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https://de.wikipedia.org/wiki/Mais
Mais
Mais (Zea mays), in Teilen Österreichs und Altbayerns auch Kukuruz (aus dem Slawischen) genannt, ist eine Pflanzenart innerhalb der Familie der Süßgräser (Poaceae). Das Getreide stammt ursprünglich aus Mexiko und ist eine einhäusig getrenntgeschlechtige C4-Pflanze. Wirtschaftlich bedeutend ist die Unterart (Subspezies) Zea mays subsp. mays. Bei der Weltgetreideernte nimmt Mais mit über 1,2 Mrd. Tonnen (2021) vor Weizen und Reis den ersten Platz ein. Über 60 % davon werden zu Maissilage verarbeitet und an Nutztiere verfüttert, die vor allem der Milch- und Fleischproduktion dienen. Körnermais ist eines der Grundnahrungsmittel der Bevölkerung Afrikas und Lateinamerikas. Das glutenfreie Getreide ist zudem auch für Personen mit Überempfindlichkeit gegen Klebereiweiß (Zöliakie) tauglich. Neben der Verarbeitung in der Lebensmittelindustrie wird die aus Mais gewonnene Stärke als nachwachsender Rohstoff für die Herstellung von bio-basierten Kunststoffen eingesetzt. Dazu kommt der Einsatz von Energiemais als nachwachsender Rohstoff für die Erzeugung von Bioethanol und Biogas. Beschreibung Der Kulturmais ist durch die lange Züchtungsgeschichte formenreich. Vegetative Merkmale Kulturmais ist eine kräftig gebaute, sommergrüne, einjährige, krautige Pflanze, die Wuchshöhen von einem bis zu drei Metern erreicht. Der runde, nicht oder nur selten verzweigte Halm ist auf ganzer Länge von glatten Blattscheiden bedeckt. Er ist innen markhaltig und kann am Grund einen Durchmesser von fünf Zentimetern aufweisen. Die zahlreichen Knoten stehen insbesondere bodennah in dichter Folge. Aus ihnen entwickeln sich sprossbürtige Wurzeln, die der Wasser- und Nährstoffaufnahme, vor allem aber auch der Standfestigkeit der Pflanze dienen. Die Laubblätter sind wechselständig am Halm angeordnet. Das drei bis fünf Millimeter lange Blatthäutchen (Ligula) ist zerschlitzt oder bewimpert. Die einfache, leicht raue, mitunter zerstreut behaarte, dunkelgrüne Blattspreite ist bei einer Länge von bis zu einem Meter und einer Breite von vier bis zehn Zentimeter flach und zum Rand hin wellig. Generative Merkmale Kulturmais ist einhäusig getrenntgeschlechtig (monözisch). An der Sprossspitze befinden sich die endständigen männlichen rispigen Blütenstände, die sich an den Rispenästen aus paarweise angeordneten Ährchen mit jeweils zwei männlichen Blüten zusammensetzen. Ein bis drei weibliche Blütenstände wachsen in Blattachseln am unteren bis mittleren Bereich des Halmes. Diese seitenständigen, kurz gestielten Kolben werden vollständig von Hüllblättern (Lieschblätter, auch genannt Lieschen, gesprochen ) umhüllt und tragen paarweise Ährchen in 8 bis 16 Längszeilen. Dabei enthält jedes Ährchen zwei Blüten, von denen aber nur eine voll entwickelt ist. Der Fruchtknoten ist mit drei Millimetern sehr klein, jedoch zur Anthese mit 20 bis 40 Zentimeter langen Griffeln ausgestattet. Später ragen die vertrockneten Griffel als bräunliches Bündel aus der Spitze des Kolbens zwischen den Blattscheiden hervor. Da sich die Deck- und Vorspelzen der weiblichen Blüten nicht weiterentwickeln, können sich die Früchte unbespelzt vorwölben. Der kolbenförmige Fruchtstand enthält zur Reifezeit Maiskörner (Karyopsen), die je nach Sorte weißlich, goldgelb, rot oder auch schwarzviolett sein können, das Tausendkorngewicht beträgt 250 bis 400 Gramm. Die Chromosomenzahl von Mais beträgt 2n = 20 (40, 80). Ökologie Dieser Therophyt ist eine sommerannuelle Pflanze. Die Stützung des hohen Stängels erfolgt durch sprossbürtige Stützwurzeln aus den Knoten der Stängelbasis. Stängelmark und Früchte sind mindestens anfangs zuckerhaltig. Spaltöffnungen befinden sich auf beiden Seiten des Blattes; oberseits 95 je Quadratmillimeter, unterseits 160 je mm2. Der Mais ist eine C4-Pflanze, hier ist Malat das erste Photosyntheseprodukt. Die C4-Methode ist eine Anpassung an sehr warme und sonnige Klimaverhältnisse, wie sie vor allem in den Tropen und Subtropen gegeben sind. Dabei wird das CO2-Angebot in optimaler Weise genutzt. Besonders bei hohen Temperaturen können Maispflanzen CO2 weit besser zum Wachstum nutzen als gewöhnliche C3-Pflanzen. Auch verbrauchen sie dabei weniger Wasser. Die Blütezeit reicht (in Mitteleuropa) von Juli bis September. Blütenökologisch handelt es sich um „Langstaubfädigen Typ“. Der Mais ist windblütig (Anemophilie), es erfolgt also eine Bestäubung der weiblichen Blüten durch Windtransport der Pollen. Die Blüte ist „vormännlich“, dies begünstigt die Fremdbestäubung. Bei der Vormännlichkeit (Proterandrie) entleeren die Staubbeutel den Pollen, bevor die Narbe der Blüte empfängnisbereit ist. Der Griffel ist lang und fädig, so dass der Pollen mehr als 10 cm bis zur Samenanlage zurücklegen muss. Es entstehen nur 10.000 Pollenkörner pro Blüte, pro Blütenstand aber 18 Millionen. Mit einer Länge von 0,1 mm und einem Gewicht von 0,00025 mg gehören die Maispollen zu den größten und schwersten der in Mitteleuropa wachsenden Pflanzen. Der Pollen ist klebrig, legt nur relativ kurze Strecken durch den Wind zurück und ist nur etwa einen Tag lang keimfähig. Für Windbestäubung ist außerdem der angenehme Duft des Pollens überraschend. Der Mais ist eine Kurztagspflanze, weshalb die Früchte in Mitteleuropa oft nicht ausreifen. Die Samen sind Wärmekeimer. Giftigkeit Die Maisgriffel (auch Maisbart oder Maishaar genannt) sind giftig. In den Narben sind die Hauptwirkstoffe 0,85 % unbekannte Alkaloide. Vielleicht sind auch Aflatoxine für die Giftigkeit verantwortlich, denn Konidien von Aspergillus flavus keimen besonders gut auf den Narben der weiblichen Maisblüten, wenn diese eine gelbbraune Farbe haben und schon mit Pollen belegt sind. Dieser liefert offenbar die erforderlichen Nährstoffe und ermöglicht dem Pilz eine reiche Konidienbildung. Anschließend wachsen die Hyphen durch den Narbenkanal zu den Samenanlagen. Vergiftungserscheinungen: Die Alkaloide bewirken nach dem Einatmen Erregungszustände, Delirien, bei längerer Einwirkung Erbrechen, Koliken und Durchfall. Als Rauschdroge dienen die vor der Bestäubung gesammelten Griffel der weiblichen Blüte. Sie werden von indigenen Völkern in Peru als Rauschmittel geraucht. Geschichte Das Zentrum der Maiskultivierung liegt in Zentralmexiko. Weitgehend unstrittig ist mittlerweile, dass das Wildgras Teosinte der wilde Vorfahr des Maises ist. Die Blüten von Teosinte und Mais lassen sich optisch kaum unterscheiden, die Chromosomenzahl beider Pflanzen ist identisch und sie hybridisieren in der Natur überall da, wo sie in Nähe zueinander wachsen. Allerdings sind die Fruchtstände deutlich unterschiedlich. Teosinte bildet keine Kolben mit mehreren Körnerreihen, sondern zwei Reihen dreieckiger Körner sitzen an einer dünnen Ährenachse. Mehrere dieser Ähren stehen in Büscheln zusammen. Bei der Reife fallen die Körner von der Ähre ab. Die Entwicklung des heutigen Kulturmaises, der sich ohne menschliche Hilfe nicht fortpflanzen kann, da sich bei ihm die Körner nicht mehr von alleine lösen, gilt daher als eine der größten Domestizierungsleistungen des Menschen. Über Einzelheiten der Domestizierungsgeschichte besteht dagegen noch Unklarheit. 2008 stellte ein Forscherteam fest, dass Teosinte im zentralen Tal des Balsas im Süden Mexikos die Ausgangssorte darstellen. Im dortigen Xihuatoxtla fanden sich 8.700 Jahre alte Spuren, dazu entsprechende Werkzeuge. Präkolumbische Zeit Jüngsten Forschungsergebnissen zufolge stammt Mais von der Balsas-Teosinte aus dem tropischen Regenwald des Rio Balsas-Beckens in Zentralmexiko ab. Prähistorische Reste von Mais hat man seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts an mehreren Orten in Mexiko, Panama, Neu-Mexiko und Peru gefunden. Zu den ersten Funden zählten Maisreste im Tal von Tehuacán. Die intakten Kolben, die keine Körner mehr aufwiesen, waren zwischen 1,9 und 2,4 Zentimeter lang. Sie hatten im Mittel acht Kornreihen mit sechs bis neun Körnern pro Reihe. Dem Kultur-Mais aus dem Tal von Tehuacán wurde lange ein Alter von etwa 9.000 Jahren zugeschrieben, nach neuen 14C-Daten stammt er jedoch nur von etwa 4.700 v. Chr. Zwei Maiskolben aus Guila Naquitz, die weniger als 5 cm lang sind, wurden auf 3.300 v. Chr. datiert. Insgesamt stammen die ersten voll-neolithischen Siedlungen in Mexiko aus der Zeit um 3.500 v. Chr. (unkalibriert). Aus Trincheras am Rio Casas Grandes im nördlichen Chihuahua und Las Playas im nördlichen Sonora stammt kultivierter Mais, der auf etwa 1.000 v. Chr. datiert ist. Aus Trincheras ist auch Amarant bekannt. Die ersten Ackerbausiedlungen im Südwesten liegen auf den Niederterrassen von Flüssen. Eventuell wurde Mais hier ausgesät, nachdem die Frühjahrsüberschwemmungen zurückgegangen waren. Seit 1.100 v. Chr. sind aus dem Gebiet von Tucson (Arizona) kleinere Bewässerungsanlagen bekannt. Aus der Palo-Blanco-Phase, die etwa von 200 v. Chr. bis ca. 700 n. Chr. währte, sind Kolben mit einer Länge von acht bis zehn Zentimeter bekannt, die zwischen 113 und 163 Körner aufwiesen. 16. / 17. Jahrhundert Mais in Europa „Der Mais stammt als die einzige der gewöhnlichen Getreidearten aus Amerika.“ (Johannes Humlum, Zur Geographie des Maisbaus 1942) Der italienische Arzt Pietro Andrea Mattioli hat 1565 dem Mais eindeutig das Ursprungsland Amerika zugewiesen, wodurch die These widerlegt werden konnte, der Mais stamme aus dem asiatischen Gebiet. Die Entdeckung Amerikas 1492 brachte Christoph Kolumbus zwar nicht wie erhofft Reichtümer und Schätze, dafür stieß man aber auf verschiedene Früchte und Pflanzen. Darunter auch den Mais, der nach 1492 relativ schnell nach Europa kam und sich von hier aus über die ganze Welt verbreitete. Kolumbus beschreibt den Mais (abgeleitet von „mahiz“ aus der Sprache der Taíno-Arawak-Indianer auf den karibischen Inseln) in seinen Tagebüchern als eine Pflanze mit fundamentaler Bedeutung für die Nahrung und Landwirtschaft auf den Inseln vor Ort. So lässt sich dann 1503 der Mais zum ersten Mal in den Handelsregistern von Sevilla auffinden, welches zur damaligen Zeit das alleinige Anrecht auf aus Amerika eingeführte Güter hatte. Spanien Im 16. Jahrhundert hält das „amerikanische Korn“ Einzug in den spanischen Ziergärten. Quellen belegen den Maisanbau ab 1525 in Andalusien. Im Süden der iberischen Halbinsel hatte der Mais aufgrund des Klimas größere Probleme, sich gegen die bestehenden Wein-, Weizen- und Olivenfelder durchzusetzen. Im Norden konnte der Mais sich schneller durchsetzen und verbreiten und trug als preiswertes Nahrungsmittel bedeutend zur Nahrungsversorgung der finanziell Schwächeren bei. Von Spanien aus gelangte der Mais nach Südeuropa und in den Vorderen Orient. Italien Der Mais kam von Spanien aus nach Italien, die neuen Anbaugebiete waren aber nicht die Gebiete unter der Führung Spaniens, sondern vor allem die Gegend um Venedig. Im 16. Jahrhundert verzeichnen erste Quellen die Ankunft gelbkörnigen Maises (es gibt zahlreiche Darstellungen, wie z. B. die Villa Farnesina in Rom) und die Existenz von Maispflanzen in Gärten Oberitaliens. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts stieg die Maisproduktion immer mehr an und im 18. Jahrhundert überholte sie sogar die des Weizens. Die Italiener waren die ersten, die das Potenzial des Maiskorns als Ackerfrucht erkannten. Die Maispflanze stellt nämlich bei warmen Sommertemperaturen keine großen Ansprüche und kann auch ohne landwirtschaftliche Geräte gezogen werden und liefert darüber hinaus noch hohe Erträge. Balkan Die Verbreitung in Südosteuropa lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf militärische Einflüsse zurückführen. Die Balkanländer waren eine der frühen Maisproduzenten Europas. Im 17. Jahrhundert hat der Maisanbau in den Ländern auf dem Balkan fußgefasst und war als Grundnahrungsmittel in Südosteuropa nicht mehr wegzudenken. Schweiz In der Schweiz wird Mais seit dem 17. Jahrhundert im St. Galler Rheintal angebaut, wo er wegen des feucht-warmen Klimas und durch die Begünstigung des Alpenföhns besonders gut gedeiht. Die Kulturpflanze wurde im Rheintal hauptsächlich als Speisemais für den Verzehr angebaut und nicht als Futtermais für das Vieh wie in anderen Ackerbaugebieten. Frankreich Ende des 16. Jahrhunderts gelangte der Mais auch nach Südwestfrankreich, wo vor allem um die Gegend von Toulouse gute Bedingungen für den Maisanbau herrschten. Weiter nördlich kam der Mais zunächst nicht. Deutschland Venedig hatte zur damaligen Zeit enge Verbindungen zu den Spaniern, die ihre Reise nach Amerika antraten, weshalb Venedig nur kurze Zeit nachdem das Maiskorn in Spanien ankam, auch schon erste Proben erhalten hatte. Von Venedig aus trat das Maiskorn seine Reise nach Deutschland an, denn Süddeutschland und Venedig verbanden enge Handelsbeziehungen. So lebten viele deutsche Händler in Venedig, während sich gleichzeitig in Nürnberg die größte venezianische Handelsniederlassung befand. Auf diese Weise fand das Maiskorn Einzug in Deutschland, nur wenige Jahrzehnte nach der Ankunft der Europäer in Amerika. In Deutschland wurde Mais im 16. und 17. Jahrhundert nur in Gärten klimatisch begünstigter Regionen wie der Rheingegend oder Baden gepflegt. Als einer der Ersten führte Hieronymus Bock Mais in dem New Kreüterbuch 1539 auf. Damals noch als Welschkorn bezeichnet: Unser Germania würt bald Felix Arabia heissen dieweil wir so vil frembder gewächs von tag zu tag auss frembden Landen in unseren grund gewehnen under welchen dz gross Welschkorn nit das geringest ohn zweiffel erstmal von Kauffleuten auss warmen freissten Landen zu uns geführt worden. Leonhart Fuchs hingegen hatte 1543 die erste bildliche Darstellung einer Maispflanze in dem von ihm veröffentlichten Buch, während Abbildungen in Jacob Theodor Tabernaemontanus Neuw Kreuterbuch aus dem Jahre 1588 zeigen, dass im 16. Jahrhundert die Vielfarbigkeit des Getreides bekannt war. Mais in Afrika Die Portugiesen führten zu Beginn des 16. Jahrhunderts das Getreide in Afrika ein. Das Maiskorn verbreitete sich schnell auf dem Kontinent und wurde erfolgreich in die traditionellen Landnutzungssysteme eingegliedert. An der Goldküste Ghanas war Mais vom 16. Jahrhundert bis 1850 ein wichtiges Nahrungsmittel, zum einen bei langen Reisen, zum anderen auch für Soldaten im Krieg. Darüber hinaus wurde Mais auch als Speise für die Götter bei bestimmten Ritualen verwendet. Der Holländer Pieter de Marees berichtet in seinen Aufzeichnungen, dass oftmals eine Art Bier aus Mais getrunken wurde, genannt Poitou. Der Mais erreichte die Goldküste von der Karibik oder Amerika aus über São Tomé, eine unbewohnte Insel in Westafrika, die von den Portugiesen entdeckt wurde. Von da aus gelangte der Mais dann in die Niederlassungen an der Goldküste. Krieg und Sklavenhandel hatten große Auswirkungen auf den Maishandel an der Goldküste. Vor allem gerösteter Mais war dabei aufgrund seiner längeren Haltbarkeit sehr beliebt. Darüber hinaus benutzte die Asante-Armee Maiskörner, um einen Überblick über die getöteten Soldaten zu behalten. In Accra hatte sich der Mais bis Ende des 17. Jahrhunderts als Hauptgetreide durchgesetzt, und für den Stamm der Ga war der Mais ein Symbol für Fruchtbarkeit. Dort wurde der Bauch von Frauen, die zum ersten Mal schwanger waren, damit bestrichen. Es ist davon auszugehen, dass sich die Bevölkerung des afrikanischen Kontinents unter anderem auch dank des Maises erheblich vergrößerte. Diese Entwicklung spielte dem um diese Zeit herum entstehenden Sklavenhandel zu. Entwicklung von der Gartenpflanze zur Ackerfrucht Es gibt einen gewissen Prozess für die Akkulturation und Verwendung neuartiger Pflanzen. So wurden bislang unbekannte Pflanzen in vorindustrieller Zeit zuerst als Heilkräuter aufgenommen, da vermutet wurde, dass exotische Sachen eine wundertätige Wirkung hätten. Die ersten Berichte über den Mais lassen sich im Zusammenhang als Heilmittel finden, Herbarien des 16. Jahrhunderts verweisen ebenfalls auf die Heilkraft dieser amerikanischen Nutzpflanze. Dies änderte sich bis in die Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht. Mais wurde zur damaligen Zeit als für die Verdauung förderlich angesehen. Gleichzeitig ließen sich auch Stimmen vernehmen, die den Mais als schwer verdaulich erachteten und davor warnten. Mais entwickelte sich von einer botanischen Rarität zur allgemein akzeptierten Ackerfrucht. Anfang bis Mitte des 16. Jahrhunderts konnte Mais nur in kleinen Mengen in den heimischen Gemüsegärten gefunden werden, während er ein Jahrhundert später eine viel wichtigere Rolle spielte. Der Mais hat sich als Ackerfrucht etabliert. Die hohen Erträge bei der Ernte von Mais sind einer der Hauptgründe, warum Mais ab Mitte des 17. Jahrhunderts vermehrt auf den Ackerflächen vorkommt. Denn Mais übersteht im Vergleich zu den europäischen Getreidesorten längere Dürre- oder Regenperioden besser, außerdem überzeugt der Mais auch mit seiner kürzeren Reifezeit. Mais erfordert zwar einen höheren Arbeitseinsatz, vor allem wird mehr organischer Dünger benötigt, allerdings lagen seine Ertragschancen höher als die der anderen Sorten. Besonders, da die hohen Ernteerträge dafür eingesetzt werden konnten, um die Tiere, die den Dünger produzierten, zu füttern. Dies hatte auch Auswirkungen auf die Bauernbevölkerung. Die Bevölkerung fing an, den Mais selbst zu konsumieren und den dadurch eingesparten Weizen zu verkaufen, wodurch Mais zum finanziellen Mittel wurde. Auch wurden bestehende Probleme der Viehfütterung mithilfe von Mais und Kartoffel gelöst. Mais wurde vor allem dort angebaut, wo Bauern nur über kleinere Parzellen verfügten, Großbauern konnten ihre Felder nicht bestellen, denn dafür war der Arbeitsaufwand zu groß. Im 17. Jahrhundert gab es aufgrund einer kleinen Eiszeit schlechtere klimatische Bedingungen für den Mais. Dies hatte zur Folge, dass in Großteilen Europas der Maisanbau missglückte. Deshalb hatte der Mais seine erste kleine Blütezeit erst im 18. Jahrhundert. Mit der Erwärmung verschob sich später die Anbaugrenze Richtung Norden. Ab dem 18. Jahrhundert Maisanbau in Deutschland Erst nachdem es 1805 und 1806 auf Grund einer Pflanzenseuche zu großen Ausfällen in der Kartoffelernte gekommen war, begann man Maissorten zu züchten, die für das etwas strengere mittel- und norddeutsche Klima geeignet waren. Auch wenn in dieser Zeit Rezepte publiziert wurden, wie Mais für Suppen, Pudding, Kuchen, Brei und als Kaffee-Ersatz verwendet werden kann, diente Mais überwiegend der Grünfuttergewinnung. Die Anbauflächen blieben jedoch im 19. Jahrhundert gering und betrugen in Deutschland weniger als ein Prozent. Lediglich in Baden war der Anbau von Mais etwas verbreiteter. Erst in den 1970er Jahren wurden den mitteleuropäischen Standortverhältnissen angepasste Sorten entwickelt, so dass sich der Maisanbau hier stark ausweitete (Blizzard-Mais, Deutsches Maiskomitee, Deutscher Maisclub). Maisanbau in der Schweiz In der Schweizer Region um das Rheintal hat sich eine eigenständige Mais-Kultur entwickelt, die dazu führte, dass Mitte des 19. Jahrhunderts bereits zwei Drittel der Rheintaler Ackerbaufläche zum Maisanbau verwendet wurden. Die Bezeichnung Rheintaler Ribelmais, welche eine eigenständige Sorte darstellt, ist seit dem Jahr 2000 mit der Ursprungsbezeichnung Rheintaler Ribelmais AOP als erstes Getreideprodukt der Schweiz geschützt. Aus dem Rheintaler Ribelmais AOP werden zahlreiche regionale Produkte hergestellt, beispielsweise das unter dem geschützten Markennamen Ribelgold vermarktete Maisbier der Regionalbrauerei Sonnenbräu. Etymologie Zea mays setzt sich aus altgriech. ζεά (zea) für „Dinkel, Spelt“ und neulat. mays (aus , aus Taíno mahiz) zusammen. In Österreich, vor allem in Ostösterreich, sowie in einigen (zu Österreich) grenznahen Gebieten in Bayern wird Mais auch „Kukuruz“ genannt (ausgesprochen gúgarutz in Wien, Ober- und Niederösterreich und auch im Burgenland). Dies ist aus serbokroat. kukuruz entlehnt (vgl. auch tschech. sladká kukuřice (süßer Mais), poln. kukurydza, russ. (kukurusa); die Bezeichnung wurde auch als kukorica ins Ungarische aufgenommen), dessen Ursprung unklar und umstritten ist. Sofern ursprünglich slawisch, ist es möglicherweise von einem Ruf kukuru abgeleitet, mit dem Hühner zum Füttern angelockt wurden, oder vielleicht über osman.-türk. kokoroz aus dem Albanischen entlehnt, vgl. kokërrëz, von kokërr „Kügelchen, Perle, Korn“ (eine Verbindung mit den Kuruzen, aufständischen ungarischen Bauern, ist wenig wahrscheinlich und wohl Volksetymologie). Weitere Trivialnamen sind: „Welschkorn“, „Türkischkorn“ und „Türkischer Weizen“, in Kärnten, Tirol und Vorarlberg oft auch kurz „[der] Türken“, in Südtirol auch bekannt als Tirk, tirg, Tirg, Tirgg, tirgge, tirgn, türgg, Türk, analog heißt der Mais auch auf Italienisch granoturco. In der Steiermark wird mit „Woaz“, je nach Region, entweder Weizen oder Mais („Türk Woaz“) bezeichnet. In der Schweiz kennt vor allem das St. Galler Rheintal den Ausdruck Türgge oder Törgge für den hellen Speisemais, aus dem die traditionelle Speise Riebel hergestellt wird. Diese Namensgebungen müssen aber nicht zwangsläufig auch mit den Türken zu tun haben, sondern lassen sich eventuell auch als Volksetymologie mit der Herkunft aus dem vermeintlichen Orient bzw. eben den „heidnischen Ländern“ erklären; Vergleichbares war regional auch bei anderen Importen aus der Neuen Welt üblich. Auf eine fremde bzw. überseeische Herkunft verweisen auch die Bezeichnungen „Welschkorn“, die vor allem im Pfälzischen verbreitet ist, und das ältere französische blé d'Inde, das heute noch bei frankophonen Kanadiern üblich ist. Anbau Mais ist ein Sommergetreide. Die Aussaat erfolgt in Deutschland von Mitte April bis Anfang Mai, wenn der Boden warm genug und die Gefahr von Spätfrösten nicht mehr gegeben ist. Mais braucht zur Keimung und zum Feldaufgang eine gewisse Temperatur (Keimung 7–9 °C) und eine gewisse Wärmesumme für den Feldaufgang. Bei niedrigen Temperaturen wird der Keimling von Bodenpilzen befallen und verliert seine Triebkraft; lückige Maisbestände mit geringeren Erträgen sind die Folge. Andererseits führt späte Saat ebenfalls zu Ertragsminderungen, weil die Sonnenenergie des Sommers dann nicht voll ausgenutzt wird. Als Faustregel gilt in Deutschland: eine Aussaat nach dem 10. Mai resultiert in einem Prozent Minderertrag pro Tag Verspätung. Mais wird in Reihen als Einzelkornsaat mit mechanischen oder pneumatischen Einzelkornsämaschinen gesät (österreichisch: gesetzt); die Bestandsdichte ist sorten- und regionsabhängig und beträgt im Durchschnitt etwa 10 (7,5–11) Pflanzen/m². Der Reihenabstand beträgt etwa 75 Zentimeter, der Säabstand etwa 10 bis 20 Zentimeter. Die Ernte des Silomaises, normalerweise durch Feldhäcksler, findet in Deutschland Mitte September bis Anfang Oktober statt (der optimale Erntetermin liegt bei etwa 30 % Trockensubstanz der Gesamtpflanze). Körnermais wird in klimatisch bevorzugten Gebieten ab Ende September bis Ende November geerntet. Trotzdem liegt der Feuchtigkeitsgehalt der Körner mit etwa 25–35 % noch so hoch, dass eine entsprechende Trocknung notwendig ist. Haltbar sind Einzelkörner mit max. 16 % Feuchtigkeit; werden ganze Kolben in durchlüfteten Drahtgittersilos eingelagert, so darf die Feuchtigkeit etwas höher sein. Der Hektarertrag von Körnermais liegt bei der Ernte zwischen 80 und 120 dt/ha. Körnermais kann heute mit Mähdreschern geerntet werden, wobei ein spezielles Schneidewerk (siehe Maisschneidwerke) die Kolben von den Stängeln trennt und die Kolben direkt vom Mähdrescher gedroschen werden können. Die Stängel bleiben in der Regel als Restpflanze auf dem Feld zurück. Zum Schutz vor Schädlingen und um die Verrottung der Restpflanze zu beschleunigen wird diese in der Regel zerkleinert und im Anschluss mechanisch in den Boden eingearbeitet. Je nach Erntesystem erfolgt die Zerkleinerung entweder direkt während der Ernte durch das Maisschneidwerk mithilfe eines integrierten Unterbauhäckslers oder es wird ein zusätzlicher Mulcharbeitsgang unmittelbar nach der Ernte durchgeführt. Foliensaat In Kanada und Irland weit verbreitet ist die Foliensaat. Beim Säen werden die Reihen mit einer Folie überzogen, um den Glashauseffekt zu erreichen. Die Folie ist biologisch abbaubar und verbleibt auf dem Feld. Um den Bestand unkrautfrei zu halten, wird gleichzeitig ein Vorauflaufherbizid ausgebracht. Mehrerträge konnten vor allem in kühlen Jahren erzielt werden. Untersuchungen im kanadischen Neufundland ergaben eine um 9 bis 15 Tage kürzere Vegetationszeit, gleichzeitig stiegen die Trockenmasseerträge um 14 bis 22 % an. Versuche in den Niederlanden im Jahr 2008 ergaben, dass die Aussaat desselben Saatguts zwei Wochen früher möglich ist, so dass ertragreichere Sorten eingesetzt werden können. Insbesondere die Phosphorverfügbarkeit wird bei den steigenden Bodentemperaturen unter Folie deutlich verbessert. Unter trockenen Bedingungen wurden ebenfalls Mehrerträge festgestellt. Zudem kann eine Maissorte mit einer um 100 Punkte höheren Reifezahl (FAO-Zahl) angebaut werden. Die Flächenleistung des Sägerätes ist aufgrund der gleichzeitigen Befestigung der Folie deutlich geringer als bei konventionellen Geräten. Je nach Anzahl und Anordnung der Löcher in der Folie kann es zu Problemen mit der Wasserabfuhr kommen. Saatgut Bis in die 1930er Jahre waren ausschließlich offen abblühende Maissorten im Anbau, wie zum Beispiel der gelbe badische Landmais. Durch bedeutende Züchtungsfortschritte begann in den USA in den 1930er Jahren der Anbau von Mais-Hybriden. Hybridmais bringt dank Heterosis-Effekt deutlich höhere Erträge als offen abblühende Sorten; ein Nachbau (Saatgut) der geernteten Körner führt jedoch zu einem geringeren Ertrag. In Industrieländern kaufen Bauern in der Regel jährlich frisches Hybridsaatgut, da die höheren Kosten durch die höheren Erträge kompensiert werden. Ärmeren Bauern in Entwicklungsländern ist dies nicht immer möglich, so dass sie Hybridsaatgut recyclen. Trotz der durch Recycling bedingten Ertragseinbrüche sind Nachkommen von Hybriden den traditionellen Sorten üblicherweise noch einige Generationen überlegen. Als QPM-Mais (Quality Protein Maize) werden Maissorten mit erhöhtem Gehalt der im Mais limitierenden essentiellen Aminosäuren Lysin und Tryptophan bezeichnet. Da Mais in vielen afrikanischen Ländern aufgrund eines schlechten Zugangs zu tierischen Eiweißen und Hülsenfrüchten die bedeutendste Proteinquelle ist, hat QPM das Potenzial, den Gesundheitszustand vieler Menschen zu verbessern. QPM-Sorten werden bereits in etwa 40 Ländern angebaut, vor allem in afrikanischen. Der Verkehr mit Mais-Saatgut ist im Sortenschutzgesetz und Saatgutverkehrsrecht geregelt, deren Einhaltung durch das Bundessortenamt geregelt und durch Länderbehörden überwacht wird. Die zugelassenen Sorten werden in der Europäischen Sortenliste periodisch veröffentlicht. 2010 wurde in Deutschland auf 3.754 ha Maissaatgut vermehrt, fast ausschließlich am Oberrhein in Baden-Württemberg. Mehr als 80 % des benötigten Saatgutes werden importiert, vor allem aus Frankreich oder Ungarn. Die weltweit im Anbau befindlichen Sorten werden mit einer dreistelligen Reifezahl von 100 bis 900 beschrieben. Von den neun Reifegruppen reifen die 100er- bis 300er-Sorten mit weniger Sonnenenergie in Norddeutschland als Silomais und in Süddeutschland als Körnermais ab. Das hohe Ertragspotential der Reifegruppen höher 400 setzt hohe Sonnenenergie voraus, die nur in Regionen bis zum 40. Breitengrad der Erde erreicht wird, z. B. im mittleren Westen der USA oder südlich von Rom. Bis 1998 wurden Maissorten anhand ihrer FAO-Zahl eingruppiert. Dabei wurde ausschließlich der Trockensubstanzgehalt des Kolbens ermittelt. Eine Differenzierung nach Nutzung (Silomais oder Körnermais) war daher aus technischen Gründen nicht möglich. Eine Differenz von zehn FAO-Einheiten gab unter mitteleuropäischen Verhältnissen einen Reifeunterschied von ein bis zwei Tagen oder 1 bis 2 % im Trockensubstanzgehalt der Körner zum Zeitpunkt der Reife wieder. Heute wird die Reifezahl nutzungsspezifisch angegeben, d. h. bei Silomaistypen (S) wird der TS-Gehalt der Gesamtpflanze als Kriterium herangezogen, und bei Körnermaistypen (K) wird der TS-Gehalt der Körner berücksichtigt, Beispiel: S 230/K 240 Bei den neuen Einstufungen handelt es sich um relative Einstufungen zu Referenzsorten. Somit würde eine Sorte nach Einstufung der FAO-Zahl und der Nutzungsspezifischen Reifezahl in unterschiedlichen Gruppen erscheinen. In der Deutschen Demokratischen Republik war Wilhelm Kappel der führende Maiszüchter. Gentechnisch modifizierte Sorten Seit Ende der 1990er Jahre werden mittels Gentechnik hergestellte schädlingsresistente und herbizidresistente Maissorten angebaut. 2009 erfolgte der Anbau in 16 Ländern. Die wichtigsten Anbauländer sind die USA, Brasilien, Argentinien und Kanada. In den USA beträgt der Anteil transgener Sorten 85 %. Der Anbau transgenen Maises ist laut begutachteten Studien in den untersuchten Ländern kostensparender und/oder ertragreicher sowie umweltschonender. Andere Studien kommen zu einem anderen Ergebnis, indem sie auf einen längeren Beobachtungszeitraum bezogen beispielsweise einen höheren Pestizidverbrauch feststellten. In Nordamerika werden mögliche Einflüsse auf die Biodiversität von wilden Verwandten des Maises in Mexiko untersucht. Kornformen Mais wird teilweise über die Form, die Zusammensetzung und die Verwendung der Maiskörner definiert. Die Form des Korns wird durch das Nährstoffgewebe bestimmt. Folgende Klassifizierung ist üblich (engl. Bezeichnungen in Klammern): Hartmais ( = Kiesel, Feuerstein, flach, rund). Die reifen Körner sind rund, weil sich hier stärkereiches Nährgewebe befindet, darum herum aber hornartiges. Hartmais ist die in den USA am meisten angebaute Form des Maises. Zahnmais (). Die reifen Körner sind in der Mitte eingesunken, weil die Eiweißschicht (auch Hornendosperm genannt) rings um das Korn verläuft. Die meisten Sorten im europäischen Anbau sind Zahnmais/Hartmaismischtypen. Puffmais (). Das gesamte Nährgewebe ist hornartig. Durch Erhitzen platzen die Körner. Zuckermais (). Da Zuckermaisarten ein Gen fehlt, wandelt sich bei der Reife der Zucker nicht in Stärke um. Die Körner schrumpfen entsprechend bei der Reife. Zuckermais wird gewöhnlich vor Abschluss des Reifeprozesses geerntet und gegessen. Es gibt zahlreiche spezielle farbliche Varietäten wie Blue Corn und Purple Corn. Stärkemais (). Die Körner haben kein Hornendosperm (Eiweißschicht), sondern nur ein weiches und stärkehaltiges Nährgewebe und lassen sich daher besser als andere Maisgruppen zu Mehl mahlen. Körner und Kolben dieser Maisform finden sich unter anderem in den Gräbern der Inkas und Azteken. Wachsmais (). Die Körner sehen wachsartig aus, weil sie einen Überzug aus Amylopektin haben. Spelzmais (). Die Maisform hat heute keine landwirtschaftliche Bedeutung mehr. Da jedes Korn von Spelzen umgeben ist, ist die Verarbeitung eingeschränkt. Alternativ können Maissorten nach ihrem Alter gruppiert werden. Krankheiten und Schädlinge Zu den Krankheiten von Kulturmais gehören Auflaufkrankheiten, Keimlings-, Wurzel-, Stängel- und Kolbenfäule, Maisbeulenbrand (Ustilago maydis), Maisrost (Puccinia sorghi, P. mayidis), Blattfleckenkrankheit bei Mais (Helminthosporium sp.). In Subsahara-Afrika ist der Maize Streak Virus die verheerendste virale Krankheit beim Mais. Fast im gesamten Afrika hat sich der aus Mesoamerika eingeführte Große Kornbohrer (Prostephanus truncatus) ausgebreitet und richtet teils erhebliche Schäden an Mais auf dem Feld oder im Lagerhaus an. Der Schimmelpilz Aspergillus flavus befällt gelagerten Mais und bildet unter Umständen die hochtoxischen Aflatoxine, durch welche die Ernte für menschlichen oder tierischen Verzehr ungeeignet ist. Als tierische Schädlinge von Kulturmais gelten Ackerschnecken (Deroceras ssp.), Drahtwurm (Agriotes lineatus), Fritfliege (Oscinella frit), Maiszünsler (Ostrinia nubilalis), Westlicher Maiswurzelbohrer (Diabrotica vigifera), Baumwollkapselbohrer (Helicoverpa zea), Baumwoll-Kapseleule (Helicoverpa armigera). Der Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) bohrt sich in das Innere des Stängels oder des Kolbens und vernichtet dadurch große Teile der Ernte. Nützlinge Das Bakterium Paenibacillus brasilensis lebt oft in Assoziation mit Mais. Er ist wie andere Paenibacillus-Arten in der Lage, durch Stickstofffixierung Stickstoff aus der Luft zu binden. Diese Fixierung von Stickstoff ist auch als Diazotrophie bekannt und für die Pflanze von Vorteil, da ihr damit zusätzlicher Stickstoff in Form von Ammoniak und höherwertigen Verbindungen zukommt, den sie alleine überhaupt nicht aus der Luft und nur in der lokal typischen Menge aus dem Boden hätte entnehmen können. Im Mais können Schlupfwespen (Trichogramma brassicae) eingesetzt werden, um den Maiszünsler (Ostrinia nubilalis) zu bekämpfen. Hierzu werden die Schlupfwespen mit kleinen Kärtchen oder per Multicopter in dem Maisbestand verteilt. Anschließend legen die weiblichen Schlupfwespen ihre Eier in die Gelege der Maiszünsler, welche hierdurch absterben. Wirtschaftliche Bedeutung Weltweit lagen die Hektar-Erträge für Körnermais 2020 bei 58 dt/ha und in Deutschland bei 96 dt/ha. Laut Statistischem Bundesamt wurden 2016 in Deutschland insgesamt 4,4 Mio. Tonnen Körnermais (einschließlich Corn-Cob-Mix) auf 430.000 ha angebaut. 2,1 Mio. ha wurden zur Silomaiserzeugung (einschließlich Lieschkolben) genutzt, auf denen 96,6 Mio. t Silomais geerntet wurden. Die größten Maisproduzenten 2021 wurden laut Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO weltweit 1.210.235.135 Tonnen Körnermais von 206 Mio. Hektar geerntet. Damit sind Zuckerrohr und Mais die beiden einzigen Nahrungspflanzen, deren jährliche Erntemengen über einer Milliarde Tonnen liegen. Folgende Tabelle gibt eine Übersicht über die 20 größten Produzenten von Mais weltweit, die insgesamt 88,2 % der Gesamtmenge produzierten. Außerdem befinden sich unter dieser Tabelle die Zahlen für Deutschland, Österreich und die Schweiz zum Vergleich: Zum Vergleich: die Jahresernte in Deutschland betrug 4.462.400 t, in Österreich 2.434.900 t und in der Schweiz 98.216 t. Siehe auch Liste der größten Agrarproduzenten Liste der größten Getreideproduzenten Roggen#Die größten Roggenproduzenten Gerste#Die größten Gersteproduzenten Reis#Die größten Reisproduzenten Weizen#Die größten Weizenproduzenten Saat-Hafer#Die größten Haferproduzenten Handel Mais ist nach Weizen das meistgehandelte Getreide. Global wurden 2019 etwa 184 Millionen Tonnen exportiert, davon etwa 23,3 % aus Brasilien, gefolgt von den Vereinigten Staaten (22,6 %) und Argentinien (19,6 %). Größter Importeur war 2019 Japan (8,8 %), gefolgt von Mexiko, Vietnam und Südkorea. Unter den 20 größten Exportnationen waren auch weitere europäische Länder: Ukraine, Frankreich und Serbien. Subsahara-Afrika ist größtenteils autark. Nutzung Nutzung als Lebensmittel, Futtermittel und zur Energiegewinnung Etwa 15 % der globalen Maisernte werden als Lebensmittel verwendet (Zeitraum: 2005–2007). Global werden 63 % des verbrauchten Mais an Nutztiere verfüttert, 11 % werden verarbeitet, 10 % werden andersartig genutzt, 1 % als Saatgut. In Entwicklungsländern liegt der Anteil von Lebensmitteln an der Maisnachfrage bei 25 %, in Ost- und Südafrika bei 73 %, während er in Industrieländern 3 % beträgt. In Industrieländern wird 23 % des verbrauchten Mais verarbeitet, vor allem zu Bioenergie. Die Nachfrage nach Mais als Futtermittel (vor allem für Schweine und Geflügel) steigt um 6 % jährlich, insbesondere aufgrund des zunehmenden Fleischkonsums in Asien. Für etwa 900 Millionen Menschen, vor allem in Afrika und Lateinamerika, ist Mais das wichtigste Grundnahrungsmittel. Mais liefert in Mittelamerika 61 %, in Ost- und Südafrika 45 %, in der Andenregion (Bolivien, Kolumbien, Ecuador, Guyana, Peru, Surinam und Venezuela) 29 %, in West- und Zentralafrika 21 % und in Asien 4 % der aus Lebensmitteln aufgenommenen Energie (siehe: physiologischer Brennwert). Der größte Teil des in Deutschland angebauten Maises (ca. 62 %) wird für Futterzwecke (Silomais, Körnermais) verwendet und ca. 38 % zur Energiegewinnung in Biogasanlagen (Energiemais). Ein geringer Anteil der inländischen Erzeugung wird in Form von Körnermais als Lebensmittel verwendet und dazu zum Großteil in der Lebensmittelindustrie verarbeitet. Die Verarbeitung dieser Körner erfolgt dann entweder in der Trockenmüllerei (Mehle und Grieße) oder in der Nassmüllerei (Stärke) zu Produkten wie Maisstärke (Nebenprodukt Corngluten; proteinreiches Tierfutter) und Maismehl bzw. Maisgrieß (Nebenprodukte Maiskeime und Schalen). Aus diesen Produkten erfolgt die Weiterverarbeitung zu Glukosesirup, Maiskeimöl, Cornflakes, Popcorn, Polenta, Erdnussflips, Tortillas u. v. m. Neben dem in Europa vielfach angebauten gelben Mais gibt es auch rote und blaue Sorten, die Farbeffekte in Nahrungsmitteln geben können. Nutzung als Heilpflanze Als Heilmittel dienen die Maisstärke und das raffinierte Maiskeimöl. Im Öl finden sich Glyceride der Linolsäure (40–60 %), der Ölsäure (25–35 %) und der Palmitinsäure (9–12 %), Vitamin E und Phytosterole. Maisstärke dient als Pudergrundlage mit hohem Wasseraufnahmevermögen und als Hilfsstoff in der pharmazeutischen Technologie, z. B. bei der Tablettenherstellung. Gleichzeitig ist sie auch Ausgangsstoff für weitere Produkte wie Sorbit und Dextrin. Das Maisöl verwendet man in Haut- und Körperpflegemitteln und als Trägerlösung für ölige Injektionen. Mit dem hohen Gehalt an Linolsäure und Vitamin E gilt das Maiskeimöl als wertvolles Speiseöl. Nutzung zur CO2-Speicherung im Meer Forscher schlagen vor, Reste der Maisernte oder andere Getreideabfälle, die als Strohballen bekannt sind, für den Klimaschutz in der Tiefsee zu versenken. Am Meeresgrund in zwei bis drei Kilometer Tiefe würden sich die Abfälle durch den großen Druck, die vier Grad Wassertemperatur und den wenigen Sauerstoff extrem langsam zersetzen und so für lange Zeit den Kohlenstoff speichern. Durchschnittliche Zusammensetzung (ganzes Korn) Die Zusammensetzung von Mais schwankt naturgemäß, sowohl in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen (Boden, Klima) als auch von der Anbautechnik (Düngung, Pflanzenschutz). 1 mg = 1000 µg Der physiologische Brennwert beträgt 1377 kJ je 100 g essbarem Anteil. Nixtamalisation In Ländern, in denen eher selten Mais gegessen wird, wird der Mais einfach zermahlen. Dort, wo Mais ein tägliches Grundnahrungsmittel ist, werden die Körner viele Stunden mit alkalischen Stoffen (wie gelöschtem Kalk oder Holzasche) gekocht, enthülst, nass zu einem Teig vermahlen, dann entweder unmittelbar zum Endprodukt weiterverarbeitet oder wieder getrocknet und als Mehl gehandelt; durch diesen Prozess wird das enthaltene Niacin für den Körper verwertbar und Geschmack und Backeigenschaften verbessert. Diese Verarbeitungstechnik, die als Nixtamalisierung (gebildet aus Nahuatl nextli "Kalkasche" und tamalli "Teig aus Mais") bezeichnet wird, wurde in Oaxaca nachweislich bereits um 1500 v. Chr. verwendet und ist möglicherweise erheblich älter. Das so gewonnene Mehl wird in den Südstaaten der USA Hominy Grits und in Mexiko Masa Harina genannt. Bei der Einführung des Maises in Europa durch die Spanier im 16. Jahrhundert wurde die Nixtamalisation nicht übernommen, sodass sich die Mangelerkrankung Pellagra auch in Europa verbreitete. Der Zusammenhang zwischen Mais und der Erkrankung wurde lange nicht erkannt. Pellagra trat auch in Westafrika auf, wo Mais erst in den letzten Jahrhunderten als Grundnahrungsmittel populär wurde. Auch die niedrige biologische Wertigkeit des Maisproteins kann zu Mangelerscheinungen führen, wenn kaum andere Eiweißquellen zur Verfügung stehen, wie es in vielen Ländern Afrikas der Fall ist. Maiskeimöl Ein weiteres wichtiges Produkt stellt das aus den Maiskeimlingen gewonnene Maiskeimöl dar, das vor allem als Salatöl verwendet wird. Nachwachsender Rohstoff Neben den vorgenannten Anwendungsgebieten in der Ernährung und als Futtermittel wird Mais auch in vielfältiger Weise als nachwachsender Rohstoff verwendet. Dabei gibt es sowohl energetische wie auch stoffliche Verwendungen, die vor allem auf der Maisstärke basieren. Von zentraler Bedeutung ist die Nutzung als Energiepflanze zur Herstellung von Biokraftstoffen (Bioethanol, vor allem in Nordamerika) und als Energiemais zur Herstellung von Maissilage als Biogassubstrat. Als Energiemais wird dabei Mais bezeichnet, der zur Energieerzeugung in Biogasanlagen genutzt wird; durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) in der Fassung von 2009 wurde die Biogaserzeugung aus nachwachsenden Rohstoffen gefördert und damit der Maisanbau ausgeweitet. Mit der EEG-Novelle 2012 wurde der Einsatz von Mais in Neu- und Bestandsanlagen erstmals beschränkt („Maisdeckel“), um dieser Entwicklung entgegenzuwirken. Weitere Einschränkungen folgten in der EEG-Novelle 2017; die den Einsatz von Mais und Getreide stufenweise bis auf max. 44 % im Jahr 2021 absenkt. In der stofflichen Nutzung spielt Maisstärke eine Rolle als Ausgangsprodukt für bio-basierte Kunststoffe, vor allem zur fermentativen Produktion von Milchsäure als Ausgangsprodukt von Polylactiden (PLA) sowie für extrudierte Maisstärke (bspw. für essbares Geschirr und als kompostierbares Füllmaterial in Verpackungen). Wie Weizenstärke und Melasse kann Maisstärke auch als Fermentationsrohstoff für eine Reihe weiterer Feinchemikalien, vor allem Antibiotika und Aminosäuren genutzt werden. Die als Nebenprodukt anfallenden Kolben können zudem als Rohstoff für die Gewinnung von Furfural genutzt werden. Auf der Basis von Maisspindelgranulat wird Ölbindemittel hergestellt. Die Kolbenspindeln spezieller harter Maissorten werden geschnitzt in den USA als einfache Tabakspfeifen („Missouri-Meerschaum“) benutzt und sind auch in Europa im Tabakfachhandel erhältlich. Ebenfalls aus Maisspindel kann durch Verkohlung Maiskohle erzeugt und als Grillkohle benutzt werden. Probleme von Maisanbau und Maisnutzung In Deutschland gibt es Kritik am starken Maisanbau für Tierfutter und zur Gewinnung von Agrosprit und Biogas. Insbesondere wird kritisiert, dass Mais-Monokulturen (eine „Vermaisung der Landschaft“) negative Auswirkungen auf die Artenvielfalt (Biodiversität) haben. Für Entwicklungsländer wird die Verdrängung der in semi-ariden Gebieten üblichen, ernährungsphysiologisch wertvolleren Hirsenahrung durch Maisnahrung kritisch gesehen. Hier wird die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten als Grund angenommen. Umfangreicher Maisanbau fördert die Unterschlupfmöglichkeiten und Futterquellen von Wildschweinrotten. Literatur Emmanuel Akyeampong, Samuel A. Ntewusa: Rum, Gin and Maize: Deities and Ritual Change in the Gold Coast During the Atlantic Era (16th Century to 1850), in: Harvard Library, 2014. Duccio Bonavia: Maize: Origin, Domestication, and Its Role in the Development of Culture. Cambridge University Press, Cambridge 2013, ISBN 978-1-107-02303-1. Helen und William Bynum: Pflanzen und Kultur. Eine illustrierte Weltgeschichte der Botanik, Berlin 2014. ISBN 978-3-945330-02-9. Daniela Ingruber, Martina Kaller-Dietrich: Mais. Geschichte und Nutzung einer Kulturpflanze, Brandes & Apsel, Frankfurt am Main 2001, ISBN 978-3-86099-200-5. Charles C. Mann: Amerika vor Kolumbus. Die Geschichte eines unentdeckten Kontinents, Rowohlt, Hamburg 12016. ISBN 978-3-498-04536-4 Thomas Miedaner: Kulturpflanzen. Botanik – Geschichte – Perspektiven, Springer, Berlin 2014. ISBN 978-3-642-55293-9. Reinhold Reith: Umweltgeschichte der Frühen Neuzeit, Oldenburg Wissenschaftsverlag München 2011, ISBN 978-3-486-71336-7 Peer Schmidt: Der Anbau amerikanischer Nahrungspflanzen in Europa (16. – 19. Jahrhundert), in: Jahrbuch für Geschichte von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft Lateinamerikas, 1995. S. 57–104. Werner Troßbach: Mais im 16. Jahrhundert. Ein europäischer Blick auf den Start einer globalen Karriere, in: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie, Vol. 61(2), 2013. Andreas Volz: Blauer Mais und rote Kartoffel. Eine kleine Kulturgeschichte bekannter und weniger bekannter Nahrungspflanzen, Natur + Text, Rangsdorf 2019, ISBN 978-3-942062-34-3 Roland Walcher-Silbernagele: Geahm’r zen Plent. Mais im Südtiroler Unterland und Überetsch. Eine Kulturgeschichte, Athesia, Bozen 2002, ISBN 88-8266-201-2. Weblinks Hieronymus Bock 1539.Digitalisat. Leonhart Fuchs New Kreüterbuch 1543. Digitalisat. Jacob Theodor Tabernaemontanus, Neuw Kreuterbuch 1588 . Digitalisat. Deutsches Maiskomitee e. V. Informationen zu Mais bei Proplanta.de International Maize and Wheat Improvement Center Website des CIMMYT (Forschung zum Anbau von Mais und Weizen) Genomanalysen erleichtern Zuchterfolge beim Mais Mais & Umwelt – Eine kritische BUND-Analyse Einzelnachweise Süßgräser Getreideart Ölpflanze Futterpflanze Organismus mit sequenziertem Genom
Q11575
883.135492
36827
https://de.wikipedia.org/wiki/Tasteninstrument
Tasteninstrument
Ein Tasteninstrument ist ein Musikinstrument, bei welchem der Ton durch Niederdrücken einer oder mehrerer Tasten auf einer Klaviatur indirekt erzeugt wird. Durch die Bewegung der Taste wird ein Mechanismus in Gang gesetzt, die Mechanik, welche dann die eigentliche Klangerzeugung bewirkt. Der Instrumentalist hat die Finger also nicht direkt am klangerzeugenden Element anliegen. Die Tonerzeugung kann bei akustischen Tasteninstrumenten sehr verschieden sein. Man unterscheidet zwischen Anschlagen (Klavier, Celesta, Hackbrett), Zupfen (Cembalo) oder Blasen (Orgel, Akkordeon). Tasteninstrumente nehmen in den Gruppen Schlaginstrumente, Zupfinstrumente und Blasinstrumente eine Sonderstellung ein. Elektronische Tasteninstrumente können als Masterkeyboard externe oder integrierte Synthesizer, Sampler oder Computer via MIDI oder USB-Schnittstelle ansteuern. Hardwaresampler und Grooveboxen werden teilweise auch zu den Tasteninstrumente gezählt. Die besitzen keine klassische Tastatur zur Toneingabe, werden aber über Tasten und Regler bedient. Bei den akustischen Instrumenten der westlich-abendländischen Musik sind weiße und schwarze Tasten auf einer Klaviatur üblich. Andere Anordnungen findet man beim Knopfakkordeon oder Bandoneon, wo statt Tasten Knöpfe bedient werden. Bei den meisten Tasteninstrumenten sind durch die Tastatur die spielbaren Töne in ihrer Tonhöhe festgelegt; ein nahtloses Hinübergleiten von einem Ton zum anderen ist nicht möglich. Ausnahmen sind elektronische Tasteninstrumente. Allen Tasteninstrumenten ist gemeinsam, dass sich die Tondauer vom Drücken bis zum Loslassen der Taste exakt steuern lässt (allerdings stellt bei Klavier und Cembalo das Ausklingen der Saite eine natürliche Grenze für die Tondauer dar). Abhängig von der Bauart des spezifischen Tasteninstruments sind weitere musikalische Parameter durch das Spiel beeinflussbar: Beim Klavier lässt sich die Lautstärke mittels Anschlagsdynamik sowie eingeschränkt die Klangfarbe durch die Pedale beeinflussen. Bei Orgel und Cembalo sind Lautstärke und Klangfarbe indirekt, nämlich durch die Registrierung, beeinflussbar. Beim Harmonium sowie bei Handzuginstrumenten wie dem Akkordeon steht der Spieldruck unter unmittelbarer Kontrolle des Spielers und ist eines der wesentlichen Ausdrucksmittel. Auf den meisten Tasteninstrumenten können mehrere Töne zugleich gespielt werden, sie sind also Harmonieinstrumente. Im 17. Jahrhundert stand die Instrumentenbezeichnung Clavier für ein beliebiges Tasteninstrument. Beispiele In folgenden Instrumentengruppen kommen Tasteninstrumente vor: Chordophone: („Saitenklinger“): z. B. Klavier, Hammerklavier, Cembalo, Spinett, Virginal, Clavichord, Streichklavier Aerophone: („Luftklinger“): z. B. Orgel, Harmonium, Akkordeon, Melodica, Portativ Idiophone: („Selbstklinger“): z. B. Celesta, Elektromechanisches Musikinstrument Elektrophone: z. B. Digitalpiano, Synthesizer, Keyboard, Hammond-Orgel, Mellotron Hybridinstrumente (Kombinationen): z. B. Claviorganum Weblinks Virtuelles Instrument mit verschiedenen Tonarten, Beispielstücken und Klängen, basierend auf HTML5 und Java
Q52954
236.13987
38739
https://de.wikipedia.org/wiki/Lagrange-Formalismus
Lagrange-Formalismus
Der Lagrange-Formalismus ist in der Physik eine 1788 von Joseph-Louis Lagrange eingeführte Formulierung der klassischen Mechanik, in der die Dynamik eines Systems durch eine einzige skalare Funktion, die Lagrange-Funktion, beschrieben wird. Der Formalismus ist (im Gegensatz zur newtonschen Mechanik, die auf Inertialsysteme festgelegt ist) auch auf beschleunigte Bezugssysteme anwendbar. Der Lagrange-Formalismus ist invariant gegen Koordinatentransformationen. Aus der Lagrange-Funktion lassen sich die Bewegungsgleichungen mit den Euler-Lagrange-Gleichungen der Variationsrechnung aus dem Prinzip der extremalen Wirkung bestimmen. Diese Betrachtungsweise vereinfacht viele physikalische Probleme, da sich, im Gegensatz zu der newtonschen Formulierung der Bewegungsgesetze, im Lagrange-Formalismus Zwangsbedingungen relativ einfach durch das explizite Ausrechnen der Zwangskräfte oder die geeignete Wahl generalisierter Koordinaten berücksichtigen lassen. Aus diesem Grund wird der Lagrange-Formalismus verbreitet bei Mehrkörpersystemen (MKS) eingesetzt. Er lässt sich auch auf den relativistischen Fall übertragen und ist auch in der relativistischen Quantenfeldtheorie zur Formulierung von Modellen von Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen weit verbreitet, behandelt dort allerdings eine feldtheoretische Version (Lagrange-Dichte). Für Systeme mit einem generalisierten Potential und holonomen Zwangsbedingungen lautet die Lagrange-Funktion wobei die kinetische Energie und die potentielle Energie des betrachteten Systems bezeichnen. Man unterscheidet sogenannte Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art. Im engeren Sinn versteht man unter dem Lagrange-Formalismus und den Lagrange-Gleichungen aber die zweiter Art, die häufig einfach als Lagrange-Gleichungen bezeichnet werden: Dabei sind generalisierte Koordinaten und deren Zeitableitungen. Lagrange-Gleichungen erster und zweiter Art Mit den Lagrange-Gleichungen erster Art lassen sich die Zwangskräfte berechnen. Sie sind äquivalent zu den Gleichungen, die sich aus dem D’Alembertschen Prinzip ergeben. Wir betrachten Punktteilchen im mit den Ortsvektoren , , deren Koordinaten durch voneinander unabhängige (holonome) Zwangsbedingungen der Form mit eingeschränkt sind (eine explizite Zeitabhängigkeit ist erlaubt). Dadurch werden die Lagen der Teilchen auf eine -dimensionale Mannigfaltigkeit eingeschränkt ( ist die Anzahl der Freiheitsgrade). Die auf ein Teilchen wirkenden Zwangskräfte sind proportional zum Gradienten , die Gesamt-Zwangskraft ist daher Wenn man annimmt, dass sich die äußeren Kräfte aus einem Potential ableiten lassen, kann man die Bewegungsgleichung schreiben (Lagrange-Gleichung 1. Art): Die sind die Massen der Punktteilchen, ist die potentielle Energie. Dies, zusammen mit den Zwangsbedingungen , sind unabhängige Gleichungen für die Koordinaten der sowie für die Lagrange-Multiplikatoren . Somit ist die Lösung des Gleichungssystems eindeutig. Bemerkung: Hier wurden nur holonome Zwangsbedingungen behandelt. Der Formalismus lässt sich aber auch auf Zwangsbedingungen der Form anwenden, die z. B. bei nicht-holonomen Zwangsbedingungen zwischen den Geschwindigkeiten der Teilchen folgen. Diese Zwangsbedingungsgleichungen lassen sich im Gegensatz zu holonomen Zwangsbedingungen nicht als vollständiges Differential einer Funktion darstellen, das heißt, zwischen den Koeffizientenfunktionen gilt nicht . Im Fall von holonomen Zwangsbedingungen kann man neue Koordinaten einführen, die diese implizit enthalten, sogenannte generalisierte Koordinaten. Mit der kinetischen Energie und Potentialkräften (die auch durch generalisierte Koordinaten ausgedrückt sind und dann als generalisierte Kräfte bezeichnet werden – sie haben nicht unbedingt die Dimension einer Kraft) lassen sich die Bewegungsgleichungen auch schreiben oder mit der Lagrange-Funktion (Lagrange-Gleichung 2. Art): Treten wie in diesem Fall nur aus einem Potential ableitbare Kräfte (Potentialkräfte) auf, spricht man von konservativen Kräften. Bemerkung: Manchmal lassen sich die generalisierten Kräfte durch ein geschwindigkeitsabhängiges generalisiertes Potential in folgender Form schreiben Auch dann ergeben sich die Bewegungsgleichungen , mit der Lagrange-Funktion : Das System ist dann aber nicht mehr im üblichen Sinn konservativ. Ein Beispiel ist das elektromagnetische Feld (siehe unten). Manchmal hat man aber noch nicht-konservative Kräfte , so dass sich die Gleichungen schreiben: Ein Beispiel sind Systeme mit nicht-holonomen Zwangsbedingungen (siehe oben) oder Reibungskräften (zum Beispiel Rayleighsche Dissipationsfunktion). Ableitung aus dem Hamiltonschen Prinzip Die Lagrange-Gleichungen zweiter Art ergeben sich als sogenannte Euler-Lagrange-Gleichungen eines Variationsproblems und liefern die Bewegungsgleichungen, wenn die Lagrange-Funktion gegeben ist. Sie folgen aus der Variation des mit der Lagrange-Funktion gebildeten Wirkungsintegrals im Hamiltonschen Prinzip. Dazu betrachtet man alle möglichen Bahnkurven im Raum der generalisierten Koordinaten zwischen festen Anfangs- und Endpunkten. Man betrachtet die Änderung des Wirkungsintegrals bei Variation der Bahnkurven Das hamiltonsche Prinzip besagt, dass für die klassische Bahn das Wirkungsintegral stationär unter Variation der Bahnkurven ist: Eine Näherung in erster Ordnung lautet für eine gewöhnliche Funktion also . In erster Ordnung ergibt sich die Variation des Integrals also zu . Nun führt man eine partielle Integration in dem Term aus, der die Ableitung nach der Zeit enthält: . Hierbei wird benutzt, dass ist, da Anfangs- und Endpunkt festgehalten werden. Daher gilt für die Randterme Damit resultiert schließlich Da nun als Faktor des gesamten Integrals auftritt und beliebig ist, kann das Integral nur dann nach dem Variationsprinzip verschwinden, wenn der Integrand selbst verschwindet. Es folgen die Lagrange-Gleichungen oder Lagrange-Gleichungen zweiter Art (die Euler-Lagrange-Gleichungen des hier betrachteten Variationsproblems): Für jede generalisierte Koordinate (und die zugehörige generalisierte Geschwindigkeit ) gibt es eine solche Gleichung. Die Lagrange-Gleichungen bilden ein System gewöhnlicher Differentialgleichungen zweiter Ordnung bezüglich der Zeitableitung. Wie viele Differentialgleichungen das im Endeffekt sind, weiß man erst, wenn die Zahl der Freiheitsgrade des Systems berechnet wurde. Zyklische Variablen und Symmetrie Wenn die Lagrange-Funktion nicht von einer Koordinate abhängt, sondern nur von der zugehörigen Geschwindigkeit , dann nennt man zyklisch, zyklische Koordinate oder zyklische Variable. Der zur zyklischen Variablen konjugierte Impuls ist eine Erhaltungsgröße; sein Wert ändert sich nicht während der Bewegung, wie gleich gezeigt wird: Wenn die Lagrange-Funktion nicht von abhängt, gilt Dann folgt aber aus der Euler-Lagrange-Gleichung, dass die Zeitableitung des zugehörigen konjugierten Impulses verschwindet und er somit zeitlich konstant ist: Allgemeiner gehört nach dem Noether-Theorem zu jeder kontinuierlichen Symmetrie der Wirkung eine Erhaltungsgröße. Bei einer zyklischen Variablen ist die Wirkung invariant unter der Verschiebung von um eine beliebige Konstante, Erweiterung auf Felder In der Feldtheorie ergibt sich die Bewegungsgleichung aus dem hamiltonschen Prinzip für Felder zu wobei das betrachtete Feld und die Lagrange-Dichte sind. Man kann dies in Kurzform auch schreiben als mit der so definierten Variationsableitung   . Hinweis: Der Lagrange-Formalismus ist auch der Ausgangspunkt vieler Formulierungen der Quantenfeldtheorie. Relativistische Mechanik In der relativistischen Mechanik kann die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens aus dem hamiltonschen Prinzip abgeleitet werden, indem für die Wirkung der einfachste Fall eines relativistischen Skalars angenommen wird: , wobei das zur Eigenzeit proportionale relativistische Linienelement ist und ein konstanter Faktor gewählt wurde. Die Lagrange-Funktion eines freien Teilchens ist hier nicht mehr mit der kinetischen Energie identisch (manchmal spricht man deshalb auch von kinetischer Ergänzungsenergie T in der Lagrange-Funktion). Die relativistische kinetische Energie eines Körpers mit der Masse und Geschwindigkeit ohne Zwangsbedingungen beträgt , wohingegen für die Lagrange-Funktion die kinetische Ergänzungsenergie maßgeblich ist. Die Lagrange-Funktion für ein Teilchen in einem Potential V ergibt sich dann zu . Für ein -Teilchensystem ist die Lagrange-Funktion mit den generalisierten Koordinaten , wobei die Anzahl der Freiheitsgrade und die Anzahl der holonomen Zwangsbedingungen ist. Für kleine Geschwindigkeiten kann man die Wurzel bis zur ersten Ordnung entwickeln : Die nullte Ordnung der Entwicklung ist eine Konstante, die negative Ruheenergie. Da die Lagrange-Gleichungen invariant sind unter Addition einer Konstanten zur Lagrange-Funktion, kann man den konstanten ersten Term weglassen und man erhält wieder die klassische kinetische Energie: Zusammenhang mit Pfadintegralen in der Quantenmechanik Richard Feynman hat als Erster diese Herangehensweise auch konsequent für die Herleitung der Gleichungen der Quantenmechanik verwendet. In der klassischen Physik ergeben sich die oben beschriebenen Lagrange-Gleichungen aus der Forderung, dass das Wirkungsintegral stationär wird. In Feynmans Pfadintegral-Formalismus ist die quantenmechanische Wahrscheinlichkeitsamplitude, dass ein System zwischen Anfangs- und Endbedingungen einen bestimmten Pfad einschlägt, proportional zu mit dem Wirkungsintegral . Pfade in der Umgebung des klassischen Weges, für den die Variation von verschwindet, liefern dabei meist die Hauptbeiträge, da sich in ihrer Umgebung die Beiträge mit fast gleichen Phasenfaktoren addieren. Beispiele Masse im harmonischen Potential (konservativ) Eine Masse sei über zwei Federn mit Federkonstante und festen Randbedingungen verbunden. Grundvoraussetzung zur Beschreibung des Problems im Lagrange-Formalismus ist das Aufstellen der Lagrange-Funktion, indem man die Terme für kinetische Energie und potentielle Energie aufstellt: Die Lagrange-Funktion lautet daher: Die Lagrange-Funktion wiederum wird zur analytischen Beschreibung des physikalischen Problems in die Euler-Lagrange-Gleichung eingesetzt, was dann auf Gleichungen führt, die den Bewegungsgleichungen in der Newtonschen Mechanik entsprechen. In diesem Beispiel lautet die generalisierte Koordinate , die Euler-Lagrange-Gleichung . Dies führt mit obigen Formeln für auf und damit auf die Bewegungsgleichung des Systems: . Die allgemeine Lösung dieser Differentialgleichung ist , ist die Zeit, die Kreisfrequenz. Die konstante Amplitude und Phase können aus den Anfangsbedingungen bestimmt werden. Ladung im elektromagnetischen Feld (nicht-konservativ) Eine Punktladung mit Masse bewege sich im elektromagnetischen Feld. Die generalisierten Koordinaten entsprechen den kartesischen Koordinaten in 3 Raumdimensionen. Die Felder (Magnetfeld und elektrisches Feld ) werden über das Skalarpotential und das Vektorpotential bestimmt: Die kinetische Energie des Teilchens ist klassisch: Das „Potential“ ist hier allerdings geschwindigkeitsabhängig, man spricht deshalb wie oben dargestellt von einem generalisierten Potential: Somit ist die Lagrange-Funktion eines geladenen Teilchens im elektromagnetischen Feld: Die Euler-Lagrange-Gleichung führt auf die Bewegungsgleichung, auf deren rechter Seite die Lorentzkraft steht: Masse an Trommel (nicht-konservativ) Die Achse einer Aufzugtrommel wird durch ein Drehmoment angetrieben. Die Masse der Last beträgt , das Massenträgheitsmoment der Trommel ist . Der Radius der Trommel ist . Zwischen den Koordinaten und besteht folgende Beziehung: . Die Größen und sind also nicht unabhängig voneinander. Man wähle als generalisierte Koordinate. Die kinetische Energie ist: Die virtuelle Arbeit der eingeprägten Kräfte ist Nach dem Prinzip der virtuellen Arbeit gilt . Eingesetzt in die Lagrangegleichung für diesen Fall folgt schließlich die Bewegungsgleichung Die Auflösung dieser Gleichung nach der Winkelbeschleunigung ergibt Weitere Bemerkungen: Dieses Beispiel des Aufzugs ist ein nicht-konservatives Kräftesystem, da die verallgemeinerte Kraft über das Drehmoment der Trommel explizit von der Zeit abhängt. Atwoodsche Fallmaschine (Methode erster Art) Bei der Atwoodschen Fallmaschine betrachtet man zwei Punktmassen im Gravitationsfeld der Erde, die über eine Rolle in der Höhe h aufgehängt und durch ein Seil der Länge l verbunden seien. Die Zwangsbedingung lautet in diesem Fall: Wird das Seil berücksichtigt, das auf der Rolle (Rollenradius r) liegt, dann ergibt sich: Die potentielle Energie V berechnet sich zu: Für die Gradienten erhält man Dies führt auf das System der Lagrange-Gleichungen 1. Art: Dies kann man auflösen und erhält z. B. für bekannte Anfangsbedingungen: Mit einem Seil verbundene Teilchen auf einer Platte mit Loch (Zweikörperproblem mit Methode 2. Art) Die 1. Masse () ist auf einer dünnen Platte durch ein Loch in der Mitte der Platte durch ein Seil mit konstanter Länge () mit einer 2. Masse () verbunden, die sich nur in z-Richtung bewegt (die z-Achse zeige in Richtung Erdmittelpunkt). Die Zwangsbedingungen lauten: Aus 4 Zwangsbedingungen bei 2 Massen im ergeben sich Freiheitsgrade. Für dieses Problem empfiehlt es sich aufgrund der Azimutalsymmetrie Zylinderkoordinaten zu verwenden. So können die generalisierten Koordinaten einfach bestimmt werden. In Zylinderkoordinaten können die beiden generalisierten Koordinaten nun als gewählt werden, wobei mittels der 4. Zwangsbedingung auch die Bewegung der durch beschrieben wird; Die kinetische Energie des Systems lautet nun . Da und sich damit nur die potentielle Energie bei der 2. Masse verändert, lautet sie . Daraus folgt dann die Lagrangefunktion Da bei dieser Problemstellung zwei generalisierte Koordinaten vorliegen, folgt jeweils eine Bewegungsgleichung für und : Aus der Gleichung für zeigt sich in der Form die Existenz einer Erhaltungsgröße, des Drehimpulses in -Richtung , der nach dem Noether-Theorem aus der Unabhängigkeit der Lagrangefunktion von der Variablen folgt. Teilchen im freien Fall (allgemeine Relativitätstheorie) In der allgemeinen Relativitätstheorie durchlaufen frei fallende Teilchen Weltlinien längster Zeit: Zwischen zwei (genügend nah beieinander liegenden) Ereignissen und vergeht auf einer mitgeführten Uhr auf der Weltlinie frei fallender Teilchen mehr Zeit als auf allen anderen Weltlinien durch diese Ereignisse. Sei ein entlang des Pfades monoton wachsender Laufparameter, so ergibt sich die verstrichene Zeit zu mit der Lagrange-Funktion Dabei sind die Komponentenfunktionen der Metrik (sowohl Raum- als auch Zeitkomponenten). Wir rechnen einfachheitshalber in Maßsystemen, in denen die Lichtgeschwindigkeit dimensionslos ist und den Wert hat, und verwenden die Einsteinsche Summenkonvention. Der zu konjugierte Impuls ist und die Euler-Lagrange-Gleichungen lauten Verwenden wir hier als Abkürzung das Christoffel-Symbol so erweist sich die Weltlinie längster Dauer als Gerade: Die Richtung der Tangente an die Weltlinie ändert sich nicht bei Parallelverschiebung längs der Weltlinie Die Parametrisierung wird nicht festgelegt. Verfügen wir so über sie, dass der Tangentialvektor überall gleich lang ist, dann ist konstant und der Tangentialvektor geht beim Durchlaufen der Weltlinie in sich über. Sie erfüllt die Geodätengleichung Dies ist die allgemein-relativistische Form der Bewegungsgleichung eines frei fallenden Teilchens. Die Gravitation ist in den voll berücksichtigt. Ursprüngliche Darstellung Die ‚Lagrangeschen Gleichungen erster Art‘, wie man sie heute nennt, werden von Joseph-Louis Lagrange in seinem Hauptwerk zur Mechanik, der Mécanique Analytique, erstmals 1788 erschienen, im ersten Teil (Die Statik) aus dem Prinzip der virtuellen Arbeit entwickelt. Man findet die Herleitung im 4. Kapitel (Einfachere und allgemeinere Art, die im zweiten Abschnitt angegebene Gleichgewichtsformel zu gebrauchen), Paragraph 1 (Methode der Multiplikatoren). Für Lagrange selbst war es eine rein algebraische Methode der Multiplikatoren, um von den vorgegebenen Zwangsbedingungen auf die unbekannte Zwangskraft-Funktionen schließen zu können, in denen alle nicht-generalisierten Variablen eliminiert sind. Das heißt, ursprünglich geht Lagrange (für i Zwangskräfte) von der differentiellen Form aus. Die Lagrangeschen Gleichungen erster Art werden dann als eine verallgemeinerte Ergänzung auf nicht-holonome Systeme der Dynamik verstanden, in denen auch beschleunigende Trägheitskräfte zugelassen werden, die das statische Gleichgewicht stören. Die ‚Lagrangeschen Gleichungen zweiter Art‘ werden erst im zweiten Teil des Hauptwerks Lagranges (Die Dynamik) aus dem d'Alembertschen Prinzip entwickelt. Man findet die allgemeine Herleitung im 4. Kapitel (Differentialgleichung zur Lösung aller Probleme der Dynamik). Dort wird insbesondere ab Abschnitt 10 sowohl der Fall von holonomen Zwangsbedingungen diskutiert (die Integrabilität der Differentialgleichungen, Zeitunabhängigkeit der Funktionen und Existenz eines Potenzials V) als auch der nicht-holonome Fall mittels zusätzlicher Multiplikatoren dargestellt. Neben den Lagrange-Gleichungen erster Art ergeben sich dann auch die der zweiten Art in folgender Form: Literatur Der Lagrange-Formalismus wird in vielen ein- und weiterführenden Lehrbüchern der klassischen Mechanik behandelt. (Volltext hier erhältlich) Literatur zu Pfadintegralen. Historische Quelle. Joseph-Louis Lagrange: Mécanique Analytique. Zweite Auflage (Nouvelle Édition), Paris 1815. (Zugriffsdatum: 18. Januar 2023) Weblinks Artikel Von d´Alembert zu Lagrange II auf matheplanet.com Anwendungen des Lagrange-Formalismus an Beispielen der Oberstufenphysik Einzelnachweise Theoretische Mechanik Feldtheorie Joseph-Louis Lagrange als Namensgeber Variationsrechnung
Q324669
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https://de.wikipedia.org/wiki/U
U
U bzw. u (gesprochen: []) ist der 21. Buchstabe des modernen lateinischen Alphabets und ein Vokal (auch wenn er unter bestimmten Bedingungen konsonantisch ausgesprochen werden kann). Der Buchstabe U hat in deutschen Texten eine durchschnittliche Häufigkeit von 4,35 %. Er ist damit der zehnthäufigste Buchstabe in deutschen Texten. Das Fingeralphabet für Gehörlose bzw. Schwerhörige stellt den Buchstaben U dar, indem die geschlossene Hand vom Körper weg zeigt und Zeige- und Mittelfinger parallel nach oben weisen. Der Daumen ruht auf der Handfläche. Herkunft Das U teilt sich einen Großteil seiner Geschichte mit dem V und dem W, daneben sind das Y und auch das F mit ihm verwandt. Über Lautwert und Bedeutung des Buchstabens in der protosinaitischen Schrift ist nichts bekannt, das entsprechende Symbol stellt einen Haken oder eine Keule mit runder Spitze dar. Im phönizischen Alphabet verlor der Buchstabe seine Spitze und sah aus wie ein abgerundetes Y. Der Buchstabe erhielt den Namen Waw und wurde verwendet, um den Lautwert [w] darzustellen. In das griechische Alphabet wurde der Buchstabe als Ypsilon aufgenommen. Im Frühgriechischen war der Lautwert des Ypsilon der dem [w] entsprechende Vokal [u]. Die Etrusker übernahmen das frühgriechische Ypsilon und dessen Lautwert. Mit der Zeit verschwand bei den Etruskern die untere Spitze, der Buchstabe bekam die Form V. Ebenso änderte sich die Bedeutung des Buchstabens: Das Etruskische enthielt auch den dem [u] entsprechenden Halbvokal [w] (im Grunde nichts anderes als ein unsilbisches [u]). Die Römer übernahmen den Buchstaben ursprünglich mit beiden Lautwerten. Zunächst wurde der Buchstabe in der von den Etruskern übernommenen spitzen Form geschrieben. Zur Amtszeit des späteren Kaisers Claudius als Zensor ab dem Jahr 47/48 begann eine Unterscheidung zwischen U und V, wobei letzterem von ihm das Zeichen Ⅎ gegeben wurde. Die Reform konnte sich allerdings nicht durchsetzen. U und V waren allerdings austauschbar. Bis zum 18. Jahrhundert setzte es sich dann durch, die runde Variante des Buchstabens ausschließlich für den Lautwert [u] zu verwenden. Schreibweise Die auch heute noch in Deutschland anzutreffende Schreibweise des kleinen u mit einem Überstrich oder Haken über dem Buchstaben entstammt der alten deutschen Kurrentschrift. Zur Unterscheidung zum ansonsten identischen Kleinbuchstaben n wurde das u mit einem Strich versehen. Als sich Mitte des 19. Jahrhunderts auch in Deutschland die lateinische Schreibschrift mit ihrem andersartig geformten Kleinbuchstaben n immer mehr durchsetzte, behielten viele Schreiber dennoch die Eigenart des u mit Strich auch in der lateinischen Schrift bei. Zitat Weblinks http://www.wam.umd.edu/~rfradkin/sin2phoen-animate.html http://www.ancientscripts.com/greek.html Lateinischer Buchstabe
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https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%BClhausen
Mülhausen
Mülhausen (französisch [], elsässisch Mìlhüsa) ist eine Stadt im Elsass (Europäische Gebietskörperschaft Elsass) in der Region Grand Est im Osten Frankreichs. Sie ist Sitz der Unterpräfektur (Sous-préfecture) des Arrondissements Mulhouse im Département Haut-Rhin. Die Stadt ist Teil der Trinationalen Metropolregion Oberrhein. Mit Einwohnern () und 278.206 Einwohnern im Großraum ist Mülhausen die größte Stadt des Départements. Seit dem 17. Februar 2014 ist die Stadt Mülhausen zweisprachig im Sinne der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen mit Französisch als Amtssprache sowie Deutsch als Regionalsprache in Form von Elsässisch und Hochdeutsch. Mülhausen wurde erstmals im Jahr 803 urkundlich erwähnt. Als Reichsstadt im Heiligen Römischen Reich und zugewandter Ort der Alten Eidgenossenschaft konnte es seine Selbständigkeit bis 1798 wahren. 1529 führte es die Reformation ein. 1746 begann mit der Einführung des Textildrucks die industrielle Entwicklung, dank der sich Mülhausen im Laufe des 19. Jahrhunderts zur Industriestadt entwickelte. Geographische Lage Die Stadt am Dreiländereck Frankreich–Deutschland–Schweiz liegt am Rhein-Rhône-Kanal auf einer Höhe von 240 m über dem Meeresspiegel, etwa 30 km nordwestlich von Basel, 50 km südwestlich von Freiburg im Breisgau, 100 km südlich von Straßburg und 100 km nordwestlich von Zürich. Sie wird von zwei Wasserläufen, der Doller und dem Rheinzufluss Ill, durchquert. Nordwestlich der Stadt am Fuße der Vogesen liegt Thann, das südliche Tor zur Elsässer Weinstraße (Route du vin). Auch ist Mülhausen das Tor zum Sundgau im äußersten Süden des Elsass. Geschichte Historischer Überblick Die Stadt wurde im Jahr 803 erstmals als Mulinhuson (Häuser der Mühle) urkundlich erwähnt, die latinisierte Form des Namens lautete Mulhusium. Errichtet wurde sie auf einem oft durch Hochwasser heimgesuchten Gelände. Der Bau einer Mühle gab dem Ort seinen Namen. Bereits im frühesten Siegel (um 1266) führt Mülhausen das Bild eines Mühlrads im Siegel, später (im 16. Jahrhundert) auch im Stadtwappen. Seit 1354 war die Stadt Mitglied im elsässischen Zehnstädtebund (Dekapole), aus dem sie 1515 austrat, zugunsten eines Bündnisses mit der Eidgenossenschaft, zu der sie bis 1798 ein zugewandter Ort blieb. Dadurch blieb die seit 1275 reichsfreie Stadt und Republik weitgehend unabhängig und war nicht betroffen von der Annexion des Elsass durch das Königreich Frankreich im 17. Jahrhundert. Zusammen mit den Orten der Eidgenossenschaft erhielt die Stadt 1512 auch eines der wertvollen «Juliusbanner» von Papst Julius II. als Dank für die Teilnahme am «Grossen Pavier-Feldzug» (1508–1510) gegen die Franzosen. Die Stadt führte 1529 die Reformation nach zwinglianischem Vorbild offiziell ein. Durch seine enge Verbindung zur Schweiz blieb Mülhausen evangelisch-reformiert, als einzige Stadt im zunehmend lutherisch geprägten Elsass. In der Mitte des 18. Jahrhunderts gewannen chemische und mechanische Industrien an Bedeutung. Im Jahr 1746 begann mit der Gründung einer Textildruck-Manufaktur die industrielle Entwicklung der Stadt. Die Stadt unterhielt bevorzugte Beziehungen mit Louisiana, von wo sie Baumwolle importierte. Nach einer Zollblockade durch den dominanten Nachbarn und revolutionären Unruhen unterwarf sich Mülhausen mit Illzach, Modenheim und seinem Gebiet am 28. Januar 1798 der französischen Republik, was mit der Vereinigungsurkunde vom 29. Januar 1798 besiegelt wurde. Auf dem Wiener Kongress 1814/1815 war eine Wiederangliederung von Mülhausen an die Schweiz kein Thema mehr; die Stadt blieb wie das umgebende Elsass Teil Frankreichs. In den Jahren nach 1820 expandierte die Textilindustrie weiter und Mülhausen entwickelte sich zu einer erfolgreichen Industriestadt, in der sich später auch andere Industriezweige ansiedelten und die zahlreiche Arbeitskräfte aus der Umgebung anzog. Durch den Frankfurter Frieden vom 10. Mai 1871 kam das Gebiet von Frankreich an Deutschland, und die Stadt wurde dem Bezirk Oberelsass im Reichsland Elsaß-Lothringen zugeordnet. Am 1. Dezember 1910 zählte man in der Stadt 95.041 Einwohner. Mit der Eingemeindung der Landgemeinde Dornach (10.447 Einwohner im Jahr 1910) am 1. Juni 1914 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt die Grenze von 100.000, was sie zur Großstadt machte. Die Industriestadt Mülhausen war eine Hochburg der SPD Elsaß-Lothringens. Bei den ersten und einzigen Wahlen zum Landtag des Reichslandes Elsaß-Lothringen 1911 gewannen die Sozialdemokraten Leopold Emmel und Joseph Schilling zwei der drei Mülhausener Wahlkreise (der dritte fiel an den Liberalen Eduard Drumm). Zu Beginn des Ersten Weltkriegs konnten französische Truppen in einer der „Grenzschlachten“ Mülhausen im August 1914 zweimal kurzzeitig einnehmen. Nach dem Krieg kam Mülhausen 1919 erneut zu Frankreich. Die französische Sprache wurde als Amts- und Schulsprache verpflichtend eingeführt. Nach dem Westfeldzug zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war Mülhausen bis zur Einnahme durch die 1. französische Armee am 22. November 1944 wieder dem Deutschen Reich angegliedert. Nach einem wirtschaftlichen Aufschwung in den drei Nachkriegsjahrzehnten (franz. trente glorieuses) hatte Mülhausen mit dem Niedergang der hier ansässigen Wirtschaftszweige, v. a. Textilindustrie und Maschinenbau sowie mit den Herausforderungen des Strukturwandels zu kämpfen. Die Gemeinde Burzweiler (Bourtzwiller) wurde im Jahr 1947 nach Mülhausen eingemeindet. Demographie Einwohnerzahlen nach dem jeweils gültigen Gebietsstand Bürgermeister Der Saal des Rates des Rathauses enthält auf seiner Hauptmauer eine Auflistung aller Bürgermeister seit 1349. In neuerer Zeit waren Bürgermeister: Verwaltung Die Stadt hat im Jahr 1997 einen Gemeindeverband vorgestellt, woraus 2001 der Gemeindeverband CAMSA (Communauté d’agglomération Mulhouse Sud-Alsace) mit fünf Mitgliedern entstand: Didenheim, Lutterbach, Morschwiller-le-Bas, Mülhausen und Zillisheim. Am 1. Januar 2004 wurden elf weitere Kommunen integriert. Der wirkliche Ballungsraum ist aber noch ausgedehnter. Am 16. Dezember 2009 fusionierten die Gemeindeverbände Communauté d’agglomération Mulhouse Sud-Alsace, Communauté de communes de l’Île Napoléon und Communauté de communes des Collines zur neuen, 32 Gemeinden umfassenden Mulhouse Alsace Agglomération. Am 15. Juni 2016 fusionierte der Gemeindeverband mit der Communauté de communes Porte de France Rhin Sud und umfasst seitdem 39 Gemeinden. Wahlkreise Mülhausen wird seit der Wahlkreisreform 2015 in drei Wahlkreise (Kantone) geteilt (Einwohnerzahl Stand: 1. Januar 2016): Kanton Mulhouse-1 (39.793 Einwohner) Kanton Mulhouse-2 (41.593 Einwohner) Kanton Mulhouse-3 (42.158 Einwohner) Zum Kanton Mulhouse-3 gehört außer einem Teil des Stadtgebiets auch die Gemeinde Illzach. Stadtteile und Sehenswürdigkeiten Mülhausen besteht aus einer Unter- und einer Oberstadt. Im Verhältnis zur Größe der Stadt ist das historische Zentrum sehr klein, da die Stadtentwicklung erst sehr spät einsetzte. Die Unterstadt war früher das Viertel der Händler und der Handwerker. Sie entwickelte sich um die Place de la Réunion (Platz der Wiedervereinigung). Nur noch sehr wenige Häuser aus dem Mittelalter und Reste der ehemaligen Stadtmauer sind in Mülhausen zu finden. Heute ist die Unterstadt um den Platz der Wiedervereinigung und die protestantische Stephanskirche Fußgängerzone. Die Oberstadt entstand im 13. Jahrhundert. Verschiedene Orden siedelten sich dort an, insbesondere die Franziskaner, Augustiner, Klarissen und die Johanniter. Das „Neue Viertel“ ist das früheste Beispiel einer geplanten Urbanisierung, die in Mülhausen ab 1826 nach der Zerstörung der Stadtmauern erfolgte (wie in zahlreichen französischen Städten). Es konzentriert sich um die Place de la République („Platz der Republik“). Sein Netzwerk an Straßen mit dreieckigen Wohnflächen ist ein Beispiel für Stadtplanung der Architekten G. Stolz und Félix Fries. Dieses Viertel wurde von den reichen Familien der industriellen Arbeitgeber bewohnt, die meistens liberaler und republikanischer Gesinnung waren. Das Viertel Rebberg zeichnet sich durch Villen aus, die den Residenzen der Baumwollzüchter in Louisiana mit ihren charakteristischen Säulen ähneln und von diesen inspiriert wurden. Man findet dort aber auch Häuser englischer Inspiration: die Reihenhäuschen, gebaut als Resultat der großen Verbundenheit mit Manchester, wohin die Unternehmerfamilien ihre Söhne zum Studium schickten. Der Rebberg war früher der Weinberg der Stadt. In Mülhausen entstand ab 1853 die erste Arbeitersiedlung Frankreichs (Quartier de la Cité). Sie war das Ergebnis eines raschen Bevölkerungsanstiegs in den Jahren 1800 bis 1850 von etwa 5.000 auf 30.000 Bewohner. Es entstanden insgesamt 1240 Gebäude für ungefähr 10.000 Bewohner. Das Rathaus wurde 1553 im rheinischen Renaissance-Stil gebaut. Montaigne bezeichnet es 1580 als „großartigen Palast, der ganz vergoldet wäre“. Im Inneren finden sich naturgetreue Gemälde, die in Allegorien die Laster und Tugenden darstellen. Die Fresken im Rathaussaal zeigen die Wappen der Schweizer Kantone, mit denen die Stadt verbunden war. Die evangelische Stephanskirche (Temple Saint-Étienne) wurde von 1858 bis 1868 an Stelle einer Kirche aus dem 12. Jahrhundert im neogotischen Stil errichtet. Dort findet man noch die Kirchenfenster, die sich in jener älteren Kirche befanden. Vom selben Architekten, Jean-Baptiste Schacre, stammt ebenfalls die weitläufige katholische Stephanskirche (Église Saint-Étienne), eines der ersten (1855 bis 1860) und größten Beispiele neugotischer Architektur im Elsass. Das Mieg-Haus geht auf das Jahr 1418 zurück. Im Jahr 1560 bekam es sein heutiges Aussehen. Von 1679 bis 1840 war das Haus im Besitz der Familie Mieg. Der 112 Meter hohe Europaturm auf dem Europaplatz, 1972 erbaut, ist ein weithin sichtbares, das Stadtbild prägendes Hochhaus. Die drei Seiten des vom aus Mülhausen stammenden Architekten François Spoerry geplanten Bauwerks sollen die drei in der Region aneinandergrenzenden Länder Frankreich, Deutschland und Schweiz versinnbildlichen. Die von Ludwig Becker 1901–1906 errichtete und von dem Bildhauer Théophile Klem und dem Maler Martin von Feuerstein ausgestattete Kirche St. Fridolin (Église Saint-Fridolin) stellt das größte Beispiel neobarocker Architektur im Elsass dar. Die Kirche wurde anlässlich ihres hundertjährigen Bestehens im Jahr 2006 restauriert. Zwischen dem Hauptbahnhof und der Innenstadt befindet sich das zwischen 1950 und 1963 von Pierre Jean Guth erbaute kreisrunde Wohn- und Geschäftshaus „Bâtiment Annulaire“. Auf dem Belvédère in der Nähe der Stadt steht der Aussichtsturm „Tour du Belvédère“ und der für die Öffentlichkeit nicht zugängliche Sendeturm Mulhouse-Belvédère. Wirtschaft Mülhausen gilt als Wegbereiter der industriellen Revolution in Frankreich. Zunächst entwickelte sich die Textilindustrie, später kamen die Bereiche Chemie und Mechanik hinzu. Nennenswerte Unternehmen in der Stadt und im direkten Umkreis sind u. a.: Stellantis Automobilfabrik in Sausheim, mit über 6000 Mitarbeitern größter Arbeitgeber im Elsass Clemessy, Hersteller von Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik, Teil von Eiffage Énergie Systèmes, über 1000 Mitarbeiter DMC, Garnherstellung, über 200 Mitarbeiter MHI Équipement Alsace (MEA), Hersteller von Dieselmotoren und -generatoren, bis 2004 Wärtsilä, ursprünglich Société alsacienne de constructions mécaniques (SACM, Lokomotivbau), ca. 130 Mitarbeiter Medien In Mülhausen erscheint die französisch- und deutschsprachige Tageszeitung L’Alsace („Das Elsass“). Der deutschsprachige Teil besteht aus einer mehrseitigen Beilage. Außerdem gibt es in Mülhausen und Umgebung noch mehrere zweisprachige Mitteilungsblätter und Radioprogramme. Von den Radioprogrammen sei besonders France Bleu Elsass erwähnt, das morgens ab 7 Uhr die Frühsendung aus Mülhausen ausstrahlt. Andere Programmteile kommen aus Straßburg. Dieses Programm in elsässischer Mundart kann über Mittelwelle 1278 kHz sowie über das Internet gehört werden. Radio Dreyeckland Mülhausen sendet kurze Moderationsstrecken auf elsässisch nachmittags auf UKW 104,6 MHz und im Internet. Kultur und Freizeit Theater Mit dem Kulturzentrum La Filature, 1990–1993 auf dem Gelände einer ehemaligen Baumwollspinnerei errichtet (daher der Name), besitzt Mülhausen eine staatliche Bühne für Musik, Tanz und Theater. Dort sind die Mülhauser Philharmoniker, das Ballett und die Rheinoper sowie die Mediathek der Stadt Mülhausen und ein Multimedia-Zentrum untergebracht. Musik Im August findet das Festival für improvisierte Musik, Jazz und experimentelle Musik Météo statt (früher Jazz à Mulhouse). Museen Cité de l’Automobile Im Nationalmuseum Cité de l’Automobile („Stadt des Automobils“) sind etwa 500 außergewöhnliche Automobile ausgestellt, die überwiegend von den exzentrischen Textil-Industriellen Hans und Fritz Schlumpf gesammelt worden waren und nach deren Konkurs 1977 der Öffentlichkeit mit Hilfe des französischen Staates zugänglich gemacht wurden. Cité du Train Die Cité du Train, das Eisenbahnmuseum Mülhausen, beherbergt nach eigenen Angaben die größte Sammlung dieser Art auf dem europäischen Kontinent. Daran angeschlossen ist ein großes Feuerwehrmuseum. Elektrizitätsmuseum Das Museum EDF Electropolis ist allein dem Thema Elektrizität gewidmet. Die Sammlung enthält Versuchsmodelle aus der Frühzeit der Forschungen zur Elektrizität ebenso wie historische elektrische Geräte und große Generatoren. Stoffdruckmuseum Das Stoffdruckmuseum bietet Einblicke in die Industrie- und Sozialgeschichte der Stadt als ehemaliges Zentrum der Textilindustrie. Es zeigt Maschinen und Verfahren, alte Druckstöcke, Muster, Stoffe aus der Region und aus der ganzen Welt. Darüber hinaus befinden sich in der Umgebung von Mülhausen noch das Textilmuseum (Wesserling) und das Tapetenmuseum (Rixheim). Weitere Museen Im alten Rathaus befindet sich das Historische Museum und in der „Villa Steinbach“ das Musée des Beaux Arts. Zoologischer und Botanischer Garten Ein beliebtes Ziel für Bewohner und Gäste der Stadt ist der Zoologische und Botanische Garten, der 1.200 Tiere in 190 Arten zeigt und zudem viele heimische und exotische Pflanzen in einer Parkanlage und in mehreren Themengärten präsentiert. Sport Der bekannteste Sportverein der Stadt ist der Fußballclub FC Mulhouse. Der Eishockeyverein HC Mulhouse wurde 2005 Französischer Meister. Dessen Nachfolgeverein Scorpions de Mulhouse 1997 spielt seit 2012 in der höchsten französischen Spielklasse. In den Jahren 1963 und 2013 war Mülhausen der Austragungsort der II. und XV. Feuerwehrolympiade, die alle vier Jahre vom Weltfeuerwehrverband CTIF jeweils in anderen Städten veranstaltet wird. Forschung und Bildung Die Universität von Mülhausen (Université de Haute-Alsace „Universität des Oberelsass“) ist Teil der „Europäischen Konföderation der Universitäten am Oberrhein“ (EUCOR) mit den Universitäten Straßburg, Basel, Freiburg und Karlsruhe. Unter dem Dach der Universität befinden sich die Hochschulen für Chemie (ENSCMU), allgemeine Ingenieurausbildung (ENSISA), Textilindustrie (ENSITM) sowie angewandte Wissenschaften (ESSAIM), in denen Ingenieure ausgebildet werden. Die Hochschule für Kunst und Design in Mülhausen, Le Quai genannt nach ihrer Adresse am quai des Pêcheurs, wurde 1828 als École de dessin pour le progrès de l’industrie mécanique et textile gegründet. Sie fusionierte 2011 mit zwei Hochschulen in Straßburg zur Haute école des arts du Rhin an beiden Standorten. Ein Drittel (33,3 %) der Bewohner Mülhausens über 15 Jahre verfügt über keinen Bildungsabschluss (Stand 2019). Verkehr Städtischer Verkehr Fahrradverkehr Nach dem Vorbild benachbarter Städte in Deutschland und der Schweiz gewinnt das Fahrrad als innerstädtisches Verkehrsmittel zunehmend Bedeutung. So gibt es ein Fahrradwegenetz von 86 Kilometern Länge. Im Stadtgebiet sind bereits 1700 Abstellbügel aufgestellt. Außerhalb der Hauptverkehrszeiten ist auch die Mitnahme von Fahrrädern in der Straßenbahn möglich. Auch in Mülhausen gibt es ein Mietradsystem: Unter dem Namen Vélocité stehen an 35 Stationen 225 Räder bereit, die an Selbstbedienungsterminals gemietet werden können. Öffentlicher Nahverkehr Seit dem 13. Mai 2006 verfügt Mülhausen – nach 49 Jahren Unterbrechung – wieder über ein modernes Straßenbahnsystem mit drei Linien, das den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) mit außerdem zwanzig Buslinien deutlich aufgewertet und attraktiver gemacht hat. Der Tram-Train Mulhouse–Vallée de la Thur verbindet, seit 2010, die Innenstadt mit den Gemeinden Lutterbach, Wittelsheim, Cernay, Vieux-Thann und Thann. Von 1907 bis 1918 verkehrte in der Stadt außerdem die Stadtbahn Mülhausen auf den Rebberg, ein früher Oberleitungsbus-Betrieb. Ein moderner O-Bus-Betrieb bestand zwischen 1946 und 1968, dieser ersetzte seinerzeit die Straßenbahn. Schienenverkehr Mülhausen verfügt über den Bahnhof Mulhouse-Ville, der deutsch vereinzelt auch Hauptbahnhof genannt wird und südöstlich des Stadtzentrums liegt. Wichtige Ziele sind im Westen Belfort, nach Norden Straßburg und nach Südosten in die Schweiz Basel, dorthin besteht S-Bahn-Verkehr mit TER. Eine direkte Verbindung für den Personenverkehr nach Deutschland über die Strecke Mülhausen–Müllheim wurde 1980 eingestellt, da damals die Nachfrage zu gering war. Im Jahr 2006 wurde sie reaktiviert; Züge fuhren zunächst nur an ausgewählten Sonntagen. Seit Dezember 2012 gibt es wieder täglich bis zu sieben Verbindungen (RB 28), wobei sonntagvormittags ein Zugpaar direkt bis Freiburg im Breisgau geführt wird. Neben Regionalzügen wurde von August 2013 bis Dezember 2018 auch eine Fernverbindung vom Bahnhof Paris-Est über Mülhausen nach Freiburg mit dem TGV angeboten. Des Weiteren befindet sich im gleichnamigen Stadtteil der Bahnhof Mulhouse-Dornach. Straßenverkehr Die Autobahnen A 35 (L’Alsacienne) und A 36 (La Comtoise) kreuzen sich im Nordosten der Stadt und verbinden sie mit Straßburg und dem Süden Frankreichs, mit Deutschland und der Schweiz. Mülhausen ist Bestandteil des europäischen Fernbusnetzes Eurolines, das die Stadt mit allen großen Städten Europas verbindet. Schiffsverkehr Die drei Häfen von Mülhausen in Illzach, Ottmarsheim und Huningue sind über den Rheinseitenkanal und den Rhein-Rhône-Kanal mit dem europäischen Wasserstraßensystem verbunden. Flugverkehr Circa 20 km südöstlich von Mülhausen befindet sich der internationale Flughafen Basel-Mülhausen, der von Frankreich und der Schweiz unter dem Markennamen EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg gemeinsam betrieben wird. Wenige Kilometer östlich der Stadt liegt der Flugplatz Mülhausen-Habsheim. Städtepartnerschaften Die Gemeinde Mülhausen unterhält zu folgenden Städten eine Städtepartnerschaft: Antwerpen in Flandern, seit 1956 Walsall in den West Midlands, seit 1962 Kassel in Hessen, seit 1965 Bergamo in der Lombardei, seit 1989 Chemnitz in Sachsen, seit 1981 (bis 1990: Karl-Marx-Stadt, ) Giw’atajim, seit 1991 Timișoara, seit 1991 Einen Freundschaftsvertrag hat die Stadt geschlossen mit Jining, Provinz Shandong in China seit 1996 Ein Kooperationsabkommen im Rahmen der Solidarität mit dem Süden besteht mit El Chroub, Provinz Constantine, seit 2000 Sofara, Region Mopti in Mali, seit 2003 Persönlichkeiten Söhne und Töchter der Stadt Die folgende Aufstellung enthält in der Stadt geborene Persönlichkeiten, aufgelistet nach ihrem Geburtsjahr. Viele von ihnen sind nach ihrer Geburt oder später weggezogen und andernorts bekannt geworden. Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Bis zum 19. Jahrhundert 1719, 19. Mai: Johann von Fries († 19. Juni 1785 in Bad Vöslau), Kommerzienrat, Hofrat, Direktor der kaiserlichen Seidenfabriken, Industrieller und Bankier 1727, 28. September: Johann Heinrich Müntz († Mai 1789 in Kassel), Porträt- und Landschaftsmaler, Architektur-Zeichner, Radierer, Architekt und Gartengestalter 1728, 26. August: Johann Heinrich Lambert († 25. September 1777 in Berlin), Mathematiker und Physiker 1776, 10. März: Jean-Jacques Koechlin († 16. November 1834), Politiker, Bürgermeister von Mülhausen 1814/1815 und 1819/1820 1789, 3. August: André Koechlin († 24. April 1875 in Paris), Maschinenbauunternehmer, Bürgermeister von Mülhausen 1830–31 und 1832–1843 1796, 17. Februar: Josua Heilmann († 5. November 1848), Erfinder der Handstickmaschine 1799, 1. April: Daniel Jelensperger († 30. Mai 1831 in Paris), Musikwissenschaftler 1800, 19. Juli: Margareta Spörlin († 15. September 1882 in Mülhausen), Erzieherin und Schriftstellerin 1800, 25. September: Jean Dollfus († 21. Mai 1887), Fabrikbesitzer und Politiker, Bürgermeister von Mülhausen 1863–1869 1807, 21. Oktober: Napoléon-Henri Reber († 24. November 1880 in Paris), Komponist 1808, 28. Mai: Émile Koechlin († 3. Mai 1883), Ingenieur und Politiker, Bürgermeister von Mülhausen 1848–52 1822, 8. März: Charles Frédéric Girard († 1895 in Neuilly-sur-Seine), französisch-US-amerikanischer Arzt und Zoologe 1832, 3. Juli: Paul Heilmann-Ducommun († 11. März 1904), Unternehmer und Erfinder 1825, 15. April, Jean Schoen († 28. Februar 1887 in Kaiserslautern), technischer Leiter der Kammgarnspinnerei Kaiserslautern 1833, 13. Februar, Auguste Scheurer-Kestner († 19. September 1899 in Bagnères-de-Luchon), Chemiker, Industrieller und Politiker 1836, 28. März: Emmanuel Benner († 24. September 1896 in Nantes, Loire-Atlantique), Maler 1836, 28. März: Jean Benner († 28. Oktober 1906 in Paris), französischer Maler 1840, 17. April: Hippolyte Bernheim († 2. Februar 1919 in Paris), Internist, Psychiater, Neurologe und Hypnoseforscher 1840, 13. Mai: Theodor Schlumberger († 18. Februar 1917 in Freiburg), Textilfabrikant und Reichstagsabgeordneter 1846, 6. Juni: Jean Sandherr († 24. Mai 1897 in Paris), Soldat und als Chef des Nachrichtendienstes in die Dreyfus-Affäre verwickelt 1852, 2. Juni: Paul Koechlin († 28. Juni 1907 in Mülhausen), Industrieller und Automobilrennfahrer 1853, Jean-Jacques Heilmann († 1922), Ingenieur und Erfinder 1854, 11. Mai: Léon Ehrhart († 4. Oktober 1875 in Porretta, Italien), Komponist 1856, 12. Dezember: Wilhelm Baldensperger († 30. Juli 1936 in Straßburg), evangelischer Theologe 1858, 30. Mai: Maurice Klippel († 20. Juli 1942 in Vevey, Schweiz), französischer Mediziner 1858, 30. September, André Weiss († 31. August 1928 in Den Haag), Jurist, Hochschullehrer und Richter am Internationalen Gerichtshof 1859, 28. Juli: Franz Eugen Schlachter († 12. Januar 1911 in Bern), Erweckungsprediger und Altphilologe 1859, 9. Oktober: Alfred Dreyfus († 12. Juli 1935 in Paris), Offizier, seine angebliche Spionage für das Deutsche Reich führte in Frankreich zu der antisemitischen Dreyfus-Affäre. 1860, 29. Juli: René Schützenberger († 31. Dezember 1916 in Paris), französischer Maler 1862, 1. Juni: Philipp August Becker († 21. November 1947 in Leipzig), deutscher Romanist und Hochschullehrer 1865, 25. März: Pierre-Ernest Weiss († 24. Oktober 1940 in Lyon), Physiker 1865, 19. Juli: Georges Friedel († 11. Dezember 1933 in Straßburg), Mineraloge und Kristallograph 1866, 12. Dezember: Alfred Werner († 15. November 1919 in Zürich), Chemiker und Nobelpreisträger 1872, 19. Mai: Ernst Wachter, († August 1931 in Leipzig), Opernsänger und Musikpädagoge 1872, 27. Juli: Hermann von Stengel († 31. Oktober 1954 in Gauting), Gesandter in La Paz 1874, 21. Mai: Julius Nuninger, deutscher Kunstturner 1875, 28. Februar: Emile Jeannin († 10. April 1957 in Straßburg), deutsch-französischer Flugpionier 1875, 16. Juni: Henri Zislin († 5. Mai 1958 in Paris), Journalist und politischer Karikaturist 1876, 27. Juni: Artur Dinter († 21. Mai 1948 in Offenburg), deutscher antisemitischer Schriftsteller und nationalsozialistischer Politiker 1877, 22. Oktober: Fritz Danner, deutscher Kunstturner 1878, 12. April: Robert Pracht († 4. Mai 1961 in Karlsruhe), deutscher Komponist 1878, 19. Mai: Ottmar E. Strauß († 25. August 1941 in Zürich), deutscher Industrieller 1878, 30. Oktober: Emil Röthong († 10. September 1970), deutscher Kunstturner 1878, 24. November: Edmund Wachenfeld († 4. Dezember 1958 in Gräfelfing), deutscher Generalstabsoffizier 1879, 31. Januar: Karl Kleist († 26. Dezember 1960 in Frankfurt am Main), deutscher Neurologe 1880, 30. April: Herbert Stadler († 17. Februar 1943 in Berlin), Oberbürgermeister von Kassel 1881, 22. August: Margaretha Schwab-Plüss († 11. September 1967 in Sissach, Kanton Baselland), Schweizer Schriftstellerin 1881, 2. Oktober: Ferdinand Barlow († 3. Januar 1951 in Boulogne (Seine)), französischer Komponist 1882, 26. September: Hans Gebhard-Elsaß († 4. Oktober 1947 in Marburg an der Lahn), Komponist und Musikpädagoge 1883, 11. Juni: Ferdinand Lion († 21. Januar 1968 in Kilchberg, Kanton Zürich), Schweizer Journalist und Schriftsteller 1883, 1. November: Charles Oulmont († 16. Februar 1984), Schriftsteller 1883, 6. Dezember: Kurt Faber († Winter 1929 am Großen Sklavensee, Kanada), Politologe, Abenteurer und Reiseschriftsteller 1884, 2. August: Marg Moll († 15. März 1977 in München), deutsche Bildhauerin und Malerin 1885, 30. November: Otto Hersing († 5. Juli 1960 in Angelmodde bei Münster), deutscher Marineoffizier 1887, 19. Februar: Paul Wolff († 10. April 1951 in Frankfurt am Main), Mediziner und Photograph 1888, 6. Februar: Friedrich Wilhelm Levi († 1. Januar 1966 in Freiburg im Breisgau), Mathematiker 1890, 25. April: Camilio Mayer († 21. Mai 1972 in Stedten an der Ilm), deutscher Hochseilartist 1892, 24. Januar: Adolf Heiz († 9. Februar 1959), Politiker (DPS) 1893, 9. März: Hans Münch († 7. September 1983 in Binningen), Schweizer Dirigent 1893, 4. Juli, Heinrich Schroth († 7. März 1971 in Konstanz), Theaterschauspieler, Theaterregisseur und Schriftsteller 1894, 26. Oktober: Bernard Homola († 13. Juni 1975 in Basel), deutscher Filmkomponist 1896, 11. Februar, Édouard Fuchs († 2. Januar 1992 in Riedisheim), Politiker (UPR), Mitglied der französischen Abgeordnetenkammer 1896, 20. April: Erwin Wiskemann († 19. April 1941 in Berlin), deutscher Volkswirtschaftler 1898, 7. Oktober: Friedrich Janz († 25. Januar 1964 in Freiburg im Breisgau), Diplomat 1899, 25. Juni: Hansgeorg Buchholtz († 22. April 1979 in Uetersen), deutscher Pädagoge und Schriftsteller 1899, 29. Januar: Alfred Schmid († 31. Dezember 1968 in Locarno), Schweizer Naturwissenschaftler, Erfinder, Philosoph und Persönlichkeit der Jugendbewegung 1900, 25. September: Robert Wyler († 17. Januar 1971 in Los Angeles), in den USA erfolgreich gewordener Filmregisseur und -produzent Ab dem 20. Jahrhundert 1901, 27. Juli: Paul Desfossez († 21. Februar 1986 in Dillingen/Saar), Technischer Direktor der Dillinger Hütte 1901, 12. August: Moritz von Schirmeister († nach 1946), Nationalsozialist 1902, 1. Juli: William Wyler († 27. Juli 1981 in Los Angeles), Bruder von Robert Wyler, in den USA erfolgreich gewordener Filmregisseur 1904, 8. Januar: Karl Brandt († 2. Juni 1948 in Landsberg am Lech, hingerichtet), SS-Mitglied, chirurgischer Begleitarzt von Adolf Hitler und dessen „Euthanasie“-Beauftragter für die Aktion T4. 1904, 15. Dezember: Herbert Blankenhorn († 10. August 1991 in Badenweiler), deutscher Diplomat 1904, 19. Dezember: Daniel Schlumberger († 21. Oktober 1972 in Princeton (New Jersey)), französischer Archäologe 1905, 10. November: Otto Feger († 26. April 1968 in Konstanz), deutscher Jurist, Archivar und Historiker 1906, 21. Juni: Nusch Éluard († 28. November 1946 in Paris), deutsch-französische Schauspielerin, Modell, Varietékünstlerin und Muse der Surrealisten 1907, 12. November: Willy A. Kleinau († 18. Oktober 1957 bei Merseburg), deutscher Schauspieler 1908, 14. Juni: Karl Krammig († 16. Juni 1991 in Bremen), deutscher Politiker (CDU), MdB, Senator für Wohlfahrt und Gesundheit in Bremen 1909, 3. Februar, Jean Starcky († 9. Oktober 1988 in Paris), katholischer Geistlicher, Bibelwissenschaftler und Epigraphiker 1909, 18. Juni: Willy Kramp († 19. August 1986 in Schwerte-Villigst), Schriftsteller 1911, 7. Januar: Konrad Schäfer († unbekannt), NS-Arzt 1912, 8. September: Marcel Luipart († 23. Oktober 1989 in Wien), Tänzer 1912, 28. Dezember: François Spoerry († 11. Januar 1999 in Port Grimaud), Architekt 1920, 6. Juni: Serge Lang († 21. November 1999 in Sternenberg, Elsass), Sportjournalist 1920, 27. Juni: Charles Amarin Brand († 31. März 2013 in Toulouse), Erzbischof von Straßburg 1922, 18. Dezember: Armand Conrad († 5. August 2010), Jazzmusiker 1923, 27. Januar: Roger Bourdin († 1976), Flötist 1925, 1. September: Christiane Scrivener, Politikerin, EU-Kommissarin 1925, 31. Oktober: Frank Ténot († 8. Januar 2004 in Neuilly-sur-Seine), Journalist, Jazzkritiker, Jazz-Mäzen und Verleger 1927, 4. August: Juliette de La Genière († 6. Juni 2022), Klassische Archäologin 1927, 26. November: André-Paul Weber, elsässischer Politiker, Unternehmenschef und Schriftsteller 1928, 30. November: Huguette Dreyfus († 16. Mai 2016 in Paris), Cembalistin 1931, 7. Februar: Pierre Chambon, Genetiker 1931, 23. April: Charles L. Bitsch († 27. Mai 2016 in Villejuif), Regisseur, Regieassistent, Drehbuchautor, Kameramann und -assistent 1937, 23. April: Jean Brenner († Februar 2009), Maler 1939, 10. September: Gérard Hérold († 19. August 1993 in Paris), Schauspieler 1940, 14. Dezember: Jean-Marie Brohm, Sportsoziologe 1942, 17. April: Katia Krafft († 3. Juni 1991 am Unzen, Japan), Vulkanologin 1942, 31. Oktober: Daniel François Roth, Komponist, Organist und Pädagoge 1946, 25. März: Maurice Krafft († 3. Juni 1991 am Unzen, Japan), Vulkanologe, Ehemann von Katia Krafft 1946, 9. September: Francis Hillmeyer, Politiker 1950, 29. November: Jean-François Baldé, Motorradrennfahrer 1953, 10. Oktober: Albert Rust, Fußballspieler und -trainer 1955, 23. April: Serge Blenner, Elektronikmusiker 1955, 18. Oktober: Jean-Marc Savelli, französischer Pianist 1956, 20. August: Claude Klimek, ehemaliger französischer Fußballspieler 1958, 5. März: Dominique Ehrhard, bildender Künstler, Autor von Kinder- und Jugendbüchern und Spielen 1960, 11. Juli: Eric Nussbaumer, Schweizer Nationalrat 1961, 10. Oktober: Éric Berthon, Freestyle-Skier 1962, 2. November: Mireille Delunsch, Opernsängerin (Sopran) 1964, 19. August: Vincent Dollmann, römisch-katholischer Geistlicher, Erzbischof von Cambrai 1968, 2. Juni: Anne Briand, Biathletin 1969, 9. Juni: David Cage, Musiker und Videospieldesigner, Leiter des Videospiel-Entwickler-Studios Quantic Dream 1971, 1. Oktober: Stéphane Breitwieser, Kunsträuber 1972, 30. Juli: Mourad Bounoua, französisch-marokkanischer Fußballspieler 1973, 13. August: David Klein, Fußballspieler und -trainer 1974, 29. Oktober: Karine Laurent Philippot, Skilangläuferin 1976, 5. Mai: Déborah Heissler, Schriftstellerin, Dichterin und Essayistin 1976, 2. November: Thierry Omeyer, Handballspieler 1977, 12. Juni: Virginie Sarpaux, Beachvolleyballspielerin 1980, 14. Juli: Jérôme Haehnel, Tennisspieler 1981, 22. April: Jean-Noël Riff, Schachspieler 1981, 21. Mai: Marc Pfertzel, Fußballspieler 1981: Aurore Gaillet, Rechtswissenschaftlerin 1982, 13. Februar: Sophie Herbrecht, Handballspielerin und -trainerin 1982, 21. März: Anthar Yahia, algerischer Fußballspieler 1985, 10. Januar: Claudio Capéo, Sänger und Akkordeonist 1985, 18. November: Gaëtan Krebs, Fußballspieler 1989, 6. April: Tom Dillmann, Rennfahrer 1989, 1. Juli: Cléopâtre Darleux, französische Handballspielerin 1989, 21. September: Sabri Loan Boumelaha, algerisch-französischer Fußballspieler 1989, 8. November: Kevin Sommer, Fußballspieler 1992, 3. Januar: Delphine Wespiser, Model und Moderatorin Mit Mülhausen verbunden Johannes Brandmüller (1593–1664), evangelischer Geistlicher und Verfasser von Gedichten Die Familie Koechlin, die seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts in Mülhausen lebte und wirkte. Christopher Dresser (1834–1904), britischer Designer, starb in Mülhausen. Maurice Koechlin (1856–1946), Konstrukteur des Eiffelturms, aus dem nahen Buhl stammend, besuchte das Lycée in Mülhausen. Albert Schweitzer (1875–1965), evangelischer Theologe, Organist, Philosoph, Arzt und Friedensnobelpreisträger, besuchte ab 1885 in Mülhausen das Gymnasium und legte dort 1893 das Abitur ab. Pierre Pflimlin (1907–2000) ist in Mülhausen aufgewachsen, da sein Vater hier eine Spinnerei betrieb. Pflimlin war u. a. Straßburger Oberbürgermeister (1959–1983), mehrfacher Minister der IV. und V. Republik, kurze Zeit Premierminister und Präsident des Europäischen Parlaments (1984–1987). Hanns Martin Schleyer (1915–1977), deutscher Manager und Wirtschaftsfunktionär, wurde am 19. Oktober 1977 im Kofferraum eines im Stadtteil Rebberg in der Rue Charles Péguy abgestellten Fahrzeugs tot aufgefunden. Literatur Le Patrimoine des Communes du Haut-Rhin. Flohic Editions, Band 2, Paris 1998, ISBN 2-84234-036-1, S. 786–875. Weblinks Offizielle Website der Stadt Mülhausen City Guide Stadt Mülhausen Stadt der hundert Schornsteine Mulhouse und seine Industriegeschichte. Radiosendung vom 15. Jan. 2010 von Hans-Peter Frick bei SWR2 Wissen. Hier finden sich mp3-Datei und das Manuskript (PDF; 52 kB). Einzelnachweise Reichsstadt Ort in Grand Est Unterpräfektur in Frankreich Hochschul- oder Universitätsstadt in Frankreich Träger des Croix de guerre 1914–1918 (Ort in Frankreich) Stadt in Frankreich Ort an der Ill (Elsass) Ersterwähnung 803
Q79815
86.942747
41277
https://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsmarine
Kriegsmarine
Kriegsmarine war die offizielle Bezeichnung der Seestreitkräfte der deutschen Wehrmacht, nachdem die Reichsmarine des Deutschen Reiches am 1. Juni 1935 entsprechend umbenannt worden war. Die Bezeichnung war im Sprachgebrauch bereits üblich gewesen und diente als Abgrenzung zur Handelsmarine. Gleichzeitig wurde aus der bisherigen Marineleitung das Oberkommando der Marine. Geschichte Vorkriegszeit Deutschland durfte nach dem Ersten Weltkrieg gemäß den Bestimmungen des Versailler Vertrages nur eine kleine Flotte unterhalten, die gerade für den Küstenschutz ausreichte. Sie erhielt den Namen Reichsmarine. Am 15. November 1932 nahm die Reichsregierung einen Flottenaufbauplan an, der auch Flugzeuge, einen Flugzeugträger und U-Boote vorsah, also Waffensysteme, die laut Versailler Vertrag für die deutschen Streitkräfte verboten waren. Nach der Machtübernahme der NSDAP im Januar 1933 änderte sich am Marinerüstungsprogramm zunächst wenig, da Hitler Großbritannien nicht mit einer Flottenrüstung provozieren wollte. Mit dem Flottenabkommen vom 18. Juni 1935 erlaubte die Siegermacht des Ersten Weltkrieges, im Gegensatz zu den Bestimmungen des Versailler Vertrages, den Aufbau einer deutschen Flotte von 35 Prozent in jeder Schiffsklasse der britischen Überwassertonnage und 45 Prozent der Tonnage bei den U-Booten. Sah sich die Kriegsmarine in ihrem eigenen Verständnis zuständig für die Kontrolle der Ostsee und für einen Seekrieg gegen Frankreich, so verlangte Hitler 1938 eine Flottenstärke, die auch einen Seekrieg gegen Großbritannien bestehen konnte. So entstanden die Pläne X, Y und Z, wovon Hitler am 27. Januar 1939 den Plan Z genehmigte. Dafür sollten bis 1947, von Hitler auf 1945 vorverlegt, eine große Zahl neuer Kriegsschiffe aller Klassen gebaut werden. 1935 wurde die Reichsmarine in Kriegsmarine umbenannt und als neue Kriegsflagge der Wehrmacht, und damit auch zur See, die Hakenkreuzflagge mit dem Eisernen Kreuz im linken Obereck sowie einem schwarzen, weiß unterlegten Deutschordenskreuz eingeführt. Erstmals kam die Kriegsmarine im Spanischen Bürgerkrieg zum Einsatz. Sie beteiligte sich zusammen mit Seestreitkräften Großbritanniens, Italiens und Frankreichs an der internationalen Seeblockade zur Durchsetzung eines Waffenembargos gegen Spanien, wobei ihr ein Küstenbereich im Mittelmeer etwa zwischen Almería und Valencia zugewiesen war. Faktisch diente dieser Einsatz der Unterstützung der putschenden spanischen Nationalisten unter Franco. Am 29. Mai 1937 wurde das Panzerschiff Deutschland vor Ibiza bombardiert und beschädigt. Vergrößerung des Offizierskorps Im Zuge der Aufrüstung der Wehrmacht wuchs das Offizierskorps der Kriegsmarine. Zweiter Weltkrieg Zwar wuchs die Personalstärke bis Kriegsbeginn 1939 von 15.000 auf über 78.000 Mann an, jedoch war von den umfangreichen materiellen Plänen bei Kriegsbeginn noch zu wenig umgesetzt, als dass die Kriegsmarine für den Zweiten Weltkrieg vorbereitet gewesen wäre. Ihr Oberbefehlshaber, Großadmiral Erich Raeder, notierte am 3. September 1939 im Kriegstagebuch der Seekriegsleitung: Die Kriegsmarine war dennoch von Beginn an am Krieg beteiligt. Das Linienschiff Schleswig-Holstein eröffnete am 1. September 1939 um 04:45 Uhr in Danzig das Feuer auf die Westerplatte. Damit begann der Angriffskrieg gegen Polen als Auftakt des Zweiten Weltkrieges. Schon lange vor dem Angriffstermin waren U-Boote, die Panzerschiffe Admiral Graf Spee und Deutschland und Trossschiffe ausgelaufen und hatten Wartepositionen auf See eingenommen. Vom Beginn des Krieges an begann die Marine einen Handelskrieg im Atlantik (siehe Atlantikschlacht), dessen Ziel es war, die britische Handelsschifffahrt zum Erliegen zu bringen. Trotz der Beschränkungen durch die Prisenordnung führte dies bald zu Versorgungsengpässen in Großbritannien. Die Panzerschiffe der Deutschland-Klasse, U-Boote sowie Hilfskreuzer konnten schnelle Erfolge erzielen. Allerdings ging die Admiral Graf Spee bereits im Dezember 1939 im Río de la Plata verloren. Vor allem im ersten Kriegsjahr wurde noch nach der Prisenordnung gekämpft, spätestens nach dem Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg im Dezember 1941 fielen aber alle Beschränkungen im Seekrieg weg. Die Marine war maßgeblich am Unternehmen Weserübung, der Besetzung Dänemarks und Norwegens im April 1940, beteiligt. Während der Besetzung Norwegens verlor die Kriegsmarine neben dem Schweren Kreuzer Blücher, den beiden Leichten Kreuzern Königsberg und Karlsruhe und dem Artillerieschulschiff Brummer neun U-Boote. Zehn Zerstörer gingen in der Schlacht um Narvik verloren. Wegen dieser hohen Verluste musste die Marine trotz der erfolgreichen Besetzung Norwegens diese Operation als strategische Niederlage hinnehmen. Im Juli 1940 gab Hitler den Befehl zur Planung des Unternehmens Seelöwe, der Landung in England, der Raeder aufgrund der Schwäche der Kriegsmarine im Vergleich zur Royal Navy von Anfang an ablehnend gegenüberstand. Der Oberbefehlshaber der Marine hatte bereits in der Planungsphase des Unternehmens eine vollkommene Luftherrschaft über den Landungsgebieten eingefordert, da die Kriegsmarine allein nicht in der Lage gewesen wäre, die britische Flotte von den vorgesehenen Landungszonen fernzuhalten. Das Scheitern der Luftwaffe in der Luftschlacht um England bewog Hitler wohl, den Befehl zur Ausführung der detailliert geplanten Landung in England nicht zu geben. Auf Grund der deutlichen zahlenmäßigen Unterlegenheit, vor allem bei den größeren Kampfschiffen, die durch frühe Verluste noch verstärkt wurde (Admiral Graf Spee (1939), Blücher (1940), Bismarck (1941)), verlegte sich die Kriegsmarine mehr und mehr auf den Krieg mit U-Booten, maßgeblich forciert durch deren Befehlshaber, Admiral Karl Dönitz. Daneben machte die Küstenkriegführung mit kleinen Fahrzeugen wie Minensuchbooten und Schnellbooten einen Großteil der deutschen Marineaktivitäten im Zweiten Weltkrieg aus. Trotz anfänglicher Erfolge im Nordatlantik, die Großbritannien zeitweise in eine Versorgungskrise brachten, gelang es nicht, den Gegner mit U-Booten in die Knie zu zwingen. Nur von Februar bis Dezember 1942 operierte die Kriegsmarine unter einer nicht entzifferten Verschlüsselung; in der übrigen Zeit entzifferten die Alliierten die deutschen Funktelegramme. Wie im Ersten Weltkrieg hatten die Alliierten die Seeherrschaft. Sie schnitten Deutschland vom Seehandel und von der überseeischen Versorgung ab. Großadmiral Erich Raeder trat Anfang Januar 1943, nach dem Scheitern der Schlacht in der Barentssee und einem darauffolgenden Wutanfall Hitlers, in dem dieser Raeder und die gesamte Marine beleidigte, von seinem Posten als Oberbefehlshaber zurück. Hitler versuchte ihn zum Bleiben zu bewegen, aber diesmal hatte er keinen Erfolg. Der Befehlshaber der U-Boote Admiral Dönitz wurde am 30. Januar 1943 zu seinem Nachfolger berufen. Raeder selbst wurde zum Admiralinspekteur der Kriegsmarine ernannt, ein Posten ohne Befehlsgewalt und ohne Befugnisse. In den Jahren 1943 bis 1945 verfolgte Dönitz weiterhin seine Strategie des U-Boot-Krieges; fast alle Überwasseroperationen wurden eingestellt. Ein großangelegtes U-Boot-Bauprogramm wurde gestartet. Durch die überlegene Technik der Alliierten, insbesondere durch ASDIC und später Radar, konnten die deutschen U-Boote aber nicht mehr an alte Erfolge anknüpfen. Allein im Jahr 1943 gingen 237 U-Boote verloren, wobei die versenkte Tonnage von 8 Millionen BRT im Jahr 1942 auf 3,5 Millionen Tonnen im Folgejahr zurückging. Diese Entwicklung setzte sich bis zum Kriegsende fort: 1944 und 1945 wurden nur noch 1,5 Millionen BRT versenkt. Demgegenüber standen 241 verlorene U-Boote im Jahre 1944 und weitere 153 U-Boote von Januar bis Mai 1945. Gleichzeitig konnten die Alliierten durch das Liberty-Frachter-Bauprogramm sogar ihre Frachtkapazität erhöhen. Trotz der hohen Verluste wurde der U-Boot-Krieg bis zum Kriegsende fortgesetzt. Dönitz hoffte, dadurch zumindest Material und Personal der Alliierten zu binden und somit das Heer zu entlasten. 1944 begann der Aufbau einer Flotte moderner U-Boote der Typen XXI und XXIII, die den Krieg im Atlantik hätten wenden sollen. Die ersten dieser Boote kamen kurz vor dem Kriegsende zum Einsatz. Die Durchführung der Operation Regenbogen wurde von Dönitz zwar verboten, trotzdem versenkten viele Besatzungen ihre U-Boote selbst. Von Anfang 1945 bis zum Teil über das Kriegsende im Mai 1945 hinaus beteiligten sich Schiffe von Kriegs- und Handelsmarine maßgeblich an der Rückführung deutscher Wehrmachtsangehöriger und ziviler Flüchtlinge über die Ostsee. Trotz einer hohen Zahl umgekommener Menschen (u. a. bei der Versenkung der Wilhelm Gustloff, der Cap Arcona, der Goya und der Steuben) gelang es, mehr als zwei Millionen Menschen aus den von der Eroberung durch die Rote Armee bedrohten Küstengebieten der südlichen Ostsee zu retten – die größte Evakuierung in der Geschichte der Menschheit. Etwa ein Prozent der transportierten Personen starb bei den Transporten. Gleichwohl sind die einzelnen Schiffsverluste als traumatische Ereignisse in die jüngere deutsche Geschichte eingegangen. Nach dem Kriegsende Nach dem Kriegsende wurden Teile der Kriegsmarine unter alliierter Kontrolle weiterhin eingesetzt, um die Seeminen an den deutschen Küsten räumen zu lassen. Dieser Deutsche Minenräumdienst bestand bis Ende 1947 und hatte mit bis zu 300 Fahrzeugen mit 27.000 Mann zeitweise einen größeren Umfang als die Reichsmarine vor 1935. Neben sowjetischen Protesten war es vor allem der Zusammenhalt und Korpsgeist dieser ehemaligen Kriegsmarineteile, welche die Alliierten 1947 zur Auflösung dieser Organisation veranlassten, die jedoch auch weiterhin für verschiedene Aufgaben Minensuchverbände und Dienstgruppen mit Personal und Material der Kriegsmarine unterhielten. Die Hakenkreuzflagge durfte vom Zeitpunkt der Kapitulation an nicht mehr geführt werden. Die Alliierten wiesen an, stattdessen eine als Doppelstander abgewandelte internationale Signalflagge „C“ zu setzen, die von deutschen Schiffen bis 1951 geführt wurde. Am 16. Mai 1945 ordnete die letzte Reichsregierung im Sonderbereich Mürwik an, dass die im britischen Auftrag im Minenräumdienst eingesetzten deutschen Kriegsschiffe an der Gaffel den nationalen Signalwimpel „8“ zu führen haben. Die Marinekriegsgerichte blieben bis zum 22. Juni 1945 weiterhin aktiv, auch in den von deutschen Marinestreitkräften noch besetzten Gebieten in den Niederlanden, Dänemark und Norwegen. Gemäß alliiertem Militärgesetz Nr. 153 vom 4. Mai 1945 waren deutsche Todesurteile vor der Vollstreckung alliierten Instanzen zur Prüfung vorzulegen; die Verfügung wurde aber wegen angeblicher Unkenntnis mehrfach missachtet. Dies betraf nicht nur Urteile kurz vor oder nach der Kapitulation, sondern auch Altfälle z. B. von Deserteuren, die nach der Kapitulation als Kriegsgefangene in alliierten Gewahrsam geraten und von dort an deutsche Kriegsgerichte überstellt worden waren. Über die Aufteilung der den Alliierten beim Kriegsende in die Hände gefallenen Kriegs- und Handelsschiffe entschied die Potsdamer Konferenz bei ihrer dritten Sitzung am 19. Juli 1945. Man einigte sich über die Aufteilung der Handelsschiffe und darauf, den Großteil der U-Boote mit Ausnahme weniger Erprobungsexemplare zu versenken. Für die übrigen Kriegs- und Hilfsschiffe wurde nach längerer Debatte eine Kommission aus Flaggoffizieren der an der Konferenz beteiligten Siegermächte gebildet. Sie bildete drei als gleichwertig eingeschätzte Gruppen mit jeweils einer Anzahl verwendungsfähiger und reparaturbedürftiger Schiffen. Anschließend wurden die Gruppen den drei Siegermächten durch Losentscheid zugeteilt. Dabei wurden etwa 500 Kriegsschiffe, 30 U-Boote und 1329 Hilfsschiffe verlost. Verluste Die Kriegsmarine verlor vom 1. September 1939 bis zum 31. Januar 1945 insgesamt 48.904 Soldaten (davon 2.475 Offiziere) als Gefallene, 25.259 (554) Soldaten als Verwundete und 100.256 (2.174) Soldaten als Vermisste. An Schiffen und Booten gingen verloren: 4 Schlachtschiffe, 5 Schwere Kreuzer, 4 Leichte Kreuzer, 2 alte Linienschiffe, 27 Zerstörer, 68 Torpedoboote, 27 Geleitboote, 106 Minensuchboote, 185 Räumboote, 152 Schnellboote, 968 U-Boote, 525 Marinefährprähme, 9 Hilfskreuzer, 35 Minenschiffe, 66 Sperrbrecher, 3 Minenräumschiffe, 132 Hilfsminensuchboote, 137 U-Bootjäger, 189 Vorpostenboote, 278 Küsten- und Hafenschutzboote, 86 Sicherungsboote, 21 Hilfsgeleitboote und ca. 200 sonstige Schiffe und Boote. Schiffsnamen Die Schiffe der Kriegsmarine trugen – wie bereits die Einheiten der Reichsmarine – keine Schiffsnamenpräfixe, wie es noch in der Kaiserlichen Marine üblich gewesen war (SMS). Flotte -> Hauptartikel Liste von Schiffen der Kriegsmarine Organisation Das Oberkommando der Marine war ab 1934 im Shell-Haus am Tirpitzufer (heute Reichpietschufer) in Berlin untergebracht. Beim Kriegsbeginn wurde in Lobetal bei Berlin für die Seekriegsleitung ein verbunkertes Hauptquartier mit dem Decknamen Koralle auf einem Areal eingerichtet, das ursprünglich zu den Hoffnungstaler Anstalten Lobetal gehört hatte. Oberbefehlshaber Erich Raeder, 1928 bis 30. Januar 1943 Karl Dönitz, 30. Januar 1943 bis 30. April 1945 Hans-Georg von Friedeburg, 1.–23. Mai 1945 Walter Warzecha, 23. Mai bis 22. Juli 1945, von den Alliierten mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragt Dienstgrade und Rangabzeichen Offiziere Offizieranwärter (OA) Unteroffiziere mit Portepée (Bootsleute) Unteroffiziere ohne Portepée (Maate) Mannschaften Kommando- und Rangflaggen der Kriegsmarine Siehe auch Geschichte der Deutschen Marine Kleinkampfverbände der Kriegsmarine Liste deutscher U-Boote (1935–1945)/U 1–U 250 Liste von Schiffen der Kriegsmarine Reichskriegsflagge Truppenfahne (Wehrmacht) Militärpersonen der Kriegsmarine Liste der historischen Marinestreitkräfte Literatur Erich Gröner, Dieter Jung: Die Schiffe der deutschen Kriegsmarine und Luftwaffe 1939–1945 und ihr Verbleib. Bernard & Graefe Verlag, Bonn 2001, ISBN 3-7637-6215-9. Siegfried Breyer, Ulrich Erfrath: Die Deutsche Kriegsmarine 1939–1945. 4 Bände, Podzun-Pallas Verlag, ISBN 3-89350-699-3. Maik Nolte: „[…] mit Anstand zu sterben verstehen.“ – Flottenrüstung zwischen Tirpitzscher Tradition, strategischer Notwendigkeit und ideologischem Kalkül 1933–1943. Der Andere Verlag, Tönning u. a. 2005, ISBN 3-89959-386-3. Douglas Peifer: Drei Deutsche Marinen. Auflösung, Übergänge und Neuanfänge. Übersetzt von Eva Besteck. Hrsg. Jörg Hillmann und Stephan Huck, Kleine Schriftenreihe zur Militär- und Marinegeschichte. Bochum Germany: Winkler Verlag, 2007, ISBN 978-3-89911-116-3 Weblinks Jürgen Rohwer, Gerhard Hümmelchen: Chronik des Seekrieges 1939–1945 bei der Württembergischen Landesbibliothek, Bibliothek für Zeitgeschichte Kriegsmarine bei Uboatnet Einzelnachweise Gegründet 1935 Aufgelöst 1945 Historische Marine
Q151701
102.038353
131734
https://de.wikipedia.org/wiki/Conakry
Conakry
Conakry [] (ehemals Konakry) ist die Hauptstadt Guineas. Sie ist mit 1.667.864 Einwohnern (Stand 1. März 2014) die größte Stadt des Landes. Geographie Die Stadt entstand aus einer kleinen Fischersiedlung, die auf der Insel Tombo vor der Halbinsel Kaloum im Westen Guineas im Atlantischen Ozean lag. Mit zunehmender Bedeutung als Sitz der Verwaltung der Kolonie Rivières du Sud entwickelte sich der Ort auch zu einem wichtigen Handelsplatz. Durch Aufschüttungen wurde schließlich Tombo an die Halbinsel und somit auch an das Festland angeschlossen. Anfang des 20. Jahrhunderts war Conakry eine prächtige Stadt mit Sandstränden und Uferpromenaden und baumbestandenen Boulevards. Man bezeichnete es damals oft als das „Paris Afrikas“ oder auch als „Petit Marseille“. Im Laufe des 20. Jahrhunderts dehnte sich Conakry von Kaloum, wie die ehemalige Insel hieß, immer weiter nach Nordosten auf die Halbinsel aus. Sie umfasste nun die Stadtteile Matam, Dixinn, Matoto und Ratoma. Nach dem Jahr 2000 betrug die Ausdehnung in dieser Richtung ins Landesinnere etwa 36 Kilometer bis zum Kreisel kilométre trente-six. Klima Das Klima in Conakry ist ausgesprochen warm. Die Jahresdurchschnittstemperatur liegt bei 26,6 °C und es ist ganzjährig zwischen 25 und 30 °C warm. Die Niederschlagsmenge beträgt 4296 mm pro Jahr. Die Trockenzeit dauert von November bis Mai. Geschichte Im Jahr 1887 wurde Conakry, damals noch ein Fischerdorf, von Frankreich besetzt und zur Stadt ausgebaut. Conakry ist seit 1890 Hauptstadt von Französisch-Guinea, heute der Republik Guinea. Seit 1955 ist Conakry Sitz des katholischen Erzbistums Conakry. Sehenswürdigkeiten Nationalmuseum (Musée National): Das Nationalmuseum zeigt Kunstobjekte, vor allem Masken, aus dem ganzen Land. Faysal-Moschee: Die Faysal-Moschee, Ende der 1970er Jahre erbaut, ist die viertgrößte Moschee in Afrika und die größte in Subsahara-Afrika. Die Moschee bietet Platz für insgesamt 12.500 Menschen (2.500 für Frauen im Obergeschoss und 10.000 für Männer im Erdgeschoss). Mausoleum Camayenne: Im Mausoleum Camayenne sind wichtige Persönlichkeiten Guineas begraben, so z. B. Ahmed Sékou Touré und Samory Touré. Volkspalast (Palais du Peuple): Der Volkspalast dient kulturellen Zwecken (Ausstellungen, Kongresse) und ist Sitz des Parlamentes. Der Botanische Garten Conakry ist eine Ruheoase im Zentrum der Stadt. Los-Inseln (Îles de Los): Nur wenige Kilometer vor der Küste liegen die Îles de Los mit palmengesäumten Sandstränden. Auf zwei dieser Inseln wurde bis in die 1960er Jahre Bauxit abgebaut. Wirtschaft und Verkehr Conakry ist das wirtschaftliche Zentrum des Landes. Die Stadt besitzt einen internationalen Flughafen und einen bedeutenden Hafen am Atlantik. Unter anderem werden Bananen, Eisenerz und Bauxit verschifft. Der Hafenumschlag betrug 1997 3.739.463 Tonnen, seit dem Ausbau des Hafens Anfang der neunziger Jahre für Containerschiffe der zweiten Generation nimmt auch der Containerumschlag beständig zu. 2008 wurde zunächst der Filiale des französischen Logistik-Konzerns Necotrans, Getma, eine Konzession zum Ausbau und Betrieb des Hafens erteilt. Diese Konzession wurde 2011 aufgrund der Nichterfüllung vertraglicher Verpflichtungen per Dekret widerrufen. Wenige Monate später wurde eine 25-jährige Konzession zum weiteren Ausbau und Betrieb an das Unternehmen Bolloré vergeben. Mitte März desselben Jahres stellte die Getma Strafanzeige gegen Vincent Bolloré bei der Pariser Staatsanwaltschaft. Er wurde beschuldigt, die erfolgreiche Wahlkampagne des Präsidenten Guineas, Alpha Condé, im Jahre 2010 finanziert zu haben. Das daraufhin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde eingestellt. Im Oktober 2013 wurde Bolloré vom Handelsgericht Nanterre zur Zahlung von 2,1 Millionen Euro als Kompensation für bereits durchgeführte Hafen-Erweiterungen an Getma verurteilt. Bildung Seit 1963 gibt es eine staatliche Universität in Conakry, die Université Gamal Abdel Nasser de Conakry. 1999 wurde mit der Université Kofi Annan de Guinée die erste Privatuniversität eröffnet. Seit 2005 besteht zudem die Université Général Lansana Conté sowie seit 2008 die Université Thierno Amadou Diallo. Städtepartnerschaften Freetown, seit 2008 Söhne und Töchter der Stadt Jo Maka (1929–1981), Jazzmusiker Jean Claude Diallo (1945–2008), Diplom-Psychologe, Politiker und Integrationsdezernent Katoucha Niane (1960–2008), französisches Model Mamady Youla (* 1961), guineischer Politiker Sékouba Konaté (* 1964), Brigadegeneral und Politiker Pablo Thiam (* 1974), guineisch-deutscher Fußballspieler und -funktionär Kanfory Sylla (* 1980), Fußballspieler Pascal Feindouno (* 1981), Fußballspieler Oumar Kalabane (* 1981), Fußballspieler Fodé Mansaré (* 1981), Fußballspieler Souleymane Youla (* 1981), Fußballspieler Djene Barry (* 1982), Schwimmerin und Olympionikin Alhassane Keita (* 1983), Fußballspieler Alimou Mamadou Diallo (* 1984), Fußballspieler Alhassane Baldé (* 1985), deutscher Rennrollstuhlsportler Ismaël Bangoura (* 1985), Fußballspieler Ibrahima Sory Camara (* 1985), Fußballspieler Mohamed Fofana (* 1985), Fußballspieler Kamil Zayatte (* 1985), Fußballspieler Mamadou Bah (* 1988), Fußballspieler Guy-Michel Landel (* 1990), Fußballspieler Florentin Pogba (* 1990), Fußballspieler Aissata Toure (* 1990), Sprinterin und Olympionikin Mariama Dalanda Barry (* 1991), Taekwondoka und Olympionikin Mohammed Diarra (* 1992), Fußballspieler Alhassane Keita (* 1992), Fußballspieler Ibrahima Savane (* 1993), Fußballspieler Issiaga Sylla (* 1994), Fußballspieler Naby Keïta (* 1995), Fußballspieler Boubacar Barry (* 1996), Fußballspieler Mohamed Camara (* 1996), Fußballspieler Amadou Diawara (* 1997), Fußballspieler Jules Keita (* 1998), Fußballspieler Hadja Idrissa Bah (* 1999), Aktivistin für Kinder- und Frauenrechte Ousmane Camara (* 2001), Fußballspieler Momo Cissé (* 2002), Fußballspieler Ilaix Moriba (* 2003), Fußballspieler Weblinks Port Autonome de Conakry (französisch/englisch) Université Kofi Annan de Guinée (französisch) Topographische Karte der Küstenregion Franz. Guineas mit Conakry (Service Géographique de l'Afrique Occidle Française à Dakar 1941). Abgerufen am 30. August 2009 (französisch/portugiesisch). Einzelnachweise Hauptstadt in Afrika Ort in Guinea Millionenstadt Ort in Afrika Ort mit Seehafen Hochschul- oder Universitätsstadt
