. Chr. ein Zentrum der Eisenverhüttung befand, oder in Baden-Baden, dem römischen Thermalbad Aquae vom 1. bis 3. Jh. n. Chr. Im Südschwarzwald bestand wahrscheinlich von der Eisenzeit bis ins frühe Mittelalter eine Straßenverbindung über den Thurner, später schufen die Römer die Kinzigtalstraße. Auf eine kultische Bedeutung des Mittelgebirges weisen ein römischer Tempelbezirk am Brandsteig sowie ein gallo-römisches Quellheiligtum an der Brigachquelle bei St. Georgen hin. Sichere Nachweise für Siedlungen finden sich wieder gegen Ende des 10. Jahrhunderts, beispielsweise Rötenbach, das erstmals 819 erwähnt wird. In einem Urkundenbuch des Klosters St. Gallen wird der Schwarzwald als saltu Svarzwald im Jahr 868 erstmals erwähnt.
Einige der Aufstände (unter anderem die Bundschuh-Bewegung), die dem Deutschen Bauernkrieg vorausgingen, gingen im 16. Jahrhundert vom Schwarzwald aus. Ein weiteres Aufbäumen der Bauern fand in den beiden folgenden Jahrhunderten durch die Salpetererunruhen im Hotzenwald statt.
Vor allem an Passübergängen finden sich im Schwarzwald Reste militärischer Verteidigungsanlagen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Beispiele sind die Barockschanzen des Markgrafen Ludwig Wilhelm von Baden-Baden oder Einzelanlagen wie die Alexanderschanze, die Röschenschanze und die Schwedenschanze.
Ursprünglich war der Schwarzwald ein Mischwald aus Laubbaumarten und Tannen – siehe Geschichte des Waldes in Mitteleuropa. In den Höhenlagen wuchsen auch Fichtenbestände. Mitte des 19. Jahrhunderts war der Schwarzwald durch die intensive Nutzung fast vollständig entwaldet und wurde danach überwiegend mit Fichtenmonokulturen wieder aufgeforstet.
1990 entstanden große Waldschäden durch die Orkane Vivian und Wiebke. Am 26. Dezember 1999 wütete im Schwarzwald der Orkan Lothar und richtete besonders in den Fichtenmonokulturen Waldschäden von noch größerem Ausmaß an. Wie bereits nach 1990 mussten große Mengen an Sturmholz jahrelang in provisorischen Nasslagern aufbewahrt werden. Die Auswirkungen des Sturms demonstriert der Lotharpfad, ein Waldlehr- und Erlebnispfad am Naturschutzzentrum Ruhestein auf einer vom Orkan zerstörten Hochwaldfläche von rund 10 Hektar.
Einige kleinere und auch größere Sturmflächen werden heute sich selbst überlassen und dort entwickelt sich wieder ein natürlicher Mischwald.
Wirtschaft
Bergbau
Die Grundlage des Bergbaus im Schwarzwald bildeten oft gangförmige Erzlagerstätten. Die Entstehung dieser gangförmigen Lagerstätten (Grube Schauinsland: Zink, Blei, circa 700–1000 g Silber/Tonne Blei; Baryt, Fluorit, wenig Blei und Zink im Kinzigtal; BiCoNi-Erze bei Wittichen, Uran wurde im Krunkelbachtal bei Menzenschwand aufgeschlossen, aber offiziell nie regulär abgebaut) wurden früher oft mit der Intrusion karbonischer Granite in die Para- und Orthogneise in Zusammenhang gebracht. Neue Untersuchungen legen nahe, dass diese Gangfüllungen zum guten Teil viel jünger sind (Trias bis Tertiär). Abbauwürdige Fluoritvorkommen gab es im Nordschwarzwald bei Pforzheim, im mittleren Schwarzwald Baryt bei Freudenstadt, Fluorit neben Blei und Silber bei Wildschapbach, Baryt und Fluorit im Rankachtal und bei Ohlsbach, im Südschwarzwald bei Todtnau, Wieden und Urberg.
Kleine liquidmagmatische Vorkommen von Nickelmagnetkies in Norit wurden im Hotzenwald bei Horbach und Todtmoos abgebaut oder exploriert. An schichtgebundenen Lagerstätten sind Eisenerze im Dogger der Vorbergzone und ein Uranvorkommen bei Müllenbach/Baden-Baden zu nennen. Vorkommen von Steinkohle existieren zwar bei Berghaupten und Diersburg, waren aber immer nur von lokaler Bedeutung.
Zeitlicher Ablauf: Steinzeitlicher Bergbau auf Hämatit (als rotes Pigment) ist bei Sulzburg nachgewiesen. Bereits im 5. und 6. Jahrhundert v. Chr. wurde von den Kelten im Nordschwarzwald Eisenerz gewonnen (beispielsweise in Neuenbürg). Insbesondere im Mittleren Schwarzwald sowie im Südschwarzwald (zum Beispiel im Münstertal) fand vermutlich schon in der Römerzeit Erzbergbau statt (Gewinnung von Silber- und Bleierzen, Hinweise für Sulzburg und möglicherweise Badenweiler). Bis ins frühe Hochmittelalter war der Hochschwarzwald praktisch unbesiedelt. Im Laufe der Binnenkolonisation im späteren Hochmittelalter wurde ausgehend von den dort gegründeten Klöstern (St. Peter, St. Märgen) auch die Hochebene kultiviert. Im späteren Hochmittelalter (ab etwa 1100) erlebte auch der Bergbau wieder einen Aufschwung, insbesondere um Todtnau, im Münster- und Suggental, später auch am Schauinsland. Man nimmt an, dass bis zum Ausgang des Mittelalters etwa 800–1000 Bergleute im Münstertal lebten und arbeiteten. Nach der Pest, die das Tal 1516 heimsuchte, dem Deutschen Bauernkrieg (1524–26) und dem Dreißigjährigen Krieg ging der Bergbau in der Region bis auf wenige Gruben zurück.
Ein bedeutenderes Bergbaugebiet war auch das Kinzigtal und seine Seitentäler. Die kleine Bergbausiedlung Wittichen bei Schenkenzell im oberen Kinzigtal hatte zahlreiche Gruben, in denen über Schwerspat, Kobalt und Silber vielerlei abgebaut wurde. Ein geologischer Pfad führt heute noch als Rundweg vorbei an alten Gruben und Abraumhalden.
Ein erneuter Aufschwung begann Anfang des 18. Jahrhunderts nach dem Verlust des Elsass an Frankreich. Er dauerte bis in das 19. Jahrhundert. Viele Gruben aus dieser Zeit können heute als Schaubergwerk besichtigt werden, wie beispielsweise die Grube Teufelsgrund (Münstertal), die Grube Finstergrund bei Wieden, der Hoffnungsstollen Todtmoos, das Bergwerk im Schauinsland, die ehemals besonders silberreiche Grube Wenzel in Oberwolfach und Gr. Segen Gottes in Haslach-Schnellingen.
Buntmetallbergbau wurde im Schwarzwald bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts bei Wildschapbach und am Schauinsland (bis 1954) betrieben, der Bergbau auf Fluorit und Baryt hält in der Grube Clara im Rankachtal in Oberwolfach bis heute an. Eisenerze des Doggers wurden bis in die 1970er Jahre bei Ringsheim gefördert und in Kehl verhüttet.
Insgesamt sind die im Schwarzwald gewonnenen Silbermengen im Vergleich zum Erzgebirge oder zum Harz eher bescheiden und machen weniger als zehn Prozent der jeweils dort gewonnenen Mengen aus.
Es gibt im Schwarzwald zahlreiche Besucherbergwerke:
Grube Frischglück bei Neuenbürg, Grube Hella-Glück bei Neubulach, Grube Silbergründle bei Seebach, Grube Himmlich Heer bei Hallwangen, Grube Heilige Drei Könige bei Freudenstadt, Grube Segen Gottes bei Haslach, Grube Wenzel bei Oberwolfach, Grube Caroline bei Sexau, Silberbergwerk Suggental bei Waldkirch, Grube Schauinsland bei Freiburg, Grube Teufelsgrund bei Münstertal, Grube Finstergrund bei Wieden und Grube Hoffnungsstollen bei Todtmoos.
Forstwirtschaft
Über Enz, Kinzig, Murg, Nagold und Rhein wurde während mehrerer Jahrhunderte Holz aus dem Schwarzwald auf dem Wege der Flößerei zur Verwendung im Schiffbau, als Bauholz und für andere Zwecke exportiert. Dieser Wirtschaftszweig boomte im 18. Jahrhundert und führte zu großflächigen Kahlschlägen. Da die langen und gerade gewachsenen Tannen für den Schiffbau meist in die Niederlande geflößt wurden, wurden sie auch als „Holländer“ bezeichnet. Die Stämme dienten in den Niederlanden vor allem als Pfahlgründung für den Hausbau in sandigem und nassem Untergrund. Bis heute stehen in Amsterdam große Teile des historischen Baubestandes auf diesen Pfählen, und im Schwarzwald zeugen Wiederaufforstungen mit Fichtenmonokulturen von der Zerstörung des ursprünglichen Mischwaldes. Aufgrund des Ausbaus des Schienen- und Straßennetzes als alternative Transportmöglichkeiten endete die Flößerei größtenteils mit Ende des 19. Jahrhunderts.
Heute werden besonders große Tannen mit bis auf große Höhe astfrei gewachsenem Stamm vor allem nach Japan verschifft. Die Expo 2000 ermöglichte durch den weltweiten Werbeeffekt eine Wiederauferstehung der Stammholzexporte. Die Bedeutung der Holzbestände auch des Schwarzwalds hat in der jüngsten Vergangenheit aufgrund des zunehmenden Bedarfs an Holzpellets zu Heizzwecken wieder stark zugenommen.
Glasherstellung, Köhlerei und Pottaschegewinnung
Der Holzreichtum des Schwarzwalds lieferte die Grundlage für weitere Wirtschaftszweige, die heute weitgehend verschwunden sind. Köhler errichteten in den Wäldern ihre Meiler und stellten Holzkohle her, die ebenso wie die Erzeugnisse der Pottasche-Sieder unter anderem in der Glasherstellung weiterverarbeitet wurde. Für das Waldglas lieferte der Schwarzwald Rohstoffe und Energie. Davon zeugen noch heute einige Glasbläsereien z. B. im Höllental, bei Todtnau und die Dorotheenhütte in Wolfach und das Wald-Glas-Zentrum in Gersbach (Schopfheim), die besichtigt werden können.
Feinwerktechnik, Uhren- und Schmuckherstellung
Im Schwarzwald entstanden erste Uhren bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Aber erst ab etwa 1730 konnte sich die Uhrmacherei als eigenes Gewerbe etablieren.
Viele kleine Werkstätten zwischen Triberg und Titisee-Neustadt bauten im 18. und 19. Jahrhundert Uhren mit Werken aus Holz. Diese Uhren waren konkurrenzlos preisgünstig, denn Holz war im Überfluss vorhanden und leichter zu bearbeiten als Metall. Darüber hinaus wurden sie ab 1780 arbeitsteilig hergestellt: Neben den eigentlichen Uhrmachern gab es hochspezialisierte Zulieferhandwerke wie Gestellmacher, Gießer für Glocken und Zahnradrohlinge, Kettenmacher und Schilderhersteller.
Bis zur Gründung erster eigentlicher Uhrenfabriken dominierten diese hausindustriell hergestellten Produkte den Weltmarkt für Wanduhren. Ein wesentlicher Faktor für diesen Erfolg war auch, dass die Schwarzwälder die Vermarktung selbst in die Hand genommen hatten. Schon im 18. Jahrhundert verteilten Handelsgesellschaften die Uhren im In- und Ausland.
Mitte des 19. Jahrhunderts geriet die hausgewerbliche Herstellung durch die ersten eigentlichen Uhrenfabriken in eine tiefe Krise. Doch um 1900 hatte sich auch im Schwarzwald die Großserienproduktion neuartiger Uhren aus Metall durchgesetzt. Mit den Zentren in Schramberg (Junghans, Hamburg-Amerikanische Uhrenfabrik) und Schwenningen auf der benachbarten Hochebene Baar (Bürk, Kienzle, Mauthe) hatte sich der Südwesten Deutschlands wieder zu einem Weltzentrum für Großuhren gemausert. Neben Weckern, Tisch-, Wand- und Standuhren wurden auch technische Uhren wie Kontrolluhren hergestellt. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts mussten die meisten Hersteller auf Grund der Quarzkrise schließen.
Im 20. Jahrhundert entwickelte sich die Produktion der Unterhaltungselektronik durch Firmen wie SABA, Dual und Becker.
In Pforzheim finden sich seit den Anfängen der Industrialisierung bis heute zahlreiche Unternehmen der Schmuckfabrikation, die Edelmetalle und Edelsteine verarbeiten. Ebenfalls in Pforzheim beheimatet ist die dort ansässige Goldschmiedeschule.
Wasserkraftnutzung
Aufgrund der großen Niederschlagsmengen und Höhenunterschiede besitzt der Schwarzwald ein bedeutendes Wasserkraftpotential. Es diente bis ins 19. Jahrhundert vor allem zum Betreiben zahlreicher Mühlen, darunter Sägemühlen und Hammerwerke, und war anschließend einer der Standortfaktoren bei der Industrialisierung einiger Schwarzwaldtäler.
Seit dem 20. Jahrhundert wird im Schwarzwald mit Laufwasser- und Pumpspeicherkraftwerken im größeren Maßstab elektrischer Strom erzeugt. Von 1914 bis 1926 entstand im Nordschwarzwälder Murgtal das Rudolf-Fettweis-Werk mit der Schwarzenbachtalsperre. Der Schluchsee wurde 1932 mit seiner neu errichteten Staumauer zum Oberbecken eines Pumpspeicherkraftwerks. Zum Verbund des Südschwarzwälder Schluchseewerks gehören im Jahr 2013 fünf Kraftwerke mit 14 Speicherbecken. Beim Hornbergbecken ermöglichen die topographischen Gegebenheiten eine mittlere Fallhöhe des Wassers von 625 m zum Antrieb der Turbinen, bevor dieses in die Wehratalsperre fließt.
Infolge des Erneuerbare-Energien-Gesetzes wurden im beginnenden 21. Jahrhundert zahlreiche kleinere Laufwasserkraftwerke wieder in Betrieb genommen oder neu errichtet.
Tourismus und Verkehr
Weite Teile des Schwarzwalds leben heute hauptsächlich von der Tourismusbranche. Die von der Schwarzwald Tourismus GmbH betreute Ferienregion reicht weit über den naturräumlichen Schwarzwald hinaus und erstreckt sich auf insgesamt 11.100 Quadratkilometer. Im Frühjahr, Sommer und Herbst ermöglichen ausgedehnte Wanderwegrouten und Mountainbikestrecken verschiedenen Zielgruppen die Nutzung des Naturraumes. Im Winter stehen die Wintersportarten im Vordergrund. Sowohl Ski Alpin als auch Ski Nordisch kann vielerorts betrieben werden.
Statistik
Im Dezember 2019 boten in der Ferienregion Schwarzwald 2845 gewerbliche Betriebe 157.859 Schlafgelegenheiten an. Rund 91.000 Schlafgelegenheiten davon finden sich in den 1843 Hotels der Ferienregion. Daneben gibt es in der Ferienregion etwa 8000 weitere Gastgeber und Privatvermieter mit weniger als zehn Betten. Sie werden in dieser Statistik nicht erfasst.
Der Tourismus sichert rund 100.000 Arbeitsplätze direkt und mehr als 300.000 Arbeitsplätze in den Zulieferbetrieben und bei Dienstleistern in der Region. Im Vergleich dazu: Im Jahr 2009 rechnete die Schwarzwald Tourismus GmbH mit rund 140.000 direkten Vollarbeitsplätzen im touristischen Sektor und rund 34,8 Millionen touristischen Übernachtungen. 2019 sind die Urlauberzahlen aus Deutschland mit plus 3,2 Prozent stärker gestiegen als die Zahl der ausländischen Gäste (+2,9 %). Die wichtigsten Auslandsmärkte haben dabei überproportional zum Erfolg beigetragen: die Schweiz mit einem Zuwachs um 4,3 Prozent Gäste, Frankreich mit einem Plus von 9,7 Prozent. Prozentual ähnlich starke Zuwächse gibt es aus Spanien (+9,8 %), Belgien (+8,1 %) und Italien (+5,7 %). 6.800 Gäste weniger aus China und Hongkong im Jahr 2019 bedeuteten auch rund 10.400 Übernachtungen weniger in den auf asiatische Gäste spezialisierten Betrieben.
Zu beachten ist, dass sich die genannten Statistiken auf das Verbandsgebiet der Schwarzwald Tourismus GmbH beziehen und nicht auf den Naturraum Schwarzwald, Sie enthalten auch übernachtungsstarke Kommunen wie Rust mit dem Europapark oder Freiburg (beide mit mehr als einer Million Übernachtungen pro Jahr). Der Naturraum Schwarzwald zeichnet sich jedoch weiträumig durch zahlreiche Gemeinden mit besonders hoher Tourismusintensität aus, das heißt, sie verzeichnen viele Übernachtungen pro Einwohner. Die Gemeinde Feldberg (Schwarzwald) sticht in dieser Hinsicht hervor mit (2019) etwa 560.000 Übernachtungen auf nur knapp 1900 Einwohner.
Ausflugsziele
Im Naturpark Südschwarzwald mit dem Biosphärengebiet Schwarzwald, sowie dem Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord, in dessen Areal sich der Nationalpark Schwarzwald befindet, erleben Besucher ursprüngliche Natur.
Stark frequentierte touristische Ausflugs- und Erholungsziele im Schwarzwald sind etwa der Titisee, der Mummelsee und der Schluchsee. Die Seen bieten die Möglichkeit, Wassersportarten wie Tauchen und Windsurfen zu betreiben. Von Freiburg kommend werden diese Seen über die B 31 durch das Höllental erreicht, vorbei am Hirschsprung-Denkmal an dessen engster Stelle, und an der Oswald-Kapelle unterhalb der Ravennaschlucht.
Aussichtsberge sind neben dem Feldberg vor allem der Belchen, der Kandel, der Brandenkopf und der Schauinsland sowie im Nordschwarzwald die Hornisgrinde, der Schliffkopf, der Hohloh, der Merkur und die Teufelsmühle. Das Murgtal, das Kinzigtal, die Wutachschlucht oder etwa die Triberger Wasserfälle werden häufig besucht. Die Höhenunterschiede des Gebirges werden vielerorts von Drachen- und Gleitschirmfliegern genutzt.
Wintersport
Die Anfänge des Wintersports im Schwarzwald liegen gerade mal ein gutes Jahrhundert zurück. Erst 1888 kam das erste Paar Schneeschuhe in die Region. Doch schon innerhalb weniger Jahre entwickelte sich eine lebhafte Wintersportkultur. Nachdem die ersten Skifahrer den Feldberg bestiegen hatten, entwickelte sich das Skifahren im Schwarzwald schnell zum Modesport. Skifahren galt als schick und lockte ein durchaus mondänes Publikum in den Schwarzwald. Von Anfang an waren auch Frauen auf Skiern unterwegs. In einer Zeit, in der Sport für Frauen eigentlich nicht vorgesehen war, wurden Skifahrerinnen von ihren männlichen Kameraden als gleichberechtigte Partner angesehen. Das erste Damenskirennen fand schon 1897 auf dem Feldberg statt.
Bekannte Wintersportgebiete liegen um den Feldberg, bei Todtnau mit der FIS-Ski-Alpin-Strecke „Fahler Loch“ und in Hinterzarten, einer Hochburg und Talentschmiede der deutschen Skispringer. Im Nordschwarzwald konzentrieren sich die Wintersportgebiete entlang der Schwarzwaldhochstraße und auf dem Höhenzug zwischen Murg und Enz um Kaltenbronn.
Seit 1973 gibt es in mehreren Orten im Schwarzwald Schlittenhunderennen. In Todtmoos fand 1994 die erste Weltmeisterschaft in Deutschland statt, die zweite dann 2003, die dritte 2015.
Wanderwege
Im Schwarzwald finden sich sehr verschiedenartige Wanderwege, teilweise von überregionaler Attraktivität. Grundgerüst ist ein Fernwanderwegesystem mit Längs- und Querwegen, das vor allem zu Beginn des 20. Jahrhunderts seitens des Schwarzwaldvereins aufgebaut wurde. Der bekannteste davon ist der recht steigungsintensive Westweg. Nach 1950 wurden, dem geänderten Bedarf folgend, Rundwanderwege ausgewiesen, zunächst vom relativ dichten Bahnstreckennetz aus, später überwiegend von eigens angelegten Wanderparkplätzen aus. Aktuell werden spezielle, stärker erlebnisorientierte Themenwege angelegt, teils als konzipierte Anlage (Barfußpark Dornstetten, Park mit allen Sinnen in Gutach), teils unmittelbaren Naturkontakt erschließend (Schluchtensteig). Straßen und allzu breite Forstwege werden dabei konsequenter gemieden als bisher.
Westweg Pforzheim–Basel
Mittelweg Pforzheim–Waldshut
Ostweg Pforzheim–Schaffhausen
Schwarzwald-Nordrandweg Mühlacker-Karlsruhe (3 Tage)
Querweg Rottweil–Lahr (4 Tage)
Querweg Gengenbach–Alpirsbach (2–3 Tage)
Querweg Freiburg–Bodensee (6–7 Tage)
Hansjakobweg I (Rundweg 3 Tage)
Hansjakobweg II (Rundweg 4 Tage)
Murgleiter (5 Tage, „Premium-Wanderweg“)
Gernsbacher Runde (Rundweg 2–3 Tage, „Premium-Wanderweg“)
Baiersbronner Seensteig (Rundweg, 5 Tage)
Kandelhöhenweg Oberkirch–Freiburg (5 Tage)
Schluchtensteig (Fernwanderstrecke, 5–6 Tage, Prädikatswanderweg)
Zweitälersteig (Rundweg, 5 Tage, Prädikatswanderweg)
Schwarzwald-Schwäbische-Alb-Allgäu-Weg, auch Hauptwanderweg 5, führt über 311 Kilometer ins Allgäu
Städtetourismus
Ein vielbesuchtes städtisches Ziel und seit 2021 als eine der bedeutenden Kurstädte Europas in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen ist Baden-Baden mit seiner Spielbank, den Festspielen und den Thermalbädern wie etwa dem römisch-irischen Friedrichsbad. Weitere Thermalbäder im Schwarzwald sind die Cassiopeia-Therme in Badenweiler, die Siebentäler Therme in Bad Herrenalb, das Palais Thermal in Bad Wildbad, das Vita Classica in Bad Krozingen, das Rotherma in Bad Rotenfels, das Solemar Bad Dürrheim, die Paracelsus-Therme in Bad Liebenzell, die Mineral-Therme in Bad Teinach oder die Balinea Thermen in Bad Bellingen.
Architektur und Geschichte erlebt man unter anderem in der alten Reichsstadt Gengenbach, der ehemaligen Kreisstadt Wolfach, Schiltach und Haslach im Kinzigtal (beide an der deutschen Fachwerkstraße) und im Blumen- und Weindorf Sasbachwalden am Fuße der Hornisgrinde. Auch in Altstädten wie etwa Altensteig, Dornstetten, Freiburg im Breisgau, Gernsbach, Villingen und Zell am Harmersbach. Baiersbronn ist für seine Spitzengastronomie bekannt. Zwei der zehn deutschen Drei-Sterne-Restaurants sind in der Schwarzwaldgemeinde daheim. Freudenstadt ist um den größten Marktplatz Deutschlands gebaut. In der Gemeinde Titisee-Neustadt befindet sich die die Hochfirstschanze. Sie ist die größte Naturschanze Deutschlands und eine der größten Sprungschanzen der Welt.
Die Geschichte des ehemaligen Benediktinerkloster St. Blasien sowie der Klöster Sankt Trudpert, St. Peter und St. Märgen geht teilweise bis ins 9. Jahrhundert zurück.
Im Hirsauer Baustil aus Buntsandstein errichtet wurde das Kloster Alpirsbach sowie die Klosterruine Hirsau. Das Kloster Wittichen bei Schenkenzell besitzt eine barocke Klosterkirche und ist heute noch Ziel vieler Wallfahrer.
Museen
Das Freilichtmuseum Vogtsbauernhof in Gutach an der Schwarzwaldbahn bietet mit seinen original wiederaufgebauten Schwarzwaldhäusern Einblicke in das bäuerliche Leben des 16. und 17. Jahrhunderts. Die meisten Gebäude wurden an anderer Stelle abgetragen, die Einzelteile nummeriert und exakt nach Plan im Museum wieder erstellt (transloziert). Das Deutsche Uhrenmuseum in Furtwangen zeigt einen umfassenden Querschnitt durch die Geschichte der Uhrmacherei und Uhrenindustrie. Aus der Feinmechanik ging im 20. Jahrhundert auch eine ehemals bedeutsame Phonoindustrie hervor; die Geschichte dieser Unterhaltungselektronik wird im Deutschen Phonomuseum in St. Georgen präsentiert. Das Franziskanermuseum in Villingen-Schwenningen zeigt unter anderem eine Ausstellung zur Schwarzwaldsammlung von Oskar Spiegelhalder und zum frühkeltischen Großgrabhügel Magdalenenberg. Das Schüttesäge-Museum in Schiltach bietet Informationen und lebendige Geschichte zu den Themen Holzwirtschaft, Flößerei im Kinzigtal sowie Gerberei. Das Schwarzwälder Trachtenmuseum in Haslach im Kinzigtal bietet eine Übersicht über die Trachten des gesamten Schwarzwaldes und der Randgebiete. Ebenfalls in Haslach befindet sich das Hansjakob-Museum und das Hansjakob-Archiv mit zahlreicher Exponate des Schriftstellers, Pfarrers, Politikers, Historikers und Chronisten Heinrich Hansjakob. Das MiMa Mineralien- und Mathematikmuseum in Oberwolfach beherbergt Mineralien und Bergbauzeugnisse aus dem gesamten Schwarzwald und verbindet sie mit mathematischen Erklärungen. Das Glasmuseum in der Dorotheenhütte in Wolfach bietet einen Streifzug durch rund 2000 Jahre Glasgeschichte.
Straßenverkehr
Mehrere touristisch interessante Straßen führen durch den Schwarzwald. Bekannte Ferienstraßen sind die Schwarzwaldhochstraße (B 500) oder die Deutsche Uhrenstraße. Insbesondere für den West-Ost-Durchgangsverkehr stellt das Gebirge ein Hindernis dar. Planungen für Autobahntrassen durch den Schwarzwald (siehe Bundesautobahn 84 und Bundesautobahn 86) wurden verworfen.
Der Schwarzwald ist aufgrund seiner kurvenreichen Landstraßen ein beliebtes Ziel für Motorradfahrer. Dieser Tourismuszweig wird aufgrund hoher Unfallzahlen und der weitreichenden Lärmbelastung kontrovers gesehen und mit Geschwindigkeitsbegrenzungen und einzelnen Straßensperrungen eingeschränkt. So ist seit 1984 das Befahren der Schauinslandstraße, einer ehemaligen Bergrennstrecke, für Motorradfahrer an den Sommerwochenenden verboten.
Bahnverkehr
Der Schwarzwald wurde schon früh durch die Eisenbahn erschlossen. Im östlichen Teil des Nordschwarzwalds durch die Enztalbahn von Pforzheim nach Bad Wildbad, durch die Nagoldtalbahn von Pforzheim über Calw und Nagold nach Horb am Neckar, die Württembergische Schwarzwaldbahn von Stuttgart-Zuffenhausen nach Calw wurde ab Weil der Stadt außer Betrieb genommen, soll hier jedoch als „Hermann-Hesse-Bahn“ wieder befahren werden.
Vom Rheintal führen durch die Täler viele Eisenbahnen in den Schwarzwald. Die Albtalbahn von Karlsruhe Albtalbahnhof nach Bad Herrenalb, die Murgtalbahn von Rastatt nach Freudenstadt, die Achertalbahn von Achern nach Ottenhöfen und die Renchtalbahn von Appenweier nach Bad Griesbach. Vom Bahnhof Baden-Baden führte bis 1977 eine Stichbahn in das Zentrum der Weltkurstadt. Geschichte ist die Lokalbahn Orschweier–Ettenheimmünster. Die Harmersbachtalbahn nach Oberharmersbach-Riersbach zweigt in Biberach/Baden von der badischen Schwarzwaldbahn ab. Diese Gebirgsbahn verbindet seit 1873 Offenburg über Hausach, Triberg, St. Georgen, Villingen und Donaueschingen mit Konstanz am Bodensee. Ein Abzweig in Hausach ist die Bahnstrecke nach Schiltach, die ab dort Richtung Freudenstadt–Eutingen weiterführt. In Denzlingen zweigt die Elztalbahn nach Elzach ab, die Höllentalbahn verläuft von Freiburg im Breisgau durch das Höllental nach Donaueschingen, die Münstertalbahn von Bad Krozingen nach Münstertal, die 1970 abgebaute Bahnstrecke nach Badenweiler ab Müllheim, die nur noch im Museumszugverkehr genutzte Kandertalbahn von Haltingen nach Kandern und die Wiesentalbahn vom Badischen Bahnhof in Basel nach Zell im Wiesental, wo bis Mitte der 1960er-Jahre Anschluss zur Schmalspurbahn nach Todtnau bestand.
Vom Bahnhof Titisee an der Höllentalbahn führt die Dreiseenbahn entlang von Titisee und Windgfällweiher zum Schluchsee.
Die Strecken haben heute einen regen Alltagsverkehr oder sind Museumseisenbahnen, so die Sauschwänzlebahn nahe der Grenze zwischen Deutschland und der Schweiz. Im Verlauf dieser Strecke wird mit dem Großen Stockhalde-Tunnel der einzige Kreiskehrtunnel in einem Mittelgebirge durchfahren.
Rund 11.000 Gastgeber in 143 Ferienorten geben an Urlauber die KONUS-Gästekarte aus. Damit können kostenlos Busse und Bahnen in der gesamten Ferienregion genutzt werden.
Verwaltung
Seit Januar 2006 ist die Schwarzwald Tourismus GmbH mit Sitz in Freiburg für die Verwaltung des Tourismus in den 320 Gemeinden im Schwarzwald zuständig. Zuvor gab es vier getrennte Tourismusverbände.
In Freiburg gründen Gastronomen und Industrielle 1864 den „Badischen Verein zum Zweck, den Schwarzwald und seine angrenzenden Gegenden besser bekannt zu machen“. Drei Jahre später wird daraus der Schwarzwaldverein. Er legt Wege an, baut Aussichtstürme auf Schwarzwaldhöhen, Schutzhütten, Ruhebänke, gibt Pflanzenführer und Wanderkarten heraus und legt so den Grundstock für das, was heute als eine der intensivsten Erlebnis- und Wanderregionen Deutschlands gilt.
Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatten die Mitglieder des Schwarzwaldvereins schon die Fernwanderrouten Westweg (1900), Mittelweg (1902) und Ostweg (1904) angelegt und zahlreiche Aussichtstürme auf den Höhen errichtet. 1906 wird dann für die touristische Arbeit eine eigene Organisation gegründet, deren Nachfolgeorganisation die heutige Schwarzwald Tourismus GmbH ist. Schwarzwaldverein und Schwarzwald Tourismus GmbH sind heute in Sachen Wandertourismus enge Verbündete und gestalten viele Projekte gemeinsam.
Schutzgebiete
Der seit Anfang 2014 bestehende Nationalpark Schwarzwald ist der erste Nationalpark in Baden-Württemberg. Er ist 10.062 Hektar groß und liegt am Hauptkamm des Nordschwarzwalds zwischen Baiersbronn und Baden-Baden. Seit Februar 2016 ist eine 63.236 Hektar große zusammenhängende Fläche des Südschwarzwaldes als Biosphärengebiet Schwarzwald ausgewiesen, das im Juni 2017 durch die UNESCO als Biosphärenreservat anerkannt wurde.
Zwei nach ihm benannte Naturparks umfassen den Schwarzwald und angrenzende Gebiete, der Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord und der Naturpark Südschwarzwald. Sie sollen dazu beitragen, die Landschaft als Kulturlandschaft zu erhalten, die Produkte der einheimischen Landwirte besser zu vermarkten und das Gebiet für den Tourismus besser nutzbar zu machen. Der Naturpark Schwarzwald Mitte/Nord ist mit 4200 Quadratkilometern der größte Naturpark Deutschlands. Er beginnt im südlichen Teil des Mittleren Schwarzwalds und nimmt den restlichen Teil des Gebirges nach Norden hin ein. Im Süden grenzt der 3940 Quadratkilometer große Naturpark Südschwarzwald an, der zweitgrößte in Deutschland. Er schließt den südlichen Teil des Mittleren Schwarzwalds und den Südschwarzwald ein.
Darüber hinaus liegen im Schwarzwald über 100 Naturschutzgebiete sowie zahlreiche Landschafts-, Wald- und Vogelschutzgebiete. Das Naturschutzgebiet Feldberg ist das mit 4227 ha Fläche vor dem Gletscherkessel Präg größte Naturschutzgebiet in Baden-Württemberg. Die drei großen Europäischen Vogelschutzgebiete Nord-, Mittlerer- und Südschwarzwald nehmen zusammen über 90.000 ha Fläche ein.
Kultur
Der größtenteils sehr ländlich geprägte Schwarzwald besteht aus vielen verstreuten Gemeinden und wenigen großen Städten. Tradition und Brauchtum werden vielerorts gepflegt.
Zum Teil werden heute noch, meist zu festlichen Anlässen, die traditionellen Trachten getragen. Das Aussehen der Trachten variiert von Region zu Region zum Teil sehr stark. Eine der bekanntesten Schwarzwälder Trachten ist diejenige der Gemeinden Kirnbach, Reichenbach und Gutach im Kinzigtal mit dem charakteristischen Bollenhut. Unverheiratete Frauen tragen ihn mit roten „Bollen“, verheiratete mit schwarzen. Heiratsfähige Frauen tragen bisweilen vor und am Hochzeitstag eine Brautkrone, den so genannten Schäppel, dessen größte Exemplare aus der Stadt St. Georgen bis zu fünf Kilogramm schwer sind.
Bekannt ist der Schwarzwald ferner für die typischen Bauernhäuser mit ausladenden Krüppelwalmdächern, die Schwarzwälder Kirschtorte, den Schwarzwälder Schinken, den Schwarzwaldwichtel, Kirschwasser und die Kuckucksuhr.
Die landschaftliche Schönheit sowie das Traditionsbewusstsein seiner Bewohner hat schon im 19. Jahrhundert und beginnenden 20. Jahrhundert zahlreiche Künstler angezogen, die über ihre Werke den Schwarzwald in der ganzen Welt bekannt machten. Vor allem der aus Bernau stammende Hans Thoma sowie sein vom badischen Großherzog Friedrich I. (Baden) geförderter Studienkollege Rudolf Epp malten zeitlebens Motive aus dem Schwarzwald. Der Maler J. Metzler aus Düsseldorf bereiste den Schwarzwald zum Malen von Landschaften. Weite Verbreitung fanden die Werke der Gutacher Malerkolonie um Wilhelm Hasemann, deren Landschafts- und Genremotive das Bild des Schwarzwalds prägten. Wie der Heimatschriftsteller Heinrich Hansjakob waren sie Teil einer badischen Volkstrachtenbewegung.
Im Kunsthandwerk nimmt die Holzschnitzerei eine bedeutende Rolle ein, die nicht nur volkstümliche Werke wie die Longinuskreuze, sondern auch berühmte Bildhauer wie Matthias Faller hervorbrachte.
Der Schwarzwald in Literatur und Film
Literatur
Die Schwarzwälder Dorfgeschichten (1843) von Berthold Auerbach erschienen in zahlreichen europäischen Ländern und begründeten maßgeblich die Erzählgattung der Dorfgeschichte. Ein sehr bekanntes Werk, das im Schwarzwald spielt, ist Wilhelm Hauffs Märchen Das kalte Herz, das 1827 als Teil der Erzählung Das Wirtshaus im Spessart in Hauffs „Märchenalmanach auf das Jahr 1828“ erschien und seitdem mehrfach verfilmt wurde.
Der junge Journalist Ernest Hemingway bereiste im August 1922 für drei Wochen den Schwarzwald. Im Toronto Star veröffentlichte der spätere Nobelpreisträger darüber einige nicht gerade wohlwollende Reportagen.
Musikfilm
Bereits seit den 1920er Jahren wurden im Schwarzwald zahlreiche Filme produziert. Den Auftakt bildete 1920 die erste Verfilmung der Operette Schwarzwaldmädel von Leon Jessel.
Heimatfilme
Besonders seit der vierten Verfilmung von Schwarzwaldmädel, die die Heimatfilmwelle einläutete, bot der Schwarzwald die malerische Kulisse für etliche Kino- und Fernsehproduktionen der Nachkriegszeit, darunter Schwarzwaldmelodie mit Gardy Granass, Schwarzwälder Kirsch mit Marianne Hold und Dietmar Schönherr, sowie Schwarzwaldfahrt aus Liebeskummer mit Roy Black. Erfolgreiche Fernsehserien waren Der Forellenhof (1965), in den 1980er Jahren Die Schwarzwaldklinik, seit 1994 Die Fallers – Eine Schwarzwaldfamilie sowie im Jahr 2002 die Dokumentation Schwarzwaldhaus 1902.
Spielfilme (Auswahlliste)
1920: Schwarzwaldmädel
1929: Schwarzwaldmädel, Drehorte: Bad Liebenzell, Triberg, Hirsau
1933: Schwarzwaldmädel
1934: Die Mühle im Schwarzwald
1950: Schwarzwaldmädel, Drehorte: St. Peter, Baden-Baden, Freiburg, Heidburg
1953: Die Mühle im Schwarzwäldertal, Drehort: Furtwangen
1953: Wenn am Sonntagabend die Dorfmusik spielt, Drehorte: Todtmoos, Baden-Baden
1956: Schwarzwaldmelodie
1956: Die Rosel vom Schwarzwald
1958: Das Posthaus im Schwarzwald
1959: Schwarzwälder Kirsch
1960: Der letzte Fußgänger, Drehorte: Baden-Baden, Freudenstadt
1974: Schwarzwaldfahrt aus Liebeskummer
Literatur
Überblickswerke
Hartwig Haubrich, Wolfgang Hug und Herbert Lange: Das große Buch vom Schwarzwald, Stuttgart 1991.
Geographie
Wirtschaft, Geologie und Bergbau
Eberhard Gothein: Wirtschaftsgeschichte des Schwarzwaldes und der angrenzenden Landschaften. Erster Band: Städte- und Gewerbegeschichte, Verlag Karl J. Trübner, Strassburg 1892 (Digitalisat)
Kunstgeschichte
Karlheinz Ebert: Der Schwarzwald und das Oberrheinland. Wege zur Kunst zwischen Karlsruhe und Waldshut. Ortenau, Breisgau, Kaiserstuhl und Markgräflerland (DuMont-Kunst-Reiseführer). 7. Auflage, Köln 1991.
Richard Schmidt: Schwarzwald (Deutsche Lande – Deutsche Kunst). München/Berlin 1965.
Natur
Konrad Guenther: Naturbuch vom Schwarzwald. Südlicher Schwarzwald, Baar und oberes Donautal. 2. Auflage, Freiburg 1954.
Adolf Hanle: Nordschwarzwald (Meyers Naturführer). Mannheim/Wien/Zürich 1989.
Adolf Hanle: Südschwarzwald (Meyers Naturführer). Mannheim/Wien/Zürich 1989.
Ulrike Klugmann (Hrsg.): Südschwarzwald, Feldberg und Wutachschlucht (Naturmagazin Draußen). Hamburg 1983.
Hans-Peter Schaub / Thomas Kaiser: Der Schwarzwald. Naturvielfalt in einer alten Kulturlandschaft. Braun, Karlsruhe 2001, ISBN 3-7650-8204-X
Belletristik
Jürgen Lodemann (Hrsg.): Schwarzwaldgeschichten. Klöpfer & Mayer, Tübingen 2007, ISBN 978-3-940086-04-4.
Herbert Schnierle-Lutz (Hrsg.): Schwarzwald-Lesebuch. Geschichten aus 6 Jahrhunderten mit zahlreichen Bildern, 224 Seiten, Hohenheim Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-89850-213-9.
Siehe auch
Liste der Gebirge und Höhenzüge in Deutschland
Liste der Mittelgebirge in Deutschland
Mittelgebirge
Weblinks
Einzelnachweise
Mittelgebirge
Gebirge in Baden-Württemberg
Gebirge in Europa
Region in Baden-Württemberg
Naturraum im Schichtstufenland
Gebirge als Namensgeber für einen Asteroiden
Landschaft in Baden-Württemberg
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Q4204
| 114.682722 |
51252
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https://de.wikipedia.org/wiki/Swastika
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Swastika
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Eine Swastika (auch Svastika, Suastika; von Sanskrit m. स्वस्तिक svastika ‚Glücksbringer‘) ist ein Kreuz mit vier etwa gleich langen, einheitlich abgewinkelten Armen. Sie können nach rechts oder links zeigen, recht-, spitz-, flachwinkelig oder rundgebogen und mit Kreisen, Linien, Spiralen, Punkten oder sonstigen Ornamenten verbunden sein. Solche Zeichen, das älteste von etwa 10.000 v. Chr., wurden in Asien und Europa, seltener auch in Afrika und Amerika gefunden.
Das Zeichen hat keine einheitliche Funktion und Bedeutung. Im Hinduismus, Jainismus und Buddhismus wird die Swastika bis heute als religiöses Glückssymbol verwendet. Im Deutschen wird ein heraldisches Zeichen, das der Swastika ähnelt, seit dem 18. Jahrhundert „Hakenkreuz“ genannt.
Im 19. Jahrhundert entdeckten Ethnologen die Swastika in verschiedenen Kulturen des Altertums. Einige verklärten sie zum Zeichen einer angeblichen indogermanischen Rasse der „Arier“. Die deutsche völkische Bewegung deutete das Hakenkreuz antisemitisch und rassistisch. Im Anschluss daran machten die Nationalsozialisten ein nach rechts gewinkeltes und 45 Grad geneigtes Hakenkreuz 1920 zum Kennzeichen der NSDAP und 1935 zum zentralen Bestandteil der Flagge des Deutschen Reiches.
Weil das Hakenkreuz Ideologie, Gewaltherrschaft und Verbrechen des Nationalsozialismus repräsentiert, ist die politische Verwendung hakenkreuzförmiger Symbole seit 1945 in Deutschland, Österreich und weiteren Staaten verboten. In Deutschland dürfen Hakenkreuze nach Absatz 4 StGB nur zur „staatsbürgerlichen Aufklärung“, im Sinne der allgemeinen Kunstfreiheit und zu ähnlichen Zwecken gezeigt werden.
Rechtslage
Am 30. August 1945 verbot der Alliierte Kontrollrat allen Deutschen, „irgendwelche militärische Rangabzeichen, Orden oder andere Abzeichen zu tragen“. Das Verbot umfasste auch NS-Hakenkreuze. Es blieb bis 1955 in der Bundesrepublik Deutschland und der DDR in Kraft. Am 10. Oktober 1945 verbot der Kontrollrat die NSDAP, alle ihre Gliederungen und angeschlossenen Verbände und deren Symbole. In den Nürnberger Prozessen 1946 wurde die NSDAP mit allen Untergliederungen zur „verbrecherischen Organisation“ erklärt. Somit waren auch deren Symbole verboten.
In der Bundesrepublik galten gemäß Artikel 139 des Grundgesetzes zunächst sämtliche Gesetze der Alliierten zur „Befreiung des deutschen Volkes vom Nationalsozialismus und Militarismus“ weiter. Sie wurden durch die Aufnahme der Straftatbestände Friedensverrat, Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates ( bis ) in das Strafgesetzbuch abgelöst. In diesem Rahmen bedroht das öffentliche „Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen“ zum Zweck ihrer Verbreitung mit bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe. Absatz 3 nimmt Darstellungen dieser Zeichen davon aus, die „der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen, der Kunst oder der Wissenschaft, der Forschung oder der Lehre, der Berichterstattung über Vorgänge des Zeitgeschehens oder der Geschichte oder ähnlichen Zwecken“ dienen.
Der Bundesgerichtshof klärte die Reichweite von § 86a StGB in Musterprozessen. Seit 1973 umfasst das Verbot Hakenkreuze auf Kriegsspielzeug und originalgetreuen Modellen von Waffen der NS-Zeit. Erlaubt wurden später aber Hakenkreuze, die den Nationalsozialismus objektiv nicht befürworten:
in Kunstwerken, zum Beispiel politischen Karikaturen,
in Auktionskatalogen,
zur Religionsausübung, etwa der Falun Gong in Deutschland,
als Anti-Nazi-Symbole von antifaschistischen Gruppen zur Ablehnung rechtsextremer Organisationen und Ideologien. Damit hob der Bundesgerichtshof 2007 vorherige Urteile gegen Verwender von Antinazisymbolen auf.
Nach geltender Rechtsauffassung verbietet § 86a StGB auch von Neonazis veränderte Symbole, manche davon wie Odalrune, Triskele und Schwarze Sonne jedoch nur als Logo verbotener Organisationen, nicht allgemein. Das private Entfernen rechtswidriger Hakenkreuze vom Eigentum Dritter, etwa durch Übermalen, Abkratzen oder Überkleben, gilt meist als Sachbeschädigung.
In Österreich regelt das Verbotsgesetz 1947 den Umgang mit nationalsozialistischen Organisationen, Gedankengut und deren Symbolik und bestraft den Missbrauch.
Das Europäische Parlament schlug auf deutsche Initiative 2005 ein europaweites Verbot der Swastika vor. Anlass war eine Fotografie des britischen Prinzen Harry in einer NS-Uniform mit Swastika-Armbinde, die er bei einer privaten Kostümparty am 14. Januar 2005 getragen hatte. In Großbritannien demonstrierte das Hindu-Forum, das etwa 700.000 Hindus vertritt, gegen das Verbot. Im Januar 2007 zog Deutschland seinen Vorstoß zurück. Die Europäische Union lehnte das Verbot im April 2007 ab. Einen Verbotskonsens verhinderten vor allem Großbritannien und Dänemark mit ihrer traditionell weiten Auffassung von Meinungsfreiheit sowie Litauen, das auch Symbole des Stalinismus verbieten wollte.