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238.665239
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https://de.wikipedia.org/wiki/Stillleben
Stillleben
Stillleben (früher Stilleben) bezeichnet in der Geschichte der europäischen Kunsttradition die Darstellung toter bzw. regloser Gegenstände (Blumen, Früchte, tote Tiere, Gläser, Instrumente o. a.). Deren Auswahl und Gruppierung erfolgte nach inhaltlichen (manchmal symbolischen) und ästhetischen Aspekten. Zu einer eigenständigen Gattung der Malerei entwickelten sich diese Darstellungen am Anfang des 17. Jahrhunderts im Barock. Es wird unterschieden nach den dargestellten Gegenständen; es ergeben sich so die Unterarten Blumen-, Bücher-, Fisch-, Früchte-, Frühstücks-, Jagd-, Küchen-, Markt-, Musikinstrumenten-, Vanitas- oder Waffenstillleben. Die Übergänge zu den Bildgattungen Interieur, Tierstück oder Genre sind zuweilen fließend. Begriff und Begriffsgeschichte Bei der Betrachtung des Stilllebens und seiner Entwicklung muss unterschieden werden zwischen einem weiteren und einem engeren Gattungsbegriff. Als Stillleben im weiteren Sinne gelten alle Darstellungen von Objektkompositionen und stilllebenartigen Arrangements – besonders zeitlich vor der Etablierung der Stilllebenmalerei als eigene Gattung der Malerei im 17. Jahrhundert. Stillleben im weiteren Sinn gab es höchstwahrscheinlich zu allen Zeiten und bei allen Kulturen. Hierzu zählen sowohl die Malereien auf Seide und Porzellan aus China und Japan als auch die dekorativen Mosaike und Wandfresken der Antike. Der Begriff stil leven (niederl.: stil = unbewegt und leven = Dasein) für ein Gemälde ist zum ersten Mal um 1650 in einem holländischen Inventar zu finden. Davor und auch noch danach bestimmten die wesentlichen Bildgegenstände die Bezeichnung eines Gemäldes (z. B. 1614 Een koocken en fruytbort; 1624 Een bancket schilderytgen; 1631 Een dootshooft; 1669 Een biertje met een toebackje; 1691 Een oesterbanketje met een roemer; u. ä.). Arnold Houbraken übernahm Anfang des 18. Jahrhunderts die Bezeichnung stilleven für derartige Gemälde in seinem Werk über die Kunst De groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen (1718–1721). Joachim von Sandrart prägte 1675 in dem ersten großen Quellenwerk der deutschen Kunstgeschichtsschreibung Teutschen Academie der edlen Bau-, Bild- und Malereykünste den Begriff stillstehende Sachen. Das Wort Stillleben, in Anlehnung an den niederländischen Begriff, erscheint in der deutschen Sprache Mitte des 18. Jahrhunderts. Eine französische Bezeichnung wie nature morte od. vie coye wurde vielleicht in den theoretischen Diskussionen der französischen Akademie im 17. Jahrhundert geprägt, ist aber ebenfalls erst für die Mitte (bzw. Ende) des 18. Jahrhunderts belegt – ebenso der englische Ausdruck still life. Im frühen 19. Jahrhundert hatte sich der Begriff Stillleben als Bezeichnung der Gattung in den verschiedenen Übersetzungen (stilleven, nature morte, natura morta, still life usw.) etabliert. Entwicklung Antike Die bekannteste Anekdote über antike Stilllebenmalerei ist wohl jene über den Künstlerwettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios, die von Plinius überliefert wurde. Demnach malte Zeuxis anlässlich des Wettstreits ein Ensemble von Trauben so täuschend echt, dass die Vögel nach diesen pickten. Seines Sieges gewiss, sollte nun Parrhasios sein verhangenes Bild enthüllen. Zur Beschämung des Zeuxis war jedoch auch der Vorhang gemalt. Des Weiteren berichtet Plinius über einen antiken Künstler, der liegengelassene Essensabfälle als Fußbodenmosaik nachbildete, der sogenannte Ungefegte Raum, was zahlreiche römische Fußbodenmosaiken als Thema übernahmen. Um stilllebenartige Kunstwerke der Antike im engeren Sinne handelt es sich bei den (zunächst griechischen) Xenien. Dies sind Abbildungen von Lebensmitteln in Anlehnung an den Brauch des Gastgeschenks. Diese Abbildungen lösten sich aber bald aus diesem Zusammenhang und erhielten eine dekorative und repräsentative Funktion. Derartige Malereien und Mosaike mit Darstellungen von Esswaren, Blumen, Geschirr, gedeckten Tischen, Silbergeräten oder Schreibgeräten – auch in Kombination mit lebenden Tieren – in antiken Villen veranschaulichen den Ertrag der Domäne und somit den Reichtum des Grundbesitzers. So finden sich derartige Xenien gemäß ihrer repräsentativen Funktion im Empfangs- oder Speiseraum. Bekannt ist ebenfalls, dass in der Antike neben stilllebenartigen Darstellungen an Wänden und auf Fußböden auch autonome Kunstwerke mit der Abbildung lebloser Dinge gesammelt wurden. Zu diesen leblosen Dingen zählte auch bereits in der Antike der Totenkopf als Carpe diem-Aufforderung (Vanitasgedanke). Die antike Darstellung lebloser Dinge weist deutliche Parallelen in Motivik, Funktion und illusionistischer Machart zu den Stillleben späterer Epochen auf. Mittelalter und Renaissance Die bildliche Darstellung lebloser Dinge ist in der Kunst des Mittelalters eher selten anzutreffen – allenfalls Bücherstillleben als Bestandteil von Heiligenbildern. Der Grund dafür ist die generelle Verneinung der Abbildung irdischer Realität. Das diesseitige Leben war im mittelalterlichen Denken nur Durchgangsstation zum eigentlichen, ewigen Leben und deshalb nicht abbildungswürdig. Die Sicht auf die Welt (und die Kunst) änderte sich in der Renaissance gravierend. Kurz zuvor, in der Protorenaissance, gelang italienischen Künstlern – allen voran Giotto di Bondone – die Modellierung plastischer Bildgegenstände durch Schatten und erste räumlich-perspektivische Darstellungen. Dies sind die Grundvoraussetzungen für illusionistische Malerei. Diesen neuen Tendenzen folgend, schuf der Giotto-Schüler Taddeo Gaddi in der Baroncelli Kapelle in der Kirche Santa Croce in Florenz 1328–1330 zwei Scheinnischen mit Darstellungen von liturgischem Gerät. Diese Arrangements dürfen als früheste bekannte neuzeitliche Stillleben im weiteren Sinne angesehen werden. Die Anwendung der Perspektive in der Kunst gelangte über Südfrankreich und Burgund in die Niederlande. Hier schufen – auch von der höfischen Miniaturmalerei beeinflusst – im 15. Jahrhundert Künstler wie die Brüder Hubert und Jan van Eyck, Robert Campin und sein Schüler Rogier van der Weyden realistische Darstellung von Landschaften, Innenräumen, Pflanzen, Stoffen und Gebrauchsgegenständen. Objekte wie Wasserbecken, Kanne, Liturgisches Gerät, Bücher, Blumenvasen etc. traten gruppiert als stilllebenhafte Partien in den Gemälden auf. Sie dienten neben anderen der Kennzeichnung von Heiligen, Märtyrern und Aposteln oder dem Transport einer symbolhaften Bedeutung. Beispiele sind in den Marienbildnissen die marianischen Symbole Lilie, Akelei und Iris zusammen mit Waschgeräten als Symbol für die Reinheit Marias. In einem weiteren Entwicklungsschritt bekamen diese Objekte eigene Bildfelder. Vor allem in der Eyck-Nachfolge kurz vor und um 1500 finden sich auf den Außenseiten privater Andachtsbilder derartige Elemente. Auch diese beziehen sich auf den Inhalt des Tafelbildes und haben einen symbolischen Charakter. Ein prominentes Beispiel ist das Braque-Triptychon von Rogier van der Weyden um 1450. Das dreiflügelige Tafelbild zeigt im geöffneten Zustand im Mittelteil Jesus Christus, flankiert von seiner Mutter Maria und dem jüngsten der Apostel, Johannes. Die Außenflügel zeigen jeweils Johannes den Täufer und Maria Magdalena. Im geschlossenen Zustand zeigt das Triptychon auf der linken Seite einen Schädel und auf der rechten Seite ein in Perspektive gesetztes Kreuz mit einem Zitat aus dem Buch Jesus Sirach. Der Schädel ist als Verweis auf die Vergänglichkeit (Memento mori) zu sehen. Daneben existieren auch Darstellungen von Blumenvasen auf den Außenseiten von Diptychen. Das früheste selbstständige Stillleben im weiteren Sinne ist jenes von Jacopo de’ Barbari: Das Gemälde Stillleben mit Rebhuhn, Eisenhandschuhen und Armbrustbolzen. Es handelt sich dabei nicht um ein Wandgemälde, sondern um eine stilllebenartige Darstellung (Trompe-l’œil) mit direktem funktionalem Zusammenhang. Das vom Künstler 1504 datierte Werk war vermutlich in die Wandverkleidung eines Jagdschlosses integriert. Weitere vergleichbare täuschend echt gemalte Stillleben zeigen teilweise geöffnete Schränke mit darin befindlichem Gerät – wie im Studiolo di Gubbio aus dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts, welches sich ehemals im Palazzo Ducale in Gubbio befand und nun im Metropolitan Museum of Art in New York betrachtet werden kann. Eine große Zahl früher Stilllebenmalerei entstand im Zuge des Forscher- und Entdeckerdrangs des 15. und 16. Jahrhunderts. Die Erforschung der den Menschen umgebenden Natur wurde Darstellungszweck detailgenauer Naturstudien. Derartige Zeichnungen und Aquarelle, wie sie auch Albrecht Dürer d. J. fertigte, wurden in aufwendigen Werken über Botanik und Zoologie gesammelt und verbreitet, was ab der Mitte des 15. Jahrhunderts durch die Erfindung des Buchdrucks noch erheblich zunahm. Diese Florilegien (Blumenbücher) sind Bindeglied zwischen naturkundlicher Abbildung und Stillleben. Sie dienten als Typenvorrat und ebneten als Vorstufe den Weg für detailreiche Gemälde, die später als Blumenstück oder Blumenstillleben ihren festen Platz in der Kunst haben sollten. Neben der Sammlung verschiedener Naturstudien in speziellen Kompendien existierten isoliert gesammelte Darstellungen von leblosen Dingen in Kunst- und Wunderkammern. Sie waren physische Vertretung der dargestellten Objekte. Überhaupt stieg durch das Interesse an der Natur und deren detailgetreue Wiedergabe das Vorkommen von Blumen und Früchten in Kunstwerken – besonders in der italienischen Feston- und Girlandenmalerei. Beispiele hierfür finden sich bei Andrea Mantegna, Carlo Crivelli, Leonardo da Vinci und Giovanni da Udine. Als direkte Vorstufe des autonomen Stilllebens – im Besonderen der Mahlzeitstillleben – dürfen die seit dem 16. Jahrhundert gefertigten Markt- und Küchenstücke angesehen werden. Pieter Aertsen und sein Neffe Joachim Beuckelaer fertigten Kunstwerke für profane Gebäude (Rathäuser und private Palais). Es sind philosophische Auslegungen der sichtbaren Welt, teilweise immer noch mit heilsgeschichtlichen Szenen im Bildhintergrund – oft ein moralischer Verweis wie der auf die gute Haushalts- und Lebensführung durch die Szene von Christus im Haus von Maria und Martha. Die Gemälde der Aertsen-Werkstatt spiegeln die zeitgenössische Ambivalenz zwischen der Freude an Reichtum und Wohlstand wider. Ein entsprechendes Beispiel ist Aertsens Gemälde von 1552 im Kunsthistorischen Museum in Wien. Es zeigt im Vordergrund ein Stillleben bestehend aus mehreren Objekten – darunter ein besonders großes Stück Fleisch und die moralisierende Szene von Christus bei Maria und Martha im Hintergrund. Erste autonome Stillleben um 1600 Einen auf das Jahr genauen Entstehungszeitpunkt gibt es nicht – auch kein eindeutiges Entstehungsland. Zu viele Stillleben sind verloren gegangen, besitzen keine eindeutige Datierung bzw. Signatur oder sind möglicherweise nicht bewusst als autonomes Werk geschaffen worden. Sicher ist, dass das Stillleben sich in Europa am Ende des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts als eigenständige Gattung zu formieren begann – ebenso wie die „reine“ Landschaftsmalerei. Gemälde, in denen die Darstellung von leblosen Objekten ausschließlich das Bildthema bestimmt, traten zuerst um 1600 in den Niederlanden, Deutschland, Spanien und Italien auf. Aus den Niederlanden kennt die Kunstgeschichte die frühesten Vanitas- und Mahlzeitstillleben und aus Italien die frühesten bekannten Früchtestillleben. Die Emanzipation des Stilllebens als autonome Gattung ist ein Nebeneinander verschiedener historischer und kunsthistorischer Entwicklungen und Errungenschaften – also nicht lediglich eine Geschichte der Verselbstständigung einzelner Motive aus der Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts. Sybille Ebert-Schifferer sieht vor allem den Ersatz der menschlichen Figur durch ein Objekt als Träger einer inhaltlichen Botschaft als Voraussetzung des autonomen Stilllebens. So war um 1600 der ideale Zeitpunkt für das Zusammentreffen von zwei wesentlichen Faktoren. Auf der einen Seite hatten die Künstler die technischen und kognitiven Fähigkeiten zur naturgetreuen Wiedergabe und auf der anderen Seite besaßen die Rezipienten die Fähigkeit zur intellektuellen Kombinatorik und Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Malerei als künstlerisches Phänomen. Hinzu kommt die Auflösung der Gilden, wodurch ein Kunstmarkt entstand, der diese Spezialisierungen erst möglich machte. Die Blütezeit im 17. und 18. Jahrhundert Niederlande, Flandern und Deutschland Im Zeitalter des Barock (etwa 1600–1770) erfuhr das Stillleben in Europa – im Besonderen in den nördlichen und den südlichen Provinzen der Niederlande – seine reichste Ausprägung. Dabei kann durchaus zwischen typisch holländischer und flämischer Stillebenmalerei unterschieden werden, beispielsweise gilt als typisch flämisch: „...Reichtum der Komposition, höchst dekorative Anordnung und Fülle der dargestellten Objekte, strahlende Farbigkeit...“. Es bildeten sich schnell verschiedene Unterarten der Stilllebenmalerei heraus, mit einer Spezialisierung einzelner Künstler und mit Zentren in den verschiedenen Städten. In Antwerpen und Haarlem wurde das Mahlzeitstillleben von Künstlern wie Clara Peeters, Osias Beert, Floris van Dyck, Pieter Claesz und Willem Claesz. Heda gepflegt. Antwerpen und Utrecht waren Zentren der Blumen- und Früchtestillleben. Hauptvertreter dieser Stilllebengattungen waren Jan Bruegel d. Ä., Daniel Seghers und Jan Davidsz. de Heem, sowie im frühen 18. Jahrhundert Rachel Ruysch und Jan van Huysum, die beide in Amsterdam lebten. Das Waldstillleben ist eine Sonderform des Blumenstilllebens und wurde von Otto Marseus van Schrieck gepflegt. In der Universitätsstadt Leiden malten Künstler wie David Bailly und die Brüder Harmen Steenwijck und Pieter Steenwijck das Bücher- und Vanitasstillleben. In Amsterdam widmeten sich Künstler wie Jan Jansz. Treck und Jan Jansz. van de Velde mit Vorliebe dem Raucherstillleben. Den Haag war durch Künstler wie Abraham van Beijeren für das Fischstillleben bekannt, während Frans Snyders, Adriaen van Utrecht und Jan Fyt berühmt für ihre Jagdstillleben waren. Als Weiterentwicklung des Mahlzeitenstilllebens in Kombination mit anderen Untergattungen entstand, angeregt durch die Kunst des Frans Snyders, die Gattung des Prunkstilllebens, als dessen Hauptmeister Abraham van Beijeren, Jan Davidsz. de Heem und Willem Kalf gelten. Eine seinerzeit beliebte Mischform von Stillleben und Historien- oder Porträtmalerei ist das Girlandenbild, das meistens in Kollaboration zweier Maler entstand, und vor allem im katholischen Flandern mit Zentrum in Antwerpen gepflegt wurde; Hauptvertreter waren Jan Brueghel d. Ä. und Daniel Seghers. Weitere bedeutende Meister der Stilllebenmalerei waren Nicolaes Gillis, Balthasar van der Ast, Jan Fyt und Willem van Aelst. In Frankfurt/Hanau gab es im frühen 17. Jahrhundert eine Stillleben-Szene, die durch ausgewanderte Niederländer wie Lucas van Valckenborch begründet wurde. Ihr gehörten Maler wie sein Schüler Daniel Soreau, dessen Söhne und Schüler Isaak und Peter, Sebastian Stoskopff, Peter Binoit, Franz Godin und Georg Flegel an. Ihre Kunst stand unter starkem flämischen bzw. niederländischen Einfluss. Das Stillleben hatte während seiner Blütezeit im 17. Jahrhundert mit der perfekten Täuschung der Wahrnehmung, kulminierend im Trompe-l’œil auch seinen mimetischen Höhepunkt. Anliegen der Maler war es, einerseits Objekte der Natur und des alltäglichen Lebens in ihrer Schönheit zu erfassen und wiederzugeben und andererseits häufig auch eine verschlüsselte Botschaft, einen gedanklichen Inhalt, zu vermitteln. Dabei ist eine pauschale Aussage über versteckte Hinweise in Stillleben nicht möglich, da dies von individuellen Faktoren wie dem Entstehungszeitpunkt, der Bildung bzw. Religiosität des Künstlers und der Rezipienten sowie von den entsprechenden verwendeten Objekten bzw. Symbolen abhängig ist. Es ist von einer ernst gemeinten moralischen Lehre, über einen nur globalen Verweis auf etwaige Inhalte oder Vorstellungen bis hin zu gar keinem Hinweis auf eine besondere Bedeutung alles möglich. Die Verschlüsselung bestimmter (moralischer) Botschaften durch Symbole verblasste um die Mitte des 17. Jahrhunderts und ordnete sich einem primär dekorativen und repräsentativen Selbstzweck unter. Diese Gemälde des späten 17. und 18. Jahrhunderts stehen am Ende der Entwicklung des barocken Stilllebens. Mit der künstlerischen Produktion und der Achtung, die dem Kunstwerk entgegengebracht wurde, stieg auch das Selbstverständnis des Künstlers. Einige Maler von Stillleben waren im Zuge dieser Entwicklung hochbezahlte Hofmaler, andere wiederum mussten sich stets ihren Platz auf dem freien Kunstmarkt erkämpfen. Bei vielen Künstlern in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts reichte das Künstlerhandwerk nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts, so dass sie einem weiteren Beruf nachgehen mussten. Der Verkauf der Gemälde, wenn sie nicht für einen speziellen Auftraggeber gefertigt wurden, erfolgte über Händler, Jahrmärkte, Buchhandlungen und direkt aus dem Atelier heraus. Italien Natürlich wirkende Dekorationen aus Früchten hatte bereits Giovanni da Udine in der Villa Farnesina zu Beginn des 16. Jahrhunderts geschaffen. Eine wichtige Rolle in der italienischen Stilllebenmalerei wird Caravaggio zugeschrieben, der abgesehen von einem berühmten, nicht genau datierbaren Früchtekorb (Pinacoteca Ambrosiana, Mailand), zwar auch in einigen Genrebildern einige meisterhaft dargestellte Früchte malte, jedoch ansonsten offenbar keine eigenständigen Stillleben schuf. Obwohl sein Einfluss auf die Gattung damit eher verschwommen bleibt, wird manchmal von einer „caravaggistischen“ Strömung des Stilllebens gesprochen, die in einer naturalistischen Darstellung vor sehr dunklen, tenebristischen Hintergründen besteht. In Italien waren in erster Linie Früchte- und Blumen-Stillleben beliebt, aber auch Abbildungen toter Tiere. Es sind zahlreiche anonyme Gemälde erhalten, was mit der relativen Geringschätzung zusammenhängt, die man besonders in Italien der gesamten Gattung – im Gegensatz zur Historienmalerei – entgegenbrachte. Die italienische Stilllebenmalerei wurde bis in die Gegenwart wenig beachtet, hatte aber bedeutende Querverbindungen zu anderen Ländern, u. a. da hier traditionell zumindest vorübergehend auch viele Maler aus Flandern oder Frankreich wirkten, von denen einige dauerhaft dort lebten. Beispielsweise hielten sich bedeutende flämische Stilllebenmaler wie Jan Brueghel d. Ä., Frans Snyders, Jan Fyt und Willem van Aelst jahrelang in Italien auf. Der Franzose Nicolas Baudesson und der einflussreiche Flame Abraham Brueghel lebten jahrzehntelang in Rom bzw. Neapel. Wenig erforscht sind die Verbindungen zur spanischen Malerei, die aber wahrscheinlich besonders für das seinerzeit unter spanischer Herrschaft stehende Neapel eine Rolle spielen, von wo allgemein häufig Gemälde nach Spanien importiert wurden. Italienische Zentren der Stilllebenmalerei waren Rom, die Lombardei, Neapel und Florenz. Bedeutende frühe Meister der lombardischen Schule waren Fede Galizia, Ambrogio Figino und Panfilo Nuvolone. Evaristo Baschenis ist für seine Stillleben von Musikinstrumenten und anderen Geräten bekannt, die auch einen eindeutigen symbolischen Vanitas-Hintergrund haben. In Rom wirkten als bedeutende Hauptvertreter Pietro Paolo Bonzi, Michele Pace (genannt Michelangelo del Campidoglio) und Mario Nuzzi, gen. Mario de’ Fiori. Insbesondere Mario de’ Fiori war seinerzeit außerordentlich berühmt und spielte auch auf internationalem Niveau eine bedeutende Rolle in der stilistischen Entwicklung vom naturalistischen frühbarocken zum dekorativen und prunkvollen hochbarocken Stillleben, wobei das rein Malerische stärker betont ist, während die getreue Naturnachahmung mehr in den Hintergrund rückt. Einer der ersten florentinischen Stilllebenmaler war Jacopo da Empoli, der vor allem Küchenstillleben oder Speisekammern malte. Weitere bekannte Maler, die in Florenz wirkten, waren Giovanna Garzoni, Filippo Napoletano, Bartolomeo Bimbi und Andrea Scacciati. Cristoforo Munari ist, ähnlich wie Baschenis, vor allem als Maler von Musikinstrumenten und anderen Gegenständen bekannt. Als besonders bedeutend gilt die neapolitanische Schule der Stilllebenmalerei mit Luca Forte, Giovan Battista Recco, Giuseppe Recco, Giovan Battista Ruoppolo, Andrea Belvedere und Paolo Porpora als wichtigen Vertretern. In Neapel wurden relativ häufig Stillleben mit Fisch- und Meeresfrüchten gepflegt, aber ebenso auch Früchte und Blumen gemalt. Porpora gehörte – auf internationalem Niveau – zu den ersten und bedeutendsten Vertretern des Waldstilllebens (ital. Sottobosco). Im 18. Jahrhundert können die betont einfachen, schlichten und rustikalen Stillleben von Giacomo Ceruti mit denjenigen von Chardin in Frankreich und Meléndez in Spanien verglichen werden. Spanien Als direkte Vorläufer der Stilllebenmalerei in Spanien gilt eine von Julio de Aquiles und Alejandro Mayner um 1535 geschaffene und teilweise verlorene Dekoration in der Sala de Frutas (Früchtesaal) im Palast Karls V. auf der Alhambra. Die ersten spanischen Maler autonomer Stillleben – die in Spanien auch als Bodegón bezeichnet werden – waren Blas de Ledesma und Antonio Mohedano (ca. 1561–1626), die ebenfalls in erster Linie Früchte und Gemüse malten. Die bedeutendsten Künstler der Gattung im frühen 17. Jahrhundert waren Juan Sanchez Cotán in Toledo und Juan van der Hamen y Leon in Madrid, die einen typisch spanischen Stil von großer formaler Strenge und Klarheit pflegten. Typisch für Cotán sind steinerne Nischen, in denen jeweils nur wenige Objekte hängen oder liegen, während Van der Hamen sehr vielseitig war und Blumen, Früchte, Geflügel, toten Fisch, Käse, Süßigkeiten, Geschirr und andere Gefäße malte, oft auf verschiedenen Ebenen oder teilweise als gedeckter Tisch. Es entstand schnell ein großer Bedarf und ein Markt von entsprechenden Gemälden, auch in bürgerlichen Schichten. Die formale Strenge wurde in der Folge von Malern wie Antonio Ponce nicht völlig aufgegeben, aber deutlich gelockert. Einen sehr eigenen Stil verfolgte der vor allem für seine Weintrauben-Bilder bekannte El Labrador, der auch außerhalb Spaniens einen gewissen Ruf hatte. Der bedeutendste Stilllebenmaler im Umkreis des königlichen Hofes in Madrid in der Mitte des 17. Jahrhunderts war Antonio de Pereda, der in einem weicheren, malerischen Stil arbeitete, der bereits hochbarock wirkt, ohne dabei rein dekorativ zu sein. Pereda ist unter anderem für Vanitas-Stillleben bekannt. Juan de Arellano machte im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts mit seinen dekorativen Blumenstillleben Furore, die formal von dem Römer Mario de’ Fiori beeinflusst sind und sich durch eine kraftvolle Farbigkeit mit leuchtenden Primärfarben (Rot, Gelb, Blau) auszeichnen; sein wichtigster Nachfolger war Bartolomé Pérez. Auch in Spanien gab es verschiedene regionale Strömungen von eigenem Charakter. In Sevilla waren Francisco de Zurbarán und sein Sohn Juan sowie in der Folge Pedro de Camprobín die bedeutendsten Stilllebenmaler. Eine unabhängige Schule der Stilllebenmalerei gab es außerdem in Valencia und Umgebung mit Tomás Yepes als Hauptmeister. Um 1700 kam es auch in Spanien zu einer Krise, die unter anderem durch den Export vieler italienischer Stillleben ausgelöst wurde. Erst in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es noch einmal eine Blüte mit Luis Meléndez, der auf der naturalistischen Tradition des frühen 17. Jahrhunderts aufbaute und bis zu einem gewissen Grade mit dem Italiener Giacomo Ceruti und dem Franzosen Chardin verglichen werden kann. Frankreich Im frühbarocken Frankreich, mit Zentrum in Paris, entwickelte sich etwas später als in anderen Ländern eine eigenständige Stilllebenmalerei, die auch Inspirationen von flämischen, italienischen und möglicherweise auch spanischen Künstlern aufnahm. Erste Maler des Genres in Frankreich waren Sébastien Stoskopf, Lubin Baugin, Pierre Dupuis und Louise Moillon, die einen relativ asketischen, zurückhaltenden Stil pflegten. Beliebt waren vor allem Blumen- und/oder Früchte-Stillleben, seltener auch Mahlzeiten- und Vanitas-Stillleben. Nach 1650–60, zur Zeit Ludwigs XIV., entwickelte sich, wie im übrigen Europa, ein üppigerer, dekorativer Stil, dessen Hauptvertreter Jean Michel Picart und in der Folge vor allem Jean-Baptiste Monnoyer und Jean-Baptiste Belin waren. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts kam es zunächst zu einem Qualitätsverlust des Genres. Dies änderte sich erst durch das Wirken von Jean Siméon Chardin, der von 1699 bis 1779 lebte. Er war ein Maler der Aufklärung, der die Abkehr von der Scheinhaftigkeit und Vordergründigkeit der höfischen Lebensweise hin zu einer schlichten Natürlichkeit verdeutlichte. Chardin öffnete den Blick für ein Leben jenseits der aristokratischen Leichtlebigkeit und der frivolen Spielerei. An die Stelle des prunkvollen barocken Stilllebens mit seiner symbolischen Bedeutung setzte Chardin das bürgerliche Gerät des Alltags. Die Farbigkeit seiner streng aufgebauten Werke und sein aufgelöster Farbauftrag wurden von den Impressionisten als vorbildlich angesehen. Eine bedeutende und vielseitige Stilllebenmalerin gegen Ende des 18. Jahrhunderts war Anne Vallayer-Coster. 19. und 20. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert kam das Stillleben wieder sehr in Mode, in Frankreich besonders durch Jean-Baptiste Robie (1821–1910), Antoine Vollon, Philippe Rousseau und Henri Fantin-Latour. Die Impressionisten konzentrierten sich in ihren Stillleben nicht mehr auf die möglichst genaue naturalistische Wiedergabe der Objekte, sondern erzeugten durch malerische Effekte eher eine poetische Vision oder eine Farbsymphonie. Auch wählten sie nicht selten ungewöhnliche oder überraschende Ansichten. Eine bedeutende Rolle spielen Stillleben im Werk von Édouard Manet, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Vincent van Gogh. In Deutschland waren es Johann Wilhelm Preyer, seine Tochter Emilie sowie Jakob Lehnen (Mitglieder der Düsseldorfer Malerschule), die Berliner Charles Hoguet, Paul Meyerheim, Hertel, Theude und René Grönland, Friedrich Heimerdinger (Hamburg). Als Frauen waren beteiligt die Malerinnen Luise Begas-Parmentier, Hermione von Preuschen, Margarethe Hormuth-Kallmorgen und Elise Hedinger (1854–1923). Im späten 19. und dem 20. Jahrhundert haben u. a. Paul Cézanne, Georges Braque, Juan Gris, Max Beckmann, Paula Modersohn-Becker, Giorgio Morandi, Georgia O’Keeffe, Horst Janssen, Berthe Art und Eberhard Schlotter dieses Genre aufgegriffen. Dabei kam es häufig zu einer starken formalen Vereinfachung und Abstraktion der Formen, die jenseits der ursprünglichen Zielsetzung des Genres – der Nachahmung der Natur – liegen. Fotografische Stillleben Fotografische Stillleben werden meist mit ihrem englischen Namen „still-life photography“ bezeichnet. Darunter versteht man die Aufnahme von Gegenständen. Neben den künstlerischen Still-Life-Aufnahmen gibt es als eigene Gruppe rein technische Sach- oder Produktaufnahmen, wie man sie häufig in der so genannten „angewandten Fotografie“ (z. B. Werbung) antrifft. Fotografische Stillleben wurden u. a. durch John Blakemore, Imogen Cunningham, Robert Mapplethorpe, Tina Modotti und David LaChapelle geschaffen. Siehe auch Tabletop-Fotografie Literatur Nachschlagewerke Meisterwerke des Stilllebens. Kleine digitale Bibliothek. Bd. 27. CD-ROM, Directmedia Publishing, Berlin 2007, Digitale Bibliothek, ISBN 978-3-89853-327-0. Hermain Bazin, Horst Gerson, Rolf Linnenkamp u. a.: Kindlers Malerei-Lexikon. Bd. 11. Kindler, Zürich 1985, S. 282–286. Allgemeines Künstlerlexikon (AKL). Die Bildenden Künstler aller Zeiten und Völker. K. G. Saur, München/ Leipzig 1991ff. ISBN 3-598-22740-X. Walther Bernt: Die niederländischen Maler des 17. Jahrhunderts. 800 Künstler mit 1470 Abb. 3 Bd. Münchner Verlag, München 19XX. Erika Gemar-Költzsch: Holländische Stillebenmaler im 17. Jahrhundert. Luca-Verlag, Lingen 1995, ISBN 3-923641-41-9. Fred G. Meijer, Adriaan van der Willigen: A dictionary of Dutch and Flemish still-life painters working in oils. 1525–1725. Primavera Press, Leiden 2003, ISBN 90-74310-85-0. Wolf Stadler u. a.: Lexikon der Kunst. Malerei, Architektur, Bildhauerei. Bd. 11. Karl Müller Verlag, Erlangen 1994, S. 167–176. Gerhard Strauss, Harald Olbrich: Lexikon der Kunst. Architektur, bildende Kunst, angewandte Kunst, Industrieformgestaltung, Kunsttheorie. Bd. 7. Seemann, Leipzig 1994, S. 64–67. Ulrich Thieme, Felix Becker (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart. Leipzig 1907 bis 1950. Hans Vollmer: Allgemeinem Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts ergänzt. Leipzig 1953 bis 1962. Monografien und Ausstellungskataloge Ingvar Bergström: Dutch still-life painting in the seventeenth century. Aus dem Schwedischen von Christina Hedström und Gerald Taylor. Faber & Faber, London 1956. Uta Bernsmeier (Hrsg.): Stilleben in Europa. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kunstgeschichte, Münster, 25.11.1979–24.2.1980. Staatliche Kunsthalle Baden-Baden, 15.3.–15.6.1980 (Ausstellungskatalog). Münster 1979. Gianluca & Ulisse Bocchi: Pittori di natura morta a Roma : artisti stranieri 1630–1750 = Still life painters in Rome : foreign artists 1630–1750, Arti Grafiche Castello, Viadana, 2004. Laurens Bol: Holländische Maler des 17. Jahrhunderts, nahe den großen Meistern: Landschaften und Stilleben. Klinkhardt & Biermann, Braunschweig 1969. Luca Bortolotti: La natura morta - storia, artisti, opere, Giunti Editore, Prato, 2003. Éric Coatalem, Florence Thiéblot: La nature morte française au XVIIe siècle = 17th-century still-life painting in France, Faton (Verlag), Dijon, 2014. Véronique Damian et al.: L’oeil gourmand, percorso nella natura morta napoletana del XVII secolo (Ausstellungskatalog), Galerie Canesso, Paris 2007. Pamela Hibbs Decoteau: Clara Peeters: 1594 – ca. 1640, and the development of still-life painting in northern Europe. Luca-Verlag, Lingen 1992, ISBN 3-923641-38-9. 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Q170571
111.924327
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https://de.wikipedia.org/wiki/IATA-Flughafencode
IATA-Flughafencode
Der IATA-Flughafencode (engl. IATA airport code oder manchmal auch IATA (Airport) Three Letter Code, (AP)3LC) ist ein von der International Air Transport Association (IATA) entwickelter Code zur eindeutigen Kennzeichnung von Flugplätzen. Er besteht aus einer Kombination von jeweils drei alphabetischen Zeichen. Beispielsweise steht MUC für den Flughafen München, AGB für den Verkehrslandeplatz Augsburg oder VIE für den Flughafen Wien-Schwechat. Parallel dazu werden – ebenfalls weltweit – die ICAO-Flugplatzcodes verwendet, die aus vier Buchstaben bestehen. Für Flughäfen in den Vereinigten Staaten vergibt die US-amerikanische Federal Aviation Administration (FAA) ebenfalls Drei-Buchstaben-Codes. Diese FAA-Codes sind meist identisch mit dem IATA-Code, weichen jedoch auch in mehreren Fällen ab. Die Abweichungen entsprechen mehrheitlich den letzten drei Buchstaben des ICAO-Codes. Neben den Drei-Buchstaben-Codes für Flugplätze gibt es auch IATA-Codes für Flugzeugtypen (drei alphanumerische Zeichen) und Fluggesellschaften (zwei alphanumerische Zeichen). Verwendung Oberstes Ziel der IATA ist die Vereinheitlichung aller Abfertigungsschritte, die bei der Beförderung von Passagieren und Fracht in Betracht kommen. Ein Beispiel für die Anwendung der Flughafencodes ist die Kennzeichnung des Gepäcks, das beim Check-in jeweils mit dem Code des Zielflughafens versehen wird. Bei Städten mit mehreren Flughäfen werden logische Gruppierungen, sogenannte Metropolitan Areas mit einem eigenen Flughafencode gebildet. Metropolitan Area Berlin (BER): Schönefeld (SXF) und Berlin-Brandenburg (BER), früher auch der Flughafen Tempelhof (THF) und der Flughafen Tegel (TXL) Metropolitan Area New York City (NYC): John F. Kennedy International Airport (JFK), Newark (EWR) und LaGuardia (LGA) Metropolitan Area London (LON): Heathrow (LHR), Gatwick (LGW), London-City (LCY), Stansted (STN), Luton (LTN) und Southend (SEN) Diese Zusammenfassung von mehreren Flughäfen in einer Stadt wird unter anderem bei der Flugbuchung benutzt, wenn zwar die Stadt vorgegeben werden soll, der exakte Flughafen aber zweitrangig ist. Der EuroAirport Basel Mulhouse Freiburg (EAP) kann dazu gezählt werden, ist aber ein Spezialfall mit drei Kennzeichnungen: neben EAP auch BSL (Basel) in der Schweiz und MLH (Mülhausen) in Frankreich; Distanz: 2 Minuten zu Fuß. Ein Flug von MLH nach Paris gilt als Inlandsflug, wohingegen derselbe Flug von BSL nach Paris einen internationalen Flug darstellt. Einigen anderen wichtigen Verkehrsknotenpunkten, wie Bahnhöfen oder Schiffsfährhäfen, werden ebenfalls IATA-Flughafencodes zugewiesen (ZLP für Zürich Hauptbahnhof oder ZDH für den Bahnhof Basel SBB). Aufbau Oft ist dieser Code konventionell und leicht erkennbar (zum Beispiel FRA = Flughafen Frankfurt/Main), auch wenn die Kürzel überwiegend aus der englischen Schreibweise abgeleitet sind (zum Beispiel CGN = Cologne = Köln). Einige Codes gehen auf frühere Städtenamen zurück. Beispiele sind LED für den Flughafen Pulkowo nahe Sankt Petersburg (früher „Leningrad“) und MAA für den Flughafen Chennai (früher „Madras“). Wenn große Flughäfen einen markanten Eigennamen besitzen, steht dieser oft als Pate dafür (z. B. London Heathrow = LHR, Charles de Gaulle in Paris = CDG). Diese Methode wird vor allem dann angewandt, wenn Flughäfen mit ansonsten ähnlich lautenden, daher verwechselbaren IATA-Flughafen-Codes in geringem Abstand zueinander liegen. Zum Beispiel hat der Flughafen Chicago O’Hare den IATA-Flughafencode ORD von seinem früheren Namen (Orchard Place Airport). Es gibt weitere Systematiken. So werden alle kanadischen Großflughäfen mit einem „Y“ an erster Stelle bezeichnet und einige Bahnhöfe beginnen mit einem Q. So heißt zum Beispiel der Hauptbahnhof der Stadt Saarbrücken „QFZ“. Noch häufiger als Q (24-mal) beginnen die Codes von Bahnhöfen mit Z (44) und X (52) (Stand 22. Mai 2022). Geschichte In den 1930er-Jahren begannen Piloten in den USA, Flughäfen mit den 2-Buchstaben-Kürzeln des National Weather Service zu benennen. In den 1940ern begann die Anzahl der Flughäfen die Ausdrucksmöglichkeiten (26 × 26 = 676) zu übersteigen. Die Fluggesellschaften begannen daher ein Codeformat mit 3 Buchstaben. Bisherige 2er-Codes wurden mitunter hinten mit einem X ergänzt. (LA für Los Angeles wurde zu LAX.) IATA legte in den 1960ern die 3-stelligen Codes fest. Mit ihnen sind maximal 26 × 26 × 26 = 17.576 Objekte bezeichenbar. Tatsächlich verwaltet IATA etwa 11.000 3er-Codes für Locations. Darunter 8.965 Flughäfen, 816 Bahnhöfe, 235 Busterminals, 151 Heliports und 64 Fährterminals (Stand 2021). Ein IATA-Code kann von einem alten ersetzten Flughafen auf einen neuen übergehen und umgekehrt. Das erfolgte beim Flughafen Istanbul (ISL, dann IST), als der alte Flughafen Atatürk (IST, dann ISL) den Linienpassagierverkehr einstellte, doch weiterhin für Frachtverkehr dient. Tatsächlich existieren weltweit heute etwa 40.000 Flughäfen, die vollständig und eineindeutig mit 4 Buchstaben als ICAO-Code bezeichnet werden. Übersicht (Listen) Siehe auch Liste der Flugzeugtypencodes Liste der IATA-Airline-Codes Liste der IATA-Bahnhofs-Codes IATA-Code Weblinks Airline and Location Code Search Code-Datenbank der IATA Einzelnachweise Flughafencode ! Kodierung
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322.414423
724368
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftsverband
Wirtschaftsverband
Der Wirtschaftsverband ist eine Vereinigung von Unternehmen mit freiwilliger Mitgliedschaft zum Schutze und zur Förderung ihrer gemeinschaftlichen Interessen. Er ist damit auch ein Interessenverband. Allgemeines Ein Wirtschaftsverband vertritt die Interessen der Unternehmen seines satzungsmäßigen Zuständigkeitsbereichs. Er muss nicht notwendigerweise ein Verband sein, sondern kann auch als Zweckgemeinschaft, eingetragener Verein oder Verbund organisiert sein. Wirtschaftsverbände nennt man auch Branchenverband, insbesondere als Dachverband der Branche; daneben gibt es z. B. auch regionale Wirtschaftsverbände, politische Wirtschaftsverbände (parteigebundene Verbände) und Unternehmensgröße (z. B. Mittelstand). Der Bundesgerichtshofs (BGH) stellte 1956 klar, dass ein Wirtschaftsverband der die Interessen der Unternehmen eines bestimmten Gewerbe- oder Handelszweiges vertritt, nicht ohne triftigen Grund Unternehmen der betreffenden Branche die Mitgliedschaft verweigern kann. Organisation Die Mitgliedschaft in Wirtschaftsverbänden ist, im Gegensatz zur IHK, freiwillig. Die Verbände sind nach Wirtschaftszweigen gegliedert und in Spitzenverbänden wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie und dem Handelsverband Deutschland zusammengefasst. Daneben haben sich auch branchenübergreifend Interessenvertretungen des Mittelstandes etabliert, wie etwa der Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) oder der Verband der Familienunternehmer (Die Familienunternehmer – ASU). Teilweise sind die Verbände auch als Arbeitgeberverband Tarifpartner. Im Handwerksbereich entsprechen die Innungen den Wirtschaftsfachverbänden. Die bestehenden Wirtschaftsverbände wie etwa Wirtschaftsverband Erdöl- und Erdgasgewinnung, Wirtschaftsverband Großhandel Metallhalbzeug, Wirtschaftsverband Industrieller Unternehmen Baden oder Wirtschaftsverband Textil Service sind ausschließlich als eingetragener Verein organisiert, die angeschlossenen Unternehmen sind deshalb Vereinsmitglieder. Diese nehmen ihre Rechte in der Mitgliederversammlung wahr, die als oberstes Organ den Vorstand bestellt und abberuft. Aufgaben Zu den Aufgaben der Wirtschaftsverbände gehören typischerweise eine Interessenvertretung der Mitgliedsunternehmen/Branchen gegenüber staatlichen Stellen zu sein, gemeinsame technische und rechtliche Standards der Branche zu erarbeiten, Unterstützung und Beratung der Mitgliedsunternehmen anzubieten und Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben. Oftmals sind die Wirtschaftsverbände auch Träger der Organisation zur Ausbildung der Unternehmensmitarbeiter und der berufsständischen Versorgungswerke. Literatur Hans-Jürgen Zechlin: Verbandsmanagement im Strukturwandel. Fossil-Verlag 1999, ISBN 3-931959-25-2. Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels (Hrsg.): Handbuch Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände in Deutschland. Verlag für Sozialwissenschaften, 2010, ISBN 978-3-531-14195-4. Einzelnachweise Vereinstyp
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95.290627
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https://de.wikipedia.org/wiki/1987
1987
Jahreswidmungen 1987 ist „Internationales Jahr zur Beschaffung von Unterkünften für Obdachlose“. Das Braunkehlchen (lat. Saxicola rubetra) ist Vogel des Jahres (NABU/Deutschland). Ereignisse Politik und Weltgeschehen 1. Januar: Das Stockholmer Dokument der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KVAE) tritt in Kraft. Es ist das erste multilaterale Rüstungskontrollvereinbarung in Europa seit der KSZE im August 1975. 1. Januar: Pierre Aubert wird erneut Bundespräsident der Schweiz. 1. Januar: Radio Moskau sendet in Russland die Neujahrsansprache des US-Präsidenten Ronald Reagan an das sowjetische Volk. 1. Januar: Die ARD strahlt heute die richtige Neujahrsansprache von Bundeskanzler Helmut Kohl für das Jahr 1987 aus, nachdem die Fernsehanstalt am Silvesterabend 1986 versehentlich die Ansprache vom Vorjahr, also vom 31. Dezember 1985 für das Jahr 1986, ausgestrahlt hatte. 1. Januar: In der Bundesrepublik Deutschland werden mit dem Terrorismusbekämpfungsgesetz (TerrBG) die Katalogstraftaten nach § 129a StGB verschärft und die Kompetenzen der Oberlandesgerichte und des Generalbundesanwalts bei der Strafverfolgung erweitert. 16. Januar: Michel Camdessus, Frankreich, wird Direktor des Internationalen Währungsfonds. 25. Januar: Bei der Bundestagswahl in Deutschland wird die Regierungskoalition aus CDU/CSU und FDP in ihrem Amt bestätigt. 27. Januar: Michail Gorbatschow kündigt auf dem Plenum des Zentralkomitees der KPdSU die als Perestroika bekannt gewordenen Reformen in der UdSSR an. 18. März: Beim Anschlag von Dschibuti wurden 13 Personen getötet, darunter vier deutsche Meeresforscher. 23. März: Willy Brandt gibt seinen vorzeitigen Rücktritt als SPD-Parteivorsitzender bekannt. Zu seinem Nachfolger wird Hans-Jochen Vogel gewählt. 16. April: Eine Sendung des Schwedischen Rundfunks deckt den Bofors-Skandal auf. Bei einem Rüstungsgeschäft mit dem schwedischen Unternehmen Bofors sollen Schmiergelder in Millionenhöhe an Politiker in Indien geflossen sein. 20. April: Antrag der Türkei auf EG-Mitgliedschaft, der Europäische Rat bestätigt diesen Antrag aber erst 1997. 1. Mai: Der Privatsender Eureka TV beginnt den Sendebetrieb; aus ihm wird am 1. Januar 1989 ProSieben. 4. Mai: Papst Johannes Paul II. weilt in Augsburg, besucht die Basilika St. Ulrich und Afra zum Gebet und nimmt die Benediktion des Priesterseminars vor. 28. Mai: Mathias Rust landet am Tag der Grenzstreitkräfte mit einer Cessna auf dem Roten Platz in Moskau. Daraufhin werden einige altgediente, hohe Militärs vorzeitig pensioniert und die Perestroika auch in der Armee vorangetrieben. 3. Juni: Erster Staatsbesuch von Erich Honecker (DDR) in den Niederlanden. 10. Juni: Der südkoreanische Präsident Chun Doo-hwan nominiert Roh Tae-woo für seine Nachfolge. Daraufhin kommt es zu Demonstrationen für freie Wahlen. Diese sollten den Weg für die Demokratisierung Südkoreas ebnen. 11. Juni: Bei der Unterhauswahl in Großbritannien wird Margaret Thatcher für eine dritte Amtszeit zur Premierministerin ernannt. 12. Juni: US-Präsident Ronald Reagan reist zur 750-Jahr-Feier nach West-Berlin. In seiner öffentlichen Rede vor dem Brandenburger Tor fordert er den sowjetischen Parteichef Michail Gorbatschow auf, die Mauer niederzureißen, und schlägt vor, Olympische Spiele in beiden Teilen der Stadt abzuhalten. 14./15. Juni: Parlamentswahlen in Italien 19. Juni: Bei einem Bombenanschlag der ETA auf ein Kaufhaus in Barcelona kommen 18 Menschen ums Leben. 29. Juni: Nach wochenlangen Protesten erklärt Roh Tae-woo erneut freie Präsidentschaftswahlen in Südkorea und Amnestie für Kim Dae-jung, der unter Hausarrest stand. 11. Juli: Parlamentswahlen in Australien 13. Juli: Bei der Präsidentschaftswahl in Indien wird R. Venkataraman mit großer Mehrheit gewählt. Das Wahlergebnis wird am 16. Juli 1987 bekanntgegeben. 14. Juli: In der Republik China (Taiwan) endet der seit 38 Jahren geltende Ausnahmezustand. 19. Juli: Parlamentswahlen in Portugal. Den Sozialdemokraten von Ministerpräsident Aníbal Cavaco Silva gelingt es als erster Partei in der Geschichte der Dritten Republik, eine absolute Mehrheit zu erringen. 17. August: Der frühere Hitler-Stellvertreter und letzte Häftling im Kriegsverbrechergefängnis Spandau, Rudolf Heß, tötet sich nach Angaben der Gefängnisleitung selbst. Die Familie äußert Zweifel zum ersten Obduktionsbericht vom selben Tag. 19. August: Ein Arbeitsloser tötet beim Amoklauf von Hungerford 16 Menschen und verletzt mindestens 13 weitere, ehe er sich selbst erschießt. 26. August: Die deutsche Bundesregierung beschließt, das Begrüßungsgeld für Besucher aus der DDR von zweimal 30 DM auf einmal 100 DM pro Person pro Jahr anzuheben. Eine Kürzung des gestatteten Höchstbetrages beim DM-Kauf durch die DDR soll damit ausgeglichen werden. 26. August: Die Bundesrepublik Deutschland verzichtet auf eine Modernisierung der Pershing I/IA (MGM-31A)-Kurzstreckenrakete, deren Nuklearsprengköpfe im Rahmen der Nuklearen Teilhabe unter der Kontrolle der US-Streitkräfte stehen. 28. August: Zeitungen nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR drucken ein von SED- und SPD-Denkern verfasstes Grundsatzpapier („Dialogpapier“, Titel: Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit). Die SPD konnte Formulierungen zur Diskussionsfreiheit durchdrücken – was einige Kritiker in der DDR ab dann für sich als Recht reklamieren. 3. September: Militärputsch in Burundi 7. September: Erich Honecker besucht als erster DDR-Staatschef die Bundesrepublik Deutschland. 12. September: Beginn der Barschel-Affäre: Einen Tag vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein meldet der Spiegel, Ministerpräsident Uwe Barschel habe den SPD-Spitzenkandidaten Björn Engholm bespitzeln lassen. 28. September: Der Goiânia-Unfall kommt ans Licht. Als eine Frau einem Arzt in der brasilianischen Stadt Goiânia einen Behälter ins Krankenhaus bringt, vermutet der Mediziner radioaktive Einflüsse bei mehreren erkrankten Menschen. Sie waren Strahlendosen des Stoffes Caesium-137 ausgesetzt, wie sich ergibt. 2. Oktober: Die Bundesrepublik Deutschland und die Sozialistische Volksrepublik Albanien nehmen diplomatische Beziehungen auf. 11. Oktober: Uwe Barschel, der frühere Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, stirbt in einem Hotelzimmer in Genf; nach mehrfach bestätigten offiziellen Angaben durch Suizid. Zuvor hatte die Barschel-Affäre Schlagzeilen gemacht. 15. Oktober: Blaise Compaoré wird Staats- und Regierungschef von Burkina Faso. 20. Oktober: Aruba wird assoziiertes Mitglied in der UNESCO. 1. November: Loja Dschirga verabschiedet die Verfassung der „Republik Afghanistan“ und wählt Generalsekretär Mohammed Nadschibullāh zum Staatspräsidenten. 2. November: An der Startbahn West werden zwei Polizeibeamte erschossen. Die Auseinandersetzungen um die Startbahn am Flughafen Frankfurt Main erreichten ihren Höhepunkt. 5. November: Spanien unterzeichnet den Atomwaffensperrvertrag. 7. November: Zine el-Abidine Ben Ali wird Staatspräsident Tunesiens. 16. November: Roman Herzog tritt als neuer Präsident des Bundesverfassungsgerichts die Nachfolge von Wolfgang Zeidler an. 6. Dezember: In der Schweiz wird die Volksinitiative zum Schutz der Moore („Rothenthurm-Initiative“) angenommen. 8. Dezember: Der sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow und US-Präsident Ronald Reagan unterzeichnen in Washington, D.C. den INF-Vertrag über den vollständigen Abbau aller nuklearen Mittelstreckenwaffen kürzerer und längerer Reichweite (zwischen 500 und 5500 km). 8. Dezember: Beginn der ersten Intifada 11. Dezember: Ein Anschlag der ETA auf eine Kaserne der Guardia Civil in Saragossa fordert elf Todesopfer. 11. Dezember: John Philip Sousas Komposition Stars and Stripes Forever aus dem Jahr 1896 wird gesetzlich zum offiziellen Nationalmarsch der Vereinigten Staaten. 11. Dezember: Der deutsche Verteidigungsminister Manfred Wörner wird von der NATO zu ihrem Generalsekretär bestimmt. 13. Dezember: Parlamentswahlen in Belgien 31. Dezember: Robert Gabriel Mugabe wird zum Staatsoberhaupt in Simbabwe. Wirtschaft 22. Februar: Die G7-Staaten einigen sich in Paris auf das Louvre-Abkommen, das die Wechselkurse stabilisieren soll. 12. März: Der EuGH verurteilt die Bundesrepublik Deutschland, das Inverkehrbringen von Bier, das in einem anderen EG-Mitgliedstaat rechtmäßig gebraut wurde, zuzulassen, auch wenn dieses nicht dem deutschen Reinheitsgebot entspricht. (EuGH, Rs. 178/84; Klage der EG-Kommission vom 6. Juli 1984) 26. März: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jugoslawien 5. Mai: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Uruguay 2. Juni: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Bulgarien 1. Juli: Die Einheitliche Europäische Akte zur Schaffung des europäischen Binnenmarkts tritt in Kraft. 28. Juli: Der Bericht des ARD-Fernsehmagazins Monitor über Würmer in Fischdosen löst einen rapiden Nachfragerückgang beim Kauf von Fischkonserven aus. Die deutsche Fischereiwirtschaft gerät nachfolgend in eine Krise. 27. September: In Kairo wird von der Cairo Transport Authority die erste Metro-Linie in Afrika eröffnet. 19. Oktober Am sogenannten Schwarzen Montag gibt es einen Börsenkrach, bei dem die Kurse innerhalb eines Tages um mehr als 20 % einbrechen. Das Unternehmen Moët & Chandon schließt sich mit dem Unternehmen Louis Vuitton zusammen, was das Unternehmen LVMH (Louis Vuitton Moët Hennessy) ergibt Privatisierung des französischen Fernsehsenders TF1 und Kauf durch das Unternehmen Bouygues Wissenschaft und Technik 23. Februar: Die Supernova 1987A wird entdeckt. Sie ist die erste Supernova seit 1604, die mit bloßem Auge beobachtet werden kann. 1. April: Deutschland beginnt als erstes Land in Europa mit der Ausgabe maschinenlesbarer Ausweise. 25. Mai: Die Laichinger Hungerchronik über Teuerung und Hungersnot 1816/17 wird als Anfang des 20. Jahrhunderts geschaffene Fälschung entlarvt. 29. Dezember: Der russische Kosmonaut Juri Wiktorowitsch Romanenko kehrt nach 326 Tagen Aufenthalt an Bord der Raumstation Mir zur Erde zurück. In Norwegen wird der letzte Linjesender, ein Langwellen-Rundfunksender, stillgelegt. Ferrari stellt zum 40. Firmenjubiläum den Ferrari F40 vor. Kultur und Gesellschaft Die 750-Jahr-Feier der Stadt Berlin wird mit zahlreichen Veranstaltungen beiderseits der Mauer begangen. 22. Januar: Der US-amerikanische Politiker Budd Dwyer tötet sich bei einer von ihm einberufenen Pressekonferenz einen Tag vor Urteilsverkündung in seinem Strafprozess vor laufender Kamera. Ihm drohte eine langjährige Haftstrafe. 29. Januar: Uraufführung der Oper Habemeajaja von Boris Blacher an der Akademie der Künste in Berlin 15. Februar: Die in der ARD gezeigte deutsche Comedy-Serie Rudis Tagesshow löst einen internationalen Eklat aus, als in einer Szene das iranische Staatsoberhaupt Ajatollah Ruhollah Chomeini mit Damenunterwäsche in Verbindung gebracht wird. Moderator Rudi Carrell erhält Morddrohungen. 3. April: Die Unterzeichnung des Rundfunkstaatsvertrags besiegelt das duale System aus öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk- und Fernsehanstalten in Deutschland. 8. April: Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Venezuela. In Kraft seit dem 2. März 1988 Die Bundesgartenschau 1987 findet vom 30. April bis 11. Oktober in Düsseldorf statt. 10. Mai: Uraufführung der Neufassung des Balletts Dornröschen in der Choreografie von Marcia Haydée mit der Musik von Pjotr Iljitsch Tschaikowski im Großen Haus der Württembergischen Staatstheater Stuttgart 21. Mai: Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kenia. In Kraft seit dem 29. Juni 1988 6. bis 14. Juni: Hessentag 1987 in Melsungen Die Documenta 8, Weltausstellung der Kunst, findet vom 12. Juni bis 20. Oktober in Kassel statt. 22. Juni: Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Uruguay. In Kraft seit dem 8. Mai 1989 28. August: Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Benin. In Kraft seit dem 13. Mai 1988 22. September: In Guardamar del Segura werden Trümmer der aus iberischer Zeit stammenden Dama de Guardamar gefunden. Die Teile werden in der Folge zur Büste zusammengesetzt. 26. September: Thomas Gottschalk moderiert in der Hofer Freiheitshalle erstmals die Fernsehsendung Wetten, dass..?. 6. Oktober: Kulturabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Marokko. In Kraft seit dem 15. Januar 1990 22. Oktober: Uraufführung der Oper Nixon in China von John Coolidge Adams an der Houston Grand Opera, Texas Gründung der Weiße Rose Stiftung Religion 17. Juni: In Frankfurt am Main beginnt der 22. Deutsche Evangelische Kirchentag. Bis zum 21. Juni versammeln sich über 125.000 Teilnehmer unter dem Motto „Seht, welch ein Mensch.“ 30. Dezember: In der Enzyklika Sollicitudo rei socialis entwickelt Papst Johannes Paul II. die katholische Soziallehre weiter, geht auf Problemstellungen des Nord-Süd-Konfliktes ein und entwirft das Leitbild einer solidarischen Gesellschaft. Sport Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik. 1. Januar: Das Neujahrsskispringen in Garmisch-Partenkirchen gewinnt Andreas Bauer. 21. Januar: Nach dem Scheitern von Boris Becker im Halbfinale der Australian Open gibt Trainer Günter Bosch seine Trennung von Becker bekannt. 7. März: Mike Tyson gewinnt seinen Boxkampf und den Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen James Smith im Hilton Hotel, Las Vegas, Nevada, USA, durch Sieg nach Punkten. 29. März bis 4. Oktober: Austragung der 39. FIM-Motorrad-Straßenweltmeisterschaft 12. April bis 15. November: Austragung der 38. Formel-1-Weltmeisterschaft 13. Mai: Der 1. FC Lokomotive Leipzig verliert im EC-Finale der Cupsieger in Athen gegen Ajax Amsterdam 0:1 (0:1). 27. Mai: Der FC Bayern München verliert im EC-Finale der Landesmeister in Wien gegen den FC Porto 1:2 (1:0). 30. Mai: Mike Tyson gewinnt seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Pinklon Thomas im Hilton Hotel, Las Vegas, Nevada, USA, durch K. o. 6. Juni: Steffi Graf gewinnt mit den in Paris ausgetragenen French Open ihren ersten von insgesamt 22 Grand-Slam-Titeln und erreicht am 24. August erstmals die Führung in der Weltrangliste. 20. Juni: Neuseeland gewinnt das Finale der Rugby-Union-Weltmeisterschaft in Auckland 29:9 gegen Frankreich. 26. Juli bis 2. August: Deutschland (mit Steffi Graf und Claudia Kohde-Kilsch) gewinnt das Fed-Cup-Finale gegen die USA in Vancouver, Kanada. 1. August: Mike Tyson gewinnt seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Tony Tucker im Hilton Hotel, Las Vegas, Nevada, USA, durch Sieg nach Punkten. 7. August: Die US-amerikanische Extremsportlerin Lynne Cox durchschwimmt zwischen den Diomedes-Inseln das kalte Wasser der Beringstraße und überquert dabei die Staatsgrenze zwischen den USA und der damaligen Sowjetunion. 16. Oktober: Mike Tyson gewinnt seinen Boxkampf und Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Tyrell Biggs in der Convention Hall, Atlantic City, New Jersey, USA, durch technischen K. o. 1. November: Nelson Piquet wird zum dritten und letzten Mal Formel-1-Weltmeister. 8. November: Australien gewinnt den vierten Cricket World Cup in Indien und Pakistan, indem sie im Finale England mit 7 Runs besiegt. Argentinien, Fidschi, Italien, Japan, Kanada, Rumänien, Tonga, die Vereinigten Staaten und Simbabwe werden vom International Rugby Football Board (IRFB, heute World Rugby) eingeladen an der ersten Rugby-Union-WM teilzunehmen, was mit ihrer vollen Mitgliedschaft einhergeht. Katastrophen 6. März: Das Fährschiff Herald of Free Enterprise (Großbritannien) kentert vor dem Hafen von Zeebrugge. Es gibt 193 Tote. 10. März: Erdbeben der Stärke 7,0 in Kolumbien und Ecuador, über 1.000 Tote 9. Mai: Eine gecharterte Verkehrsmaschine Iljuschin Il-62M der polnischen LOT, auf dem Weg nach New York City, USA, stürzt eine knappe Stunde nach dem Start nahe Warschau, Polen ab. 183 Menschen sterben. (→LOT-Flug 5055) 28. Juli: Bei einem Bergsturz stürzen Felsmassen im Veltlin ins Tal der Adda. Sie begraben das Dorf Morignone unter sich. Die Zahl der Toten im Ort und auf einer befahrenen Straße wird auf 53 geschätzt, 1.500 Leute werden obdachlos. 16. August: Eine McDonnell Douglas MD-80 der Northwest Airlines, auf dem Weg nach Phoenix, stürzt kurz nach dem Start in Detroit, Michigan, USA ab und kracht in eine belebte Straße. 156 Menschen sterben, ein Kind wird gerettet. 18. November: Im Londoner U-Bahnhof King’s Cross St. Pancras entfacht ein Streichholz einen Großbrand, bei dem 31 Menschen sterben und über 60 Menschen verletzt werden. 28. November: An Bord einer Boeing 747 der South African Airways bricht auf einem Linienflug von Taiwan nach Südafrika aus ungeklärter Ursache ein Frachtbrand aus. Die Maschine stürzt nahe Mauritius in den Indischen Ozean. Alle 159 Menschen an Bord sterben. (→South-African-Airways-Flug 295) 29. November: In einer Boeing 707 der Korean Air explodiert über Myanmar eine Bombe. Alle 115 Menschen an Bord sterben. (→Korean-Airlines-Flug 858) 20. Dezember: Beim Untergang der philippinischen Fähre Doña Paz nach einer Kollision mit dem Tanker „Vector“ sterben 4.375 Passagiere und Besatzungsmitglieder der „Doña Paz“ und elf Besatzungsmitglieder der „Vector“. Es gibt insgesamt nur 26 Überlebende. Es handelt sich damit um das schwerste Schiffsunglück in Friedenszeiten. Geboren Januar 2. Januar: Witali Sergejewitsch Anikejenko, russischer Eishockeyspieler († 2011) 2. Januar: Sören Halfar, deutscher Fußballspieler 2. Januar: Loïc Rémy, französischer Fußballspieler 2. Januar: Meredith Stepien, US-amerikanische Schauspielerin 4. Januar: Maria Ikelap, mikronesische Sprinterin 4. Januar: Cho Min-ho, südkoreanischer Eishockeyspieler († 2022) 4. Januar: Pierre-Luc Périchon, französischer Radrennfahrer 5. Januar: Radoslav Augustín, slowakischer Fußballspieler 5. Januar: Icke Dommisch, deutscher Fernsehmoderator 6. Januar: Muna Jabir Adam, sudanesische Hürdenläuferin 7. Januar: Davide Astori, italienischer Fußballspieler († 2018) 8. Januar: Jurij Agarkow, ukrainischer Radrennfahrer 8. Januar: Amanda Ammann, Miss Schweiz 2007 9. Januar: José Ricardo Asqueta Vera, uruguayischer Fußballspieler 9. Januar: Angelica Augustsson Zanotelli, schwedische Springreiterin 9. Januar: Sam Bird, britischer Automobilrennfahrer 9. Januar: Bradley Davies, walisischer Rugby-Union-Spieler 9. Januar: Paolo Nutini, schottischer Sänger und Liedermacher 9. Januar: Pablo Santos, mexikanischer Schauspieler und Produzent († 2006) 10. Januar: Eyüp Kadri Ataoğlu, türkischer Fußballspieler 10. Januar: Florian Bartholomäi, deutscher Schauspieler 10. Januar: Yoshitaka Kuroda, japanischer Automobilrennfahrer 12. Januar: Nathan Doyle, englischer Fußballspieler 12. Januar: Johannes Huber, deutscher Politiker 12. Januar: Kirati Keawsombat, thailändischer Fußballspieler 12. Januar: Nikita Khartchenkov, deutscher Basketballspieler 12. Januar: Mychajlo Krywtschykow, ukrainischer Handballspieler 12. Januar: Maarija Mikiver, estnische Fußballspielerin 12. Januar: Edoardo Mortara, italienischer Automobilrennfahrer 12. Januar: Iván Nova, dominikanischer Baseballspieler 12. Januar: Naya Rivera, US-amerikanische Schauspielerin († 2020) 12. Januar: Will Rothhaar, US-amerikanischer Schauspieler 12. Januar: Salvatore Sirigu, italienischer Fußballspieler 12. Januar: Kris Sparre, kanadischer Eishockeyspieler 13. Januar: Meelah Adams, deutsche Schauspielerin 13. Januar: Daniel Oss, italienischer Radrennfahrer 13. Januar: Radosław Wojtaszek, polnischer Schachspieler 14. Januar: Dennis Aogo, deutscher Fußballspieler 14. Januar: Jeremias Koschorz, deutscher Schauspieler 15. Januar: Cafercan Aksu, türkischer Fußballspieler 15. Januar: Thierry Gerard Audel, französischer Fußballspieler 15. Januar: Kelly Kelly, US-amerikanische Wrestlerin 15. Januar: Thomas Drechsel, deutscher Schauspieler 16. Januar: Park Joo-ho, südkoreanischer Fußballspieler 16. Januar: Piotr Żyła, polnischer Skispringer 16. Januar: Adílson Warken, brasilianischer Fußballspieler 16. Januar: Quynh Anh Pham, belgische Sängerin 19. Januar: Edgar Manutscharjan, armenischer Fußballspieler 20. Januar: Evan Peters, US-amerikanischer Schauspieler 20. Januar: Cemil Adıcan, türkischer Fußballspieler 20. Januar: Christine Eixenberger, deutsche Kabarettistin und Schauspielerin 20. Januar: Marco Simoncelli, italienischer Motorradrennfahrer († 2011) 21. Januar: Lachlan Norris, australischer Radrennfahrer 22. Januar: Abdenour Amachaibou, deutscher Fußballspieler 24. Januar: Cristian Maidana, argentinischer Fußballspieler 24. Januar: Luis Suárez, uruguayischer Fußballspieler 24. Januar: Davide Valsecchi, italienischer Automobilrennfahrer 25. Januar: Hafsia Herzi, französische Schauspielerin 26. Januar: Olson, deutscher Rapper 26. Januar: Sebastian Giovinco, italienischer Fußballspieler 26. Januar: Rigoberto Urán, kolumbianischer Radrennfahrer 27. Januar: Andrea Consigli, italienischer Fußballspieler 27. Januar: Michael Marrone, australischer Fußballspieler 27. Januar: Jamel Saihi, tunesischer Fußballspieler 28. Januar: Alexandria Anderson, US-amerikanische Sprinterin 28. Januar: Steven O’Dor, australischer Fußballspieler 29. Januar: Le-Thanh Ho, deutsche Musikerin und Schauspielerin 30. Januar: Dario Venitucci, italienischer Fußballspieler 31. Januar: Raúl Richter, deutscher Schauspieler Februar 1. Februar: Barış Ataş, türkischer Fußballspieler 1. Februar: Giuseppe Rossi, italienischer Fußballspieler 2. Februar: Jonathan Rea, britischer Motorradrennfahrer 4. Februar: Lucie Šafářová, tschechische Tennisspielerin 4. Februar: Nikita Witjugow, russischer Schachspieler 5. Februar: Darren Criss, US-amerikanischer Schauspieler, Sänger und Songwriter 5. Februar: Olli Pekkala, finnischer Skispringer 6. Februar: Sarah Stork, deutsche Schauspielerin 6. Februar: Joseph Walker, US-amerikanischer Schauspieler und Musicaldarsteller 8. Februar: Jessica Jerome, US-amerikanische Skispringerin 8. Februar: Carolina Kostner, italienische Eiskunstläuferin 8. Februar: Moritz Weltgen, deutscher Handballspieler 9. Februar: Davide Lanzafame, italienischer Fußballspieler 9. Februar: Rose Leslie, britische Schauspielerin 9. Februar: Magdalena Neuner, deutsche Biathletin 9. Februar: Kristof Van Hout, belgischer Fußballtorwart 9. Februar: Michael Wiemann, deutscher Fußballspieler 10. Februar: Chaz Davies, britischer Motorradrennfahrer 10. Februar: Yuja Wang, chinesische Pianistin 11. Februar: Luca Antonelli, italienischer Fußballspieler 11. Februar: Robert Fleßers, deutscher Fußballspieler 12. Februar: Meghan Agosta, kanadische Eishockeyspielerin 12. Februar: Claire-Hope Ashitey, britische Schauspielerin 12. Februar: Antonín Hájek, tschechischer Skispringer († 2022) 12. Februar: Philipp Reuter, deutscher Handballspieler 13. Februar: Eljero Elia, niederländischer Fußballspieler 14. Februar: Edinson Cavani, uruguayischer Fußballspieler 16. Februar: William-Fils Aubameyang, gabunischer Fußballspieler 16. Februar: Malte Schröder, deutscher Handballspieler 17. Februar: Eliran Atar, israelischer Fußballspieler 17. Februar: Jessy Atila, belgische Fußballspielerin 17. Februar: Jan Molsen, deutscher Handballspieler 18. Februar: Michela Cerruti, italienische Automobilrennfahrerin 18. Februar: Cristian Tănase, rumänischer Fußballspieler 18. Februar: Māris Vartiks, lettischer Billardspieler 19. Februar: Ahmed Adly, ägyptischer Großmeister im Schach 19. Februar: Martin Büchel, liechtensteinischer Fußballspieler 21. Februar: Elliot Page, kanadischer Schauspieler 21. Februar: Burgess Abernethy, australischer Schauspieler 21. Februar: Techy Fatule, dominikanische Sängerin, Komponistin und Schauspielerin 21. Februar: Ashley Greene, US-amerikanische Schauspielerin 22. Februar: Han Hyo-joo, südkoreanische Schauspielerin 22. Februar: Sergio Romero, argentinisch-italienischer Fußballspieler 22. Februar: Johannes Theobald, deutscher Automobilrennfahrer 23. Februar: Ab-Soul, US-amerikanischer Rapper 23. Februar: Sara Fazilat, deutsche Schauspielerin 23. Februar: Theophilus London, US-amerikanischer Rapper und Produzent 25. Februar: Justin Abdelkader, US-amerikanischer Eishockeystürmer 26. Februar: Jauhen Abramenka, weißrussischer Biathlet 26. Februar: Sebastian Albert, deutscher Fußballspieler 26. Februar: Johan Plat, niederländischer Fußballspieler 26. Februar: Johan Sjöstrand, schwedischer Handballspieler 27. Februar: Waleri Andriizew, ukrainischer Ringer 27. Februar: Anna Blässe, deutsche Fußballspielerin 27. Februar: Maximiliano Moralez, argentinischer Fußballer 28. Februar: Antonio Candreva, italienischer Fußballspieler 28. Februar: Michelle Horn, US-amerikanische Schauspielerin 28. Februar: Stephanie Sigman, mexikanische Schauspielerin März 1. März: Andreas Adityawarman, indonesischer Badmintonspieler 1. März: Kesha, US-amerikanische Sängerin, Rapperin und Songwriterin 2. März: Jonas Jerebko, schwedischer Basketballspieler 2. März: Lisa Rashid, englische Fußballschiedsrichterassistentin 4. März: Brandon Wagner, US-amerikanischer Automobilrennfahrer 5. März: Anna Tschakwetadse, russische Tennisspielerin 5. März: Marie-Elisabeth Hecker, deutsche Cellistin 5. März: Julian Paeth, deutscher Schauspieler 6. März: Kevin-Prince Boateng, deutsch-ghanaischer Fußballspieler 6. März: Chris Grossman, australischer Fußballspieler 6. März: Lasse Kohnagel, deutscher Handballspieler 6. März: Hannah Taylor-Gordon, britische Filmschauspielerin 7. März: Andrea Ambrosi, italienischer Eishockeyspieler 7. März: Hatem Ben Arfa, französischer Fußballspieler 7. März: Sylta Fee Wegmann, deutsche Schauspielerin 8. März: Bianca Atzei, italienische Popsängerin 8. März: Devon Graye, US-amerikanischer Schauspieler 8. März: Joonas Ikonen, finnischer Skispringer 9. März: Bow Wow, US-amerikanischer Rapper und Schauspieler 10. März: Martellus Bennett, US-amerikanischer American-Football-Spieler 11. März: An Jong-ho, nordkoreanischer Fußballspieler 12. März: Manuele Boaro, italienischer Radrennfahrer 12. März: Markus Noel, deutscher Handballspieler 12. März: Teymur Rəcəbov, aserbaidschanischer Schachgroßmeister 13. März: José Luis Abadín, spanischer Automobilrennfahrer 13. März: Marco Andretti, US-amerikanischer Automobilrennfahrer 13. März: Andreas Beck, deutscher Fußballspieler 13. März: Christoph Dübener, deutscher Handballspieler 13. März: Mauro Zárate, argentinischer Fußballspieler 15. März: Juliane Höfler, deutsche Fußballspielerin 15. März: Jelena Morosowa, russische Fußballspielerin 15. März: Sameh Sidhom, ägyptischer Dreibandspieler 16. März: Valerio Aspromonte, italienischer Florettfechter 16. März: Paul-Max Walther, deutscher Fußballspieler 17. März: Federico Fazio, argentinischer Fußballspieler 18. März: Gabriel Mercado, argentinischer Fußballspieler 18. März: Arnd Peiffer, deutscher Biathlet 19. März: AJ Lee, US-amerikanische Wrestlerin 19. März: Kathrin Geißler, deutsche Popsängerin (Banaroo) 20. März: João Alves de Assis Silva, brasilianischer Fußballspieler 20. März: Nizamettin Çalışkan, türkischer Fußballspieler 20. März: Julian F. M. Stoeckel, deutscher Schauspieler 20. März: Rollo Weeks, britischer Schauspieler 21. März: Odine Johne, deutsche Schauspielerin 21. März: Rodolfo Torres, kolumbianischer Radrennfahrer 21. März: Alina Wojtas, polnische Handballspielerin 22. März: Jairo Mora Sandoval, costa-ricanischer Umweltaktivist († 2013) 24. März: María Valverde, spanische Schauspielerin 24. März: Ramires, brasilianischer Fußballspieler 25. März: Patrick Ryan Anderson, US-amerikanischer Schauspieler 25. März: Jacob Bagersted, dänischer Handballspieler 25. März: Bruce Djite, australischer Fußballspieler 25. März: Raffaele De Rosa, italienischer Motorradrennfahrer 25. März: Robbin Ruiter, niederländischer Fußballtorwart 26. März: Robert Åhman-Persson, schwedischer Fußballspieler 26. März: Matteo Carlo Ardemagni, italienischer Fußballspieler 26. März: Steven Fletcher, schottischer Fußballspiele 26. März: David Mullikas, deutsch-estnischer Schauspieler 26. März: Mareen von Römer, deutsche Volleyballspielerin 28. März: Asier Arranz Martín, spanischer Fußballspieler 29. März: Claudia Andreatti, italienische Moderatorin 29. März: Maxime Authom, belgischer Tennisspieler 29. März: Kelly Minkin, US-amerikanische Pokerspielerin 29. März: Lea Marlen Woitack, deutsche Schauspielerin 30. März: Marc-André Dorion, kanadischer Eishockeyspieler 30. März: Calum Elliot, schottischer Fußballspieler 30. März: Karmela Shako, deutsche Schauspielerin 30. März: Meike Weber, deutsche Fußballspielerin 31. März: Nordin Amrabat, niederländisch-marokkanischer Fußballspieler 31. März: K. Humpy, indische Schachspielerin April 1. April: Vitorino Gabriel Pacheco Antunes, portugiesischer Fußballspieler 1. April: Mackenzie Davis, kanadische Schauspielerin 1. April: Ding Junhui, chinesischer Snooker-Spieler 1. April: Oliver Turvey, britischer Automobilrennfahrer 2. April: Nikki Adler, deutsche Boxerin 3. April: Glen Akama-Eseme, kamerunischer Fußballspieler 3. April: Julián Simón, spanischer Motorradrennfahrer 4. April: Francesco Castellacci, italienischer Automobilrennfahrer 4. April: Sami Khedira, deutscher Fußballspieler 4. April: Konrad Reuland, US-amerikanischer Football-Spieler († 2016) 4. April: Steff la Cheffe, Schweizer Rapperin und Beatboxerin 5. April: Lola Naymark, französische Schauspielerin 7. April: Herdeiro Lucau, schwedischer Handballspieler 7. April: Martín Cáceres, uruguayischer Fußballspieler 7. April: Tobias Lister, australischer Steuermann im Rudern 7. April: Tobias Reinkemeier, deutscher Pokerspieler 8. April: Nils Babin, deutscher Handballtorwart 8. April: Peter Hickman, britischer Motorradrennfahrer 8. April: Janine Pink, deutsche Schauspielerin 8. April: Dario Vidosic, australischer Fußballspieler 9. April: Juliane Maier, deutsche Fußballspielerin 9. April: Blaise Matuidi, französischer Fußballspieler 9. April: Jesse McCartney, US-amerikanischer Schauspieler und Musiker 11. April: Joss Stone, britische Soulsängerin 12. April: Shawna Lenee, US-amerikanische Pornodarstellerin 12. April: Brendon Urie, Sänger Panic! at the Disco 14. April: Ida Odén, schwedische Handballspielerin 15. April: Jenna Mohr, deutsche Skispringerin 16. April: Cenk Akyol, türkischer Basketballspieler 16. April: Lhadji Badiane, französisch-senegalesischer Fußballspieler 16. April: David Peters, US-amerikanischer Pokerspieler 17. April: Tom James, walisischer Rugbyspieler 17. April: Jacqueline MacInnes Wood, kanadische Schauspielerin, Sängerin und Model 18. April: Matthew Anderson, US-amerikanischer Volleyballspieler 18. April: Anthony Roux, französischer Radrennfahrer 18. April: Sara Walzik, deutsche Handballspielerin 19. April: Oxana Akinschina, russische Schauspielerin 19. April: Isabel Berghout, deutsch-niederländische Schauspielerin 19. April: Joe Hart, englischer Fußballspieler 19. April: Alexandre Imperatori, Schweizer Automobilrennfahrer 19. April: Marija Scharapowa, russische Tennisspielerin 19. April: Daniel Schuhmacher, deutscher Musiker 20. April: John Patrick Amedori, US-amerikanischer Schauspieler und Rockmusiker 20. April: Hayden Paddon, neuseeländischer Rallyefahrer 21. April: Sven Franzen, deutscher Handballmanager 21. April: Pietro Gandolfi, italienischer Automobilrennfahrer 22. April: John Obi Mikel, nigerianischer Fußballspieler 23. April: Michael Antonio Arroyo Mina, ecuadorianischer Fußballspieler 23. April: Timon Seubert, ehemaliger deutscher Radrennfahrer 24. April: Simone Corsi, italienischer Motorradrennfahrer 24. April: Laurianne Delabarre, französische Volleyballspielerin 24. April: Anne Kaiser, deutsche Fußballspielerin 24. April: Rein Taaramäe, estnischer Radrennfahrer 24. April: Jan Vertonghen, belgischer Fußballspieler 25. April: Marcel Höttecke, deutscher Fußballtorhüter 26. April: Mária Trošková, slowakische Unternehmerin und Model 26. April: Adrian Wöhler, deutscher Handballspieler 27. April: Gerry Carroll, nordirischer Politiker 27. April: Alexandra Lacrabère, französische Handballspielerin 27. April: William Moseley, britischer Filmschauspieler 28. April: Vijessna Ferkic, deutsch-kroatische Schauspielerin 28. April: Josip Landeka, kroatischer Fußballspieler 28. April: Robin Schulz, deutscher DJ und Produzent 28. April: Frank Ziegler, deutscher Schauspieler und Sänger 29. April: Sara Errani, italienische Tennisspielerin 30. April: Ian Ashworth, südafrikanischer Eishockeyspieler 30. April: Marta Bastianelli, italienische Radrennfahrerin 30. April: Kazuya Ōshima, japanischer Automobilrennfahrer Mai 1. Mai: Leonardo Bonucci, italienischer Fußballspieler 1. Mai: Claudia Wurzel, italienische Ruderin 2. Mai: Johan Andersson, schwedischer Eishockeyspieler 2. Mai: Adrian Gaspar, rumänisch-österreichischer Jazz-Pianist und Komponist 2. Mai: Pat McAfee, US-amerikanischer American-Football-Spieler 4. Mai: Cesc Fàbregas, spanischer Fußballspieler 4. Mai: Jorge Lorenzo, spanischer Motorradrennfahrer 4. Mai: Anjeza Shahini, albanische Pop-Sängerin 5. Mai: Marija Šestić, bosnische Sängerin 5. Mai: Germán Voboril, argentinischer Fußballspieler 6. Mai: Meek Mill, US-amerikanischer Rapper 6. Mai: Moon Geun-young, südkoreanische Schauspielerin 7. Mai: Jörn Neumeister, deutscher Fußballspieler 7. Mai: Stefan Read, kanadischer Skispringer 7. Mai: Miriam Rickli, Schweizer Fernsehmoderatorin 7. Mai: Vreneli van Helbergen, niederländische Schauspielerin 8. Mai: Felix Jones, US-amerikanischer American-Football-Spieler 12. Mai: Kassim Aidara, französisch-senegalesischer Fußballspieler 13. Mai: Candice Accola, US-amerikanische Schauspielerin und Musikerin 13. Mai: Antonio Adán, spanischer Fußballtorwart 13. Mai: Felix Kossler, deutscher Handballspieler 13. Mai: Carrie Prejean, US-amerikanisches Model 14. Mai: Joseph Attieh, libanesischer Sänger 14. Mai: Adrián Daniel Calello, argentinischer Fußballspieler 14. Mai: François Steyn, südafrikanischer Rugbyspieler 14. Mai: Ari Freyr Skúlason, isländischer Fußballspieler 15. Mai: Andy Murray, britischer Tennisspieler 16. Mai: Louise Coldefy, französische Schauspielerin 16. Mai: Jana Kilka, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin 16. Mai: Günther Matzinger, österreichischer Sprinter und Mittelstreckenläufer 17. Mai: Ulrike Gräßler, deutsche Skispringerin 17. Mai: Aleandro Rosi, italienischer Fußballspieler 18. Mai: Jaana Ehmcke, deutsche Schwimmerin 18. Mai: Luisana Lopilato, argentinische Schauspielerin, Sängerin und Model 19. Mai: Waldemar Sobota, polnischer Fußballspieler 20. Mai: Taku Takeuchi, japanischer Skispringer 21. Mai: Maike Jüttendonk, deutsche Schauspielerin 21. Mai: Pina Kühr, deutsche Schauspielerin 22. Mai: Michail Aljoschin, russischer Automobilrennfahrer 22. Mai: Hugo Lemos Arthuso, brasilianischer Badmintonspieler 22. Mai: Novak Đoković, serbischer Tennisspieler 22. Mai: Rômulo, brasilianischer Fußballspieler 22. Mai: Zita Szucsánszki, ungarische Handballspielerin 22. Mai: Arturo Vidal, chilenischer Fußballspieler 23. Mai: Windham Rotunda, US-amerikanischer Wrestler († 2023) 24. Mai: Fabio Fognini, italienischer Tennisspieler 24. Mai: Déborah François, belgische Schauspielerin 25. Mai: Pawel Nikolajewitsch Atman, russischer Handballspieler 25. Mai: Sanja Vujović, serbische Handballspielerin 25. Mai: Jackson Mendy, französischer Fußballspieler 25. Mai: Ian Stannard, britischer Radrennfahrer 25. Mai: Kamil Stoch, polnischer Skispringer 26. Mai: Daniel Lackner, österreichischer Skispringer 27. Mai: Bella Heathcote, australische Schauspielerin 29. Mai: Taner Ari, österreichisch-türkischer Fußballspieler 29. Mai: Lina Andrijauskaitė, litauische Weitspringerin Juni 1. Juni: Bryan Staring, australischer Motorradrennfahrer 2. Juni: Jack Anderson, australischer Straßenradrennfahrer 2. Juni: Tobias Arlt, deutscher Rennrodler und Olympiasieger 2. Juni: Simon Herold, deutscher Handballtorwart 2. Juni: Benjamin Kirsten, deutscher Fußballtorhüter 2. Juni: Nathalie Thiede, deutsche Schauspielerin 2. Juni: Darin Zanyar, schwedischer Pop-Sänger 3. Juni: Lalaine Vergara-Paras, US-amerikanische Schauspielerin 4. Juni: Christiane Stenger, deutsche Gedächtnissportlerin 5. Juni: Robert Sweeting, US-amerikanischer Radrennfahrer 6. Juni: Mohamed Amine Aoudia, algerischer Fußballspieler 6. Juni: Unathi Mohamed Al-Arjaoui, marokkanischer Amateurboxer 7. Juni: Steven Kruijswijk, niederländischer Radrennfahrer 8. Juni: Moritz Heidelbach, deutscher Schauspieler 8. Juni: Patrick Kleefeld, deutscher Handballspieler 10. Juni: Martin Harnik, österreichischer Fußballspieler 10. Juni: Kjell Köpke, deutscher Handballspieler 10. Juni: Jana Krause, deutsche Handballspielerin 10. Juni: Mantas Kuklys, litauischer Fußballspieler 10. Juni: Emil Schwarz deutscher Schauspieler 10. Juni: Tinchy Stryder, britischer Grime-Musiker 11. Juni: Gonzalo Castro, deutscher Fußballspieler 11. Juni: Eugen Knecht, deutsch-russischer Schauspieler 12. Juni: Igor Anic, französischer Handballer 12. Juni: Alexander Heib, deutscher Handballspieler 12. Juni: Max Snegirjow, russischer Automobilrennfahrer 16. Juni: Krassimir Anew, bulgarischer Biathlet 16. Juni: Benjamin Lariche, französischer Automobilrennfahrer 16. Juni: Renata Lusin, russisch-deutsche Tänzerin 16. Juni: Tobias Wendl, deutscher Rennrodler und Olympiasieger 17. Juni: Malick Bolivard, französischer Fußballspieler 17. Juni: Serhij Issajenko, ukrainischer Snookerspieler 17. Juni: Kendrick Lamar, US-amerikanischer Rapper 17. Juni: Betina Riegelhuth, norwegische Handballspielerin 17. Juni: Anna Wysokińska, polnische Handballspielerin 18. Juni: Melanie Iglesias, US-amerikanische Schauspielerin, Model und Sängerin 18. Juni: Omar Arellano Riverón, mexikanischer Fußballspieler 18. Juni: Raúl Bobadilla, argentinischer Fußballstürmer 18. Juni: Vanessa Hegelmaier, deutsches Model 18. Juni: Jake Keough, US-amerikanischer Straßenradrennfahrer 18. Juni: Zsuzsanna Tomori, ungarische Handballspielerin 19. Juni: Sacha Modolo, italienischer Radrennfahrer 20. Juni: Alexei Koroljow, kasachischer Skispringer 20. Juni: Asmir Begović, bosnisch-kanadischer Fußballspieler 21. Juni: Nicolas Fettner, österreichischer Skispringer 22. Juni: Nikita Rukavytsya, ukrainisch-australischer Fußballspieler 22. Juni: Visa Vie, deutsche Moderatorin und Rapperin 23. Juni: Alessia Filippi, italienische Schwimmerin 24. Juni: Ronnie Aguilar, US-amerikanischer Basketballspieler 24. Juni: Feta Ahamada, komorische Leichtathletin 24. Juni: Lionel Messi, argentinischer Fußballspieler 24. Juni: Florian Ondruschka, deutscher Eishockeyspieler 25. Juni: Sandro Agricola, deutscher Eishockeytorwart 25. Juni: Claudio Corti, italienischer Motorradrennfahrer 25. Juni: Rafael Valls, spanischer Radrennfahrer 26. Juni: Samir Nasri, französischer Fußballspieler 27. Juni: Arild Askestad, norwegischer Biathlet und Biathlontrainer 27. Juni: Hamad Al Fardan, bahrainischer Automobilrennfahrer 27. Juni: An Chol-hyok, nordkoreanischer Fußballspieler 27. Juni: Katharina Heinz, deutsche Skeletonpilotin 27. Juni: Miriam Höller, deutsche Stuntfrau und Moderatorin 28. Juni: Scott Fox, schottischer Fußballtorhüter 29. Juni: Katrin Jaehne, deutsche Schauspielerin und Sprecherin 29. Juni: Marc-André Kruska, deutscher Fußballspieler 29. Juni: Raphaël Tschudi, Schweizer Schauspieler 29. Juni: Corina Wehinger, Schweizer Unihockeyschiedsrichterin 30. Juni: Martin Jacobson, schwedischer Pokerspieler 30. Juni: Stefan Matter, Schweizer Telemarker Juli 1. Juli: Tobias Schimmelbauer, deutscher Handballspieler 2. Juli: Ruslana Korschunowa, kasachisches Fotomodel († 2008) 3. Juli: Maximilian Mauff, deutscher Schauspieler 3. Juli: Mariano Tripodi, argentinischer Fußballspieler 3. Juli: Sebastian Vettel, deutscher Automobilrennfahrer 5. Juli: Alexander Kristoff, norwegischer Radrennfahrer 6. Juli: Victor Stelian Astafei, rumänischer Fußballspieler 6. Juli: Sophie Auster, US-amerikanische Sängerin und Schauspielerin 9. Juli: Jonny Hayes, irischer Fußballspieler 9. Juli: Matteo Rubin, italienischer Fußballspieler 9. Juli: Butrint Vishaj, österreichisch-albanischer Fußballspieler 10. Juli: Steffen Deibler, deutscher Schwimmer 10. Juli: Sandra Kleinjung, deutsche Handballspielerin 10. Juli: Jens Vortmann, deutscher Handballspieler 12. Juli: Arjan Haenen, niederländischer Handballspieler 13. Juli: Ulrika Toft Hansen, schwedische Handballspielerin 13. Juli: Michael Seewald, deutscher römisch-katholischer Theologe, Professor für Dogmatik und Dogmengeschichte in Münster 14. Juli: Igor Armaș, moldawischer Fußballspieler 16. Juli: Andrew James Allen, US-amerikanischer Schauspieler 16. Juli: Mousa Dembélé, belgischer Fußballspieler 17. Juli: Gesine Agena, deutsche Politikerin 17. Juli: Daniel Brands, deutscher Tennisspieler 17. Juli: Jan Charouz, tschechischer Automobilrennfahrer 17. Juli: Marcel Meyerdiercks, deutscher Boxer 17. Juli: Frida Tegstedt, schwedische Handballspielerin 18. Juli: Tontowi Ahmad, indonesischer Badmintonspieler 18. Juli: Chloé Graftiaux, belgische Sportkletterin († 2010) 18. Juli: Carlos Eduardo, brasilianischer Fußballspieler 18. Juli: Daniel Sträßer, deutscher Schauspieler 18. Juli: Claudio Yacob, argentinischer Fußballspieler 19. Juli: Jun’ya Koga, japanischer Schwimmer 21. Juli: Bashir Adam, deutscher Taekwondokämpfer 21. Juli: Timi Garstang, marshallischer Sprinter 21. Juli: Pjotr Tschaadajew, russischer Skispringer 22. Juli: Vladimir Burlakov, deutscher Schauspieler russischer Herkunft 22. Juli: Daniel Finkenstein, deutscher Handballspieler 23. Juli: Maximilian Arndt, deutscher Bobsportler 23. Juli: Tobias Hahn, deutscher Handballspieler 23. Juli: Julian Nagelsmann, deutscher Fußballtrainer 24. Juli: Turia Pitt, australische Ingenieurin und Aktivistin 25. Juli: Michael Welch, US-amerikanischer Schauspieler 27. Juli: Anna Hammel, österreichisches Model und die Miss Austria 2009 27. Juli: Liza Tzschirner, deutsche Schauspielerin 28. Juli: Pedro, spanischer Fußballspieler 29. Juli: Victor Butler, US-amerikanischer American-Football-Spieler 29. Juli: Yuhki Nakayama, japanischer Automobilrennfahrer 31. Juli: Julia Augustin, deutsche Schauspielerin 31. Juli: Lukas Runggaldier, italienischer Nordischer Kombinierer August 1. August: Iago Aspas Juncal, spanischer Fußballspieler 1. August: Jakov Fak, slowenisch-kroatischer Biathlet 1. August: Sébastien Pocognoli, belgischer Fußballspieler 2. August: Fotis Antonarakis, griechischer Bahn- und Straßenradrennfahrer 3. August: Cesare Benedetti, italienischer Radrennfahrer 3. August: Eric Breininger, deutscher islamistischer Terrorist († 2010) 4. August: James Jakes, britischer Automobilrennfahrer 5. August: Bachtijar Achmedow, russischer Ringer 5. August: Damian Rączka, polnischer Fußballspieler 6. August: Sarah Gregorius, neuseeländische Fußballspielerin 7. August: Sidney Crosby, kanadischer Eishockeyspieler 8. August: Kwame Amoateng, schwedischer Fußballspieler 11. August: Paul Boche, deutscher Schauspieler und Model 11. August: Maris Mägi, estnische Leichtathletin 11. August: Ryan Murray, schottischer Dartspieler 12. August: André Hamann, deutsches Männermodel 12. August: Sigurbergur Sveinsson, isländischer Handballspieler 13. August: Rafael Suzuki, brasilianischer Automobilrennfahrer 14. August: Johnny Gargano, US-amerikanischer Wrestler 14. August: Rosalie Thomass, deutsche Schauspielerin 16. August: Mousa Animus, deutscher Rapper 16. August: Martin Walde, deutscher Schauspieler 17. August: Martin Cikl, tschechischer Skispringer 18. August: Joanna Jędrzejczyk, polnische Kampfsportlerin 18. August: Toby Price, australischer Motorradrennfahrer 19. August: Nico Hülkenberg, deutscher Automobilrennfahrer 19. August: Marlon Knauer, deutscher Sänger 20. August: Stefan Aigner, deutscher Fußballspieler 21. August: Erik Simon, deutscher Skispringer 22. August: Nikola Aistrup, dänischer Bahn- und Straßenradrennfahrer 22. August: Hamida Al-Habsi, omanische Leichtathletin 22. August: Gianluca Brambilla, italienischer Radrennfahrer 22. August: Josip Tadić, kroatischer Fußballspieler 22. August: Dan Weekes-Hannah, neuseeländischer Schauspieler 22. August: Mischa Zverev, deutscher Tennisspieler 23. August: Murielle Ahouré, ivorische Sprinterin 25. August: Zahir Ali, indonesischer Automobilrennfahrer 25. August: Raffaele Bianco, italienischer Fußballspieler 25. August: Ollie Hancock, britischer Automobilrennfahrer 25. August: Blake Lively, US-amerikanische Schauspielerin und It-Girl 25. August: Amy Macdonald, schottische Sängerin und Songschreiberin 25. August: Ali Abdosh, äthiopischer Langstreckenläufer 26. August: Todor Ruskow, bulgarischer Handballspieler 27. August: Jordi Torres, spanischer Motorradrennfahrer 27. August: Nicky Verjans, niederländischer Handballspieler 31. August: Eric Botteghin, brasilianischer Fußballspieler September 1. September: Alper Akçam, türkischer Fußballspieler 1. September: Ramon Leeuwin, niederländischer Fußballspieler 1. September: Sophia Vegas, deutsche Reality-TV-Teilnehmerin 2. September: Gabrielle Pietermann, deutsche Synchronsprecherin 2. September: Andrea Zattoni, italienischer Skilangläufer 4. September: Menowin Fröhlich, deutscher Sänger und Finalist bei DSDS 2010 4. September: Maryna Linchuk, weißrussisches Model 5. September: Christomir Angelow, bulgarischer Straßenradrennfahrer 5. September: Thalke Deters, deutsche Handballspielerin 5. September: Feder, geboren als Hadrien Federiconi, französischer Deep-House-DJ und -Produzent 6. September: Andrea Lekić, serbische Handballspielerin 6. September: Silvia Martin, italienische Ruderin 6. September: Anna Pawlowa, russische Turnerin und Olympiateilnehmerin 7. September: Mohammad Ahsan, indonesischer Badmintonspieler 7. September: Aurea, portugiesische Soul-/Pop-Sängerin und Songwriterin 7. September: Víctor Rodríguez, andorranischer Fußballspieler 7. September: Tōru Suzuki, japanischer Dartspieler 7. September: Evan Rachel Wood, US-amerikanische Schauspielerin 9. September: Afrojack, niederländischer House-DJ 9. September: Sebastian Colloredo, italienischer Skispringer 9. September: Andrea Petković, deutsche Tennisspielerin 11. September: Robert Acquafresca, italienisch-polnischer Fußballspieler 11. September: Anže Damjan, slowenischer Skispringer 11. September: Kevin McCann, schottischer Fußballspieler 11. September: Susianna Kentikian, deutsche Boxsportlerin 11. September: Meamea Thomas, kiribatischer Gewichtheber († 2013) 12. September: Kelvin Snoeks, niederländischer Automobilrennfahrer 16. September: Kyle Lafferty, nordirischer Fußballspieler 17. September: Julia Renner, deutsche Handballspielerin 18. September: Daniel Addo, ghanaischer Fußballspieler 18. September: Aykut Akgün, türkischer Fußballspieler 18. September: Marwin Hitz, Schweizer Fußballtorhüter 18. September: Johanna Uekermann, deutsche Politikerin 19. September: Danielle Panabaker, US-amerikanische Schauspielerin 19. September: Nadine Thal, deutsche Fußballspielerin 20. September: Stefan Denifl, österreichischer Radrennfahrer 20. September: Reza Ghoochannejhad, iranisch-niederländischer Fußballspieler 20. September: Deon McCaulay, belizischer Fußballspieler 20. September: Alex Pullin, australischer Snowboarder († 2020) 21. September: Marcelo Estigarribia, paraguayischer Fußballspieler 21. September: Katy Townsend, britische Schauspielerin 22. September: Tom Felton, britischer Schauspieler 22. September: Tom Hilde, norwegischer Skispringer 23. September: Skylar Astin, US-amerikanischer Schauspieler 23. September: Jay Bridger, britischer Automobilrennfahrer 24. September: Senzo Meyiwa, südafrikanischer Fußballspieler († 2014) 25. September: Franz-Xaver Brückner, deutscher Schauspieler 25. September: Evgeni Prasolov, Handballspieler usbekischer Herkunft 26. September: Zlatko Junuzović, österreichischer Fußballspieler 26. September: Vanessa Wormer, deutsche Journalistin 28. September: Maria Bartusz, polnische Badmintonspielerin 28. September: Terence Crawford, US-amerikanischer Boxer 28. September: Hilary Duff, US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin 29. September: Dani Abalo, spanischer Fußballspieler 29. September: Anaïs Demoustier, französische Schauspielerin 29. September: Jessica Houara, französische Fußballspielerin 29. September: Peter Jungwirth, deutscher Handballspieler 30. September: Ramy Ashour, ägyptischer Squashspieler 30. September: Aida Garifullina, russische Opernsängerin Oktober 1. Oktober: Daniel Adlung, deutscher Fußballspieler 1. Oktober: Florian Mundt, deutscher YouTuber 1. Oktober: Wout Poels, niederländischer Radrennfahrer 2. Oktober: Dia Frampton, US-amerikanische Singer-Songwriterin 2. Oktober: Joshua Grothe, deutscher Schauspieler und Stuntman 2. Oktober: Ruan Lufei, chinesische Schachspielerin 2. Oktober: Ricky Stenhouse junior, US-amerikanischer Automobilrennfahrer 3. Oktober: Aljona Afanassjewa, ukrainische Billardspielerin 3. Oktober: Johanna Ahlm, schwedische Handballspielerin 3. Oktober: Philipp Antholzer, italienischer Naturbahnrodler 3. Oktober: Martin Plowman, britischer Automobilrennfahrer 3. Oktober: Starley Hope, australische Popmusikerin 4. Oktober: Juan Pablo Garcia, mexikanischer Automobilrennfahrer 4. Oktober: Marina Weisband, deutsche Politikerin 5. Oktober: Foluke Akinradewo, US-amerikanische Volleyballspielerin 5. Oktober: Kevin Mirallas, belgischer Fußballspieler 5. Oktober: Morten Skou, dänischer Handballspieler 5. Oktober: Javier Villa, spanischer Automobilrennfahrer 6. Oktober: Joe Lewis, englischer Fußballtorhüter 7. Oktober: Sarah Ammerman, US-amerikanische Volleyballspielerin 7. Oktober: Gorka Izaguirre, spanischer Radrennfahrer 8. Oktober: Aya Hirano, japanische Synchronsprecherin (Seiyū) und J-Pop-Sängerin 8. Oktober: Ahmet Kulabas, deutsch-türkischer Fußballspieler 8. Oktober: Semir Štilić, bosnisch-herzegowinischer Fußballspieler 9. Oktober: Luigi Busà, italienischer Karateka 9. Oktober: Felix Herholc, deutscher Handballtorwart 10. Oktober: Maryna Anzybor, ukrainische Skilangläuferin 10. Oktober: Jimmy Downey, australischer Fußballspieler 11. Oktober: Musa Hajdari, kosovarischer Mittelstreckenläufer 11. Oktober: Ariella Kaeslin, Schweizer Kunstturnerin 11. Oktober: Pablo Mouche, argentinischer Fußballspieler 12. Oktober: Damiano Caruso, italienischer Radrennfahrer 15. Oktober: Serge Akakpo, togoisch-beninisch-französischer Fußballspieler 15. Oktober: Ole Kittner, deutscher Fußballspieler 15. Oktober: Ott Tänak, estnischer Rallyefahrer 17. Oktober: Amelie Kiefer, deutsche Schauspielerin 17. Oktober: Hideto Takahashi, japanischer Fußballspieler 18. Oktober: Matt Bosher, US-amerikanischer Footballspieler 18. Oktober: Zac Efron, US-amerikanischer Schauspieler 18. Oktober: Henri Moser, Schweizer Automobilrennfahrer 18. Oktober: Ana Paula Rodrigues Belo, brasilianische Handballspielerin 19. Oktober: Ufuk Arslan, türkischer Fußballspieler 19. Oktober: Jenny Bach, deutsche Theater- und Fernsehschauspielerin 19. Oktober: Dot Rotten, britischer Rapper 20. Oktober: Rafael Andriato, brasilianischer Radrennfahrer 20. Oktober: Marcus Mørk, dänischer Handballspieler 20. Oktober: Eva Lennartz, deutsche Handballspielerin 22. Oktober: Eerik Aps, estnischer Ringer 22. Oktober: Mikkel Hansen, dänischer Handballspieler 22. Oktober: Laila Kveli, norwegische Skilangläuferin 22. Oktober: Park Ha-seon, südkoreanische Schauspielerin 23. Oktober: Arnór Þór Gunnarsson, isländischer Handballspieler 24. Oktober: Wladlena Eduardowna Bobrownikowa, russische Handballspielerin 24. Oktober: Anthony Vanden Borre, belgischer Fußballspieler 25. Oktober: Black Angelika, rumänische Pornodarstellerin 25. Oktober: Fabian Hambüchen, deutscher Gerätturner 26. Oktober: Melo Imai, japanische Snowboarderin und Tarento 27. Oktober: Thelma Aoyama, japanische Pop- und R&B-Sängerin 28. Oktober: Peter Posniak, Schauspieler 29. Oktober: Tove Lo, schwedische Popmusikerin 31. Oktober: Jean Karl Vernay, französischer Automobilrennfahrer 31. Oktober: Troy Hearfield, australischer Fußballspieler November 1. November: Saori Ariyoshi, japanische Fußballspielerin 1. November: Larissa Pereira da Cruz, brasilianische Fußballspielerin 1. November: Jordi Rubio, andorranischer Fußballspieler 2. November: Danny Cipriani, englischer Rugbyspieler 3. November: Anton Baron, deutscher Wirtschaftsingenieur und Politiker 3. November: Steffen Berg Løkkebø, norwegischer Handballspieler 3. November: Dennis Krause, deutscher Handballspieler 3. November: Gemma Ward, australisches Mannequin 5. November: Ben Swift, britischer Radrennfahrer 7. November: Rachele Brooke Smith, US-amerikanische Schauspielerin und Tänzerin 8. November: Edgar Benítez, paraguayischer Fußballspieler 8. November: Samantha Droke, US-amerikanische Schauspielerin 8. November: Andrei Gawrilow, russischer Eishockeytorwart 8. November: Eduardo Gurbindo, spanischer Handballspieler 8. November: Miroslav Holec, tschechischer Eishockeyspieler 8. November: Takashi Kobayashi, japanischer Automobilrennfahrer 8. November: Andreas Lukse, österreichischer Fußballtorwart 8. November: Greg Mansell, britischer Automobilrennfahrer 9. November: JayJay Jackpot, deutsche Webvideoproduzentin, Komikerin, Influencerin und Laiendarstellerin († 2020) 9. November: Jaqueline Anastácio, brasilianische Handballspielerin 10. November: Darryl Jerard Augustin, US-amerikanischer Basketballspieler 10. November: Andrew Koji, britischer Schauspieler und Kampfsportler 12. November: Kim Dong-hyun, südkoreanischer Bobfahrer 13. November: Rina Thieleke, deutsche Eiskunstläuferin 14. November: Sofia Assefa, äthiopische Langstreckenläuferin 14. November: Ben Gastauer, luxemburgischer Radrennfahrer 15. November: Arsen Kasabijew, polnisch-georgischer Gewichtheber 15. November: Anders Krohn, norwegischer Automobilrennfahrer 16. November: Phylicia George, kanadische Bobsportlerin und Leichtathletin 17. November: Kat DeLuna, US-amerikanische R&B- und Dancehall-Sängerin 18. November: Jake Abel, US-amerikanischer Schauspieler 19. November: Vijay Drangoy, moldauischer Billardspieler 19. November: Feng Zhe, chinesischer Turner 21. November: Anju Jason, marshallischer Taekwondoin 21. November: Lee Smith, US-amerikanischer Footballspieler 22. November: Marouane Fellaini, belgischer Fußballspieler 24. November: Mehmed Alispahić, bosnisch-herzegowinischer Fußballspieler 24. November: Eric Avila, US-amerikanischer Fußballspieler 24. November: Oliver Konietzny, deutscher Schauspieler 24. November: Hristijan Spirovski, mazedonisch-australischer Pianist und Popsänger 25. November: Odil Ahmedov, usbekischer Fußballspieler 25. November: Julian Bayer, deutscher Schauspieler 25. November: Sergi Moreno, andorranischer Fußballspieler 28. November: Karen Gillan, britische Schauspielerin 29. November: Sandro Wagner, deutscher Fußballspieler Dezember 1. Dezember: Giedrius Arlauskis, litauischer Fußballspieler 1. Dezember: Cornelia Gröschel, deutsche Schauspielerin 1. Dezember: Philippa Strache, österreichische Moderatorin, Politikerin sowie ehemaliges Model. 2. Dezember: Luis Manuel Otero Alcántara, kubanischer Künstler und Dissident 2. Dezember: Nicolas Edet, französischer Radrennfahrer 3. Dezember: Michael Angarano, US-amerikanischer Film- und Fernsehschauspieler 6. Dezember: Rachel Laura Atherton, britische Mountainbikefahrerin 6. Dezember: Elvis Clausen, deutscher Schauspieler 6. Dezember: Harald Schlegelmilch, lettischer Automobilrennfahrer 7. Dezember: Aaron Carter, US-amerikanischer Sänger († 2022) 8. Dezember: Greg Merson, US-amerikanischer Pokerspieler 9. Dezember: Michael Kuehl, deutscher Schauspieler 9. Dezember: Hikaru Nakamura, US-amerikanischer Schachgroßmeister 9. Dezember: Ádám Szalai, ungarischer Fußballspieler 10. Dezember: Alexei Aksjonow, russischer Sprinter 10. Dezember: Sergio Luis Henao, kolumbianischer Radrennfahrer 10. Dezember: Gonzalo Higuaín, argentinischer Fußballspieler 11. Dezember: Markus Eggenhofer, österreichischer Skispringer 11. Dezember: Natalia Gordienco, moldawische Sängerin 12. Dezember: Stephan Andrist, schweizerischer Fußballspieler 12. Dezember: Tim Kalkhof, deutscher Schauspieler 13. Dezember: Michael Socha, britischer Schauspieler 13. Dezember: Wéverton, brasilianischer Fußballtorwart 13. Dezember: Mark Yee, US-amerikanischer Cellist 14. Dezember: Netsanet Achamo, äthiopische Langstrecken- und Hindernisläuferin 15. Dezember: Júlia Orban-Smidéliusz, ungarische Handballspielerin 16. Dezember: Hallee Hirsh, US-amerikanische Filmschauspielerin 17. Dezember: Maryna Arsamassawa, weißrussische Mittelstreckenläuferin 17. Dezember: Fabrizio Crestani, italienischer Automobilrennfahrer 17. Dezember: Bradley Manning, US-amerikanischer IT-Spezialist und Angehöriger der US-Streitkräfte 18. Dezember: Miki Andō, japanische Eiskunstläuferin 19. Dezember: Shūko Aoyama, japanische Tennisspielerin 19. Dezember: Karim Benzema, französischer Fußballspieler 20. Dezember: Matteo Busato, italienischer Radrennfahrer 20. Dezember: Taliana Vargas, kolumbianische Schauspielerin und Model 21. Dezember: Ismail Assad, algerischer Straßenradrennfahrer 21. Dezember: Harald Feuchtmann Perez, chilenischer Handballspieler 21. Dezember: Rachel Shenton, britische Filmschauspielerin 22. Dezember: Lisa Andreas, englisch-zypriotische Sängerin 23. Dezember: Daniela Götz, Schwimmerin 23. Dezember: Taťána Kuchařová, tschechisches Fotomodell 25. Dezember: Jorgie Porter, britische Schauspielerin 25. Dezember: Ma Qinghua, chinesischer Automobilrennfahrer 26. Dezember: Carolina Eyck, deutsche Thereminspielerin 26. Dezember: Corey Vanular, kanadischer Freestyle-Skier 27. Dezember: Andrea Arnaboldi, italienischer Tennisspieler 28. Dezember: Luise Risch, deutsche Schauspielerin 28. Dezember: Matthias Schwarz, deutscher Fußballspieler 29. Dezember: Kim Birke, deutsche Handballspielerin 29. Dezember: Yūhi Sekiguchi, japanischer Automobilrennfahrer 30. Dezember: Thomaz Bellucci, brasilianischer Tennisspieler 30. Dezember: Jeanette Ottesen, dänische Schwimmerin 30. Dezember: Antonia Pütz, deutsche Handballspielerin 31. Dezember: Akmal Amrun, malaysischer Straßenradrennfahrer 31. Dezember: Fabricio Agosto Ramírez, spanischer Fußballspieler 31. Dezember: Ángel Fournier, kubanischer Ruderer († 2023) 31. Dezember: Jan Peveling, deutscher Handballspieler 31. Dezember: René Summer, österreichischer Fußballtorwart Tag unbekannt Astroboter, deutscher Musiker und Produzent Daniel Auner, österreichischer Geiger Corinna Borau, deutsche Meteorologin, Redakteurin und Fernsehmoderatorin Esther Brandt, deutsche Schauspielerin, Synchronsprecherin und Moderatorin Conny, deutscher Rapper Mai Duong Kieu, deutsch-vietnamesische Schauspielerin Christian Erdt, deutscher Schauspieler Juliane Fisch, deutsche Schauspielerin Artjom Gilz, deutscher Schauspieler und Model Baran Hêvî, deutscher Schauspieler Elly Hoyt, australische Jazzsängerin Morena Hummel, deutsche Schauspielerin Harry Lampl, österreichischer Schauspieler Lara Marian, deutsche Schauspielerin Patrick Nellessen, deutscher Schauspieler Jasmina Neudecker, deutsche Moderatorin und Regisseurin Ferdi Özten, deutsch-türkischer Schauspieler und Synchronsprecher Sarina Radomski, deutsche Schauspielerin Tobias Retzlaff, deutscher Schauspieler Miriam Steimer, deutsche Journalistin und Moderatorin Sarah Stock, deutsche Schauspielerin Daron Yates, deutscher Schauspieler Matthias Zera, deutsch-polnischer Schauspieler Gestorben Januar 3. Januar: Franck Sylvain, haitianischer Politiker (* 1909) 5. Januar: Jesco von Puttkamer, deutscher Diplomat (* 1919) 6. Januar: Domingo Santa Cruz Wilson, chilenischer Komponist und Musikpädagoge (* 1899) 7. Januar: Marion Blackwell, US-amerikanische Dominikanerschwester, Komponistin und Musikpädagogin (* 1887) 7. Januar: Ferdinand Friedensbacher, österreichischer Skirennläufer und Skispringer (* 1911) 8. Januar: Elmer Miller, US-amerikanischer Baseballspieler (* 1903) 14. Januar: Johann Cramer, deutscher Politiker (* 1905) 14. Januar: Douglas Sirk, deutsch-amerikanischer Regisseur (* 1897) 14. Januar: Rauli Somerjoki, finnischer Rockmusiker und Sänger (* 1947) 15. Januar: Ray Bolger, US-amerikanischer Schauspieler (* 1904) 15. Januar: Rudolf Carl, österreichischer Schauspieler und Komiker (* 1899) 17. Januar: Aram A. Avakian, US-amerikanischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmeditor (* 1926) 17. Januar: Harry Darby, US-amerikanischer Politiker (* 1895) 17. Januar: Hugo Fregonese, ehemaliger Regisseur argentinischer Herkunft (* 1908) 18. Januar: Renato Guttuso, italienischer Maler (* 1911) 19. Januar: Lawrence Kohlberg, US-amerikanischer Psychologe (* 1927) 20. Januar: David Ouchterlony, kanadischer Organist, Musikpädagoge und Komponist (* 1914) 22. Januar: Budd Dwyer, US-amerikanischer Politiker (* 1939) 22. Januar: Fabio Metelli, italienischer Psychologe (* 1907) 23. Januar: John Coveart, kanadischer Pianist und Musikpädagoge (* 1924) 23. Januar: Elly Linden, deutsche Politikerin (* 1895) 25. Januar: Emil Hlobil, tschechischer Komponist und Musikpädagoge (* 1901) 26. Januar: Charles Wolcott, US-amerikanischer Musikdirektor, Komponist und Filmkomponist (* 1906) 27. Januar: Norman McLaren, kanadischer Trickfilmregisseur (* 1914) 28. Januar: Grete Rehor, österreichische Politikerin (* 1910) 29. Januar: Vincent R. Impellitteri, ehemaliger Bürgermeister von New York City (* 1900) 30. Januar: Joe Lederer, österreichische Journalistin und Schriftstellerin (* 1904) 31. Januar: Yves Allégret, französischer Regisseur (* 1905) 31. Januar: Boris Blinder, US-amerikanischer Cellist (* 1898) 31. Januar: Benno von Wiese, deutscher Germanist (* 1903) Februar 1. Februar: Alessandro Blasetti, italienischer Filmregisseur (* 1900) 1. Februar: Christian Broda, österreichischer Politiker (* 1916) 1. Februar: Gustav Knuth, deutscher Schauspieler (* 1901) 2. Februar: Alistair MacLean, schottischer Schriftsteller (* 1922) 2. Februar: Jakow Borissowitsch Estrin, russischer Schachspieler (* 1923) 3. Februar: Donald „Don“ Joel Aronow, US-amerikanischer Konstrukteur und Rennbootfahrer (* 1927) 4. Februar: Liberace, US-amerikanischer Entertainer (* 1919) 4. Februar: Carl Rogers, US-amerikanischer Psychologe und Jugend-Psychotherapeut (* 1902) 5. Februar: C.W. Adams, US-amerikanischer Western-Swing-Musiker und Viehzüchter (* 1919) 5. Februar: Kōichi Isoda, japanischer Literaturkritiker und -wissenschaftler (* 1931) 8. Februar: Otto Bertram, Luftwaffenoffizier im Dritten Reich und Bundeswehr (* 1916) 8. Februar: Max Seydewitz, deutscher Politiker (* 1892) 10. Februar: Anton Donhauser, deutscher Politiker (* 1913) 10. Februar: Robert O’Brien, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1908) 10. Februar: Hans Rosenthal, deutscher Fernsehshowmaster (* 1925) 11. Februar: Mark Ashton, britischer Aktivist (* 1960) 12. Februar: Rudolf Henz, österreichischer Schriftsteller; Programmdirektor des österreichischen Rundfunks (* 1897) 16. Februar: Alois Brems, katholischer Bischof von Eichstätt (* 1906) 16. Februar: Miguel Prado Paz, mexikanischer Komponist (* 1905) 17. Februar: Leopoldo de Anchóriz Fustel, spanischer Schauspieler (* 1932) 17. Februar: Philip Arp, deutscher Schauspieler, Kabarettist, Autor und Regisseur (* 1929) 19. Februar: Claudia Doren, deutsche Fernsehansagerin (* 1931) 19. Februar: Kirsten Walther, dänische Schauspielerin (* 1933) 20. Februar: Joseph Parecattil, Erzbischof von Ernakulam und Kardinal (* 1912) 20. Februar: Adrian Cruft, britischer Komponist (* 1921) 20. Februar: E. P. Jacobs, belgischer Zeichner von Comics. (* 1904) 21. Februar: Leo Adler, österreichischer Maler und Grafiker (* 1897) 22. Februar: Hildegard Domizlaff, deutsche Bildhauerin, Holzschnitt- und Schmuckkünstlerin (* 1898) 22. Februar: Alberto Echagüe, argentinischer Sänger und Liedtexter (* 1909) 22. Februar: Andy Warhol, Begründer und der bedeutendste Künstler der Pop-Art (* 1928) 23. Februar: José Afonso, portugiesischer Sänger und Komponisten (* 1929) 24. Februar: Jacques Albrespic, französischer Komponist und Organist (* 1922) 25. Februar: James Coco, US-amerikanischer Schauspieler (* 1930) 28. Februar: Anny Ondra, deutsch-tschechische Schauspielerin (* 1902) 28. Februar: Karl Emerich Krämer, deutscher Schriftsteller (* 1918) März 1. März: Bernard Abraham van Groningen, niederländischer Gräzist und Papyrologe (* 1894) 2. März: Randolph Scott, US-amerikanischer Schauspieler (* 1898) 3. März: Danny Kaye, US-amerikanischer Schauspieler, Komiker und Sänger (* 1911) 5. März: Ludwig Apfelbeck, österreichischer Ingenieur und Konstrukteur von Verbrennungsmotoren (* 1903) 5. März: Josef Gregor, deutscher Volksliedpädagoge (* 1903) 9. März: Richard F. Kneip, US-amerikanischer Politiker (* 1933) 11. März: Dietrich Bahner senior, deutscher Unternehmer Politiker (* 1913) 12. März: Richard Levinson, US-amerikanischer Filmproduzent und Drehbuchautor (* 1934) 13. März: Bernhard Grzimek, Tierarzt, Tierfilmer, Autor und Herausgeber von Tierbüchern (* 1909) 13. März: Gerald Moore, britischer Pianist (* 1899) 13. März: Fela Sowande, nigerianischer Komponist, Organist und Musikpädagoge (* 1905) 15. März: Léon Fleuriot, französischer Keltologe und Historiker (* 1923) 16. März: Frederick Grinke, kanadischer Geiger und Musikpädagoge (* 1911) 16. März: Franz Heinrich Ulrich, deutscher Bankmanager (* 1910) 17. März: Georg Lammers, deutscher Leichtathlet (* 1905) 18. März: Karl Heinz Robrahn, kath. Lyriker (* 1913) 19. März: Louis-Victor de Broglie, französischer Physiker (* 1892) 20. März: Rita Streich, deutsche Sopranistin (* 1920) 21. März: Dean Paul Martin, US-amerikanischer Schauspieler (* 1951) 21. März: Robert Preston, US-amerikanischer Schauspieler (* 1918) 21. März: Jacob Taubes, Judaist, Religionssoziologe, Philosoph (* 1923) 21. März: Ollie Sansen, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1908) 22. März: Odysseas Angelis, griechischer Offizier und Politiker (* 1912) 22. März: Gustava Kahler, österreichische Geologin und Paläontologin (* 1906) 22. März: Olaf Klose, deutscher Kunsthistoriker und Bibliothekar (* 1903) 22. März: Joan Shawlee, US-amerikanische Schauspielerin (* 1926) 23. März: Walter Walford Johnson, US-amerikanischer Politiker (* 1904) 25. März: Reginald Godden, kanadischer Pianist und Musikpädagoge (* 1905) 25. März: Moustache, französischer Jazz-Schlagzeuger (* 1929) 26. März: Walter Abel, US-amerikanischer Schauspieler (* 1898) 26. März: Eugen Jochum, deutscher Dirigent (* 1902) 26. März: Georg Muche, Maler, Graphiker, Bauhausstil (* 1895) 27. März: Max Spangenberg, Mitglied des Politbüros des ZK der SED in der DDR (* 1907) 28. März: Alphonse Amadou Alley, Präsident von Dahomey (* 1930) 28. März: Maria Augusta von Trapp, US-amerikanische Sängerin und Schriftstellerin (* 1905) 31. März: Eugen Andergassen, österreichischer Schriftsteller (* 1907) April 1. April: Henri Cochet, französischer Tennisspieler (* 1901) 1. April: Pierre Thériault, kanadischer Schauspieler (* 1930) 2. April: Buddy Rich, US-amerikanischer Jazz-Schlagzeuger (* 1917) 3. April: Robert Dalban, französischer Schauspieler (* 1903) 4. April: C. L. Moore, Science-Fiction- und Fantasy-Autorin (* 1911) 5. April: Leabua Jonathan, lesothischer Politiker (* 1914) 5. April: Nakazato Tsuneko, japanische Schriftstellerin (* 1909) 9. April: Horst Dassler, deutscher Unternehmer (* 1936) 10. April: Birgit Dressel, deutsche Leichtathletin (* 1960) 10. April: Berta Drews, deutsche Schauspielerin (* 1901) 11. April: Erskine Caldwell, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1903) 11. April: Primo Levi, italienischer Schriftsteller und Chemiker (* 1919) 12. April: René Hardy, Mitglied der Résistance, vermutlich der Verräter von Jean Moulin (* 1911) 13. April: Fridolin Aichner, deutsch-mährischer Lehrer und Schriftsteller (* 1912) 13. April: Gholam Hossein Bigjekhani, iranischer Tarspieler (* 1918) 13. April: Herbert Blumer, US-amerikanischer Soziologe (* 1900) 14. April: Karl Höller, deutscher Komponist (* 1907) 15. April: Jonas Deichmann, deutscher Extremsportler (* 1987) 15. April: Orland Kay Armstrong, US-amerikanischer Politiker (* 1893) 17. April: Carlton Barrett, jamaikanischer Reggae-Schlagzeuger (The Wailers) (* 1950) 17. April: Dick Shawn, US-amerikanischer Schauspieler (* 1923) 17. April: Cornelius Van Til, niederländisch-US-amerikanischer presbyterianischer Pastor, Professor für Apolegetik und Autor (* 1895) 18. April: Kenneth Cook, australischer Journalist, Drehbuchautor und Regisseur (* 1929) 19. April: Hasegawa Shirō, japanischer Schriftsteller und Übersetzer (* 1909) 19. April: Maxwell D. Taylor, General und Diplomat der Vereinigten Staaten (* 1901) 19. April: Antony Tudor, britischer Balletttänzer und Choreograf (* 1908) 21. April: Walther Asal, deutscher Generalstabsarzt und Chirurg (* 1891) 21. April: Hermann Götz, deutscher Politiker (* 1914) 21. April: Gustav Bergmann, österreichischer Wissenschaftstheoretiker (* 1906) 22. April: Irving Ashby, US-amerikanischer Jazzgitarrist (* 1920) 22. April: Margaret Ponce Israel, US-amerikanische Keramikerin und Malerin (* 1929) 27. April: Gioacchino Colombo, italienischer Konstrukteur von Automobilmotoren (* 1903) 27. April: Attila Hörbiger, österreichischer Schauspieler (* 1896) 27. April: Walther Kauer, Schweizer Schriftsteller (* 1935) 28. April: Emil Staiger, Professor der Germanistik an der Universität Zürich (* 1908) Mai 1. Mai: Walther G. Oschilewski, deutscher Publizist, Lyriker und Kulturhistoriker (* 1904) 3. Mai: Dalida, französische Sängerin und Schauspielerin (* 1933) 4. Mai: Paul Butterfield, Musiker (* 1942) 5. Mai: Joseph Ackermann, Schweizer Politiker (* 1901) 5. Mai: Gilles Boizard, französischer Komponist (* 1933) 6. Mai: William J. Casey, US-amerikanischer CIA-Direktor (* 1913) 7. Mai: Colin Blakely, britischer Schauspieler (* 1930) 7. Mai: Else Meidner, deutsche Grafikerin und Malerin (* 1901) 7. Mai: Karl Schuke, deutscher Orgelbauer (* 1906) 7. Mai: Miroslav Venhoda, tschechischer Chordirigent (* 1915) 10. Mai: Hermann Glöckner, deutscher Maler (* 1889) 10. Mai: Wilhelm Strienz, deutscher Sänger (* 1900) 11. Mai: Hans Klotz, deutscher Kirchenmusiker und Organologe (* 1900) 12. Mai: James Jesus Angleton, US-amerikanischer Agent (* 1917) 12. Mai: Victor Feldman, englischer Jazzmusiker (* 1934) 13. Mai: Georgi Iwanowitsch Petrow, russischer Ingenieur (* 1912) 14. Mai: Rita Hayworth, US-amerikanische Schauspielerin (* 1918) 17. Mai: Gunnar Myrdal, schwedischer Ökonom (* 1898) 18. Mai: Heðin Brú, Färöischer Schriftsteller (* 1901) 19. Mai: James Tiptree junior, US-amerikanischer Science-Fiction-Schriftsteller (* 1915) 21. Mai: Emmy Damerius-Koenen, Journalistin, Mitbegründerin des DFD (* 1903) 21. Mai: Ernst Nagelschmitz, deutscher Fußballspieler (* 1902) 22. Mai: Heinrich Mückter, deutscher Mediziner und Chemiker (* 1914) 24. Mai: Niklot Beste, Bischof in der DDR (* 1901) 24. Mai: Orville Gilbert Brim, US-amerikanischer Pädagoge und Hochschullehrer (* 1883) 24. Mai: Hermione Gingold, britische Schauspielerin (* 1897) 24. Mai: Detlef Struve, deutscher Politiker (* 1903) 25. Mai: Charley Brock, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1916) 27. Mai: John Howard Northrop, US-amerikanischer Chemiker (* 1891) 28. Mai: John Archer, englischer Fußballtorhüter (* 1936) 29. Mai: Max Lang, Schweizer Musiker, Komponist und Dirigent (* 1917) 29. Mai: Choudhary Charan Singh, Ministerpräsident Indiens (* 1902) 30. Mai: Frank Carlson, US-amerikanischer Politiker (* 1893) 30. Mai: Frank Licht, US-amerikanischer Politiker (* 1916) 30. Mai: Hilde Weissner, deutsche Schauspielerin (* 1909) Juni 1. Juni: Khwaja Ahmad Abbas, indischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Journalist (* 1914) 1. Juni: Errol Walton Barrow, Politiker auf Barbados (* 1920) 1. Juni: Rashid Karami, libanesischer Politiker (* 1921) 1. Juni: Anthony de Mello, Jesuitenpriester und spiritueller Lehrer (* 1931) 2. Juni: Sammy Kaye, US-amerikanischer Orchesterleiter und Komponist (* 1910) 2. Juni: Andrés Segovia, spanischer Gitarrist (* 1893) 3. Juni: Will Sampson, US-amerikanischer Schauspieler (* 1933) 4. Juni: Bernhard Leverenz, deutscher Politiker (* 1909) 5. Juni: Richard Münch, deutscher Schauspieler (* 1916) 5. Juni: Takahashi Shinkichi, japanischer Lyriker (* 1901) 6. Juni: Burhan Atak, türkischer Fußballspieler und -schiedsrichter (* 1905) 6. Juni: Mori Mari, japanische Schriftstellerin (* 1903) 7. Juni: Humberto Costantini, argentinischer Schriftsteller (* 1924) 7. Juni: Clara Döhring, deutsche Politikerin und MdB (* 1899) 9. Juni: Monique Haas, französische Pianistin (* 1909) 10. Juni: Elizabeth Hartman, US-amerikanische Schauspielerin (* 1943) 12. Juni: Paul Janes, deutscher Fußballspieler (* 1912) 13. Juni: Geraldine Page, US-amerikanische Schauspielerin (* 1924) 14. Juni: Jack Mavrogordato, britischer Rechtsanwalt, Falkner und Autor (* 1905) 17. Juni: Herbert Anker, deutscher Architekt (* 1908) 19. Juni: Ian Donald, britischer Gynäkologe (* 1910) 20. Juni: Bruno Friedrich, deutscher Politiker (* 1927) 21. Juni: Abram Chasins, US-amerikanischer Komponist, Pianist und Musikwissenschaftler (* 1903) 22. Juni: Fred Astaire, US-amerikanischer Tänzer, Sänger und Schauspieler (* 1899) 23. Juni: Adrienne Gessner, österreichische Schauspielerin (* 1896) 23. Juni: Tito Lara, puerto-ricanischer Sänger und Schauspieler (* 1932) 23. Juni: Helmut Stellrecht, deutscher Politiker und Schriftsteller (* 1898) 24. Juni: Jackie Gleason, US-amerikanischer Schauspieler (* 1916) 26. Juni: Henk Badings, niederländischer Komponist (* 1907) 26. Juni: Arthur F. Burns, US-amerikanischer Ökonom (* 1904) 27. Juni: Pierre Nicole, Schweizer Journalist und Politiker (* 1909) 29. Juni: Elizabeth „Libba“ Cotten, US-amerikanische Folk- und Blues-Musikerin (* 1893) Juli 1. Juli: Edvard Fendler, deutscher Dirigent (* 1902) 1. Juli: Philip Charles Lithman, britischer Rockgitarrist (* 1949) 4. Juli: Bengt Strömgren, ein Bruce-Medaillengewinner (* 1908) 4. Juli: Bernard U. Taylor, US-amerikanischer Musikpädagoge (* 1897) 7. Juli: Hannelore Schroth, deutsche Schauspielerin (* 1922) 10. Juli: John Hammond, US-amerikanischer Plattenproduzent, Musiker und Musikkritiker (* 1910) 11. Juli: Christian Anatole, französischer Romanist und Okzitanist (* 1937) 11. Juli: Tom Waddell, US-amerikanischer Arzt und Sportler (* 1937) 12. Juli: Rudolf Lenz, österreichischer Schauspieler (* 1920) 15. Juli: Pete King, britischer Musiker (* 1958) 16. Juli: Jean-Marc Chappuis, Schweizer evangelischer Theologe und Hochschullehrer (* 1924) 17. Juli: Oscar Andriani, italienischer Schauspieler (* 1905) 17. Juli: Jörg Fauser, deutscher Schriftsteller und Journalist (* 1944) 17. Juli: Howard McGhee, US-amerikanischer Jazz-Trompeter (* 1918) 18. Juli: Gilberto Freyre, brasilianischer Soziologe und Anthropologe (* 1900) 20. Juli: Richard Egan, US-amerikanischer Schauspieler (* 1921) 25. Juli: Malcolm Baldrige, US-amerikanischer Politiker (* 1922) 31. Juli: Joseph Meurers, deutscher Astronom, Astrophysiker und Naturphilosoph (* 1909) August 1. August: Abu Sayeed Chowdhury, Politiker in Bangladesch (* 1921) 1. August: Pola Negri, polnische Schauspielerin und ein Star des Stummfilms (* 1897) 1. August: Alois Pfeiffer, deutscher Gewerkschafter und Politiker (* 1924) 3. August: Bruno Heusinger, zweiter Präsident des Bundesgerichtshofs (* 1900) 3. August: Karl Hoppe, deutscher Motorradrennfahrer (* 1923) 3. August: Bert Niosi, kanadischer Bandleader, Klarinettist, Saxophonist und Komponist (* 1909) 4. August: Hanns Aderhold, deutscher Wasserspringer (* 1919) 5. August: Zygmunt Mycielski, polnischer Komponist (* 1907) 5. August: Tatsuhiko Shibusawa, japanischer Schriftsteller (* 1928) 7. August: Camille Chamoun, libanesischer Politiker (* 1900) 7. August: Nobusuke Kishi, japanischer Politiker (* 1896) 7. August: Manfred Schubert, deutscher Politiker, Professor für Verfahrenstechnik in Dresden (* 1930) 8. August: Hans Milch, Pfarrer und Gründer der actio spes unica, wurde ermordet (* 1924) 9. August: Jutta Balk, Malerin, Mitbegründerin des städtischen Puppentheaters in Magdeburg (* 1902) 10. August: Patrick Aloysius O’Boyle, Erzbischof von Washington und Kardinal (* 1896) 10. August: Giorgos Athanasiadis-Novas, griechischer Schriftsteller, Politiker und Ministerpräsident (* 1893) 11. August: Zvonimir Bajsić, jugoslawischer Dramatiker, Regisseur und Übersetzer (* 1925) 11. August: Alexander Ziegler, Schauspieler, Publizist und Schriftsteller (* 1944) 12. August: Lena Ohnesorge, deutsche Politikerin (* 1898) 14. August: Vincent Persichetti, US-amerikanischer Komponist (* 1915) 16. August: Arthur Grundmann, deutscher Politiker (* 1920) 17. August: Clarence Brown, US-amerikanischer Filmregisseur (* 1890) 17. August: Carlos Drummond de Andrade, brasilianischer Lyriker (* 1902) 17. August: Rudolf Heß, nationalsozialistischer Politiker (* 1894) 18. August: Fukazawa Shichirō, japanischer Schriftsteller (* 1914) 19. August: Ydnekachew Tessema, äthiopischer Fußballer und Sportfunktionär (* 1921) 22. August: Helmut Allardt, deutscher Diplomat (* 1907) 22. August: Imre Reiner, ungarischer Maler, Grafiker und Typograf (* 1900) 23. August: Siegfried Borris, deutscher Komponist, Musikwissenschaftler und Musikpädagoge (* 1906) 23. August: Didier Pironi, französischer Automobilrennfahrer (* 1952) 23. August: Stephanos I. Sidarouss Kardinal und Patriarch von Alexandria (* 1904) 25. August: Erik Arnberger, österreichischer Kartograf (* 1917) 25. August: Otto Höfler, österreichischer Germanist (* 1901) 25. August: Willi Weyer, deutscher Sportfunktionär (* 1917) 26. August: Heribert Apfalter, österreichischer Industriemanager (* 1925) 26. August: Georg Wittig, deutscher Chemiker (* 1897) 27. August: Gerhard Puchelt, deutscher Pianist (* 1913) 28. August: Ewart Bartley, kanadischer Organist, Chorleiter, Musikpädagoge und Komponist (* 1909) 28. August: John Huston, US-amerikanischer Filmregisseur und Schauspieler (* 1906) 29. August: Lee Marvin, US-amerikanischer Schauspieler (* 1924) 31. August: Hans Eisenmann, deutscher Politiker (* 1923) September 1. September: Gerhard Fieseler, Industrieller, Nationalsozialist, Flugzeugkonstrukteur, Kunst- und Jagdflieger (* 1896) 2. September: William Borm, FDP-Politiker und DDR-Agent (* 1895) 3. September: Morton Feldman, US-amerikanischer Komponist (* 1926) 3. September: Wiktor Platonowitsch Nekrassow, sowjetischer Schriftsteller (* 1911) 4. September: Walther Abel, deutscher klassischer Philologe (* 1906) 4. September: Hans von Lehndorff, deutscher Schriftsteller (* 1910) 5. September: Wolfgang Fortner, deutscher Komponist (* 1907) 5. September: René Hernández, kubanischer Pianist und Arrangeur (* 1916) 6. September: Richard Schneider, katholischer Geistlicher und im KZ Dachau inhaftiert (* 1893) 6. September: Theodor Sonnemann, deutscher Staatssekretär (* 1900) 7. September: Gordon M. Gollob, deutscher Jagdflieger und General der Jagdflieger (* 1912) 8. September: Konrad Georg, deutscher Schauspieler (* 1914) 8. September: Klaus Immelmann, deutscher Verhaltensbiologe (* 1935) 9. September: Gunnar de Frumerie, schwedischer Pianist und Komponist (* 1908) 9. September: Gerrit Jan Heijn, niederländischer Geschäftsmann (* 1931) 11. September: Margot Büttner, deutsche Naturschützerin (* 1900) 11. September: Ludovic Feldman, rumänischer Komponist (* 1893) 11. September: Lorne Greene, kanadischer Schauspieler (* 1915) 11. September: Peter Tosh, jamaikanischer Sänger (* 1944) 12. September: John Qualen, kanadischer Schauspieler (* 1899) 13. September: Mervyn LeRoy, US-amerikanischer Filmregisseur und Filmproduzent (* 1900) 16. September: Christopher Soames, britischer Politiker (* 1920) 17. September: Dieter Schidor, deutscher Schauspieler (* 1948) 17. September: Bradford Tracey, deutscher Pianist und Cembalist (* 1951) 18. September: Américo Tomás, Admiral, portugiesischer Staatspräsident (1958 bis 1974) (* 1894) 19. September: Einar Gerhardsen, norwegischer sozialdemokratischer Politiker (* 1897) 21. September: Aimo Anshelm Aaltonen, finnischer Politiker (* 1906) 21. September: Sven Olof Morgan Andersson, schwedischer Politiker (* 1910) 21. September: Jaco Pastorius, US-amerikanischer Jazzmusiker und Komponist (* 1951) 22. September: Norman Luboff, US-amerikanischer Komponist und Chorleiter (* 1917) 23. September: Bob Fosse, US-amerikanischer Filmregisseur (* 1927) 23. September: Maria Müller-Gögler, deutsche Schriftstellerin (* 1900) 25. September: Hermann Gutmann, deutscher Unternehmer (* 1907) 25. September: Mary Astor, US-amerikanische Schauspielerin (* 1906) 26. September: Harold Macfarlane Anstey, britischer Filmproduzent (* 1907) 26. September: Herbert Tichy, Schriftsteller, Bergsteiger (* 1912) 26. September: Ethel Catherwood, kanadische Leichtathletin (* 1908) 27. September: Jochen Steffen, deutscher Politiker (* 1922) 28. September: Mario von Galli, Jesuit, theologischer Redaktor und Publizist (* 1904) 29. September: Henry Ford II, Enkel von Henry Ford, Präsident der Ford Motor Company von 1945 bis 1960 (* 1917) 30. September: Alfred Bester, US-amerikanischer Science-Fiction-Autor (* 1913) 30. September: Robert Schollum, österreichischer Komponist und Dirigent (* 1913) Oktober 2. Oktober: Madeleine Carroll, britische Schauspielerin (* 1906) 2. Oktober: Peter Brian Medawar, britischer Zoologe und Anatom (* 1915) 3. Oktober: Kalervo Palsa, finnischer Maler des Expressionismus (* 1947) 3. Oktober: Jean Anouilh, französischer Schriftsteller (* 1910) 3. Oktober: Hans Gál, österreichischer Komponist (* 1890) 3. Oktober: Maria Ivogün, ungarische Sopranistin (* 1891) 6. Oktober: Eugen Steimle, Chef des SD in Stuttgart (* 1909) 7. Oktober: John Fletcher, britischer Musiker (* 1941) 7. Oktober: Bobby Walston, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1928) 8. Oktober: Konstantinos Tsatsos, griechischer Politiker (* 1899) 9. Oktober: William Parry Murphy, US-amerikanischer Arzt, Nobelpreisträger (* 1892) 10. Oktober: Richard Imbt, deutscher Politiker (* 1900) 11. Oktober: Uwe Barschel, CDU-Politiker, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein (* 1944) 11. Oktober: Erich Peter, deutscher Generaloberst, Chef der Grenztruppen (* 1919) 11. Oktober: Fritz Rößler, deutscher Politiker (* 1912) 11. Oktober: Eleonora Rozanek, deutsche Malerin (* 1896) 12. Oktober: Fahri Korutürk, türkischer Politiker und Admiral (* 1903) 12. Oktober: Alf Landon, US-amerikanischer Politiker (* 1887) 12. Oktober: Russ Letlow, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1913) 12. Oktober: Martin Ness, deutscher Tischtennisspieler (* 1942) 12. Oktober: Heinz Vollmar, deutscher Fußballspieler (* 1936) 13. Oktober: Walter H. Brattain, US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger. (* 1902) 13. Oktober: Gisela Andersch, deutsche Malerin, Graphikerin und Collagekünstlerin (* 1913) 14. Oktober: Emmy Loose, österreichische Kammersängerin (* 1914) 15. Oktober: Thomas Sankara, linksgerichteter Politiker in Burkina Faso (* 1949) 16. Oktober: Joseph Höffner, deutscher Kardinal (* 1906) 19. Oktober: Igor Newerly, polnischer Schriftsteller und Pädagoge (* 1903) 19. Oktober: Hermann Lang, deutscher Automobilrennfahrer (* 1909) 19. Oktober: Jacqueline du Pré, englische Cellistin (* 1945) 20. Oktober: Andrei Nikolajewitsch Kolmogorow, russischer Mathematiker (* 1903) 22. Oktober: Lino Ventura, italienisch-französischer Filmschauspieler (* 1919) 23. Oktober: Diether Ritzert, Maler und Graphiker (* 1927) 23. Oktober: Karlfranz Schmidt-Wittmack, deutscher Politiker, MdB (* 1914) 23. Oktober: Alejandro Scopelli Casanova, argentinisch-italienischer Fußballspieler und Fußballtrainer (* 1908) 27. Oktober: Jean Hélion, französischer Maler (* 1904) 28. Oktober: Theo Burauen, früherer Oberbürgermeister der Stadt Köln (* 1906) 28. Oktober: André Masson, französischer Maler (* 1896) 29. Oktober: Jakob Bräckle, deutscher Maler (* 1897) 29. Oktober: Woody Herman, US-amerikanischer Jazzmusiker, Klarinettist und Bandleader (* 1913) 30. Oktober: Joseph Campbell, US-amerikanischer Autor (* 1904) 31. Oktober: Natalie Beer, österreichische Lyrikerin und Schriftstellerin (* 1903) November 1. November: René Lévesque, kanadischer Politiker (* 1922) 3. November: Wiggerl Kraus, deutscher Motorradrennfahrer (* 1907) 4. November: Ekkehard Fritsch, deutscher Schauspieler (* 1921) 4. November: Danielle Gaubert, französische Schauspielerin (* 1943) 4. November: Paulin Soumanou Vieyra, Pionier des afrikanischen Kinos (* 1925) 5. November: Jan Nicolaas Bakhuizen van den Brink, niederländischer Theologe und Kirchenhistoriker (* 1896) 6. November: Sohar Argov, israelischer Sänger (* 1955) 6. November: Sydney Morris Cockerell, britischer Buchbinder, Buchrestaurator und Papierdesigner (* 1906) 6. November: Jean Rivier, französischer Komponist (* 1896) 7. November: Arne Borg, schwedischer Schwimmer (* 1901) 8. November: Erwin Sutz, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1906) 10. November: Seyni Kountché, ehemaliger Präsident von Niger (* 1931) 12. November: Maria Felchlin, erste praktizierende Ärztin des Kantons Solothurn (* 1899) 12. November: Cornelis Vreeswijk, holländisch-schwedischer Troubadour, Komponist und Dichter (* 1937) 15. November: Ernő Goldfinger, ungarisch-britischer Architekt (* 1902) 17. November: Mozaffar Baqai, iranischer Politiker (* 1912) 17. November: Jean Lallemand, kanadischer Mäzen (* 1898) 17. November: Kurt Lindner, deutscher Unternehmer und Jagdwissenschaftler (* 1906) 18. November: Jacques Anquetil, französischer Radrennfahrer (* 1934) 18. November: George Ryga, kanadischer Schriftsteller (* 1932) 19. November: Wilhelm Käber, Politiker Landesminister (* 1896) 21. November: James Folsom senior, US-amerikanischer Politiker (* 1908) 21. November: Dixie Boy Jordan, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1906) 22. November: Helmut Aris, deutscher Politiker (* 1908) 22. November: William Haydon Burns, US-amerikanischer Politiker (* 1912) 22. November: Plácido Domingo Ferrer, spanischer Zarzuelasänger (Bariton) (* 1907) 24. November: Abd ar-Rahman Scharkawi, ägyptischer Schriftsteller (* 1921) 24. November: Hans Schubert, deutscher Mathematiker (* 1908) 25. November: Hermann Ferdinand Arning, deutscher Jurist und Politiker (* 1911) 25. November: Harold Washington, US-amerikanischer Politiker (* 1922) 26. November: Willibald Pschyrembel, deutscher Arzt (* 1901) 27. November: Charline Arthur, US-amerikanische Rockabilly-Musikerin (* 1929) 28. November: Paul Arma, französischer Komponist, Musikethnologe und Pianist (* 1905) 28. November: Wolfgang Liebeneiner, deutscher Schauspieler und Regisseur (* 1905) 28. November: Víctor Yturbe, mexikanischer Sänger (* 1926) 29. November: Herbert Langemann, deutscher Schauspieler (* 1950) 30. November: Helmut Horten, deutscher Unternehmer (* 1909) Dezember 1. Dezember: James Baldwin, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1924) 1. Dezember: Vatche Hovsepian, armenischer Dudukspieler (* 1925) 1. Dezember: Franz Ryba, deutscher Politiker (* 1910) 1. Dezember: Alessandro Vallebona, italienischer Radiologe, Entwickler der Tomographie (* 1899) 2. Dezember: Donn Eisele, US-amerikanischer Astronaut (* 1930) 2. Dezember: Luis Federico Leloir, argentinischer Biochemiker (* 1906) 2. Dezember: Juan Alberto Melgar Castro, honduranischer Politiker (* 1930) 2. Dezember: Myrta Silva, puerto-ricanische Sängerin und Komponistin (* 1927) 3. Dezember: Christine Busta, eine österreichische Lyrikerin (* 1915) 4. Dezember: Rouben Mamoulian, US-amerikanischer Film- und Theaterregisseur (* 1897) 5. Dezember: Johannes Arnold, deutscher Schriftsteller (* 1928) 5. Dezember: Molly O’Day, US-amerikanische Countrysängerin (* 1923) 6. Dezember: Maria Koller-Feuchtinger, österreichische Politikerin (* 1897) 6. Dezember: Peter Lorenz, deutscher Politiker (* 1922) 6. Dezember: Walt Stickel, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1922) 7. Dezember: Hermann Meinert, deutscher Historiker und Archivar (* 1894) 8. Dezember: Annelies Kupper, deutsche Opernsängerin (* 1906) 9. Dezember: Ernst August von Hannover, Oberhaupt des Hauses Hannover (* 1914) 10. Dezember: Giovanni Arpino, italienischer Schriftsteller und Journalist (* 1927) 10. Dezember: Jascha Heifetz, Violinist (* 1901) 10. Dezember: Denis Sanders, US-amerikanischer Filmemacher und Oscarpreisträger (* 1929) 10. Dezember: Leroy Stewart, US-amerikanischer Jazzmusiker (* 1914) 10. Dezember: Boris Alexandrowitsch Tschagin, russischer Philosoph und Historiker (* 1899) 11. Dezember: Adile Naşit, türkisch-armenische Komödiantin des türkischen Films (* 1930) 12. Dezember: Clifton Chenier, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1925) 13. Dezember: Klaus Schädelin, Pfarrer, Politiker, Schriftsteller (* 1918) 13. Dezember: Claude T. Smith, US-amerikanischer Komponist (* 1932) 13. Dezember: Herbert Tiede, deutscher Schauspieler (* 1915) 14. Dezember: Raúl Damonte Botana, argentinischen Comiczeichner (* 1939) 14. Dezember: Georg Knöpfle, deutscher Fußballspieler und Fußballtrainer (* 1904) 15. Dezember: Elisabeth Zaisser, Ministerin für Volksbildung der DDR (* 1898) 17. Dezember: Bernard Jan Alfrink, niederländischer Kardinal (* 1900) 17. Dezember: Horst Käsler, deutscher Handballspieler und -trainer sowie Professor für Sportdidaktik (* 1926) 17. Dezember: Marguerite Yourcenar, Schriftstellerin (* 1903) 19. Dezember: Bob Adler, US-amerikanischer Schauspieler (* 1906) 21. Dezember: Eugene Lukacs, US-amerikanischer Mathematiker ungarischer Herkunft (* 1906) 22. Dezember: Gustav Fröhlich, deutscher Schauspieler, Regisseur und Drehbuchautor (* 1902) 22. Dezember: Alice Terry, US-amerikanische Schauspielerin (* 1899) 24. Dezember: Eugen Kogon, deutscher Publizist, Soziologe und Politikwissenschaftler (* 1903) 24. Dezember: Joop den Uyl, niederländischer Politiker (* 1919) 25. Dezember: Anthony J. Armentano, US-amerikanischer Politiker (* 1916) 25. Dezember: Werner Scheid, deutscher Neurologe und Psychiater (* 1909) 26. Dezember: Kurt Birrenbach, deutscher Politiker und MdB (* 1907) 26. Dezember: Fritz Schachermeyr, österreichischer Althistoriker (* 1895) 27. Dezember: Harry Buckwitz, deutscher Regisseur (* 1904) 29. Dezember: M. G. Ramachandran, indischer Filmschauspieler und Politiker (* 1917) 30. Dezember: Leslie John S. Arliss, britischer Drehbuchautor und Filmregisseur (* 1901) 30. Dezember: Helmut Hermann Wittler, Bischof von Osnabrück (* 1913) 31. Dezember: Hansl Schmid, österreichischer Wienerliedsänger (* 1897) 31. Dezember: Wolfgang Zeidler, Richter (* 1924) Tag unbekannt Costantino Affer, italienischer Medailleur (* 1906) Thomas Agro, US-amerikanischer Mobster (* 1931) Edna Anhalt, US-amerikanische Drehbuchautorin und Filmproduzentin (* 1914) Khalilullah Khalili, afghanischer Dichter, Diplomat (* 1907) José Ramírez Conde, dominikanischer Maler (* 1940) Christa Siebenrok (* 1926), deutsche Objektkünstlerin Wissenschaftspreise Nobelpreise Physik: Johannes Georg Bednorz und Karl Alexander Müller Chemie: Donald J. Cram, Jean-Marie Lehn und Charles Pedersen Medizin: Susumu Tonegawa Literatur: Joseph Brodsky Friedensnobelpreis: Óscar Arias Sánchez Wirtschaftswissenschaft: Robert Solow Turing Award John Cocke, für die Compilertheorie und -design, Architektur großer Systeme, Entwurf der RISC-Architektur; insbesondere für die Entdeckung und Systematisierung vieler zur Optimierung von Compilern grundlegender Transformationen, wie die Verringerung der Operatorstärke, Eliminierung verbreiteter Unterausdrücke und von totem Code, Registerallokation und Konstantenausbreitung. Musik Guns n’ Roses veröffentlichte ihr erstes Studioalbum Appetite for Destruction. Whitesnake veröffentlichte das Album 1987 (auch Whitesnake). Johnny Logan gewinnt am 9. Mai in Brüssel mit dem Lied Hold Me Now für Irland die 32. Auflage des Eurovision Song Contest. Es war der zweite Sieg für Logan. 7. Juli: Das Debütalbum Paid in Full von Eric B. & Rakim erscheint und revolutioniert den Eastcoast-Hip-Hop. Michael Jackson veröffentlicht mit dem Album Bad sein neues und lange erwartetes Nachfolge-Album von Thriller. Bad wird Nummer 1 in 25 Ländern und verkauft sich über 30 Millionen Mal. Tango in the Night von Fleetwood Mac Liste der Nummer-eins-Hits in Deutschland (1987) Die amerikanische Grunge-Band Nirvana wird gegründet. Weblinks Jahresrückblick von tagesschau.de Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD Jahr 1987 von Frank Rübertus Einzelnachweise
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Kyoto-Protokoll
Das Protokoll von Kyoto zum Rahmenübereinkommen der Vereinten Nationen über Klimaänderungen, kurz Kyoto-Protokoll oder Kioto-Protokoll (benannt nach dem Ort der Konferenz Kyōto in Japan), ist ein am 11. Dezember 1997 beschlossenes Zusatzprotokoll zur Ausgestaltung der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) mit dem Ziel des Klimaschutzes. Das am 16. Februar 2005 in Kraft getretene Abkommen legte erstmals völkerrechtlich verbindliche Zielwerte für den Treibhausgas-Ausstoß – der Hauptursache der globalen Erwärmung – in den Industrieländern fest. Bis Anfang Dezember 2011 hatten 191 Staaten sowie die Europäische Union das Kyoto-Protokoll ratifiziert. Die USA lehnten 2001 die Ratifikation des Protokolls ab; Kanada gab am 13. Dezember 2011 seinen Ausstieg aus dem Abkommen bekannt. Teilnehmende Industrieländer verpflichteten sich, ihren jährlichen Treibhausgas-Ausstoß innerhalb der sogenannten ersten Verpflichtungsperiode (2008–2012) um durchschnittlich 5,2 Prozent gegenüber dem Stand von 1990 zu reduzieren. Diese Emissionsminderungen wurden erreicht. Für Schwellen- und Entwicklungsländer gab es keine festgelegten Reduktionsmengen. Nach fünf Jahre währenden Verhandlungen – von der UN-Klimakonferenz auf Bali 2007 bis zur UN-Klimakonferenz in Doha 2012 – einigten sich die Vertragsstaaten auf eine zweite Verpflichtungsperiode („Kyoto II“) von 2013 bis 2020. Strittig waren vor allem der Umfang und die Verteilung der künftigen Treibhausgas-Reduktionen, die Einbindung von Schwellen- und Entwicklungsländern in die Reduktionsverpflichtungen sowie die Höhe von Finanztransfers. Die zweite Verpflichtungsperiode musste durch 144 Vertragsparteien des Kyoto-Protokolls akzeptiert werden, um 90 Tage später in Kraft zu treten. Nigeria war am 2. Oktober 2020 der 144. Vertragspartner, der die zweite Verpflichtungsperiode akzeptierte, somit war sie Ende 2020 wenige Stunden lang gültig. Für die Zeit nach 2020 vereinbarten die Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention das Übereinkommen von Paris. Die Zunahme der Treibhausgaskonzentrationen in der Atmosphäre ist vor allem auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen, insbesondere auf das Verbrennen fossiler Brennstoffe, Viehhaltung und Rodung von Wäldern. Die im Kyoto-Protokoll reglementierten Treibhausgase sind: Kohlenstoffdioxid (CO2, dient als Referenzwert), Methan (CH4), Distickstoffmonoxid (Lachgas, N2O), teilhalogenierte Fluorkohlenwasserstoffe (H-FKW/HFCs), perfluorierte Kohlenwasserstoffe (FKW/PFCs) und Schwefelhexafluorid (SF6); explizit ausgeschlossen sind diejenigen Treibhausgase, die bereits durch das Montreal-Protokoll reguliert sind. Das Abkommen konnte nur wenig am allgemeinen Wachstumstrend dieser wichtigsten Treibhausgase ändern. Die Emissionen von Kohlenstoffdioxid und Lachgas stiegen bis 2019 weiter an. Ein Rückgang der anthropogenen CO2-Emissionen im Jahr 2020, dem letzten Jahr der zweiten Verpflichtungsperiode, war vor allem auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen. Der Ausstoß von verschiedenen Kohlenwasserstoffen hat sich aus anderen Gründen stabilisiert, so etwa durch den Schutz der Ozonschicht infolge des Montreal-Protokolls. Vorgeschichte 1992: Rio und die Klimarahmenkonvention Im Juni 1992 fand in Rio de Janeiro die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung (UNCED) statt. Zu der bis dahin weltgrößten internationalen Konferenz reisten sowohl Abgesandte fast aller Regierungen als auch Vertreter zahlreicher Nichtregierungsorganisationen nach Brasilien. In Rio wurden mehrere multilaterale Umweltabkommen vereinbart, darunter die Klimarahmenkonvention (UNFCCC). Außerdem sollte die Agenda 21 besonders auf regionaler und lokaler Ebene die gesteigerten Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit vorantreiben, zu der fortan auch der Klimaschutz gezählt wurde. Die Klimarahmenkonvention verankert völkerrechtlich verbindlich das Ziel, einen gefährlichen und menschlich verursachten Eingriff in das Klimasystem der Erde zu verhindern. Sie war bereits auf einer vom 30. April bis zum 9. Mai 1992 dauernden Konferenz in New York City verabschiedet worden und wurde dann auf der UNCED von den meisten Staaten unterschrieben. Zwei Jahre darauf, am 21. März 1994, trat sie in Kraft. Die Konvention legt ein Vorsorgeprinzip fest, nach dem durch die Staatengemeinschaft auch bei noch nicht absoluter wissenschaftlicher Sicherheit über den Klimawandel konkrete Klimaschutzmaßnahmen getroffen werden sollten. Um ihr Ziel zu erfüllen, sieht die Konvention vor, ergänzende Protokolle oder andere rechtlich verbindliche Abkommen zu beschließen. Diese sollen konkretere Verpflichtungen zum Klimaschutz beinhalten und nach dem Prinzip der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ aller Vertragsstaaten ausgestaltet sein, was beinhaltet, dass „die Vertragsparteien, die entwickelte Länder sind, bei der Bekämpfung der Klimaänderungen und ihrer nachteiligen Auswirkungen die Führung übernehmen [sollen]“. 1995: Das „Berliner Mandat“ auf der COP-1 Ein Jahr nach Inkrafttreten der Klimarahmenkonvention fand vom 28. März bis 7. April 1995 die erste UN-Klimakonferenz in Berlin statt, die COP-1. Auf dieser 1. Vertragsstaatenkonferenz (Conference of the Parties) zur Klimarahmenkonvention einigten sich die teilnehmenden Staaten auf das „Berliner Mandat“: Dieses Mandat umfasste die Einrichtung einer formellen „Ad-hoc-Gruppe zum Berliner Mandat“ (Ad hoc Group on the Berlin Mandate, AGBM). Diese Arbeitsgruppe hatte die Aufgabe, zwischen den jährlich stattfindenden Klimakonferenzen ein Protokoll oder ein anderes rechtlich verbindliches Instrument auszuarbeiten, das feste Reduktionsziele und einen Zeitrahmen zu ihrer Erreichung beinhalten sollte. Im Sinne des in der Klimarahmenkonvention festgeschriebenen Grundsatzes der „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ wurden Schwellen- und Entwicklungsländer bereits zu diesem Zeitpunkt von verbindlichen Reduktionen ausgeklammert. Außerdem wurden die Nebenorgane Subsidiary Body for Scientific and Technical Advice (SBSTA) für wissenschaftliche und technische Fragen und Subsidiary Body for Implementation (SBI) für Fragen zur Umsetzung begründet sowie Bonn als Sitz des Klimasekretariats festgelegt. Die damalige Bundesumweltministerin Angela Merkel hatte maßgeblichen Anteil an dem weitgehenden Versprechen seitens der deutschen Delegation, sich frühzeitig auf den größten einzelnen Beitrag zur Treibhausgas-Reduktion unter allen Industriestaaten zu verpflichten. Diese frühzeitige Verpflichtung wird als ein entscheidender Faktor angesehen, weshalb einer rechtlich verbindlichen Emissionsreduktion zunächst ablehnend gegenüberstehende Staaten bis 1997 doch noch ins Boot geholt werden konnten. 1996: Die „Genfer Deklaration“ auf der COP-2 Im Vorfeld der zweiten Konferenz der Vertragsstaaten in Genf (COP 2) im Juli 1996 hatte die eingerichtete Arbeitsgruppe zum Berliner Mandat unter dem Vorsitz des Argentiniers Raúl Estrada Oyuela bereits drei vorbereitende Sitzungen abgehalten. In Genf selbst fand zeitgleich mit der COP-2 die vierte Sitzung statt. Die anwesenden Minister und andere Verhandlungsführer einigten sich nach einem komplizierten Abstimmungsprozess auf die „Genfer ministerielle Deklaration“ (Geneva Ministerial Declaration). Darin wurden die Schlussfolgerungen aus dem 1995 fertiggestellten Zweiten IPCC-Sachstandsbericht zur wissenschaftlichen Grundlage für den weiteren Prozess der internationalen Klimaschutzpolitik gemacht sowie die anstehende Ausarbeitung einer rechtlich verbindlichen Regelung zur Reduktion von Treibhausgasen bekräftigt. Auf der Berliner Konferenz noch offen zutage getretene Widerstände seitens der USA, Kanadas, Australiens und besonders der OPEC-Staaten gegen ausdrückliche Reduktionsziele konnten damit überwunden werden. 1997: Letzte Treffen der Arbeitsgruppe zum Berliner Mandat In den Monaten vor der dritten Klimakonferenz in Kyoto waren in den Sitzungen der oben genannten Arbeitsgruppe zum Berliner Mandat verschiedene Bestandteile und Entwürfe eines künftigen Klimaschutzprotokolls diskutiert worden. Im März 1997 auf der AGBM-6 beispielsweise hatte die EU einen Vorstoß gewagt und eine Reduktion der drei Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas in den Industrieländern um 15 % bis 2010 vorgeschlagen. Innerhalb der einflussreichen Gruppe industrialisierter Nichtmitgliedstaaten der EU, JUSSCANNZ genannt (bestehend aus Japan, den USA, Schweiz, Kanada, Australien, Norwegen und Neuseeland), waren besonders die USA an möglichst großer Flexibilität innerhalb des künftigen Klimaregimes interessiert. Sie führten unter anderem den Vorschlag von Emissionsbudgets in die Debatte ein, nach dem in einem Jahr nicht genutzte, aber zugestandene Emissionen auf ein späteres Jahr angerechnet werden könnten, wenn eine festgeschriebene Reduktion noch nicht erreicht wurde. Die JUSSCANNZ-Gruppe zögerte mit der Präsentation konkreter Reduktionsziele und wurde von der EU mit einem weiteren Vorschlag zunehmend unter Druck gesetzt. Bis 2005, so der Beschluss der EU-Umweltminister von Juni 1997, würde die EU gemeinsam mit anderen Industriestaaten einer Reduktion ihrer Treibhausgasemissionen um 7,5 % zustimmen. Die erneute Initiative der EU-Staaten wurde auf der siebten AGBM-Sitzung im August vorgetragen. Um ihre Sichtweise im Entwurf eines Vertragstextes berücksichtigt zu sehen, mussten die JUSSCANNZ-Mitglieder nun ebenfalls konkrete Vorschläge machen. Die letzte Möglichkeit dazu war die achte Sitzung der Arbeitsgruppe zum Berliner Mandat im Oktober 1997, die gleichzeitig das letzte offizielle AGBM-Treffen vor der Klimakonferenz im Dezember in Kyoto war. Dort präsentierte Japan den Vorschlag von maximal 5 % Reduktion im Zeitraum 2008–2012 gegenüber 1990, mit der Möglichkeit von nach unten abweichenden Ausnahmen. Die Entwicklungsländer übertrafen demgegenüber noch das Angebot der EU, indem sie 35 % Reduktion bis 2020 und dazu auf Verlangen der OPEC die Einrichtung eines Kompensationsfonds forderten. Doch entscheidend waren die USA und der per Fernseher nach Bonn übertragene Vorschlag von Präsident Bill Clinton. Er sah für den Zeitraum 2008–2012 keine Verringerung, sondern lediglich eine Stabilisierung der Emissionen auf dem Niveau von 1990 und eine später denkbare, nicht quantifizierte Reduktion vor. Clinton forderte auch die Einrichtung der „flexiblen Instrumente“ des Emissionshandels und der Gemeinsamen Umsetzung (Joint Implementation) (siehe unten). Zwar waren weniger bedeutende Punkte wie Ort und Ausstattung des Sekretariats, der untergeordneten Gremien (subsidiary bodies) oder Streitschlichtung geklärt worden, doch im zentralen Anliegen der Verhandlungen herrschte weiterhin Uneinigkeit. Damit war es an der abschließenden Konferenz des Verhandlungszyklus in Kyoto, ein Ergebnis zu bringen. Beschluss auf dem Weltklimagipfel 1997 in Kyoto Verlauf der COP-3 Vom 1. bis 11. Dezember 1997 fand die dritte UN-Klimakonferenz (COP-3) im japanischen Kyoto statt. Das nur in Grundzügen ausgearbeitete Protokoll zur Klimarahmenkonvention sollte fertig ausgearbeitet und verabschiedet werden. Die offenen Fragen wurden in der ersten Verhandlungswoche in vielen, teils parallelen Abstimmungsrunden behandelt. Jedoch gab es kaum Fortschritte. In der zweiten Woche sollten in drei Tagen die zahlreichen noch ungelösten Fragen unter Beteiligung der Minister geklärt werden. Doch erst gegen Ende der Konferenz nahmen die Verhandlungen Fahrt auf: Zwar deutete der am 8. Dezember angereiste US-Umweltminster Al Gore seinen Delegierten an, dass sie „erhöhte Flexibilität“ zeigen sollten, wenn sich ein umfassender Plan abzeichnen würde. Dennoch zogen sich entscheidende trilaterale Verhandlungen zwischen den USA, der EU und Japan über die genaue Höhe ihrer Emissionsminderungen hin. Die Europäische Union war teilweise blockiert, Abstimmungen innerhalb der EU beanspruchten einen Großteil der Kapazitäten ihrer Delegierten. Es kam außerhalb des Konferenzortes zu einer Telefondiplomatie, in der besonders Bill Clinton, Helmut Kohl, Tony Blair und der japanische Premierminister Ryūtarō Hashimoto aktiv waren. Am 10. Dezember, dem geplanten Ende der Konferenz, gab es immer noch kein Ergebnis. Wichtige Themen wie der Emissionshandel oder die Clean Development Mechanismen waren weiter offen. Die Verhandlungen gingen in die Verlängerung: Am 11. Dezember um 1 Uhr früh sollten die Delegierten zur finalen Sitzung zusammenkommen. Viele hatten seit zwei Nächten nicht geschlafen. Einige Entscheidungen, auf die sich die Delegierten nicht einigen konnten, traf schließlich der Verhandlungsführer Raúl Estrada, der sich darauf berief, dass er bei Widerspruch mit Zwei-Drittel-Mehrheit überstimmt werden müsse. Dazu kam es nicht. Um 10:17 Uhr verabschiedeten die erschöpften Teilnehmer das Protokoll. Der Kompromiss war, in der Einschätzung der Umwelt- und Politikwissenschaftler Sebastian Oberthür und Hermann E. Ott, zum Teil Ergebnis schierer Erschöpfung. Daneben waren es damals noch junge Kommunikationstechnologien wie das Mobiltelefon oder Internet, die das Protokoll zustande kommen ließen. Sie hatten ihren Siegeszug in der Umweltdiplomatie vollendet – und ließen die Verhandelnden die Dringlichkeit des Themas spüren, vermittelten ihnen das Gefühl rechenschaftspflichtig zu sein. Auch die ungewöhnlich hohe mediale Aufmerksamkeit trug das Ihre bei: Einige Umweltorganisationen und Journalisten arbeiteten eng zusammen. Es gab intensive und sehr zeitnahe Berichterstattung vor und während der Konferenz in den Industrieländern, wo der Druck zunahm, auf die Delegationen in Kyoto zurückwirkte und ihre Kompromissbereitschaft zunehmen ließ. Entscheidend war auch die entschlossene Verhandlungsführung des Vorsitzenden Estrada, Botschafter Argentiniens in China. Er griff ungewöhnlich energisch in die Verhandlungen ein, wenn sie in der Wiederholung bekannter Positionen zu versanden drohten. Estrada kreierte wichtige Impulse und drängte die Teilnehmer erfolgreich zu Lösungen. Gastgeberland Japan hingegen, das im Vorfeld noch eine wichtige ausgleichende Rolle gespielt hatte, hatte während Konferenz nur begrenzten Einfluss. Reduktionsziele Die im Anhang B (Annex B) des Kyoto-Protokolls genannten Industriestaaten verpflichteten sich, ihre Treibhausgasemissionen in der ersten Verpflichtungsperiode, dem Zeitraum von 2008 bis 2012, um durchschnittlich 5,2 % unter das Niveau des Basisjahres zu senken. Anhang A des Protokolls nennt sechs Treibhausgase bzw. Gruppen von Treibhausgasen (CO2, CH4, HFCs, PFCs, N2O, SF6), auf welche die Verpflichtungen anzuwenden waren. Das Basisjahr war dabei in der Regel das Jahr 1990, allerdings gab es zwei Möglichkeiten zur Abweichung: Zum einen legten einige economies in transition für CO2, CH4 und N2O frühere Basisjahre fest (so zum Beispiel Polen das Jahr 1988 und Ungarn den Mittelwert der Jahre 1985–1987). Zum anderen konnte abweichend für F-Gase (HFCs, PFCs, SF6) auch das Jahr 1995 als Basisjahr gewählt werden, wovon beispielsweise Deutschland und Japan Gebrauch machten. Die Vorgaben für einzelne Länder (siehe Tabelle „Emissionsminderungen der ersten Verpflichtungsperiode“) hingen vor allem von ihrer wirtschaftlichen Entwicklung ab. Für die 15 Staaten, die zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls Mitglied der Europäischen Union (EU-15) waren, war eine Senkung der Emissionen um insgesamt 8 % vorgesehen. Nach dem Prinzip der Lastenteilung (burden sharing) teilten diese 15 EU-Mitgliedstaaten das durchschnittliche Reduktionsziel untereinander auf. Dabei verpflichtete sich Deutschland beispielsweise zu einer Verringerung um 21 %, Großbritannien zu einer um 12,5 %, Frankreich zu einer Stabilisierung auf dem Niveau von 1990 und Spanien dazu, sein Emissionswachstum auf 15 % zu begrenzen. Die Gruppe „Volkswirtschaften im Übergang“ (economies in transition) beinhaltet die ehemals sozialistischen Staaten bzw. deren Nachfolgestaaten in Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Diese Staaten verpflichteten sich entweder, wie im Falle Russlands und der Ukraine, dazu, das Emissionsniveau der Basisjahre nicht zu überschreiten, oder beschlossen, wie Tschechien und Rumänien, eine Reduktion um bis zu 8 %. Aufgrund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs 1990 waren diese Transformationsländer auch zu Beginn der ersten Verpflichtungsperiode noch weit von dem damaligen Emissionsniveau entfernt. Für Schwellenländer wie die Volksrepublik China, Indien und Brasilien sowie für alle Entwicklungsländer waren aufgrund ihrer geringen Pro-Kopf-Emissionen und im Einklang mit den Bestimmungen der Klimarahmenkonvention zu „gemeinsamen, aber unterschiedlichen Verantwortlichkeiten“ (siehe oben) keine Beschränkungen vorgesehen. Malta und Zypern waren nicht im Anhang B des Kyoto-Protokolls aufgeführt und waren also ebenfalls nicht zu Emissionsreduktionen verpflichtet. Die im Vergleich zu anderen Sektoren doppelt so schnell wachsenden CO2-Emissionen des internationalen Luftverkehrs und der internationalen Seeschifffahrt, die im Ländervergleich 2005 in Summe an siebter Stelle standen - noch vor denen Deutschlands - unterlagen keinen Reduktionsverpflichtungen. Das Protokoll besagt lediglich, dass Bemühungen im Rahmen der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation beziehungsweise der Internationale Seeschifffahrts-Organisation fortgesetzt werden sollen. Kritik Die beschlossenen Reduktionsziele ernteten umgehend Kritik. Insbesondere Umweltschützern gingen die Reduktionsziele des Protokolls nicht weit genug. Vertreter der Wirtschaft befürchteten dagegen hohe Kosten durch die Umsetzung des Protokolls. Technische Ergänzungen zum Protokoll von 1998 bis 2001 Der „Buenos Aires-Aktionsplan“ Das Kyoto-Protokoll ließ verschiedene technische Fragen ungeklärt, darunter besonders die Einbeziehung von Kohlenstoffsenken wie Wäldern auf das Emissionsbudget der zu einer Reduktion verpflichteten Industriestaaten im Anhang B des Protokolls. Ein Jahr nach der Kyoto-Konferenz, im November 1998, beschlossen die Delegierten auf der COP-4 in Buenos Aires einen gleichnamigen Aktionsplan (Buenos Aires-Aktionsplan, engl. Buenos Aires Plan of Action, kurz BAPA). Der BAPA beinhaltete ein Mandat, mit dem bis zur COP-6 im Jahr 2000 im Wesentlichen die Details der folgenden Bestandteile des Protokolls geklärt werden sollten: Die Anrechnung von Senken auf nationale Emissionsbudgets, Technologietransfer und die Finanzierung des Klimaschutzes in Entwicklungsländern und die Überwachung der Reduktionsvereinbarungen. Für eine wissenschaftlich fundiertere Bezifferung der Senken sollte ein für das Jahr 2000 erwarteter Sonderbericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (Intergovernmental Panel on Climate Change, IPCC) über „Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft“ (Land Use, Land-Use Change And Forestry, LULUCF) abgewartet werden. Die doppelte COP-6 von Den Haag und Bonn Nach zwei Jahren multilateraler Diskussionen scheiterte ein erster Versuch, die fälligen Entscheidungen auf der sechsten Vertragsstaatenkonferenz (COP-6) der Klimarahmenkonvention in Den Haag vom 13. bis 25. November 2000 zu treffen. Dabei brachen verschiedene Konfliktlinien auf: Zwischen der Europäischen Union auf der einen Seite, die strengere Regelungen bezüglich der Senken befürwortete, und Japan, Russland, den USA und Kanada auf der anderen Seite, die für mehr Ausnahmeregelungen eintraten, sowie zwischen den industrialisierten Staaten gegenüber der überwiegend aus Entwicklungsländern bestehenden G77, was die Finanzierungsmechanismen betraf. Weil die Verhandlungen an den Zeitplan des „Buenos Aires-Aktionsplans“ gebunden waren, wurde die Konferenz nicht formal beendet, sondern lediglich „unterbrochen“, um in Form der COP-6, Teil 2 (auch COP-6,5 oder COP-6-2 genannt) vom 16. bis zum 27. Juli 2001 in Bonn wieder aufgenommen zu werden. Im März 2001 hatte US-Präsident George W. Bush bereits den Rückzug der Vereinigten Staaten aus dem Kyoto-Prozess verkündet (siehe unten), und die US-Vertreter nahmen an der zweiten Hälfte der COP-6 nurmehr als Beobachter teil. In Bonn kam es einerseits zu einer teils deutlichen Abschwächung der ursprünglichen Intention des Kyoto-Protokolls. Nicht nur wurde der Versuch der Europäischen Union abgewiesen, die „flexiblen Mechanismen“ lediglich als genauer quantifizierte Ergänzung zu nationalen Anstrengungen im Klimaschutz gelten zu lassen. Ein verbindlicher Maximalwert, den diese Mechanismen zur Emissionsreduktion beitragen dürfen, wurde von der Mehrheit der Verhandlungspartner abgelehnt. Andererseits wurden gerade für Entwicklungsländer wichtige Schritte beschlossen, darunter in den Bereichen Technologietransfer und Finanzierung von Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel. Andere Fragen blieben hingegen nach wie vor offen. Hierzu gehörte wieder einmal die schwierige Frage nach der Anrechnung von Kohlenstoffsenken, die erst endgültig 2001 in Marrakesch geklärt werden konnten. Letzte Beschlüsse in Marrakesch 2001 Auf der COP-7 im marokkanischen Marrakesch, die vom 29. Oktober bis zum 10. November 2001 dauerte, gelang es schließlich, vier Jahre nach Verabschiedung des Kyoto-Protokolls auch die letzten offen gebliebenen Fragen zu klären. Die Bedeutung des Treffens zeigt sich an der mit 4.400 vergleichsweise hohen Zahl von Teilnehmern, darunter Vertreter von 172 Regierungen, 234 zwischen- und nichtstaatliche Organisationen sowie 166 Mediendiensten. Durch die großzügige Anrechnung von CO2-Senken wurden in der Folge faktisch die Reduktionsverpflichtungen von Japan, Russland und Kanada verringert. Mit den in Marrakesch vereinbarten Bestimmungen war klar, dass besonders mit Russland ein schwungvoller Handel mit viel „heißer Luft“ zu erwarten war. Weil Russland zur Zeit der Nachverhandlungen zum Kyoto-Protokoll fast 40 % weniger Treibhausgase emittierte als noch 1990 und sich im Protokoll auf keine Emissionsreduktion, sondern nur auf eine Stabilisierung auf dem Niveau von 1990 eingelassen hatte, wurde es nun mit einer mehr als großzügigen Vergabe von Emissionszertifikaten belohnt. „Heiße Luft“ wird dabei deshalb gehandelt, weil den Zertifikaten keine reale Einsparung gegenübersteht, sondern die Reduktion, die zur Vergabe der Zertifikate führte, schon mehr als ein Jahrzehnt zurücklag. Trotz diesem starken Anreiz für Russland blieb unklar, ob es das Protokoll überhaupt ratifizieren wollte und ob das nun fertig einjustierte Kyoto-System überhaupt Bestand haben oder nicht doch vielmehr noch vor seinem Inkrafttreten kollabieren würde. Inkrafttreten Das Protokoll sollte in Kraft treten, sobald mindestens 55 Staaten, die zusammengerechnet mehr als 55 % der Kohlenstoffdioxid-Emissionen des Jahres 1990 verursachten, das Abkommen ratifiziert haben. Die Zahl von wenigstens 55 teilnehmenden Staaten wurde mit Islands Ratifikation am 23. Mai 2002 erreicht. Nach dem Ausstieg der USA aus dem Protokoll 2001 musste die Weltgemeinschaft auf den am 5. November 2004 erfolgenden Beitritt Russlands warten (siehe unten). Mit der Ratifizierung von Russland unter Präsident Wladimir Putin, auf das ein Anteil von etwa 18 % der CO2-Emissionen von 1990 entfällt, wurde auch die zweite Bedingung erfüllt. Am 16. Februar 2005, 90 Tage nach der Ratifizierung durch das russische Parlament, trat das Kyoto-Protokoll dann in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt hatten es 128 Staaten ratifiziert. Heute sind 192 Staaten voll gültige Parteien des Protokolls, sind ihm also entweder beigetreten, haben es ratifiziert oder ihm anderweitig formell zugestimmt. Verlauf und Verzögerungen des Ratifikationsprozesses Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben das Protokoll bald nach der Kyoto-Konferenz 1997 symbolisch unterschrieben, und sie sind ihm sehr rasch nach den Beschlüssen von Marrakesch 2001 rechtskräftig beigetreten. Deutschland hat das Protokoll am 31. Mai 2002 ratifiziert und sich damit verpflichtet, den Ausstoß an Treibhausgasen im Zeitraum 2008 bis 2012 um 21 % gegenüber dem Stand von 1990 zu senken. Alle anderen EU-Staaten folgten bis spätestens zum vorher gemeinsam festgelegten Termin am 31. Mai 2002. Die Schweiz hat das Kyoto-Protokoll 2003 und Kroatien am 20. Mai 2007 ratifiziert. Einige Staaten wie die USA und Australien hatten das Protokoll zwar zunächst unterzeichnet, dann aber nicht ratifiziert. Bereits im Juli 1997, ein halbes Jahr vor der entscheidenden Konferenz in Kyoto, hatte der Senat der Vereinigten Staaten die so genannte Byrd-Hagel Resolution mit 95:0 Stimmen einstimmig verabschiedet. Darin weigern sich die Senatoren ein international verbindliches Klimaschutzabkommen zu ratifizieren, solange nicht auch Entwicklungsländer zu Emissionsreduktionen verpflichtet würden, oder wenn der US-Wirtschaft ein „schwerwiegender Schaden“ drohe. Diskutiert wurde, ob für die USA besonders die Ausnahmen für das Schwellenland China entscheidend waren. US-Präsident Bill Clinton legte den Vertragstext in den Folgejahren nicht zur Abstimmung vor. Nachdem George W. Bush im Jahr 2001 das Präsidentenamt übernommen hatte, erklärte er, das Kyoto-Protokoll nicht ratifizieren zu lassen und die von Al Gore 1998 symbolisch geleistete Unterschrift der USA zurückzuziehen. Damit waren die USA aus dem Kyoto-Prozess ausgestiegen, ein Schritt, der auf die erstarkten konservativen Kräfte in den USA zurückgeführt wurde. Die Kehrtwende der USA Anfang der 2000er Jahre hätte beinahe zum Scheitern des Protokolls geführt, da die vorgeschriebenen Anforderungen an das Inkrafttreten nicht erfüllt wurden. Nun konnte erst mit dem Beitritt Russlands die völkerrechtliche Verbindlichkeit des Protokolls erreicht werden. Russland hatte sehr lange mit einer Entscheidung gezögert. Erst nachdem die im Protokoll unklar gebliebenen Regeln zum Emissionsrechtehandel sowie zur Anrechnung von Senken (besonders Wäldern) in weiten Teilen zu Russlands Gunsten geklärt waren, sprach aus russischer Sicht besonders der aus dem Emissionshandel zu erwartende Gewinn für eine Ratifizierung: In den Jahren nach dem Bezugsjahr 1990 waren in Russland zahlreiche umweltverschmutzende Fabriken aus Rentabilitätsgründen stillgelegt worden. Daher lagen die Emissionen absehbar auf lange Zeit unter denen des Basisjahres, so dass Russland nach Inkrafttreten des Protokolls „Verschmutzungsrechte“ gegen Devisen an andere Industrieländer verkaufen kann, ohne größere Summen in umweltverträglichere Technologie investieren zu müssen. Besonders dieser Teil der nachträglichen Regelungen zum Kyoto-Protokoll ist von Beobachtern als Handel mit „heißer Luft“ kritisiert worden: Den Emissionen von Industrieländern, die im Ausgleich Zertifikate aus osteuropäischen Ländern kaufen können, steht keine reale Einsparung an anderer Stelle gegenüber. Die Freigabe zur Ratifikation erfolgte am 22. Oktober 2004 durch die Duma, nachdem sich Präsident Putin im Vorfeld für eine Umsetzung des Kyoto-Protokolls starkgemacht hatte. Mehrere OPEC-Staaten haben im Verlauf der Jahre ihre Vorbehalte aufgegeben und das Übereinkommen ratifiziert. Die EU hatte sich noch vor dem Beitritt Russlands zusammen mit einigen anderen Staaten, darunter Kanada und Japan, darauf geeinigt, auch ohne formales Inkrafttreten des Protokolls ihre zugesagten CO2-Minderungsziele bis 2012 zu erreichen. Erst am 3. Dezember 2007 hat der neu gewählte australische Regierungschef Kevin Rudd als erste Amtshandlung nach seiner Vereidigung das Protokoll ratifiziert. Damit sind die USA und Kanada heute die einzigen Industrieländer, die nicht völkerrechtlich verbindliches Mitglied des Kyoto-Protokolls sind (Stand Dez. 2011). Mit Stand vom 15. März 2011 haben insgesamt 191 Staaten und die Europäische Union das Protokoll ratifiziert. Flexible Mechanismen In seiner 2002 endgültig festgelegten Fassung sieht das Kyoto-Protokoll mehrere „flexible Mechanismen“ vor, mit dem die Unterzeichnerstaaten ihre Ziele erreichen können. Diese Mechanismen können freiwillig angewendet werden und sollen es erleichtern, die vorgesehenen Reduktionen zu erreichen. Sie sind ausnahmslos ökonomisch zentrierte Mechanismen, was den Klimaschutz nach Meinung einiger Beobachter unnötig beschränkt. Darin fehlen ergänzende Ansätze zu den unten genannten Instrumenten, etwa ein Technologietransfer-Protokoll zwischen Industrie- und Entwicklungsländern oder weitergehende Maßnahmen des internationalen Waldschutzes wie im Rahmen des United Nations Forum on Forests angedacht. Emissionsrechtehandel (Emissions Trading) Der Handel mit Emissionsrechten ist eines der wesentlichen im Kyoto-Protokoll verankerten Instrumente. Teilnehmende Staaten erhalten zu Beginn einer Verpflichtungsperiode eine Anzahl Emissionszertifikate (Assigned Amount Units, AAU) in Höhe ihrer erlaubten Emissionen zugeteilt und müssen am Ende der Verpflichtungsperiode eine Anzahl Zertifikate vorweisen, die ihren tatsächlichen Emissionen entspricht, überschüssige Zertifikate können verkauft, fehlende zugekauft werden. Teilweise können AAU durch Emission Reduction Units (ERU) aus Joint Implementation, Certified Emission Reductions (CER) aus Clean Development Mechanism und Removal Units (RMU) aus der Anrechnung von Kohlenstoffsenken ersetzt werden. Die Idee ist, dass auf diese Weise Emissionen dort eingespart werden, wo dies am kostengünstigsten möglich ist. Artikel 17 des Kyoto-Protokolls betont, dass der Emissionshandel ein zusätzliches Element neben direkten Maßnahmen zur Reduzierung von Treibhausgasen darstellen soll. Damit soll verhindert werden, dass sich Staaten nur darauf verlassen, ihre Reduktionsverpflichtungen von anderen Teilnehmern am Emissionshandel einzukaufen. Zu unterscheiden ist der Emissionshandel zwischen Staaten, welcher im Kyoto-Protokoll festgelegt wurde, und der EU-interne Emissionshandel zwischen Unternehmen. AAU konnten im EU-Emissionshandel gekauft werden. Gemeinsame Umsetzung (Joint Implementation) Als Joint Implementation (JI) wird eine Maßnahme eines Industrielandes bezeichnet, die in einem anderen Land durchgeführt wird; Voraussetzung ist, dass beide Länder einer Reduktionsverpflichtung gemäß dem Kyoto-Protokoll unterliegen. Die durch das Investment erreichte Emissionsreduktion wird allein dem Investorland zugeschrieben. Das ermöglicht es Ländern mit relativ hohen spezifischen Kosten der Emissionsreduktion, ihren Verpflichtungen durch Investitionen in Ländern mit leichter erzielbaren Einsparungen nachzukommen. Der JI-Mechanismus ist besonders im Hinblick auf die im Anhang B vertretenen osteuropäischen Staaten geschaffen worden. Neben der Senkung des Ausstoßes von Treibhausgasen sollte damit gleichzeitig die notwendige Modernisierung der ehemals kommunistischen Ökonomien vorangetrieben werden. Mechanismus für umweltverträgliche Entwicklung (Clean Development Mechanism) Der Clean Development Mechanism (CDM) ermöglicht es einem Industrieland, Maßnahmen zur CO2-Reduktion in einem Entwicklungsland durchzuführen und sich die dort eingesparten Emissionen auf das eigene Emissionsbudget anrechnen zu lassen. Der Unterschied zu einer Joint Implementation besteht darin, dass das Industrieland seine Reduktionsverpflichtung teilweise in einem Entwicklungsland ohne eine solche Verpflichtung erfüllen kann. Da der Ort einer Emissionsreduktion prinzipiell unerheblich ist und man von jeglicher Reduktion einen verringerten negativen Einfluss auf das Klima erwartet, können so kostengünstigere Maßnahmen verwirklicht, Klimaschutz wirtschaftlich effizienter gestaltet werden. Der CDM wurde eingeführt, um einerseits Industrieländern das Erreichen ihrer Reduktionsziele zu erleichtern und gleichzeitig einen zur Modernisierung dringend notwendigen Technologietransfer in Entwicklungsländer zu fördern. Da jedoch Entwicklungsländer keiner Reduktionsverpflichtung unterliegen, muss bei jedem Projekt sichergestellt werden, dass die Emissionsvermeidung zusätzlich (Additionality) erfolgt, d. h. die Erträge aus dem Handel mit den durch die CDM generierten CERs (certified emission reductions) müssen entscheidend für die Maßnahme sein. Denn würde das entsprechende Investment auch ohne den Verkauf von CERs durchgeführt (z. B. weil der Bau einer Windkraftanlage ohnehin rentabel ist), so handelt es sich beim Verkauf der CERs lediglich um eine Gewinnmitnahme, welche nicht die Emissionen im Investorland ausgleicht. In diesem Fall führt der CDM zu zusätzlichen Emissionen gegenüber dem Referenzszenario (kein Handel von CERs). Dies wurde besonders im Zusammenhang mit der sogenannten Linking Directive der Europäischen Union bemängelt, die den EU-Emissionshandel mit dem CDM verknüpfte und es Unternehmen ermöglichte, anstelle von Emissionsreduktionen CDM-Zertifikate einzukaufen. Lastenteilung (Burden Sharing) Zusätzlich ist es möglich, dass eine Gruppe von Vertragsstaaten ihre Reduktionsziele auch gemeinsam erfüllen kann. Dieses sogenannte burden sharing ist speziell für die Europäische Union in das Protokoll aufgenommen worden. Diese hat sich als Staatenverbund insgesamt zu einer Reduktion um 8 % verpflichtet. Intern gelten dabei deutlich unterschiedliche Ziele. So müssen Luxemburg, Dänemark und Deutschland mit 28 % sowie je 21 % die umfangreichsten Einsparungen erreichen. Die stärksten zulässigen Steigerungen wurden Spanien, Griechenland und Portugal mit 15 %, 25 % bzw. 27 % zugestanden. Einhaltung der Reduktionsverpflichtungen Die, nach der Nicht-Ratifizierung durch die USA und dem Ausscheiden Kanadas, verbliebenen 36 Anhang-B-Staaten mit quantitativen Zielen in der ersten Verpflichtungsperiode (2008–2012) hielten diese vollständig ein. In neun Staaten (Dänemark, Island, Japan, Liechtenstein, Luxemburg, Norwegen, Österreich, Spanien und der Schweiz) wurden zwar mehr Treibhausgase ausgestoßen als angestrebt, jedoch durch flexible Mechanismen ausgeglichen. Die Durchführung von Projekten in Drittländern im Rahmen flexibler Mechanismen trug mit etwa 450 Mio. t CO2e jährlich zu den bilanzierten Emissionsminderungen bei, davon stammten etwa 300 Mio. t aus Clean Development Mechanism-Projekten und weitere 150 Mio. t aus Joint Implementation-Projekten. Insgesamt reduzierten die Staaten ihre Emissionen sogar um 2,4 Mrd. t CO2e pro Jahr mehr als geplant. Dass die angestrebten Emissionsminderungen erreicht wurden, ist jedoch nicht nur auf Klimaschutzpolitik, sondern wahrscheinlich auch zum großen Teil auf überschüssige Emissionsrechte zurückzuführen, die aus dem Zusammenbruch der osteuropäischen Volkswirtschaften, dem gebremsten Wirtschaftswachstum infolge der Finanzkrise ab 2007 und aus der Anrechnung von Landnutzungsänderungen stammen. Auch Carbon Leakage – die Verlagerung von emissionsintensiver Produktion in Drittstaaten – könnte eine, wenn auch geringe, Rolle gespielt haben. Zusammenbruch der osteuropäischen Volkswirtschaften Trotz der geringen Reduktionsziele wurden diese von vielen Staaten nicht immer konsequent verfolgt. Zwar kam es zwischen 1990 und 2004 noch zu einer Reduktion des Treibhausgasausstoßes aller reduktionsverpflichteten Länder aus Anhang B um 15,3 %, doch dabei stieg der Ausstoß zwischen 2000 und 2004 schon wieder um 2,9 % an. Die Ursache für dieses Muster liegt darin, dass der Großteil der rechnerisch erreichten Reduktion auf den Zusammenbruch der osteuropäischen Volkswirtschaften nach 1990 zurückzuführen ist, die sich in den vergangenen Jahren deutlich erholt haben. Die sogenannten Volkswirtschaften oder Länder im Übergang zur Marktwirtschaft reduzierten ihre Emissionen zwischen 1990 und 2000 um 39,3 %, wonach sich der Trend umkehrte: Von 2000 bis 2004 stieg der Ausstoß dort um 4,1 %. Die übrigen Anhang-B-Länder kommen auf einen Anstieg ihres Ausstoßes um 8,8 % von 1990 bis 2000 und einen weiteren Anstieg um 2 % von 2000 bis 2004. Dies bedeutete zwar einen gebremsten Anstieg während der letzten Jahre, war jedoch immer noch weit von den eingegangenen Reduktionszielen entfernt. Mitgliedstaaten der Europäischen Union In Deutschland kam es von 1990 bis 2004 zu Verringerungen der CO2-Emissionen um 17,2 %. Grob die Hälfte hiervon ist auf den Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie nach der Wiedervereinigung zurückzuführen, während der andere Teil auf Einspar- und Modernisierungsmaßnahmen auf dem Gebiet der alten Bundesrepublik entfällt. Mit der Ausnahme von Großbritannien kam es in den meisten anderen Staaten zwischen 1990 und 2005 zu teilweise drastischen Erhöhungen der Ausstoßmengen. Dennoch konnte die EU ihre Emissionen in der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls erheblich senken. Mit Ende des Jahres 2012 wurden etwa 18 % weniger Treibhausgase als noch 1990 ausgestoßen. Damit wurde das 8 %-Ziel, zu dem sich die EU verpflichtet hatte, deutlich übertroffen. Emissionsminderungen aus der ersten Verpflichtungsperiode Die folgende Tabelle gibt einen Überblick darüber, inwieweit die ursprünglich 38 Annex-B-Länder des Protokolls ihre Minderungsziele der ersten Verpflichtungsperiode 2008–12 eingehalten haben, die Nutzung flexibler Mechanismen ist darin nicht berücksichtigt. Das UN-Klimaregime nach Ende der ersten Verpflichtungsperiode Doha-Änderungen: Zweite Verpflichtungsperiode Über die Zukunft des Kyoto-Protokolls wurde bis 2012 verhandelt. Im Zentrum standen die Auseinandersetzungen um ein Nachfolgeprotokoll, das weiter reichende Reduktionsverpflichtungen mit einer größeren Zahl an verpflichtend teilnehmenden Staaten verbinden sollte. Die Verhandlungen wurden hauptsächlich auf den jährlich stattfindenden UN-Klimakonferenzen geführt. Auf der UN-Klimakonferenz auf Bali 2007 wurde vereinbart, bis zur UN-Klimakonferenz in Kopenhagen 2009 eine Nachfolgeregelung für das 2012 auslaufende Kyoto-Protokoll zu verabschieden. Dies kam nicht zustande. Auch in Kopenhagen konnte nur ein Minimalkonsens ohne verbindliche Reduktionsziele gefunden werden („Copenhagen Accord“). Im Jahr 2010 erklärte Japan, man stünde nicht für eine zweite Verpflichtungsperiode zur Verfügung. Kanada ging noch einen Schritt weiter und gab am 13. Dezember 2011 seinen Ausstieg aus dem Abkommen bekannt. Hintergrund dieser Entscheidung ist die Steigerung der kanadischen Treibhausgasemission in den Jahren zuvor, die hohe Strafzahlungen nach sich gezogen hätten. Auf der UN-Klimakonferenz in Durban 2011 einigten sich die Staatenvertreter, das Kyoto-Protokoll zunächst mit einer zweiten Verpflichtungsperiode zu verlängern. Für die angestrebten Emissionsminderungen sollten die beteiligten Industriestaaten bis Mai 2012 Vorschläge einreichen. Über die Reduktionsbeiträge und die Dauer der zweiten Verpflichtungsperiode wurde auf der UN-Klimakonferenz in Doha 2012 entschieden. Man einigte sich auf Druck des Gipfelgastgebers auf die Fortführung des Kyoto-Protokolls („Kyoto II“) bis 2020: Insgesamt 38 Staaten sagten quantitative Minderungen um durchschnittlich 18 % gegenüber ihrem Emissionsniveau des Jahres 1990 zu. Dies sind Australien, die 27 EU-Länder sowie weitere europäische Staaten, die für ca. 14 bis 15 Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich waren – Russland, Japan und Neuseeland machten keine Zusagen. Vier Staaten kamen hinzu: Zypern, Malta, Weißrussland und Kasachstan. Stickstofftrifluorid (NF3) wurde in die Liste der reglementierten Treibhausgase aufgenommen. Berichts- und Berechnungsvorschriften und Regeln zur Berücksichtigung von Landnutzungsänderungen wurden angepasst. Die meisten Anhang B-Staaten verpflichteten sich, überschüssige Emissionsrechte aus der ersten Verpflichtungsperiode nicht in die zweite zu übertragen. Deutsche Medien bezeichneten das Ergebnis als einen „Mini-Kompromiss“. Die Doha-Änderungen und damit die zweite Verpflichtungsperiode treten in Kraft 90 Tage nachdem sie von 144 Mitgliedsstaaten des Kyoto-Protokolls akzeptiert worden sind. Genau 90 Tage vor Ende der zweiten Verpflichtungsperiode wurde mit der Akzeptierung durch Nigeria das Quorum erreicht. Dass die zweite Verpflichtungsperiode für wenige Stunden in Kraft tritt, gilt als von symbolischem Wert. Übereinkommen von Paris Für die Zeit nach 2020 einigten sich die Vertragsparteien der Klimarahmenkonvention auf ein neues Abkommen, das das Kyoto-Protokoll ersetzen soll: das Übereinkommen von Paris. In dem Übereinkommen ist unter anderem das konkrete Ziel festgelegt, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 °C – möglichst unter 1,5 °C – zu begrenzen. Hierfür reicht ein großer Teil der Staaten Pläne ein, sogenannte Nationally Determined Contributions, kurz NDCs, die zugesagte nationale Klimaschutzmaßnahmen auflisten. Diese NDCs sollen in regelmäßigen Abständen neu eingereicht werden; die Hoffnung der Staatengemeinschaft ist, dass sie von Mal zu Mal ambitionierter ausfallen werden. Mit den bis 2020 eingereichten NDCs – selbst wenn diese vollständig umgesetzt werden – ist das Zwei-Grad-Ziel nicht einzuhalten. Siehe auch Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation Zero Emissions Research and Initiatives Literatur Elke Gabriel: Das Kyoto-Protokoll: Entstehung und Konflikte. Diplomarbeit am Institut für Volkswirtschaftslehre und Volkswirtschaftspolitik der Universität Graz, 2003 (PDF; 499 kB) Oliver Geden: Klimaziele im Mehrebenensystem. Konfliktpotentiale bei der Implementierung der »Kyoto-II«-Verpflichtungen in EU-Recht. SWP-Arbeitspapier FG1 2013/4. 2013. (PDF; 108kB) Oliver Geden, Ralf Tils: Das deutsche Klimaziel im europäischen Kontext: strategische Implikationen im Wahljahr 2013. In: Zeitschrift für Politikberatung. Heft 1/2013, S. 24–28. (PDF; 218kB) Patrick Laurency: Funktionen wirkungsschwacher Klimaschutzabkommen – Ursachen und Strategien der kontrafaktischen Stabilisierung politischer Zielerwartungen am Beispiel des UN-Klimaschutzregimes. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-531-19184-3. Andreas Missbach: Das Klima zwischen Nord und Süd: eine regulationstheoretische Untersuchung des Nord-Süd-Konflikts in der Klimapolitik der Vereinten Nationen. Verlag Westfälisches Dampfboot, 1999, ISBN 3-89691-456-1. Sebastian Oberthür, Hermann E. Ott: Das Kyoto-Protokoll. Internationale Klimapolitik für das 21. Jahrhundert. Vs Verlag, 2002, ISBN 978-3-8100-2966-9. Englische Ausgabe erschienen 1999 im Springer-Verlag, ISBN 978-3-540-66470-3. Markus Sommerauer: Das Kyoto-Protokoll: Der Wald als Kohlenstoffsenke. Geschichte und Stand der Dinge. 2004. (PDF; 1,95 MB) Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen, Sondergutachten 1998: Die Anrechnung biologischer Quellen und Senken im Kyoto-Protokoll: Fortschritt oder Rückschlag für den globalen Umweltschutz? Sondergutachten 2003: Über Kioto hinaus denken – Klimaschutzstrategien für das 21. Jahrhundert. Barbara Pflüglmayer: Vom Kyoto-Protokoll zum Emissionshandel. Trauner, Linz 2004, ISBN 3-85487-618-1. Weblinks Das Kyoto-Protokoll (PDF) – Deutscher Wortlaut (83 kB) Informationen zum Kyoto-Protokoll auf der Website der UNFCCC (englisch) Official Site of the Third Conference of the Parties, Webseite zur Kyoto-Konferenz 1997 (englisch) Agenda 21: Kyoto-Protokoll – Hintergrund, Aktuelles, Daten, Statistiken, Ratifizierungsprozess Grafik: Veränderung der Treibhausgasemissionen 2007 gegenüber 1990*, Zielsetzung für 2008/2012, aus: Zahlen und Fakten: Globalisierung, www.bpb.de Einzelnachweise Völkerrechtlicher Vertrag (Umwelt- und Naturschutz) Vertrag (21. Jahrhundert) Klimaschutzrecht Umweltpolitik (Vereinte Nationen) Politik 1997 Geschichte (Kyōto)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Strahlenbiologie
Strahlenbiologie
Die Strahlenbiologie (auch: Radiobiologie) untersucht die biologischen Wirkungen ionisierender Strahlung, das heißt von Alpha, Beta- und Gammastrahlen und Röntgenstrahlen auf Lebewesen. Neben der akuten Strahlenkrankheit (z. B. durch Unfälle mit Kernkraftwerken) sind vor allem chronische Wirkungen an Tumor- und Normalgeweben im Zusammenhang mit der Strahlentherapie Forschungsgegenstand. Wirkung auf Zellen Ionisierende Strahlen beeinflussen Körperzellen durch Ionisation und Anregung der Moleküle. Bedingt durch die viel höhere Konzentration sind nicht die wenigen direkten Treffer an den Makromolekülen, sondern weit überwiegend die Bildung von Radikalen des Gewebewassers von Bedeutung (Radiolyse). Die Radikale oxidieren wichtige zelluläre Makromoleküle und stören deren Funktion (indirekte Strahlenwirkung). Dabei ist nur der im Gewebe absorbierte Anteil der eingestrahlten Energie wirksam. Eine Strahlung kann durch die Energiemenge, die ein Strahlungsteilchen pro Mikrometer abgibt, charakterisiert werden (Linearer Energietransfer LET, Einheit keV/μm). Beispielsweise hat Röntgenstrahlung einen LET von 2,5 keV/μm, schnelle Neutronen von >20 keV/μm. In der Strahlenbiologie wird stattdessen auch die relative biologische Wirksamkeit RBW verwendet, ein Faktor, der die Schädlichkeit einer Strahlung im Vergleich zu 250-kV-Röntgenstrahlen angibt. Im Strahlenschutz verwendet man statt der exakten RBW grob abgeschätzte, ganzzahlige Qualitätsfaktoren. Strahlenschäden an Biomolekülen wie Proteinen und Lipiden können problemlos ertragen werden; ihre Auswirkungen auf die Zellfunktionen sind minimal. Dagegen führen Radikalreaktionen mit der DNA (Erbsubstanz) manchmal zum Zelltod oder zur Entartung, da jede Zelle nur über zwei Kopien verfügt und die Reparaturmechanismen begrenzte Kapazität haben. Die Chromosomen im Zellkern sind das Hauptziel der biologischen Strahlenwirkung. Pro Gray absorbierte Energie entstehen in jeder Zelle ca. 1000 Einzelstrang- und 40 Doppelstrangbrüche, die allerdings fast alle reparabel sind. Folge von unreparierten DNA-Schäden sind Störungen der Zellfunktion, Mutation oder Tod der betroffenen Zelle. Die meisten Strahlenfolgen sind erst ab einer gewissen Mindestdosis nachweisbar, das heißt Strahlung in der Größenordnung der natürlichen Hintergrundstrahlung gilt in dieser Beziehung als ungefährlich. Da theoretisch eine einzelne mutierte Zelle zum Krebs heranwachsen oder eine embryonale Fehlbildung verursachen kann, gibt es für diese sogenannten stochastischen Strahlenschäden keine bekannte Mindestdosis. Man nimmt gegenwärtig eine lineare Dosis-Wirkungs-Beziehung an, für Röntgenstrahlung z. B. 5 % Krebstodesfälle pro Sievert; diese Angaben sind allerdings Gegenstand einer intensiven Debatte. Neben der Mutation und dem Zelltod kommt es in Säugetierzellen nach Bestrahlung auch zu Verzögerungen des Zellzyklus, und zuvor unbegrenzt teilungsfähige Stammzellen und Krebszellen können nach Bestrahlung ausdifferenzieren und ihre Klonbildungsfunktion verlieren. Experimentelle Überlebenskurven erfassen neben dem direkten Zelltod auch diesen klonogenen Zelltod, der eine wichtige Rolle in der Strahlentherapie spielt. Sie haben immer eine charakteristische, S-förmige Gestalt, die mathematisch mit einer linear-quadratischen Modellfunktion beschrieben werden kann. Wirkung im Gewebe Unterschiedliche Gewebe sind unterschiedlich strahlenempfindlich. Dazu tragen der Anteil an sich teilenden Zellen, die Durchblutung und die Sauerstoffkonzentration bei. Je niedriger der Sauerstoffpartialdruck im Gewebe, desto unempfindlicher ist es auf ionisierende Strahlen. Es wird daher in der Strahlentherapie empfohlen, das Rauchen einzustellen und eine eventuelle Blutarmut vor Beginn der Behandlung auszugleichen. Auch die proliferative Organisation des Gewebes ist wichtig: wenn es eine streng abgegrenzte Stammzellfraktion besitzt, aus der abgestorbene Zellen ersetzt werden (sogenannte hierarchische oder Wechselgewebe wie z. B. Blutzellen oder Darmschleimhaut), dann wird einige Tage nach Zerstörung dieser Stammzellen das gesamte Gewebe bzw. Organ zugrunde gehen. Gewebe mit flexibler Proliferation haben keine eindeutige Trennung von Stamm- und Funktionszellen (z. B. Leber, Lunge, Gehirn) und können sich von einem subletalen Schaden besser erholen. Wechselgewebe reagieren früh (Stunden bis max. 6 Monate) nach der Bestrahlung. Flexible Gewebe können Spätreaktionen ausbilden (definitionsgemäß sind das Strahlenfolgen, die nach sechs Monaten noch andauern). Da die meisten Organe aus unterschiedlichen Geweben zusammengesetzt sind (Stroma, Parenchym, Blutgefäße etc.), sind die Verhältnisse in der Praxis komplizierter; jedes Organ kann durch Spätfolgen einer Bestrahlung dauerhaft geschädigt werden, wenn auch in unterschiedlichem Maß. Auch der makroskopische Aufbau der Organe spielt eine Rolle: Linear aufgebaute Organe wie der Dünndarm oder das Rückenmark sind wesentlich stärker gefährdet als parallel aufgebaute wie z. B. Drüsen. Auf Basis der Spätfolgen, die wesentlich gefürchteter sind als die frühe Strahlungswirkung, hat man für die meisten Organe und Gewebe Toleranzdosen definiert. In der Literatur sind meist TD5/5 angegeben, das heißt die Dosis, bei der ein bestimmter Schaden innerhalb von 5 Jahren bei 5 % der Probanden auftritt. Beispielsweise liegt die TD5/5 der Augenlinse für die Linsentrübung bei 10 Gy (Emami 1991, PMID 2032882). Zur Beschreibung der Strahlenfolgen an Normalgeweben gibt es weltweit standardisierte Kriterienkataloge (CTC für frühe Strahlenfolgen, LENT-SOMA für Spätfolgen). Wirkung auf Tumoren Die Empfindlichkeit von Tumoren gegenüber ionisierender Strahlung ist in der Regel höher als die von gesunden Geweben. Sie sind gekennzeichnet durch eine kürzere Zellzykluszeit (< 2 Tage) und einen höheren Anteil an sich teilenden Zellen (Wachstumsfraktion > 40 %). Die Dosis-Wirkung-Beziehung ist S- oder sigmaförmig ebenso wie bei normalen Geweben, allerdings in Richtung zur niedrigeren Dosis (nach links) verschoben. Mathematisch haben die Tumorgewebe ein höheres α/β-Verhältnis (α und β sind die Koeffizienten der linearquadratischen Modellgleichung). Die Verträglichkeit von Strahlung ist höher, wenn die Dosisleistung (= Dosis pro Zeitspanne) gering ist oder die Strahlung auf viele kleine Behandlungen verteilt wird. Das liegt an den sofort nach Strahleneintritt anlaufenden Gewebereaktionen, die der kalifornische Strahlenbiologe Hubert Rodney Withers 1975 als 4 R's zusammengefasst hat: Reparatur (enzymatische Korrektur der Einzel- und Doppelstrangbrüche und Basenfehler in der DNA) Redistribution (Fortsetzung der unterbrochenen Zellzyklen, sodass wieder Zellen aus allen Phasen vorliegen) Reoxygenierung (erhöhte Sauerstoffversorgung im Gewebe) Repopulation (Nachwachsen von Zellen) In der Strahlentherapie sind ein bis zwei Behandlungen pro Tag üblich. Zwischen den Behandlungen müssen Pausen von mindestens sechs Stunden liegen. Schnellwachsende Tumoren sind einer verkürzten Strahlentherapie besser zugänglich (wobei nur die Gesamtbehandlungszeit wichtig ist, nicht die Dosis pro Behandlung). Andererseits wird die Empfindlichkeit eines zerfallenden, schlecht durchbluteten Tumors wegen der Hypoxie reduziert. Außerdem werden immer Normalgewebe mitbestrahlt, die wegen ihres niedrigem α/β-Verhältnis für Spätfolgen besonders empfindlich sind und langsamer, mit kleineren Tagesdosen bestrahlt werden sollten. In der Praxis muss deshalb ein Kompromiss geschlossen werden, der vom jeweiligen Tumor und den vorhandenen technischen Möglichkeiten abhängt. Methodik Die strahlenbiologische Forschung arbeitet mit molekularbiologischen, zytogenetischen und zytometrischen Methoden an unterschiedlichen Organismen und Zellsystemen. Auf DNA-Niveau wird die strahlenbedingte Mutagenese und deren Reparatur untersucht. Weitere Themen der Strahlenbiologie Der Mensch im Strahlenfeld: Erhöhung der Strahlensensibilität, um die Strahlentherapie bei Tumoren effektiver zu machen Erhöhung der Strahlenresistenz, um gesundes Gewebe bei der Strahlentherapie zu schonen Grundlagen des Strahlenrisikos, Strahlenschäden Klinische Strahlenbiologie Niedrigstrahlung, negative und positive Strahlenwirkungen im niedrigen Dosisbereich Radioaktivität in der Nahrungskette Strahlenbelastung, Strahlenschutz Zellbiologische Grundlagen der Strahlentherapie Bekannte Strahlenbiologen Otto Hug (1913–1978) Hedi Fritz-Niggli (1921–2005), Begründerin der Strahlenbiologie in der Schweiz. Sie erforschte die Schädigungen durch niedrige Strahlendosen insbesondere beim Ungeborenen und in der empfindlichen Entwicklungsphase der Lebewesen Wolfgang Köhnlein (* 1933), Universität Münster, emeritiert Edmund Lengfelder (* 1943), Professor an der Universität München. Er erforscht seit 1986 die gesundheitlichen Folgen der Katastrophe von Tschernobyl Boris Rajewsky (1893–1974) Hermann Rink (* 1935), Chemiker, Strahlenbiologe und Emeritus der Medizinischen Fakultät der Universität Bonn Christian Streffer (* 1934), Universität Essen, emeritiert Joachim Wattendorff (1928–2008), Biologe und Strahlenbiologe, Universität Freiburg in der Schweiz Paul Wels (1890–1963), Pharmakologe und Strahlenbiologe. Sein Forschungsinteresse galt insbesondere den Auswirkungen von Röntgenstrahlung auf verschiedene Zellen und von Ultraviolettstrahlung auf die Haut sowie der pharmakologischen Wirkung bestrahlter Substanzen Siehe auch Strahlung, Strahlendosis, Dosimetrie Geschichte des Strahlenschutzes Literatur Eric J. Hall: Radiobiology for the Radiologist. Philadelphia: Lippincott, Williams & Wilkins, 2000 (5th. ed.), ISBN 0-7817-2649-2 Thomas Herrmann, Michael Baumann, Wolfgang Dörr: Klinische Strahlenbiologie kurz und bündig. Urban & Fischer Verlag/Elsevier GmbH; 4. Auflage 2006, ISBN 3-437-23960-0 Hedi Fritz-Niggli: Strahlengefährdung/Strahlenschutz. Verlag Hans Huber, 4. Aufl. 1997 G. Gordon Steel: Basic Clinical Radiobiology. London: Arnold, 1997 (2nd ed.), ISBN 0-340-70020-3 Weblinks Schweizerische Gesellschaft für Strahlenbiologie und Medizinische Physik Deutsche Gesellschaft für Biologische Strahlenforschung Das Institut für Strahlenbiologie des Helmholtz – Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit bei München erforscht die Wirkung von ionisierender Strahlung auf lebende Zellen und Organismen. Die Strahlenschutz-Kommission SSK ist ein Gremium unabhängiger Wissenschaftler, das die deutsche Bundesregierung in allen Aspekten der Strahlenwirkung und des Strahlenschutzes berät. Einzelnachweise Strahlenschutz Medizinisches Gebiet Biologische Disziplin
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6502360
https://de.wikipedia.org/wiki/Antikapitalismus
Antikapitalismus
Als Antikapitalismus bezeichnet man Grundhaltungen, die gegenüber kapitalistischen Ideen eine fundamental entgegengesetzte Position einnehmen. Er ist eine radikale Form der Kapitalismuskritik und zielt nicht bloß auf Reformen, sondern auf die Aufhebung bzw. Zerschlagung des kapitalistischen Systems. Der Antikapitalismus – genauso wie die Kapitalismuskritik insgesamt – ist vor allem eine Domäne der politisch Linken. Es gibt oder gab frühsozialistischen, marxistischen, anarchistischen, romantischen, konservativ-revolutionären, völkischen und nationalsozialistischen Antikapitalismus. Ob kapitalismuskritische Positionen von rechts als antikapitalistisch einzuordnen sind, ist umstritten. Begriffsbestimmung Der Soziologe Dieter Rucht grenzt Antikapitalismus von Kapitalismuskritik ab: Diese lehne den Kapitalismus nicht kategorisch ab, sondern kritisiere an ihm nur bestimmten Formen und vor allem Auswüchse. Antikapitalismus sei dagegen radikaler: Er wolle den Kapitalismus nicht einhegen oder reformieren, sondern abschaffen, was häufig auf revolutionärem Wege erstrebt werde. Kapitalismuskritik von Rechtsradikalen oder Neonazis dürfe ihm zufolge nicht als Antikapitalismus verstanden werden, da sie keine Systemkritik darstelle, sondern nur moralisierend Macht und Verhalten von Eliten thematisiere, wenn sie nicht im Sinne einer Querfrontstrategie nur taktisch motiviert sei. Thomas Kroll und Bettina Severin-Barboutie schlagen derweil vor, eher den Plural Antikapitalismen statt Antikapitalismus zu verwenden, da sich die vielen antikapitalistische Strömungen in ihrer Sicht auf den Kapitalismus, ihre ökonomischen, sozialen oder politischen Kontexten sowie in ihrer gesellschaftlichen Wirkung teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Zudem unterscheiden sie zwei Gruppen: Modernistische und antimodernistische Antikapitalismen. Modernistische Antikapitalismen würden den Kapitalismus zwar ablehnen, ihn aber als notwendige Vorstufe zu einer anderen und erstrebenswerteren Gesellschaftsform ansehen. Ein Beispiel hierfür sei der Marxismus Karl Kautskys. Der Sozialkonservatismus in Preußen hätte demgegenüber den Kapitalismus aufhalten wollen, weil er den Fortbestand alter Ordnungen und Lebensweisen gefährdete. Er könne daher als ein Beispiel für antimodernistischen Antikapitalismus betrachtet werden. Der Extremismusforscher Fabian Fischer problematisiert den Begriff „Antikapitalismus“, da er lediglich ein Gegenbegriff zu einem von vornherein negativ konnotierten und unscharfen Begriff sei, nämlich den „Kapitalismus“, den er in Anführungszeichen nennt. Dieser erscheine in dieser Konstruktion essentialistisch als „wirklich“, während er wissenschaftlich betrachtet „nur ein Denkmodell zur Veranschaulichung von Abhängigkeiten und Wechselwirkungen“ sei. Die Bündelung der ihm zugewiesenen gesellschaftlichen und sozialen Phänomene unter dem Rubrum Kapitalismus sei aber nicht zwingend: Ausbeutung zum Beispiel gebe es auch in anderen gesellschaftlichen Konstellationen und es sei nicht ausgemacht, ob die als kapitalistisch abgelehnten Phänomene nicht eher in der Moderne oder der Conditio humana gründeten. Fischer unterscheidet daher zwischen einem Antikapitalismus in struktureller Perspektive, der „den Kapitalismus“ in Gestalt einer drastischen Negativkonstruktion in den Blick nehme, und einem in inhaltlicher Ebene, der ihn kritisiere, aber sich dabei direkt oder indirekt gegen Werte und Minimalbedingungen des demokratischen Verfassungsstaates richte. Laut Fischer gibt es anthropomorphen (zumeist antisemitischen), politischen, sozialen, kulturpessimistischen, zinsfeindlichen und antifaschistischen Antikapitalismus. Antikapitalistische Strömungen Siehe auch Kapitalismuskritik für einen Überblick über die kapitalismuskritischen Standpunkte der jeweiligen Strömungen. Romantik Die romantische Kritik am Kapitalismus war anfangs den Dichtern vorbehalten. Ludwig Tieck wendet in seinem Roman Der junge Tischlermeister die Nostalgie – der Handwerker wird als Künstler ohne Gewinnstreben gezeichnet – gegen den bürgerlichen Kapitalismus. Die Zünfte erscheinen weniger als Gegner von Innovation und Produktionssteigerung, als letzter Hort gegen das Gewinnstreben. Novalis lässt in seinem Heinrich von Ofterdingen den Bergmann für eine Wirtschaft plädieren, die bei der Ausbeutung der Minen auf den Nutzen für das Gemeinwesen achtet. Ähnlich wie Tieck projiziert er hierbei die Idee von einer dem Menschen dienlichen Wirtschaft auf das Mittelalter. Das Auseinanderfallen von Gewinnmaximierung und Vervollkommnung des Menschen analysiert Novalis indes nicht, allenfalls der Befund wird aufgestellt. Ihr jüngerer Schriftstellerkollege Wilhelm Hauff zeigt im Märchen Das kalte Herz exemplarisch die Verrohung und Unmenschlichkeit des Kapitalismus am Beispiel des jungen Köhlerknechts Peters, der nunmehr als Geldverleiher nicht nur die Armenspende unterbindet, sondern Wucherzinsen verlangt und schließlich seiner Gattin das Leben nimmt. Erst die Abwendung vom Gewinnstreben erlöst ihn. Theoretiker eines romantischen Antikapitalismus wie Adam Müller von Nitterdorf plädierten für eine Reformulierung des Ständewesens als Garant gegen die Auswirkungen der Industrialisierung. Baader erkannte in deutschen Lande ähnlich wie die Frühsozialisten in Frankreich die Differenz von Armut und Pauperismus und forderte die Bekämpfung der Massenverelendung. Die Reaktivierung sozialer Ordnungen wie die Stände und das Zunftwesen, die Synthese von teilweise konkurrierenden Systemen, so die Ökonomie, das Recht, dem Staat oder die Sexualität galten den sozialistischen Kritikern hingegen als Rückschritt, misslungene Wiederverzauberung oder Blindheit gegenüber dem Kapitalismus als Wirtschaftsform der Moderne. Der Antikapitalismus der Romantik zeigte zwar im Staat und Wirtschaftsleben kaum Wirkung, nicht zuletzt aufgrund seines bei Durchsetzung regressiven und als Idee innerhalb des Kapitalismus kompensatorischen Charakters, jedoch antizipierten sie zahlreiche antikapitalistische Haltungen, so die Eigenverantwortung und Rückverfolgbarkeit der Produktion, so weigerte sich beispielsweise Müller Baumwolle zu tragen und unterstützte heimische Schäfer durch den Kauf und das Tragen von Wollkleidung. Ihre Befunde wie der Warencharakter, die Zerstörung der Umwelt und die Entstehung des Proletariats wurden von nachfolgenden Denkern geteilt, wenngleich diese die Ursachen differenzierter betrachteten. Die romantische Kapitalismuskritik ist im Regionalgeld, der Wachstumskritik und zahlreichen Gegenbewegungen wie dem des Regionalen, der Slow-Food Bewegung, Vegetarismus und Konsumkritik weiterhin wirksam, insofern ihr Vorwurf an eine Seelenlosigkeit des Kapitalismus und der Zerstörung eines gemeinschaftlichen Gefüges darin partiell transportiert wird. Die ästhetische Kapitalismuskritik, welche Uniformität und mangelnde Güte moniert, hat in der Romantik ihre Wurzeln, welche wiederum bis auf Rousseau zurückgehen. Utopischer Sozialismus Der frühsozialistische Antikapitalismus geht ursprünglich von einer Entfremdung des gesellschaftlichen Lebens im Zuge der industriellen Revolution aus. Angestrebt wurde ein System, in dem die absolute Gleichheit aller Menschen anerkannt werden würde und alle die gleichen Rechte und Pflichten haben würden. Bereits Sozialisten wie Charles Fourier kritisierten den Kapitalismus und entwarfen utopische, unwissenschaftliche Gegenmodelle wie das Phalanstère-System, die allerdings auf Ablehnung innerhalb der wissenschaftlich Sozialistischen Welt stießen. Innerhalb der Internationalen Arbeiterassoziation spielten diese Utopien bereits keine Rolle mehr. Fouriers Gegenspieler Robert Owen hingegen gilt als Begründer des Genossenschaftswesen und bemühte sich um praktische Lösungen für menschenwürdigere Arbeitsbedingungen und Formen des Zusammenlebens. Hierzu kaufte er die vom württembergischen Pietisten Johann Georg Rapp gegründeten Kommune (New) Harmony und gründete dort 1825 eine frühsozialistische Produktionsgenossenschaft. Trotz einiger vielversprechender Ansätze konnten sich Owens Vorstellungen von einem neuen gemeinschaftlichen Zusammenleben dort aber nicht nachhaltig durchsetzen. Eine Rückbesinnung auf die Ideen Owens erfolgte nie, jedoch gibt es heute eine lebendige Erinnerungskultur in der Stadt. Marxismus Der Marxismus ist per-se antikapitalistisch und strebt den Sozialismus sowie als Endstadium den Kommunismus an. Dies soll (seit dem Verwürfnis des revolutionären mit dem reformistischen Lager in der Zweiten Internationale) durch einen radikalen Bruch mit der momentanen bürgerlichen Gesellschaft geschehen, der mit Kollektivierung und einer damit verbundenen gänzlichen gesellschaftlichen Umstrukturierung einhergehen soll. Infolge des Historischen Materialismus sieht der Marxismus sowohl den Kapitalismus als auch seine Überwindung als historische Notwendigkeit an, woraus sich auch die Legitimation seines Antikapitalismus speist. Im 20. Jahrhundert entstanden bedingt durch diverse Interpretationen des unvollendeten Werks von Karl Marx und Friedrich Engels diverse Strömungen, welche sich auf den Marxismus beriefen und ihn weiterentwickelt haben, darunter auch der Dengismus und der Titoismus. Diese wandten sich von den antikapitalistischen Idealen des orthodoxen Marxismus ab und nährten sich stattdessen einem Marktsozialismus an, welcher sich kapitalistischer Logiken bediente. Der Marxismus-Leninismus hingegen behielt eine vollends antikapitalistische Stoßrichtung bei und sah im Kapitalismus die Ursache für den weltweit auftretenden Imperialismus. Daher propagierte er die gewaltsame Revolution zum Sturz des Kapitalismus durch Enteignung der Kapitalisten und Aufhebung des Privateigentums an Produktionsmitteln sowie die Errichtung einer Diktatur des Proletariats. Feminismus Der marxistischer Feminismus strebt die Überwindung des kapitalistischen Systems an. Ein Beispiel für die Überschneidung ist die Feministin Alexandra Kollontai, die Geschlechtergerechtigkeit mit Antikapitalismus verband. Zu den Vertretern eines zeitgenössischen antikapitalistischen Feminismus zählen beispielsweise Nina Power und Laurie Penny, die im Kapitalismus, der Klassenhierarchie und dem Konsumismus eine wesentliche Ursache für die Unterdrückung der Frauen sehen. In diesem Zusammenhang wird auch immer wieder darauf hingewiesen, dass kapitalistisches Wirtschaften stets die Ausbeutung unbezahlter Care-Arbeit, die hauptsächlich von Frauen geleistet wird, voraussetzt. Der feministische Antikapitalismus unterscheidet sich somit vom traditionellen Marxismus und Sozialismus; er betrachtet nicht nur die Klassenunterdrückung in der industriellen Gesellschaft, sondern auch patriarchale Strukturen und weiße Vorherrschaft. Ein ebenfalls antikapitalistisch eingestellter Feminismus ist der Anarchafeminismus. Laut dieser Strömung sind Kapitalismus, Klerikalismus sowie exekutive Institutionen wie der Staat die Grundlage für Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Heterosexismus. Daraus schließt der Anarchafeminismus, dass nur eine herrschaftsfreie Gesellschaft wirklich diskriminierungsfrei sein kann, weshalb neben dem Kapitalismus explizit auch das Patriarchat überwunden werden müsse. Antifaschismus Der antikapitalistische Antifaschismus bekämpft den Kapitalismus, weil er in ihm die sozioökonomische Ursache des Faschismus sieht. Seit den 1920er Jahren vertrat die Kommunistische Internationale eine Faschismustheorie, nach der der Faschismus die „terroristische Diktatur der am meisten reaktionären, chauvinistischen und imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“ sei. Die Bourgeoisie lasse, falls sie sich bedroht sehe, die demokratische Maske fallen und wehre sich mittels Faschismus gegen die Machtansprüche des Proletariats. Weil in dieser Perspektive auch die Sozialdemokratie bürgerlich-demokratisch und damit präfaschistisch erschien, wurde sie während der Weimarer Republik von der KPD als sozialfaschistisch denunziert, was ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen den aufkommenden Nationalsozialismus verhinderte. Der so verstandene Antifaschismus wurde in der DDR Staatsdoktrin und war ein wesentliches Element der politischen Legitimation des SED-Regimes. In der Bundesrepublik wurde er ein wichtiges Mittel in der Agitation der außerparlamentarischen Opposition und trug dazu bei, parlamentarische Demokratie und Soziale Marktwirtschaft pauschal als wesentliche Ursachen für Rechtsextremismus zu denunzieren. Syndikalismus Syndikalismus als gewerkschaftlicher Sozialismus ist eine Theorie, die in ihrer Handlung für eine Aneignung der Produktionsmittel an die Lohnabhängigen eintritt. Der französische Anarchist Pierre-Joseph Proudhon gilt als Begründer dieser Strömung. Aus syndikalistischer Perspektive lässt sich eine Überwindung des Kapitalismus nicht durch parlamentarische Arbeit erreichen, sondern muss durch die Gewerkschaften erfolgen. Durch Generalstreiks soll deshalb die Übergabe der Produktionsmittel an die Werktätigen erzwungen werden. Der Syndikalismus umfasst zudem den Anarchosyndikalismus, der im Spanischen Bürgerkrieg durch die CNT und FAI sowie während der Mexikanischen Revolution durch die Zapatisten an Bedeutung gewann. Er strebt einen föderativen Sozialismus an, in dem Lohnabhängige die Produktion selbst verwalten. So soll nicht mehr zur Profitmaximierung, sondern zur Erfüllung menschlicher Bedürfnisse produziert werden. Christentum Ein religiöser, christlich motivierter Antikapitalismus wurde vom 1926 gegründeten Bund religiöser Sozialisten Deutschlands vertreten. Ähnliche Positionen finden sich im römisch-katholischen Bereich in der lateinamerikanischen Befreiungstheologie, aber auch in kirchlichen Dokumenten zur katholischen Soziallehre. Antisemitismus und Völkische Bewegung Nach dem Gründerkrach von 1873 und in der dadurch ausgelösten Großen Depression, die bis 1896 anhielt, verbreitete sich im Deutschen Reich ein hauptsächlich antikapitalistisch geprägter Antisemitismus, der zwischen „raffendem“ und „schaffendem“ Kapital unterschied. Letzteres wurde positiv bewertet und mit angeblich „arischer“ Industrie und Handwerk assoziiert, während jenes mit dem Judentum und der Börse konnotiert und negativ bewertet wurde. Dadurch wurden die objektiven Probleme des Kapitalismus personifiziert und so scheinbar bearbeitbar gemacht. Der Historiker Norbert Kampe sieht diese von Hofprediger Adolf Stoecker und dem Geschichtsprofessor Heinrich von Treitschke verbreiteten Denkweise „gewissermaßen als ,Umstiegsideologie' für die Mehrheit des deutschen (Klein/Bildungs-) Bürgertums auf dem Weg vom Liberalismus zum Konservatismus und Rassismus“. In der Völkischen Bewegung des Deutschen Kaiserreichs wurde die Kulturkritik an den Phänomenen der modernen Massengesellschaft regelmäßig in antisemitischer Gestalt formuliert. Sie fokussierte auf das neue Phänomen der Warenhäuser, die tatsächlich größtenteils in jüdischer Hand waren und mit denen der Einzelhandel nur schwer konkurrieren konnte. Der Kapitalismus wurde mit einer angeblichen Weltverschwörung des „Finanzjudentums“ und mit dem antisemitischen Stereotyp des „Wucherers“ assoziiert, der „nordisch-germanischen Menschen“ wesensfremd sei. Nationalsozialismus Ein Antikapitalismus mit deutlich antisemitischer Ausprägung findet sich im zentralen 25-Punkte-Programm der NSDAP. Die Partei trat vor allem in ihren Gründungsjahren für die Realisierung eines „nationalen Sozialismus“ ein, welcher jedoch strikt antimarxistisch gestaltet war. Auch Joseph Goebbels sah sich anfangs als überzeugter Sozialist und trat unter anderem gemeinsam mit den Brüdern Otto und Gregor Strasser in den Gründungsjahren der NSDAP für die Realisierung eines „völkisch-nationalen Sozialismus“ ein, wandte sich später jedoch von diesen Vorstellungen ab. In einem Zeitungsartikel „Unser Sozialismus“ vom April 1931 definierte Goebbels als Kapitalismus , ohne dass der Staat und die verantwortlichen Parteien dagegen einschreiten. Er schrieb: „Diesen Mißbrauch nennen wir Kapitalismus, und ihn wollen wir als Idee mit all ihren macht- und wirtschaftspolitischen Folgerungen beseitigen.“ Joachim Petzold sieht darin , um sich . Für Adolf Hitler spielten antikapitalistische Ideen hingegen keine Rolle. Vielmehr suchte er nach einem Ausgleich mit bürgerlichen und konservativen Kräften und trat in entschiedene Opposition zum antikapitalistischen Lager. Er propagierte eine Ideologie, gemäß der die sozioökonomischen Probleme seiner Zeit vorwiegend durch Gewinnung von Lebensraum im Osten und die Auslöschung der Juden gelöst werden könnten. Gänzlich kapitalistisch war der NS-Staat allerdings auch nicht ausgerichtet. Die Nationalsozialisten maßen der Partizipation am Weltmarkt beispielsweise wenig Bedeutung bei, vielmehr sollte NS-Deutschland sich autark selbstversorgen können. Die Landwirtschaft war den Nationalsozialisten deutlich wichtiger als Industrie und Handel. Auch Franz Neumann kommt in seinem Werk Behemoth. Struktur und Praxis des Nationalsozialismus 1933–1944 zu dem Schluss, dass das Wirtschaftssystem des Dritten Reiches zwar insgesamt kapitalistisch war, aber auch antikapitalistische Züge trug. Wolfgang Emmerich erklärt die antikapitalistischen Elemente im Faschismus unter Rückgriff auf Herbert Marcuse und Lutz Winckler als „defensiv soziale Mythologie“, in der der kleinbürgerlichen Massenbasis die Errichtung einer klassenlosen Gesellschaft bei gleichzeitigem Fortbestand der kapitalistischen Gesellschaftsordnung vorgespiegelt worden sei. Der Widerspruch zwischen beidem habe einen enormen Aufwand an Ideologie und Propaganda nötig gemacht, in der antikapitalistische Ressentiments neutralisiert und umfunktioniert worden seien. Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Auch rechtsextreme Parteien in der Bundesrepublik Deutschland wie die SRP oder die NPD nehmen oder nahmen antikapitalistische Positionen ein. Sie verurteilen den Kapitalismus und propagieren stattdessen einen „deutschen“ bzw. „nationalen Sozialismus“, wobei dieser Begriff nach ihrer Auffassung explizit nichts mit Klassenkampf zu tun haben, sondern allein auf das eigene Volk angewendet werden soll. Rechtsextreme Parteien greifen hierbei auch häufig auf antisemitisches und nationalsozialistisches Vokabular zurück. Ähnliche Positionen werden gegenwärtig von Teilen der rechtspopulistischen Partei Alternative für Deutschland vertreten – etwa durch den mittlerweile infolge der Überwachung durch den Verfassungsschutz formell aufgelösten Flügel. Jedoch hat die Partei auch einen neoliberalen Flügel, der dem Kapitalismus sehr wohlwollend gegenübersteht. Die sozialpolitische Ausrichtung ist innerhalb der Partei umstritten. Liberalismus In den Vereinigten Staaten findet sich eine Synthese aus Liberalismus und Antikapitalismus. Thomas Jefferson vertrat einen „liberalen Antikapitalismus“. Er war der Ansicht, dass abhängige Lohnarbeit eine Form der „Lohnsklaverei“ darstelle und äußerte sich kritisch zur Akkumulation von Kapital und Eigentum an Produktionsmitteln in den Händen einer Aristokratie. Echte Unabhängigkeit setze den Zugang zu eigenen Produktionsmitteln voraus. Dennoch befürwortete er eine Marktwirtschaft, jedoch ohne den Zwang, einer Lohnarbeit nachzugehen. Des Weiteren ist Jean de Crèvecoeur ein Vertreter dieser Strömung und auch die Southern Agrarians (Robert Penn Warren, Allen Tate, John Crowe Ransom) können dieser zugeordnet werden. Verhältnis zum Antisemitismus Antisemitische Elemente des Antikapitalismus Insbesondere der frühe Antikapitalismus ging häufig mit Antisemitismus einher, so etwa bei den Frühsozialisten Charles Fourier und Pierre-Joseph Proudhon, bei dem Anarchisten Michail Bakunin. Auch bei dem Marxisten Franz Mehring finden sich antisemitische Formulierungen. Auch bei anderen Marxisten mischten sich Aversionen in seine Äußerungen über Juden. Dies zeigte sich z. B. in einer Bemerkung über Ferdinand Lassalle in einem Brief an Engels von 1862, dass dieser „von den Negern abstammt, die sich dem Zug des Moses aus Ägypten angeschlossen hatten (wenn nicht seine Mutter oder Großmutter von väterlicher Seite sich mit einem nigger kreuzten)“. Typisch für einen antisemitischen Antikapitalismus ist die Unterscheidung zwischen „schaffendem“ und „raffendem Kapital“. Ersteres wird positiv mit Deutschtum und Handarbeit konnotiert und als echte Wertschöpfung verstanden, letzteres dagegen pejorativ mit dem angeblich parasitären Zinsmechanismus, mit Börsenkapital und dem Judentum assoziiert. In diesem Denken werden abstrakte Wirtschaftszusammenhänge personifiziert bzw. personalisiert: Der Kampf richtet sich dann nicht gegen ein Wirtschaftssystem, sondern gegen Menschen, die davon vermeintlich oder real profitieren, weswegen der Politikwissenschaftler Fabian Fischer hier von einem „anthropomorphen Antikapitalismus“ spricht. In der Propaganda der antikapitalistisch eingestellten Arbeiterbewegung vor 1933 finden sich antisemitische Versatzstücke, die bis auf Karl Marx zurückgehen, sich in seiner Schrift Zur Judenfrage finden und seitdem immer wieder reproduziert wurden. Die KPD, die während der Novemberrevolution aus dem Spartakusbund und anderen Gruppen hervorgegangen war, nutzte während der Weimarer Republik ein Arsenal judenfeindlicher Parolen. Die taktischen, der Wahlpropaganda dienenden Entgleisungen der Kommunisten drücken weniger ein geschlossenes antisemitisches Weltbild aus, zeigen aber, dass in der Arbeiterschaft mit derlei Agitation Stimmen geholt werden konnten. Akteure innerhalb der Sozialdemokratie verneinten lange Zeit noch eine Verbindung ihrer politischen Strömung zum Antisemitismus. Shulamit Volkov hielt die Sozialdemokratie beispielsweise für „immun“ gegenüber jeglicher antisemitsicher Propaganda, während Arno Herzig konstatierte, die Sozialdemokratie sei von antisemitischen Ressentiments überwiegend frei gewesen und hätten eher eine „anti-antisemitische Haltung“ eingenommen. Dieses Bild wurde 1978 durch Rosemarie Leuschen-Seppels Buch Sozialdemokratie und Antisemitismus im Kaiserreich revidiert. Sie betonte die Fehleinschätzung der Sozialdemokraten, im Antisemitismus ein überholtes Auslaufmodell und Relikt zu sehen. Zudem analysierte sie den soziokulturell verwurzelten Antisemitismus der Arbeiterbewegung und wies nach, dass die sozialdemokratische Unterhaltungsliteratur des späten Kaiserreichs und Karikaturen der SPD-Satirezeitschrift Der wahre Jacob mit judenfeindlichen Klischees arbeiteten. Antisemitismus erschien auf diese Weise nicht nur als Jugendsünde, sondern als kontinuierliches Element des sozialistischen Milieus. Julia Schäfer relativierte 2005 dieses Bild jedoch etwas und kam in ihrem Buch zu dem Schluss, dass abwertende Darstellungen von Juden in der sozialdemokratischen Satirezeitschrift auf die antikapitalistische Propaganda begrenzt geblieben seien. Schäfer verglich die Judenbilder mit denen der antisemitischen Zeitschrift Kikeriki, in denen die negativen Zuschreibungen auch in anderen Zusammenhängen genutzt wurden. Sie verwies darauf, dass der wahre Jacob Rassentheorien ironisiert habe und die Macher im Verlauf der 1920er Jahre schrittweise auf judenfeindliche Darstellungen verzichtet hätten, vermutlich um sich von der massiven antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten abzugrenzen. Der Antikapitalismus von rechts, wie im Nationalsozialismus oder in der Völkischen Bewegung, ist regelmäßig antisemitisch. Auseinandersetzung mit dem Antisemitismus innerhalb antikapitalistischer Theorien Friedrich Engels schrieb 1890 an Isidor Ehrenfreund: Iring Fetscher ist der Ansicht, dass Engels die sozialen Wurzeln der antisemitischen Bewegung damit richtig erfasst hat. Ruinierte Kleinbürger suchten die Schuld an ihrem Schicksal nicht im Privateigentum an Produktionsmitteln, also der kapitalistischen Wirtschaft als solcher, sondern bei einzelnen Institutionen, bei Börsen und Banken, welche mit Juden identifiziert wurden. Diese erfordert nach Fetscher erheblich weniger Intelligenz als die Einsicht in einen komplizierten ökonomisch-technischen Prozess. Die Neue Linke sowie die Frankfurter Schule kritisierten schon in den 1920er Jahren beziehungsweise nach dem Zweiten Weltkrieg eine Verbindung von Antisemitismus und Antikapitalismus. In ihrer Dialektik der Aufklärung analysierten Max Horkheimer und Theodor W. Adorno den Antisemitismus als Form des Irrationalismus. Er sei das bestimmende Merkmal des Faschismus, der wiederum die Apotheose des Kapitalismus bilde. Juden würden „vom absolut Bösen als das absolut Böse gebrandmarkt“. Die Verbindung von Antisemitismus und Antikapitalismus kann somit als die Folge einer verkürzten Kapitalismusauffassung gesehen werden, nach der der Kapitalismus ein von herrschenden Eliten aufgezwungener Status sei. Aus dieser Perspektive genügt die Beseitigung jener, um den Kapitalismus zu überwinden. Der staatlich betriebene Antisemitismus in der DDR folgte der gleichen Logik. Durch diese Denkweise wird jedoch verkannt, dass der Kapitalismus ein System ist, welches sowohl die Proletarier als auch die Bourgeoisie beinhaltet. Beide Klassen stehen unter dem Zwang, sich selbst innerhalb dieses Systems zu erhalten, was seine Überwindung deutlich erschwert. Der Philosoph Slavoj Žižek warnte im Januar 2020 davor, den aktuellen Antikapitalismus in allen Fällen für nichts anderes als eine versteckte Form des Antisemitismus zu halten. Literatur Michael Barthel, Benjamin Jung: Völkischer Antikapitalismus? Eine Einführung in die Kapitalismuskritik von rechts, Reihe: Unrast transparent. Rechter Rand, Bd. 9, Unrast Verlag, Münster 2013, ISBN 978-3-89771-114-3. Weblinks Wolfgang Fritz Haug: Zur Dialektik des Antikapitalismus (PDF; 364 kB) Rainer Hank: Das Geschäft mit dem Geld; Reiche Juden. Antikapitalismus und Antisemitismus gehen seit jeher Hand in Hand. Einzelnachweise Weltanschauung Kapitalismus Sozialismus Arbeiterbewegung
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https://de.wikipedia.org/wiki/Beschreibungslogik
Beschreibungslogik
Beschreibungslogiken (engl. description logics), gelegentlich auch terminologische Logiken genannt, sind eine Familie von Sprachen zur Wissensrepräsentation. Der Name soll einerseits den primären Einsatzzweck verdeutlichen, einen Weltausschnitt mit seinen Objekten und ihren Beziehungen untereinander zu beschreiben. Andererseits soll deutlich werden, dass sie im Unterschied zu ihren Vorgängern Frames und Semantischen Netzwerken auf formaler Logik basieren. Die meisten Beschreibungslogiken sind Fragmente der Prädikatenlogik erster Stufe und sind eng verwandt mit Modallogiken. Viele Beschreibungslogiken können sogar als direkte Notationsvarianten bekannter Modallogiken angesehen werden. Ein wichtiger Unterschied zur Prädikatenlogik ist jedoch, dass viele beschreibungslogische Sprachen entscheidbar sind. Dies ermöglicht über eine Beschreibungslogik zu schließen, d. h. implizites Wissen durch Schlussfolgerung aus einer Wissensbasis abzuleiten. Formal unterteilt man eine Beschreibungslogik in der Regel in drei Teile: Eine Konzeptsprache oder Beschreibungssprache, in der die Ausdrucksmittel festgelegt werden, die zur Formulierung von Fakten erlaubt sind, ein Terminologischer Formalismus (die TBox) und ein Assertionaler Formalismus (die ABox). Die TBox enthält hierbei das Wissen über die Konzepte der Domäne, also das terminologische Wissen. Hier wird definiert, welche Klassen von Objekten es in der Domäne gibt und welche Eigenschaften sie haben. Im einfachsten Fall handelt es sich um eine Taxonomie von Konzepten, also zum Beispiel, dass die Menge der Elefanten eine Untermenge der Säugetiere ist. Die ABox hingegen enthält das Wissen über eine konkrete Instanz einer Domäne. Sie enthält Fakten über die Individuen und deren Eigenschaften sowie ihrer Beziehungen untereinander. In diesem Sinne repräsentiert sie den Zustand der modellierten Welt. Eine häufig gemachte Annahme ist, dass das terminologische Wissen in der TBox fest ist und sich nicht oder nur selten ändert, während das assertionale Wissen häufigeren oder sogar konstanten Änderungen unterliegt. Gemeint ist, dass Elefanten immer auch Säugetiere sein werden, die Menge der lebenden Elefanten sich jedoch ständig ändert. Beschreibungslogiken erlangen eine Bedeutung im Zusammenhang mit Ontologien und dem Semantic Web. Ontologiesprachen wie DAML+OIL und OWL besitzen – ebenso wie Beschreibungslogiken – eine wohl-definierte Syntax, die sich zum Beispiel auf die Beschreibungslogik SHOIN(D) abbilden lässt. Mit der Beschreibungslogik als Basis lässt sich daher über Ontologien schließen, was für den Einsatz von Ontologien im Semantic Web unerlässlich ist. Ein anderer Anwendungsfall findet sich im Bereich des Feature Oriented Programming, wo Beschreibungslogiken zur Beschreibung von Software-Konfigurationen verwendet werden. Das Aufkommen des Namens „Beschreibungslogik“ ist auf die frühen 1980er zu datieren. Frühere Namen sind (chronologisch): Terminologische Systeme, Terminologische Logiken, Konzeptsprachen. Das erste Beschreibungslogik-basierte System war KL-ONE (1985). Weitere Systeme folgten, unter ihnen LOOM (1987), BACK (1988), KRIS (1991), CLASSIC (1991), FaCT (1998), RACER (2001) und zuletzt KAON 2 (2005). Literatur F. Baader, D. Calvanese, D. L. McGuiness, D. Nardi, P. F. Patel-Schneider: The Description Logic Handbook: Theory, Implementation, Applications. Cambridge University Press, Cambridge, UK, 2003. ISBN 0-521-78176-0 Pascal Hitzler, Markus Krötzsch, Sebastian Rudolph, York Sure: Semantic Web. Grundlagen. Springer, Berlin u. a. 2008, ISBN 978-3-540-33993-9. Siehe auch Mereologie Meronymie Weblinks http://dl.kr.org/ Komplexitäts-Navigator für Beschreibungslogiken Einzelnachweise Logik Künstliche Intelligenz
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https://de.wikipedia.org/wiki/WWF
WWF
Der WWF (World Wide Fund For Nature – „Weltweiter Fonds für die Natur“, bis 1986 World Wildlife Fund – „Welt-Wildtier-Fonds“) ist eine Stiftung nach Schweizer Recht mit Sitz in Gland, Kanton Waadt. Sie wurde 1961 gegründet und ist eine der größten internationalen Natur- und Umweltschutzorganisationen. Wappentier des WWF ist der Große Panda. Der WWF setzt sich für den Erhalt der biologischen Vielfalt der Erde, die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen und die Eindämmung von Umweltverschmutzung und schädlichem Konsumverhalten ein. Die Organisation ist in über 80 Ländern mit eigenen Büros vertreten und wird von über fünf Millionen Menschen unterstützt. Seit der Gründung des WWF wurden weltweit 11,5 Milliarden US-Dollar in über 13.000 Projekte investiert. Der WWF finanziert sich überwiegend durch Spenden. Der WWF hat an der Gründung vieler anderer Organisationen und Initiativen mitgewirkt, darunter das Forest Stewardship Council und das Marine Stewardship Council. Geschichte In den 1960er Jahren rückte der Natur- und Umweltschutz stärker in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Erhalt der natürlichen Umwelt war Teil des gesellschaftlichen Wandels in Europa und Nordamerika, aber nicht auf die Industrieländer beschränkt. Obwohl bereits im Jahr 1948 mit der IUCN die erste globale Natur- und Umweltschutzorganisation der Welt ins Leben gerufen worden war, hatte sich die Organisation nicht wie gewünscht in einer breiten Öffentlichkeit etabliert. Vor diesem Hintergrund entstand die Idee, eine neue Organisation zu schaffen, die unkompliziert arbeiten und sich für Natur- und Umweltschutz einsetzen sollte. Das Konzept wurde erstmals 1960 in einem Leserbrief von Victor Stolan für die Tageszeitung The Observer formuliert. Dort war zuvor ein Artikel von Julian Huxley erschienen, der das Artensterben in Afrika thematisierte. Huxley vermittelte daraufhin ein persönliches Gespräch zwischen Stolan und Max Nicholson, Generaldirektor der britischen Naturschutzbehörde. Dieser wurde schließlich zur treibenden Kraft hinter der Gründung des WWF. Sein zentrales Argument war, dass die bestehenden Natur- und Umweltschutzorganisationen zwar sinnvolle Projekte entwickeln würden, diese aber aufgrund fehlender Gelder nicht umsetzen könnten. Huxley führte Gespräche mit zahlreichen potenziellen Unterstützern und entwickelte schließlich einen konkreten Plan für die Gründung des WWF. Dieser wurde an 20 Umweltschützer in Belgien, Frankreich, Großbritannien, Thailand, Schweden, den Vereinigten Staaten, der Schweiz, dem Sudan und nach Südafrika gesendet. Anschließend fanden zwischen April und September 1961 neun Treffen in den Räumen der britischen Naturschutzbehörde statt. Die Mitglieder der so genannten „Londoner Planungsgruppe“ beschlossen unter anderem, dass ein Panda den WWF symbolisieren sollte. Außerdem wurde der Zürcher Anwalt Hans Hüssy engagiert, um von Beginn an die Gemeinnützigkeit und damit die Steuerfreiheit der Stiftung nach Schweizer Recht sicherzustellen. Das eigentliche Gründungsdatum des WWF markiert die Beurkundung der Stiftung am 11. September 1961 in Zürich. Die erste Spende war ein Guinee, was ungefähr einem Pfund entsprach. Der WWF wurde von einem international besetzten Stiftungsrat geführt, in dem Umweltschützer aus mehreren europäischen Staaten und Nordamerika vertreten waren. Die meisten Stiftungsräte stammten aus dem Netzwerk der IUCN. Prinz Bernhard der Niederlande war erster Präsident des WWF, wobei die Position keine geschäftsführende Tätigkeit beinhaltete. Zum ersten Vizepräsidenten der Organisation wurde Peter Scott gewählt. Kritiker wie Wilfried Huismann behaupten, dass die Gründung des WWF auf rassistische Motive britischer Kolonialisten zurückgeht. Die Sorgen, die sich die Gründer um die Naturräume Afrikas machten, seien direkt mit der Aufhebung der Kolonialverwaltungen verknüpft gewesen. Die indigenen Bewohner der großflächigen Nationalparks galten als schmutzig und ihre traditionellen Wirtschaftsformen, die jahrhunderte- oder jahrtausendelang mit den Wildtieren koexistierten, wurden von den Europäern jetzt für eine Bedrohung gehalten. Allen Gründern gemeinsam war, dass sie begeisterte Großwildjäger waren, die die Nationalparks als touristische Ziele planten. Nach der Gründung des WWF entstanden in den 1960er Jahren zahlreiche nationale Sektionen, unter anderem der WWF Deutschland, WWF Österreich und WWF Schweiz. Üblicherweise wurde ein Drittel der Spenden in lokale Projekte investiert, während zwei Drittel an den WWF International flossen. Um die Finanzierung des WWF sicherzustellen, starteten Anton Rupert und Bernhard zur Lippe-Biesterfeld im Jahr 1970 die Initiative The 1001: A Nature Trust. Das Ziel der beiden Umweltschützer war es, 1.001 wohlhabende Personen zu gewinnen, die 10.000 US-Dollar spenden und damit einen Vermögensstock für den WWF aufbauen sollten. Die Summe wurde innerhalb von drei Jahren erreicht. Insgesamt gab der WWF in den ersten zehn Jahren seines Bestehens rund 32 Millionen Schweizer Franken für Projekte in 59 Ländern aus. In den Anfängen engagierte sich der WWF für Artenschutz und insbesondere für Flaggschiffarten der charismatischen Megafauna. Dazu unterstützte er Projekte anderer Organisationen. Das Vorgehen des WWF änderte sich in den 1970er Jahren entscheidend: Anstatt einzelnen Projekten spontan Hilfe zukommen zu lassen, rückten Maßnahmen für ganze Ökozonen oder Tierarten in den Fokus. Zu den ersten globalen Kampagnen des WWF gehörte die „Operation Tiger“: Es wurden unter anderem in Indien neue Schutzzonen errichtet, sodass der Tiger am Ende des Jahrzehnts als gerettet galt. 1975 begann der WWF, sich auf globaler Ebene für den Erhalt des tropischen Regenwalds einzusetzen, insbesondere in Zentral- und Westafrika, Südostasien und Lateinamerika. Neben dem Tiger und Regenwald gehörten in den 1980er Jahren der Walfang, der Große Panda und die Verbindung von Umweltschutz und Entwicklungshilfe zu den zentralen Themen des WWF. In den 1990er Jahren beteiligte sich der WWF am Projekt Forest Stewardship Council (FSC) und Marine Stewardship Council (MSC). Durch die Zertifizierung nachhaltiger Rohstoffe sollte es Endverbrauchern erleichtert werden, umweltfreundliche Produkte zu kaufen. 1998 veröffentlichte der WWF den ersten „Living Planet Report“: Der Bericht beschreibt den Zustand der Umwelt auf globaler Ebene sowie der Auswirkungen des Menschen auf die Natur. Der Report erscheint bis heute alle zwei Jahre und zählt zu den führenden wissenschaftlichen Publikationen in seinem Bereich. Zu den jüngeren Kampagnen des WWF mit globaler Reichweite zählt die Earth Hour. Seit 2007 beziehungsweise 2010 wird in einzelnen Haushalten, Gebäudekomplexen oder ganzen Ländern für 60 Minuten das Licht ausgeschaltet, um die CO2-Emissionen zu reduzieren und an den Klimawandel zu erinnern. Beteiligungen Wie vorstehend bereits ersichtlich, hat der WWF in seiner Geschichte an zahlreichen Gründungen anderer Organisationen und Initiativen mitgewirkt. Er ist teilweise organisatorisch beteiligt oder übt teilweise Einfluss auf ihm nahe stehende Organisationen aus. Nachfolgend eine Zusammenstellung ohne Anspruch auf Vollständigkeit: Der Aquaculture Stewardship Council ist eine vom WWF gegründete Vereinigung, die für nachhaltige Fischzucht in Aquakulturen steht. Der WWF initiierte 2004 einen Dialog zum Thema, aus dem 2010 die Organisation entstand. Es sind unter anderem Tilapia, Pangasius und Lachsprodukte mit dem ASC-Siegel auf dem Markt erhältlich. Atomausstieg selber machen ist ein 2006 initiiertes Bündnis von Umwelt- und Verbraucherorganisationen, das neben dem WWF zum Beispiel Greenpeace und der BUND unterstützen. Das Bündnis möchte Verbraucher dazu bewegen, mehr Ökostrom zu beziehen. EnergieVision ist gemeinnütziger Verein zur Förderung von Nachhaltigkeit und Markttransparenz in der Energiewirtschaft. Er hat das ok-power Label für Strom aus erneuerbaren Energien geschaffen. Träger des im Jahr 2000 gegründeten Vereins sind die Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen, das Öko-Institut und der WWF Deutschland. Die Europäische Bewegung Deutschland ist nach eigenen Angaben das größte zivilgesellschaftliche Netzwerk für Europa in Deutschland. Zu den über 200 Mitgliedern zählt auch der WWF Deutschland. Der Forest Stewardship Council wurde 1993 in Folge des Umweltgipfels von Rio de Janeiro ins Leben gerufen. Er unterstützt eine nachhaltige Forstwirtschaft und vergibt ein Siegel für Holzprodukte, das eine nachhaltige Produktion sowie die Einhaltung sozialer Kriterien garantiert. Das Forum Anders Reisen ist ein Wirtschaftsverband für kleine und mittelständische Reiseveranstalter, die nachhaltigen Tourismus unterstützen. Seit 2008 kooperiert der WWF mit dem Verband, es werden unter anderem eigens konzipierte Touren in Gebiete der WWF-Projekte angeboten. Das Forum Umwelt und Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet. Es . Der WWF Deutschland ist Mitglied der Organisation. „Genießt uns“ ist eine Initiative des WWF Deutschland, der Welthungerhilfe und weiterer Partner. Ihr Ziel ist es, die Lebensmittelverschwendung einzudämmen. Die Initiative wurde zum Beispiel durch Aktionen wie den „Essensretter-Brunch“ bekannt. Die International Task Force Sustainable Tourism des Umweltprogramms der Vereinten Nationen ist eine Initiative zur Unterstützung von nachhaltigem und umweltgerechtem Tourismus weltweit. Die UNEP und der WWF setzen sich zum Beispiel dafür ein, dass Korallenriffe vor der indonesischen Insel Bali geschützt werden. Die Klima-Allianz Deutschland ist ein Bündnis von Nichtregierungsorganisationen wie dem WWF, dem BUND oder Greenpeace und Vertretern der evangelischen und katholischen Kirche. Es nahm seine Arbeit 2007 auf und setzte sich für eine wirkungsvolle Klimapolitik ein. Der Marine Stewardship Council wurde 1997 vom WWF und Unilever gegründet. Er setzt sich für nachhaltige Fischerei ein und vergibt das auf Fischkonserven, in Frischfischtheken und bei Tiefkühlfisch verbreitet anzutreffende MSC-Siegel für Fischprodukte nach Kriterien der Umweltverträglichkeit. Der Runde Tisch für Palmöl wurde 2004 vom WWF ins Leben gerufen. Mitglieder sind vor allem Hersteller und Händler, die freiwillig mehr für Naturschutz und Menschenrechte tun, als gesetzlich vorgeschrieben ist. Zum Beispiel wird bei der Produktion von Palmöl auf den Einsatz bestimmter Pestizide verzichtet und kein geschützter Regenwald abgeholzt. Der Runde Tisch für Soja wurde 2006 gegründet. Sein Ziel ist es, die . Vertreter von Unternehmen und Umweltschutzorganisationen wie dem WWF setzen gemeinsam Mindeststandards für die nachhaltige Produktion und den Handel mit Sojabohnen. TRAFFIC („Trade Records Analysis of Flora and Fauna in Commerce“) ist ein gemeinsames Programm des WWF und der Weltnaturschutzunion IUCN. Es wurde 1976 gegründet um sicherzustellen, dass der . Logo und Marke Das Logo des WWF zeigt den Großen Panda in Schwarz und Weiß sowie darunter den Schriftzug „WWF“. Als Vorlage diente die Bärin „Chi Chi“, die 1957 geboren und ein Jahr danach aus China an den London Zoo verkauft worden war. Ursprünglich war die Bärin für die USA bestimmt, jedoch verhinderte ein Handelsembargo der Vereinigten Staaten gegen China die Einfuhr. Gerald Watterson fertigte bei einem Besuch im Londoner Zoo mehrere Skizzen von „Chi Chi“ an, aus denen Peter Markham Scott schließlich das WWF-Logo entwickelte. Er vereinfachte die Darstellung der Bärin, indem er einzelne Gliedmaßen als einfache schwarze Flächen darstellte und die Umrisse der Figur abrundete. Von 1961 bis heute wurde das WWF-Logo insgesamt viermal überarbeitet. Es wird global von allen WWF-Organisationen verwendet, wodurch sich der Panda zum ikonischen Symbol für die Marke „WWF“ entwickelte. Das Logo und der Name des WWF sind international geschützte Marken. Die Organisation vergibt Lizenzen an ausgewählte Unternehmen, welche die Marke für ihre eigenen Produkte verwenden dürfen. Mit den Lizenzgebühren finanziert der WWF wiederum Naturschutzprojekte. Im deutschsprachigen Raum besteht eine derartige Vereinbarung beispielsweise zwischen dem WWF Deutschland und dem Einzelhändler EDEKA sowie WWF Österreich und IKEA. Die amtliche Bezeichnung des WWF lautete zunächst „World Wildlife Fund“. 1986 wurde anlässlich des 25-jährigen Bestehens beschlossen, den Namen in „World Wide Fund For Nature“ zu ändern. Damit wollte die Organisation deutlich machen, dass im Zentrum des Interesses nicht nur wilde Tiere und Pflanzen stehen, sondern die Natur als Ganzes. Die neue Bezeichnung wurde auch von den nationalen Sektionen übernommen, mit Ausnahme der Stiftungen in den Vereinigten Staaten und Kanada. Grund dafür waren seit Anfang der 1980er Jahre bestehende Differenzen zwischen WWF-USA und der Schweizer Stiftung. Erst 2001 beschloss man, global nur noch das Kürzel „WWF“ als Name für alle Organisationen zu verwenden. Im Jahr 2002 gewann die Natur- und Umweltschutzorganisation einen Rechtsstreit um die Bezeichnung „WWF“, sodass sich die World Wrestling Federation in „World Wrestling Entertainment“ (WWE) umbenennen musste. Ziele und Umsetzung Laut Satzung ist es Zweck des WWF, die natürliche Umwelt und die ökologischen Prozesse weltweit zu erhalten. Das Arbeitsgebiet der Organisation erstreckt sich auf „Fauna und Flora, die Landschaft, Wasser, Boden, Luft und andere natürliche Ressourcen“, mit besonderem Schwerpunkt auf den wesentlichen ökologischen Prozessen und der genetischen Artenvielfalt. Der ehemalige Generaldirektor des WWF, Claude Martin, beschrieb die Ziele des WWF folgendermaßen: Während in den ersten Jahren primär wilde Tiere und Pflanzen im Fokus des WWF standen, setzt sich die Organisation seit den 1980er Jahren für die gesamte Natur ein. Im Unterschied zu anderen Natur- und Umweltschutzorganisationen lag der Fokus des WWF von Anfang an weniger auf öffentlichkeitswirksamen Einzelaktionen oder aktiven Mitgliedsgruppen, sondern vielmehr auf der finanziellen und personellen Unterstützung großer, auf Dauer angelegter Schutzprojekte. Der WWF will nach eigenen Angaben eine Zukunft gestalten, in der Mensch und Natur im Einklang miteinander leben. Dafür engagiert sich der WWF weltweit beim Aufbau von Naturschutzgebieten, für den langfristigen Erhalt gefährdeter Naturlandschaften und den Schutz bedrohter Tier- und Pflanzenarten. Mit konkreten Lösungen will die Organisation zeigen, wie ein ökologisches Leben der Menschen in einer lebendigen Natur möglich ist. Darüber hinaus nimmt der WWF Einfluss auf Politik und Wirtschaft. Im Laufe seiner Geschichte wurde der WWF, der sich selbst als „Partner der Wirtschaft“ versteht, von großen Unternehmen unterstützt. Nach seiner Einschätzung ist die Zusammenarbeit mit Unternehmen notwendig, um erfolgreichen Natur- und Umweltschutz zu betreiben. Der WWF hat das Ziel ausgerufen, bis zum Jahr 2050 die Integrität der herausragendsten Orte der Welt dauerhaft sicherzustellen („2050 Biodiversity Goal“). Außerdem soll bis 2050 erreicht werden, dass der ökologische Fußabdruck der Menschheit auf ein Niveau gebracht wird, das die Erde verkraften kann. Die natürlichen Ressourcen unseres Planeten sollen gerecht verteilt sein („2050 Footprint Goal“). Erfolge Das Engagement des WWF kam seit der Gründung zahllosen bedrohten Arten und verschiedenen Naturregionen zugute. Von den Investitionen, beispielsweise in Forschungsprojekte oder Wildhütereinheiten, profitierten häufig auch Teile der lokalen Bevölkerung. Ein Schwerpunkt des WWF ist seit den Gründungsjahren der Schutz von Elefanten und Nashörnern in Afrika. Seit 1962 wurden insgesamt mehr als 40 Millionen Euro an Fördermitteln zum Schutz der Afrikanischen Nashörner aufgewendet. Dazu wurden zahlreiche Projekte zum Schutz von Elefanten gefördert. Diese Hilfen trugen dazu bei, dass die Bestände der Afrikanischen Elefanten stabilisiert und beide Nashornarten in freier Wildbahn erhalten werden konnten. Während Breit- und Spitzmaulnashorn im Norden des historischen Verbreitungsgebietes heute weitgehend ausgestorben sind, konnten im östlichen und insbesondere im südlichen Afrika größere Bestände erhalten und in der Vergangenheit zum Teil wieder vermehrt werden. Der WWF trug zu diesen Erfolgen im Artenschutz bei. Einer der größten Erfolge des WWF war die Stabilisierung der Bestände des Bengaltigers durch das Project Tiger, das der WWF im Jahr 1972 zusammen mit der indischen Regierung unter Indira Gandhi startete. Die Tigerbestände auf dem indischen Subkontinent stiegen in den Folgejahren von etwa 2.000 auf rund 3.000 Tiere. Der Bengaltiger stellt heute die mit Abstand größte Population des Tigers in freier Wildbahn dar. Ebenfalls mit Hilfe des WWF konnten die Bestände des noch stärker bedrohten Amurtigers stabilisiert und vergrößert werden. So wurde zum Beispiel 2015 ein 1,2 Millionen Hektar großes Gebiet in Russland an der Grenze zu China zum Nationalpark erklärt. Daran war der WWF mit Unterstützung des Bundesumweltministeriums entscheidend beteiligt. Der WWF kämpft seit Jahren mit Erfolg dafür, das Pantanal vor potentiell umweltgefährdenden wasser- und straßenbaulichen Maßnahmen zu bewahren. Es handelt sich dabei um eines der größten und artenreichsten Naturparadiese Südamerikas. Vor allem das umstrittene Bauprojekt der Wasserstraße Paraná-Paraguay wurde lange Zeit durch die Aktivitäten des WWF verhindert. Der Umstand, dass der Große Panda – das Wappentier des WWF – bis heute in freier Wildbahn überlebt hat, ist nicht zuletzt dem Einsatz des WWF zu verdanken. An diesem Beispiel zeigt sich aber auch exemplarisch die Unvollkommenheit vieler Schutzbemühungen. Die Art wird seit April 2016 nur noch als gefährdet („vulnerable“) eingestuft. Die vielfältigen Aktivitäten des WWF in Afrika haben beispielsweise zur Einrichtung der Kavango-Zambezi Transfrontier Conservation Area beigetragen. Es handelt sich um das größte Naturschutzgebiet des Kontinents. Kampagnen Seit seiner Gründung hat der WWF eine Reihe globaler Initiativen gestartet, um bedeutende Schutzgebiete oder bedrohte Arten zu schützen. Nach eigener Aussage möchte der WWF durch Konzentration auf ausgewählte Regionen und Arten seine Mittel effektiver einsetzen. In der Regel bestimmten globale Initiativen für mehrere Jahre die Arbeit des WWF und seiner nationalen Sektionen. Auf der internationalen Website des WWF wurden Mitte 2015 folgende Initiativen ausgewiesen: Amazonas: Der WWF thematisierte immer wieder die Gefahr, bis 2030 könnten große Teile des Amazonasbeckens zur Savanne werden. Der Regenwald wird sowohl durch Brandrodung als auch durch natürliche Waldbrände bedroht, was unabsehbare Folgen für die Umwelt hat. Aufgrund dessen hat der WWF die „Living Amazon Initiative“ gegründet, die Maßnahmen zum Schutz des Amazonas in seiner Gesamtheit definiert. Zum Beispiel setzt sich der WWF bei den Regierungen angrenzender Länder für einen effektiven Schutz ein. Arktis: Seit 1992 setzt sich der WWF in einer globalen Initiative für den stärkeren Schutz der Arktis ein. Dies betrifft vor allem den Schutz bedrohter Arten, deren Lebensraum sich aufgrund steigender Temperaturen und abschmelzenden Packeises verändert. Dazu zählen insbesondere die Eisbären. Außerdem beschäftigt sich der WWF beispielsweise mit den Gefahren des Tourismus in der Arktis. Der WWF und seine Sektionen unterhalten in allen anliegenden Staaten – mit Ausnahme von Island – eigene Büros. Borneo: Die Insel weist eine hohe biologische Vielfalt auf. Dort leben rund 1.200 Arten größerer Tiere, darunter beispielsweise Orang-Utans. 2007 initiierte der WWF die „Heart of Borneo Initiative“. Dabei handelt es sich um eine Erklärung der Staaten Indonesien, Malaysia und Brunei zum Schutz des größten asiatischen Regenwalds. China: Aufgrund des Wachstums der chinesischen Wirtschaft befasst sich der WWF mit den Auswirkungen auf die Umwelt. Seit 1981 unterhält die Organisation ein Büro in Hongkong, 1991 kam eine Niederlassung in Peking dazu. Unter anderem mahnte der WWF immer wieder an, die Ausbreitung des westlichen Lebensstils in China könne der Umwelt nachhaltig schaden. Beobachter sprachen in diesem Zusammenhang von einem „Raubbau an der Natur“, der von einer starken Nachfrage nach Rohstoffen und Energie verursacht werde. Des Weiteren bemüht sich der WWF zum Beispiel um den Schutz des Großen Pandas, dem Wappentier der Organisation, und des Tigers. Fischerei: Der WWF tritt weltweit für nachhaltige Fischerei ein. Dies betrifft insbesondere die Arktis, den Indischen Ozean, den Pazifik, die Gewässer rund um den Südkegel und andere internationale Gewässer. Der WWF kritisiert seit Jahren vor allem die Überfischung der Meere und fordert Rücksicht auf bedrohte Fischsorten. Himalaya: Die Gebirgskette erstreckt sich auf 2.500 Kilometern Länge über Bhutan, China, Indien und Nepal. Da der Himalaya eine große Artenvielfalt aufweist und das Wetter in Asien maßgeblich beeinflusst, engagiert sich der WWF für den Schutz von Natur und Umwelt in der Region ein. 2007 zählte der WWF die Himalaya-Gletscher anlässlich des UN-Klimaberichts zu den zehn Regionen, welche der Klimawandel am stärksten gefährdet. Im Mittelpunkt der Arbeit des WWF steht insbesondere der östliche Himalaya. Klimawandel: Es ist erklärtes Ziel des WWF, die Erwärmung der Erde auf 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum Jahr 1850 zu beschränken. Der WWF setzt sich für eine Entwicklung der Wirtschaft dahingehend ein, dass deren CO2-Emissionen bis 2050 auf ein absolutes Minimum reduziert sind. Der WWF betonte immer wieder, dass der Klimawandel bereits heute Naturkatastrophen sowohl in ihrer Häufigkeit als auch Dimension verstärkt. Neben höherer Energieeffizienz unterstützt der WWF weltweit insbesondere die Produktion von Ökostrom. 2015 startete der WWF auf iversity einen Online-Kurs zum Thema. Kongobecken: Der WWF bezeichnet die Region als das „grüne Herz“ des afrikanischen Kontinents. Dort befindet sich nach dem Amazonas der weltweit zweitgrößte Regenwald. Zwischen 1990 und 2000 gingen jedoch rund 91.000 Quadratkilometer verloren. Der WWF möchte dazu beitragen, dass diese Entwicklung aufgehalten wird. Neben eigenen Maßnahmen unterstützt er zum Beispiel die Arbeit des FSC in der Region. Außerdem macht sich der WWF für bedrohte Tierarten im Kongobecken stark, dort lebt zum Beispiel der Berggorilla. Korallendreieck: Das Meeresgebiet erstreckt sich über sechs Millionen Quadratkilometer. Nach Aussage des WWF leben dort über drei Viertel aller Korallen-, viele Schildkröten- und tausende Fischarten. Verschiedene Faktoren bedrohen das Korallendreieck, zum Beispiel warnte der WWF 2001 vor der Belastung des Great Barrier Reef mit Pestiziden. Der WWF fördert hier zum Beispiel nachhaltige Fischerei. Des Weiteren hilft er bei der Einrichtung und Finanzierung neuer Schutzgebiete. Ostafrika: Die Küste der Region Ostafrika verläuft auf 4.500 Kilometern Länge von Somalia im Norden bis Südafrika im Süden. Die Bevölkerung der angrenzenden Länder wird sich bis 2030 verdoppeln, weshalb sich der WWF mit den Auswirkungen auf die Umwelt beschäftigt. Zum Beispiel wurde 2009 gewarnt, die Serengeti könne austrocknen. Damit wären etwa 1,3 Millionen Huftiere wie Gnus oder Antilopen direkt bedroht. 15 Prozent der Arten, die entlang der ostafrikanischen Küste leben, sind weltweit einmalig. Tiger: Der WWF setzt sich seit seiner Gründung für den Schutz des Tigers ein. Er initiierte die internationale Tigerschutzkonferenz 2010 in Moskau. Dort wurde beschlossen, die Zahl der wilden Tiger bis zum Jahr 2022 um 100 Prozent zu steigern. Andernfalls könne der Tiger bis dahin ausgestorben sein, so der WWF. Wälder: Der WWF fördert weltweit die nachhaltige Forstwirtschaft, unter anderem in den Staaten Kolumbien, dem Kongo, Guyana, Indonesien und Peru. Dabei geht der WWF von der Prämisse aus, dass durch die Zerstörung von Wäldern große Mengen von Treibhausgasen freigesetzt werden, was wiederum den Klimawandel beschleunigt. Die Arbeit des WWF wird dabei maßgeblich vom REDD-Programm bestimmt, das anlässlich der UN-Klimakonferenz 2007 auf Bali vorgestellt wurde. Wirtschaft: Die Natur- und Umweltschutzorganisation arbeitet mit großen Unternehmen zusammen, um die umweltfreundliche Herstellung von Lebensmitteln und beliebigen anderen Produkten zu fördern. Dies betrifft insbesondere Holz und Papier, Palmöl, Baumwolle, Biokraftstoffe, Aquakulturen und Fischerei, Zuckerrohr, Soja und Rinder. 2009 startete der WWF die globale „Market Transformation Initiative“, welche insbesondere die Produktion und den Vertrieb weicher Rohstoffe umweltfreundlich gestalten will. Plastikmüll in den Ozeanen: Um auf die drohende Umweltkatastrophe in den Weltmeeren hinzuweisen, der zufolge es bis 2050 mehr Plastik im Meer geben wird als Fisch, bediente sich der WWF 2018 eines makabren Aprilscherzes: Er veröffentlichte ein Video, das Eselspinguine angeblich auf einer Plastikmüllinsel im Pazifik, westlich der Pitcairninseln, zeigt. Bei diesem Video handelt es sich um eine Bildmontage. Besonders die Zusammenarbeit mit Unternehmen bringt dem WWF immer wieder Kritik ein. Vertreter der Organisation verteidigen sich gegen Vorwürfe der Wirtschaftsnähe mit dem Argument, Demonstrationen seien alleine nicht ausreichend. Es müsse jemand da sein, der „die Unternehmen herausfordert“, äußerte zum Beispiel der Vorstand des WWF Deutschland. Der Schweizer Publizist und Journalist Alex Reichmuth urteilte 2012 in der Weltwoche, die Kritik am WWF ziele ins Leere. „Naturräume können nur zusammen mit der Wirtschaft erhalten werden“, konstatierte Reichmuth. Ungeachtet der Debatten um die Arbeit des WWF wird sie international überwiegend positiv bewertet. 