2013 hob das Verfassungsgericht Ungarns ein dort seit 1993 bestehendes Verbot von Symbolen der „Willkürherrschaft“ (Roter Stern und Hakenkreuz) auf: Das Verbot sei gesetzlich neu zu regeln. Lettland dagegen verbot diese beiden Symbole.
In den USA plädieren namhafte Verfassungs- und Völkerrechtler dafür, Neonazis das Zeigen der Swastika generell zu verbieten, weil sie historisch singulär belastet sei, zum Völkermord aufrufe und für die Vernichtung einer Gruppe werbe. Das sei keine schutzwürdige politische Rede, sondern Anstiftung zu Aufruhr und Störung der öffentlichen Ordnung.
Bezeichnungen
Der Ausdruck „Svastika“ taucht erstmals in der Sanskritgrammatik des Inders Panini (um 400 v. Chr.) als Name eines Brandzeichens für Vieh auf. Er besteht aus den Silben su („gut“) und asti („es ist“, „es sei“, vom Verb as- „sein“). Die entsprechenden Silben auf Pali bilden zusammen ein Monogramm der Swastika. Das Substantiv bedeutet „das (zum) Gutsein (gehörige)“, „das Heilbringende“. Das Kompositum svastí- bedeutet schon im ältesten Sanskrit „Glück“, „Heil“, „Segen“. Als Aussage wird es mit „Alles ist/sei gut“ übersetzt. Das Substantiv ist im Sanskrit männlich („der Swastika“). In deutschsprachiger Literatur wird es meist mit weiblichem, selten mit sächlichem Artikel bezeichnet. Der englische Plural lautet „Swastika(s)“, der deutsche „Swastiken“.
In China heißt die Swastika wan, in Japan manji, in Tibet gyung-drung. Bei den nordamerikanischen Navaho steht sie für das „wirbelnde Rundholz“. Im Altnordischen hieß ein ähnliches Zeichen sólarhvél („Sonnenrad“). Im Altenglischen hieß ein Kreuz mit vier gleichgerichteten Außenhaken fylfot („Vierfuß“). Gemeint war ein Kreuz, das auf einem der Haken steht. Die Gleichsetzung der Swastika (drehend) mit dem Fylfot (stehend) und dem NS-Hakenkreuz (geneigt) gilt als Irrtum.
Die rechtwinklige Form wurde als Kombination aus vier griechischen Buchstaben Gamma aufgefasst und darum auf Lateinisch crux gammata, gräzisiert Gammadion genannt. Der davon abgeleitete französische Ausdruck croix gammée bezeichnet auch das NS-Hakenkreuz, ebenso das Wort croix cramponnée. Das Gammadion wurde im Unterschied zur verwandten Form der Triskele auch Tetraskele („Vierbein“) genannt.
In der deutschsprachigen Wappenkunde (Heraldik) bezeichnete man ein Kreuz mit vier gleichgerichteten Haken als „Hakenkreuz“ (so Johann Christoph Adelung in seinem Wörterbuch des Hochdeutschen ab 1796) oder als „Winkelmaßkreuz“ (so Christian Samuel Theodor Bernd in Die Hauptstücke der Wappenwissenschaft 1841). Die völkische Bewegung deutete das Zeichen als Sonnenrad und nannte es „Hakenkreuz“. Diese Bezeichnung ging in die Sprache des Nationalsozialismus ein. Im englischen und französischen Sprachraum wird auch das nationalsozialistische Hakenkreuz als „Swastika“ bezeichnet. Diesen Ausdruck bevorzugt archäologische Fachliteratur für historische Zeichen, um sie vom NS-Hakenkreuz abzugrenzen.
Archäologischer Befund
Asien
In Tell es-Sultan bei Jericho fand man einen vorkeramischen Stempel mit runder Stempelfläche, in den eine symmetrische Swastika eingraviert ist. Er wird auf 7000 v. Chr. datiert. Ähnliche Swastikamotive fanden sich auf einem Anhänger vom Tappa Gaura im Irak (vor 4000 v. Chr.) und auf einem Siegel in Byblos (etwa 3500–3000 v. Chr.).
Auf Samarra-Ware (etwa 5000–3000 v. Chr.) aus dem heutigen Irak fand man Swastiken, einzeln oder als Teil einer ornamentalen Komposition, verbunden mit Pflanzen-, Tier- und Menschenbildern. Eine Schale zeigt im Zentrum ein Kreuzzeichen mit vier mehrfach rechtwinklig abgeknickten Armen, umgeben von Abbildern von fünf Skorpionen. Es wird auf 5500 v. Chr. datiert.
In der Indus-Kultur ist die Swastika seit etwa 3000 v. Chr. belegt. Die ältesten bekannten Beispiele sind Siegel oder Stempel, die 1924 bei den Dörfern Mohenjo-Daro und Harappa im heutigen Pakistan gefunden wurden. Sie zeigen rechts- und linksgewinkelte Swastiken. Somit war die Swastika schon etwa 1000 Jahre vor der Ausbreitung „arisch“ sprechender Stämme in Indien üblich.
In Belutschistan und in Susa fand man in den 1930er Jahren dekorative Swastiken auf Tongefäßen. Sie werden auf etwa 3000 v. Chr. datiert.
Osteuropa
Auf dem archäologischen Fundplatz Mesyn in der Ukraine wurden sechs aus Mammut-Elfenbein geschnitzte Venusfigurinen und mehrere Armbänder gefunden, in die verschiedene Linien und geometrische Formen eingraviert sind. Sie werden auf ca. 15.000 v. Chr. datiert und dem osteuropäischen Epigravettien (Jungpaläolithikum) zugeordnet. Eine dieser Figuren trägt ein aus parallelen Mäanderlinien geformtes Kreuzzeichen mit vier mehrfach rechtwinklig abgeknickten, eingerollten Armen. Dasselbe Motiv ist auf einem der Armbänder eingraviert. Es handelt sich um die ältesten bekannten Beispiele des Zeichens. Der Forscher Karl von den Steinen (Prähistorische Zeichen und Ornamente, 1896) deutete sie als stilisiertes Abbild eines Vogels, besonders des Storchs, und somit als Symbol für Fruchtbarkeit, Leben, Frühling und Licht.
Manche Keramikfragmente der neolithischen Vinča-Kultur (Verbreitungsgebiet im heutigen Bulgarien, Rumänien und Serbien) sind mit einer Swastika aus weißer Humusfarbe bemalt. Sie werden auf das 6. Jahrtausend v. Chr. datiert und als dekoratives Element aufgefasst, das Kraft und Bewegung der Sonne abbilden soll.
Mittelmeerraum
Die Minoische Kultur auf Kreta (ab etwa 2600 v. Chr.) hinterließ Vasen, von denen manche mit einzelnen Swastiken bemalt sind. Die griechische Vasenmalerei der geometrischen Periode setzte diese Ornamentik fort. Hier kommen links- wie rechtsgewinkelte Swastiken vor. Sie stehen in der Entwicklung dem Mäandermuster nahe. Beide Ornamente sind wohl abstrakte Abbilder natürlicher Formen, etwa aus der Pflanzenwelt. In der zum Teil griechisch beeinflussten lokalen Kunst Apuliens des 7. bis 5. vorchristlichen Jahrhunderts sind Swastiken häufig. Seit der Zeit Alexanders erscheinen sie auch auf Soldatenhelmen.
Ab 1870 fand der deutsche Archäologe Heinrich Schliemann auf dem Hügel Hissarlik (Troja, Türkei) Swastiken auf Alltagsgegenständen, etwa Keramik, Handspindeln und Terrakotta. Ihre Zuordnung und Datierung sind umstritten. Heute werden sie jüngeren Grabungsschichten (VII bis IX, ab etwa 1300 v. Chr.) zugeordnet.
In der Villanovakultur (~1000 v. Chr.) fand man Graburnen mit geometrischen Mustern, darunter Swastiken mit mehrfach geknickten Enden und Wellenbändern. Die Etrusker (~900–260 v. Chr.) und die Falisker setzten die Nutzung der Symbole fort.
Im Römischen Reich findet sich die Swastika meist als eins von vielen variierten, wiederholten und komplex ineinander verschachtelten Formelementen der Mäander-Ornamentik. Oft sind Swastikamuster Bestandteil von Fußboden- und Wandmosaiken aus Tessera, von Fresken oder Stuck. Solche Bodenmosaike entstanden seit der Epoche des Hellenismus (ab etwa 300 v. Chr.) im ganzen Römischen Reich, so auch im römisch besetzten Syrien-Palästina. Man fand sie dort zum Beispiel in einer Synagoge in En Gedi aus der Hasmonäer-Zeit, im Vorzimmer einer Villa in Masada, in einem Empfangsraum des Palastes von Caesarea Maritima und im Vestibül einer Villa in der Oberstadt von Jerusalem. Sie gehörten zur allgemeinen Prachtentfaltung und geometrischen Ästhetik damaliger Architektur, nicht aber zu jenen spezifischen Mustern, an denen sich vom Judentum oder später vom Christentum genutzte Gebäude unterscheiden lassen.
Römische Swastiken finden sich auch auf Fibeln (Spangen zum Gewandschließen), auf drei Kontorniaten, Kleidungsstücken, einem Mithras-Denkmal und christlichen Grabinschriften. Sie werden als Dekoration und apotropäisches (übelabwehrendes) oder magisches Schutzzeichen gedeutet.
Mittel- und Nordeuropa
In einen Megalith-Felsen des Ilkley Moor (West Yorkshire, England), genannt Swastikastein, ist eine serpentinische, schlangenartige Mäanderlinie mit neun runden Vertiefungen eingraviert, die eine vierteilige Swastika-artige Figur umschließt. Manche ordnen sie den spiralischen Cup-and-Ring-Markierungen der Stonehenge-Kultur in der Umgebung zu und datieren sie auf etwa 3300 v. Chr., andere ordnen sie den Kelten zu und datieren sie in die späte Bronzezeit (≈1600–1100 v. Chr.). Man fand ähnliche Muster auf skandinavischen Metallgefäßen jener Zeit und auf Gefäßen der mykenischen Kultur.
Eine brettchengewebte Borte aus dem keltischen Grab von Hochdorf an der Enz aus der Hallstattzeit (≈500–450 v. Chr.) trägt eine Reihe von Swastiken. Ob die Träger der Hallstattkultur mit den Kelten gleichzusetzen sind, ist in der Forschung noch umstritten. Auf deren streng geometrische Formen folgte der kurvenreiche, verschlungene Stil der Latènezeit (≈450 v. Chr. bis zur Zeitenwende). Damit erklären manche, dass Swastiken bei den Kelten sehr selten gefunden wurden. Sie werden wie das Radkreuz, das „Keltenkreuz“, die Triskele und der Wotansknoten als Kraftzeichen mit magischem Bezug zum Totenkult gedeutet. Aus verschiedenen, oft farbenfrohen Darstellungen auf Alltagsgegenständen, etwa Bekleidungsstoffen, wird gefolgert, dass die Swastika bei den Kelten keine spezifisch symbolische Bedeutung hatte.
In der Bronzezeit in Mittel- und Nordeuropa hatten Swastika-ähnliche Zeichen vier in gleiche Richtung gebogene und spiralförmige Arme. Seit der Jungbronzezeit treten sie als Ornament auf Alltagsgegenständen auf, besonders auf Schmuck, sowie auf skandinavischen Felsbildern der Nordischen Bronzezeit. Diese Motive finden sich durchgehend von der Spätbronzezeit bis zum frühen Mittelalter auf unterschiedlichen Trägerobjekten. Daraus folgern Forscher, dass sie allgemein eine Zierfunktion mit möglicherweise apotropäischer Bedeutung hatten.
Die als Germanen beschriebenen, verschiedenen Gruppen verwendeten die Swastika als Stilelement in ihrer Alltagskultur von der römischen Kaiserzeit (RKZ) über die Völkerwanderungszeit (VWZ) und das Frühmittelalter bis zur Wikingerzeit. Sie kommt in der RKZ als stilisiertes Motiv auf Urnen in Brandgräbern nördlich der Alpen vor, etwa auf vereinzelten „Schalenurnen“ der Elbgermanen des 3. oder 4. Jahrhunderts, die mit der Rollrädchentechnik als Zierbänder in den feuchten Ton eingelassen wurden. Sie kommt auch als Gravur auf Waffen vor, so dem „Speerblatt von Dahmsdorf“ (gefunden 1865). Ähnliche, zum Teil ältere Speerblätter fand man bei Kowel (Ukraine), auf Gotland (Schweden), in Rozwadow (Polen), Øvre Stabu (Norwegen) und Vimose (Dänemark). Rolf Hachmann zufolge sind diese Swastiken mit „Tamga“ (Siegeln, Stempeln) der Sarmaten (Iran) verwandt.
Auch Fibeln sind Träger von Swastikamotiven. Auf Seeland (Dänemark) (11), im übrigen Dänemark (3), in Norwegen (3), Finnland (2), Südschweden (1) und Mecklenburg (1) fand man eine Reihe gleichartiger Swastikafibeln, genietet aus einer runden Bronzeplatte mit aus Silberblech gepressten Ornamenten darauf, vier gebogenen Armen und kleinen Plättchen am Ende. In Ungarn gefundene ähnliche Fibeln haben Tierköpfe am Ende der Arme. Sie werden gemeinsam auf ältere römische Fibeln zurückgeführt und auf 250 bis 400 n. Chr. datiert.
Goldbrakteaten der VWZ aus Reichtumszentren im heutigen Dänemark enthalten Swastiken neben anderen Symbolen und schriftartigen Zeichen in bestimmten „Formularfamilien“, die der „Ikonographische Katalog“ (IK) auflistet. So zeigt der B-Brakteat von Großfahner, Landkreis Gotha (IK 259) eine Figur, die ihre leeren Hände erhebt, über denen eine Swastika und eine Triskele angebracht sind. IK 389 zeigt eine Swastika mit Triskele, Kreuz und weiteren Symbolen. In der jüngeren RKZ und VWZ treten solche Swastiken zusammen mit Runen auf, besonders bei Fibeln und Brakteaten. Bei den modellgleichen Formularfamilien der B-Brakteaten von Nebenstedt (II), Darum (IV) (IK 129,1; 129,2), Allesø, Bolbro (I), Vedby (IK 13,1-3) findet sich eine Swastika als Einschub in das magische Runenwort laukaR („Lauch“). In der linksläufigen Inschrift von Nebenstedt und Darum erscheint eine Swastika als Zeichen mit unbestimmter Funktion. Solche Swastiken zwischen Runen wurden teils als besondere Schriftzeichen, teils als Symbole gedeutet, die eine magische Kraft der Runenaussage verstärken sollten.
In die Wikingerzeit gehört zum Beispiel eine Swastika auf dem Runenstein von Snoldelev in Dänemark.
Unter den Grabbeigaben im Oseberg-Schiff (um 830) wurde 1904 ein kleiner Kübel mit zwei Bronzegriffen gefunden. Beide zeigen eine identische menschliche Figur mit geschlossenen Augen im Lotussitz, die ein blau emailliertes Kreuz und vier rote Swastiken auf gelbem Grund auf der Brust trägt. Sie sind abwechselnd rechts- und linksgewinkelt und füllen die freien Flächen um das Kreuz zu einem Quadrat aus. Obwohl die Figur an eine meditierende Buddha-Figur erinnert, die Wikinger auf ihren Handelsrouten kennengelernt haben könnten, wird dieses Exemplar wegen sehr ähnlich geformten und gefärbten Handgriffen von keltischen Hängegefäßen eher als Beutegut aus Irland gedeutet.
Swastiken germanischer Kulturen werden bis heute unterschiedlich gedeutet. Christian Jürgensen Thomsen und Oscar Montelius deuteten sie ausgehend von Brakteaten 1855 als „Zeichen Thors“. Das wurde durch Funde ähnlicher Zeichen namens þórshamarr auf Island im 16. Jahrhundert begünstigt, die eine Verwandtschaft mit dem Mjölnir (Thorshammer) nahelegten. Der schwedische Archäologe Carl Bernhard Salin dagegen bestritt diese Zuordnung, da diese Brakteaten sich wegen anderer Merkmale ebenso gut der Gottheit Odin zuweisen ließen. Auch Karl Hauck bringt die Swastiken auf Brakteaten mit Thor oder Odin in Verbindung. Der Sprachwissenschaftler Wolfgang Meid dagegen sieht keine linguistischen Hinweise auf eine religiös-kultische Verwendung des Symbols.
Im Mittelalter in Europa wurden römische und germanische Swastiken oft auf die Kreuzigung Jesu Christi oder seine Hoheit als „Licht der Welt“ bezogen. Sie erscheinen auf Fresken und Steinplatten von Kirchengebäuden, verbunden mit der Mäanderlinie, in der romanischen Ornamentik und einigen gotischen Bauwerken. Sie galten als „Schutzmittel gegen den Teufel“.
Afrika
Swastika-Ornamente aus der Ägäis gelangten durch Handel in das Mittlere Pharaonenreich (2137 bis 1781 v. Chr.) und wurden seit 1000 v. Chr. besonders in Nubien beliebt. Südlich der Sahara wurden jedoch nur wenige Swastiken gefunden. Die deutschen Forscher Leo Frobenius und Felix von Luschan belegten sie 1898 als Gravur auf Münzen oder Gewichten der Aschanti in Ghana, als Tätowierung einer Frau in Barundi (Uganda) oder als Amulett. Sie bestritten die Herkunft dieser Ornamente aus dem Mittelmeerraum und nahmen eine davon unabhängige Entstehung an.
In den Felsenkirchen von Lalibela in Äthiopien (erbaut um 1200) findet man viele Swastiken in Bodenmosaiken, Wand- und Säulenverzierungen. Manche haben kurvige Arme und lassen sich daher nicht von indischen oder römischen Vorbildern ableiten.
Amerika
Einige indigene Völker Amerikas dekorieren Gebrauchsgegenstände seit langem auch mit Swastiken. Die Navajo woben sie in die Muster ihrer Decken, Jacken und Teppiche ein, mit denen sie handelten. Andere Stämme übernahmen diesen Brauch auch für ihre Töpferei. Sie sahen die Swastika als Abbild der Rotation des Sternbilds Großer Bär um den Polarstern und Sinnbild einer mythischen Vorgeschichte: Darin seien vier Häuptlinge in jede Himmelsrichtung gesandt worden, um eine bessere Regierungsform als die eigene zu finden. Für die Hopi bildeten die Wander- und Rückwege ihrer Vorfahren eine große Swastika, die rechtsgerichtet der Bewegung der Erde, linksgerichtet der der Sonne entsprach.
Die Anasazi im Südwesten der heutigen USA zeichneten Bilder mit Swastiken in den Antilopenruinen. Sie gelten als älteste Beispiele in Nordamerika. Auch unter Felszeichnungen der Hohokam-Kultur im Süden Arizonas (300–1500) fanden sich dutzende Swastiken, für sich oder mit anderen Zeichnungen verbunden. Sie werden als Dekoration, nicht als religiöses Symbol gedeutet. Im Mississippi River Delta fand man auf Keramiken aus dem 13. Jahrhundert einheitlich stilisierte, stämmeübergreifende farbige Muster, darunter in Sonnenkreise integrierte Swastiken.
In einer der Pyramiden von Túcume der frühen Sicán-Kultur aus der Lambayeque-Zeit in Peru (≈750–1375) fand man einen Tonkrug mit einer mit Kohle gezeichneten Swastika.
Forschungsgeschichte
19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert nahm die Völkerkunde in Europa stark zu. Man entdeckte Swastiken in Indien, China, Japan, Kleinasien, Nordafrika und Amerika. Besonders Heinrich Schliemanns Funde und deren Deutung lösten eine Diskussion aus. 1872 verlangte der Antisemit Émile Burnouf in einem Brief an ihn: Die Swastika solle als Zeichen der „arischen Rasse“ betrachtet werden, das die Juden vollständig abgelehnt hätten. In seinem ersten Forschungsbericht (Trojanische Altertümer, 1874) behauptete Schliemann, die Swastiken aus Troja seien mit einer Swastika von der Bischofsinsel bei Königswalde (Erzgebirge) der Form nach identisch. Er folgerte daraus eine germanische Herkunft des Zeichens. Obwohl er kein Antisemit war, behauptete er in seinem Buch Ilios (1881): Die von ihm entdeckten Swastiken bewiesen, dass die ältesten Bewohner Trojas zur „arischen Rasse“ gehört hätten. Sie seien als die „heiligsten Symbole unserer arischen Vorväter“ von ungeheurer Wichtigkeit für die Archäologie. Dazu bildete er eine Göttinnenfigur aus Blei (nebenstehend) mit einer Swastika im Schamdreieck ab, obwohl diese auf dem Original fehlt. Damit schrieb er den trojanischen Swastiken eine religiöse und ethnische Bedeutung zu, obwohl die meisten sich auf alltäglichen, nicht kultischen Gegenständen befanden. Die Fälschung wurde 1902 aufgedeckt, als Schliemanns Sammlung in Berlin ausgestellt wurde.
Der Indologe Friedrich Max Müller widersprach Schliemann 1881 in einem von diesem erbetenen Aufsatz zur Swastika: Gleiche Formen bewiesen eine gemeinsame ethnische Herkunft in der Archäologie ebenso wenig wie gleiche Klänge eine gemeinsame sprachliche Herkunft in der Etymologie. Der britische Assyriologe Archibald Henry Sayce behauptete dennoch 1884 im Vorwort zu Schliemanns Werk Troja: „Wir“ (die Nordeuropäer) könnten Trojas Bewohner und die Griechen zur Zeit Agamemnons als „Brüder in Blut und Sprache“ begrüßen. Im Anhang behauptete der Journalist Karl Blind: Es sei nun klar bewiesen, dass die Trojaner zur „Rasse“ der Thrakier gehörten und diese von Goten und somit von Germanen abstammten.
Einige Autoren versuchten, eine indogermanische („arische“) Herkunft der Swastika mit eigenen Studien zu untermauern. So zeigte der polnische Bibliothekar Michael Zmigrodzki, ein Rassist und Antisemit, bei der Weltausstellung Paris 1889 Zeichnungen von 300 Objekten mit Gravuren, die er als Swastika oder angeblich davon stammendes Zeichen interpretierte und in Kategorien wie prähistorisch, pagan oder christlich einteilte. Zudem versuchte er, aus Schliemanns Funden einen angeblich ursprünglichen Idealtypus ohne ornamentale Details und Abweichungen herauszufiltern. Damit machte er dreidimensionale Gegenstände zu bloßen Trägern einer angeblich einheitlichen, direkt erkennbaren, besonderen und wiederholten grafischen Form. Sein erklärtes Ziel war, mit der Swastika eine prähistorisch verankerte, kontinuierliche kulturelle Überlegenheit der „Arier“ zu beweisen.
Gemäß der damaligen Popularität solcher Theorien nahmen das Museum für nationale Antiquitäten Frankreichs und das Museum für Frühgeschichte in Saint Germain seine Sammlung auf. Im August 1889 machte Zmigrodski die Swastika unter anderem bei einem Kongress für Anthropologie und prähistorische Archäologie zum Thema. Die meisten Teilnehmer vertraten die Arierthese, darunter Schliemann (Deutschland), Ludwig Müller (Kopenhagen), Burnouf, Sayce, Joseph Déchelette und Eugène Count Goblet d’Alviella (Frankreich). Sie missachteten dabei den jeweiligen Eigenkontext der Funde sowie afrikanische und amerikanische Belege, die vor allem Thomas Wilson (USA) präsentierte. So wurden der Swastika ähnelnde grafische Zeichen unterschiedlicher Kontexte zum isolierten, angeblich für sich sprechenden Erkennungsmerkmal der angeblichen Arierrasse konstruiert.
Die vermutete Herkunft der Arier aus Indien und Swastikafunde bei „Nichtariern“ widersprachen dem völkischen Rassenideal. Robert Philip Greg wollte die Swastika 1884 für die angebliche arische Rasse reservieren. Er behauptete, weder griechisch-ornamentale noch germanisch-religiöse Formen kämen bei Semiten vor. Karl Penka (Origines Ariacae, 1883; Die Herkunft der Arier, 1886) und Ernst Ludwig Krause (Tuisko-Land, der arischen Stämme und Götter Urheimat, 1891) stellten Nordeuropa als ursprüngliche Heimat hochgewachsener, hellhäutiger, blauäugiger und kämpferischer Arier dar. Diese, so Penka, hätten asiatische Völker unterworfen und seien nach Indien eingewandert. Damit kehrte er die gängige Einwanderungsthese um.
Thomas Wilson, Kurator für prähistorische Anthropologie der Smithsonian Institution, verfasste 1894 in deren Auftrag einen Bericht über den damaligen Forschungsstand zur Swastika. Darin belegte er ihre weite Verbreitung und wies die Annahme zurück, solche Zeichen unterschiedlicher Zeiten und Kontexte ließen sich auf eine gemeinsame Herkunft zurückführen und als Symbol einer bestimmten Religion, Mythologie oder Ethnie deuten. Er nahm ihre Ausbreitung vom Industal aus an.
Die Deutung der Swastika als Symbol prähistorischer „Arier“ drang seit Schliemanns Thesen dazu auch in die akademischen Diskurse der deutschen Altertumswissenschaft, Anthropologie, Kunstgeschichte und Volkskunde ein. Diese und andere Fachbereiche nahmen seit der Romantik ein „deutsches Volkstum“ mit eigenem „Nationalcharakter“ und eine „nordische Rasse“ an, die als „die Germanen“ die Vor- und Frühgeschichte Europas bestimmt habe. Einflüsse anderer Völker und Kulturen wurden dann oft als Degeneration beschrieben. Empirische Belege dafür wurden kaum geboten.
1900 bis 1945
Völkische, später auch nationalsozialistische Autoren knüpften an die bereits etablierte Arierthese an und behaupteten weiter eine nordeuropäische Herkunft der Swastika und ihre Bedeutung als „Heilszeichen“ der Arier. Seit 1917 erschienen dazu viele propagandistische und pseudowissenschaftliche Schriften, darunter:
Ludwig Wilser: Das Hakenkreuz nach Ursprung, Vorkommen und Bedeutung (1917; viele Neuauflagen),
Otto Grabowski: Das Geheimnis des Hakenkreuzes und die Wiege des Indogermanentums (1921),
Karl Jaeger: Zur Geschichte und Symbolik des Hakenkreuzes (1921),
Jörg Lechler: Vom Hakenkreuz. Die Geschichte eines Symbols (1921; 2. Auflage 1934); Sinn und Weg des Hakenkreuzes (1935),
Gustaf Kossinna: Ursprung und Verbreitung der Germanen in vor- und frühgeschichtlicher Zeit (1926),
Erwin Richter: Das Hakenkreuz als Führer zu altgermanischer Kultur: Ein Beitrag zur germanischen Wiederentdeckung (1931),
Herman Wirth: Was heißt deutsch? Ein urgeistesgeschichtlicher Rückblick zur Selbstbesinnung und Selbstbestimmung (1931; 1934); Vom Ursprung und Sinn des Hakenkreuzes (1933),
D. Bernardi: Das Hakenkreuz (7. Auflage 1933),
Wilhelm Scheuermann: Woher kommt das Hakenkreuz? Berlin : Rowohlt, 1933
Engelbert Huber: Das ist Nationalsozialismus: Organisation und Weltanschauung der NSDAP: mit zwei Tafeln Abbildungen der Abzeichen (1933),
Theobald Bieder: Das Hakenkreuz (2. Auflage 1934),
Eugen Fehrle: Das Hakenkreuz: von seinem Sinn und seiner Geschichte (1935),
Friedrich Langewiesche: Sinnbilder germanischen Glaubens im Wittekindland (1935),
Karl Theodor Weigel: Runen und Sinnbilder (1935),
Walter Heinzel: 5000 Jahre Hakenkreuz. Vom altnordischen Sonnezeichen zum Symbol des ewigen Deutschlands (1941).
Wilser war seit 1885 mit unwissenschaftlichen Thesen zu Runen hervorgetreten und hatte eine „Urschrift“ germanischen Ursprungs behauptet. Als selbsternannter „Rassenforscher“ popularisierte er die These, die Swastika sei eine germanische Rune. Scheuermann beschrieb diese als Fruchtbarkeitssymbol, wobei er sich auf die Bleifigur aus Troja mit gefälschtem Swastikazeichen berief, und als militärisches Wappen nordeuropäischer Arier, die Troja in frühgeschichtlicher Zeit erobert hätten. Huber räumte offen fehlende historische Belege für die antisemitische Deutung des Hakenkreuzes ein. Erst die Völkische Bewegung habe es für ihre Ziele so gedeutet und dabei vorausgesetzt, dass es aus Indien stamme. Das sei inzwischen widerlegt. Seine ursprüngliche Bedeutung sei unbekannt, jedoch werde einhellig ein Zusammenhang mit dem Sonnenkult angenommen. Autoren, die von einer „germanischen Kontinuität“ vom Altertum bis zu ihrer Gegenwart überzeugt waren, führten dazu nur wenige Belege an, darunter die Swastika, deren germanische Herkunft sie voraussetzten.
Die weitgehend spekulative „Sinnbildforschung“, die um 1900 entstand, war Teil der Völkischen Bewegung. Ab 1933 förderte das NS-Regime sie stark, um die Massenwirkung der NS-Propaganda durch Rückgriff auf altgermanische Symbolik zu verstärken und das eigene Parteiabzeichen zum Symbol der völkischen Einheit und Ganzheit und zum quasi-religiösen Kultobjekt zu machen. Die Deutung der Swastika als kontinuierliches germanisches Sonnensymbol gab diesem Streben eine pseudowissenschaftliche Legitimation.
Einige „Sinnbildforscher“ vertraten konkurrierende Theorien und wetteiferten ab 1933 um die politische Anerkennung ihrer Position. So erklärte Weigel, die Bedeutung der Runen könne erst geklärt werden, wenn Herkunft und Abstammung der Rasse geklärt seien, aus deren „Blut und Boden“ sie zweifellos stammten. Fehrle dagegen behauptete, das Hakenkreuz sei das „arische führende Fossil“ unter den vielen Sonnensymbolen und verkörpere das ewige „Stirb und Werde“. Es sei „wie ein Stern, der uns den Weg weist“. Die germanischen Symbole seien nie nur dekorativ, spielerisch und zweckmäßig, sondern drückten immer „Einheit mit den ewigen Mächten des Lebens“ aus. Das NS-Regime förderte diese Konkurrenz gezielt durch verschiedene Institute, da alle Varianten der Kontinuitätsthese den eigenen machtpolitischen Absichten entgegenkamen. Der „Reichsführer SS“ Heinrich Himmler erklärte: Es sei ihm gleich, welche Theorie über die Vorgeschichte der Germanen wahr sei. Da Forscherhypothesen ständig wechselten, könne die NSDAP auch eine These aufstellen, die der Forschung widerspreche. Wichtig sei nur, dass die Forscher den Stolz des deutschen Volkes stärkten; dazu würden sie bezahlt.
Dazu richtete Himmler 1935 die „Forschungsgemeinschaft Deutsches Ahnenerbe“ ein, als deren Mitgründer er den Pseudoarchäologen Herman Wirth berief. Dieser hatte die Swastika seit 1931 zum Merkmal einer matriarchalischen Erlösungsreligion erklärt, die auf Atlantis geherrscht und etwa in Megalithgräbern und skandinavischen Felsbildern Spuren hinterlassen habe. Mit ausgedehnten Projekten, etwa zu den Felsritzungen von Tanum, versuchte er diese Fiktion zu untermauern, fand aber selbst bei anderen Nationalsozialisten kaum Anerkennung. Wirth gab die Swastika auch als Beleg für eine Abstammung der Hopi, mexikanischer und peruanischer Indios von der angeblichen nordisch-atlantischen Herrenrasse aus. Himmler unterstellte die Deutsche Tibet-Expedition Ernst Schäfers von 1938 dem „Ahnenerbe“, um prähistorische Studien zu treiben, Rassenvergleiche anzustellen und die Tibeter eventuell als Verbündete gegen Großbritannien zu gewinnen. Dahinter stand die Annahme, die tibetische Swastika weise auf Nachkommen angeblicher Arier in Tibet hin.
Die Nationalsozialisten benutzten archäologische Funde in Polen, um ihre Gebietsansprüche und „Germanisierung“ zu legitimieren. Der sächsische Archäologe Walter Frenzel benutzte eine Swastika im Museum von Łódź für ein neues Wappen der in „Litzmannstadt“ umbenannten Stadt.
Nur wenige Forscher der NS-Zeit widersprachen der rassistischen Deutung der Swastika. Der britische Archäologe William Norman Brown verwies dazu auf Funde in Harappa (The Swastika: A Study of the Nazi Claims of Its Aryan Origins, 1933). Der Linguist und Religionswissenschaftler Jan de Vries, ein Mitarbeiter des „Ahnenerbes“, bezweifelte in der ersten Auflage seiner „Altgermanischen Religionsgeschichte“ (1935–1937) die These einer Kontinuität und nordischen Heimat der Germanen. Germanische Swastiken der Bronzezeit hätten sich zufällig aus der Spiralornamentik entwickelt. Swastiken der Eisenzeit seien aus Asien über Südosteuropa nach Mitteleuropa gelangt. Nationalsozialistische Rezensenten kritisierten dies. Der Volkskundler Otto Lauffer bezeichnete den NS-„Sinnbildforscher“ Langewiesch 1937 in einer Fachzeitschrift ironisch als „Deutobold Symbolizetti Allegorowitsch Mystifizynski“. Ohne rationale Prüfung ihrer Thesen mache sich die deutsche Symbolforschung international lächerlich.
Der Psychoanalytiker Wilhelm Reich erklärte 1930, die Swastika habe ursprünglich den Geschlechtsverkehr zweier Menschen, später die menschliche Arbeitskraft symbolisiert, die ihrerseits nur eine Form von Sexualität sei. Weil sie an unbewusste Triebe appelliere, sei sie ein massenwirksames Hilfsmittel des Faschismus geworden. Er berief sich dazu auf Herta Heinrich (Hakenkreuz, Vierklee, Granatapfel, Zeitschrift für Sexualwissenschaft, 1930), Percy Gardner (Ares as Sun-God, 1880), John Loewenthal und andere. Dabei setzte er ebenfalls ahistorisch eine einheitliche, originale, versteckte Bedeutung verschiedener Swastika-Abbilder voraus. Der Tiefenpsychologe Carl Gustav Jung sah 1936 die Swastika und den römischen Liktorenbündel als Archetypen, die ein kollektives Unbewusstes ausdrücken. Ihre Verwendung im Faschismus sah er als Wiederbelebung von gefährlichen Triebkräften, die schon die mittelalterlichen Judenpogrome bewirkt hätten.
Seit 1945
Ab 1945 trat die volkskundliche Symbolforschung zurück. Jüngere Volkskundler und Philologen wie Fritz Paul verwarfen sie als nicht fortsetzbar und kritisierten ihre Methodik scharf: Sie habe Funde ganz unterschiedlicher Zeiten und Völker „durch oft zügelloses Analogisieren in ein willkürliches, allegorisches oder symbolisches Sinngefüge“ gebracht. Germanisten wiesen die These einer „germanischen Kontinuität“, für die auch die Swastika angeführt worden war, als sachfremd zurück. Hermann Bausinger, Wolfgang Brückner, Hans Moser und andere zeigten, dass äußerlich identisch geformte Zeichen und Objekte nur in ihrem Eigenkontext richtig zu deuten sind und historische Kontinuität nur bei gleichen Aktoren, gleichem Kulturraum, gleicher Funktion und Bedeutung anzunehmen ist. Daher hielt Rolf Wilhelm Brednich die ältere Forschung zur Swastika für großenteils unwissenschaftlich: Sie habe den Eindruck einer breit belegten germanischen Kontinuität nur dadurch erreicht, dass sich völkische Wissenschaftler laufend gegenseitig zitiert hätten und vom NS-Regime gefördert worden seien. Gleichwohl behaupten popularwissenschaftliche Autoren oft weiter, die Swastika sei ein prähistorisches kultisches Symbol der (Indo-)Germanen und besitze archetypische Kraft.
Einige der am „Ahnenerbe“ beteiligten Forscher blieben nach 1945 fachlich anerkannt, so Jan de Vries. Er beschrieb die Swastika (die er „Hakenkreuz“ nannte) 1957 als Teil „fremdartiger“ Kultureinflüsse auf die Germanen. Sie habe sich seit 2500 v. Chr. von der Induskultur nach Kreta, Griechenland und Italien verbreitet und sei dabei zu einem rein dekorativen Muster „herabgesunken“. Weil sie bei „semitischen Völkern“ ganz fehle, sei sie wahrscheinlich auf indogermanische Kultur zurückzuführen. Die Germanen könnten sie in der Jungsteinzeit aus Thrakien und Mazedonien erhalten haben. In der Mäanderornamentik (1./2. Jh.) und als spiralige Form auf Töpfen und Hängegefäßen der späten Bronzezeit sei sie wohl ein „reines Schmuckmotiv“ gewesen. Erst in der Eisenzeit habe sich die rechtwinklige Form durchgesetzt, erst ab dem 4. Jahrhundert komme sie auf einer Urne als Sinnbild vor. Sie sei eine Variante des zuvor üblichen Sonnenrades, später auch ein magisches Glückszeichen und ein religiöses Symbol, oft mit dem Gott Thor verbunden.
Horst Junginger kritisierte, de Vries habe in seinem Artikel „Hakenkreuz“ für die protestantische Enzyklopädie Religion in Geschichte und Gegenwart (3. Auflage 1959) dessen Gebrauch in der NS-Zeit nicht erwähnt.
Laut Morten Hegewisch vermieden Volkskundler wie Ernst Grohne oder Archäologen wie Rolf Hachmann nach 1945, neuere germanische Swastikafunde überhaupt zu deuten. Dies habe dazu beigetragen, sie weiter ungeprüft als Sonnensymbole einzustufen. So verwies das Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (2005) bei den Stichworten „Hakenkreuz“ und „Swastika“ auf „Sonnensymbol“. Der Autor Andreas Nordberg stellt die uneinheitliche Bedeutung und mögliche rein dekorative Funktion europäischer Swastiken dar, wobei die Swastika als Sonnensymbol die rollende Sonne abgebildet haben kann. Hegewisch legte nach erneutem Durchgang durch den Befund dar, dass die germanischen Formen die römischen Hakenkreuzfibeln infolge der Romanisierung nachgeahmt hätten, beide hätten keine erkennbare kultische Bedeutung. Kelten, Römer und Germanen hätten andere Muster viel häufiger als die Swastika und auch diese oft nur dekorativ verwendet. Bezüge zu einzelnen Gottheiten ließen sich allenfalls bei Einzelfunden vermuten, aber nicht ohne weitere analoge Belege verallgemeinern.
Religiöser Gebrauch
Hinduismus
Im Hinduismus ist die Swastika das wichtigste Symbol nach dem Om. Nach der Lehre (Dharma) der Veden wird die Figur als abstraktes Abbild von vier Radspeichen, deren Haken Rotation nahelegen, oder von zwei quer übereinander gelegten Stöcken zum zeremoniellen Feueranzünden (Yajna) aufgefasst. Oft ist sie mit vier Punkten, je einem in jedem Winkel, verbunden. Sie symbolisiert den ewigen Kreislauf von Geburt und Tod (Samsara) und gilt als Zeichen der Reinkarnation. Sie wird darum zu Beginn fast aller religiösen Feiern verwendet. Sie symbolisiert allgemein die Kraft und rotierende Vorwärtsbewegung der Sonne und bedeutet Freude, Licht und Leben. Sie markiert in den Veden den Sonnengott Surya, in den Puranas das Chakra des Gottes Vishnu und einen der acht Yoga-Sitze. Sie wird auch als Zeichen des Gottes Ganesha verehrt. Die rechtsgewinkelte Form gilt als glückverheißend und wird bei Hochzeiten, Festen für die Glücksgöttin Lakshmi und anderen Freudenfesten verwendet. Die seltenere linksgewinkelte Form heißt auf Sanskrit Sauvastika, wird dem weiblichen Aspekt der Gottheit zugeordnet und dreht sich nach indischer Auffassung gegen den Uhrzeigersinn. Manchmal wird dieser Form negative Wirkung zugeschrieben: Sie sei Symbol der Göttin Kali und stehe für Sonnenuntergang, Niedergang des Lebens, Nacht, Unheil und Tod.
Jainismus
Im Jainismus, der sich auf Mahavira (5. Jahrhundert v. Chr.) zurückführt, spielt die Swastika eine zentrale Rolle. Sie repräsentiert wie im Hinduismus Samsara, hier zudem die vier Stufen der Existenz: Götter, Menschen, Tiere und Unterwelt. Sie ist das Symbol des siebten von 24 „Furtbereitern“ (Tirthankara). Die vier Arme stehen auch für die vier Gruppen der Jains (Mönche, Nonnen, männliche und weibliche Laien) und die vier unendlichen Merkmale der Seele (Wissen, Wahrnehmung, Glück, Energie). Das seit 1974 von allen Jains akzeptierte Symbol des Jainismus fasst dessen Lehren zusammen.
Buddhismus
Schon die vorbuddhistische Bön-Religion kannte die Swastika. Der Berg Kailash, dessen Umrundung man erlösende Kraft zusprach, hieß dort auch „Swastika-Berg“. In der Mongolei erscheint die linksgewinkelte Form als Gravur in Felszeichnungen und Hirschsteinen seit 200 v. Chr. oft.
Im Buddhismus in Tibet symbolisiert die linksgewinkelte Swastika Festigkeit, Ausdauer und Beständigkeit. In China heißt sie wan und gilt als Anhäufung von Glückszeichen mit zehntausend Wirkungen. In der chinesischen Ikonographie symbolisiert sie Fülle, Überfluss, Wohlstand und langes Leben. Als chinesisches Schriftzeichen steht sie () für die Myriade (10.000) bzw. die Unendlichkeit. Sie wird oft mit dem Zeichen fu für Fledermaus kombiniert und bedeutet dann „zehntausendfaches Glück“. Kaiserin Wu Zetian (625–705) erklärte eine Swastika in einem Kreis zum Zeichen für „Sonne“.
Im Buddhismus in China symbolisiert sie das Siegel des Herzens Buddhas oder die Buddha-Natur. Sie erscheint in der Song-Dynastie (960–1276) auch auf Brust, Handteller oder Fersen von Buddha-Statuen, nicht wie in Indien nur auf der Stirn. Vermutet wird dabei ein Einfluss des Nestorianismus in China, dessen Anhänger christliche Kreuze auf Stirn und Brust trugen. In nestorianischen Kunstwerken symbolisiert die Swastika die sich drehende Sonne, das Feuer oder das Licht. Eine Swastika verziert die Dachgiebel vieler historischer Gebäude, besonders buddhistische Tempel. Auf Landkarten zeigt sie deren Lage.
In Japan ist die linksgewinkelte Swastika auf Brust, Füßen oder Händen von Buddhastatuen und an Buddhatempeln oft zu sehen. Auf Landkarten und Stadtplänen markiert sie deren Standort. Sie wird als Weitergabe der Buddha-Natur gedeutet. Das japanische Schriftzeichen für sie heißt manji (, ursprünglich oder , dt. ‚10.000er-Zeichen‘). Es wird meist nach links gewinkelt dargestellt. Die nach rechts gewinkelte Form heißt gyaku manji (, ‚umgedrehtes Manji‘) oder migi manji (, ‚Rechts-Manji‘). Solche Zeichen werden auch für regelmäßige Muster verwendet, die manjimon (). Darunter sind das manjitsunagi (), das mehrere Swastiken gleicher Richtung waagerecht oder gekippt miteinander verbindet, oder das sayagata () auf Stoffen aus der Edo-Zeit: Es verbindet die Enden von linken und rechten Swastiken mit Linien.
In allen vom Theravada-Buddhismus geprägten asiatischen Staaten (Burma, Kambodscha, Laos, Sri Lanka, Thailand) markiert die Swastika Buddhas „Fußspuren“. In manchen dieser Staaten ist eine linksgerichtete Swastika auf Verpackungen aufgedruckt, um die streng vegetarische Herstellung der Lebensmittel darin anzuzeigen.
Andere
Das Symbol der Falun Gong aus China wird srivatsa genannt und zeigt eine linksgerichtete goldene Swastika, umgeben von je vier weiteren Swastiken und Symbolen des Yin und Yang in einem kreisförmigen Ring. Die Vertreter betonen seine positive Bedeutung in Übereinstimmung mit indischer und chinesischer Tradition und grenzen es vom nationalsozialistischen Hakenkreuz ab.
Vertreter der synkretistischen Religion Daoyuan (gegründet 1921) gründeten 1922 die Gesellschaft Rote Swastika, um den Weltfrieden zu fördern und akute Katastrophenhilfe zu leisten. Sie wuchs bis 1937 zu einer mit dem Roten Kreuz vergleichbaren internationalen Hilfsorganisation, die besonders nach dem Massaker von Nanjing half.
Die synkretistische Religion der Cao Dai in Vietnam (gegründet 1926) übernimmt Symbole mehrerer Religionen, darunter eine buddhistische linksgerichtete Swastika.
Der 1973 gegründete Raelismus verwendet das Symbol einer Swastika in einem Davidstern. Der Gründer Claude Vorilhon will es auf einem UFO von Außerirdischen gesehen haben. Seine Anhänger tragen es als Medaillon. Nach Protesten von Juden änderte Vorilhon das Symbol zur Form einer Blüte ab. Gleichwohl treten die Raelianer für eine weltweite Akzeptanz der Swastika ein, die sie als Zeichen einer von Außerirdischen gestifteten humanen Intelligenz deuten. Jedoch führten Demonstrationen mit Swastikafahnen in einigen Fällen zu Festnahmen. 2009 erklärte der Gründer den 23. Juni daher zum jährlichen „Swastika-Rehabilitations-Tag“.