2012 wählte zum Beispiel das Magazin „The Global Journal“ den WWF auf Platz 23 der 100 besten NGOs. Er war damit die am besten platzierte Natur- und Umweltschutzorganisation. Schutzgebiete Der WWF benennt weltweit Gebiete, die seiner Ansicht nach besonderen Schutz verdienen. Insgesamt existieren derzeit 35 sogenannte „priorisierte Orte“ („priority places“). Der WWF ist dort nicht überall selbst aktiv, beschränkt seine Arbeit aber auch nicht notwendigerweise nur auf diese Gebiete. Ende der 1990er Jahre veröffentlichte der WWF unter dem Titel Global 200 eine „Weltkarte des Lebens“. Dabei handelt es sich um eine Liste ökologischer Schlüsselregionen, in denen sich ein wesentlicher Teil der biologischen Vielfalt der Erde befindet. Die nationale WWF-Sektion in den Vereinigten Staaten stellte 2001 ein vergleichbares Modell weltweiter Ökoregionen aus Naturschutzsicht vor. Die sogenannten WWF-Ökoregionen basieren auf einer Kombination verschiedener biogeographischer Konzepte. Bedrohte Arten Der WWF definiert eine Reihe wichtiger Arten, die von besonderer Bedeutung für das Ökosystem sind. 2015 gehörten unter anderem folgende Tiere und Pflanzen zu den sogenannten „priorisierten Arten“ („priority species“): Albatrosse, Antilopen, Baumkängurus, Buntbarsche, Delfine, Eisbären, Elefanten, Felskängurus, Ginseng, Gonystylus, Große Pandas, Haie, Kabeljau, Kakteengewächse, Korallen, Korea-Kiefern, Korkeichen, Leoparden, Lippfische, Löffelstöre, Mahagonigewächse, Menschenaffen, Nashörner, Riesenwildschafe, Salmo, Schildkröten, Schneeleoparden, Schwertfische, Seelachse, Speerfische, Störe, Teakbäume, Thunfische, Tiger und Wale. Obwohl der WWF Erfolge beim Artenschutz erkannte, warnte die Organisation mehrfach vor dem größten Artensterben seit dem Verschwinden der Dinosaurier. Dies habe Auswirkungen auf den gesamten Planeten. Organisation Der WWF („WWF International“) führt und koordiniert die Arbeit der Naturschutzorganisation weltweit, einschließlich der regionalen Büros („WWF Netzwerk“). Die Satzung wurde zuletzt 2009/2010 geändert und definiert als zentralen Zweck den Erhalt der natürlichen Umwelt und ihrer ökologischen Prozesse („to conserve the natural environment and ecological processes worldwide“). Laut Satzung sammelt der WWF International Spenden und fördert das Verständnis für Natur- und Umweltschutz. Der Verhaltenskodex des WWF stellt im ersten Punkt klar, dass die Organisation weltweit, unabhängig, multikulturell und überparteilich arbeitet. Gemäß der Satzung besitzt der WWF International folgende Organe: WWF International Board („Stiftungsrat“): Er setzt sich aus zwölf Trustees sowie einem Präsidenten zusammen und bildet das oberste Gremium der Organisation. Das Board ist ehrenamtlich tätig, ernennt und entlässt den Director General und koordiniert die Strategie des WWF. WWF Council („Beirat“): Er besteht aus Vertretern – in der Regel dem Vorsitzenden oder Präsidenten – aller nationalen Sektionen und assoziierten Organisationen. Das Council berät das International Board, insbesondere was gemeinsame Projekte und Kampagnen betrifft. Zusätzlich zu den in der Satzung definierten Organen existiert noch „The Assembly“ der Geschäftsführer nationaler Sektionen und assoziierter Organisationen. Neun Vertreter des Gremiums bilden wiederum das sogenannte „Network Executive Committee“. Dieses bildet vier themenspezifische Arbeitsgruppen: Das „Conservation Committee“, „Global Partnerships Committee“, „Communications and Marketing Committee“ und das „Operations and Network Development Committee“. Die organisatorische und programmatische Führungsstruktur des WWF wurde in der heutigen Form im Jahr 2009 etabliert. Im November 2017 wurde Pavan Sukhdev, ehemaliger Leiter der Green Economy Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen, zum neunten Präsidenten des WWF ernannt. Die operative Leitung obliegt seit 2023 dem Director General Kirsten Schuijt. Ihr Vorgänger Marco Lambertini ist weiterhin als Sondergesandter für den WWF aktiv. Gründungsmitglieder An der Gründung des WWF waren Industrielle, Naturschützer und Wissenschaftler beteiligt. Dazu zählten zum Beispiel Luc Hoffmann, Julian Huxley, Guy Mountfort, Max Nicholson, Peter Markham Scott und Victor Stolan. Die meisten Mitglieder des Stiftungsrats stammten aus dem Umfeld der Weltnaturschutzunion IUCN. Als erster Präsident sollte eine „herausragende Figur des öffentlichen Lebens“ gewonnen werden. Zunächst sollte Philip, Duke of Edinburgh, die Position übernehmen. Er lehnte dies jedoch mit Verweis auf seine anderen Engagements ab und unterstützte anschließend den WWF Großbritannien. Stattdessen wurde Prinz Bernhard der Niederlande für die Aufgabe gewonnen, nachdem deutlich gemacht wurde, dass mit der Präsidentschaft keine geschäftsführende Tätigkeit verbunden sei. Im Juni 1962 traten beide Prinzen im Rahmen einer Veranstaltung im Waldorf Astoria New York erstmals gemeinsam für den WWF auf. Generaldirektoren 1962–1975: Fritz Vollmar, Schweizer Journalist, arbeitete zum Beispiel für das Internationale Komitee des Roten Kreuzes 1975–1993: Charles de Haes, belgischer Jurist und Ökonom, wirkte an der Gründung des „Club der 1001“ mit 1993–2005: Claude Martin, Schweizer Biologe, Mitglied des „China Council for International Cooperation on Environment and Development“ 2005–2014: James P. Leape, US-amerikanischer Jurist, wirkte am Umweltgesetz der USA mit und beriet das Umweltprogramm der Vereinten Nationen 2014–2023: Marco Lambertini, italienischer Chemiker, wirkte an der Gründung des Nationalparks Toskanischer Archipel mit und war CEO von BirdLife International seit 2023: Kirsten Schuijt, zuvor Geschäftsführerin des WWF-Niederlande Präsidenten 1962–1976: Prinz Bernhard der Niederlande, sammelte mit dem „Club der 1001“ den finanziellen Grundstock des WWF 1976–1981: John H. Loudon, Mitglied des „Club der 1001“ und ehemaliger Vorstandsvorsitzender von Royal Dutch Shell 1981–1996: Philip, Duke of Edinburgh, seit 1961 Präsident des WWF Großbritannien und bis zu seinem Tod 2021 WWF-Ehrenpräsident 1996–1999: Syed Babar Ali, Geschäftsmann und ehemaliger Finanz- und Wirtschaftsminister von Pakistan 2000: Ruud Lubbers, Politiker, Ökonom und ehemaliger Premierminister der Niederlande von 1982 bis 1994 2000–2001: Sara Morrison, Mitglied des „Round Table for Sustainable Development“ und „Council of the Family Policy Studies Centre“ 2002–2009: Emeka Anyaoku, nigerianischer Außenminister im Jahr 1983 und Generalsekretär des Commonwealth von 1990 bis 1999 2010–2017: Yolanda Kakabadse, ehemalige Umweltministerin von Ecuador, Präsidentin der Weltnaturschutzunion (IUCN) und Gründerin der Fundacion Natura seit 2017: Pavan Sukhdev, ehemaliger Leiter der Green Economy Initiative des Umweltprogramms der Vereinten Nationen Finanzen 2014 beliefen sich die Einnahmen des WWF auf rund 656,6 Millionen Euro. Davon stammte die überwiegende Mehrheit (358 Millionen Euro) aus Spenden und Erbschaften natürlicher Personen. Auf den öffentlichen Sektor entfielen 120 Millionen Euro, auf Unternehmen 54 Millionen Euro und auf Trusts und Stiftungen 48 Millionen Euro. Mit regulärer Geschäftstätigkeit und Finanzanlagen nahm der WWF 60 Millionen Euro ein. 2014 gab der WWF rund 627,7 Millionen Euro aus. Das meiste Geld (337 Millionen Euro) floss in die internationalen Natur- und Umweltschutz-Projekte des WWF und seiner Sektionen. In die Aufklärungsarbeit wurden 72 Millionen Euro investiert, in die anderen Bildungsaktivitäten 16 Millionen Euro. Die „Conservation Policy“ des WWF schlug mit 33 Millionen Euro zu Buche, die Trade Records Analysis of Flora and Fauna in Commerce (TRAFFIC) mit drei Millionen Euro. Auf den Bereich Finanzen und Verwaltung entfielen 58 Millionen, was rund 9 % entspricht. Für das Fundraising gab der WWF 106 Millionen Euro aus. Sektionen Nach der Gründung zählte es zu den wichtigsten Zielen des WWF, nationale Vertretungen aufzubauen. Diese sollten sowohl Spenden sammeln, als auch die Organisation bekannter machen. Informations- und Werbematerialien wurden von Beginn an so gestaltet, dass die problemlos in andere Sprachen übersetzt werden konnten. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens entstanden insgesamt 21 sogenannte „national appeals“ („nationale Sektionen“), die ersten drei Organisationen wurden in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und der Schweiz 1961 eingerichtet. Die einzelnen Sektionen entwickelten unterschiedliche Methoden für das Fundraising. Die Vereinbarungen zwischen dem WWF und seinen nationalen Sektionen sahen in der Regel vor, dass zwei Drittel der eingeworbenen Mittel für internationale Projekte und ein Drittel für lokale Umweltschutzaufgaben verwendet werden sollten. Nach dem Vorbild des WWF änderten auch die nationalen Organisationen ab 1986 ihren Namen von „World Wildlife Fund“ in „World Wide Fund For Nature“, lediglich die Sektionen in den Vereinigten Staaten und Kanada führen den Namen weiter. Neben der Mittelakquise ist es heute Aufgabe der Sektionen, neben Naturschutzprojekten vor Ort die wissenschaftliche Forschung zu unterstützen und nationale und internationale Stakeholder in Umweltfragen zu beraten. Insgesamt unterhält der WWF heute Büros in 31 Ländern. Dazu kommen weitere regionale Vertretungen, etwa bei der Europäischen Union oder der US-Regierung. Im deutschsprachigen Raum existieren drei nationale Sektionen: WWF Deutschland Der WWF Deutschland ist eine gemeinnützige deutsche Stiftung bürgerlichen Rechts mit Sitz in Berlin, die 1963 in Bonn als Verein zur Förderung des World Wildlife Fund gegründet wurde. Der WWF Deutschland bildete die fünfte nationale Sektion des World Wide Fund For Nature. 1978 wurde der Sitz von Bonn nach Frankfurt am Main verlegt, wo die erste Geschäftsstelle angesiedelt war. 2003 wurde eine Niederlassung in Berlin in Betrieb genommen, wo sich seit 2008 der Hauptsitz des WWF Deutschland befindet. Neben den Büros in Berlin, Frankfurt am Main und München unterhält der WWF Deutschland diverse Außenstellen und Projektbüros, etwa in Dessau, Hamburg, Husum, Mölln, Stralsund und Weilheim. Gemäß der Satzung besitzt WWF Deutschland einen Vorstand, welcher die Geschäftsführung ausübt, sowie den Stiftungsrat. WWF Österreich Der WWF Österreich ist ein gemeinnütziger Verein mit Sitz in Wien-Ottakring. Anlass für die Gründung im Jahr 1963 war in erster Linie der Schutz der Langen Lacke, dem größten von 40 salzhaltigen Seen im burgenländischen Seewinkel, sowie der umgebenden Pusztafläche. Zu den bekanntesten Projekten der Organisation zählt die Ansiedlung von Braunbären in der Region um den Ötscher in Niederösterreich, deren Population zwischenzeitlich auf 25 bis 30 Tiere wuchs. Im Unterschied zu anderen nationalen Sektionen des WWF, die sich in den 1970er Jahren in eine Stiftung umgewandelt haben, arbeitet WWF Österreich bis heute als Verein. Der WWF Österreich hat folgende Organe: die Delegiertenversammlung, das Mitgliederforum, die Geschäftsführung, den Aufsichtsrat sowie Beiräte und andere gesetzlich vorgeschriebene Gremien. WWF Schweiz Der WWF Schweiz ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Zürich, die 1961 als dritte nationale Sektion des World Wide Fund For Nature ins Leben gerufen wurde. Der Hauptsitz befindet sich im Zürcher Stadtkreis Aussersihl, zusätzlich existieren Zweigstellen in der Romandie (Lausanne) sowie im Kanton Tessin (Bellinzona). Als Rechtsform wurde zunächst der Verein nach Schweizer Recht gewählt, erst 1972 wurde er nach dem Vorbild anderer Sektionen in eine Stiftung umgewandelt. Oberstes Organ des WWF Schweiz bildet der Stiftungsrat, der die Geschäftsleitung wählt und beaufsichtigt. Im Gegensatz zu anderen Ländern besitzt der WWF Schweiz eine föderale Struktur: Neben der Stiftung existieren in jedem Kanton rechtlich selbständige Sektionen, die sich wiederum in regionale Gruppen aufgliedern können. Kritik 1987 übergab der WWF der Regierung von Simbabwe einen Hubschrauber, mit dem die Wilderei im Land bekämpft werden sollte. Der WWF geriet in die Kritik, nachdem bekannt wurde, dass der Hubschrauber für sogenannte Shoot-to-kill-Aktionen eingesetzt wurde. Dabei werden der Wilderei verdächtige Personen gezielt erschossen. Nach Medienberichten wurden zwischen Februar 1987 und April 1989 auf diese Weise fast 60 Wilderer getötet. Die Bereitstellung des Hubschraubers entwickelte sich zu einem Desaster für den WWF, nachdem der Guardian darüber berichtet hatte. In der anschließenden Debatte wurde vor allem der Konflikt zwischen Menschenrechten und Tierschutz thematisiert. Der WWF wurde von diversen Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen für seine Spende an die Regierung von Simbabwe kritisiert. Der WWF erwiderte in einer Stellungnahme, es sei niemals beabsichtigt gewesen, den Hubschrauber als Gunship einzusetzen. Dieser Darstellung widersprach der US-amerikanische Journalist Raymond Bonner. Er verwies darauf, dass vor der Übergabe des Hubschraubers innerhalb des WWF heftige Debatten über seinen Einsatzzweck geführt worden waren. In den folgenden Jahren führte der Fall zu einem Umdenken beim WWF. 2002 erklärte zum Beispiel ein Vertreter des WWF Deutschland im Zusammenhang mit Shoot to kill, es würden grundsätzlich keine Waffen finanziert. Anfang der 1990er Jahre wurde bekannt, dass der WWF an der Operation Lock beteiligt war. Ihr Zweck war es, Organisationen in Südafrika zu unterwandern, die Handel mit Elfenbein und Nashörnern trieben. Die Ermittlungen sollten helfen, illegale Geschäfte zu verhindern. Dafür wurde die private Sicherheitsfirma KAS Enterprises beauftragt, für die viele ehemalige Mitglieder des Special Air Service arbeiteten. Bernhard Prinz der Niederlande finanzierte die Operation unter der Voraussetzung, dass sich der WWF daran nicht beteilige. Einige Beobachter gehen davon aus, dass eine Verbindung zwischen der Operation Lock und dem WWF so gezielt verschleiert wurde. Später wurden Verbindungen zwischen KAS und dem südafrikanischen Geheimdienst bekannt, in denen die Destabilisierungspolitik des Apartheid-Regimes gegenüber benachbarten Staaten eine Rolle spielte. 2019 berichteten Reporter von BuzzFeed erneut über massive Vorwürfe. WWF-Angehörige sollen Milizen unterhalten und diese auch ausrüsten und ausbilden. Durch Milizen und Ranger, mit denen der WWF zusammenarbeitet, soll es zu Folterungen, Tötungen und Gruppenvergewaltigungen in verschiedenen Ländern Afrikas und Asiens gekommen sein. Diese Vorwürfe werden nun von einer externen UNO-Kommission untersucht. Zusammenarbeit mit Unternehmen Durch die Nähe der Gründer des WWF zur Industrie kamen Großspenden von Anfang an eine bedeutende Rolle zu. Eine der ersten Großspenden in Höhe von 10.000 Pfund erhielt der WWF nach seiner Gründung im Jahr 1961 vom Energieunternehmen Royal Dutch Shell. Obwohl das Buch Der stumme Frühling eine breite Debatte über den Einsatz von Pestiziden auslöste, bezog der WWF keine Stellung in der Diskussion. Nach einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung schwieg der WWF auf Anraten des Unternehmens zu den ökologischen Problemen von Pflanzenschutzmitteln. Von 1977 bis 1981 war der ehemalige Vorstandsvorsitzende des Unternehmens, John H. Loudon, Präsident des WWF. Während einige Beobachter die Zusammenarbeit des WWF mit Unternehmen positiv beurteilen, wird der Organisation von anderer Seite vorgeworfen, zu eng mit der Wirtschaft und politischen Entscheidern zu kooperieren und damit ihren eigentlichen Zielen nicht mehr gerecht zu werden. Zum Beispiel kritisieren viele Natur- und Umweltschutzorganisationen die Teilnahme des WWF am Runden Tisch für verantwortungsbewusstes Soja (Round Table on Responsible Soy, RTRS), weil ihm Agrar-, Chemie- und Gentechnikkonzerne sowie Rohstoffhändler angehören. Der RTRS beschloss in seinen Richtlinien, dass gentechnisch verändertes Soja als „verantwortungsbewusst“ etikettiert werden kann, obwohl der WWF beziehungsweise seine deutsche Sektion den Einsatz gentechnisch veränderter Organismen strikt ablehnt. 2011 forderte zum Beispiel der Deutsche Naturschutzring den WWF in einem Protestbrief auf, den RTRS zu verlassen. Der Verband kritisierte, dass „der WWF den Konzernen hilft“ und anderen Organisationen in den Rücken falle. Der WWF lasse sich von diversen Firmen vor den Karren spannen, äußerte Greenpeace. 2010 berichteten Arno Schumann und Wilfried Huismann in der Dokumentation Lachsfieber über eine Kooperation zwischen dem WWF Norwegen und Marine Harvest, dem weltweit größten Hersteller von Zuchtlachs. Das Unternehmen spendete jährlich 100.000 Euro an den WWF und durfte mit dem Logo der Organisation werben. Verbindliche Verbesserungen habe der WWF mit Marine Harvest nach Angaben der Dokumentation nicht vereinbart. Sie wurde im März 2010 erstmals im Ersten ausgestrahlt. Seit 2002 kooperiert der WWF Deutschland mit der Krombacher Brauerei. Das Unternehmen warb damit, Projekte des WWF zu unterstützen. Zum Beispiel wurde 2011 mit dem Krombacher Klimaschutz-Projekt der Erhalt und die Renaturierung tropischer Torfmoorwälder auf Borneo finanziert. 2008 entschied ein Gericht, dass die Werbung mit der Zusammenarbeit eine Irreführung der Verbraucher darstellt und wettbewerbsrechtlich zu beanstanden ist. Das Gericht vertrat unter anderem die Ansicht, die Höhe der Spenden von Krombacher an den WWF wäre nicht ausreichend, um einen Quadratmeter Regenwald zu retten. Des Weiteren warfen Kritiker der Brauerei und dem WWF mangelnde Transparenz bei der Finanzierung und „Augenwischerei“ vor. Der WWF betreibe ein Umweltmarketing, das vor allem auf den Produktverkauf und weniger auf ein dauerhaftes Engagement gerichtet sei. Allerdings hob der Bundesgerichtshof das Verbot der Werbung von Krombacher im Jahr 2006 wieder auf: Nach Meinung des Gerichts dürften Unternehmen ihre Produkte grundsätzlich mit der Werbung für Projekte im Bereich Umweltschutz verknüpfen. Für Verbraucher bestehe der Kaufanreiz darin, dass sie durch den Erwerb der Ware die beworbenen Projekte und deren Ziele unterstützen könnten. Im Jahr 2011 war Jochen Lamp, Leiter des WWF-Ostseebüros, auch Vorsitzender der Naturschutzstiftung Deutsche Ostsee, die wiederum von der Nord Stream AG unterstützt wurde. Während der WWF unter Lamp den Bau einer umstrittenen Gaspipeline von Russland nach Deutschland durch Nord Stream aktiv mit Hilfe von Gerichtsverfahren blockierte, erzielte Nord Stream eine außergerichtliche Einigung mit der Naturschutzstiftung Deutsche Ostsee. Die Einigung sah eine Überweisung von 10 Millionen Euro vor. Der WWF zog seine Klage daraufhin zurück. Im Mai 2012 veröffentlichte Der Spiegel einen Bericht unter dem Titel Kumpel der Konzerne. Darin wird der WWF beschuldigt, er unterlaufe seine eigenen Standards. Vielen komme der WWF wie ein „Komplize der Konzerne“ vor, der für Spenden und kleine Zugeständnisse die „Lizenz zur Zerstörung der Natur“ erteile. Laut Neues Deutschland sei die Geschichte des WWF auch eine „Geschichte von Skandalen“. Ähnliche Vorwürfe des Greenwashing lassen sich auch zu anderen Organisationen und Labels finden, an denen der WWF beteiligt ist. Das betrifft etwa das Forest Stewardship Council (FSC), Marine Stewardship Council (MSC) und Roundtable on Sustainable Palm Oil (RSPO). Kontroverse über Investitionen in fossile Brennstoffe Investigativer Journalismus des NBC und später Naomi Klein deckten 2008 bzw. 2013 auf, dass der WWF millionenschwere Investitionsverträge in Öl-, Gas-, Kohle- und Teersandprojekte abgeschlossen hatte und davon profitierte. Als der WWF damit konfrontiert wurde, zog er sich nicht zurück. Er gab an, dass er mindestens bis 2020 warten würde, um sich aus einigen der fossilen Brennstoffprojekte zurückzuziehen, da ein früherer Ausstieg für ihn mit Verlusten verbunden wäre. Der WWF spricht sich international nicht generell gegen fossile Brennstoffe aus, sondern engagiert sich für eine, wie er es intern nennt, „verantwortungsvolle Entwicklung“ fossiler Brennstoffe. „Der Pakt mit dem Panda“ Im Juni 2011 sendete Das Erste die Dokumentation Der Pakt mit dem Panda: Was uns der WWF verschweigt von Wilfried Huismann. Es handelte sich um eine Koproduktion von SWR und WDR. Bereits vor der Erstausstrahlung löste der Film eine Kontroverse aus. Kritisiert wird unter anderem, dass der WWF zusammen mit Agrarkonzernen wie Monsanto an Runden Tischen für Soja (RTRS) und Palmöl (RSPO) sitze. Unternehmen mit teilweise umweltschädlichen Praktiken könnten sich hier des Wohlwollens der Umweltschützer sicher sein. Ferner setze sich die Organisation für die Verbreitung von genetisch verändertem Saatgut ein. Der WWF wies die Vorwürfe in einem „Faktencheck“ auf seiner Website zurück. Es gehe beispielsweise bei den Runden Tischen darum, Zugeständnisse von Unternehmen zu erreichen, die über gesetzliche Vorgaben hinausgehen. Zudem vertrete der WWF die Position, Gentechnik sei so lange abzulehnen, wie deren Unbedenklichkeit nicht bewiesen sei. Nachdem keine Einigung mit dem SWR und WDR hinsichtlich der Vorwürfe erreicht werden konnte, legte der WWF Deutschland Rechtsmittel ein. Die juristische Auseinandersetzung mündete im November 2013 in das Hauptsacheverfahren. Das Landgericht Köln gab dem WWF Deutschland in insgesamt fünf von sechs beanstandeten Punkten Recht. Die Berufung von WDR und SWR wies das Kölner Oberlandesgericht im Dezember 2014 zurück, eine Revision wurde nicht zugelassen. Damit ist es den Sendern unter Strafandrohung untersagt, die entsprechenden Aussagen aus der Dokumentation zu wiederholen. Das Gericht beurteilte unter anderem die Aussagen, der WWF erhalte „Honorare für das Grünwaschen einer zerstörerischen Produktion“ oder befürworte eine „Verdoppelung der bereits für den Sojaanbau verbrauchten Fläche des Chaco im Norden Argentiniens“, als falsch. Der Sender und Huismann hätten „der ihnen abzuverlangenden pressemäßigen Sorgfaltspflicht“ nicht genügt. „Schwarzbuch WWF“ Im April 2012 erschien unter dem Titel Schwarzbuch WWF ein Sachbuch von Wilfried Huismann im Gütersloher Verlagshaus, das Teil der Verlagsgruppe Random House ist. Darin wiederholte der Autor im Wesentlichen die Vorwürfe aus Der Pakt mit dem Panda, weshalb es zum Beispiel die taz als das „Buch zum Film“ bezeichnete. Es wird insbesondere die Nähe des WWF zur Industrie, dessen koloniale Vergangenheit und Intransparenz sowie seine Beteiligung an ökologisch umstrittenen Projekten kritisiert. Die Zusammenarbeit mit Großkonzernen bezeichnet Huismann als „grünen Ablasshandel“. Die Natur- und Umweltschutzorganisation arbeite mit den „schlimmsten Umweltsündern des Planeten“ zusammen. Der WWF sitze in verschiedenen Gremien, die Konzernen Zertifikate für nachhaltige Produktion verliehen, während diese Urwälder vernichteten und die Umwelt vergifteten. Unter den Projekten für Tiger, Gorillas und andere litten die indigenen Völker. Sie wurden aus ihren angestammten Gebieten vertrieben. Die öffentliche Debatte um das Schwarzbuch WWF traf insbesondere auch den WWF Deutschland. Dieser erklärte, das Buch von Wilfried Huismann enthalte „eine Vielzahl halbwahrer oder sogar falscher Aussagen“. Diese beruhten entweder auf ungenauen Recherchen oder seien sogar bewusst falsch. Der WWF bestritt ausdrücklich, „industrienah“ zu sein. Die Organisation freue sich über „jede konstruktive Anregung“. Allerdings sei zwischen der Debatte um erfolgreichen Natur- und Umweltschutz und „grundlegenden Falschaussagen“, die der Sache schadeten, zu unterscheiden. Der WWF Deutschland wandte sich an mehrere Buchhändler, woraufhin Amazon, Weltbild, Libri und andere Anbieter das Schwarzbuch WWF freiwillig aus dem Programm nahmen. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung und ein Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion kritisierten die „Selbstzensur“ der genannten Unternehmen. Die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (DJU) warf WWF einen „nicht akzeptablen Versuch rechtlich zweifelhafter Einschüchterungsversuche“ vor und unterstützte ausdrücklich Huismann, der Mitglied der Gewerkschaft ist. Osiander und eBuch behielten das Buch demonstrativ im Programm und machten in ihren eigenen Filialen gezielt darauf aufmerksam. Auch über den Direktvertrieb der Verlagsgruppe Random House war es weiterhin lieferbar. Im Juni 2012 gab das Landgericht Köln einem von 14 Unterlassungsbegehren des WWF statt. Das betraf Aussagen einer WWF-Mitarbeiterin, die Wilfried Huismann für eine Dokumentation und nicht für das Buch befragt hatte. Die betreffende Stelle musste in der nächsten Auflage geändert werden. Das Gericht stellte klar, dass Huismann generell den WWF kritisiert und nicht zwischen nationalen Sektionen differenziert habe. Im Juli 2012 gaben die Verlagsgruppe Random House und der WWF Deutschland schließlich bekannt, den Streit um das Schwarzbuch WWF außergerichtlich beizulegen. Die Parteien einigten sich, ab der dritten Auflage insgesamt 21 Textstellen zu ändern oder zu streichen. Die Korrekturen wurden von den Medien unterschiedlich aufgenommen: Während die Freie Presse urteilte, das Buch sei „entschärft“ worden, erklärte die Süddeutsche Zeitung, die Grundaussagen seien nicht verändert worden. Nach Angaben der Frankfurter Rundschau belegt Huismann die These, dass der WWF zu stark mit der Industrie kooperiere, zwar vor allem mit Anekdoten, diese müsse der WWF aber als Meinungsäußerung akzeptieren. Vorwürfe über interne Arbeitsweise 2022 berichtete die TAZ, dass leitende Angestellte des WWF einen Protestbrief an den Vorstand adressiert hatten, in dem sie auf dessen Verstöße gegen Compliance-Regeln hinwiesen. Einerseits handelte es sich dabei um eine Affäre zwischen der damaligen Finanzchefin und eines Vorstandsmitglieds. Andererseits fiel auch der Vorwurf, WWF hätte Missstände, auf die die Personalchefin hingewiesen hatte, nicht transparent aufgeklärt, sondern diese drangsaliert und ihr mit Kündigung gedroht. In einer resultierenden Gerichtsverhandlung zeigte sich, dass die Finanzchefin unter einer großzügigen Abfindung, die möglicherweise mit Spendengeldern finanziert wurde, einen Aufhebungsvertrag unterzeichnet hatte. Nach den Berichten trat der geschäftsführende Vorstand Eberhard Brandes ohne Angabe von Gründen zurück. Nach einer Umfrage über Mitarbeiterzufriedenheit hatten Angestellte 2021 ebenfalls einen Brief verfasst, in dem sie auf eine „sexistische Arbeitsatmosphäre“ hinwiesen, welche durch „chauvinistische und verbal übergriffige Aussagen“ geprägt sei, ebenso auf ein „Klima der Angst“ und ein „geringschätzendes, einschüchterndes und manipulatives Arbeitsumfeld“. Dokumentationen Heinz Sielmann: Völkerbund zum Schutz der Tiere. WWF – Porträt einer Naturschutz-Organisation. ARD 1983, 45 Minuten. Wilfried Huismann, Arno Schumann: Lachsfieber. ARD 2010, 43 Minuten. Wilfried Huismann: Der Pakt mit dem Panda. ARD 2011, 45 Minuten. Rundschau: WWF unter Beschuss: Wenn Artenschützer Menschen vertreiben. SRF 1 2019, 11 Minuten. Literatur Weblinks Website des WWF (englisch, spanisch) WWF Deutschland Einzelnachweise Internationale Organisation (Naturschutz) Stiftung (Schweiz) Organisation (Kanton Waadt) Mitglied der Europäischen Bewegung Deutschland Gegründet 1961 Gland VD
Q117892
238.478549
60254
https://de.wikipedia.org/wiki/Yuan-Dynastie
Yuan-Dynastie
Yuan-Dynastie () ist der chinesische Name des von 1279 bis 1368 über China regierenden mongolischen Kaiserhauses (mongolisch Dai Ön Yeke Mongghul Ulus). Konsolidierung der Herrschaft Die Dynastie wurde 1271 durch Dschingis Khans Enkel Kublai Khan proklamiert. Übersetzt bedeutet Yuan „Ur-Anfang“. Sie löste nach der Kapitulation Hangzhous 1276 und der Niederlage der letzten Song-Anhänger 1279 die Song-Dynastie ab. Ihre Hauptstadt war seit 1264 Peking, damals Dadu (Tatu) () oder, von den Mongolen, Khan-balyq (Kambaluc, die Stadt des großen Khan) genannt. Die Städte Shangdu (das Xanadu der Dichtung) als die Sommerresidenz und Stadt Karakorum gaben der Herrschaft Legitimation. Innen- wie außenpolitisch wurde die Yuan-Dynastie nur formal anerkannt. Es folgten wiederholte Konfrontationen mit den in der Steppe verbliebenen Mongolen (die letzte 1360). Dazu kam, dass die Mongolenregenten im Westen, die Goldene Horde und die Ilchane, ab 1260 beziehungsweise ab 1295 ihre eigene Politik betrieben und den Islam annahmen. Es kam zur Teilung des Mongolischen Reiches, um 1310 bildete sich das bis dahin instabile Tschagatai-Khanat neu, so dass man im 14. Jahrhundert vier voneinander unabhängige Reiche unterscheidet. Deren gemeinsame Interessen traten gegenüber den Einzelinteressen mehr und mehr zurück, obwohl die Yuan-Dynastie das Amt des Khaghan (Großkhan) innehatte und damit einen Vorrang gegenüber den anderen drei Reichen – dies hatte jedoch praktisch keine Auswirkungen. Die mongolischen Garnisonen konzentrierten sich besonders um die Hauptstadt, während in den reichen Gegenden am Jangtse (Yangzhou, Nanjing, Hangzhou) sehr bald chinesische Truppen unter mongolischen Befehlshabern den Frieden zu wahren versuchten. Die chinesischen Soldaten wurden alle zwei Jahre ausgetauscht und in eine entfernte Provinz verlegt. Auch ihre Offiziere wurden zur Vermeidung von Rebellionen regelmäßig versetzt. Mit der Mongolenherrschaft wurde China zum ersten Mal in seiner Geschichte Teil eines Weltreiches, das von Russland bis in den Fernen Osten reichte. Anscheinend hat jedoch Kublai China als das Herzstück seines Reiches angesehen und seine Regierung folgte eher chinesischen als mongolischen Traditionen. In diesem Sinne kann man auch die Verlegung der Hauptstadt nach Peking als Abkehr von der Steppe verstehen. Da die Mongolen nomadische Viehzüchter waren, wurden sie schnell zu Minderheiten in ihrem nun beherrschten Territorium, da sie mit wenigen Menschen ihre vielen Weidetiere auf teilweise wechselnden und sehr großen Arealen versorgen mussten. Dies führte dazu, dass sie auf Angehörige fremder Völker angewiesen waren, um ihre Herrschaftsansprüche zu sichern. Dies ist auch einer der Gründe für die Intensivierung des Kulturaustausches zwischen dem Osten und dem Westen, der während der Yuan-Dynastie stattfand. Dabei spielte besonders der Iran eine wichtige vermittelnde Rolle. Bevölkerung und Bevölkerungseinteilung Die Bevölkerung Chinas zählte um 1290 offiziell 60 Millionen Südchinesen, 10 Millionen Nordchinesen und 2 Millionen Mongolen und Semu. Eine frühere Zählung von 1235 hatte 8,5 Millionen Menschen in Nordchina ergeben, die enormen Zahlen der Heimatlosen und Versklavten abgerechnet. Im Verhältnis zur Zeit der Jin-Dynastie hatte Nordchina also einen dramatischen Bevölkerungsrückgang zu verzeichnen. Kublai ließ noch vor seinem Tod die Bevölkerung Chinas in vier Gruppen einteilen und dies im Gesetzbuch Yuan-dian-zhang festschreiben, auch wenn es in der Praxis eine schwer einzuhaltende Einteilung war. Die höchste Gruppe bildeten die sogenannten „Weißen Mongolen“, (echte Mongolen) die in 72 Stammesgruppen unterteilt waren. Nur sie allein durften die höchsten Posten des Reiches besetzen. Die „Schwarzen Mongolen“ (Semu) waren die Völker, welche die Mongolen bei der Eroberung Chinas unterstützt hatten. Dazu zählten verschiedene Turkvölker beziehungsweise die Turko-Tataren, aber auch ausgesiedelte Alanen und Russen. Die Schwarzen Mongolen durften Handel treiben, Steuern erheben, Geld verleihen und die mittleren Beamtenebenen besetzen. Die dritte Gruppe bildeten die Nordchinesen, Han-ren genannt. Dazu zählten auch Kitan, Jurchen, Koreaner. Sie durften ein Kleingewerbe betreiben und die niederen Beamtenstellen besetzen, aber keine höheren Offiziersstellen. Die Südchinesen (Nan-ren) bildeten die vierte und rechtloseste Gruppe. Sie durften sich nicht einmal gegen Schläge wehren und mussten die meisten Steuern tragen. Allerdings hüteten sich die Mongolen davor, in Südchina den privaten Grundbesitz zu konfiszieren und erlangten so die Neutralität der reichen Südchinesen. Stattdessen beschlagnahmten sie das unter dem Song-Kanzler Jia Sidao verstaatlichte Land, was die Lage für die einfachen Bauern nicht verbesserte. Chinesen durften keine Waffen und Pferde besitzen, Berufswechsel und Heiraten zwischen den Gruppen waren verboten. Handel und Verwaltung Ungeachtet der Stagnation (im Vergleich mit früheren Dynastien) führte die Mongolenherrschaft über China zu einem Aufschwung des Transithandels und des weltweiten Kulturaustausches und Wissenstransfers. Beispiele für letzteres sind der (misslungene) Versuch der Einführung von Papiergeld im Iran 1293, der Aufschwung des Islam in China (Yunnan, Gansu), die Missionen der Christen (1307 Erzbistum in Peking), eine Kalenderreform unter Guo Shoujing aufgrund persischer Erkenntnisse, die Kettenpumpe zur Bewässerung in Turkestan, das Buch Marco Polos (Il Milione) und vieles mehr. Die Mongolen schätzten, im Gegensatz zu den konfuzianischen Beamten, Handel und die Händler (meist Muslime, organisiert in Gilden) hoch ein, statteten sie mit Wagniskapital aus und betrauten sie mit den Fragen des Finanzwesens. Letzteres hatte negative Auswirkungen, da die Muslime die Steuerschraube stärker als Chinesen anzuziehen pflegten. Schon 1239 hatte Abd al-Rahman die Steuern verdoppelt, der 1282 ermordete Finanzminister Ahmad Fanakati hatte sie in drei Jahren verdreifacht. Im Interesse des Binnenhandels und der Versorgung Nordchinas baute man 1279–1294 den nördlichen Abschnitt des Kaiserkanals. Es war eine geänderte Route, denn die alte war zu lang und längst nicht mehr schiffbar. Parallel dazu benutzte man den Seeweg, um die Reichtümer nach Norden zu transportieren. Die Mongolen teilten die Verwaltung in den Geheimen Staatsrat für militärische Angelegenheiten, in das Zensorat für die kaiserliche Beaufsichtigung der Beamten und das Zentralsekretariat für alle zivilen Angelegenheiten. Letzteres unterteilte sich in die sechs Bereiche Steuern, Personal, Riten, Krieg, Justiz und öffentliche Arbeiten. Allerdings waren manche Provinzen relativ selbständig (Gansu, Yunnan). Machtkämpfe an der Verwaltungsspitze waren typisch. Mehrere, meist rücksichtslose Minister zahlten mit ihrem Leben (Ahmed Fanakati 1282, Lu Shirong 1285, Senge 1291, Bayan 1340, Toghta 1356). Andere starben eines natürlichen Todes (Temüder 1322, El/Yang Temür 1333). Ein großes Problem der Mongolenherrschaft in China lag in der Prüfung der Staatsbeamten. Das war in China seit der Tang-Dynastie üblich und ein wichtiges Legitimationsmittel einer jeden Dynastie. Die Mongolen hatten sie 1237/1238 auf Anraten Yelü Chucais durchgeführt und sofort wieder abgeschafft. Erst 1315 ließ sie Kaiser Ayurparibatra wiedereinführen. Allerdings wurden Nord- und Südchinesen dabei nur zur Hälfte zugelassen, so dass die Mongolen trotzdem etwa ein Drittel aller Posten besetzten. Schon Dschingis Khan hatte einen vielgerühmten Gesetzeskanon (Jassa) in Kraft gesetzt, die innovative Rechtspraxis der Mongolendynastie insgesamt war für das spätere China weiter bedeutend und folgenreich. Untergang Mitte des 14. Jahrhunderts kam es zu einer Reihe von Überschwemmungen, die Dämme des Gelben Flusses brachen (1351). Die Mongolen unter Kanzler Toghta ließen nun südlich der Shandong-Halbinsel einen neuen Kanal bauen. Es gelang den Chinesen dabei erstmals, die Aufständischen zu organisieren. Kurz danach brachen in Zentralchina mehrere Aufstände unter diversen Anführern aus (1352), die wichtigste Gruppierung bildeten dabei die Roten Turbane. Zwischen 1355 und 1368 setzte sich Zhu Yuanzhang als künftiger Kaiser der Ming-Dynastie gegen seine Rivalen durch. 1363 entschied er die Flottenschlacht auf dem Poyang-See gegen den „Han“-Prinzen Chen Youliang für sich, 1368 verjagte seine Armee unter Xu Da den Khan Toghan Timur aus Peking. Damit endete die Mongolenherrschaft in China. Der Untergang der Yuan-Dynastie hatte jedoch auch andere Gründe: Besonders die mangelnde Fähigkeit, das Weltreich dauerhaft zu verwalten, war ein wesentlicher Faktor. Ein anderer Grund, der zum Untergang beitrug, war auch die Störung des Fernhandelssystems durch einen Ausbruch der Pest im zweiten Drittel des 14. Jahrhunderts. Im Gegensatz zu anderen Völkern, die Teile Chinas beherrscht hatten, stellten die Mongolen auch nach dem Untergang ihrer Dynastie einen zu beachtenden Machtfaktor dar, der im Norden Chinas die nachfolgende Ming-Dynastie zwang, sich mit den Mongolen auseinanderzusetzen. Integrationsmaßnahmen und bürokratische Initiativen, die unter der Yuan-Dynastie begonnen hatten, wurden von den Ming-Kaisern fortgesetzt. Siehe auch Liste der chinesischen Dynastien Kaiser der Yuan-Dynastie (bzw. Khane der Mongolen) Liste der größten Imperien und Reiche Literatur Timothy Brook: The Troubled Empire. China in the Yuan and Ming Dynasties. Belknap Press of Harvard University Press, Cambridge (Mass.) 2010, ISBN 978-0-674-07253-4 (englisch). Frederick W. Mote: Imperial China 900-1800. HUP, Cambridge (Mass.) 1999 (englisch). Einzelnachweise Mongolisches Reich Gegründet 1271
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Raumstation
Raumstationen sind ein moderner Teil der bemannten Raumfahrt. Im Gegensatz zu Raumschiffen dienen sie nicht der Fortbewegung, sondern ermöglichen es Menschen, lange Zeit auf ihnen zu leben. Bislang befanden sich alle Raumstationen in der Erdumlaufbahn. Eine Unterform von Raumstationen sind Raumlabore. Probleme Technisch herausfordernd beim Betrieb einer Raumstation ist vor allem die Versorgung der Besatzung. Aufgrund der hohen Kosten für Transporte mussten Systeme entwickelt werden, die den Betrieb einer Raumstation weitgehend autark erlauben, d. h. in einem geschlossenen Kreislauf. Besonders bei der Aufbereitung von Wasser und Luft wurden dabei große Fortschritte erzielt. Raumstationen umkreisen die Erde typischerweise in einer niedrigen Umlaufbahn (Low Earth Orbit) von 300 bis 400 Kilometern Höhe. Diese niedrigen Umlaufbahnen sind nicht stabil, da die Thermosphäre, eine dünne äußere Schicht der Erdatmosphäre, die Raumstationen ständig abbremst. Ohne regelmäßigen Schub in höhere Umlaufbahnen würden Raumstationen daher nach einigen Monaten oder Jahren wieder in die Erdatmosphäre eintreten. Auch die Gravitation anderer Himmelskörper stört die Umlaufbahn einer Raumstation. Bei der ISS erfolgen die sogenannten „Reboost-Manöver“ meist über die Triebwerke angekoppelter Raumschiffe und erfordern etwa 7 t Treibstoff pro Jahr. Die Chinesische Raumstation nutzt hierfür einen mit Xenon betriebenen, sehr treibstoffsparenden Hallantrieb, der aufgrund seiner geringen Schubkraft die Station bei den Bahnkorrekturmanövern auch mechanisch weniger beansprucht. Die Raumstationen im Einzelnen Die erste Raumstation war 1971 die sowjetische Saljut 1. Eine der bedeutendsten Raumstationen war die sowjetische Station Mir, die fast 15 Jahre lang schrittweise ausgebaut und genutzt wurde. Mit der ISS ist heute eine Raumstation in internationaler Kooperation permanent bemannt. Bisher wurden vierzehn Raumstationen in die Erdumlaufbahn gebracht, davon wurden zwölf bemannt: Geplante Raumstationen Die NASA möchte ab 2025 zusammen mit den ISS-Partnern erstmals eine Raumstation in einem Mondorbit, das Lunar Orbital Platform-Gateway, betreiben. Roskosmos, das sich von diesem Projekt zurückgezogen hat, plant den Aufbau der Russischen orbitalen Servicestation (in einem Erdorbit) ab 2028 und die ISRO bis 2035 die Einrichtung einer eigenen Raumstation. Darüber hinaus stehen mit Starlab (Nanoracks/Voyager Space, Lockheed Martin, Airbus und Northrop Grumman) ab 2028 und Orbital Reef (u. a. Blue Origin, Boeing und Sierra Space) ab Ende der 2020er privat betriebene Raumstationen in Aussicht. Ende 2021 vergab die NASA Fördergelder von insgesamt 415 Millionen US-Dollar, um das Design der eben genannten Stationen sowie eines mittlerweile aufgegebenen Konzepts einer Raumstation von Northrop Grumman und Dynetics zu vervollständigen. Axiom Space möchte ab 2026 zunächst mehrere Module an die ISS anbauen, die – nachdem der ISS-Betrieb eingestellt wurde – wieder abgetrennt werden und eine eigene Raumstation bilden sollen. Neben diesen etablierten Raumfahrtorganisationen und -unternehmen veröffentlichten auch mehrere Start-up-Unternehmen ambitionierte Pläne für private Raumstationen. Vast kündigte beispielsweise an, frühestens im Jahr 2025 die Raumstation Haven-1 mit einer Falcon-9-Trägerrakete in eine niedrige Erdumlaufbahn befördern zu lassen und anschließend Astronauten in einer privaten Mission zu der Station zu bringen. Die Orbital Assembly Corporation beabsichtigt die Errichtung des Weltraumhotels Voyager-Station. Ideen für alternative Konzepte Zukünftige Raumstationen könnten in größerer Entfernung zur Erde in einem entfernten rückläufigen Orbit um den Mond oder in einem der Lagrange-Punkte des Erde-Mond-Systems positioniert werden. Ein entfernter rückläufiger Orbit oder die Lagrange-Punkte L4 und L5 ermöglichen der Raumstation eine wesentlich stabilere Umlaufbahn, was die nötigen Kurskorrekturen und damit den Treibstoffverbrauch erheblich reduzieren würde. Allerdings ist die Intensität der kosmischen Strahlung in einer größeren Entfernung zur Erde erheblich größer, weil dort der Schutz durch die Magnetosphäre der Erde fehlt. In einem erdnahen Orbit senken das Erdmagnetfeld und die Reste der Atmosphäre die Belastung durch die galaktische kosmische Strahlung um 70–90 %. Für eine Raumstation in größerer Entfernung zur Erde ist es also notwendig, besondere Vorkehrungen zum Strahlenschutz zu treffen. Literatur Philip Baker: The Story of Manned Space Stations - An Introduction. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-0-387-30775-6. Roger D. Launius: Space station - base camps to the stars. Smithonian, Washington D.C. 2003, ISBN 1-58834-120-8. Ernst Messerschmid et al.: Space Stations - Systems and Utilization. Springer, Berlin 1999, ISBN 978-3-642-08479-9. Weblinks Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Szeged
Szeged
Szeged [] (, neuer Segeden, auch Szegedin oder Segedin, , , ) ist mit 160.766 Einwohnern (2019) die drittgrößte Stadt Ungarns. Sie liegt an der Südgrenze des Landes am Dreiländereck mit Serbien und Rumänien an der Mündung des Flusses Marosch (ungarisch Maros) in die Theiß (ungarisch Tisza). Mit der rund 170 km nördlich gelegenen Hauptstadt Budapest ist die Stadt über die Intercity-Bahnverbindung und die Autobahn M5 verbunden. Szeged ist Sitz des Komitats Csongrád-Csanád und besitzt selbst Komitatsrecht. Über 2000 Sonnenstunden pro Jahr – mehr als in jeder anderen Stadt des Landes – haben Szeged den Beinamen „Stadt des Sonnenscheins“ beschert. Geographie Geographische Lage Szeged liegt in Südungarn und im südlichen Teil der Großen Ungarischen Tiefebene am Unterlauf der Theiß, die etwa 120 km südlich von Szeged auf dem Gebiet Serbiens in der Vojvodina in die Donau mündet. An der östlichen Stadtgrenze mündet der Marosch in die Theiß. Auf dem Stadtgebiet liegen zwei größere und ca. 15 kleine Seen. Die zwei großen Seen (Fehér-tó und Sándorfalvi halastó) befinden sich im Norden des Stadtgebietes. Einige der kleineren Seen sind künstlich angelegt, z. B. für den Kanusport. Stadtteile und Bezirke Nachbargemeinden Zsombó Szatymaz Algyő Domaszék Klima Es herrscht ein gemäßigtes kontinentales Klima mit geringen Niederschlägen, heißen Sommern und kalten Wintern. Der kälteste Monat ist der Januar (durchschnittlich −1,4 °C), der wärmste ist der Juli (+23,0 °C). Mit durchschnittlich 2100 Sonnenstunden im Jahr ist die Region um Szeged die sonnenreichste Region in Ungarn. Geschichte Die ältesten Anzeichen in der Gegend des heutigen Szeged und an der Theiß stammen von Mammutjägern aus der letzten Eiszeit um 24.000 vor Christus. Die ersten archäologischenen Funde gehen auf die Jungsteinzeit ca. 5.000 vor Christus zurück. Szeged wurde von den Römern gegründet und trug den Namen Partiscum. Ausgrabungen lassen vermuteten, dass der Hunnenkönig Attila hier einen Stützpunkt unterhielt. In der Römerzeit wurde auf den noch heute durch Szeged laufenden Wasser- und Landwegen Salz, Gold und Holz befördert. Die Ungarn siedelten sich nach der Landnahme im 10. Jahrhundert an. Die erste urkundliche Angabe über die Stadt stammt aus dem Jahre 1183, in dem Szeged (Ciggedin) als Zentrum des ungarischen Salztransportes erwähnt wird. Nachdem Szeged während des Mongolensturms 1241 niedergebrannt worden war, wurde die Stadt wieder aufgebaut und mit einer Burg befestigt. Im 13. Jahrhundert etablierte sich Szeged besonders wegen seiner Salzproduktion zu einem Handelszentrum. Im Jahre 1247 nahm König Béla IV. Szeged für sich in Anspruch. 1498 wurde sie zur Königlichen Freistadt erhoben. 1526 wurde sie von den Türken geplündert und niedergebrannt. Die Türkenherrschaft dauerte 143 Jahre und endete 1686, als die Stadt und die Burg von den österreichischen kaiserlichen Heeren zurückerobert wurde. Während des Freiheitskampfes gegen die Habsburger (1848/49) fungierte Szeged für kurze Zeit als Hauptstadt des Landes. Ein katastrophales Hochwasser im Jahr 1879 zerstörte die Stadt zu 95 %. Von den rund 6000 Häusern blieben nur 300 von der Überschwemmung verschont. Die Stadt wurde mit internationaler Hilfe wieder aufgebaut, wobei praktisch alles neu geplant und angelegt wurde. Dadurch erklärt sich die Struktur der Straßen der Stadt mit Ringen und strahlenförmigen Wegen. Die Ringstraßen tragen heute die Namen der Städte, die beim Wiederaufbau geholfen haben. Mit seinem einheitlichen, eklektizistischen Stadtbild, den Palästen der Innenstadt sowie den großzügigen Parks und Plätzen erhielt Szeged den Charakter einer modernen europäischen Stadt. Nach dem Hochwasser legten die Bürger von Szeged ein Gelübde ab: Sollte ihre Stadt wieder aufgebaut werden, so wollten sie ein großes Gotteshaus errichten. 1880, ein Jahr nach dem zerstörerischen Hochwasser, wurde der Bau beschlossen. Der Grundstein wurde 1914 gelegt, vollendet wurde der Dom Unsere Liebe Frau von Ungarn im Jahre 1930. Er ist die viertgrößte Kirche in Ungarn und die einzige Kathedrale, die in Ungarn im 20. Jahrhundert errichtet wurde. Auf dem Domplatz finden seit 1931 alljährlich die Szegediner Freilichtspiele statt. Um die Jahrhundertwende begann ein schneller Aufschwung auf allen Gebieten. Handel und Gewerbe blühten auf, Schulen wurden gebaut, neue Ämter und Institutionen etablierten sich. Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs wurden Szeged und sein Umland – entsprechend dem Belgrader Abkommen vom 8. November 1918 – ab Frühjahr 1919 von französischen Truppen in der Stärke von rund 28.000 Mann besetzt. Die Besatzung wurde bis 1929 aufrechterhalten. 1921 wurde die Universität Kolozsvár (Klausenburg), 1923 bzw. 1931 der Bischofssitz des Bistums Csanád aus Temesvár, 1928 die Pädagogische Hochschule Pest nach Szeged verlegt. Der 1913 begonnene, durch den Ersten Weltkrieg unterbrochene Bau des Doms wurde 1930 beendet. Nach dem Zweiten Weltkrieg, in dem hauptsächlich die Brücken zerstört worden waren, begann die erneute Entwicklung der Stadt. In den 1960er Jahren werden zahlreiche neue Wohnungen gebaut, die Lebensmittelindustrie (Salamiherstellung, Paprikaverarbeitung, Konservenindustrie) wurde zum bedeutendsten Industriezweig Szegeds. Heute ist Szeged ein Zentrum der Wirtschaft, Kultur und Wissenschaften. Mit den kürzlich unter einem Dach zusammengeführten Universitäten und Hochschulen sowie vielen Gymnasien unterschiedlicher Spezialisierung gehört sie zu den fünf großen Studienzentren Ungarns. Die Anzahl der Schüler und Studenten kommt der Bevölkerung einer mittelgroßen ungarischen Stadt gleich. Neben seinen im Sommer organisierten Freilichtspielen, internationalen Messen, Ausstellungen und Sportereignissen ist Szeged auch im Kreise der Gastronomie-Liebhaber bekannt. Bevölkerung Bei der Volkszählung von 2011 lebten in Szeged 83,9 % Magyaren, 0,9 % Deutsche, 0,9 % Sinti, Roma und verwandte Gruppen, 0,8 % Serben, 0,3 % Rumänen, 0,2 % Slowaken, 0,1 % Kroaten, 1,8 % andere Nationalitäten. Einwohnerentwicklung Die folgende Übersicht zeigt die Einwohnerzahlen nach dem jeweiligen Gebietsstand. Wirtschaft und Infrastruktur Lebensmittelindustrie Szegeds Wirtschaft zeichnet sich vor allem durch die Lebensmittelproduktion aus. Die wichtigsten Produkte, die auch exportiert werden, sind Salami, der weltberühmte Szegediner Paprika (scharf oder edelsüß) und Konserven. Das Unternehmen Pick ist eines der erfolgreichsten und wohl auch im Ausland bekanntesten ungarischen Unternehmen, das vor allem durch die Salamiproduktion berühmt geworden ist. Es ist für Szeged eines der wichtigsten Unternehmen, da Pick auch ein Förderer der Kultur und des Sports in Szeged ist. Eine neue Produktgruppe bilden Salami- und Wurstwaren aus dem Fleisch des ungarischen Mangaliza-Schweines. Straßenverkehr Im Stadtgebiet überspannen zwei Brücken die Theiß. Im östlichen Teil Szegeds verbindet die Bertalan híd die Római krt. (körút, also eine der Ringstraßen) mit der in Neu-Szeged liegenden Temesvári krt. Etwa 500 m westlich davon verbindet die Belvárosi híd den Roosevelt tér mit dem in Neu-Szeged liegenden Torontál tér. Beide Brücken tragen seit einer Entscheidung des Stadtrates im Mai 2001 ihre jetzigen Namen. Eine Eisenbahnbrücke auf der Strecke nach Temesvár verband seit 1858 ebenfalls die beiden Theiß-Ufer. Sie war die erste große Eisenbahnbrücke in Ungarn und bestand bis 1944. Flugverkehr Der bisherige Rasenflugplatz ist zu einem internationalen Flughafen ausgebaut worden und sollte eigentlich schon im September 2007 eröffnet werden. Eigentumsrechtliche Gründe stehen diesem Vorhaben allerdings noch im Weg. Bestandteile des Ausbaus sind unter anderem ein neuer, betonierter Rollweg, Landebahnbefeuerung sowie ein den EU-Richtlinien entsprechendes Terminal. In der Stadt beginnt auch die Hauptstraße 47. Szeged ist seit 2005 über die Autobahn M5 und M43 erreichbar. Eisenbahnverkehr Vom Bahnhof Szeged verkehren stündlich InterCitys nach Budapest, zudem Regionalzüge nach Békéscsaba und Kiskunfélegyháza. Bis 2015 bestanden auch Verbindungen ins serbische Horgoš. Seit der Zerstörung der Eisenbahnbrücke über die Theiß im Zweiten Weltkrieg ist die Verbindung zum Bahnhof Újszeged unterbrochen, von welchem aus bis Juli 2023 Personenzüge nach Mezőhegyes verkehrten. Des Weiteren befindet sich auf dem Stadtgebiet der Bahnhof Szeged-Rókus. Nahverkehr Das öffentliche Verkehrsnetz in Szeged ist recht gut ausgebaut. In der Stadt verkehren Busse, Straßenbahnen und auch Trolleybusse (Oberleitungsbusse). Die meisten öffentlichen Verkehrsmittel verkehren zwischen 4:00 Uhr und 23:00 Uhr. Unterhalten wird der öffentliche Nahverkehr in Szeged von zwei Unternehmen, den Szegediner Verkehrsbetrieben (ungarisch SzKT, Szegedi Közlekedési Társasag) und Tisza Volán. Die SzKT unterhält das Straßenbahnnetz sowie die Trolleybuslinien. Tisza Volán betreibt die Busverbindungen innerhalb und außerhalb Szegeds. Nach der großen Flut 1879, als das Verkehrsaufkommen wieder anstieg, wurde klar, dass die eingesetzten Pferdeomnibusse zu ineffizient wurden. So setzte am 1. Juli 1884 ein Unternehmen, woraus sich später die SzKT entwickeln sollte, erste Pferdebahnen ein. Bereits ein Jahr später, 1885, wurden so über 300.000 Fahrgäste in Szeged befördert. Die erste elektrische Straßenbahn wurde am 1. Oktober 1908 in Szeged eingesetzt, um Menschen und Güter zu befördern. Einen schweren Rückschlag musste die neu eingeführte Technik im Ersten Weltkrieg hinnehmen. Einige Linien wurden eingestellt, zwei Fahrzeuge mussten aus Geldmangel verkauft werden. Außerdem wurde auch der Fahrplan ausgedünnt. Den Zweiten Weltkrieg überstand das Netz praktisch unbeschadet, auch wenn in den letzten Kriegstagen der Verkehr eingestellt werden musste. 1955 verkehrte die erste Buslinie. Es war geplant, dass die vorhandenen Busse das zweite Standbein hinter der Straßenbahn in Szeged sein sollten. Doch die Buslinien wurden wesentlich populärer als die Straßenbahnen. 1963 wurde der Busverkehr von der neu gegründeten Tisza Volán übernommen. Die ersten Oberleitungsbusse wurden am 29. April 1979 in Szeged eingesetzt, wodurch die Bedeutung der Straßenbahn weiter abnahm. Dies resultierte auch daraus, dass die eingesetzten Wagen der Straßenbahn kaum erneuert wurden. 1996 kaufte man schließlich 13 Straßenbahnwagen des Unternehmens Tatra, um das marode gewordene Straßenbahnnetz aufzuwerten. Zwischen 2000 und 2001 wurde auch der Fuhrpark der Oberleitungsbusse von SzKT durch Neueinkäufe erweitert und erneuert. 2005 entschloss man sich, durch die Anschaffung gebrauchter Tatra-Wagen aus Deutschland die alten FVV-Wagen der Straßenbahn größtenteils zu ersetzen. Heute umfasst das öffentliche Verkehrsnetz von Szeged 42 Buslinien, 4 Straßenbahnlinien, 1 Tram-Train-Linie und 6 Oberleitungsbus-Linien. Außer Szeged haben nur noch drei weitere Städte in Ungarn, Budapest, Miskolc und Debrecen, eine Straßenbahn. Oberleitungsbusse findet man außer in Szeged nur noch in Budapest und Debrecen. Seit November 2021 besteht eine Tram-train-Strecke zwischen Szeged und der Nachbarstadt Hódmezővásárhely. Kultur und Sehenswürdigkeiten Sehenswürdigkeiten Szeged bildet mit seinen historischen Gebäuden und Plätzen einen Anziehungspunkt für Touristen, die vornehmlich aus Europa und Amerika kommen. Einer der schönsten Plätze Szegeds ist der Széchenyi tér (tér = „Platz“) mit dem 1883 errichteten neobarocken Rathaus (városháza) im Stadtzentrum. Mit seinen Grünflächen, Statuen und Brunnen lädt er zum Flanieren ein und wird von der Stadt regelmäßig als Veranstaltungsgelände genutzt. Südlich des Széchenyi tér schließt sich die Kárász utca (utca = „Straße“) an, die größte Einkaufsstraße Szegeds, die über den Klauzál tér in den Dugonics tér mündet. Auf dem Klauzál tér befindet sich eines der bekanntesten und größten Kaffeehäuser Szegeds, das Virág-kávéház. Vom Balkon des Kárász-Hauses hielt Lajos Kossuth 1849 seine letzte Rede in Ungarn, bevor er ins Exil ging. Auf dem Dugonics tér fällt der erste Blick auf dem im Mittelpunkt des Platzes angeordneten Brunnen mit seinem Wasserspiel und dem im Jugendstil errichteten Verwaltungsgebäude der Universität. Südöstlich vom Dugonics tér liegt der bekannteste Platz Szegeds, der Dóm tér. Schon von weitem sichtbar ist die anliegende Votivkirche, deren Bau ein Jahr nach dem Jahrhunderthochwasser von 1879 von den Ratsherren Szegeds beschlossen wurde. Beim Bau wurden die Grundmauern des Demetrius-Turms entdeckt, der nach seiner Restaurierung noch heute zu besichtigen ist und als ältestes Gebäude Szegeds gilt. Eingerahmt wird der Platz von der Nationalen Gedenkhalle (dem Pantheon), wo durch Statuen, Büsten und Tafeln berühmte Personen des öffentlichen, politischen und wissenschaftlichen Lebens Ungarns geehrt werden. Eine weitere Besonderheit ist die Musikuhr (Zenélő óra), die sich über dem nördlichen Zugang des Platzes befindet und jeweils um 12:15 Uhr und um 16:15 Uhr für neun Minuten ihr Glocken- und Figurenspiel erklingen lässt. Im Sommer werden im Rahmen der „Szegediner Freilichtspiele“ hier Stücke der Oper- und Dramenliteratur aufgeführt, aber auch Folkloreabende veranstaltet. Gegenüber der Votivkirche liegen das Bischöfliche Palais und das Gebäude der Universität. Am Nordende des Dóm tér liegt die serbisch-orthodoxe Kirche, die 1773–1778 erbaut wurde. In ihr befindet sich eine aus Birnbaumholz geschnitzte Rokoko-Ikonostase mit 80 Ikonen von Jován Popovics. In Richtung Theiß und dann nördlich zur Belvárosi híd schließt sich der Roosevelt tér an. Dort steht das Ferenc-Móra-Museum, dessen Gründer der ungarische Schriftsteller Ferenc Móra ist. In den Hallen des Museums sind Ausstellungen zur Frühgeschichte der Region sowie Exponate zu archäologischen Funden der Awarenzeit zu besichtigen, aber auch Ausstellungen zur Bildenden Kunst, Naturwissenschaften, Apotheken, Volkskunst des Komitats Csongrád sowie eine Gedenkausstellung zu Ferenc Móra (1879–1934) sind dort zu finden. Nicht weit davon entfernt liegt das Nationaltheater in der Deák Ferenc utca 12, das 1883 vom Wiener Architektenbüro Fellner & Helmer im neobarocken Stil errichtet wurde. An der spätgotischen Franziskanerkirche (Ferences templon) befindet sich seit 1931 eine Kopie des 1486 datierten Matthias-Corvinus-Denkmals in Bautzen. Der einstige ungarische Religions- und Kultusminister Kuno Graf Klebelsberg (1875–1932) hatte einen 1896 vorgenommenen Abguss vom Original nach dem Beispiel von Budapest der Stadt Szeged überlassen. König Matthias hatte den Observantenkonvent des Franziskanerordens begünstigt. Weitere Sehenswürdigkeiten sind unter anderem: Déry-Haus: Dort befindet sich eine Dauerausstellung mit Werken des Graphikers János Kass. Votivkirche (Fogadalmi templom), Neoromanik, 1913–1930 Minoritenkirche (Minorita templom), Barock, 18. Jahrhundert Neue Synagoge (Új zsinagóga) nach Plänen von Lipót Baumhorn, 1903 Sternwarte Wildpark Botanischer Garten Pick Salami und Szegediner Paprika-Museum Gróf Palota: Bürgerhaus Reök Palota: Bürgerhaus Regelmäßige Veranstaltungen In Szeged finden das ganze Jahr über zahlreiche Veranstaltungen statt, die nicht nur für die Bürger Szegeds und der Region interessant sind, sondern auch Touristen anziehen: Szegediner Wochen der Geistlichen Musik, Mai Weinfest, Mai Tag der Stadt Szeged und Brückenmarkt, 21. Mai Bierfest, Juni Szegediner Freilichtspiele, Juli und August, ihre Besonderheit sind Aufführungen auf dem Domplatz vor der eindrucksvollen Kulisse des Doms und des Demetrius-Turms Internationales Festival Alternativer Theater, Juli – (Zentrum der Vereinigung Alternativer Theater) Universität – Herbstkulturfestival (Universität Szeged, Kulturbüro), Oktober Armel-Opernfestival Szeged, Oktober Sport Der auch außerhalb Ungarns bekannteste Sportclub der Stadt ist der Handballverein SC Pick Szeged, der zu den besten drei Vereinen in der obersten ungarischen Handball-Liga der Männer zählt. Der SC Pick Szeged ist regelmäßig im Europapokal vertreten und spielte in der Saison 2005/06 in der Champions League. Im Mai 2007 wurden die Handballer von Pick Szeged Ungarischer Meister. Im Westen von Szeged existiert eine 2400 Meter lange und 122 Meter breite Ruder- und Kanuregattastrecke. Auf ihr wurden die Weltmeisterschaften im Kanurennsport 1998, 2006, 2011 und 2019 ausgetragen. Szeged besitzt auch eine internationale Speedway-Rennbahn, auf der auch schon Prädikatsläufe zu WM-Qualifikationen ausgetragen wurden. Neben Miskolc und Debrecen ist Szeged eine der drei ungarischen Zentren des Speedwaysports. Bildung, Wissenschaft und Forschung Die zwei bekanntesten Gymnasien (das Ságvári Endre Gyakorló Gimnázium und das Radnóti Miklós Gimnázium) zählen zu den 15 besten des Landes. Szeged ist ein Anziehungspunkt für viele tausend Studenten und Studentinnen aus ganz Ungarn und aus anderen Ländern, darunter auch viele internationale Mediziner. 62 Kindergärten 32 Grundschulen 18 Gymnasien Universität Szeged (ungarisch Szegedi Tudományegyetem). Die Universität ist aus den folgenden ehemals eigenständigen Hochschulen hervorgegangen: Attila-József-Universität (ungarisch József Attila Tudományegyetem, kurz JATE) Medizinische Universität „Albert Szent-Györgyi“ (ungarisch Szent-Györgyi Albert Orvostudományi Egyetem, kurz SZOTE) Pädagogische Hochschule „Gyula Juhász“ (ungarisch Juhász Gyula Tanárképző Főiskola). Zur Universität gehören ferner die Fachhochschule für Lebensmittelindustrie Szeged, die Fachhochschule für Landwirtschaft in Hódmezővásárhely sowie das Konservatorium. Städtepartnerschaften Szeged listet folgende siebzehn Partnerstädte auf: Persönlichkeiten József Balassa (1893–1945), Sänger der Stimmlage Tenor Sándor Balogh (* 1960), ungarisch-deutscher Handballtrainer und Handballspieler Albert Szent-Györgyi (1893–1986) wird, obwohl er in Budapest geboren wurde, häufig mit Szeged in Verbindung gebracht. Für die Stadt ist er einer der bedeutendsten Persönlichkeiten und wurde als Namensgeber der Universität Szeged ausgewählt. Viele Jahre seines Lebens lehrte er an dieser Hochschule und hatte auch das Rektoramt inne. International machte er sich durch seine Entdeckungen auf dem Gebiet der biologischen Verbrennungsprozesse einen Namen, besonders in Bezug auf das Vitamin C und die Katalyse der Fumarsäure. Damit gilt er als der Entdecker des Vitamin C. Auf Grund dieser Forschungen erhielt er schließlich 1937 den Nobelpreis für Medizin. Ferenc Fricsay (1914–1963), einer des bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts, erhielt seine erste Festanstellung als Kapellmeister der Militärkapelle in Szeged im Jahre 1933. 1934 wurde er auch Dirigent des örtlichen städtischen Philharmonischen Orchesters. In diesem Jahr heiratete er das erste Mal. Aus dieser Ehe gehen drei Kinder hervor. Neben dem Philharmonischen Orchester und der Militärkapelle dirigierte er Opern und Operetten im Stadttheater Szeged und führte auch einige von ihm komponierten Stücke auf. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er 1944 mit seiner Frau und seinen Kindern aus Szeged fliehen und in Budapest untertauchen. Imre Keres (* 1930), deutsch-ungarischer Ballett-Tänzer und Choreograf Mark Pusker (* 1984), Jazzmusiker (Sopran- und Altsaxophon, Komposition) Julius Stahel (1825–1912), US-amerikanischer Offizier des Unionsheers im Sezessionskrieg Vilmos Zsigmond (1930–2016) ist eines der weniger bekannten „Kinder“ der Stadt. Geboren wurde er 1930 in Szeged, wo er auch später den Einmarsch der Roten Armee 1956 miterlebte und mit seinem Fotoapparat dokumentierte. Später floh er in die USA und arbeitete dort als Kameramann in zahlreichen Filmen. 1978 gewann er den Oscar als bester Kameramann für Steven Spielbergs Unheimliche Begegnung der dritten Art. Adrián Zsolt Annus (* 1973) gilt als einer der weltbesten Hammerwerfer, was er unter anderem bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften 2003 in Paris unter Beweis stellte, wo er den Vize-Weltmeistertitel holte. 2004 gewann der bei den Olympischen Spielen in Athen den Hammerwurf-Wettkampf. Allerdings wurde ihm dieser Titel aberkannt, da er sich den Dopingkontrollen verweigerte. Weitere Persönlichkeiten sowie Ehrenbürger der Stadt befinden sich in der Liste von Persönlichkeiten der Stadt Szeged. Kulinarische Spezialitäten Produkte der Stadt sind die unter anderem die Wintersalami Szegedi téliszálami, die Pick-Salami und der Szegediner Paprika, der den ungarischen Gerichten den besonderen Geschmack verleiht. Dieses Gewürz wird reichlich in der nur hier zubereiteten Szegediner Fischsuppe verwendet. Der deutsche Name für das Szegediner Gulasch ist irreführend, da die ursprüngliche ungarische Bezeichnung Székely gulyás nicht auf die Stadt Szeged, sondern auf den Namen des ungarischen Schriftstellers und Dichters József Székely (1825–1895) zurückgeht. Weblinks Internetauftritt der Stadt Szeged (ungarisch und englisch) Deutschsprachige Seite mit Infos und Tipps zu Szeged Stadtplan Szeged Einzelnachweise Ungarische Hochschul- oder Universitätsstadt Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden Ort an der Theiß Träger des Europapreises Stadt mit Komitatsrecht in Ungarn
Q81581
118.190478
4849
https://de.wikipedia.org/wiki/Schwerin
Schwerin
Schwerin ([] oder [], mecklenburgisch Swerin) ist die Hauptstadt des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Die kreisfreie Mittelstadt ist die kleinste Landeshauptstadt der Bundesrepublik Deutschland und zugleich die einzige, die keine Großstadt ist. Schwerin ist nach Rostock die zweitgrößte Stadt und eines der vier Oberzentren des Bundeslandes. Schwerin wurde im Jahr 1018 erstmals als Wendenburg erwähnt und erhielt 1164 von Heinrich dem Löwen deutsche Stadtrechte. Damit ist sie die älteste Stadt im heutigen Mecklenburg-Vorpommern. Die Stadt dehnte sich im Laufe der Zeit am West- und Südufer des Schweriner Innensees aus, insgesamt befinden sich zwölf Seen innerhalb des Stadtgebietes. Ausgangspunkt der Stadtentwicklung war die Stelle mit dem heutigen Wahrzeichen der Stadt, dem Schweriner Schloss und dem Schlossgarten; es befindet sich auf einer Insel zwischen Schweriner See und Burgsee mit der Schlosskirche von 1560. Das Schloss war bis 1918 die Hauptresidenz der mecklenburgischen Herzöge und Großherzöge und das Machtzentrum des Herzogtums Mecklenburg-Schwerin, das 1919 zum demokratischen Freistaat wurde. Seit 1990 ist das Schloss Sitz des Landtags. Es war mit seinen umgebenden Gärten der Hauptveranstaltungsort der Bundesgartenschau 2009 und ist als historisch einmaliges Ensemble mit den weiteren Residenzbauten ein Kandidat für das UNESCO-Welterbe. Daneben zeichnet sich Schwerin durch seine – für eine deutsche Stadt dieser Größe ungewöhnlich gut erhaltene – Altstadt, die angrenzende Schelfstadt, das Kurviertel Zippendorf und weitere historische Viertel mit vielen Baudenkmalen aus. Wirtschaftlich dominieren Technologieunternehmen, Behörden, die Deutsche Bahn, Maschinenbau und Materialverarbeitung, Konsumproduktion, Gesundheitswirtschaft und Kliniken, Dienstleistungsbetriebe, zunehmend auch der Tourismus und die Kultur- und Kreativwirtschaft. Zudem ist Schwerin Hochschulstandort mit rund 600 Studierenden, darunter die private Fachhochschule des Mittelstands, die Hochschule der Bundesagentur für Arbeit und die Vitruvius Design-Hochschule. Sportlich ist Schwerin seit Fritz Sdunek als Boxerstadt und durch den zwölffachen deutschen Meister Schweriner SC als Volleyballstadt bekannt. Geografie Überblick Schwerin liegt im Westen des Landes Mecklenburg-Vorpommern am Südwestufer des Schweriner Sees in einer waldreichen Seenlandschaft. Weitere Seen im Stadtgebiet sind der Burgsee, der Faule See, der Grimkesee, der Heidensee, die Große Karausche, der Lankower See, der Medeweger See, der Neumühler See, der Ostorfer See, der Pfaffenteich und der Ziegelsee. Fließgewässer sind der Aubach, dessen Wasser über die Verbindung mehrerer Seen den Schweriner See speist, und die Stör, der zur Wasserstraße ausgebaute natürliche Abfluss des viertgrößten deutschen Sees. Die Einwohner bezeichnen Schwerin gerne als die „Stadt der sieben Seen und Wälder“. Diese Bezeichnung geht auf eine Zeit zurück, als Schwerin noch nicht seine heutige geografische Ausdehnung hatte und tatsächlich von nur sieben Seen umgeben war. Die weitläufigen Wälder mussten nach und nach der städtebaulichen Entwicklung weichen, zahlreiche Waldreste sind vor allem an den Ufern der Seen erhalten geblieben. Von den 130,46 km² Stadtfläche sind 28,9 Prozent mit Wasser und 18,5 Prozent mit Wald bedeckt. Die Höhe der Stadt über dem Meeresspiegel beträgt 38 Meter an den Ufern des Schweriner Sees und 86,1 Meter auf dem Weinberg im Stadtteil Neumühle. Die nächsten größeren Städte sind Lübeck ca. 54 Kilometer nordwestlich, die Regiopole Rostock ca. 69 Kilometer nordöstlich und Hamburg rund 94 Kilometer westlich. Raumplanerisch gehört das Oberzentrum Schwerin zur Region Westmecklenburg (mit Wismar als bedeutendem Zentrum an der Ostseeküste); es wurde 2016 Bestandteil der Metropolregion Hamburg. Nachbargemeinden Die Stadt Schwerin grenzt an folgende Gemeinden (im Uhrzeigersinn, beginnend im Nordosten am Ostufer des Schweriner Sees): im Landkreis Ludwigslust-Parchim: Leezen, Raben Steinfeld und Plate (Amt Crivitz), Lübesse (Amt Ludwigslust-Land), Holthusen, Pampow, Klein Rogahn und Wittenförden (alle Amt Stralendorf) im Landkreis Nordwestmecklenburg: Brüsewitz, Pingelshagen, Klein Trebbow, Seehof und Lübstorf (Amt Lützow-Lübstorf) Stadtgliederung Das Stadtgebiet Schwerins ist gemäß § 11 Abs. 2 der Hauptsatzung in derzeit 17 Ortsteile mit je einem Ortsbeirat eingeteilt. Die Ortsteile bestehen aus einem oder mehreren Stadtteilen. Die Ortsbeiräte haben je nach Einwohnerzahl zwischen 5 und 15 Mitglieder. Sie werden nach jeder Kommunalwahl von der Stadtvertretung für die Dauer der Wahlperiode der Stadtvertretung bestimmt. Die Ortsbeiräte sind zu wichtigen, den Ortsteil betreffenden Angelegenheiten zu hören und haben ein Initiativrecht. Die endgültigen Entscheidungen trifft jedoch die Stadtvertretung der Gesamtstadt. Die 17 gegenwärtigen Ortsteile mit ihren zugehörigen Stadtteilen: Südlich des Stadtteils Neumühle befindet sich eine etwa 12 Hektar große Enklave, die zur Gemeinde Klein Rogahn gehört. Geologie Schwerin liegt nördlich einer Eisrandlage der Weichseleiszeit. Das Relief wurde durch verschiedene Phasen und Staffeln des Brandenburger Stadiums der Weichselvereisung geprägt. Es existieren kuppige Grund- und Endmoränenzüge im Westteil und ein Sanderbereich im Süden und Osten der Stadt. Die Anhöhen der Endmoräne im Westen erreichen bei Neumühle . Ein Teil der Seen, wie der Lankower und der Neumühler See, entstand nach Rückgang des Eises aus ehemaligen Schmelzwasserrinnen, die sich dauerhaft mit Wasser füllten. Der Schweriner See liegt in einer vorpleistozänen Senke, die sich von Wismar bis zur Lewitz erstreckt. Als Zungenbecken ausgeformt wurde das Gewässer in der Frankfurter Phase der Weichseleiszeit. Das Gletschertor mit Schmelzwasserabfluss in Richtung Elbe-Urstromtal bestand dabei im Bereich Mueß. Spätere glaziale Phasen hinterließen Moränenmaterial im See, wie etwa in Höhe des Paulsdamms, der Innen- und Außensee abtrennt, sowie zu den heute anliegenden Seen, wie etwa dem Ziegelsee. Klima In Schwerin herrscht ein gemäßigtes Klima. Das Temperatur-Jahresmittel von 1991 bis 2021 betrug 9,6 °C, nach zuvor 8,4 °C zwischen 1961 und 1990. Die Differenz der Mitteltemperatur des wärmsten und kältesten Monats lag bei 17,4 Grad. Durchschnittlich fielen je Jahr und Quadratmeter 723 Millimeter Niederschlag. Im Vergleich zum Nordwesten Deutschlands ist das Frühjahr kühler, bedingt durch raue Nordostwinde. Die Sommerhitze wird durch die Nähe zur Ostsee abgemildert, dieses Gewässer wirkt im Herbst wärmend. Geschichte Namenserklärungen Die Stadt wurde um 1012/18 als Zuarina das erste Mal bei Thietmar von Merseburg erwähnt. Helmold von Bosau nannte es 1160 Zuerin, Zwerin. Die Pöhlder Annalen nennen den Ort 1160 Zuarin (-ensis) und die Steterburger 1174 Zvarin. Seit dem 15. Jahrhundert wurde der Ort Swerin genannt (bis heute üblich im mecklenburgischen Dialekt), und seit dem 16. Jahrhundert Suerin oder offiziell Schwerin. Eine indirekte Ersterwähnung könnte früher gelegen haben: ein Reisebericht des Chronisten Ibn Jacub/Ibrahim Ibn Yaqub, Gesandter des Kalifen von Córdoba (Spanien), erwähnte um 973 eine Slawenburg, die mit Schwerin identisch sein könnte. Der Name soll mit polabisch zvěŕ für wildes Tier oder zvěŕin für Wildgehege, Tiergarten oder Pferdegestüt zusammenhängen. Spekulationen über eine Abstammung des Ortsnamens vom slawischen Gott Svarog (Swarzyn, Ort des Svarog) sind nicht belegbar. Abweichend davon wurde der Name vom altgermanischen Wort swaran (verteidigen, stammverwandt mit schwören) hergeleitet, das erst später von einwandernden Slawen im Sinne von zvěŕ umgedeutet worden sein könnte. Wie alle slawischstämmigen Ortsnamen im nordöstlichen Mitteleuropa, die auf -in enden (Berlin, Stettin, Eutin, Templin, Küstrin usw.), wird auch Schwerin auf der letzten Silbe betont. Auch der lateinische Name Suerina bzw. Suerinum fand und findet für Schwerin Verwendung. Die Hauptsatzung der Stadt Schwerin bestimmt die Bezeichnung „Landeshauptstadt“ als Namenszusatz vor dem Städtenamen. Besiedlung, Stadtgründung und Grafschaft Das heutige Stadtgebiet war schon früh besiedelt. Bei Ausgrabungen auf dem Schweriner Marienplatz fanden sich Werkzeuge, die auf etwa 1000 bis 600 v. Chr. datiert wurden. Eine anschließende germanische Besiedlung ist durch den Fund eines Brunnens aus dem 1. Jahrhundert n. Chr. belegt. Nach 700 n. Chr. siedelten sich Slawen im Gebiet des heutigen Schwerin an. Der jüdischstämmige spanisch-maurische Handlungsreisende Ibrāhīm ibn Yaʿqūb berichtete 965 von einer Burg in einem Süßwassersee, die von Historikern an der Stelle des heutigen Schwerins vermutet wird. Grabungsfunde auf der Schlossinsel bestätigen zumindest die Existenz eines slawischen Burgwalles in dieser Zeit. Er konnte dendrochronologisch auf 941/942 datiert werden. 1018 rettete sich der christliche Abodritenfürst Mistislaw vor einem Angriff der Lutizen in die Burg Schwerin, die er anschließend aber aufgeben musste. 1160 brannte der Abodritenfürst Niklot die Burg auf der Schlossinsel nieder, um sie nicht in die Hände eines anrückenden sächsischen Heeres unter der Führung Heinrichs des Löwen fallen zu lassen. Der Sachsenherzog ließ die Burg nach dem Sieg über Niklot als sächsischen Außenposten im Abodritenland wieder aufbauen. 1160 wird deshalb traditionell als „deutsches“ Gründungsjahr Schwerins angesehen, obwohl die Verleihung der Stadtrechte wahrscheinlich erst 1164 erfolgte. Nach dem Tod Niklots machte Heinrich der Löwe Gunzelin I. zum Statthalter über das Land der Abodriten, und damit auch über Schwerin. Später teilte Heinrich das Land, gab einen Teil Pribislaw, dem Sohn Niklots, zurück und gründete aus dem anderen Teil die Grafschaft Schwerin mit Gunzelin als erstem Grafen von Schwerin. 1167 wurde Schwerin Sitz der Grafschaft Schwerin. Im selben Jahr verlegte der Zisterziensermönch Berno seinen Bischofssitz nach Schwerin. Nach der Weihe des von Heinrich gestifteten ersten Doms um 1171 entwickelte sich Schwerin zum Ausgangspunkt der Christianisierung des späteren Mecklenburgs. Die Stadt hatte zu der Zeit zirka 500 Einwohner, von denen ein Fünftel Geistliche waren. Ein städtischer Rat, bestehend aus sechs Ratsherren und dem Bürgermeister, wurde erstmals 1228 erwähnt. Hemmend für die Entwicklung der Stadt waren die Machtstreitigkeiten zwischen dem Grafen und dem Bischof. Bis 1284 konnten Nachfolger des Bischofs zwar die gesamte Schelfe (heute: Schelfstadt) in Besitz nehmen, diese wurde jedoch nicht in die städtischen Befestigungsanlagen einbezogen, so dass das Domkapitel seinen Besitz nicht vergrößern konnte. 1270 wurde mit dem Bau eines zweiten Domes begonnen. Das Geld dafür stammte aus den Einnahmen von Pilgern, die einen in Jaspis eingeschlossenen heiligen Blutstropfen aufsuchten, den Graf Heinrich von Schwerin 1222 von einer Pilgerfahrt mitgebracht und den Domherren gestiftet hatte. Von einem Drittel der Einnahmen aus dieser Reliquie wurde auf Betreiben der Witwe des Grafen, Gräfin Audacia, der Neubau eines Franziskaner-Konventes finanziert, der schon 1236 urkundlich erwähnt wurde; er ist damit die älteste Niederlassung eines Bettelordens in Mecklenburg (Aufhebung 1552). Die Ersetzung der hölzernen Stadtbefestigung durch eine massive Stadtmauer wurde 1340 vollendet. 1351 wurde das Rathaus erstmals erwähnt, das dreimal abgebrannt und immer wieder an derselben Stelle neu errichtet wurde. Erhalten ist der mittelalterliche Torbogen des Rathausdurchgangs. Die Stadtmauer bestand ihre erste Bewährungsprobe, als Herzog Albrecht der II., ein Nachfahre Niklots, die Stadt 1358 monatelang belagerte. Mühlen in Schwerin Die erste Bischofsmühle wurde 1178 erwähnt. Sie gehörten zu den ältesten Mühlen Mecklenburgs. Es gab aber danach verschiedene weitere Mühlen am Aubach, die auch diesen Namen trugen. 1284 wurde der Spieltordamm errichtet, der den Aubach im Mühlenteich, dem heutigen Pfaffenteich, aufstaute und Voraussetzung für den Betrieb einer mit Wasser angetriebenen gräflichen Binnenmühle Schwerin war. Für Schwerin wurden seit dem 12. Jahrhundert zahlreiche Mühlen urkundlich erwähnt. Die Mühle in der Mühlenstraße von 1711 wurde wegen der ungünstigen Windverhältnisse 1749 an den Schweriner Stadtrand Wismarer Chaussee verlegt und 1893 abgerissen. Bis 1866 galt auch in Schwerin der sogenannte Mühlenzwang (auch Mahlzwang genannt). Das heißt, die Getreideerzeuger durften ihr Getreide nicht mahlen lassen, wo sie wollten, sondern mussten es in ihrem jeweiligen Mahlbezirk zu Mehl verarbeiten lassen. Als dann ab 1867 mit der Übernahme der Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes von 1868/69 das alte Zwangsmahlrecht entfallen war und die Müller ihre Mahlzwang Monopolstellung in ihrem Bezirk verloren hatten, wuchs in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Anzahl der Mühlen in der Stadt sprunghaft an, und weil die Einführung der Gewerbefreiheit diesen Prozess dann auch noch begünstigte begann in Schwerin die große Zeit des Windmühlenbaus. Zwischen 1890 und 1895 existierten in Schwerin eine Wassermühle, fünf Wind- und drei Dampfmühlen. Danach begann der Rückgang; einige Mühlen mussten infolge Baufälligkeit abgebrochen werden, andere brannten ab. Gegen Ende des Ersten Weltkrieges existierten nur noch die Bischofsmühle und die Schleifmühle Schwerin als Wassermühlen. Im Herzogtum Mecklenburg bis zum 18. Jahrhundert Nach dem Aussterben der Familie Gunzelin ging die Grafschaft Schwerin 1358 an das Herzogtum Mecklenburg über. Albrecht II. erwarb die Stadt für 20.000 Mark Silber (die er allerdings nicht vollständig bezahlte) und machte sie zu seiner Residenz und damit zum kulturellen und politischen Zentrum Mecklenburgs. Schwerin wurde auch Landstadt in Mecklenburg und war bis 1918 als Teil der Städte des Mecklenburgischen Kreises auf Landtagen vertreten. In wirtschaftlicher Hinsicht entwickelten sich die verkehrstechnisch günstiger gelegenen Städte Rostock und Wismar besser. Unter Herzog Heinrich IV. waren Grenzstreitigkeiten, Raub und Mord an der Tagesordnung, die Kassen waren leer. Zudem grassierte die Pest. Erst Magnus II. konnte ab 1478 das Blatt durch die Neuordnung der Verwaltung, insbesondere der Finanzverwaltung wenden. Er hatte Pläne, Elbe, Elde, Schweriner See und Wismar durch Kanäle zu verbinden. Unter ihm wurde das älteste noch erhaltene Gebäude der Stadt errichtet, das Große Neue Haus. Eine Fürstenschule wurde 1553 gegenüber dem Schloss eröffnet, auf die das Fridericianum Schwerin zurückgeführt wird. 1561 entstand unter Tilemann Stella eine Regierungsbibliothek. Die Brände von 1531 und 1558 vernichteten große Teile der Stadt. Durch eine baupolizeiliche Anordnung mussten Häuser aus Stein errichtet werden, um die Brandgefahren zu mindern. Doch ein weiterer Brand legte 1651 erneut weite Teile Schwerins in Schutt und Asche. Der Wiederaufbau des Rathauses wurde 1654 abgeschlossen. Im Dreißigjährigen Krieg hatte die Stadt verhältnismäßig weniger Verluste zu beklagen als das Herzogtum. Hexenverfolgung Zwischen 1560 und 1700 wurden im protestantischen Mecklenburg, einer Kernzone der Hexenverfolgung, rund 4000 Menschen wegen Hexerei angeklagt, von denen etwa die Hälfte hingerichtet wurde. Auch in Schwerin fanden in dieser Zeit immer wieder Hexenprozesse statt, wobei sich die Intensität der Verfolgung nach dem Dreißigjährigen Krieg noch einmal deutlich steigerte. Die Verhöre fanden im Rathaus am Markt, im Schloss und im Haus des Scharfrichters in der Burgstraße statt. Von 1564 bis 1770 gibt es Berichte über 103 Hexenprozesse, dabei wurden wahrscheinlich 45 Angeklagte hingerichtet. Eine Frau verstarb unter der Folter. Möglicherweise ergingen sieben Landesverweise, zwei Angeklagten gelang die Flucht. Allein zwischen 1665 und 1669 wurden 19 angebliche Hexen in der Stadt verhaftet. Fast alle wurden nach kurzen, aber äußerst brutalen Verhören und derart erzwungenen Geständnissen hingerichtet und verbrannt. Da die gequälten Frauen dem Gericht auch die Namen weiterer Hexen nannten, entwickelten sich regelrechte Kettenprozesse. 1604 wurden mehrere Frauen aus Schwerin als Hexen angeklagt und beschuldigt, 1592 den Tod des jungen Herzogs Johann VII. durch Hexerei herbeigeführt zu haben, darunter Catharina Wankelmod (Katharina Wankelmut), die später auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde, und Margarethe Schultze, die nach einem fünf Jahre währenden Prozess 1609 freigesprochen wurde. Auch Kinder zählten zu den Opfern in Schwerin. 1642 wurde der achtjährige Hans Donken (Hans Douke) wegen Zauberei ausgepeitscht. Asmut Veith wurde mit vierzehn Jahren gar enthauptet. An diese dunkle Seite der Stadtgeschichte erinnert seit 1986 eine Relieftafel der Bildhauerin Anni Jung an der am Großen Moor aufgestellten Keramischen Säule. Die Stadtvertretung hat am 18. April 2016 die Rehabilitierung der Opfer der Hexenverfolgung in Schwerin und die Installation einer Gedenktafel in Rathausnähe beschlossen. 18. Jahrhundert Nach herzoglicher Anordnung von 1705 erfolgte der Ausbau der heutigen Schelfstadt. 1717 legten die wenigen Juden, die seit 1679 wieder ansässig werden durften, dort einen Friedhof an. 1740 wurde das Rathaus der Schweriner Neustadt zunächst als Wohnhaus erbaut und 1776 zum Verwaltungssitz umfunktioniert. Der Versuch, Gewerbe- und Handelsbetriebe anzusiedeln und die Stadt zu beleben, scheiterte an der durch die Vorherrschaft des Adels und der Ritterschaft rückständigen Ökonomie. 1752 beleuchteten bereits 200 Laternen die Schweriner Straßen. Die Bebauung der Vorstadt schritt fort. Herzog Friedrich verlegte von 1756 bis 1765 die Residenz von Schwerin nach Ludwigslust, die dort bis 1837 verblieb. 1759 besetzten preußische Truppen das Land und belagerten auch Schwerin. 1764 gab es in der Schweriner Alt- und Vorstadt 3288 Einwohner. 1773 wurde die Synagoge eingeweiht, in deren Nachbarschaft Wohnhäuser für den Landesrabbiner und den Kantor entstanden. Zwischen 1783 und 1785 entstand auf dem Markt nach Entwürfen Johann Joachim Buschs das Neue Gebäude als Markthalle. Es löste offene Marktstände mit schlechten hygienischen Verhältnissen auf der Freifläche zwischen vier alten, unregelmäßigen Anwesen ab. Herzog Friedrich waren bei seinen Besuchen in Schwerin der Gestank des Marktes und das Gekreische der Marktfrauen zuwider. 19. Jahrhundert bis Weimarer Republik Ab September 1813 wurde der Dreesch von der Russisch-Deutschen Legion als Übungsplatz für den Befreiungskampf gegen Napoleon genutzt. Das Stadtbild wurde im 19. Jahrhundert durch umfangreiche Baumaßnahmen verändert. Schwerin verlor seinen mittelalterlichen Charakter und dehnte sich weiter aus. Nicht mehr benötigte Stadtbefestigungen verschwanden, Stein- und Fachwerkbauten verdrängten nach und nach Holzhütten. Eine Bebauung des Großen Moores erwies sich im sumpfigen Untergrund als schwieriges Unterfangen. Am Marienplatz und in der Rostocker Straße (heute: Goethestraße) entstanden neue Bauten, von 1824 bis 1834 wurden durch Friedrich Franz I. ein neuer Regierungssitz in der Schloßstraße (Schwerin) und weitere Bauten errichtet. Bis 1836 wurde das städtische Rathaus durch den Hofbaurat Georg Adolf Demmler in ein repräsentatives Gebäude verwandelt, das Schauspielhaus am Alten Garten und der Marstall auf der Marstallhalbinsel wurden erbaut. Im Norden Schwerins entstand am Sachsenberg Norddeutschlands erste wissenschaftlich geleitete Irren-Heil- und Pflege-Anstalt. Nachdem unter Großherzog Paul Friedrich 1837 die herzogliche Residenz aus Ludwigslust nach Schwerin zurückverlegt worden war, wurde wegen des schlechten baulichen Zustandes ein grundlegender Neubau des Schweriner Schlosses beschlossen. Demmlers Entwürfe, bei denen er sich an französischen Renaissanceschlössern orientierte, fanden Zustimmung beim Landesherren, der allerdings 1842 starb, worauf der neue Großherzog Friedrich Franz II. den Neubau stoppte. Das alte Schloss wurde von 1845 bis 1857 grundlegend renoviert und teilweise neu erbaut, ab 1851 allerdings unter der Leitung des Berliner Architekten Friedrich August Stüler und unter Beteiligung von Hermann Willebrand, nachdem Demmler in Konflikt mit den Hofbeamten geraten war. Das Arsenal am Pfaffenteich von 1844 entstand nach einem Entwurf von Demmler unter Bauleitung von Hermann Willebrand und Gottlieb Ruge am Südwestufer des Schweriner Pfaffenteichs. Es wurde als Zeughaus und nach dem Ersten Weltkrieg als Polizeikaserne genutzt. 1842 entstand der Paulsdamm durch den Schweriner See. Die jüdische Gemeinde wuchs auf 300 Mitglieder an, die 1825 die Synagoge von Grund auf renovierten und mehrmals erweiterten. 1847 wurde die Stadt durch eine Eisenbahnverbindung nach Hagenow an die weit südlich an der Stadt vorbeiführende Bahnstrecke Berlin–Hamburg angebunden. 1852 fuhr das erste Dampfschiff von Zippendorf zur Insel Kaninchenwerder. Im April 1882 brannte das ursprünglich von Demmler erbaute Theater während einer Vorstellung ab. Das neue Haus wurde von Hofbaumeister Georg Daniel entworfen und bis 1886 fertiggestellt. 1889/90 wurde an Stelle mehrerer Vorgängerbauten das Bahnhofsgebäude im Stil der Gründerzeit erbaut, das bis auf Umbauten der 1920er Jahre weitgehend unverändert erhalten geblieben ist. 1904 wurde das Elektrizitätswerk am Nordufer des Pfaffenteiches gebaut. Eine elektrische Straßenbahn verkehrte ab 1908. Der erste Deutsche Rundflug 1911, bei dem die Residenzstadt Etappenort war, gab den Anstoß zum Bau des Flugplatz Schwerin-Görries. Im November 1912 wurde die „Mecklenburgische Flugplatz-Gesellschaft Görries-Schwerin mbH“ gegründet. Bis Ostern 1913 ließ die Flugplatzgesellschaft das ausgewählte Turnierfeld in Görries ebnen und einzäunen und von dem Berliner Architekten Richard Thiede eine Zuschauertribüne, ein Restaurant und eine Flugzeughalle errichten. Der Flugzeugbauer Anton Herman Gerard Fokker verlegte 1913 seine Firma Fokker Aeroplanbau von Berlin-Johannisthal nach Schwerin und errichtete seine Werkshallen u. a. in der Bornhövedstraße. Dort wurde auch die Fokker Dr.I gebaut. Infolge des Versailler Vertrags musste die Flugzeugherstellung 1919 eingestellt werden. Ebenfalls 1913 zerstörte ein Brand den Goldenen Saal des Schweriner Schlosses. Als Folgen des Ersten Weltkrieges gab es soziale und politische Spannungen. Hunger und Not bewegten Jugendliche und Frauen, in Schlachtereien und Bäckerläden einzubrechen, um an Nahrungsmittel zu kommen. 1918 streikten viele Arbeiter. 1918 dankte Großherzog Friedrich Franz IV. ab und die Sozialdemokratie konnte sich stärker in der Hauptstadt des neuen Freistaates Mecklenburg-Schwerin etablieren. Infolge der Bestimmungen des Versailler Vertrages verließ der Flugzeugproduzent Fokker 1919 seinen Firmenstandort Schwerin. Von 1919 bis 1933 diente das Staatstheater als erstes Parlament und Landtag des Freistaates Mecklenburg-Schwerin. 1920 kamen 15 Arbeiter in der Nähe des Arsenals bei blutigen Auseinandersetzungen mit Kapp-Putschisten um. In den 1929er Jahren wurde Schwerin zunehmend ein kultureller Mittelpunkt durch Vereine und Organisationen, teilweise stark vom militaristischen und nationalistischen Gedankengut durchdrungen. Zentren der Veranstaltungen waren die Stadthallen Schwerin, die Tonhalle (heute Stadtkrug und Capitol) Wismarschen Straße, der Alte Garten, der Schloßgarten und das Flugplatzgelände in Görries. Zeit des Nationalsozialismus 1933–1945 1932 erreichte die NSDAP bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Schwerin eine knappe absolute Mehrheit und stellte fortan die Landesregierung. 1933 wurden SPD- und KPD-Funktionäre verfolgt und verhaftet, der Oberbürgermeister sowie die Leiter öffentlicher Einrichtungen entlassen. Friedrich Hildebrandt wurde zum Reichsstatthalter von Mecklenburg ernannt. 1933 gab es Bücherverbrennungen in der Stadt. 1934 wurde Schwerin Hauptstadt des Gaus Mecklenburg, der aus dem Zusammenschluss der Freistaaten Mecklenburg-Schwerin und Mecklenburg-Strelitz hervorgegangen war. 1934 fanden eine Weihefeier der Jugend im Arsenal, ein Aufmarsch von 6000 Jugendlichen auf dem Markt und zum ersten Staatsjugendtag eine Demonstration von 1600 Mitgliedern des Jungvolks statt. 1935 entstand eine Gauführerschule in der heutigen Schloßgartenallee, im Norden des Stadtgebiets war 1934 eine neue Festhalle fertig geworden, die mehrere tausend Personen fassen konnte (nach 1945 von verschiedenen Firmen und bis heute von einer Maschinenbaufirma genutzt). 1935 wurde Schwerin Sitz des neu entstandenen Landkreises Schwerin. Zur Heldenverehrung des in Schwerin geborenen und 1936 in der Schweiz erschossenen Nationalsozialisten Wilhelm Gustloff errichtete man einen gewaltigen Ehrenhain. Die Machthaber führten weitere Neu- und Umbaumaßnahmen in der Stadt durch mit dem Ziel, das Stadtbild an die damaligen Ideale einer Gauhauptstadt anzupassen und Schwerin zu einem logistischen und verkehrstechnischen Zentrum werden zu lassen. So sollte die Stadt von Monumentalbauten bestimmt werden, eine Volksfeierstätte am Lambrechtsgrund für etwa 20.000 Menschen entstehen, Kasernen, Wohnungen, Infrastruktur und der Wehrmachtsflugplatz Schwerin-Görries ausgebaut werden. Planungen sahen eine 30 Meter breite Schneise auf dem Gebiet der heutigen Wismarschen Straße bis ins Stadtzentrum für Aufmärsche und Paraden vor. Viele der Pläne wurden jedoch aufgrund fehlender finanzieller Mittel bei Kriegsanfang verworfen. Über dem Durchschnitt der Vorjahre lag jedoch der Neubau von Wohnungen. In Lankow und Neumühle wurde mit dem Bau von für diese Zeit typischen Eigenheimen begonnen. Die jüdische Gemeinde Schwerins (s. u.) hatte im April 1938 noch 49 Mitglieder. In der Reichspogromnacht vom 9. zum 10. November 1938 wurden jüdische Geschäfte und die seit 1773 bestehende Synagoge am Schlachtermarkt durch Nationalsozialisten zerstört. Die Reaktionen der Schweriner auf die nationalsozialistische Ideologie und Diktatur reichten von Begeisterung bis zur stillschweigenden Zurückhaltung. Wie überall gab es kaum offenen Widerstand. Im Juli und November 1942 sowie zuletzt noch im November 1944 wurden Juden aus Schwerin deportiert. In der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt (heutige Carl-Friedrich-Flemming-Klinik) in Schwerin wurden über 1000 Kinder und erwachsene Patienten Opfer der NS-Krankenmorde. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, im Oktober 1939, entstand das Stammlager II E, von dem Kriegsgefangene aus mehreren Ländern in der Rüstungsindustrie und der Land- und Forstwirtschaft eingesetzt wurden. Die Gefangenen waren in mehreren Barackenlagern, das größte war in Stern Buchholz, untergebracht. Vor allem sowjetische Kriegsgefangene litten an Mangelernährung und wurden für gefährliche Arbeiten auf dem Flugplatz Görries und auf dem Wehrmachtsgelände in Stern Buchholz eingesetzt. Die unmenschlichen Arbeitsbedingungen hatten zahlreiche Todesopfer zur Folge. Während des Krieges erlebte Schwerin vier Bombenangriffe; der erste britischer Flugzeuge in der Nacht vom 20. zum 21. Juli 1940 zerstörte mehrere Häuser in und um die Severinstraße, wobei sechs Menschen ums Leben kamen. Ziel eines amerikanischen Bomberverbandes war am 4. und 25. August der Flugplatz in Görries, wobei es im benachbarten Dorfkern zu Schäden an 81 Häusern kam. Der letzte und schwerste Angriff mehrerer Staffeln von 39 amerikanischen Bombern zwischen 14.15 und 14.30 Uhr am 7. April 1945, die 89 t Bomben auf Schwerin warfen, traf besonders Gründerzeit-Mietshäuser in der Feldstadt. Dabei kamen allein bei diesem Angriff 224 Einwohner, nach anderer Quelle mehr als 250 Menschen ums Leben; 41 Häuser und der Schlachthof wurden vollständig und 29 teilweise zerstört und über 80 Häuser schwer beschädigt. Auch eine Schule und der Friedhof wurden getroffen. Unter anderem wurden der Betriebshof des Nahverkehrs in der Wallstraße und dort abgestellte Wagen getroffen, was zur vorläufigen Einstellung der Personenbeförderung führte. Der Angriff vom 7. April 1945 galt dem Güterbahnhof im Norden der Stadt, der als Ersatzziel für den Flugplatz Parchim, der unter dichten Wolkendecke lag, angegriffen wurde. Im Gegensatz zu anderen größeren Städten Norddeutschlands ging Schwerin vergleichsweise glimpflich aus dem Krieg hervor, auch weil dort kaum kriegswichtige Industrie angesiedelt war. Insgesamt wurde Schwerin zu 3 % zerstört. Ein Todesmarsch von Häftlingen des Konzentrationslagers Sachsenhausen endete in der Nähe von Schwerin (Raben Steinfeld), etwa 18.000 Gefangene überlebten. Amerikanische Truppen besetzten am 2. Mai 1945 die Stadt kampflos. Jedoch kam es unmittelbar vor dem Eintreffen der US-Einheiten am gleichen Tag noch zu Endphaseverbrechen durch Angehörige der Waffen-SS im Stadtgebiet. Zu den Opfern gehörte die Lehrerin Marianne Grunthal, die auf dem Bahnhofsvorplatz von SS-Männern gehängt wurde. Im Stadtteil Zippendorf erschossen die SS-Einheiten bereits befreite KZ-Häftlinge des Todesmarsches. Die Besatzungsmacht über Schwerin wurde am 1. Juni für einen Monat den Engländern übergeben. Der Störkanal im Südosten (Stadtteil Mueß) und das Ostufer des Schweriner Sees fungierte für einige Wochen als Demarkationslinie zwischen den Alliierten. Gemäß den Abkommen der Alliierten Großbritannien, Sowjetunion und USA vom 12. September bzw. 14. November 1944 über die Aufteilung Deutschlands wurde die Stadt anschließend an die Rote Armee übergeben. Sowjetische Besatzungszone und DDR-Zeit Schwerin und Westmecklenburg waren zunächst von Amerikanern und Briten besetzt. Am 1. Juli 1945 übernahmen die Sowjets die Kontrolle. Die Stadt wurde Regierungssitz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, das 1947 auf sowjetischen Befehl in Land Mecklenburg umbenannt wurde. Von 1945 bis 1949 stand Schwerin unter militärischer Verwaltung der Sowjetmacht. Am 21. September 1945 wurde hier der Schweriner Grenzvertrag geschlossen. Die Einwohnerzahl stieg wegen der Aufnahme von Flüchtlingen von 1939 bis 1946 von etwa 64.000 auf 88.200, was zu Wohnraummangel führte. Die Situation verschärfte sich, als das russische Militär am 12. Juli 1945 das Schlossgartenviertel zwischen Cecilienallee und Faulem See räumen ließ, weiterer Wohnraum wurde durch Landesbehörden belegt. Behelfsunterkünfte in Baracken, Kellerwohnungen und Wohnlauben gehörten zum Stadtbild. Durch Flucht von Einwohnern nach Westdeutschland entspannte sich die Situation nach 1948 etwas, die Schaffung neuen Wohnraumes gehörte jedoch weiterhin zu den vordringlichen Aufgaben. 1949 wurde mit der Errichtung dreier Wohnblöcke auf dem Schwälkenberg der Wohnungsneubau begonnen. Am Demmlerplatz befand sich die Dienststelle der sowjetischen Geheimpolizei NKWD. Dort wurden zahlreiche, oft unschuldige Personen aus ganz Mecklenburg inhaftiert und willkürlich von sowjetischen Militärtribunalen zu harten Strafen verurteilt. 1954 übernahm die Bezirksdienststelle der Stasi den Komplex und nutzte ihn weiter als Haftort. Gegen die SED-Herrschaft und -Diktatur in der DDR zeigte sich früh Opposition. Vier Schüler der Goethe-Oberschule wurden als Mitglieder der Jungen Gemeinde 1953 von der Schule gewiesen, wogegen sich breiter Protest regte. Beim Aufstand vom 17. Juni 1953 gab es Protestversammlungen der Arbeiter in der Bau-Union, den Abus-Werken und der Zigarettenfabrik, Streiks wurden aber nicht durchgesetzt. Mit der Verwaltungsreform von 1952 wurden die Länder aufgelöst und durch Bezirke ersetzt. Schwerin mit damals 96.625 Einwohnern wurde Bezirkshauptstadt des Bezirks Schwerin und Sitz der Kreisverwaltung des Kreises Schwerin-Land. Die Stadt selbst gehörte diesem Kreis nicht an, sondern bildete einen eigenen Stadtkreis. Der ehemalige Militärflugplatz Görries wurde in der Zeit von 1954 bis 1970 Industriegelände. Im Forsthof errichtete der VEB Brauerei Schwerin ein Betriebsferienlager. Die Schweriner Wohnungsbaugenossenschaft wurde 1957 gegründet. So wurde von 1955 bis 1974 die Weststadt als Plattenbausiedlung erweitert, von 1962 bis 1972 Plattenbauten in Lankow hochgezogen. Die Ansiedlung von Industrie in Schwerin-Süd ab 1972 führte zu einem Bedarf an Arbeitskräften und damit zu einer Steigerung der Einwohnerzahl. 1971 war Baubeginn auf dem Großen Dreesch im Süden der Stadt, dem später bevölkerungsreichsten Stadtteil Schwerins. Die Bausubstanz der Altstadt verfiel hingegen zusehends. Seit 1978 entstanden neue Wohngebäude auf dem Großen Moor in der Innenstadt, nachdem alte, vernachlässigte Bausubstanz dort abgerissen und am Burgsee aufgeschüttet worden war. Die Gestaltung der innerstädtischen Plattenbauten wurde durch Beibehaltung historischer Straßenführungen, teilweise Klinkerverblendung der Fassaden sowie die Anschrägung der Dächer aufgelockert. Ende der 1960er Jahre war geplant, die gesamte Schweriner Innenstadt bis auf wenige besonders historisch bedeutsame Bauten abzureißen und durch Plattenbauten zu ersetzen. Diese Pläne scheiterten aber am Geldmangel. Mit Ausnahme vereinzelter Rekonstruktionen wurden Konzepte und Planungen zur Umgestaltung der historischen Stadtteile aufgrund hoher Erschließungskosten nicht umgesetzt. Das in den 1980ern gesetzte Ziel, bis 1990 jede Wohnung in einen warmen, trockenen und baulich sicheren Zustand zu versetzen, war angesichts dessen, dass 17.000 der 44.000 Wohneinheiten akuten Instandsetzungsbedarf aufwiesen, unerreichbar. Eine Bürgerinitiative, Architekten, Denkmalpfleger und Fotografen sowie die Tatsache, dass Ende der 1980er Jahre selbst das Geld für einen großflächigen Abriss fehlte, retteten die architektonisch wertvolle Schelfstadt. Erst in den 1980er Jahren wurden auch einige Fachwerkbauten saniert. An öffentlich zugänglichen Einrichtungen entstanden 1953–1956 das Stadion am Lambrechtsgrund und 1956 der Heimtierpark in Zippendorf (ab 1974 Zoologischer Garten), 1959–1962 die Sport- und Kongresshalle, bis 1964 der Fernsehturm mit Turmcafé und 1970 das Bezirksmuseum sowie das Freilichtmuseum Schwerin-Mueß. Im November 1979 wurde in Schwerin als eine der ersten Regungen der oppositionellen Umweltbewegung u. a. von Jörn Mothes die Baumpflanzbewegung in der DDR initiiert. 1986 stürzte ein Passagierflugzeug (Aeroflot-Flug 892) auf dem Weg von Minsk kurz vor der Landung in Berlin-Schönefeld ab. Dabei starben 72 Personen, darunter 20 Schulkinder einer 10. Klasse der Ernst-Schneller-Schule in Schwerin. Am 23. Oktober 1989 fand die erste Montagsdemonstration in Schwerin statt, zu der sich 50.000 Menschen am Dom und auf dem Alten Garten zusammenfanden. Im Vorfeld hatte die Bezirksleitung der SED eine Gegendemonstration auf dem Alten Garten organisiert, sie endete in einem Fiasko. Viele Genossen schlossen sich der Demonstration des Neuen Forums an. Sechs Kämpfer der Kampfgruppeneinheit 410 der Eisenbahn lehnten einen Einsatz gegen die Demonstration des Neuen Forums um 14:30 Uhr ab. Die Stimmung der Schweriner Bevölkerung war aufbegehrend gegen die SED-Diktatur eingestellt. Ein Marsch mit tausenden Kerzen in den Händen und dem vereinten Ruf „Keine Gewalt!“ setzte um 17:00 Uhr 40.000 bis 50.000 friedliche Bürger in Bewegung. Sie marschierten vom Alten Garten durch die Werderstraße, über den Schelfmarkt dann um den Pfaffenteich herum wieder zurück zum Alten Garten. Vor dem Arsenal wurden hunderte brennende Kerzen abgestellt. Noch heute zeugt eine gläserne Gedenktafel am Arsenal und seit 2022 ein Denkzeichen am Alten Garten von dem ersten großen Protestmarsch der Schweriner. Seit der Wiedervereinigung Nach der Wiedervereinigung wurde Schwerin am 27. Oktober 1990 Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern. Der Entscheidung ging ein Wettbewerb mit der Hansestadt Rostock voraus, bei dem Schwerin das Rennen machte. Kriterien dabei waren die geschichtliche Rolle Schwerins als Sitz der Herzöge und des Landtages von 1948 bis 1952 und vorhandene Gebäude, die sich für Ämter, Ministerien und die Regierung nutzen ließen. Außerdem sah man in Rostock auch ohne den Status einer Landeshauptstadt das Potenzial, Wissenschafts- und Wirtschaftszentrum zu werden. Auch Privatpersonen setzten sich für Schwerin als Hauptstadt ein, die Blumenfrau Bertha Klingberg sammelte 17.000 Unterschriften dafür. 1993 verließen die letzten russischen Besatzungstruppen die Stadt. Bei einer Kreisreform von 1994 blieb Schwerin kreisfrei, der Kreis Schwerin-Land wurde aufgelöst. Auch bei der Kreisgebietsreform von 2011 behielt Schwerin den Status als kreisfreie Stadt, nachdem Planungen, die zur Einbindung Schwerins in einen Kreis Westmecklenburg geführt hätten, infolge eines Urteils des Landesverfassungsgerichts gescheitert waren. Ab 1991 wurden das Schloss sowie die historischen Bereiche der Altstadt, Schelfstadt und Feldstadt im Rahmen der Städtebauförderung saniert. Ab Ende der 1990er Jahre wurde die Werdervorstadt und seit 2004 die Paulsstadt auch als Sanierungsgebiete ausgewiesen. Die Verbesserungen des Wohnumfeldes in den Plattenbaugebieten Großer Dreesch, Neu Zippendorf und Mueßer Holz begannen 1993. Im Stadtteil Friedrichsthal entstand 1994 das neue Wohngebiet, das den Wegzug von Einwohnern ins Umland abbremsen sollte. Schwerin erhielt im bundesweiten Wettbewerb Erhaltung des historischen Stadtraumes in den neuen Bundesländern 1992–1994 die Goldplakette. Neben dem Handel entwickelte sich vor allem die Kultur. Seit 1991 wird das Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern ausgerichtet; 1993 wurde die neue Freilichtbühne eingeweiht. In einer Auflage von etwa 30 Millionen Stück erschien 2007 die 2-€-Gedenkmünze mit dem Motiv Schweriner Schloss anlässlich der Bundesratspräsidentschaft Mecklenburg-Vorpommerns. 2009 richtete Schwerin die Bundesgartenschau aus, die 1,86 Mio. Besucher verzeichnete. Die umfangreichen vorbereitenden Arbeiten, beispielsweise im Schlossgarten und am Burgsee, begannen 2006. Garnison Schwerin Schwerin war Garnisonsstadt für verschiedene Truppenteile des Mecklenburger Militärs: Großherzoglich Mecklenburgisches Grenadier-Regiment Nr. 89, Großherzoglich Mecklenburgisches Feldartillerie-Regiment Nr. 60 und Großherzoglich Mecklenburgisches Jäger-Bataillon Nr. 14 (mit der Umstrukturierung des Heeres im Norddeutschen Bund 1867 und dem Deutschen Kaiserreich wurden die Truppen Teile der preußischen Armee), später der Reichswehr, der Wehrmacht, der NVA sowie der sowjetischen/russischen Truppen und schließlich der Bundeswehr. Aus der Zeit der Monarchie stammen die Neue und Alte Artilleriekaserne am Ostorfer Berg, Johannes-Stelling-Straße, heute Finanzamt Schwerin und die Werder-Kaserne (heute Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern der Bundeswehr). In der Zeit des Nationalsozialismus wurden bei der Aufrüstung der Wehrmacht Kasernenneubauten errichtet an der Johannes-Stelling-Straße (Fritsch-Kaserne – südlich der alten Artilleriekaserne), an der Ziegelsee-/Möwenburgstraße (nördlich der Werder-Kaserne), in Görries ein Fliegerhorst der Luftwaffe, sowie im Süden der Stadt drei Areale an der Ludwigsluster Chaussee (heute Neue Gartenstadt – knapp südlich des Großen Dreesch – zwischen Großem Dreesch und Stern Buchholz). Außerdem in Stern Buchholz ein Areal, bis 2007 Blücher-Kaserne mit dem Panzerbataillon 403 der Bundeswehr. Von den Streitkräften der DDR wurden die Werder-Kaserne (Kurt-Bürger-Kaserne, Kommando der 8. motorisierten Schützendivision), die Alte Artilleriekaserne sowie das Areal in Stern Buchholz genutzt. Sämtliche restlichen Areale waren von den sowjetischen/russischen Truppen belegt (94. Garde-mot. Schützendivision), die bis April 1993 abzogen. Eingemeindungen Schwerin bestand ursprünglich nur aus der Altstadt. Ab 1282 kamen einige umliegende Dörfer hinzu (etwa Zippendorf, Göhren oder Ostorf), die jedoch später wieder eigenständige Gemeinden wurden. Ab 1705 entstand durch Dekret des Herzogs von Mecklenburg infolge des Ausbaus der sogenannten Schelfe eine Siedlung, die sich zu einer eigenen Stadt (Neustadt) mit der St.-Nikolai-Kirche, der Schelfkirche, und dem Schelfmarkt entwickelte. 1832 wurde sie mit der Altstadt Schwerin vereinigt. Im 19. Jahrhundert dehnte sich die Stadt weiter aus. Es entstanden ab etwa 1840 die Paulsstadt in Richtung Westen und in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts die Feldstadt in Richtung Süden. Danach setzte mit steigender Bevölkerungszahl auch ein Wachstum des städtischen Territoriums ein, neben Eingemeindungen auch eine Übertragung ehemals großherzoglicher Flächen in die Verwaltungshoheit der Stadt. Im Einzelnen wurden folgende Orte eingegliedert: Bevölkerung Die Einwohnerzahl der Stadt überschritt 1972 die Grenze von 100.000, wodurch Schwerin zur Großstadt wurde. 1988 erreichte die Bevölkerungszahl mit über 130.000 ihren historischen Höchststand. Seit der Wende in der DDR hat die Stadt wegen der hohen Arbeitslosigkeit, des Geburtenrückgangs und der Abwanderung in das Umland bis 2005 etwa 34.000 Einwohner verloren. Vom Einwohnerverlust waren die Plattenbaugebiete in besonderem Maße betroffen. Durch den starken Wohnungs- und Eigenheimbau im Schweriner Umland wuchs dort die Einwohnerzahl um etwa 20.000. Im Gegensatz zu vergleichbar großen Städten Ostdeutschlands (beispielsweise Cottbus, Gera, Jena und Zwickau) konnte der Einwohnerverlust Schwerins nicht durch Eingemeindungen gemildert werden. 2012 war die Einwohnerzahl auf knapp 92.000 gesunken. Seit 2013 stieg sie wieder leicht an, überschritt 2015 die Marke von 96.000 Einwohnern, um danach wieder etwas abzufallen. Am 31. Dezember 2022 lebten in Schwerin nach Fortschreibung des Statistischen Amtes Mecklenburg-Vorpommern 98.596 Menschen mit Hauptwohnsitz. Um der Stadtflucht zu begegnen, fördert die Kommune neue Baugebiete innerhalb der Stadtgrenzen. Es gab Zuzüge in attraktivere Wohnlagen und neue Baugebiete, während die Bevölkerungszahlen in den Plattenbaugebieten des Großen Dreeschs, Neu Zippendorfs und des Mueßer Holzes überdurchschnittlich stark sinken. Der Einwohnerschwund konnte verlangsamt werden. Religionen Schwerin gehörte bis zur Einführung der Reformation zum Bistum Schwerin und war Sitz eines eigenen Archidiakonats. Zum Domkapitel Schwerin gehörten neben dem Propst und dem Dekan noch zehn, später zwölf Domherren. Evangelisch-lutherische Kirche Ab 1538 war die Stadt größtenteils protestantisch. Schwerin war bis 2012 der Sitz der Kirchenleitung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Mecklenburgs und seitdem befindet sich hier einer von zwei (übergangsweise bestehenden) Sprengelbischofssitzen der damals gegründeten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland. Die Mitgliederzahlen nahmen in der DDR drastisch ab. In den neuen Bundesländern sind etwa ein Viertel der Bevölkerung Mitglied einer Religionsgemeinschaft. Die Kirchengemeinden der Stadt gehörten bis 2012 zur Propstei Schwerin-Stadt innerhalb des Kirchenkreises Wismar der Landeskirche Mecklenburgs. Mit der Fusion der Nordelbischen, Mecklenburgischen und Pommerschen evangelischen Landeskirchen zur Nordkirche gehören die Gemeinden dem Kirchenkreis Mecklenburg an, der wiederum zum Sprengel Mecklenburg und Pommern. Die Landeskirchliche Gemeinschaft in Schwerin als freies Werk von um 1905 gehört zum Mecklenburgischen Gemeinschaftsverband im Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverbandes. 1910 wurden die Gemeinderäume am Ziegenmarkt 4 erworben. Der Hauptsitz der LKG Schwerin ist in der Schelfstadt Schwerins. Katholische Kirche Um Herzog Christian Ludwig I., der 1663 aus politischen Erwägungen zum Katholizismus übertrat, scharten sich einige Anhänger. 1709 gründeten die Jesuiten in Schwerin eine Missionspfarrei. Die Anerkennung des katholischen Gottesdienstes nach der Reformation erfolgte 1732. Die Propsteikirche St. Anna (seit 1967) entstand 1795. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es in Mecklenburg knapp 500 Katholiken. Die Gleichstellung mit der protestantischen Kirche erfolgte 1903. Aus der St.-Annen-Gemeinde entstanden in den 1970er Jahren die St.-Martin- und die St.-Andreas-Gemeinde. Die katholischen Pfarrgemeinden der Stadt Schwerin gehören zum Dekanat Schwerin des Erzbischöflichen Amtes Schwerin innerhalb des Erzbistums Hamburg. Der katholische Friedhof an der Wismarschen Straße wurde 1861 geweiht. Freikirchen Seit 1855 gibt es in Schwerin eine Baptistengemeinde mit regelmäßigen Versammlungen seit 1901. 1950 zählte man 1100 Mitglieder. Heute gehören zur Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Schwerin (Baptisten) rund 180 Mitglieder. 2010 wurde im Stadtteil Neumühle ein neugebautes Gemeindezentrum eingeweiht. Die Gemeinde gehört zum Evangelisch-Freikirchlichen Landesverband Mecklenburg-Vorpommern/Baptisten. In Schwerin gibt es zwei Pfingstgemeinden, die Gemeinde Gottes Christliches Zentrum Schwerin, seit 1993 in der Paulsstadt ansässig, sowie die Christengemeinde Arche Schwerin und eine Freie evangelische Gemeinde. Neuapostolische Kirche Die Gemeinde der Neuapostolischen Kirche wurde 1924 durch Bezirksapostel Edmund Blöcker aus Hamburg gegründet. Der Bezirksvorsteher Paul Karkhof wurde der erste Gemeindevorsteher. 1929 wuchs die Mitgliederzahl auf über 50, bis um 1945 auf 180 sowie durch Flüchtlinge auf 740. Seit 1953 gab es die Gemeinden Schwerin I und Schwerin II. 1973 wurden beide Gemeinden wieder vereinigt. Seit 1956 befinden sich die Gemeinde und die Verwaltung für Mecklenburg-Vorpommern in der Schweriner Paulsstadt. 1994 besuchte der Kirchenpräsident Richard Fehr die Gemeinde, versetzte den Bezirksapostel Willy Adam in den Ruhestand, führte den neuen Bischof von Mecklenburg-Vorpommern Ekkehard Möller ein und Mecklenburg-Vorpommern wurde an den Bezirksapostel Wilhelm Leber, den jetzigen Kirchenpräsidenten, nach Hamburg übergeben. Jüdische Gemeinde Beim Pogrom am 9. November 1938 wurde die Schweriner Synagoge zerstört. Seit 1947 lebten 98 Juden in Mecklenburg, davon 18 in Schwerin. 1946 wurde die jüdische Landesgemeinde auf Initiative des Ingenieurs Hugo Mehler wiederbelebt. Im folgenden Jahr erhielt die Gemeinde das Gebäude in der Schlachterstraße zurück. 1948 erhielt die Landesgemeinde ihre Vermögenswerte und den zerstörten Schweriner Friedhof zurück. Dort stand seit 1946 ein Gedenkstein, die Grabstätten konnten 1951 wieder hergerichtet werden. Ein Betraum in den sanierten Gebäuden in der Schlachterstraße wurde eingerichtet und 1951 ein Gedenkstein an der Stelle des einstigen Gotteshauses aufgestellt. Die Finanzierung der Gemeinde erfolgte nach dem Krieg vor allem durch Spenden. Später förderte die DDR-Regierung den Erhalt jüdischer Einrichtungen. 1948 fand der erste Gottesdienst statt. 1987 verpflichtete sich die Stadt Schwerin in einem Vertrag mit der jüdischen Gemeinde die Gebäude der Gemeinde als Gedenkstätte zu unterhalten. Die Zahl der Mitglieder in Schwerin wuchs ab 1990 von acht Mitgliedern auf etwa 650 (Stand 2020); fast ausschließlich Immigranten aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. Sie ist damit eine der größten Gemeinden in Ostdeutschland. Im Dezember 2008 wurde der Neubau einer Synagoge an historischer Stelle, im Hof Schlachterstraße 3/5, wo bis 1938 die alte Synagoge165 stand, eingeweiht. Der neue Landesrabbiner Yurij Kadnykov betreut als Nachfolger des Schweriner Ehrenbürgers William Wolff seit April 2015 die Gemeinde in Schwerin. Islam Die sunnitische Gemeinschaft ist durch den Islamischen Bund in Schwerin vertreten. Zentrum der 1992 gegründeten Gemeinde ist die Moschee As-Salām in angemieteten Räumen auf dem Großen Dreesch. Im April 2019 erhielt die Gemeinde von Schwerin die Genehmigung, die ehemalige Kaufhalle im Mueßer Holz zu einer Moschee umzubauen. Ein dagegen initiiertes Bürgerbegehren mit mehr als 4000 Unterschriften wurde von der Stadtvertretung abgelehnt. Die schiitische Gemeinschaft organisierte sich in dem 2006 gegründeten Verein Islamisches Zentrum Schwerin Die Moschee Ahl al-Bayt befindet sich in angemieteten Räumen beim Hauptbahnhof. Politik Stadtvertretung An der Spitze der Stadt stand seit dem 13. Jahrhundert der Rat mit zumeist zwölf Ratsherren. Den Vorsitz hatten der beziehungsweise die Bürgermeister, zeitweise gab es zwei oder drei Bürgermeister. Nach der Vereinigung von Alt- und Neustadt wurde am 28. Januar 1832 eine neue Stadtverfassung für die Gesamtstadt erlassen, nach der die Stadt durch ein Magistratskollegium unter Mitwirkung eines Bürgerausschusses regiert wurde. Das Magistratskollegium bestand aus zwei Bürgermeistern und 7 Ratsherren, von denen zwei nur beratende Stimme hatten. Unter den geschäftsführenden Mitgliedern (die beiden Bürgermeister und fünf Ratsherren) mussten fünf Rechtsgelehrte sein. Diese juristischen Mitglieder wurden vom Bürgerausschuss aus drei vom Magistrat vorgeschlagenen Kandidaten gewählt, bei den Nichtjuristen war es umgekehrt. Der Magistrat wählte die Bürgermeister. Der Bürgerausschuss hatte 50 Mitglieder, die auf fünf Jahre durch öffentliche Wahl bestimmt wurden. Ab 1919 wurde statt der zwei Bürgermeister ein Oberbürgermeister gewählt. Seit 2002 wird der Oberbürgermeister direkt gewählt. Die Vertretung der Bürger ist die Stadtvertretung. Die Mitglieder der Stadtvertretung werden auf fünf Jahre gewählt. Vorsitzender der Stadtvertretung ist der Stadtpräsident. Dieses repräsentative Amt wurde 1990 neben dem Amt des Oberbürgermeisters durch das „Gesetz über die Selbstverwaltung der Gemeinden und Landkreise in der DDR“ durch die damalige Volkskammer der DDR eingeführt. Es wurde zunächst hauptamtlich wahrgenommen. Seit der Änderung der Kommunalverfassung 1994 wird es ehrenamtlich ausgeführt. Der Stadtpräsident leitet die Sitzungen, bereitet diese vor und vertritt die Stadtvertretung nach außen. Er repräsentiert zusammen mit dem Oberbürgermeister die Stadt. In die Stadtvertretung Schwerins wurden bei der Kommunalwahl am 26. Mai 2019 45 Abgeordnete gewählt. Die stärkste Partei ist die SPD. Die größte Fraktion ist hingegen die CDU/FDP-Fraktion mit 10 Sitzen. Einzelbewerber: 2019: Daniel Finkenstein (0,1 %), Peter Kuhlmann (0,1 %), Andreas Schulz (0,1 %); 2014: Jan Szymik (0,7 %), Friedemann Fründt (0,2 %), Brigitte Ahlgrim (0,2 %), Benno Falk (0,1 %), Peter Kuhlmann (0,1 %) und Peter Herz (0,1 %); 2009: Peter Kuhlmann (0,4 %), Wilfried Wandschneider (0,2 %) und Stephan Giehl (0,2 %). Die Stadt besteht aus 93 Wahlbezirken mit 78.449 Wahlberechtigten (Stand 2019). Jeder Wähler hat 3 Stimmen. In der Stadtvertretung haben sich nach der Kommunalwahl 2019 folgende Fraktionen gebildet: CDU/FDP (10 Mitglieder), SPD (8 Mitglieder), DIE PARTEI.DIE LINKE (8 Mitglieder), AfD (7 Mitglieder), UB (6 Mitglieder) und Grüne (5 Mitglieder). Das Stadtvertretungsmitglied der ASK ist fraktionslos. → Ergebnisse der Kommunalwahlen in Schwerin Näheres zum Wahlverfahren und zu rechtlichen Bestimmungen: Kreistag (Mecklenburg-Vorpommern) In der Stadtvertretung gibt es folgende Fraktionen: CDU (inkl. FDP, 11 Mitglieder), DIE LINKE. (11 Mitglieder), SPD (9 Mitglieder), UB (5 Mitglieder), GRÜNE (4 Mitglieder). Es gibt 4 fraktionslose Mitglieder: AfD (3 Mitglieder), ASK (1 Mitglied). Im November 2010 trat der bisherige Fraktionsvorsitzende aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen aus, behielt jedoch sein Mandat in der Stadtvertretung. Die Fraktion löste sich in der Folge auf; Teile von ihr bildeten eine gemeinsame Fraktion mit der SPD. Wahlergebnisse Landtagswahl 2016 Bei der Wahl zum Landtag Mecklenburg-Vorpommerns am 4. September 2016 erreichten die einzelnen Parteien im Stadtgebiet folgende Ergebnisse bei den Zweitstimmen: Landtagswahl 2021 Bei der Wahl zum Landtag Mecklenburg-Vorpommerns am 26. September 2021 erreichten die einzelnen Parteien im Stadtgebiet folgende Ergebnisse bei den Zweitstimmen: Bundestagswahl 2013 Bei einer Wahlbeteiligung von 68,1 % entfielen bei der Bundestagswahl am 22. September 2013 folgende Zweitstimmenanteile im Stadtgebiet auf die einzelnen Parteien: Europawahl Bei der Europawahl am 26. Mai 2019 erreichten die einzelnen Parteien bei einer Wahlbeteiligung von 59 % im Stadtgebiet folgende Ergebnisse: Unter den sonstigen Parteien erreichte jeweils keine mehr als 2,4 %. Bürgermeister und Oberbürgermeister Bis 1919 gab es zwei Bürgermeister, so dass sich die Amtszeiten in jener Zeit überschnitten. Seit 1919 gibt es nur noch ein Stadtoberhaupt, das den Titel Oberbürgermeister trägt. Seit 1990 gibt es außerdem einen Stadtpräsidenten. Der seit 1990 als OB amtierende Theologe Johannes Kwaschik trat 2002 nicht erneut an. Norbert Claussen (CDU) wurde bereits am 27. April 2008 per Bürgerentscheid mit 82,7 % abgesetzt; die Nachfolge wurde erst im September 2008 durch Wahlen entschieden. Bei der Oberbürgermeisterwahl im September 2016 unterlag die Amtsinhaberin Angelika Gramkow (Die Linke) in der Stichwahl; der Radiologe Rico Badenschier (SPD) trat am 1. November 2016 das Amt an. Nach der Hauptsatzung beträgt die OB-Amtszeit inzwischen sieben Jahre. Bei der OB-Wahl am 4. Juni 2023 erreichte der Amtsinhaber 42 %, er wurde am 18. Juni 2023 in der Stichwahl gegen Leif-Erik Holm (AfD) wiedergewählt. Wappen Flagge Die Flagge wurde am 23. September 1994 durch das Ministerium des Innern genehmigt. Die Flagge ist Gelb - Blau - Gelb (2:3:2) längs gestreift. Der blaue Streifen ist fast mittig mit der etwas zum Liek hin verschobenen Figur des Stadtwappens belegt: mit dem gelben Reiterbildnis Herzog Heinrichs des Löwen: ein Ritter mit Topfhelm auf einem gezäumten, schreitenden Ross, in der Rechten eine Fahnenlanze mit einer dreilätzigen Fahne und in der Linken ein Dreieckschild, darin ein schreitender Leopard. Die Figur nimmt zwei Siebtel der Höhe des Flaggentuchs ein. Die Höhe des Flaggentuchs verhält sich zur Länge wie 7:9. Dienstsiegel Das Dienstsiegel enthält die Figur des Wappens der Stadt mit der Umschrift . Stadtlogo Das Stadtlogo besteht seit dem 1. April 2005 aus dem weißen, rechtsbündigen und am unteren Rand befindlichen Schriftzug „Landeshauptstadt Schwerin“ in Großbuchstaben auf blauem Untergrund. Das Wort „Schwerin“ ist in einer größeren Schriftart und fett hervorgehoben. Zusätzlich sind oberhalb des Schriftzugs am rechten Rand zwei versetzt übereinander gelagerte Quadrate in den Farben Gelb über Blau angeordnet. Unterlegt ist alles durch eine Art Wasserzeichen in Form des historischen Siegels. Städtepartnerschaften Schwerin unterhält innerhalb der Europäischen Union Städtepartnerschaften mit Vaasa in Finnland seit 1965, Reggio nell’Emilia in Italien seit 1966, Wuppertal in Nordrhein-Westfalen seit 1987, Tallinn in Estland seit 1993 (Kontakte bereits seit 1970), Odense in Dänemark seit 1995, Schneidemühl / Piła in Polen seit 1996 und Växjö in Schweden seit 1999 (Kontakt bereits seit 1996). Außerhalb der EU bestand seit 1997 eine städtepartnerschaftliche Beziehung mit Milwaukee, Wisconsin in den USA. Letztgenannte ist nicht mehr aktuell, denn bei der städtischen Internetseite fehlt Milwaukee. Kultur und Sehenswürdigkeiten → Siehe auch Liste der Baudenkmale in Schwerin Theater Das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin gibt Aufführungen in den Sparten Schauspiel, Niederdeutsches Schauspiel, Jugendtheater, Musiktheater, Ballett und Konzerte. Jährlicher Höhepunkt sind die Schlossfestspiele unter freiem Himmel auf dem Alten Garten. Die 2001 aufgeführte Verdi-Oper Nabucco wurde über die Saison von mehr als 60.000 Zuschauern besucht. Neben der Hauptspielstätte, dem Großen Haus und dem Alten Garten sind das ehemalige E-Werk am Pfaffenteich, Schiffe der Weißen Flotte, der Dominnenhof, die Freilichtbühne Schwerin und das Foyer-Café weitere Aufführungsplätze. Seit 2004 wird im Theaterprojekt „Absolute Beginner“ Interessierten aller Generationen ab 15 Jahren die Möglichkeit des Schauspiels und des tieferen Einblicks in den Alltag und die Arbeitsweisen des Mecklenburgischen Staatstheaters geboten. Außerdem gibt es die Theatergruppe des Goethe-Gymnasiums Schwerin „TaGGS“ sowie das Tanztheater Lysistrate vom selben Gymnasium, das Deutschland 2007 erfolgreich auf dem Schultheater-Weltkongress in Hongkong vertreten hat. Museen und Ausstellungen Das Staatliche Museum Schwerin umfasst das Museumsgebäude auf dem Alten Garten, die Schlossmuseen in Güstrow, Ludwigslust und Schwerin sowie ein Kupferstich- und Münzkabinett in der Werderstraße. Im Hauptgebäude finden sich neben Kunstsammlungen flämischer und holländischer Maler des 16. bis 18. Jahrhunderts bis hin zu zeitgenössischer Kunst auch Porzellan- und Tongefäßsammlungen und mittelalterliche Kunstsammlungen aus heimatlichen Kirchen, wie z. B. der Neustädter Altar. Es gibt regelmäßig wechselnde Ausstellungen, Veranstaltungen und Vorträge. Im Marstall hatte das Technische Landesmuseum seinen Sitz bis 2012, bevor es nach Wismar umzog. Seine Ausstellung zeigte die Technikgeschichte Mecklenburg-Vorpommerns mit dem Schwerpunkt Verkehrsgeschichte. Das Stadtgeschichtsmuseum fiel Sparmaßnahmen der Stadt zum Opfer und wurde 2005 geschlossen. Der Stadtgeschichts- und -museumsverein Schwerin e. V. betreibt seit 1996 die Schleifmühle am Faulen See, eine rekonstruierte Wassermühle, die zu einem Museum für Naturstein-, Edelstein- und Mineralienbearbeitung ausgebaut wurde. Das Haus gehörte von seiner Eröffnung von 1985 an bis Ende 1995 zum Stadtgeschichtsmuseum. Im Stadtteil Mueß befindet sich das Freilichtmuseum Schwerin-Mueß, das über die Lebensweise der mecklenburgischen Landbevölkerung vom 17. Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts informiert. Weitere Museen in freier Trägerschaft sind Dat oll’ Hus und das Petermännchen-Museum, in dem es hauptsächlich um die Geschichte des Schweriner Schlossgeistes, das Petermännchen, ging. Das Petermännchen Museum ist seit 2011 dauerhaft geschlossen. In der Halle am Fernsehturm in Neu Zippendorf eröffnete im April 2009 das Internationale Feuerwehrmuseum. Es zeigt die Geschichte der Brandbekämpfung und der Feuerwehren, die technische und politische Entwicklung sowie die Sozialgeschichte der Brandbekämpfer. Das Schleswig-Holstein-Haus in der Puschkinstraße ist das Ausstellungshaus der Stadt. In ihm wurde 2006 eine weltweit beachtete „Arno-Breker“- Ausstellung und 2007 die Ausstellung „Überklebt – Plakate aus der DDR“ gezeigt. Die seit 2009 in Schwerin ansässige Stiftung Mecklenburg zeigt ebenfalls Ausstellungen zur Geschichte Mecklenburgs und der Stadt Schwerin. Dabei nutzt sie auch die Ausstellungsräume des in städtischer Trägerschaft befindlichen Schleswig-Holstein-Hauses. Seit 2016 gibt es eine Dauerausstellung zur Schweriner Stadtgeschichte in den Schweriner Höfen am Marienplatz. Bibliotheken Neben der Landesbibliothek für Mecklenburg-Vorpommern mit ihrem Sitz in Schwerin, gibt es auch die Stadtbibliothek. Von 1984 bis 2013 nutzte die Schweriner Stadtbibliothek das Perzinahaus. Seit 2010 bieten die Stadtbibliotheken von Schwerin und Wismar mit dem gemeinsamen Angebot einer Digitalen Bibliothek die erste interkommunale Kooperation dieser Art in Deutschland. Vereine Kulturverein Sagenland Mecklenburg-Vorpommern Kunst-Wasser-Werk e. V. Altes Wasserwerk Schwerin-Neumühle, Neumühlerstr.80 Kinos Das Capitol in der Wismarschen Straße wurde in den 1990er Jahren zu einem Kino mit heute fünf Sälen und 1688 Sitzen ausgebaut. Es ist außerdem Veranstaltungsort für weitere kulturelle Ereignisse, Höhepunkt hierbei ist das Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern, zu dem stets prominente Gäste die Stadt besuchen. Das Capitol wurde 1936 als Lichtspieltheater eingeweiht und war durch eine Bühne damals schon für Theater-, Konzert- und Varieté-Vorstellungen ausgelegt. An seiner Stelle befanden sich zuvor eine Tonhalle, die als Gaststätte, Speisesaal und später als Festsaal diente und 1920 abbrannte. Am Bleicherufer wurde in den 1990er Jahren das Multiplex-Kino Mega Movies errichtet, das sechs Kinosäle mit insgesamt 1072 Plätzen bietet. Seit 2014 gibt es wieder ein Programmkino, das Kino unterm Dach mit 80 Sitzplätzen und fast 3000 Besuchern im Jahr, das wöchentlich ausgewählte Filme zeigt, häufig mit Begleit- und Sonderveranstaltungen, häufig auch in Kooperation mit anderen Kultur- und Bildungseinrichtungen. Das Kino unterm Dach ist aktives Mitglied im Landesverband Filmkommunikation Mecklenburg-Vorpommern. Vorläufer war das Forumkino, Programmkino in der Aula der Volkshochschule in der Schelfstadt. Das erste Kinomatographenhaus Schwerins wurde 1912 in der heutigen Mecklenburgstraße eröffnet, es hieß Appolo Lichtspiele, 1929 dann umbenannt in Schauburg. 