Nichtreligiöser Gebrauch
Heraldik
Seit der Frühen Neuzeit machten Fürsten, Städte und Adelsfamilien Europas vielfältige Kreuzesformen zum Bestandteil ihrer Wappen, darunter auch einige der Swastika ähnliche Formen. Wappen mit dem fylfot von der britischen Insel wurden in der Heraldik des 19. Jahrhunderts normiert.
Seit dem 15. Jahrhundert integrierten einige japanische Adelsfamilien die Swastika in ihre Wappen (Mon), so die Hachisuka und Nobuhira Tsugaru (1586–1631). Seit 1900 steht sie im Wappen der Stadt Hirosaki.
Das mittelalterliche Wappen der Patrizierfamilie Raven enthielt ein Hakenkreuz. Das Ehepaar Heinrich Becker und Dorothee Raven stifteten es der Marktkirche St. Jacobi (Einbeck) im Januar 1640 als Holzepitaph.
Populäres Glückszeichen
Seit etwa 1900 wurde die Swastika als Glückszeichen weltweit beliebt. Architekten nahmen sie in die Gebäudegestaltung auf, zum Beispiel für den Laguna-Damm in Arizona, einen Bahnhof in Buenos Aires, ein Einkaufszentrum in Sydney, die University of Chicago und das Brooklyn Museum.
Manche Unternehmen benutzten sie als Markenzeichen, so die Bahngesellschaft St. Louis, Rocky Mountain and Pacific Railroad Company (USA), die New Mexico Coal Company, die Fred Harvey Company für Juwelenschmuck, die dänische Brauerei Carlsberg ab 1882, die schwedische Firma ASEA, die norwegische Per Kure Norsk Motor- og Dynamofabrik und die isländische Dampfschiffahrtsgesellschaft Eimskip. Andere benutzten sie zur Werbung oder für ihr Produktdesign. Die Pacific Coast Biscuit Company warb 1916 für ihre Matzen mit der Swastika. Die Coca-Cola-Company warb 1925 mit einem Schlüsselanhänger in Hakenkreuzform. Sie bot 2003 in Hongkong die Plastikfigur Robowaru an, die zwei Swastiken auf der Brust trug. Nach Kritik jüdischer Verbände zog sie die Figur zurück. Die Buell Manufacturing Company stellte eine Decke namens „Moki“ mit vier Swastiken an den Ecken her, die laut Katalog „ein großes Lager mit vielen Zelten, Wasser und viel Glück“ darstellen sollte. Sie folgte damit indianischen Vorbildern.
Der Schriftsteller Rudyard Kipling ließ die Swastika in frühen Ausgaben seiner Werke als Schmuckzeichen abdrucken. Seitdem die NSDAP das Symbol benutzte, verzichtete er jedoch darauf. Ab 1920 gab auch die Firma Carlsberg die Swastika als Firmenlogo auf und vermied ab 1933 Swastikamotive in ihrer Werbung.
Um 1900 wurden in Eureka Springs (Arkansas) einige silberne Teelöffel mit Swastiken am Stiel als Souvenirs hergestellt. Sie hatten keinen Bezug zum NS-Hakenkreuz. Erst nach 1945 zog Gerald L. K. Smith, der 1944 die rechtsnationale antisemitische America First Party gegründet hatte, in jenen Ort.
Von 1905 bis 1916 spielte in Nova Scotia (Kanada) ein Eishockeyteam unter dem Namen Windsor Swastikas. Die 1912 gegründete Wäscherei Swastika Laundry in Dublin hatte die Swastika auf ihre Fahrzeuge lackiert. Um sie vom NS-Hakenkreuz zu unterscheiden, setzte sie 1939 das Gründungsdatum dazu. Heinrich Böll beschrieb 1957 einen Beinahezusammenstoß mit einem so lackierten Lieferwagen. Von 1913 bis 1916 gab ein „Girl's Club“ in den USA die Zeitschrift The Swastika heraus, die sich mit Alltagsthemen für Frauen befasste. Pokerchips waren mit Swastiken bedruckt. Ein Kinderbuch über einen kleinen Affen stellte die Swastika als seinen Talisman vor. Ein klassisches Musikerensemble nannte sich Swastika-Quartett. 1929 gab es in Raton (New Mexico) ein Swastika-Hotel. Die University of New Mexico gab bis 1939 ein Jahrbuch mit dem Titel The Swastika heraus.
Im Ersten Weltkrieg gab das British National War Savings Committee als Gegenwert für private Kriegsanleihen eine Medaille und Briefmarken mit dem Swastika-Emblem heraus. Eine US-Firma gab 1917 Münzen heraus, von denen manche die Swastika über dem Weißkopfadler (dem Nationalsymbol der USA) und die Aufschrift „Good luck“ trugen. Manche Piloten ließen ihre Flieger mit einer Swastika als Glückszeichen bemalen, so Fritz Beckhardt, ein deutscher Jude. 1924 zeigte Felix A. Theilhaber eine Fotografie davon, um an den beispielhaften Einsatz jüdischer Patrioten für Deutschland zu erinnern, bevor die Nationalsozialisten das Hakenkreuz für sich reklamierten und antisemitisch deuteten. Auch US-amerikanische Piloten, die damals für Frankreichs Fremdenlegion kämpften, flogen mit der Swastika. Eine Postkarte der 45. US-Infanterie-Division von 1920 trug die Swastika mit dem Spruch: May this emblem protect you well from every bullet, every shell („Möge dieses Emblem dich gut vor jeder Kugel, jeder Granate schützen“). 1927 ließ Charles Lindbergh für seinen bevorstehenden Atlantikflug die Propellernase seines Flugzeugs innen mit einer linksgerichteten Swastika bemalen und von allen Helfern signieren. 1938 ließ er sich vom NS-Regime einladen und nahm Hakenkreuzmedaillen von Hermann Göring als Geschenk an.
Seit 1911 trug das Dankabzeichen der Pfadfinder eine Swastika, seit 1922 auch ihre Verdienstmedaille. Der Gründer Robert Baden-Powell erklärte das 1921 mit der universalen Verbreitung des Glückszeichens, das er aus Indien kannte. Er zeigte aber auch Sympathie für Adolf Hitler und bemühte sich ab 1933 um Zusammenarbeit mit der Hitlerjugend. 1935 gab der britische Pfadfinderverband das Swastika-Emblem jedoch auf, um sich von der NSDAP abzugrenzen.
In Nordamerika gibt es die Ortschaften Swastika (Ontario) und Swastika (New York), den Swastika Lake in Wyoming und den Swastika Mountain in Oregon. Katharine Burdekin schrieb 1937 den Zukunftsroman Swastika Night.
Ab 1940 nach Beginn des Zweiten Weltkriegs verzichteten die Native Americans aus Protest gegen das NS-Regime auf traditionelle Swastikadekorationen. Die 45. Infanteriedivision ersetzte die Swastika auf den Schulterklappen ihrer Uniformen durch ein anderes Symbol. Bis 1942 blieben jedoch Wegmarken und der frühere indianische Handelsplatz Peach Springs an der Route 66 mit Swastiken dekoriert.
Symbol staatlicher Unabhängigkeit
Seit etwa 1890 verwendeten manche Militärverbände, Orden und Staaten die Swastika als Symbol nationaler und antimonarchistischer Unabhängigkeitsbestrebungen, seit 1918 auch im Rahmen faschistischer Strömungen.
Die durch die Februarrevolution 1917 in Russland zur Macht gelangte provisorische Regierung unter Alexander Fjodorowitsch Kerenski druckte eine Swastika als Unabhängigkeitszeichen auf ihre Banknoten. In der Republik Polen benutzten die Podhale-Schützen einiger Gebirgstruppen von 1918 bis 1939 Abzeichen mit einer Swastika. Die unabhängige Republik Lettland verlieh von 1920 bis 1928 als höchste nationale Auszeichnung den Bärentöterorden, eine rechtsgewinkelte Swastika. Diese kam schon seit der Römerzeit in der lettischen Ornamentik und Folklore vor und wird dort als Feuerkreuz gedeutet. Ein senkrechtes blaues Hakenkreuz war von 1918 bis 1945 Hoheitszeichen der Luftstreitkräfte Finnlands. Den Anlass dazu gab der schwedische Entdecker Eric von Rosen, der den Finnen 1918 ein mit einer blauen Swastika verziertes Flugzeug schenkte. Das Hakenkreuz blieb trotz Änderung des Hoheitszeichen in den finnischen Luftstreitkräften bis zum Jahr 2020 als Symbol auf Flugzeugen und Flaggen von Geschwadern erhalten. Die Ordenskette (Collane) der Finnischen Weißen Rose enthielt von 1919 bis 1963 neun Swastiken, die den Unabhängigkeitskampf gegen Russland symbolisieren sollten.
Der Finnische Orden des Freiheitskreuzes enthält die Swastika weiterhin, ebenso die Flagge des finnischen Staatspräsidenten. Von 1925 bis 2010 führte die autonome Republik Guna Yala in Panama eine Nationalflagge mit einem nach links gewinkelten Hakenkreuz in der Mitte. Als Urheber wird der US-Amerikaner Richard Marsh vermutet, der von europäischer völkischer und rassistischer Literatur beeinflusst war und Panama einem Marionettenregime der USA unterwerfen wollte. Andere deuten diese Swastika als Symbol für den Oktopus, der in der Mythologie der Kuna die Welt erschuf.
Antisemitischer und rassistischer Gebrauch
Turnerbewegung
1844 erfanden Anhänger des „Turnvaters“ Friedrich Ludwig Jahn das Turnerkreuz, das den Wahlspruch „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ mit vier kreuzförmig angeordneten Buchstaben F abkürzt. 1880 beschloss die Deutsche Turnerschaft (DT) ein Bundesbanner, dessen Rückseite die vier F in Form einer Swastika anordnete, jedoch ohne sie völkisch zu deuten. 1888 schloss die DT österreichische Vereine aus, die entgegen den Statuten Juden ausgrenzten. Daraufhin bildeten diese 1889 einen „Deutschen Turnerbund“, aus dem der heutige DTB hervorging. Er pflegte damals das „Deutschtum“ und nahm nur „Arier“ auf. Viele deutsche Turnvereine traten ihm bei. Dort wurde das „Turnerhakenkreuz“ mit vier nach rechts gewinkelten und kreisförmig gerundeten F üblich. 1919 machte der DTB es zu seinem Emblem.
1920 übernahm der Deutsche Turnverband, der auch tschechische und österreichische Vereine umfasste, dieses Emblem. 1923 begrüßte er Hitler und die NSDAP. Einige Turner meinten im internen Vereinsblatt, das Turnerkreuz sei kein Hakenkreuz. Die meisten betonten dagegen, es sei ein Hakenkreuz, zwar nicht im parteipolitischen Sinn, aber als völkisches „Symbol arischer Reinheit und des deutschen Wiederaufstiegs“. Wegen dieser deutschnationalen Tradition vollzog die Turnerschaft 1924 die „reinliche Scheidung“ von anderen Sportverbänden. Zum 15. Turnerfest im Juli 1933 lud der DTB Hitler als Hauptredner ein und beschrieb sich als Wegbereiter des „Dritten Reiches“. Der Titel des Vereinsblatts trug Turnerkreuz und Hakenkreuz nebeneinander; in einem Propagandafilm über das Turnfest verschmolzen beide zur Einheit.
Esoterik, Okkultismus, Lebensreform
Seit etwa 1880 fanden Esoterik, Spiritualismus und Okkultismus in Europa und den USA Zulauf. Diese Strömungen überlappten sich in Deutschland und Österreich mit der Völkischen Bewegung. Sie werden als Reaktion auf Industrialisierung, Verstädterung und Kapitalismus gedeutet.
1875 gründete die Exilrussin Helena Petrovna Blavatsky in den USA die Theosophische Gesellschaft. Im ersten Band ihres Hauptwerks Die Geheimlehre (1888) entwarf sie eine spekulative Kosmologie, die an Hinduismus und Buddhismus anknüpfte. Der zweite Band beschrieb die Menschheitsentwicklung als Abfolge von „Wurzelrassen“ und behauptete eine gegenwärtige und zukünftige Dominanz der „Arier“. Jedem Stadium der zyklisch vorgestellten Evolution ordnete sie esoterische Symbole zu, darunter die Swastika. Diese integrierte sie 1891 neben Antoniuskreuz und Davidstern in das Emblem ihrer Gesellschaft. Der Arzt Franz Hartmann verbreitete die Theosophie ab 1885 in Europa. Er veröffentlichte dazu von 1892 bis 1900 die Zeitschrift „Lothusblüten“, die als erste deutschsprachige Publikation die Swastika im Titelblatt trug. Blavatskys Theosophie gilt als starker Impuls im modernen Rassismus.
Auch der Buddhismus fand in Deutschland damals Anhänger. Karl Seidenstücker, der sich strikt von der Theosophie abgrenzte, popularisierte ihn mit einer Reihe von Zeitschriften. Die Monatszeitschrift Der Buddhist trug ab 1905 je eine rechts- und linksgewinkelte Swastika. Nachdem die NSDAP das rechtsgewinkelte Hakenkreuz zum Parteizeichen gemacht hatte, trug das Titelblatt nur noch eine linksgewinkelte Swastika.
Die Swastika, verstanden als Sonnensymbol und Kennzeichen der Arier, wurde um 1900 auch in der deutschen Lebensreform- und Jugendbewegung und der Freikörperkultur beliebt. So bildete sich unter vielen Bünden von FKK-Anhängern 1907 in Berlin auch eine theosophisch orientierte Loge „Swastika“.
Auch Alfred Schuler war von der Theosophie beeinflusst. Ab 1900 erhob er die Swastika zum Symbol seines Denkens, mit deren Hilfe das vitale, nach Höherem strebende Leben zu erneuern sei. Das christliche Kreuz sei eine kastrierte Swastika, die sich nicht mehr drehe und darum das alte Leben zum Stillstand gebracht habe. Zu seinem Nachlass gehörte das antisemitische Gedicht Epilogus: Jahwe-Moloch mit den Zeilen: „Ans Herz des Lebens schlich sich Marder Juda. […] Morde den Vater, eh daß er dein Kind, deine Seele frißt, und entfeßle die Urknäul, das hundertspeichige Feuerrad.“ Gemeint war die Swastika, die hier erstmals als Werkzeug eines Mordes am Judentum (der Vater steht für dessen Gott JHWH) erschien.
Der Dichter Stefan George übernahm die Swastika von Schuler als Symbol für den Eros und den Koitus, zunächst als Dekoration für Liebesgedichte. Ab 1916 machte der George-Kreis die Swastika zum Signet seiner Blätter für die Kunst für besondere, von ihm herausgegebene Werke. Bevor Georges letztes Werk (Das Neue Reich, 1927) erschien, betonte der Georg Bondi Verlag, das Signet habe nichts mit Politik und dem NSDAP-Hakenkreuz zu tun.
Völkische Bewegung
Die um 1880 entstandene Völkische Bewegung bevorzugte zunächst den Mjölnir als Abzeichen, so die Zeitschrift Der Hammer (1902–1940). Nachdem man germanische Artefakte mit Swastikagravuren gefunden hatte, propagierten vor allem die Alldeutschen das „Hakenkreuz“ als ihr Symbol, so die völkische Zeitschrift Heimdall. In dem dort veröffentlichten Gedicht „Sonnenwende“ von 1899 hieß es: „Laßt die Sonnenrune funkeln, Hakenkreuz erstrahl’ im Dunkeln…“
Damals wuchs in der Völkischen Bewegung der Einfluss der Ariosophie, einer rassistischen Variante der Theosophie. 1907 hisste Jörg Lanz von Liebenfels auf der von ihm erworbenen Burg Werfenstein in Österreich eine Fahne mit einem roten Hakenkreuz, das den Wiederaufstieg „zu den uralten Höhen reinblütigen deutschen Heldentums“ symbolisieren sollte. Damit wurde die Swastika erstmals öffentlich als antisemitisches Zeichen verwendet.
Guido von List sah das Hakenkreuz im Anschluss an Ludwig Wilser und andere als „germanische Rune“ und Geheimzeichen „urarischen Weistums“, somit als Schriftzeichen für die Sonne in einer Ursprache, die die Arier als angebliche Rasse von Kulturgründern besessen hätten. Seine Schrift Das Geheimnis der Runen (1908) war von Blavatskys „Geheimlehre“ beeinflusst. Darin ergänzte er ein jüngeres skandinavisches Runenalphabet mit zwei von ihm erfundenen Runen, die der Swastika ähnelten. So sollte diese die Runenschrift vervollständigen.
Wilhelm Schwaner gab seit 1897 die Zeitschrift Der Volkserzieher heraus, deren Titelseite 1907 erstmals ein Hakenkreuz trug. Im selben Jahr gründete er den Bund deutscher Volkserzieher, der ein Hakenkreuz als sein Abzeichen wählte. 1912 gründete er mit dem Maler Ludwig Fahrenkrog die neuheidnische Germanische Glaubens-Gemeinschaft (GGG), die ebenfalls das Hakenkreuz (hier in gold auf blau) betonte. 1913 erschien Schwaners Buch Unterm Hakenkreuz, Bundesbuch der Volkserzieher. Es war für ihn (wie für alle derartigen völkischen Gruppen) ein Heilszeichen der „arischen Rasse“. Damit sollte der Pangermanismus das Christentum und seine Symbole ersetzen.
Diesen Vorbildern folgten schon vor dem Ersten Weltkrieg viele völkische Organisationen, darunter der antisemitische und ariosophische Germanenorden und die Deutschvölkische Partei (DVP). Diese versuchte seit 1914 erfolglos, alle völkischen und antisemitischen Strömungen zu sammeln. 1917 machte sie ein Hakenkreuz zum Titelemblem ihres Parteiorgans Deutschvölkische Blätter. Auch der Wandervogel machte ein Hakenkreuz 1917 zu seinem Abzeichen und erklärte es als „alte Germanenrune“, „Zeichen des Höherstrebens, der steten Entwicklung, des Werdens“ und Bekenntnis zum „bewussten Deutschwillen“, der gemäß dem Wahlspruch „aus dem Dunklen ins Helle“ strebe.
Hakenkreuze tauchten ab 1910 öfter in völkischen Romanen auf. So ließ Hermann Löns die Kapitelenden seines Bestsellers Der letzte Hansbur (1910) wegen der „volkstümlichen Deutungen“ und „rein gefühlsmäßig durch den unmittelbaren graphischen Eindruck“ mit verschiedenen Hakenkreuzen dekorieren. Hermann Burte stilisierte seinen Romanhelden Wiltfeber (1912) mit bewusster Analogie zum Ewigen Juden als heimatlosen blonden Wanderer. Dieser zeichnet im Roman bei seiner Rückkehr in sein Heimatdorf ein Hakenkreuz in den Sand, worauf ein Alteingesessener bemerkt: „Glaubst du daran? Ha, wenn das wieder lebendig würde!“ Ernst Wiechert ließ seinen Roman Der Totenwolf (1924) nach dem gescheiterten Hitlerputsch mit einem schwarzweißroten Schutzumschlag und dem als Sonnenrad stilisierten Hakenkreuz veröffentlichen. Damit verwarf er einen Umschlagentwurf ohne Hakenkreuz seines Verlegers.
Für antisemitische russische Monarchisten symbolisierte die Swastika ihre Opposition zur russischen Oktoberrevolution 1917, die sie auf ein angebliches Weltjudentum zurückführten. Dieses radikal zu bekämpfen, betrachteten sie als Vermächtnis der von Bolschewiki ermordeten letzten Zarin Alexandra Fjodorowna. Diese hatte ihr Schlafzimmer mit einer Swastika als Glücks- und Segenszeichen verzieren lassen. In ihrem Nachlass fand man die antisemitische Verschwörungstheorie der Protokolle der Weisen von Zion.
Im Oktober 1918 trat ein „Deutscher Volksrat“ unter der Führung des „völkischen“ Literaten Heinrich Pudor an die Öffentlichkeit, der mit dem Hakenkreuz als Symbol zu Pogromen gegen Juden aufrief. In der Novemberrevolution wurde das Hakenkreuz neben Schwarz-Weiß-Rot zum Hauptkennzeichen der Revolutionsgegner, darunter einiger Freikorps und der völkisch-rassistischen Thule-Gesellschaft. Es erschien als Graffito an Wänden und auf Straßen, als Uhranhänger oder Bierzipfel, Anstecker oder Brosche, auf Zeitungen, Zeitschriften und Broschüren, an Panzerwagen oder LKW. Viele Schulen mussten ein Trageverbot erlassen, um Schlägereien zu verhindern. Nach Rudolf von Sebottendorf wurde die schwarz-weiß-rote Hakenkreuzfahne zum ersten Mal im Mai 1919 bei einer Trauerfeier der Thule-Gesellschaft für die sieben Mitglieder verwendet, die am 30. April von Soldaten der Münchner Räterepublik erschossen worden waren: Auf einer während der Niederschlagung der Räterepublik erbeutete Fahne der KPD soll ein weibliches Thule-Mitglied Hammer und Sichel mit einem Hakenkreuz auf weißem Feld überstickt haben. Die Marine-Brigade Ehrhardt trug es beim Kapp-Putsch im März 1920 auf ihren Stahlhelmen und bekundete damit ihren Willen, die aus der Novemberrevolution entstandene Weimarer Republik zu beseitigen. Für viele Mitglieder der Freikorps war das Hakenkreuz Teil ihrer „Landsknechtmode“, die ihr kriegerisches Auftreten demonstrierte.
Nationalsozialismus
Adolf Hitler soll das Hakenkreuz erstmals 1895/1896 als Ministrant im Stift Lambach gesehen haben, wo es im Wappen eines ehemaligen Abtes (Theoderich Hagn, Amtszeit von 1858 bis 1872) abgebildet war. Er kannte aus der von Liebenfels herausgegebenen Zeitschrift Ostara wahrscheinlich auch dessen antisemitische Deutung.
Friedrich Krohn, Mitglied des Germanenordens und der Thule-Gesellschaft, schlug der frisch gegründeten DAP im Mai 1919 ein nach links gewinkeltes schwarzes Hakenkreuz in einem weißen Kreis auf rotem Grund als Parteisymbol vor (Ist das Hakenkreuz als Symbol der nationalsozialistischen Partei geeignet?). Es sei nach buddhistischer Deutung ein Talisman für Glück und Gesundheit. Die Ausrichtung nach links folgte den Theosophen und dem Germanenorden. In dem nach rechts gewinkelten Hakenkreuz, das Guido von List und die Thule-Gesellschaft bevorzugten, sah Krohn dagegen ein Symbol des Untergangs und Todes.
Im Herbst 1919, als er wichtigster Redner der DAP geworden war, bedauerte Hitler, „daß den Parteigenossen jedes äußere Kennzeichen ihrer Zusammengehörigkeit fehlte […], das den Charakter eines Symbols der Bewegung besaß und als solches der Internationale entgegengesetzt werden konnte“. Für eine möglichst effektive NS-Propaganda suchte er ein „Symbol von großer plakatmäßiger Wirkung“, das auch die Völkische Bewegung, die Deutschnationalen und Teile der Christen ansprechen und einbinden sollte. Das Hakenkreuz erschien dafür geeignet, weil es als völkisch-germanisches und antisemitisches Symbol etabliert war und nicht erst neu erfunden werden musste. Auf Hitlers Wunsch ersetzte Krohn seinen Entwurf durch ein nach rechts gewinkeltes geradarmiges Hakenkreuz. Dass der Richtungswechsel ein Lebenszeichen in ein Todeszeichen verkehren sollte, ist unbelegt. Nachdem sich die DAP zur NSDAP umbenannt hatte, erschien diese Form am 20. Mai 1920 beim Gründungstreffen der Starnberger NSDAP-Gruppe erstmals als Fahne. Die altösterreichischen Nationalsozialisten übernahmen es im Frühsommer 1920. Bei ihrer Tagung in Salzburg am 7. August 1920 übernahm auch die NSDAP diese Hakenkreuzform als ihre Parteifahne.
Der Österreicher Ottokar Kernstock (1848–1928) komponierte 1923 das Hakenkreuzlied für eine Fahnenweihe der Fürstenfelder Ortsgruppe der Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiterpartei (DNSAP). Nach Protesten aus der Christlichsozialen Partei und der römisch-katholischen Kirche erklärte er, „jeder gute Deutsche“ habe damals mit den ursprünglichen „idealen Zielen“ der Nationalsozialisten einverstanden sein müssen. Kernstocks Lied wurde wie auch Kleo Pleyers Lied Wir sind das Heer vom Hakenkreuz bei Massenveranstaltungen der NSDAP oft gesungen und gehörte zu den fünf wichtigsten Parteiliedern.
Hitlers Umschlagsentwurf für die Erstausgabe seiner Programmschrift Mein Kampf (1925) trug über dem ursprünglich geplanten Titel Die germanische Revolution eine wehende Hakenkreuzfahne als Mittelpunkt einer strahlenden Sonne. Diese Verbindung sollte den „Sieg des Lichts“ (der „arischen Weltanschauung“) über die Mächte der Finsternis, vor allem das Judentum, symbolisieren. In der Schrift erklärte Hitler den Sinn der Parteifahne:
Aus dem Wiedererkennungswert und der raschen Reproduzierbarkeit des Hakenkreuzes erklären manche Historiker auch die Erfolge der NSDAP im „symbolpublizistischen Bürgerkrieg“ der frühen 1930er Jahre.
1930 äußerte Hitler sich zum Verhältnis von Kreuz und Hakenkreuz, um seinen Rassismus und Nationalismus mit der christlichen Tradition in Vereinbarung zu bringen:
Hitler sah den Germanenkult als altmodisch an und lehnte ihn wegen mangelnder Kulturleistungen als NS-Gründungsmythos ab. Die indische Swastika sah er als vergangenes Merkmal von „hochstehenden arischen Einwanderern“, die sich mit der „dunkelschwarzen Urbevölkerung“ vermischt hätten und deshalb von den Briten versklavt worden seien. Kulturschaffend waren für ihn nur weiße Nordeuropäer und nur so lange, wie sie „reinrassig“ blieben. Die indische Herkunft der Swastika spielte für ihn und andere führende Nationalsozialisten keine Rolle mehr. „Arier“ bedeutete für sie nur noch „Germanen“ als ausschließender Gegenbegriff zu „Juden“.
Alfred Rosenberg, Robert Ley und Heinrich Himmler dagegen sahen das Hakenkreuz als archaisches Heilszeichen der germanisch-arischen Frühgeschichte. Um diese pseudowissenschaftlich als Wurzel des angestrebten „Dritten Reichs“ auszugeben, schrieb Rosenberg in seinem Werk Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1930):
In völkischer Tradition leitete er das Hakenkreuz vom Sonnenrad ab, das er auch als kosmisches Prinzip (Schöpfrad) auffasste, und verknüpfte es mit dem Manichäismus (Gut-Böse-Dualismus) des persischen Zoroastrismus und der nachchristlichen Gnosis.
Die SPD und die Eiserne Front versuchten 1932, der Hakenkreuzpropaganda der NSDAP mit eigenen Symbolen entgegenzutreten: Ihre Zeitungen und Plakate zeigten drei Pfeile, die sich von oben auf das Hakenkreuz richteten oder es durchbohrten. Die Idee stammte von Sergej Tschachotin.
Zur Beruhigung seiner deutschnationalen bürgerlichen Anhänger hatte Hitler immer betont, dass die rote Hakenkreuzflagge nicht nur den antisemitischen „nationalen Sozialismus“ symbolisiere, sondern auch die alten Reichsfarben Schwarz-Weiß-Rot enthalte. Gemäß der Koalition von NSDAP und DNVP nach der Reichstagswahl 1933 (12. März) wurden Schwarz-Weiß-Rot und Hakenkreuzflagge nebeneinander zu Nationalflaggen erklärt: die Hakenkreuzflagge als allgemeine Staatsflagge und Schwarz-Weiß-Rot als Reichskriegsflagge.
Am 19. Mai 1933 erließ das NS-Regime das „Gesetz zum Schutze der nationalen Symbole“. Es sollte sie vor „Kitsch“ bewahren, ihren rein kommerziellen Gebrauch begrenzen und die Deutschen stärker an die NS-Ideologie binden. Dazu mussten die Zeitungen Listen von erlaubten und nicht erlaubten Hakenkreuz-Darstellungen drucken. Erlaubt waren Hakenkreuze etwa auf Fahnenmasten, als Weihnachtsbaumspitzen, auf Neujahrspostkarten, auf Hitlerportraits und als wertvolle Schmuckgegenstände. Verboten waren sie auf Pralinen- und Zigarettenschachteln, Fußbällen, Bratwürsten und als massenhaft hergestellter Billigschmuck. Damit versuchte das Regime, einen symbolverstärkenden von einem symbolentweihenden Gebrauch zu unterscheiden. Zugleich wurde das Hakenkreuz in vielfältigen Formen massenhaft hergestellt. Es erschien unter anderem als Wimpel, Armband, Anhänger, Briefbeschwerer, Schallplattenhülle, auf Pokalen, Besteck, Tauschkarten, als Bausatz für Kinder, besticktes Kissen, Kaminsims, Wand- und Tapetenmuster oder Abziehbild. So war es im Alltag überall präsent.
Seit dem Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 galt die Hakenkreuzflagge als einzige National- und Handelsflagge. Dabei sollte das Ineinander, nicht mehr das Nebeneinander der drei Farben die Verwandlung und Vollendung des alten Reiches zu einer neuen Ganzheit symbolisieren. Im Zweiten Weltkrieg äußerte Hitler in seinen „Tischgesprächen“, er habe die alten Reichsfarben abgeschafft, da diese nur für das „Bismarck-Reich“ gestanden hätten; ihm sei es darum gegangen, ein neues Symbol für das neue „Germanische Reich deutscher Nation“ zu schaffen.
Der Propagandafilm Triumph des Willens von Leni Riefenstahl inszeniert das Hakenkreuz mit riesenhaften Einstellungen und Überblendungen als Zentrum einer faschistischen Ästhetik. Es steht für die NSDAP, die nationalsozialistische Bewegung, das deutsche Volk, Hitler, die „Machtergreifung“ und die Gleichschaltung. Es vermittelt diese nicht nur, sondern enthält ihre unmittelbare Gegenwart, etwa indem marschierende Massen in seine schwarzen Balken eingeblendet sind.
Neben den Nationalsozialisten verwendeten auch Teile der Deutschen Christen (DC) Hakenkreuze in ihren Symbolen. Nachdem sie 1933 die Führung einiger evangelischer Landeskirchen erreicht hatten, brachten einige von ihnen dominierte Kirchengemeinden Hakenkreuze auf ihren Kirchtürmen an, darunter mindestens neun allein in Thüringen. Auch die 1933 entstandene „Deutsche Glaubensbewegung“, die als Gegensatz und Alternative zum Christentum völkische Kultformen herausbilden wollte, hatte als Symbol ein abgerundetes Hakenkreuz, ähnlich dem der Thule-Gesellschaft. Infolge des Kirchenkampfes distanzierte sich das NS-Regime jedoch 1937 von den Thüringer DC, die eine Nationalkirche anstrebten, und verbot ihnen die gleichzeitige Verwendung von Kreuzen und Hakenkreuzen, also ihre Embleme. Auf Anordnung der Gestapo mussten sie Hakenkreuzflaggen von Kirchtürmen abhängen, da diese gegen das Gesetz zum Schutz nationaler Symbole verstießen.
Rechtsextremismus seit 1945
Im Rechtsextremismus, besonders im Neonazismus, blieb das Hakenkreuz ein verbindendes Identitäts- und Erkennungsmerkmal. Um der Strafbarkeit zu entgehen, wird es auf Flaggen von Neonazis manchmal grafisch verändert oder durch Zeichen mit ähnlichem Sinngehalt ersetzt: etwa durch Keltenkreuz, Odalrune, Schwarze Sonne, Varianten der Siegrune, Wolfsangel, Triskele oder Mjölnir.
Manche nationalistischen Hindus hatten das NSDAP-Hakenkreuz ab 1920 als Zeichen einer gemeinsamen arischen Rasse betrachtet und Hitler als möglichen Verbündeten gegen den britischen Kolonialismus begrüßt. Im Anschluss daran stellte die Wahlinderin Savitri Devi Hitler als Avatar des Gottes Vishnu dar und glaubte somit an seine Wiedergeburt. Sie fand nach 1945 viele Anhänger im europäischen Neonazismus. Rechte Esoterik knüpfte an die Swastika allerlei Verschwörungstheorien, etwa eines nazistischen Geheimbunds in Tibet, wobei der Nationalsozialismus als okkult-esoterische Bewegung gedeutet wird, um völkisch-rassistische Konzepte fortzuführen. Mit Hinweis auf solche Allianzen sieht Victor Trimondi die Swastika als Zeichen rassistischer Elemente im Hinduismus und Buddhismus selbst. Der belgische Indologe Koenraad Elst weist diese These als Fehldeutung zurück.
Die Neonazis der seit 2010 bestehenden mongolischen Gruppe Tsagaan Chas („Weiße Swastika“) tragen das unveränderte NS-Hakenkreuz. Manche russische Rechtsextreme verwenden eine doppelte („slawische“) Swastika mit acht Haken, genannt Kolovrat. Um 1995 gab sich eine russische Neonaziband diesen Namen. Der Leiter der Partei Russische Nationale Einheit in Moskau, Konstantin Nikitenko, gründete 1997 eine „Spezialorganisation“ namens Kolovrat für die militärische Ausbildung der Parteijugend.
Weitere Verwendungen
Öffentlicher Raum
Bei der Entnazifizierung in der frühen Nachkriegszeit wurden Hakenkreuze der NS-Zeit weitgehend aus dem öffentlichen Raum entfernt. Oft wurden jedoch Orden und Symbole der NS-Zeit ohne Hakenkreuz weiterverwendet, wie es das Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen von 1957 erlaubte. Ab den 1960er Jahren galt dies vielen als deutliches Indiz einer mangelnden Vergangenheitsbewältigung.
Manche Hakenkreuze blieben länger erhalten. So wurde der 1938 angepflanzte Hakenkreuzwald bei Zernikow nach 1945 vergessen. Die Form war im Herbst und Frühjahr an der anderen Nadelfärbung aus der Luft erkennbar und wurde erst 1992 auf Luftaufnahmen wiederentdeckt. Nach internationalen Presseberichten wurden 1995 und 2000 einige Baumreihen gefällt und so das Symbol unkenntlich gemacht. Baumpflanzungen in Hakenkreuzform gab es auch bei Asterode, in Jesberg, in Wiesbaden, Thüringen, Nordrhein-Westfalen, bei Berlin und in Kirgisistan.
Der Turm des 1935–1937 erbauten Gemeindehauses der Christuskirche in Dresden-Strehlen wurde mit einem „liegenden“ Hakenkreuz am Äquator einer (symbolischen) Weltkugel als Turmknauf ausgestattet. Nach den Luftangriffen auf Dresden wurde das Gemeindehaus in DDR-Zeiten ein wichtiges kirchliches Kulturzentrum, blieb aber trotzdem (und ist es bis heute) durch Turmspitze mit (Welt-)Kugel und Hakenkreuz bekrönt.
Die 1992/93 von dem dänischen Künstler Per Kirkeby geschaffene Backsteinplastik Huset in Frechen-Bachem zeigt aus der Vogelperspektive betrachtet einen Grundriss mit innerer Struktur in Form einer Swastika. Obgleich das Bauwerk im Vergleich zum NS-Hakenkreuz nach links gewinkel „spiegelverkehrt“ ist und lediglich ein stilisiertes Sonnenrad darstellt, wurde es bereits irrtümlich als Mahnmal für Opfer des Nationalsozialismus gedeutet.
In den USA stieß der jüdische Bürgerrechtler Avrahaum Segol 2007 auf ein Militärgebäude der US-Navy bei San Diego und 2008 auf das Altenheim Wesley Acres Retirement Home in Decatur (Alabama), deren Grundrisse aus der Vogelperspektive wie Hakenkreuze aussahen. Er vermutete darin eine versteckte Ehrung deutscher Wissenschaftler, die in der NS-Zeit deutsche Waffen entwickelt und danach am NASA-Raketenprogramm mitgewirkt hatten. Die Träger betonten, die Form sei keine vorsätzliche NS-Propaganda gewesen, und versprachen einen Umbau der Gebäude.
In Deutschland gab es 2018 in evangelischen Kirchen noch mindestens 22 sogenannte Hitler-Glocken, also Kirchenglocken mit Hakenkreuzen und/oder nationalsozialistischen Widmungen. Einige wurden abgehängt, andere auf Beschluss der Gemeinderäte vorläufig hängen gelassen. Auch im Schloss Wolfpassing (Österreich) hing eine solche Glocke, über die 2013 öffentlich diskutiert wurde. Besonders bekannt wurde die „Hitler-Glocke“ in der Jakobskirche in Herxheim am Berg. 2017 beschloss die Gemeinde Rilchingen-Hanweiler, die Glocke abzuhängen, sie später eventuell einem Museum zu übergeben und die Hakenkreuze darauf vorläufig abzudecken. Auch in der Kreuzkirche von Schweringen befand sich noch eine mit Hakenkreuz versehene Glocke.
Im November 2017 stieß ein Baggerfahrer bei Bauarbeiten auf einem Sportplatz in Hamburg-Billstedt in 40 Zentimeter Tiefe unter der Grasnarbe auf ein 16 Quadratmeter großes Hakenkreuz aus Beton. Es sollte zeitnah mit Presslufthämmern zerstört werden.
Der Eimsbütteler TV behielt zwei „Turnerhakenkreuze“ an einer alten Sporthalle, weil sie laut einer Expertenkommission vor 1910 angebracht worden waren. Seit 2010 erinnert eine Gedenktafel an die rassistisch-antisemitische Bedeutung dieser Symbole. Auch ein Swastika-Bodenmosaik im Botanischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München stammt aus vornationalsozialistischer Zeit.
Seit 1980 entfernt, übermalt oder verändert die Rentnerin Irmela Mensah-Schramm Hakenkreuz-Graffiti in ganz Deutschland. Sie nahm dafür wiederholt strafrechtliche Verurteilungen in Kauf und dokumentierte ihre Arbeit im September 2017 in einer Ausstellung.
Manche privaten Grabmale der NS-Zeit tragen bis heute Hakenkreuze, die nur mit Einverständnis der Eigentümer entfernt werden können. Auch manche Gräber deutscher Soldaten, die als Kriegsgefangene im Zweiten Weltkrieg in den USA verstarben, tragen Hakenkreuze. Im Mai 2020 wollten jüdische Aktivisten mehrere dieser Hakenkreuze von Grabsteinen entfernen lassen. Die zuständige Veteranenverwaltung lehnte ab.
Karikatur, Kunst, Handel
Im Jahr 1920 wurde mitgeteilt, dass die Farbwerke Hoechst das Hakenkreuz als Markenzeichen für das Medikament Salvarsan eintragen ließen. Doch auch zu dieser Zeit regte sich Kritik, weil die völkische Bedeutung dieses Zeichens in breiteren Bevölkerungskreisen bekannt war.
Antifaschisten nutzten das Hakenkreuz seit den 1920er Jahren in politischen Karikaturen als Metapher zur Kritik am Nationalsozialismus. Willi Münzenberg zeichnete 1923 einen alkoholisierten Wikinger mit Hakenkreuzflagge und der Textzeile „Die moralische Erneuerung des deutschen Volkes“. John Heartfields Fotomontage „Der alte Wahlspruch im ‚neuen Reich‘: Blut und Eisen“ zeigte vier blutige Äxte als Rutenbündel in Hakenkreuzform. So entlarvte er das abstrakte NS-Symbol als konkretes Mittel tödlicher Gewalt in der Tradition der Kriege Otto von Bismarcks und des italienischen Faschismus. Boris Artzybasheff nutzte das Hakenkreuz für viele seiner surrealistischen Karikaturen, etwa als grotesk verzerrtes überdimensionales Gesicht Hitlers, umgeben von vielen ranghohen NS-Führern und szenischen Details in Hakenkreuzform. Er deckte mit dieser Verfremdung die Illusion des faschistischen Mythos der Volksgemeinschaft auf.
Bilder arabischer Medien zum Israel-Palästina-Konflikt kombinieren das Hakenkreuz seit 1967 oft mit dem Davidstern und setzen damit Israel plakativ mit dem NS-Staat, Israels Palästinenserpolitik mit dem Holocaust gleich. Diese Verbindung der Symbole wird als antisemitisches Stereotyp eingestuft, das Holocausttäter mit Holocaustüberlebenden gleichsetzt.
1970 zeichnete Rainer Hachfeld Arme und Beine mit dem Konterfei des CSU-Politikers Franz Josef Strauß in einer Hakenkreuzform in weißem Kreis auf rotem Hintergrund. Dazu zitierte er eine Aussage von Strauß auf dem CSU-Bundesparteitag jenes Jahres, er wolle eine „Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes“ bilden. Strauß klagte gegen die Karikatur und erreichte ihr Verbot. Jedoch hatte der Gutachter Ernst Maria Lang erklärt, Hachfeld habe nicht Strauß als nazistische Gefahr, sondern die unkontrollierbare Gefahr zeigen wollen, in die Strauß selbst durch seine emotionalisierende Rhetorik geraten könne.
Der „Eisenmann“ ist eine aus Metall geschnitzte Figur mit einer Swastika auf der Brust, die Ernst Schäfer 1938 aus Tibet nach Deutschland mitgebracht hatte. Sie wurde 2012 wiederentdeckt und an der Universität Stuttgart metallurgisch analysiert. Das Material wurde als Bruchstück des etwa 15.000 Jahre alten, 1913 gefundenen Chinga-Meteoriten identifiziert. Die Figur wurde zunächst auf etwa 1100 datiert und als buddhistische Gottheit gedeutet, wird heute aber als zwischen 1915 und 1938 hergestellt eingestuft.
Der deutsche Künstler KP Brehmer schuf 1967 das Werk „Deutsche Werte“, das Briefmarken der NS-Zeit mit Hakenkreuz, Hitler-Kopf und dem Satz „Deutschland erwache“ vergrößert und persifliert. Es war Teil einer Ausstellung, die der Galerist René Block unter dem Titel „Hommage an Lidice“ 1968 in West-Berlin und Prag organisierte, um an das Massaker von Lidice 1942 zu erinnern und eine geplante Gedenkstätte dafür zu unterstützen. Die Objektkunst „The Bench“ von Edward Kienholz (1974) reihte acht von 1938 bis 1970 hergestellte deutsche Radioempfänger auf, von denen einige Swastiken trugen, die bei späteren Modellen im Gehäuse versteckt oder äußerlich entfernt worden waren. Er beschrieb das Werk als symbolische Biografie eines deutschen Mannes, der den Nationalsozialismus erlebt und akzeptiert, dann versteckt und verdrängt habe.
Der israelische Künstler Moshe Gershuni integriert seit 1981 NS-Hakenkreuze in seine Malerei. Sein Werk „Victory“ von 1985 wird durch zwei Hakenkreuze kompositorisch gegliedert. Auf ihnen befinden sich Lobzitate aus der jüdischen Liturgie, deren Schlüsselworte „Herrlichkeit, Ewigkeit, Macht, Ruhm“ auch für die NS-Rhetorik zentral waren. Das Bild enthält auch den Davidstern und Fragezeichen. Es wird als provokativer Akt gedeutet, der die Front zwischen Opfern und Tätern, Gott und Teufel, Gut und Böse in Frage stellt.
Art Spiegelman zeichnete die Hakenkreuzflagge in seinem preisgekrönten Comic Maus – Die Geschichte eines Überlebenden (1980–1985; als Buch 1989–1991) im Kontrast zu den stilisierten Figuren als reales, überdimensionales Objekt, das Dominanz und totalitären Anspruch der Nationalsozialisten auf den öffentlichen Raum veranschaulicht und bei den als Mäuse stilisierten Juden schon beim ersten Anblick ein unbeschreibliches Grauen auslöst, eine Vorahnung des ihnen bevorstehenden Holocaust. In einer weiteren Bildfolge bildet das Hakenkreuz den allgegenwärtigen Hintergrund, vor dem sich gewaltvolle Szenen der sich steigernden Judenverfolgung abspielen. Auf diese Weise stellt der Autor dar, wie der Rassismus den Alltag seiner Opfer betraf. Das Hakenkreuz dokumentiert die treibende Kraft in der Geschichte dieses Rassismus und lädt Leser ein, dessen Bedeutung für die Opfer nachzuempfinden. Unter dieser Flagge werden die Opfer als Juden und die Täter als deutsche Nazis definiert und als getrennte Gruppen gegenübergestellt, so dass ihrer aller Individualität unterdrückt wird. Das Hakenkreuz symbolisiert also das Mittel des charismatischen Führers in einer rassistischen Gesellschaft, Verfolgern wie Verfolgten die erwünschte Identität aufzuzwingen.
Subkultur
Manche Fußball-Hooligans, Hells Angels, Skinheads und Punks, die sich nicht als Neonazis sehen, verwenden neben anderen Symbolen auch das Hakenkreuz, um andere zu provozieren und zu schockieren. In Großbritannien trugen Punks das Hakenkreuz anfangs als Armbinde, um es aus seinem Kontext zu reißen (Bricolage), radikalen Nonkonformismus zu zeigen, mit allen gesellschaftlichen Erwartungen zu brechen, so Ablehnung zu provozieren und sich als Objekt von Hass zu stilisieren. Dabei klammerten sie die historischen Gründe für diese Ablehnung aus. Weil Rechtsextremisten der British National Front die Punks daraufhin als Gesinnungsfreunde ansahen, verlor das Hakenkreuz für sie seine Schockwirkung und wurde wieder aufgegeben.
Der kanadische Happeningkünstler ManWoman (Pseudonym) warb zeitlebens für eine „Rehabilitation“ der Swastika, veröffentlichte dazu eine Sammlung religiöser und säkularer Swastika-Beispiele von vor 1933 und gründete den Verein „Friends of the Swastika“. 1995 veröffentlichte er eine Erklärung zur „Unschuld“ der Swastika und ein Emblem, das sie in Friedenstauben einbettete. An seinem ersten Todestag, dem 13. November 2013, boten weltweit 120 Tätowierer unter dem Motto „Lerne die Swastika zu lieben“ kostenlose Swastikatattoos an. Aktivisten gegen Rassismus und Vertreter des Judentums protestierten: Die Swastika repräsentiere heute den Faschismus.
In den USA bieten verschiedene Tattoo-Künstler und Läden regelmäßig das kostenlose Entfernen von Swastika-Tattoos und anderen eintätowierten Hasssymbolen an. Die Teilnehmerzahlen nehmen laut ihren Berichten zu.
Unicode
Der Unicode enthält je ein chinesisch-japanisch-koreanisches (CJK) und je ein tibetisches Zeichen für die rechts- und linksgerichtete Swastika sowie zwei tibetische Zeichen für die Swastika mit Punkten:
Nach Protesten gegen die Aufnahme der Unicode-Swastiken in die Symbolschriftart Bookshelf Symbol 7 im Programm Microsoft Office entfernte Microsoft 2003 diese daraus, ebenso einen Davidstern. Dies löste wiederum Proteste aus, damit würden Hindus und Buddhisten benachteiligt und freie Meinungsäußerung durch autoritäre Eingriffe eingeschränkt.
Weiterführende Informationen
Literatur
Archäologie und Ethnologie
Dennis J. Aigner: The Swastika Symbol in Navajo Textiles. DAI Press, 2009, ISBN 0-9701898-3-4.
Egbert Richter-Ushanas: The Sacred Marriage and the Swastika on Indus Seals and Tablets. A study on the foundations of human culture. Richter, Bremen 2005, ISBN 3-924942-42-0.
Thomas Wilson: The Swastika. The Earliest Known Symbol and Its Migrations. With Observations on the Migration of Certain Industries in Prehistoric Times. In: Report of the United States National Museum 1894, , S. 757–1011. Nachdruck: Kessinger, 1999, ISBN 0-7661-0818-X (Volltext online)
Ideologisch-politische Verwendung
Steven Heller: The Swastika and Symbols of Hate: Extremist Iconography Today. Skyhorse Publishing, 2019, ISBN 1-62153-720-X
Davina Stisser: Das Hakenkreuz als nationalsozialistisches Symbol – kulturhistorische Entwicklung und die heutige strafrechtliche Behandlung. In: Heribert Ostendorf (Hrsg.): Rechtsextremismus. Eine Herausforderung für Strafrecht und Strafjustiz. Nomos, Baden-Baden 2009, ISBN 978-3-8329-4208-3, S. 106–127.
Erwin W. Lutzer: Hitler's Cross. Bertrams, 2012, ISBN 978-0-8024-0850-1.
Bernard Mees: The Science of the Swastika. Central European University Press, 2008, ISBN 978-963-9776-18-0.
Elisabeth Weeber: Das Hakenkreuz. Geschichte und Bedeutungswandel eines Symbols. Peter Lang, Frankfurt am Main 2007, ISBN 978-3-631-56363-2
Lorenz Jäger: Das Hakenkreuz. Zeichen im Weltbürgerkrieg. Eine Kulturgeschichte. Karolinger-Verlag, Wien 2006, ISBN 3-85418-119-1 (Rezension).
Jacques Gossart: La longue marche du svastika. Histoire connue et inconnue de la croix gammée. Dervy, Paris 2002, ISBN 2-84454-202-6.
Steven Heller: The Swastika. Symbol Beyond Redemption? Allworth Press, New York 2000, ISBN 1-58115-041-5.
Malcolm Quinn: The Swastika: Constructing the Symbol (Material Cultures). Routledge Chapman & Hall, 1995, ISBN 0-415-10095-X.
Zeitgeschichtlicher Kontext
Focke-Museum Bremen (Hrsg.): Graben für Germanien: Archäologie unterm Hakenkreuz. Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-8062-2673-7.
Achim Leube, Morten Hegewisch: Prähistorie und Nationalsozialismus: Die mittel- und osteuropäische Ur- und Frühgeschichtsforschung in den Jahren 1933–1945. Synchron, Heidelberg 2002, ISBN 3-935025-08-4.
Rolf Wilhelm Brednich: Germanische Sinnbilder und ihre vermeintliche Kontinuität. Eine Bilanz. In: Rolf Wilhelm Brednich, Heinz Schmitt: Symbole: Zur Bedeutung der Zeichen in der Kultur. 30. Deutscher Volkskundekongress in Karlsruhe vom 25. bis 29. September 1995. Waxmann, Münster 1997, ISBN 3-89325-550-8, S. 80–91.
Weblinks
US Holocaust Museum: The History of the Swastika. Washington D.C., 7. August 2017
Peter Diem: Die Entwicklung des Hakenkreuzes zum todbringenden Symbol des Nationalsozialismus.
Arnulf Scriba: Das Hakenkreuz. Deutsches Historisches Museum, 15. Juli 2015
Anna Cox: The Story of the Swastika. BBC One, 3. November 2013 (Fernsehfilm)
Goblet d’Alviella: The Migration of Symbols, II: On the Gammadion or Swastika. 1894, sacred-texts.com
Einzelnachweise
Symbol (Religion)
Symbol (Hinduismus)
Symbol (Buddhismus)
Kultur (Nationalsozialismus)
Rechtsextremismus
Kreuz (Heraldik)
Politisches Symbol
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Q45513
| 97.684243 |
4762700
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https://de.wikipedia.org/wiki/%D0%9D
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Н
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Das En (Н und н) ist ein Buchstabe des kyrillischen Alphabets. Es stellt den Laut /n/ dar. Folgt auf das En ein ь, stellt das den Laut /nʲ/ dar. Zwar sieht das En genauso aus wie das lateinische H, allerdings leitet sich der Buchstabe vom griechischen Ny ab.
Zeichenkodierung
Weblinks
Н
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Q174069
| 90.427033 |
2402
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https://de.wikipedia.org/wiki/Inuktitut
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Inuktitut
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Inuktitut (Silbenschrift []; Similiaris Singular oder Plural von inuk ‚Mensch‘: „wie ein Inuk/wie die Inuit“) bezeichnet als Makrosprache die Inuit-Sprachen bzw. -Dialekte Kanadas. Diese werden gemeinhin in eine Ostgruppe und in eine der Sprecherzahl nach deutlich kleinere Westgruppe unterteilt (zur Abgrenzung unten). In neuerer Zeit wird die Bezeichnung Inuktitut eher auf die Ostgruppe beschränkt und als Oberbegriff Inuktut (; westlich: Inuktun; Similiaris Singular von inuk) verwendet; die Hauptvarianten der Westgruppe werden eher einzeln als Inuinnaqtun und Inuvialuktun bezeichnet.
Die Inuit-Sprachen sind wie die meisten nordamerikanischen Sprachen polysynthetisch, bilden von Alaska im Westen bis Grönland im Osten ein Dialektkontinuum und zählen zusammen mit Yupik zu den Eskimosprachen.
Verbreitung
Als Makrosprache ist Inuktitut (Inuktut) insbesondere nördlich der Baumgrenze in den 53 Gemeinden des Siedlungsraums Inuit Nunangat (; nuna ‚Land‘ mit Possessivsuffix -ngat: „Land der Inuit“) verbreitet. Inuit Nunangat umfasst das Territorium Nunavut, Nunavik in Nord-Québec, Nunatsiavut in Labrador sowie die Inuvialuit-Region in den Nordwest-Territorien (zusammen 35 % der Landmasse Kanadas, knapp 57.000 Einwohner, darunter 47.000 Inuit, und 94 % der insgesamt 42.980 Inuktut-Sprecher).
Unter den 65.030 kanadischen Inuit sprechen laut Census 2016 die Makrosprache 41.650 Personen (64 %), darunter 37.130 als Muttersprache. Am höchsten ist der Sprecheranteil in Nunavik (99 %), gefolgt von Nunavut (Qikiqtaaluk und Kivalliq je 95 %, Kitikmeot 62 %) sowie Nunatsiavut im Osten und der Inuvialuit-Region im Westen (je 21 %). Die entsprechenden Zahlen für Ost-Inuit (Inuktitut i. e. S.) liegen bei 39.475 Sprechern bzw. 35.730 Muttersprachlern.
Offizieller Status
Inuktitut ist im Territorium Nunavut neben Inuinnaqtun als Amtssprache anerkannt, desgleichen in den Nordwest-Territorien neben Inuinnaqtun und Inuvialuktun. Einen offiziellen Status hat es auch in den Inuit-Gebieten der Provinzen Québec (Nunavik) und Neufundland und Labrador (Nunatsiavut).
Dialekte
Die Inuit-Sprachen umfassen circa 16 Dialekte, von denen 10 in Kanada anzutreffen sind und 9 dem kanadischen Inuit zugerechnet werden. Der nördlichste Inuktitut-Dialekt ist das im nördlichen Teil der Nunavut-Region Qikiqtaaluk gesprochene Qikiqtaaluk uannangani; im östlichen Teil der Region Qikiqtaaluk (südöstliche Baffininsel einschließlich Iqaluit) wird der Dialekt Qikiqtaaluk nigiani gesprochen. Das Québec-Labrador-Inuktitut im Osten (Labrador-Halbinsel) wird aufgeteilt in das in Nunavik gesprochene Nunavimmiutitut, auch Tarramiutut genannt, und das in Nunatsiavut gesprochene Nunatsiavimmiutut oder Inuttut (mit dem kleinen, nahezu ausgestorbenen Rigolet-Inuktitut). Im südlichen Nunavut (Kivalliq, westliche Hudson Bay) sind Aivilingmiutut und Kivallirmiutut anzutreffen. Nach Westen (Kitikmeot) folgen Natsilingmiutut und Inuinnaqtun, das auch in den nordöstlichen Nordwest-Territorien gesprochen wird (hier Kangiryuarmiutun genannt). Weiter nach Westen schließt sich Sallirmiutun an.
Bedroht sind insbesondere die Dialekte im Westen (Sallirmiutun, Inuinnaqtun) und ganz im Osten (Nunatsiavut). Aber auch dort, wo die Bedrohung geringer ist oder die Sprecherzahl der Statistik nach sogar steigt, nimmt das Vokabular eher ab.
Das im Westen der Inuvialuit-Region ebenfalls noch gesprochene Uummarmiutun (240 Sprecher) wird linguistisch dem Inupiaq Alaskas (Iñupiatun) zugerechnet, aber oftmals mit Sallirmiutun und dem Inuinnaqtun der östlichen Inuvialuit-Region (Kangiryuarmiutun) zu Inuvialuktun zusammengefasst.
Abgrenzung ost-/westkanadisches Inuit
Teilweise wird die Ost-West-Grenze zwischen Aivilingmiutut und Kivallirmiutut in der Region Keewatin (Kivalliq) gesehen. Ein allgemeines Unterscheidungsmerkmal ist insoweit der h-Laut, der in westlichen Dialekten an die Stelle des östlichen s-Lauts tritt. Diese Grenze liegt ungefähr bei 90° westlicher Länge.
In neuerer Zeit wurde die Grenze nach Westen verschoben. In der philologischen Literatur wird sie nun eher zwischen Kivallirmiutut und Natsilingmiut angesetzt. Der Inuit Language Protection Act von Nunavut definiert lediglich den Dialekt im westlichen Kitikmeot (Cambridge Bay/Iqaluktuuttiaq, Kugluktuk/Qurluktuk) als Inuinnaqtun, alle anderen Dialekte in Nunavut als Inuktitut, nimmt also eine Ost-West-Grenze zwischen Natsilingmiutut und Inuinnaqtun an. Für Letzteres spricht zum einen die Endung -t in Natsilingmiutut gegenüber -n weiter westlich, zum anderen die westliche Grenze zwischen der Verwendung von Silben- und Lateinschrift.
Formenlehre und Satzbau
Wie andere Eskimo-Aleutische Sprachen haben die Inuit-Sprachen ein sehr reiches morphologisches System, in dem ein Wort eine lange Folge verschiedener gebundener Morpheme enthalten kann (siehe auch Inkorporation und Polysynthetischer Sprachbau). Alle Wörter der Inuitsprachen beginnen mit einem lexikalischen Morphem (ein Element, das in seiner Bedeutung einem Inhaltswort entspricht), hieran werden gebundene Morpheme angehängt. Die Sprachen haben Hunderte verschiedener Affixe, in manchen Dialekten bis zu 700. Obwohl der Wortaufbau manchmal sehr kompliziert ist, gibt es keine Unregelmäßigkeiten, wie sie für das Deutsche oder andere Sprachen des flektierenden Typs kennzeichnend sind.
Durch dieses System können die Wörter sehr lang werden. Häufig kann ein Wort die Information eines ganzen Satzes abdecken. Zum Beispiel im Inuktitut von Zentral-Nunavut, Kanada:
tusaatsiarunnanngittualuujunga
„Ich kann nicht sehr gut hören“
Dieses lange Wort besteht aus einer Wurzel tusaa- ‚hören‘ und fünf angehängten Elementen (Affixen oder weiteren lexikalischen Morphemen):
-tsiaq- „gut“
-junnaq- „können“
-nngit- „nicht“
-tualuu- „sehr viel“
-junga „ich“ (1. Person Singular Präsens Indikativ unbestimmt)
Solche Wortbildungen kommen in Inuitsprachen überall vor. In einem großen Werk aus Kanada, dem Nunavut Hansard, einer Sammlung von Parlamentsprotokollen, kommen 92 % aller Wörter nur einmal vor, ganz anders als in den meisten englischen Hansards.
Die Zuordnung von Wörtern zu Wortarten bzw. grammatischen Konstruktionen ist in den Inuitsprachen flexibel, denn voll gebeugte Verben können auch als Substantive interpretiert werden. Das Wort ilisaijuq kann man als voll gebeugtes Verb verstehen: „er studiert“ oder als Substantiv: „Student“. Die Bedeutung ist erst im Satzzusammenhang zu ermitteln.
Formenlehre und Satzbau der Inuitsprachen sind von Dialekt zu Dialekt leicht verschieden, aber die Grundprinzipien lassen sich auf sie alle anwenden und zu einem gewissen Grad auch auf Yupik.
Flexion
Die Deklination des Inuktitut kennt drei Numeri und acht Kasus. Hier als Beispiel das Wort inuk ‚Mensch‘:
Schrift
Im größten Teil von Nunavut und in Nord-Québec (Nunavik) wird Inuktitut vorwiegend mit Silbenzeichen geschrieben, die aus der Ojibwe-/Cree-Schrift hervorgegangen sind und wie diese eine Variante der kanadischen Silbenschrift darstellen. Der erste Druck von Inuktitut in Silbenschrift stammt aus dem Jahr 1855/56. Im ostkanadischen Labrador (Nunatsiavut), im äußersten Westen von Nunavut und in den Nordwest-Territorien (Inuvialuit-Region) sind dagegen Varianten der lateinischen Alphabetschrift vorherrschend.
Qaliujaaqpait () bezeichnet die Lateinschrift, Qaniujaaqpait () die Silbenschrift. Bei Letzterer ist zwischen der neuen Variante Titirausiq nutaaq (; seit 1976) und der alten Variante Titirausiit nutaunngittut () zu unterscheiden.
Seit 2011 gibt es neue Reformbestrebungen, insbesondere zur Vereinheitlichung des Latein-Alphabets. 2019 beschloss die Dachorganisation der kanadischen Inuit Inuit Tapiriit Kanatami ein einheitliches Latein-Alphabet mit 3 Vokalen, 19 Konsonanten (darunter hl, shr, ch, rh) und Apostroph. 2020 folgten für Nunavut die Inuktut Spelling Standards der Sprachbehörde Inuit Uqausinginnik Taiguusiliuqtiit mit 3 Vokalen, 15 + 3 Konsonanten (darunter ł, b, d) und Apostroph sowie entsprechenden Silbenzeichen. Diese liegen der folgenden Tabelle zugrunde, ergänzt um weitere gebräuchliche Zeichen.
Für die Silbenzeichen und gibt es in Unicode bisher (2020) nur einen Entwurf.
Weblinks
Elke Nowak: Inuktitut – eine grammatische Skizze (PDF; 284 KB), 2008
Louis-Jacques Dorais: ᐃᓄᐃᑦ ᐅᖃᐅᓯᖏᑦ = The Language of the Inuit (2010)
Pirurvik Centre: Inuktut Tusaalanga (Sprachkurs)
Carleton University: Inuktut Lexicon Atlas
The Uqailaut Project: Inuktitut Morphological Analyzer (Java-Anwendung)
Lucien Schneider: Ulirnaisigutiit = ᐅᓕᕐᓇᐃᓯᕈᑏᑦ: An Inuktitut-English Dictionary of Northern Quebec, Labrador, and Eastern Arctic Dialects, 1985
Virtual Museum of Labrador: Labrador Inuttut Dictionary
Institutionen:
Inuit Tapiriit Kanatami – Interessenvertretung der kanadischen Inuit
Nunavut: Inuit Uqausinginnik Taiguusiliuqtiit (Sprachbehörde)
Nunavik: Avataq Cultural Institute
Nunatsiavut: Department of Language, Culture and Tourism
Inuvualuit Cultural Centre
Einzelnachweise
Eskimo-aleutische Sprachen
Eskimo
Inuit
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Q29921
| 89.803707 |
22692
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https://de.wikipedia.org/wiki/Abraham
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Abraham
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Abraham ( volksetymologisch: „Vater der vielen [Völker]“ [Genesis 17,4 f.] von אַבְרָם Avram „(Der) Vater ist erhaben“, aramäisch , altjiddisch Awroham, ) ist nach dem biblischen Buch Genesis beziehungsweise Bereschit zusammen mit seinem Sohn Isaak und seinem Enkel Jakob einer der drei Erzväter des Volkes Israel. Er nimmt eine zentrale Stellung im Tanach oder Alten Testament ein, da laut dieser Überlieferung die Zwölf Stämme Israels und damit auch Jesus von Nazareth von ihm abstammen. Der Abraham des Islam und sein Sohn Ismael wiederum gelten als Stammväter der Araber und Vorfahren des Propheten Mohammed.
Da sich sowohl Judentum, Christentum als auch Islam auf Abraham als ihren Stammvater beziehen, werden sie auch als die drei abrahamitischen Religionen bezeichnet.
Abraham im Tanach
Stammfolge
,
In der Tora (Weisung, Lehre) des Tanach (Jüdische Bibel) wird im 1. Buch Mose (Buch Genesis, –) die Geschichte Abrahams erzählt.
Die Abrahamserzählung ist durchzogen von Verheißungen, an einer Stelle auch als Schwur bekräftigt (22,16). Die wichtigsten Verheißungen sind die folgenden:
Mehrung (12,2; 13,16: wie Staub; 15,5: wie Sterne; 16,10; 17,2.4) und Nachkommenschaft (15,4)
Segen (12,2) und Segensmittlerschaft (12,3)
großer Name (12,2)
Land (12,7; 13,15.17; 15,7.18), auch im Bild vom „Ausliefern der Bedrücker“ (14,20) oder vom „Tor der Feinde“ (22,17)
Gott als sein Schild und großer Lohn (15,1)
Bund (15,18; 17,2)
Mit-Sein Gottes/Bundesformel (17,7–8)
Abra(ha)m der Hebräer wird außerhalb von Genesis 12–50 44-mal erwähnt, meist formelhaft in Verbindung mit Isaak und Jakob. In den Nevi’im (Propheten) gibt es elf Belege (Jos 24,2.3; 1.Kön 18,36; 2.Kön 13,23; Jes 29,22; 41,8; 51,2; 63,16; Jer 33,26; Ez 33,24; Mi 7,20). In den Ketuvim (Schriften) kommt er in Ps 47,10 und Ps 105, in Neh 9,7 sowie mehrfach in der Chronik vor.
Biografische Eckdaten
Zunächst ein Überblick mit biografischen Eckdaten Abrahams, wie sie die Texte enthalten: Die Zuordnung der ersten Altersangaben sind mit Schwierigkeiten verbunden, da die Texte nicht ganz eindeutig sind (man kann entweder von Variante A oder Variante B ausgehen). Keith N. Grüneberg stellt beide Varianten vor und entschließt sich aufgrund der folgenden Argumente für Variante A:
Wenn Terach erst mit 130 Jahren Abram gezeugt hätte, lässt sich schwerer erklären, warum Abraham selbst es kaum glauben kann, mit 100 Jahren noch ein Kind zu bekommen ().
Wenn Terach immer noch am Leben ist zu dem Zeitpunkt, an dem Abraham von Haran (wohl Harran) auszieht, dann erklärt sich das Fehlen der Toledot-Formel in , weil Terach immer noch Familienhaupt ist.
Andererseits bezeugt die Bibel , dass Abraham Haran erst nach dem Tod seines Vaters verlassen habe. Somit kann er frühestens 75 Jahre vor dem Tod Terachs geboren sein. Daraus würde eine Bestätigung der Variante B erwachsen.
Geografische Stationen
Die Texte aus Gen 11–25 nennen folgende wichtige Stationen: Abraham kommt aus Ur in Chaldäa über das nördlich gelegene Haran (11,31) Richtung Süden nach Sichem (Gen 12,6), baut dort einen Altar, und zieht dann an einen Ort bei Bethel (Gen 12,8: östlich von Bethel und westlich von Ai). Nachdem er weiter ins Südland gezogen ist (Gen 12,9), geht er wegen einer Hungersnot nach Ägypten (Gen 12,10). Danach kehrt er wieder ins Negev-Gebiet (Gen 13,1) und nach Bethel (Gen 13,3) zurück. In Anschluss an die Landverheißung baut Abraham in Mamre bei Hebron einen Altar (Gen 13,18). Die kriegerischen Auseinandersetzungen in Gen 14 führen Abraham an verschiedene Orte, unter anderem hoch in den Norden nach Dan (Gen 14,14), auf die nicht näher eingegangen wird. Es folgen einige Erzählungen ohne genauere Ortsangaben, bis in Gen 18,1 Adonai dem Abraham in Mamre erscheint. Von dort aus begleitet Abraham die Männer Richtung Sodom (Gen 18,16). Er kehrt nach der Diskussion wieder „an seinen Ort“ zurück (Gen 18,33), wobei er am nächsten Morgen wieder an die Stelle geht, wo er mit Adonai gesprochen hat, um den Untergang von Sodom und Gomorra zu sehen (Gen 18,27f). In Gen 20,1 bricht Abraham wieder ins Südland auf, wo er in Gerar als Fremder wohnt. Abimelech stellt es Abraham frei, sich irgendwo in seinem Gebiet niederzulassen (Gen 20,15). Abraham entscheidet sich für Beerscheba, was daran deutlich wird, dass Hagar nach ihrer Vertreibung dort umherirrt (Gen 21,14) und Abraham einen Tamariskenbaum zur Anbetung Gottes pflanzt, der in Beerscheba lokalisiert wird (Gen 21,33). Außerdem kehren Abraham und seine Diener nach der Bindung Isaaks am Berg Moria (dieser Berg wird in der Genesis nicht näher lokalisiert; 2Chr 3,1 identifiziert den Ort mit Jerusalem) dorthin zurück (Gen 22,19). Dann stirbt Sara in Hebron im Alter von 127 Jahren (Gen 23,1) und wird dort in der Nähe (östlich von Mamre/Hebron) in Machpela begraben (Gen 23,19). In derselben Höhle wird auch Abraham nach seinem Tod im Alter von 175 Jahren von Isaak und Ismael begraben (Gen 25,9).
Der geografische Aufbau gliedert also zusammenfassend den Erzählzyklus wie folgt in drei Teile:
Teil (Gen 11,27 – 19,38 + 21,1–7): Abraham und Lot ziehen von Ur-Kasdim nach Hebron (13,18; 18) und Sodom (13,12; 19). In diese Abraham-Lot-Erzählung sind die Kapitel 14–17 eingeschoben, die andere Themen und Interessen haben.
Teil (Gen 20,1 – 22,19): Abraham hält sich in Gerar und Beerscheba auf. Dubletten sind in Gen 12 und 26 zu finden. Die Geburt Isaaks unterbricht die beiden Episoden von Abraham in Gerar. Mit Moria (Gen 22) ist ähnlich wie schon mit Salem (Gen 14) eine Anspielung auf Jerusalem gegeben.
Teil (Gen 22,20 – 25,11): Die letzte Station der Erzeltern ist die Rückkehr nach Hebron. Hier wird von Tod und Begräbnis berichtet (23; 25,7–11), wodurch die Erzählungen von Abraham und Sara abgeschlossen werden. Durch die Liste der Nahoriden (22,20–24) und Gen 24 kommt mit Isaak schon die nächste Generation in den Blick.
Gen 11–12
Abrahams Vater Terach zieht aus der Stadt Ur in Chaldäa – dem Süden des heutigen Irak – nach Haran (bei Edessa) in der heutigen Türkei, um dort zu wohnen. Er nimmt seinen Sohn Abraham und seinen Neffen Lot – dessen Vater Haran bereits verstorben ist – sowie Abrahams Frau Sarai mit. Ob auch Abrahams zweitjüngster Bruder Nahor diese Reise antritt, bleibt im Buch Genesis unklar. In Haran stirbt Terach, und Abraham wird von Gott aufgefordert, in ein Land zu ziehen, das er ihm zeigen wird. Seine Nachkommen werden zahlreich sein, und er wird ein Segen für alle Völker werden. Im Alter von fünfundsiebzig Jahren zieht Abraham mit seiner Frau Sarai und seinem Neffen Lot nach Kanaan. Den Besitz und die Leute, die sie in Haran erworben hatten, nehmen sie mit.
Als über das Land eine Hungersnot kommt, zieht Abraham mit seiner Sippe nach Ägypten. Weil seine Frau Sarai sehr schön ist und er befürchtet, dass die Ägypter ihn deshalb töten werden, gibt er sie als seine Schwester aus – was insofern auch stimmt, als sie seine Halbschwester ist . Kaum ist Abrahams Sippe in Ägypten angekommen, erfährt der Pharao von der schönen Frau und lässt sie holen. Ihrem vermeintlichen Bruder macht er große Geschenke. Als Gott daraufhin anfängt, den Pharao und sein Haus zu bestrafen, lässt dieser Abraham zu sich kommen und hält ihm seine Lüge vor. Er gibt ihm seine Frau zurück und lässt ihn mit allem, was ihm gehört, fortgeleiten . Von einer Rückgabe der Geschenke steht in der Bibel nichts geschrieben. Im nächsten Kapitel wird jedoch erwähnt, dass Abraham reich ist .
Gen 13–14
Abram und Lot besitzen viele Schafe und Rinder, und zwischen ihren Hirten kommt es zum Streit. Deshalb trennen sich Abram und Lot. Abram lässt dabei Lot den Vortritt, zu wählen, wohin er ziehen möchte. Während Lot in das wasserreiche Jordantal zieht (in die Nähe von Sodom und Gomorra), wohnt Abram weiter im Lande Kanaan in der Nähe von Hebron. Nach ihrer Trennung erhält Abram von Gott die Verheißung reicher Nachkommenschaft (so ) und großen Landbesitzes in Kanaan. Nachdem sein Neffe Lot infolge einer kriegerischen Verwicklung Sodoms durch Kedor-Laomer von Elam gefangen genommen worden ist, befreit ihn Abram mit seinen Männern – 318 an der Zahl. Auf dem Rückweg wird er durch Melchisedek von Salem (d. h. Jerusalem) gesegnet, und er entrichtet ihm den Zehnten . Dem König von Sodom übergibt er dessen zurückeroberte Beute vollständig, obwohl dieser ihn beschenken möchte:
Gen 15
Gott bekräftigt daraufhin die dauerhafte Zusage von Nachkommen und Land durch einen feierlichen Bundesschlussritus . Abraham zweifelt, wie die Verheißungen in Erfüllung gehen sollen:
In der Nacht spricht Gott zu Abram und lässt ihn wissen, dass seine Nachfahren 400 Jahre lang aus dem Land vertrieben und in Knechtschaft leben, dann aber mit Reichtum nach Kanaan zurückkommen werden. Am nächsten Tag bestätigt Gott seine Zusage noch einmal:
Gen 16
Sarai, Abrams Frau, ist kinderlos. Sie fordert Abram gemäß dem auch anderweitig bezeugten Rechtsbrauch auf, ihre junge Sklavin Hagar zu nehmen. Mit ihr zeugt Abram seinen ersten Sohn Ismael , nachdem er etwa zehn Jahre in Kanaan gewohnt hat. Als Hagar schwanger ist, kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Hagar und Sarai. Hagar flieht daraufhin in die Wüste, wo ihr jedoch ein Engel Gottes erscheint und mitteilt, dass sie wieder zu Sarai gehen soll und aus ihrem Sohn eine sehr große Nachkommenschaft entstehen wird. Ihren Sohn, der ein wilder, streitbarer Mensch sein wird, soll sie Ismael nennen. Abram ist 86 Jahre alt, als Hagar Ismael zur Welt bringt.
Gen 17
Abraham heißt ursprünglich Abram, hebräisch , mit der Bedeutung „der Vater ist erhaben“ oder „er ist erhaben in Bezug auf seinen Vater“. Der Gott Israels ändert den Namen zu Abraham, was in als „Vater der Menge an Völkern“ gedeutet wird. Dabei handelt es sich nicht um eine wörtliche Übersetzung, sondern um eine Volksetymologie. Die Umbenennung dient so der biblischen Erzählung als Hinweis auf den Beginn des Bundes Gottes mit den Israeliten.
Als Abram 99 Jahre alt ist, bekräftigt Gott seinen Bund mit ihm und fordert von ihm und seinen Nachkommen fortan das Zeichen der Beschneidung. Gott sagt ihm, dass er ihn segne und er ein Vater vieler Völker sein werde, und gibt Abram () und seiner Frau Sarai () neue Namen: Abraham () und Sara () . Gott verspricht, dass er Sara segnen wolle und sie ihm innerhalb eines Jahres einen Sohn zur Welt bringen werde. Des Weiteren verheißt er, dass aus ihr Völker und Könige hervorgehen sollen. Den Sohn seiner Frau Sara solle er Isaak nennen („er lacht/lächelt“), denn mit Isaak wolle Gott seinen ewigen Bund aufrichten. Gott verspricht Abram auch, Ismael zu segnen und zu einem großen Volk zu machen.
Gen 18–19
Gen 18: Die Mamre-Episode
Gott kommt in Gestalt dreier Männer zu Abraham auf Besuch (Gen 18,1–15). Auf die Beschreibung von Abrahams Gastfreundschaft folgt eine Ankündigungs-Szene, die fünf Hauptaspekte enthält:
die Ankündigung eines Sohnes für Sara (V. 9–10)
Saras skeptisches inneres Lachen (V. 10–12)
Adonais Tadel: „Warum hat Sara gelacht?“ (V. 13–14)
Saras Leugnung (V. 15a)
Adonais Tadel: „Doch, du hast gelacht“ (V. 15b)
Zunächst wird Abraham als der ideale Gastgeber dargestellt, der das Beste gibt, was er hat (darunter Fußwaschungen, Wasser, ein Kalb, Rahm, Milch, …). Die Besucher belohnen Abrahams Großzügigkeit mit der Verheißung eines Sohnes, über den allerdings nichts ausgesagt wird, außer dass er geboren werden wird. Das Lachen, das menschlichen Zweifel in göttliche Verheißungen besonders hervorhebt, ist ein zentrales Motiv in der Szene und bereitet die Namensgebung Isaaks (יצְחָק = er lacht) vor. Der Grund des Zweifels liegt im fortgeschrittenen Alter der beiden künftigen Eltern. Offen bleibt, ob Abraham und Sara der Verheißung Glauben schenken oder nicht. Die Erfüllung der Kindes-Verheißung wird nicht wie sonst teilweise üblich direkt im Anschluss erzählt, sondern erst in Gen 21.
Gen 18–19 Sodom und Gomorra
Gott spricht mit Abraham über die Sünden, die in Sodom und Gomorra geschehen sind. Abraham bittet Gott, Sodom zu verschonen, sollten dort gerechte Menschen leben. Zuerst bittet er, die Stadt zu verschonen, wenn es dort fünfzig gerechte Menschen geben sollte. Als Gott einwilligt, handelt er die Zahl nach und nach bis auf zehn gerechte Menschen herunter. Doch kurze Zeit später muss Abraham mit ansehen, wie im Gebiet von Sodom und Gomorra der Rauch wie von einem Schmelzofen aufsteigt, als die Gegend von Gott zerstört wird . Lot und seine Familie werden von zwei Engeln mit Gewalt aus der Stadt gedrängt, um dem Untergang zu entgehen. Auf der Flucht erstarrt Lots Frau zu einer Salzsäule, weil sie dem Gebot der Engel, sich nicht umzusehen, nicht gehorcht hat.
Gen 20
Abraham zieht mit seiner Frau nach Gerar. Dort gibt er wieder (wie in Gen 12) seine Frau als Schwester aus. Auch hier nimmt der König des fremden Orts, Abimelech, Sara zu sich. Allerdings erscheint Gott Abimelech im Traum, um ihn zu warnen. Gott teilt ihm auch die ganze Wahrheit mit, dass es sich bei Sara um Abrahams Frau handelt. Abimelech betont seine Unschuld, die ihm Gott auch bestätigt. Daher verschont Gott Abimelech, vor allem, weil Abimelech Sara wieder Abraham zurückgibt und ihm das großzügige Angebot macht, in seinem Land zu wohnen, wo er möchte. Abrahams Fürbitte heilt Abimelech und die Frauen seines Königshofs von der Zeugungs- oder Gebärunfähigkeit. Zuletzt schließen Abimelech und Abraham einen Friedensbund miteinander.
Gen 21
Wie vorhergesagt, wird Sara schwanger und gebiert Isaak, als Abraham einhundert Jahre alt ist . Da sich Ismael über Isaak lustig macht, werden er und Hagar, auf Saras Wunsch, von Abraham weggeschickt. Sara wünscht nicht, dass beide Söhne gemeinsam erben. Zuerst ist Abraham unwillig, doch als ihm nachts ein Engel erscheint, der Saras Wunsch bestätigt und ihm verspricht, auch aus Ismael ein großes Volk zu machen , gibt er nach und schickt Hagar und Ismael mit Proviant fort.
Gen 22
Die biblische Erzählung von Abraham findet einen Höhepunkt in der Bindung Isaaks, als Gott Abraham befiehlt, seinen Sohn zu opfern. Damit wird der Glaube Abrahams auf eine harte Probe gestellt. Tatsächlich sendet Gott jedoch im letzten Augenblick einen Widder, den Abraham an Stelle seines Sohnes opfert, und bestätigt ihm die früheren Verheißungen mit einem Schwur . Die „Bindung Isaaks“ findet auf einem Berg im Land Moria statt. Nach jüdischer Überlieferung handelt es sich hierbei um den Tempelberg in Jerusalem.
Gen 23–25
Nach nimmt Abraham Ketura zur Frau. Diese gebar ihm Simran und Jokschan, Medan, Midian, Jischbak und Schuach (). Abraham stirbt nach im Alter von 175 Jahren und wird in der Höhle Machpela bestattet, wo er zuvor bereits Sara begraben hatte .
Josua 24
Auch hier gibt es einen Geschichtsrückblick. Diesmal kommen zunächst Abrahams Vorfahren in den Blick, und zwar als Götzendiener. Mit der Erwähnung Terachs wird die Genealogie aus Gen 11,27ff aufgegriffen. Die Wendung „jenseits des Stroms“ deutet Gen 12,1 aus der Perspektive von 24,7. Die verschiedenen Aufenthaltsorte aus Gen 12–13 werden hier prägnant darin zusammengefasst, dass Abraham in Land Kanaan umherzieht. Darüber hinaus wird auf die Mehrungsverheißung angespielt.
Jesaja
Jesaja 51
In Jes 51,1–8 ist eine Gottesrede, die Heil ankündigt. Dabei steht stärker das Thema der Mehrung im Vordergrund (und nicht so sehr das Thema Landbesitz wie in Ez 33). Abraham wird zur Beispielfigur für Gottes Heilshandeln. Der Blick auf ihn soll vergewissern, dass aus wenigen viele werden können, so wie es schon bei Abraham und bei Sara der Fall war. Sara ist in dem Fall aber noch im Prozess des Gebärens, also Gott ist gerade dabei, Segen und Mehrung zu verwirklichen. In Jes 51 wird die Einheit des Gottesvolks betont, deren gemeinsame Identität in „eurem Vater“ Abraham besteht.
Jesaja 41
In Jes 41,8–13 kommt das Thema der Erwählung ins Spiel. Anstatt der sonst geläufigen Anrede Jakob-Israel ist hier vom „Samen Abrahams“ (= Nachkommenschaft Abrahams) die Rede. Abraham dient hier als exemplarischer Fremder und wird so zum Vorbild der Zerstreuten. Ebenso wie er den Ruf zum Aufbruch ins Land gefolgt ist, so sollen nun auch die durch das Exil Vertriebenen wieder in ihre Heimat zurückkehren. Der „Same“ ist durch eine besondere Gottesliebe gekennzeichnet, wie auch schon Abrahams Gottesliebe durch seine Tora-Frömmigkeit hervorgehoben wurde (In Gen 18,6 hält er sich an Speisevorschriften, in 14,20 entrichtet er den Zehnten, in 24 nimmt er Rücksicht auf das Mischehenverbot und außerdem wird sein Gehorsam in 22 und 26,3.5 besonders deutlich).
Jesaja 29
Jesaja 63
Im Gebet Jes 63,7 – 64,11 wird zur Vaterschaft Abrahams und Jakob-Israels kritisch Stellung genommen: Der Text weiß zwar um die Abstammung, will sich aber von ihr lösen und sich allein an Gott binden, der als Exodus-Erlöser-Gott nützlicher scheint als die Väter, die sich nicht um ihre Söhne kümmern.
Ezechiel 33
In Ez 33,23–29 wird eine Gottesrede im Stil eines Disputationsworts gegen die Judäer dargestellt. Die Judäer wollen ihre Besitzansprüche auf das Land über die Identitätsfigur Abraham vergewissern, aber die Gottesrede lehnt dies ab.
Darin spiegelt sich wohl der Konflikt zwischen den Judäern, die im Land geblieben sind und es unter Berufung auf Abraham für sich beanspruchen, und denen, die durch die Deportation ins babylonische Exil eine Gola-Gemeinschaft bilden und den Verbliebenen den Landanspruch streitig machen.
Micha 7
Psalm 105
In Ps 105 taucht neben dem Erwählungsmotiv auch Gottes Bundesschluss mit Abraham auf. Die ganze Volksgeschichte wird als Produkt dessen dargestellt, dass Gott sich an den Bund erinnert. Die Landverheißung an Abraham wird hier zum entscheidenden Motor der Volksgeschichte.
Nehemia 9
Im Geschichtsrückblick des Bußgebets aus Neh 9 wird Abraham aufgegriffen. Er scheint aber weniger für das Thema der Mehrung, sondern eher für das der Landnahme in Anschluss an den Exodus relevant zu sein. Auch die Vaterbezeichnung für Abraham wird in diesem Zusammenhang vermieden. Von den Erzvätern wird nur Abraham genannt.
2. Chronik 20
Historische Einordnung
Außerhalb der biblischen Erzählungen und davon abhängigen Traditionen gibt es keine Nachweise für die Existenz Abrahams. Die in den Abrahamserzählungen erwähnten historischen Verhältnisse erlauben auch keine eindeutigen Rückschlüsse auf den zeitgeschichtlichen Hintergrund der biblischen Erzählungen. Die Archäologen Israel Finkelstein und Neil A. Silberman verweisen auf einige Anachronismen im Text, die darauf schließen lassen, dass die Erzählungen in einer späten Zeit entstanden sein könnten. Die Zeit, in welcher die Abraham-Erzählungen des Tanach stattfinden, wird im Allgemeinen mit dem Beginn des 2. Jahrtausends v. Chr. angesetzt.
2021 stellte Alexander Rauch den Namen Abram als spätere mythologische Etymologie zur Diskussion: „Av“ (Ab-) = Vater, „ram“ = Hoch/erhaben/groß. Also im Sinne von Urvater (der Stämme). Auch die Altersangaben erklärt er für die vor- und nachabrahamitischen Epochen dahingehend, dass in speziell dieser Zeitspanne eine doppelte Jahreszählung angenommen werden müsste, entsprechend der zur Zeit der Bibelredaktion bereits zweimaligen jüdischen „Neujahrsfeste“ im Frühling und Herbst. Danach hätte Sara mit 45 Jahren geboren, was damals bereits als Wunder gesehen werden konnte. Dies ginge auch zusammen mit den Erkenntnissen von Finkelstein und Silbermann. Erst in späterer Epoche (Salomon/Kohelet) finden wir dann die heute übliche Menschenalters-Angabe von „70 bis 80“ Jahren. Dagegen seien die frühen biblischen Gestalten (Methusalem) auffallend mit einem etwa zehnfachen Jahresalter genannt. Auch die hundertfach in Bibeltexten genannten „40“ Jahre erklärt Rauch aus dem nur in semitischem Sprachraum verstehbaren Deutung als „sehr viele“ (Hebräisch arba=vier, arbaim=vierzig, arbe=viel, h‘arbe= sehr viel).
Stammbaum
Im Christentum
Im Neuen Testament
Abraham wird im Neuen Testament in zwei abweichenden Stammlinien Jesu aufgeführt. Das Evangelium nach Matthäus nennt 41 Namen, das Evangelium nach Lukas nennt je nach Version 56 oder 57 Namen. Abraham erscheint darüber hinaus an vielen Stellen als Vorbild und „Vater des Glaubens“ .
Das Evangelium nach Lukas stellt Abraham im Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus vor als Vater der im Leben Benachteiligten . Der arme Lazarus wird nach seinem Tod „in Abrahams Schoß“ aufgenommen.
Im Evangelium nach Johannes scheiden sich am rechten Verhältnis zu Abraham die Geister zwischen dem jüdischen Jesus und einigen Gegnern, die ihn verfolgen.
Im Brief des Paulus an die Römer wird Abraham als Schlüsselfigur paulinischer Theologie greifbar. Paulus zufolge wurden Abraham die göttlichen Verheißungen nicht wegen seiner „Gesetzeswerke“, sondern durch „Glaubensgerechtigkeit“ zuteil .
Darüber hinaus sind auch die Gestalten der Sara und Hagar im Galaterbrief des Paulus zum Anlass ausführlicher Auslegungen zum Thema „Gesetz und Freiheit“ geworden . Darin wird Ismael, der Sohn Hagars, mit Knechtschaft und fleischlicher Existenz verbunden, während Isaak, der Sohn Saras, als „Kind der Verheißung“ und der Freiheit gesehen wird. Damit stehe Isaak für das befreite Christentum, Ismael jedoch für das weiterhin in Knechtschaft existierende Judentum.
Im Brief an die Hebräer () stellt der Verfasser Abraham als einen Glaubenszeugen dar, der in seinem Leben nie an der Kraft des Glaubens zweifelte.
In der evangelischen Literarkritik
Blum: Die Komposition der Vätergeschichte
Der evangelische Alttestamentler Erhard Blum hat sich ausführlich mit der Literarkritik der Vätergeschichte beschäftigt. Für die Abrahamserzählung nimmt Blum drei Stufen an:
vordeuteronomistische Komposition
D-Bearbeitungen
priesterliche Schicht
Die vordeuteronomistische Komposition
Die Abraham-Lot-Erzählungen (Gen 13; 18–19) rechnet er zur vor-exilischen Komposition. Bei der Datierung von Gen 12,10–20 (Gefährdung der Ahnfrau) legt sich Blum nicht genau fest, allerdings geht er davon aus, dass Gen 12,10–20 älter ist als die anderen beiden Varianten in Gen 20 und Gen 26. Gen 12,10–20 behandelt er zusammen mit den Ismaelerzählungen und Genesis 22 im Kapitel zu der vordeuteronomistischen exilischen Komposition. Die Erzählung von Hagar in Gen 16 diene als Vorerzählung von der Vertreibung Ismaels in Gen 21,8ff. Aufgrund der Parallelen von Gen 21,8ff und Gen 22 nimmt Blum an, dass Gen 21,8ff auf Gen 22 hin erzählt ist: Die Vertreibung Ismaels sei dann eine Art „Generalprobe“ für die Bindung Isaaks in Gen 22. In Gen 16 seien die Verse 3 und 16 spätere Zusätze von P mit den für die Priesterschrift typischen chronologischen Angaben. Gen 16,15 habe zwar keinen P-Charakter, aber sei trotzdem eine spätere Ergänzung. Gen 16,9–10 seien spätere Ergänzungen desjenigen Redaktors, der eine Rückkehr Hagars einfügen muss, um eine Voraussetzung für Gen 21,8ff zu schaffen. Die Verheißungen in Gen 16,11f passen nicht zu bisherigen Verheißungen, liegen aber für Blum auch nicht in derselben Schicht wie Gen 16,9f. Gen 16,11f enthalten für Blum den ätiologischen Skopus derjenigen, zu deren ethnischer Realität die Ismaeliten gehören. Eine Entstehung von Gen 22 vor dem 7. Jahrhundert hält Blum für unwahrscheinlich, er rechnet frühestens mit der späten Königszeit, jedenfalls noch vor der systematischen deuteronomischen Tradition. Zuletzt ordnet Blum noch die Itinerar-Notizen über Aufenthaltsorte und Altarbau-Notizen (12,4–9; 13,18; 21,33) in die vordeuteronomistische Komposition ein. Die Altarbaunotizen sind für Blum keine Ätiologien, weil Abraham nicht opfert, sondern nur den Namen Adonais anruft. Dies spiegle die Erfahrung einer Zeit nach 587, in der es keine eigene Opferstätten mehr gab.