2020/21 wurde es abgerissen, die denkmalgeschützte Fassade blieb erhalten. Bauwerke Schloss Wahrzeichen der Stadt und Touristenmagnet ist das Schweriner Schloss, das in der jetzigen Form von 1843 bis 1857 unter Großherzog Friedrich Franz II. erbaut wurde und sich auf einer Insel zwischen dem Schweriner See und dem Burgsee befindet, die über die Schlossbrücke und die Drehbrücke zum Schlossgarten mit der Stadt verbunden ist. Es war in der Vergangenheit Residenz mecklenburgischer Herzöge und ist heute Sitz des mecklenburg-vorpommerschen Landtages. Dem Schloss ist der Alte Garten vorgelagert, ein repräsentativer Platz, der sich in der Geschichte vom sumpfigen Platz über einen Küchengarten, einen Lustgarten mit Springbrunnen, einer Reitbahn, einem Paradeplatz bis hin zum Kundgebungsort entwickelt hat und heute vorwiegend für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. In der Umgebung des Schlosses sind unter anderem der Schlossgarten und viele Gebäude wie das Staatliche Museum, das Mecklenburgische Staatstheater, die 32 Meter hohe Siegessäule, die an die Gefallenen des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 erinnert, das Alte Palais, der Marstall und die Staatskanzlei im Stil des Klassizismus sehenswert. Das gesamte heutige Stadtbild ist durch das Wirken Georg Adolf Demmlers geprägt worden. Markt Das Altstädtische Rathaus auf dem Markt wurde 1338 erstmals erwähnt und brannte in seiner Geschichte dreimal ab. Vor das ursprüngliche Gebäude setzte Demmler 1835 eine neue Fassade im Tudorstil. Auf der Mittelzinne ist der Stadtgründer Heinrich der Löwe als goldener Reiter dargestellt. Ebenfalls in der Altstadt, Ecke Buschstraße /3. Enge Straße, steht eines der ältesten noch erhaltenen Häuser Schwerins von 1698. In dem Fachwerkgebäude befand sich bis 1857 eine Weinhandlung, seitdem betreibt eine Familie seit mehreren Generationen bis heute hier eine Kunstdrechselei. Noch früheren Ursprungs ist ein Fachwerkbau im Domhof. Eine Balkeninschrift zeigt das Entstehungsjahr 1574 an. Genutzt wurde er bis 1916 als Hotel und danach als Verwaltungsgebäude. Es beherbergt heute das Landesamt für Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern. Seit der Instandsetzung des Fachwerkhauses Puschkinstraße 36, Ecke Domhof, gibt es Anzeichen, dass hier der älteste Profanbau Schwerins stehen könnte. Es wurden Balken gefunden, die auf das Entstehungsjahr 1573 deuten. Kirchen An Kirchenbauten finden sich im Stadtgebiet unter anderem der Schweriner Dom, die Paulskirche, Schelfkirche und die Propsteikirche St. Anna, der erste katholische Kirchenbau nach der Reformation in Mecklenburg. Weitere Das nach der Wende entsprechend einem restauratorischen Befund in einem Orangeton gestrichene Arsenal am Pfaffenteich ist das älteste Gebäude an diesem Gewässer und heute Sitz des Innenministeriums des Landes. Das Gebäude des Finanzministeriums in der Schlossstraße entstand ursprünglich 1911 als Hotelbau des damaligen Nordischen Hofes und ging 1920 in Staatsbesitz. Das Hauptpostamt wurde von 1892 bis 1897 im Stil der Neorenaissance nach einem Entwurf von E. Hake erbaut. Eine Gedenktafel erinnert, dass am 24. Dezember 1945 in diesem Haus der Oberpostdirektion der Landessender Schwerin sein regionales Rundfunkprogramm eröffnete. In nordwestlicher Stadtrandlage ist das Jagdschloss Friedrichsthal aus dem späten 18. Jahrhundert zu sehen. Es war eine Jagdresidenz des mecklenburgischen Großherzogs Friedrich Franz I. Im Stadtteil Neumühle wurde 1887 ein Wasserturm auf der höchsten Erhebung Schwerins errichtet, der bis heute erhalten ist und Bestandteil des ersten Wasserwerks der Stadt war. 1907 erbaute man im Ortsteil Mueß am Südufer des Schweriner Sees die künstlich angelegte Burgruine Reppiner Burg auf einem vermutlich ehemaligen slawischen Burgwall. Weitere Attraktionen der Stadt sind der Schweriner Fernsehturm, das Neustädtische Palais, das ehemalige Neustädtische Rathaus in der Schelfstadt, das Schleswig-Holstein-Haus, das Bahnhofsgebäude, die Artilleriekasernen und das Offizierskasino südlich des Schlossgartens, der denkmalgeschützte ehemalige Getreidespeicher im Hafengebiet am Ziegelsee (heute zum Hotel umgebaut) und einige Märkte mit Brunnen und Skulpturen. Denkmäler, Brunnen und Skulpturen Aus der Zeit Schwerins als Residenzstadt des Großherzogtums Mecklenburg-Schwerin sind drei künstlerisch wertvolle Denkmäler erhalten: das Bronzestandbild Großherzogs Paul Friedrich (1849 von Rauch) auf dem Alten Garten vor der Museumstreppe, das Reiterdenkmal Friedrich Franz II. (1893 von Brunow) im Schlossgarten und das Marmorstandbild der Großherzogin Alexandrine (1907 von Berwald) im Grünhausgarten. In der Stadt befinden sich überdies einige bemerkenswerte Denkmäler und Gedenksteine, u. a. für Friedrich Wilhelm Kücken (1885), Heinrich Schliemann (1895), Heinrich von Stephan (1898), Großherzogin Auguste (1905). Aus der Zeit der DDR stammt das westlichste noch bestehende Lenin-Standbild in Europa (1985 von Jaak Soans) im Stadtteil Mueßer Holz. Die zahlreichen Schweriner Denkmäler, die in Zusammenhang mit den in der Stadt stationierten Regimentern und ihren Gefallenen standen, sind fast ausnahmslos nach 1945 zerstört worden. Als künstlerisch wertvoll blieben lediglich die Siegessäule für die Gefallenen von 1870/71 auf dem Alten Garten (1874 von Willebrand und Willgohs) und der Trauernde Soldat auf dem Gräberfeld von 1914/18 auf dem Alten Friedhof (1936/37 von Wilhelm Wandschneider) erhalten. Dagegen gibt es eine Reihe von Gedenkstätten für die Opfer des Zweiten Weltkrieges. Im 18. und insbesondere Mitte des 19. Jahrhunderts sind im näheren Umfeld des Schlosses eine größere Anzahl von Skulpturen aufgestellt worden, von denen einige verschollen sind aber in den vergangenen Jahren rekonstruiert werden konnten. Weitere Skulpturen und Brunnen entstanden während der DDR-Zeit, hauptsächlich in den 1970er Jahren. Auch nach 1990 sind einige neue Kunstwerke öffentlich aufgestellt worden. Kunsthandwerk Die in der Umgebung von Schwerin hergestellten Mecklenburger Strohbilder sind einfache, volkskundliche Bildkompositionen im realistischen Stil. Sonstige Sehenswürdigkeiten Die elf Seen auf dem Stadtgebiet mit ihren ufernahen Parkanlagen sowie den Naturerfahrungsräumen Seenatour, die Anlegestelle der Weißen Flotte in der Nähe des Schlosses, die Fahrgäste zur Insel Kaninchenwerder im Schweriner See bringt sind Anziehungspunkte. Schweriner Zoo. Haus der Kultur, Arsenalstraße 8 Ecke Mecklenburgstraße 2 Der 2022 geschlossene Sportplatz Paulshöhe im Ostorfer Hals war einer der ältesten Fußballplätze Norddeutschlands. Schutzgebiete Im Stadtgebiet befinden sich drei ausgewiesene Naturschutzgebiete (Stand Februar 2017). Regelmäßige Veranstaltungen Viele regelmäßige Veranstaltungen finden in Schwerin statt. So ist Schwerin einer der Spielorte der Festspiele Mecklenburg-Vorpommern. Der Schweriner Kultur- und Gartensommer ist eine Veranstaltungsreihe, die jährlich von Frühjahr bis Herbst stattfindet. Gärten, historische Gebäude und die Altstadt werden als Veranstaltungsorte genutzt, beispielsweise für Konzerte, Märkte, Shows, Kleinkunstfestivals, Ausstellungen und Theateraufführungen. Im Mai findet das Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern, die Flottenparade der Weißen Flotte und der Schweriner Nachtlauf statt, im Juni und Juli sind es der Töpfermarkt, die Schlossfestspiele (Freiluft-Oper, organisiert durch das Mecklenburgische Staatstheater), im Juli findet außerdem das größte Volkssportereignis in Mecklenburg-Vorpommern, der Fünf-Seen-Lauf, statt. Er gehört zu den zehn beliebtesten Läufen Deutschlands und findet immer am 1. Samstag im Juli mit Laufstrecken über 10, 15 und 30 Kilometer statt. Immer am letzten Juni-Wochenende findet der Schweriner Christopher Street Day (CSD) statt und bildet den Abschluss der Queeren Kulturtage in Westmecklenburg. Im August gibt es den jährlich stattfindenden Schreibwettbewerb der Stadt Schwerin und des Urgent-Verlags mit Publikation in der Schweriner Literaturzeitschrift „Reflexe“. Im September (1. Samstag) gibt es noch ein weiteres größeres Sportereignis – das Rosa Paddel. Als größte Paddelveranstaltung am Schweriner See (Länge ca. 17 km, 60–80 Teilnehmer) wird es seit 1979 vom SV Theater ausgerichtet. Es finden noch das Drachenbootfestival und das Altstadtfest statt. Im September gibt es als Sportveranstaltung den Zehnkampf für Jedermann und das Weinfest. Im Oktober gibt es die Interkulturellen Wochen und im November kommt der Lübecker Martensmann zum Martensmarkt nach Schwerin. Mit dem traditionellen Weihnachtsmarkt Der Stern im Norden endet das Veranstaltungsjahr. Stadtjubiläen Das Fest der Stadtgründung fiel bis 1846 mit dem Kirchweihfest des Domes am 9. September 1171 zusammen. Der Name des Festes war Die Kirchmeß und wurde als Jahrmarkt jährlich abgehalten. Der in Schweriner Archiven bis 1914 arbeitende Geschichtsforscher Wilhelm Jesse legte nach seinen Erkenntnissen das Gründungsdatum der Stadt in das Jahr 1160. Die Itinerarforschung schrieb er in seinem zweibändigen Buch Die Geschichte der Stadt Schwerin nieder. Neunzig Jahre galt das Werk als die Monographie über Schwerin. Das Gründungsdatum Schwerins wurde dadurch um elf Jahre auf 1160 vorverlegt. 1911 – 750 Jahrfeier der Haupt- und Residenzstadt Schwerin 1935 – 775 Jahre, die NSDAP hielt mehrere Propagandafeiern ab, das Stadtjubiläum wurde nicht gefeiert 1960 – 800 Jahrfeier vom 4. bis 19. Juni 1985 – 825 Jahrfeier vom 22. bis 23. Juni 2010 – 850 Jahrfeier vom 4. bis 6. Juni Orchester und Musikgruppen Sport Zu den bedeutendsten Sportstätten und Vereinen zählen: Schweriner SC; mit vielen Erfolgen der Damenmannschaft im Volleyball in der ersten Bundesliga (12 Meistertitel, zuletzt 2018) sowie in der Champions League, im Europacup, Play-off und DVV-Pokal; sowie die Fußballabteilung des SSC, die seit 2009/10 in der Landesliga vertreten ist; der Vorgängerverein SC Traktor Schwerin legte die Grundlage für zahlreiche Erfolge auch im Boxen (u. a. mit Trainer Fritz Sdunek, † 2014), SV Mecklenburg Schwerin; seit 2012 in der 3. Handball-Liga, seine Heimstätte ist die Sport- und Kongresshalle Schwerin (der bis 2012 bestehende Vorgänger SV Post Schwerin spielte in der Handball-Bundesliga und 2. Handball-Bundesliga), SV Grün-Weiß Schwerin; die Handballfrauen seit 2011 in der dritten Liga FC Mecklenburg Schwerin; mehrere Spielzeiten in der NOFV-Oberliga Nord (4. bzw. 5. Liga), Heimstätte ist der Sportpark Lankow (Verein von 2013 als Vereinigung des FC Eintracht Schwerin mit dem Förderverein FCM Schwerin), BSC Schwerin; im Boxen mehrfach in der Bundesliga vertreten, ESV Schwerin im Faustball ist in der 1. Bundesliga (Frauen) und 2. Bundesliga (Männer) vertreten, SG Dynamo Schwerin, (Fußball, Leichtathletik, Kraftsport), Neumühler SV, FSV 02 Schwerin, Kanurenngemeinschaft Schwerin, u. a. am Faulen-See-Kanusport TriSport Schwerin ein Triathlon-Verein; ein Damen-Team seit 1995 in der 2. Bundesliga vertreten; einige Athleten starteten beim Ironman Hawaii Tanzsportcentrum (TSC) Schwerin in der Sporthalle Mueßer Holz mit der Abteilung Rollstuhltanz, Tanzsportverein (TSV) Blau Gelb Schwerin Sportfreunde Schwerin (Fußball) Albert-Richter-Kampfbahn Nach dem Zweiten Weltkrieg baute die Rote Armee am Ostufer des Burgsees eine Pferderennbahn. Später wurde die Bahn in Albert-Richter-Kampfbahn umbenannt, nach dem Kölner Radsportler, der 1940 mutmaßlich von der Gestapo ermordet worden war. Am 15. Juli 1950 wurde die nun dort befindliche Aschenbahn mit überhöhten Kursen eröffnet, 1951 ein Albert-Richter-Gedenkrennen vor mehreren Tausend Besuchern ausgetragen. Im selben Jahr wurden auf dem Platz die Landesmeisterschaften im Boxen ausgetragen. Später wurde in der Kampfbahn auch Fußball und Boule gespielt. Die Sportstätte wurde mehrmals renoviert, 2005 musste sie der Bundesgartenschau weichen. Bis in die 1980er Jahre hinein existierte in Halle eine Sportstätte gleichen Namens. Der Radsport war nach 1945 ein Sportereignis, das tausende Menschen in seinen Bann zog. Bereits 1947 hatten radsportbegeistere Schweriner mit Hilfe des Oberbürgermeisters Christoph Seitz das Radrennen Rund um den Pfaffenteich aus der Taufe gehoben. Es sollte sich zu einem Traditionsrennen in Mecklenburg, zumindest bis in die sechziger Jahre entwickeln. Der Sieger des ersten Rennens am 1. Juni 1947 hieß Rolf Haberecht und war der damalige Lokalmatador und der Besitzer des ersten Fahrradgeschäftes in Schwerin. In die Liste der Sieger trugen sich in den folgenden Jahren auch bekannte Radrennfahrer ein: Dieter Lüder aus Berlin (1955), der bekannte Sieger der Internationalen Friedensfahrt von 1960 Erich Hagen aus Leipzig (1960), der später tödlich verunglückte Manfred Brüning aus Berlin (1962), der Friedensfahrtsieger von 1963 Klaus Ampler (1963) und schließlich gewann 1997 auch Tour de France Sieger Jan Ullrich am Pfaffenteich. Mehrfach war der Kurs auch Etappenziel der DDR-Rundfahrt. Wirtschaft und Infrastruktur Allgemeine Wirtschaftsdaten Wirtschaftszweige im produzierenden Gewerbe sind unter anderem: Braugewerbe, Nahrungsmittelindustrie, Kabelfertigung, Kunststoffverarbeitung und Maschinenbau. Darüber hinaus bieten das Dienstleistungsgewerbe, wie z. B. Callcenter, die Gesundheitswirtschaft, die Medizintechnik, zahlreiche Einzelhandelsunternehmen und das Handwerk Beschäftigung. Der größte Anteil der Beschäftigten arbeitet in der öffentlichen Verwaltung (einschließlich Sozialversicherung, Bildung/Erziehung und Verteidigung). Die Stadt zählt 5.148 IHK-zugehörige Unternehmen sowie 1.095 in der HWK eingetragene Handwerksbetriebe (Stand 31. Dezember 2016). Im Jahr 2016 wurden 634 Gewerbeanmeldungen, 614 Gewerbeabmeldungen sowie 447 Gewerbeummeldungen verzeichnet. Am Arbeitsort Schwerin gab es am 30. September 2010 47.527 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, davon 20.413 Männer und 27.114 Frauen. Zum 31. Dezember 2016 betrug die Gesamtzahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten mit Arbeitsort Schwerin 50.450. Im Juni 2017 gab es 4.334 Arbeitslose in Schwerin, was einer Arbeitslosenquote von 8,9 % der abh. zivilen Erwerbspersonen entspricht. 25.679 Menschen pendelten zur Ausübung ihrer Arbeit in die Stadt, 10.456 Schweriner Einwohner arbeiteten außerhalb (Stand 30. Juni 2016). Einpendler leben überwiegend in den angrenzenden Landkreisen Ludwigslust-Parchim und Nordwestmecklenburg. Ein großer Teil der Auspendler arbeitet in diesen Landkreisen. Außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns sind die meisten Auspendler in Hamburg (1388 Personen) und Schleswig-Holstein (852 Personen) beschäftigt. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2018 bei 8,5 % und damit über dem Durchschnitt von Mecklenburg-Vorpommern von 7,6 %. Mit durchschnittlich 14.911 Euro hatten die Schweriner Bürger 2005 das höchste Netto-Jahreseinkommen Mecklenburg-Vorpommerns. In der Statistik enthalten sind auch Sozialleistungen und Renten. Das durchschnittliche verfügbare Einkommen in Mecklenburg-Vorpommern betrug 13.953 Euro, im Bundesdurchschnitt standen 17.702 Euro zur Verfügung. Zehn Jahre später, im Jahr 2015, betrug die Kaufkraft pro Kopf durchschnittlich 17.986 Euro und das BIP pro Einwohner 37.694 Euro. Im Jahre 2016 erbrachte Schwerin innerhalb der Stadtgrenzen ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 3,553 Milliarden €. Das BIP pro Kopf lag im selben Jahr bei 36.917 € (Mecklenburg-Vorpommern: 25.454 €, Deutschland 38.180 €). Das BIP je Erwerbsperson beträgt 54.256 €. 2016 wuchs das BIP der Stadt nominell um 2,8 %, im Vorjahr betrug das Wachstum 2,1 %. In der Stadt waren 2016 ca. 65.500 Erwerbstätige beschäftigt. Im Zukunftsatlas 2019 wird Schwerin auf Rang 347 von 401 kreisfreien Städten und Landkreisen gelistet. Ansässige Unternehmen Die Deutsche Bahn AG ist in Schwerin u. a. mit DB Netz, DB Dialog und DB Schenker vertreten. Die Deutsche Post AG betreibt in Pampow, das zum Landkreis Ludwigslust Parchim gehört, eines ihrer 82 Briefzentren in Deutschland. Die Helios Kliniken Schwerin beschäftigen über 2000 Arbeitnehmer. Die Mubea Aviation, im Gewerbegebiet Göhrener Tannen, produziert seit 2006 mit 270 Mitarbeitern Zulieferteile für Airbus. Die Linda Waschmittel GmbH & Co. KG, die unter anderem Linda Neutral herstellt. Die KGW Schweriner Maschinen- und Anlagenbau GmbH und der KGW Marine GmbH produzieren Türme für Windkraftanlagen, Schiffszubehör und Umwelttechnik. Die Maplan Schwerin GmbH fertigt Maschinenbauteile für die Kunststoffverarbeitung. Das Kabelwerk der Prysmian Cable and Systems, zuvor bei Siemens und Pirelli, fertigt Mittelspannungs- und Installationskabel. Die Schoeller Allibert und die United Caps sind in der Kunststoffverarbeitung tätig. Die aus den Stadtwerken Schwerin ausgegliederte Energieversorgung Schwerin und die WEMAG sind regionale Energieversorger. Die buw Holding GmbH, ein Kommunikationsdienstleister, beschäftigt am Standort Schwerin rund 670 Mitarbeiter. Nestlé Deutschland produziert im Gewerbegebiet Göhrener Tannen Dolce-Gusto-Kaffeekapseln. Derzeit arbeiten hier 350 Arbeiter. Die WGS Schwerin ist mit rund 10.000 Wohnungen die größte Wohnungsgesellschaft in Schwerin. Invest in Mecklenburg-Vorpommern ist eine Wirtschaftsfördergesellschaft mit Hauptsitz in Schwerin. Die ZIM Aircraft Seating produziert Flugzeugsitze für die Luftfahrtindustrie. Die Ypsomed Produktion GmbH hat ein neues Werk zur Produktion von Medizintechnik errichtet. Landesförderinstitut Mecklenburg-Vorpommern Medien In Schwerin erscheint täglich von Montag bis Samstag die Schweriner Volkszeitung, die hier ihren Hauptsitz hat. Außerdem werden wöchentlich Anzeigenzeitungen mit regionaler Berichterstattung, wie der Schweriner Kurier, der Blitz und der Schweriner Express (halbwöchentlich) herausgegeben. Das Landesfunkhaus des Norddeutschen Rundfunks (NDR) befindet sich in der Schloßgartenallee und produziert neben überregionalen Beiträgen das Nordmagazin, das Regionalprogramm des NDR Fernsehens für Mecklenburg-Vorpommern, und das Programm des Radiosenders NDR 1 Radio MV. Der private Lokalsender TV Schwerin und der öffentlich-rechtlich finanzierte offene Kanal namens FiSCH-TV verbreiten ihr Programm im Schweriner Kabelnetz. Zudem ist seit 2012 der privat betriebene, landesweite Fernsehsender MV1 empfangbar. Sendeeinrichtungen für Rundfunk und Fernsehen befinden sich im Stadtteil Neu Zippendorf in Form des 136 Meter hohen Schweriner Fernsehturms für Richtfunk und eines 273 Meter hohen Sendemastes für UKW, DAB und DVB-T. Aus Plate, wenige Kilometer südöstlich von Schwerin, sendete von 1993 bis 2016 der private Radiosender Antenne MV, seit 2016 aus Rostock. Aus Rostock ist zudem das zweite große Privatradio des Landes -Ostseewelle- zu empfangen. Online ergänzen fünf reichweitenstarke Nachrichtenmagazine das Medienangebot: StadtLandOnline, Schwerin Lokal, Die Schweriner, SN Aktuell und Schwerin News. Schwerin als Drehort Schwerin diente bereits für mehrere Spielfilme als Drehort: 1953: Die Störenfriede (DEFA-Kinderfilm, Regie: Wolfgang Schleif) 1974: Liebe mit 16 (DEFA-Spielfilm, Regie: Herrmann Zschoche) 1974: Aus meiner Kindheit (DEFA-Kinderfilm, Regie: Bernhard Stephan) 1979: Seitensprung (DEFA-Spielfilm, Regie: Evelyn Schmidt) 1982: Taubenjule (DEFA-Kinderfilm, Regie: Hans Kratzert) 1993–2009: Polizeiruf 110 (Kriminalfilmreihe u. a. mit Uwe Steimle, Felix Eitner, Henry Hübchen und Jürgen Schmidt) 2003–2007: Solo für Schwarz (ZDF-Fernsehserie mit Barbara Rudnik, Regie: Martin Eigler) 2015: Anderst schön (deutscher Fernsehfilm, Regie: Bartosz Werner) 2017: Kingsman: The Golden Circle (britisch-US-amerikanische Agentenkomödie, Regie: Matthew Vaughn) 2021: Die Toten von Marnow (ARD: Krimi-Miniserie, Regie: Andreas Herzog) Filme über Schwerin 1976: WML - Steiger oder Maler (DEFA-Dokumentarfilm, Regie: Karlheinz Mund) 1983: Holländer in Schwerin (DEFA-Dokumentarfilm, Regie: Werner Kohlert) 1987: Unterwegs im Bezirk Schwerin (DEFA-Dokumentarfilm, Regie: Klaus Schulze) Öffentliche Einrichtungen An Institutionen und Einrichtungen beziehungsweise Körperschaften des öffentlichen Rechts haben die Handwerkskammer Schwerin, die Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Schwerin und die Evangelisch-Lutherische Landeskirche Mecklenburgs ihren Sitz in Schwerin. Zudem befinden sich in Schwerin Außenstellen des Bundesamtes für Güterverkehr, des Eisenbahn-Bundesamtes, eine Nebenstelle der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben, einige Landesministerien sowie kommunale Ämter und Behörden. Gerichte In Schwerin befinden sich folgende Untere Landesgerichte: Ordentliche Gerichtsbarkeit: Landgericht Schwerin Verwaltungsgerichtsbarkeit: Verwaltungsgericht Schwerin Arbeitsgerichtsbarkeit: Arbeitsgericht Schwerin Sozialgerichtsbarkeit: Sozialgericht Schwerin Die Oberen Landesgerichte Mecklenburg-Vorpommerns befinden sich in Greifswald, Rostock und Neustrelitz. Bildung Vier Gymnasien (je ein Abend-, Sport-, Musik- und Sprachgymnasium), eine Gesamtschule, drei Regionale Schulen, diverse Grundschulen und Förderschulen mit unterschiedlichen Förderzielen, Berufliche Schulen der verschiedenen Berufszweige und die Volkshochschule Ehm Welk. Das 1553 gegründete altsprachliche Gymnasium Fridericianum Schwerin kann auf eine jahrhundertelange Tradition zurückblicken. Sie ist die einzige Schule des Landes an der das Graecum durch Schulunterricht erworben werden kann. Das Goethe-Gymnasium hat den Status eines Musikgymnasiums und eines Sportgymnasiums. Mehrere Schulen in freier Trägerschaft, darunter die 1735 eröffnete Niels-Stensen-Schule in Trägerschaft der Bernostiftung. Schwerin ist im 21. Jahrhundert auch Hochschulstadt. Insgesamt waren im Jahr 2014 rund 600 Studenten an den Hochschulen der Stadt eingeschrieben. Das 2001 gegründete Baltic College war die erste staatlich anerkannte private Hochschule in Schwerin. Im Februar 2013 wurde es in die Fachhochschule des Mittelstands (FHM) eingegliedert, die auch in Rostock einen Campus hat. Im Jahr 2014 werden am Schweriner Standort die Bachelor-Studiengänge in den Fächern Hotel- und Tourismusmanagement, internationales Unternehmensmanagement, Gesundheitswirtschaft, Wirtschaftsingenieurwesen, sowie die Master-Studiengänge Werbe-Management im Tourismus und internationales Management angeboten. Zudem befindet sich mit dem Deutsch-Chinesischen Mittelstands-Institut (DCMI) an der FHM Schwerin eine Ausbildungseinrichtung für hochqualifizierte, deutschsprachige Führungsnachwuchskräfte aus China, die bei Unternehmen in China und Deutschland zum Einsatz kommen. Seit September 2006 hat die Hochschule der Bundesagentur für Arbeit mit Hauptsitz in Mannheim einen Standort in Schwerin-Groß Medewege. Die private höhere Berufsfachschule DesignSchule Schwerin bietet Ausbildungen und Bachelor-Studiengänge in den Bereichen Game-, Grafik- und Modedesign an. Es gibt Bestrebungen, weitere private Hochschulen in Schwerin anzusiedeln. Zu diesem Zweck wurde u. a. 2003 der gemeinnützige Förderverein Förderer von Hochschulen in Schwerin gegründet. Weitere Hochschulstandorte oder sogar eine Privatuniversität seien in Schwerin denkbar, so die Einschätzung des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur. 2002 wurde das Hydrogen Institute of Applied Technologies (HIAT) als gemeinnützige Forschungseinrichtung gegründet. Ein Hauptaugenmerk des Institutes liegt dabei auf der Forschung und Entwicklung von Brennstoffzellen. Sitz der Einrichtung ist das Wasserstoff-Zentrum Schwerin im Technologie- und Gewerbezentrum (TGZ) der Landeshauptstadt. Seit 1992 der Volkshochschule unterstellt ist das 1962 als Schulsternwarte gegründete Planetarium Schwerin, in dem populärwissenschaftliche Vorträge sowie Führungen, Konzerte, Jugendprojekte und Astronomieunterricht angeboten werden. Verkehr Autobahnen und Bundesstraßen Südlich von Schwerin verläuft die Bundesautobahn 24 von Hamburg nach Berlin. Von ihr zweigt am Autobahnkreuz Schwerin das nördliche Teilstück der A 14 nach Norden in Richtung Wismar ab. Der Ausbau bis zum bereits fertiggestellten Teilstück bei Wismar, in dem die A 20 gekreuzt wird, wurde nach jahrelangen Verzögerungen Ende 2009 abgeschlossen und der Abschnitt am 21. Dezember 2009 dem Verkehr übergeben. Neben den bestehenden Anschlüssen Schwerin-Ost und Schwerin-Nord gibt es Planungen über die Einrichtung einer Anschlussstelle Schwerin-Süd. Ferner ist ein Ausbau der A 14 bis Magdeburg, wo das südliche Teilstück der Autobahn in Richtung Dresden beginnt, geplant. Durch das Stadtgebiet führen die Bundesstraße 104 in Ost-West-Richtung, die B 106 in Nord-Süd-Richtung und die B 321 in Südwest-Südost-Richtung. Die beiden letzteren sind im Stadtgebiet größtenteils vierspurig ausgebaut. Mit dem Bau einer Umgehungsstraße im Westen Schwerins, die nach der Wende zur Entlastung der Innenstadt und zur Bewältigung des gestiegenen Verkehrsaufkommens beiträgt, wurde der Verlauf der B 106 geändert. Ein weiterer Bauabschnitt der Umgehungsstraße von Schwerin-Lankow in Richtung Kirch Stück wurde am 26. September 2007 dem Verkehr übergeben. Neben der B 106 verläuft auch die B 104 seitdem über diesen Abschnitt. Geplant ist eine Weiterführung der Umgehung im Norden Schwerins von Kirch Stück bis zum Paulsdamm. Seit Januar 2016 endet die B 106 in Schwerin, weil das südliche Teilstück aufgrund der parallelen Bundesautobahn herabgestuft wurde. Die Stadt liegt an der deutsch-niederländischen Ferienstraße Oranier-Route. Eisenbahnverkehr Mit der 1847 eröffneten und damit ältesten eigenen Eisenbahnstrecke Mecklenburgs, der Bahnstrecke Hagenow Land–Schwerin, erhielt Schwerin eine Verbindung zur Strecke nach Berlin und Hamburg. Heute führen von Schwerin aus Eisenbahnstrecken in alle Richtungen. Zu den wichtigsten Verbindungen gehören Hamburg–Rostock–Stralsund und Wismar–Ludwigslust–Berlin. Fernverkehrszüge mit Halt in Schwerin Hauptbahnhof sind die ICE und IC der DB Fernverkehr auf der Strecke Stralsund–Rostock–Schwerin–Hamburg–Ruhrgebiet. Von 1918 bis 1994 wurden der Eisenbahnverkehr aus dem Haus der Reichsbahndirektion Schwerin, das Rote Haus genannt, geleitet und organisiert. Öffentlicher Personennahverkehr Rückgrat des von Nahverkehr Schwerin betriebenen öffentlichen Personennahverkehrs in der Stadt ist die seit 1908 in Betrieb befindliche elektrische Straßenbahn mit vier Linien sowie 14 Buslinien und die Pfaffenteichfähre. Fahrradverkehr Schwerin ist an einige regionale und überregionale Radwanderwege angeschlossen, u. a. an den Radfernweg Hamburg–Rügen, der mit einer Länge von rund 520 Kilometern von der Hansestadt Hamburg zur größten Insel Deutschlands, nach Rügen führt. Straßen Die wichtigsten Plätze und Einkaufsstraßen im Zentrum sind: Marienplatz, Marktplatz, Arsenalstraße, Goethestraße, Mecklenburgstraße, Münzstraße, Puschkinstraße, Schlachterstraße, Schmiedestraße, Schloßstraße (Schwerin), Schusterstraße, Friedrichstraße, Buschstraße, Wismarsche Straße. Bedeutsame Zufahrtsstraße sind: An der Crivitzer Chaussee, Gadebuscher Straße, Graf-Schack-Allee, Grevesmühlener Straße, Güstrower Straße, Hagenower Straße, Lübecker Straße, Ludwigsluster Chaussee, Neumühler Straße, Obotritenring, Rogahner Straße, Vor dem Wittenburger Tor, Werderstraße, Wismarsche Straße, Wittenburger Straße. Um den Kern der Stadt (Altstadt, Feldstadt, Paulsstadt, Schelfstadt) führen der nörd- und westliche Obotritenring, die südliche Straße Ostorfer Ufer, die südwestliche Graf-Schack-Allee, die westliche Werderstraße und nördlich die Knaudtstraße (B 104). Flugverkehr und Wasserstraßen Etwa 37 Kilometer südöstlich befindet sich der Flughafen Schwerin-Parchim, der am 1. Februar 2023 offiziell geschlossen wurde. Der zehn Kilometer östlich gelegene Flugplatz Pinnow wird hauptsächlich von der Sportluftfahrt genutzt. Von 1913 bis 1945 gab es den Flugplatz Schwerin-Görries. Er war: Von 1913 bis 1927 Landesflugplatz unter Verwaltung der „Mecklenburgischen Flugplatz-Gesellschaft Görries-Schwerin mbH“, ab 1932 Flughafen II. Ordnung und von 1935 bis 1945 ein Fliegerhorst der Luftwaffe der Wehrmacht. Auf dem Flugplatz wurden Piloten in Flugzeugführer- und Blindflugschulen ausgebildet. Der Schweriner See und der Ziegelsee zählen zu den Binnenwasserstraßen des Bundes. Von diesen bestehen schiffbare Verbindungen über die Stör, den Störkanal und die Elde in die Richtungen Müritz, Elbe und Nordsee. Schweriner Symbole auf Münzen, Briefmarken u. a. Persönlichkeiten Ehrenbürger (Auswahl) 1853: Friedrich Carl Wex, Direktor des Fridericianums 1876: Lewis Marcus, Advokat und Wortführer des liberalen Reformjudentums 1896: Heinrich von Stephan, Gründer des Weltpostvereins 1926: Otto Weltzien, Bürgermeister 1958: Clemens Meyer, Musiker, Musikwissenschaftler, Bratschist 1989: Carl Hinrichs, Maler 2000: Ludwig Bölkow, Industrieller 2002: Bertha Klingberg, Blumenfrau 2014: William Wolff, Landesrabbiner 2017: Brigitte Feldtmann, Mäzenin und Gründung der gemeinnützigen GmbH „Feldtmann Kulturell“ Weitere Persönlichkeiten Siehe auch Literatur nach Erscheinungsjahr, aufsteigend Schwerin Geschichte der Stadt in Wort und Bild - Manfred Krieck Deutscher Verlag der Wissenschaften Berlin 1985 Horst Ende / Wolfgang Bollnow, Schwerin: Gruß aus Schwerin Bildpostkarten um 1900, Berlin, Leipzig: Koehler & Amelang Verlagsgesellschaft mbH, 1. Auflage 1991 ISBN 3-7338-0068-0 Friedrich Schlie: Die Stadt Schwerin. In: Die Amtsgerichtsbezirke Wismar, Grevesmühlen, Rehna, Gadebusch und Schwerin (= Die Kunst- und Geschichts-Denkmäler des Grossherzogthums Mecklenburg-Schwerin. Band 2). Bärensprung’sche Hofbuchdruckerei, Schwerin 1896, S. 521–630. (Digitalisat im Internet Archive, abgerufen am 11. August 2018, auch als Reprint, Verlag Stock und Stein, Schwerin 1992, ISBN 3-910179-06-1). Wilhelm Jesse: Geschichte der Stadt Schwerin. Von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart. Bärensprung’sche Hofbuchdruckerei, Schwerin 1913/1920; Reprints der beiden Ausgaben als Band 1 und Band 2, Verlag Stock und Stein, Schwerin 1995, ISBN 3-910179-38-X. Walter Ohle und Horst Ende: Schwerin. 3., überarbeitete Auflage. Verlag Seemann, Leipzig 1994, ISBN 978-3-363-00367-3 (Kunstführer). Sabine Bock: Schwerin. Die Altstadt. Stadtplanung und Hausbestand im 20. Jahrhundert. Thomas Helms Verlag, Schwerin 1996, ISBN 978-3-931185-08-4. Bernd Kasten und Jens-Uwe Rost: Schwerin. Geschichte der Stadt. Thomas Helms Verlag, Schwerin 2005, ISBN 3-935749-38-4. Antje Sander, Bernd Kasten, Daniel Stracke: Schwerin. (= Deutscher Historischer Städteatlas. Nr. 2. Herausgegeben von Wilfried Ehbrecht, Peter Johanek und Jürgen Lafrenz). Ardey-Verlag, Münster 2007, ISBN 978-3-87023-273-3 (Mappe mit Reprints historischer Karten). Jörg-Peter Findeisen: Kleine Schweriner Stadtgeschichte. Pustet, Regensburg 2009, ISBN 978-3-7917-2225-2. Horst Ende/Ingrid Möller: Schwerin. Die Landeshauptstadt. Edition Temmen, Bremen 2015, ISBN 978-3-86108-403-7. Udo Brinker: Chronik der Stadt Schwerin. tinus-Produktionsbüro, 2011, ISBN 978-3-9814380-2-4. Dieter Greve: Schweriner Straßennamen. Ihre Herkunft und Bedeutung. Herausgegeben von der Landeshauptstadt Schwerin, Kataster- und Vermessungsamt, Schwerin 2014, ISBN 3-9805165-5-5. Fred Ruchhöft: Zvarin – Schwerin. Von der Inselburg zur Residenz. Herausgegeben von der Abteilung Landesarchäologie im Landesamt für Kultur und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern durch Detlef Jantzen, Schwerin 2017, ISBN 978-3-935770-52-1. Weblinks Offizielle Website der Landeshauptstadt Neue deutsche Städtebilder. Schwerin (1905), Berliner Tageblatt, 10. September 1905. Geschichte und Fotos von Stadt, Stadtteilen, historischen Gebäuden und Plätzen Schwerin auf stadtpanoramen.de Einzelnachweise Ort in Mecklenburg-Vorpommern Deutsche Landeshauptstadt Kreisfreie Stadt in Mecklenburg-Vorpommern Gemeinde in Mecklenburg-Vorpommern Ehemalige Kreisstadt in Mecklenburg-Vorpommern Ersterwähnung 1018 Deutscher Ortsname slawischer Herkunft
Q1709
124.779095
13822
https://de.wikipedia.org/wiki/Magnetresonanztomographie
Magnetresonanztomographie
Die Magnetresonanztomographie, abgekürzt MRT oder MR (als Tomographie von und ), ist ein bildgebendes Verfahren, das vor allem in der medizinischen Diagnostik zur Darstellung von Struktur und Funktion der Gewebe und Organe im Körper eingesetzt wird. Es basiert physikalisch auf den Prinzipien der Kernspinresonanz (), insbesondere der Feldgradienten-NMR, und wird daher auch als Kernspintomographie bezeichnet (umgangssprachlich gelegentlich zu Kernspin verkürzt). Die ebenfalls zu findende Abkürzung MRI stammt von der englischen Bezeichnung . Mit der MRT können Schnittbilder des menschlichen (oder tierischen) Körpers erzeugt werden, die eine Beurteilung der Organe und vieler krankhafter Organveränderungen erlauben. Sie basiert auf – in einem Magnetresonanztomographiesystem (Kurzform: Kernspintomograph, MRT-Gerät) erzeugten – sehr starken Magnetfeldern sowie magnetischen Wechselfeldern im Radiofrequenzbereich, mit denen bestimmte Atomkerne (meist die Wasserstoffkerne/Protonen) im Körper resonant angeregt werden, wodurch in einem Empfängerstromkreis ein elektrisches Signal induziert wird. Da somit das zu beobachtende Objekt „selbst strahlt“, unterliegt die MRT nicht dem physikalischen Gesetz zum Auflösungsvermögen optischer Instrumente, nach dem die Wellenlänge der verwendeten Strahlung umso kleiner sein muss, je höher die geforderte Auflösung ist. In der MRT können mit Wellenlängen im Meterbereich (energiearme Radiowellen) Objektpunkte im Submillimeterbereich aufgelöst werden. Die Helligkeit unterschiedlicher Gewebetypen im Bild wird durch deren Relaxationszeiten und den Gehalt von Wasserstoff-Atomen (Protonendichte) bestimmt. Welcher dieser Parameter den Bildkontrast dominiert, wird durch die Wahl der Pulssequenz beeinflusst. Im Gerät wird keine belastende Röntgenstrahlung oder andere ionisierende Strahlung erzeugt oder genutzt. Allerdings sind die Wirkungen der magnetischen Wechselfelder auf lebendes Gewebe nicht vollständig erforscht. Verfahren und Systeme Zahlreiche spezielle MRT-Verfahren wurden entwickelt, um außer Lage und Form der Organe auch Informationen über ihre Mikrostruktur und Funktion (besonders ihre Durchblutung) darstellen zu können, zum Beispiel: die Echtzeit-MRT zur filmischen Darstellung bewegter Gelenke oder Organe (z. B. Herz), die Magnetresonanzangiographie (MRA) zur Darstellung der Gefäße, die craniale Magnet-Resonanz-Tomographie zur Darstellung der Durchblutung im Gehirn, die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT oder fMRI) des Gehirns, die Perfusions-MRT zur Untersuchung der Gewebedurchblutung, die Diffusions- bzw. Diffusions-Tensor-Bildgebung (DTI) für eine virtuelle Rekonstruktion von Nervenfaserverbindungen, die MR-Elastographie. Nach der Bauform unterscheidet man geschlossene MRT-Systeme mit kurzem oder langem Tunnel und offene MRT-Systeme (oMRT) mit C-Arm oder seitlich geöffnetem Tunnel. Geschlossene Tunnelsysteme liefern vergleichsweise bessere Bilddaten, offene MRT-Systeme ermöglichen dagegen den Zugang zum Patienten unter MRT-Kontrolle. Ein weiteres Unterscheidungskriterium ist die Art der Magnetfelderzeugung. Für schwache magnetische Felder bis ca. 0,5 Tesla Flussdichte werden Permanentmagnete oder konventionelle Elektromagnete verwendet, für stärkere Felder dagegen supraleitende Magnetspulen. Historische Entwicklung Die 1945/46 sowohl von Felix Bloch als auch von Edward M. Purcell beschriebene spezifische magnetische Resonanz von Atomkernen mit magnetischem Dipolmoment war die Grundlage für das seit den 1950er Jahren auch in der Medizin verwendete Verfahren der Magnetresonanzspektroskopie. Die Magnetresonanztomographie wurde als bildgebende Methode von Paul C. Lauterbur im September 1971 erfunden; er veröffentlichte die Theorie zur Bildgebung im März 1973. Die Hauptparameter, die zum Bildkontrast beitragen (Unterschiede in den Relaxationszeiten von Geweben), waren bereits gut 20 Jahre vorher von Erik Odeblad beschrieben worden. Lauterbur hatte zwei grundlegende Ideen, die eine Bildgebung auf der Grundlage der Kernspinresonanz erst möglich machten. Erstens gelang es ihm mit Feldgradienten-NMR, d. h. mit der Einführung von magnetischen Gradientenfeldern in das konventionelle NMR-Experiment, die NMR-Signale bestimmten räumlichen Bereichen einer ausgedehnten Probe zuzuordnen (Ortskodierung). Zweitens schlug er ein Verfahren vor, bei dem durch Rotation des ortskodierenden Magnetfeldgradienten in aufeinanderfolgenden Experimenten unterschiedliche Ortskodierungen (Projektionen) des Untersuchungsobjektes erzielt wurden, aus denen anschließend mit Hilfe der gefilterten Rückprojektion () ein Abbild des Untersuchungsobjektes errechnet werden konnte. Sein 1973 publiziertes Ergebnis zeigt eine zweidimensionale Abbildung von zwei mit normalem Wasser gefüllten Röhrchen in einer Umgebung aus schwerem Wasser. Für eine praktische Nutzung dieser Entdeckung waren auch spezielle apparative Neuerungen erforderlich. Die Firma Bruker in Karlsruhe hatte Anfang der 1960er Jahre in einer Gruppe um die Physiker Bertold Knüttel und Manfred Holz „quarzgesteuerte“ NMR-Impulsspektrometer entwickelt, die z. B. von Peter Mansfield für grundlegende Experimente benutzt werden konnten. Mansfield entwickelte dann ab 1974 mathematische Verfahren, um die Signale schnell in Bildinformationen zu wandeln, sowie Techniken zur schichtselektiven Anregung. Weiterhin führte er 1977 die Verwendung extrem schneller Umschaltung der Gradienten ein (EPI = ). Dadurch wurde eine Bildgewinnung in deutlich unter einer Sekunde möglich („Schnappschuss-Technik“), die jedoch bis heute mit Abstrichen in der Bildqualität erkauft werden muss. Mansfield ist auch die Einführung magnetisch abgeschirmter Gradientenspulen zu verdanken. In seinen letzten aktiven Jahren suchte er nach Lösungen, um die erhebliche Lärmbelastung für die Patienten durch die extrem schnelle Gradientenumschaltung zu reduzieren. Weitere für die breite klinische Nutzung der Magnetresonanztomographie (MRT) wichtige Beiträge stammen aus deutschen Forschungslaboren. In Freiburg entwickelten Jürgen Hennig und Mitarbeiter zu Anfang der 1980er Jahre eine Variante der Spin-Echo MRT, die heute unter den Abkürzungen RARE (), FSE () oder TSE () bekannt ist. Sie findet wegen ihrer Sensitivität in Bezug auf pathologische Gewebestrukturen und ihrer messtechnischen Effizienz allgemeine Verwendung. 1985 gelang Axel Haase, Jens Frahm und Dieter Matthaei in Göttingen mit der Erfindung des Schnellbild-Verfahrens FLASH ein grundsätzlicher Durchbruch in der MRT. Die FLASH-Technik reduzierte die damaligen Messzeiten um bis zu zwei Größenordnungen (Faktor 100) ohne substanzielle Verluste an Bildqualität. Das Verfahren ermöglicht zudem ununterbrochene, sequentielle Messungen im dynamischen Gleichgewicht sowie völlig neue klinische Untersuchungen wie beispielsweise Aufnahmen aus dem Bauchraum bei angehaltenem Atem, dynamische Aufnahmen von mit dem EKG synchronisierten Herzfilmen, dreidimensionale Aufnahmen komplexer anatomischer Strukturen, Gefäßdarstellungen mit der MR-Angiographie und heute auch funktionelle Kartierungen des Cortex mit besonders hoher Auflösung. Damit war ab Mitte der 1980er Jahre der Weg frei für eine breite, vor allem klinische Anwendung der MRT in der medizinischen Diagnostik. Umstritten ist der Beitrag von Raymond Damadian, der 1974 ein US-Patent zur Anwendung der NMR für die Krebsdiagnostik anmeldete und 1976 damit ein Malignom bei einer Maus darstellen konnte. 1977 erstellte Damadian dann ein Kernspinbild eines menschlichen Thorax im Querschnitt. Das Patent beschrieb zwar keine Methode zur Bildgebung, sondern nur eine Punktmessung, dennoch erstritt Damadian mit einem anderen Patent (Mehrschicht-Mehrwinkel-Messungen z. B. für MRT-Untersuchungen der Wirbelsäule) über 100 Millionen US-Dollar von den verschiedenen Herstellern von Magnetresonanztomographen. Sein ursprünglicher NMR-Scanner, der keine Bilder erzeugte, wurde klinisch nie eingesetzt, und auch seine damit angeblich gefundene Krebsnachweismethode ist nicht frei von Zweifeln. Sie beruht auf Differenzen in den NMR-Relaxationszeiten von gesundem Gewebe und Tumor-Gewebe. Diese von Damadian bereits 1971 publizierte Beobachtung (mittels der Magnetresonanzspektroskopie) wurde zwar grundsätzlich bestätigt, musste allerdings später dahin gehend relativiert werden, dass die Unterschiede nicht durchgehend zutreffen. Abweichende Relaxationszeiten des Gewebes sind weder notwendig noch hinreichend für das Vorhandensein von Tumorgewebe beim Probanden. Damadian wurde bei der Verleihung des Nobelpreises für die bildgebende Kernspinresonanz 2003 nicht berücksichtigt, wogegen er öffentlich heftig protestierte. Physik Kurzfassung Dieser Abschnitt beschreibt das Prinzip der MRT stark vereinfacht und nicht vollständig. Für eine präzisere Beschreibung siehe die nächsten Abschnitte. Das Verfahren beruht darauf, dass die Atomkerne im untersuchten Gewebe durch eine Kombination von statischen und hochfrequenten magnetischen Feldern gezielt phasensynchron zu einer bestimmten Bewegung angeregt werden und dann ein messbares Signal in Form einer Wechselspannung abgeben, bis die Bewegung abgeklungen ist. Diese Bewegung heißt Larmorpräzession und ist mechanisch analog an einem Spielzeugkreisel zu beobachten, wenn seine Drehachse nicht senkrecht steht, sondern um die Senkrechte herum eine Präzession vollführt (s. Abb. rechts). Sowohl zur Anregung als auch zur Beobachtung des Signals ist eine Resonanzbedingung zu erfüllen, mit deren Hilfe es mittels inhomogener statischer Magnetfelder möglich ist, den Ort der präzedierenden Kerne zu ermitteln. Einige Atomkerne (wie etwa die Wasserstoffkerne) in den Molekülen des zu untersuchenden Gewebes besitzen einen Eigendrehimpuls (Kernspin) und sind dadurch magnetisch. Diese Kerne erzeugen nach dem Anlegen eines starken statischen Magnetfeldes eine kleine longitudinale Magnetisierung in Richtung des statischen Feldes (Paramagnetismus). Durch ein kurzzeitig angelegtes zusätzliches hochfrequentes Wechselfeld im Radiofrequenzbereich lässt sich diese Magnetisierung aus der Richtung des statischen Feldes auslenken (kippen), also teilweise oder ganz (Sättigung) in eine transversale Magnetisierung umwandeln. Die transversale Magnetisierung beginnt sofort um die Feldrichtung des statischen Magnetfeldes zu präzedieren, d. h. die Magnetisierungsrichtung rotiert (siehe Abbildung zur Präzession). Diese Präzessionsbewegung der Gewebemagnetisierung induziert wie die Rotation des Magneten im Dynamo in einer Spule (Empfängerstromkreis) eine elektrische Spannung und kann damit nachgewiesen werden. Ihre Amplitude ist proportional zur transversalen Magnetisierung. Nach Abschalten des hochfrequenten Wechselfeldes nimmt die transversale Magnetisierung (wieder) ab, die Spins richten sich also wieder parallel zum statischen Magnetfeld aus. Für diese sogenannte Relaxation benötigen sie eine charakteristische Abklingzeit. Diese ist von der chemischen Verbindung und der molekularen Umgebung abhängig, in der sich der präzedierende Wasserstoffkern befindet. Daher unterscheiden sich die verschiedenen Gewebearten charakteristisch in ihrem Signal, was zu verschiedenen Signalstärken (Helligkeiten) im resultierenden Bild führt. Grundlagen Die physikalische Grundlage der Magnetresonanztomographie (MRT) bildet die Kernspinresonanz (engl. , NMR). Hier nutzt man die Tatsache, dass die Atomkerne von Wasserstoff (Protonen) einen Eigendrehimpuls (Spin) und damit verknüpft ein magnetisches Dipolmoment besitzen. Auch manche anderen Atomkerne haben Spin und erhalten dadurch ein magnetisches Moment. (Ein Atomkern kann vom Standpunkt der klassischen Physik aus vereinfacht als ein Kugelkreisel mit einem Drehimpuls und einem magnetischen Dipolmoment angesehen werden, wobei die Ursache seines Drehimpulses klassisch jedoch nicht korrekt beschrieben werden kann.) Wird ein solcher Kern in ein statisches magnetisches Feld gebracht, so ist seine Energie am niedrigsten, wenn das magnetische Dipolmoment zum Feld parallel ausgerichtet ist. Auf alle anderen Atomkerne wirkt ein Drehmoment, das die Richtung des magnetischen Moments in die Richtung des Magnetfeldes zu drehen versucht. Wegen des Eigendrehimpulses des Atomkerns und der Drehimpulserhaltung resultiert daraus die Präzessionsbewegung, d. h. die Drehimpulsorientierung des Kerns dreht sich ohne Änderung des Anstellwinkels um die Richtung des angelegten Magnetfeldes. Durch die thermische Energie der Kerne bei normalen Temperaturen sind die Dipolmomente fast vollständig zufällig (isotrop) ausgerichtet; es gibt nur einen sehr kleinen Überschuss von Atomkernen (entsprechend der Boltzmann-Verteilung), deren Dipolmomente in Richtung des statischen Magnetfeldes ausgerichtet sind. Nur dieser geringe Überschuss bewirkt die außen messbare Magnetisierung in Richtung des äußeren statischen Feldes (die Longitudinalmagnetisierung in Longitudinalrichtung). Die Präzessionsbewegung der Kernspins erfolgt mit der Larmorfrequenz. Sie hängt von der Stärke des äußeren Magnetfeldes und vom betrachteten Kern ab, für Protonen bei 1 Tesla ist sie 42,58 MHz, also im UKW-Radiowellenbereich. Ein hochfrequentes Zusatzfeld, das orthogonal zum statischen Magnetfeld , also in der Transversalebene, schwingt und dessen Frequenz mit der Larmorfrequenz in Resonanz ist, lenkt alle Kerne phasensynchron aus ihrer aktuellen Lage zum statischen Feld aus. Die makroskopische Magnetisierung wird aus der Richtung des statischen Feldes gekippt, es entsteht eine Transversalmagnetisierung, die bei richtiger Einwirkungsdauer des Wechselfelds maximal gerade gleich der ursprünglichen Longitudinalmagnetisierung sein kann (Sättigung). In einer Messspule wird durch die rotierende Transversalmagnetisierung eine Wechselspannung induziert. Ihre Frequenz ist die Larmorfrequenz, die bei einem statischen Gradientenfeld vom Ort abhängt, ihre Amplitude gibt die Stärke der Transversalmagnetisierung an, die ihrerseits von der genauen Folge (Sequenz) von Pulsen, vom Ort und vom Gewebetyp abhängig ist. Das Ziel der MR-Tomographie ist die Erzeugung von Schichtbildern (beliebiger Orientierung) der räumlichen Verteilung der Transversalmagnetisierung . Spin-Gitter-Relaxation (Längsrelaxation T1) Ist durch ein magnetisches Wechselfeld der richtigen Frequenz, Stärke und Dauer die Magnetisierung so aus der Longitudinalrichtung (z-Richtung) gekippt worden, dass sie in der xy-Ebene präzediert, hat die longitudinale Magnetisierung zunächst den Wert Null. Stellt man dann das Wechselfeld ab, beginnt sich der Gleichgewichtszustand mit ausschließlich longitudinaler Magnetisierung, also geringerer Energie, wieder aufzubauen. Ursache dieser Spin-Gitter-Relaxation ist die Einwirkung fluktuierender Störfelder auf die Momente der einzelnen Kerne, die durch benachbarte Atome hervorgerufen werden, die ihrerseits im thermischen Gleichgewicht mit der weiteren Umgebung stehen, die aus historischen Gründen als „Gitter“ bezeichnet wird. D. h., die Magnetisierung richtet sich wieder entlang des statischen Feldes aus, die Energie geht von den Kernen über die Atome ins Gitter. Diese Ausrichtung erfolgt exponentiell: , wobei die Stärke der Magnetisierung in Richtung von im Gleichgewichtszustand ist. Die Konstante gibt an, in welchem Zustand außerhalb des Gleichgewichts sich das System zu Beginn des Relaxationsprozesses befindet (z. B. : Sättigung, : Inversion). Die Zeit, bis die z-Komponente ca. 63 % ihres Ausgangswertes wieder erreicht hat, nennt man Spin-Gitter-Relaxationszeit oder auch -Zeit. Die -Zeiten in reinen, niedrigviskosen Flüssigkeiten wie z. B. Wasser liegen meist im Bereich von einigen Sekunden. Flüssigkeiten mit höherer Viskosität (z. B. Öle) oder Wasser in strukturierten Systemen wie z. B. Gelen, porösen Materialien oder Gewebe weisen im Allgemeinen kürzere -Zeiten auf. In hoch geordneten Festkörpern werden hingegen sehr lange Relaxationszeiten gefunden, die eventuell im Bereich von Stunden liegen können. Solche Materialien spielen jedoch wegen der kurzen -Zeiten in Festkörpern für die konventionelle Magnetresonanz-Tomographie keine Rolle. Typische Werte für im menschlichen Gewebe liegen zwischen einigen Sekunden für Körperflüssigkeiten wie Blut oder Hirnwasser (Liquor) und ca. 100 ms für Körperfett (beispielsweise beträgt die -Zeit von Liquor bei 1,5 Tesla etwa 4 Sekunden, die -Zeit der grauen Hirnsubstanz ungefähr 1,2 Sekunden). Spin-Spin-Relaxation (Querrelaxationzeit T2) Die Quermagnetisierung eines Spin-Ensembles zerfällt nun, ähnlich wie die -Komponente steigt, durch Wechselwirkung mit benachbarten Atomen. Hier ist es allerdings die sog. Spin-Spin-Wechselwirkung, die für die Dephasierung verantwortlich ist. Der Zerfall lässt sich wieder durch eine Exponentialfunktion darstellen, jedoch mit einer anderen Zeitkonstante : . Oft nimmt die Quermagnetisierung in der xy-Ebene viel schneller ab, als durch die Spin-Spin-Wechselwirkung erklärbar ist. Die Ursache liegt darin, dass bei einer MR-Aufnahme über ein Volumenelement gemittelt wird, in dem das äußere Magnetfeld nicht konstant (sondern inhomogen) ist. Nach Wegnahme des HF-Signals verschieben sich die Phasen der Präzessionsbewegung der Kerne untereinander, und die xy-Komponenten der einzelnen Kernspins laufen auseinander. Messsequenz, Ortskodierung, Bildaufbau Zum besseren Verständnis wird hier das Prinzip der grundlegenden (1950 von Erwin Hahn erfundenen) Spinecho-Sequenz kurz skizziert. Eine „Sequenz“ (auch „Pulssequenz“) ist in diesem Zusammenhang eine Abfolge von Hochfrequenz- und magnetischen Gradientenfeldern, die vielfach in jeder Sekunde in vorgegebener Reihenfolge ein- und ausgeschaltet werden. Zu Beginn steht ein Hochfrequenzimpuls der passenden Frequenz (Larmor-Frequenz), der sogenannte 90°-Anregungsimpuls. Durch diesen wird die Magnetisierung um 90° quer zum äußeren Magnetfeld ausgelenkt. Sie beginnt um die ursprüngliche Achse zu kreisen. Wie bei einem Kreisel, welcher angestoßen wird, nennt man diese Bewegung Präzession. Das dabei entstehende Hochfrequenzsignal kann außerhalb des Körpers gemessen werden. Es nimmt exponentiell ab, weil die Protonenspins aus dem „Takt“ geraten („dephasieren“) und sich zunehmend destruktiv überlagern. Die Zeit, nach der 63 % des Signals zerfallen sind, nennt man -Relaxationszeit (Spin-Spin-Relaxation). Diese Zeit hängt von der chemischen Umgebung des Wasserstoffs ab; sie ist für jede Gewebsart unterschiedlich. Tumorgewebe hat z. B. meist eine längere -Zeit als normales Muskelgewebe. Eine -gewichtete Messung stellt den Tumor darum heller als seine Umgebung dar. Durch einen geeigneten 180°-Rephasierungs-Hochfrequenzimpuls kann man bewirken, dass ein Teil der Dephasierung (-Dephasierung durch zeitlich unveränderliche Magnetfeldinhomogenitäten) zum Zeitpunkt der Messung wieder rückgängig gemacht wird, so dass wieder mehr Spins in der gleichen Phase sind. Die Signalstärke hängt dann nicht von der -Relaxationszeit ab, sondern nur noch von der -Relaxationszeit, die auf nicht-reversiblen Effekten beruht. Abhängig von den Sequenz-Parametern kann das Signal darüber hinaus auch von der sogenannten -Relaxationszeit (Spin-Gitter-Relaxation) abhängen, die ein Maß für die Geschwindigkeit ist, mit der sich die ursprüngliche Längsausrichtung der Spins zum äußeren Magnetfeld wieder einstellt. Die -Zeit ist ebenfalls gewebespezifisch, aber in der Regel deutlich (5× bis 20×) länger als die -Zeit. Die -Zeit von Wasser beträgt z. B. 2,5 Sekunden. -gewichtete Messsequenzen erlauben wegen des stärkeren Signals eine bessere Ortsauflösung, aber einen geringeren Gewebekontrast als -gewichtete Bilder. Um eine -gewichtete Aufnahme zu erhalten, setzt man den Rephasierungsimpuls relativ spät, so dass die Spin-Spin-Relaxation Zeit hat, sich auszuwirken; man spricht von einer langen Echozeit TE. Auch der zeitliche Abstand bis zur nächsten Messung ist sehr lang, damit die Spin-Gitter-Relaxation in allen Geweben ebenfalls vollständig ablaufen kann und die Folgemessung überall wieder voll anregen kann. Man spricht von einer langen Repetitionszeit TR. Mit langer TE und langer TR bekommt man helles Signal nur von Geweben mit langer -Zeit. Für eine -Wichtung braucht man umgekehrt kurze TE und kurze TR, dann überwiegen die unterschiedlichen Spin-Gitter-Relaxationen verschiedener Gewebe im Bildkontrast. Eine Sequenz mit kurzer TE und langer TR erzeugt einen Kontrast, der sich nur nach der Konzentration der Protonen im Gewebe richtet, die praktisch der Anzahl der Wasserstoffatome entspricht. Diese sogenannten Proton density (PD)-gewichteten Aufnahmen haben einen flauen Kontrast, aber eine hohe Ortsauflösung. Es gibt zahlreiche Weiterentwicklungen dieser einfachen Spinecho-Sequenzen, etwa zur Beschleunigung, oder mit Unterdrückung des Fettgewebesignals. Eine klinische MRT-Untersuchung umfasst unterschiedlich gewichtete Bildserien und mehrere räumlichen Ebenen. Um die Signale den einzelnen Volumenelementen (Voxeln) zuordnen zu können, wird mit linear ortsabhängigen Magnetfeldern (Gradientenfeldern) eine Ortskodierung erzeugt. Dabei wird ausgenutzt, dass für ein bestimmtes Teilchen die Larmorfrequenz von der magnetischen Flussdichte abhängt (je stärker der Feldanteil rechtwinklig zur Richtung des Teilchendrehimpulses, desto höher die Larmorfrequenz): Ein Gradient liegt bei der Anregung an und stellt sicher, dass nur eine einzelne Schicht des Körpers die passende Larmorfrequenz besitzt, also nur die Spins dieser Schicht ausgelenkt werden (Schichtselektionsgradient). Ein zweiter Gradient quer zum ersten wird nach der Anregung kurz eingeschaltet und bewirkt eine kontrollierte Dephasierung der Spins dergestalt, dass die Spins in jeder Bildzeile unterschiedlich schnell dephasieren, was das Summensignal schwächt (Phasenkodiergradient). Diese Messung wird mit inkrementell veränderter Gradientenstärke so oft wiederholt, wie Bildzeilen berechnet werden sollen. Die Signalschwächung durch Dephasierung verändert sich abhängig von der Position der sendenden Spins entlang des Gradienten. Der dritte Gradient wird während der Messung rechtwinklig zu den beiden anderen geschaltet; er sorgt dafür, dass die Spins jeder Bildspalte eine andere Präzessionsgeschwindigkeit haben, also eine andere Larmorfrequenz senden (Auslesegradient, Frequenzkodiergradient). Die Messungen werden zeilenweise in eine Matrix („k-Raum“) eingetragen. Der k-Raum enthält in der Horizontalen also das Summensignal der horizontalen Ortsfrequenzen, und in der Vertikalen die Summe der vertikalen Ortsfrequenzen. Mit einer zweidimensionalen Fourier-Transformation werden die Beiträge der einzelnen Frequenzen getrennt, d. h. für jedes Voxel die Signalstärke ermittelt. Alle drei Gradienten zusammen bewirken eine Kodierung des Signals in drei Raumebenen. Das empfangene Signal gehört zu einer bestimmten Schicht des Körpers und enthält eine Kombination aus Frequenz- und Phasenkodierung, die der Computer mit einer inversen Fourier-Transformation in ein zweidimensionales Bild umrechnen kann. Verwendete magnetische Flussdichten Die magnetische Flussdichte wirkt sich unmittelbar auf die Signalqualität der gemessenen Daten aus, da das Signal-Rausch-Verhältnis ungefähr proportional zur Flussdichte ist. Deshalb gibt es seit den Anfängen der MRT einen Trend zu immer höheren Flussdichten, der den Einsatz tiefgekühlter supraleitender Spulen für die Erzeugung der Magnetfelder erfordert. Dadurch steigen die Kosten und der technische Aufwand bei höheren Flussdichten deutlich an. Besonders bei supraleitenden Spulen mit großen Öffnungen für die Untersuchung von Menschen kann die Homogenität des Magnetfelds abnehmen. Niederfeldgeräte mit 0,1–1,0 T (Tesla) sind heute mit Permanentmagneten betrieben als Laborgeräte für technische oder Kleintieruntersuchungen im Einsatz. Bei Kryo-Elektromagneten in der Humanmedizin liegt die Flussdichte für diagnostische Zwecke heute üblicherweise bei 1,5 T bis 3,0 T. Werden 3 T überschritten, dürfen die Patienten oder Probanden nur sehr langsam in den Bereich der supraleitenden Spule gefahren werden, da es infolge der entstehenden Wirbelströme im Gehirn sonst zu Blitzerscheinungen, Schwindel und Übelkeit kommen kann. Etwa seit 2005 werden mit 7 Tesla höhere Flussdichten (Ultrahochfeld-Systeme) in der Humanmedizin erforscht. Seit 2017 sind diese Systeme für routinemäßige klinische Untersuchungen zugelassen. Sie werden inzwischen in der medizinischen Praxis mehr und mehr genutzt. So können Erkrankungen des Gehirns, wie zum Beispiel die läsionale fokale Epilepsie sichtbar gemacht werden. An folgenden Institutionen wurden seit 2005 höhere Flussdichten als 3 Tesla eingeführt und erforscht: das Leibniz-Institut für Neurobiologie (IfN) in Magdeburg (7-Tesla-Gerät für Kopfuntersuchungen, seit 2005; 4,7-Tesla-System für Untersuchungen an Kleintieren, seit 2018) das Erwin L. Hahn Institut für Magnetresonanz der Universitäten Duisburg-Essen und Radboud (Nijmegen) (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, seit 2006) das Institute for Biomedical Engineering (IBT) der ETH Zürich (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, seit 2006) das Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik in Tübingen (9,4-Tesla-System für Kopfuntersuchungen, seit 2007; 14,1-Tesla-System für Untersuchungen an Kleintieren) das Allgemeine Krankenhaus der Stadt Wien als Teil der Medizinischen Universität Wien (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, seit 2008) das Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (7-Tesla-Gerät für Kopfuntersuchungen, seit 2008) das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, seit 2008) das Max-Delbrück-Centrum für Molekulare Medizin in Berlin (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, Nutzbarkeit von 2009 an) das Forschungszentrum Jülich (9,4-Tesla-MR-PET-Hybridsystem für Kopfuntersuchungen, von April 2009 bis Anfang 2014) das Universitätsklinikum Erlangen gemeinsam mit der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und Siemens Healthcare (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, seit 2015) das Universitätsklinikum Würzburg (Deutsches Zentrum für Herzinsuffizienz) (7-Tesla-Ganzkörper-MRT, seit 2017) das Universitätsklinikum Bonn (Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) Bonn)(7-Tesla-MRT für Kopfuntersuchungen, seit 2016) Supraleitende Magnete bleiben bei einem Stromausfall stromführend und magnetisch, wodurch in einem Notfall (Gebäudebrand o. ä.) Rettungskräfte in Gefahr kommen können, indem ferromagnetische Ausrüstungsteile (Atemluftflaschen, …) in die Geräteöffnung gezogen werden. Deswegen werden die Magnete bei der Auslösung eines Feueralarms automatisch gequencht, indem eine dafür vorgesehene Stelle der Spule durch Erwärmen normalleitend gemacht wird, woraufhin sich der Magnet über einen überbrückenden Lastwiderstand kontrolliert entlädt. Experimentalsysteme In der physikalischen, chemischen und biomedizinischen Forschung sind Hochfeldgeräte für Proben und Kleintiere mit bis zu 21 T üblich. Die Öffnung dieser Geräte ist mit einem Durchmesser von wenigen Zentimetern aber wesentlich kleiner als die der zuvor genannten Systeme. Mit solchen Hochfeldtomographen können z. B. Altersbestimmungen von Objekten durchgeführt werden, die chemisch oder radiologisch nicht möglich sind. Bildbeurteilung Die Signalstärke der Voxel wird in Grauwerten kodiert abgebildet. Da sie von zahlreichen Parametern abhängt (etwa der Magnetfeldstärke), gibt es keine Normwerte für das Signal bestimmter Gewebe und keine definierte Einheit, vergleichbar den Hounsfield-Units bei der Computertomographie. Die MR-Konsole zeigt nur arbiträre (willkürliche) Einheiten an, die diagnostisch nicht unmittelbar verwertbar sind. Die Bildinterpretation stützt sich stattdessen auf den Gesamtkontrast, die jeweilige Gewichtung (synonym Wichtung) der Messsequenz und die Signalunterschiede zwischen bekannten und unbekannten Geweben. Im Befund wird deshalb bei der Beschreibung einer Läsion nicht von „hell“ oder „dunkel“ gesprochen, sondern von hyperintens für signalreich, hell und von hypointens für signalarm, dunkel. Je nach Gewichtung kommen die verschiedenen Gewebe in charakteristischer Intensitätsverteilung zur Darstellung: In der T1-Gewichtung erscheint Fettgewebe hyperintens (signalreich, hell) und damit auch fetthaltige/-reiche Gewebe (z. B. Knochenmark). Diese Gewichtung eignet sich daher gut zur anatomischen Darstellung von Organstrukturen und insbesondere nach Kontrastmittelgabe (Gadolinium) zur besseren Abgrenzbarkeit unbekannter Strukturen (z. B. Tumor). In der T2-Gewichtung erscheinen stationäre Flüssigkeiten hyperintens, so dass flüssigkeitsgefüllte Strukturen (z. B. Liquorräume) signalreich und damit hell erscheinen. Dadurch eignet sich diese Gewichtung zur Darstellung von Ergussbildungen und Ödemen sowie z. B. zur Abgrenzung von Zysten gegenüber soliden Tumoren. Bei Röntgenbildern, insbesondere bei der speziellen Röntgentechnik der Computertomographie (CT), werden im Gegensatz dazu die Begriffe hyperdens und hypodens zur Beschreibung des relativen Schwärzungsgrads benutzt. Protonengewichtete Bilder sind flau, aber scharf. Knorpel kann sehr detailliert beurteilt werden. In Verbindung mit einem Fettsättigungsimpuls gehören PD-Bilder deshalb zum Standard in Gelenkuntersuchungen. In der voxelbasierten Morphometrie werden MR-Bilder algorithmisch weiterverarbeitet, um daraus objektive Parameter zu ermitteln und statistisch zu analysieren. Diese Verfahren kommen insbesondere zum Einsatz, um bei der Untersuchung des menschlichen Gehirns die Größe bestimmter Hirnstrukturen zu erfassen. Eigenschaften Vorteile der Magnetresonanztomographie Ein Vorteil der MRT gegenüber anderen bildgebenden Verfahren ist der bessere Weichteilkontrast. Er resultiert aus der Verschiedenheit des Fett- und Wassergehaltes unterschiedlicher Gewebearten. Dabei kommt das Verfahren ohne schädliche ionisierende Strahlung aus. Eine weitere Verbesserung ergibt sich durch zwei Aufnahmeserien, ohne und mit Gabe von Kontrastmitteln, so werden z. B. durch eine intensivere Weißfärbung Entzündungsherde oder auch vitales Tumorgewebe besser erkannt. Neue, schnellere Aufnahmeverfahren ermöglichen das Scannen einzelner Schnittbilder in Bruchteilen einer Sekunde und liefern auf diese Weise eine wirkliche Echtzeit-MRT, die die bisherigen Versuche in Anlehnung an die konventionelle Fluoroskopie ersetzen. Somit können beispielsweise Bewegungen von Organen dargestellt oder die Position medizinischer Instrumente während eines Eingriffs überwacht werden (interventionelle Radiologie). Zur Abbildung des schlagenden Herzens (Abbildung rechts) werden bisher mit einem EKG synchronisierte Messungen benutzt, wobei Daten aus mehreren Herzzyklen zu vollständigen Bildern kombiniert werden. Neuere Ansätze für die Echtzeit-MRT versprechen dagegen eine direkte Herzbildgebung ohne EKG-Synchronisation sowie bei freier Atmung mit einer zeitlichen Auflösung von bis zu 20 Millisekunden. Wesentlich ist auch die fehlende Strahlenbelastung, weshalb diese Methode bei Untersuchungen von Säuglingen und Kindern sowie während der Schwangerschaft gegenüber der CT bevorzugt angewandt wird. Nachteile der MRT Die Auflösung ist bei klinischen Standardsystemen durch technische Gegebenheiten, insbesondere die begrenzte Feldstärke, auf etwa einen Millimeter begrenzt. Im Forschungsbereich können räumliche Auflösungen von unter 0,02 mm erreicht werden. Bestimmte Metalle wie ferromagnetische Metalle am oder im Körper können Nebenwirkungen und Bildstörungen verursachen. Vorhandene metallische Fremdkörper (z. B. Eisensplitter im Auge oder Gehirn) können durch Verlagerung oder Erwärmung während der Untersuchung sogar gefährlich werden, so dass eine Kernspin-Untersuchung bei solchen Patienten kontraindiziert sein kann. Metallimplantate aus Titan und selbst Stahllegierungen sind abhängig von der Zusammensetzung para- oder diamagnetisch und stellen damit in der Regel kein Problem in der MRT dar. Für MRTs von 1,5 Tesla ist bekannt, dass sie sicher für Amalgamfüllungen sind. Allerdings zeigten türkische Wissenschaftler 2013, dass neuere MRTs mit Feldstärken von 3 und mehr Tesla nicht völlig frei von Auswirkungen auf die Randundichtigkeiten von Amalgamfüllungen sind. Elektrische Geräte können im Magneten beschädigt werden. Träger eines älteren Herzschrittmachers und ähnlicher Geräte durften daher bisher nicht untersucht werden. Spezielle Geräte bieten aber die Möglichkeit einer Untersuchung bis üblicherweise 1,5 Tesla, nachdem diese in einen speziellen MRT-Modus geschaltet wurden. Cochleäre Implantate oder ähnliche magnetversorgte Hörimplantate können nur mit Einschränkungen der Feldstärke und bestimmter Sequenzen genutzt werden. Die Hersteller dieser Geräte geben MRT-Zulassungen ihrer Implantate aus. Teilweise dürfen Patienten nach operativer Entfernung des Implantatmagneten mit bis zu 3 Tesla untersucht werden. Mögliche Komplikationen sind Entmagnetisierung und Dislokation des Implantatmagneten, Wechselwirkungen mit dem Implantatschaltkreis und Artefakte im MRT-Bild. Eine MRT-Untersuchung sollte nur mit strenger Indikation erfolgen und jedes Mal eine Einzelfallentscheidung des durchführenden Radiologen sein. Schnell bewegte Organe wie das Herz lassen sich mit den meisten üblichen Geräten nur mit eingeschränkter Qualität darstellen oder erfordern eine Bewegungskompensation durch zeitliche Mehrfachabtastung. Mit Multikanalsystemen und HF-Empfangsspulen mit zahlreichen parallelbetriebenen Spulenelementen sind diese Untersuchungen durch Verfahren wie die parallele Bildgebung jedoch möglich und halten mehr und mehr Einzug in die klinische Routinediagnostik. Die Untersuchung ist im Vergleich zu anderen bildgebenden Verfahren oft zeitaufwendiger. Der Kalkgehalt knöcherner Strukturen kann aufgrund der verwendeten Felddichten unter Routinebedingungen nicht quantifiziert werden, da Knochengewebe wenig Wasser und wenig Fett enthält. Knochenerkrankungen, wie z. B. Entzündungen oder Tumoren, sind hingegen aufgrund der gesteigerten Durchblutung und des damit verbundenen Wassergehalts oft besser zu erkennen als mit Röntgen- bzw. Computertomographie-Untersuchungen. Sehr selten kann eine allergische Reaktion auf das Kontrastmittel auftreten, wobei MR-Kontrastmittel in der Regel wesentlich besser vertragen werden als jodhaltige Röntgen-Kontrastmittel. Neuerdings werden allerdings vereinzelt kontrastmittelinduzierte nephrogene systemische Fibrosen beobachtet. Durch die extrem schnelle Umschaltung der Ströme in den Gradientenspulen kommt es während der Aufnahme mitunter zu lauten Geräuschen. Die Gradientenspulen befinden sich im statischen Magnetfeld und deren Stromleiter werden aufgrund der Lorentzkraft zu Vibrationen angeregt. Je nach gewählter Sequenz ist ein intermittierendes Zirpen, Klopfen, Summen, Rattern oder Sägen zu hören; die Wiederholungsfrequenzen der Bildgewinnung können bis in den kHz-Bereich reichen. Es muss daher bei jeder Messung auf ausreichenden Gehörschutz des Patienten geachtet werden. Zwar wächst die Lorentzkraft mit der Feldstärke, jedoch haben die Sequenzparameter (v. a. räumliche Auflösung) einen deutlich größeren Einfluss auf die Lautstärke während der Messung. Der hohe Stromverbrauch für die Direktkühlung, die Klimaanlage und die Lüftungsanlage. Dieser liegt im Betrieb bei 40–100 Kilowatt und im Standby bzw. Bereitschaftsbetrieb bei etwa 10 kW, da einige Komponenten, wie z. B. die Vakuumpumpe, die Kühlung der supraleitenden Spule und Teile der Steuerelektronik auch bei Nichtbenutzung der Anlage nicht abgeschaltet werden dürfen, um die Supraleitung zu erhalten. Durch den geringen Durchmesser der Röhre, in die der Patient gefahren wird, kann es zu Beklemmungs- und Angstgefühlen kommen. Mittlerweile gibt es jedoch auch Geräte mit einer etwas größeren Tunnelöffnung von 75 cm (statt 60 cm). Außerdem gibt es spezielle "offene MRT-Geräte", die zwar eine etwas schlechtere Feldhomogenität aufweisen, dafür aber auch dem Arzt Zugriff gewähren, beispielsweise für MRT-geführte Biopsien. Artefakte Im Vergleich zur Computertomographie treten Artefakte (Bildstörungen) häufiger auf und stören die Bildqualität meist mehr. Typische MRT-Artefakte sind: Bewegungs- und Flussartefakte Rückfaltungsartefakte (Objekt liegt außerhalb des Sichtfelds (, FOV), jedoch noch innerhalb der Empfangsspule) Chemical-Shift-Artefakte (durch unterschiedliche Präzessionsfrequenzen der Fett- und Wasserprotonen) Auslöschungs- und Verzerrungsartefakte (durch lokale Magnetfeldinhomogenitäten), sog. Suszeptibilitätsartefakte (diese können aber auch ausgenutzt werden, um z. B. Blutungen im Gehirn zu diagnostizieren) Kantenartefakte (im Bereich von Gewebeübergängen mit stark unterschiedlichem Signal) Linienartefakte (Hochfrequenzlecks) Artefakte durch externe Störquellen im Raum wie z. B. Perfusoren und Narkosegeräte älterer Bauart (auch wenn diese relativ weit vom Magneten entfernt sind); sie stellen sich häufig als Streifen in Phasenkodierrichtung dar Artefakte infolge von Funkübertragungsgeräten, z. B. 433-MHz-Sender des ISM-Bandes und Bluetooth-Geräte Kontraindikationen Herzschrittmacher und Defibrillator- sowie THS-Systeme können durch die Untersuchung beschädigt werden oder durch Wechselwirkungen mit den magnetischen Feldern des MRTs zur Schädigung des Patienten führen. So können sich die Kontaktflächen der implantierten Elektroden erwärmen, magnetische Teile des Implantats könnten sich bewegen oder das System kann gänzlich in seiner Funktion gestört werden. Einige Hersteller solcher Implantate haben mittlerweile bedingt MRT-taugliche Systeme entwickelt, die in der Europäischen Union, den USA und Japan zugelassen wurden und die teilweise vorübergehend in einen speziellen MRT-Modus versetzt werden können. Viele Schrittmacher und ICD-Systeme werden heute in kontrollierten klinischen Studien beobachtet. Metallsplitter oder Gefäßclips aus ferromagnetischem Material in ungünstiger Lage (z. B. im Auge oder im Gehirn) Temporärer Cava-Filter Während eine Kernspintomografie auch während der Schwangerschaft unbedenklich ist, führt die Gabe von Gadolinium-haltigem Kontrastmittel zu einer deutlich erhöhten Todesrate des Neugeborenen bei oder nach der Geburt mit einer Hazard ratio (HR) von 3,7 und zu einer erhöhten Wahrscheinlichkeit rheumatologischer, inflammatorischer und dermatologischer Erkrankungen mit einer Hazard Ratio von 1,36. Daher sollte in der Schwangerschaft bei der Kernspintomografie kein Kontrastmittel eingesetzt werden. Hingegen ist die Kernspintomografie ohne Kontrastmittel-Einsatz nicht mit einem erhöhten Risiko für das Ungeborene verbunden. Bei einer kanadischen retrospektiven Kohortenstudie mit über 1,4 Millionen Kindern, die bis zu ihrem 4. Lebensjahr nachverfolgt wurden, zeigte sich bei einer Kernspintomografie kein signifikant erhöhtes Risiko, auch nicht für kongenitale Anomalien, Tumoren oder Seh- oder Hörverlust bei Kernspintomografie im ersten Trimenon, das für Teratogene besonders sensibel ist. Cochleaimplantat (Bei manchen Cochleaimplantaten ist ein MRT unter Befolgung genauester Anweisungen des Herstellers des Cochleaimplantates möglich. So müssen z. B. bestimmte MRT-Geräte oder Feldstärken verwendet werden und das Cochleaimplantat im Kopf mit einem zusätzlichen Druckverband fixiert / gesichert werden.) Implantierte Insulinpumpen (externe Pumpen müssen zur Untersuchung abgelegt werden) Bei Klaustrophobie (= „Raumangst“) ist die Untersuchung in Sedierung oder Narkose möglich Piercings aus leitfähigen Materialien sollten abgenommen oder während der Untersuchung beobachtet werden, weil sie sich erwärmen können. Tätowierungen können Bildstörungen verursachen, sind ansonsten aber ungefährlich. Es gibt nur vereinzelt Berichte über Missempfindungen. Liste von Abkürzungen gebräuchlicher MRT-Sequenzen Untersuchungsdauer bei einer Magnetresonanztomographie Die Dauer einer MRT-Untersuchung hängt vom untersuchten Körperabschnitt, der klinischen Fragestellung und dem verwendeten Gerät ab. Die häufig durchgeführte Untersuchung des Kopfes dauert typischerweise 10–30 Minuten, eine Lendenwirbelsäulen-Untersuchung in der Regel etwa 20 Minuten. Je höher die gewünschte Detailauflösung, desto länger ist die zu veranschlagende Untersuchungszeit. Häufig werden zwei Aufnahmeserien erstellt, zuerst eine ohne Kontrastmittel, danach mit Kontrastmittel. Die Untersuchungszeit muss bei der Auswahl des Diagnoseverfahrens berücksichtigt werden. Die Fähigkeit eines Patienten, während der erforderlichen Zeit still zu liegen, kann individuell und krankheitsabhängig eingeschränkt sein. Zur MRT-Untersuchung von Säuglingen und Kleinkindern ist gewöhnlich eine Sedierung oder Narkose erforderlich. Neuere Entwicklungen versprechen, die Untersuchungszeit durch die parallele Aufnahme des MR-Signals mit zahlreichen Empfangsspulen deutlich zu verkürzen, sodass im Extremfall Aufnahmezeiten von unter einer Sekunde möglich sind. Kosten und Statistik von MRT-Untersuchungen (Deutschland) Die Preise für eine MRT-Untersuchung richten sich in Deutschland nach der Gebührenordnung für Ärzte und liegen je nach Organ und Aufwand der Untersuchung zwischen 140 und 1200 Euro. Die Gesetzliche Krankenversicherung vergütet für ihre Versicherten nach dem Einheitlichen Bewertungsmaßstab, der deutlich niedrigere Preise (90–125 Euro) festlegt. Spezielle Verfahren (Herz-MRT, Ganzkörperuntersuchungen, Gefäßdarstellungen, Mamma-MRT) werden von den gesetzlichen Versicherungen nur zum Teil oder gar nicht bezahlt, z. B. weil der Nutzen der Untersuchung bislang nicht belegt ist oder weil die Nebenwirkungen in Form von Fehl- und Überdiagnosen zu hoch sind. Die Erstellungskosten liegen nach Angaben von Radiologen teilweise so hoch, dass die Geräte nur mit Mischkalkulationen und zusätzlichen Privatleistungsangeboten betrieben werden können. 2009 erhielten in Deutschland rund 5,89 Millionen Menschen mindestens eine Magnetresonanztomographie. Der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Barmer GEK, Rolf-Ulrich Schlenker, gab im Januar 2011 die geschätzten Jahresgesamtkosten für Computertomographie (CT) und MRT-Untersuchungen mit 1,76 Milliarden Euro an. Kursive Werte stellen Schätzwerte dar. Bildgalerie Hersteller von MRT-Anlagen Agilent (vor 2010 zu Varian) Aspect Imaging Aurora Imaging Technology, Inc. Bruker (Hochfeld-Forschungstomographen) Canon Medical Systems (vormals Toshiba) Esaote (Niederfeld-Tomographen mit Permanentmagnet für die Extremitätendiagnostik) Fonar Corp., in Europa durch Tecserena GE Healthcare Hitachi Medical Systems Ningbo Xingaoyi Magnetism (XGY) Paramed Medical Systems (MROpen) PhiHealth (Partnerschaft mit Cerner Corporation) Philips Siemens Healthineers SternMed Time Medical Holdings Company Limited United Imaging Datenformat Für die Speicherung und Archivierung der Ergebnisse medizinischer bildgebender Verfahren hat sich der DICOM-Standard weitgehend durchgesetzt. Oft wird dem Patienten nach der Untersuchung ein Datenträger (z. B. CD-ROM oder DVD-ROM) mit seinen eigenen Schnittbildern mitgegeben, die er dann an den behandelnden Arzt weiterreicht. Häufig werden diese Bilder nicht in ein gebräuchlicheres Grafikformat wie z. B. JPEG umgewandelt, so dass der Patient zum Betrachten ein gesondertes Anzeigeprogramm benötigt. Oft ist ein solches auf dem Datenträger enthalten, das neben der Darstellung der DICOM-Bilder unter Umständen auch Zusatzfunktionen wie Vermessungen oder Lupenwerkzeuge anbietet. Literatur Weblinks Einführung in die Grundlagen der Magnetresonanzbildgebung E-Learning Website von EMRF (European Magnetic Resonance Forum) / TRTF (The Round Table Foundation), auf Englisch. Technische Aspekte der Kernspintomographie: Gradientenecho-Sequenz, Frequenzkodierung und Verschiebungsartefakte (Zahlr. Abb., einschl. Formel der Fourier-Transformation) Bigs.de, Animation: Spin; Relaxieren und Präzedieren bei Quarks & Co The Basics of MRI An Excursion into the History of Magnetic Resonance Imaging. (PDF; 28 MB) magnetic-resonance.org (englisch) Chris Rorden: MRIcro software for displaying and analyzing MR images. MRI im Einsatz (englisch) Lernskript Grundlagen der Magnetresonanztomographie. (PDF; 1,2 MB) Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Universitätsklinikum Gießen und Marburg, Standort Marburg Lernspiel auf nobelprize.org (englisch) Flash-Animationen, welche die Physik anschaulich erklären (englisch) Einzelnachweise Neurophysiologie Diagnostisches Verfahren in der Radiologie Tomografie Kernspinresonanz Wikipedia:Artikel mit Video
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162.468862
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https://de.wikipedia.org/wiki/Jena
Jena
Jena ist eine deutsche Universitätsstadt und kreisfreie Großstadt in Thüringen in der Metropolregion Mitteldeutschland. Sie liegt an der Saale zwischen Muschelkalkhängen der Ilm-Saale-Platte und ist mit knapp 111.000 Einwohnern (2021) nach der Landeshauptstadt Erfurt die zweitgrößte Stadt Thüringens und eines der drei Oberzentren des Freistaats. Zudem ist Jena auf Platz 75 der größten Städte Deutschlands. In Jena befindet sich die Friedrich-Schiller-Universität Jena, die 1558 gegründet wurde und mit 16.260 Studierenden die größte Universität Thüringens ist. Jena begann sich ab dem Bau der Saalbahn 1874 zu einer Industriestadt zu entwickeln. Sie ist ein Zentrum der deutschen Optik- und Feinmechanikindustrie rund um das Unternehmen Carl Zeiss. Das Kombinat Carl Zeiss mit etwa 60.000 Mitarbeitern war seinerzeit auch das größte Kombinat der DDR. Nach der deutschen Wiedervereinigung 1990 wandelte sich Jena vom Industrie- zum Bildungs- und Wissenschaftszentrum. In Jena haben zahlreiche Forschungslabore und Institute ihren Sitz. Zwei der frühesten deutschen Hochhäuser wurden in der Stadt errichtet, der Zeiss Bau 15 und Bau 36. Das 144,5 m (mit Antenne 159,60 m) hohe Bürohochhaus Jentower war bei seiner Vollendung 1972 das höchste Hochhaus Deutschlands. Der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft verlieh Jena 2008 den Titel Stadt der Wissenschaft. Die Stadt Jena wirbt für sich auch mit dem Namen „Jena. Lichtstadt.“ 2016 wurde Jena der Ehrentitel „Reformationsstadt Europas“ durch die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa verliehen. Geografie Lage Jena liegt im mittleren Saaletal zwischen teilweise von Mischwäldern bedeckten Muschelkalk- und Buntsandsteinhängen (geologische Phänomene sind unter anderem die Teufelslöcher und die Studentenrutsche). Auf ihnen, z. B. im Leutra-Tal, kommen zahlreiche, zum Teil seltene Orchideenarten vor. Die größte Ausdehnung beträgt von Nord nach Süd 14,7 und von Ost nach West 12,2 Kilometer. Städte in der Umgebung Folgende größere Städte liegen in der Nähe von Jena: Weimar (ca. 19 km westlich), Apolda (ca. 12 km nördlich), Rudolstadt (ca. 30 km südlich), Naumburg (Saale) (ca. 29 km nordöstlich), Gera (ca. 35 km östlich), Erfurt (ca. 40 km westlich), Halle (Saale) (ca. 67 km nordöstlich), Leipzig (ca. 72 km nordöstlich), Chemnitz (ca. 96 km östlich) und Dresden (ca. 152 km östlich). Nachbargemeinden Folgende Gemeinden grenzen an die Stadt Jena. Sie werden im Uhrzeigersinn beginnend im Norden aufgeführt: im Saale-Holzland-Kreis: Verwaltungsgemeinschaft Dornburg-Camburg mit Lehesten (mit Altengönna), Neuengönna (mit Porstendorf), Golmsdorf (mit Beutnitz), Jenalöbnitz und Großlöbichau Verwaltungsgemeinschaft Südliches Saaletal mit Rabis, Fraitsch, Gröben (gehören zu Schlöben, erfüllende Gemeinde ist Bad Klosterlausnitz), Laasdorf, Zöllnitz, Rutha, Rothenstein, Milda (mit Dürrengleina und Zimmritz) und Bucha (mit Pösen, Oßmaritz, Nennsdorf und Coppanz) im Landkreis Weimarer Land: Verwaltungsgemeinschaft Mellingen mit Döbritschen und Großschwabhausen Stadt und Landgemeinde Bad Sulza (mit Großromstedt, Kleinromstedt und Hermstedt) Stadtgliederung Die Verwaltung der Stadt Jena ist nach § 45 der Thüringer Kommunalordnung in 30 Ortsteile unterteilt. Diese Ortsteile wurden durch die Hauptsatzung der Stadt Jena festgelegt. Dabei handelt es sich meist um räumlich getrennte Gebiete bzw. Dörfer, die ehemals selbstständige Gemeinden waren. Für jede Ortschaft gibt es einen in direkter Wahl bei einer Bürgerversammlung gewählten Ortsteilrat. Vorsitzender ist der ebenfalls direkt gewählte Ortsteilbürgermeister. Die 30 Ortsteile der Stadt sind in der Liste der Ortsteile Jenas aufgelistet. Zusätzlich ist das Stadtgebiet Jenas in 41 statistische Bezirke eingeteilt. Diese sind: Ammerbach Ort, Beutenberg/Winzerlaer Straße, Burgau Ort, Closewitz, Cospeda, Drackendorf, Drackendorf/Lobeda-Ost, Göschwitz, Ilmnitz, Isserstedt, Jena-Nord, Jena-Süd, Jena-West, Jena-Zentrum, Jenaprießnitz, Krippendorf, Kunitz, Laasan, Lichtenhain Ort, Leutra, Lobeda-Altstadt, Lobeda-Ost, Lobeda-West, Löbstedt Ort, Lützeroda, Maua, Mühlenstraße, Münchenroda, Nord II, Remderoda, Ringwiese Flur Burgau, Vierzehnheiligen, Wenigenjena/Kernberge, Wenigenjena Ort, Wenigenjena/Schlegelsberg, Winzerla, Wogau, Wöllnitz, Ziegenhain Ort, Ziegenhainer Tal und Zwätzen. Berge und Höhen Durch die Lage Jenas in den Tälern der Saale und ihrer Zuflüsse, die sich in die umgebende Hochfläche eingeschnitten haben, entstanden zahlreiche markante Kuppen und Bergausformungen, deren Höhen meist über liegen. Einst unbewaldet und kahl, wurden diese Höhen und Hänge im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte aufgeforstet. Weitere Berge in der Umgebung sind westlich der Saale – von Nord nach Süd – der Plattenberg (345 m) auf der Gemarkung Neuengönna, der Jägerberg und der Windknollen (mit Napoleonstein, 363 m, beide innerhalb der Jenaer Stadtgrenze), der Cospoth (397 m) auf den Gemarkungen Jena und Bucha, der Spitzenberg (374 m) bei Maua auf der Gemarkung Rothenstein und die Kuppe (438 m, Dürrengleina). Östlich der Saale liegen zum Beispiel der (Große) Gleißberg (365 m, seltener Gleisberg) in Golmsdorf, auf dem die Ruine Kunitzburg steht, und der Eichberg südlich der Rodamündung in die Saale auf der Gemarkung Sulza. Es gibt im Tal der Gleise noch einen weiteren Schlossberg. Die Ausbildung des Oberflächenreliefs im Stadtgebiet, besonders der Talhänge, ist durch eine differenzierte geologische Situation entstanden, die auf den geologischen Verhältnissen im mittleren Saaletal beruht. Klima Jena gehört zu den klimatisch besonders begünstigten Gebieten Deutschlands. Durch diese Lage ist Jena jedoch von den Auswirkungen der Überhitzung des Klimasystems der Erde im Rahmen des Klimawandels besonders betroffen, wodurch Anpassungsmaßnahmen erforderlich werden. Die starke Reflexion der Sonnenstrahlen an den steilen Talhängen und insbesondere die Wärmespeicherung des Muschelkalks erzeugen einen zeitigen und milden Frühling, heißen Sommer, langen und warmen Herbst und milden Winter. Mit einer mittleren Jahrestemperatur von 10,3 °C (1981–2010) gehört Jena zu den wärmsten Orten Mitteldeutschlands. Auf den 200 bis 250 m höher liegenden Hochflächen und den im Osten und Süden angrenzenden Gebieten ist die Temperatur im Jahresmittel bereits um 1 bis 1,5 °C niedriger. Hinzu kommt die windgeschützte Lage, denn durch den Talverlauf werden die Winde zumeist in Nord-Süd-Richtung eingelenkt und abgeschwächt. Die das Thüringer Becken umgebenden Mittelgebirge schirmen den Niederschlag ab. Die jährliche Niederschlagsmenge beträgt nur 570 bis 680 Liter pro Quadratmeter; der größte Teil fällt in den Sommermonaten. Wegen des warmen Mikroklimas wird die Region um Jena auch Thüringer Toskana oder Toskana des Ostens genannt. Herkunft des Stadtnamens Der Ursprung des Namens Jena war seit jeher Streitpunkt und ist auch heute noch nicht vollständig geklärt. Bereits 1858 lehnt Johann Karl Schauer einige Herleitungen ab, darunter von und für Wein, den Namen Johannes in Bezug auch auf die Johanneskirche, den römischen Gott Janus, das slawische jiny (dt. anders, verschieden) für markierten Terrainwechsel und brüchiges Land, sowie einige deutsche Erklärungsversuche wie das Wort gähnen mit Verweis auf den Schnapphans, der beim Stundenschlag den Mund aufmacht (und dabei gähnt). Schauer selbst (und später auch der Stadthistoriker Herbert Koch) sieht die Lösung im Keltischen, insbesondere im Wort gen, das für Mund und im übertragenen Sinne für Mündung steht, wobei auf die mundförmige Gestalt Jenas durch den Talkessel bzw. im Falle Kochs auf einen Zusammenfluss zweier Gewässer, dem Leutra-Bach zusammen mit der Saale, verwiesen wird. Hiergegen wird vor allem eingewandt, dass die Kelten nie im Ostthüringer Raum gelebt haben. Die neuere Diskussion befasst sich vor allem mit der Frage, ob die Bezeichnung Jani aus dem Slawischen oder aus dem Deutschen entnommen werden kann, da für beide Völker eine Siedlung in der näheren Umgebung nachweisbar ist. Ferdinand Mentz und Rudolf Fischer lehnten eine Herleitung durch die slawische Form Jan von Johannes vor allem mit der Begründung ab, dass die Slawen einerseits Mitte des 9. Jahrhunderts noch nicht christianisiert (also heidnisch) waren, den Namen demnach nicht kennen konnten, und die kontrahierte Form Jan andererseits nicht vor dem 10. Jahrhundert existierte. Darüber hinaus möchte Fischer keine urslawische Form ausmachen, auf die sich Jani beziehen könnte. Favorisiert wird somit von vielen Namenkundlern eine germanisch-deutsche Herkunft des Namens. Möglich ist die Ableitung von mit den Bedeutungen Gang, Weg oder Strecke, oder – wahrscheinlicher – vom landwirtschaftlichen und historisch-winzersprachlichen Ausdruck „Jahn“, der neben Waldstreifen und Wirtschaftsfläche auch einen in einem Gang zu erledigenden Teil einer bebauten Fläche oder einen Weinbergsabschnitt bezeichnen kann. Fraglich bleibt, ob der Weinanbau zu dieser Zeit bereits stattgefunden hat. Ebenso sehen einige Autoren kritisch, dass die Bedeutung als Streifen nicht charakteristisch genug für einen Ortsnamen ist, und dass sich der Weinbau in der Gegend vermutlich außerhalb des Stadtkerns entwickelte, wo er keinen Einfluss mehr auf die Namensbildung besaß. Hengst und Wiesinger weisen 2016 dementgegen darauf hin, dass das mittelhochdeutsche jān sich in der Verwendung allerdings nicht nur auf den Weinbau beschränkte. Vielmehr treten unterschiedliche Varianten in verschiedensten Dialekten im gesamten deutschen Sprachraum auf. Dieses breite Vorkommen rechtfertigt die Annahme, dass auch im Althochdeutschen ein solches Wort *jān mit der Grundbedeutung Reihe existierte. Unter Annahme der maskulinen i-Deklination ergibt sich dann im Plural *jāni, was genau der Form im Hersfelder Zehntverzeichnis entspricht. Unter Rückgriff auf eine entsprechende indogermanische Wurzel für Gehen kann man auf ein urgermanisches Wort *jǣni- für Gang schließen, die auftretende Pluralform in ahd. *jāni lässt sich dann als Übergangs- oder Durchgangsstellen (über die Saale) interpretieren. Bichlmeier greift diese Arbeit auf und zeigt, dass das urgermanische *i̯ǣni- aus der protoindoeuropäischen, hocharchaischen Vṛddhi-Ableitung *i̯ḗh₂-ni entstanden sein kann, was dann auf ein Versehensein mit (Durch-)Gängen bzw. auf die Gesamtheit all dessen, was (Durch-)Gänge besitzt, schließen lässt. Somit wäre hier die Gegend am Flussdurchgang gemeint. Geschichte Mittelalter Eine erste Erwähnung der Stadt liegt aus der Zeit von 830 bis 850 vor. Im Hersfelder Zehntverzeichnis erscheint Liutdraha (das in der heutigen Johannisvorstadt aufgegangene Dorf Leutra) neben Iani. Für 1145 und 1182 ist die Form Gene belegt, für 1216 schließlich Iehene und für 1252 Iene. Die Endung auf -a ist seit Mitte des 15. Jahrhunderts nachweisbar. In lateinischen Texten wird Jena das Athen an der Saale (Athenae ad Salam) genannt. Die nach dem Tod von Wilhelm IV., Pfalzgraf bei Rhein, im Jahr 1140 als Besitzer von Jena nachzuweisenden Herren von Lobdeburg erhoben um 1230 den Ort zur Stadt, die bald danach ummauert wurde, ihre Selbstverwaltung unter dem 1275 bezeugten Rat ausbaute, im 14. Jahrhundert das Schultheißenamt, 1365 die Niedergerichte und 1429 die Obergerichte an sich brachte. Bei einem Saalehochwasser starben am 23. Juni 1263 35 der etwa 1000 Einwohner. Der schnell aufblühende Weinbau brachte der Bürgerschaft guten Gewinn. Um 1176 befahl ein „Hermann, Herr des obern Hauses“ in Lobdeburg, „den Rittern und Bürgern in Gene, eine öffentliche Straße zu pflastern, die durch einen Hof gehe, den das Kloster zu Heusdorf erworben hatte und der im Gerichte von Jena liege“. 1286 errichteten die Dominikaner ihr Kloster, 1301 entstand bei der Michaeliskirche das Zisterzienserinnenkloster. Die Herren von Lobdeburg ließen im 12. Jahrhundert die Münzstätte Jena errichten. Mit Schwächung der Lobdeburger traten die Grafen von Schwarzburg und die Wettiner in Erscheinung. Bis 1331 gelangten die Wettiner in den Vollbesitz der Stadt. 1332 erteilten sie Jena das Gothaische Stadtrecht. 1414 entstand das Karmelitenkloster. Nach dem Tode von Friedrich dem Strengen (1381) erhielten dessen drei Söhne Friedrich der Streitbare (1370–1428), Wilhelm der Reiche (1371–1425) und Georg (* 1380; † 9. Dezember 1401 in Coburg) die Stadt Jena im Jahr 1382 gemeinschaftlich, die beiden älteren erteilten der Stadt die Zollfreiheit. Auch Friedrichs drei Söhne, Friedrich der Sanftmütige, Sigismund und Wilhelm der Tapfere, bestätigten diesen Verwaltungsakt. Bei der Teilung der Erblande am 4. Januar 1436 fiel Jena an Sigismund, der jedoch aus Liebe zu einer Nonne aus Lohma Geistlicher im Kloster Mildenfurth wurde. Wegen seines Verhaltens wurde er aber von seinem Bruder Wilhelm in Freyburg an der Unstrut festgesetzt und eine Zeit lang gefangen gehalten. Mit dem Tode von Wilhelm III. fiel Jena am 26. August 1485 an seine Neffen Ernst und Albrecht. Bereits sechs Wochen später kam es zu einer erneuten Teilung, bei der das Amt Jena (ohne Kunitz, Zwätzen und Porstendorf) gegen Zahlung von 50.000 fl. Ernst zugesprochen wurde. Nach dessen Tod im Jahr 1486 erbten dessen Söhne Friedrich der Weise und Johann der Beständige das Amt Jena, dem sie am 10. Dezember 1492 das Marktrecht erteilten. Städtischer Wohlstand äußerte sich in den Neubauten der Michaeliskirche seit 1380/1390 und des Rathauses am Ende des 14. Jahrhunderts. Ab 1423 gehörte Jena zum Kurfürstentum Sachsen (Kursachsen), da die Wettiner nach dem Aussterben der Askanier die Kurwürde erhielten. Die Aufteilung Kursachsens in der Leipziger Teilung ergab, dass Jena ab 1485 zum neu geschaffenen ernestinischen Kurfürstentum Sachsen gehörte. Neben dem bereits erwähnten Weinbau (ein Türkensteuerregister aus dem Jahr weist 70 Prozent der steuerpflichtigen Bürger Jenas als Weinbergbesitzer aus) trugen der Anbau von Waid, Hopfen und die Bierbrauerei wesentlich dazu bei, dass Jena im ausgehenden Mittelalter zu den wohlhabendsten Städten im heutigen Thüringen zählte. Eine weitere Quelle des Reichtums der Stadt war die Tuchmacherei, doch trotz seines wirtschaftlichen Aufblühens stand Jena stets in Konkurrenz zum benachbarten Weimar, welches sich ab dem Ende des 14. Jahrhunderts zu einer wettinischen Hauptresidenz entwickelte. Das brachte Jena allerdings den Vorteil ein, sich weitgehend unabhängig vom landesherrlichen Regiment entfalten zu können. Gegen eine Bezahlung von 3000 Rheinischen Gulden 1480 seitens Wilhelm III. wurde die Gerichtsbarkeit von der Stadt auf die Stadtflur ausgedehnt. Frühe Neuzeit Die Reformation begann 1523 mit dem radikalen Theologen Martin Reinhardt, der nach Martin Luthers Eingreifen 1524 vertrieben wurde. 1525 zerstörten Bauern und Teile der Stadtbewohner das Karmelitenkloster und verwüsteten das Dominikanerkloster. 1536 wurden die Juden durch ein judenfeindliches Mandat des Landesherren aus Jena vertrieben (wie auch aus anderen thüringischen Städten) – ausgelöst durch die Reformation und ihrer von Martin Luther verstärkten antisemitischen Ausrichtung. Durch die Niederlage im Schmalkaldischen Krieg 1546/47 verloren die Ernestiner die Kurwürde und alle Besitzungen östlich der Weißen Elster, u. a. die Stadt Wittenberg. Aus dem ernestinischen Kurfürstentum Sachsen wurde das Herzogtum Sachsen unter Regentschaft des zum Herzog degradierten Johann Friedrich I. dem Großmütigen. Er gründete im Jahr 1548 als Ersatz für die verlorengegangene Universität Wittenberg die Hohe Schule im Dominikanerkloster in Jena, aus der 1558 die Universität Jena hervorging. Mit dieser für die weitere Stadtentwicklung entscheidenden Einrichtung waren seit 1566 der für die Rechtsprechung in ganz Thüringen bedeutsame Schöppenstuhl und ein Hofgericht verbunden. Der seit Anfang des 16. Jahrhunderts betriebene Buchdruck blühte in Verbindung mit der Universität auf und verschaffte im 17. Jahrhundert der Stadt den dritten Platz hinter Leipzig und Wittenberg. Die Universität blieb auch nach der Landesteilung 1572 unter gesamternestinischer Schirmherrschaft, während die Stadt dem Herzogtum Weimar zufiel. Bei der Thüringer Sintflut Ende Mai 1613 wurden Teile der Stadt überflutet. In den Jahren 1672 bis 1690 war Jena Hauptstadt des selbständigen Fürstentums Sachsen-Jena, dessen Herzöge im bereits 1471 erwähnten und 1662 erweiterten Schloss wohnten und dessen Zentralbehörden zum Teil bis 1809 in der Stadt arbeiteten. Nach dem Tod des Herzogs von Sachsen-Jena kam das Amt und die Stadt nebst Schloss, Schlossgarten, Regierungshause, Fürstenkeller und Jägerhaus nebst Burgau und Lobeda, so wie das Amt Allstedt, die Zillbach, die Herrschaft Remda, das Vorwerk Schwabsdorf, Döbritschen und andre Einkünfte am 12. Juli 1691 an die ernestinische Linie Sachsen-Eisenach und 1741 an Sachsen-Weimar-Eisenach, bei dem es bis 1920 blieb. In den theologischen Lehrstreitigkeiten des späten 16. Jahrhunderts war die Universität Mittelpunkt der lutherischen Orthodoxie (Matthias Flacius), nach dem Dreißigjährigen Krieg erlebte sie eine Blütezeit und stand mit 1800 Studenten zwischen 1706 und 1720 an der Spitze aller deutschen Universitäten. Die Barockzeit äußerte sich in prächtigen Bürgerbauten. Vom herzoglichen Hof gingen Anregungen auf die Kunst- und Musikpflege aus. 1570 begann das Collegium Musicum zu wirken, das nach der 1769 erfolgten Reorganisation ab 1770 bis ins 20. Jahrhundert die Akademischen Konzerte veranstaltete. Der Rückgang des Weinbaus, der Studentenzahl und des Buchdrucks verursachte im 18. Jahrhundert einen Niedergang der städtischen Wirtschaft. 1788 wurden die Finanzen der Stadt unter Zwangsverwaltung gestellt. Unter der Regierung des Herzogs Carl August 1775 bis 1828 und seines Ministers Johann Wolfgang von Goethe gewann der neue Geist Weimars auch auf Jena Einfluss und führte eine zweite Blütezeit der Universität herbei. Goethe widmete ihr sein amtliches und persönliches Interesse. Hier schloss er 1794 Freundschaft mit Friedrich Schiller, der seit 1789 als Professor wirkte und bis 1799 in Jena wohnte. 1794 wurden Johann Gottlieb Fichte und 1798 Friedrich Wilhelm Joseph Schelling berufen, 1801/07 lehrte Georg Wilhelm Friedrich Hegel hier, so dass Jena ein Hauptort der deutschen idealistischen Philosophie wurde, wo auch die literarische Richtung der älteren Romantik mit August Wilhelm Schlegel, seiner Frau Caroline Schlegel, Friedrich Schlegel, Ludwig Tieck, Clemens Brentano und Friedrich von Hardenberg eine hervorragende Pflegestätte fand. Die 1785 bis 1803 in Jena erscheinende Allgemeine Literatur-Zeitung erhöhte den Ruf der Stadt. Die Universität stand im Ruf besonderer Liberalität, doch sank ihr Ruhm ab 1800 schnell infolge des Weggangs berühmter Lehrer (1799 Entlassung Fichtes). 19. Jahrhundert Am 14. Oktober 1806 bekämpfte Napoleon siegreich die preußischen und sächsischen Armeen in der Schlacht bei Jena und Auerstedt. Diese Doppelschlacht auf den Höhen nordwestlich von Jena sowie rund um Auerstedt bescherte der Stadt und ihrer Universität schwere Schäden. Gegen die napoleonische Herrschaft regte sich in Jena starker Widerstand, besonders unter den Studenten, die 1813 in Scharen in das Lützowsche Freikorps eintraten. 1815 wurde in Jena die Urburschenschaft gegründet, welche die Farben Schwarz-Rot-Gold als Zeichen der angestrebten Einheit eines demokratisierten Deutschen Bundes führte. Maßgeblich begünstigte die Pressefreiheit im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach den Kampf um die nationale Einheit. Das Wartburgfest 1817 ging im Wesentlichen von der Universität Jena aus und erregte das Misstrauen konservativer deutscher Regierungen, denen die Ermordung August von Kotzebues durch den Jenaer Theologiestudenten Karl Ludwig Sand 1819 einen willkommenen Anlass zu verstärkten Repressalien bot. Die Universität Jena bekam diese in Gestalt eines 1819 eingesetzten Kurators, durch Einschränkung der Pressefreiheit und Auflösung der Burschenschaft zu spüren. Als wirtschaftliche Grundlage ist in der Neuzeit vor allem die Universität anzusehen. Daneben brachten Feld-, Wein-, Garten- und Hopfenanbau und der Buchdruck Gewinn. Nach 1800 entstanden kleinere gewerbliche Betriebe, eine 1820 errichtete Kammgarnspinnerei beschäftigte 1840 als einziges Unternehmen mehr als 100 Mitarbeiter. 1864 führte sie die Dampfmaschine ein. Im Jahr 1830 zählte Jena 5491 Einwohner. Durch den Bau der Saalbahn von Großheringen nach Saalfeld 1874 und der Linie Gera-Weimar 1876 wurde die Stadt ein Verkehrsknotenpunkt. 1843 wurde eine Pianofortefabrik, 1859 eine Ofenfabrik, 1886 eine Zementfabrik und 1895 eine Messwerkzeugfabrik errichtet. Aus der von Carl Zeiss 1846 gegründeten optischen Werkstätte, die 1860 erst 20 Mitarbeiter hatte, ging unter maßgeblicher Mitwirkung von Ernst Abbe das seit 1880 in eigenen Fabrikgebäuden arbeitende Unternehmen der Feinmechanik und Optik hervor, das die Marke Carl Zeiss weltweit berühmt machen sollte und für seinen Aufstieg einen wesentlichen Impuls durch die Zusammenarbeit mit dem seit 1884 aufstrebenden Glaswerk Otto Schotts erfuhr. 1886 wurde das zehntausendste Mikroskop angefertigt, das dem Bakteriologen Robert Koch zum Geschenk gemacht wurde. Die Gewinne der 1889 errichteten Carl-Zeiss-Stiftung kamen in hohem Maße der Universität zugute, die zu jener Zeit in dem Zoologen Ernst Haeckel einen ihrer berühmtesten Lehrer besaß. 1908 bezog sie ihr an Stelle des ehemaligen Schlosses erbautes neues Hauptgebäude. Ein staatliches Postamt am Löbdergraben wurde im Jahr 1858 gebaut und 1862 bezogen. Telegraphenbetrieb und Ortsfernsprechverkehr wurden dann 1876 bzw. 1893 in das Postamt verlegt. Zwischen 1800 und 1880 war die Universität auf etwa 500 Studenten ausgelegt. Die Studentenzahl stieg bis 1914 auf 2000. Besonders die naturwissenschaftlichen und medizinischen Institute wurden ausgebaut. Die Verlage Gustav Fischer (1878) und Eugen Diederichs (1896) bereicherten das geistige Leben. 1879 nahm als Nachfolger des 1817 eingerichteten Oberappellationsgerichts das Oberlandesgericht für alle thüringischen Staaten seine Geschäfte auf (Neubau 1880). 1900 bis 1945 Am 19. März 1901 wurde das städtische Elektrizitätswerk eröffnet und am 1. April 1901 erfolgte die feierliche Inbetriebnahme der elektrischen Straßenbahn Jena. Mit der Vereinigung der thüringischen Staaten 1920 wurde Jena Teil des Landes Thüringen, die Stadt 1922 kreisfrei. Gleichzeitig entstand der Landkreis Stadtroda, zu dem das Umland gehörte. Innerhalb der Arbeiterschaft der großen Werke Zeiss und Schott fanden die Arbeiterparteien SPD und KPD starken Zulauf, so dass während der Zeit der Weimarer Republik die konservativen Parteien und die NSDAP die schlechtesten Wahlergebnisse in Thüringen erreichten. Demzufolge war auch der spätere Widerstand gegen die Nationalsozialisten erheblich. Mit der Machtübertragung der Kanzlerschaft an Adolf Hitler begann in der Stadt die Diskriminierung und Verfolgung aller politischen und humanistischen Kräfte. Viele erhielten Gefängnis- und Zuchthausstrafen oder wurden als „Schutzhäftlinge“ in das erste KZ Nohra, seinen Nachfolger KZ Bad Sulza und später in das KZ Buchenwald eingeliefert. Nach dem Berufsbeamtengesetz wurden zahlreiche missliebige Wissenschaftler von ihren Posten vertrieben. Die Universität mutierte mehr und mehr zu einem Ideologie-Produzenten von Rassismus (Lehrstuhl für Sozialanthropologie) und Antisemitismus (Zusammenarbeit mit dem kirchlichen Institut zur Erforschung und Beseitigung des jüdischen Einflusses auf das deutsche kirchliche Leben). Ab 1. April 1933 wurden jüdische Geschäfte und Einrichtungen boykottiert. Im Oktober 1938 wurden in der „Polenaktion“ zehn jüdische Personen ohne Staatsangehörigkeit nach Polen abgeschoben. Während der Novemberpogrome 1938 gab es in der Stadt antijüdische Ausschreitungen. In der Folgezeit konnten noch zahlreiche jüdische Familien und Einzelpersonen ins Ausland emigrieren. In den Jahren 1942 bis 1945 wurden die verbliebenen Juden vom Westbahnhof aus in die Gettos und Vernichtungslager des Ostens deportiert und ermordet. Das Gedenkbuch des Bundesarchivs für die Opfer der nationalsozialistischen Judenverfolgung in Deutschland (1933–1945) verzeichnet namentlich 73 jüdische Einwohner Jenas, die deportiert und größtenteils ermordet wurden. Etliche Juden, darunter Clara Rosenthal, nahmen sich selbst das Leben. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ermöglichte in der Chirurgischen Klinik und der Frauenklinik die Durchführung zahlreicher Zwangssterilisationen. Später wurden Patienten in Euthanasie-Anstalten ausgeliefert. In den Jenaer Rüstungsbetrieben waren Tausende Zwangsarbeiter beschäftigt. Kurz vor Ende des Krieges unternahm eine Sabotagegruppe einen Sprengstoffanschlag auf das NSDAP-Büro. Ab September 1944 mussten zudem im KZ-Außenlager „RAW Jena“, einem Außenlager des KZ Buchenwald, bis zu 1000 Häftlinge im anliegenden Reichsbahnausbesserungswerk (RAW) Zwangsarbeit leisten. Im Zweiten Weltkrieg richteten alliierte Bombenangriffe, besonders im Februar und März 1945, zahlreiche Zerstörungen an. Das schwerste Bombardement erfolgte am 19. März 1945. Insgesamt warfen die US Army Air Forces bei ihren Angriffen 870 Tonnen Bomben auf Jena ab. Die Bombenangriffe verursachten schwere Schäden und Totalzerstörungen, ein großer Teil des Stadtzentrums wurde vernichtet; die Ruinen der teils historischen Bürgerhäuser wurden später abgetragen. Verloren gingen das Haus am Markt, in dem Goethe und Schiller ihren Freundschaftsbund geschlossen hatten, das Griesbachsche und Bachsteinsche Haus, das Stadtmuseum und der historische Burgkeller. Die Stadtkirche St. Michael erlitt starke Beschädigungen. Die Collegien- oder Universitäts-Kirche wurde zerstört und die Ruine 1956 abgetragen. Ihr Turm wie auch die Collegien-Gebäude wurden beschädigt. Das Rathaus wurde teilzerstört, die Hof- und Rats-Apotheke sowie die Universitäts-Bibliothek wurden zerstört und später abgetragen. Das Abbeanum erlitt schwere Schäden und wurde bis 1951 wieder aufgebaut. Völlig zerstört wurden die Universitätsbibliothek und sechs Universitäts-Institute, teilzerstört mehrere Kliniken in der Bachstraße. 709 Menschen verloren ihr Leben, 2000 sind schwer verletzt worden. Beim Beschuss der Stadt durch US-amerikanische Artillerie am 11. April 1945 starben 40 Menschen. Am 13. April 1945 besetzten US-amerikanische Truppen kampflos die Stadt. Bei Kriegsende waren große Teile der Stadt zerstört. 1424 Wohnungen und 140 Geschäfts- und Warenhäuser waren vernichtet, 4743 Wohnungen schwer beschädigt. Jena war nach Nordhausen die am meisten zerstörte Stadt in Thüringen. Am 1. Juli 1945 zogen Einheiten der Roten Armee in die Stadt ein, Jena wurde Teil der Sowjetischen Besatzungszone. Entwicklung ab 1945 Im Verlauf des einsetzenden Wiederaufbaus nahm am 15. Oktober 1945 die Universität Jena als erste deutsche Universität den Lehrbetrieb wieder auf. 1946 wurden die Unternehmen Zeiss und Schott zu 94 Prozent demontiert und über 300 Spezialisten aus beiden Werken in die UdSSR gebracht, um die Werke dort neu aufzubauen. Der pharmazeutische Großbetrieb Jenapharm wurde 1950 gegründet. Während der DDR-Zeit gehörte die Stadt von 1952 bis 1990 zum Bezirk Gera. Beim Volksaufstand des 17. Juni 1953 kam es zu Streiks und Protesten von etwa 30.000 Bürgern der Stadt gegen Maßnahmen der DDR-Regierung. Die Demonstranten forderten freie Wahlen, die deutsche Einheit und den Rücktritt der Regierung. Erstürmt wurden die Gebäude der SED-Kreisleitung, das Gefängnis am Steiger (mit Befreiung von 61 Häftlingen), die Häuser der Massenorganisationen und die Kreisdienststelle des MfS. Um die Proteste niederzuschlagen, trafen sowjetische Panzer in der Stadt ein. Der Ausnahmezustand wurde verhängt und mehrere 100 Menschen verhaftet. Am 18. Juni 1953 wurde im Gebäude der sowjetischen Kommandantur in Weimar der 1927 in Jena geborene Schlosser Alfred Diener hingerichtet. Er hatte mit zwei Delegierten der Kohlearbeiter im Büro des Ersten Sekretärs der SED-Kreisleitung die Forderungen der Demonstranten vorgetragen. Andere Teilnehmer am Volksaufstand erhielten mehrjährige Haftstrafen. 1957 wurde in Jena der Plattenbau eingeführt. Zwischen 1965 und 1975 entstand das Neubaugebiet Jena-Lobeda-West. Anlässlich der Neugestaltung des Stadtzentrums ab 1968 wurde die historische Innenstadt um den Eichplatz abgerissen und die 1816 gepflanzte Burschenschaftseiche gefällt. Am Rand des frei geräumten Platzes entstand das stadtbildbeherrschende Hochhaus der Universität. Im selben Jahr erfolgte die Gründung des Jenaer Madrigalkreises, Kammerchor der Jenaer Philharmonie. 1969 erhielt das Sinfonieorchester Jena den Namen Jenaer Philharmonie. Zwischen 1971 und 1983 entstand das Neubaugebiet Jena-Lobeda-Ost. 1975 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt die Grenze von 100.000, wodurch Jena zur 14. Großstadt der DDR wurde. Das Wohngebiet am Rähmen wurde 1986 fertiggestellt. Mehrere Arbeitsgruppen machten die Stadt ab den 1970er Jahren zu einem Zentrum der DDR-Opposition. In den 1980er bildete sich die Gruppe Weißer Kreis mit dem Ziel, konzertiert zahlreiche Ausreiseanträge zu stellen. Während der Wende in der DDR erlebte Jena am 4. November 1989 bei einem Bürgerforum auf dem Platz der Kosmonauten mit rund 40.000 Teilnehmern die größte Demonstration der Stadtgeschichte, nachdem die Zahl der Demonstranten von Woche zu Woche sprunghaft angestiegen war. Bis 1991 war Jena Standort der 79. Panzerdivision der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland. Anlässlich des Interessenausgleichs mit der Sowjetunion ab 1990 und der Auflösung der Roten Armee 1991 zogen am 24. März 1992 die letzten, überwiegend russischen, Soldaten aus Jena ab. Nach der Kreisreform zum 1. Juli 1994 wurde der Landkreis Jena dann Teil des neuen Holzlandkreises, der seit dem 14. September 1994 den Namen Saale-Holzland-Kreis trägt. In der Nachwendezeit, insbesondere zwischen 1995 und 1997, ereigneten sich in Jena mehrere Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund. Im November 2011 stellte sich heraus, dass einige Angehörige der Neonaziszene in Jena seit der Jahrtausendwende als Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) terroristisch aktiv waren. In einem Video bekannten sie sich zu einer deutschlandweit verübten Mordserie und zu Bombenanschlägen, die fast immer rassistische Motive hatten. Am 19. September 2020 wurde ein Platz in Jena-Winzerla nach dem NSU-Mordopfer Enver Şimşek benannt. Mit dem Fahrplanwechsel des Jenaer Nahverkehrs am 15. Dezember 2021 wurde die Haltestelle Damaschkeweg ebenfalls in Enver-Şimşek-Platz umbenannt. Eingemeindungen Seit 1909 wurden zahlreiche Gemeinden und Gemarkungen nach Jena eingemeindet. Im Jahr 1900 umfasste das Stadtgebiet eine Fläche von 1.323,2 Hektar. Seit den letzten Eingemeindungen von 1994 aufgrund des § 23 des Neugliederungsgesetzes in Thüringen gehören 11.421,6 Hektar zur Stadt Jena. Alle eingegliederten Orte waren vorher selbständige Gemeinden und hatten (außer Isserstedt) zuvor schon eine oder mehrere Nachbargemeinden aufgenommen (Cospeda die Gemeinden Lützeroda und Closewitz, Drackendorf die Gemeinde Ilmnitz, Krippendorf die Gemeinde Vierzehnheiligen, Kunitz die Gemeinde Laasan, Münchenroda die Gemeinde Remderoda, Maua die Gemeinde Leutra und Jenaprießnitz die Gemeinde Wogau). Wüstungen Neben den heutigen Ortsteilen gab es auf dem heutigen Stadtgebiet Jenas eine Vielzahl von Orten, die nicht mehr existieren, sogenannte Wüstungen. Diese waren Proschitz und Kötschen bei Zwätzen, Krolip, Schondorf und Ziskau bei Closewitz, Rödel und Schichmannsdorf im Mühltal, Krotendorf, Schetzelsdorf, Nollendorf als alte nördliche Vorstadt, Hodelsdorf/auf dem Sande als östliche Vorstadt, Zweifelbach als alte südliche und Leutra als alte westliche Vorstadt, Nobis im Jenaer Forst, Wüstenwinzerla, Dürrengleina auf dem Kospoth, Niederleutra bei Leutra, Hirschdorf, Selzdorf bei Lobeda, Clöchwitz, Büsitz, Schlendorf am Hausberg, Benndorf, Wenigenkunitz bei Kunitz, Gaberwitz sowie Kalthausen bei Kunitz. Bevölkerungsentwicklung 1975 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt Jena die Grenze von 100.000, wodurch sie zur Großstadt wurde. 1988 erreichte die Bevölkerungszahl mit 108.010 zunächst ihren historischen Höchststand. Nach der Wende in der DDR ist die Einwohnerzahl von Jena bis Ende der 1990er-Jahre gesunken und seither – im Gegensatz zu vielen anderen Städten in Ostdeutschland – im Steigen begriffen und wächst jedes Jahr um etwa 1000 Einwohner, auch wegen der Studierenden, die ihren Hauptwohnsitz während der Zeit des Studiums in Jena anmelden. Am 31. Dezember 2014 betrug die amtliche Einwohnerzahl für Jena nach Fortschreibung des Thüringer Landesamtes für Statistik 108.207 (nur Hauptwohnsitze und nach Abgleich mit den anderen Landesämtern) und hat somit erstmals den historischen Höchststand von 1988 überschritten (allerdings mit den 14 Eingemeindungen vom 1. Juli 1994). Religionen Laut dem Zensus 2011 waren 15,4 % der Einwohner evangelisch und 5,3 % römisch-katholisch, mit 79,3 % wurden unter „Sonstige, keine, ohne Angabe“ alle Personen zusammengefasst, die einer anderen oder keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft angehörten oder über die keine Angabe dazu vorlag. Ende 2019 waren von den 108.940 Einwohnern 13,1 % (14.276) evangelisch, 5,2 % (5.715) katholisch, 81,7 % (88.949) gehörten einer anderen Religionsgemeinschaft an, waren konfessionslos oder verblieben ohne Angabe. Ende 2020 waren von den 108.306 Einwohnern 12,9 % (13.964) evangelisch, 5,1 % (5.584) katholisch, 82 % (88.758) gehörten einer anderen Religionsgemeinschaft an, waren konfessionslos oder verblieben ohne Angabe. Christentum Jena ist Sitz einer Superintendentur der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland innerhalb des Aufsichtsbezirks Ost, dessen Kreiskirchenamt sich in Gera befindet. Die bestehenden evangelisch-lutherischen Pfarrämter Jenas gehören alle zur Superintendentur Jena. Die römisch-katholische Pfarrei betreut auch Gläubige außerhalb Jenas, sowie in Camburg, Apolda und Bad Sulza und ist mit etwa 7.300 Mitgliedern eine der größten Pfarreien im Bistum Erfurt und laut Zensus 2011 eine der größten Diasporagemeinden in Ostdeutschland. Zu Freikirchen gehören die Adventgemeinde, die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde (Baptisten), die Evangelisch-methodistische Kirche, die Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) und die Christliche Gemeinde Lobeda (Brüdergemeinde). Sonstige Religionen Juden werden in Jena erstmals 1379 erwähnt. Im späteren Mittelalter lebten hier einige jüdische Familien. Im 16. Jahrhundert wurden Juden mit landesherrlichen Mandaten ausgewiesen und durften sich erst 1825 wieder niederlassen. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurden in Privathäusern Beträume eingerichtet. In der Zeit des Nationalsozialismus erfolgten die letzten Deportationen ins KZ Theresienstadt Ende Januar 1945. Die heutige jüdische Gemeinde hat etwa 150 Mitglieder und ist nach dem Zerfall der Sowjetunion durch den Zuzug russischer und ukrainischer Juden entstanden. Die Gemeinde ist noch nicht als selbstständig anerkannt und wird deshalb von der Erfurter Gemeinde betreut. Sie besitzt ein kleines Gemeindezentrum, aber keine Synagoge. Die in Jena lebenden Muslime, deren Zahl auf etwa 500 geschätzt wird (Stand: Jan. 2015), treffen sich in zwei islamischen Zentren. Religionsgeschichte Vor der Christianisierung der Gegend um Jena lebten hier im 3. bis 6. Jahrhundert die Thüringer, ein Stammesverband, über dessen Geschichte wenig bekannt ist. Durch die vielfältigen Kontakte mit Rom und dem Ostgotenreich kam es frühzeitig zu ersten Einflüssen des Christentums. Die Thüringer selbst verehrten zunächst germanische oder lokale Götter. Dieser Glaube war bis ins 8. Jahrhundert vorherrschend für das Gebiet, auf dem später Jena entstand. Hinzu kamen im 7. Jahrhundert slawische Siedler mit deren religiösen Vorstellungen. Jena, welches später im Grenzraum zwischen diesen Siedlungsräumen lag, dürfte daher vor allem ein Ort des Zusammentreffens zwischen christlichen und verschiedenen heidnischen Glaubenswelten gewesen sein. Erst mit der Mission des Bonifatius breitete sich das Christentum, ausgehend vom Einflussbereich Fuldas allmählich auch in dieser Gegend aus. Eine Festigung des christlichen Glaubens fand aber erst im 10. Jahrhundert statt. Die Bevölkerung des Gebietes um Jena gehörte ab 742 in das eigens dafür geschaffene Bistum Erfurt, das allerdings nicht lange Bestand hatte und 755 dem Bistum Mainz zugeschlagen wurde. Die Existenz von anderen, bereits etablierten christlichen Kirchenstrukturen an der Saale zeigt sich darin, dass die alten Urpfarreien über die neu geschaffenen Bistumsgrenzen hinaus weiterhin eine Reihe von Pfarrrechten unterhielten (zum Beispiel Lobeda, Wenigenjena). Die Stadt war direkt dem Dekanat Oberweimar innerhalb des Archidiakonats Beatae Mariae virginis in Erfurt zugeordnet. Das ab 1909 eingemeindete Gebiet rechts der Saale gehörte zum Bistum Naumburg, obwohl Jena im Mittelalter auch die Pfarrrechte in Wenigenjena und Camsdorf besaß. 1252 wird erstmals ein Geistlicher in Jena erwähnt. 1523 wurde die erste reformatorische Predigt in Jena gehalten. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Richtungen der reformatorischen Bewegung (Lutheraner, Flacianer usw.). Die Reformation fasste schnell Fuß und Jena wurde zu einem Zentrum des Luthertums als neuer Glaubensrichtung. Im Januar 1536 wurden auf der Jenaer Landfeste drei Täufer hingerichtet, unter ihnen der Kleineutersdorfer Müller Hans Peißker. Über lange Zeit war Jena eine überwiegend protestantische Stadt. Vorherrschend war das lutherische Bekenntnis; Martin Luther weilte mehrmals persönlich in Jena. Anstelle des Papstes hatte der Landesherr die Führung der sogenannten Evangelisch-Lutherischen Landeskirche übernommen. Damit teilte die Kirche die Geschicke der jeweiligen Landesherren. Die Evangelisch-Lutherische Kirche des Großherzogtums Sachsen, zu dem Jena seit 1741 gehörte (damals noch Herzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach), schloss sich nach 1920 mit den anderen Landeskirchen Thüringens zur Thüringer Evangelischen Kirche zusammen. 1948 benannte sie sich in Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen um. Spätestens seit dem 19. Jahrhundert zogen auch wieder Bürger mit katholischem Bekenntnis in die Stadt. Die katholische Pfarrkirche St. Johannes Baptist ist Jenas älteste Kirche. Ihre Geschichte reicht bis ins 10. Jahrhundert zurück. Vor der Reformation war sie die Pfarrkirche der Stadt. Danach fungierte sie als Friedhofskapelle und war oft dem Verfall preisgegeben. Die Kirchenruine schenkte Napoleon nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt der kleinen katholischen Gemeinde der Stadt, die sich um einen französischen Emigranten, den Priester Gabriel Henry, gesammelt hatte. 1813 wurde die Pfarrei wieder aufgelöst und die Seelsorge ab 1817 mit der Pfarrei Weimar verbunden. Ab 1821 gehörte die katholische Pfarrgemeinde Jena zum Gebiet des Erzbistums Paderborn. Erst 1905 wurde eine kanonische Pfarrei errichtet. Grundlegende Um- und Ausbauten aus dieser Zeit zeugen von den Erfordernissen lebendigen Gemeindelebens. Die Kirchenruine wurde zur heutigen Pfarrkirche ausgebaut, wobei damals ein Längsschiff in Richtung Westen gezogen und der Altar in eine neue Apsis im Westen verlegt wurde. Mit dem Preußischen Konkordat von 1929 kam die Gemeinde in Jena zum Bistum Fulda. Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangten durch Vertreibung und Verfolgung vermehrt Katholiken nach Jena, ihre Gesamtzahl stieg auf 14.000. Die begrenzte Kapazität der Pfarrkirche versagte etlichen Katholiken den Besuch der Gottesdienste, trotz acht Sonntagsterminen und Außenstellen in den umliegenden Dörfern. Darum baute man 1957–1959 den Altar wieder aus der Apsis im Westen aus, stellte ihn in den damaligen Eingangsbereich im Osten und zog in der ehemaligen Apsis eine Empore ein. Die Apsis ist an ihren Chorfenstern zu erkennen. Die Gemeinde in Jena wurde zu dieser Zeit durch einen Generalvikar mit Sitz in Erfurt verwaltet. 1973 erfolgte die Einrichtung des Bischöflichen Amtes Erfurt-Meiningen und die Neugründung des Bistums Erfurt im Jahr 1994, zu dem die Pfarrei gehört. Die am 1. Januar 2017 neu gegründete Pfarrei St. Johannes Baptist ist nicht nur für die Stadt Jena und alle umliegenden Orte bis nach Dornburg im Norden, Bürgel im Osten, Rothenstein im Süden und Großschwabhausen im Westen zuständig, sondern umfasst auch die Kirchorte Apolda, Bad Sulza und Camburg mit jeweils einer Katholischen Kirche. Da einige später eingemeindete östliche Ortsteile (Drackendorf) zum Gebiet des Bistums Dresden-Meißen gehören, ist der Pfarrer der Jenaer Gemeinde zusätzlich Kaplan der benachbarten Stadtrodaer Gemeinde, um auch offiziell die Katholiken seelsorgerisch betreuen zu können, die hinter der Bistumsgrenze leben. Politik Die Verwaltung der Stadt Jena oblag zunächst den Beamten der Lobdeburgischen Herrschaft. Doch stand bald auch ein Rat an der Spitze der Stadt, der ab 1317 von zwei Ratsmeistern geleitet wurde. Seit dem 14. Jahrhundert war der Rat dreigeteilt. 