D-Bearbeitungen: Zu den D-Bearbeitungen zählt Blum die Verheißungen (Gen 12,1–3.7; 13,16b; 15,1–7.18; 16,10; 21,13.18b; 22,15–18), außerdem 22,20–24 und Rebekka (Gen 24). Daneben zählt Blum Gen 18,17–19.22b–32; 20; 21,22ff zu Texten, die der D-Überlieferung nahestehen.
Die priesterliche Schicht: Neben Gen 17 zählt Blum zu P die Toledot-Rahmen (Gen 11,27ff Toledot Terachs; 25,12ff Toledot Ismaels).
Zu sehr späten Nachträgen zählt Blum die Exodusbezüge in Gen 15,13–16 und die Völkerliste in Gen 15,19–21.
Gese: Die Komposition der Abrahamserzählung
Hartmut Gese grenzt sich Blum gegenüber insofern ab, als Gese am Jahwisten (J) und Elohisten (E) als vorexilischen Quellen der klassischen Quellentheorie festhält. Im Unterschied zu Blum zieht Gese noch weiter Texte nach vorne (vor das Exil und für Gese damit meist zu J): Gen 12,1–4a.6–9 als Jakobsprolepse (Vorwegnahme der Jakob-Tradition, die Sichem und Bethel Gewicht verleiht), Gen 12,10–13,2 als Exodusprolepse (Vorwegnahme der Exodustradition, die auch vom Pharao aus Ägypten weg zieht nach Kanaan), Gen 13, inkl. V. 13–17 als Eisodusprolepse (Vorwegnahme der späteren Landgabe) und Gen 22,1–14.19 als Zionsprolepse (Vorwegnahme von Tieropfer in Jerusalem). Gese geht davon aus, dass 12,10–20 die älteste Variante der Ahnfrau-Gefährdung darstellt, Gen 20 also jünger ist. In Gen 21 bringt der Jehowist eine späte Variante der Hagar-Ismael-Geschichte, sodass sich Gen 21 zu Gen 16 verhält wie Gen 20 zu Gen 12,10–20.
Das Argument für vor-exilische Abraham-Überlieferungen stellt Ez 33,24 dar: Gese datiert die Stelle auf 597 v. Chr.; diese Stelle impliziert ihr vorausliegende Abraham-Traditionen.
Die deuteronomistische Bearbeitung nennt Gese Jehowist (Je). Zu ihr rechnet Gese Gen 15 als Sinai-Prolepse (Vorwegnahme der Gotteserscheinungen in Rauch und Feuer am Sinai durch die Fackel, die zwischen den von Abraham geteilten Tieren hindurchzieht). Auch verschiedene Einführungsversteile zu den Varianten in Gen 20f. Einig ist sich Gese mit Blum darin, dass die zweite Engelrede an Abraham bei der Bindung Isaaks (22,15–18) aus der eigentlichen Erzählung herausfallen und als spätere Ergänzung einzuordnen ist.
Die Priesterschrift enthält bei Gese abweichend von Blum 16,1a.15 noch zusätzlich als notwendigen Vorbau für Gen 17, außerdem wird noch explizit die Geburt Isaaks, der Machpela-Erwerb sowie das hohe Sterbealter Abrahams zu P gerechnet.
Abschließend wird Gen 24 angehängt, das „überlieferungsgeschichtlich kein frühes Gebilde darstelle“.
Köckert: Die Geschichte der Abrahamüberlieferung
Der Berliner Alttestamentler Matthias Köckert datiert im Vergleich zu Blum und Gese noch wesentlich mehr Stoff in die Perserzeit. Das betrifft neben Gen 14, das nach Köckert perserzeitlich sein muss, da es keine Belege der Tradition des Zehnten zur Zeit des ersten Tempels gebe, u. a. den Bund in Gen 15, die Bindung Isaaks (Gen 22), die Ismael- und Abimelech-Episoden sowie die Brautwerbung für Isaak um Rebekka (Gen 24).
Gedenktage und liturgische Rezeption
Gedenktage
katholisch: 9. Oktober
orthodox: 9. Oktober
armenisch: 17. Januar und 26. Dezember
koptisch: 21. August
evangelisch: 9. Oktober im Kalender der Lutherischen Kirche – Missouri-Synode
Nicht unter die Gedenktage fällt der sogenannte Abrahamstag, der schlicht eine Bezeichnung für den 50. Geburtstag eines Menschen ist. Ferner gibt es die abrahamitische Ökumene.
Kirchen
Abraham in der evangelischen Perikopenordnung
Verglichen mit der alten Perikopenordnung, sind für die neue wesentlich mehr Texte aus der Abraham-Erzählung eingebunden:
Im Islam
Identifikation mit Brahma
Nach dem britischen Schriftsteller Godfrey Higgins (1772–1833) und dem in Altertumswissenschaften und Anthropologie studierten amerikanischen Rabbiner Alexander Seinfeld soll Abraham identisch sein mit dem hinduistischen Schöpfergott Brahma, dessen Gemahlin Sarasvati heißt.
Abraham zugeschriebene Schriften
Abraham-Apokalypse
Die wahrscheinlich aus dem 1.–2. Jahrhundert stammende Abraham-Apokalypse beschreibt die Himmelfahrt Abrahams. Der ursprünglich aramäische oder hebräische Stoff ist jüdisch mit christlicher Überarbeitung und zählt zu den außerkanonischen jüdisch-christlichen Schriften.
Testament Abrahams
Das Testament Abrahams ist eine wahrscheinlich im 2. Jahrhundert entstandene pseudepigraphische Schrift, die von einer Himmelsreise Abrahams berichtet, die er vor seinem Tod unternommen haben soll.
Buch Abraham
Das Buch Abraham ist Bestandteil des Buches Köstliche Perle der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.
Filme
Die Bibel – Abraham (Verfilmung von 1993 mit Richard Harris als Abraham und Barbara Hershey als Sarah)
Literatur
Christfried Böttrich u. a. (Hrsg.): Abraham. In Judentum, Christentum und Islam. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2009, ISBN 978-3-525-63398-4.
Renate Brandscheidt: Glaubenswanderschaft und Opfergang des von Gott Erwählten. Würzburg 2009, ISBN 978-3-429-03101-5.
Raphaël Draï: Abraham, ou la recréation du monde. Fayard 2006, ISBN 978-2-213-63044-1.
Israel Finkelstein, Neil A. Silberman: Keine Posaunen vor Jericho. Beck, München 2002, ISBN 3-406-49321-1.
André Flury-Schölch: Abrahams Segen und die Völker. Synchrone und diachrone Untersuchungen zu Gen 12,1–3 unter besonderer Berücksichtigung der intertextuellen Beziehungen zu Gen 18, 22, 26, 28, Sir 44, Jer 4 und Ps 72 (= Forschung zur Bibel. Band 115). Würzburg 2007, ISBN 978-3-429-02738-4.
Hartmut Gese: Die Komposition der Abrahamserzählung. In: Alttestamentliche Studien. Tübingen 1991, S. 29–51.
Jonathan Grossman: Abram to Abraham: A Literary Analysis of the Abraham Narrative. Peter Lang, Cham 2016, ISBN 978-3-0343-2077-1.
Søren Kierkegaard: Furcht und Zittern. 1843.
Karl-Josef Kuschel: Streit um Abraham. Was Juden, Christen und Muslime trennt – und was sie eint. München 1994, ISBN 3-492-03739-9.
Michael Niehaus, Wim Peeters (Hrsg.): Mythos Abraham. Texte von der Genesis bis Franz Kafka. Reclam, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-15-020180-0.
Abraham Segal: Abraham, enquête sur un Patriarche. Plon, 1995, ISBN 2-259-02664-8.
Peter Weimar: Artikel Abraham. In: Neues Bibellexikon. Band 1. Zürich 1991, S. 14–21.
Benjamin Ziemer: Abram–Abraham. Berlin / New York 2005, ISBN 3-11-018294-7.
Christliche Fachlexika
Weblinks
Einzelnachweise
Erzeltern
Person im Buch Genesis
Prophet des Alten Testaments
Religionsstifter
Person des evangelischen Namenkalenders
Prophet des Islam
Person im Tanach
Mann
|
Q9181
| 362.330071 |
33516
|
https://de.wikipedia.org/wiki/Inselstaat
|
Inselstaat
|
Ein Inselstaat ist ein Staat, der aus einer oder mehreren Inseln oder Teilen von Inseln besteht und mit keinem Teil der Landfläche eines Kontinents angehört.
Der flächenmäßig größte Inselstaat ist Indonesien, die nächstgrößten Inselstaaten sind (nach Fläche geordnet) Madagaskar, Papua-Neuguinea, Japan, die Philippinen, Neuseeland und das Vereinigte Königreich. Nicht in dieser Liste genannt ist Australien, das nicht unter den Begriff fällt, weil Australien als eigenständiger Kontinent gilt (siehe dazu Australien (Kontinent) bzw. Australien und Ozeanien).
Allgemeines
Inselstaaten unterscheiden sich durch ihre Bezeichnung von den Binnen- und Küstenstaaten. Da definitionsgemäß kein Teil der Landfläche des Inselstaats einem Kontinent angehören darf, ist Australien formal kein Inselstaat, sondern gehört zu den Flächenstaaten.
Von den 195 von den Vereinten Nationen anerkannten souveränen Staaten der Welt sind 46, also etwa ein Viertel, Inselstaaten. Dazu kommen vier weitere, nur teilweise anerkannte Inselstaaten.
Nicht alle Inselstaaten liegen gänzlich isoliert. In der folgenden Liste sind diejenigen kommentiert, die eine Landgrenze haben.
Liste der Inselstaaten
Siehe auch
Liste geteilter Inseln
Liste der Staaten der Erde
Kleine Inselentwicklungsländer
Liste der Insellisten (nach Staat)
Liste der größten Inseln der Erde
Weblinks
Einzelnachweise
Geographie
|
Q112099
| 180.477305 |
6778
|
https://de.wikipedia.org/wiki/1786
|
1786
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Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Europa
17. August: Der preußische König Friedrich der Große stirbt nach rund 46-jähriger Regierungszeit im Schloss Sanssouci in seinem Sessel. Entgegen seinem letzten Willen lässt ihn sein Neffe und Nachfolger Friedrich Wilhelm II., der älteste Sohn von Friedrichs jüngerem Bruder August Wilhelm, nicht in der von ihm errichteten Gruft in Sanssouci, sondern in der Potsdamer Garnisonkirche in der hinter dem Altar befindlichen Gruft des Königlichen Monuments an der Seite seines Vaters Friedrich Wilhelm I. beisetzen.
30. November: Das Großherzogtum Toskana schafft unter der Herrschaft des Habsburgers Pietro Leopoldo als erster Staat die Todesstrafe ab. Gleichzeitig wird auch die Folter abgeschafft.
Amerika
April: Der Amtsinhaber George Clinton wird bei der Gouverneurswahl in New York ohne Gegenkandidaten wiedergewählt.
11. September bis 14. September: In der Annapolis Convention schlagen Politiker einen Verfassungskonvent vor.
September: In Massachusetts beginnt Shays’ Rebellion unter der Führung von Daniel Shays.
Ozeanien
Januar: Die französische Expedition unter der Leitung von Jean-François de La Pérouse erreicht Patagonien. Über Kap Hoorn und die Osterinsel geht es nach Hawaii und weiter nach Alaska. La Pérouse, der sich zu den Aufklärern zählt, verzichtet als erster Europäer bewusst auf die Inbesitznahme noch unerforschter Inseln. In Alaska knüpft er wichtige Kontakte mit Indianern, bevor er die Küste Kaliforniens bereist.
4. November: Der französische Entdecker Jean-François de La Pérouse entdeckt als erster Europäer eine der Nordwestlichen Hawaii-Inseln und tauft sie Île Necker nach dem französischen Finanzminister Jacques Necker. Der Winter wird für die Überfahrt über den Pazifik genutzt.
Wirtschaft
31. Oktober: Der schwedische König Gustav III. genehmigt das Gründen der Schwedischen Westindien-Kompanie mit dem Privileg zum Handel mit der Insel Saint-Barthélemy und anderen karibischen Handelsplätzen.
25. November: Die Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer erscheint erstmals. Herausgeber ist Hermann Bräss.
Wissenschaft und Technik
Aviation
24. August: Joseph Maximilian Freiherr von Lütgendorf startet von Augsburg aus den Versuch, mit seiner „Gondolfiere“ der erste deutsche Luftsegler zu werden.
Astronomie
17. Januar: Pierre Méchain entdeckt einen Kometen, der später als Enckescher Komet benannt wird.
15. Februar: Der Astronom Wilhelm Herschel entdeckt den Katzenaugennebel, einen planetarischen Nebel im Sternbild Drache.
24. Februar: Wilhelm Herschel findet im Sternbild Jungfrau die Galaxie NGC 4845.
3. März: Wilhelm Herschel wird im Sternbild Jungfrau der Galaxien NGC 4699 und NGC 4958 gewahr.
25. März: Im Sternbild Jungfrau bemerkt Wilhelm Herschel die Galaxien NGC 4781 und NGC 4939.
28. März: Wilhelm Herschel spürt im Sternbild Wasserschlange die Galaxie NGC 5061 und im Sternbild Kleiner Löwe die Galaxie NGC 2859 auf.
30. April: Die Galaxien NGC 4900, NGC 5560, NGC 5566 und NGC 5576 werden im Sternbild Jungfrau von Wilhelm Herschel gesichtet.
4. September: Wilhelm Herschel bemerkt im Sternbild Widder die Galaxie NGC 821.
18. September: Die Galaxie NGC 14 wird von Wilhelm Herschel im Sternbild Pegasus entdeckt.
13. Oktober: Wilhelm Herschel erblickt im Sternbild Wassermann die Galaxie NGC 7377.
17. Oktober: Wilhelm Herschel findet im Sternbild Andromeda die Galaxie NGC 7640.
24. Oktober: Wilhelm Herschel beobachtet erstmals im Sternbild Perseus die Galaxien NGC 1138 und NGC 1175.
26. Oktober: Wilhelm Herschel entdeckt im Sternbild Andromeda die Galaxie NGC 252 sowie im Sternbild Dreieck die Galaxien NGC 672 und NGC 855.
13. November: Im Sternbild Widder sieht erstmals Wilhelm Herschel die Galaxien NGC 691 und NGC 1156.
11. Dezember: Wilhelm Herschel entdeckt im Sternbild Kassiopeia die Galaxie NGC 278.
13. Dezember: Wilhelm Herschel bemerkt im Sternbild Walfisch die Galaxie NGC 259.
15. Dezember: Als Erstem fällt Wilhelm Herschel die Galaxie NGC 1242 im Sternbild Eridanus auf.
21. Dezember: Im Sternbild Becher beobachtet Wilhelm Herschel die Galaxien NGC 3511 und NGC 3513 sowie im Sternbild Fische die Galaxie NGC 193.
Sonstiges
Immanuel Kant veröffentlicht das Buch Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft.
Kultur
Literatur
Gottfried August Bürger veröffentlicht Wunderbare Reisen zu Wasser und zu Lande – Feldzüge und lustige Abenteuer des Freiherrn von Münchhausen, heute die bekannteste Version der Geschichten des „Lügenbarons“. Das erste Kapitel umfasst Münchhausens Reise nach Rußland und St. Petersburg.
Johann Wolfgang von Goethe veröffentlicht die Versfassung von Iphigenie auf Tauris.
Musik und Theater
31. Januar: Uraufführung der Oper Orpheus og Euridice von Johann Gottlieb Naumann in Kopenhagen
2. Februar: Uraufführung der Operette Die treuen Köhler von Justin Heinrich Knecht in Biberach an der Riß
7. Februar: Die komische Oper Prima la musica e poi le parole von Antonio Salieri wird in der Orangerie von Schloss Schönbrunn in Wien uraufgeführt. Bei gleicher Gelegenheit wird auch das Singspiel Der Schauspieldirektor von Wolfgang Amadeus Mozart nach dem Libretto von Johann Gottlieb Stephanie zur Uraufführung gebracht, das ein ähnliches Thema behandelt. Salieris Werk erhält vom Publikum den Vorzug.
30. März: Uraufführung der Oper Il Giulio Sabino von Luigi Cherubini am King’s Theatre in London
1. Mai: Die Oper Le nozze di Figaro, KV 492, von Wolfgang Amadeus Mozart wird am Burgtheater in Wien uraufgeführt. Das italienische Libretto stammt von Lorenzo da Ponte und basiert auf der Komödie La Folle Journée, ou Le mariage de Figaro von Pierre Augustin Caron de Beaumarchais aus dem Jahr 1778. Die Oper wird vom Wiener Publikum sehr gemischt aufgenommen.
11. Juli: Das Singspiel Doktor und Apotheker von Carl Ditters von Dittersdorf auf ein Libretto von Johann Gottlieb Stephanie d. J. hat seine Uraufführung am K. u. K. Nationaltheater in Wien. Es beschert dem Komponisten seinen größten Erfolg und gilt als sein Meisterwerk.
14. Juli: Uraufführung der Oper Rosine ou L'Epouse abandonnée von François-Joseph Gossec in Paris
2. Dezember: Die Uraufführung der Tragédie lyrique Les Horaces von Antonio Salieri auf einen Text von Nicolas-Francois Guillard nach einer Vorlage von Pierre Corneille findet am Hoftheater von Versailles statt. Die öffentliche Uraufführung erfolgte am 7. Dezember in der Pariser Opéra. Die Premiere gerät zum Fiasko, die Aufführung schließt nicht nur ohne Beifall, sondern mit unzweideutigen Zeichen des Missfallens.
Sonstiges
20. März: Die Schwedische Akademie in Stockholm wird von König Gustav III. zur Förderung der schwedischen Sprache und Literatur errichtet.
Schloss Bellevue in Berlin wird nach Plänen von Michael Philipp Boumann fertiggestellt.
Religion
August: Der Versuch deutscher Bischöfe, sich mit der Emser Punktation von Rom zu emanzipieren, scheitert.
4. Dezember: Die Mission Santa Barbara wird gegründet.
Katastrophen
1. Juni: Beim Erdbeben im Süden von Kangding werden tausende Personen getötet.
10. Juni: Ein nach einem Erdrutsch durch das Erdbeben im Süden von Kangding zehn Tage vorher entstandener natürlicher Damm, der den Fluss Dadu He staut, bricht. Etwa 100.000 Menschen sterben durch die Flutwelle, die über 1.400 km hinweg das Land verwüstet.
Sport
8. August: Jacques Balmat und Michel-Gabriel Paccard gelingt die Erstbesteigung des Mont Blanc.
Geboren
Januar
1. Januar: Dixon Denham, englischer Afrikaforscher († 1828)
3. Januar: Friedrich Schneider, deutscher Komponist, Organist und Kapellmeister († 1853)
5. Januar: Thomas Nuttall, englischer Botaniker und Zoologe († 1859)
10. Januar: Alexander Tschernyschow, russischer General, Diplomat und Staatsmann († 1857)
13. Januar: Philippe Jacques van Bree, belgischer Maler, Bildhauer und Architekt († 1871)
17. Januar: Nikolaus Nack, deutscher Kaufmann und Politiker († 1860)
23. Januar: Friedrich Arnold, deutscher Architekt und Baubeamter († 1854)
24. Januar: Karl Wilhelm Baumgarten-Crusius, deutscher Pädagoge († 1845)
24. Januar: Walter Forward, US-amerikanischer Politiker († 1852)
24. Januar: Auguste de Montferrand, französisch-russischer Architekt († 1858)
26. Januar: Benjamin Robert Haydon, englischer Maler († 1846)
28. Januar: Nathaniel Wallich, dänischer Botaniker († 1854)
30. Januar: Robert Glutz von Blotzheim, Schweizer Schriftsteller und Journalist († 1818)
Februar
2. Februar: Jacques Philippe Marie Binet, französischer Mathematiker († 1856)
2. Februar: Wilhelm Otto von Glasenapp, russischer Generalleutnant († 1862)
3. Februar: Wilhelm Gesenius, deutscher Theologe und Sprachgelehrter († 1842)
7. Februar: Antonio José de Irisarri, guatemaltekischer Director Supremo von Chile († 1868)
8. Februar: Jan Zygmunt Skrzynecki, polnischer General († 1860)
13. Februar: David Spleiss, Schweizer evangelischer Geistlicher († 1854)
14. Februar: Eobanus Friedrich Krebaum, deutscher Orgelbauer († 1845)
15. Februar: Ferdinand Gotthelf Hand, deutscher Altphilologe († 1851)
16. Februar: Maria Pawlowna, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach († 1859)
24. Februar: Martin W. Bates, US-amerikanischer Politiker († 1869)
24. Februar: Wilhelm Grimm, deutscher Sprach- und Literaturwissenschaftler († 1859)
26. Februar: François Arago, französischer Astronom, Physiker und Politiker († 1853)
27. Februar: Alexander Contee Hanson, US-amerikanischer Politiker († 1819)
März
4. März: Amédée Louis Despans de Cubières, französischer General († 1853)
17. März: Florentin, Fürst zu Salm-Salm († 1846)
19. März: José de la Torre Ugarte, peruanischer Jurist und Lyriker († 1831)
21. März: Jean-André-Tiburce Sébastiani, französischer General († 1871)
21. März: Joseph Vance, US-amerikanischer Politiker († 1852)
22. März: Joachim Lelewel, polnischer Historiker und Freiheitskämpfer († 1861)
25. März: Giovanni Battista Amici, italienischer Erfinder eines horizontalen Mikroskops mit Reflexionstubus († 1863)
25. März: Peter Heinrich August von Salviati, preußischer Diplomat († 1856)
27. März: August Ferdinand von Arnauld de la Perière, preußischer Generalleutnant († 1863)
28. März: Claudius James Rich, archäologischer Forscher und Resident der East India Company († 1820)
März: Pietro Atazzi, italienischer Mediziner († 1844)
Zweites Quartal
2. April: Edward Raczyński, polnischer Adliger, Gründer der Raczynski-Bibliothek († 1845)
4. April: William A. Trimble, US-amerikanischer Offizier und Politiker († 1821)
6. April: Robert Hanna, US-amerikanischer Politiker († 1858)
7. April: William R. King, US-amerikanischer Politiker († 1853)
9. April: Adolf Bäuerle, österreichischer Schriftsteller († 1859)
16. April: Albrecht Adam, deutscher Schlachtenmaler († 1862)
16. April: John Franklin, englischer Polarforscher († 1847)
17. April: Charles-Angélique Huchet, französischer Generalleutnant († 1815)
17. April: August Wilhelm von Neumann-Cosel, preußischer General der Infanterie und Chef des Militärkabinetts († 1865)
18. April: Franz Xaver Schnyder von Wartensee, Schweizer Komponist und Musikautor († 1868)
25. April: Johann Christian Zimmermann, deutscher Oberbergrat und Planer des Ernst-August-Stollens († 1853)
28. April: Jean-Bernard Kaupert, Schweizer Musikpädagoge und Komponist († 1863)
1. Mai: Jacob Best, deutscher Unternehmer und Brauer († 1861)
3. Mai: Hl. Giuseppe Benedetto Cottolengo, italienischer Priester und Ordensgründer († 1842)
6. Mai: Ludwig Börne, deutscher Schriftsteller († 1837)
8. Mai: Jean-Marie Vianney, französischer Priester, Heiliger und Schutzpatron († 1859)
9. Mai: William Slade, US-amerikanischer Politiker († 1859)
21. Mai: Karl Friedrich Klöden, deutscher Historiker und Geograph († 1856)
23. Mai: Samuel Ward King, US-amerikanischer Politiker († 1851)
28. Mai: Louis McLane, US-amerikanischer Außenminister († 1857)
3. Juni: William Hilton, englischer Maler († 1839)
4. Juni: George Pollock, britischer Feldmarschall († 1872)
5. Juni: Johann Carl Gottlieb Arning, deutscher Jurist und Senator († 1862)
8. Juni: Karl Ludwig Friedrich, badischer Großherzog († 1818)
11. Juni: Wilhelm Drumann, deutscher Historiker († 1861)
13. Juni: Winfield Scott, US-amerikanischer Militär und Oberbefehlshaber († 1866)
19. Juni: Fjodor Glinka, russischer Schriftsteller († 1880)
20. Juni: Marceline Desbordes-Valmore, französische Schriftstellerin († 1859)
26. Juni: Sunthon Phu, thailändischer Dichter († 1855)
Drittes Quartal
8. Juli: Eugen Wratislaw von Mitrowitz, österreichischer General († 1867)
9. Juli: Rudolf Schadow, deutscher Bildhauer († 1822)
13. Juli: Julie Mihes, österreichische Malerin und Ordensfrau († 1855)
13. Juli: Ludwig von Taubadel, preußischer Landrat († 1826)
19. Juli: Friedrich Wilhelm Käuffer, deutscher Jurist († 1851)
23. Juli: Eduard von Flottwell, deutscher Jurist und Politiker († 1865)
2. August: Pius August, Herzog in Bayern († 1837)
4. August: Ernst von Seherr-Thoß, deutscher Offizier und Gutsbesitzer († 1856)
17. August: Davy Crockett, US-amerikanischer Politiker und Kriegsheld († 1836)
17. August: Victoire von Sachsen-Coburg-Saalfeld, deutsche Prinzessin, Fürstin von Leiningen und Herzogin von Kent, Mutter der britischen Königin Victoria († 1861)
18. August: Jean Guillaume Lugol, französischer Arzt († 1851)
18. August: Otto von Loeben, deutscher Dichter († 1825)
20. August: José Joaquín Prieto Vial, Präsident von Chile († 1854)
21. August: Friedrich Wilhelm Karl von Arnim, Polizeipräsident von Berlin († 1852)
25. August: Ludwig I., König von Bayern († 1868)
27. August: Johannes Voigt, sächsischer Historiker und Vater des Humanismusforschers Georg Voigt († 1863)
29. August: Josef von Teng, bayerischer Jurist und zwischen 1836 und 1837 Bürgermeister von München († 1837)
31. August: Eugène Chevreul, französischer Chemiker († 1889)
2. September: Karl Wilhelm August Porsche, deutscher Jurist und Kommunalpolitiker († 1840)
4. September: Jehu Jones, US-amerikanischer Pastor († 1852)
5. September: Sergei Uwarow, russischer Politiker und Literaturwissenschaftler († 1855)
9. September: John Breathitt, US-amerikanischer Politiker († 1834)
10. September: Amos Abbott, US-amerikanischer Politiker († 1868)
11. September: Friedrich Kuhlau, deutscher Komponist († 1832)
12. September: August Gustav Heinrich von Bongard, deutscher Botaniker († 1839)
18. September: Christian VIII., König von Dänemark, Herzog von Schleswig, Holstein und Lauenburg sowie König von Norwegen († 1848)
18. September: Robert Heriot Barclay, britischer Marineoffizier († 1837)
18. September: Justinus Kerner, deutscher Arzt und Dichter († 1862)
19. September: Emanuel Friedrich von Fischer, Schweizer Politiker († 1870)
20. September: Franz Passow, deutscher Altphilologe († 1833)
22. September: William Kelly, US-amerikanischer Politiker († 1834)
22. September: Karl Benjamin Preusker, deutscher Archäologe, Bibliothekar und Gründer der ersten Volksbücherei Deutschlands († 1871)
24. September: Joseph Anton Rhomberg, österreichisch-deutscher Maler, Zeichner und Graphiker († 1853)
27. September: José Mariono Elízaga, mexikanischer Komponist († 1842)
Viertes Quartal
3. Oktober: Carl Almenräder, deutscher Fagottist und Instrumentenbauer († 1843)
11. Oktober: Stevenson Archer, US-amerikanischer Jurist und Politiker († 1848)
13. Oktober: Adrianus Catharinus Holtius, niederländischer Rechtswissenschaftler († 1861)
14. Oktober: Julius von Haynau, österreichischer General († 1853)
15. Oktober: James Holman, britischer Reisender, Abenteurer und Autor († 1857)
21. Oktober: Carl Traugott Kreyßig, deutscher Jurist († 1837)
21. Oktober: Henry Lemoine, französischer Musikverleger und Musikpädagoge († 1854)
25. Oktober: Jules-Maurice Quesnel, kanadischer Entdeckungsreisender, Geschäftsmann und Politiker († 1842)
27. Oktober: Johann Ludwig Wilhelm Beck, deutscher Jurist († 1869)
2. November: Carl Poppo Fröbel, deutscher Pädagoge und Buchdrucker († 1824)
10. November: Franz Carl Adelbert Eberwein, sächsischer Musikdirektor und Dirigent in Weimar († 1868)
10. November: Andreas Töpper, österreichischer Industrieller († 1872)
14. November: Carl Andreas Naumann, deutscher Ornithologe († 1854)
16. November: William Appleton, US-amerikanischer Politiker († 1862)
16. November: Karl Ernst Christoph Schneider, deutscher Altphilologe († 1856)
18. oder 19. November: Carl Maria von Weber, deutscher Komponist († 1826)
23. November: Thomas Eastoe Abbott, englischer Dichter († 1854)
26. November: José María Queipo de Llano Ruiz de Saravia, spanischer Historiker, Politiker und Ministerpräsident Spaniens († 1843)
27. November: Josiah J. Evans, US-amerikanischer Politiker († 1858)
30. November: Carl Lehmann, pfälzischer Finanzbeamter und Bürgermeister von Frankenthal († 1870)
5. Dezember: Henry Drummond, britisches Unterhausmitglied und Mitbegründer der Katholisch-Apostolischen Gemeinden († 1860)
6. Dezember: Karl Wolfgang Unzelmann, deutscher Schauspieler und Sänger († 1843)
7. Dezember: Johann von Charpentier, deutsch-schweizerischer Geologe und Gletscherforscher († 1855)
7. Dezember: Maria Walewska, Geliebte von Napoléon Bonaparte († 1817)
10. Dezember: William Schley, US-amerikanischer Politiker († 1858)
12. Dezember: William L. Marcy, US-amerikanischer Politiker, Senator und Außenminister († 1857)
13. Dezember: Marianna Clara Auernhammer, österreichische Sängerin, Pianistin und Komponistin († 1849)
15. Dezember: Edward Coles, US-amerikanischer Politiker († 1868)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Ahmed Bey bin Muhammad Sharif, Bey von Constantine († 1851)
William George Browne, englischer Entdecker († 1813)
Pierre Galin, französischer Musiktheoretiker († 1821)
William George Horner, englischer Mathematiker († 1837)
Christian Paul Aecker, deutscher Unternehmer in der Porzellanbranche
Gestorben
Erstes Halbjahr
3. Januar: Albert Schulte, Bürgermeister von Hamburg (* 1716)
4. Januar: Moses Mendelssohn, deutscher Philosoph jüdischen Glaubens (* 1729)
6. Januar: Peter Nikolaus von Gartenberg, sächsisch-polnischer Politiker dänischer Herkunft (* 1714)
9. Januar: Joseph Karl Truchseß von Waldburg-Zeil-Wurzach, preußischer Dompropst in Köln (* 1712)
14. Januar: Meshech Weare, US-amerikanischer Politiker (* 1713)
27. Januar: Hans Joachim von Zieten, preußischer General (* 1699)
3. Februar: Matthias Friese, deutscher Schulmeister, Organist und Orgelbauer (* 1739)
8. Februar: Johann Kaspar Riesbeck, hessischer Jurist, deutscher Schriftsteller, Schauspieler und Illuminat (* 1754)
17. Februar: Jonas Apelblad, schwedischer Reiseschriftsteller (* 1717)
7. März: Franz Benda, deutscher Violinist und Komponist (* 1709)
11. März: Charles Humphreys, US-amerikanischer Politiker (* 1714)
16. März: Conrad Graf von Ahlefeldt, Graf und Herr auf Gut Eschelsmark (* 1705)
18. März: Ferdinand Sterzinger, österreichischer katholischer Theologe und Kirchenrechtler (* 1721)
1. April: Ignaz Parhammer, österreichischer Pädagoge und Jesuit (* 1715)
10. April: John Byron, englischer Südseeforscher (* 1723)
13. April: Josiah Martin, letzter britischer Kolonialgouverneur von North Carolina (* 1737)
16. April: Simon Gabriel Suckow, deutscher Hochschullehrer (* 1721)
20. April: John Goodricke, englischer Astronom (* 1764)
3. Mai: Ernst August Schulze, deutscher reformierter Theologe (* 1721)
6. Mai: Heinrich Christoph Nebel, deutscher Literaturwissenschaftler, Rhetoriker und lutherischer Theologe (* 1745)
10. Mai: Johann Friedrich von Hahn, schlesischer Arzt in Breslau und Domherr des Stifts zu St. Sebastian in Magdeburg (* 1725)
15. Mai: Christian Gottlieb Gottschald, erzgebirgischer Hammerherr (* 1717)
19. Mai: Johann Melchior Goeze, preußischer protestantischer Theologe (* 1717)
19. Mai: John Stanley, britischer Komponist und Organist (* 1712)
21. Mai: Carl Wilhelm Scheele, deutsch-schwedischer Chemiker und Apotheker (* 1742)
23. Mai: Moritz Benjowski, slowakischer Graf, Abenteurer, Reiseschriftsteller und selbsternannter König von Madagaskar (* 1741 oder 1746)
25. Mai: Peter III., portugiesischer König aus dem Hause Braganza (* 1717)
31. Mai: Karl August, Markgraf von Baden-Durlach (* 1712)
19. Juni: Nathanael Greene, US-amerikanischer General (* 1742)
21. Juni: George Hepplewhite, englischer Kunsttischler
Zweites Halbjahr
1. Juli: Marie Françoise Catherine de Beauvau-Craon, offizielle Mätresse von Stanislaus I. Leszczyński (* 1711)
17. Juli: Heinrich Michael Hebenstreit, deutscher Jurist und Rechtshistoriker (* 1745)
23. Juli: Franz Jakob Späth, deutscher Orgelbauer (* 1714)
29. Juli: Franz Aspelmayr, österreichischer Komponist (* 1728)
17. August: Friedrich II., König von Preußen, genannt der Große (* 1712)
17. September: Tokugawa Ieharu, japanischer Shogun (* 1737)
18. September: Hieronim Wincenty Radziwiłł, polnisch-litauischer Adeliger (* 1759)
22. September: Augustin Egell, deutscher Bildhauer, Maler und Architekt (* 1731)
29. September: Jan Daniel Janocki, polnischer Literaturhistoriker, Bibliothekar der Zaluski-Bibliothek in Warschau (* 1720)
2. Oktober: Augustus Keppel, 1. Viscount Keppel, britischer Admiral und Politiker (* 1725)
5. Oktober: Johann Gottlieb Gleditsch, deutscher Arzt und Botaniker (* 1714)
6. Oktober: Antonio Sacchini, italienischer Komponist (* 1730)
17. Oktober: Johann Ludwig Aberli, Schweizer Maler (* 1723)
25. Oktober: Friedrich Immanuel Schwarz, deutscher lutherischer Theologe und Pädagoge (* 1728)
31. Oktober: Amelia Sophie Eleonore, britische Prinzessin (* 1711)
2. November: Isidore Canevale, französisch-österreichischer Architekt (* 1730)
3. November: Johann Karl Christoph Ferber, deutscher Hochschullehrer und Philosoph (* 1739)
25. November: Samuel John Atlee, US-amerikanischer Politiker (* 1739)
25. November: Nathanael Gottfried Leske, deutscher Naturforscher und Geologe (* 1751)
30. November: Bernardo de Gálvez y Madrid, spanischer Militär, Politiker und Vizekönig von Neuspanien (* 1746)
7. Dezember: Friedrich August Fischer, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1727)
20. Dezember: Philipp Ernst Lüders, deutscher Landwirtschaftsreformer und Pädagoge (* 1702)
Weblinks
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https://de.wikipedia.org/wiki/Luchse
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Luchse
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Die Luchse () sind eine Gattung der Familie der Katzen. Alle vier heute lebenden Arten kommen auf der Nordhalbkugel vor: Der Eurasische Luchs ist in weiten Teilen Europas und Asiens verbreitet; der auf die Iberische Halbinsel begrenzte Pardelluchs ist eine der am stärksten vom Aussterben bedrohten Katzenarten; in Nordamerika leben Kanadischer Luchs (auch Kanadaluchs) und Rotluchs.
Luchse zählen stammesgeschichtlich zu den Kleinkatzen, in Europa sind sie jedoch, abgesehen von wenigen überlebenden Leoparden im Kaukasus, die größten Katzen. Die einzige weitere europäische Katzenart ist die Europäische Wildkatze. Der Name Luchs geht auf das alt- und mittelhochdeutsche luhs zurück, das Funkler bedeutet und sich auf die reflektierenden Katzenaugen bezieht. Lynx ist das lateinische Wort für Luchs.
Merkmale
Luchse erreichen je nach Art Kopf-Rumpf-Längen von etwa 70 bis 120 Zentimetern, Schulterhöhen von 36 bis 70 Zentimetern und Schwanzlängen von 10 bis 25 Zentimetern; sie wiegen etwa sieben bis 37 Kilogramm. Die kleinste Spezies ist der Rotluchs, die größte der Eurasische Luchs. Luchse haben einen Backenbart; die Spitzen der Ohren tragen schwarze Haarpinsel; die Rückseite der Ohren ist schwarz, häufig mit einem mehr oder weniger ausgedehnten weißen oder grauweißen Fleck. Die Fellfärbung ist auch innerhalb der Arten variabel und reicht von sandfarben über rotbraun und braun bis grau, oft ist das Fell gefleckt; das Schwanzende ist schwarz. Das Fleckenmuster ist individuell verschieden und erlaubt es daher, Einzeltiere wiederzuerkennen.
Insbesondere Kanadische Luchse haben große Pfoten, die es ihnen erleichtern, über Schnee zu laufen. Wie fast alle Katzenarten können Luchse ihre Krallen in Hauttaschen einziehen. Luchse haben in der Regel 28 Zähne; bei einem geringen Prozentsatz individueller Luchse kann im Unterkiefer ein- oder beidseitig je ein zusätzlicher Backenzahn ausgebildet sein. In freier Wildbahn werden Luchse durchschnittlich nur wenige Jahre alt, Eurasische Luchse etwa fünf Jahre; als Höchstalter im Freiland wurden zwölf (Rotluchs) bis 17 Jahre (Eurasischer Luchs) ermittelt. In Gefangenschaft wurden Luchse maximal 24 (Eurasischer Luchs) bis 32 Jahre (Rotluchs) alt.
Lebensraum und Verhalten
Luchse bewohnen sehr verschiedenartige Lebensräume: vor allem Wälder, aber auch Wüsten, Tundren, Sumpfgebiete, Buschland, Grasland und Felsregionen; der Eurasische Luchs kommt im Bergland bis in 5500 Meter Höhe vor. Luchse erbeuten Säugetiere, vor allem Hasentiere und Nagetiere sowie Huftiere bis Rothirschgröße, außerdem Vögel, Fische und Reptilien; gelegentlich fressen sie Aas. Luchse sind vorwiegend nacht- und dämmerungsaktive Einzelgänger, die ihrer Beute auflauern, sich an sie heranpirschen oder sie aktiv verfolgen.
Die durchschnittlichen Größen von Streifgebieten rangieren von etwa 16 Quadratkilometern (weibliche Rotluchse) bis zu 248 Quadratkilometern (männliche Eurasische Luchse); in Extremfällen umfassen Streifgebiete weniger als einen (Rotluchs) bis über 1000 Quadratkilometer (Eurasischer Luchs). Die Streifgebiete von Weibchen können sich überlappen, während sich adulte Luchse meist aus dem Weg gehen. Insbesondere Männchen verhalten sich territorial: Sie bilden Reviere und verteidigen diese gegen Artgenossen desselben Geschlechts. Adulte Tiere können sich bei Revierstreitigkeiten bis auf den Tod bekämpfen. Die Größen von Streifgebieten und Revieren schwanken in Abhängigkeit von Nahrungsangebot und Zustand der Population. Die Raumaufteilung zwischen den Luchsen wird mit Duftmarken aufrechterhalten.
Als Verstecke und Wurfplätze dienen unter anderem hohle Baumstämme, Dickichte und Felsspalten. Luchsweibchen bringen einmal im Jahr einen Wurf mit zumeist zwei bis vier Jungen zur Welt. Geschlechtspartner und Mutter und Jungtiere verständigen sich auch mit Rufen (beim Eurasischen Luchs ein melodisches, weittragendes 'ma-uu’).
Gefährdung
Luchse sind durch direkte menschliche Verfolgung bedroht, weil sie von Jägern und Viehhaltern als Konkurrenten betrachtet werden und in vielen Regionen wegen ihrer Felle gejagt werden. Sie leiden zudem unter der Fragmentierung und Zerstörung ihrer Lebensräume unter anderem aufgrund der Intensivierung von Land- und Forstwirtschaft und teilweise auch unter Störungen durch Freizeitaktivitäten. Weitere durch den Menschen verursachte Gefahren für Luchse sind der Straßen- und Schienenverkehr, Angriffe durch Haushunde sowie der Einsatz von Rodentiziden. Zu den natürlichen Feinden, vor allem für junge Luchse, gehören Angriffe großer Raubtiere wie Wölfe und Bären. Die Weltnaturschutzorganisation IUCN stufte den Pardelluchs 2014 als „stark gefährdet“ (Endangered) ein. Die globalen Bestände der drei anderen Luchsarten galten 2014 beziehungsweise 2016 als „nicht gefährdet“ (Least Concern).
Verbreitung
Der Eurasische Luchs besiedelte ursprünglich ein weitgehend geschlossenes Verbreitungsgebiet von den Pyrenäen im Westen bis zum Pazifik im Osten sowie vom Polarkreis bis China; in weiten Teilen dieses Gebiets wurde er ausgerottet, in einigen europäischen Regionen jedoch wieder eingebürgert. Der Pardelluchs war ursprünglich wahrscheinlich über die gesamte Iberische Halbinsel verbreitet, heute ist sein Vorkommen auf kleine, voneinander isolierte Bestände in Südspanien beschränkt. Der Kanadaluchs bewohnt die boreale Zone in Alaska und Kanada, im Süden reicht sein Verbreitungsgebiet bis in einige der Continental United States. Der Rotluchs ist vom südlichen Kanada über die USA bis Mexiko verbreitet.
Deutschland
Laut Veröffentlichung des deutschen Bundesamts für Naturschutz wurden deutschlandweit 2018 insgesamt 125–135 ausgewachsene wildlebende eurasische Luchse gezählt und 55 Jungtiere. Im Jahr davor waren es 114 Tiere. Festgestellt wurden zwei Schwerpunktgebiete: eins in Ostbayern, ein zweites reicht vom Harz bis nach Nordhessen und Nordrhein-Westfalen. Die Beobachter konnten 2018 bei 20 Weibchen Nachwuchs belegen, davon elf Muttertiere im Harz, acht im Bayerischen Wald und eines im Pfälzer Wald. Die Wiederansiedlung der lange ausgerotteten Tierart gelang durch Wiederansiedlungsprojekte und durch Zuwanderung aus Nachbarländern. Der BUND forderte vermehrte Anstrengungen für den Erhalt der nach wie vor als stark gefährdet geltenden Art. Die wichtigsten Maßnahmen wären, mehr Tierquerungshilfen über Straßen zu schaffen und illegale Tötungen konsequenter zu verfolgen.
Österreich
In Österreich wurden die letzten Luchse 1887 in Kärnten und 1897 in Tirol ausgerottet. Die Wiederansiedlung begann 1977 in der Steiermark. Derzeit gibt es drei Luchspopulationen, eine in Vorarlberg, eine im Bereich Mühlviertel / Waldviertel und eine im Nationalpark Kalkalpen (Stand 2022). Das Vorkommen in Vorarlberg ist vermutlich eine Ausbreitung des Ostschweizer Bestandes. In der zweiten Population, einem Teil der Böhmisch-Bayerisch-Österreichischen Population, wurden 2019 neunzehn Luchse nachgewiesen. Im Nationalpark Kalkalpen leben sechs erwachsene Luchse.
Schweiz
In der Schweiz leben Luchse in zwei Populationen, im Jura und in den Alpen. Das erste Vorkommen erstreckt sich über den ganzen Jurabogen, in den Alpen kommen Luchse vom Genfersee bis zum Bodensee vor. Im Jahr 2019 lebten in der Schweiz rund 255 Luchse, davon 75 im Jura und 180 in den Alpen.
Systematik
Die Luchse werden nach aktuellem Stand als geschlossene Gruppe mit gemeinsamen Vorfahren betrachtet, bilden also eine monophyletische Gruppe. Die Gattung entwickelte sich auf der nördlichen Hemisphäre parallel zu der Ausbreitung der Hasenartigen (Lagomorpha), die die Hauptbeute der Luchse darstellen. Innerhalb der Gattung sind vier Arten anerkannt:
Kanadischer Luchs (Lynx canadensis)
Eurasischer Luchs (Lynx lynx)
Pardelluchs (Lynx pardinus)
Rotluchs (Lynx rufus)
Die wissenschaftliche Erstbeschreibung des Eurasischen Luchses geht auf Carl von Linné zurück, der die Art 1758 in seiner zehnten Auflage der Systema Naturae als Felis lynx beschrieb. Der amerikanische Arzt und Naturforscher Robert Kerr beschrieb 1792 den Kanadischen Luchs und ordnete ihn gemeinsam mit dem Eurasischen Luchs in die eigenständige Gattung Lynx ein.
In älterer Literatur findet man die drei erstgenannten Arten manchmal zu einer einzigen Art zusammengefasst, dem „Nordluchs“. Der Karakal wird manchmal als „Wüstenluchs“ bezeichnet, gehört aber zu einer anderen Katzengattung. Es ist bislang nicht abschließend geklärt, ob Luchse ihren Ursprung in Nordamerika oder in Eurasien und Afrika hatten. Fossilfunde belegen Vertreter dieser Gattung für das Pleistozän.
Weblinks
Nationalpark Harz – Luchsgehege an den Rabenklippen
Literatur
PETERSEN et al. (Bearb.): Das europäische Schutzgebietssystem Natura 2000. Ökologie und Verbreitung von Arten der FFH-Richtlinie in Deutschland. Band 2: Wirbeltiere. erschienen in der Schriftenreihe für Landschaftspflege und Naturschutz als Heft 69/2 Landwirtschaftsverlag, Münster-Hiltrup 2004, ISBN 3-7843-3620-5.