1540 führte der Kurfürst von Sachsen eine neue Städteordnung ein. Es gab mehrere Bürgermeister, doch ab 1604 nur noch einen Bürgermeister an der Spitze der Stadt. Seit 1892 trägt das Stadtoberhaupt den Titel Oberbürgermeister. Der Erste war Gottlob Heinrich Singer. Der Rat wurde von der Bevölkerung gewählt. Ab 1933 wurde der Oberbürgermeister von der NSDAP eingesetzt. In der DDR wurde die Stadtverordnetenversammlung über die Einheitsliste der Nationalen Front „gewählt“, die wiederum den Rat der Stadt mit einem Oberbürgermeister an der Spitze bestimmte. Nach der friedlichen Revolution in der DDR fand erstmals wieder eine freie Wahl der Stadtverordnetenversammlung statt, sie wählte am 6. Mai 1990 Peter Röhlinger (FDP) zum Oberbürgermeister. Mit dem Inkrafttreten der Thüringer Kommunalordnung 1994 trat an die Stelle der Stadtverordnetenversammlung der Stadtrat mit einem Stadtratsvorsitzenden an der Spitze. Gleichfalls seit 1994 wird der Oberbürgermeister direkt vom Volk gewählt, derzeit hat Thomas Nitzsche (FDP) dieses Amt inne. Ihm stehen drei vom Stadtrat gewählte Dezernenten zur Seite. Gegenwärtig amtieren Eberhard Hertzsch (parteilos; Familie, Bildung und Soziales), Benjamin Koppe (CDU; Finanzen, Sicherheit und Bürgerservice) und Christian Gerlitz (SPD; Stadtentwicklung und Umwelt, zugleich Bürgermeister und damit Stellvertreter des Oberbürgermeisters). Der Stadtrat Jena kooperiert mit dem von allen Schülern ab Klassenstufe 5 gewählten und 2012 gegründetem Jugendparlament Jenas bezüglich jugendrelevanter Themen. Der kommunale Schuldenstand ist rückläufig und betrug Ende 2012 etwa 69,9 Millionen Euro. Stadtrat Das Ergebnis der Wahl zum Stadtrat am 26. Mai 2019 ist in den Diagrammen rechts (Stimmenanteile) und unten (Sitzverteilung) dargestellt. Ergebnisse der Stadtratswahlen seit 1990 Vorsitzende des Stadtrats 1990–1994: Rainer Oloff (CDU, damals noch Stadtverordnetenversammlung) 1999–2004: Gustav-Adolf Biewald (CDU) 2004–2009: Gudrun Lukin (PDS) 2009–2014: Sabine Hemberger (SPD) seit 2014: Jens Thomas (Die Linke) Erstmals seit der Wende musste am 6. November 2013 eine Stadtratssitzung wegen massiver Proteste anwesender Einwohner abgebrochen werden. Grund war der geplante Neubau eines Campus auf dem Inselplatz und der damit einhergehende Abriss des soziokulturellen Projekts „Insel“ auf dem Inselplatz 9a. Anfang 2020 ist das Projekt in die leerstehende Waldgaststätte Carl August im Mühltal umgezogen und hat sich in „CarlA“ umbenannt, das alte Projekt wurde abgerissen. Oberbürgermeister Oberbürgermeister seit 1912 Wappen, Flagge und Dienstsiegel Die Stadtflagge ist längsgestreift in den Farben Blau-Gelb-Weiß, belegt mit dem Stadtwappen. Das städtische Dienstsiegel aus dem Stadtwappen mit der Umschrift THÜRINGEN STADT JENA und links und rechts je einer Weinrebe sowie unter dem Wappen der Ziffer 01. Städtepartnerschaften Jena pflegt Städtepartnerschaften mit: Zudem ist Jena Gründungsmitglied des Bundes der europäischen Napoleonstädte (seit 2004). Kultur und Sehenswürdigkeiten Theater Theaterhaus Jena Kulturarena Volkshaus Jena Kurz- und Kleinkunstbühne Jena (Kabarett) In Zusammenarbeit mit dem Theaterhaus Jena verleiht die Stadt alle drei Jahre den Jakob-Michael-Reinhold-Lenz-Preis für Dramatik im Rahmen eines Wettbewerbs für junge Dramatiker. Es existieren in der Stadt mehrere freie, größtenteils studentische Theatergruppen, die regelmäßig verschiedene kleine Bühnen der Stadt bespielen. Philharmonie Die Jenaer Philharmonie wurde 1934 als Konzertorchester gegründet und 1969 auf ihre heutige Größe erweitert. Zu ihr gehören auch drei Chöre: Philharmonischer Chor (gegründet 1970), Knabenchor (1976) und Madrigalkreis (1968). Museen Das Stadtmuseum Göhre, das ein Museum zur Geschichte von Jena beheimatet, ist eine städtische Institution das Romantikerhaus (das ehemalige Wohnhaus von Johann Gottlieb Fichte) mit seinen literarischen Ausstellungen ist ebenfalls eine städtische Institution. Alle drei Jahre richtet das Romantikerhaus den Literaturwettbewerb zur Vergabe des Caroline-Schlegel-Preises aus. Das Deutsche Optische Museum wird derzeit zu einem interaktiven und forschenden Museum umgebaut und ist für den Besucherverkehr geschlossen. Das Schott GlasMuseum bietet Einblicke in die Produktion und Verwendung von Glas sowie über den familiären Hintergrund von Otto Schott, dem Begründer des Jenaer Glaswerks und Erfinder des feuerfesten Glases. Biologische Ausstellungen befinden sich im Phyletischen Museum, der Mineralogischen Sammlung und im Botanischen Garten, die zur Universität gehören. Die medizinhistorische Sammlung Meyer-Steineg (seit 1909) im Ernst-Haeckel-Haus, das über 200-jährige Museum Anatomicum Jenense (Anatomische Sammlung) sowie die ebenfalls traditionsreiche Medizinhistorische Lehr- und Schausammlung am Institut für Geschichte der Medizin des Universitätsklinikums Jena sind eingeschränkt öffentlich zugänglich. Weiter können eine Goethe-Gedenkstätte im Botanischen Garten, Schillers Gartenhaus sowie das Ernst-Haeckel-Haus im ehemaligen Wohnhaus des Zoologen besucht werden. In der Gemeinde Cospeda befindet sich eine Gedenkstätte zur Schlacht bei Jena und Auerstedt (Museum 1806). Die Imaginata im Alten E-Werk ist eine Ausstellung zum Greifen und Begreifen physikalischer Phänomene für Kinder und Jugendliche. Wanderausstellungen werden im Stadtmuseum Göhre, in der Schott-Villa, im Phyletischen Museum und in der Mineralogischen Sammlung gezeigt. Galerien sind der Kunsthof Jena und die Galerie pack of patches. Das Wasser- und Abwassermuseum Pumpwerk Mühltal, am Ortseingang auf der B7 aus Richtung Weimar, informiert über die Geschichte der Wasserversorgung der Stadt anhand von technischen Exponaten, historischen Karten und seltenen Aufnahmen. Denkmäler Der sogenannte Hanfried (Johann Friedrich der Großmütige) auf dem Markt erinnert an Johann Friedrich I. von Sachsen, den Gründer der Universität. Das Burschenschaftsdenkmal (1883), das ursprünglich auf dem Eichplatz und später vor dem Hauptgebäude stand, befindet sich inzwischen infolge eines Farbanschlags durch bislang unbekannte Täter im Depot der Universität. Das Schillerdenkmal steht ebenfalls vor dem Hauptgebäude der Uni. Zwischen Kunitz und Wenigenjena (bei Schloss Thalstein) wurde das Erlkönigdenkmal für die Ballade Erlkönig (Johann Wolfgang von Goethe) errichtet. Auf einem der ehemaligen Schlachtfelder der Schlacht bei Jena und Auerstedt zwischen Cospeda und Jena steht der Napoleonstein. Der Ortsteil Krippendorf lag im Hauptkampfgebiet der genannten Schlacht bei Jena, und seine Bockwindmühle diente den Armeen als Landmarke. Heute ist diese Windmühle als voll funktionsfähiges Technikdenkmal besuchbar. Außerdem gibt es in Jena mehrere Holocaustdenkmäler. An der B 7 sind mehrere Gedenktafeln für die Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald angebracht, deren Todesmarsch am Ende des Zweiten Weltkrieges dort vorbeiführte. Am Westbahnhof hängt eine Gedenktafel an die Juden, Sinti und Roma, da von dort aus die Züge in die Konzentrationslager ausgingen. Ein Steindenkmal an der B 7 zwischen Johanniskirche und Friedenskirche trägt den Spruch „Unseren Toten zum Gedenken, ihren Mördern zur Schande, den Lebenden zur Mahnung“. Im Gedenken an die 1459 Jenaer Soldaten, die im Ersten Weltkrieg im Feld ums Leben kamen, wurde 1929 „Unseren Gefallenen 1914/18“ (jetzige Widmung) nach einem Entwurf des Architekten Emil Högg das Denkmal auf dem Friedensberg (bis 1949 Hainberg) errichtet. Ein Mauerring von 30 m Durchmesser umschließt einen Ehrenhain mit altarähnlichem Steinblock, der die Namen der Toten enthält. Weitere Kriegerdenkmäler befinden sich im Nordfriedhof und auf dem Landgrafenberg (Blinkerdenkmal). Einer der vielen Bismarcktürme in Deutschland befindet sich in Jena auf dem Malakoff, einem Teil des Tatzend. Allerdings handelt es sich nicht um einen Malakoff-Turm. Zu DDR-Zeiten wurde er als Turm der Jugend bezeichnet. Gedenktafeln An etlichen Jenaer Häusern sind Tafeln angebracht, auf denen die Lebensdaten bekannter Persönlichkeiten benannt sind, die hier wohnten oder eine bedeutende Verbindung zu diesem Ort hatten. Auch lediglich lokalen Berühmtheiten wie Friedrich Wilhelm Demelius wird auf diese Weise gedacht. Zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Juden Jenas wurden am 23. Mai 2007 die ersten acht der sogenannten Stolpersteine in einer öffentlichen Aktion des Kölner Künstlers Gunter Demnig verlegt. Acht weitere kamen am 7. Mai 2008 hinzu. Bis 2011 wurden insgesamt 28 Stolpersteine in Jena gesetzt. Sieben Wunder von Jena In Jena gab es die sogenannten Sieben Wunder, mit denen die Stadt schon im 17. Jahrhundert über ihre Grenzen hinweg warb und von denen vier noch völlig erhalten sind. Der lateinische Merkspruch, den damals ein Student der Jenaer Universität auswendig kennen sollte, lautet: . Zu den Wundern gehören: der Altar () der Stadtkirche St. Michael, speziell die Durchfahrt unter diesem; der Kopf () des Schnapphans an der Kunstuhr des Rathauses; der Drache (), ein bizarres, mehrköpfiges Fabelwesen aus Knochen, Draht und Pappmaché, das womöglich um 1600 für einen Studentenstreich gebaut worden ist; der Jenzig, ein Berg (), dessen weißer Kalkrücken in der Morgen- und Abendsonne rot leuchtet; die alte Camsdorfer Brücke (), deren Nachfolgerin heute noch am alten Ort steht; der Fuchsturm (), Bergfried der ehemaligen Burg Kirchberg auf dem Hausberg; das Weigelsche Haus (), ein Haus mit Aufzug und Dachobservatorium aus dem 17. Jahrhundert, das nicht mehr existiert. Die Nachbildung des Wunders kann im Stadtmuseum besichtigt werden. Archive Stadtarchiv Bauaktenarchiv Unternehmensarchiv SCHOTT JENAer GLAS GmbH Betriebsarchiv Carl Zeiss Jena GmbH Archiv der Friedrich-Schiller-Universität Jena Archiv des Ernst Haeckel Hauses Jena (EHH) Thüringer Archiv für Zeitgeschichte Matthias Domaschk Bauwerke Große Teile des historischen Stadtzentrums wurden am Ende des Zweiten Weltkrieges, von Februar bis April 1945, durch amerikanische Luftangriffe zerstört oder fielen den sozialistischen Umbauplänen zum Opfer, so dass – insbesondere um den neuen Eichplatz – wenig historische Gebäude im Stadtzentrum zu finden sind. Derzeit läuft die Planung für die Bebauung des Eichplatzes, einem Vorhaben, das in der Bevölkerung umstritten ist. Das Zentrum wurde bereits in den letzten Jahrzehnten mit teilweise größeren Gebäudekomplexen ergänzt. Die Architektur im Stadtzentrum entstand somit in verschiedenen Bauzeiten und -stilen und ist gegenüber anderen Städten in Thüringen modern sowie teilweise auch industriell geprägt. Das markanteste Gebäude in Jena und Wahrzeichen ist der Jentower (im Volksmund Uniturm oder Keksrolle), das mit rund 160 Metern höchste Bürogebäude in den neuen Bundesländern. Es wurde von 1969 bis 1972 von Hermann Henselmann, einem der bekanntesten Architekten der DDR, geplant. Das Hochhaus sollte Zeiss-Forschungszentrum werden, erwies sich jedoch dafür als ungeeignet und wurde bis 1995 durch die Universität genutzt. Das Hochhaus sollte ein Fernrohr symbolisieren. Um die Jahrtausendwende wurde das Gebäude saniert und die ursprüngliche Gliederung der Gebäudehülle ging durch erhebliche Eingriffe in die Bausubstanz verloren. In den oberen Stockwerken beherbergt der Turm heute ein Restaurant und ein Hotel. Hauptnutzer war bis 2020 das E-Commerce-Unternehmen Intershop Communications. Daneben gibt es noch die Turmüberreste der alten Stadtmauer. Dazu gehören der 1995 bei Sanierungsarbeiten eingestürzte (aber inzwischen wieder aufgebaute) Rote Turm am südöstlichen Ende, der Anatomieturm, in dem Johann Wolfgang von Goethe mit Justus Christian Loder den Zwischenkieferknochen entdeckte, am südwestlichen Ende und das Johannistor am westlichen Ende des historischen Stadtkerns. Vom Johannistor verläuft ein kurzes Mauerstück, auf dem das so genannte Haus auf der Mauer steht, bis zum ehemaligen Pulverturm im Nordwesten des Stadtkerns. Innerhalb des Stadtkerns steht das Collegium Jenense, eines der ältesten Universitätsgebäude und Gründungsort der Universität, es wurde in einem ehemaligen Kloster eingerichtet. Am historischen Markt befindet sich neben dem historischen gotischen Rathaus (1377–1413) mit dem Schnapphans auch die Göhre, in der sich das Stadtmuseum befindet. Auf dem Marktplatz steht ein Denkmal Johann Friedrichs I. des Großmütigen, des Begründers der Jenaer Universität. In Jena wird er auch Hanfried genannt. Den Nordosten des alten Stadtzentrums schließt das 1905–1908 erbaute Universitätshauptgebäude ab. An seiner Stelle stand vorher das alte Jenaer Stadtschloss. An das Schloss erinnert nur noch der alte Schlossbrunnen im Innenhof. Restauriert wurde in den Jahren 2000/03 das zweitälteste Accouchierhaus in Deutschland Jenergasse 8/Ecke Fürstengraben, ein 1556 errichtetes Fachwerkhaus, das 1779 mithilfe des Mediziners Justus Christian Loder zu einer „Lehranstalt für Geburtshilfe“ hergerichtet worden war. Aus dieser Zeit datiert eine seltene schriftliche Quelle (ediert Stadtherr Wolter): das verzweifelte Schreiben einer ledigen Schwangeren, die sich in diesem Haus dem Erkenntnisinteresse angehender Mediziner zur Verfügung stellen sollte. Im Norden des Stadtzentrums befindet sich die im Jahr 2001 wiedererbaute Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek (kurz ThULB). Das Gebäude enthält fast alle Bibliotheken der Friedrich-Schiller-Universität sowie eine große Restaurierungs- und Digitalisierungswerkstatt. Westlich der ThULB, nördlich des Stadtzentrums, befindet sich der Botanische Garten und gleich nördlich davon das am 18. Juli 1926 eröffnete Zeiss-Planetarium der Jenaer Architekten Schreiter und Schlag, das älteste erhaltene Planetariumsgebäude der Welt. Nordwestlich des Planetariums befindet sich das Griesbachsche Gartenhaus, auch Prinzessinnenschlösschen genannt, mit einer großen Gartenanlage, an die sich die von Ernst Neufert errichtete Mensa Philosophenweg anschließt. Im Westen des Stadtzentrums steht am Ernst-Abbe-Platz mit dem Bau 15 das erste deutsche Hochhaus. Daneben befindet sich auf einem ehemaligen Fabrikgelände des Carl-Zeiss-Kombinates das Einkaufszentrum Goethe Galerie und der Bau 36. Der Bau 59 war das ehemalige Forschungshochhaus des VEB Carl Zeiss Jena. Ebenso sind im Westen der Stadt zwei Wohnhäuser des Bauhaus-Architekten Walter Gropius erhalten, das Haus Zuckerkandl (1927–1929) und das Haus Auerbach (1924). Beide Häuser wurden nach 1990 denkmalgerecht saniert und sind in Privatbesitz. Besonders bemerkenswert ist die einzige original erhaltene Bauhaus-Küche im Haus Zuckerkandl. Zwischen Goethe-Galerie, dem Volkshaus und dem alten Klinikgelände Bachstraße wurde ein Denkmal für Ernst Abbe in Form eines Tempels mit einer Dachkonstruktion im Jugendstil errichtet. Architekt des Denkmals war Henry van de Velde. Das Volkshaus enthält Säle für diverse Veranstaltungen, die Probenräume der Jenaer Philharmonie und einen Großteil der Jenaer Stadtbibliothek, die Ernst-Abbe-Bibliothek. Südwestlich des Stadtzentrums befindet sich das Schillerhaus mit Garten und Theater, von dem nur noch der Bühnenraum steht. Die Volkssternwarte Urania Jena im Schillergässchen bietet regelmäßig öffentliche Himmelsbeobachtungen und astronomische Vorträge an. Südlich des Marktes steht ein ehemaliges Kino. Filmvorführungen fanden in dem historischen Gebäude der Jenaer Architekten Schreiter & Schlag letztmals im Jahr 2009 statt, doch dem Art-déco-Baustil der 1920er Jahre wurde bei der Sanierung nachhaltig Rechnung getragen. Östlich des Stadtkerns befinden sich die Saale mit der Camsdorfer Brücke und das Gasthaus Grüne Tanne (im Besitz der Burschenschaft Arminia auf dem Burgkeller), der Gründungsort der Jenaischen Burschenschaft, die als Urburschenschaft bezeichnet wird. Die schwarz-rot-goldene Fahne, die heute als Deutschlandflagge Anwendung findet, hat hier ihren Ursprung. Brücken Stand 2018 überqueren 21 Brücken im Stadtgebiet an folgenden Stellen die Saale (stromabwärts) oder die Saale und die Roda: Maua – Sulza Jagdbergtunnel – Lobdeburgtunnel (Autobahn: 2 Saaletalbrücken Jena) Göschwitz – Neulobeda I (nur Eisenbahn) Göschwitz – Neulobeda II (nur Straßenbahn) Göschwitz – Neulobeda III (nur Rad-/Gehweg) Brückenfragment (nur Fernwärmeleitung) Fußgängerbrücke (dauerhaft gesperrt) Burgau – Im Wehrigt I (Alte Burgauer Brücke, nur Rad-/Gehweg) Burgau – Im Wehrigt II (Straßenbahn, Kfz-Anlieger-, Rad-, Fußverkehr) Burgau – Lobeda-Altstadt Ringwiese – Oberaue (Straßenbahn und Rad-/Gehweg) Lichtenhain – Oberaue (Neue Lichtenhainer Brücke, nur Rad-/Gehweg) Rasenmühleninsel – Oberaue (Sportplatzsteg, nur Rad-/Gehweg) Knebelstraße – Paradies (alte Paradiesbrücke, Straßenbahn und Rad-/Gehweg) Fischergasse – Stadtrodaer Straße (neue Paradiesbrücke) Steinweg – Wenigenjena (Camsdorfer Brücke) Löbstedter Straße – Wenigenjena (Griesbrücke, nur Rad-/Gehweg) Löbstedt – Wenigenjena (Wiesenbrücke) Zwätzen – Kunitz I (Kunitzer Hausbrücke, nur Rad-/Gehweg) Zwätzen – Kunitz II Die alte Camsdorfer Brücke, welche zu den sieben Stadtwundern gehörte, wurde ab Juli 1912 abgetragen und bis November 1913 durch eine breitere ersetzt, die das steigende Verkehrsaufkommen bewältigen konnte. Sie wurde – wie alle anderen Jenaer Brücken – am Ende des Zweiten Weltkriegs durch die Wehrmacht gesprengt, 1946 mit Hilfe der Roten Armee wieder aufgebaut und war lange Zeit der einzige Saale-Übergang für Schwerlastverkehr im Jenaer Stadtgebiet. 2005 wurde sie auf Grund schwerwiegender Schäden saniert. Weitere Brücken wurden erst im ausgehenden 19. Jahrhundert erbaut. Die Schützenbrücke (seit 1882) und der Wiesensteg hatten vor allem Bedeutung für den Fußgängerverkehr, insbesondere wegen der regen Bautätigkeit in Obercamsdorf und Wenigenjena. 1927/1928 wurde die Schützenbrücke durch die einige Meter stromaufwärts neu erbaute Paradiesbrücke und der Wiesensteg durch die stromaufwärts gelegene Griesbrücke ersetzt. Zwischen dem Südviertel und der Oberaue befindet sich eine weitere Fußgängerbrücke. In den 1980er-Jahren wurde zwischen Neu-Lobeda-West und Göschwitz eine Brücke errichtet, die für Kfz prinzipiell gesperrt war. Wenige Meter stromaufwärts liegen Brücken für den Straßenbahn- bzw. Zugverkehr, die jeweils über Saale und Roda führen. In Burgau und mit der Paradiesbrücke wurden vorhandene Brücken aus den 1940er-Jahren genutzt. Nach Eingemeindung umliegender Dörfer kamen die Saalebrücken zwischen Zwätzen und Kunitz, die Burgauer Brücke und die Mauaer Brücke dazu. Wie die Brücke in Burgau wurde auch die Kunitzer Hausbrücke, die Zwätzen und Kunitz verbindet, 1945 gesprengt. Letztere wurde aber im Jahr 2012 als Fußgängerbrücke wieder aufgebaut und entspricht in ihrer Erscheinung dem mittelalterlichen Vorbild. Der Autoverkehr wird über eine Neubaubrücke aus den 1980er Jahren geleitet. In den 1990er Jahren wurde die Umgehung von Wenigenjena fertiggestellt, die den Jenzigweg im Ostteil von Wenigenjena (häufig Jena-Ost genannt) durch die Wiesenbrücke mit der Löbstedter Straße in Jena-Nord und mit der Innenstadt verbindet. Burgen und Befestigungsanlagen Von den ehemaligen Burgen von Jena sind nur Ruinen oder kleine Teile vorhanden. Die südlichste Burg ist die obere Lobdeburg. Die untere Lobdeburg ist nicht mehr existent. Sie lag höchstwahrscheinlich am Ende des Marktes. Das weitläufig als untere Lobdeburg bezeichnete Gebäude am Nordostrand der Altstadt ist ein Neubau des 20. Jahrhunderts. Eine weitere Burg der Lobdeburger befand sich in der Ortslage Burgau (Burgruine Burgau – geringe Mauerreste und Gräben erhalten auf Felsen neben der alten Saalebrücke), eventuell parallel zu einer Befestigungsanlage der Wettiner, die frühzeitig ein Amt danach benannten. Auf dem Johannisberg (zwischen Lobeda und Wöllnitz) befinden sich mehrere Befestigungsanlagen aus der späten Bronzezeit und dem frühen Mittelalter (9./10. Jahrhundert). Östlich des Stadtkerns von Jena befinden sich vier ehemalige Befestigungsanlagen, die Kirchberger Schlösser und eine Kaiserpfalz. Der Fuchsturm ist der Rest der Burganlage Kirchberg aus dem 12. Jahrhundert. Von Westen nach Osten erstrecken sich die Reste der Burgen Greifberg, Königspfalz Kirchberg (10. Jahrhundert), Kirchberg (12. Jahrhundert) und Windberg. Weiter nördlich auf dem Jenzig befindet sich eine prähistorische Wallanlage. Im Norden findet man die Ruine Kunitzburg, eigentlich Burg Gleisberg, ein ehemaliger Sitz von Reichsministerialen. Mit Sicherheit gab es innerhalb der eingemeindeten Dörfer eine Reihe von befestigten Adelssitzen, wie beispielsweise in Drackendorf, in Kunitz, in Isserstedt und in Lichtenhain. In Jena selbst befand sich auf dem Gelände des heutigen Hauptgebäudes der Friedrich-Schiller-Universität das Stadtschloss, eine ehemalige Wasserburg, 1670 bis 1692 Regierungssitz des Herzogtums Sachsen-Jena. Es musste um 1900 dem Universitätsneubau weichen, der 1908 anlässlich des 350-jährigen Universitätsjubiläums eingeweiht wurde. Es blieben Grundmauern eines Schlossturmes davon erhalten. Kirchen Zum Kirchenkreis Jena gehören viele bedeutende Kirchen. Im Stadtzentrum befindet sich die spätgotische dreischiffige Stadtkirche St. Michael, die evangelische Parochialkirche (Hauptkirche) Jenas. Ihr Vorgängerbau, eine vermutlich im 12. Jahrhundert entstandene altromanische Pfarrkirche, erfuhr mehrere Umbauten, vor allem bei der Errichtung des Zisterziensernonnenklosters 1301, das nicht mehr besteht. Das Langhaus der heutigen Kirche wurde 1380–1506 errichtet, der Turm 1486–1557. Sie gilt als größte Hallenkirche Ostthüringens. Martin Luther hatte hier mehrmals gepredigt. Seine bronzene Grabplatte (aber nicht sein Grab) befindet sich seit 1571 hier. Erwähnenswert ist die restaurierte Renaissance-Einzeigeruhr der Kirche. Der Kirchenradweg Jena – Thalbürgel verbindet die Stadtkirche St. Michael mit der Klosterkirche Thalbürgel und führt an weiteren vier Kirchen des Kirchenkreises Jena vorbei. Teile der römisch-katholischen Kirche St. Johannes Baptist in der Wagnergasse im Stadtzentrum bestehen bereits seit dem 9. Jahrhundert. Daher gilt die Kirche als eine der ältesten Jenas. Nahe der katholischen Kirche steht die ehemalige Garnisonskirche, jetzt Friedenskirche, eigentlich Johann-Georgs-Kirche. Nachdem Jena 1672 Hauptstadt des Herzogtums Sachsen-Jena geworden war, erbaute man 1686–1693 auf Anraten Johann-Georgs II., Herzog von Sachsen-Eisenach, die Kirche auf dem Gelände des alten Johannisfriedhofs, weil die alte Friedhofskapelle in einem sehr schlechten Zustand war und eine Renovierung höhere Kosten als ein Neubau verursacht hätte, und benannte sie nach ihm. Im Jahr 1743 wurde sie von Herzog Ernst August von Sachsen-Weimar der Jenaer Garnisonsgemeinde zugewiesen, deshalb der Name Garnisonskirche. Im Frühjahr 1938 wurden dort Thüringer evangelische Pfarrer auf Adolf Hitler vereidigt. Im Jahr 1946 wurde sie in Friedenskirche umbenannt. Eine wichtige Rolle in der Stadtgeschichte spielten weitere Kirchen wie die Kollegienkirche als Universitätskirche des Collegium Jenense, entstanden aus dem ehemaligen Dominikanerkloster am Südwestende der Altstadt. Unweit davon befand sich am Engelplatz das Karmelitenkloster. Für die Reisenden und Kranken war vor allem die Kirche St. Nicolaus, die vor der Stadt im Bereich des heutigen Spittelplatzes stand, ein Ort des Gebetes. Einer der Vorgängerbauten der Schillerkirche „Unserer lieben Frau“ war nach Meinung einiger Forscher die Kirche des alten Jani, die 937 im Zusammenhang mit der Burg Kirchberg erwähnt wurde. Die ersten Teile wurden im 14./15. Jahrhundert errichtet. Der Bau des Langhauses wurde erst 1557 „provisorisch“ beendet. Hier wurden am 22. Februar 1790 Friedrich Schiller und Charlotte von Lengefeld getraut. Die Kirche St. Peter im Stadtteil Lobeda ist wahrscheinlich die älteste Kirche in Jena, da es sich hier um eine sogenannte Urpfarrei handelt, die bis zur Reformation Zentrum des Dekanats Lobeda innerhalb des Bistums Naumburg war. Die Dorfkirche St. Marien in Zwätzen war ehemals der Sitz der Deutschordensballei Thüringen. In der Auferstehungskirche in Drackendorf befindet sich die Grabstätte der Familie von Ziegesar, die enge Freunde von Goethe waren. Hier predigte auch der „Vogelpastor“ Christian Ludwig Brehm. Nach neuesten Forschungen entstand aus dem im 9. Jahrhundert erwähnten Liuthraha der Ort Leutra mit der ehemaligen Wehrkirche St. Nikolaus im Leutratal. Im Stadtteil Burgau befindet sich die Dreifaltigkeitskirche. Sie stammt aus dem Jahr 1330 und gehört zur Pfarrei Lobeda. Friedhöfe Den ältesten Friedhof in Jena, der bis ins 9. Jahrhundert zurückreicht, hat man im Bereich der Kirche Unserer lieben Frauen in Wenigenjena entdeckt. Der Stadtarchäologe Matthias Rupp nimmt deshalb an, dass in Wenigenjena der Ursprung und das erste Siedlungsgebiet Jenas liegt. Der größte Friedhof ist der Nordfriedhof; der zweitgrößte der 1912 eingeweihte Ostfriedhof. Daneben gibt es noch den historisch bedeutsamen Johannisfriedhof, der wahrscheinlich im Zuge der planmäßigen Stadtanlage Jenas außerhalb der Stadtmauern errichtet und seit dem Mittelalter genutzt wurde. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts wurde er zu klein für die expandierende Stadt, so wurde der Nordfriedhof angelegt. Der Johannisfriedhof wird seit 1978 nur noch als Park genutzt. Auf seinem Gelände befindet sich die Friedenskirche und auch das Grab von Carl Zeiß. Der Johannisfriedhof erstreckte sich früher bis zur katholischen Kirche, jedoch wurde er durch den Bau der heutigen Bundesstraße 7 nach Weimar stark verkleinert. Die eingemeindeten Dörfer besitzen ebenfalls eigene Friedhöfe. Die Grablegen der Pastoren und vornehmen Herren der Stadt befinden sich in St. Michael, in der Kollegienkirche, im Karmelitenkloster, im Hospital und in St. Nicolaus. Sonstige Bauwerke Auf dem hohen Landgrafen steht der 1971 errichtete 30 Meter hohe Landgrafenturm, ein nicht mehr in Betrieb befindlicher Fernsehturm, der heute als Aussichtsturm genutzt wird. Auf dem Berg Cospoth befindet sich an der Gemarkungsgrenze zu Bucha seit 1992 bei 50°52'49" nördlicher Breite und 11°33'57" östlicher Länge ein 91 Meter hoher Fernmeldeturm des Unternehmens Deutsche Funkturm, Tochtergesellschaft der Deutschen Telekom AG. Der Turm dient neben dem Richtfunk zur Verbreitung der nachfolgend aufgeführten Hörfunkprogramme: Analoges Radio (UKW) Digitales Radio (DAB+) DAB+ wird in vertikaler Polarisation und im Gleichwellenbetrieb mit anderen Sendern ausgestrahlt. Schutzgebiete Im Stadtgebiet befinden sich sieben ausgewiesene Naturschutzgebiete (Stand Januar 2017). Parks Volkspark Oberaue Paradies Botanischer Garten Grießbachscher Garten Friedensberg mit Kriegerdenkmal Goethepark in Drackendorf Schillers Garten mit Häuschen Gartenzinne Park an der Leutra in Jena-West Lobdepark in Neulobeda-Ost Trießnitz in Winzerla Landfeste Saaleufer in Wenigenjena Johannisfriedhof (Jena) (ehemaliger Friedhof) Sport 2021 bewarb sich die Stadt als Host Town für die Gestaltung eines viertägigen Programms für eine internationale Delegation der Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin. 2022 wurde sie als Gastgeberin für Special Olympics Lettland ausgewählt. Damit wurde sie Teil des größten kommunalen Inklusionsprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik mit mehr als 200 Host Towns. Regelmäßige Veranstaltungen März/April: Schwarzbiernacht (2017 ausgesetzt) April: Holzmarkt April/Mai: Cellu l’art Kurzfilmfest April/Mai: Jazzfrühling April/Mai: Kreativarena Mai: Frühlingsmarkt Mai/Juni: Langstreckenwanderung „Horizontale“ rund um Jena Juni: Festival de Colores, Lange Nacht der Museen Juni/Juli: Camsdorfer Brückenfest Juli: Töpfermarkt Juli bis August: Kulturarena, siebenwöchiges Open-Air-Musikfestival im Zentrum August/September: Thüringer Kammermusiktage (alle zwei Jahre) September: Brunnenfest am Romantikerhaus September/Oktober: Altstadtfest Oktober/November: Jenaer Jazztage Oktober/November: Irische Tage Oktober/November: Kreativarena November: Lichtbildarena, dreitägiges Festival mit Dia-Live-Reportagen und Kultur November: Theater in Bewegung, internationales Tanz- und Bewegungstheaterfestival im Theaterhaus (alle zwei Jahre) Dezember: Weihnachtsmarkt Freizeit- und Sportanlagen In Jena gibt es mehrere Sportplätze. Der größte ist das Ernst-Abbe-Sportfeld, die Heimspielstätte des FC Carl Zeiss Jena, mit einer Kapazität von 12.630 Zuschauern. Dazu kommen der Post-Sportplatz in Jena-Ost neben dem Ostbad und ein Sportplatz in Jena-Zwätzen. Unweit des Stadions befindet sich der Großteil des Universitätssportgeländes Oberaue. Es beherbergt den USV Jena, den größten Sportverein Thüringens. Das Universitätssportzentrum umfasst drei Spielfelder, die multifunktional genutzt werden können. Der Hauptplatz mit Leichtathletikanlage fasst 2000 Zuschauer. Die populärsten Abteilungen des USV Jena sind der FF USV Jena (Frauenfußball der 1. Liga) und die Rugby-Abteilung, welche eine Damenmannschaft in der Regionalliga und eine Herrenmannschaft in der 2. Bundesliga stellt. Der USV unterhält zudem eine Dreifelderhalle unweit des USZ. Im Sportzentrum Oberaue tragen die Fußballvereine SV Schott Jena und SV Jenapharm Jena ihre Heimspiele aus. Die Halle mit dem größten Fassungsvermögen ist die Sparkassen-Arena, Spielort des Basketball-Bundesligisten Science City Jena. Sie bietet bei Basketballspielen bis zu 3000 Zuschauern Platz. Zudem wird die Werner-Seelenbinder-Halle in Neulobeda-West, die 1.500 Zuschauern Platz bietet, vom Rollstuhlbasketballverein Jena Caputs genutzt und ist allgemein Austragungsort für kleine Veranstaltungen. Dazu kommen Sporthallen verschiedener Schulen sowie der Sporthallenkomplex des TuS Jena gegenüber dem Ernst-Abbe-Sportfeld. Dieser wird auch vom Sportgymnasium genutzt. Auf der Saale wird in der warmen Jahreszeit Wassersport in Form von Kanu-, Kajak- und Ruderbootfahren betrieben. In den vergangenen Jahren wurde die Saale auch im Jenaer Abschnitt für den Wassersport ausgebaut. Die einschlägigen Clubs sind am westlichen Saaleufer angesiedelt. Hier ist auch eine Slalomstrecke auf dem Fluss eingerichtet. Im Stadtteil Münchenroda befindet sich der Golfplatz des Golfclubs Weimar-Jena e. V. Der Flugsport ist am Flugplatz Jena-Schöngleina angesiedelt. Gelegentlich nutzen Hängegleiter-, GleitschirmfliegenGleitschirm- und Motorschirmflieger die Hänge um Jena zum Starten. Das Paradies wird bei gutem Wetter als Startzone für Heißluftballonfahrten genutzt. Für Hunde befindet sich in der Nähe des Landgrafen eine Trainingsanlage. Nachtleben Zentrum des Jenaer Nachtlebens ist die Wagnergasse und ihre nähere Umgebung. Hier sind vor allem Kneipen und Cafés angesiedelt. Ältester Studentenclub ist seit 1966 der Rosenkeller in der Johannisstraße. Hier finden unter anderem jede Woche mehrere Konzerte unterschiedlichsten Genres statt. Unterhalb des Westbahnhofes befindet sich das Zentrum für Jugend- und Soziokultur Kassablanca, in dem seit Anfang der 1990er Jahre viele Künstler auftraten. Jena bietet noch einige andere Nachtclubs in Zentrumsnähe. Wirtschaft und Infrastruktur Jena gehört zu den drei Oberzentren Thüringens. Nach Jena pendeln mehr Arbeitnehmer ein als von Jena auspendeln. Jena wird neben den Städten Erfurt und Ilmenau als Teil des Thüringer Technologiedreiecks bezeichnet. Im Zukunftsatlas 2022 belegte die kreisfreie Stadt Jena Platz 24 von 400 Landkreisen und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Orten mit „sehr hohen Zukunftschancen“. Jena ist Mitglied in der Metropolregion Mitteldeutschland. Kennzahlen Im Jahr 2016 erbrachte Jena, innerhalb der Stadtgrenzen, ein Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 4,464 Milliarden Euro und belegte damit Platz 69 innerhalb der Rangliste der deutschen Städte nach Wirtschaftsleistung. Das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf lag im selben Jahr bei 40.609 Euro (Thüringen: 27.674 Euro/ Deutschland 38.180 Euro) und damit über dem regionalen und nationalen Durchschnitt. Etwa 60 Prozent wurde mit Dienstleistungen erwirtschaftet, weitere 30 Prozent entfielen auf das produzierende Gewerbe. Im Jahr 2013 existierten insgesamt 4255 Betriebe, davon 28 mit mehr als 250 Mitarbeitern. Der Umsatz der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit 50 und mehr Beschäftigten betrug 2014 1,41 Milliarden Euro. Die Exportquote der Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes mit 50 und mehr Beschäftigten lag bei 59,9 Prozent (2014) und ist damit die höchste Thüringens. Zum 30. Juni 2017 gab es in Jena 55.192 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und 40.810 Einwohner der Stadt waren sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Daraus ergibt sich ein Einpendlerüberschuss von 14.382 Personen, womit die Stadt nach Erfurt in Thüringen an zweiter Stelle liegt. Dabei standen 25.610 Einpendlern 11.267 Auspendler gegenüber, wobei 14.155 aus den Nachbarkreisen Saale-Holzland-Kreis, Weimarer Land und Weimar, 6.673 aus den an diese grenzenden Kreisen sowie Gotha und dem Altenburger Land und 4.782 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte aus weiter entfernteren Regionen in Jena arbeiteten. Demgegenüber hatten 4.391 Jenaer ihren Arbeitsplatz in den Nachbarkreisen, 3.265 im zweiten Ring und 3.611 in entfernteren Regionen. Durch den Aufschwung seit etwa 2005 hat sich die Arbeitsmarktsituation verbessert, sodass die Arbeitslosenquote im Jahresdurchschnitt 2017 bei 6,1 Prozent lag. In Hotels und anderen Unterkünften gab es 2014 insgesamt 313.100 Übernachtungen. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer lag bei knapp zwei Tagen. Wirtschaftsgeschichte und ansässige Unternehmen Seit dem 19. Jahrhundert ist in Jena die Glas- und Optikindustrie ansässig. Durch Erfindungen, die das Mikroskop revolutionierten, und die Entwicklung des Planetariums sind die einschlägigen Unternehmen weltweit bekannt. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Unternehmen Carl Zeiss Jena GmbH und SCHOTT JENAer GLAS GmbH durch emigrierte Wissenschaftler und Angestellte in Westdeutschland neu gegründet. Bis Juli 1945 deportierten die amerikanischen Besatzer einen Großteil des Know-how in Form von Wissenschaftlern und Aufzeichnungen in ihre Besatzungszone. Danach erfolgte unter der sowjetischen Besetzung die Demontage der Industrie und deren Deportation in die Sowjetunion. Anfangs baute die Jenaer Bevölkerung die Städtische Industrie selbst wieder auf, bis auch die sowjetischen Besatzer in der neugegründeten DDR den Wiederaufbau unterstützten, um sie gegenüber der Bundesrepublik Deutschland zu stärken. Später entstand das Kombinat VEB Carl Zeiss Jena. Die Schottwerke wurden ebenfalls in ein Kombinat umgewandelt. Zusätzlich entstand in der DDR-Zeit mit Jenapharm ein pharmazeutisches Unternehmen, das aus dem in den vierziger Jahren gegründeten bakteriologischen Labor des Glaswerkes Schott hervorging. Aus dem Glaswerk wurde später der Bereich Glasfaser ausgegliedert und ging im Januar 2007 mehrheitlich in die Leoni AG über. Nach der Wende wurde das volkseigene Großkombinat Carl Zeiss, in dem fast alle optischen Unternehmen der DDR zusammengeschlossen waren, privatisiert. Carl Zeiss Oberkochen übernahm die Verantwortung für das optische Kerngeschäft. Für den überwiegenden Teil der Jenaer Werke wurde ein Sanierer gesucht und mit Lothar Späth gefunden. In Jena entstand die Carl Zeiss Jena GmbH als Tochterunternehmen von Zeiss Oberkochen und die Jenoptik GmbH als Rechtsnachfolgerin des ehemaligen Kombinats mit Späth an der Spitze. 1998 wagte die Jenoptik als Aktiengesellschaft den Schritt an die Börse. Vier börsennotierte Unternehmen haben ihren Hauptsitz in Jena: Jenoptik AG, Carl Zeiss Meditec AG, Intershop AG und die DEWB AG. Analytik Jena hat sich 2015 von der Börse zurückgezogen. Das Kombinat VEB Jenapharm suchte nach der Wende einen Käufer und fand ihn in der Gehe AG. Später wurde der Betrieb durch die Schering AG übernommen. Das Unternehmen hat sich als Marktführer im Bereich der oralen Kontrazeptiva in Deutschland etabliert und gehört heute zur Bayer Pharma AG. Eine ganze Reihe pharmazeutischer Institute und Unternehmen haben sich im Umfeld angesiedelt. Wacker Chemie AG und Schott Solar gründeten ein Gemeinschaftsunternehmen, das am 16. April 2008 ein Werk zur Herstellung von Silizium-Wafern für die Solarindustrie in Betrieb nahm. Nach dem Rückzug von Wacker Ende September 2009 beschäftigte SCHOTT Solar etwa 350 Mitarbeiter an dem Standort. Ende März 2012 wurde die Waferproduktion in Jena eingestellt. Im Rahmen der BioRegio-Initiative mit dem Konzept „Bioinstrumente“ wurden zahlreiche Biotechnologieunternehmen gegründet. Unternehmen dieser Branche, die ihren Hauptsitz in Jena haben, sind Analytik Jena und CyBio. Biolitec hat seinen Hauptsitz nach Wien verlegt. Seit der Übernahme von Clondiag 2006 ist der Medizintechnikkonzern Alere in der Stadt vertreten. Die WACKER Biotech GmbH produziert therapeutische Proteine mit biotechnologischen Verfahren. Sie wurde 1999 unter dem Namen ProThera GmbH als Ableger des Hans-Knöll-Instituts in Jena gegründet und ist seit 2005 eine vollständige Tochter der Wacker Chemie AG. Die Deutsche Effecten- und Wechsel-Beteiligungsgesellschaft AG (kurz: DEWB), eine ehemalige Tochtergesellschaft der Jenoptik AG, die sich auf die Finanzierung und Entwicklung junger Unternehmen auf dem Gebiet der optischen Technologien und der Sensorik spezialisierte, hat ihren Hauptsitz in Jena. Die Sparkasse Jena-Saale-Holzland ist das größte Finanzunternehmen mit Sitz in der Stadt. Jena gilt als eines der Zentren im Bereich des Elektronischen Handels in Deutschland. Intershop entwickelte sich seit Mitte der 1990er Jahre als einer der Vorreiter in der Entwicklung von Onlineshops. Nach dem Platzen der Dotcom-Blase verlor das Unternehmen jedoch wesentlich an Wert. Neben Internetagenturen sind weitere Unternehmen wie T-Systems Multimedia Solutions, ESET und Demandware in der Stadt vertreten. Im Bereich Sicherheitstechnik hat der US-amerikanische Cross-Match-Technologies-Konzern seit der Übernahme der britischen Smiths Heimann Biometrics-Gruppe (SHB) im August 2005 eine Zweigstelle in Jena. Zudem ist Jena wichtiger Standort der Rüstungsindustrie, die sich vor allem im Bereich der optischen Betriebe etabliert hat. Schon vor 1990 war Carl Zeiss Jena in diesem Bereich tätig. Zeiss produziert Zielgeräte und andere militärische Ausrüstungsgegenstände. Jena-Optronik, eine EADS/Astrium-Tochter, die bis 2010 zu Jenoptik gehörte, entwickelt Sensoren für Satelliten und Sonden sowie Instrumente zur Erdbeobachtung und Erkundung des Weltalls. Unter dem Dach der Holding Stadtwerke Jena GmbH sind mehrere kommunale Betriebe angesiedelt. Strom-, Gas- und Fernwärmeversorgung sowie weitere Dienstleistungen stellen die Stadtwerke Energie Jena-Pößneck GmbH bereit. Den Straßenbahn- und Busverkehr innerhalb der Stadt betreibt die Jenaer Nahverkehr GmbH. Mehrere Bäder werden von der Jenaer Bäder und Freizeit GmbH betrieben. Der größte Wohnungsanbieter in Jena und Blankenhain mit etwa 14.000 Wohneinheiten, die Jenawohnen GmbH (zuvor SWV GmbH), gehört ebenfalls zum Verbund. Mit etwa 6200 Wohnungen ist die 1954 gegründete Wohnungsgenossenschaft Carl Zeiss e. G. der zweitgrößte Vermieter in Jena und Umgebung. Ansässige Branchennetzwerke InfectoGnostics Forschungscampus Jena e. V. (Infektionsdiagnostik, Point-of-Care-Technologien) medways e. V. (Medizintechnik, Bioanalytik, Laborgerätetechnik) MNT Mikro-Nano-Thüringen e. V. (bis 15. März 2022) OptoNet Jena e. V. (Optik und Photonik) Präzision aus Jena (Arbeitsgruppe des BVMW) SpectroNet (Bildverarbeitung) TowerByte eG (Software und E-Commerce) Region Erfurt-Weimar-Jena „Die ImPuls-Region“ Die an der „Thüringer Städtekette“ nebeneinander aufgereihten Städte Jena, Weimar und Erfurt arbeiten bei aller Konkurrenz seit der Vorbereitung zum Kulturstadtjahr „Weimar 99“ in ausgewählten Bereichen zusammen. Ein markantes Ergebnis dieser Kooperation ist der Verbundtarif zur Nutzung (fast aller) Busse, Straßenbahnen und DB-Züge in der Region mit nur einem Fahrschein. Die Kooperation wurde 2005 durch ein neues ImPuls-Regionalkonzept auf Bereiche jenseits von Tourismus und Nahverkehr ausgedehnt. Zu den gesamtregionalen Zielen gehört vor allem die wirtschaftliche Zusammenarbeit unter der Marke „Erfurt-Weimar-Jena Die ImPuls-Region“, die außer den genannten Städten auch den Landkreis Weimarer Land mit einschließt. Verkehr Die „Leitlinien Mobilität in Jena 2030“ wurden am 14. Februar 2018 durch den Stadtrat beschlossen. Sie bilden die Grundlage für die weitere Verkehrsentwicklungsplanung in Jena bis 2030. Schienenverkehr Jena verfügt im Stadtgebiet über drei Bahnhöfe sowie zwei Haltepunkte und ist ein Bahnknotenpunkt. Hier kreuzen sich die Saalbahn und die Bahnstrecke Weimar–Gera, „Mitte-Deutschland-Verbindung“. Alle Züge in Ost-West-Richtung verkehren über den Bahnhof Jena-Göschwitz und den Bahnhof Jena West. Die Verbindungen in Nord-Süd-Richtung führen über den Haltepunkt Jena-Zwätzen, den Saalbahnhof, den Haltepunkt Jena Paradies und ebenfalls den Bahnhof Jena-Göschwitz, wo sich die beiden Bahnstrecken treffen. Im Bereich zwischen Göschwitz und der Ringwiese war in den 1970er und 1980er Jahren ein Hauptbahnhof geplant, der jedoch nie über das Planungsstadium hinaus kam. Bis 2001 wurde der Saalbahnhof als Fernverkehrshalt Jenas genutzt, ehe er vom Haltepunkt Jena Paradies als solchem abgelöst wurde. Am 12. Juni 2005 wurde dort ein neues, modernes Empfangsgebäude eröffnet, das die im Rahmen des Umbaus genutzten provisorischen Holzbahnsteige ablöste. Jena Paradies wurde im Stundentakt von ICE auf der Relation von Berlin über Leipzig und Nürnberg nach München angefahren. Diese Züge werden seit Fertigstellung der Neubaustrecken Leipzig/Halle–Erfurt und Erfurt–Nürnberg im Dezember 2017 über Erfurt und somit nicht mehr über Saalfeld und Jena geführt. Im Regionalverkehr sind unter anderem Weimar, Erfurt, Göttingen, Gera, Glauchau, Rudolstadt, Saalfeld (Saale), Lichtenfels, Pößneck, Blankenstein, Großheringen, Naumburg (Saale) sowie mittels eines Regionalexpress Bamberg und Nürnberg direkt erreichbar. Straßen-, Fahrrad- und Fußgängerverkehr Durch das südliche Stadtgebiet führt in West-Ost-Richtung die Bundesautobahn 4 (Frankfurt am Main –) Erfurt – Chemnitz – Dresden – Görlitz. Die Stadt ist über die Anschlussstellen Jena-Göschwitz und Jena-Zentrum erreichbar. Ferner führen die B7 und die B88 durch Jena. Für das Jahr 2009 erfasste die Polizei 2779 Straßenverkehrsunfälle, davon 362 mit Personenschaden. Der gesamte Kraftfahrzeugbestand betrug 45.920, davon waren 40.782 Personenkraftwagen. In Jena kreuzen sich zwei Radfernwege – der Saale-Radweg und der Radfernweg Thüringer Städtekette. Beide sind Teil des sogenannten Radnetz Deutschland von 12 Fernradwegen, die im Nationalen Radverkehrsplan 2002–2012 der Bundesregierung ausgewiesen sind. Der Saale-Radweg ist Teil der Ostsee-Oberbayern-Route. Der Radfernweg Thüringer Städtekette ist Teil der Mittelland-Route, die von Aachen (aus Westeuropa kommend) bis Zittau (und weiter nach Osteuropa) führt. Durch Jena führen auch der Thüringer Mühlenradweg und der Kirchenradweg Jena – Thalbürgel. Der Anteil des Fahrradverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen in der Stadt (Modal Split) liegt bei 9 Prozent und soll in den nächsten Jahren 15 Prozent erreichen. Nach Ergebnissen des „Systems der repräsentativen Verkehrsbefragungen“ (SrV) von 2009 und 2013 hat Jena deutschlandweit eine Spitzenposition inne im Anteil des Fußverkehrs (38 Prozent) mit steigender Tendenz seit 2003, während der motorisierte Individualverkehr (MIV) im Modal Split auf 34 Prozent gefallen ist. Öffentlicher Personennahverkehr Die Omnibuslinie Apolda–Jena, die am 5. September 1909 den fahrplanmäßigen Verkehr aufnahm, ist die älteste regelmäßige Kraftverkehrsverbindung zwischen zwei Thüringer Städten. Der ÖPNV wird durch Straßenbahn- und Buslinien der Jenaer Nahverkehr GmbH (JeNah) erbracht. Neben dem Spätverkehr auf den meisten dieser Linien wird an allen Wochentagen zwischen ca. 0 Uhr und 4 Uhr ein Nachtverkehr auf einer Straßenbahnlinie im 30- oder 40-Minuten-Takt angeboten. Einige Ortschaften können nur mit Regionalbus-Linien der JES Verkehrsgesellschaft mbH, der Personenverkehrsgesellschaft mbH Apolda (PVG) oder der Omnibusverkehr Saale-Orla-Rudolstadt GmbH (OVS) erreicht werden, was aber oftmals nur montags bis freitags bzw. an Schultagen morgens und nachmittags möglich ist. Ende der 1960er-Jahre wurde der Bau einer Alwegbahn geplant, wofür Technik aus der BRD hätte importiert werden müssen. Wegen der Direktive „Störfreimachung vom Westen“ musste der Bau daher 1971 verworfen werden. Die aktuellen ÖPNV-Planungen sind im Verkehrsentwicklungsplan 2002 der Stadt Jena und im Nahverkehrsplan der Stadt Jena 2008–2012 enthalten. Die Zahl der Einpendler aus dem Umland nach Jena ist in den letzten Jahren angestiegen, zwischen 2007 und 2017 um fast 6.000 Personen (+30,3 %) täglich. Etwa 46 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Jena sind Einpendler (+ 19,1 %), eine Herausforderung für den ÖPNV. Im Juni 2018 pendelten rund 26.100 Menschen zur Arbeit nach Jena bei rund 57.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten; 11.284 Menschen pendelten aus Jena in das Umland. Schifffahrt Aufgrund mehrerer Staustufen ist die Saale bei Jena nicht mehr schiffbar. Früher war hier ein Anlegepunkt für kleinere Transportschiffe und das Holz aus dem Thüringer Holzland wurde durch Jena geflößt. Flugverkehr Östlich der Stadt befindet sich der Verkehrslandeplatz Flugplatz Jena-Schöngleina, der ausschließlich für die Allgemeine Luftfahrt genutzt wird. Der Flugplatz verfügt über eine 1170 m Asphaltlandebahn und eine querliegende 610 m Grasbahn. Die nächsten Landeplätze mit Linienverkehr sind Leipzig/Halle, Erfurt-Weimar und Nürnberg. Medien In Jena gibt es Lokalredaktionen der Tageszeitungen Ostthüringer Zeitung (OTZ, hervorgegangen aus dem Zentralorgan der SED im Bezirk Gera („Volkswacht“)) und der auflagenschwächeren Thüringische Landeszeitung (TLZ). Beide gehören der Mediengruppe Thüringen (Funke-Mediengruppe Essen) an. Im wöchentlichen Rhythmus wird das werbefinanzierte Anzeigenblatt Allgemeiner Anzeiger herausgegeben, das über eine eigene Redaktion in Jena verfügt. Außerdem erscheinen an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, der Ernst-Abbe-Fachhochschule Jena und an einigen Gymnasien die Studentenzeitungen Akrützel, Die Wurzel und Unique. Seit August 2008 erscheint das Stadtmagazin 07. Das Stadtmagazin für Jena und Region. Weiter gibt es den Fernsehsender JenaTV, der seit 1998 Bewegtbildnachrichten in und aus Jena ins lokale Kabelnetz einspeist. Der Offene Kanal Jena, ein Radiosender, sendet seit 1998 auf 103,4 MHz (UKW) und im Kabel auf 107,90 MHz. Im Rahmen des Offenen Kanals sendet seit 2003 das Studentenradio von Universität und FH, das Campusradio Jena. Außerdem gibt es dort stadtweites Radioprogramm von Schülern für Jenaer Schulen. Im Internet werden Jenaer Lokalnachrichten von OTZ.de, TLZ.de, jenanews.de (Juli 2007 bis August 2012) und Jenaer Nachrichten (seit Herbst 2011) präsentiert. Tagesaktuelle Nachrichten wurden auf jenapolis.de (seit Frühjahr 2009) veröffentlicht. Öffentliche Einrichtungen In Jena befindet sich eine Dienststelle des Deutschen Patent- und Markenamts, dessen Hauptsitz sich in München befindet. Neben dem Thüringer Oberlandesgericht, das seit 1993 wieder in Jena angesiedelt wurde, hat die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft ihren Sitz im Justizzentrum Jena. Im Justizzentrum befindet sich ebenfalls das Amtsgericht Jena. Mit Wirkung ab dem 1. Januar 2014 wurde das ehemals eigenständige Arbeitsgericht Jena mit dem Arbeitsgericht Gera zusammengelegt. Bildung und Forschung Jena ist mit der Friedrich-Schiller-Universität die einzige Stadt im Freistaat Thüringen mit einer Volluniversität. Daneben beherbergt die Saalestadt mit der Ernst-Abbe-Hochschule Jena eine weitere wichtige überregionale Bildungseinrichtung. In Jena werden knapp 21.000 Studenten ausgebildet (Stand Wintersemester 2020/2021). Im Umfeld der Universität und Fachhochschule haben sich mehrere Institute und kleine Optiktechnologie- und Biotechnologieunternehmen angesiedelt, die Grundlagenforschung betreiben oder medizinische Instrumente entwickeln. Viele akademische Institute und Startup-Unternehmen sind am Beutenberg Campus angesiedelt. Jena gehört zum BioRegio-Verbund und betreibt ein Bioinstrumentezentrum zur Förderung von Biotech-Unternehmen. Mit dem Thema „Zukunft Licht“ gehört Jena zu den zehn deutschen Städten zum Treffpunkt der Wissenschaft im Wissenschaftsjahr 2009. Für interessierte Laien gibt es unter anderem mit der Lichtwerkstatt eine offene Werkstatt und einen Krautspace genannten Hackerspace. Forschungseinrichtungen Hans Knöll entwickelte 1942 im bakteriologischen Labor des Jenaer Glaswerks Schott & Gen das erste labortechnische Verfahren zur Herstellung von Penicillin auf dem europäischen Kontinent. 1953 gründete Hans Knöll das Institut für Mikrobiologie und Experimentelle Therapie, aus dem das Hans-Knöll-Institut (HKI) hervorging, das später in Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie – Hans-Knöll-Institut (HKI) umbenannt wurde. Leibniz-Institut für Alternsforschung – Fritz-Lipmann-Institut (FLI) Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT; 1992–2007 Institut für Physikalische Hochtechnologie, 2007–2013 Institut für Photonische Technologien) Max-Planck-Institut für Biogeochemie Max-Planck-Institut für chemische Ökologie Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte Fraunhofer-Institut für Angewandte Optik und Feinmechanik (IOF) Friedrich-Loeffler-Institute: Institut für bakterielle Infektionen und Zoonosen (IBIZ) Institut für molekulare Pathogenese (IMP) Helmholtz-Institut Jena (HI-Jena) DLR-Institut für Datenwissenschaften (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) Forschungsschwerpunkte Insgesamt forschen in Jena rund 4500 Wissenschaftler. Mit Schwerpunkten in den Bereichen Optik und Photonik sowie Gesundheit und den Lebenswissenschaften orientiert sich die Forschung in Jena an wichtigen Zukunftsfragen, die für die Weiterentwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft relevant sind. Die Profillinie „LIGHT LIFE LIBERTY“ der Friedrich-Schiller-Universität und der Slogan „where life sciences meets physics“ des Beutenberg Campus dokumentieren die interdisziplinäre Forschung am Standort Jena. Zu den Forschungsschwerpunkten zählen u. a. Optik und Photonik, Infektionsforschung und Sepsis, sowie innovative Materialien und Oberflächentechnik. Schulen Begabtenförderung und Reformpädagogik haben in Jena lange Tradition. Es wurden und werden verschiedene Ansätze bezüglich naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Schulen verfolgt. Mitte des 19. Jahrhunderts wirkte der Pädagoge Karl Volkmar Stoy dort. Im Sommer 1853 zog er mit allen Schülern durch die Landschaft und erfand so den Wandertag. Die von ihm 1844 gegründete Schule war eine der ersten mit angebauter Turnhalle. Das Berufsschulzentrum Karl-Volkmar-Stoy-Schule trägt inzwischen seinen Namen. Anfang des 20. Jahrhunderts gründete Hermann Pistor eine Fachschule für Augenoptik; der Pädagoge Peter Petersen entwickelte das Jena-Plan-Modell an der Universität und in einer eigenen Universitätsschule. Die erste deutsche Montessorischule wurde zu Pfingsten 1923 in der ehemaligen Grundschule von Wenigenjena gegründet. Sie bestand bis 1929 und wurde von der nationalsozialistisch geführten Landesregierung von Thüringen geschlossen. Das Spezialgymnasium Carl-Zeiss ist ausgerichtet auf Mathematik und Naturwissenschaften. Besonderer Wert wird seit der Gründung 1963 auf die selbstbewusste und umfassende Auseinandersetzung mit diesen Gebieten gelegt. Die Schule machte durch Erfolge auf nationaler und internationaler Ebene in Naturwissenschafts-Wettbewerben wie zum Beispiel der Mathematikolympiade, dem Bundeswettbewerb Informatik oder der Internationalen Chemieolympiade auf sich aufmerksam. Neben der Jenaplan-Schule, die gleich nach der Wende im Ziegenhainer Tal wiedererstand und 2006 einer der Träger des Deutschen Schulpreises war, gibt es auch wieder eine Montessorischule in Jena. Zudem existieren eine Freie Waldorfschule im Süden und eine Europaschule im Stadtteil Alt-Lobeda. Die Integrierte Gesamtschule „Grete Unrein“ Jena entstand 1991 als ein Sondermodell mit der Umwandlung der Erich-Weinert-Schule an der Leutra zur Grundschule. Das Johann-Christoph-Friedrich-GutsMuths-Gymnasium hat als Schwerpunkt den Bereich Sport. Unter landeskirchlicher Trägerschaft steht das Christliche Gymnasium Jena. Ein weiteres Gymnasium ist das Ernst-Abbe-Gymnasium. Derzeit werden die Realschule Ostschule und das Adolf-Reichwein-Gymnasium im Gebäude des Gymnasiums zu einer Kooperativen Gesamtschule vereint. Grund dafür sind die zurückgehenden Schülerzahlen. Im Gebäude der Ostschule ist seit November 2006 das Angergymnasium untergebracht. Des Weiteren gibt es das Otto-Schott-Gymnasium, das einen bilingualen Unterricht anbietet, in Lobeda-West. Medizinische Versorgung und Feuerwehr Das Universitätsklinikum Jena ist das einzige Universitätsklinikum in Thüringen. In Standorten in Lobeda, an der Bachstraße und im Landgrafengebiet befinden sich 26 Kliniken und Polikliniken mit insgesamt 1375 Betten. Das Klinikum ist ein Krankenhaus der Maximalversorgung und gleichzeitig Lehrkrankenhaus der Universität Jena. Im Jahr 2013 wurde das Ambulante Reha Zentrum (ARZ) in Jena eröffnet. Es gehört zur Klinikgruppe der Gräflichen Kliniken Bad Driburg und hat sich auf die Fachbereiche Neurologie und Orthopädie spezialisiert. Das hauseigene Gesundheits- und Präventionszentrum bietet vielfältige Angebote in den Bereichen Ernährung, Bewegung und Entspannung. Die ansässigen Praxen für Ergotherapie, Physiotherapie und Logopädie komplettieren das reichhaltige Gesundheitsangebot. Die Feuerwehr Jena gliedert sich in eine Berufsfeuerwehr mit knapp 120 Mitarbeitern sowie 15 Freiwillige Feuerwehren. Gemeinsam bewältigen die aktiven Einheiten rund 2000 Einsätze im Jahr, wovon etwa 15 Prozent in den Bereich der Brandbekämpfung fallen. Am nahegelegenen Flugplatz Jena-Schöngleina ist der mit Ärzten des Universitätsklinikums Jena besetzte Rettungshubschrauber Christoph 70 stationiert. Die Integrierte Leitstelle Jena koordiniert den in Bad Berka stationierten Intensivtransporthubschrauber Christoph Thüringen. Ehemalige Garnison Jena wurde in den 1930er Jahren bei der Aufrüstung der Wehrmacht Garnisonsstadt. In Zwätzen wurde eine Infanterie- und in Löbstedt eine Artilleriekaserne für das Heer erbaut. Im Jenaer Forst entstand eine Unterkunft für die Flakartillerie; außerdem im nahegelegenen Rödigen ein Fliegerhorst der Luftwaffe. Die Einrichtungen in Zwätzen, Löbstedt und dem Forst wurden nach 1945 bis zum Abzug 1991/92 von den sowjetischen/russischen Truppen und die in Rödigen von der Nationalen Volksarmee belegt. Persönlichkeiten Ehrenbürger Neben Politikern und Gelehrten der Universität wurden auch Menschen, die sich um die Stadt verdient gemacht haben, mit der Ehrenbürgerwürde der Stadt Jena ausgezeichnet. Erstmals wurde diese Ehre dem Professor der Theologie, Kirchenrat und Superintendent Eduard Schwarz am 1. Februar 1837 zuteil. Der ehemalige Reichskanzler Otto von Bismarck erhielt die Auszeichnung Ende Juli 1894, einen Tag vor seinem Besuch in der Stadt. Die während der Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verliehenen Ehrenbürgerwürden, unter anderem an Adolf Hitler und den damaligen thüringischen Gauleiter Fritz Sauckel, wurden später aberkannt. Am 20. März 1991 wurden sechs Auszeichnungen aus der Zeit vor der Wende in der DDR aberkannt, darunter auch die des langjährigen Kombinatsdirektors des VEB Carl Zeiss Jena, Wolfgang Biermann. Söhne und Töchter der Stadt (Auswahl) 1621–1676: Ernst Friedrich Schröter, Rechtswissenschaftler 1659–1731: Johann Christian Schröter, Rechtswissenschaftler 1675–1747: Johann Adolph Wedel, Mediziner 1676–1752: Friedrich Gottlieb Struve, Jurist und Hochschullehrer 1707–1758: Johann Christian Stock, Mediziner 1734–1799: Karl Friedrich Walch, Rechtswissenschaftler 1786–1866: Louise Seidler, Malerin 1872–1955: Karl Naumann, Maler 1881–1977: Margrethe Klenze, Malerin 1884–1953: Hugo Schmeisser, Konstrukteur von automatischen Handfeuerwaffen 1888–1970: Günther Hertwig, Anatom 1891–1950: Walter Eucken, Ökonom und wichtiger Vertreter des Ordoliberalismus 1897–1959: Kurt Held, Schriftsteller 1903–1994: Erich Schwinge, Jurist 1904–1982: Martin Junge (Maler), Grafiker und Maler 1906–1978: Helmut Krause, Maler und Grafiker 1907–1975: Karl Paul Hensel, Nationalökonom 1909–1994: Elisabeth Oestreich, Mittelstreckenläuferin 1910–1989: Lothar Grisebach, Maler 1911–2004: Bernhard zur Lippe-Biesterfeld, Prinz der Niederlande 1913–1997: Wolfgang Stock, Bildhauer, Holzschnitzer, Maler und Zeichner 1917–2003: Otto Günsche, SS-Sturmbannführer und persönlicher Adjutant Adolf Hitlers 1922–2023: John Goodenough, Physiker und Materialwissenschaftler, Nobelpreisträger für Chemie 2019 1930–2001: Franz Peter Schilling, Apoldas letzter Glockengießermeister 1932: Margarete Schilling, Expertin für Glocken und Carillons 1936: Gerlinde Böhnisch-Metzmacher, Malerin, Grafikerin und Plastikerin 1937–2020: Geert Müller-Gerbes, Pressereferent des Bundespräsidenten, Journalist und Fernsehmoderator 1938: Wulf D. von Lucius, Verleger und Publizist 1940–2006: Tilo Medek, Komponist und Musikverleger 1944–2014: Christine Freigang, Keramikerin 1945: Heikedine Körting, Hörspielproduzentin 1951: Martin Seifert, Schauspieler und Sprecher 1953: Roland Jahn, Journalist und Bürgerrechtler 1955: Siegfried Reiprich, Bürgerrechtler 1967: Petra Kleinert, Schauspielerin 1969: Sahra Wagenknecht, Politikerin (Die Linke) und Publizistin 1972: André Kapke, Neonazi 1972: Pierre Geisensetter, Moderator und Schauspieler 1973: Bernd Schneider, Fußballspieler 1975: Beate Zschäpe, Terroristin des NSUs 1975: Ralf Wohlleben, Neonazi 1977–2009: Robert Enke, Fußballtorhüter 1981: Karoline Schuch, Schauspielerin 1981: Melanie Raabe, Schriftstellerin 1982: Steffen Justus, Triathlet 1983: Franz Dinda, Kino- und Fernsehschauspieler 1983: Robert Marc Lehmann, Meeresbiologe und Umweltschützer 1984: Diana Riesler, Duathletin und Triathletin 1985: Albrecht Schuch, Schauspieler Persönlichkeiten, die vor Ort gewirkt haben Viele Personen, die in Jena eine Zeit ihres Lebens verbrachten, haben die Geschichte der Stadt geprägt und ihr Gesicht spürbar verändert. Nach ihnen sind Straßen und Plätze benannt. Gelehrte und Studierende der Friedrich-Schiller-Universität trugen mit ihrer Arbeit erheblich zum Ansehen der Stadt bei. In den Jahren 1740/41 studierte der Altertumswissenschaftler Johann Joachim Winckelmann in Jena. Johann Christian Günther verbrachte die letzten Wochen seines Lebens hier und starb 1723 in Jena. Philosophen und Dichter wie Georg Wilhelm Friedrich Hegel, Johann Gottlieb Fichte, Novalis, Friedrich Schlegel oder Friedrich Schiller lernten bzw. lehrten und schufen hier ihre Werke. Der Chemiker Johann Wolfgang Döbereiner suchte nach einem Zusammenhang zwischen den Elementen. Der Logiker, Mathematiker und Philosoph Gottlob Frege wirkte von 1874 und 1917 in Jena. Er leistete wesentliche Beiträge zu den Grundlagen der Mathematik und der linguistischen Semantik. Karl Volkmar Stoy und Peter Petersen haben sich mit ihrer Arbeit in Jena große Verdienste auf dem Gebiet der Pädagogik erworben. Johann Gottlob Marezoll war ein überregional bekannter Prediger, der in Jena als Oberpfarrer, Superintendent und Konsistorialrat wirkte. Auch Christian Wilhelm Oemler sorgte sich um die Hebung des Schulwesens. In der Zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts schuf Carl Zeiss zusammen mit Ernst Abbe und Otto Schott die Grundlagen der modernen Optik in Jena. Die von ihnen gegründeten Unternehmen erlangten Weltruhm mit der Herstellung wissenschaftlicher Instrumente. Lothar Späth, ehemaliger Ministerpräsident von Baden-Württemberg, leitete dort rund 150 Jahre danach eines der Folgeunternehmen. Abbe gründete zudem die nach seinem Partner benannte Carl-Zeiss-Stiftung, die sich von Anbeginn durch soziale Bestrebungen und Arbeiterfürsorge sowohl auf körperlichem wie auf geistigem Gebiet auszeichnete und bis heute als Vorbild für soziale Reformarbeit gilt. Er stiftete u. a. die Jenaer Lesehalle und das Volkshaus als Orte parteipolitischen wie intellektuell-literarischen Lebens und setzte sich aktiv für eine höhere Bildung und Ausbildung des Arbeiterstandes ein. Von 1938 bis zu seinem Tod 1960 lebte hier der Kinder- und Jugendbuchautor und Schriftsteller Albert Sixtus, bekannt geworden durch seine zahlreichen Bilderbuchverse („Die Häschenschule“) und Abenteuerromane sowie als Herausgeber von Auerbachs Deutscher Kinderkalender. Von 1971 bis zu seinem Tod 2010 lebte hier Curt Letsche, Autor von Science-Fiction-Erzählungen, Schilderungen des antifaschistischen Widerstands und Kriminalromanen; er ist auf dem Nordfriedhof beigesetzt. Walter-Dexel-Stipendium Die Stadt Jena würdigt seit 1997 jährlich Künstler und Kulturschaffende der Region mit dem Walter-Dexel-Stipendium. Stipendiaten 1997: Einhard Hopfe, Maler und Grafiker 1998: Ines Eck, Grafikerin und Fluxuskünstlerin 1999: Klaus Wegener, Musiker 2000: Anne Günther, Fotografin 2001: Manuela Schwarz, Gründerin des Tanztheaters Jena 2002: Martin Neubert, Bildhauer 2003: Jan Volker Röhnert, Literaturwissenschaftler und Autor 2004: Uwe Germar, Filmemacher 2005: Sarah Jasinszczak, Regisseurin 2006: Gerlinde Böhnisch-Metzmacher, Malerin, Grafikerin und Plastikerin 2007: Martin Stiebert 2008: Robert Seidel 2009: Amira Shemeis, Tanzpädagogin 2010: Jana Gunstheimer, Malerin und Inszenierungskünstlerin 2011: Robert Krainhöfner, Bildhauer 2012: Romina Voigt und Moritz Gause 2013: Friedemann Ziepert, Kinderzikusdirektor und Musiker 2014: Sebastian Jung, Künstler und Grafiker 2015: Thomas Sperling, seit 1990ern im Team des Kulturzentrums Kassablanca 2016: Antje Horn, Geschichtenerzählerin 2017: Thomas Eckardt, Programmchef der Jazzmeile Thüringen 2018: Maximilian Lörzer, Gründer und Leiter des Psycho-Chor 2019: David Cebulla, Naturfilmer 2020: Ralf Kleist und Philipp Schäffler, Musiker 2021: Kathrin Groß-Striffler, Schriftstellerin 2022: Tim Helbig, Klangkünstler Sonstiges Die Bewohner der Stadt Jena sind Jenaer und Jenaerinnen. Hingegen sind Jenenser und Jenenserinnen ausschließlich auch in Jena Geborene; nach anderer Quelle müssen zusätzlich auch ihre Eltern in Jena geboren sein. Zur Erinnerung an die siegreiche Schlacht bei Jena trugen Schiffe der französischen Kriegsmarine den Namen „Jena“: Eine Korvette (1807–1810), ein 110-Kanonen-Linienschiff (1814–1864), das bis 1915 in Toulon als Hulk diente, und ein Panzerschiff von 1897, das 1907 im Hafen von Toulon explodierte. Danach wurde der Name nicht länger für Kriegsschiffe vergeben. In Paris sind die Avenue d’Iéna und die Seine-Brücke Pont d’Iéna nach der Schlacht bei Jena benannt. Der Asteroid (526) Jena ist nach der Stadt benannt. Auf der Rückseite des 10-Mark-Scheins der Serie von 1964 befand sich eine Ansicht des VEB Carl Zeiss Jena. Links unten war der Kirchturm von St. Johannes Baptist zu sehen, der einzigen Kirche auf einem DDR-Geldschein. Ab 1971 trug der 10-Mark-Schein auf der Vorder- und Rückseite andere Abbildungen. In der geologisch recht interessanten Umgebung der Stadt existieren zwei geologische Lehrpfade. Die Adern von Jena sind ein landschaftsarchitektonisches Projekt in Jena-Paradies und offizielles Begleitprojekt der Bundesgartenschau Gera-Ronneburg 2007. Es sind Fernwärmeleitungen, die zu Kunstobjekten umgestaltet wurden. Am 25. Mai 2009 erhielt die Stadt den von der Bundesregierung verliehenen Titel „Ort der Vielfalt“. Im Mai 2010 wurde auf dem Marktplatz von Jena der bis heute (2023) größte Kartoffelkloß der Welt zubereitet. Das Kochgefäß war aus Schottglas. Literatur (Auswahl) Vgl. die Bibliographie in Stutz/Mieth (2018). Jena von seinem Ursprunge bis zur neuesten Zeit nach Adrian Beier, Wiedeburg, Spangenberg, Faselius, Zenker u. A. von Carl Schreiber, Maler, und Alexander Färber, Museum-Schreiber. Jenaer Universitäts-Buchhandlung, Jena 1850 (); Verlag für Kunstreprod., Neustadt an der Aisch 1996, unveränd. Nachdr. der Ausg. von 1850, ISBN 3-7896-0568-9. Jenaische Stadt- und Universitäts-Chronik von Martin Schmeizel. Hrsg. von Ernst Devrient. Nebst einem Stadtplan vom Jahre 1758, Jena 1908. Erich Keyser (Hrsg.): Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte Band II Mitteldeutschland. Im Auftrag der Konferenz der landesgeschichtlichen Kommissionen Deutschlands mit der Unterstützung des Deutschen Gemeindetages, Stuttgart 1941. Joachim H. Schultze: Jena. Werden, Wachstum und Entwicklungsmöglichkeiten der Universitäts- und Industriestadt. Verlag Gustav Fischer, Jena 1955, (Detailliertes Werk zur Planung der Stadtentwicklung). Herbert Koch: Geschichte der Stadt Jena. Unveränd. Nachdr. der Ausg. von 1966. Mit einem Nachw. von Jürgen John und einer Bibliographie zur Jenaer Stadtgeschichte von Reinhard Jonscher. Gustav Fischer, Jena [u. a.] 1996, ISBN 3-437-35130-3. Über Jena. Das Rätsel eines Ortsnamens. Alte und neue Beiträge. Hrsg. und kommentiert von Norbert Nail und Joachim Göschel (= Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik. Beihefte, Nr. 104). Steiner, Stuttgart 1999, ISBN 3-515-07504-6 (134 S.; ; Wiederabdrucke von Aufsätzen aus dem 19. und 20 Jh.; Faksimiles einschlägiger Urkunden). Magister Adrian Beiers Jehnische Chronika. Chronologus Jenensis 1600–1672 (= Schriftenreihe der Städtischen Museen Jena). Fotos von Günter Schörlitz. Hrsg. von Ilse Traeger. Städtische Museen Jena, Jena o. J. [1989], . Wolfgang Gresky (Hrsg.): Jena in alten Ansichtskarten (= Deutschland in alten Ansichtskarten). Flechsig, Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-88189-083-1. Volker Wahl: Jena als Kunststadt. Begegnungen mit der modernen Kunst in der thüringischen Universitätsstadt zwischen 1900 und 1933 (= Seemann-Beiträge zur Kunstwissenschaft). E. A. Seemann Verlag, Leipzig 1988, ISBN 3-363-00363-3. Rüdiger Stutz, Verein für Jenaer Stadt- und Universitätsgeschichte (Hrsg.): Macht und Milieu. Jena zwischen Kriegsende und Mauerbau (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte. Band 4). Hain-Verlag, Rudolstadt 2000, ISBN 3-930215-41-1 (Aufsatzsammlung). Volker Leppin und Matthias Werner (Hrsg.): Inmitten der Stadt: St. Michael in Jena. Vergangenheit und Gegenwart einer Stadtkirche. Imhof, Petersberg 2004, ISBN 3-937251-25-1 (Aufsatzsammlung). Bilder von Jena aus der Zeit Goethes und Schillers. Zusammengestellt, hrsg. und mit einem Nachw. versehen von Birgitt Hellmann. Vopelius, Jena 2007, ISBN 978-3-939718-01-7 (Stammbuchblätter von Christian Ludwig Heß). Petra Zippel, Matthias Lerm: Architektur in Jena. Fotos von Michael Miltzow. Übers. von Margaret Thomas Will. Hrsg. von der Stadt Jena. Hinstorff-Verlag, Rostock 2010, ISBN 978-3-356-01385-6 (deutsch und englisch: Architecture in Jena). Birgitt Hellmann, Matias Mieth: Bauen und Wohnen in Jena – Konturen, Konflikte und Kontinuitäten 1871 – 1945, Jena 2011, ISBN 978-3-942176-35-4 Detlef Ignasiak: Das Literarische Jena. Autoren-Galerien und Dichter-Stätten. Quartus-Verlag, Bucha bei Jena 2012, ISBN 978-3-943768-04-6. Reinhard Jonscher: Von Ammerbach bis Zwätzen. Geschichte der Jenaer Vororte (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte. Band 15). Stadtmuseum, Städtische Museen Jena, JenaKultur, Jena 2012, ISBN 978-3-942176-21-7. Jüdische Lebenswege in Jena. Erinnerungen, Fragmente, Spuren (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte. Band 18). Hrsg. vom Stadtarchiv Jena in Zusammenarbeit mit dem Jenaer Arbeitskreis Judentum. Jena 2015, ISBN 978-3-942176-30-9 (Aufsatzsammlung). Birgitt Hellmann, Matias Mieth: Heimatfront. Eine mitteldeutsche Universitätsstadt im Ersten Weltkrieg, Jena 2014, ISBN 978-3-942176-32-3 Jan Jeskow, Katrin Fügener, Rüdiger Stutz u. a.: Nationalsozialistische Lager und ihre Nachgeschichte in der StadtRegion Jena. Antisemitische Kommunalpolitik – Zwangsarbeit – Todesmärsche (= Bausteine zur Jenaer Stadtgeschichte. Band 19). Hrsg. von Marc Bartuschka. Stadtmuseum, Jena 2015, ISBN 978-3-942176-34-7 (Aufsatzsammlung). Christine Müller: – Vorgeschichte einer Vorstadt. Zugleich ein Beitrag zur frühen Pfarreigeschichte Jenas. In: Zeitschrift für Thüringische Geschichte. 69 (2015), ISBN 978-3-87707-967-6, S. 33–55. Karlheinz Hengst, Peter Wiesinger: Die „Jena“-Namen in Thüringen in sprachgeschichtlicher, dialektologischer und historischer Sicht. In: Beiträge zur Namenforschung. Band 51, Ausgabe 1, 2016, S. 3–38 (winter-verlag.de [Abstract]). Karlheinz Hengst, Peter Wiesinger: Abschließende Bemerkungen zu den Jena-Namen in Thüringen. In: Beiträge zur Namenforschung. Band 52, Ausgabe 1, 2017, S. 64–66 (winter-verlag.de [Vorschau auf S. 64]). Christopher Spehr, Joachim Bauer (Hrsg.): Jena (= Orte der Reformation. Journal 30). Evangelische Verlagsanstalt, Leipzig 2017, ISBN 978-3-374-04415-3. Rüdiger Stutz, Matias Mieth (Hrsg.): Jena. Lexikon zur Stadtgeschichte. Tümmel, Berching 2018, ISBN 978-3-9819706-0-9. Peter Neumann: Jena 1800. Die Republik der freien Geister. Siedler, München 2018, ISBN 978-3-8275-0105-9. Weblinks Offizielle Website der Stadt Jena . Bereich für Ur- und Frühgeschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena Geschichte, Sehenswürdigkeiten, Ausflugsziele und zahlreiche Bilder. In: entdecke-jena.de (private Webseite) Stadtplan von Jena aus dem Jahr 1766. In: Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek Anmerkungen Einzelnachweise Ehemaliger Residenzort in Thüringen Kreisfreie Stadt in Thüringen Deutsche Universitätsstadt Ehemalige Kreisstadt in Thüringen Ort an der Saale Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden Ersterwähnung im 9. Jahrhundert
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https://de.wikipedia.org/wiki/Progressivismus
Progressivismus
Progressivismus (von „Fortschritt“, progredi „voranschreiten“) bezeichnet eine politische Philosophie, die auf dem Grundgedanken des Fortschritts in den Bereichen der Wissenschaft, Technologie, wirtschaftlichen Entwicklung und Organisation aufbaut. Seinen Ursprung nahm der Progressivismus in der Ära der Aufklärung. Er fußt auf der Überzeugung, dass man durch Entwicklungen einen positiven Fortschritt in den Bereichen der Zivilisation erreichen könne („Fortschrittsglauben“). Begriff Der Progressivismus entstand als politische Strömung als eine Antwort auf die gesellschaftlichen Veränderungen zu Zeiten der Industrialisierung. Die extreme soziale Ungleichheit, die mit dem industriellen Entwicklungsprozess einherging, sorgte für die Angst davor, dass sich als Folge der entstandenen riesigen monopolistischen Konzerne und wegen der gewalttätigen Unruhen zwischen Arbeitern und Kapitalisten ein wirtschaftlich-gesellschaftlicher Zustand herausbilden könnte, der einen weiteren Fortschritt behinderte. Geschichte Deutschland 19. Jahrhundert Der Progressivismus sorgte im 19. und 20. Jahrhundert für die Entwicklung eines deutschen Sozial- und Nationalstaats. Nach der gescheiterten Liberalen Revolution im Jahre 1848 formierten sich aus den Altliberalen mehrere Parteien. Ein Großteil der Mitglieder ging in der Deutschen Fortschrittspartei (DFP) auf. Diese lehnte die Anhebung der preußischen Militärausgaben ab, aus welcher der preußische Verfassungskonflikt resultierte. Damit standen sie in Opposition zum neuen Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, der ohne Haushalt weiter regierte. Da dieser die deutschen Einigungskriege erfolgreich gestaltete, führte die Lage zu einem Stimmungsumschwung, bei welchem die DFP Mitglieder und Wähler verlor. In der Partei wuchs die Zahl derjenigen, denen meist aus ökonomischen Gründen die politische Einheit wichtiger war als das Beharren auf dem bisherigen liberalen Rechtsstandpunkt. In der Folge wandten sich diese der DFP ab und traten der mit Bismarck zusammenarbeitenden Nationalliberalen Partei bei. Die Deutsche Volkspartei (DtVP), auch Süddeutsche Volkspartei genannt, war eine linksliberale Abspaltung der Fortschrittspartei. Im Gegensatz zur Nationalliberalen Partei stellte sie den Einsatz für die klassischen liberalen Freiheitsrechte über eine deutsche Einigung unter Bismarck. Nach der deutschen Reichsgründung setzte die DFP Akzente in der Wirtschaftspolitik sowie im Abbau von Handelsbeschränkungen, und im Kulturkampf wurde die Politik Bismarcks unterstützt. Die DtVP vertrat hingegen auch nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs föderalistische Strukturen und forderte demokratische Reformen, insbesondere eine Stärkung des Parlaments. Ihre Mitglieder machten sich zwar für eine Trennung von Staat und Kirche stark, lehnten jedoch Bismarcks antikatholische Ausnahmegesetze und „Sozialistengesetze“ ab. Die von Bismarck begonnene und seitens der Nationalliberalen unterstützte Entwicklung einer Sozialgesetzgebung, die den Grundstein für einen Sozialstaat legte, wurde hingegen unterstützt. Bestand der Großteil der Partei vor allem aus Leuten des kleineren Handwerks- und Handelsgewerbes, aus Bauern und Angestellten, so war die Parteiführung dominiert von Akademikern und Unternehmern. 1884 fusionierte die Deutsche Fortschrittspartei mit der Liberalen Vereinigung, einer Linksabspaltung der Nationalliberalen Partei, die sich gegen die Wiedereinführung des Schutzzolls einsetzte und von freihändlerischen Wirtschafts- und liberalen Bildungskreisen getragen wurde, zur Deutschen Freisinnigen Partei. Vertreter der Liberalen Vereinigung forderten zuvor noch – nach dem Vorbild der britischen Liberal Party –, einen Gesamtzusammenschluss aller liberalen Parteien anzustreben, um lästige Grabenkämpfe zu unterbinden. Dies scheiterte allerdings an der Bismarck gegenüber wohlwollenden Haltung der Nationalliberalen. Nach den anschließenden Wahlen kristallisierte sich jedoch schließlich heraus, dass eine Zusammenarbeit mit den Nationalliberalen, wollte man einen konsequenten Kurs verfolgen, zwingend erforderlich war. Der Zusammenschluss erhoffte sich, einen Parlamentarismus verwirklichen zu können. Des Weiteren stand er für eine Sicherung der Presse-, Versammlungs- und Vereinsfreiheit, eine Trennung von Staat und Kirche und nicht zuletzt die Gleichstellung aller Religionsgemeinschaften. Daneben trat er für massive Steuersenkungen, die Abschaffung der Bismarck’schen Schutzzollpolitik und eine Stärkung der Arbeiterselbsthilfevereine ein. Er lehnte die Bismarck’schen und auch die von den Sozialisten vorgeschlagenen Sozialgesetze vehement ab, weil diese nach ihrer Auffassung die Initiative der Arbeiter zur Selbsthilfe schwächten. Nach der Entlassung Bismarcks im Jahre 1890 gewann die DtVP durch erfolgreiche Mitarbeit an einer Verfassungs- und Verwaltungsreform in Württemberg an Einfluss. In Baden arbeitete die DtVP ab 1893 eng mit der neu gegründeten Freisinnigen Volkspartei zusammen. Diese war aus dem verbliebenen linken Flügel der Deutschen Freisinnigen Partei entstanden, nachdem – obwohl die Deutsche Freisinnige Partei erfolgreich gewesen war – die Spannungen zwischen den „linken“ ehemaligen Fortschrittlern und den „Rechten“ der früheren Sezessionisten von der Liberalen Vereinigung gewachsen waren. Der Konflikt war angesichts der unterstützenden Abstimmung für die Heeresvorlage des Reichskanzlers Leo von Caprivi an die Oberfläche getreten, was gegen die übrige Parteilinie gerichtet gewesen war. Die ehemaligen Sezessionisten hatten ihr Verhalten damit begründet, dass eine Abstimmung zugunsten dieser Vorlage zwingend das gemeinsame Parteiprogramm von 1884 vorschreibe. Mit knapper Mehrheit waren die Abweichler daraufhin aus der Fraktion ausgeschlossen worden. Die Ausgeschlossenen erhielten aber wiederum unerwartete Unterstützung seitens ehemaliger Sezessionisten und einer Gruppe alter Fortschrittler, die ihren Parteiaustritt erklärten und sich zur Freisinnigen Vereinigung formierten. Die DtVP und FVp formulierten fortan einen gemeinsamen Wahlaufruf. Zusammen stand man für ein demokratisches Reichstagswahlrecht auch in den Einzelstaaten und für eine Parlamentarisierung des Deutschen Reiches. Außerdem forderten sie Diäten für Abgeordnete und eine gerechtere Einteilung der Wahlkreise. Nicht zuletzt wurde eine jährliche Verabschiedung des Heeres-Etats angestrebt. Höhere Heeresausgaben wurden konsequent abgelehnt. Ähnlich kritisch stand die Partei zunächst der Kolonialpolitik und dem Flottenbau gegenüber. In wirtschaftspolitischer Hinsicht sollten Eingriffe des Staates begrenzt werden. Andererseits wollte die Partei Gewerkschaften gesetzlich anerkennen und forderte die Förderung von Selbsthilfeeinrichtungen sowie die Abschaffung der Privilegien von Großgrundbesitzern. Aufgrund des radikalen Manchesterliberalismus Eugen Richters und anderer Auffassungen war eine Umsetzung dieses Programms nicht möglich, da man auf eine Zusammenarbeit mit Kräften wie der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands angewiesen gewesen wäre. Die Freisinnige Vereinigung entwickelte dagegen im Kontrast vor allem wirtschaftsliberale Ziele. Das Vertrauen der Wähler bei der Reichstagswahl 1893 in den Linksliberalismus wurde aber insgesamt erschüttert, so dass beide Parteien zusammengenommen trotzdem Wählergunst verloren. Eine inhaltliche Annäherung der Nationalliberalen existierte durch Unterstützung der Flotten- und Kolonialpolitik der deutschen Reichsregierung. 20. Jahrhundert Einem Zusammenschluss der Deutschen Volkspartei mit den bürgerlich-liberalen „Linksparteien“ (historischer Kontext) wie der Freisinnigen Volkspartei und der Freisinnigen Vereinigung stand Eugen Richter von der FVp im Weg. Erst nach dessen Tod 1906 mündeten die Zusammenarbeitsgespräche der unterschiedlichen Parteien in das „Frankfurter Minimalprogramm“. Bei der FVp kam es angesichts von Richters Tod zu einer Wende. Man stimmte der Flottenvorlage und auch der Kolonialpolitik zu; auch in der politischen Zusammenarbeit veränderte sich fortlaufend die Lage. Nach und nach schloss sich eine Mehrheit der Fraktion und der Lokalvereine der FVg an. 1910 vereinigte man sich zur Fortschrittlichen Volkspartei. Diese stand für eine Weiterentwicklung des Wahlrechts, eine faire Einteilung der Wahlbezirke, Entwicklung einer freiheitlich aufgebauten Reichsverfassung, Parlamentarisierung, Senkung von Schutzzöllen, progressive Besteuerung der Einkommen, Zusammenarbeit von Parlamenten, Regierungen und Selbsthilfeorganisationen zur Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage von Arbeitern und Angestellten, Stärkung des Arbeitsschutzes, Maßnahmen zum Schutz vor Arbeitslosigkeit und auf internationaler Ebene für den Ausbau des Völkerrechts und Schiedsgerichtseinrichtungen. Zudem vertrat man die Interessen der Exportindustrie, des Handels, der Banken, des Handwerks und des Gewerbes mit wirtschaftsliberalen Tendenzen, aber der Manchesterliberalismus wich einer Hinwendung zu einer gewissen sozialstaatlichen Orientierung. Eine Erneuerung des Linksliberalismus machte sich daran fest, dass Selbsthilfe kein Dogma mehr war, sondern durch Forderungen nach staatlichen Regelungen ergänzt wurde. Mit Auflösung des Kaiserreichs in der Novemberrevolution 1918 schloss sich die FVP mit dem linken Flügel der Nationalliberalen Partei zur Deutschen Demokratischen Partei (DDP) zusammen. Man forderte einen föderalen Einheitsstaat und eine Revision des Versailler Vertrags, brach aber anschließend auseinander. In der Bundesrepublik Deutschland ging das Personal überwiegend in der FDP und CDU auf. Aus der übrigen Nationalliberalen Partei entstand nach der Novemberrevolution die Deutsche Volkspartei. Die DVP kritisierte ebenfalls den Versailler Vertrag und die mit ihm verbundenen Belastungen, ebenso eine Steuerpolitik, die insbesondere den Mittelstand belastete. Unter ihrer Regierungsbeteiligung konnten die Folgen der Hyperinflation gemildert und die Weimarer Republik konsolidiert werden. Sie verstand sich vor allem als liberale Partei, was sich darin ausdrückte, dass in ihrer Politik die Freiheit des Einzelnen vor staatlichen Eingriffen wichtiger war als die Durchsetzung von Mehrheitsentscheidungen gegen die Interessen Einzelner. Durchgesetzt wurden eine aktive Stadt- und Wohnungspolitik, die menschenwürdiges Wohnen in der Großstadt ermöglichen und sich um soziale Brennpunkte kümmern sollte, eine aktive Arbeits-, Frauen- und Kinderschutzpolitik in den Betrieben, die Unterstützung von Gewerkschaften und Verbraucherschutz. Dazu gehörte die Schaffung staatlicher sozialer Behörden, abseits der kirchlichen und bürgerlichen Freiwilligenarbeit. Die Schaffung der Technischen Nothilfe, des Arbeiter-Samariter-Bundes, des Freiwilligen Arbeitsdienstes und anderer ziviler Prüfer, Techniker oder Sanitäter sowie einer Ordnung zum Feuerlöschen waren Teil oder Unterstützung progressiver Politik. Vereinigte Staaten Um 1900 gehörten die Progressives in den USA zu den Befürwortern sowohl einer Anti-Kartell­politik, einer strengen Regulierung von Konzernen und Monopolen als auch staatlich finanzierter Umweltschutzmaßnahmen (u. a. der Einrichtung von Nationalparks). Auch ein Wahlrecht für Frauen, in den USA im Jahre 1920 bundesweit eingeführt, gehörte zu ihren Zielen. Am 3. November 1896 gewann der Republikaner William McKinley die Präsidentschaftswahl in den Vereinigten Staaten gegen den Demokraten William Jennings Bryan. Die Wahl markierte den Beginn des Progressivismus in den USA und die Dominanz der Republikaner, die bis 1932 andauerte. In den Großstädten hatte der Progressivismus ebenso Anhänger wie unter der ländlichen Bevölkerung. Im ländlichen Amerika kämpften die unabhängigen Kleinbauern gegen die Macht der Banken und Großgrundbesitzer, gegen den Goldstandard in der Währungspolitik und für eine staatliche Unterstützung der Landwirtschaft. Viele Kulturschaffende und Journalisten unterstützten den Progressivismus mit aufklärerischen Werken und einem investigativen Journalismus (muckraking). Bekannt ist z. B. Der Dschungel von Upton Sinclair, der die hygienischen und sozialen Missstände in den Schlachthöfen von Chicago beschreibt. Die Progressives setzten sich vehement für eine Nationalisierung und „Amerikanisierung“ der Einwanderer und der übrigen Bewohner ein. Bestens funktionierende Städte und Gemeinden sollten für dieses Ziel umgestaltet werden. Diese Politik griff die ethnisch-religiöse Identität der Menschen an, was vor allem Deutsche betraf. Eng hiermit verbunden war darüber hinaus die Forderung nach Einwanderungsbeschränkungen sowie die Frage nach einer eigenständigen und aktiven imperialen Politik. Damit einher ging eine Stärkung der föderalen Ebene der Vereinigten Staaten von Amerika in Washington, D.C. zulasten der föderativen Bundesstaaten. In der Folge kam es zu einer Verschiebung der amerikanischen Bedeutung des Wortes liberal. Waren damit zuvor ausschließlich Eigenverantwortlichkeit betonende, staatsskeptische klassisch-liberale Positionen gemeint, entwickelte sich das Wort liberal bald zum Inbegriff des big government (→ Etatismus). Aus diesem Gegensatz benutzte man libertarian folglich im Kontext einer radikalliberalen Limited-Government-Philosophie, nach der sich der Staat aus der Lebenswelt der Menschen weitgehend heraushalten soll (→ „Nachtwächterstaat“, Minarchismus). Heutzutage berufen sich Teile der Demokratischen Partei und der Green Party auf das progressive Erbe. Dieses umfasst den New Deal unter Präsident Franklin D. Roosevelt in den 1930er-Jahren und die Great Society unter Präsident Lyndon B. Johnson in den 1960er-Jahren. Siehe auch Politische Linke Ideologie politisches Spektrum verschiedene Parteien mit dem Namen Progressive Partei, Progressive Party, Fortschrittliche Partei oder Fortschrittspartei Literatur Hans Fenske: Deutsche Parteiengeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Schöningh, Paderborn 1994, ISBN 3-506-99464-6. Peter Lösche: Kleine Geschichte der deutschen Parteien. Stuttgart 1993. Thomas Nipperdey: Deutsche Geschichte 1866–1918. Bd. 2: Machtstaat vor der Demokratie. Beck, München 1998, ISBN 3-406-44038-X. Walter Nugent: Progressivism: A Very Short Introduction. Oxford University Press, New York 2010, ISBN 978-0-19-531106-8. Daniel T. Rodgers: Atlantic Crossings: Social Politics in a Progressive Age. Harvard University Press, Cambridge 2000, ISBN 978-0-674-05131-7. Wolfgang Schmierer: Deutsche Fortschrittspartei. In: Gerhard Taddey (Hrsg.): Lexikon der deutschen Geschichte. Personen, Ereignisse, Institutionen. Von der Zeitwende bis zum Ausgang des 2. Weltkrieges. 2., überarbeitete Auflage. Kröner, Stuttgart 1983, ISBN 3-520-80002-0. Walter Tormin: Geschichte der deutschen Parteien seit 1848. Stuttgart 1967. Weblinks Informationen zur deutschen Volkspartei, ihren Inhalten und ihrer Geschichte auf den Seiten des Deutschen Historischen Museums Ken Brociner − The American Left: Liberals, Progressives and the Left Think Tank für progressive Politik Einzelnachweise Politische Ideologie Sozialdemokratie Liberalismus Soziale Bewegung
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https://de.wikipedia.org/wiki/1475
1475
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Mittel- und Westeuropa Mai: Karl der Kühne von Burgund bricht die am 29. Juni des Vorjahres begonnene Belagerung von Neuss ab, nachdem Kaiser Friedrich III. nach der Eroberung von Linz am 21. März in Köln eingerückt und danach mit seiner Armee vor der Stadt erschienen ist. Am 28. Juni wird in Köln ein Präliminarfriede zur Beendigung der Kölner Stiftsfehde geschlossen, in dem Karl auf Neuss verzichtet. 22. Juni: Adolf von Kleve wird vom Burgunderherzog Karl dem Kühnen zum Generalstatthalter der Burgundischen Niederlande ernannt. 29. August: England und Frankreich schließen den Vertrag von Picquigny zur formalen Beendigung des 1453 „eingeschlafenen“ Hundertjährigen Krieges. Die Engländer lassen sich ihren Rückzug und die Aufkündigung des Bündnisses mit Karl dem Kühnen mit der einmaligen Zahlung von 75.000 Goldkronen und einer jährlichen Rente von 50.000 Goldkronen bezahlen. 13. November: In der Schlacht auf der Planta in den Burgunderkriegen besiegen die Eidgenossen gemeinsam mit dem Wallis die mit Karl dem Kühnen von Burgund verbündete Herzogin Yolanda von Savoyen. Die Folgen sind für das Herzogtum Savoyen verheerend: In den Tagen nach der Schlacht erobern die Walliser das ganze Unterwallis bis Saint-Maurice und besetzen den strategisch wichtigen Grossen St. Bernhardpass ohne nennenswerten Widerstand. Am 1. Dezember vermittelten Bern und Freiburg mit der Herzogin Yolanda von Savoyen einen Waffenstillstand. 19. Dezember: Der von König Ludwig XI. des Hochverrats angeklagte und zum Tod verurteilte Ludwig I. von Luxemburg, ein Connétable von Frankreich, wird auf der Place de Grève in Paris enthauptet. Osteuropa 10. Januar: Ștefan cel Mare, der Wojwode des Fürstentums Moldau, schlägt bei Vaslui ein überlegenes, von Sultan Mehmed II. gegen ihn in Marsch gesetztes osmanisches Heer. Das Khanat der Krim gerät unter osmanische Herrschaft. Asien Shariff Mohammed Kabungsuwan von Johor, ein Mitglied des Königshauses von Malakka, dringt in das Zentralland von Mindanao im Süden der Philippinen vor. Er heiratet dort eine einheimische Prinzessin und gründet das Sultanat von Maguindanao. Wirtschaft Für Sachsen, Meißen und Thüringen wird in der wieder eröffneten Münzstätte Zwickau erstmals der Spitzgroschen geprägt. Die Dornmühle bei Fränkisch-Crumbach wird als Getreidemühle erstmals erwähnt. Wissenschaft und Technik Papst Sixtus IV. regelt mit der Bulle Ad decorem militantis Ecclesiae am 15. Juni die Struktur der umfangreichen Vatikanischen Bibliothek und bestimmt Bartolomeo Platina zu ihrem ersten Bibliothekar. Kultur um 1475: Im Umfeld des Buchmalers Willem Vrelant entsteht in Brügge das Schwarze Stundenbuch. Es ist eines der nur wenigen erhaltenen Stundenbücher, die in einer aufwendigen und ungewöhnlichen Weise mit geschwärzten Seiten geschaffen wurden. Es gilt als eines der Hauptwerke der gotischen Buchmalerei. Der namentlich nicht bekannte Buchmaler, der das Schwarze Stundenbuch der Morgan Library geschaffen hat, wird als Meister des Schwarzen Stundenbuches bezeichnet. Der Auftraggeber ist ebenfalls unbekannt, er lässt sich lediglich dem Umkreis des burgundischen Hofes Karls des Kühnen zuordnen. Gesellschaft 26. März: Der Tod des dreijährigen Simon Unverdorben in Trient führt zu einer Ritualmordlegende und zur Verhaftung, Folterung und Hinrichtung mehrerer Mitglieder der jüdischen Gemeinde der Stadt. Die antijüdischen Hasspredigten des Franziskaners Bernhardin von Feltre haben den Untergang zahlreicher jüdischer Gemeinden, neben Trient auch in Perugia, Gubbio und Ravenna zur Folge. 14. November: Georg der Reiche, der spätere Herzog von Bayern-Landshut, nimmt Jadwiga, die Tochter des polnischen Königs Kasimir IV., zur Frau. Das Hochzeitsfest in Landshut dauert 8 Tage, es werden 323 Ochsen, 1.758 Schafe, 1.537 Lämmer, 490 Kälber und 40.000 Hühner verspeist. Bis heute wird alle vier Jahre dieses Hochzeitsfestes gedacht. Religion 1475 ist das erste der von Papst Paul II. im Jahr 1470 festgelegten Jubeljahre der katholischen Kirche. Ab diesem Zeitpunkt soll das von Bonifatius VIII. im Jahr 1300 erfundene Jubeljahr unabänderlich alle 25 Jahre stattfinden. Unter Papst Sixtus IV. beginnt der Bau der nach ihm benannten Sixtinischen Kapelle. Die Pläne für den 1483 abgeschlossenen Bau stammen von Baccio Pontelli. Der dominikanische Inquisitor Jakob Sprenger gründet die zweite Rosenkranzbruderschaft. Geboren Geburtsdatum gesichert 25. Februar: Edward Plantagenet, 17. Earl of Warwick, Neffe der beiden letzten englischen Könige aus dem Haus York († 1499) 6. März: Michelangelo Buonarotti, italienischer Maler, Bildhauer, Architekt und Dichter († 1564) 18. Mai: Alfons, Infant von Portugal, gesamtiberischer Thronfolger († 1491) 29. Juni: Beatrice d’Este, Fürstin von Mailand († 1497) 6. September: Sebastiano Serlio, italienischer Architekt und Architekturtheoretiker († um 1554) 13. September: Cesare Borgia, italienischer Renaissanceherrscher († 1507) 9. Oktober: Giovanni Piccolomini, Erzbischof von Siena († 1537) 20. Oktober: Giovanni Rucellai, italienischer Dichter († 1525) 2. November: Anne of York, englische Prinzessin († 1511) 23. November: Clemens Sender, Augsburger Geschichtsschreiber († 1537) 11. Dezember: Giovanni de’ Medici, unter dem Namen Leo X. Papst († 1521) 24. Dezember: Thomas Murner, deutscher Schriftsteller und Theologe († 1537) 31. Dezember: Gendün Gyatsho, zweiter Dalai Lama († 1542) Genaues Geburtsdatum unbekannt Gottschalk von Ahlefeldt, letzter katholische Bischof von Schleswig († 1541) Enrique de Arfe, deutscher Goldschmied († 1545) Vasco Núñez de Balboa, spanischer Konquistador († 1519) Agnes Frey, Nürnberger Kunsthändlerin und Ehefrau Albrecht Dürers († 1539) James Hamilton, 1. Earl of Arran, schottischer Adeliger († 1529) Kaspar Sturm, kaiserlicher Reichsherold († 1552) Geboren um 1475 1472/75: Martin Waldseemüller, deutscher Kartograph († 1520) Anne Meinstrup, dänische Oberhofmeisterin († 1535) Jan Mostaert, niederländischer Maler († 1555) Gestorben Todesdatum gesichert 12. Januar: Phélise Regnard, französische Adelige und Mätresse des französischen Thronfolgers (* um 1424) 15. Januar: Gendün Drub, tibetischer buddhistischer Mönch, Begründer und erster Abt des Klosters Trashilhünpo, posthum zum ersten Dalai Lama erklärt (* 1391) 3. Februar: Johann IV., Graf von Nassau-Dillenburg (* 1410) 4. Februar: Giovanni Andrea Bussi, italienischer Prälat und Humanist (* 1417) 4. Februar: Georg I. von Schaumberg, Fürstbischof von Bamberg (* 1390) 24. Februar: Karl I., Markgraf von Baden (* 1427) 20. März: Georges Chastellain, Dichter und Chronist am burgundischen Hof (* 1405) 6. Mai: Dierick Bouts, niederländischer Maler (* 1415) 14. Mai: Shinkei, japanischer Dichter (* 1406) 25. Mai: Elisabeth von Hanau, Gräfin von Hohenlohe-Weikersheim (* um 1395) 13. Juni: Johanna von Portugal, Infantin von Portugal und Königin von Kastilien (* 1439) 21. Juni: Shin Suk-ju, koreanischer Politiker, Maler und neokonfuzianischer Philosoph (* 1417) 24. Juli: Albrecht von Eyb, deutscher Humanist, Jurist und Schriftsteller (* 1420) 7. August: Niklaus von Diesbach, Schultheiss von Bern (* 1430) 18. August: Gerhard, Graf von Ravensberg, Herzog von Jülich und Berg (* 1416/17) 6. September: Adolf II. von Nassau, Erzbischof von Mainz (* um 1423) September: Henry Holland, 3. Duke of Exeter, englischer Adeliger und Heerführer des Hauses Lancaster (* 1430) 4. November: Bartolomeo Colleoni, italienischer Condottiere (* um 1400) 12. November: Johanna von Rosental, böhmische Königin 10. Dezember: Paolo Uccello, italienischer Maler (* 1397) 13. Dezember: Johann von Pfalz-Simmern, Bischof von Münster und Erzbischof von Magdeburg (* um 1429) 19. Dezember: Ludwig I. von Luxemburg, Graf von Saint-Pol, Brienne, Conversano und Ligny und Herzog von Guise, Connétable von Frankreich (* 1418) Genaues Todesdatum unbekannt Apel Vitzthum der Jüngere, deutscher Ritter (* vor 1425) Radu cel Frumos, Herrscher der Walachei (* 1437/1439) Weblinks
Q6608
109.457853
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https://de.wikipedia.org/wiki/Piemont
Piemont
Das Piemont ([], , von ) ist eine Region im Nordwesten Italiens mit Einwohnern (Stand ) und mit 25.399,83 km² flächenmäßig die größte Region des italienischen Festlandes. Im Norden grenzt das Piemont an die Schweiz, im Westen an Frankreich, italienische Binnengrenzen finden sich im Süden an die Region Ligurien, im Südosten an die Emilia-Romagna, im Osten an die Lombardei und im Nordwesten an das Aostatal. Die Region ist Teil der italienisch-französischen Euroregion Alpi-Mediterraneo/Alpes-Méditerranée. Hauptstadt des Piemonts ist Turin, andere bekannte Städte sind Vercelli, Novara, Biella, Alessandria, Asti und Cuneo. Ferner ist das Piemont die westlichste und hinsichtlich der Einwohnerzahl die sechstgrößte Region Italiens. Die ehemalige Benediktinerabtei Sacra di San Michele ist offizielles Symbol der Region. Begriff Das Gebiet, das man heute unter dem Namen „Piemont“ versteht, entstand als Region der Italienischen Republik – infolge der Abtrennung des Aostatals als autonomer Region – erst nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Dieses Gebiet hieß nicht immer so und definiert keineswegs einen von Natur aus einheitlichen Raum, sondern ist das Ergebnis einer langen Reihe politischer Entwicklungen. Der Begriff „Piemont“ erscheint in den Quellen erstmals 1193, als in einem Vertrag zwischen der Stadt Asti und dem Markgrafen von Saluzzo der „Burgherr des Piemont“ erwähnt wird. Der Name stammt aus dem Mittellateinischen Pedemontium oder Pedemontis, d. h. ad pedem montium, was in Bezug auf die Alpen "am Fuße der Berge" bedeutet. Die neue Bezeichnung verbreitete sich schnell, und man verband mit ihr meist mehr oder weniger das heute damit gemeinte Gebiet. Im Laufe der Jahrhunderte änderte sich jedoch die Bedeutung, so wurden etwa, nachdem Amadeus VIII. seinem Sohn 1424 den offiziellen Titel eines „Herzogs des Piemont“ verliehen hatte, lange Zeit nur noch die der Herrschaft des Hauses Savoyen unterliegenden Gebiete diesseits der Alpen damit bezeichnet. Geographie Das Piemont umfasst eine Fläche von etwa 25.400 Quadratkilometern und ist damit nach Sizilien die flächenmäßig größte der insgesamt 20 Regionen Italiens. Das Aostatal im Nordwesten der Region zählt historisch und naturgeographisch zum Piemont, bildet aber als autonome Region mit Sonderstatut eine eigene Verwaltungseinheit. Im Aostatal leben Menschen auf einer Fläche von 3263 Quadratkilometern. Naturgeographisch gliedert sich die Region in drei Teile: Die Alpenregion, die Po-Ebene und die Hügellandschaften im Südosten des Piemont. Die Alpenregion zieht sich am Rande der Alpen entlang der Süd-, West- und Nordgrenze des Piemont. Hier liegen die okzitanischen Täler (Stura, Maira, Varaita, Po, Pellice, Chisone), die Valle di Susa, die drei Valli di Lanzo, das Valle dell’Orco, das Aostatal, die Valsesia und die Gegend rund um das Westufer des Lago Maggiore. Der höchste Berg des Piemont ist der Monte Rosa (im Grenzgipfel 4617 m), gefolgt vom Gran Paradiso mit 4061 Metern und dem Monviso mit 3841 Metern. Die Alpenregion nimmt 43,3 % des piemontesischen Gesamtterritoriums ein. Das Piemont hat Anteil an den Seealpen, Cottischen Alpen, Grajischen Alpen und Walliser Alpen. In der Po-Ebene befinden sich die großen Städte des Piemont; hier leben auch die meisten Menschen. Im Piemont gibt es zahlreiche Flüsse und Bäche, die fast alle in den Po fließen, der am Pian del Re im Valle Po unterhalb des Monviso entspringt. Die Poebene ist mit 26,4 % des Gesamtgebiets die drittgrößte geographische Teilregion. Das Hügelland im Südosten der Region (Monferrato, Langhe, Roero) wird in erster Linie landwirtschaftlich und touristisch genutzt und nimmt 30,3 % der Fläche des Piemont ein; hier wachsen die berühmten Weine (Barolo, Barbera, Barbaresco) des Piemont. Das Hügelland befindet sich in einer Höhe zwischen 150 m und 750 m. Sprache Haupt- und Amtssprache ist Italienisch. Weiterhin wird von vielen Einwohnern die Regionalsprache Piemontesisch verwendet. In den abgelegeneren Winkeln der Westalpentäler spricht man außerdem Okzitanisch und Frankoprovenzalisch. Eine weitere Minderheitensprache des Piemont ist Walserdeutsch – ein alemannischer Dialekt, der im oberen Tal der Sesia gesprochen wird. Im nordwestlich angrenzenden Aostatal sind Italienisch und Französisch Amtssprachen, wobei Frankoprovenzalisch in dieser autonomen Region die einheimische Varietät ist. In drei Ortschaften wird auch hier Walserdeutsch gesprochen. Geschichte Die Menschheitsgeschichte im Piemont beginnt in der Altsteinzeit und unterscheidet sich in einigen Punkten, nicht zuletzt wegen der besonderen Lage der Region, von der Geschichte des übrigen Oberitalien. So war die Zäsur, die die dunklen Jahrhunderte nach dem Untergang des Römischen Reiches bedeuteten, im Piemont besonders stark ausgeprägt. Als Eingang nach Italien war die Region nicht selten von mehreren Mächten besetzt und unter diesen hart umkämpft. Im Sinne einer Geschichte, die sich auch noch heute in der Architektur des Landes manifestiert, beginnt die Geschichte des Piemont jedoch erst im 10. Jahrhundert, da zuvor fast das ganze Land durch die aus Frankreich eingefallenen Sarazenen verwüstet worden war. Zeit vor der römischen Herrschaft Die ersten Spuren der Gattung Homo im Piemont gehen auf die frühe Altsteinzeit zurück. Der wichtigste Fundort von Zeugnissen, die aus dieser Zeit stammen, stellt der Hang von Montarolo in der Nähe Trinos dar. Auf dieser Anhöhe hielten sich als Jäger und Sammler lebende Nomaden auf, bei denen es sich vermutlich um Angehörige der Spezies Homo erectus handelte. Die frühesten archäologischen Quellen, die eine Anwesenheit des Neandertalers (Homo neanderthalensis) im Piemont bezeugen, wurden auf die Periode der Würm-Kaltzeit datiert und stammen einerseits erneut vom Hang von Montarolo, andererseits vom Monte Fenera in der Nähe Borgosesias. Vor etwa 30.000 bis 40.000 Jahren wurde dann der Neandertaler wie überall in Europa auch im Piemont nach und nach durch den anatomisch modernen Menschen (Homo sapiens) ersetzt. In der Grotte von Boira Fusca am Eingang des Valle dell’Orco wurden die eindrucksvollsten Zeugnisse aus mittelsteinzeitlicher Zeit gefunden, darunter Feuerstellen sowie Pfeil- und Lanzenspitzen aus Stein. Das Gebiet wurde dann in späteren Zeiten von den Ligurern bewohnt. Im fünften Jahrhundert vor Christus verdrängten die bis in die Poebene vordringenden Etrusker die Ligurer nach Westen. Um 400 v. Chr. kam es zur großen Invasion keltischer Stämme und die Ligurer mussten sich in die Seealpen und an die Küste, ins heutige Ligurien, zurückziehen. Die Stämme, die vor Beginn der römischen Herrschaft im Piemont lebten, betrieben Landwirtschaft und Schafzucht in den Berggebieten, Fischerei in Nähe der großen Flüsse und Seen, und eigneten sich nach und nach handwerkliche Fähigkeiten und die Kunst der Metallbearbeitung an. Römische Antike In der römischen Antike gehörte das Piemont zur Provinz Gallia cisalpina. Die eigenständige Geschichte des Piemont beginnt mit dem Rückzug der Römer beim Zerfall des Römischen Reiches. Während der Völkerwanderung wurde die fruchtbare Gegend mehrfach von marodierenden Völkern durchzogen. Mittelalter Im 10. Jahrhundert wurde die Region von Arabern aus Fraxinetum überfallen. Im Laufe der Zeit unterwarf das Haus Savoyen die Markgrafschaften des Piemont. In wechselnden Bündnissen wurde das Piemont zum Zankapfel zwischen Frankreich und Habsburg. Für die Waldenser, eine im 12. Jahrhundert durch den Lyoner Kaufmann Petrus Valdes ins Leben gerufene religiöse Minderheitsbewegung, wurden einige Täler in den Cottischen Alpen zu wichtigen Rückzugsgebieten. Obwohl sie auch hier verfolgt wurden, konnten die Waldenser durch die günstige strategische Lage der Alpentäler mehrere Angriffe savoyischer Truppen zurückschlagen, sodass sie eine gewisse Zeit lang nur hier überlebten, während sie andernorts, wie z. B. in Süditalien, grausam ausgerottet wurden. 1686 waren die Waldenser jedoch während eines erneuten Religionskrieges gezwungen, auch die Täler der Westalpen zu verlassen. Aus ihrem Schweizer Exil kehrten sie erst drei Jahre später im Zuge des sogenannten Glorioso Rimpatrio wieder zurück. Noch heute bezeichnet man die Täler Chisone, Pellice und Germanasca als Waldensertäler. Frühe Neuzeit Im Frieden von Utrecht, der 1713 den Spanischen Erbfolgekrieg beendete, musste Spanien u. a. das Königreich Sizilien an das Haus Savoyen abtreten, woraufhin der Herzog den sizilianischen Königstitel annahm. Schon 1720 tauschten die Savoyer Sizilien gegen Sardinien und nannten sich hinfort Könige von Sardinien. Von der Französischen Revolution bis zur Gründung des Königreichs Italien (1789–1861) Französische Zeit (1789–1814) Kurz nach der napoleonischen Besetzung 1798 (nach der ebenso furiosen wie überraschenden Winterüberquerung des St.-Bernhard-Passes durch Napoleon Bonaparte) zog sich das Haus Savoyen auf seine Besitzung Sardinien zurück. Die erfolgreiche Kanonade bei Valmy erlaubte Frankreich seit dem Herbst 1792 ein offensives Vorgehen seiner Armeen im Ersten Koalitionskrieg. So rückten französische Truppen in den savoyischen Landesteil des Königreichs Sardinien-Piemont ein, um ihn zu befreien und zu annektieren, nachdem ein Nationalkonvent das Volk Savoyens für souverän erklärt hatte. Ab 1794 drang Frankreich auch ins Piemont vor, wurde aber vorerst von Österreich zurückgeschlagen. Der siegreiche oberitalienische Feldzug von General Napoleon Bonaparte (Italienfeldzug) 1796 und 1797 zwang den König von Sardinien-Piemont zur Abtretung Savoyens und der Grafschaft Nizza an Frankreich. Zwar schlossen die zwei Staaten 1797 noch eine Allianz, doch veranlassten die bleibende Kriegsgefahr in Italien und die unsichere Lage der Cisalpinischen und Römischen Tochterrepublik Frankreich zu einer Ausdehnung seiner Macht; es zwang Sardinien-Piemont im Vertrag von Cherasco zur Aufgabe Piemonts, das unter französische Militärverwaltung kam. Am 10. Dezember 1798 wurde in der Hauptstadt Turin die Piemontesische Republik ausgerufen, die gemäß französischem Vorbild eine Direktorialverfassung erhielt. Nach dem Beginn des Zweiten Koalitionskriegs im Frühling 1799 führte der französische Zusammenbruch in Italien zu einem schnellen Vormarsch österreichisch-russischer Truppen, die am 20. Juni 1799 Turin besetzten und die Piemontesische Republik auflösten. Der König von Sardinien kehrte zurück. 1800 gelang es der französischen Armee, nun wieder unter dem Oberkommando Napoleons, Italien zurückzuerobern (Alpenübergang beim Grossen St. Bernhard-Pass und Sieg bei Marengo). Am 20. Juni 1800 fiel Turin, der König von Sardinien wurde ein zweites Mal für abgesetzt erklärt und die Republik erneut ausgerufen; diesmal unter dem Namen Subalpinische Republik, die unter französischer Militärverwaltung stand und deren Heer in das Frankreichs eingegliedert wurde. Von April 1801 bis September 1802 regierte den Staat nur noch eine provisorische Regierung, und am 11. September 1802 annektierte Frankreich seine Tochterrepublik im Rahmen der Neuordnung Italiens (Wiederherstellung des Königreichs Neapel und des Kirchenstaats, Verwandlung des Herzogtums Toskana ins Königreich Etrurien und der Cisalpinischen in die Italienische Republik). Piemont sowie Savoyen und Nizza wurden erst 1814/1815 nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft aus Frankreich herausgelöst und mit dem restaurierten Königreich Sardinien-Piemont wiedervereinigt. Vom Wiener Kongress bis zur Revolution von 1848 (1815–1849) Dem Königreich Sardinien-Piemont kam im Risorgimento, der Epoche des italienischen Einigungsprozesses, eine entscheidende Bedeutung zu. Im Jahre 1815 stellte der Wiener Kongress die volle Herrschaft des Hauses Savoyen über das Piemont, Savoyen und die Grafschaft Nizza wieder her und schloss das Gebiet der ehemals unabhängigen Republik Genua (Ligurien) an. Das Königreich Sardinien war zunächst eng mit der Habsburgermonarchie verbündet, in der der Außenminister Klemens Wenzel Lothar Fürst von Metternich die Richtlinien der Politik bestimmte. Als ein Jahr nach der Spanischen Revolution von 1820 im Piemont ein Aufstand ausbrach, erließ Karl Albert zwar zunächst eine liberale Verfassung, aber nach der Rückkehr des eigentlichen Regenten Karl Felix wurde die Revolte militärisch niedergeschlagen und Karl Albert musste ins Exil gehen. Sardinien-Piemont, welches im Gegensatz zu anderen italienischen Staaten von einer angestammten Dynastie regiert wurde, wurde aber bald von einigen Liberalen wie Massimo d’Azeglio und Cesare Balbo als Führungsmacht im Kampf für nationale Einheit und Unabhängigkeit angesehen. Der Turiner Priester Vincenzo Gioberti vertrat in seinem 1843 veröffentlichten Buch Über den moralischen und kulturellen Vorrang der Italiener (italienischer Originaltitel: Del primato morale e civile degli Italiani) die Auffassung, der Papst müsse die Führung in der italienischen Frage übernehmen, und begründete damit und mit bereits vorausgegangenen kleineren Publikationen den sogenannten Neoguelfismus. Am 24. März 1848 erklärte Karl Albert Österreich den Krieg, seine Armee erlitt jedoch am 25. Juli bei Custozza und auch nach Wiederaufnahme des Kriegs im Folgejahr bei Novara am 23. März eine militärische Niederlage. Von der Revolution zur nationalen Einigung (1850–1861) Wie in fast allen europäischen Staaten scheiterte zwar die Revolution von 1848/1849 zunächst auch in Italien. Während der 1850er-Jahre trieb der neue Ministerpräsident Camillo Benso von Cavour im Piemont eine radikale Säkularisierung voran. Nach der Teilnahme Piemont-Sardiniens am Krimkrieg und an der anschließenden Friedenskonferenz von Paris gelang es ihm, in Plombières-les-Bains im Juli 1858 einen Vertrag mit Frankreich zu schließen und im Folgejahr Österreich zu einem Krieg zu provozieren. 1859 schlugen die vereinten Piemontesen und Franzosen in der Schlacht von Solferino die österreichischen Truppen. Nach dem von Giuseppe Garibaldi angeführten Zug der Tausend wurde der Savoyer Viktor Emanuel II. zum König von Italien erhoben und das zentralistisch organisierte Verwaltungssystem des Königreichs Sardinien auf ganz Italien ausgedehnt. Das Piemont verschwand als Verwaltungseinheit, denn ganz Italien wurde nach napoleonischem Muster in 60 Provinzen eingeteilt, in denen Präfekte im Auftrag der Zentralregierung die Herrschaft ausübten. Bis heute ist der italienische Nationalstaat in seinen Institutionen zutiefst piemontesisch geprägt. Da sich das zentralistische piemontesische System nicht für alle Landesteile Italiens eignete, entstanden zu dieser Zeit auch zahlreiche Probleme im wirtschaftlich rückständigen Süden Italiens. Diese kamen in einem mehrjährigen, faktischen Bürgerkrieg zum Ausdruck, der in die Geschichte als Brigantenkrieg eingegangen ist. Obwohl das italienische Parlament bereits 1861 beschlossen hatte, Rom müsse die Hauptstadt des neuen Staates werden, war Turin bis 1865 die provisorische Hauptstadt des Königreichs Italien. Dann zogen König, Regierung und Parlament nach Florenz um; erst 1871 wurde Rom offiziell vom Königreich Italien annektiert und zur Hauptstadt auserwählt. Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg und der Faschismus (1919–1945) In den Jahren 1919/20 war Turin Zentrum des Biennio rosso, während dessen Arbeiter in zahlreichen norditalienischen Städten Fabriken besetzten und versuchten, diese selbst zu verwalten. Hier gründete Antonio Gramsci, der bis zur Gründung des Partito Comunista Italiano Mitglied in der sozialistischen Partei war, am 1. Mai 1919 die Wochenzeitung L’Ordine Nuovo. Nach Bekanntwerden der italienischen Kapitulation am 8. September 1943 (siehe auch Waffenstillstand von Cassibile) bildete sich im westlichen Piemont eine besonders starke Partisanenbewegung heraus. In Boves in der Provinz Cuneo verübten Einheiten der SS bereits zehn Tage später ein Massaker an der Zivilbevölkerung. In Alba und in der Val d’Ossola existierten zeitweise von Partisanen kontrollierte Gebiete, sogenannte Partisanenrepubliken (siehe auch Partisanenrepublik Ossola). Nach dem Zweiten Weltkrieg (1946 bis heute) Mit der Entscheidung für die italienische Republik im Zuge des Referendums 1946 wurde das Haus Savoyen abgesetzt. Während italienweit 54,3 % der Wähler für die Republik gestimmt hatten, waren es im Piemont 57,1 %. Die italienische Verfassung von 1948 führte erstmals eine umfassende Dezentralisierung ein, die jedoch in den Jahren danach nur zögerlich umgesetzt wurde. 1948 wurde das Aostatal autonom und schied aus dem Piemont aus. Erst 1970 wurde die neue Region Piemont de facto geschaffen. Die 1960er- und 1970er-Jahre waren durch vielfältige politische und soziale Spannungen gekennzeichnet. 1969 kam es in Turin zu blutigen Arbeiteraufständen, in deren Folge die Terror-Gruppe Rote Brigaden (Brigate Rosse) entstand. Die wirtschaftliche Entwicklung verlief besonders in den 1980er-Jahren recht gut. Das Jahrzehnt danach war gekennzeichnet durch zum Teil schmerzhafte wirtschaftliche Restrukturierungen und Neuorientierungen, die das von der Industrie geprägte Piemont mehr und mehr zu einem Wirtschaftsstandort für Dienstleistungsunternehmen machte. Auch der Tourismus hat in den letzten Jahren eine immer wichtigere Rolle eingenommen. Der Wirtschaftsboom zog wie in anderen europäischen Ländern auch Einwanderer an, nachdem das Piemont im 19. und frühen 20. Jahrhundert eher Herkunftsland von Auswanderern gewesen war; so ist Turin ein Zentrum des Islam in Norditalien. Politik Piemont war Vorreiter des Konstitutionalismus und des Laizismus (Trennung von Staat und Kirche) in Italien. Die Region ist traditionell eher bürgerlich und konservativ-liberal geprägt. Aus einer angestrebten weiteren Dezentralisierung Italiens könnte die Region Piemont in den nächsten Jahren politisch gestärkt hervorgehen. Im Gegensatz zur Lombardei und zu Venetien hat die zeitweise separatistische Lega Nord im Piemont nie eine besonders große Rolle gespielt. Das heutige Italien ist ein piemontesischer Abkömmling, und dessen ist man sich im Piemont größtenteils bewusst. Aus der Regionalwahl am 28./29. März 2010 ging jedoch der Präsidentschaftskandidat des Mitte-rechts-Bündnisses Roberto Cota, Mitglied der Lega, als Sieger hervor und löste die bisherige Präsidentin Mercedes Bresso (Partito Democratico) ab. Im Januar 2014 annullierte das Verwaltungsgericht in Turin jedoch die Wahl. Bei der Regionalwahl am 25. Mai 2014 siegte der ehemalige Bürgermeister Turins, Sergio Chiamparino, von dem Partito Democratico. Das Regionalparlament Consiglio Regionale del Piemonte hat 51 Sitze (50 Räte und Präsident der Region). Seit den letzten Wahlen verteilen sich diese wie folgt (Bündnis, Sitze insgesamt, Direktmandate/Sitze über Regionalliste): Mitte-links-Bündnis (Spitzenkandidat Sergio Chiamparino), insgesamt 32 Sitze + Präsident: Partito Democratico (sozialdemokratisch) 17/8, Chiamparino per il Piemonte 2 (darunter der Präsident), Moderati 1/1, Sinistra Ecologia Libertà (sozialistisch) 1/1, Scelta Civica (liberal) 1/1 Mitte-rechts-Bündnis (Spitzenkandidat Gilberto Pichetto Fratin), insgesamt 9 Sitze: Forza Italia (konservativ) 6/1, Lega Nord (regionalistisch/rechtspopulistisch) 2 Weitere, insgesamt 9 Sitze: MoVimento 5 Stelle (Spitzenkandidat Davide Bono) 8, Fratelli d’Italia – Alleanza Nazionale (Spitzenkandidat Guido Crosetto) 1 Verwaltungsgliederung Zur Region Piemont gehören die folgenden sieben Provinzen sowie die Metropolitanstadt Turin: Wirtschaft Das Piemont zählt zu den reichsten Gegenden Italiens. Im Jahr 2015 lag das regionale Bruttoinlandsprodukt je Einwohner, ausgedrückt in Kaufkraftstandards, bei 103 % des Durchschnitts der EU-28. Mit einem Wert von 0,892 erreicht die Region Platz 11 unter den 21 Regionen und autonomen Provinzen Italiens im Index der menschlichen Entwicklung. Einige der wichtigsten italienischen Unternehmen haben hier ihren Sitz, darunter die Automobilhersteller Fiat und Lancia (beide in Turin), daneben der Nahrungsmittelhersteller Ferrero in Alba und das Elektronikunternehmen Olivetti in Ivrea. Neben moderner Industrie in und um Turin, der Wollverarbeitung in Biella und den Dienstleistungsunternehmen hat auch die Landwirtschaft eine große Bedeutung: in der Po-Ebene wird neben Reis (ein Drittel der europäischen Reisproduktion stammt von hier, Piemont ist das größte europäische Reisanbaugebiet), Obst und Gemüse angebaut, die Hügelgebiete liefern Wein (siehe hierzu auch den Artikel Weinbau im Piemont) und Haselnüsse, im nordwestlich angrenzenden, nicht zum Piemont gehörenden Aostatal wird Rinderzucht betrieben. Im Jahr 2017 betrug die Arbeitslosenquote 9,1 % und lag damit unter dem landesweiten Durchschnitt. Tourismus Im Vergleich zu anderen Gegenden Italiens ist das Piemont touristisch noch nicht sehr erschlossen. Schwerpunkte des Tourismus liegen im Norden am Lago Maggiore und in den Langhe, wo gastronomisch Begeisterte Wein (insb. Barolo und Barbaresco) und Trüffel genießen. Die Hauptsaison beginnt mit der Trüffelernte im Oktober. Wandern Der gesamte Alpenbogen des Piemont kann auf dem 55-tägigen Weitwanderweg Grande Traversata delle Alpi (GTA) und der Via Alpina begangen werden. Daneben existieren in der Region viele Rundwege um bekannte Gipfel, wie der Giro di Viso und der Giro del Marguareis sowie Wanderwege, die bestimmte Talregionen erschließen wie die Percorsi Occitani im Mairatal und die Alta Via im Susatal. Darüber hinaus gibt es in vielen Tälern Partisanenwege. Ein Teil der heutigen Strecke der Via Francigena, die ehemals mittelalterlichen Pilgern aus Frankreich oder England als Weg nach Rom diente, verläuft durch das Piemont. Außerdem können sowohl der historische Weg der Glorioso Rimpatrio, auf dem die Waldenser von Genf in ihre Heimattäler zurückkehrten, als auch der Weg des vorangegangenen Exils beschritten werden. Wintersport Die bedeutendsten Wintersportorte des Piemonts sind Alagna Valsesia, Bardonecchia, Limone Piemonte und Sestriere. Kultur Architektur und Kunst Das Piemont ist reich an Kunst- und Kulturschätzen. Vier Kategorien von Sehenswürdigkeiten der Region gehören zum UNESCO-Welterbe: Die Residenzen des Hauses Savoyen, 1997 in die Liste aufgenommen, die Sacri Monti (dt. Heiligen Berge), 2003 aufgenommen, die prähistorischen Pfahlbauten, 2011 aufgenommen, und die Weintraubenlandschaften der Langhe-Roero und des Monferrato, 2014 aufgenommen. Zu den berühmtesten Bauten zählen die barocken Repräsentationsgebäude von Turin: Der Palazzo Reale, Palazzo Madama, das Castello del Valentino, die von Guarino Guarini entworfene Kirche San Lorenzo mit ihrer architektonisch herausragenden Kuppel sowie Filippo Juvarras auf einem Hügel gelegene Basilica di Superga. Etwa 10 Kilometer südwestlich von Turin in Stupinigi befindet sich das ebenfalls von Juvarra entworfene Lustschloss Palazzina di Caccia, etwa 20 km in südlicher Richtung das Königsschloss von Racconigi und etwas nördlich von Turin der Palast von Venaria Reale. Ebenfalls bedeutend ist der Dom San Giovanni Battista, der einzig erhaltene Renaissance-Bau der Stadt, mit der Capella di S. Sindone, einem weiteren Meisterwerk Guarinis, das jedoch 1997 durch einen Brand beschädigt wurde. Zu den wichtigsten Museen der Stadt zählen das Museo Egizio, das nach dem Museum in Kairo die weltweit wichtigste Sammlung ägyptischer Altertümer darstellt, die Gemäldegalerie Galleria Sabauda, das im Palazzo Madama befindliche Museo Civico d’Arte Antica mit seiner Sammlung mittelalterlicher Kunstwerke sowie das Nationale Filmmuseum in der Mole Antonelliana, einem 167,5 m hohen, pavillonartigen Bau, der im 19. Jahrhundert nach Plänen Alessandro Antonellis (ursprünglich als Synagoge geplant) entstand. Kennzeichnend für die Hauptstadt der Region sind außerdem die zahlreichen Reiterstatuen, seien es die der unterschiedlichen Savoyer-Herzöge wie die Emanuele Filibertos auf der Piazza San Carlo, einem der schönsten Plätze der Stadt, oder die der Dioskuren auf der großen Piazza Castello. Das barocke Turin entstand im 17. und 18. Jahrhundert nach dem Vorbild Paris, als die Savoyer eine Neuplanung der Stadt – nicht zuletzt zur Repräsentation ihrer Macht – in Auftrag gaben. Daraus resultiert das bis heute einheitliche Stadtbild. Bevor Emanuele Filiberto I. 1563 Turin als neue Hauptstadt seines Herzogtums auserkor, handelte es sich jedoch um ein eher unbedeutendes Landstädtchen. Die Hügellandschaft des Monferrato nördlich von Asti und östlich von Turin beeindruckt durch zahlreiche kleinere romanische Klöster und Kirchen wie etwa die Abtei von Vezzolano oder die Kirchen in Montiglio, Montechiaro und Cortazzone. Ferner weisen die ehemaligen Stadtrepubliken Asti (mit seiner gotischen Kathedrale Ss. Maria Assunta e Gottardo) und das in den Langhe gelegene Alba eine sehenswürdige historische Altstadt auf, und Casale Monferrato verfügt als einstige Residenzstadt der Markgrafen von Saluzzo mit S. Evasio über einen interessanten gotischen Dom. Weiter nördlich beeindruckt Vercelli in der Poebene mit der gewaltigen Basilika Sant’Andrea, einer der ältesten italienischen Kirchen mit gotischem Innenraum, und zahlreichen Geschlechtertürmen, etwa der Torre dell'Angelo bei der Piazza Cavour. In der späten Renaissance entstand der Sacro Monte di Varallo. In dem noch etwas östlicher, nahe der Lombardei gelegenen Novara sind vor allem der mittelalterliche Broletto und die gewaltige Kuppelkirche San Gaudenzio sehenswert, letztere ebenfalls zu einem großen Teil ein Werk Antonellis. Aus romanischer Zeit blieb das Kloster San Giulio auf der Insel San Giulio im Ortasee erhalten. Am Lago Maggiore zählen die Borromäischen Inseln zu den größten Attraktionen, hier vor allem die Isola Bella – ein barocker Inselpalast mit mehrstöckigen Gartenanlagen, der die Reisenden von jeher in Erstaunen versetzt. In dem nahe der Grenze zum Aostatal gelegenen Ivrea sind der Dom S. Maria Assunta und die mit Fresken ausgestattete Kirche San Bernardino kunsthistorisch von besonderem Interesse. In der Provinz Cuneo (südlich von Turin) befindet sich das einst mächtige Saluzzo, das sich insbesondere durch seine Kirchen (Dom S. Maria Assunta, S. Giovanni und S. Bernardino) und sein mittelalterliches Stadtbild auszeichnet, das ebenfalls mittelalterlich geprägte Savigliano, Fossano, die Abtei Staffarda und die Burg von Manta mit ihren manieristischen Fresken. Etwa 30 km östlich von Cuneo liegt die monumentale Basilika von Vicoforte. Außerdem können Besucher dieser Provinz in der Pfarrkirche S. Maria Assunta von Elva, einem etwas abgeschieden gelegenen Dorf im Mairatal, die dem flämischen Maler Hans Clemer zugeschriebenen Chorfresken betrachten. Westlich von Turin, am Eingang zum bzw. im Susatal, liegen die gotisch-romanische Abtei Sant’Antonio di Ranverso mit dem Kreuztragungsfresko Giacomo Jaquerios, das mittelalterliche Avigliana und die berühmte ehemalige Benediktinerabtei Sacra di San Michele, die als Wahrzeichen des Piemonts gilt. Der kleine Ort Chianocco bietet ein Kastell, eine verfallene Kirche und ein romanisches Wehrhaus zur Besichtigung. Susa selbst weist neben einem mittelalterlichen Dom auch einige Reste aus römischer Zeit auf (Augustusbogen und Porta Savoia). In der Nähe des Mont Cenis-Passes liegt das romanische Kloster Novalesa. Am Ende des Tals und an der Grenze zu Frankreich steht die Festung von Exilles, die seit 2000 ein Museum beherbergt. Im Chisone-Tal befindet sich mit der Festung Fenestrelle die größte Festungsanlage Europas. Persönlichkeiten Zu den berühmten historischen Persönlichkeiten des Piemonts gehören der Feldherr des Habsburgerreichs Prinz Eugen von Savoyen, der Politiker, Maler und Schriftsteller Massimo d’Azeglio sowie Camillo Benso von Cavour, der als Ministerpräsident Piemont-Sardiniens Italien in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur Einheit verhalf. Aus Turin stammt der neoguelfische Geistliche Vincenzo Gioberti. Auch der fünffache Ministerpräsident Giovanni Giolitti, der neunte italienische Staatspräsident Oscar Luigi Scalfaro und der Militär Luigi Cadorna, Chef des italienischen Generalstabs im Ersten Weltkrieg, sind gebürtige Piemonteser. Ebenfalls aus der Region stammen der Mathematiker Joseph-Louis Lagrange, der Priester und Ordensgründer Don Bosco und die Unternehmerfamilie Agnelli, die unter anderem die Mehrheit an der Fiat-Gruppe hält. Zu den bedeutendsten piemontesischen Schriftstellern zählen der in Asti gebürtige Vittorio Alfieri, der als Dichter und Dramatiker der Aufklärung Einfluss auf das Risorgimento hatte, der Romanautor, Philosoph und Semiotiker Umberto Eco aus Alessandria, dessen wohl berühmtestes Werk das Buch Der Name der Rose darstellt, und die Turiner Autoren Primo Levi und Carlo Levi, ersterer Autor von Ist das ein Mensch?, letzterer von Christus kam nur bis Eboli. Aus Santo Stefano Belbo kommt ferner der Schriftsteller Cesare Pavese, der die italienische Nachkriegsliteratur wesentlich beeinflusst hat. Weniger populär ist der aus Alba stammende Beppe Fenoglio, dessen vielleicht bekanntestes Buch Der Partisan Johnny zu den wichtigsten literarischen Werken zählt, die sich der Resistenza-Thematik widmen. Weitere einflussreiche Bürger des Piemonts waren der Finanzwissenschaftler und italienische Staatspräsident Luigi Einaudi sowie sein Sohn Giulio Einaudi, Gründer des berühmten Verlagshauses Einaudi. Bekannte Piemonteser sind auch der Turiner Jazzmusiker Nini Rosso, der in Asti geborene Musiker Paolo Conte, der aus Ivrea stammende Camillo Olivetti, Ingenieur und Gründer der gleichnamigen Firma, sowie die Angehörigen der Familie Ferrero, bis heute Eigentümer des gleichnamigen Süßwarenherstellers. Die bekanntesten piemontesischen Sportler sind wohl der Radrennfahrer und dreimalige Weltmeister Fausto Coppi sowie der erfolgreiche Geher Maurizio Damilano. Literatur Reiseführer Allgemein Sabine Becht, Sven Talaron: Piemont mit Ausflügen ins Aostatal. 5. komplett überarbeitete und aktualisierte Auflage. Michael Müller Verlag, 2018. Sibylle Geier: Piemont, Aosta Tal. 4. neu bearbeitete, neu gestaltete und komplett aktualisierte Auflage. Reise Know-How Verlag, 2017. Touring Editore (Hrsg.): Piemonte (Reihe Guide Verdi D'Italia). 2015. Richard Zürcher: Piemont und das Aosta-Tal. Prestel, München 1976. Kunstreiseführer Ida Leinberger, Walter Pippke: Piemont und Aosta-Tal. 4. Auflage. DuMont, Ostfildern 2013. Heinz Schomann: Reclams Kunstführer Italien, Bd. 1/2, Piemont, Ligurien, Aosta-Tal. Reclam, Ditzingen 1982, ISBN 978-3-15-010306-7. Touring Editore (Hrsg.): Piemonte (Reihe Guide Rosse D’Italia). 2005. Touring Editore (Hrsg.): Torino e il suo territorio (Reihe Guide Rosse D’Italia). 2009. Wanderführer Sabine Bade, Wolfram Mikuteit: Piemont Wanderführer. Michael Müller, 2010, ISBN 978-3-89953-566-2. Sabine Bade, Wolfram Mikuteit: Partisanenpfade im Piemont. Orte und Wege des Widerstands zwischen Gran Paradiso und Monviso. Ein Wanderlesebuch. Querwege, Konstanz 2012, ISBN 978-3-941585-05-8. Werner Bätzing: Grande Traversata delle Alpi, Teil 1: Der Norden. Rotpunktverlag, Zürich, ISBN 3-85869-256-5; Teil 2: Der Süden. Rotpunktverlag, Zürich, ISBN 3-85869-257-3. Iris Kürschner, Dieter Haas: GTA – Grande Traversata delle Alpi. Wanderführer. Bergverlag Rother, München 2015, ISBN 978-3-7633-4402-4. Iris Kürschner: Piemont Süd. 3. Auflage. Rother, 2015, ISBN 978-3-7633-4359-1. Iris Kürschner: Piemont Nord. 2. Auflage. Rother, 2015, ISBN 978-3-7633-4360-7. Geschichte Alessandro Barbero: Storia del Piemonte. Dalla preistoria alla globalizzazione. Einaudi, Turin 2008. Valerio Castronovo (Hrsg.): Il Piemonte. Einaudi, Turin 1977 (Ruggiero Romani, Corrado Vivanti (Hrsg.): Storia d’Italia; Geschichte des Piemonts von der Einigung Italiens bis heute). La grande storia del Piemonte, 5 Bde., Bonechi, Florenz 2006 (reich bebildert). Weblinks www.regione.piemonte.it – Seite der Regionalregierung Piemonte dal Vivo Lebendiges Piemont: 87 festivals Karte vom Piemont Wörterbuch der Deutschen und Piemontesischen Sprache Waldenserwege – (auch auf Deutsch, aber nicht so ausführlich) Wandern in den Westalpen – Seite der Buchautoren Sabine Bade und Wolfram Mikuteit mit zahlreichen Informationen und Bildern Seite mit zahlreichen Informationen zur Grande Traversata delle Alpi Einzelnachweise Italienische Region Ersterwähnung 1193