Mel Sunquist, Fiona Sunquist: Wild Cats of the World. The University of Chicago Press, Chicago 2002, ISBN 0-226-77999-8.
Einzelnachweise
Katzen
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https://de.wikipedia.org/wiki/Fossil
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Fossil
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Ein Fossil () ist jedes Zeugnis vergangenen Lebens der Erdgeschichte, das älter als 10.000 Jahre ist und sich somit einem geologischen Zeitalter vor dem Beginn des Holozäns zuordnen lässt. Derartige erdgeschichtliche Dokumente können sowohl körperliche Überreste von Lebewesen (Körperfossilien) sein als auch Zeugnisse ihrer Aktivität (Spurenfossilien). Zum Beispiel werden auch versteinerte Trittsiegel und Exkremente (Koprolithe) zu den Fossilien gezählt. Die Entstehung von Fossilien nennt man Fossilisation. Die Erforschung der Fossilien erfolgt in erster Linie durch die Paläontologie.
Die Bezeichnung „Versteinerung“ oder veraltet „Petrefakt“ (lateinisch petra [von altgriechisch πέτρα] Stein, factum „gemacht“) ist nicht gleichbedeutend, denn nicht jedes Fossil ist mineralisiert und liegt somit als eine Versteinerung vor.
Wissenschaftlich fundierten Schätzungen zufolge sind etwa eine Milliarde Tier- und Pflanzenarten seit dem Beginn des Phanerozoikums vor Millionen Jahren entstanden und größtenteils wieder ausgestorben. Manche Schätzungen belaufen sich sogar auf 1,6 Milliarden. Weit unter ein Prozent dieses Artenreichtums ist fossil erhalten geblieben, nicht nur wegen der besonderen Umstände, die für die Fossilisation erforderlich sind, sondern auch, weil viele Fossilien im Laufe der Jahrmillionen infolge von Verwitterung, Erosion oder Gesteinsmetamorphose wieder zerstört wurden. Bis 1999 sind rund 250.000 fossile Arten wissenschaftlich beschrieben worden.
Historisches
Funde von in Gesteinen enthaltenen marinen Lebewesen auf dem Festland erregten bereits im Altertum und im Mittelalter von China bis Europa Aufmerksamkeit, und sie wurden von mehreren Gelehrten (u. a. Xenophanes, Eratosthenes, Leonardo da Vinci) richtig als Überreste von Organismen bzw. als Hinterlassenschaften einer einstigen Meeresbedeckung gedeutet. Hingegen wurden sie vom altgriechischen Philosophen Aristoteles und den auf seinen Lehren aufbauenden Scholastikern als Launen der Natur (Lusus naturae) betrachtet.
Die Bezeichnung Fossil wurde erstmals 1546 von Georgius Agricola in seinem Werk De natura fossilium verwendet. Benannte man, wie Agricola es tat, zunächst unterschiedslos alle „beim Ausgraben“ gefundenen Kuriositäten als Fossil, darunter auch Minerale, Artefakte, seltsam geformte Wurzeln oder Konkretionen, fand im Laufe der Zeit eine Bedeutungsverengung auf Objekte statt, die von der Existenz urzeitlichen Lebens zeugten. Maßgeblich trug dazu der Franzose Jean-Baptiste Lamarck mit dem Kapitel Sur les fossiles in seinem umfassenden Werk zur Systematik der wirbellosen Tiere bei, das 1801 erschien. Gängige Bezeichnungen für Fossilien waren auch Petrefakt und Versteinerung, und tatsächlich entstehen in vielen Fällen Fossilien dadurch, dass organische durch mineralische Substanz ersetzt wird. Entsprechend wurde die Vorform der modernen Paläontologie bis weit ins 19. Jahrhundert hinein Petrefaktenkunde genannt. Der Däne Nicolaus Steno führte bereits 1667 als erster neuzeitlicher Gelehrter den Nachweis, dass es sich bei Fossilien nicht um Launen der Natur, sondern um Reste von Lebewesen aus früherer Zeit handelt.
Substantiv Fossil vs. Adjektiv fossil
Neben der Bezeichnung Fossil als Substantiv wird das Wort auch als Adjektiv verwendet, um damit Objekte oder Bildungen zu charakterisieren, die geologisch relativ alt sind. In diesem Sinne wird das Adjektiv fossil auch heute noch nicht ausschließlich für Überreste von Lebewesen verwendet, beispielsweise in der Wortkombination fossile Energieträger (Kohle, Erdöl, Erdgas) oder fossiles Wasser (sehr altes Tiefengrundwasser). Das Gegenteil zum Adjektiv fossil lautet rezent. Es bezeichnet alle Bildungen, die geologisch relativ jung sind. Geologische Zeugnisse, deren Alter im Grenzbereich zwischen fossil und rezent liegt, können als subfossil oder subrezent bezeichnet werden. Dies betrifft Bildungen aus der Zeit des Quartärs bis etwa 8000 v. Chr. (siehe auch → Prähistorie). In der Paläobotanik bezieht sich subfossil aber auch oft auf eine unvollständige Fossilisation, also einen bestimmten Erhaltungszustand. In diesem Sinne können selbst Floren aus dem Paläogen (älter als 25 Millionen Jahre) noch als subfossil gelten.
In der Biologie und Paläontologie wird das Adjektiv fossil auch auf ausgestorbene Arten bezogen. Als „fossile Arten“ werden jene Arten bezeichnet, die vor der Wende vom Pleistozän zum Holozän ausstarben, also vor mehr als rund 12.000 Jahren. Den fossilen Arten können die rezenten Arten gegenübergestellt werden, die erst im Holozän ausstarben oder heute noch existieren. Mit den sogenannten lebenden Fossilien sind ebenfalls (rezente) Arten gemeint, keine Einzelexemplare. Die Gesamtheit aller aktuell der Wissenschaft bekannten fossilen Arten sowie deren Vorkommen wird Fossilbericht oder auch Fossilüberlieferung (englisch fossil record) genannt.
In der Geomorphologie werden Oberflächenformen als fossil bezeichnet, die zwar heute noch existieren, deren Bildungsprozess aber in der geologischen Vergangenheit zum Erliegen kam (sogenannte inaktive Strukturen). Dies betrifft auch Bildungen, die deutlich jünger sind als 10.000 Jahre, beispielsweise inaktive holozäne Kliffs in Anlandungsbereichen der deutschen Ostseeküste.
Einteilung
Körperfossilien
Als Körperfossilien werden Fossilien bezeichnet, die unmittelbar auf ganze Körper oder einzelne Körperteile von toten Lebewesen zurückgehen. Sie werden nach ihrer Größe weiter differenziert in
Makrofossilien, die mit bloßem Auge sichtbar sind und bisweilen Hausgröße erreichen (in aller Regel sind Makrofossilien gemeint, wenn allgemein von „Fossilien“ die Rede ist),
Mesofossilien, die nur mit Hilfe einer Lupe sichtbar sind (Bezeichnung wird selten verwendet),
Mikrofossilien, die nur mit Hilfe eines Lichtmikroskops sichtbar sind (oft werden hier die Mesofossilien mit eingeordnet) und
Nannofossilien, die nur mit Hilfe eines Elektronenmikroskops sichtbar sind.
Der Wortteil „Körper-“ steht bei Körperfossilien nicht zwangsläufig für das originale Körpergewebe, sondern die Überlieferung erfolgt oft durch Ersetzung von Teilen des Gewebes oder des gesamten Gewebes durch Minerale oder Sediment. Die Erhaltung unveränderter Körpersubstanz sowie die teilweise oder vollständige Ersetzung von Körpersubstanz durch Minerale wird auch Originalerhaltung genannt. Dies betrifft bei Tieren meistens nicht die Weichteile, sondern nur die mineralischen Hartteile (Hartteilskelette). Da viele Wirbellose Außenskelette haben, unterscheiden sich deren Fossilien im Aussehen oft nicht besonders stark vom lebenden Tier. Beispiele sind Mollusken mit Gehäusen aus Calcit oder känozoische Mollusken mit Aragonitgehäuse. Bei Wirbeltieren mit ihren Innenskeletten unterscheidet sich das Fossil stärker vom lebenden Tier. Ausnahmen bilden die paläozoischen Knochenfische mit ihren schon zu Lebzeiten stark mineralisierten Schuppen. Weichteile haben generell ein geringes Erhaltungspotenzial, und je älter eine Sedimentschicht ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass darin Weichteile überliefert sind. Daher ist beispielsweise die großflächige Originalerhaltung von Dinosaurierhaut in kreidezeitlichen Sedimenten äußerst selten. Auch einige organische Substanzen haben ein relativ hohes Erhaltungspotenzial, zum Beispiel das Chitin der Arthropoden oder das Sporopollenin der Pollen und Pflanzensporen. Pflanzen werden oft inkohlt überliefert, das heißt, ihr Gewebe wird unter Luftabschluss entwässert und chemisch umgewandelt, so dass sich Kohlenstoff darin anreichert. Eine relativ seltene Form der Originalerhaltung ist der Einschluss in Bernstein. In dieser Form sind neben Pflanzenteilen vor allem kleine, wirbellose Landtiere, meistens Insekten, überliefert.
Während als solche erkennbare Meso-, Mikro- und Nannofossilien in aller Regel in Originalerhaltung auftreten, unterscheidet man bei Makrofossilien verschiedene weitere Erhaltungsformen:
Steinkern (engl. internal mould): Dieser Spezialfall eines Körperfossils ist typisch für wirbellose Tiere mit Außenskelett („Gehäuse“) aus in geologischen Zeiträumen instabilen Mineralen. Nach Ableben des Tieres und seiner Einbettung im Sediment zerfällt die organische Substanz im Inneren des Gehäuses, und ein Hohlraum bildet sich. In diesen sowie in eventuell schon vor dem Tod im Gehäuse vorhandene Hohlräume dringt nachfolgend das umgebende Sediment ein und füllt sie ganz oder teilweise aus. Wird das Außenskelett im Laufe der folgenden Millionen Jahre weggelöst, bleibt die Ausfüllung des Gehäuses erhalten und wird als Steinkern überliefert. Steinkerne sind typisch für prä-känozoische Mollusken mit aragonitischem Gehäuse, speziell Ammoniten, Schnecken und bestimmte Muscheln. Bei der Steinkernüberlieferung treten zwei Spezialformen auf:
Beim Prägesteinkern wird die äußere Skulptur des Gehäuses, die im umschließenden Sediment einen Negativabdruck erzeugt, nach Weglösung des Gehäuses auf den Steinkern aufgeprägt. Der Prägesteinkern ist eine typische Überlieferungsform bei Ammoniten und bestimmten prä-känozoischen Muscheln.
Der Marksteinkern ist eine Überlieferungsform der Sprossachsen („Stängel“) schwach verholzter Pflanzen: Das Gewebe im Inneren der Sprossachsen, das sogenannte Mark, zerfällt nach dem Tod der Pflanze deutlich schneller als die äußere „Rinde“. Dadurch entsteht die sogenannte Markhöhle. Wird die Markhöhle mit Sediment verfüllt, bleibt nach dem Zerfall der „Rinde“ die Hohlraumfüllung übrig und kann als Marksteinkern überliefert werden. Marksteinkerne sind typische Erhaltungsformen der Stämme von Riesenschachtelhalmen (Calamiten).
Abdruck (engl. impression, external mould): Abdrücke sind die Negativformen von Körperfossilien in Originalerhaltung und von Steinkernen. Bisweilen wird jedoch die originale Skelettsubstanz des eingebetteten Organismus im Laufe der Diagenese ohne vorherige Steinkernbildung komplett aus dem Gestein weggelöst, so dass nur ein Abdruck zurückbleibt. Insbesondere hierfür prädestiniert sind Wirbeltiere, weil sie aufgrund ihrer Innenskelette nur in Ausnahmefällen als Steinkerne erhalten werden können. Derartige Abdruckerhaltung kommt u. a. bei Mesosaurus-Skeletten in der Whitehill-Formation in Südafrika sowie bei Landwirbeltierskeletten im Mittleren Buntsandstein und in Kännelkohle des Oberkarbons von Nordamerika vor. Das Studium der Anatomie dergestalt erhaltener Tiere erfolgt in solchen Fällen nicht am Abdruck, sondern dieser wird mit Latex oder Silikon (früher Guttapercha) ausgegossen, und erst dieser Abguss wird dann untersucht und beschrieben.
Spurenfossilien
Als Spurenfossilien oder Lebensspuren gelten alle Zeugnisse von Lebewesen, die nicht auf deren tote Körper zurückzuführen sind, vor allem solche Hinterlassenschaften, die durch die Tätigkeit von Lebewesen erzeugt wurden. Dazu zählen beispielsweise fossil erhaltene Trittsiegel und Fährten, Grabgänge im Sediment (siehe auch → Bioturbation), Bohrspuren in fossilem Holz oder in Kalkstein sowie Fraß- und Weidespuren (z. B. Bissmarken an fossilen Knochen). Eine spezielle Form der Lebensspuren sind fossile Eierschalen in fossilen Gelegen. Auch Verdauungsrückstände zählen dazu, beispielsweise die Kotpillen von kleinen Fischen und Wirbellosen, die mit bloßem Auge im Gestein oft gar nicht sichtbar sind. Größere „Kotsteine“, sogenannte Koprolithen, sowie fossile Gewölle und Speiballen (letztgenannte oft nur in quartären Höhlensedimenten erhalten) stellen ein Bindeglied zu den Körperfossilien dar, weil sie nicht selten Reste des Originalmaterials der Beutetiere der Koprolith- und Gewöllproduzenten enthalten.
Bedeutung
Paläobiologie
Dokumente der Stammesgeschichte
Die enorme Anzahl und Vielfalt der im Fossilbericht enthaltenen Arten ist eines der wichtigsten Argumente für die Evolutionstheorie. Sie zeigt, dass im Laufe der Geschichte des Lebens unzählige Formen auf der Erde entstanden und wieder verschwunden sind. Diese ehemalige Vielfalt ist aus der Existenz heutiger Formen allein nicht ableitbar. So finden sich im Fossilbericht nicht nur relativ enge Verwandte von in der Gegenwart lebenden Organismen, sondern auch einst blühende, aber nachkommenslos erloschene Tier- und Pflanzengruppen (siehe auch Evolutionsgeschichte). Des Weiteren können in Kombination mit sedimentologischen Untersuchungen, insbesondere durch die Bestimmung des Ablagerungsmilieus fossilführender Schichten, evolutive Entwicklungen über ökologische Grenzen hinweg, wie der Landgang verschiedener Organismengruppen (höhere Pflanzen, Gliederfüßer, Wirbeltiere), nachvollzogen werden.
Zeugen vergangener Lebensräume
Fossilien dienen als Hinweise auf ehemalige geographische und ökologische Verhältnisse. Beispielsweise gelten einige fossile Arten und Ichnospezies als typisch für ein ganz bestimmtes Ablagerungsmilieu. Sie werden daher Zeigerfossilien oder Faziesanzeiger genannt. Zudem können bestimmte Assoziationen von Spurenfossilien mit Körperfossilien (z. B. Prädationsspuren), sowie von Körperfossilien mit Körperfossilien etwas über die trophischen Beziehungen („Nahrungsketten“) in urzeitlichen Ökosystemen verraten. Ein relativ spektakuläres Beispiel hierfür sind abgebrochene Tyrannosaurus-Zähne, die in Knochen von pflanzenfressenden Dinosauriern stecken. Weniger bekannt, aber wesentlich überraschender waren Funde von Pflanzenresten in der Magengegend des permzeitlichen Reptils Protorosaurus, das anhand seines Gebisses zuvor als reiner Fleischfresser eingestuft worden war.
Des Weiteren können geochemische Analysen von Fossilien in Originalerhaltung, vor allem Messungen der Verhältnisse der stabilen Isotope des Sauerstoffs und des Kohlenstoffs, Aufschluss über die lokalen, und bei entsprechend umfassender Beprobung auch über die globalen Umweltverhältnisse in vergangenen Erdzeitaltern geben, unter anderem über die Paläotemperaturen. Eine morphometrische Methode zur Paläotemperaturbestimmung fußt auf einer vermuteten Abhängigkeit der maximalen Körpergröße wechselwarmer Wirbeltiere von der mittleren Umgebungstemperatur, das heißt, dass Größenunterschiede eng verwandter wechselwarmer Arten (z. B. boider Schlangen), die in verschieden alten Schichten einer bestimmten Region auftreten, relative Temperaturunterschiede zwischen den entsprechenden Lebewelten widerspiegeln. Anhand der Mikrostrukturen verschiedener Meeresorganismen wurde ermittelt, dass die Tageslänge auf der Erde infolge von Wechselwirkungen im Erde-Mond-System in den vergangenen Jahrhundertmillionen kontinuierlich zugenommen hat (siehe auch → Geoarchiv).
Zu den ältesten fossilen Belegen für Leben auf der Erde gehören nach heutigem Forschungsstand Stromatolithe aus dem Isua-Grünsteingürtel in Grönland, denen ein Alter von bis zu 3,7 Milliarden Jahren zugeschrieben wird. Sie zeigen, dass die Schelfmeere schon auf der frühen Erde eine große Bedeutung als Lebensraum hatten. Mikroskopische mineralische Strukturen (sogenannte Hämatit-Filamente), die als Fossilien von primitiven Einzellern gedeutet werden, könnten sogar bis zu 4,28 Milliarden Jahre alt sein. Sie stammen aus Bändereisenerzen des Nuvvuagittuq-Grünsteingürtels, die aus absedimentierten Ausfällungen von untermeerischen hydrothermalen Quellen hervorgegangen sein sollen. Damit stützen diese Funde die Hypothese, dass das Leben an solchen Quellen in tieferen Regionen der Meere entstanden ist.
Stratigraphie
Geologische Zeitskala
Das Gesetz von Steno besagt unter anderem, dass sich in einem ungestörten Schichtenstapel aus Sedimentgesteinen die ältesten Schichten ganz unten und die jüngsten Schichten ganz oben befinden. So lässt sich das Alter einer Schicht oder mehrerer aufeinander folgender Schichten (eines sogenannten Schichtintervalls) relativ zu einer anderen Schicht bzw. einem anderen Intervall angeben. Man spricht dabei auch vom relativen Alter.
Der Engländer William Smith entdeckte gegen Ende des 18. Jahrhunderts, dass Schichten eines bestimmten relativen Alters ganz bestimmte Fossilien aufweisen, die in Schichten eines anderen relativen Alters nicht vorkommen. Diese Beobachtungen machte er sich zunutze, indem er eine Tabelle erstellte, mit der die gesamte geologische Überlieferung Großbritanniens stratigraphisch kategorisiert werden konnte. Die Kategorisierung erfolgte in Form standardisierter Intervalle, die durch das Vorkommen bestimmter Fossilien definiert und nach dem für dieses Intervall typischen Gestein benannt waren (z. B. Chalk, Coal measures etc.). So ließen sich reale Schichtintervalle, anhand ihres Fossilinhaltes einem der Standardintervalle zuordnen (Korrelation), selbst wenn sie nicht aus dem dafür typischen Gestein bestanden. Damit war Smith der Erfinder der Biostratigraphie und der Geologischen Zeitskala, wenngleich seine „Zeitskala“ nur regional anwendbar war und erst im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts jene Standardskala entwickelt wurde, die im Wesentlichen noch heute weltweit verwendet wird.
Während sich mit Hilfe der geologischen Zeitskala anfangs nach wie vor ausschließlich das relative Alter einer Schicht innerhalb des gesamten geologisch überlieferten Schichtenstapels bestimmen ließ, eröffneten die im 20. Jahrhundert entwickelten Methoden der radiometrischen Datierung schließlich die Möglichkeit, die relativen Zeitintervalle mit absoluten Altersangaben, d. h. mit Zahlenwerten, zu versehen. Seither weiß man, wie alt die Erde tatsächlich ist und dass beispielsweise die Kreidezeit vor etwa 150 Millionen Jahren begann und vor etwa 65 Millionen Jahren endete. Allerdings werden in der Regel nicht die fossilführenden Sedimentgesteine absolut datiert, sondern magmatische, oft pyroklastische Gesteine, die sich ober- und unterhalb fossilführender Schichtintervalle befinden, wodurch sich das numerische Mindest- bzw. Höchstalter des fossilführenden Intervalls ermitteln lässt.
Leitfossilien
Fossilien, anhand derer das relative Alter einer sedimentären Abfolge, im besten Falle einer einzelnen Schicht, bestimmt werden kann, werden als Leitfossilien bezeichnet.
Ein gutes Leitfossil sollte folgende Ansprüche erfüllen:
erdgeschichtlich kurzzeitiges Auftreten (geringe stratigraphische Reichweite)
häufiges Auftreten im entsprechenden stratigraphischen Intervall
weite geographische Verbreitung
von der eng mit der Ablagerungsumwelt verknüpften Gesteinsausbildung (Fazies) weitgehend unabhängiges Auftreten („faziesbrechend“)
leichte Kenntlichkeit
Durch diese Anforderungen soll sichergestellt werden, dass möglichst alle fossilhaltigen Schichten auf der Welt auch Leitfossilien enthalten und dass Schichten, die das gleiche Leitfossil aufweisen, im selben, relativ eng definierten Zeitabschnitt der Erdgeschichte gebildet worden sind, unabhängig davon wo auf der Welt sie sich heute befinden oder wo sie sich zum Ablagerungszeitraum befunden haben.
Wichtige Beispiele sind:
verschiedene Arten von Trilobiten vom Unterkambrium ( mya) bis zum Obersilur ( mya), ausgestorben ab dem Perm
verschiedene Arten von Ammoniten vom Unterdevon ( mya) bis zur Kreide-Tertiär-Grenze ( mya)
Beide Tiergruppen lebten ausschließlich im Meer, was kein Zufall ist, denn die meisten Leitfossilien der klassischen Biostratigraphie sind wirbellose Meerestiere, und Biostratigraphie findet hauptsächlich Anwendung auf marine Sedimente.
Fossilführende Gesteine und Fossilfundstätten
Fossilien finden sich vorwiegend in Sedimentgesteinen des Phanerozoikums, das heißt, in Sedimenten, die im Lauf der letzten etwa 540 Millionen Jahre abgelagert wurden. Aber nicht jedes Sediment ist reich an Fossilien. Einige führen so gut wie keine Körperfossilien, dafür aber viele Spurenfossilien. Schichten mit besonders vielen oder relativ vielen besonders gut erhaltenen Körperfossilien werden als Fossillagerstätten bezeichnet.
Gute Plätze zum Sammeln von Fossilien sind Aufschlüsse fossilführender Schichten, das heißt Stellen, an denen solche Gesteine offen zutage treten. Dies können natürliche Aufschlüsse sein, aber auch Steinbrüche oder Straßen- und Bahnanschnitte. Da das Betreten eines Bergwerks nicht ohne weiteres möglich und überdies recht gefährlich ist, sind bei Hobbysammlern aufgrund ihrer besseren Zugänglichkeit Bergehalden sehr beliebt, beispielsweise die der Kupferschieferbergwerke im Richelsdorfer Gebirge. Bisweilen werden auch Makrofossilien und Spurenfossilien in Bohrkernen gefunden.
Die bedeutendsten Fossilfundstellen sind in der Regel Lokalitäten mit besonders seltenen oder besonders spektakulären Körperfossilien. Meist sind dies Wirbeltierfossilien, aber auch Wirbellose, bei denen die Weichteile erhalten sind, zählen dazu. Zu den wichtigsten Fossilfundstellen in Deutschland gehören folgende Lokalitäten:
Fundplatz Bilzingsleben (Thüringen), Pleistozän, bekannt durch Funde von Homo erectus
Sandgrube Grafenrain in Mauer (Baden) bei Heidelberg (Baden-Württemberg), Pleistozän, bekannt durch den Unterkiefer von Mauer (Homo heidelbergensis)
Steinheim an der Murr (Baden-Württemberg), Pleistozän, bekannt durch Funde des Homo steinheimensis
Sandelzhausen bei Mainburg (Bayern), Mergel und Tone des Miozäns, besonders bekannt durch Wirbeltierfunde
Doberg bei Bünde (Nordrhein-Westfalen), marine Mergel des Oligozäns, besonders bekannt durch Funde mariner Wirbeltiere, siehe auch Dobergmuseum
Geiseltal bei Halle (Saale) (Sachsen-Anhalt), braunkohleführendes Eozän, vor allem bekannt durch die Säugetierfunde
Grube Messel bei Darmstadt (Hessen), Ölschiefer des Eozän, UNESCO-Weltnaturerbe, vor allem bekannt durch die Säugetierfunde
Steinbrüche bei Solnhofen und Eichstätt (Bayern), lithographische Kalke des Tithoniums (Oberjura), vor allem durch die Funde des Urvogels Archaeopteryx bekannt
Holzmaden (Baden-Württemberg), dunkle Tonsteine des Toarciums (Unterjura), vor allem durch Funde von Ichthyosauriern bekannt
Kupferzell (Baden-Württemberg), bunte Mergel des Lettenkeuper (Mitteltrias), bekannt durch Massenvorkommen von Temnospondylen
Bromacker (Thüringen), rote Sandsteine des Artinskiums (Unterperm), besonders bekannt durch Funde von „Ur-Sauriern“ (reptiliomorphe Amphibien und frühe Amnioten)
Ziegeleigrube Vorhalle bei Hagen (Nordrhein-Westfalen), Tonsteine des Namuriums (Oberkarbon), besonders bekannt durch Funde terrestrischer Gliederfüßer
Bundenbach (Rheinland-Pfalz), dunkle Tonschiefer des Emsiums (Unterdevon), bekannt durch detaillierte Erhaltung wirbelloser Meerestiere
Populäre Fossilfunde
Nicht nur Dinosaurierfunde professioneller Paläontologen erregten öffentliche Aufmerksamkeit, viele bekannte Funde sind auch Hobbypaläontologen zu verdanken. So zum Beispiel die verschiedenen Exemplare des „Urvogels“ Archaeopteryx aus dem Solnhofener Plattenkalk. Ein weiteres Beispiel für einen weithin bekannten Fund ist das ungewöhnlich vollständige Skelett „AL 288-1“ eines weiblichen Australopithecus afarensis, genannt „Lucy“.
Für seine ungewöhnliche Erhaltung bekannt wurde der im Eis konservierte Körper des Steppenbisons Blue Babe. Der weltweit größte gefundene Ammonit (Kopffüßer) Parapuzosia seppenradensis, mit über 170 Zentimeter Gehäusedurchmesser, befindet sich heute im Naturkundemuseum Münster.
Abgrenzung
Pseudofossilien
Als Pseudofossilien oder Scheinfossilien werden (natürliche) anorganische Bildungen bezeichnet, die an Organismen erinnern (vgl. Lusus naturae). Zu den bekanntesten Erscheinungen dieser Art gehören die an filigrane Korallenstrukturen oder Pflanzen erinnernden Mangandendriten, wie sie beispielsweise häufig im Solnhofener Plattenkalk anzutreffen sind, oder Faserkalk, der mitunter fossilisiertem Holz ähnelt.
Spuren rezenten Lebens
Spuren rezenter wirbelloser Tiere, die dazu fähig sind, Kalziumkarbonat zu lösen, könnten mit Körper- oder Spurenfossilien verwechselt werden, speziell Löcher von Bohrmuscheln oder -würmern (z. B. Polydora ciliata) in Kalkstein.
Dubiofossilien
Dubiofossilien sind entweder echte Fossilien, deren taxonomische Stellung zweifelhaft ist, oder aber Bildungen, deren Status als echtes Fossil umstritten ist. Sie stehen damit zwischen Fossilien mit taxonomisch klarem Status und Pseudofossilien. Ein relativ bekanntes Beispiel geben die mikroskopischen Strukturen im Mars-Meteoriten ALH84001, bei denen es sich um fossile Bakterien handeln könnte, deren Ursprung aber auch anders erklärbar ist.
Fossilienfälschungen
In der Geschichte der Paläontologie kam es immer wieder zu aufsehenerregenden Fälschungen von Fossilien. Einer der ältesten Fälle spielte sich im Franken des 18. Jahrhunderts ab: die sogenannten Würzburger Lügensteine, „Figurensteine“ aus gebranntem Ton, wurden einem angeblich arglosen Naturforscher untergeschoben. Aus jüngerer Zeit stammte der sogenannte Piltdown-Mensch (Eoanthropus dawsoni), Fragmente eines vermeintlichen Frühmenschenschädels, die 1912 in einer Kiesgrube in England „gefunden“ wurden, sich aber letztlich als Bruchstücke des Craniums eines modernen Menschen, kombiniert mit dem unvollständigen Unterkiefer eines Orang-Utans herausstellten. Noch jüngeren Datums ist der Fall des Archaeoraptor, eines angeblichen Bindeglieds zwischen Nicht-Vogel-Dinosauriern und Vögeln. Diese Fälschung war aus einem Vogelfossil und Teilen von Nicht-Vogel-Dinosaurierfossilien aus der gleichen Formation zusammengeleimt worden und beschädigte um das Jahr 2000 die Reputation des populärwissenschaftlichen Magazins National Geographic nachhaltig.
Dies sind allerdings nur die spektakulärsten Fälle. Darüber hinaus existiert eine Vielzahl gefälschter Fossilien, die mitunter auf Fossilienbörsen angeboten werden, nicht zu verwechseln mit Kopien (Abgüssen) echter Fossilien, die als solche ausgewiesen werden.
Lebende Fossilien
Ein sogenanntes lebendes Fossil ist eine heute existierende Tier- oder Pflanzenart, die sich in ihrem grundlegenden Körperbau von ihren Vorfahren nur unwesentlich unterscheidet. Schon aus der Eigenschaft „lebend“ geht hervor, dass es sich nicht um Fossilien im Wortsinn handelt, sondern um bildhaften Sprachgebrauch.
Fossilien als Wappentiere
Gehäuse bzw. Schalen von Trilobiten, Ammoniten und Schnecken kommen in der Heraldik selten als Wappentiere vor; ihre Verwendung deutet auf lokale Fundstätten hin.
Siehe auch
Fossil des Jahres
Liste paläontologischer Museen
Versteinerter Wald
Literatur
Bernhard Ziegler: Einführung in die Paläobiologie Teil 1: Allgemeine Paläontologie. 5. Auflage. E. Schweizerbart’sche Verlagsbuchhandlung, Stuttgart 1992, ISBN 3-510-65316-5.
Richard Moody: Fossilien – Versteinerte Zeugnisse der Vergangenheit. Albatros Verlag, Zollikon 1977, ohne ISBN.
Weblinks
Die deutschsprachige Community von Fossiliensammlern für Fossiliensammler
Fossilien – das Weltkulturerbe schlechthin von Reinhold Leinfelder u. a. In: Messeheft der Münchner Mineralientage Oktober 2004 (PDF-Datei; 1,1 MB)
The Life of a Vertebrate Fossil veröffentlicht vom: Smithsonian’s National Museum of Natural History
Beispiele für Fossilien aller Erdzeitalter (private Seite)
Vergessen Sie Archaeopteryx! Ein Artikel zu gefälschten Fossilien von A. Kunkel & W. Werner, München. Publiziert in: avisio 1/2002 (Bayerisches Staatsministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst) (PDF-Datei)
Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Stadtsoziologie
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Stadtsoziologie
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Die Stadtsoziologie befasst sich als eine spezielle Soziologie mit den Beziehungen zwischen sozialen Gruppen im städtischen Raum.
Ihre Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass die moderne Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft wie auch das Städtewachstum in der „Dritten Welt“ die städtische Bevölkerung zur zahlenmäßig überwiegenden gemacht hat.
Gegenstand
Die begrifflich-analytische Zuspitzung der Stadtsoziologie hängt davon ab, was genau als urban (städtisch) gekennzeichnet wird. Ist die reine Bevölkerungsdichte das Kriterium, dann genügen für die Konstitution eines Gegenstands der Stadtsoziologie viele Menschen auf wenigen Quadratkilometern. Bei einer solchen Definition ist jedoch die Abgrenzung des „typisch Städtischen“ beispielsweise vom Slum, vom Lager oder von der unternehmenseigenen Werkssiedlung problematisch. So wird das Urbane (oder der urbane Raum) meist anders bestimmt. Mit Hilfe politiksoziologischer Zusatzkriterien charakterisiert beispielsweise Max Weber die Stadt, die für ihn das Miteinander von einander Unbekannten ermöglicht und ein politisch (oft stadtstaatlich) geschützter Marktort ist (vgl. auch die Diskussion zur Polis). Mit mentalitätsbezogenen Argumenten grenzt Georg Simmel die Großstadt in Die Großstädte und das Geistesleben ab. Die soziale Heterogenität betont Louis Wirth in Urbanism as a way of life. In netzwerktheoretischer Perspektive kann man gewisse dichte Knäuel (Cluster) von sich ergänzenden Funktionen als typisch urban definieren.
Bei dieser Betrachtung ergibt sich, dass nicht alle in politischer und rechtlicher Hinsicht autonomen Städte „urban“ sind. So hat William Bascom die Großdörfer in Nigeria als rus in urbe (lateinisch, so viel wie: „Land in der Stadt“) bezeichnet. Ähnliches gilt für die preußischen „Industriedörfer“ in Oberschlesien oder im Ruhrgebiet wie z. B. Oberhausen, das erst 1901 zur Stadt wurde, als es schon 40.000 Einwohner hatte, aber großenteils aus einer wenig strukturierten Anhäufung von Zechenanlagen und Bergarbeitersiedlungen bestand. Auch gilt der von der Stadtsoziologie kritisierte Mangel an Urbanität für viele der aus Hochhäusern errichteten „Schlafstädte“ der 1960er und 1970er Jahre. Erst recht dürfte er für die riesigen, durch Landflucht entstandenen Ansammlungen von Billigunterkünften wie in Afrika (z. B. in Nouakchott) oder die monofunktionalen Industriesiedlungen in Asien, vor allem in China, gelten, denen meist eine Selbstverwaltung fehlt, durch die soziale und ethnische Spannungen ausgeglichen werden könnten. Eine Anhäufung und bloße Verdichtung homogener Funktionen (Schlafen, Arbeiten …) macht ebenso wenig wie eine rein administrative Abgrenzung und Selbstständigkeit das Wesen der Stadt aus. Dennoch werden von der Stadtsoziologie auch die nicht eigentlich als urban zu bezeichnenden Agglomerationen untersucht, wobei sie mit der Siedlungssoziologie, der Sozialgeographie und bspw. der Migrationsforschung kooperiert.
Insoweit die Stadtsoziologie „soziale Probleme“ (z. B. sog. „Problemviertel“, Landflucht, Slumbildung) behandelt, sieht sie oft von stadtsoziologischen Grundsatzdiskussionen ab, behandelt aber weltweit aktuelle und wichtige Forschungsfragen.
Fachgeschichte
Ein wichtiger Vorläufer der modernen Stadtsoziologie ist die von der Chicago-Schule seit 1920 entwickelte Sozialökologie.
Als Vorläufer der Stadtsoziologie in Frankreich ist der von der Chicago-Schule beeinflusste Paul-Henry Chombart de Lauwe zu nennen, der frühzeitig das Leitbild der von der Charta von Athen propagierten Trennung der städtischen Funktionen Wohnen, Arbeiten, Freizeit kritisierte.
Wichtige Anstöße zur Diskussion über die Stadt als soziales Phänomen kamen von Autoren außerhalb der Disziplin wie Lewis Mumford, Jane Jacobs, Alexander Mitscherlich und anderen. In Deutschland wurden nach Verabschiedung der gesetzlichen Instrumente zur Flächensanierung seit Ende der 1960er Jahre die Sanierungsgebiete und -prozesse kritisch untersucht.
In den 1970er Jahren entstand in kritischer Abgrenzung von der Humanökologie der Chicago School die New Urban Sociology, wobei marxistische Ansätze eine zentrale Rolle spielten (Henri Lefebvre, Manuel Castells, David Harvey u. a.).
Seit den 1980er Jahren gab es eine über die Stadtsoziologie im engeren Sinne hinausreichende Diskussion zum Themenfeld der Gentrifizierung. Im Zusammenhang mit der Globalisierung gab es eine umfangreiche Debatte zu den sogenannten Global Citys. In jüngster Zeit wird das Thema der Megastädte und ihrer drohenden Verslumung, der Ausgrenzung und der informellen Ökonomie verstärkt aufgegriffen, so von dem amerikanischen Stadtforscher und Historiker Mike Davis.
Beziehungen zu anderen Disziplinen
Die Stadtsoziologie weist Überschneidungen mit der Stadtgeographie, der Stadtplanung, der Stadtökologie, der Stadtethnologie (Urban Anthropology) und der Architektur auf. Stehen dort jedoch Raummuster bzw. raumwirksame Systeme im Vordergrund, so wird von einigen Vertretern der Stadtsoziologie die soziale, politische und ökonomische Interaktion von Individuen oder Gruppen unterschiedlicher Interessen zentral gesetzt. Überschneidungen mit der lokalen Politikforschung gibt es unter anderem durch den im eher englischsprachigen Raum praktizierten Ansatz der „Urbanen Regimeforschung“. Allianzen zwischen verschiedenen Gruppen öffentlicher und privater Akteure stehen hier unter dem Oberbegriff der Governance im Mittelpunkt.
Aktuelle Forschungsansätze
Einer unter zahlreichen in Deutschland debattierten aktuellen Forschungsansätzen ist der „Eigenlogik-Ansatz“. Dieser unterscheidet sich insofern von anderen Sichtweisen innerhalb der Stadtforschung dadurch, dass sie die je spezifischen und „typischen“ Eigenschaften sowie stillschweigend wirksamen Prozesse der kulturellen Sinnformung einer Stadt untersucht. Ziel ist es, die grundlegenden Strukturen der Städte zu verstehen sowie Relationen und Ähnlichkeiten zwischen den Städten nachzuvollziehen. Zentrales methodisches Instrument ist dabei der Städtevergleich.
Kritisch wird gegen diesen Ansatz eingewendet, dass er die Bedingungen der Stadtentwicklung aus politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen herauslöst und die Städte zu fiktiven kulturellen Einheiten homogenisiert, ohne auf die divergierenden Interessenstrukturen innerhalb der Städte einzugehen, die sich aus den höchst unterschiedlichen gesellschaftlichen Lagen ihrer Einwohner ergeben. So bleiben die diesem Ansatz verpflichteten Arbeiten in der Deskription von lokalen Milieus stecken („lokalistische“ Stadtforschung).
Zwischen diesen beiden Forschungsansätzen steht der Versuch zu beschreiben, wie sich bestimmte gesellschaftliche Gruppen ihre städtischen (Teil-)Räume selbst schaffen. Theoretiker der Postmoderne betrachten die Stadt als einen Spiegel, eine Bühne, die diesen Gruppen einen Auftritt ermöglicht oder auch als einen Rückzugsraum.
Andere Ansätze stellen die Ortsbindung der Stadt generell in Frage. Die Bühne brauche keinen physischen Ort mehr, sondern verlagere sich vom städtischen Raum in die Medien. Urbanität löse sich von ihrem physischen Kontext und virtualisiere sich immer stärker.
In der Stadtsoziologie der USA wird unter teilweiser Nutzung des Instrumentariums der Chicago-Schule die Interaktion zwischen Ethnien, sozialen Klassen, Geschlechtern und Lebensstilen, Wirtschaft, Kultur und Politik detailliert und integrativ untersucht.
Siehe auch
Segregation (Soziologie)
Raumsoziologie
Literatur
Aktuelle Einführungen
Hartmut Häußermann, Walter Siebel, Jens Wurtzbacher: Stadtsoziologie – Eine Einführung. Campus, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37497-8.
Frank Eckardt: Soziologie der Stadt. transcript Verlag, Bielefeld 2004, ISBN 3-89942-145-0.
Martina Löw, Silke Steets, Sergej Stoetzer: Einführung in die Stadt- und Raumsoziologie. UTB, Stuttgart 2006, ISBN 3-8252-2845-2.
Bernhard Schäfers, Alexa M. Kunz: Stadtsoziologie. Stadtentwicklung und Theorien – Grundlagen und Praxisfelder. VS, Wiesbaden 2006, ISBN 3-531-14658-0.
Jessica Wilde: Die Fabrikation der Stadt. Eine Neuausrichtung der Stadtsoziologie nach Bruno Latour. transcript Verlag, Bielefeld 2021, ISBN 978-3-8376-5537-7.
Fachgeschichte
Lars Clausen, Volker von Borries, Karl Simons: Siedlungssoziologie. Kösel-Verlag, München 1978.
Klaus M. Schmals (Hrsg.): Stadt und Gesellschaft: Ein Arbeits- und Grundlagenwerk. Edition Academic-Verlag, München 1983, ISBN 3-89000-008-8.
Jürgen Friedrichs: Stadtsoziologie. Leske + Budrich, Opladen 1995, ISBN 3-8100-1409-5.
Walter Siebel: Die Kultur der Stadt. Band 2698, Suhrkamp, Frankfurt am Main 2015, ISBN 978-3-518-12698-1.
Weiterführende Literatur
Talja Blokland: Urban Bonds. Polity Press, Oxford 2003, ISBN 0-7456-2802-8.
Rolf Lindner: Walks on the Wild Side. Eine Geschichte der Stadtforschung. Campus, Frankfurt am Main 2004, ISBN 3-593-37500-1.
Helmuth Berking, Martina Löw: Die Eigenlogik der Städte. Neue Wege für die Stadtforschung. (= Interdisziplinäre Stadtforschung). Campus, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-593-38725-3.
Martina Löw: Soziologie der Städte. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-518-58503-0.
Weblinks
Sektion Stadt- und Regionalsoziologie der Deutschen Gesellschaft für Soziologie
Forschungsschwerpunkt Stadtforschung an der TU Darmstadt
Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin
Fachgebiet Stadt- und Regionalsoziologie an der TU Berlin
Stadt- und Regionalsoziologie TU Dortmund
Professur für Sozialwissenschaftliche Stadtforschung an der Bauhaus-Universität Weimar
Fußnoten
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Q597680
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1973733
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https://de.wikipedia.org/wiki/Malireich
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Malireich
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Das mittelalterliche Reich Mali (auf Mandinka: Manden Kurufa) war das größte westafrikanische Reich der Geschichte.
Staatsvolk waren die Malinke („Leute Malis“) und wichtigste Einkommensquelle war der Goldhandel. In seinen Grenzen entsprach es ungefähr dem heutigen Mali, das Handelszentrum war Timbuktu. In seiner größten Ausdehnung reichte das Malireich aber weit darüber hinaus vom Atlantischen Ozean bis zum Gebirge des Aïr im Zentrum des Niger.
Quellenlage
Da es in fast allen afrikanischen Reichen – so auch im heutigen Mali – lange Zeit keine Tradition der Geschichtsschreibung im abendländischen Sinne gab, erfolgte die Überlieferung durch mündliche Erzählungen. Weitere Quellen liegen mit den Angaben arabischer Geographen und Historiker vor, die sich auf die Berichte berberischer und arabischer Händler und malischer Mekka-Pilger stützen. Während der Kolonialzeit wurde die Geschichte des mittelalterlichen Malireiches erstmals aufgrund von Quellenstudien systematisch bearbeitet.
Gründung des Malireiches
Nach den Ausführungen des andalusischen Geographen al-Bakrī wurde um 1050 ein König von Malal Muslim. Der muslimische Historiker und Geograph des 12. Jahrhunderts, al-Idrisi, ergänzte, dass Malal häufig das Ziel von Sklavenjägern gewesen sei. Nach 1200 beherrschte Sumanguru Kanté, mächtiger König der Sosso, die Mandinka. Sumanguru nahm das durch die Almoraviden in der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts eingenommene und islamisierte große Reich von Ghana ein, das seither verfiel. In der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts kam es zur Expansion des muslimischen Malal-Reiches, das bis zum Niger-Seengebiet (südwestlich von Timbuktu) nach Südwesten reichte. 1235 jedoch erhob sich der anschließende Löwen-König Sundiata Keïta gegen Sumanguru. Unterstützt von Truppen des Kleinkönigs von Méma marschierte der Heerführer am Oberlauf des Niger gegen den Sosso-König. Er besiegte ihn in der Schlacht von Kirina, übernahm seine Herrschaftsattribute und gründete das Mali-Nachfolgereich des muslimischen Malal. Anschließend eroberte er auch den nördlichen Teil des Reiches, vertrieb auch dort die Sosso und machte Mali damit zum erweiterten Nachfolgereich Ghanas. 1255 starb Sundiata Keita. Von 1285 bis 1300 erklomm der Usurpator Sakura den Thron, entpuppte sich dort allerdings als einer der tatkräftigsten Herrscher des Reiches. Unter seiner Ägide wurde das Reich über Timbuktu hinaus bis nach Gao ausgedehnt. Als umsichtig und mächtig galt von 1342 bis 1360 Thronfolger, Mansa Suleyman. Hierüber berichtete der Forschungsreisende Ibn Battuta. Es folgten verschwenderische und schwache Könige, die den Niedergang des Reiches ab 1388 einläuteten. Die überlieferte Königsliste des Historikers und Politikers Ibn Chaldūn bricht allerdings in dieser Zeit ab.
Pilgerfahrten der Maliherrscher nach Mekka
Um 1200 ereignete sich die erste Pilgerfahrt eines Mandinke-Fürsten nach Mekka. Der Nachfolger Sundiatas, Wali Keïta, konnte diese Wallfahrt unternehmen, ohne im Sahel das Territorium eines Nachbarstaates durchqueren zu müssen. Zu Beginn des 14. Jahrhunderts brach auch Mansa Sakura, ein offensichtlich nicht zu den Keïta gehöriger „Klient der Könige von Mali“, nach Mekka auf. Zweifellos die bedeutendste Pilgerfahrt aller westafrikanischen Könige aber unternahm Mansa Musa im Jahre 1324. Diese verschaffte ihm ausweislich der Berichte al-Omaris in der islamischen Welt großes Ansehen. Mehrere ägyptische Chronisten berichten übereinstimmend, dass durch die Einkäufe des Königs von Mali und seiner Begleiter soviel Gold auf den Markt von Kairo kam, dass der Goldpreis drastisch fiel. Der Preissturz muss nach modernen Berechnungen ungefähr 25 % betragen haben. Auch soll Mansa Musa nach Absolvenz seines Haddsch nach Mekka den Bau der Djinger-ber-Moschee veranlasst haben, was der Ausbreitung des Islam förderlich war.
Goldhandel
Die wichtigste Einnahmequelle war der Goldhandel. Zwar gab es im Malireich gar keine Goldmine, doch wurde Gold aus anderen westafrikanischen Regionen (Guinea, Ghana etc.) bezogen, oft in Form von Tributzahlungen. Die genauen Minenorte wurden offenbar bewusst geheim gehalten. Lizenzierte Händler brachten das Gold von Timbuktu mit Kamelkarawanen in den Maghreb und weiter bis nach Europa, das ab dem 13. Jahrhundert einen hohen Goldbedarf zeigte. Von den Zwischengewinnen und Abgaben wurde das Reich wohlhabend.
Lokale Sitten und Gebräuche – Islamisierung
Als Ibn Battuta 1352 bis 1353 das Malireich bereiste, herrschte nicht mehr Mansa Musa, sondern dessen Bruder Mansa Sulayman. Der Reisende hatte den Eindruck, dass schon zu dieser Zeit die Einwohner des Landes tief vom Islam geprägt waren. Nach seinen Beobachtungen verrichteten die Bewohner der Hauptstadt Niani regelmäßig die fünf täglichen Gebete, sie beteiligten sich zahlreich an den islamischen Festen, Eltern legten großen Wert darauf, dass ihre Kinder den Koran auswendig lernten, Rechtsstreitigkeiten wurden teilweise von den Kadis geregelt und nicht von den politischen Autoritäten. Daneben gab es allerdings Bräuche, die einen gläubigen Muslim wie Ibn Battuta schockierten: Sklavinnen bedienten ihre Herrn völlig unbekleidet und erschienen auch so in der Öffentlichkeit; zur Begrüßung des Königs streuten sich die Leute Sand und Asche auf ihr Haupt, eine Ehrerbietung, die nach muslimischen Verständnis höchstens Allah angemessen ist, nicht aber einem Menschen; grotesk und unangemessen erschienen ihm ebenfalls die Preislieder zu Ehren des Königs, bei denen die Barden in einer eigenartigen Verkleidung auftraten. Diese Einzelerscheinungen ändern nichts an der Tatsache, dass der Islam im Malireich von der städtischen Bevölkerung bereits zur Mitte des 14. Jahrhunderts mit großer Anteilnahme und Hingabe praktiziert wurde. Wie Ibn Battuta außerdem lobend hervorhebt, herrschten im gesamten Machtbereich der Keïta friedliche und gesicherte Verhältnisse. Nach dem Reisenden Ibn Battuta liefert der Historiker Ibn Chaldun 1394 wertvolle Nachrichten über den Aufstieg, die Expansion und den beginnenden Zerfall des Malireiches. Seinen und al-Umaris Angaben ist zu entnehmen, dass sich das Malireich in der Zeit seiner größten Machtentfaltung im Osten bis in das Gebirge des Air erstreckte.
Zerfall des Malireiches
Gegen Ende des 14. Jahrhunderts zeigten sich erste Verfallserscheinungen im Malireich. Hauptgrund dafür waren die dynastischen Konflikte, von denen Ibn Chaldun ein beredtes Zeugnis ablegt: Innerhalb von 30 Jahren herrschten sechs Könige – ein Sohn des Sulayman, drei Nachkommen Musas, ein Usurpator und letztlich ein Nachkomme Sundiatas aus der Linie seines Sohnes Wali. Dazu kam die De-facto-Herrschaft eines mächtigen Amtsträgers, der für einige Zeit den rechtmäßigen König in Gewahrsam nahm und an seiner Stelle die Macht ausübte. Um 1400 lösten sich Jarra und Gao vom Reich. Es ist kaum anzunehmen, dass diese Entwicklung in der Folgezeit rückgängig gemacht werden konnte, denn 1433 mussten die Keïta Timbuktu aufgeben. Im selben Jahr gewannen Tuareg die Kontrolle über Timbuktu und Walata. Die Provinz Méma im Seengebiet des Niger und die Handelsstadt Djenné konnten sie unter dem Druck des expandierenden Songhaireiches zur Mitte des 15. Jahrhunderts nicht mehr halten. Die nördlichen Reichsteile gingen verloren. Auch Massina fiel 1450 ab, nachdem die Mossi dorthin vorgedrungen waren. 1480 plünderten sie zudem Walata. Noch vor 1500 stellte sich die Situation des Reiches so dar, dass Tekrur selbständig geworden war und das Malireich nur noch aus dem Kerngebiet und die Provinzen um die Flüsse Gambia und Casamance bestand.
Der Niedergang des großen Malireiches wird indirekt durch die Portugiesen bestätigt. Nach ihren Erkundungen in Senegambien herrschte ein großer Malikönig irgendwo im Inneren des Landes. Diesem waren zwar die Mandinka-Könige des Gambia untertan, aber er residierte zurückgezogen am Oberlauf des Niger. Schon lange hatte er die Kontrolle über den transsaharanischen Goldhandel verloren. Um 1600 lösten sich die südwestlichen Gebiete von Mali.
Siehe auch
Mansa (Herrschertitel) (inkl. Liste der Herrscher von Mali)
Geschichte Malis
Literatur
Ralf A. Austen (Hrsg.): In Search of Sunjata. Bloomington 1999.
François-Xavier Fauvelle: Das goldene Rhinozeros. Afrika im Mittelalter. C.H. Beck, München 2017.
Dierk Lange: Ancient Kingdoms of West Afrika. Dettelbach 2004.
Nehemia Levtzion: Ancient Ghana and Mali. London 1973.
Nehemia Levtzion, John Hopkins: Corpus of Early Arabic Sources for West African History. Cambridge 1981.
Madina Ly Tall: L’empire du Mali. Dakar 1977.
Rudolf Fischer: Gold, Salz und Sklaven. Die Geschichte der großen Sudanreiche Gana, Mali und Son Ghau. Edition Erdmann, Stuttgart 1986, ISBN 3-522-65010-7.
Weblinks
Einzelnachweise
Historischer Staat in Afrika
Geschichte (Mali)
Historischer Staat (Senegal)
Historischer Staat (Gambia)
Geschichte (Guinea)
Geschichte (Mauretanien)
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Q184536
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mathematik
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Mathematik
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Die Mathematik (bundesdeutsches Hochdeutsch: [], []; österreichisches Hochdeutsch: []; mathēmatikē téchnē ‚die Kunst des Lernens‘) ist eine Formalwissenschaft, die aus der Untersuchung von geometrischen Figuren und dem Rechnen mit Zahlen entstand. Für Mathematik gibt es keine allgemein anerkannte Definition; heute wird sie üblicherweise als eine Wissenschaft beschrieben, die durch logische Definitionen selbstgeschaffene abstrakte Strukturen mittels der Logik auf ihre Eigenschaften und Muster untersucht.
Geschichte
Die Mathematik ist eine der ältesten Wissenschaften. Ihre erste Blüte erlebte sie noch vor der Antike in Mesopotamien, Indien und China, später in der Antike in Griechenland und im Hellenismus. Von dort datiert die Orientierung an der Aufgabenstellung des „rein logischen Beweisens“ und die erste Axiomatisierung, nämlich die euklidische Geometrie. Im Mittelalter überlebte sie unabhängig voneinander im frühen Humanismus der Universitäten und in der arabischen Welt.
In der frühen Neuzeit führte François Viète Variablen ein, René Descartes eröffnete durch die Verwendung von Koordinaten einen rechnerischen Zugang zur Geometrie. Die Betrachtung von Änderungsraten (Fluxionen) sowie die Beschreibung von Tangenten und die Bestimmung von Flächeninhalten („Quadratur“) führten zur Infinitesimalrechnung von Gottfried Wilhelm Leibniz und Isaac Newton. Newtons Mechanik und sein Gravitationsgesetz waren auch in den folgenden Jahrhunderten eine Quelle richtungweisender mathematischer Probleme wie des Dreikörperproblems.
Ein anderes Leitproblem der frühen Neuzeit war das Lösen zunehmend komplizierter werdender algebraischer Gleichungen. Zu dessen Behandlung entwickelten Niels Henrik Abel und Évariste Galois den Begriff der Gruppe, der Beziehungen zwischen Symmetrien eines Objektes beschreibt. Als weitere Vertiefung dieser Untersuchungen können die neuere Algebra und insbesondere die algebraische Geometrie angesehen werden.
Eine damals neue Idee im Briefwechsel zwischen Blaise Pascal und Pierre de Fermat im Jahr 1654 führte zur Lösung eines alten Problems, für das es schon andere, allerdings umstrittene Lösungsvorschläge gab. Der Briefwechsel wird als Geburt der klassischen Wahrscheinlichkeitsrechnung angesehen. Die neuen Ideen und Verfahren eroberten viele Bereiche. Aber über Jahrhunderte hinweg kam es zur Aufspaltung der klassischen Wahrscheinlichkeitstheorie in separate Schulen. Versuche, den Begriff „Wahrscheinlichkeit“ explizit zu definieren, gelangen nur für Spezialfälle. Erst das Erscheinen von Andrei Kolmogorows Lehrbuch Grundbegriffe der Wahrscheinlichkeitsrechnung im Jahr 1933 schloss die Entwicklung der Fundamente moderner Wahrscheinlichkeitstheorie ab, siehe dazu auch Geschichte der Wahrscheinlichkeitsrechnung.
Im Laufe des 19. Jahrhunderts fand die Infinitesimalrechnung durch die Arbeiten von Augustin-Louis Cauchy und Karl Weierstraß ihre heutige strenge Form. Die von Georg Cantor gegen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Mengenlehre ist aus der heutigen Mathematik ebenfalls nicht mehr wegzudenken, auch wenn sie durch die Paradoxien des naiven Mengenbegriffs zunächst deutlich machte, auf welch unsicherem Fundament die Mathematik vorher stand.
Die Entwicklung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts stand unter dem Einfluss von David Hilberts Liste von 23 mathematischen Problemen. Eines der Probleme war der Versuch einer vollständigen Axiomatisierung der Mathematik; gleichzeitig gab es starke Bemühungen zur Abstraktion, also des Versuches, Objekte auf ihre wesentlichen Eigenschaften zu reduzieren. So entwickelte Emmy Noether die Grundlagen der modernen Algebra, Felix Hausdorff die allgemeine Topologie als die Untersuchung topologischer Räume, Stefan Banach den wohl wichtigsten Begriff der Funktionalanalysis, den nach ihm benannten Banachraum. Eine noch höhere Abstraktionsebene, einen gemeinsamen Rahmen für die Betrachtung ähnlicher Konstruktionen aus verschiedenen Bereichen der Mathematik, schuf schließlich die Einführung der Kategorientheorie durch Samuel Eilenberg und Saunders Mac Lane.
Inhalte und Methodik
Inhalte und Teilgebiete
Die folgende Aufzählung gibt einen ersten chronologischen Überblick über die Breite mathematischer Themen:
das Rechnen mit Zahlen (Arithmetik – Altertum),
die Untersuchung von Figuren (Geometrie – Altertum, Euklid),
das Auflösen von Gleichungen (Algebra – Altertum, Mittelalter und Renaissance, Tartaglia),
die Untersuchung der korrekten Schlussfolgerungen (Logik – Aristoteles) (teilweise nur zur Philosophie, oft aber auch zur Mathematik gezählt)
Untersuchungen zur Teilbarkeit (Zahlentheorie – Euklid, Diophant, Fermat, Euler, Gauß, Riemann),
das rechnerische Erfassen räumlicher Beziehungen (Analytische Geometrie – Descartes, 17. Jahrhundert),
das Rechnen mit Wahrscheinlichkeiten (Wahrscheinlichkeitstheorie – Pascal, Jakob Bernoulli, Laplace, 17.–19. Jahrhundert),
die Untersuchung von Funktionen, insbesondere deren Wachstum, Krümmung, des Verhaltens im Unendlichen und der Flächeninhalte unter den Kurven (Analysis – Newton, Leibniz, Ende des 17. Jahrhunderts),
die Beschreibung physikalischer Felder (Differentialgleichungen, partielle Differentialgleichungen, Vektoranalysis – Euler, die Bernoullis, Laplace, Gauß, Poisson, Fourier, Green, Stokes, Hilbert, 18.–19. Jahrhundert),
die Perfektionierung der Analysis durch die Einbeziehung komplexer Zahlen (Funktionentheorie – Gauß, Cauchy, Weierstraß, 19. Jahrhundert),
die Geometrie gekrümmter Flächen und Räume (Differentialgeometrie – Gauß, Riemann, Levi-Civita, 19. Jahrhundert),
das systematische Studium von Symmetrien (Gruppentheorie – Galois, Abel, Klein, Lie, 19. Jahrhundert),
die Aufklärung von Paradoxien des Unendlichen (Mengenlehre und mathematische Logik – Cantor, Frege, Russell, Zermelo, Fraenkel, Anfang des 20. Jahrhunderts),
die stetige Verformung geometrischer Körper (Topologie – Cantor, Poincaré, Fréchet, Hausdorff, Kuratowski, Anfang des 20. Jahrhunderts),
die Untersuchung von Strukturen und Theorien (Universelle Algebra, Kategorientheorie),
die Erhebung und Auswertung von Daten (Mathematische Statistik).
diskrete endliche oder abzählbar unendliche Strukturen (Diskrete Mathematik, Kombinatorik, Graphentheorie – Euler, Cayley, Kőnig, Tutte, Carl Adam Petri) mit engen Beziehungen zur Informatik.
Etwas abseits steht in dieser Aufzählung die Numerische Mathematik, die für konkrete kontinuierliche Probleme aus vielen der oben genannten Bereiche Algorithmen zur Lösung bereitstellt und diese untersucht.
Unterschieden werden ferner die reine Mathematik, auch als theoretische Mathematik bezeichnet, die sich nicht mit außermathematischen Anwendungen befasst, und die angewandte Mathematik wie zum Beispiel Versicherungsmathematik und Kryptologie. Die Übergänge der eben genannten Gebiete sind fließend.
Fortschreiten durch Problemlösen
Kennzeichnend für die Mathematik ist weiterhin die Weise, wie sie durch das Bearbeiten von „eigentlich zu schweren“ Problemen voranschreitet.
Sobald ein Grundschüler das Addieren natürlicher Zahlen gelernt hat, ist er in der Lage, folgende Frage zu verstehen und durch Probieren zu beantworten: „Welche Zahl muss man zu 3 addieren, um 5 zu erhalten?“ Die systematische Lösung solcher Aufgaben aber erfordert die Einführung eines neuen Konzepts: der Subtraktion. Die Frage lässt sich dann umformulieren zu: „Was ist 5 minus 3?“ Sobald aber die Subtraktion definiert ist, kann man auch die Frage stellen: „Was ist 3 minus 5?“, die auf eine negative Zahl und damit bereits über die Grundschulmathematik hinaus führt.
Ebenso wie in diesem elementaren Beispiel beim individuellen Erlernen ist die Mathematik auch in ihrer Geschichte fortgeschritten: auf jedem erreichten Stand ist es möglich, wohldefinierte Aufgaben zu stellen, zu deren Lösung weitaus anspruchsvollere Mittel nötig sind. Oft sind zwischen der Formulierung eines Problems und seiner Lösung viele Jahrhunderte vergangen und ist mit der Problemlösung schließlich ein völlig neues Teilgebiet begründet worden: so konnten mit der Infinitesimalrechnung im 17. Jahrhundert Probleme gelöst werden, die seit der Antike offen waren.
Auch eine negative Antwort, der Beweis der Unlösbarkeit eines Problems, kann die Mathematik voranbringen: so ist aus gescheiterten Versuchen zur Auflösung algebraischer Gleichungen die Gruppentheorie entstanden.
Axiomatische Formulierung und Sprache
Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts, vereinzelt schon seit der Antike, wird die Mathematik in Form von Theorien präsentiert, die mit Aussagen beginnen, welche als wahr angesehen werden; daraus werden dann weitere wahre Aussagen hergeleitet. Diese Herleitung geschieht dabei nach genau festgelegten Schlussregeln. Die Aussagen, mit denen die Theorie anfängt, nennt man Axiome, die daraus hergeleiteten nennt man Sätze. Die Herleitung selbst ist ein Beweis des Satzes. In der Praxis spielen noch Definitionen eine Rolle, durch sie werden mathematische Begriffe durch Rückführung auf grundlegendere eingeführt und präzisiert. Aufgrund dieses Aufbaus der mathematischen Theorien bezeichnet man sie als axiomatische Theorien.
Üblicherweise verlangt man dabei von Axiomen einer Theorie, dass diese widerspruchsfrei sind, also dass nicht gleichzeitig ein Satz und die Negation dieses Satzes wahr sind. Diese Widerspruchsfreiheit selbst lässt sich aber im Allgemeinen nicht innerhalb einer mathematischen Theorie beweisen (dies ist abhängig von den verwendeten Axiomen). Das hat zur Folge, dass etwa die Widerspruchsfreiheit der Zermelo-Fraenkel-Mengenlehre, die fundamental für die moderne Mathematik ist, nicht ohne Zuhilfenahme weiterer Annahmen beweisbar ist.
Die von diesen Theorien behandelten Gegenstände sind abstrakte mathematische Strukturen, die ebenfalls durch Axiome definiert werden. Während in den anderen Wissenschaften die behandelten Gegenstände vorgegeben sind und danach die Methoden zur Untersuchung dieser Gegenstände geschaffen werden, ist bei der Mathematik umgekehrt die Methode vorgegeben und die damit untersuchbaren Gegenstände werden erst danach erschaffen. In dieser Weise nimmt und nahm die Mathematik immer eine Sonderstellung unter den Wissenschaften ein.
Die Weiterentwicklung der Mathematik geschah und geschieht dagegen oft durch Sammlungen von Sätzen, Beweisen und Definitionen, die nicht axiomatisch strukturiert sind, sondern vor allem durch die Intuition und Erfahrung der beteiligten Mathematiker geprägt sind. Die Umwandlung in eine axiomatische Theorie erfolgt erst später, wenn weitere Mathematiker sich mit den dann nicht mehr ganz so neuen Ideen beschäftigen.
Kurt Gödel zeigte um 1930 den nach ihm benannten Unvollständigkeitssatz, der besagt, dass es in jedem Axiomensystem klassischer Logik, das erlaubt, gewisse Aussagen über natürliche Zahlen zu beweisen, entweder Aussagen gibt, die ebenso wenig wie ihre Negation beweisbar sind, oder aber das System selbst widersprüchlich ist.
Mathematik benutzt zur Beschreibung von Sachverhalten eine sehr kompakte Sprache, die auf Fachbegriffen und vor allem Formeln beruht. Eine Darstellung der in den Formeln benutzten Zeichen findet sich in der Liste mathematischer Symbole. Eine Besonderheit der mathematischen Fachsprache besteht in der Bildung von aus Mathematikernamen abgeleiteten Adjektiven wie pythagoreisch, euklidisch, eulersch, abelsch, noethersch und artinsch.
Anwendungsgebiete
Die Mathematik ist in allen Wissenschaften anwendbar, die ausreichend formalisiert sind. Daraus ergibt sich ein enges Wechselspiel mit Anwendungen in empirischen Wissenschaften. Über viele Jahrhunderte hinweg hat die Mathematik Anregungen aus der Astronomie, der Geodäsie, der Physik und der Ökonomie aufgenommen und umgekehrt die Grundlagen für den Fortschritt dieser Fächer bereitgestellt. Beispielsweise hat Newton die Infinitesimalrechnung entwickelt, um das physikalische Konzept „Kraft gleich Impulsänderung“ mathematisch zu fassen. Solow entwickelte ein ökonomisches Modell des Wachstums einer Volkswirtschaft, das bis heute die Grundlage der neoklassischen Wachstumstheorie bildet. Fourier hat beim Studium der Wellengleichung die Grundlage für den modernen Funktionsbegriff gelegt und Gauß hat im Rahmen seiner Beschäftigung mit Astronomie und Landvermessung die Methode der kleinsten Quadrate entwickelt und das Lösen von linearen Gleichungssystemen systematisiert. Aus der anfänglichen Untersuchung von Glücksspielen ist die heute allgegenwärtige Statistik hervorgegangen.
Umgekehrt haben Mathematiker zuweilen Theorien entwickelt, die erst später überraschende praktische Anwendungen gefunden haben. So ist zum Beispiel die schon im 16. Jahrhundert entstandene Theorie der komplexen Zahlen zur mathematischen Darstellung des Elektromagnetismus inzwischen unerlässlich geworden. Ein weiteres Beispiel ist der tensorielle Differentialformenkalkül, den Einstein für die mathematische Formulierung der allgemeinen Relativitätstheorie verwendet hatte. Des Weiteren galt die Beschäftigung mit der Zahlentheorie lange Zeit als intellektuelle Spielerei ohne praktischen Nutzen, ohne sie wären heute allerdings die moderne Kryptographie und ihre vielfältigen Anwendungen im Internet nicht denkbar.
Verhältnis zu anderen Wissenschaften
Kategorisierung der Mathematik
Über die Frage, zu welcher Kategorie der Wissenschaften die Mathematik gehört, wird seit langer Zeit kontrovers diskutiert.
Viele mathematische Fragestellungen und Begriffe sind durch die Natur betreffende Fragen motiviert, beispielsweise aus der Physik oder den Ingenieurwissenschaften, und die Mathematik wird als Hilfswissenschaft in nahezu allen Naturwissenschaften herangezogen. Jedoch ist sie selbst keine Naturwissenschaft im eigentlichen Sinne, da ihre Aussagen nicht von Experimenten oder Beobachtungen abhängen. Dennoch wird in der neueren Philosophie der Mathematik davon ausgegangen, dass auch die Methodik der Mathematik immer mehr derjenigen der Naturwissenschaft entspricht. Im Anschluss an Imre Lakatos wird eine „Renaissance des Empirismus“ vermutet, wonach auch Mathematiker Hypothesen aufstellen und für diese Bestätigungen suchen.
Die Mathematik hat methodische und inhaltliche Gemeinsamkeiten mit der Philosophie; beispielsweise ist die Logik ein Überschneidungsbereich der beiden Wissenschaften. Damit könnte man die Mathematik zu den Geisteswissenschaften rechnen, aber auch die Einordnung in die Philosophie ist umstritten.
Auch aus diesen Gründen kategorisieren einige die Mathematik – neben anderen Disziplinen wie der Informatik – als Strukturwissenschaft bzw. Formalwissenschaft.
An deutschen Universitäten gehört die Mathematik meistens zur selben Fakultät wie die Naturwissenschaften, und so wird Mathematikern nach der Promotion in der Regel der akademische Grad eines Dr. rer. nat. (Doktor der Naturwissenschaft) verliehen. Im Gegensatz dazu erreicht im englischen Sprachraum der Hochschulabsolvent die Titel „Bachelor of Arts“ bzw. „Master of Arts“, die eigentlich an Geisteswissenschaftler vergeben werden.
Sonderrolle unter den Wissenschaften
Eine Sonderrolle unter den Wissenschaften nimmt die Mathematik bezüglich der Gültigkeit ihrer Erkenntnisse und der Strenge ihrer Methoden ein. Während beispielsweise alle naturwissenschaftlichen Erkenntnisse durch neue Experimente falsifiziert werden können und daher prinzipiell vorläufig sind, werden mathematische Aussagen durch reine Gedankenoperationen auseinander hervorgebracht oder aufeinander zurückgeführt und brauchen nicht empirisch überprüfbar zu sein. Dafür muss aber für mathematische Erkenntnisse ein streng logischer Beweis gefunden werden, bevor sie als mathematischer Satz anerkannt werden. In diesem Sinn sind mathematische Sätze prinzipiell endgültige und allgemeingültige Wahrheiten, sodass die Mathematik als die exakte Wissenschaft betrachtet werden kann. Gerade diese Exaktheit ist für viele Menschen das Faszinierende an der Mathematik. So sagte David Hilbert auf dem Internationalen Mathematiker-Kongress 1900 in Paris:
Joseph Weizenbaum vom Massachusetts Institute of Technology bezeichnete die Mathematik als die Mutter aller Wissenschaften.
Die Mathematik ist daher auch eine kumulative Wissenschaft. Man kennt heute über 2000 mathematische Fachzeitschriften. Dies birgt jedoch auch eine Gefahr: durch neuere mathematische Gebiete geraten ältere Gebiete in den Hintergrund. Neben sehr allgemeinen Aussagen gibt es auch sehr spezielle Aussagen, für die keine echte Verallgemeinerung bekannt ist. Donald E. Knuth schreibt dazu im Vorwort seines Buches Concrete Mathematics:
Es kommt somit der älteren mathematischen Literatur eine besondere Bedeutung zu.
Der Mathematiker Claus Peter Ortlieb kritisiert die – seiner Ansicht nach – zu wenig reflektierte Anwendung der modernen Mathematik:
Mathematik in der Gesellschaft
Mathematik im „Wissenschaftsjahr 2008“
Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) seit dem Jahr 2000 jährlich ausgerichtete Wissenschaftsjahr war 2008 das Jahr der Mathematik.
Mathematik in der Schule
Mathematik spielt in der Schule eine wichtige Rolle als Pflichtfach. Mathematikdidaktik ist die Wissenschaft, die sich mit dem Lehren und Lernen von Mathematik beschäftigt. In den Klassen 5–10 geht es vor allem um das Erlernen von Rechenfertigkeiten. In deutschen Gymnasien werden in der Oberstufe, also ab Klasse 11, dann Differential- und Integralrechnung sowie Analytische Geometrie / Lineare Algebra eingeführt und dazu Stochastik weitergeführt.
Große Verbreitung an Schulen hat der Wettbewerb Känguru der Mathematik gefunden: Von 200 Teilnehmern im Jahr 1995 stieg die Anzahl auf 968.000 im Jahr 2019. Es ist ein Multiple-Choice-Wettbewerb mit Aufgaben zum Knobeln, zum Rechnen und zum Schätzen, der vor allem Freude an der Beschäftigung mit Mathematik wecken soll. Die Aufgaben erfordern keine schriftliche Begründung.
Mathematik als Studienfach und Beruf
Menschen, die sich beruflich mit der Entwicklung und der Anwendung der Mathematik beschäftigen, nennt man Mathematiker.
Neben dem Mathematikstudium, in dem man seine Schwerpunkte auf reine und/oder angewandte Mathematik setzen kann, sind in neuerer Zeit vermehrt interdisziplinäre Studiengänge wie Technomathematik, Wirtschaftsmathematik, Computermathematik oder Biomathematik eingerichtet worden. Ferner ist das Lehramt an weiterführenden Schulen und Hochschulen ein wichtiger mathematischer Berufszweig. An deutschen Universitäten wurde im Rahmen des Bologna-Prozesses das Diplom auf Bachelor/Master-Studiengänge umgestellt. Eine gewisse Anzahl an Semesterwochenstunden in Mathematik müssen auch angehende Informatiker, Chemiker, Biologen, Physiker, Geologen und Ingenieure belegen.
Die häufigsten Arbeitgeber für Mathematiker sind Versicherungen, Banken und Unternehmensberatungen, insbesondere im Bereich mathematischer Finanzmodelle und Consulting, aber auch im IT-Bereich. Darüber hinaus werden Mathematiker in fast allen Branchen eingesetzt.
Mathematische Museen und Sammlungen
Mathematik ist eine der ältesten Wissenschaften und auch eine experimentelle Wissenschaft. Diese beiden Aspekte lassen sich durch Museen und historische Sammlungen sehr gut verdeutlichen.
Die älteste Einrichtung dieser Art in Deutschland ist der 1728 gegründete Mathematisch-Physikalische Salon in Dresden. Das Arithmeum in Bonn am dortigen Institut für diskrete Mathematik geht in die 1970er Jahre zurück und beruht auf der Sammlung von Rechengeräten des Mathematikers Bernhard Korte. Das Heinz Nixdorf MuseumsForum (Abkürzung „HNF“) in Paderborn ist das größte deutsche Museum zur Entwicklung der Rechentechnik (insbesondere des Computers). Das Mathematikum in Gießen wurde 2002 von Albrecht Beutelspacher gegründet und wird von ihm laufend weiterentwickelt. Im Museumsquartier in Wien befindet sich das von Rudolf Taschner geleitete Math.space, welches die Mathematik im Kontext zu Kultur und Zivilisation zeigt.
Darüber hinaus sind zahlreiche Spezialsammlungen an Universitäten untergebracht, aber auch in umfassenderen Sammlungen wie zum Beispiel im Deutschen Museum in München oder im Museum für Technikgeschichte in Berlin (Rechner von Konrad Zuse entwickelt und gebaut).
Aphorismen über Mathematik und Mathematiker (Auswahl)
Folgende Aphorismen bekannter Persönlichkeiten sind zu finden:
Albert Einstein: Die Mathematik handelt ausschließlich von den Beziehungen der Begriffe zueinander ohne Rücksicht auf deren Bezug zur Erfahrung.
Galileo Galilei: Mathematik ist das Alphabet, mit dessen Hilfe Gott das Universum beschrieben hat.
Johann Wolfgang von Goethe: Die Mathematiker sind eine Art Franzosen: Redet man zu ihnen, so übersetzen sie es in ihre Sprache, und dann ist es alsobald ganz etwas anderes.
Godfrey Harold Hardy: Der Mathematiker ist ein Hersteller von Schemata.
David Hilbert: Aus dem Paradies, das Cantor uns geschaffen, soll uns niemand vertreiben können.
Novalis: Die ganze Mathematik ist eigentlich eine Gleichung im Großen für die anderen Wissenschaften.
Friedrich Nietzsche: Wir wollen die Feinheit und Strenge der Mathematik in alle Wissenschaften hineintreiben, so weit diess nur irgend möglich ist, nicht im Glauben, dass wir auf diesem Wege die Dinge erkennen werden, sondern um damit unsere menschliche Relation zu den Dingen festzustellen. Die Mathematik ist nur das Mittel der allgemeinen und letzten Menschenkenntniss.
Bertrand Russell: Mathematik ist die Wissenschaft, bei der man nicht weiß, wovon man spricht, noch ob das, was man sagt, wahr ist.
Friedrich Schlegel: Die Mathematik ist gleichsam eine sinnliche Logik, sie verhält sich zur Philosophie wie die materiellen Künste, Musik und Plastik, zur Poesie.
James Joseph Sylvester: Mathematik ist die Musik der Vernunft.
Ludwig Wittgenstein: Die Mathematik ist eine Methode der Logik.
Siehe auch
Literatur
John D. Barrow: Ein Himmel voller Zahlen – Auf den Spuren mathematischer Wahrheit, aus dem Englischen von Anita Ehlers, Rowohlt Taschenbuch Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg 1999, ISBN 3-499-19742-1.
Jürgen Brater: Kuriose Welt der Zahlen, Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 2005, ISBN 3-8218-4888-X.
Richard Courant, Herbert Robbins: Was ist Mathematik? Springer-Verlag, Berlin/Heidelberg 2000, ISBN 3-540-63777-X.
Timothy Gowers: Mathematik. Deutsche Erstausgabe, aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Schröder, Reclam-Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-15-018706-7.
Timothy Gowers (Hrsg.), June Barrow-Green (Hrsg.), Imre Leader (Hrsg.): The Princeton Companion to Mathematics. Princeton University Press 2008 (Enzyklopädisch auf einführendem Niveau)
Hans Kaiser, Wilfried Nöbauer: Geschichte der Mathematik. 2. Auflage. Oldenbourg, München 1999, ISBN 3-486-11595-2.
Mario Livio: Ist Gott ein Mathematiker? Warum das Buch der Natur in der Sprache der Mathematik geschrieben ist. C. H. Beck Verlag, München 2010, ISBN 978-3-406-60595-6.
Weblinks
Portale und Wissensdatenbanken
Eintrag Mathematik im Lexikon der Mathematik (2017)
MadiPedia (Gesellschaft für Didaktik der Mathematik)
Mathe-Online.at – mathematische Hintergründe und Lexikon
Matroids Matheplanet bei Matheplanet.de
Mathepedia.de
Mathematik.de – Portal der DMV zur Mathematik mit vielfältigen Inhalten
Wolframalpha, Formeln und Aufgaben online lösen
Mathworld.Wolfram.com – umfangreiche Mathematikquelle, engl.
Zentralblatt für Mathematik: MATH-Datenbank
Fachinformationsdienst Mathematik
Schulmathematik
Sammlung professioneller Lernvideos für den Einsatz im Mathematikunterricht am Gymnasium unter Einsatz Neuer Medien und Technologien (z. B. GeoGebra)
Mathe1.de – Schulwissen der Klassen 1–11
thema-mathematik.at – Mathematikwissen der AHS-Oberstufe (Klassen 9–12)
Software
GeoGebra – GeoGebra ist ein Open-Source-Projekt.
Geschichtliches
„Frauen in der Geschichte der Mathematik“ (Vorlesungsfolien Prof. Blunck, Universität Hamburg)
Images of Some Famous Mathematical Works (Bilder berühmter mathematischer Werke)
Zeugnisse über Mathematiker
Einzelnachweise
Wissenschaftliches Fachgebiet
|
Q395
| 3,403.79799 |
6384
|
https://de.wikipedia.org/wiki/1875
|
1875
|
Ereignisse
Politik und Weltgeschehen
Deutsches Kaiserreich
5. Februar: In seiner Enzyklika Quod numquam verurteilt Papst Pius IX. die preußischen Kulturkampfgesetze und erklärt sie für nichtig.
6. Februar: Im Deutschen Reich schreibt das neue Reichsgesetz über die Beurkundung des Personenstands und die Eheschließung die obligatorische Zivilehe vor und lässt die Ehescheidung zu.
22. April: Mit dem sogenannten „Brotkorbgesetz“ wird der Kulturkampf mit der römisch-katholischen Kirche im deutschen Kaiserreich verschärft. Kernstück des Gesetzes ist die Sperrung aller Staatszuschüsse an kirchliche Einrichtungen der katholischen Kirche, um die Anerkennung der Kulturkampfgesetze durch die Kirche zu erzwingen. Bischöfe und Geistliche, die schriftlich diese Anerkenntnis leisten, erhalten wieder die staatlichen Leistungen.
27. Mai: Im deutschen Reich schließen sich in Gotha der von Ferdinand Lassalle 1863 gegründete Allgemeine Deutsche Arbeiterverein (ADAV) und die von Wilhelm Liebknecht und August Bebel 1869 gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) zusammen, die 1890 in Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) umbenannt werden wird.
31. Mai: Das Klostergesetz, ein weiteres Kulturkampfgesetz, wird beschlossen und am 3. Juni verkündet. Es hebt alle geistlichen Orden und ordensähnlichen Kongregationen auf, ausgenommen sind diejenigen, die sich ausschließlich der Krankenpflege widmen.
Bremen, Hannover und Stuttgart werden zu Großstädten mit mehr als 100.000 Menschen.
Frankreich
30. Januar: Mit einer Stimme Mehrheit wird das von Henri Wallon eingebrachte Amendement Wallon verabschiedet, wonach das zukünftige französische Staatsoberhaupt, der Staatspräsident, für sieben Jahre gewählt wird.
24. Februar: Mit dem Gesetz vom 25. Februar wird die Stellung des französischen Senats geregelt.
16. Juli: Der letzte der Gesetzestexte des Jahres 1875 (lois constitutionnelles de 1875) tritt in Kraft, die endgültig die republikanische Staatsform der noch jungen Dritten Republik festschreiben, die bislang in der Verfassung aufgrund der starken monarchistischen Strömungen nur unzureichend verankert war.
Schweiz
1. Januar: Johann Jakob Scherer wird Bundespräsident der Schweiz.
28. Juli: Bei den Unruhen in Göschenen werden vier italienische Tunnelarbeiter erschossen, nachdem beim Bau des Gotthardtunnels am Vortag ein Streik begonnen hat. Als Reaktion auf die Ereignisse erfolgt am nächsten Tag ein Armeeeinsatz, und danach eine unbewaffnete Bundesintervention unter der Leitung von Ständerat Hans Hold.
Spanien
14. Januar: Alfons XII. zieht an der Spitze der monarchistischen Truppen in Madrid ein, stürzt die Erste Spanische Republik endgültig und stellt die Monarchie wieder her. Anschließend wendet er sich gegen die Carlisten unter dem Thronprätendenten Carlos María de Borbón und fügt ihnen am 7. Juli bei Treviño eine Niederlage zu. Unter Ministerpräsident Antonio Cánovas del Castillo wird in der Folge bis 1885 eine Politik verfolgt, die auf die Wiederherstellung der Privilegien des Adels und der katholischen Kirche zielt.
Afrika
19. April: Im Gebietsstreit zwischen Großbritannien und Portugal über den Besitz der ostafrikanischen Maputo-Bucht entscheidet sich der als Schiedsrichter fungierende französische Staatspräsident, nunmehr Patrice de Mac-Mahon, für die portugiesische Seite.
Gabun wird französische Kolonie.
Lateinamerika
6. August: Vier Verschwörer töten in Quito den wiedergewählten ecuadorianischen Präsidenten Gabriel García Moreno auf dem Weg von der Kathedrale zum Präsidentenpalast, als dieser seine dritte Amtszeit antreten will.
Wirtschaft
Bankwirtschaft und Geldwesen
21. Januar: Die Banque de l’Indochine, eine Aktiengesellschaft im Besitz privater Großinvestoren, die in den französischen Kolonien im asiatisch-pazifischen Raum auch als Zentralbank mit Notenprivileg fungiert, wird in Paris gegründet.
14. März: Im Deutschen Reich wird das Bankgesetz verabschiedet, das unter anderem die Schaffung der Reichsbank ab 1. Januar 1876 vorsieht.
3. August: Der bayerische König Ludwig II. genehmigt das Errichten der Bayerischen Notenbank. Diese Funktion hat bislang die Bayerische Hypotheken- und Wechselbank inne, die sich jedoch auf keine Einschränkungen ihrer anderen Bankgeschäfte einlassen will.
6. Oktober: Das Osmanische Reich kürzt die Zinszahlungen für seine Auslandsschulden um 50 Prozent. Die Gläubiger erhalten dafür mit 5 Prozent verzinste Obligationen mit dem Versprechen späterer Einlösung. Die zerrütteten Staatsfinanzen führen am 13. April 1876 zur Erklärung des Staatsbankrotts.
Postwesen
19. März: Die Rohrpost in Wien wird in Betrieb genommen, vorerst nur für Telegramme und Eilbriefe.
1. Juli: Der im Jahr zuvor in Bern unterzeichnete Allgemeine Postvereinsvertrag wird in der Praxis gültig und erleichtert den internationalen Postverkehr.
Patente
2. Februar: Die Sprossenradmaschine des US-Amerikaners Frank Stephen Baldwin wird in den USA patentiert.
Unternehmensgründungen
Die aus Kelsterbach stammenden Schlosser Philipp Helfmann und Balthasar Helfmann gründen in Frankfurt am Main die Baufirma Gebrüder Helfmann, aus der später das Unternehmen Hochtief AG hervorgeht.
Verkehr
Zwischen den portugiesischen Städten Porto und Valença wird die Eisenbahnlinie Linha do Minho eröffnet.
Sonstiges
Dezember: Übernahme der Mehrheit der Sueskanal-Aktien durch die britische Krone.
Wissenschaft und Technik
17. Januar: Der Tünel in Istanbul, die erste unterirdische Standseilbahn der Welt und die erste U-Bahn außerhalb Londons, wird eröffnet.
15. April: Bei einer Ballonfahrt zum Zwecke spektroskopischer Untersuchungen sterben die Franzosen Joseph Crocé-Spinelli und Théodore Sivel in einer Höhe von etwa 8.000 Metern an Sauerstoffmangel. Der dritte Teilnehmer, Gaston Tissandier, überlebt und kann landen, ist aber fortan gehörlos.
20. Mai: Im Zuge der Einführung des Metrischen Einheitensystems vereinbaren Vertreter von 17 Unterzeichnerstaaten in der Meterkonvention die Schaffung eines Urmeters und eines Urkilogramms als Normale für den Meter und das Kilogramm.
August: Die Sumner Heights and Hazelwood Valley Railroad, eine experimentelle Schmalspurbahn mit der ungewöhnlich schmalen Spurweite von nur 10 Zoll (254 mm), wird im Rahmen eines Experiments in der Stadt Hyde Park in der Nähe von Boston in Betrieb genommen.
September: Der französische Chemiker Paul Émile Lecoq de Boisbaudran kann erstmals das von Dmitri Mendelejew vorhergesagte Element Eka-Aluminium herstellen, gibt ihm aber den Namen Gallium.
John Kerr entdeckt den nach ihm benannten elektrooptischen Effekt.
Alexander Graham Bell führt Versuche zur Verbesserung des Telefons durch.
Richard Caton registriert elektrische Aktivität an der Hirnrinde von Tieren.
Der deutsche Zoologe Oscar Hertwig beobachtet erstmals beim Seeigel die Befruchtung einer weiblichen Eizelle durch eine männliche Samenzelle.
Kultur
Architektur
5. Januar: Die von Charles Garnier erbaute neobarocke Opéra Garnier wird eröffnet. Die Pariser Oper, die von Gaston Leroux als Schauplatz für seinen Roman Le fantôme de l’opéra gewählt wird, ist zu diesem Zeitpunkt der größte Theaterbau der Welt.
11. November: In Buenos Aires wird der öffentliche Parque Tres de Febrero eingeweiht. Das Gelände gehörte dem früheren Diktator Juan Manuel de Rosas und wurde ihm enteignet.
Bildende Kunst
Thomas Eakins malt das realistische Ölgemälde The Gross Clinic.
Eastman Johnson malt in Öl auf Leinwand das Gemälde The Girl I Left Behind Me.
Literatur
Musik und Theater
27. Februar: Am Theater an der Wien in Wien wird die Operette Cagliostro in Wien von Johann Strauss (Sohn) uraufgeführt. Das Libretto stammt von Camillo Walzel und Richard Genée. Das Stück ist anfangs ein Riesenerfolg, verliert aber mit der Zeit die Gunst des Publikums.
3. März: Die Uraufführung der Opéra-comique Carmen von Georges Bizet mit dem Libretto von Henri Meilhac und Ludovic Halévy nach der gleichnamigen Novelle von Prosper Mérimée an der Opéra-Comique in Paris wird vom Publikum kühl aufgenommen. Der Welterfolg des Werkes beginnt erst Monate später.
10. März: Die Oper Die Königin von Saba von Karl Goldmark feiert bei ihrer Uraufführung an der Hofoper in Wien einen großen Erfolg und wird zu einer der erfolgreichsten Opern des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
4. April: Bedřich Smetanas Die Moldau (Vltava) wird in Prag uraufgeführt.
19. Juli: Die Uraufführung der Oper La falce (Die Sichel) von Alfredo Catalani findet in Mailand statt.
3. November: Die Uraufführung der Operette Die Kreolin von Jacques Offenbach erfolgt am Théâtre des Bouffes-Parisiens in Paris.
Sonstiges
Das Hermannsdenkmal im Teutoburger Wald wird nach 37-jähriger Bauzeit eingeweiht.
Gesellschaft
11. Dezember: In Bremerhaven ereignet sich mit dem Anschlag auf die Mosel der bisher schwerste Mordanschlag in Deutschland. Eine vorzeitige Bombenexplosion beim Verladevorgang reißt 83 Menschen in den Tod und fordert etwa 200 Verletzte. Der Sprengkörper sollte auf hoher See das Schiff zum Sinken bringen und Mittel für einen Versicherungsbetrug sein.
Aylesford-Affäre
Religion
6. März: Die große Duisburger Synagoge wird eröffnet.
15. März: John McCloskey, der Erzbischof von New York, wird als erster Nicht-Europäer von Papst Pius IX. ins Kardinalskollegium aufgenommen.
um Fronleichnam: Im Zuge des Kulturkampfes wird die katholische Spandauer Prozession nach rund 40 Jahren vom Magistrat nicht mehr genehmigt.
8. September: In der Wohnung von Helena Blavatsky wird von 16 Personen die Gründung der Theosophischen Gesellschaft beschlossen. Diese spätere Geheimgesellschaft gewinnt erheblichen Einfluss auf religiöse und esoterische Bewegungen. Am 30. Oktober wird die Satzung verlesen, und am 17. November erfolgt eine zeremonielle Feier zur Gründung. Doch schon zu Jahresende erfolgen die ersten Austritte.
8. September: Im niederländischen Steyl ruft der deutsche Priester Arnold Janssen die Gesellschaft des Göttlichen Wortes ins Leben. Wegen des Kulturkampfes konnte er die Kongregation in Deutschland nicht gründen.
16. Oktober: In Provo im US-Bundesstaat Utah wird die konfessionelle Brigham Young University von der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage gegründet. Der deutsche Gymnasiallehrer Karl Gottfried Mäser wird erster Rektor der Hochschule.
Katastrophen
24. Februar: An der Küste von Queensland wird der Passagierdampfer Gothenburg von einem Zyklon überrascht und prallt auf Felsen des Great Barrier Reef. Das Schiff sitzt auf den Felsen fest und wird langsam geflutet. 113 Menschen sterben.
1. Juni: Der Passagierdampfer Vicksburg der Dominion Line sinkt nach der Kollision mit einem Eisberg. 47 der 91 an Bord befindlichen Menschen kommen dabei ums Leben.
4. November: Der Raddampfer Pacific kollidiert südwestlich von Cape Flattery an der Küste des US-Bundesstaats Washington mit dem Segelschiff Orpheus und sinkt. 273 Passagiere und Besatzungsmitglieder sterben, darunter alle Frauen und Kinder.
6. Dezember Der Dampfsegler Deutschland läuft in der Höhe des Themse-Deltas auf eine Sandbank. 57 Menschen verlieren ihr Leben.