Q1216
670.306886
1825671
https://de.wikipedia.org/wiki/Schlupfwespen
Schlupfwespen
Die Schlupfwespen (Ichneumonidae) bilden vermutlich die artenreichste Familie der Hautflügler, es sind etwa 30.000 Arten beschrieben, und es werden ca. 60.000 Arten geschätzt. Sie kommen auf allen Kontinenten außer Antarktika vor. In Deutschland sind mehr als 3.600 Arten bekannt, in der Schweiz fast 1.500 Arten und in Mitteleuropa mehr als 4000 Arten. Gelegentlich wird der Name „Schlupfwespen“ als Bezeichnung für die besondere Lebensweise verwendet, die nicht nur die Vertreter der Familie Ichneumonidae, sondern auch andere Legimmen besitzen, daher nennt man die Ichneumonidae auch „Echte Schlupfwespen“ oder „Schlupfwespen im engeren Sinn“. Eine internationale Forschergruppe hat 2019 Darwin-Wespen (im Original darwin wasps) als neuen Popularnamen vorgeschlagen. Dies geschieht in Anlehnung an die Aufmerksamkeit, die ihnen Charles Darwin widmete (siehe weiter unten) und soll das öffentliche und wissenschaftliche Interesse an dieser noch wenig bearbeiteten Familie steigern. Morphologie Schlupfwespen sind schlank und haben meist einen deutlichen Legebohrer, der auch sehr lang sein kann. Die Färbung ist oft dunkel, oft mit gelber Zeichnung, manchmal aber auch verschiedenfarbig. Die Antennen sind lang und dünn (geißelförmig), mit mindestens 16 Gliedern, meist halb so lang wie der Körper oder länger. Die Sternite sind weichhäutig. Die Äderung der Vorderflügel ist eine wichtige Grundlage zur Bestimmung (siehe Abb.). Die Schlupfwespen sind meistens 6 bis 17 mm, im Mittel etwa 10 mm lang. Zu den Ichneumonidae gehören aber auch die größten Arten unter den parasitoiden Hautflüglern (Megarhyssa-Arten können bis zu 5 cm lang werden). Auf Grund der vielen Arten und der noch ungenügenden Bearbeitung ist es meist nur für Spezialisten möglich, die Arten zu bestimmen. Lebensweise Die Larven der Schlupfwespen leben durchweg als Parasitoide. Parasitiert werden holometabole Insekten, am häufigsten Schmetterlinge, Pflanzenwespen, Käfer und andere. Einige spezialisierte Formen parasitieren auch in Spinnenkokons, wo sie sich von den Spinneneiern ernähren, oder als Ektoparasiten an den Spinnen selbst. Die Wespen der Gattung Polysphincta saugen an den Hinterleiben von bestimmten Radnetzspinnen und bringen diese durch biochemische Zusätze dazu, ein anderes Webmuster zu verfolgen. Sie lassen sich Kokons als Bruthöhle bauen. Danach werden die Spinnen getötet. Hemimetabole Insekten jedoch werden nach bisherigem Kenntnisstand von dieser Familie verschont (nicht jedoch etwa von den Erzwespen, die auch zu den Legimmen zählen). Die Parasitierungsraten durch die Ichneumonidae können im Freiland hohe Werte von über 50 Prozent bis zu 80 Prozent und sogar 90 Prozent betragen, besonders bei Massenentwicklungen der Wirtsart. Dadurch fungieren die Schlupfwespen als sehr wichtige Antagonisten vieler Schädlingsarten und halten deren Populationen auf natürliche Weise in Grenzen. Einige Ichneumonidae-Arten der Unterfamilie Campopleginae, die Schmetterlingsraupen parasitieren, besitzen einen endogenen viralen Vektor aus der Familie der Polydnaviridae, der nur in den Calyxzellen der Ovarien der Wespen gebildet wird und nach einer Koinjektion mit den Nachkommen den Stoffwechsel, die Immunreaktion und das Verhalten des Wirts verändert. Die Imagines der Schlupfwespen lecken oft Honigtau oder andere Pflanzensäfte. Manche Arten saugen Körpersäfte der Wirte auf, nachdem sie diese angestochen haben. Die meisten Schlupfwespen fliegen ohne zu summen, viele zittern wenn sie sitzen oder umherlaufen mit den Fühlern. Es gibt auch flügellose Schlupfwespen (Gattung Gelis), die Ameisen ähnlich sehen. Systematik Die Ichneumonidae bilden mit den Braconidae die Überfamilie Ichneumonoidea (Schlupfwespenartige). Die beiden Familien sind vermutlich monophyletisch. Die derzeit etwa 600 Gattungen werden in 42 Unterfamilien eingeteilt. In den letzten Jahren wurden mehrere Arbeiten zur Phylogenie der gesamten Familie publiziert, wobei jedoch noch viele Fragen unklar sind und einige Unterfamilien eine unklare Stellung haben, zum Beispiel Eucerotinae, Microleptinae und Orthopelmatinae. Als basale Unterfamilie, die dem Rest als Schwestergruppe gegenübersteht gelten die Xoridinae. Drei größere Gruppen sind die „Pimpliformes“, die „Ichneumoniformes“ und die „Ophioniformes“, die jeweils monophyletisch sein dürften. Außerdem gibt es noch kleinere Kladen. Die Pimpliformes enthalten unter anderem die Pimplinae, Poemeniinae und Rhyssinae, sowie die Diplazontinae und die Orthocentrinae. Die Ichneumoniformes enthalten die Agriotypinae, Alomyinae, Ateleutinae, Cryptinae, Ichneumoninae und Phygadeuontinae. Die größte Klade, die Ophioniformes, kann in wiederum zwei Gruppen eingeteilt werden, die "höheren Ophioniformes" mit den Anomaloninae, Campopleginae, Cremastinae und Ophioninae. Die "niederen Ophioniformes" enthalten (unter anderem) die Ctenopelmatinae, Mesochorinae, Metopiinae, Stilbopinae, Tersilochinae und die Tryphoninae. Unterfamilien mit Auswahl an Arten Die Familie wird derzeit in 42 Unterfamilien eingeteilt, deren Phylogenie noch weitgehend ungeklärt ist. Die folgende Aufstellung folgt D.S. Yu (Stand: 2012), teilweise mit Änderungen von Bennet et al. 2019 und Quicke et al. Wirtschaftliche Bedeutung Schlupfwespen haben in der Kontrolle von für den Menschen unerwünschten Insekten wirtschaftliche Bedeutung; diese ist allerdings schwer quantifizierbar. Einige Schlupfwespenarten werden kommerziell gezüchtet und für die biologische Schädlingsbekämpfung eingesetzt, z. B. zur Minimierung der Bestände der Stallfliege und auch zur Kontrolle von Lebensmittelmotten, Lauchmotten, Kleidermotten, Maiszünslern oder Holzschädlingen. Literarische Bedeutung Im alten China glaubte man, dass Schlupfwespen keine Junge haben, sondern Raupen in Schlupfwespen verwandeln. Diese vermutete Verwandlungskraft taucht immer wieder in philosophischen und literarischen Werken auf; so z. B. im Buch XIII von Zhuangzis Buch vom wahren südlichen Blütenland. Unter dem Namen Ichneumōn („Spürer“) beschrieb Aristoteles in der Historia animalium ein Insekt: „Die Wespen aber, welche Ichneumonen genannt werden, die kleiner als die übrigen sind, töten die Spinnen, schleppen die Leichname in alte verfallene Mauern oder andere durchlöcherte Körper und überziehen das Loch mit Lehm; daraus aber entstehen die spürenden Wespen.“ Diese Stelle wurde von dem Römer Plinius dem Älteren in seine Naturalis historia übernommen. Es ist anzunehmen, dass Carl von Linné dieser Text bekannt war, als er eine Schlupfwespe mit diesem Namen versah (die Gattung Ichneumon im neuen Sinn parasitiert allerdings tatsächlich bei Schmetterlingen). Derselbe Name bezeichnet im Altgriechischen außerdem eine ägyptische Schleichkatzenart (Herpestes ichneumon, vgl. Ichneumon), die nach der antiken Überlieferung (ebenfalls bei Aristoteles) dem schlafenden Krokodil ins Maul kriechen und ihm von hier aus das Herz zerbeißen solle. Die scheinbare Grausamkeit der Lebensweise (einschließlich des Kannibalismus unter den Larven) der Ichneumonidae aus menschlicher Sicht beschäftigte im 19. Jahrhundert Philosophen, Naturwissenschaftler und Theologen, da diese Lebensweise mit der Existenz eines guten und eingreifenden Gottes unvereinbar sei (Theodizee). Charles Darwin fand das Beispiel der Ichneumonidae so verstörend, dass es seine Zweifel an der Existenz eines Schöpfers verstärkte, wie er 1860 in einem Brief an den amerikanischen Naturalisten Asa Gray schrieb: Weblinks Key to the subfamilies of Ichneumonidae by Gavin Broad (Dept. of Entomology, Nat. Hist. Museum, London, UK) PDF Ein Paradeparasit, der im Haushalt hilft zeit.de, abgerufen am 27. März 2012 Einzelnachweise Parasit bei Wirbellosen Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pornofilm
Pornofilm
Ein Pornofilm (oder pornografischer Film) ist die audiovisuelle Realisation der Pornografie im Medium Film. Pornografie wird oft definiert als unmittelbare und deutliche Darstellung menschlicher Sexualität und primärer Geschlechtsmerkmale, die die sexuelle Stimulierung des Konsumenten zum Ziel hat. In der kunst- und filmwissenschaftlichen Auseinandersetzung ist dieser Definitionsversuch umstritten, wenngleich beispielsweise die Rechtswissenschaft unbedingt auf diese Definition angewiesen zu sein scheint. Die Abgrenzung zu Genrebegriffen wie Erotikfilm, der auch als Softporno bezeichnet wird, oder dem Sexfilm läuft ebenfalls über das Kriterium der Unmittelbarkeit und Deutlichkeit. Trotz allem sind die Genreübergänge fließend und nicht trennscharf zu ziehen. Pornografische Filme sind in der Bundesrepublik Deutschland seit 1975 nicht mehr grundsätzlich strafrechtlich verboten. Sie unterliegen jedoch bestimmten jugendschutzrechtlichen Bestimmungen, die zum Beispiel die Bewerbung und den Verkauf reglementieren. Nach der derzeitigen Rechtslage schreibt der § 15 (2) JuSchG vor, dass pornografische Filme genau so wie indizierte Filme zu behandeln sind. Strafrechtlich verboten ist dagegen die so genannte harte Pornografie, also Gewaltpornografie, Tierpornografie, Kinderpornografie und (seit 2008) Jugendpornografie. Geschichte Erotische Filme Der älteste erhaltene Erotikfilm – Inhalt ist eine Entkleidungsszene – stammt von Eugène Pirou und Albert Kirchner, der für Pirou unter dem Künstlernamen „Léar“ Regie führte. Der Film Le Coucher de la Mariée von 1896 zeigte Mlle. Louise Willy beim Striptease. Die erste voyeuristische Szene dürfte allerdings bereits im Trickfilm autour d'une cabine (1893/1894) von Émile Reynaud zu sehen sein. Georges Méliès Film Après le bal zeigt als ganzen Filminhalt nur die Entkleidung einer jungen Frau, die vom Ball zurückkehrt. Freilich waren zu dieser frühen Zeit die Filmaufnahmen nie länger als fünf bis zehn Minuten. In den Erotikfilmen des deutschsprachigen Raums wurde Erotik häufig mit Humor kombiniert. Ein frühes Beispiel hierfür ist etwa der Film Endlich allein, der 1896 und 1897 in ganz Österreich-Ungarn erfolgreich lief. Hierbei ist ein Mann zu sehen, der seine Ehefrau heimlich auf der Toilette beobachtet und alle Anstrengungen unternimmt, um nicht entdeckt zu werden. Der Film war laut Bozner Zeitung so komisch, dass er „den ärgsten Hypochonder zum Lachen bringen“ musste. Je nach Einstellung zum Erotikfilm wurde in Zeitungskritiken entweder die Komik eines Films besonders hervorgehoben oder die freizügigen Darstellungen kritisiert. Bis Ende des ersten Jahrzehntes des 20. Jahrhunderts hatten stetig zunehmende Proteste von Bürgern in vielen Ländern bereits zu strengen Zensurmaßnahmen oder Aufführverboten geführt. 1910 wurde in Paris sogar eine internationale Konferenz zur Bekämpfung der Pornografie einberufen, da die im Umlauf befindliche Menge erotischer Darstellungen bereits so große Ausmaße erreicht hatte. Erste pornografische Stummfilme A L'Ecu d'Or ou la bonne auberge (Zum goldenen Ecu oder Die gute Herberge) aus dem Jahr 1908 ist laut Patrick Robertsons Film Facts der früheste pornografische Film, der definitiv datiert werden kann (“the earliest pornographic motion picture which can definitely be dated is A L'Ecu d'Or ou la bonne auberge.”). Es ist ein französischer Film, der einen müden Soldaten beim Rendezvous mit einer Kellnerin in einer Kneipe zeigt. El Sartorio aus Argentinien könnte noch älter sein; der Film wird zwischen 1907 und 1912 datiert. Robertson weist darauf hin, dass „die ältesten erhaltenen Pornofilme in der amerikanischen Kinsey Collection enthalten sind“ (“the oldest surviving pornographic films are contained in America's Kinsey Collection”). Ein Film zeigt, wie früh pornografische Konventionen etabliert waren. Der deutsche Film Am Abend (1910) ist „ein zehnminütiger Film, der mit einer Frau beginnt, die alleine in ihrem Schlafzimmer masturbiert, und anschließend Szenen von ihr mit einem Mann beim reinen Sex, Fellatio und Analverkehr zeigt“ (“a ten-minute film which begins with a woman masturbating alone in her bedroom, and progresses to scenes of her with a man performing straight sex, fellatio and anal penetration”). Die Ästhetik und Technik der Aufnahme legt jedoch ein späteres Entstehungsdatum nahe. Die bedeutendste Sammlung historischer pornografischer Filme findet sich im Kinsey Institute for Sex, Gender and Reproduction an der Indiana University in Bloomington. Filme, die tatsächlich pornografische Handlungen aufwiesen, wurden häufig in adeligen Kreisen produziert und vertrieben. Erhalten hat sich kaum ein „pikanter“ oder pornografischer Film aus jener Zeit. Generell gelten ca. 80 Prozent der Stummfilmproduktion als verloren. Tonfilmzeit Frühe pornographische Filme wurden oft stag films genannt (engl. stag ‚Hirsch‘, im metaphorischen Sinne „Junggeselle“), da diese Filme meist in Herrenklubs, in Bordellen und in Verbindungshäusern der Studenten gezeigt wurden, also an männerexklusiven Orten, zu denen Frauen kaum Zutritt hatten. Die Phase der stag films – meist in Form von fünf bis 20 Minuten langen Kurzfilmen – dauerte bis zum Ende der 1960er Jahre. Bis dahin blieb der pornografische Film trotz filmtechnischer Entwicklungen und bis auf wenige Ausnahmen stumm und schwarzweiß. Als sie in den 1940er Jahren verboten waren, wurden die stag films oder blue films viele Jahre lang von Amateuren im Untergrund gedreht. Die Produktion eines Films nahm viel Zeit und Ressourcen in Anspruch, wobei die Leute ihre Badewanne nutzten, um den Film zu waschen, als Produktionseinrichtungen (die oft an das organisierte Verbrechen gebunden waren) nicht zugänglich waren. Die Filme zirkulierten dann privat oder über reisende Händler, obwohl man mit Gefängnisstrafen rechnen musste, wenn man beim Betrachten oder als Besitzer erwischt wurde. In der Nachkriegszeit gab es weitere Entwicklungen, die die Entstehung eines Massenmarktes förderten. Die Einführung des 8-mm-Films und des Formats Super 8 sorgte für eine weite Verbreitung des Amateurfilms. Unternehmer entdeckten diesen Markt für sich. In Großbritannien waren die Produktionen von Harrison Marks Softpornos, wurden aber in den 1950er Jahren als schlüpfrig eingestuft. Auf dem Kontinent waren solche Filme expliziter. Lasse Braun war ein Pionier bei farbigen Qualitätsproduktionen, die er in den frühen Tagen mit Hilfe der diplomatischen Privilegien seines Vaters vertrieb. 1969 wurde die Pornografie in den Niederlanden legalisiert, was zu einer Explosion der kommerziell produzierten Pornografie führte. Da der Pornoproduzent nun einer legitimen Beschäftigung nachging, gab es für Geschäftsleute keine Beschränkungen bei Investitionen in vernünftige Ausrüstung, mit der man in der Lage war, Qualitätsprodukte in Massen und billig herzustellen. Große Mengen dieser neuen Pornografie, sowohl Magazine als auch Filme, wurden in andere Teile Europas geschmuggelt, wo man sie „unter dem Ladentisch“ verkaufte oder in nur für Mitglieder zugänglichen Kinos zeigte. Als erster explizit pornografischer Film, der offiziell in US-Kinos gezeigt wurde, gilt Mona (auch bekannt als Mona the Virgin Nymph), eine 59-minütige Produktion aus dem Jahr 1970 von Bill Osco und Howard Ziehm, der anschließend mit einem relativ hohen Budget den Kultfilm Flesh Gordon drehte. Der Film Boys in the Sand von 1971 war der erste allgemein erhältliche homosexuelle Pornofilm; er führte als erster Pornofilm Credits für die Besetzung und den Stab ein (allerdings zum größten Teil unter Pseudonymen), parodierte den Mainstream-Film The Boys in the Band und erhielt eine Kritik in The New York Times. 1972 erreichten die Pornofilme in den USA einen Höhepunkt mit Deep Throat und Behind the Green Door, die von der Öffentlichkeit anerkannt und zum sozialen Phänomen wurden. 1973 folgte The Devil in Miss Jones, und viele sagten voraus, dass offenherzige Abbildungen von Sex auf der Leinwand bald alltäglich würden, aber die Kultur nahm eine andere Richtung, die solche Fantasien verhinderte. William Rotsler sagte 1973 zu diesem Thema: „Erotische Filme wird es weiterhin geben. Letzten Endes werden sie sich einfach mit dem filmischen Mainstream vermischen und als eigenes Subgenre verschwinden. Nichts kann das verhindern.“ (“Erotic films are here to stay. Eventually they will simply merge into the mainstream of motion pictures and disappear as a labeled sub-division. Nothing can stop this.”) In Großbritannien wurde Deep Throat jedoch erst 2000 in der ungeschnittenen Version anerkannt und erst im Juni 2005 öffentlich gezeigt. Anfang der 1970er Jahre versuchte man durch die Aufnahme mit mehreren Kameras und die Aneinanderreihung einzelner „Nummern“ sexueller Darstellung den pornografischen Film zu verlängern. Es entstanden die ersten und heute noch gängigen „Featurefilme“ (Pornolangspielfilme). Nachdem die Vorführung von Pornofilmen in Deutschland 1975 legalisiert wurde entstanden Sexkinos. In allen größeren Städten wurden PAM-Kinos eröffnet. Dabei stand PAM für Pub and Movies und wurde im Volksmund mit Papa auf Mama übersetzt. Die PAM-Kinos wurden offiziell als Gastronomiebetriebe geführt. Der Großteil des Eintrittpreises war angeblich für Getränke und so unterlief der Betreiber Auflagen der Behörden. Anfang der 1980er Jahre gab es in Deutschland 350 Sexkinos. Nach der Einführung von Videos setzte ein Rückgang von Sexkinos ein. Heimvideo In den 1980er Jahren ermöglichte das Aufkommen von Videosystem den vereinfachten privaten Konsum von Pornofilmen. So entschied auch die Pornoindustrie über das Vorankommen des Video-Formats VHS. Das von JVC entwickelte Format setzte sich gegen Konkurrenzsysteme durch, nachdem sich die Pornoproduktionsfirmen dazu entschieden, ihre Produkte mehrheitlich auf VHS zu vertreiben. Ähnliches wiederholte sich 2007 im Wettstreit zwischen Blu-ray und HD DVD, den erstere wiederum dank der Pornoindustrie für sich entscheiden konnte. Heutzutage wird von der „Porno(film)industrie“ gesprochen. Ihren Umfang mögen folgende Zahlen verdeutlichen: Im Jahr 1987 wurden in der Bundesrepublik Deutschland etwa 500.000 Pornovideos ausgeliehen; bis ins Jahr 1999 stieg diese Zahl auf etwa 80 Millionen an. 2006 erschienen alleine in Deutschland mehr als 1000 neue Pornofilme pro Monat, der Umsatz der Branche wird auf ungefähr 800 Millionen Euro jährlich geschätzt. Damit gilt Deutschland nach den USA als der zweitgrößte Pornomarkt der Welt. Internetkonsum und neue Technologien Die Popularisierung und Demokratisierung des Internets in den 1990ern ermöglichte schnellen und einfach Zugriff auf Pornografie. Viele technische Neuerungen wurden von Firmen entwickelt, die pornografische Inhalte im Netz anboten. Die Konferenz- und Buchreihe Arse Elektronika beschäftigt sich seit 2007 mit dieser mediengeschichtlichen Wechselwirkung, vor allem in Hinblick auf die Stimulation technologischer Entwicklung durch Pornografie. Ein Schwerpunkt liegt auch in der Analyse neu aufkommender Technologien für Pornofilme, z. B. Virtual Reality und Interactive Fiction. Johannes Grenzfurthner analysiert: „Von den tausende Jahre alten Höhlenzeichnungen einer Vulva bis zum neuesten Porno-Live-Stream – Technologie und Sexualität waren schon immer eng miteinander verbunden. Niemand kann vorhersagen, was die Zukunft bringen wird, aber der bisherige Lauf der Geschichte legt nahe, dass Sex auch in Zukunft eine essentielle Rolle in der technologischen Entwicklung spielen wird und dass Technologien und deren Anwendung die menschliche Sexualität gestalten. Wir dürfen nämlich nicht vergessen, dass wir eine sexuell motivierte und Werkzeuge verwendende Spezies sind. Die Frage ist also nicht ob, sondern wie diese Interaktion die Menschheit weiter verändern wird.“ Genres Wie auch bei anderen Filmen gibt es bei Pornofilmen eine ganze Reihe verschiedener Produktionsarten: Spielfilme: Meist eine einfache Geschichte, in der jede Gelegenheit zu sexuellen Darstellungen genutzt wird. Oft auch als Features bezeichnet. Reality-Filme: Scheinbar aus dem Leben gegriffene Szenen, bei denen Einzelpersonen oder Paare auf der Straße oder an einem anderen Ort angesprochen und zu sexuellen Handlungen vor der (zum Teil angeblich versteckten) Kamera verführt werden. Nummern-Filme: Die Porno-Variante des Episodenfilms: Eine Szene nach der anderen, in der nur sexuelle Handlungen gezeigt werden. Bei diesen Filmen wird komplett auf Rahmenhandlung verzichtet. Oft sind die Szenen aus verschiedenen anderen Filmen zusammengeschnitten worden. Nummern-Filme sind häufig auch Zusammenstellungen bestimmter Sexualpraktiken, oft auch als Vignettes bezeichnet. Adaptionen großer Publikumserfolge des kulturellen Mainstreams: Wenn etwa aus Alice im Wunderland eine Alice im Spermaland, aus Clockwork Orange die Clockwork Orgy und aus Terminator Sperminator wird. Zeichentrickfilme: Vor allem in Japan hat sich eine eigene Industrie für pornografische Trickfilme entwickelt. Außerhalb Japans werden Comics und Animationen im Manga- bzw. Anime-Stil, in denen sexuelle Handlungen dargestellt werden, als Hentai (japanisch für „Transformation“ bzw. „Abweichung“) bezeichnet. Hentai reicht von Softsex-Darstellungen bis zu sehr brutaler, harter Pornografie. Gonzo: Meist Pornofilme ohne Handlung, die nur aus Sexszenen bestehen. Die Besonderheit von Gonzos ist, dass der Kameramann bzw. Regisseur nicht als neutraler Beobachter agiert, sondern für den Zuschauer ersichtlich in das Geschehen eingreift – indem er z. B. Anweisungen gibt, Dialoge mit den Darstellern führt oder selbst an sexuellen Handlungen teilnimmt und damit also auch zum Darsteller wird. Dieses Genre wurde von John Stagliano erfunden. Eine Unterart hiervon sind die so genannten P. O. V.-Filme (Point of View), in denen die Kameraführung aus der Position eines (meist) männlichen Darstellers erfolgt und dem Zuschauer eine aktive Teilnahme suggeriert. Eine Gonzodarstellerin ist in der Pornobranche der Gegensatz zu den Glamour-Pornosternchen. Vertreterinnen dieses Genres verfügen meist nicht über das perfekte Modelaussehen, sondern setzen stattdessen auf Natürlichkeit und Ausstrahlung. Artcore: Filme, die man eigentlich auch durchaus den Vignettes bis hin zu den Features zurechnen könnte. Sie zeichnen sich jedoch durch besonderes Augenmerk auf Kameraführung, besondere Schnitttechniken, Verwendung von Zeitlupe und Farbverfremdungen aus. Die markantesten Vertreter dieses Genres sind Andrew Blake, Michael Ninn, Christophe Mourthe und Philip Mond. Sub-Genres Sub-Genres im pornographischen Film bzw. Videoclip haben sich insbesondere durch das Aufkommen der Online-Pornportale stark ausdifferenziert. Statt wenigen, statischen Analogien zu Filmgenres, der sexuellen Orientierung (Gay, Lesbian etc.) oder Fetischinteressen (BDSM, Bondage …) bilden gängige Überkategorien der Plattformen gezeigte Praktiken sowie Attribute der Darsteller ab (Lesbian, Japanese, MILF, Ebony, Hentai, Anal, Mature, Threesome …). Während eine Reihe solcher Überkategorien in der Regel vom Portal vorgegeben sind, können Contentersteller und/oder Konsumierende Inhalte mit weiteren, granulareren Bezeichnungen versehen. Granularer ergeben sich zahlreiche Unterkategorien, die auch Nischen- und Fetischinteressen fast beliebig detailliert abbilden. Auch hier werden Praktiken und Attribute gemischt, hinzu kommen Genre- und weitere Kategorienbezeichnungen. Mazières et al. beobachten allgemeine Attribute der Darstellenden (wie „blonde“, „gothic“, „mature“, „midget“) ebenso wie sexuell konnotierte Attribute („big boobs“), Praktiken („anal“, „group sex“ …) bis hin zu Nationalitäten („german“, „czech“, „japanese“) und Settings („beach“, „voyeur“ …). Sie konstatieren einmal eine starke Fokussierung auf wenige Hauptbegriffe, die einen sehr großen Anteil der angebotenen Clips abbilden („amateur“, „blowjob“ …) sowie eine zusätzliche, stark ausdifferenzierte Nischenbildung, die immer spezifischere Interessen/Darstellungen abbilden und auffindbar machen kann. Diese von Produzierenden und Nutzern geleistete Kategorisierung wird von den Plattformbetreibern direkt und indirekt genutzt: häufig gewählte Kategorien werden prominenter platziert und häufig gesuchte Begriffe als Kategorie angelegt. Statt einer überschaubaren Zahl an statischen „Sub-Genres“ hat sich so inzwischen eine dynamische Kategorisierung von Pornovideos und -Clips gebildet, die sich zum einen permanent verändert sowie teils starke geographische Unterschiede aufweist. Feministische Pornofilme In den letzten Jahren hat sich eine breite Diskussion über Feministische Pornografie entwickelt. Festivals wie PorYes, Porn Film Festival Vienna und das Pornfilmfestival Berlin zeigen regelmäßig Filme des Genres und dienen als diskursive Plattformen der feministischen Pornoszene. Der kanadische Feminist Porn Award zeichnet herausragende Produktionen aus. In der Hardcore-Szene sind in den 2000er Jahren einige Filme gedreht worden, die heterosexuelle Frauen als Konsumentengruppe ansprechen sollen. Hierbei wird, zum Teil unter weiblicher Regie, mehr Wert auf eine sich langsam aufbauende und relativ anspruchsvolle Handlung gelegt, wobei zumeist auch auf die üblichen ausführlichen Nahaufnahmen der Geschlechtsorgane verzichtet wird und speziell die so genannten Facial-Szenen fast völlig fehlen. Als Richtlinie für die Filme dient das Puzzy Power Manifesto der dänischen Pornofilm-Firma Zentropa. Für die Filme hat sich inzwischen der Begriff Heartcore beziehungsweise HeartCore etabliert. Hervorzuheben sind zum Beispiel die unter der Schirmherrschaft von Lars von Trier und seiner dänischen Firma Puzzy Power produzierten Filme Pink Prison (deutscher Magma-Titel: Hinter Gittern gevögelt), Constance (im Tabu-Love-Vertrieb; Hauptakteurin in beiden Produktionen ist die Dänin Katja Kean) und All About Anna – A HeartCore Feature. Kommerzielle Aspekte Weltweit erwirtschaftet Pornographie einem Umsatz von fast 100 Milliarden Dollar und umfasst die Produktion verschiedener Medien und damit verbundener Produkte und Dienstleistungen. Die Branche beschäftigt tausende von Darstellern sowie Support- und Produktionsmitarbeiter. Es folgen weiterhin Branchenpublikationen und Fachverbände sowie die Mainstream-Presse, private Organisationen (Watchdog-Gruppen), Regierungsstellen und politische Organisationen. Pornographische Filme können auf DVD verkauft oder vermietet werden, über Internet und spezielle Kanäle und Pay-per-View über Kabel und Satellit sowie in Erwachsenen-Kinos gezeigt werden. Ab der Jahrtausendwende hat die weit verbreitete Verfügbarkeit illegal kopierter Inhalte sowie Amateurpornografie im Internet die Rentabilität der pornografischen Filmindustrie geschmälert. Die globale pornografische Filmindustrie wird von den Vereinigten Staaten dominiert, wobei das San Fernando Valley in Los Angeles, das Zentrum der Branche ist. Da dies der Fall ist, beziehen sich die meisten Zahlen zur Größe der Branche ausschließlich auf die Vereinigten Staaten. Zahlreiche weitere pornographische Filmstudios befinden sich auch in Houston, Las Vegas, New York City, Phoenix und Miami. Diese produzieren in erster Linie Amateur- oder „unabhängige“ Pornofilme. Gesundheitliche Aspekte in der Pornobranche In Pornos werden heterosexuelle Praktiken meist ohne Kondome durchgeführt. In Schwulenpornos hingegen ist der Gebrauch von Kondomen beim Analverkehr inzwischen die Regel; ungeschützten Verkehr bezeichnet man in diesem Zusammenhang als barebacking (engl. für „ohne Sattel“). Insgesamt verwendeten nach einer Studie der Adult Industry Medical Health Care Foundation um das Jahr 2000 nur etwa 17 Prozent der Pornodarsteller Kondome. Zwar sind in der Pornobranche regelmäßige HIV-Tests üblich. Die Tests sind verpflichtend, werden aber nicht unbedingt vor jeder neuen Produktion kontrolliert. Somit haben die Darsteller ein erhöhtes Risiko, sich mit HIV oder anderen Krankheiten wie Hepatitis B, Gonorrhoe, Syphilis oder Chlamydien anzustecken. Nachdem im Jahr 2004 die Infektion zweier Pornodarsteller in den USA bekannt wurde, erwog das kalifornische Gesundheitsministerium die Einführung einer Kondompflicht für Pornoproduktionen. Die Filmproduzenten reagierten, indem sie auf PCR-Tests wechselten. Diese senken die Nachweisschwelle auf ca. eine Woche nach einer Infektion, sind aber gegenüber den Antikörper-basierten Tests wie Western Blot erheblich teurer. Urheberrecht Im Juni 2013 urteilte das Landgericht München I, dass Pornofilme in Deutschland nicht urheberrechtlich geschützt sind, wenn sie „lediglich sexuelle Vorgänge in primitiver Weise“ zeigen und es daher „an einer persönlichen geistigen Schöpfung“ fehlt. Eine US-amerikanische Porno-Produktionsfirma wollte vom Provider die IP-Adressen von zwei Nutzern, die zwei Filme heruntergeladen haben sollen. Andere Gerichte hatten in früheren Urteilen die erforderliche Schöpfungshöhe, auch bei Pornofilmen ohne sonstige Handlung bejaht. Literatur Werner Faulstich: Die Kultur der Pornographie. Kleine Einführung in Geschichte, Medien, Ästhetik, Markt und Bedeutung. Wissenschaftler-Verlag, Bardowick 1994, ISBN 3-89153-028-5 (= IfAM-Arbeitsberichte des Institut für Angewandte Medienforschung Lüneburg, Band 13). Johannes Gernert: Generation Porno. Jugend, Sex, Internet. Fackelträger, Köln 2010, ISBN 978-3-7716-4439-0. Kurt Haemmerling: Sittengeschichte des Kinos. Aretz, Dresden 1926 Christian Keßler: Die läufige Leinwand. Der amerikanische Hardcorefilm von 1970 bis 1985. Martin Schmitz Verlag, 2011, ISBN 978-3-927795-56-3. Arthur Knight, Hollis Alpert: The history of sex in cinema. Teil 17, The stag film. In: Playboy. November 1967. Al di Lauro, Gerald Rabkin: Dirty movies. An illustrated history of the stag film. Chelsea House, New York 1976, ISBN 0-87754-046-2. Jakob M. Pastötter: Erotic Home Entertainment und Zivilisationsprozeß. Analyse des postindustriellen Phänomens „Hardcore.Pornographie“. Deutscher Universitätsverlag, Wiesbaden 2003, ISBN 3-8244-4534-4 (Dissertation Humboldt-Universität Berlin 2003, 191 Seiten, unter dem Titel: Das @postindustrielle Phänomen „Erotic Home Entertainment“ und der Prozeß der Zivilisation). Arthur Maria Rabenalt: Die perforierte Unzucht. Geschichte des Pornofilms. Bastei Lübbe, Bergisch Gladbach 1982, ISBN 3-404-60065-7. Stefan Rechmeier: Das etwas humorvolle Lexikon des deutschen Erotikfilms. Wo der Wildbach durch das Höschen rauscht. MPW, Hille 2005, ISBN 3-931608-66-2. Georg Seeßlen: Der pornographische Film. Ullstein, Berlin 1994, ISBN 3-548-35291-X. Linda Williams: Hard Core. Macht, Lust und die Traditionen des pornographischen Films. Stroemfeld, Frankfurt am Main 1995, ISBN 3-86109-103-8. Linda Williams (Hrsg.): Porn studies. Duke University Press, Durham 2005, ISBN 0-8223-3312-0. Enrico Wolf: Bewegte Körper – bewegte Bilder: der pornografische Film: Genrediskussion, Geschichte, Narrativik. Mit einer detaillierten Filmografie im Anhang (= Diskurs Film Bibliothek, Band 17 ). Diskurs-Film-Verlag Schaudig & Ledig, München 2008, ISBN 978-3-926372-67-3 (Dissertation Universität Leipzig 2006, 342 Seiten). Weblinks „Vom Meat- zum Moneyshot“ – Martin Compart zur Geschichte des Pornofilms porninart.ch: (englisch) Birgit Kimmel, Stefanie Rack, Constantin Schnell, Franziska Hahn, Johann Hartl: Let’s talk about Porno. Jugendsexualität, Internet und Pornografie. Arbeitsmaterialien für Schule und Jugendarbeit (PDF; 8,3 MB), 5., aktualisierte Auflage April 2015, klicksafe.de Einzelnachweise Filmgenre
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122.319792
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https://de.wikipedia.org/wiki/Klimadiagramm
Klimadiagramm
Ein Klimadiagramm ist eine grafische Darstellungsform der klimatischen Verhältnisse an einem bestimmten Ort im Jahresverlauf. Daraus lassen sich die langjährigen Mittelwerte der in Klimastationen über Jahrzehnte gemessenen Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse entnehmen. Zustandekommen der Messwerte Bei den am häufigsten verwendeten hygrothermischen (gr. hygros = Wasser, Feuchtigkeit und gr. thermos = warm, Wärme) Klimadiagrammen werden Messwerte für Niederschlag (N) und Temperatur (T) berücksichtigt. Diese werden entsprechend den Klimanormalperioden als 30-jährige Mittelwerte dargestellt (Definition Klima = Zeitraum von 30 Jahren). Für die Temperatur werden die Tagesmitteltemperaturen für jeden Monat gemittelt; der Niederschlag eines Monats wird akkumuliert. Diese Durchschnittswerte werden im Klimadiagramm verzeichnet. Der Nutzen eines Klimadiagramms Das Klimadiagramm bietet die Möglichkeit, bereits durch kurze Betrachtung eine schnelle, grobe Einschätzung der regelmäßig wiederkehrenden örtlichen Witterungsverhältnisse vorzunehmen. So kann in hygrothermischen Diagrammen eventuelle Aridität und/oder Humidität bestimmt werden, was wiederum auf Trockenzeiten und Vegetationsbedingungen schließen lässt, die die für den Menschen mögliche Landnutzung bestimmen. Klimadiagramme möglichst vieler Orte bilden die Grundlage (effektiver und integrativer) Klimaklassifikationen der Erde, die vergleichbare Klimaregionen sichtbar machen. Auch bei der Planung einer Fernreise kann ein Blick auf die Klimadiagramme der in Frage kommenden Reiseziele hilfreich sein. Typen von Klimadiagrammen Man kann verschiedene Typen von Klimadiagrammen unterscheiden: Walter/Lieth-Klimadiagramm, Thermoisoplethendiagramm, Klimogramme und Diagramme, die leicht von den Konventionen dieser Typen abweichen. Walter/Lieth-Klimadiagramm (hygrothermisch) Beim häufig verwendeten Typ nach Heinrich Walter und Helmut Lieth werden traditionell die durchschnittlichen Monatstemperaturen (T) dem langfristigen Mittelwert der monatlichen Gesamtniederschläge (N) im Jahresverlauf gegenübergestellt (= hygrothermisch). Es wird von einer Abhängigkeit der Verdunstung von der Lufttemperatur ausgegangen, und zwar davon, dass bei einer monatlichen Mitteltemperatur von 10 °C im Zeitraum des betreffenden Monats etwa 20 mm Niederschlag verdunsten, bei 20 °C etwa 40 mm usw. Dieser Anteil des Niederschlags kann nicht versickern und steht daher den Pflanzenwurzeln nicht zur Verfügung. Nur wenn der Niederschlagswert höher liegt als das Doppelte des Temperaturwertes, erhält das Gebiet durch den Regen pflanzenverfügbares Wasser für die natürliche Vegetation und die landwirtschaftlichen Anbauflächen. Die Darstellung der Werte wird für die Temperatur durch eine rote Kurve und für die Niederschläge entweder mittels einer blauen Säule oder einer blauen Kurve vorgenommen. T wird in °C angegeben und N in mm (entspricht Liter pro Quadratmeter), und zwar in der Form, dass die einander bezüglich der Verdunstung entsprechenden Skalenwerte auf derselben Linie liegen. Bei den Monaten, in denen die Niederschlagskurve oberhalb der Temperaturkurve verläuft, spricht man von humiden (feuchten) Monaten. Liegt die Temperaturkurve aber oberhalb der Niederschlagskurve, handelt es sich um aride (trockene) Monate. Je nach der Anzahl der ariden und humiden Monate spricht man von humidem Klima, aridem Klima oder auch semiaridem Klima. Die Maßstäbe für die Einheiten von T und N stehen im Verhältnis 1:2 (d. h. 10 °C sind auf derselben Höhe der y-Achse verzeichnet wie 20 mm N). Ab 100 mm Niederschlag wird N in der Regel so dargestellt, dass die Skala in diesem oberen Bereich auf ein Fünftel der Höhe gestaucht und dunkelblau dargestellt wird (ein Schritt auf der y-Achse entspricht dann 100 mm N statt vorher 20 mm N). Diese Abflachung ist bei Klimadiagrammen von Orten zu sehen, die (zeitweise) sehr humid sind bspw. bei immerfeuchten, tropischen Klimaten oder saisonal feuchten Monsunklimaten mit jahreszeitlichen extrem hohen Niederschlägen (siehe unten). Durch das 1:2-Verhältnis in den Temperaturbereichen bis +50 °C (entspricht N 100 mm) können bei Betrachtung des Diagramms sofort Aussagen zur Humidität bzw. Aridität getroffen werden, da humide Monate so definiert sind, dass ihre potentielle Verdunstung durch die Niederschläge übertroffen wird (also, dass generell Wasser für Pflanzen zurückbleibt). Aridität wird manchmal verdeutlicht, indem die Fläche zwischen der oberhalb der Niederschlagskurve verlaufenden Temperaturkurve und der Niederschlagskurve farblich, meist gelb hervorgehoben wird, also das Integral zwischen T und N (wenn keine Niederschläge vorhanden sind, das Integral unter der T-Kurve; siehe Abb. unten in gelb). Da das Walter/Lieth-Schema häufig Verwendung findet, um globale Vergleiche durchzuführen und Klimatypen festzulegen, wird die Reihenfolge der Monate für die Südhalbkugel um 6 Monate verschoben, damit die Jahreszeiten für beide Erdhälften übereinstimmen. Deutung und Zuordnung von Klimadiagrammen Hat die Temperaturkurve eine sehr hohe Schwankungsbreite (Amplitude) im Verlauf der Jahreszeiten, handelt es sich um ein kontinentales Klima. Ist die Amplitude gering, ist ein wärmeausgleichender Meereseinfluss wirksam (Seeklima). Verläuft die Temperaturkurve beinahe in einer horizontalen Linie, liegt die Klimastation in den Tropen mit Tageszeitenklima. Sind auf dem Klimadiagramm sowohl aride Monate zu sehen als auch humide mit relativ hohen Niederschlägen, sind letztere entweder Regenzeiten der wechselfeuchten Tropen oder sommerliche Monsunregen. Bei Sommertrockenheit und Winterregen liegt die Klimastation an einem Ort mit Mittelmeerklima bzw. dem subtropischen Winterregenklima der Westseiten. Anhand der Temperaturkurven und Niederschlagswerte kann man jedes Klimadiagramm einer Klimazone zuordnen. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass bedingt durch die gleichbleibende Neigung der Erdachse während des Sommers der Nordhemisphäre auf der Südhemisphäre Winter ist und umgekehrt (Jahreszeiten). Kritik Die Darstellungsform des Niederschlags durch Säulen hat die Vorteile, dass sie zum einen die Art der Messung von N mittels Wassersäule veranschaulicht und zum anderen, dass deutlich gemacht wird, dass Niederschläge in plötzlichen Ereignissen auftreten, die anders als T verteilt sind. Der Nachteil der Darstellung monatlicher Gesamtniederschläge besteht im Konstrukt des gregorianischen Kalenders, in dem Monate unterschiedlich viele Tage haben. So muss die Vergleichbarkeit der Säulen relativiert werden: der Betrachter des Diagramms muss beispielsweise bedenken, dass bei gleichmäßigem Regen Monate mit mehr Tagen eine dementsprechend höhere Gesamtniederschlagsmenge haben werden. Thermoisoplethendiagramm (thermisch) Das Thermoisoplethendiagramm (gr. thermos = Wärme; Isoplethen = Linien gleicher Werte) orientiert sich nur an den gemittelten Temperaturwerten eines Ortes. Hier werden zwar keine Niederschläge dargestellt, aber dafür wird unter anderem neben dem Jahresverlauf auch der Tagesverlauf der Temperatur aufgezeigt. Somit wird eine Einordnung in Jahres- oder Tageszeitenklima möglich. Anmerkung: Neben Thermoisoplethen existiert eine weitere Art der Linien gleicher Temperatur: die Isothermen. Als Isothermen werden jedoch nur die Linien in p-V-Diagrammen oder Wetterkarten bezeichnet, daher die davon abweichende Bezeichnung Thermoisoplethe. Weitere Zu weiteren Formen der Darstellung von klimatischen Verhältnissen gehört beispielsweise das Klimogramm, welches das Verhältnis zwischen Temperatur- und Niederschlagswerten im Jahresverlauf mittels einer Funktionskurve graphisch darstellt. Manche Klimadiagramme berücksichtigen bei der Lufttemperatur die durchschnittliche Amplitude im Tagesgang, auch Tag-Nacht-Amplitude genannt, und stellen diese durch vertikale Balken für jeden Monat dar. Das obere Ende des Balkens entspricht der mittleren Tageshöchsttemperatur (typischerweise Nachmittagswerte, da im Allgemeinen die Sonneneinstrahlung die bodennahe Lufttemperatur mit einer gewissen Verzögerung ansteigen lässt). Das untere Ende des Balkens entspricht der mittleren Tagestiefsttemperatur (typischerweise frühmorgendliche Werte kurz vor Sonnenaufgang, da die Luft während der gesamten Nacht auskühlt). Zur besseren Lesbarkeit sind diese Temperatur-Werte häufig im Diagramm mit angegeben. Übersicht Klimatabelle Eine Klimatabelle ist eine tabellarische Darstellung des Klimas an einem bestimmten Ort. Bei der Aufstellung nach Monat sind beim Deutschen Wetterdienst folgende Angaben üblich: Mittlere tägliche Maximumtemperatur – die über den Monat gemittelte Tagesmaximumtemperaturen im langjährigen Mittel eines Referenzzeitraums Mittlere tägliche Minimumtemperatur – die über den Monat gemittelte Tagesminimumtemperaturen im langjährigen Mittel eines Referenzzeitraums Mittlerer Gesamtniederschlag im Monat – im langjährigen Mittel eines Referenzzeitraums Mittlerer Anzahl der Tage mit Niederschlag (≥ 1 mm) – im langjährigen Mittel eines Referenzzeitraums. Hier weicht der DWD von seiner Definition ab, nach der ein „Regentag“ ein Tag mit insgesamt ≥ 0,1 mm Regenhöhe ist. Beispiel: Hamburg Literatur Dieter Richter: Taschenatlas Klimastationen. Höller und Zwick Verlag, Braunschweig 1983, ISBN 3-89057-001-1. Heinrich Walter, Helmut Lieth: Klimadiagramm-Weltatlas. Gustav Fischer Verlag, Jena 1967. Diercke Weltatlas. Bildungshaus Schulbuchverlage Westermann, 2015, ISBN 978-3-14-100800-5. Weblinks Diagramm-Generator auf geographie-im-unterricht.de für vereinfachte Diagramme Climograph – ein freier Generator für Klimadiagramme von PjotrC Climate Diagrams – Klimadiagramme für jeden Punkt der Erde aus dem engmaschigen Klimamodell CHELSA (gratis, englisch) Climodata – ein Klima-Atlas von PjotrC ClimateCharts.net Webanwendung der TU Dresden zur dynamischen Generierung von Walter-Lieth Klimadiagrammen (englisch) ClimateCharts.net an interactive climate analysis web platform [ ] (Open Access) globalbioclimatics.org der Universität Complutense Madrid (Spanien). Hier finden sich Klimadiagramme zu ca. 3500 Punkten auf dem Globus und weiterführende Informationen. (englisch) Klimadiagramme europäischer Städte mit Niederschlagsbalken (geeignet für Schulgeographie) – auch für andere Kontinente lassen sich über das Menü Diagramme finden (spanisch) harz-seite.de Einfach erstellbare Klimadiagramme für Deutschland, auf Basis der frei zugänglichen Messdaten des Deutschen Wetterdienstes Einzelnachweise Klimatologie Diagramm
Q1430754
374.443373
46419
https://de.wikipedia.org/wiki/Aluminiumoxid
Aluminiumoxid
Aluminiumoxid ist die Sauerstoffverbindung des chemischen Elements Aluminium. Im technischen Bereich wird Aluminiumoxid als Elektrokorund (ELK) bezeichnet. Gewinnung und Darstellung Aus Bauxit wird Aluminiumhydroxid durch Aufschließen in Natronlauge gewonnen (Bayer-Verfahren). Durch Entziehen des Wassers, zum Beispiel durch Brennen, Sintern oder Kalzinieren erhält man Aluminiumoxid. Die Darstellung von Aluminiumoxid kann auch durch vorsichtiges Dehydrieren von Gibbsit (Hydrargillit) oder Böhmit erfolgen. Aluminiumoxid entsteht zudem bei der Verbrennung von Aluminiumpulver mit Ammoniumperchlorat in Feststoffraketen (vgl. Ammoniumperchlorat-Verbundtreibstoff). Das reine Metall Aluminium weist nach Lagerung an Luft eine dünne spontane Aluminiumoxidschicht (Selbstpassivierung) auf, die es vor Korrosion schützt. Mittels einer elektrolytisch aufgebrachten Aluminiumoxidschicht werden durch Eloxieren die Aluminiumoberflächen von Gebrauchsgegenständen mit einer extrem harten (etwa Mohs-Härte 9) und korrosionsbeständigen Schutzschicht versehen. Zur Fertigung von Elektrolytkondensatoren verwendet man diese eloxierten Aluminiumsorten. Die weltweite Produktion von Aluminiumoxid stieg von 108 Mio. t im Jahre 2014 auf geschätzte 118 Mio. t im Jahre 2015. Die drei größten Produzenten von Aluminiumoxid waren 2014 China (47,8 Mio. t), Australien (20,5 Mio. t) und Brasilien (10,6 Mio. t). Der USGS gibt als durchschnittliche US-Importpreise für Aluminiumoxid 410 USD je Tonne im Jahre 2015 an, während die Importpreise für Bauxit im selben Jahr bei 28 USD je Tonne lagen. Als Abfallprodukt bei der Gewinnung von Aluminiumoxid entsteht Rotschlamm, der ätzende Natronlauge und giftige Schwermetalle enthält und weltweit teilweise in offenen Deponien gelagert oder in Flüsse abgeleitet wird. Eigenschaften Modifikationen Die wichtigsten Modifikationen des Aluminiumoxides sind: das kubische γ-Al2O3 (Tonerde, Ausgangsstoff zur Keramik- und Aluminiumherstellung) das rhomboedrische (trigonale) α-Al2O3 (bekannt als Mineral Korund, Saphir oder – bei Chromdotierung – Rubin, als Schleifmittel und Aluminiumoxid-Keramik) Ebenso ist noch die β-Tonerde (β-Al2O3) bekannt, hierbei handelt es sich um einen historischen Irrtum. Dabei handelt es sich um die Verbindung von Na2O und Al2O3 zu Na2Al22O34 (Na2O·11Al2O3), bekannt auch unter dem Mineralnamen Diaoyudaoit Elektrische Eigenschaften Al2O3 ist ein sehr guter Isolator und besitzt eine sehr hohe Durchschlagsfestigkeit von 35 kV/mm. Der spezifische Widerstand beträgt bei 20 °C 1012 Ω m, bei 1000 °C sinkt er auf 107 Ω·m. Die relative Permittivität beträgt 9–10 bei 100 MHz, der Verlustfaktor etwa 10−4. Thermische Eigenschaften Unter Standardbedingungen liegt die Wärmeleitfähigkeit aufgrund der Phononenresonanz bei einem für Keramikmaterialien vergleichsweise sehr hohen Wert von 35,6–39 W·m−1·K−1 (einkristalliner Korund: 40 W·m−1·K−1, dichte Keramik mit 96 % Al2O3 ca. 25 W·m−1·K−1), der mit sinkender Temperatur stark ansteigt und mit steigender Temperatur bei 1000 °C auf etwa 5 W·m−1·K−1 absinkt. Der Ausdehnungskoeffizient liegt im Bereich 6,5–8,9·10−6 K−1. Die Schmelztemperatur beträgt 2054 °C, daher sollte die Anwendungstemperatur hochreiner Aluminiumoxidkeramik unter 1900 °C liegen. Chemische Eigenschaften Al2O3 ist ein amphoteres Salz, das heißt, es kann als Säure (in Verbindung mit einer Base) oder als Base (in Verbindung mit einer Säure) reagieren. Das γ-Al2O3 ist ein hygroskopisches, weißes, lockeres Pulver, das nicht in Wasser, dafür in starken Säuren und Basen löslich ist. Bereits ab 800 °C geht das γ-Al2O3 in das in Säuren wie Basen im Allgemeinen unlösliche α-Al2O3 über. γ-Al2O3 ist ein poröses Material, dessen Oberflächenstruktur stark von dem Herstellungsprozess, beziehungsweise dessen Temperatur, beeinflusst werden kann. In der Chromatographie wird es als stationäre Phase verwendet. Mit verschiedenen Metalloxiden bildet Aluminiumoxid Aluminate. Mechanische Eigenschaften Die mechanischen Eigenschaften der Aluminiumoxidkeramik hängen von der Reinheit und dem Gefüge der hergestellten Keramik ab. Je reiner die Sorte ist, desto bessere Eigenschaften werden erzielt, desto aufwendiger wird aber auch der gesamte Herstellungsprozess. Neben den in der Tabelle unten aufgeführten Eigenschaften zeichnet sich Aluminiumoxidkeramik auch durch sehr gute tribologische Eigenschaften bzw. ein sehr gutes Reibungs- und Verschleißverhalten aus: Verwendung Über 70 % der Weltjahresproduktion von rund 120 Millionen Tonnen Aluminiumoxid im Jahre 2016 gingen in die Gewinnung von metallischem Aluminium (Hall-Héroult-Prozess). Das α-Al2O3 hat eine Mohs-Härte von 9 bis 9,5 und wird unter anderem zu Lagersteinen von Messinstrumenten und Uhren, sowie zu Schleifmitteln verarbeitet. Basis dafür ist häufig das als Nebenprodukt der Aluminothermie anfallende Alundum. Kalzinierte Aluminiumoxide werden in der Keramik (z. B. in Waschbecken, Hotelgeschirr, schusssicherer Bekleidung) oder im weitesten Sinn als Poliermittel (z. B. in Glaskeramikreinigern, Autopflegemitteln, Bremsbelägen, Zahnpasten) verwendet, oftmals unter Angabe der Bezeichnung Poliertonerde. Weiterhin dient gesintertes α-Al2O3 (Sinterkorund) als feuerfestes Material in Ofenauskleidungen oder Laborgeräten. Mit Verunreinigungen durch geringe Mengen an Cr2O3 beziehungsweise TiO2 bildet der Korund die Edelsteine Rubin (Uhrensteine, Ziehsteine, Rubinlaser) und Saphir. Mit Ti2O3 dotierte Al2O3-Einkristalle bilden das Herzstück des Titan:Saphir-Lasers. γ-Al2O3 dient als Adsorbens und als Katalysatorträger, sowie als Katalysator selbst. In der Elektrotechnik wird Aluminiumoxid-Keramik wegen ihres geringen dielektrischen Verlustfaktors als Dielektrikum eingesetzt. Haupteinsatzbereich ist dabei die Realisierung von Streifenleitungen und Kondensatoren in der Hochfrequenztechnik. Aluminiumoxid-Keramikplatten dienen auch als Substrat für die Dickschichttechnik, Dünnschichttechnologie und für Platin-Temperaturmesswiderstände (siehe PT100). Die gute Metallisierbarkeit dieser Keramik ermöglicht auch das direkte Auflöten elektronischer Bauelemente wie Widerstände oder LEDs. Die Keramik fungiert dabei auch gleichzeitig als Kühlkörper. Diese Keramik-Elektroniksysteme sind genauso wirksam wie Systeme, die metallische Kühlkörper enthalten. Auch zur Herstellung von Sicherungskörpern werden Aluminiumoxide verwendet. Die hohe Durchschlagsfestigkeit und maximale Betriebstemperatur von bis zu 1900 °C machen Aluminiumoxid zum idealen Isolator für Zündkerzen. Im Anlagen- und Maschinenbau wird Aluminiumoxidkeramik insbesondere zum Verschleiß- und Korrosionsschutz eingesetzt. So werden zum Beispiel Transportrinnen und Rutschen, Trommelmühlen und Mischer mit Kacheln aus Hochleistungskeramik ausgekleidet, um die Standzeiten der Anlagen zu erhöhen. Die Korrosionsbeständigkeit von Glasoberflächen lässt sich durch eine Beschichtung aus Aluminiumoxid deutlich erhöhen. Auch beim Plasma-Schweißen haben sich Düsen aus Aluminiumoxid bewährt. Aufgrund der guten tribologischen Eigenschaften haben sich insbesondere Bauteile wie Dicht- und Regelscheiben, Lagerbuchsen und -wellen, Fadenführer in der Textilindustrie sowie Hüftgelenkskugeln und Pfannen in der Endoprothetik bewährt. Innovativ ist auch der Einsatz von Keramiknoppen in der Anlaufspur von Skisprungschanzen. Hochreine, großkristalline und daher transparente Aluminiumoxid-Keramik dient der Herstellung von Brennerrohren von Hochdruck-Gasentladungslampen (Natriumdampflampen, Halogen-Metalldampflampen). Früher verwendete man es auch als Ultraviolett-transparentes Fenstermaterial für EPROMs. Neueste Sinterverfahren machen es möglich, Aluminiumoxid zur Herstellung extrem fester nanoskaliger Glaskeramiken einzusetzen, z. B. bei Armbanduhrengläsern. In letzter Zeit werden Al2O3-Keramiken auch in Panzerungen von Fahrzeugen verwendet. Die Keramikkacheln werden dabei auf ein Aramid- bzw. Dyneema-Gewebe geklebt. Diese Art der Panzerung erreicht bei einem gleichen Flächengewicht die doppelte Schutzwirkung von Panzerstahl. Die Keramik fragmentiert das Geschoss, die Aramid-Fasern fangen anschließend die Bruchstücke auf. Al2O3 wird mit der Bezeichnung Elektrokorund (ELK) als Edelkorund, Halbedelkorund und Normalkorund in den Handel gebracht. Es wird in einem elektrischen Ofen bei etwa 2.000 °C hergestellt. Der dabei entstehende Schmelzkuchen wird zerschlagen und nach in der DIN festgelegten Körnungen abgesiebt. Edelkorund wird in der Technik als Schleifmittel bei Herstellung von Schleifscheiben verwendet. Es wird auch als Strahlmittel und als Polierpulver verwendet. Weitere Aluminiumoxide Neben dem dreiwertigen Aluminiumoxid sind noch zwei weitere Aluminiumoxide in niedrigeren Oxidationsstufen, Aluminium(I)-oxid und Aluminium(II)-oxid bekannt. Diese sind jedoch nur bei hohen Temperaturen in der Gasphase stabil. Siehe auch Liste von Aluminiumoxid-Fabriken Weblinks Einzelnachweise Aluminiumverbindung Oxid Oxidkeramik Werkzeugwerkstoff Trockenmittel Isolierstoff Feuerfestwerkstoff Aluminiumerzeugung Beschichtungswerkstoff
Q177342
103.724267
1083383
https://de.wikipedia.org/wiki/Raueis
Raueis
Raueis oder (ältere Bezeichnung) Raufrost ist ein fester Niederschlag, der sich vor allem bei hohen Windgeschwindigkeiten und einer Lufttemperatur von typischerweise −2 bis −10 °C aus unterkühlten Nebel­wassertröpfchen an Oberflächen bildet, typischerweise entgegen der Windrichtung. Die entstehende Eis­schicht aus grauweiß-körnigen Partikeln hat ein schwammartiges Aussehen und ist im Vergleich zu solidem Klareis recht locker. Raueis ist dadurch gekennzeichnet, dass es keine kristallinen Strukturen aufweist und eine große Zahl von Luftbläschen in sein Gefüge einschließt. Durch das teilweise Anschmelzen und Wiedergefrieren der Partikel verkleben diese miteinander unterschiedlich stark, je nach herrschenden Temperaturbedingungen. Raueis kann daher eine gewisse Festigkeit erreichen, verliert diese bei einigen Grad Celsius aber schnell wieder und wird dann durch herabfallende Eisstücke leicht zu einer Gefahr für Passanten. Raueis lagert sich, wie auch Klareis, bevorzugt an Ästen und Freileitungen an, wo es, besonders als Anraum, durch die mitunter nicht unerhebliche zusätzliche Gewichtsbelastung zu Schäden führen kann. Beide Phänomene sind von gefrorenem Tau, Reif und Raureif zu unterscheiden. Raueis in der Luftfahrt Im Vergleich zu Klareis ist Raueis von geringerer Gefährlichkeit für die sichere Flugdurchführung, jedoch ebenfalls nicht zu unterschätzen. Erkennbar ist es – im Gegensatz zu Klareis, welches nach hinten auf den Tragflächen „wächst“ – durch seine feine (wie oben beschriebene) Struktur, die gegen die Anströmrichtung wächst. Weblinks Belege Eis Niederschlag
Q131099
96.527207
3039
https://de.wikipedia.org/wiki/Ljubljana
Ljubljana
Ljubljana ( slowenisch [], umgangssprachlich []), (), ist die Hauptstadt Sloweniens und mit 285.604 Einwohnern (2021) zugleich bevölkerungsreichste Gemeinde des Landes. Die Stadt ist das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Sloweniens. Ljubljana ist Sitz des gleichnamigen römisch-katholischen Erzbistums und seit 1919 Universitätsstadt. Die Stadt Ljubljana bildet gemeinsam mit einigen kleineren umliegenden Siedlungen die Stadtgemeinde Ljubljana (slowenisch Mestna občina Ljubljana, abgekürzt MOL). Name der Stadt Für die Herkunft des slowenischen Namens der Stadt gibt es mehrere Erklärungen: nach der einen, wohl volksetymologischen Erklärung kommt er vom slowenischen ljubljena („geliebte Stadt“), nach der anderen von dem lateinischen Flussnamen Aluviana. Der Stadtname wurde in dieser Form zum ersten Mal 1146 als Luwigana erwähnt. Im deutschsprachigen Raum hat sich neben dem Namen Ljubljana auch der historische deutsche, ursprünglich wohl wie der gleichlautende Flussname aus dem Slawischen abgeleitete Name Laibach gehalten, der heute vor allem in Österreich gebräuchlich ist. In der deutschen und der österreichischen Diplomatie wird die Stadt amtlich Laibach bezeichnet. Der deutsche Name der Stadt wurde zum ersten Mal 1112–1125 als Leibach erwähnt. Diese Form ist auch gleichzeitig die älteste bekannte Erwähnung der Stadt. Geschichte Vorgeschichte Von 3600 bis 3100 v. Chr. finden sich die frühesten Seebehausungen (Pfahlbauten) im Laibacher Moor. Zwischen 1000 und 700 v. Chr. existierten erste illyrische und venetische Siedlungen und um 400 v. Chr. folgte die Periode der Kelten. Als erster mythischer Bewohner gilt Jason (siehe den Abschnitt Wappen). Römisches Reich Im 1. Jahrhundert v. Chr. wurde von den Römern eine militärische Festung an der Stelle des heutigen Ljubljana errichtet und im Jahr 14 die römische Siedlung Emona oder Aemona (Colonia Aemona Iulia tribu Claudia) angelegt. Sie befand sich zwar an der Stelle des heutigen Ljubljana, ging jedoch in der Völkerwanderung unter und ist daher nur eine Vorgängersiedlung der heutigen Stadt, deren Straße Emonska cesta den Namen bewahrt. Völkerwanderung und Fränkisches Reich Um 600 wanderten slawische Stämme in das Gebiet, gefolgt von einem Niedergang Emonas. Um 800 fiel das Gebiet von Laibach unter die Herrschaft der Franken. Heiliges Römisches Reich Die Stadt vor dem 13. Jahrhundert Im Ostfränkischen und später Heiligen Römischen Reich gehörte das Gebiet um Ljubljana zur Mark Krain. Der Zeitraum zwischen 1112 und 1125 ist die Entstehungszeit der ersten schriftlichen Aufzeichnungen von Laibach. Die erste urkundliche Erwähnung der Stadt stammt aus dem Jahr 1144. Die von den Spanheimern gegründete Siedlung wurde um 1220 erstmals Stadt genannt, 1243 sind ihr Marktrecht und ihre Stadtmauer aktenkundig, 1280 wurden die Einwohner (Bürger) genannt. 1270 wurde Laibach von dem böhmischen König Přemysl Ottokar II. erobert, der sich zuvor nach dem Aussterben der Babenberger im Mannesstamm, 1246, deren österreichisches Herrschaftsgebiet untertan gemacht hatte. Habsburgische Herrschaft, Reformation und Gegenreformation 1278 ging Laibach nach der Niederlage des Königs Ottokar II. gegen Rudolf von Habsburg in den Besitz der Habsburger über. 1335 wurde Laibach unter den Habsburgern Hauptstadt des zum Heiligen Römischen Reich zählenden Herzogtums Krain. Im Jahr 1415 widerstand Laibach einer türkischen Invasion. Im Jahr 1461 wurde die Diözese Laibach gegründet (siehe auch: Liste der Bischöfe von Ljubljana), und die Kirche St. Nikolaus wurde zur Kathedrale. 1504 fand die Wahl des ersten Bürgermeisters statt. 1511 erlebte Laibach sein erstes großes Erdbeben. Die erste reformatorische Predigt wurde spätestens 1523 gehalten. Gefördert durch die Krainer Landstände errichteten Protestanten im Jahr 1536 eine professionelle Lateinschule im Range eines Gymnasiums. Prägend für die reformatorische Entwicklung war neben dem Humanismus vor allem der slowenische Reformator Primož Trubar (Primus Truber, 1508–1586) durch seine in slowenischer Sprache gehaltenen reformatorischen Predigten. Mit seinem umfangreichen, slowenisch abgefassten Schriftwerk gilt er als Begründer der slowenischen Schriftsprache. 2016 wurde Ljubljana durch die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa der Ehrentitel „Reformationsstadt Europas“ verliehen. Nachdem 1597 die Jesuiten in Laibach eintrafen, die zwei Jahre später ihr eigenes Gymnasium errichteten, kam die Reformation Trubars in Slowenien im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts an ihr Ende. Mit der Gegenreformation wurde das Kirchen- und Schulministerium in Ljubljana geschlossen, evangelische Prediger wurden ausgewiesen, eine Religions-Reformationskommission eingerichtet und der konversionsunwillige Adel des Landes verwiesen. Zu Gemeindeneugründungen kam es – ermöglicht durch das Josephinische Toleranzpatent von 1781 – in Ljubljana in der Mitte des 19. Jahrhunderts; seit 1945 existiert die Slowenische Kirche A.B. (Augsburger Bekenntnisses). 1693 erfolgte die Gründung der Academia Operosum, einer Vereinigung der angesehensten Gelehrten, und 1701 die Gründung der Academia Philharmonicorum. 1754 lag die Bevölkerungszahl bei 9.300 Einwohnern. 1773 bis 1781 wurden der Gruberkanal (Gruberjev kanal) und der Gruber-Palast (Gruberjeva palača) erbaut. 1797 wurde die erste Tageszeitung von Slowenien herausgegeben. Kaisertum Österreich 1804 wurde Laibach Teil des neu proklamierten Kaisertums Österreich. Nach dem Frieden von Schönbrunn musste die Stadt mit dem Umland an das napoleonische Frankreich abgetreten werden, und die Stadt wurde unter dem Namen Laybach 1809 bis 1813 Hauptstadt der Illyrischen Provinzen Frankreichs. 1814/15 kehrte sie mit dem Wiener Kongress wieder zu Österreich zurück. 1810 erfolgte die Gründung des Botanischen Gartens. 1821 fand auf Einladung von Kaiser Franz I. der Laibacher Kongress der Heiligen Allianz statt. Am 4. Oktober 1831 konnte der Präsident der Landwirtschaftlichen Gesellschaft für Krain, Franz von Hohenwart, in Laibach im Beisein des Landesgouverneurs Joseph Camillo von Schmidburg das Landesmuseum eröffnen. Im Jahr 1849 wurde die Eisenbahnverbindung Laibach–Wien, die österreichische Südbahn, erbaut und 1857 als Verlängerung die Verbindung Laibach–Triest. Im Jahr 1861 erfolgte die Einführung der öffentlichen Gasbeleuchtung und 1890 der Bau der öffentlichen Wasserversorgung. Nach einem verheerenden Erdbeben verpflichtete sich Laibach 1895 zu einem modernen Aussehen. 1898 wurde die öffentliche elektrische Beleuchtung eingeführt. Drei Jahre später, 1901, folgte die Einführung der elektrischen Straßenbahn in Laibach. Im Jahr 1900 hatte Laibach inklusive Garnison 36.547 Einwohner. Davon waren 29.733 slowenisch- (81 %) und 5423 deutschsprachig (15 %). Vor dem Ersten Weltkrieg war Laibach österreichisch-ungarische Garnisonstadt. Im Jahre 1914 waren hier ganz oder in Teilen stationiert: der Stab der k. u. k. 28. Infanterie Truppen Division, das k.u.k. Krainische Infanterie-Regiment Nr. 17, das k.u.k. Steirische Infanterie-Regiment Nr. 27, das k.k. Landwehr Infanterie-Regiment Nr. 27 und das k.u.k. Feldkanonen Regiment Nr. 7. Die strategischen Entscheidungen für die Italienfront, insbesondere für die Isonzofront, wurden vom Armeekommando in Laibach getroffen, wo unter anderen Feldmarschall Boroević und der spätere österreichische Bundespräsident Körner tätig waren. Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen und Königreich Jugoslawien Ende Oktober 1918 wurde Ljubljana Teil des neu gegründeten Königreichs der Serben, Kroaten und Slowenen. 1919 erfolgte die Gründung der Universität von Ljubljana. 1929 wurde Ljubljana Hauptstadt der Drau-Banschaft (Dravska banovina) im Königreich Jugoslawien. Italienische Annexion und deutsche Besetzung Nach dem Überfall auf Jugoslawien im Zweiten Weltkrieg wurde am 3. Mai 1941 Ljubljana mit dem ehemaligen jugoslawischen General Leon Rupnik als Bürgermeister unter der Bezeichnung Lubiana Hauptstadt der annektierten italienischen Provincia di Lubiana. Der Großteil der Laibacher Deutschen, rund 2400, wurde im Winter 1941/42 auf Grund eines Abkommens zwischen Adolf Hitler und Benito Mussolini ins Großdeutsche Reich umgesiedelt, mehrheitlich in die Oberkrain und die Untersteiermark. Im Jahr 1942 riegelten italienische Truppen die Stadt mit einem Stacheldrahtzaun und Wachtürmen ab und durchkämmten sie danach mehrfach im Rahmen der italienischen Repression gegen den slowenischen Widerstand. Bis zur Kapitulation Italiens im September 1943 wurden etwa achtzehn Prozent der Bevölkerung von Lubiana in italienische Konzentrationslager deportiert. Nach der Kapitulation Italiens ging sie in deutsche Kontrolle über (SS-General Erwin Rösener und Friedrich Rainer als Chef der Zivilverwaltung), bis zur vollständigen Kapitulation der Wehrmacht am 8. Mai 1945. Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien Am 9. Mai 1945 erfolgte die formale Auflösung der Provincia di Lubiana. 1945 mussten die verbliebenen Laibacher Deutschen ebenso wie die übrigen Sloweniendeutschen auf Grund der AVNOJ-Beschlüsse das Land verlassen. Zahlreiche Menschen wurden ermordet. Im Jahr 1945 wurde Ljubljana Hauptstadt der Volksrepublik Slowenien in der Föderativen Volksrepublik Jugoslawien. 1958 startete der erste slowenische Fernsehsender mit regelmäßigen Übertragungen und in diesem Jahr wurde die Straßenbahn stillgelegt; der Büroturm S2 wurde 1978 fertiggestellt. 1980 starb der jugoslawische Staatspräsident Josip Broz Tito in Ljubljana. Republik Slowenien Im Jahr 1991 feierte die Stadt Sloweniens Unabhängigkeit. Die österreichischen Journalisten Norbert Werner und Nikolas Vogel starben in Ljubljana am 28. Juni 1991 während des 10-Tage-Krieges am Flughafengelände als Opfer eines Raketenangriffes der jugoslawischen Volksarmee auf ihr Auto. Im Rahmen der Feier anlässlich des endgültigen Beitritts Sloweniens zum Schengen-Raum im Jahr 2008 gedachte Premierminister Janez Janša auf dem Flugfeld von Ljubljana der beiden Toten. 2002 fand das Gipfeltreffen Bush/Putin in Ljubljana statt. Nur wenige Wochen nach Entdeckung eines neuen Massengrabes mit über 4.000 von Tito-Partisanen Ermordeten in einem slowenischen Bergwerk beschloss der Stadtrat von Ljubljana mit der Mehrheit der Linksparteien im April 2009, wieder eine Straße nach Josip Broz Tito zu benennen, nachdem bereits von 1952 bis 1954 die heutige Slovenska cesta (Slowenische Straße) nach ihm benannt war. Wappen Kultur und Sehenswürdigkeiten Die Stadt ist berühmt für ihre von Jože Plečnik geplanten Architekturdenkmäler sowie für ihre gut erhaltene Innenstadt, darunter: die Altstadt (unter Denkmalschutz), Bauten von Jože Plečnik, wie die Drei Brücken (Tromostovje), NUK – die slowenische Nationalbibliothek, der Friedhof Žale, Kreuzlinge (Križanke) der Tivoli-Park die Burg der Dom St. Nikolaus nach Plänen des römischen Jesuiten Andrea Pozzo, das Erzbischöfliche Palais die Franziskanerkirche Mariä-Verkündigung am Prešerenplatz (Prešernov trg, benannt nach France Prešeren), das Rathaus, die Serbisch-Orthodoxe Kirche St. Kyrill & Methodius, die Slowenische Nationalgalerie, das Kunstmuseum Moderna Galerija, das Stadtmuseum (Mestni muzej), das Museum für neuere Geschichte Sloweniens, die Drachenbrücke (Zmajski most). Ljubljana ähnelt einerseits einer österreichischen Stadt, hat aber durch seine Altstadt, durch Plečniks Kulturkreise verbindende Architektur, durch die vielen Cafés am Fluss und das gemäßigte Klima spezielles mediterranes Flair. Der historische Stadtkern wurde 2007 für den motorisierten Verkehr gesperrt; die Uferböschung der Ljubljanica (der Fluss durch das Stadtzentrum) wurde mit Promenaden neu gestaltet. Im Sommer, besonders im August, finden verschiedene Musikveranstaltungen in der Altstadt und auf der Burg, u. a. die Musikakademie Ljubljana und seit 1960 ein jährliches Jazz-Festival statt. Südlich der Šentjakobski most (der St.-Jakobs-Brücke zwischen den Straßen Zoisova cesta und Karlovška cesta) liegen auf der westlichen Flussseite die Ljubljanica-Terrassen, ein beliebter Treffpunkt am Wochenende. Sehenswert ist der Markt rund um den Dom, besonders samstags. Ebenfalls erwähnenswert sind der unter den Kolonnaden versteckte Fischmarkt und ein Sonderbereich im Gebäude gegenüber den Kolonnaden. Samstags findet ein Kunstflohmarkt zwischen den drei Brücken und der Čevljarski most (der Schusterbrücke) statt. Ljubljana besitzt auch ein sehenswertes Eisenbahnmuseum mit einer umfangreichen Sammlung historischer Dampflokomotiven. Metelkova ist das Zentrum der alternativen Kulturszene. Auf dem ehemaligen Kasernengelände leben Künstler und Studenten der Akademie für Theater, Radio, Film und Fernsehen, dort finden Ausstellungen und andere Veranstaltungen statt. Die seit 1993 andauernde „Besetzung“ des Geländes wird von der Stadt Ljubljana geduldet. Am Südrand des Waldhügels Rožnik befindet sich der Zoo, ca. 30 Gehminuten vom Stadtzentrum entfernt. Auf dem Schlossberg über der Innenstadt befindet sich das im Mittelalter entstandene Laibacher Schloss (slowenisch Ljubljanski grad). Bevölkerung Die Bevölkerung der Stadt bestand seit dem Hochmittelalter vor allem aus Deutschsprachigen. Nach 1848 fungierte sie als kultureller Mittelpunkt der Slowenen. Zur Volkszählung im Jahr 1880 waren die 5658 Deutschsprachigen (23 % der Bevölkerung) bereits eine Minderheit. Bei der Volkszählung 2002 waren 84,1 % der Einwohner von Ljubljana slowenische Staatsbürger, 7,5 % Bosnier, 3,5 % Kroaten, 3,2 % Serben, 0,7 % EU-Bürger (damals EU-15), 0,6 % Mazedonier und 0,5 % andere. Slowenisch ist alleinige Amtssprache der Stadtgemeinde Ljubljana und wurde bei dieser Volkszählung von 78,9 % der Bevölkerung als Muttersprache angegeben. Ferner sprachen nach eigenen Angaben 4,1 % Serbisch, 3,9 % Kroatisch, 3,9 % Serbokroatisch, 3,4 % Bosnisch und 1,9 % sonstige Sprachen. Geografie Lagebeschreibung Ljubljana liegt auf am Rande des Laibacher Beckens an der Ljubljanica (Laibach), die noch im Stadtgebiet in die Save mündet. Südlich tut sich der Karst auf, nach Norden erlaubt das Becken freien Blick in die Karawanken und die Steiner Alpen. Südwestlich erstreckt sich die Ebene des teilweise trockengelegten Laibacher Moores (Ljubljansko barje). Die Altstadt liegt an einer Schlinge der Ljubljanica um den Schlossberg. Zur Erleichterung der damaligen Schifffahrt wurde diese Schlinge im Jahr 1750 durch den Gruberkanal (Gruberjev Prekop) abgeschnitten. Stadtgliederung Siehe Hauptartikel Stadtgemeinde Ljubljana Stadtbezirke Ljubljana bestand lange Zeit aus fünf unabhängigen Gemeinden (Bežigrad, Ljubljana Center, Moste-Polje, Šiška und Vič-Rudnik). Mit der Gemeindereform 1996 wurde die Stadt in 17 Stadtbezirke (, Sg.: ) untergliedert. Die Verwaltungsstellen dieser Stadtbezirke sammeln Vorschläge der Bürger und übermitteln sie an die zuständigen Ämter der Stadtregierung. Sie beteiligen sich auch an der Vorbereitung und Durchführung der Tätigkeiten der Stadtverwaltung auf ihrem jeweiligen Gebiet. Historische Stadtteile Außerdem gibt es noch eine Vielzahl an historischen Stadtteilen, die heutzutage meist bereits zur Kernstadt gezählt werden (in Klammern der jeweilige deutsche Name): Klima Städtepartnerschaften Wirtschaft und Infrastruktur Wirtschaft Ljubljana ist das wichtigste Wirtschaftszentrum Sloweniens, es ist Sitz der Ljubljanska borza, der einzigen Börse des Landes, sowie der meisten der großen Unternehmen in Slowenien wie Mercator, Petrol, Hisense Gorenje Europe, Telekom Slovenije sowie Lek. In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Ljubljana im Jahre 2018 den 75. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit. Verkehr Straße Ljubljana hat eine wichtige Funktion als internationaler Verkehrsknotenpunkt südlich der Alpen für die Verkehrsströme zwischen Italien und Ungarn sowie von Österreich nach Kroatien und bildete zu jugoslawischer Zeit den Beginn des sogenannten Autoput. Es gibt heute einen Autobahnring sowie vier sternförmig von diesem ausgehende Autobahnen (Richtung Karawankentunnel/Klagenfurt, Maribor, Zagreb und Koper/Triest). Der historische Stadtkern Ljubljanas wurde 2007 für den motorisierten Verkehr gesperrt. Flugverkehr Der internationale Flughafen liegt 15 km nördlich des Zentrums bei Brnik. Schienenverkehr Ljubljana Hauptbahnhof ist zentraler Eisenbahnknoten in Slowenien und wichtigster Knoten des öffentlichen Verkehrs der Stadt. Ljubljana liegt an der zweigleisigen Hauptbahn Maribor–Triest (ursprünglich Bestandteil der Österreichischen Südbahn), eine eingleisige Hauptstrecke (siehe auch: Bahnstrecke Tarvisio–Ljubljana) führt über Jesenice (Karawankentunnel: Grenzübergang mit Österreich) nach Villach. Beide Strecken sind elektrifiziert und ermöglichen über die genannten Städte hinaus auch tägliche Fernverkehrsverbindungen Richtung Belgrad, Frankfurt am Main, München, Prag, Pula, Rijeka, Salzburg, Stuttgart, Venedig, Wien, Zagreb und Zürich. Außerdem gibt es noch je eine nicht elektrifizierte Strecke nach Karlovac (über Novo mesto) und nach Kamnik. ÖPNV Der städtische Nahverkehr wird ausschließlich mit Omnibussen abgewickelt, im Volksmund „Trola“ genannt, da es in den sechziger Jahren O-Busse (Trolleybusse) gab. Die ab 1901 errichtete Straßenbahn Ljubljana (Tramvaj) wurde 1961 eingestellt. Auf Grund zunehmender Verkehrsprobleme (Staus, Parkraummangel) ist die Wiedereinführung eines schienengebundenen Nahverkehrssystems (Stadtbahn) geplant, jedoch wurden die diesbezüglichen Pläne bisher nicht realisiert. (Stand 2010) Fahrrad Der Fahrradverkehr ist im Sommer bedeutend, jedoch durch die Verkehrsplanung stark reglementiert. So gibt es ein Fahrradverbot auf manchen wichtigen Straßen. Auf einigen Abschnitten wurde das Verbot aufgehoben, meistens im Zusammenhang mit dem Bau von zusätzlichen Fahrradwegen – so 2016 auch auf dem südlichen, bisher für den Radverkehr gesperrten Abschnitt der Slovenska cesta. Seit dem Jahre 2000 gibt es einen kleinen städtischen Alltagsradlerverband. 2012 wurde das Fahrradverleihsystem BicikeLJ (bicikel, umgangssprachlicher Ausdruck für Fahrrad + LJ) eingeführt. Neben einem Jahresabonnement wird auch ein Wochenabonnement angeboten. Jede neu angefangene Fahrt bis maximal 60 Minuten ist kostenfrei. Die Kopplung des Benutzerkontos an eine Urbana-Karte scheint nicht mehr zwingend notwendig. Seit 2013 sind zahlreiche Straßen, wo zuvor Fahrradverkehr verboten war, unter anderen auch ein Teil der Slovenska cesta, einer der wichtigsten Geschäftsstraßen im Zentrum der Stadt, für den individuellen Autoverkehr gesperrt und nur mit Bussen, Fahrrädern und zu Fuß erreichbar. 2015 wurde Ljubljana vom Verkehrsplanungsunternehmen Copenhagenize Design Company zum ersten Mal als eine fahrradfreundliche Stadt eingestuft. Siehe auch Autobahnbrücken Ljubljana-Rudnik Fabiani-Brücke Wissenschaft und Bildung Ljubljana ist Sitz einer der vier Universitäten Sloweniens. Die Universität Ljubljana hatte 2018 knapp 38.000 Studenten, die sich auf 22 Fakultäten verteilten. Damit ist sie die größte Hochschule Sloweniens. Die staatliche Hochschule in ihrer heutigen Form besteht seit 1919, wenngleich es zuvor schon ähnliche Institute gab. Die Musikakademie Ljubljana, die Kunstakademie Ljubljana sowie die Akademie für Theater, Radio, Film und Fernsehen (AGRFT) sind heute Einrichtungen und Teil der Universität Ljubljana. Die 1938 gegründete Slowenische Akademie der Wissenschaften und Künste befindet sich in Ljubljana. Des Weiteren besteht seit 1992 das Slowenische Institut für ethnische Studien. Sport Veranstaltungen Seit 1996 findet im Oktober der Ljubljana-Marathon statt, an dem mittlerweile einschließlich der Nebenwettbewerbe mehr als 10.000 Läufer teilnehmen. Bekannte Vereine HDD Olimpija Ljubljana: 10-facher slowenischer und 8-facher jugoslawischer Eishockeymeister NK Olimpija Ljubljana: Fußballverein KK Olimpija Ljubljana: bekanntester Basketballverein Sloweniens HK Slavija Ljubljana: Eishockeyklub aus dem Vorort Zalog Rokometni Klub Krim (auch: RK Krim): Frauen-Handballverein Persönlichkeiten Sonstiges Ljubljana war der Name eines jugoslawischen Kriegsschiffes der Belgrad-Klasse, zerstört 1943. Das Heizkraftwerk Ljubljana deckt zu fast 90 % den Fernwärmebedarf der Stadt. Paulo Coelhos Roman Veronika beschließt zu sterben spielt in einer Nervenheilanstalt in Ljubljana. Eine Band namens Laibach erregte seit 1980 mit dem deutschen Namen der Stadt, martialischem Auftreten und provokativen Äußerungen Aufsehen. Die Gruppe trat 2015 in Nordkorea auf. Nahe der Stadt befinden sich die Sender Kurešček, Polževo und Šmarna Gora. Literatur Ivan Vrhovec: Die wohllöbl. landesfürstl. Hauptstadt Laibach. Nach archivalischen Quellen bearbeitet. Druck von J. Blasnik’s Nachfolger, Laibach 1886 (). Franz Xaver Johann Richter: Geschichte der Stadt Laibach bis zur Gründung des Bisthums im Jahre 1461. In: Archiv für die Landesgeschichte des Herzogthums Krain. Hrsg. von V. F. Klun. Heft 2 und 3, Laibach 1854, S. 141–289 (; zuerst erschienen 1829 und 1836). Julius Wallner: Beiträge zur Geschichte der Laibacher Maler und Bildhauer im XVII. und XVIII. Jahrhunderte. In: Mittheilungen des Musealvereines für Krain. Band 3. Laibach 1890, , S. 103–139 (). Siehe auch Altstadt von Ljubljana Liste der Straßen und Plätze von Ljubljana 1877 Weblinks Offizielle Website von Stadt und Stadtgemeinde Ljubljana Visit Ljubljana – Führer durch Ljubljana und Zentralslowenien (slowenisch, deutsch, englisch, französisch, italienisch) Ljubljana auf slovenia.info (deutsch) Karte der Stadt Ljubljana auf Geopedia Einzelnachweise Ort in Slowenien Hauptstadt in Europa Hauptstadt in der EU Laibacher Becken Ort an der Save Ort im Einzugsgebiet Ljubljanica Umwelthauptstadt Europas Ort an der Bernsteinstraße Oberkrain Ersterwähnung im 12. Jahrhundert Stadtgemeinde Ljubljana
Q437
662.100656
46100
https://de.wikipedia.org/wiki/Denken
Denken
Unter Denken werden alle (psychologischen) Vorgänge zusammengefasst, die aus einer inneren Beschäftigung mit Vorstellungen, Erinnerungen und Begriffen eine Erkenntnis zu formen versuchen. Bewusst werden dabei meist nur die Endprodukte des Denkens, nicht aber die Denkprozesse, die sie hervorbringen. Denken wird allgemein von Wahrnehmung und Intuition unterschieden. Dies wird in der Regel damit begründet, dass Wahrnehmung und Intuition unbegrifflich seien, Gedanken jedoch als begrifflich oder propositional aufgefasst werden. Denken kann auf einem Einfall basieren, spontan durch Gefühle, Situationen, Sinneseindrücke oder Personen ausgelöst werden, oder es wird abstrakt-konstruktiv entwickelt. Automatisches Denken, das unbewusst, absichtslos, unwillkürlich und mühelos abläuft, kann unterschieden werden von kontrolliertem Denken, das bewusst, absichtlich, freiwillig und aufwendig ist. Die Umgangssprache zeigt Denken sowohl in der aktiven Form: „Ich denke“ als auch in einer passiven, wahrnehmenden: „Ich habe einen Gedanken / eine Idee / eine Vorstellung“. Daniel Kahneman unterscheidet ebenfalls ein „System 1“, das automatisch und schnell, mit geringer oder keiner Anstrengung und ohne bewusste Kontrolle arbeitet, vom „System 2“, das denjenigen mühevollen mentalen Aktivitäten, die Aufmerksamkeit erfordern, diese zuweist. Die Tätigkeiten des zweiten Systems werden häufig assoziiert mit Urheberschaft, Wahlfreiheit und Konzentration. Wie Denken im Einzelnen geschieht, ist Forschungsgegenstand verschiedener Disziplinen. Wissenssoziologie, Ethnologie, Psychologie (insbesondere Denkpsychologie) und Kognitionswissenschaft betrachten das Denken höchst unterschiedlich. Einige versuchen, deskriptiv die vorliegenden Formen des Denkens zu beschreiben und bestimmte Muster und Heuristiken zu finden, denen das Denken von Individuen oder Gruppen im Allgemeinen, gruppenspezifisch oder im Einzelfall folgt. Diese Formen können wiederum in der Perspektive der Soziologie, der allgemeinen Psychologie, der Persönlichkeitspsychologie oder in kognitionswissenschaftlichen Modellen betrachtet werden. Die Gehirnforschung und verwandte Fachbereiche untersuchen die psychologischen, neuronalen und biochemischen Mechanismen, die dem konkreten Vorgang des Denkens zugrunde liegen. Erkenntnistheorie, Spieltheorie, Logik und Denkpsychologie untersuchen, welchen Regeln das Denken folgen muss, um Wahrnehmungen sinnstiftend zu verarbeiten, zu wahren Überzeugungen zu gelangen oder um korrekt Probleme zu lösen oder Schlüsse zu ziehen. Biologie In Analogie zu den Begriffen der Verhaltensbiologie bezeichnet man: als Denkweise (zu Verhaltensweise) den einzelnen Gedankengang als Denkmuster (zu Verhaltensmuster) als regelmäßig in Reaktion auf eine Situation erfolgenden Gedankengang Die typischen Denkweisen und -muster einer Person hängen von der Veranlagung, der Sozialisation (auch Erziehung, Bildung), den gesammelten Erfahrungen im Umgang mit Anderen und der Art der sozialen Beziehungen sowie der Fähigkeit zu Perspektivenübernahme und Reflexion ab. Psychologie Kognitive Psychologie In der kognitiven Psychologie wird Denken als eine Mischung aus Gedächtnisleistung und logisch abstrakter Symbolverarbeitung angesehen. Mit Hilfe von Modellen, sogenannten kognitiven Architekturen, werden u. a. Denk- und Problemlöseprozesse simuliert. Die bekanntesten Modelle sind die ACT-Theorie von John R. Anderson, die PSI-Theorie von Dietrich Dörner und die SOAR-Theorie von Allen Newell. Denken als Problemlösen Ein Problem besteht, wenn von einem gegebenen Ausgangszustand aus ein gewünschter Zielzustand nicht ohne weiteres erreicht werden kann. Das zwischen Ist- und Soll-Zustand liegende Hindernis muss durch Einsatz von Hilfsmitteln (sogenannten Operatoren) beseitigt werden. Hierzu sind Denkprozesse erforderlich. In diesem Zusammenhang werden im Unterschied zu Intelligenztests komplexere Aufgaben verwendet, wie z. B. die Türme von Hanoi oder Computersimulationen. Die Hauptkategorien des Denkens – bewusstes, unbewusstes oder vorbewusstes Denken – sind beim Problemlösen nicht zu trennen. Jedem bewussten Denkprozess gehen unbewusste Denkschritte voraus. Viele Erkenntnisse „reifen“ unbewusst, in einer Phase der Entspannung, wenn man sich von dem Problem distanziert hat. Etliche große wissenschaftliche Einsichten kamen den Forschern scheinbar im Schlaf oder „aus heiterem Himmel“. Analytisches Denken vs. analoges Denken In der Kognitionspsychologie spielt die Unterscheidung zwischen analytischem Denken, das auf einer Analyse von Sachverhalten o. Ä. beruht, und analogem Denken, welches ohne eine Analyse auskommt, eine wichtige Rolle. Analoges Denken findet assoziativ, spontan statt. Auf diese Weise kann etwa durch Konnotationen ein komplexer Sachverhalt erschlossen werden. So ist es bspw. möglich, einen schwierigen literarischen Text durch das assoziative Malen eines Bildes zu interpretieren, ohne vorher eine Interpretation auf der Basis einer Textanalyse geleistet zu haben. Entwicklungspsychologie Denken hat oft mit Wissen und mit Erfahrung zu tun. In der Entwicklungspsychologie wird unter anderem erforscht, wie Kinder lernen, kausale Zusammenhänge zu erkennen. Dieses „Kausalitätswissen“ wächst oft durch gegenständliches Erleben und Denken. Das gegenständlich-kausale Denken eines Kindes ist ab etwa neun Monaten zu bemerken; ihm geht eine Phase der „Prä-Kausalität“ voraus. Ähnlich scheint es mit den oben erwähnten assoziativen Denkvorgängen zu sein. Mit etwa drei Jahren wird auch abstrakte Kausalität einsichtig, doch sind Fehler im logischen Denken oft „resistent“ (bleiben lange bestehen), was allerdings auch beim Erwachsenen vorkommt (vgl. die Forschung von Jean Piaget). Wenn Kleinkinder lernen, z. B. einzelne Elemente oder Bausteine zu gruppieren, werden mit zunehmender Übung die Effekte logischer Operationen merkbar. Zunächst konzentrieren sie sich auf ein Merkmal, später auf wenige Merkmale. Die Logische Multiplikation – z. B. als kombiniertes Beachten von Form und Farbe – gelingt erst mit einigen Jahren, wird aber durch Zufallserlebnisse gefördert. Verschiedene Versuche – unter anderem mit geistig Behinderten – widersprechen der häufig geäußerten Annahme, dass Kinder alternative Denkweisen hätten. Wie viel des kindlichen Wissens „angeboren“ ist und ob ihre begriffliche Denkstruktur jener von Erwachsenen entspricht, wird derzeit intensiv untersucht. Motivationspsychologie Denken ist auch relevant für die Leistungsmotivation, z. B. im Leistungssport. Diese ist in diesem Zusammenhang vielleicht ebenso wichtig wie Psychomotorik und Coaching bzw. Training. Es gilt, das Denken, die Vorstellung, die aktuelle Wahrnehmung und sogar das Gedächtnis auf das Ziel zu konzentrieren. Automatisierung aller wichtigen Reaktionen und Sequenzen ist erforderlich. So steht auch unter Leistungsdruck das ganze persönliche Leistungsspektrum zur Verfügung. Auch Ehrgeiz, Egoismus, Wille und das Hinarbeiten auf übergeordnete Ziele lassen sich unter kognitivem Blickwinkel betrachten. Sozialpsychologie Das Denken steht immer unter dem Einfluss der beiden wichtigsten Motive des Menschen: dem Bedürfnis nach einem positiven Selbstbild und dem Bedürfnis nach einem realistischen Weltbild. Als Akteur im sozialen Feld ist der Mensch mit seinen begrenzten Ressourcen (beschränkte Aufmerksamkeit, beschränktes Kurzzeitgedächtnis, Schwächen des Langzeitgedächtnisses usw.) beim Denken ständig auf Heuristiken angewiesen, z. B. automatisches Denken, Implizites Wissen, Einstellungen wie Vorurteile, Sympathie usw., Schemata wie Urteilsheuristiken, Implizite Persönlichkeitstheorien usw. Durch kognitive Überlastung können Denkfehler und kognitive Verzerrungen auftreten. Philosophie Die Philosophie (alt- und neugriechisch , wörtlich „Liebe zur Weisheit“) hat im Gegensatz zu den einzelnen Wissenschaften keinen begrenzten Gegenstandsbereich. Allgemein könnte man sie als den Versuch der kritisch-rationalen Selbstüberprüfung des Denkens bezeichnen, als eine methodische Reflexion, die sich inhaltlich tendenziell auf eine Gesamtdeutung der Welt und der menschlichen Existenz richtet. Das Denken selbst wird insbesondere in der Erkenntnistheorie der Philosophie der Logik, der Sprachphilosophie und in der Moralphilosophie (in der Theorie des moralischen Urteilens) thematisiert. Denken als wortlose Sprache? Das Denken könnte man auch als stummes Sprechen in einer inneren, allen Menschen gemeinsamen Sprache bezeichnen, die nach dem Philosophen Jerry Fodor language of thought (etwa: Sprache des Geistes) oder auch mentalese (etwa: „Denkisch“ oder „Mentalisch“) genannt wird. Die Idee einer Sprache des Geistes (einer lingua mentis) findet sich auch schon – ausgehend von einer These des griechischen Philosophen Aristoteles – in der Philosophie des Mittelalters. Ein Zitat von Ludwig Wittgenstein bringt dies so zum Ausdruck: Allerdings gibt es auch ein Denken in Bildern, das die Kunst kennt und das dem Traum und der Vorstellung verwandt ist – die Einbildung (Wie etwa in der Legende, dass der Chemiker Friedrich August Kekulé die Ringstruktur des Benzolmoleküls träumte). Martin Heidegger, einer der Hauptbegründer der Phänomenologie, beschreibt das Denken als einen Weg. Das zu-Denkende entzieht sich dem Menschen und zieht ihn mit. Weil sich das zu-Denkende dem Menschen entzieht und sich von ihm abwendet, nimmt es ihn in Anspruch. Der Mensch wird dadurch zu einem Zeichen und verweist auf das, was sich ihm entzieht. Ethnologie Denken kann kulturell geprägt sein; diese Behauptung wird gestützt von Befunden, die verschiedenen Kulturräumen unterschiedliche Denkstile zuordnen. So wird individualistischen Gesellschaften eine eher analytische Denkweise zugesprochen und im Gegensatz dazu kollektivistischen Kulturen eine eher holistische Denkweise. Beim analytischen Denken wird auf der Ebene der Wahrnehmung der Kontext häufig ignoriert; bei der Betrachtung eines Bildes, z. B. wird das Hauptobjekt stärker fokussiert als der Hintergrund. Dies nennt man Feldunabhängigkeit. Eine analytisch denkende Person nimmt Objekte eher bezüglich ihrer Eigenschaften wahr und ordnet sie daraufhin in Kategorien ein. Aufgrund dieser Kategorisierung werden Einschätzungen über zukünftige Ereignisse und Verhaltensweisen getroffen. Also verwendet ein analytischer Denker Regeln, um Verhalten vorherzusagen. In Entscheidungssituationen wählt er eindeutig „Pro“ oder „Contra“ anstelle der „goldenen Mitte“. Beim holistischen Denken richtet man seine Aufmerksamkeit dagegen auf die Beziehung zwischen dem fokussierten Objekt und dem Kontext (Feldabhängigkeit). Man versucht, auf dieser Basis (statt auf der Grundlage von Regeln) Ereignisse zu erklären und vorherzusagen. Holistische Ansätze basieren eher auf Erfahrungen und weniger auf abstrakter Logik. Holistisches Denken kann intuitiv sein. Auch dialektisches Denken wird zuweilen als holistisch bezeichnet, da Gegensätze herausgearbeitet, Widersprüche wahrgenommen und Veränderungen in Form von Synthesen bzw. Kompromissen gesucht werden. Der Ethnologe Claude Lévi-Strauss bezeichnete die traditionell ganzheitlichen Denkweisen der naturangepassten Kulturen als „Wildes Denken“. Evolution Bereits Darwin äußerte die Überzeugung, dass das menschliche Denken Entsprechungen in der Tierwelt besitzt und nur graduelle, aber keine prinzipiellen Unterschiede vorhanden seien. Heute ist unbestritten, dass das Denken einen evolutionären, von verschiedenen Disziplinen erforschbaren Ursprung hat. Der evolutionäre Weg des Denkens verläuft bei Tomasello vom überwiegend individuellen, konkurrenzbestimmten Denken der Menschenaffen zum kooperativen Denken des Menschen. Dabei denkt der Mensch kooperativ, indem er gemeinsame Ziele entwirft, diese gemeinsam verfolgt und auch gemeinsam überdenken und korrigieren kann. Diese Fähigkeiten bedeuten evolutionäre Systemübergänge oder Innovationen. Im Unterschied zu Tieren evolvierte beim menschlichen Denken die Fähigkeit zu stabiler, generationenübergreifender Akkumulation von Denkinhalten (Wagenheber-Effekt) auf Populationsebene. Der Mensch kann in ausgeprägt episodischem Denken, bezogen auf Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft, komplexe gedankliche Szenarien entwerfen und ist stark motiviert, Informationen mit anderen zu teilen. Diese Denkformen sind Tieren nicht möglich. Die Theorie des sozialen Gehirns weist auf einen Zusammenhang der Gehirngröße und maximalen Gruppengröße sozial lebender Arten. Soziale Bedingungen mit immer größeren Anforderungen an Denkleistung in größer werdenden Gruppen treiben im Evolutionsverlauf das Gehirnwachstum und damit auch die komplexer werdenden Denkformen in der Geschichte des sozialen Lebens des Menschen und seiner Vorfahren, nicht umgekehrt. Auch Tiere können denken. Begrifflichkeit ist dazu nicht erforderlich. Vögel zeichnen sich durch eine vom Säugetier unterschiedliche Gehirnarchitektur aus. Insbesondere ihr Vorderhirn mit höherwertigen Funktionen ist bei ihnen konvergent, also unabhängig evolviert. Obwohl sie keinen Neocortex besitzen, haben sie mit einer alternativen Gehirnstruktur früher nicht für möglich gehaltene, hoch entwickelte kognitive Fähigkeiten entwickelt. Dazu gehören vielfältiger Werkzeuggebrauch, kausale und analoge Gedankengänge, Selbsterkennung und andere Fähigkeiten. Das gilt vor allem für Rabenvögel, Tauben und Papageienvögel. Bei den Wirbellosen sind Bienen ein evolutionär hoch entwickelter Endpunkt. Bienen verfügen in ihrem Gehirn mit dem unter den Insekten großen Pilzkörper über ein Äquivalent zur Großhirnrinde. Sie besitzen eine detaillierte räumliche Duftkarte. Sie können neue Düfte erlernen, beherrschen (Lernen zweiter Ordnung) und können auch kontextuell lernen. Daneben sind sie in der Lage, Symbole zu ordnen und nach ihnen kategorisch zu handeln. Letztlich haben sie ein „quasi-episodisches Gedächtnis“, das ihnen „Was-wann-wo-Entscheidungen“ ermöglicht. Kraken verfügen über außerordentliche Denkfähigkeiten. Wesentliche Gehirnteile sind konvergent zum Gehirn der Wirbeltiere entstanden, zeigen aber vergleichbare Eigenschaften, die für das Lernen unabdingbar sind. Siehe auch Kontrafaktisches Denken Laterales Denken Mentales Modell Paralleles Denken Schnelles Denken, langsames Denken Schlussfolgerung Literatur Psychologie und Denktechnik Frederic Vester: Denken, Lernen, Vergessen. 27. Auflage. dtv, 2000, ISBN 3-423-33045-7. Dietrich Dörner: Problemlösen als Informationsverarbeitung. Kohlhammer, Stuttgart 1976. Joachim Funke: Problemlösendes Denken. Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-017425-8. J. Funke: Denken & Problemlösen. (= Enzyklopädie der Psychologie. Band C/II/8). Hogrefe, Göttingen 2006, ISBN 3-8017-0527-7. G. Lüer, H. Spada: Denken und Problemlösen. In: H. Spada (Hrsg.): Lehrbuch Allgemeine Psychologie. Hans Huber, Bern 1990, S. 189–280. Bernhard von Mutius (Hrsg.): Die andere Intelligenz. Wie wir morgen denken werden. Klett-Cotta, Stuttgart 2004, ISBN 3-608-94085-5. R. Oerter: Psychologie des Denkens. Ludwig Auer, Donauwörth 1971. M. R. Waldmann, M. von Sydow: Wissensbildung, Problemlösen und Denken. In: Kurt Pawlik (Hrsg.): Handbuch Psychologie. Springer Verlag, Berlin 2006, ISBN 3-540-22178-6, Kap. 15. Rolf Dobelli: Die Kunst des klaren Denkens: 52 Denkfehler, die Sie besser anderen überlassen Carl Hanser Verlag, 2011, ISBN 978-3-446-42682-5. Philosophie Antoine Arnauld, Pierre Nicole: Die Logik oder die Kunst des Denkens. 2., durchgesehene und um eine Einleitung erweiterte Auflage. Darmstadt 1994, ISBN 3-534-03710-3. Karl Heinz Bohrer: Was heißt unabhängig denken? Merkur, 7/61, Juli 2007, ISBN 978-3-608-97093-7. Donald Davidson: Bedingungen für Gedanken. In: Donald Davidson: Probleme der Rationalität. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-518-58471-5, S. 233–256. Martin Heidegger: Was heißt denken? (= UB 8805). Reclam, Ditzingen 1992, ISBN 3-15-008805-4. Karl Jaspers (Autor und Vortragender): Kleine Schule des philosophischen Denkens. 1965, Aufzeichnung (5 CDs) einer Vortragsserie für das Radio Jürgen Mittelstraß, Kuno Lorenz: Denken. In: J. Mittelstraß (Hrsg.): Enzyklopädie Philosophie und Wissenschaftstheorie. 2. Auflage. 2005, S. 154–156. Jens Soentgen: Selbstdenken! 2003, ISBN 3-87294-943-8. (für jüngere Leser ab etwa 14 Jahre) Josef de Vries: Denken und Sein, Ein Aufbau der Erkenntnistheorie. Freiburg 1937. Markus Gabriel: Der Sinn des Denkens. Ullstein, Berlin 2018, ISBN 978-3-550-08193-4 Evolution Michael Tomasello Eine Naturgeschichte des menschlichen Denkens. Suhrkamp, Berlin 2014, ISBN 978-3-518-58615-0. (Original: A Natural History of Human Thinking). Historisch Alfred Nippoldt: Anleitung zu wissenschaftlichem Denken. 46.-55. neubearbeitete Auflage. Berlin 1940 Uwe Diederichsen: Einführung in das wissenschaftliche Denken. 1. Auflage. Düsseldorf 1970 Literatur in englischer Sprache Kwame Anthony Appiah: Thinking it Through – An Introduction to Contemporary Philosophy. Oxford Univ. Press, Oxford u. a. 2003, ISBN 0-19-516028-2. Daniel Kahneman: Thinking, Fast and Slow. Farrar, Straus and Giroux, 2011, ISBN 978-0-374-27563-1. Richard Nisbett, A. Norenzayan: Culture and cognition. In: H. Pashler, D.L. Medin (Hrsg.): Stevens’ Handbook of Experimental Psychology: Cognition. 3. Auflage. Vol. 2, Wiley, S., New York 2002, S. 561–579. R. E. Nisbett, K. Peng, I. Choi, A. Norenzayan: Culture and systems of thought: holistic versus analytic cognition. In: Psychological Review. 108, 2001, S. 291–310. Richard W. Paul, Linda Elder: Critical Thinking. 2002, ISBN 0-13-064760-8. Steven Pinker: How the mind works. ISBN 0-14-024491-3. Steven Pinker: The language instinct. ISBN 0-14-017529-6. 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Q9420
384.261998
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https://de.wikipedia.org/wiki/Luftfahrt
Luftfahrt
Die Luftfahrt, auch Fliegerei, Aviatik, Aeronautik oder seltener Flugkunst, ist die Benutzung des Luftraums durch Luftfahrzeuge (auch Fluggeräte) innerhalb der Erdatmosphäre ohne Verbindung zur Erdoberfläche (Ausnahme: Bodeneffektfahrzeuge). Der Begriff umfasst alle Personen, Unternehmen, Tätigkeiten und Teilgebiete (auch auf dem Boden), die den Betrieb von Luftfahrzeugen betreffen. Juristisch wird die Bezeichnung Luftverkehr verwendet (siehe Luftverkehrsgesetz). Zum ingenieurwissenschaftlichen Bereich siehe Luft- und Raumfahrttechnik. Geschichte Siehe auch: Listen von Flugunfällen Liste bekannter Personen der Luftfahrt Herkunft der Bezeichnungen Die Bezeichnung „Luftfahrt“ wurde im 19. Jahrhundert in Anlehnung an die Seefahrt geprägt. Diese Verwandtschaft hat sich bis heute darin erhalten, dass für Luftschiffe das Verb „fahren“ gebraucht wird. Der weitgehend veraltete Begriff Aeronautik ( „Luft“ und -nautik; , ) stammt ebenfalls aus der Zeit der Luftschiffe (zum Beispiel Ballone oder Zeppeline). Aviatik leitet sich von „Vogel“ ab. Dieselbe Herkunft hat im Französischen und Englischen das Wort aviation, das ebenfalls „Luftfahrt“ bedeutet. Gelegentlich wird das Wort Aviation (mit englischer Aussprache) als Fremdwort im Deutschen verwendet; zum Beispiel bezeichnete sich die Lufthansa als „Aviation-Konzern“, inzwischen jedoch als Luftverkehrskonzern. Unterscheidungen nach Einsatz Man unterscheidet zwei Bereiche bzw. Arten der Luftfahrt: Zivile Luftfahrt Die zivile Luftfahrt kann man aufteilen in: Gewerbsmäßige Luftfahrt Dies ist regelmäßiger, öffentlicher und kommerzieller Luftverkehr bzw. Charter- und Gelegenheitsverkehr. Allgemeine Luftfahrt Dazu gehören der private Luftsport, kommerzielle Geschäftsflüge, aber auch Flüge mit hoheitlichem Auftrag, beispielsweise solche der Polizei oder der Luftrettung. Militärische Luftfahrt Dies betrifft jeglichen Flugbetrieb mit militärischen Luftfahrzeugen oder zu militärischen Zwecken. Unterscheidung nach Prinzip Bei der Luftfahrt wird außerdem nach der Art des Auftriebs in zwei Arten eingeteilt: Schwerer als Luft (dynamischer Auftrieb): Flugzeuge, Hubschrauber, Bodeneffektfahrzeuge Leichter als Luft (statischer Auftrieb): Ballone, Luftschiffe (Zeppelin als der bekannteste Vertreter) Weiter gibt es noch sog. Hybridluftschiffe, die sich beide Auftriebsarten zunutze machen. Schließlich gibt es noch Luftfahrzeuge ohne Auftrieb, welche durch Rückstoß fliegen. Diese haben sich aber in der Luftfahrt bisher nicht etabliert. Internationale Luftfahrt Zur Koordination in der internationalen Luftfahrt sind zahlreiche Übereinkommen geschlossen worden, zum Beispiel im Dezember 1944 das Chicagoer Abkommen, mit dem die International Civil Aviation Organization (ICAO) gegründet wurde. Als einheitliches Alphabet wurde für die Luftfahrt das ICAO-Alphabet festgelegt. Uhrzeiten werden grundsätzlich in UTC angegeben. Die International Air Transport Association (IATA) ist der Dachverband von weltweit 250 Fluggesellschaften an, die rund 94 % aller internationalen Flüge durchführen. Luftfahrt und Treibhauseffekt Treibhausgasemissionen Der Anteil des Flugverkehrs an den weltweiten CO2-Emissionen des Verkehrs betrug lt. IPCC im Jahre 1999 etwa 12 %. Der Anteil an allen globalen CO2-Emissionen beträgt rund 2,4 %. Der Anteil der Luftfahrt an der weltweit durch Menschen verursachten globalen Erwärmung beträgt laut einer 2020 erschienenen internationalen Studie etwa 3,5 Prozent (1,5 Prozent durch CO2-Emissionen, 2 Prozent durch Nicht-CO2-Effekte). Eine 1999 veröffentlichte IPCC-Studie kam ebenfalls auf einen Anteil von etwa 3,5 Prozent. Die Berechnungen des flugverkehrkritischen Netzwerks Stay Grounded und der Umweltorganisation Robin Wood ergeben einen Beitrag von 5,9 % des Erderwärmungseffekts aller vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen im Jahr 2018 unter Einbeziehung der Nicht-CO2-Effekte. In der Schweiz betrug der Anteil gemäß WWF Schweiz 18,8 % (nationale und internationale Luftfahrt) bei einem weltweiten Durchschnitt von 5 %. Eine bedeutendere Rolle als früher angenommen spielen nach Forschungsergebnissen von 2019 die aus Wasserdampf und Ruß aus den Abgasen der Flugzeuge entstehenden Kondensstreifen. Besonders die sich in etwa acht Kilometer Höhe bildenden Eiswolken würden die Wärmeabstrahlung von der Erde ins All verhindern und stärker zur Erderwärmung beitragen als das von Flugzeugen emittierte CO2. Maßnahmen Mit dem EU-Emissionshandel (Emissions Trading Scheme, ETS), der am 1. Januar 2005 europaweit in Kraft trat, versucht die Europäische Union die Emission von Treibhausgasen zu steuern. Im Dezember 2006 schlug die EU-Kommission vor, den Flugverkehr in das EU-Emissionshandelssystem aufzunehmen. Fluggesellschaften müssen ab 2012 Emissionsrechte auf Flugstrecken, die Flughäfen der EU berühren, nachweisen. Zusätzlich können Passagiere ihre CO2-Emissionen durch Spenden an Organisationen wie Atmosfair, myclimate und Klima-Kollekte kompensieren. Gesetzliche Bestimmungen Gesetzliche Bestimmungen sind im Luftfahrtrecht enthalten. Siehe auch Unbemannte Luftfahrt, Unbemanntes Luftfahrzeug Abkürzungen/Luftfahrt Literatur Herbert Groß: Luftfahrt-Wissen. Von den Grundlagen bis zur Pilotenlizenz. 2. Auflage. Motorbuch, Stuttgart 2005. ISBN 3-613-02378-4 (Inhaltsangabe). Helmuth Trischler, Kai-Uwe Schrogl (Hrsg.): Ein Jahrhundert im Flug. Luft- und Raumfahrtforschung in Deutschland 1907–2007. Campus, Frankfurt am Main u. a. 2007, ISBN 978-3-593-38330-9. Niels Klußmann, Arnim Malik: Lexikon der Luftfahrt. Springer, Berlin 2007, ISBN 978-3-540-49095-1. Bharat Kumar et al.: An illustrated dictionary of aviation. McGraw-Hill, New York, NY 2005, ISBN 0-07-139606-3 (englisch). Ahmed K. Noor: Future aeronautical and space systems. American Institute of Aeronautics & Astronautics, Reston 1997, ISBN 1-56347-188-4 (englisch). E. Charles Vivian: A History of Aeronautics. 1920, ISBN 978-1-4142-1702-4 (online (englisch)). Weblinks Die Story: Notlandung – Was wird aus der Luftfahrt? In: WDR Fernsehen, 24. März 2021. Ein Film von Christian Jentzsch. ARD Mediathek: online, 44 Min., YouTube. Europäische Agentur für Flugsicherheit Luftfahrt-Bundesamt Eidgenössisches Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation: Luftfahrt Einzelnachweise
Q765633
531.11933
31638
https://de.wikipedia.org/wiki/Aldehyde
Aldehyde
Aldehyde (aus neulateinisch alcoholus dehydrogenatus, „dehydrierter Alkohol“ oder „Alkohol, dem Wasserstoff entzogen wurde“) sind chemische Verbindungen mit der funktionellen Gruppe –CHO, die Aldehydgruppe oder auch Formylgruppe genannt wird. Die Carbonylgruppe der Aldehyde trägt im Unterschied zu den Ketonen einen Wasserstoff- und einen Kohlenstoffsubstituenten. Eine Ausnahme bildet der einfachste Aldehyd Methanal (Formaldehyd), der zwei Wasserstoffsubstituenten trägt. Aldehyde mit einem Alkylrest (also Alkan-Derivate) werden als Alkanale bezeichnet; deren homologe Reihe leitet sich nomenklatorisch entsprechend von der homologen Reihe der Alkane ab. Weiter existieren Mehrfachaldehyde – wie beispielsweise das Glyoxal, der einfachste Dialdehyd. Nomenklatur Aldehyde erhalten nach der IUPAC-Nomenklatur den Namen des Alkans mit derselben Anzahl an Kohlenstoff-Atomen mit dem Suffix -al oder -carbaldehyd. Dementsprechend heißt der vom Methan abgeleitete Aldehyd Methanal, der vom Ethan abgeleitete Ethanal. Falls eine andere funktionelle Gruppe eine höhere Priorität aufweist, wird das Präfix „Formyl-“ verwendet. Ist die Verbindung hingegen ein Naturstoff oder eine Carbonsäure, so wird das Präfix „Oxo-“ gewählt. Der Trivialname leitet sich von der lateinischen Bezeichnung für die bei Hinzufügen eines Sauerstoffatoms jeweils entstehende Carbonsäure her. Für das Methanal (H–CHO) ist das die Methansäure (lat. acidum formicum, H–COOH), daher Formaldehyd, für das Ethanal die Ethansäure (lat. acidum aceticum, CH3–COOH), daher Acetaldehyd. Die Trivialnamen der einzelnen Aldehyde sind grammatikalisch oft maskulin, z. B. der Acetaldehyd, aber laut Duden auch sächlich, also das Acetaldehyd. Dagegen sind die Vertreter der Alkanale immer Neutra, z. B. das Ethanal. Entsprechend leiten sich die anderen Trivialnamen ab. Dicarbonsäuren, bei denen eine Carbonsäuregruppe zu einer Aldehydgruppe reduziert wurde, werden gelegentlich Semialdehyde genannt. Homologe Reihe der Alkanale Die allgemeine Summenformel der Alkanale lautet CnH2nO (n = 0, 1, 2, 3, 4, …). Daneben gibt es auch viele weitere Gruppen von Aldehyden, für die meistens historische Namen benutzt werden: Acrolein leitet sich von Propen – einem Alken – ab. Benzaldehyd leitet sich vom Benzol ab, ist also ein Arylaldehyd. Furfural (Furfurol, Furan-2-carbaldehyd) leitet sich von Furan ab, ist also ein Heteroarylaldehyd. Eigenschaften Zwischen den Aldehydgruppen von Alkanalen kommt es zu Dipol-Dipol-Kräften, da die C=O-Doppelbindung sehr polar ist. Wasserstoffbrückenbindungen bilden sich nicht, weil kein sauerstoffgebundenes Wasserstoffatom vorhanden ist. Deswegen liegen die Siedepunkte der Aldehyde zwischen denen der Alkohole und Alkane. Mit Wasser können Aldehyde Wasserstoffbrückenbindungen eingehen, weil das Sauerstoffatom zwei freie Elektronenpaare hat und negativ polarisiert ist. Deswegen sind kurzkettige Aldehyde gut wasserlöslich. Bei längerkettigen Aldehyden überwiegt die Wirkung der unpolaren Alkylreste, was die Verbindungen unlöslich in Wasser macht. Viele Aldehyde haben einen charakteristischen Geruch. Vorkommen Aldehyde sind als Aromastoffe in Lebensmitteln, wie im Wein, weit verbreitet. Oft entstehen diese in Obst und Gemüse aus Öl-, Linol- oder Linolensäure-haltigen Stoffen bei der Ernte, Zerkleinerung oder Zubereitung. Hexanal findet sich z. B. in Äpfeln, Birnen, Pfirsichen und in der Kirsche. (E)-2-Hexenal findet sich in Äpfeln, Pfirsichen, Kirschen und Pflaumen, das isomere (Z)-2-Hexenal in Äpfeln, Birnen, Orangen und Erdbeeren. (Z)-3-Nonenal kommt in Gurken neben (E,E)-2,4-Nonadienal, (E,Z)-2,6-Nonadienal und (Z,Z)-3,6-Nonadienal als geruchsgebender Aromastoff vor. Oberhalb einer bestimmten Konzentration werden derartige Carbonylverbindungen allerdings oft als ranzig, fischig, metallisch oder als kartonartige Aromen bewertet und verursachen insgesamt einen Altgeschmack. Herstellung Durch milde Oxidation von primären Alkoholen in nichtwässrigem Medium entstehen Aldehyde. Sie können weiter zu Carbonsäuren oxidiert werden. Das technisch wichtigste Verfahren zur Herstellung von Aldehyden ist die Oxo-Synthese, auch Hydroformylierung genannt. Dabei wird ein Alken mit einem Gemisch aus Kohlenmonoxid und Wasserstoff in Gegenwart eines geeigneten Katalysators zur Reaktion gebracht: Verwendung Formaldehyd (Methanal) wird in großen Mengen (weltweit 21 Mio. Tonnen pro Jahr) produziert, mehr als jeder andere Aldehyd. Er wird als Desinfektionsmittel, als Konservierungsmittel für verderbliche Güter wie Kosmetika (Formalinlösung) und als Rohstoff in der chemischen Industrie verwendet. Die größten Mengen wurden bis 1990 in der Kunststoffindustrie zu Aminoplasten und Phenoplasten weiterverarbeitet. In der Medizin wird Methanal in 4–8%iger Lösung (Formalin) als Fixierungsmittel in der Histotechnik verwendet. Aldehyde und Ketone werden außerdem zur Herstellung von Kunststoffen, Lösungsmitteln, Farbstoffen, Gerbstoffen, Parfums und Medikamenten verwendet. Ausgehend von Acrolein wird DL-Methionin, ein Futtermittelzusatzstoff, in Mengen von mehr als 100.000 Tonnen pro Jahr hergestellt. In der Medizin werden Formaldehyd und Glutaraldehyd als Flächen- und Instrumentendesinfektionsmittel eingesetzt. Beide Aldehyde haben eine gute Wirksamkeit gegen viele verschiedene Mikroorganismen. Insbesondere unbehüllte Viren und sporenbildende Bakterien (z. B. Milzbrand), die nur wenigen Desinfektionsmitteln zugänglich sind, können so erreicht werden. Da Aldehyde irritierend auf Haut und Schleimhäute wirken und gelegentlich Allergien auslösen, muss mit diesen Mitteln sorgfältig umgegangen werden. In der Parfumherstellung werden Aldehyde auch eingesetzt, zum Beispiel Jasminaldehyd in (Chanel No. 5). Physiologische Bedeutung Im Stoffwechsel der Zellen findet sich eine Reihe von Aldehyden. Eine besondere Rolle spielt Acetaldehyd (Ethanal), der im Verlauf des Ethanolabbaus entsteht und an der Entstehung des sogenannten Alkohol-Katers beteiligt ist. Nachweise Tollensprobe Fehlingprobe Schiffsche Probe Spektroskopie von Aldehyden In IR-Spektren von Aldehyden und Ketonen findet man die intensive charakteristische Bande der C=O-Valenzschwingung im Bereich von 1690–1750 cm−1. In 13C-NMR-Spektren findet man das Signal des Carbonylkohlenstoffatoms von Aldehyden und Ketonen in einem Bereich von 195 und 210 ppm. Das dazugehörige Proton der Aldehydgruppe ist in 1H-NMR-Spektren als scharfes Signal bei etwa 10 ppm zu finden. Diese Eigenschaft macht die Identifikation mittels NMR-Spektroskopie besonders einfach, da in diesem hohen Bereich nur wenige Protonen eine Resonanz aufweisen. Reaktionen Aldehyde sind reaktive Verbindungen und lassen sich sehr leicht zur Carbonsäure oxidieren. Die C=O-Bindung der Carbonylgruppe ist stark polar mit der positiven Partialladung (δ+) am Kohlenstoffatom, an dem nukleophil angegriffen werden kann. Aldehyde mit einem Wasserstoffatom, gebunden an das α-Kohlenstoffatom direkt neben der Carbonylgruppe, können in der Keto- und der Enolform vorliegen – siehe dazu Keto-Enol-Tautomerie. Bei Aldehyden beobachtet man, dass Wasserstoffatome am zur Carbonylgruppe benachbarten C-Atom deutlich acider sind als Wasserstoffatome an „normalen“ C-Atomen. Dies liegt zum einen daran, dass der Carbonylkohlenstoff sehr elektronenarm ist und einen −I-Effekt auf benachbarte Bindungen ausübt, zum anderen kann nach Deprotonierung die negative Ladung auf den Sauerstoff der Carbonylgruppe delokalisiert werden (−M-Effekt). Nukleophile Addition Nach Angriff des Nukleophils geht das π-Elektronenpaar gänzlich zum inzwischen negativ geladenen Sauerstoff. Im protischen Lösungsmittel wird dies durch Protonenaufnahme ausgeglichen, wodurch eine OH-Gruppe anstelle der Carbonylgruppe entsteht. Addition von Wasser Wasser + Aldehyd ⇒ Aldehydhydrat (geminales Diol) Aldehyde stehen in wässriger Lösung mit dem entsprechenden gem-Diol, das heißt einem Kohlenwasserstoff mit zwei Hydroxygruppen an einem Kohlenstoffatom, im Gleichgewicht. In der Regel liegt das Gleichgewicht auf der Seite des Aldehyds. Im Falle des Trichloracetaldehyds liegt das Gleichgewicht jedoch auf der Seite des geminalen Diols. Addition von Alkoholen Alkohol + Aldehyd ⇒ Halbacetal Halbacetal + Alkohol ⇒ Acetal + Wasser Beispiel: Ringschluss von Traubenzucker (Glucose) Siehe auch: Acetalbildung Addition von Stickstoff-Nukleophilen Prim. Amin + Aldehyd ⇒ Imin (Schiffsche Base) + Wasser Sec. Amin + Aldehyd ⇒ Enamin + Wasser Oxidation zur Carbonsäure (wichtig für Nachweise) Aldolreaktion Das CH-acide H-Atom in der α-Position kann durch Basen abgespalten werden. Das entstandene Enolatanion addiert an den Carbonylkohlenstoff eines weiteren Aldehyd-Moleküls. Es entsteht ein Aldol, ein Additionsprodukt aus Alkohol (OH-Gruppe) und Aldehyd. Auf diese Weise können C-C-Bindungen geknüpft werden. Wird das gebildete Aldol anschließend dehydratisiert, spricht man von Aldolkondensation, dabei entstehen α,β-ungesättigte Aldehyde. Gemischte Aldolreaktion Gemischte Aldolreaktionen sind in der Regel nicht in einer Eintopfreaktion durchführbar, da sich vier mögliche Produkte bilden können und auch bilden. Eine Ausnahme ist, wenn einer der beiden Aldehyde nicht enolisierbar ist, das heißt kein CH-acides H-Atom besitzt. In diesem Fall ist nur ein gemischtes Aldol möglich. Ein Beispiel für nicht enolisierbare Aldehyde sind aromatische Aldehyde (siehe: Benzaldehyd). Auf diese Weise wird in einer Knoevenagel-Kondensation Zimtaldehyd, ein wichtiger Duftstoff, gewonnen. Pinakol-Kupplung Setzt man Aldehyde mit einem Alkalimetall (Beispiel: Natrium) um, so bildet sich ein Radikal-Anion, das schnell dimerisiert. Die Hydrolyse liefert ein Pinakol (traditionelle Bezeichnung für ein 1,2-Diol, also ein Diol mit vicinalen Hydroxygruppen). Ausgehend von einem α,ω-Dialdehyd erhält man analog durch eine intramolekulare Reaktion cyclische 1,2-Diole. Einzelnachweise Stoffgruppe
Q101497
120.131542
5064
https://de.wikipedia.org/wiki/Tumor
Tumor
Ein Tumor (Plural Tumoren, umgangssprachlich auch Tumore; von ‚Wucherung‘, ‚Geschwulst‘, ‚Schwellung‘; vgl. lateinisch tumescere „schwellen“) oder eine Geschwulst im weiteren Sinn ist jede Zunahme des Volumens (Schwellung) eines umschriebenen Gewebes von höheren Lebewesen unabhängig von der Ursache (insbesondere Entzündungen, Ödeme und Krebsgeschwülste). Synonyme in einer zweiten, engeren Bedeutung sind die Bezeichnungen Neoplasie (Neubildung) und „Gewächs“ für vor allem unkontrolliert wachsende Zellwucherungen. Tumoren treten bei allen höheren Lebewesen (auch bei Pflanzen) auf. Dieser Artikel geht aber ausschließlich auf Tumoren bei Menschen ein, also auf die humanmedizinische Bedeutung. Begriff Dementsprechend gibt es in der Medizin zwei Definitionen des Begriffs Tumor: im weiteren Sinn jeglicher erhöhter Platzbedarf (Raumforderung) eines Gewebes (Intumeszenz) oder eine tastbare Verhärtung, z. B. auch eine Schwellung bei einer Entzündung (Ödem, Phlegmone, Abszess) oder Zyste (siehe hierzu auch Pseudotumor), oder auch eine Stuhlansammlung im Darm, die man vor dem Stuhlgang oft im linken Unterbauch tasten kann. Es ist also ein recht unscharfer Begriff. im engeren Sinn Neubildungen von Körpergeweben (Neoplasien), die durch Fehlregulationen bei der Zellproliferation entstehen – womit bezüglich der Gut- oder Bösartigkeit (Dignität) der Neubildung noch nichts ausgesagt wird. Neoplasien können jegliche Art von Gewebe betreffen, sie können gutartig (benigne) oder bösartig (maligne) sein. Die maligne Variante wird umgangssprachlich auch als Krebs bezeichnet. Neoplasien können alleinstehend („solitär“) oder mehrfach an verschiedenen Stellen im Organismus („multizentrisch“ oder „multifokal“) auftreten. Üblicherweise werden Tumoren als multizentrisch bezeichnet, wenn die Distanz zwischen den einzelnen Läsionen mehr als fünf Zentimeter beträgt und als multifokal, wenn die Distanz fünf Zentimeter oder kleiner ist, allerdings existiert keine exakte radiologische Definition für diese Begriffe. Je nach Ort (Lokalisation) des Tumors und der Funktion des durch ihn geschädigten Gewebes können sie zu einer Zerstörung von Organen mit Beeinträchtigungen des Gesamtorganismus bis hin zum Tod führen. Einteilung (Neoplasie) Dignität (Wertigkeit) Tumoren sind Gewebeveränderungen, die auch vererblich, aber beim Menschen generell nicht ansteckend sind. Ihre Einteilung erfolgt nach ihrem biologischen Wachstumsverhalten und nach dem Ursprungsgewebe der Neoplasie. In Abhängigkeit von der Dignität des Tumors, also seiner Fähigkeit, Metastasen auszubilden, unterscheidet man benigne (gutartige), maligne (bösartige) und semimaligne Tumoren. Die malignen Tumoren werden nochmals in niedrig-maligne und hoch-maligne Tumoren unterteilt. Benigne (gutartige) Tumoren verdrängen durch ihr Wachstum umliegendes Gewebe, durchwachsen (infiltrieren) es aber nicht und bilden keine Absiedlungen. Maligne Tumoren sind bösartige Tumoren. Diese Tumoren werden häufig als Krebs bezeichnet. Sie sind invasiv, das heißt, sie wachsen in umgebendes Gewebe ein und zerstören es. Außerdem setzen sie durch Verbreitung über das Blut (hämatogen), über die Lymphe (lymphogen) oder durch Abtropfung beispielsweise im Bauchraum Tochtergeschwulste. Typische bösartige Tumoren sind der Dickdarmkrebs und der Lungenkrebs. Semimaligne Tumoren setzen in der Regel keine Tochtergeschwulste, zerstören aber umliegendes Gewebe und wachsen in dieses hinein (Destruktion und Infiltration). Systematik Gutartige Tumoren und semimaligne Tumoren werden nach ihrer Herkunft weiterdifferenziert. Die Benennung erfolgt durch die angehängte Endung „-om“ an den lateinischen Namen des Ursprungsgewebes. Bösartige Tumoren werden ebenfalls – soweit das Ursprungsgewebe noch erkennbar und der Tumor nicht völlig entdifferenziert ist – nach diesem Ursprungsgewebe benannt. Allerdings wird diese Nomenklatur nicht konsequent durchgehalten, so dass auch andere Begriffe dafür verwendet werden (z. B. Siegelringzellkarzinom nach dem Aussehen der Tumorzellen). Bösartige Tumoren werden im Deutschen als Krebs bezeichnet (auch wenn Krebs die Übersetzung des Griechischen Wortes 'Καρκινος' ist, und damit nur eine – wenn auch die häufigste – Gruppe von bösartigen Tumoren bezeichnet wird). Bösartige Tumoren können sich aus noch nicht bösartigen Vorstufen, sogenannten Präkanzerosen, entwickeln. Diese werden unterteilt in fakultative und obligate Präkanzerosen. Die bösartigen Tumoren werden folgendermaßen untergliedert: Karzinome bezeichnen bösartige Tumoren, die sich vom Epithel ableiten. Sie machen einen Großteil der Krebserkrankungen aus. Sarkome (griechisch σάρξ, sarx, Fleisch), die sich aus dem Binde- und Stützgewebe ableiten, zum Beispiel Rhabdomyosarkome: Krebs der quergestreiften Muskulatur Angiosarkome: Krebs der Blutgefäße Leiomyosarkome: Krebs der glatten Muskulatur, z. B. seltene Formen von Gebärmutterkrebs neuroendokrine Tumoren, die sich aus dem Neuroektoderm ableiten, zum Beispiel Phäochromozytom Insulinom kleinzelliges Bronchialkarzinom Hämatoonkologische Malignome, die sich aus Blut- oder Blutstammzellen ableiten Leukämien (die keine Tumoren sind) Lymphome Dysontogenetische Tumoren Teratome aus embryonalem Gewebe (alle drei Keimblätter) Embryonale Tumoren (entstehen während der Organentwicklung durch Gewebefehldifferenzierung) Mischtumoren, die aus epithelialen und mesenchymalen Anteilen aufgebaut sind Die weitere Einteilung bösartiger Tumoren erfolgt analog der TNM-Klassifikation der UICC. Es handelt sich um eine klinisch-empirische Einteilung, welche die weitere Diagnostik, Therapie und Prognose bösartiger Tumoren bestimmt. Klassifikation nach der ICD-10 siehe Klassifikation menschlicher Tumoren Nomenklatur der Tumoren Quelle Klassifikation nach WHO Tumoren sind nach WHO in Grade eingeteilt (TNM-Klassifikation): T: Tumor, N: Nodus (LymphkNoten), M: Metastasen (Fernmetastasen), R: Resektion (Resttumor). G: Grading T-Klassifikation (Größe des Tumors): T 1–3: Tumor ist auf das Ausgangsorgan beschränkt T 4: Tumor infiltriert andere Organe N-Klassifikation (Lymphknoten): Fehlen bzw. Vorhandensein von regionalen Lymphknotenmetastasen M-Klassifikation (Metastasen): Vorhandensein oder Fehlen von Fernmetastasen 0–1 R-Klassifikation (Resektion): Resektion mikroskopisch = 0 (Kein Resttumor) Resektion mikroskopisch = 1 (Resttumor vorhanden) Resektion mit makroskopisch verbliebenen Tumorresten-Resten = 2 G-Klassifikation (Grading): G1 bis G4 gute Differenzierung (dem ursprünglichen Gewebe ähnlich) bis hochgradig maligne Die Lokalisation der Tumoren ist die wesentliche Grundlage der Einteilung der Neubildungen in der von der WHO herausgegebenen Internationalen statistischen Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme (ICD-10). Entstehung Tumoren entstehen durch Entartung, genauer durch eine Anhäufung von Mutationen in bestimmten Genen (engl. ). Diese bestimmten Gene sind typischerweise Protoonkogene oder Tumorsuppressorgene. Alternativ kann eine Entartung durch Onkoviren und onkogene Bakterien erfolgen, bei denen eine fortlaufende Stimulation mit Zytokinen durch die Immunreaktion und mit Wachstumsfaktoren zum Ersetzen der zerstörten Zellen auftritt, z. B. beim Hepatitis-B-Virus. Durch eine häufige Zellteilung wird die Entstehung von Mutationen beim Kopieren des Genoms begünstigt. Bei einigen persistenten Viren (die genomisch-integrierenden Viren) erfolgt zusätzlich eine Insertionsmutation durch das Einfügen des viralen Genoms in das Genom des Wirts, was meistens in entfalteten und transkriptionsaktiven Bereichen der DNA erfolgt, z. B. bei Retroviren. In seltenen Fällen kann ein Tumor auch übertragen werden, z. B. durch eine Organtransplantation und die begleitende Immunsuppression oder – bei Hunden, Beutelteufeln und Hamstern – durch infektiöse Tumoren. Effekte von Tumoren auf den Körper Benigne Tumoren wachsen in der Regel langsam und beeinträchtigen den Körper nicht. Einige benigne Tumoren können aber zu malignen Tumoren mutieren. Hier sind vor allem Dickdarmpolypen (Kolonadenome) zu nennen, die sehr häufig zu Adenokarzinomen entarten (sogenannte Adenom-Karzinom-Sequenz). Hormonproduzierende Adenome können allerdings durch ihre Hormonwirkung zu schwerwiegenden Erkrankungen führen. Komplikationen benigner und maligner Tumoren sind: Druckatrophie durch Wachstum (führt z. B. zu Hormonmangel bei Tumoren in endokrinen Drüsen). Geringgradige Obstruktion von Lumina = Verlegung von Hohlorganen mit Zystenbildung. Ektope Hormonproduktion z. B. von ACTH, Parathormon oder Insulin. Komplikationen maligner Tumoren sind: Hochgradige Obstruktion von Hohlorganen, z. B.: Bronchusverschluss → Atelektase, Pneumonie. Ösophagusverschluss → Dysphagie = Schluckstörung. Gallengangverschluss → Ikterus = Gelbsucht. Darmverschluss → Ileus. Tumorkachexie: Atrophie des Muskel- und Fettgewebes, Anorexie, Anämie, Schwäche. Der Energiebedarf von Tumorzellen wird oft durch Milchsäuregärung gedeckt, wodurch es zu Hypoglykämie und Azidose kommt, was wiederum die Ausschüttung von Adrenalin, Glucocorticoiden und Glucagon auslöst. Dies fördert Lipolyse sowie Proteolyse, was zu oben genannten Atrophien und schließlich zur Auszehrung führt. Vermutlich durch TNF-α und andere Zytokine mitverursacht. Gewebedestruktion, häufig mit Blutungen. Adenokarzinome neigen zur Ulkusbildung durch Zerstörung des Oberflächenepithels. Ödeme durch Verschluss von Venen und Lymphgefäßen. Paraneoplastische Syndrome: Darunter versteht man Symptome, die nicht direkt aus der Lokalisation oder der Tumorart zu erklären sind, Erkrankungen der Nerven und Muskeln (Myasthenie), hypertrophe Osteoarthropathie (Trommelschlägelfinger, Uhrglasnägel), Thrombophlebitis usw. Bei unerklärlichem Auftreten von Paraneoplasien ist eine Tumorsuche unerlässlich. Therapie Die Tumortherapie erfolgt durch operative Tumorentfernung (Resektion), Bestrahlung mit ionisierenden Strahlen und/oder (Poly-)Chemotherapie. Betroffene Menschen können eine Tumorberatung besuchen. Bei einigen bestimmten bösartigen Tumoren gibt es zusätzliche, spezielle Therapieoptionen. Gegen das Maligne Melanom, den sogenannten schwarzen Hautkrebs, gibt es im Stadium der Entwicklung befindliche Krebsimmuntherapien, bei denen der Körper mit speziellen Oberflächenantigenen, also Zellmerkmalen des Malignen Melanoms, geimpft wird. Ein ähnliches Konzept wird bei einigen Tumoren, zum Beispiel den gastrointestinalen Stromatumoren, mit der Behandlung durch Immunmodulatoren verfolgt, bei denen das Immunsystem des Körpers angeregt wird, sich gegen Tumorzellen zu richten. Weitere Tumoren werden zusätzlich mit örtlicher Wärme, durch das Verkleben von blutzuführenden Gefäßen oder mit örtlich verabreichten Giften behandelt. Diese Therapieoptionen sind aber alle bestimmten bösartigen Tumoren vorbehalten und machen nur einen geringen Teil der ausgeführten Therapie aus. Bekannt ist, dass die Tumorvakzinierung gegen Melanome bei Hunden mindestens den gleichen Therapieerfolg wie eine Chemotherapie hat, dies aber bei weitaus geringeren bzw. keinen Nebenwirkungen (I. Kurzman, University of Wisconsin, Madison). Bei Pferden gibt es bereits zahlreiche positive Erfahrungen bei bösartigen Tumoren und Sarkoiden mit einer Vakzine mit dendritischen Zellen. Außerdem gibt es Behandlungsformen im Bereich der Komplementärmedizin, die die vorgenannten jedoch keinesfalls ersetzen können, sondern lediglich als ergänzende Maßnahmen zu verstehen sind. Epidemiologie Bösartige Tumoren sind nach den Herz-Kreislauf-Erkrankungen die zweithäufigste Todesursache in den industrialisierten Ländern. Gutartige Tumoren sind sehr häufig. Die meisten Menschen besitzen mehrere gutartige Tumoren, vor allem an der Haut. Einige primär gutartige Tumoren können zu bösartigen Tumoren entarten und müssen entfernt werden. Dies ist vor allem bei Polypen der Dickdarmschleimhaut der Fall. Häufig empfinden Menschen gutartige Tumoren der Haut auch als kosmetisch störend, manchmal können diese z. B. in Körperfalten gereizt werden, so dass auch hier eine Entfernung sinnvoll erscheint. Literatur H. J. Peters u. a.: Tumorvakzinierung: Dendritische Zellen als Aktivatoren der spezifischen Immunreaktion in Forschung und Klinik. In: Deutsche Zeitschrift für Onkologie. Band 39, 2004, S. 57–64. H. Löwen: Tumoren. In: Alfred Czarnetzki (Hrsg.): Stumme Zeugen ihrer Leiden. Krankheit und Behandlung vor der medizinischen Revolution. Attempto, Tübingen 1996, ISBN 3-89308-258-1, S. 133–157. Weblinks Einzelnachweise
Q133212
142.697129
10183367
https://de.wikipedia.org/wiki/Dehestan
Dehestan
Dehestan () ist eine Verwaltungseinheit des Iran. Sie entspricht einer Gemeinde und ist kleiner als der Bachsch (Landkreis). Die Verwaltungseinheit Dehestan steht über dem Dorf. Beim Zensus 2006 gab es 2.400 Dehestans im Iran. Einzelnachweis !