25. Dezember Der Einsturz des Treppenhauses im Schulhaus Hellikon in der Schweiz fordert 76 Tote.
Sport
3. März: Im kanadischen Montreal organisiert James Creighton, ein Student der McGill University, das erste Eishockeyspiel in einer Halle. In einem Zeitungsbericht über das Spiel wird auch erstmals ein Puck erwähnt.
17. Mai: In Louisville (Kentucky) wird das erste Pferderennen des Kentucky Derbys ausgetragen.
25. August: Matthew Webb durchschwimmt in 21 Stunden 45 Minuten als erster Mensch ohne technische Hilfen den Ärmelkanal und erreicht Calais.
Konrad Koch veröffentlicht den ersten deutschen Fußball-Regelsatz (siehe Geschichte des Fußballs).
Die Blackburn Rovers werden gegründet.
In England werden die ersten Tischtennis-Regeln veröffentlicht.
Geboren
Januar
4. Januar: Wassili Jan, russischer Schriftsteller († 1954)
6. Januar: Elsa von Gutmann, Fürstin von Liechtenstein († 1947)
6. Januar: Walther Schücking, deutscher Politiker und Völkerrechtler († 1935)
8. Januar: Frank Erne, Schweizer Boxer († 1954)
9. Januar: Gertrude Vanderbilt Whitney, US-amerikanische Mäzenin und Gründerin des Whitney Museum of American Art († 1942)
10. Januar: Issai Schur, deutscher Mathematiker († 1941)
11. Januar: Reinhold Glière, russischer Komponist († 1956)
12. Januar: Helene Aeckerle, deutsche Autorin und Übersetzerin († 1940)
12. Januar: Homer D. Angell, US-amerikanischer Politiker († 1968)
12. Januar: Fritz Bleichröder, deutscher Arzt († 1938)
14. Januar: Albert Schweitzer, elsässischer Arzt, Theologe, Musiker und Philosoph († 1965)
15. Januar: Thomas Burke, US-amerikanischer Leichtathlet, Teilnehmer der ersten Olympischen Sommerspiele 1896 († 1929)
15. Januar: Abd al-Aziz ibn Saud, Gründer des modernen Königreichs Saudi-Arabien († 1953)
16. Januar: Leonor Michaelis, deutsch-US-amerikanischer Biochemiker und Mediziner († 1949)
18. Januar: Alexei Abrikossow, sowjetischer Pathologe († 1955)
18. Januar: Julián Carrillo, mexikanischer Komponist († 1965)
21. Januar: Karl Hermann Zipp, deutscher Elektroingenieur († 1940)
21. Januar: Arthur Wontner, britischer Schauspieler († 1960)
22. Januar: D. W. Griffith, US-amerikanischer Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent († 1948)
24. Januar: Jan Johannes Blanksma, niederländischer Chemiker († 1950)
25. Januar: Flem D. Sampson, US-amerikanischer Politiker († 1967)
30. Januar: Hans Bader, Schweizer Geistlicher († 1935)
31. Januar: Stanisław Lubomirski, polnischer Magnat, Unternehmer und Bankier († 1932)
31. Januar: Sepp Straffner, österreichischer Politiker († 1952)
Februar
1. Februar: Bertha Dörflein-Kahlke, deutsche Malerin († 1964)
2. Februar: Fritz Kreisler, österreichischer Violinist und Komponist († 1962)
4. Februar: Ludwig Prandtl, deutscher Physiker († 1953)
5. Februar: Gonzalo Queipo de Llano, spanischer General († 1951)
6. Februar: Otto Geßler, deutscher Reichswehrminister († 1955)
6. Februar: Walter Hyde, britischer Opernsänger und Gesangspädagoge († 1951)
7. Februar: Walter Courvoisier, Schweizer Komponist († 1931)
8. Februar: Richard Berndl, deutscher Architekt, Kunstgewerbler und Hochschullehrer († 1955)
9. Februar: Paul von Eltz-Rübenach, deutscher Reichsverkehrsminister im Dritten Reich († 1943)
13. Februar: Traugott Hahn, deutsch-baltischer Theologe und Pfarrer, evangelischer Märtyrer († 1919)
15. Februar: Vilma von Webenau, österreichisch-deutsche Komponistin († 1953)
17. Februar: Adolph Weber, deutscher Kunstturner
18. Februar: Walter Andrae, deutscher Bauforscher und Archäologe († 1956)
18. Februar: Ludwig Külz, deutscher Mediziner und Afrikaforscher († 1938)
18. Februar: Wilhelm Külz, deutscher Politiker († 1948)
20. Februar: Marie Marvingt, französische Pilotin († 1963)
21. Februar: Jeanne Calment, Französin, Mensch mit der längsten nachweisbaren Lebensspanne († 1997)
22. Februar: Sophie Adelheid in Bayern, Tochter von Herzog Karl Theodor in Bayern († 1957)
22. Februar: Hayunga Carman, kanadischer Musikpädagoge († 1965)
24. Februar: Alfred Agache, französischer Architekt und Stadtplaner († 1959)
24. Februar: Konstantin Hierl, deutscher Politiker und Funktionär († 1955)
25. Februar: Karl August Nerger, deutscher Fregattenkapitän und Träger des Ordens Pour-le-Mérite († 1947)
26. Februar: Erich Koch-Weser, deutscher Politiker († 1944)
26. Februar: Hans Böckler, deutscher Politiker und Gewerkschaftsfunktionär († 1951)
26. Februar: Edith Miller, kanadische Sängerin († 1936)
26. Februar: Richard Wetz, deutscher Komponist und Musikpädagoge († 1935)
27. Februar: Julius Asch, deutscher Gewerkschafter und Politiker († 1932)
27. Februar: Manuel Ugarte, argentinischer Schriftsteller († 1951)
28. Februar: Viliam Figuš-Bystrý, slowakischer Komponist († 1937)
28. Februar: Christie MacDonald, US-amerikanische Sängerin († 1962)
März
1. März: Sigurður Eggerz, isländischer Premier- und Finanzminister († 1945)
4. März: Henri Duvernois, französischer Schriftsteller († 1937)
4. März: Mihály Károlyi, ungarischer Politiker († 1955)
4. März: Helene Lübbers-Wegemann, deutsche Malerin († 1958)
7. März: Maurice Ravel, französischer Komponist († 1937)
8. März: Franco Alfano, italienischer Komponist († 1954)
9. März: Theodor Barth, Schweizer Kunstmaler († 1949)
10. März: Alexander Goldenweiser, russischer Komponist und Pianist († 1961)
11. März: Victor Wallenberg, schwedischer Sportschütze († 1970)
14. März: Paul Ilg, schweizerischer Schriftsteller († 1957)
15. März: Henri Ghéon, französischer Schriftsteller († 1944)
15. März: Georg Graf, deutscher Orientalist († 1955)
16. März: Percy MacKaye, US-amerikanischer Dramatiker und Dichter († 1956)
16. März: Ludwig Rex, deutscher Opernsänger und Stummfilmschauspieler († 1943)
18. März: Manuel Trucco, chilenischer Politiker († 1954)
19. März: Gustav Wyneken, deutscher Reformpädagoge († 1964)
20. März: Ben Fuller, australischer Theaterunternehmer († 1952)
22. März: Anton Hanak, österreichischer Bildhauer († 1934)
22. März: Friedrich von Huene, deutscher Wirbeltierpaläontologe († 1969)
22. März: Hans Grimm, deutscher Schriftsteller und nationalistischer Publizist († 1959)
22. März: Franz Joseph Koch, deutscher Lehrer und Autor († 1947)
24. März: Johanna Tesch, deutsche Politikerin († 1945)
26. März: Max Abraham, deutscher theoretischer Physiker († 1922)
26. März: Syngman Rhee, erster südkoreanischer Präsident († 1965)
27. März: Cécile Vogt, französische Ärztin und Neurologin († 1962)
31. März: Adolf von Arnim, deutscher Sportfunktionär († 1931)
31. März: Ludwig Kießling, deutscher Pflanzenbauwissenschaftler und Pflanzenzüchter († 1942)
31. März: Hans Osten, deutscher Kaufmann und Astronom († 1936)
April
1. April: Edgar Wallace, britischer Krimi-Schriftsteller († 1932)
2. April: Walter Percy Chrysler, US-amerikanischer Automobil-Pionier († 1940)
2. April: Hermann Delago, österreichischer Alpinist († 1962)
4. April: Pierre Monteux, französisch-amerikanischer Dirigent († 1964)
5. April: Blumepeter, Mannheimer Lokallegende († 1940)
6. April: Xenija Alexandrowna Romanowa, russische Großfürstin († 1960)
8. April: Albert I., belgischer König († 1934)
9. April: Jacques Futrelle, US-amerikanischer Schriftsteller († 1912)
12. April: Stanisław Adamski, polnischer Bischof von Kattowitz und Politiker († 1967)
12. April: Hugo Sinzheimer, deutscher Rechtswissenschaftler († 1945)
13. April: Ray Lyman Wilbur, US-amerikanischer Politiker und Mediziner († 1949)
14. April: Wassili Anutschin, russischer Ethnograf und Journalist († 1941)
14. April: Luigi Carnera, italienischer Astronom und Entdecker vieler Asteroiden († 1962)
15. April: James J. Jeffries, US-amerikanischer Boxer und Schwergewichtsweltmeister († 1953)
16. April: Erwin Baur, deutscher Arzt, Botaniker, Genetiker und Züchtungsforscher († 1933)
18. April: Ugo Amaldi, italienischer Mathematiker († 1957)
18. April: Oskar Ernst Bernhardt, deutscher Gründer der Gralsbewegung († 1941)
19. April: Gaston Dethier, US-amerikanischer Organist und Komponist († 1958)
20. April: Josef Pembaur, österreichischer Pianist und Komponist († 1950)
22. April: Johann Baptist Umberg, Schweizer Jesuit und Hochschullehrer († 1959)
23. April: Tillie Anderson, US-amerikanische Radrennfahrerin († 1965)
23. April: Heinrich Vogt, deutscher Neurologe († 1957)
27. April: Maurice de Broglie, Herzog von Broglie, französischer Physiker, Mitglied der Académie française († 1960)
29. April: Rafael Sabatini, italienisch-britischer Schriftsteller († 1950)
30. April: Friedrich Opel, deutscher Radsportler, Ingenieur, Automobilrennfahrer und Unternehmer († 1938)
Mai
1. Mai: Heinrich von Aretin, deutscher Politiker († 1943)
6. Mai: William Daniel Leahy, US-amerikanischer Flottenadmiral (5-Sterne-Admiral) († 1959)
7. Mai: William Hoyt, US-amerikanischer Stabhochspringer und Olympiasieger († 1954)
9. Mai: Leopold Andrian, österreichischer Dichter, Schriftsteller und Diplomat († 1951)
9. Mai: Friedrich Horn, deutscher evangelischer Theologe († 1957)
9. Mai: Ole Mørk Sandvik, norwegischer Volksliedsammler, Musikforscher und -pädagoge († 1976)
11. Mai: Harriet Quimby, US-amerikanische Pilotin († 1912)
11. Mai: Louis Weinert-Wilton, deutscher Schriftsteller († 1945)
12. Mai: Mathias Kneißl, bayerischer Krimineller († 1902)
13. Mai: Georg Schätzel, deutscher Politiker († 1934)
15. Mai: Otto Vesper, deutscher Politiker († 1923)
16. Mai: Vincas Bacevičius, litauischer Musikpädagoge, Pianist, Dirigent und Komponist († 1952)
18. Mai: Guido Alberto Fano, italienischer Komponist, Dirigent und Pianist († 1961)
19. Mai: Stefan Großmann, österreichischer Schriftsteller († 1935)
24. Mai: Robert Garrett, US-amerikanischer Leichtathlet († 1961)
25. Mai: Vincenzo Lanfranchi, italienischer Radsportler, Motorradrennfahrer und Unternehmer († 1952)
26. Mai: Stan Golestan, rumänischer Komponist und Musikkritiker († 1956)
26. Mai: Harold Steinacker, deutscher Historiker († 1965)
26. Mai: Helene Voigt-Diederichs, deutsche Schriftstellerin († 1961)
27. Mai: Wilhelm Bader junior, deutscher Orgelbauer († 1964)
27. Mai: Jorge Newbery, argentinischer Luftfahrtpionier, Ingenieur, Wissenschaftler und Sportler († 1914)
28. Mai: Morris Sheppard, US-amerikanischer Politiker († 1941)
29. Mai: Francesco Ciuppa, italienischer Automobilrennfahrer († unbekannt)
29. Mai: Giovanni Gentile, italienischer Philosoph, Kulturmanager und Politiker († 1944)
Juni
1. Juni: Carl Severing, deutscher Politiker und Minister († 1952)
2. Juni: Emil Abel, österreichischer Chemiker († 1958)
4. Juni: Oskar Adler, österreichischer Musiker und Astrologe († 1955)
5. Juni: Stanislav Kostka Neumann, tschechischer Dichter († 1947)
6. Juni: Thomas Mann, deutscher Schriftsteller und Literatur-Nobelpreisträger († 1955)
9. Juni: Henry Hallett Dale, britischer Biochemiker († 1968)
9. Juni: Mathilde Paravicini, Schweizer Humanistin († 1954)
11. Juni: George Herbert Walker, US-amerikanischer Bankier († 1953)
13. Juni: Carl Immanuel Philipp Hesse, deutsch-baltischer Pastor, evangelischer Märtyrer in Estland († 1918)
13. Juni: Paul Neumann, österreichischer Schwimmer († 1932)
13. Juni: Elise Daimler, deutsche Malerin und Grafikerin († 1956)
13. Juni: Max d’Ollone, französischer Komponist († 1959)
15. Juni: Libero Andreotti, italienischer Bildhauer († 1933)
20. Juni: Othenio Abel, österreichischer Paläontologe und Evolutionsbiologe († 1946)
22. Juni: Johannes Baader, deutscher Architekt, Schriftsteller, Dadaist und Aktionskünstler († 1955)
23. Juni: Jakob Tiedtke, deutscher Schauspieler († 1960)
23. Juni: Norman Pritchard, indischer Leichtathlet, Olympiateilnehmer und Schauspieler († 1929)
24. Juni: Diedrich Westermann, deutscher Afrikanist und Ethnologe († 1956)
25. Juni: Domingo Díaz Arosemena, panamaischer Staatspräsident († 1949)
26. Juni: Riccardo Stracciari, Opernsänger und Gesangspädagoge († 1955)
26. Juni: Camille Zeckwer, US-amerikanischer Komponist († 1924)
28. Juni: Henri Léon Lebesgue, französischer Mathematiker († 1941)
Juli
2. Juli: Hubert D. Stephens, US-amerikanischer Politiker († 1946)
2. Juli: Fritz Ullmann, deutscher Chemiker († 1939)
3. Juli: Hans Studer, Schweizer Ingenieur († 1957)
3. Juli: Ferdinand Sauerbruch, deutscher Chirurg († 1951)
4. Juli: Richard Genserowski, deutscher Kunstturner († 1955)
10. Juli: E. C. Bentley, britischer Schriftsteller († 1956)
10. Juli: Mary McLeod Bethune, afroamerikanische Frauen- und Menschenrechtlerin († 1955)
10. Juli: Otto Wurzburg, US-amerikanischer Komponist von Schachproblemen († 1951)
14. Juli: Richard Delbrueck, deutscher Archäologe († 1957)
14. Juli: Clemens von Franckenstein, deutscher Komponist und Generalintendant in München († 1942)
15. Juli: Rudolf Levy, deutscher Maler († 1944)
15. Juli: Hill McAlister, US-amerikanischer Politiker († 1959)
15. Juli: Helena Oleska, polnische Opernsängerin und Gesangspädagogin († 1969)
17. Juli: Donald Francis Tovey, englischer Komponist, Pianist und Musikwissenschaftler († 1940)
18. Juli: Richard Hönigswald, Philosoph († 1947)
21. Juli: Oskar Moll, deutscher Maler († 1947)
25. Juli: Paul Graetz, deutscher Offizier († 1968)
26. Juli: Antonio Machado, spanischer Lyriker († 1939)
26. Juli: Carl Gustav Jung, Schweizer Psychoanalytiker († 1961)
31. Juli: Alexandre Denéréaz, Schweizer Komponist († 1947)
31. Juli: Jacques Villon, französischer Maler des Kubismus († 1963)
31. Juli: Yanagita Kunio, japanischer Schriftsteller und Ethnologe († 1962)
August
5. August: Malin Craig, US-amerikanischer 4-Sterne-General († 1945)
8. August: Wladimir Senilow, russischer Komponist († 1918)
9. August: Albert Ketèlbey, englischer Komponist und Dirigent († 1959)
9. August: Willem Vogelsang, niederländischer Kunsthistoriker († 1954)
11. August: Raymond E. Willis, US-amerikanischer Politiker († 1956)
15. August: John Arthur, australischer Politiker († 1914)
15. August: Eduard Kado, deutscher Maler, Zeichner, Bildhauer und Kunstgewerbler († 1946)
17. August: Karl Roth, deutscher Architekt († 1932)
17. August: Knud Zimsen, Bürgermeister von Reykjavík († 1953)
21. August: Heinrich Jasper, deutscher Politiker, Ministerpräsident des Freistaates Braunschweig († 1945)
22. August: Romain Pelletier, kanadischer Organist, Komponist und Musikpädagoge († 1953)
23. August: William Henry Eccles, britischer Physiker, Radiopionier († 1966)
24. August: Paul Jatzow, deutscher Architekt († 1940)
24. August: Emma Meyn, deutsche Malerin († 1952)
26. August: John Buchan, schottischer Schriftsteller und Politiker († 1940)
29. August: Leonardo Argüello Barreto, Präsident von Nicaragua († 1947)
30. August: Hermann Kutzschbach, deutscher Dirigent und Musikpädagoge († 1938)
September
1. September: Edgar Rice Burroughs, US-amerikanischer Schriftsteller († 1950)
1. September: Josef Reinhart, Schweizer Volksschriftsteller († 1957)
2. September: Otto Keller, schwäbischer Mundartdichter und Komponist († 1931)
3. September: Ferdinand Porsche, österreichisch-deutscher Autokonstrukteur († 1951)
3. September: Wilhelm Scharrelmann, deutscher Lehrer und Schriftsteller († 1950)
4. September: Jewgeni Jewgenjewitsch Lansere, russischer Maler († 1946)
5. September: Carl Froelich, deutscher Filmpionier und -regisseur († 1953)
6. September: Hermann Pistor, deutscher Mathematiker und Physiker († 1951)
7. September: Trigant Burrow, US-amerikanischer Psychiater († 1950)
7. September: Max Winkler, Reichstreuhänder und Reichsbeauftragter für die deutsche Filmkunst († 1961)
10. September: Paul Scheinpflug, deutscher Komponist und Dirigent († 1937)
11. September: Max Winckel, deutscher Chemiker und Ernährungsforscher († 1960)
15. September: Henry D. Hatfield, US-amerikanischer Politiker († 1962)
16. September: Eva Mylott, australische Opernsängerin († 1920)
17. September: John H. Overton, US-amerikanischer Politiker († 1948)
19. September: Jimmy Jackson, schottisch-australischer Fußballspieler († unbekannt)
20. September: Matthias Erzberger, deutscher Politiker († 1921)
22. September: Mikalojus Konstantinas Čiurlionis, litauischer Komponist und Maler († 1911)
23. September: Hedwig Wangel, deutsche Schauspielerin († 1961)
25. September: Fernando Álvarez de Sotomayor, spanischer Maler († 1960)
25. September: Emil Lask, deutscher Philosoph († 1915)
27. September: Cléo de Mérode, französische Ballett-Tänzerin († 1966)
30. September: Fred Fisher, US-amerikanischer Komponist deutscher Abstammung († 1942)
Oktober
1. Oktober: Eugeen Van Mieghem, belgischer Künstler († 1930)
3. Oktober: Louis Sire, französischer Autorennfahrer
5. Oktober: Cyril Rootham, englischer Komponist († 1938)
8. Oktober: Laurence Doherty, englischer Tennisspieler († 1919)
10. Oktober: Franz Maria Luitpold von Bayern, bayerischer Prinz und Generalmajor († 1957)
11. Oktober: Carlos Brandt, venezolanischer Schriftsteller, Philosoph und Historiker († 1964)
12. Oktober: Aleister Crowley, englischer Okkultist († 1947)
12. Oktober: Emil Rudolf Weiß, deutscher Typograf, Grafiker, Lehrer und Dichter († 1942)
13. Oktober: Friedrich Zundel, deutscher Maler († 1948)
14. Oktober: John Hammill, US-amerikanischer Politiker († 1936)
15. Oktober: Alfred Grünberger, österreichischer Politiker († 1935)
15. Oktober: André-Louis Cholesky, französischer Mathematiker († 1918)
17. Oktober: August Abbehusen, deutscher Architekt († 1941)
18. Oktober: James Aggrey, ghanaischer Lehrer und Missionar († 1927)
18. Oktober: Joe Delahanty, US-amerikanischer Baseballspieler († 1936)
19. Oktober: Theodor Duesterberg, deutscher Politiker, langjähriger Vorsitzender des Stahlhelmbundes († 1950)
22. Oktober: Harriet Chalmers Adams, US-amerikanische Entdeckerin, Journalistin und Fotografin († 1937)
22. Oktober: Harry Walden, deutscher Schauspieler († 1921)
23. Oktober: Gilbert Newton Lewis, US-amerikanischer Physikochemiker († 1946)
23. Oktober: Mathilde Satz, deutsche Künstlerin († unbekannt)
23. Oktober: George Alfred Carlson, US-amerikanischer Politiker († 1926)
24. Oktober: Fanny Starhemberg, österreichische Politikerin († 1943)
25. Oktober: Paul Korff, deutscher Baumeister und Architekt († 1945)
29. Oktober: Alva B. Adams, US-amerikanischer Politiker († 1941)
29. Oktober: Marie von Edinburgh, Königin von Rumänien († 1938)
29. Oktober: Otto Wiegand, deutscher Kunstturner († 1939)
31. Oktober: Heinrich Thyssen, deutscher Unternehmer, Kunstmäzen († 1947)
31. Oktober: Vallabhbhai Patel, indischer Staatsmann († 1950)
November
1. November: Adolf Tannert, deutscher Turner († 1961)
4. November: Pablo Burchard Eggeling, chilenischer Maler († 1964)
4. November: Arthur Crispien, deutscher Politiker († 1946)
4. November: Magdalene Pauli, deutsche Schriftstellerin († 1970)
5. November: Kathleen Atkinson, US-amerikanische Tennisspielerin († 1957)
6. November: Richard L. Murphy, US-amerikanischer Politiker († 1936)
7. November: Eduard Castle, österreichischer Literaturhistoriker († 1959)
8. November: Qiu Jin, chinesische Revolutionärin († 1907)
9. November: Rudolf von Sebottendorf, deutscher Abenteurer, Gründer der Thule-Gesellschaft († 1945)
10. November: Jeanne Maubourg, kanadische Sängerin und Musikpädagogin († 1953)
10. November: Hansi Niese, österreichische Schauspielerin († 1934)
11. November: Vesto Slipher, US-amerikanischer Astronom († 1969)
11. November: Dorothy Vernon, US-amerikanische Schauspielerin († 1970)
12. November: Fritz Erle, deutscher Ingenieur und Automobilrennfahrer († 1957)
13. November: Aline Atherton-Smith, britische Quäkerin († nach 1945)
14. November: Bruno H. Bürgel, deutscher Astronom, Schriftsteller und Publizist († 1948)
14. November: Jakob Schaffner, Schweizer Schriftsteller († 1944)
18. November: Adela Wilgocka, polnische Sängerin und Gesangspädagogin († 1960)
19. November: Hiram Bingham, hawaiischer Archäologe und Forschungsreisender († 1956)
19. November: Michail Kalinin, sowjetischer Politiker, Vorsitzender des Präsidiums des Obersten Sowjet († 1946)
20. November: Friedrich-Werner Graf von der Schulenburg, deutscher Diplomat († 1944)
23. November: Anatoli Lunatscharski, russisch-sowjetischer Volkskommissar († 1933)
24. November: Abe Nobuyuki, japanischer General, Politiker und 36. Premierminister Japans († 1953)
26. November: Carl Burger, deutscher Bildhauer († 1950)
27. November: Jaroslav Labský, tschechischer Komponist († 1949)
27. November: Julius Lenhart, österreichischer Turner und Olympiateilnehmer († 1962)
27. November: Franz Xaver Schwarz, Reichsleiter und Reichsschatzmeister der NSDAP († 1947)
Dezember
1. Dezember: Otto Ampferer, österreichischer Alpinist und Geologe († 1947)
1. Dezember: Alphonse Schmitt, deutscher Organist und Komponist († 1912)
2. Dezember: Emile Lombard, französisch-schweizerischer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1965)
3. Dezember: Bernhard Lichtenberg, katholischer Theologe († 1943)
4. Dezember: Rainer Maria Rilke, deutscher Lyriker, Erzähler, Übersetzer und Romancier († 1926)
5. Dezember: Ángel Castro Argiz, Vater von Fidel und Raúl Castro († 1956)
6. Dezember: Albert Bond Lambert, US-amerikanischer Golfer und Luftfahrtpionier († 1946)
6. Dezember: Rudolf Liechtenhan der Ältere, Schweizer Pfarrer und Theologe († 1947)
9. Dezember: Harold Arminius Miller, US-amerikanischer Rennwagen- und -motorenkonstrukteur († 1943)
11. Dezember: Carl Jörns, deutscher Automobilrennfahrer († 1969)
12. Dezember: Gerd von Rundstedt, deutscher Generalfeldmarschall im Zweiten Weltkrieg († 1953)
14. Dezember: Paul Löbe, deutscher Politiker († 1967)
15. Dezember: Friedrich Niggli, Schweizer Komponist und Musikpädagoge († 1959)
15. Dezember: Luigi Pigarelli, italienischer Jurist und Komponist († 1964)
16. Dezember: Richard Aßmann, deutscher Betriebsratsvorsitzender und Politiker († 1933)
17. Dezember: Ernst Pfeiffer, deutscher Autor und Journalist († 1942)
19. Dezember: Mileva Marić, serbische Mathematikerin und die erste Frau Albert Einsteins († 1948)
20. Dezember: Francesco Cantelli, italienischer Mathematiker († 1966)
21. Dezember: Thomas Schneider, deutscher Automobilpionier († 1954)
23. Dezember: Ivan Prijatelj, slowenischer Kultur- und Literaturhistoriker († 1937)
24. Dezember: Otto Ender, österreichischer Politiker († 1960)
25. Dezember: Pierre de Caters, belgischer Automobil- und Motorbootrennfahrer sowie Flugpionier und Unternehmer († 1944)
25. Dezember: Theodor Innitzer, österreichischer Geistlicher, Erzbischof der Erzdiözese Wien und Kardinal († 1955)
31. Dezember: Jeanne de Vietinghoff, belgisch-schweizerische Schriftstellerin († 1926)
Genaues Geburtsdatum unbekannt
Aram Andonian, armenischer Schriftsteller und Journalist († 1951)
Alfredo Cecchi, italienischer Opernsänger († nach 1920)
Haschim al-Atassi, syrischer Staatsmann († 1960)
Krikor Balakian, armenischer Bischof († 1934)
Carlos Lastra, chilenischer Maler († nach 1939)
Nasrullah Khan, Emir von Afghanistan († 1920)
Victor Nováček, tschechischer Geiger und Musikpädagoge († 1914)
Carl Pettersson, schwedischer Seefahrer und Auswanderer († 1937)
Hossein Pirnia, iranischer Abgeordneter und langjähriger Parlamentspräsident († 1945)
Emine Naciye Tevfik, osmanische/türkische Porträtmalerin († 1960)
Agustín Undurraga, chilenischer Maler († 1950)
Gestorben
Januar bis März
2. Januar: Carl Nipperdey, deutscher klassischer Philologe (* 1821)
3. Januar: Pierre Larousse, französischer pädagogischer Schriftsteller (* 1817)
3. Januar: Thomas G. Turner, US-amerikanischer Politiker (* 1810)
5. Januar: Hermann Wilhelm Bödeker, deutscher evangelischer Pastor (* 1799)
6. Januar: Friedrich Wilhelm I., letzter Kurfürst und souveräner Landgraf von Hessen-Kassel (* 1802)
10. Januar: Jean Achille Deville, französischer Gelehrter (* 1789)
12. Januar: Tongzhi, chinesischer Kaiser der Qing-Dynastie (* 1856)
13. Januar: Robert Adams, irischer Chirurg und Kardiologe (* 1791)
20. Januar: Maximilian Werner, deutscher Politiker (* 1815)
27. Januar: Friedrich Anders, deutscher Jurist und Politiker (* 1808)
29. Januar: Rageth Christoffel, Schweizer Pfarrer und Pädagoge (* 1810)
1. Februar: William Sterndale Bennett, britischer Komponist und Pianist (* 1816)
2. Februar: Ludwig Droste, deutscher Architekt und Stadtbaumeister (* 1814)
8. Februar: Wilhelm Assmann, deutscher Historiker, Pädagoge, Schulbuchautor und Politiker (* 1800)
11. Februar: Amanz Jeker, Schweizer Jurist und Politiker (* 1817)
11. Februar: Karl Friedrich von Savigny, preußischer Diplomat und katholischer Politiker (* 1814)
15. Februar: Friedrich von Uechtritz, deutscher Dichter, Historiker und Genealoge (* 1800)
17. Februar: Friedrich Wilhelm August Argelander, deutscher Astronom (* 1799)
22. Februar: Charles Lyell, britischer Geologe (* 1797)
22. Februar: Jean-Baptiste Camille Corot, französischer Landschaftsmaler (* 1796)
1. März: Tristan Corbière, französischer Lyriker (* 1845)
4. März: Gottfried Pulian, deutscher Landschafts- und Architekturmaler (* 1809)
7. März: John Edward Gray, britischer Zoologe (* 1800)
7. März: Arthur Helps, englischer Schriftsteller (* 1813)
10. März: Joseph Daussoigne-Méhul, französischer Komponist (* 1790)
17. März: Ferdinand Laub, tschechischer Geiger (* 1832)
19. März: Jean Baptiste Vuillaume, französischer Geigenbauer (* 1798)
21. März: Virginie Ancelot, französische Schriftstellerin und Malerin (* 1792)
24. März: Amédée Achard, französischer Schriftsteller (* 1814)
27. März: Edgar Quinet, französischer Schriftsteller und Historiker (* 1803)
28. März: Engelbert August Anton, Herzog von Arenberg (* 1824)
31. März: Gaetano Nava, italienischer Musikpädagoge und Komponist (* 1802)
April bis Juni
4. April: Karl Mauch, deutscher Afrikaforscher (* 1837)
7. April: Georg Herwegh, deutscher revolutionärer Dichter des Vormärz (* 1817)
9. April: Johann Karl Erler der Jüngere, evangelischer Theologe (* 1802)
9. April: Friedrich Albert von Schultze, deutscher Forstbeamter (* 1808)
11. April: Andrew Jackson Hamilton, US-amerikanischer Politiker (* 1815)
11. April: Samuel Heinrich Schwabe, deutscher Astronom (* 1789)
15. April: Joseph Crocé-Spinelli, französischer Ballonpionier (* 1845)
21. April: Herbert Pernice, deutscher Jurist (* 1832)
24. April: Juana Manso de Noronha, argentinische Schriftstellerin, Feministin, Komponistin, Pädagogin und Journalistin (* 1819)
30. April: Johann Friedrich von Waldeck, französischer Antiquar, Kartograf (* 1766)
1. Mai: Leonhard Kohl von Kohlenegg, österreichischer Schriftsteller und Schauspieler (* 1834)
3. Mai: Hermann von Arnim, Rittergutsbesitzer, Verwaltungsbeamter und Parlamentarier (* 1802)
4. Mai: Heinrich Ewald, deutscher Theologe und Orientalist (* 1803)
10. Mai: Friedrich Jahn, deutscher Orgelbauer (* 1798)
12. Mai: Heinrich von Hofstätter, Bischof von Passau (* 1805)
17. Mai: John C. Breckinridge, US-amerikanischer General und Politiker (* 1821)
18. Mai: Benedikt von Arx, schweizerischer Politiker, Notar und Richter (* 1817)
20. Mai: Amalie Marie Friederike, Herzogin von Oldenburg, Prinzessin von Bayern und Königin von Griechenland (* 1818)
20. Mai: Jesse D. Bright, US-amerikanischer Politiker (* 1812)
22. Mai: Nuno José Severo de Mendoça Rolim de Moura Barreto, portugiesischer Politiker (* 1804)
26. Mai: Gustav von Amstetter, deutscher Jurist und Politiker (* 1800)
31. Mai: Anna Caroline Stelzner, deutsche Miniaturmalerin (* 1808)
1. Juni: Bellamy Storer, US-amerikanischer Politiker (* 1796)
2. Juni: Hirsch Aub, deutscher Rabbiner (* 1796)
3. Juni: Georges Bizet, französischer Komponist (* 1838)
3. Juni: Marsh Giddings, US-amerikanischer Politiker (* 1816)
4. Juni: Eduard Mörike, deutscher Lyriker und Erzähler (* 1804)
9. Juni: Isaak Auerbach, deutscher Architekt, Land- und Wasserbaumeister und Baumeister (* 1827)
9. Juni: Paulina Wilkońska, polnische Schriftstellerin (* 1815)
13. Juni: Eilert Sundt, norwegischer Soziologe (* 1817)
14. Juni: Heinrich Louis d’Arrest, deutsch-dänischer Astronom in Berlin, Leipzig und Kopenhagen (* 1822)
18. Juni: Wilhelm Paul Corssen, deutscher Altphilologe und Etruskologe (* 1820)
20. Juni: Wilhelm Bauer, deutscher Ingenieur (* 1822)
20. Juni: Peter Karlowitsch von Uslar, russischer Ingenieur, Sprachforscher und Offizier (* 1816)
25. Juni: Heinrich Wilhelm Breidenfeld, deutscher Orgelbauer (* 1794)
27. Juni: Antoine-Louis Barye, französischer Bildhauer (* 1795)
28. Juni: Joseph Misson, österreichischer Mundartdichter (* 1803)
29. Juni: Ferdinand I., Kaiser von Österreich (* 1793)
Juli bis September
9. Juli: Christian Ruben, deutscher Maler (* 1805)
10. Juli: Henry Lewis Benning, US-amerikanischer Jurist und konföderierter General im Bürgerkrieg (* 1814)
13. Juli: Simon Joel Arnheim, deutscher Unternehmer (* 1802)
14. Juli: Guillaume Henri Dufour, Schweizer Humanist, General, Politiker, Kartograf und Ingenieur (* 1787)
17. Juli: Leopold Copeland Parker Cowper, US-amerikanischer Politiker und Jurist (* 1811)
18. Juli: Jane Griffin, britische Abenteuerin (* 1791)
23. Juli: Isaac Merritt Singer, US-amerikanischer Unternehmer und Erfinder (* 1811)
25. Juli: Joseph-Maurice Exelmans, französischer Admiral (* 1816)
25. Juli: Johann Peter Romang, Schweizer Geistlicher, Theologe und Hochschullehrer (* 1802)
27. Juli: Connop Thirlwall, britischer Geistlicher und Schriftsteller (* 1797)
28. Juli: Bertha von Redern, deutsche Malerin (* 1811)
28. Juli: Johann Baptist von Schweitzer, deutscher Politiker, Präsident des ADAV und MdR (* 1833)
31. Juli: Andrew Johnson, US-amerikanischer Politiker, 17. Präsident der USA (* 1808)
4. August: Hans Christian Andersen, dänischer Dichter und Schriftsteller (* 1805)
5. August: David Fries, Schweizer evangelischer Geistlicher und Politiker (* 1818)
6. August: Gabriel García Moreno, ecuadorianischer Rechtsanwalt und Staatspräsident (* 1821)
10. August: Karl Andree, deutscher Geograph und Publizist (* 1808)
11. August: William Alexander Graham, US-amerikanischer Politiker (* 1804)
15. August: Robert Stephen Hawker, britischer Geistlicher und Dichter (* 1803)
16. August: Charles Grandison Finney, US-amerikanischer Erweckungsprediger, Hochschullehrer und Rektor (* 1792)
17. August: Wilhelm Bleek, deutscher Sprachwissenschaftler (* 1827)
17. August: John B. Weller, US-amerikanischer Politiker (* 1812)
23. August: Richard van Rees, niederländischer Mathematiker und Physiker (* 1797)
29. August: Gustave Oliver Lannes de Montebello, französischer General (* 1804)
11. September: Heinrich Rückert, deutscher Geschichtsschreiber und Germanist (* 1823)
15. September: Guillaume-Benjamin Duchenne, französischer Physiologe (* 1806)
21. September: Adalbert Wilhelm, Prinz von Bayern und Erbprinz von Griechenland (* 1828)
22. September: Johann Rudolf Weber, Schweizer Musikpädagoge und Komponist (* 1819)
23. September: Ulrike von Pogwisch, deutsche Priorin (* 1798)
25. September: Tony Franck, deutsche Pianistin (* 1827)
Oktober bis Dezember
4. Oktober: Léon Ehrhart, französischer Komponist (* 1854)
8. Oktober: Alexander Forbes, schottischer Bischof (* 1817)
13. Oktober: Leopold Löw, ungarischer Rabbiner (* 1811)
19. Oktober: Charles Wheatstone, britischer Physiker (* 1802)
25. Oktober: Jacques-Paul Migne, französischer Priester (* 1800)
29. Oktober: John Gardner Wilkinson, britischer Ägyptologe (* 1797)
3. November: Moritz von Aberle, deutscher Theologe (* 1819)
13. November: Carl zu Solms-Braunfels, deutscher Offizier und Siedlungsgründer (* 1812)
16. November: Werner Munzinger, Schweizer Afrikaforscher (* 1832)
17. November: Hilario Ascasubi, argentinischer Schriftsteller (* 1807)
17. November: Charles Vignoles, britischer Eisenbahningenieur (* 1793)
18. November: Heinrich Leonhard von Arnim-Heinrichsdorf, deutscher Politiker (* 1801)
19. November: Gustav Adolf Haggenmacher, Schweizer Afrikaforscher (* 1845)
19. November: Carl Julius Milde, deutscher Maler, Zeichenlehrer am Katharineum (* 1803)
21. November: Orris S. Ferry, US-amerikanischer Politiker (* 1823)
21. November: Friedrich Albert Lange, deutscher Philosoph und protestantischer Theologe (* 1828)
24. November: Joseph Othmar von Rauscher, Erzbischof von Wien (* 1797)
24. November: William Backhouse Astor, US-amerikanischer Millionär (* 1792)
27. November: Richard Christopher Carrington, englischer Astronom (* 1826)
29. November: Ahmed Esad Pascha, Großwesir des Osmanischen Reiches (* 1828)
2. Dezember: Ira Harris, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1802)
3. Dezember: Ferdinand Adolph Lange, deutscher Uhrmacher und Unternehmer (* 1815)
10. Dezember: Ferenc Toldy, ungarischer Literaturhistoriker (* 1805)
17. Dezember: Theodor von Zwehl, deutscher Staatsminister des Inneren (* 1800)
18. Dezember: Sebastián Ágreda, bolivianischer General und Politiker (* 1795)
22. Dezember: Nikolai Titow, russischer Komponist (* 1800)
23. Dezember: Maximilian von Arco-Valley, deutscher Gutsbesitzer und Politiker (* 1806)
23. Dezember: Egron Lundgren, schwedischer Maler und Schriftsteller (* 1815)
25. Dezember: Young Tom Morris, schottischer Golfspieler (* 1851)
26. Dezember: Emilio Praga, italienischer Maler, Schriftsteller und Librettist (* 1839)
31. Dezember: Kido Witbooi, Kaptein der Witbooi-Orlam (* 1780/81)
Genaues Todesdatum unbekannt
William Acton, englischer Sexualforscher (* 1813 oder 1814)
Juan Bautista Alfonseca, dominikanischer Komponist und Kapellmeister (* 1810)
Philipp Ludwig Arzt, deutscher Unternehmer (* 1799)
Juan Bianchi, chilenischer Maler (* 1817)
Weblinks
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Q7764
| 794.258093 |
461
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bundesrepublik
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Bundesrepublik
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Bundesrepublik steht für:
Bundesstaat (föderaler Staat), allgemein eine als Bundesstaat organisierte Republik
Kurzform (Staatsformbezeichnung) von Bundesrepublik Deutschland, siehe Deutschland
Siehe auch:
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Q512187
| 127.481976 |
895008
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ansetzung
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Ansetzung
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Die Ansetzung spielt bei der formalen Erfassung von Dokumenten, wie etwa Büchern in Bibliotheken, eine wichtige Rolle. Ziel der Ansetzung von Erfassungskriterien ist eine einheitliche Schreibweise von Merkmalen, die Ordnungs- und Suchfunktionen übernehmen. Diese Merkmale sind bei Büchern in erster Linie Titel und Autor.
Zweck
Titel und Namen müssen nach bestimmten Regeln angesetzt werden. So ist es z. B. noch logisch und leicht zu merken, dass der Name eines Autors immer mit dem Nachnamen beginnt, gefolgt von einem Komma und seinem Vornamen. Hat der Autor aber etwa einen Adelstitel im Namen, muss der Bibliothekar sich schon fragen, wie der Name geschrieben wird: „von Siemens, Werner“ oder „Siemens, Werner von“. Die Ansetzung des Namens bestimmt also entscheidend darüber, welchen Platz der Autor im Alphabet und damit im Katalog der Bibliothek einnimmt. Dem Bibliothekar muss die Ansetzungsform des Namens vertraut sein, damit er die formale Erfassung richtig und spätere Recherchen erfolgreich durchführen kann.
Auch beim heute üblichen Einsatz von EDV ist eine einheitliche Ansetzung absolut notwendig, damit beim Recherchieren in der Bibliotheks-Datenbank unter einem bestimmten Namen oder Titel alle relevanten Dokumente zuverlässig gefunden werden, also z. B. alle vorhandenen Werke eines bestimmten Autors. Bei abweichenden Formen wird auf die Ansetzungsform eine Verweisung gesetzt.
Beispiele
Im Gegensatz zur Ansetzungsform nennt man die Form, in der die Angaben im Dokument, also z. B. auf der Titelseite des Buches, angegeben sind, auch Vorlageform.
Beispiele für eine von der Vorlageform abweichenden Ansetzung sind:
Die Beispiele sind nicht unbedingt als verbindlich anzusehen, weil die Form der Ansetzung von dem verwendeten Regelwerk abhängt.
Regeln
Für die richtige Ansetzungsform gibt es Regelwerke. In den meisten deutschen Bibliotheken wird Resource Description and Access (RDA) herangezogen, bis circa 2015 wurden vorwiegend die Regeln für die alphabetische Katalogisierung (RAK) verwendet. In der Schweiz werden die bis in die 1990er Jahre dominierenden VSB-Regeln (erstellt von der Vereinigung Schweizerischer Bibliothekare, VSB, heute BBS) zunehmend von den Anglo-American Cataloguing Rules abgelöst.
Siehe auch
Personennamendatei
Weblinks
Skript einer Lehrveranstaltung zu Grundlagen der Formalerschließung
Bibliothekswesen
Dokumentation
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Q569682
| 85.523618 |
379849
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https://de.wikipedia.org/wiki/Merseyside
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Merseyside
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Merseyside [] ist ein Metropolitan County in England. Es entstand durch die Kommunalreform 1974 und liegt im Norden Englands am River Mersey. Merseyside besteht aus den Metropolitan Boroughs Liverpool, Knowsley, Sefton, St Helens und Wirral.
1986 wurde der Grafschaftsrat (county council) abgeschafft. Seitdem sind die fünf Metropolitan Boroughs selbständige Verwaltungseinheiten. Gleichwohl existiert Merseyside als Verwaltungseinheit weiter und ist eine zeremonielle Grafschaft. Merseyside grenzt an Lancashire, Greater Manchester und Cheshire.
Traditionell wird zur Bezeichnung von etwas, das auf der Merseyside liegt, die Präposition „on“ statt „in“ verwendet.
Städte und Dörfer
Ainsdale
Bebington, Bidston, Birkdale, Birkenhead, Bootle, Bromborough
Crosby
Eastham
Formby
Halewood, Haydock, Heswall, Hoylake, Huyton
Kirkby
Leasowe, Liverpool
Maghull, Melling, Meols, Moreton
New Brighton, New Ferry
Oxton
Parkgate, Pensby, Port Sunlight, Prescot
Rainford, Roby
Seacombe, Seaforth, Sefton, Southport, St Helens
Wallasey, West Derby, West Kirby, Wirral, Whiston, Woodvale
Sehenswürdigkeiten
20 Forthlin Road
251 Menlove Avenue
Albert Dock
Anfield
Bidston Windmill
Cavern Club
Christ Church, Port Sunlight
Croxteth Hall
Cunard Building
Goodison Park
Hilbre Island
International Slavery Museum
Lady Lever Art Gallery
Lark Lane
Leasowe Castle
Leasowe Lighthouse
Liverpool Cathedral
Liverpool John Lennon Airport
Liverpool Metropolitan Cathedral
Liverpool One
Liverpool Town Hall
Merseyside Maritime Museum
Museum of Liverpool, früher Museum of Liverpool Life
North Wirral Coastal Park
Penny Lane
Port of Liverpool Building
Port Sunlight Museum
Royal Liver Building
Royal Liverpool Golf Club
Speke Hall – National Trust
Southport Pier, zweitlängste Seebrücke des Vereinigten Königreiches (die längste ist das Southend Pier in Southend-on-Sea, Essex, welche zugleich die längste der Welt ist)
St. George’s Hall
St. John’s Beacon
Strawberry Field
Tate Liverpool, eine Filiale der Tate Gallery
The Beatles Story
Walker Art Gallery
West Derby Village Cross
West Tower
World Museum Liverpool
Weblinks
Englische Grafschaft
Liverpool
Gegründet 1974
Geographie (North West England)
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Q23100
| 157.765797 |
Subsets and Splits
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