Q15125752
242.15776
12561
https://de.wikipedia.org/wiki/Hades
Hades
Hades (, poetisch auch , dorisch , lange Namensform ) bezeichnet in der griechischen Mythologie den Herrscher über die Unterwelt. Bereits zuvor wurde der Begriff aber für die Unterwelt als Ort verwendet. Das Reich (des Hades) existierte also vor dessen König. In nichtchristlichen kultischen Zusammenhängen bezeichnet das Wort aber stets die Gottheit, nicht die Unterwelt. Als König über die Toten und die unterirdischen Gefilde wurde er früh sowohl mit Plutos (), dem Gott der (unterirdischen) Reichtümer, als auch mit dem Unterweltsgott Pluton () identifiziert. Name Verschiedene Schreibweisen sind belegt, bei Homer findet sich Ais, Aides () und als Langform Aidoneus (). Im attischen Dialekt blieb das i/ stumm und das A wurde aspiriert, daher ist die heute gebräuchliche Namensform Hades eigentlich nur typisch für das Attische, sonst wäre Aides die normale Form. Die Etymologie ist unklar. Es wird angenommen, dass der Name auf eine Wurzel mit der Bedeutung unsichtbar zurückgeht, was mit der unsichtbar machenden Hadeskappe, dem Hauptattribut des Gottes, übereinstimmen würde. Demnach wäre die Bedeutung des Namens „der Unsichtbare“ oder „der unsichtbar Machende“. Jedoch gibt es eine sehr ähnliche Legende eines mythischen Königs der Molosser Aidoneus in Epirus. Beinamen Auffällig ist die große Zahl der Epitheta, mit denen der Gott umschrieben wurde. Praktisch durchgängig wurde vermieden, die finsteren Eigenschaften des Gottes direkt auszudrücken, vielmehr wurde oft euphemistisch umschrieben, was eigentlich gemeint ist. Die Umschreibungen des Hades bei Homer heben die Stärke des Unterweltsherrschers hervor. Es sind Epitheta, die genauso auch für einen der großen Helden (etwa Achilleus) gebraucht wurden oder hätten gebraucht werden können: Adamastos () Ameilichos () Iphthimos () Pelorios () Krateros () Stygeros (Stygis) (; von Styx, dem Unterweltfluss, das Adjektiv hat die Bedeutung „abscheulich“, „furchteinflößend“) Eine weitere Gruppe von Beinamen bewegt sich im semantischen Umfeld von „Unsichtbarkeit“, „Dunkelheit“ und „Schwärze“: Apotropos () Aidelos () Melas () Kyanochaites (; die angesprochene Schwärze ist eine metallische, glänzende Schwärze, etwa die Schwärze der Rabenfeder) Ennychos () Phonios () Teils findet sich auch die vielsagende Bezeichnung Zeus Katachthonios, also „der unterirdische Zeus“. Mythos Geburt, Titanomachie und Aufteilung der Welt Hades war der erstgeborene Sohn des Kronos und der Rhea. Wie alle seine Geschwister wurde er sofort nach der Geburt von seinem Vater verschlungen, dem prophezeit worden war, dass ein Sohn ihn entthronen würde. Nach ihm verschlingt Kronos Poseidon und zuletzt einen Stein an Stelle des letztgeborenen Zeus, dem dann schließlich die Befreiung der Geschwister gelang. Bei Hyginus Mythographus wird Hades von seinem Vater nicht verschlungen, sondern in den Tartaros geschleudert, Poseidon wird unter das Meer verbannt und Zeus soll dann zuletzt verschlungen werden. Nach der Befreiung aus den Eingeweiden des Kronos kämpfen Zeus und seine Geschwister 10 Jahre lang gegen Kronos und seine Titanen (Titanomachie). Schließlich können sie mit Hilfe der aus dem Tartaros befreiten Kyklopen den Krieg entscheiden. Entscheidend waren dabei die Waffen der Kyklopen: Zeus erhielt den Donner, Poseidon den Dreizack und Hades den Hadeshelm, der den Träger unsichtbar machte. Nachdem Kronos und seine Titanen überwunden waren, teilten die Brüder die Welt unter sich auf, indem sie Lose warfen. Dabei erhielt Zeus den Himmel, Poseidon das Meer und Hades die Unterwelt. Die Erde und der Olymp waren ein gemeinsamer Bereich. Seitdem ist Hades der „Herr des Totenreiches“, der strenge, unerbittliche, Göttern und Menschen verhasste Gott, aus dessen schaurigem, ödem Reich es keine Rückkehr gibt. Auch durch Bitten und Schmeicheln ist er nicht zu erweichen; nur dem Orpheus gelang es durch die Macht seines Gesanges, ihn zur Rückgabe der Eurydike zu bewegen. Hades verlässt sein Reich nur äußerst selten. So beim Raub der Persephone nach dem Kampf gegen Herakles, welcher den Kerberos entführen sollte: Vom Heros durch einen Pfeil an der Schulter verwundet, eilte er zum Olymp, um sich von Paian heilen zu lassen. Das Gefährt des Hades ist eine von schwarzen Rossen gezogene Quadriga. Seine vier schwarzen Pferde heißen Aethon, Alastor (auch Abaster genannt), Nykteus und Orphnaios. Raub der Persephone Ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. ist die Sage belegt, dass Hades keine Göttin zu bewegen vermochte, mit ihm in der Unterwelt zu leben. So bemächtigte er sich durch Brautraub der auch Kore genannten Persephone. Ihre Mutter Demeter erflehte sie von Zeus zurück; so fällte dieser den Schiedsspruch, dass Persephone jedes Frühjahr ihrer Mutter für ein halbes Jahr wieder überlassen werden müsse. Minthe und Leuke Gemäß Ovid ging Hades der Nymphe Minthe (Menthe) nach, welche er als Geliebte gewann. Die wurde, in Verbindung mit dem Fluss Kokytos, von der eifersüchtigen Persephone in einen Stock Krause Minze (bot. Mentha crispa) verwandelt. Auf gleiche Weise wurde auch die Nymphe Leuke durch ihn bezaubert, die durch Hades nach ihrem Tod in einen weißen Pappelbaum verwandelt wurde. Als eine Tochter Hades’ wird bei Ovid die Veneratio (Reverentia) genannt, doch bleibt die Mutter ungewiss. In der Suda wird zudem Makaria als Tochter benannt. Hades im Bartholomäusevangelium Hades ist auch im apokryphen Bartholomäusevangelium vertreten. In dieser Beschreibung erzittert er, als Jesus Christus die Unterwelt betritt. Der Teufel selbst versucht, ihm Mut zuzusprechen, aber dies gelingt ihm auf Grund der göttlichen Macht nicht, wie folgender Ausschnitt aus dem Evangelium belegt: „Hades sprach: Wo verbergen wir uns vor dem Angesicht Gottes, des großen Königs? Laß mich, widersetze dich nicht; denn vor dir bin ich erschaffen worden.“ Jesus befreit wenig später alle Seelen der Patriarchen aus der Hölle. Kult Besonders verbreitet war die Verehrung des Unterweltgottes bei den Griechen Süditaliens und Kleinasiens. Ein Kult im herkömmlichen Sinne ist für Hades bislang aber nur an wenigen Orten nachgewiesen. Mitunter wurde er gemeinsam mit Persephone als Fruchtbarkeitsgott verehrt. In Alexandria wurde ihm zu Ehren ein Tempel errichtet – er wurde hier mit dem örtlichen Gott Serapis verglichen. Vielfach wurde Hades auch in Heiligtümern des Pluton verehrt, mit dem er oft gleichgesetzt wurde. Hades hatte uralte Tempel zu Koroneia in Böotien und zu Pylos in Messenien, in Athen, in Olympia und einen heiligen Hain bei Nysa. Bekannt ist auch ein Tempel des Hades in der Stadt Elis bei Bylos, dieser war auch nur einmal im Jahr für Priester zugänglich. Eine andere Kultstätte könnte sich am Berg Minthe befunden haben. Ihm waren die Zypresse, Narcissus und der Buchsbaum heilig; man opferte ihm, mit abgewandtem Antlitz, schwarze Schafe. Kunst In der bildenden Kunst wird Hades oft als Räuber der Persephone dargestellt, manchmal auch mit Persephone als Herrscherpaar der Unterwelt. Oft wird er als unsichtbar aufgefasst und die Unterwelt mit den toten Seelen gezeigt. Anders als andere griechische Götter hat Hades kein eindeutiges Attribut. Abgebildet wird er in düsterer Majestät, bärtig und die Stirn vom Haupthaar beschattet. Auf dem Haupte trägt er, als Symbol seines Besitzes aller Schätze und Früchte der Erde, manchmal ein Getreide- oder Fruchtmaß, oder auch ein Füllhorn („Horn des Erfolgs“) oder eine zackige goldene Krone; in der Hand hält er einen Stab (Zepter) als Symbol der Herrschaft oder einen zweizackigen Speer (Zweizack) oder einen Schlüssel, zum Zeichen, dass er den Aufenthalt der Abgeschiedenen verschlossen halte, aus dem niemand zurück dürfe. Neben ihm befindet sich der dreiköpfige Kerberos. Oft erscheint er auch mit verschleiertem Haupt oder mit dem Helm der Unsichtbarkeit (der Hadeskappe) bedeckt; oft auch Persephone neben sich auf einem Thron oder auf einem vergoldeten viergespannigen Streitwagen, gezogen von schwarzen Rossen, die er mit goldenen Zügeln lenkt. Auch über einem Portal des Ender Tunnels ist sein Gesicht eingemauert. Literatur Lars Albinus: The house of Hades. Studies in ancient Greek eschatology. Aarhus University Press, Aarhus 2000, ISBN 87-7288-833-4. Cătălin Enache: Der unsichtbare Totengott. Platons Namendeutung des Hades im Phaidon (80d–81c) und im Kratylos (403a–404b). In: Rheinisches Museum für Philologie. Band 151, 2008, S. 61–82 (PDF). Weblinks Hades im Theoi Project (engl.) Einzelnachweise Griechische Gottheit Totengottheit Männliche Gottheit Unterweltsgottheit Tod (griechische Mythologie)
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https://de.wikipedia.org/wiki/1543
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Ereignisse Politik und Weltgeschehen Italienische Kriege 5. August: Beim Ringen um die Vorherrschaft in Italien zwischen den Häusern Valois und Habsburg beginnt eine verbündete französisch-osmanische Streitmacht mit der Belagerung von Nizza. 5. September: Die Belagerung von Nizza endet mit dem Abzug der französischen und mit ihnen verbündeten türkischen Belagerer, nachdem ein kaiserliches Heer zur Verstärkung der Stadt heranzieht. Das Ringen um die Vorherrschaft in Oberitalien geht vorerst zu Gunsten Spaniens aus. England / Wales 12. Juli: Heinrich VIII. von England heiratet im Hampton Court Palace seine sechste Frau, Catherine Parr. Das zweite der Gesetze zur Eingliederung von Wales in das Königreich England wird beschlossen. Damit wird unter anderem die englische Sprache Amtssprache in Wales. Weitere Ereignisse in Europa August: Richardsdorf (später Rixdorf, heute Berlin-Neukölln) geht in den Besitz der Stadt Cölln über. August/September: Die Osmanen erobern Gran und Stuhlweißenburg im ungarischen Bürgerkrieg. 7. September: Im Vertrag von Venlo wird der Dritte Geldrische Erbfolgekrieg beigelegt. Herzog Wilhelm V. von Jülich-Kleve-Berg (genannt Wilhelm der Reiche) muss das Herzogtum Geldern sowie die Grafschaft Zutphen endgültig an Kaiser Karl V. abtreten. Das Königreich Thomond in Irland erlischt. Urkundliche Ersterwähnungen Romberg und Volosko werden erstmals urkundlich erwähnt. Afrika 21. Februar: In der Schlacht von Wayna Daga besiegt ein portugiesisch-äthiopisches Heer Truppen des muslimischen Sultanats Adal, dessen Herrscher Ahmad ibn Ibrahim al-Ghazi in der Schlacht getötet wird. Sein Nachfolger Nur ibn Mudjahid führt den Kampf gegen den äthiopischen negus negest Claudius fort. Nach dem Tod des christlichen Mani-Kongo Afonso I. beginnt im Königreich Kongo eine Zeit der Thronstreitigkeiten. Asien Portugiesische Seefahrer landen auf der Insel Tanegashima und erreichen damit als erste Europäer Japan. Amerika 28. Mai: Der spanische Konquistador Francisco de Montejo gründet die Stadt Valladolid in Yucatán. Wirtschaft Bei der Belagerung der Festung Jülich werden erstmals Jülicher Notklippen als Belagerungsmünzen herausgegeben. Die Köstritzer Erbschenke in Köstritz bei Gera wird erstmals urkundlich erwähnt. Sie ist damit eine der ältesten Schwarzbierbrauereien Deutschlands. Wissenschaft und Technik Astronomie Nikolaus Kopernikus veröffentlicht De revolutionibus orbium coelestium. Er beschreibt in dem vom Nürnberger Drucker Johannes Petreius herausgegebenen Werk ein mathematisch-naturphilosophisches Modell, gemäß dem sich die Planeten einschließlich der Erde um die Sonne bewegen und die Erde sich um ihre eigene Achse dreht. Das Werk gehört zu den Meilensteinen der Astronomie der Neuzeit. Es ist ein Schlüsselwerk der Kopernikanischen Wende. Medizin und Botanik Andreas Vesalius veröffentlicht das medizinische Werk Libri septem de humani corporis fabrica in Basel bei dem Verleger Johannes Oporinus und begründet damit die neuzeitliche Anatomie. Vesalius selbst hält im Mai in Basel ein anatomisches Kolloquium ab. Das hierbei von ihm präparierte sogenannte Vesalsche Skelett ist noch heute erhalten und das älteste Stück der anatomischen Sammlung in Basel. Es soll aus den sterblichen Überresten des Verbrechers Jakob Karrer von Gebweiler bestehen, der 1543 zergliedert und präpariert worden ist. Der deutsche Mediziner und Botaniker Leonhart Fuchs veröffentlicht sein New Kreüterbuch. Kultur und Gesellschaft 22. Februar: Das Archigymnasium in Dortmund wird durch einen Beschluss des Bürgermeisters und des Stadtrates gegründet. 21. Mai: Herzog Moritz von Sachsen erlässt auf Anraten seines politischen Ratgebers Georg von Carlowitz die Neue Landesordnung, mit der im Abschnitt Von dreyen neuen Schulen die dauerhafte Grundlage für die heute noch existenten Fürstenschulen: Die Landesschule Sankt Afra in Meißen, die Landesschule Pforta in den Mauern des Klosters Pforta, die noch im selben Jahr gegründet werden, und – nach dem Veto des Bischofs von Merseburg gegen eine solche Schulgründung in seiner Stadt – die Landesschule Sankt Augustin in Grimma im Jahr 1550. Die Hochfürstliche Schule in Wolfenbüttel wird gegründet. Herzog Johann Ernst von Sachsen-Coburg gibt bei den Architekten Paulus Beheim, Nikolaus Gromann und Caspar Vischer den Bau von Schloss Ehrenburg bei Coburg in Auftrag. Teile des alten Franziskanerklosters werden in den Bau mit einbezogen. Religion Erzbischof und Kurfürst Hermann von Wied versucht im Erzstift Köln und den Nebenländern, dem Vest Recklinghausen und dem Herzogtum Westfalen, die Reformation einzuführen. Der Kurfürst lädt zu diesem Zweck Philipp Melanchthon ins Erzstift ein, der zu Beginn des Jahres in Bonn eintrifft und mit Martin Bucer eine Reformationsschrift zur Kölner Reformation verfasst. Auf dem Landtag wird Hermann von Wied insbesondere von der Ritterschaft, aber auch von Teilen des Domkapitels unterstützt. In der Folge beginnt sich im Domkapitel unter der Führung von Johannes Gropper und in der Kölner Universität, unterstützt von Herzog Wilhelm dem Reichen allerdings Widerstand gegen die Reformation zu entwickeln. In den Schriften Von den Jüden und iren Lügen und Vom Schem Hamphoras diffamiert Martin Luther die Juden und setzt sie mit dem Teufel gleich. Martin Luther veröffentlicht das Weihnachtslied Vom Himmel kam der Engel Schar. Das Kloster Levern wird im Zuge der Reformation aufgelöst und in ein weltliches Damenstift umgewandelt. Geboren Geburtsdatum gesichert 22. Januar: Hartmann Pistoris, Rechtswissenschaftler und Geheimer Rat der sächsischen Kurfürsten († 1603) 31. Januar: Tokugawa Ieyasu, japanischer Feldherr, Shōgun und einer der „drei Reichseiniger“ († 1616) 14. Februar: Valentin Schindler, deutscher Philologe und Orientalist († 1604) 16. Februar: Kanō Eitoku, japanischer Maler († 1590) 18. Februar: Karl III., Herzog von Lothringen und Mercœur († 1608) 7. März: Johann Kasimir von Pfalz-Simmern, Administrator der Kurpfalz († 1592) 11. März: Dorothea von Sachsen-Lauenburg, Herzogin von Braunschweig-Grubenhagen († 1586) 15. März: Nathan Chyträus, deutscher evangelischer Theologe, Dichter und Philologe († 1598) März: Antoine de Roquelaure, Marschall von Frankreich († 1625) 18. Juni: Petrus Albinus, Professor in Wittenberg und Begründer der sächsischen Geschichtsschreibung († 1598) 29. Juni: Christine von Hessen, Herzogin von Holstein-Gottorf († 1604) 21. August: Giovanni Bembo, 92. Doge von Venedig († 1618) 4. September: Johann Lange, sächsischer Orgelbauer († 1617) 14. September: Claudio Acquaviva, Generalsuperior der Societas Jesu († 1615) 8. November: Lettice Knollys, englische Adelige und Hofdame der Königin Elisabeth I. († 1634) Genaues Geburtsdatum unbekannt Ichijō Kanesada, japanischer Adeliger († 1585) Jeong Gu, koreanischer Philosoph, Dichter und Schriftsteller († 1620) Philipp Lonicer, deutscher Historiker und evangelischer Theologe († 1599) Magnus II., Herzog von Sachsen-Lauenburg († 1603) Karl von Mansfeld, deutscher Söldner († 1595) Michele Ruggieri, italienischer Priester und Missionar in China († 1607) Şerefhan, kurdischer Fürst und Schriftsteller († um 1599) Sönam Gyatsho, dritter Dalai Lama († 1588) Gestorben Januar bis April 3. Januar: Juan Rodríguez Cabrillo, portugiesischer Entdecker in spanischen Diensten (* um 1499) 13. Januar: Konrad Treger, deutscher Augustiner-Eremit und katholischer Kontroverstheologe (* um 1480/1483) 10. Februar: Johannes Eck, deutscher katholischer Theologe, Gegner Martin Luthers (* 1486) 21. Februar: Ahmad ibn Ibrahim al-Ghazi, muslimisch-äthiopischer Herrscher im Sultanat Adal (* 1506) 21. Februar: Apollonia von Waldenfels, Äbtissin des Klosters Himmelkron 23. Februar: Eva von Leiningen-Westerburg, regierende Gräfin von Leiningen (* 1481) 23. Februar: Joseph Feyerabend, deutscher Jurist und Reformator, erster protestantischer Stiftsdekan in Ansbach und erster protestantischer Propst in Feuchtwangen (* 1493) 2. März: John Nevill, 3. Baron Latymer, englischer Adeliger und Politiker (* 1493) 20. März: Johann Feige, hessischer Jurist und Staatsmann (* 1482) 30. März: Cesare Cesariano, italienischer Maler, Freskant, Kunstschriftsteller, Militäringenieur und Architekt (* um 1477) 4. April: Walther von Cronberg, Deutschmeister und Hochmeister des Deutschen Ordens (* um 1477) 15. April: Francesco Canova da Milano, italienischer Komponist und Lautenist (* 1497) 15. April: Christoph von Stadion, Bischof von Augsburg (* 1478) 23. April: Susanna von Bayern, Markgräfin von Brandenburg-Kulmbach und Pfalzgräfin von Neuburg (* 1502) Mai bis August 1. Mai: Veit von Thümen, Herrenmeister des Johanniterordens (* vor 1511) vor 3. Mai: Altobello Melone, italienischer Maler (* um 1490/1491) 16. Mai: Mathias Auctus, deutscher Humanist, Stadtphysicus in Breslau (* vor 1490) 21. Mai: Georg Elner, deutscher Logiker und Theologe (* um 1473) 24. Mai: Nikolaus Kopernikus, deutscher Astronom, Mathematiker, Kartograf und Arzt, Domherr des Fürstbistums Ermland in Preußen (* 1473) 30./31. Mai: Gisbert Longolius, niederrheinischer Humanist (* 1507) Mai: Bonifacius Wolfhart, deutscher Theologe und Reformator (* um 1490) 27. Juni: Agnolo Firenzuola, italienischer Dichter (* 1493) 19. Juli: Berthold Pürstinger, Bischof von Chiemsee und theologischer Schriftsteller (* 1465) 30. Juli: Mary Boleyn, englische Hofdame, Schwester von Anne Boleyn, Geliebte von König Heinrich VIII. von England (* 1499/1500) 1. August: Magnus I., Herzog von Sachsen-Lauenburg (* 1470) 1. August: Paul Phrygio, deutscher reformierter Theologe und Reformator (* um 1483) 8. August: Herman Rover, deutscher Jurist, Ratssekretär in Lübeck und Ratsherr in Hamburg (* um 1495) 29. August: Maria von Jülich, Herzogin von Jülich-Kleve-Berg (* 1491) September bis Dezember 20. September: Thomas Manners, 1. Earl of Rutland, englischer Adeliger und Politiker (* vor 1493) 23. September: Johanna von Hachberg-Sausenberg, Gräfin von Neuchâtel (* zwischen 1485 und 1487) 26. September: Francesco Cornaro, Kardinalbischof von Albano und Palestrina, Bischof von Brescia (* 1478) 28. September: Georg von Kunheim der Ältere, preußischer Verwaltungsbeamter und politischer Berater von Herzog Albrecht von Preußen (* 1480) 7. Oktober: Gertrud von Büchel, deutsche Äbtissin, Kalligraphin und Buchillustratorin (* 1467) 1. November: Nikolaus Brömse, Bürgermeister von Lübeck (* um 1472) 10. November: Matthäus Aurogallus, deutscher Historiker, Sprachwissenschaftler und Hebraist (* 1490) 29. November: Hans Holbein der Jüngere, deutscher Maler (* 1497) 30. November: Francesco Granacci, italienischer Maler (* 1469) 12. Dezember: Maria Salviati, italienische Patrizierin (* 1499) 27. Dezember: Georg der Fromme, Markgraf von Brandenburg-Ansbach, Regent von Brandenburg-Kulmbach sowie Herzog von Jägerndorf und Oppeln-Ratibor (* 1484) Ende Dezember: Franz II. von Taxis, deutscher Adeliger, Postmeister Karls V. (* um 1514) Genaues Todesdatum unbekannt Afonso I., König des afrikanischen Reiches Kongo (* um 1456) Friedrich von Ahlefeldt, Herr von Haseldorf, Haselau, auf Gut Seestermühe und Gut Seegaard und königlicher Rat al-Mutawakkil III., letzter abbasidischer Kalif in Kairo Polidoro da Caravaggio, italienischer Maler (* um 1492) Michele Coltellini, italienischer Maler (* um 1480) Antonio Giuffrè, sizilianischer Maler (* 1493) John Nevill, 3. Baron Latymer, englischer Adeliger und Politiker (* 1493) Thao Chai, Herrscher des laotischen Königreichs La Nan Weblinks
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Pangaea
(Die) Pangaea war ein Urkontinent, der alle im Perm vorhandenen Landmassen der Erde umfasste. Die Namensgebung geht auf Alfred Wegener zurück. Seit der Entwicklung der Theorie der Plattentektonik wird Pangaea als Superkontinent bezeichnet, der bisher letzte der Erdgeschichte. Dieser Kontinent existierte vom Späten Karbon (325 Millionen Jahre vor heute) bis in den Jura (150 Millionen Jahre vor heute), also in jenem Zeitraum der Erdgeschichte, in dem sich das große Massenaussterben am Ende des Perm abspielte und die evolutionäre Entwicklung der Dinosaurier begann. Die Ausdehnung Pangaeas betrug einschließlich der Schelfsockel rund 138 Millionen km², wovon 73 Millionen km² auf den südlichen Bereich mit dem ehemaligen Großkontinent Gondwana entfielen. Geschichte des Begriffs Das Konzept, dass zu Ende des Paläozoikums alle Kontinente in einem Superkontinent vereinigt waren, stammt von Alfred Wegener, der diese Idee 1912 erstmals publizierte. Später erweiterte er diese Arbeit zu seinem berühmten Buch Die Entstehung der Kontinente und Ozeane, das ab 1915 in sechs Auflagen erschien. In der zweiten, völlig überarbeiteten Auflage von 1920 erscheint erstmals der Begriff Pangäa. Dieser Name ist eine moderne Wortschöpfung von Alfred Wegener (1920) und setzt sich aus pan-‚ ganz, all‘ und Erde, Land‘ zusammen und fand Eingang in die deutsche sowie in die englischsprachige Literatur (vor allem durch den Symposiumsband zu einem Kongress der American Association of Petroleum Geologists im November 1926). Alfred Wegener selbst benutzte den Begriff jeweils nur ein einziges Mal in seinen Arbeiten. Entstehung Pangaea entstand durch den Zusammenschluss von Laurussia – dem Old-Red-Kontinent – und Gondwana – dem Großen Südkontinent – durch Schließung des Iapetus-Ozeans und des Rheischen Ozeans. Die Kollision der beiden Kontinentalplatten unterbrach den Wasser- und Wärmeaustausch der äquatorialen Meeresströmungen. Als Folge der eingeschränkten ozeanischen Zirkulation verstärkte sich der im Karbon beginnende globale Abkühlungstrend und dauerte bis in das Perm hinein an (permokarbonische Vereisung). Zusätzlich entstand parallel zum Äquator zwischen 30° nördlicher und 30° südlicher Breite ein saisonal auftretender, sehr starker Monsun-Einfluss („Mega-Monsun“), von dessen Niederschlägen vor allem die küstennahen Regionen profitierten. Die kleineren Peri-Gondwana-Elemente Perunica, Armorica, aber auch die Kratone des heutigen Sibirien, Kasachstans, Nord- und Südchinas sowie mehrere vulkanische Inselbögen waren weitere Konstituenten. Umgeben war Pangaea vom weltumspannenden Ozean Panthalassa und seiner riesigen östlichen Bucht, der Tethys. Gebirgsbildungen Im Zuge der Kollisionen der Kontinentalschollen im Paläozoikum kam es zu Gebirgsbildungen, deren Zeugnisse noch heute in einigen Rumpfgebirgen im westlichen Europa und Nordamerika vorhanden sind. So finden sich stark verfaltete Krustenteile Avalonias – aus der ersten Kollision mit Baltica und der zweiten Kollision mit Laurentia – in Neufundland, England, Norddeutschland, im Karpatenbogen und auf der Balkanhalbinsel sowie in Spanien und Marokko. Die ersten dieser Gebirgsbildungen sind die Takonische und die Kaledonische Orogenese im späten Ordovizium und im Silur (444–416 mya). Davon betroffen waren die Ostküste Laurentias (Takonische Orogenese) nordwestliche Teile Europas: Nordirland, Nord- und West-Wales, Schottland und Norwegen (Kaledonische Orogenese) Einige zehn Millionen Jahre später (die Phasen gehen ineinander über) folgte die Akadisch-Variszische Orogenese im Devon und Karbon (390–310 mya). In West- und Mitteleuropa entstand der Gebirgsgürtel der Varisziden. Die variszischen Berge reichten vom heutigen Portugal und West-Spanien bis nach Südwest-Irland, Cornwall und Südwales (Pembrokeshire, Gower-Halbinsel und Vale of Glamorgan). Auf dem europäischen Festland beschreibt das Gebirge einen weiten Bogen: Armorikanisches Massiv in der Bretagne, Zentralfrankreich, Ardennen, Rheinisches Schiefergebirge; Odenwald, Spessart und Harz; Thüringisch-Fränkisches Mittelgebirge, Erzgebirge und schließlich am Ostrand die Böhmische Masse. Nach Süden zieht sich ein Gebirgsband vom Schwarzwald über die Vogesen und das französische Zentralmassiv bis nach Korsika und Sardinien. Am Kanadischen Schild entstanden die nördlichen Appalachen, zuerst in der Akadischen, später in der Alleghenischen Orogenese. In Texas und Mexiko kam es ebenso zu Auffaltungen wie in Nevada und in Arkansas (Ouachita-Berge). Im Perm (ab 290 mya) vollzog sich die Kollision Balticas – bereits Teil Laurussias – mit dem sibirischen und kasachischen Kraton, wodurch der „Ur-Ural“ entstand (siehe auch →Chanty-Mansi-Ozean). In der Trias (ab 250 mya) bildeten sich im späteren Mitteleuropa die relativ stark durch kontinentale Sedimentation geprägten Schichten der Germanischen Fazies, während es im Bereich des heutigen Südeuropas und der Alpen zu stärker marin geprägten Ablagerungen der Tethys kam. Tektonische Begleiterscheinungen und Folgen Alle Gebirgszüge dieser Epochen sind durch Erosion soweit sedimentiert, dass die ehemaligen Sechs- bis Achttausender-Gipfel bestenfalls als Rumpfgebirge sichtbar sind oder Schichten in späteren Gebirgsbildungen bilden. Besonders interessant erscheint die Tatsache, dass Sedimente des Iapetus-Ozeans sowohl in den Appalachen als auch in den Kaledonischen Bergen als Sutur nachweisbar sind. Das bedeutet, dass genau an der ursprünglichen „Verschweißungszone“ der Kontinentalschollen nach 150 Millionen Jahren – zumindest zum Teil – auch deren Bruch erfolgte. Wie bei jeder Gebirgsbildung kam es auch hier zur Hebung älterer Gesteinsschichten: In der Böhmischen Masse des Waldviertels in Niederösterreich wurden durch die variszischen Hebungsereignisse Gneise aus dem Superkontinent Rodinia von vor 1,1 Milliarden Jahren „zutage gefaltet“ bzw. auf jüngere Gesteinsschichten überschoben. Die variszischen Gebirgsbildungen hatten auch Magma-Aufstiege aus der Tiefe zur Folge, die mancherorts zu Erzlagerstätten geführt haben. Durch die im Vorland der Geosynklinalen auftretenden Senkungen sind dort auch abgetragene Massen von Gebirgsschutt und Feinsedimenten abgelagert worden (siehe auch Sedimentbecken). Diesen Vorgängen verdankt u. a. das Ruhrgebiet seine zahlreichen Kohlenflöze. Auflösung Durch plattentektonische Vorgänge begann Pangaea ab der späten Trias (etwa 230 mya) auseinanderzubrechen. Der Zerfall beschränkte sich zunächst auf den Südteil (Gondwana), mit Öffnung der Tethys nach Westen und Öffnung des Zentral- und Südatlantiks, sowie des Antarktischen und Indischen Ozeans. Geologische Zeugnisse des beginnenden Zerfalls sind unter anderem die triassisch-jurassischen Grabenbruch-Sedimente und Basalte der Newark-Becken im Osten Nordamerikas und die jurassischen Basalte (u. a. Drakensberge) und Dolerit-Gänge in den Karoo-Becken im südlichen Afrika. Der ehemalige Nordteil Pangaeas (Laurasia) bestand noch bis ins frühe Känozoikum, da sich der Nordatlantik erst zu diesem Zeitpunkt allmählich öffnete. Der Erdmantel unter Pangaeas ehemaliger Position ist noch immer heißer als anderswo. Daher liegt Afrika etwa zehn Meter höher als die übrigen Kontinente. Literatur Alfred Wegener: Die Entstehung der Kontinente und Ozeane. 2. Auflage, Friedrich Vieweg & Sohn, Braunschweig 1920, 135 S. (online bei archive.org) Robert S. Dietz, John C. Holden: The breakup of Pangaea. In: Scientific American, Band 223, Nr. 4, Oktober 1970, S. 30–41 (PDF). Wolfgang Frisch, Martin Meschede, Plattentektonik. Kontinentverschiebung und Gebirgsbildung. 6. aktualisierte Auflage, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2021. ISBN 978-3-534-27250-1 Weblinks Kartenanimationen zu Pangaea und der Kontinentalverschiebung Kartenanimation zur Plattentektonik (englisch) Zu Ehren Alfred Wegeners wurde am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung eine Datenbibliothek für die Erdsystemforschung „PANGAEA“ genannt. Animation der Kontinentalbewegungen in Form einer geologischen Uhr Einzelnachweise Kontinent der Erdgeschichte Geologie Alfred Wegener Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tuamotu-Archipel
Tuamotu-Archipel
Der Tuamotu-Archipel (frühere Namen: Paumotuinseln, Dangerous Islands, Low Archipel) ist eine zu Französisch-Polynesien gehörende Inselgruppe im Südpazifik, östlich der Gesellschaftsinseln. Diese weltgrößte Gruppe von Korallenatollen umfasst 78 Atolle unterschiedlicher Größe mit unzähligen Einzelinseln (Motu) sowie drei hohe Koralleninseln. 45 Atolle sind von insgesamt etwa 17.000 Menschen bewohnt, die meist polynesischen Ursprungs sind. Geographie Der Tuamotu-Archipel ist die Inselgruppe mit der weltweit größten Ausdehnung. Die Inseln erstrecken sich im Südpazifik über fünfzehn Längen- und zehn Breitengrade von Mataiva im Norden bis Temoe im äußersten Südosten über mehr als 2000 Kilometer. Sie befinden sich zwischen 14° und 23° südlicher Breite und zwischen 135° und 150° westlicher Länge und bedecken dabei mehr als 2 Millionen km², eine Fläche größer als Westeuropa. Die Landfläche aller Inseln zusammen beträgt dagegen nur etwa 850 km², das entspricht ungefähr der Größe des Stadtgebietes von Berlin. Geologie Die Tuamotu-Inseln sind, mit Ausnahme der politisch zugehörenden Gambierinseln im äußersten Süden des Archipels, flache Korallenatolle bzw. -inseln. Die Atolle zeigen die unterschiedlichsten Formen, je nach Zeitalter ihrer Entstehung. Es gibt kleine, runde bis ovale Einzelinseln mit einem geschlossenen Korallensaum (Niau), aber auch große ringförmige Strukturen mit unzähligen Motu um eine Zentrallagune (Takaroa). Zum Archipel gehören einige der größten Atolle der Erde, die zentrale Lagune von Rangiroa zum Beispiel ist 80 km lang und 32 km breit. Makatea ist eines der seltenen gehobenen Atolle mit einem bis zu 80 Meter hohen Plateau, das dadurch entstand, dass ein erdgeschichtlich älteres Korallenatoll durch spätere Verformung der Erdkruste angehoben wurde, worauf sich erneut ein Korallensaum um die Insel bildete. Gemeinhin sind die Tuamotus niedrige Koralleninseln, die aus Korallenschutt und -sand bestehen. Sie erheben sich nur wenig – zwischen einem und sechs Metern – über den Meeresspiegel. Auf einigen Inseln (z. B.: Anaa, Niau, Tepoto, Rangiroa) findet man flache Hügel aus massivem Kalkstein, in Tuamotuan feo genannt, stark verwitterte, scharfkantige Überbleibsel alter Korallenriffe. Ein völlig anderes Erscheinungsbild zeigen die erdgeschichtlich jüngeren Gambierinseln. Die basaltischen Zentralberge der von sandigen Motu und einem Korallenriff umgebenen Hauptinseln sind Überbleibsel eines weitgehend erodierten Vulkanes. Sie ragen mehr als 400 m über den Meeresspiegel empor. Inselgeographie Geographisch lassen sich die Tuamotus in neun Gruppen einteilen: Nordwestliche Gruppe mit den Untergruppen Îles du Roi Georges: Ahe und Manihi im Westen, sowie Takapoto, Takaroa und Tikei im Osten Îles Palliser: Rangiroa, Mataiva, Tikehau, Arutua, Apataki, Kaukura, Toau, Aratika, Kauehi, Makatea Zentral-westliche Gruppe mit den Atollen Anaa, Faaite, Motutunga, Tahanea, Niau, Fakarava Zentral-nördliche Gruppe mit den Atollen Katiu, Makemo, Raroia und den Raevski-Inseln Zentral-östliche Gruppe mit den Atollen Ahunui, Amanu, Fangatau, Hao, Nukutavake Îles du Désappointement im Nordosten mit den Atollen Napuka, Tepoto Nord Das einzeln liegende Atoll Puka-Puka im Nordosten Östliche Gruppe mit den Inseln Puka Rua, Reao, Tatakoto Îles du Duc de Gloucester mit den Atollen Anuanuraro, Anuanurunga und Nukutepipi Das einzeln liegende Atoll Héréhérétué im Südwesten Südliche Gruppe mit Fangataufa, Mururoa, Tematangi Actéon-Gruppe mit den Atollen Matureivavao, Tenararo, Tenarunga und Vahanga Südöstliche Gruppe mit den Atollen Maria Est, Marutea Sud und Morane Gambierinseln mit Mangareva, Aukena, Taravai sowie dem Atoll Temoe siehe auch: Liste der Tuamotu-Inseln Klima Das Klima ist tropisch warm ohne ausgeprägte Jahreszeiten. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt relativ gleichbleibend 26 °C. Ganzjährige Quellen, Bäche oder Flüsse fehlen, sodass Süßwasser nur aus aufgefangenem Regenwasser gewonnen werden kann. Im Jahresdurchschnitt fallen 1.400 mm Regen (Vergleich: Köln 700 mm), wobei sich die Regenmengen in den einzelnen Monaten nur wenig unterscheiden. Die trockensten Monate sind September bis November. Klimawandel Die meisten pazifischen Inseln sind von den Auswirkungen des Klimawandels stark betroffen. Das gilt für den Tuamotu-Archipel in besonderem Maße, so zeigt eine Studie von Karnauskas et al. (2016) in der Fachzeitschrift Nature Climate Change auf, dass ein fortschreitender Klimawandel bis zum Jahr 2090 zu einer Austrocknung der Inseln führen könnte. Flora und Fauna Flora Der wenig fruchtbare Boden lässt lediglich eine artenarme Vegetation zu, die sich auf allen Inseln ähnlich entwickelt hat. Während des Kopra-Booms im 19. Jahrhundert wurde jedoch die ursprüngliche Vegetation mittels Brandrodung rücksichtslos beseitigt, um ausgedehnte Kokosplantagen anzulegen. Nur noch auf wenigen Inseln sind daher spärliche Reste der indigenen Flora verblieben. Der ursprüngliche Bewuchs bestand aus Pisonia grandis und Heliotropium arboreum (Syn.: Tournefortia argentea), die auf einigen Inseln monospezifische Wälder gebildet hatten oder durchsetzt waren mit Morinda citrifolia, Pandanus und den zu den Kaffeegewächsen gehörenden Tarenna sambucina. Eingerahmt wurden diese sechs bis zehn Meter hoch wachsenden Bäume von buschiger Vegetation, u. a. bestehend aus Pemphis acidula, Timonius polygamus und Scaevola taccada. Als Vor- und Unterwuchs hatten sich krautige Pflanzen, Gräser und Farne festgesetzt, wie zum Beispiel: Hedyotis romanzoffiensis (Syn.: Kadua romanzoffiensis, Coprosma oceanica), Lepturus lepens oder Nephrolepis sp. Kokospalmen hatten sich nicht auf allen Inseln angesiedelt. Die Nutzpflanzen der heutigen Bewohner, Yams, Taro, Bananen und Brotfrüchte sowie mehrere Arten von tropischen Früchten, wurden überwiegend von den Polynesiern eingeführt, einige andere, zum Beispiel Zitrusfrüchte und Vanille, später von den Europäern. Eine Besonderheit auf einigen Tuamotu-Inseln (z. B.: Takapoto, Fakahina) ist der Nassfeldanbau von Taro, über den bereits 1837 Jacques-Antoine Moerenhout berichtete und den die polynesischen Ureinwohner schon kannten. In den porösen Korallenboden wird ein tiefer Graben gezogen, der die Ghyben-Herzberg-Linse anschneidet. Das austretende Süßwasser versorgt die Taro-Pflanzen mit ausreichend Feuchtigkeit. Die Insulaner sind überwiegend Selbstversorger. Der kleinteilig betriebene Garten- und Feldbau bildet neben dem Fischfang und der Schweine- und Hühnerhaltung die Lebensgrundlage. Von wirtschaftlicher Bedeutung ist immer noch die Kokospalme, die Grundlage für eine kleine Kopra-Produktion. Auf einigen Inseln wird in kleinen Mengen Tahiti-Vanille für den Export angebaut. Fauna Auf den Tuamotus, insbesondere den unbewohnten Inseln, nisten zahlreiche Seevögel. Eine Studie im Auftrag des WWF hat insgesamt 22 Arten aufgelistet. Die Tuamotus sind ein bedeutendes Rückzugsgebiet für die Brachvogelart Numenius tahitensis, die in Alaska brütet und von Oktober bis März in der Südsee überwintert. Die Fauna auf den Inseln selbst ist sehr artenarm. Interessant und mittlerweile bedroht ist der endemische (nur hier vorkommende) Südseeläufer (Prosobonia cancellata). Die übrige Fauna an Land beschränkt sich auf Insekten, Landschnecken und Eidechsen. Mit ursächlich für die Artenarmut dürfte das unbeabsichtigte Einschleppen von Ratten im Zusammenhang mit der Anlage von Kokosplantagen gegen Ende des 19. Jahrhunderts gewesen sein. Zur Bekämpfung der Rattenplage wurden Katzen eingeführt, die jedoch ebenfalls zur Reduktion der einheimischen Fauna beitrugen. Der relativ geringen Biodiversität an Land steht eine artenreiche Unterwasserwelt entgegen. Bei den meisten Atollen gibt es zwischen den Lagunen und dem offenen Ozean einen regen, durch die Tide gesteuerten Wasseraustausch. Zahlreiche Fische passieren die Kanäle (Hoa) zwischen den Koralleninseln der Ringstrukturen und verbringen einen Großteil ihres Lebens in den geschützten Lagunen. Die Lagunen selbst sind, je nach Alter, unterschiedlich tief. Der Boden ist in der Regel mit feinem Sand bedeckt, der von zerriebenen Korallen oder Schalen von Meeresorganismen herrührt. Der Sand beherbergt zahlreiche Mikroorganismen (Algen und Cyanobakterien), die wiederum heterotrophen Lebewesen, die auf oder in den Sedimenten leben, als Nahrung dienen. Die nächste Stufe der Nahrungskette wird von Schnecken, Seescheiden, Seeigeln, Seesternen und Muscheln gebildet, gefolgt von der großen Vielfalt der in der Mehrzahl verhältnismäßig kleinen Korallenfische. Bisher wurden bei den Tuamotus über 600 Arten registriert. Die größten Populationen der Korallenfische findet man jedoch nicht im Innern der Lagunen, sondern im Bereich der Riffpassagen (Hoa), wo mit den Tiden reiche Nahrung eingespült wird. An der Spitze der Nahrungspyramide stehen die Haie, vorwiegend der Weißspitzenriffhai. Vom Bakterium bis zum Hai hat jeder Organismus seinen Platz in dem empfindlichen und mittlerweile höchst bedrohten Ökosystem der Atolle. Geschichte Frühgeschichte Die Frühgeschichte der Tuamotu-Inseln liegt weitgehend im Dunkeln, da es aus voreuropäischer Zeit keine Geschichtsschreibung gibt. Ethnologische Befunde lassen den Schluss zu, dass vermutlich recht früh, zwischen 500 und 700 n. Chr., eine Besiedlung von den Marquesas erfolgte, beginnend auf den östlichen Tuamotus. Es entwickelte sich sehr schnell eine patrilineare Stammesgesellschaft. Auf zahlreichen Inseln der Tuamotus (u. a. Rangiroa, Manihi, Takapoto, Takaroa, Mataiva) sind aus Korallenblöcken errichtete Zeremonialplattformen der polynesischen Ureinwohner (polynesisch: Marae) heute noch sichtbar. Deren genaues Alter ist meist unbekannt, da umfassende und systematische archäologische Untersuchungen für die meisten der Inseln noch ausstehen. Weitere, jedoch nur auf wenigen Inseln erhaltene Baudenkmäler der Ureinwohner sind Fischfallen (z. B. Mangareva) und Pflanzgruben für Taro, die die Ghyben-Herzberg-Linse anschneiden (u. a. Puka Rua, Takapoto). Darf man den mündlichen Überlieferungen glauben, so hat es im 12. Jahrhundert eine Invasion von Kriegern der Marquesas gegeben, die einige Inseln der östlichen Tuamotus und die Gambierinseln eroberten. Die polynesischen Völker hatten ein ausgedehntes, über Jahrhunderte aktives Fernhandelsnetz, das den gesamten Pazifik umfasste. Sie unternahmen nachweislich Handelsreisen, die über Distanzen von Tausenden von Kilometern außer Sicht von Land führten. Im 16. Jahrhundert kamen diese Fahrten weitgehend zum Erliegen, lediglich zwischen den Gesellschaftsinseln, den nordwestlichen Tuamotu-Inseln und in Mikronesien gab es weiterhin Handelskontakte. Über die Gründe kann man nur spekulieren, es werden sowohl klimatische Einflüsse (Kleine Eiszeit) als auch eine menschengemachte Vernichtung der Ökosysteme auf den Hauptinseln, gefolgt von einer gesellschaftlichen Degeneration, genannt. Anaa, das einst mit 5000 Einwohnern am dichtesten besiedelte Atoll des Tuamotu-Archipels, scheint durch eine Reihe von Eroberungskriegen eine Vormachtstellung unter den anderen Inseln eingenommen zu haben. Unter Häuptling Tomatiti sollen die Krieger bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts die nordwestlich gelegenen Atolle erobert haben. Sie entführten zahlreiche Bewohner als Geiseln nach Anaa und forderten Tribut, ließen ansonsten jedoch die Herrschaftsstrukturen der annektierten Inseln unverändert. Charles Wilkes berichtet, die Krieger von Anaa hätten sich sogar auf der Taiarabu-Halbinsel von Tahiti-Iti festgesetzt und nur durch Verhandlungen und Tributzahlungen sei es König Pomaré I. von Tahiti gelungen, sie zum Abzug zu bewegen. Europäische Entdeckung und Missionierung Für Europa wurden die Tuamotus 1521 von Ferdinand Magellan während seiner berühmten Weltumseglung entdeckt, als er Puka Puka und möglicherweise auch Fakahina und Fangatau besuchte. Danach folgten 1606 der Spanier Pedro Fernández de Quirós, 1616 die Holländer Willem Cornelisz Schouten, Jakob Le Maire und 1722 Jakob Roggeveen, der Entdecker der Osterinsel, dessen Begleitschiff Africaansche Galey bei Takapoto strandete. 1765 landete John Byron und 1767 Samuel Wallis auf einigen Tuamotu-Inseln. Anfang April 1769 passierte James Cook mit seinem Schiff Endeavour einige Inseln des Tuamotu-Archipels, doch, obwohl er feststellte, dass sie bewohnt waren, ging Cook nicht vor Anker, sondern segelte weiter nach Tahiti zur Beobachtung des Venustransits. Es folgten 1768 der Franzose Louis Antoine de Bougainville sowie 1815 der in Diensten der russischen Zaren stehende Deutsche Otto von Kotzebue. Diese Entdeckungen hatten zunächst politisch keine Folgen. Die Inseln gehörten weiterhin zum Einflussbereich der Königsdynastie Pomare von Tahiti. 1833 teilte die katholische Kirche den Pazifik in zwei Apostolische Vikariate auf: Westozeanien fiel den Maristen zu und Ostozeanien – dazu gehörten die Tuamotus, Hawaii, Tahiti, die Marquesas und die Cookinseln – lag im Verantwortungsbereich der Picpus-Missionare. 1834 kamen die französischen Patres Honoré Laval und François d’Assise Caret auf Mangareva an. Zuerst mit Duldung und später mit aktiver Unterstützung der Inselhäuptlinge begannen die Picpusiens ein umfassendes Entwicklungsprogramm für die Gambierinseln. Dazu gehörten die Einführung des Anbaus von Baumwolle, die Perlen- und Perlmuttfischerei sowie die Anlage von Plantagen und Nutzgärten. Da sie höchst erfolgreich waren, breitete sich ihre Missionstätigkeit nach und nach auf die übrigen Inseln des Tuamotu-Archipels aus. Mit der Missionierung drang auch die Kunde vom Perlenreichtum der Inseln nach Europa und machte sie zu einem begehrten Ziel europäischer Händler und Abenteurer. Der „Händlerkönig“ der Tuamotus war Narii Salmon (* 1856, † 1906), Sohn des schottisch-jüdischen Geschäftsmannes Alexander Salmon (* 1820, † 1866) und der tahitischen Prinzessin Arii Tamai (* 1821, † 1897) und über seine Mutter mit der Königsdynastie Pomaré von Tahiti verwandt. Bereits in jungen Jahren hatte er mit einem Schoner der Firma seines Vaters die Tuamotus bereist und mit der Zeit eine logistisch hocheffiziente Organisation von Perlentauchern und ein verzweigtes Handelsnetz auf den Tuamotu-Inseln installiert. Er handelte mit Perlen, Perlmutt und Kopra und verkaufte die Produkte an seinen Schwager George Darsie in Papeete. Doch der wirtschaftliche Erfolg wurde beeinträchtigt durch den erheblichen Bevölkerungsrückgang, als viele Polynesier an eingeschleppten Infektionskrankheiten starben. Das Verbot des Sklavenhandels hatte auf den großen Haziendas in Südamerika einen Mangel an Arbeitskräften zur Folge. Die peruanischen Behörden erteilten daher die Erlaubnis „Kolonisten“ von den südöstlichen pazifischen Inseln als Arbeitskräfte einzuführen. 1863 liefen mehrere peruanische Schiffe, sogenannte Blackbirders, die Tuamotu-Inseln Fakarava, Katiu, Motutunga, Kauehi und Tahanea an und entführten insgesamt 151 Personen, die mit Vorspiegelung falscher Tatsachen, Drohungen oder Zwang dazu gebracht wurden, langjährige Arbeitskontrakte zu unterschreiben. Niemand davon kehrte zurück. Nachdem bereits Königin Pomare Vahine IV. von Tahiti den Drohungen des aus Frankreich entsandten Admirals Dupetit-Thouars nachgeben und das französische Protektorat über ihren Herrschaftsbereich anerkennen musste, verzichtete ihr Sohn und Nachfolger Arijane, der als Pomare V. nur noch eine Scheinregierung führte, 1880 auf jeglichen Thronanspruch. Als Folge wurden die Tuamotu-Inseln von Frankreich annektiert. Die Inseln wurden französische Kolonie. Neuzeit Beträchtliche Gewinne brachte der Phosphatabbau auf der Insel Makatea zu Beginn des 20. Jahrhunderts, von denen die Polynesier jedoch kaum profitierten. Trotzdem blieben die meisten der Inseln des Archipels bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts relativ isoliert, da die Schifffahrt zwischen den kaum über die Meeresoberfläche ragenden Inseln und zahlreichen, scharfkantigen Riffen gefährlich war. Die Tuamotus trugen auf den Karten noch im frühen 20. Jahrhundert den Namen „Gefährliche Inseln“ (Dangerous Islands). In die Schlagzeilen der Weltpresse gerieten die Tuamotus, als 1947 Thor Heyerdahl mit seinem Floß Kon-Tiki von Südamerika kommend das Atoll Raroia erreichte. Französische Kernwaffentests Von den Ereignissen des Pazifikkrieges blieben die Tuamotus weitgehend verschont. Als nach dem Zweiten Weltkrieg das nukleare Wettrüsten begann, wurde in Frankreich das Commissariat à l'énergie atomique (CEA) gegründet, das für die französischen Kernwaffentests zwei Orte vorsah: die Sahara in Algerien und den Tuamotu-Archipel in Polynesien. Das CEA präferierte zunächst die Sahara. Als Algerien 1962 unabhängig wurde, verlagerte man die Tests auf die zuvor evakuierten Inseln Mururoa und Fangataufa. Trotz der Proteste von polynesischen Unabhängigkeitsgruppen in Tahiti begannen unter der Leitung des 1964 gegründeten Centre d'expérimentation du Pacifique (CEP) die Bauarbeiten für die Versuchs- und Versorgungseinrichtungen auf mehreren pazifischen Inseln. Am 2. Juli 1966 detonierte eine französische Atombombe (Codename: Aldébaran) in der Lagune des Mururoa-Atolls und schon am 19. Juli 1966 eine weitere über Fangataufa. Die Kernwaffenversuche in der Atmosphäre und die Proteste dagegen setzten sich fort. Doch als die Regierungen von Neuseeland und Peru intervenierten, nachdem in diesen Ländern eine erhöhte radioaktive Strahlung festgestellt worden war, führte Frankreich nur noch unterirdische Testreihen durch. Bis zur Einstellung 1996 gab es 181 Atomtests im Tuamotu-Archipel, die meisten davon unterirdisch. Trotz der Protestbewegungen, die sich bildeten, waren die Reaktionen der Polynesier zwiespältig. Die Anwesenheit zahlreicher Militärs und Behördenangehöriger führte zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. Die Infrastruktur wurde erheblich verbessert, einige der Tuamotu-Inseln erhielten erstmals befestigte Straßen, Landungsstege und Flugplätze. Es ist umstritten, ob der Fallout eine radioaktive Kontamination mit einer erhöhten Krebsrate auf polynesischen Inseln zur Folge hatte. Das Institut national de la santé et de la recherche médicale (INSERM), eine Forschungs- und Entwicklungseinrichtung unter der Verantwortung des Gesundheitsministeriums (Ministère de la Santé) und des Forschungsministeriums (Ministère de la Recherche) der Republik Frankreich, hat 2020 dazu ein Gutachten erstellt und kommt zu dem Schluss, dass die epidemiologischen Studien keine größeren Auswirkungen des radioaktiven Niederschlags aufzeigen. Allerdings würden die Ergebnisse wegen der Datenknappheit keine abschließende Bewertung zulassen. Bevölkerung Zwischen 2007 und 2012 gab es einen Bevölkerungsrückgang. Bei der Volkszählung Jahres 2017 hatte der Tuamotu-Archipel (einschließlich der Gambierinseln) 17.559 Einwohner, das ist wieder ein Bevölkerungszuwachs gegenüber der vorangegangenen Zählung um 5,4 Prozent. Die Subdivision des Îles Tuamotu-Gambier hat einen Anteil von rund 6 Prozent an der Gesamteinwohnerzahl Französisch Polynesiens. Die indigene Bevölkerung ist polynesischen Ursprungs, mittlerweile gibt es jedoch durch die Perlenindustrie einige Zuwanderer aus Europa und Asien. Die Einwohner sind überwiegend römisch-katholischen Glaubens. Verwaltung, Wirtschaft und Infrastruktur Politisch sind die Tuamotus Französisch-Polynesien angegliedert. Sie sind französisches Überseegebiet. Die Verwaltung erfolgt durch eine Unterabteilung (Subdivision des Îles Tuamotu-Gambier) des Hochkommissariats von Französisch-Polynesien (Haut-commissariat de la République en Polynésie française) in Papeete auf der Insel Tahiti. Die Aufgabe des Hochkommissars liegt im Wesentlichen in der Beratung und Unterstützung der Gemeindeverwaltungen, insbesondere in Budget- und Wirtschaftsfragen, der Rechtmäßigkeitsprüfung der Beschlüsse der Gemeinderäte und der Haushaltskontrolle. Der Archipel Tuamotu-Gambier gliedert sich politisch in 17 Gemeinden, die sich selbst verwalten. Alle Gemeinden außer Puka Puka und Tatakoto bestehen aus mehreren Atollen. 13 der 17 Gemeinden sind in 35 „Communes associées“ (Teilgemeinden) unterteilt. Nur die beiden aus je einem Atoll bestehenden Gemeinden Puka Puka und Tatakoto, sowie die Gemeinden Gambier und Tureia werden nicht weiter in Communes associées untergliedert. Westliche Gemeinden: Arutua, Fakarava, Manihi, Rangiroa, Takaroa Zentrale Gemeinden: Anaa, Hao, Hikueru, Makemo Östliche Gemeinden: Fangatau, Napuka, Nukutavake, Puka Puka, Reao, Tatakoto Südliche Gemeinden: Gambier, Tureia Währung ist der an den Euro gebundene CFP-Franc. Die Tuamotus werden umfangreich mit Subventionen aus Frankreich und der EU unterstützt. Die Wirtschaft beruht im Wesentlichen auf drei Säulen: Kopraproduktion; die Tuamotus produzieren in Klein- und Familienbetrieben jährlich etwa 8.000 Tonnen, davon ungefähr zwei Drittel für den Export, der Rest wird im Land verarbeitet Zucht schwarzer Perlen; die heute wohl wichtigste Einnahmequelle, die jedoch zu einem bedeutenden Anteil in der Hand des tahitisch-chinesischen Perlenhändlers Robert Wang auf Tahiti ist Tourismus; die touristische Infrastruktur ist derzeit allerdings noch bescheiden entwickelt und beschränkt sich überwiegend auf den Tauch- und Luxustourismus auf den Inseln Rangiroa, Tikehau, Fakarava und Manihi. Einzelnachweise Literatur Jacques Bonvallot et al.: Les Atolls des Tuamotu. Paris 1994, ISBN 2-7099-1175-2. (Die umfangreichste Veröffentlichung über diesen Archipel, mit zahlreichen Literaturhinweisen; Französisch) Weblinks Liste der historischen Namen der Tuamotus (englisch) Inselgruppe (Französisch-Polynesien) Inselgruppe (Australien und Ozeanien) Inselgruppe (Pazifischer Ozean)
Q183963
94.017993
41738
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6rperschaft
Körperschaft
Eine Körperschaft (auch Korporation von entlehnt) ist ein auf Dauer angelegter Zusammenschluss von Personen, der einen überindividuellen Zweck verfolgt und dessen Bestand vom Wechsel der Mitglieder unabhängig ist. Die Körperschaft ist nicht zwangsläufig eine rechtsfähige juristische Person (vgl. den nicht eingetragenen Verein, § 54 BGB). Es gibt Körperschaften des privaten Rechts und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Privatrechtliche Körperschaften wie Aktiengesellschaften oder GmbHs nehmen am allgemeinen Wirtschaftsleben teil. Ihre freie Gründung und Betätigung ist in der Bundesrepublik Deutschland verfassungsrechtlich garantiert, ebenso die Mitgliedschaft ( Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 1 GG). Das gilt auch für juristische Personen des Privatrechts mit Sitz im EU-Ausland. Körperschaften des öffentlichen Rechts sind Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und nehmen neben Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie den Beliehenen öffentliche Verwaltungsaufgaben wahr. Für bestimmte Personen kann die Mitgliedschaft in bestimmten öffentlich-rechtlichen Körperschaften gesetzlich vorgeschrieben sein, beispielsweise für Angehörige der sogenannten Kammerberufe in berufsständischen Organisationen mit Aufsichtsfunktion wie der Ärzte- oder der Rechtsanwaltskammer. Einteilung Körperschaften des privaten Rechts In Österreich und der Schweiz Vereine, in Deutschland eingetragene Vereine (e. V.) mit zahlreichen Formen wirtschaftlicher Vereine. Größter deutscher e. V. ist der ADAC. Aktiengesellschaften (AGs) Gesellschaften mit beschränkter Haftung GesmbH (Österreich) bzw. GmbH (Deutschland) und ihre Sonderformen, z. B. die Unternehmergesellschaft (UG) und die gGmbH (gemeinnützige GmbH). Genossenschaften In der Schweiz außerdem Investment- und Kommanditgesellschaften (Kommanditgesellschaften (KGs) nach deutschem und österreichischem Recht sind hingegen Personengesellschaften, also keine Körperschaften des privaten Rechts.) Körperschaften des öffentlichen Rechts Gebietskörperschaften mit Gebietshoheit (Bund, Länder, Kantone, Bezirke, Landkreise, Gemeinden); Verbandskörperschaften mit Gebietshoheit (Zusammenschlüsse von Gemeinden zu Gemeinde- oder Zweckverbänden); Personalkörperschaften ohne Gebietshoheit, bei denen der Beruf oder eine bestimmte persönliche Eigenschaft Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist (z. B. Sozialversicherungsträger, Apotheker-, Ärzte-, Industrie- und Handelskammer, Handwerks-, Notar- oder Zahnärztekammer; in Österreich außerdem die Arbeiter- oder die Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft). Sonderfälle Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften Gewerkschaftsdachverband ÖGB. Steuerrechtlich hat er in Österreich den Status einer Körperschaft öffentlichen Rechts. eine Teilkörperschaft (auch Gliedkörperschaft genannt) umfasst eine bestimmte Untermenge der Mitglieder einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (z. B. die Studierendenschaft einer Hochschule) und ist mit bestimmten Rechten ausgestattet. Keine Körperschaften Anstalten: Sie sind kein Zusammenschluss von Personen, sondern stellen eine Zusammenfassung persönlicher und sächlicher Mittel (Gebäude und Personal) für einen bestimmten Zweck dar, z. B. zum Betrieb einer öffentlichen Einrichtung. Stiftungen des privaten oder öffentlichen Rechts: Vermögensverwaltung zugunsten bestimmter Zwecke und Personen (Destinatäre) Personenmehrheiten ohne eigene Rechtspersönlichkeit, z. B. die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, insbesondere die Innengesellschaft Rechtsgeschichte Historische Körperschaften sind unter anderem die Zünfte und Korporationen. Steuerrecht Der Körperschaftsteuer unterliegen neben Körperschaften auch Personenvereinigungen und Vermögensmassen, also auch Stiftungen und Anstalten. Weblinks Einzelnachweise Gesellschaftsrecht Organisationsform Verwaltungsorganisation (Deutschland) Öffentliche Verwaltung
Q167037
453.185661
77002
https://de.wikipedia.org/wiki/Plusquamperfekt
Plusquamperfekt
Das Plusquamperfekt (aus Abkürzung: PQP), auch vollendete Vergangenheit, Vorvergangenheit, dritte Vergangenheit oder Präteritumperfekt genannt, ist in der Grammatik eine Tempus-Form des Verbs, die einen zeitlich vor einem Referenzpunkt in der Vergangenheit liegenden Vorgang oder Zustand bezeichnet. Zeitraum Das Plusquamperfekt wird für jenen Zeitraum benutzt, der zeitlich vor einem Referenzpunkt in der Vergangenheit liegt, wobei sich der Referenzpunkt aus dem Kontext des Textes bzw. der Erzählung ergibt („Ich machte einmal eine Prüfung“). Um noch weiter in die Vergangenheit zurückzugreifen, wird das Plusquamperfekt verwendet („Ich hatte vorher für die Prüfung gelernt“). Das Plusquamperfekt verhält sich daher zum Präteritum ähnlich wie das Perfekt zum Präsens. Nachdem ich mich für die Klausur vorbereitet hatte, war ich nicht mehr nervös. (Erster Teilsatz greift zeitlich vor und steht im Plusquamperfekt, darauf folgt eine Aussage im Präteritum) Sie waren sehr böse. Ich hatte wohl etwas falsch gemacht. (Erster Satz Präteritum, zweiter Satz Plusquamperfekt) Das Plusquamperfekt kommt unter anderem in den indogermanischen Sprachen und den finno-ugrischen Sprachen vor. Es ist im Deutschen die am seltensten benutzte Vergangenheitsform. In einigen regionalen Dialekten (z. B. im Rheinischen und im Berlinischen) wird es oft als normale Erzählzeit (statt Perfekt oder Präteritum) verwendet. Die meisten Dialekte in Süd- und Norddeutschland, Österreich und der Schweiz benutzen dieses Tempus nie oder nur selten. Zumindest in Teilen Österreichs, Süddeutschlands und der Schweiz wird es in der Umgangssprache durch das doppelte Perfekt („wir haben schon (ge)gessen gehabt“) ersetzt. Im Deutschen Die Bildung des Plusquamperfekts ähnelt der des Perfekts. Es wird gebildet durch ein temporales Hilfsverb (sein, haben) und das Partizip Perfekt des Hauptverbs. Im Unterschied zum Perfekt steht das Hilfsverb jedoch im Präteritum (war, hatte). Beispiel „spielen“ Singular ich hatte gespielt du hattest gespielt er/sie/es hatte gespielt Plural wir hatten gespielt ihr hattet gespielt sie hatten gespielt Beispiel „gehen“ Singular ich war gegangen du warst gegangen er/sie/es war gegangen Plural wir waren gegangen ihr wart gegangen sie waren gegangen Bei Verben der Ortsveränderung wird es mit war gebildet. Im Deutschen im Passiv Das Plusquamperfekt im Passiv wird mit einer Form von war → werden gebildet. Beispiel „beißen“ Singular ich war gebissen worden du warst gebissen worden er/sie/es war gebissen worden Plural wir waren gebissen worden ihr wart gebissen worden sie waren gebissen worden Beispiel „beschimpfen“ Singular ich war beschimpft worden du warst beschimpft worden er/sie/es war beschimpft worden Plural wir waren beschimpft worden ihr wart beschimpft worden sie waren beschimpft worden Andere Sprachen Die meisten indogermanischen Sprachen besitzen eine Zeitstufe, die dem deutschen Plusquamperfekt entspricht. In vielen Sprachen wird diese Zeitform auch – wie im Deutschen – durch Kombination der Präteritum-Form eines Hilfsverbs mit dem Partizip Perfekt gebildet. Die meisten romanischen Sprachen besitzen zwei Vorvergangenheitstempora. Im Französischen wird das Plus-que-parfait verwendet, um Vorzeitigkeit gegenüber dem Passé composé auszudrücken. Es wird durch das Imparfait von être oder avoir und das participe passé des konjugierten Verbs gebildet, z. B.: J’avais regardé (= Ich hatte angeschaut); Il était arrivé (= Er war angekommen). Die zweite Vorvergangenheit, das passé antérieur, ist eine Vorvergangenheit zum passé simple und wird durch das Hilfsverb im passé simple von être oder avoir in Verbindung mit dem Partizip Perfekt des semantisch relevanten Verbs gebildet. Auch das Englische kennt eine entsprechende Form: Das Pluperfect Tense (meist Past Perfect genannt) wird durch die Verbindung des Hilfsverbs have mit dem past participle gebildet: Beispiele: I had seen him (= Ich hatte ihn gesehen), He had gone to London (= Er war nach London gefahren). Das Lateinische unterscheidet sich von den genannten Sprachen dadurch, dass es im Aktiv keine Hilfskonstruktion aus Hilfsverb und Partizip benötigt, um die Vorvergangenheit auszudrücken. Vielmehr besitzt es eigene Verbformen für das Plusquamperfekt Aktiv: viderat bedeutet: „Er/sie/es hatte gesehen“. Diese Formen setzen sich zusammen aus dem Perfektstamm (hier vid-) und den Imperfektformen von esse (sein). Im Passiv allerdings werden Formen des Partizip Perfekt Passiv mit Formen von esse kombiniert: laudatus erat bedeutet: „Er war gelobt worden.“ Das Portugiesische hat neben einem zusammengesetzten Plusquamperfekt (mit dem Imperfekt des Modalverbs ter gebildet) auch eine einfache Plusquamperfekt-Form, die direkt aus dem Lateinischen hervorgegangen ist. Beispiel: (nós) tinhamos cantado und (nós) cantáramos (= Wir hatten gesungen). Die einfache Verbform gilt als archaisch und kommt deshalb in dem in Europa gesprochenen Portugiesisch fast nur noch in der Schriftsprache vor. Auch in Brasilien wird der analytischen Form der Vorrang gegeben. Das Plusquamperfekt hat im Italienischen zwei Formen: das häufigere trapassato prossimo („nahe Vorvergangenheit“), das mit dem Hilfsverb im Präteritum (imperfetto) und dem Partizip Perfekt gebildet wird (avevamo cantato = Wir hatten gesungen), und trapassato remoto, das aus dem Hilfsverb im passato remoto und dem Partizip Perfekt gebildet wird (avemmo cantato = Wir hatten gesungen) und nur in bestimmten grammatikalischen Kontexten vorkommt. Im Spanischen wird die Vorvergangenheit (pretérito pluscuamperfecto de indicativo) mit den Imperfektformen des Verbs ‚haber‘ und dem Partizip Perfekt gebildet, z. B. „yo / él/ella había dicho“ (ich / er/sie hatte gesagt) oder „habíamos ido“ (wir waren gegangen). Wie an dem Beispiel zu erkennen, werden im Spanischen – im Gegensatz zum Deutschen – auch die Verben der Bewegung mit dem Imperfekt von ‚haber‘ (haben) und nicht mit ‚sein‘ (estar/ser) gebildet. Im Altgriechischen ist noch deutlich erkennbar, dass das Plusquamperfekt ursprünglich die Vergangenheitsform des (zeitlosen) Perfekt war. Vor den Perfektstamm tritt als Zeichen für die Vergangenheit wie beim Aorist und Imperfekt das Augment: ἐ-πεπαιδεὐ-κει e-pepaideú-kei bedeutet ‚er hatte erzogen‘, auch das Medium und Passiv werden analog gebildet. Siehe auch Doppeltes Perfekt (Plusquamperfekt II) Doppeltes Plusquamperfekt Weblinks Zeit-Artikel zur Verwendung des Plusquamperfekts als normale Erzählzeit Einzelnachweise Tempus
Q623742
85.317597
7496110
https://de.wikipedia.org/wiki/2027
2027
Voraussichtliche Ereignisse August: Der Asteroid (137108) 1999 AN10 wird sich auf 388.960 km (0.0026 AE) der Erde nähern. Geplante Internationale Gartenausstellung (IGA) im Ruhrgebiet in Deutschland Geplante Indienststellung der ersten Fregatte der australischen Hunter-Klasse Geplante Inbetriebnahme des Schacht Konrad bei Salzgitter als erstes Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle in Deutschland. Bereits feststehende Ereignisse Jahrestage 1. Januar: 25. Jahrestag der Einführung des Euro als Bargeld. 25. April: 75. Jahrestag der Gründung des Landes Baden-Württemberg. April bis Oktober: 50. Jahrestag des Deutschen Herbsts. 18. Juni: 100. Jahrestag der Eröffnung des Nürburgrings. 20. Oktober: 200. Jahrestag der Schlacht von Navarino. Gedenktage 20. Februar: 100. Geburtstag des US-amerikanischen Schauspielers Sidney Poitier 1. März: 100. Geburtstag des US-amerikanischen Sängers, Schauspielers, Entertainers und Bürgerrechtlers Harry Belafonte 5. März: 200. Todestag des italienischen Physikers Alessandro Volta 11. März: 100. Geburtstag des deutschen Schauspielers und Entertainers Joachim Fuchsberger 26. März: 200. Todestag des deutschen Komponisten Ludwig van Beethoven 31. März: 300. Todestag des englischen Physikers, Astronomen und Mathematikers Isaac Newton 5. April: 200. Geburtstag des englischen Chirurgen Joseph Lister, 1. Baron Lister 12. Juni: 200. Geburtstag der Schweizer Schriftstellerin Johanna Spyri 4. Juli: 100. Geburtstag der italienischen Schauspielerin Gina Lollobrigida 5. Juli: 100. Todestag des deutschen Mediziners Albrecht Kossel 18. August: 800. Todestag des Mongolischen Heerführers Dschingis Khan 16. September: 100. Geburtstag des US-amerikanischen Schauspielers Peter Falk 14. Oktober: 100. Geburtstag des britischen Schauspielers Roger Moore 16. Oktober: 100. Geburtstag des deutschen Schriftstellers Günter Grass Kulturelle Referenzen Die Handlung der Marstrilogie von Kim Stanley Robinson beginnt in den Jahren 2026 und 2027. Auch der Film Children of Men spielt im Jahr 2027. Im Jahr 2027 sind die Handlungen der Videospiele Deus Ex: Human Revolution und Deus Ex: The Fall angesiedelt. Weblinks Einzelnachweise
Q12814
94.528805
85122
https://de.wikipedia.org/wiki/Polyester
Polyester
Polyester sind Polymere mit Esterfunktionen in ihrer Hauptkette. Auch in der Natur kommen solche Stoffe vor, aber in der Regel wird der Begriff Polyester für die Mitglieder einer großen Familie synthetischer Polymere (Kunststoffe) verwendet. Darin finden sich Materialien mit großer technischer Bedeutung wie die Polycarbonate (PC) oder das thermoplastische Polyethylenterephthalat (PET). Eine weitere Form sind ungesättigte Polyesterharze (UP-Harze), die durch Härtung zu Duroplasten werden und als preisgünstige Matrix weite Verwendung im Bereich der Faserverbundkunststoffe finden. Aromatische Polyester lassen sich zu flüssigkristallinen Polymerketten anordnen, wodurch sich das Eigenschaftsprofil eines Hochleistungskunststoffes ergibt. Geschichte Natürliche Polyester sind seit etwa 1830 bekannt. Der erste synthetische Polyester Glycerinphthalat wurde im Ersten Weltkrieg als Imprägnierungsmittel verwendet; Alkydharze kamen als Glyptal bei General Electric in den 1920er Jahren auf den Markt. Als Textilfaser wurden sie in der Gruppe von Wallace Hume Carothers bei DuPont entwickelt, allerdings waren diese noch nicht hitzebeständig, was erst John Rex Whinfield Anfang der 1940er Jahre in England gelang. Die erste solche Faser wurde bald nach dem Zweiten Weltkrieg als Terylene bei Imperial Chemical Industries produziert. Anwendungen Polyesterfaserstoffe (PES) für Textilien, Vliesstoffe und Mikrofasern PET-Flaschen Folien, z. B. kopierfähige Folie für Tageslichtprojektoren, Basismaterial für flexible Leiterplatten (biaxial orientierte Polyester-Folien), Dielektrikum für Kondensatoren fotografische Filme (neben Cellulose-Triacetat ist Polyester das wichtigste Trägermaterial) ungesättigte Polyesterharze für Gießharze und Faserverbundwerkstoffe als Alkydharze für Lacke Polyesterpolyole dienen als Rohstoff bei der Reaktion von Diisocyanaten zu Polyurethanen. Kurzbezeichnungen PBT: Polybutylenterephthalat, ein Polymer der Terephthalsäure PET: Polyethylenterephthalat, ein Polymer der Terephthalsäure PLA: Polylactid, das biologisch abbaubare Polymer der Milchsäure. Das Polymer der D-(−)-Milchsäure wird auch mit PDLA abgekürzt, das der L-(+)-Milchsäure mit PLLA. PDLLA ist die Poly-D,L-Milchsäure. PTT: Polytrimethylenterephthalat PEN: Polyethylennaphthalat PC: Polycarbonat, ein Ester der Kohlensäure PEC: Polyestercarbonat, sowie Carbonsäureester, als auch Ester der Kohlensäure PAR: Polyarylate, aromatische Polyester UP: ungesättigtes Polyesterharz Synthese Allgemein erfolgt die Polyestersynthese in einer Polykondensationsreaktion oder durch ringöffnende Polymerisation. Azeotrope Veresterung Die Azeotrope Veresterung ist eine klassische (Labor-)Methode, bei der ein Alkohol und eine Carbonsäure zu einem Carbonsäureester reagieren. Um ein Polymer aus Diol und Dicarbonsäure herzustellen, muss das bei der Reaktion entstehende Wasser ständig durch azeotrope Destillation entfernt werden, um das chemische Gleichgewicht auf die Esterseite zu verschieben. Die Reaktion wird von Titan- oder Zinn(IV)-alkoholaten bei 180–240 °C katalysiert. Man kann ca. 2 % Xylol als Wasserschlepper zusetzen. Durch geeignete Wahl der Edukte kann man Hydroxygruppen-haltige Polyester erzeugen. Der Veresterungsgrad ist üblicherweise > 95 %, bestimmt durch eine begleitende Säurezahl-Bestimmung. Umesterung Bei der Umesterung wird ein Diol in der Schmelze am Katalysatorkontakt mit einem Dicarbonsäureester (z. B. Dimethylterephthalat) umgesetzt. Mit dieser Methode werden die Massenkunststoffe Polybutylenterephthalat (PBT) und Polyethylenterephthalat (PET) hergestellt. Carbonsäurechloridmethode Anstatt Carbonsäuren werden Carbonsäurechloride verwendet. Die Polykondensation geschieht so unter Abspaltung von Chlorwasserstoff (HCl) anstelle von Wasser. Diese Acylierungsmethode kann in Lösungsmitteln, als Interphasen- oder als Schmelzreaktion erfolgen. Silylmethode In dieser Variante der Salzsäuremethode wird das Carbonsäurechlorid mit dem Trimethylsilylether der Alkoholkomponente umgesetzt; es wird Trimethylsilylchlorid abgespalten. Acetatmethode (Umesterung) In dieser nur für phenolische Hydroxygruppen geeigneten Methode reagiert die Säure mit der bereits mit Essigsäure veresterten Alkoholkomponente. Bei der Kondensation entsteht Essigsäure, die nicht so einfach wie Wasser oder Salzsäure zu entfernen ist, wodurch der pH-Wert sinkt und es häufig zu sauren Nebenreaktionen kommt. Silylacetatmethode In dieser Variante der Acetatmethode wird nicht die Carbonsäure, sondern deren Trimethylsilylester verwendet. Es entsteht der Essigsäuretrimethylsilylester, der nicht sauer ist. Ringöffnende Polymerisation Bei der ringöffnenden Polymerisation können aus Lactonen über anionische, kationische, koordinative Kettenpolymerisation oder Enzym-basiert ohne Kondensationsreaktion unter sehr milden Bedingungen aliphatische Polyester hergestellt werden. Handelsnamen Fasern, Gewebe sowie Fleecestoffe (Faserpelz) aus Polyester werden unter verschiedenen Handelsnamen vertrieben: Polarguard Thermolite Trevira Dacron Diolen Sorona, ein PTT von DuPont, welches auf biobasiertem 1,3-Propoandiol (PDO) basiert. Terylene Vestan Grisuten Tritan Polyester- bzw. PET-Folien sind hervorragende Dielektrika und Isolierstoffe. Daraus hergestellte Folienkondensatoren haben das Kürzel MKS (WIMA) bzw. MKT (epcos/TDK). Siehe auch Biaxial orientierte Polyester-Folie (Mylar). Polyesterlack Polyesterlacke sind Lösungen ungesättigter Polyester (z. B. Maleinsäureglycolester) in einem Monomer (z. B. Styrol), dem man organische Peroxide als Reaktionsbeschleuniger zusetzt. Polyesterlacke werden als lösungsmittelfreie oder lösungsmittelarme Lacke verwendet. Die erhaltenen Filme besitzen eine hohe Witterungs- und Chemikalienbeständigkeit. Das Hauptverwendungsgebiet der Polyesterlacke bildet die Herstellung von farblosen und pigmentierten Holzlacken sowie von Spachtelmassen für Holz und Eisen. Darüber hinaus wird Polyester in der Herstellung und Anwendung von Pulverlacken gebraucht. Ökologische Auswirkungen Polyester erzeugt in mehrfacher Hinsicht Umweltprobleme: Die Herstellung beruht auf Erdöl; die Herstellung ist energie- und wasserintensiv. Ein Recycling ist möglich, aber ebenfalls energieintensiv. Mikroplastik und Mikrofasern, die sich beim Waschen aus Polyester-Textilien lösen und so ins Abwasser und Meer gelangen. Andererseits kann Polyester durch molekulare "Sollbruchstellen" hydrolytisch abgebaut oder chemisch recycelt werden, was eine Lösung für das Mikroplastikproblem liefern könnte. Weblinks Einzelnachweise Polymergruppe Polyester Chemiefaser Isolierstoff
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vedanta
Vedanta
Vedanta (Sanskrit, m., वेदान्त ; IAST: ) ist neben dem Samkhya eine der heute populärsten Richtungen der indischen Philosophie und heißt wörtlich übersetzt: „Ende des Veda“ d. h. der als Offenbarung verstandenen frühindischen Textüberlieferung („Veda“ → „Wissen“). Der Begriff wurde erstmals in der Mundaka-Upanishad 3,2,6 und der Bhagavad-Gita, Vers 15,15 für die am Ende des vedischen Schrifttums stehenden Upanishaden verwendet. Später wurde es der Name eines der sechs Darshanas, der philosophischen Systeme des Hinduismus. Innerhalb des Vedanta gibt es mehrere Richtungen, von denen der Advaita-Vedanta heute die bedeutendste ist. Die Bedeutung, die Vedanta (und insbesondere Advaita Vedanta) heute innerhalb der religiösen und philosophischen Traditionen Indiens zukommt, ist zum Teil beeinflusst durch Diskurse, die im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts ihren Ausgangspunkt hatten. Die Interpretationen der damals in Europa vorliegenden indischen Schriften durch verschiedene Autoren (insbesondere Philosophen und Theologen) prägten nachhaltig das europäische Bild Indiens. Seit dem 19. Jahrhundert lässt sich beobachten, wie dieser Diskurs innerhalb religiöser Reformbewegungen sowie der indischen Unabhängigkeitsbewegung eine Neuinterpretation erfuhr. Grundlagen Das Studium der Veden und das Befolgen der Rituale wurden als Voraussetzung für das Studium des höheren Wissens, des Vedanta, angesehen. Nur wer so gereinigt war und den höheren Kasten angehörte, durfte den Vedanta studieren. Die vorgeschriebene vorbereitende Reinigung des Schülers durch vedische Rituale wird heute oft durch Elemente des Bhakti-Yoga ersetzt.Bereits in den Upanishaden kristallisieren sich die zentralen Begriffe Atman (innerstes Sein des Menschen) und Brahman (Weltseele) heraus. Sie werden in vielen Aussagen als Einheit identifiziert: „Diese Seele (Atman) ist Brahman“, „Das bist du“ (Tat Tvam Asi), „Ich bin Brahman“. Die Natur des Brahman ist satya („Wahrheit“), jnana („Erkenntnis“), ananta („Unendlichkeit“) oder ananda („Glückseligkeit“). Hier stellt sich die Frage nach der Beziehung der individuellen Seelen, jivatman, zum paramatman, d. h. Brahman, und nach der Beziehung der Welt der Vielfältigkeit zum einen letzten Sein. Wird in den Upanishaden auch immer wieder die Einheit betont, gibt es doch auch Ansätze, die der Welt eine eigene, von Brahman getrennte Wirklichkeit zusprechen. Bei der Lösung dieser Frage kam es zu den unterschiedlichen Vedanta-Systemen. Formen des Vedanta Ausgehend von den verschiedenen Kommentatoren der Grundlagentexte (Brahma-Sutra, Upanishaden und Bhagavad Gita) entstanden mehrere Schulen des Vedanta. Dazu gehören unter anderem: Advaita-Vedanta, Vishishtadvaita-Vedanta, Achintya Bhedabheda, Shuddhadvaita und Dvaita-Vedanta. Advaita-Vedanta Beim Advaita-Vedanta (Sanskrit, m., अद्वैत वेदान्त, , advaita = „Nicht-Dualität“) handelt es sich um ein monistisches System, das die Welt auf ein einziges Prinzip zurückführt. Der bekannteste Gelehrte des Advaita-Vedanta war Shankara (ca. 788–820 n. Chr.) Wesentliches Merkmal des Advaita-Vedanta ist die Wesensidentität von Atman (individuelle Seele) und Brahman (Weltseele), deshalb die Bezeichnung Advaita-Vedanta = „Vedanta der Nichtzweiheit“. Durch das Überwinden von avidya (Unwissenheit) und maya (Illusion) kann der Mensch diese Wahrheit erkennen, das Selbst vom Nicht-Selbst befreien und Moksha (Erlösung) erlangen. Shankaras wichtigster Beitrag besteht in der Entwicklung des Brahman-Begriffs ohne Form und Attribute (nirguna). Daher sind auch sat (reines „Sein“), cit (reines „Bewusstsein“) und ananda (reine „Glückseligkeit“) keine das Brahman qualifizierenden Attribute, sondern sie konstituieren sein Wesen. Shankara erkennt zwar auch den Wert von mystischen Erfahrungen und Bhakti-Frömmigkeit an, ihm zufolge kann die Erkenntnis der Einheit von Atman und Brahman aber nur durch das Studium heiliger Texte erlangt werden. Erlösung steht damit nur der Brahmanen-Kaste offen. Shankara sprach sich scharf gegen den Buddhismus aus, da dieser den Offenbarungscharakter der Veden ablehnt (Nastika). Vertreter des modernen Neo-Advaita verweisen ganz auf das nichtduale Ziel des Advaita und versuchen, dieses durch Erfahrungen zu vermitteln. Vishishtadvaita-Vedanta Vishishtadvaita-Vedanta (Sanskrit, n., विशिष्ताद्वैत वेदान्त, , advaita („Nicht-Dualität“), vishishta („modifiziert“)) bedeutet so viel wie qualifizierter Nicht-Dualismus. Es besagt, Gott existiere als Einziges, jedoch bliebe die Pluralität der Welt als eine reale Erscheinungsform Gottes erhalten und sei nicht, wie bei Shankaras Advaita, eine Illusion. Bedeutendster Vertreter ist Ramanuja (1017–1137 n. Chr.), der in allem das göttliche Brahman, für ihn in Vishnu-Narayana, sieht. Alle Eigenschaften der Schöpfung seien real und unter der Kontrolle Gottes. Dieser könne trotz der Existenz aller Eigenschaften eins sein, da diese nicht unabhängig von ihm existieren können. In Ramanujas System besitzt Gott (Narayana) zwei untrennbare Wesensarten, nämlich die Welt und die Seelen. Diese verhalten sich danach zu ihm wie Körper und Seele. Materie und Seelen stellen den Körper Gottes dar. Gott sei ihr Bewohner, die Kontrollinstanz, Materie und Seelen untergeordnete Elemente, Eigenschaften. Ramanuja vertritt das Konzept eines persönlichen höchsten Wesens, Narayana und die göttliche Liebe ist für ihn der verbindende Faktor zwischen dem höchsten Wesen und den individuellen Seelen. Der Vishishtadvaita bildet neben einigen verwandten Theorien eine wichtige theoretische Grundlage des Vishnuismus, insbesondere des Bhakti-Yoga, des Weges der Hingabe an Gott. Der Vishishtadvaita konnte sich als erster gegen Shankaras Advaita-Vedanta (Monismus) behaupten. Weitere wichtige Vertreter waren Yāmuna und Nathamuni (823–951 n. Chr.). Achintya Bhedabheda oder auch Dvaitadvaita, bezeichnet eine Schule, welche die gleichzeitige Einheit und Verschiedenheit der Wahrheit lehrt. Begründer dieser Philosophie ist Chaitanya (1486–1533). Diese Lehre besagt, dass sowohl die Gesamtheit aller Seelen als auch die Gesamtheit der Materie (Prakriti) Umwandlungen der Energie der höchsten Wahrheit sind. Als Gottes Energie sind sie einerseits mit ihm identisch und gleichzeitig auf ewig von ihm verschieden, „bheda-abheda“. Dies sei „achintya“ unvorstellbar. Die Wahrheit, die „nichtduale Einheit in Vielfalt“, wird im Bhagavatapurana 1.2.11 veranschaulicht: „Die Kenner der Wahrheit beschreiben die ewige Wahrheit, deren Wesen nichtduale reine Erkenntnis ist, als Brahman, Paramatma und Bhagavan, so wird es vernommen.“ Anhänger dieser Philosophie sehen in dem Vers die konzentrierte Lehre: Die absolute Wahrheit ist nichtdual und doch wird sie gleichzeitig bezeichnet mit Brahman, die alldurchdringende und eigenschaftslose spirituelle Energie. Paramatma, die Überseele, welche jeden Atman begleitet und in transzendenter Gestalt in allen Dingen gegenwärtig ist. Bhagavan, der höchste Herr selbst, der jenseits der manifestierten Prakriti in seinem ewigen Reich Vaikuntha weilt. Shuddhadvaita Shuddhadvaita, die Philosophie der reinen Nichtdualität, wurde von Vallabha (1479–1531), einem Zeitgenossen Chaitanyas begründet. Er lehnt die Maya-Lehre Shankaras ab, wonach Universum und Individualität bloße Illusion seien. Für ihn ist die ganze Welt Gottes Energie und trotz des ständigen Wandels real. Wie andere vishnuitischen Philosophen unterscheidet auch er zwischen Gott, Materie und den individuellen Seelen. Vallabha erhob das Bhagavatapurana zur Position einer höchst autoritativen Schrift. Sein systematisches Werk Tattvadipa, das sich mit den Lehren des Bhagavatapurana beschäftigt, veranschaulicht seine Philosophie des Shuddhadvaita: Krishna erschafft die Jivas (Seelen), kreiert das Universum und genießt alles. Der Zweck der Existenz Gottes und der Seelen liege in nichts anderem, als sich gegenseitig zu erfreuen und zu genießen. Radha sei die Gestalt gewordene Liebe Krishnas. Die Schule Vallabhas ist bekannt für ihre Verehrung Radhas und Krishnas als das höchste göttliche Paar. Die Vallabha-Schule ist heute eine starke religiöse Bewegung, die vor allem in Nordindien Millionen von Anhängern haben soll. Dvaita-Vedanta Dvaita-Vedanta (Sanskrit, m., द्वैत वेदान्त, , dvaita = „Zweiheit“, „Dualität“) wurde vom Philosophen Madhva (1199–1278) begründet. Der Begriff Dvaita-Vedānta bedeutet: „Vedanta der Zweiheit“. Danach ist der Atman vom Brahman ewig getrennt und nicht so wie im Advaita-Vedanta identisch. Stattdessen seien alle Menschen Individuen (jivas), von denen jeder einen eigenen Geist habe. Auch untergrabe die Gleichsetzung von Gottseele einerseits und den Seelen der Individuen andererseits die absolute Autorität Gottes, der allein das Höchste Brahman sei, und von dessen Gnade allein es abhänge. Gottesdienst (puja) und die glaubensvolle Unterwerfung unter ein höheres Wesen (Bhakti-Yoga) seien sinnlos, wenn dieses höhere Wesen identisch mit der (eigenen) Seele ist. Das Dvaita-Vedanta wurde fortentwickelt von Jayatirtha (1356–1388) und Vyasaraya (1478–1589). Die Anhänger der von Madhva gelehrten Religion sind heute am stärksten vertreten im indischen Bundesstaat Karnataka. Siehe auch Yoga-Vasishtha Literatur Paul Deussen: Das System des Vedânta … Brockhaus, Leipzig 1883. Paul Deussen: Die Sûtra’s des Vedânta oder die Shârîraka-Mîmânsâ des Bâdarâyana nebst dem vollständigen Kommentare des Shânkara. Aus dem Sanskrit übersetzt. Brockhaus, Leipzig 1887. Eliot Deutsch: Advaita Vedanta – A Philosophical Reconstruction. University of Hawaii Press, 1986, ISBN 0-8248-0271-3. Gavin Flood: An introdiction to Hinduism. Cambridge University Press, Cambridge 1996. Erich Frauwallner: Geschichte der indischen Philosophie. Otto-Müller-Verlag, Salzburg 1953. Helmuth von Glasenapp: Vedānta und Buddhismus (= Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften und der Literatur. Geistes- und sozialwissenschaftliche Klasse. Jahrgang 1950, Band 11). Verlag der Wissenschaften und der Literatur in Mainz (in Kommission bei Franz Steiner Verlag, Wiesbaden). Rewati Raman Pandey: Scientific Temper and Advaita Vedanta. Sureshonmesh Prakashan, Varanasi 1991. Raphael: Tat Tvam Asi – Das bist du. übers. v. Beate Schleep. Kamphausen, Bielefeld 2000, ISBN 3-933496-48-9. Arvind Sharma: The Philosophy of Religion and Advaita Vedānta: A Comparative Study in Religion and Reason. Pennsylvania State University, University Park 2008, ISBN 978-0-271-02832-3. Sthaneshwar Timalsina: Consciousness in Indian Philosophy: The Advaita doctrine of 'awareness only'. Routledge, New York 2009, ISBN 978-0-415-77677-6. Weblinks Sri Swami Sivananda: All About Hinduism – Ausführliche Beschreibung auf Englisch Vedânta-Texte auf Sanskrit und Deutsch, Übersetzung von Paul Deussen 1887 Website der deutschen Vedanta-Gesellschaft e. V. Einzelnachweise und Anmerkungen Hinduistische Philosophie
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https://de.wikipedia.org/wiki/Nestorianismus
Nestorianismus
Nestorianismus ist die christologische Lehre, dass die göttliche und die menschliche Natur in der Person Jesus Christus geteilt und unvermischt seien, und damit eine Form der Zweinaturenlehre. Sie ist nach Nestorius benannt, der von 428 bis 431 Patriarch von Konstantinopel war und sie maßgeblich vertreten hat. Insbesondere Kyrill von Alexandria hat sie heftig kritisiert, und auf dem Konzil von Ephesos 431 und dem Zweiten Konzil von Konstantinopel 553 wurde die Lehre als Häresie verurteilt. Nur die Assyrische Kirche des Ostens vertrat daraufhin noch die nestorianische Lehre, weshalb sie auch als Nestorianische Kirche bekannt ist. Eine der zuletzt durch Verfolgung aufgelösten Gruppen von Gläubigen sind die Bergnestorianer, die bis zu ihrem Exodus 1915 im Gebirge der heutigen türkischen Provinz Hakkari siedelten. Als Reaktion auf den Nestorianismus entstand der gegensätzlich ausgerichtete Monophysitismus (auch Miaphysitismus), nach dem Jesus vollkommen göttlich sei und nur eine göttliche Natur habe. Dieser wurde auf dem Konzil von Chalcedon 451 verworfen und eine andere Zweinaturenlehre angenommen, nach der göttliche und menschliche Natur Christi unvermischt und ungewandelt, ungetrennt und ungesondert, also nicht geteilt wie im Nestorianismus, nebeneinander stehen. Maria wird im Nestorianismus nur als „Christusgebärerin“, aber nicht als Gottesgebärerin verehrt. Inhalt der Lehre In den christologischen Diskussionen des 5. Jahrhunderts nahm der Nestorianismus die gegensätzliche Position zum Miaphysitismus ein, der nur die eine, göttliche Natur von Jesus Christus betonte. Definiert war der Nestorianismus im Wesentlichen aus den Anathemata von Kyrill von Alexandria und des Konzils von Ephesos. Nach Kyrill bestand der Hauptpunkt des Nestorianismus in der Lehre, dass es in Jesus Christus eine Person mit einer göttlichen Natur und eine Person mit einer menschlichen Natur gegeben habe. Jedes zugeordnete Attribut und jede Handlung des inkarnierten Christus könne dabei einer dieser Personen zugeordnet werden. Beide Personen seien lediglich durch das Band der Liebe verbunden. Jedoch haben weder Nestorius selbst noch die als seine Anhänger beschuldigten Vertreter der Antiochenischen Schule diese Ansicht tatsächlich gelehrt. Vielmehr haben sie, wenn auch zum Teil in unglücklichen Formulierungen, Positionen vertreten, die schließlich im Konzil von Chalzedon 451 zum Tragen gekommen sind. Problematisch war, dass Nestorius den Gebrauch des Attributs Theotokos (Gottesgebärerin), ein Attribut paganer Göttinnen, in Bezug auf Maria, die Mutter Jesu, abgelehnt hat. Es sei besser, von einer Christusgebärerin oder Menschengebärerin zu sprechen. Auch die von der orthodoxen und römisch-katholischen Kirche oft als Nestorianer bezeichnete Assyrische Kirche des Ostens hat nie die vorgeworfenen Lehren vertreten, so dass man vom Nestorianismus lediglich als einem häresiologischen Konstrukt, nicht von einer historischen Bewegung, sprechen kann. Die miaphysitischen Kirchen haben den Nestorianismusvorwurf auch auf die Chalzedonensier, also Orthodoxe und Katholiken, ausgedehnt. Ausbreitung Nestorius war bis 431 Patriarch von Konstantinopel. Die von ihm vertretene Lehre wurde auf dem Konzil von Ephesos 431 verurteilt. Wegen Verfolgung wanderten viele seiner Anhänger bis 489 ins persische Sassanidenreich aus, wo es zu dieser Zeit bereits eine relativ große Anzahl von Christen gab (wenn sie auch nie die Mehrheit bildeten). Wichtige Informationen dazu enthält die so genannte Chronik von Seert. Die sich formierende Kirche in Persien wurde oft als nestorianische Kirche bezeichnet – sie hatte mit Nestorius jedoch wenig gemein und sollte deshalb besser als ostsyrische Kirche bzw. als assyrische Kirche des Ostens bezeichnet werden. Sie stand jedoch der römischen Reichskirche von nun an feindlich gegenüber, so dass die mit dem römischen Reich verfeindeten persischen Könige fortan den persischen Christen wesentlich wohlwollender gegenüberstanden, wenn es auch vereinzelt zu Übergriffen kam. Weil die alten Zentren Konstantinopel, Alexandria und Antiochia am Orontes nicht erreichbar waren, wurde Edessa, das heutige Urfa (bzw. Şanlıurfa) im Südosten der Türkei, das „nestorianische“ Zentrum. Sitz des Katholikos war Ktesiphon. Trotz mancher Behinderungen konnte sich über die Seidenstraße, die auch durch Edessa führte, eine Missionstätigkeit entfalten. Die nestorianischen Händler nahmen nicht nur Waren, sondern auch ihre Religion und ihre Überzeugungen mit nach Osten. Christliche Gemeinden entstanden unter den Turkvölkern in Zentralasien, in der Mongolei, in Sibirien und in Xinjiang, im Nordwesten der heutigen Volksrepublik China. Bereits 635 erreichte Aloben als einer der ersten nestorianischen Mönche die chinesische Handelsmetropole Xi’an (西安). 779 wurde im westlichen China ein Denkmal errichtet, das von der Einführung der großen „leuchtenden Religion aus Daqin (Rom)“ berichtete – die sogenannte Nestorianische Stele findet sich im heutigen Xi’an. Spuren dieser Missionstätigkeit wurden auch in Japan im 9. Jahrhundert dokumentiert, auf Sumatra, Indien und Sri Lanka entdeckt. Der franziskanische Missionar Johannes de Plano Carpini reiste 1245 bis 1247 in päpstlichem Auftrag zum Großkhan in die Mongolei und berichtete nach seiner Rückkehr nach Lyon auch von den dort angetroffenen nestorianischen Christen. In der mongolischen Hauptstadt Karakorum befand sich um 1250 eine nestorianische Kirche. Daher kann davon ausgegangen werden, dass das nestorianische Christentum im Mongolenreich bis um 1250 eine verbreitete Glaubensrichtung war und teilweise sogar am Hof des Großkhans eine gewisse Rolle gespielt hatte. Auf die Blütezeit dieser Kirche im 13. Jahrhundert folgte bald die nahezu vollständige Vernichtung durch den muslimischen Herrscher und Eroberer Timur Lenk (bzw. Tamerlan) im 14. Jahrhundert. Der Jesuitenpater Matteo Ricci stieß im 16. Jahrhundert in China auf Reste des Christentums. Als man 1625 die oben genannte Nestorianische Stele fand, hatte man damit die Erklärung, wieso Matteo Ricci bei seiner Missionstätigkeit christliche Elemente vorfinden konnte. Aber zugleich entkräftete dieser Fund den Vorwurf der Chinesen, die Missionare brächten etwas ganz Neues, ganz Fremdes in das Reich der Mitte. Die Stele bewies, dass der christliche Glaube schon vor langer Zeit in China Wurzeln geschlagen hatte. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1989 wurden viele weitere Zeichen der nestorianischen Präsenz sichtbar und Manuskripte aus Zentralasien erforschbar. Sonstiges James Hilton thematisierte die Ausbreitung des Nestorianismus in Mittelasien in dem 1933 erschienenen Roman Der verlorene Horizont. In dem Film Ulzhan – Das vergessene Licht von Volker Schlöndorff aus dem Jahr 2007 werden die Nestorianer erwähnt. Die Frau Ulzhan fragt in der zweiten Hälfte des Films den Franzosen Charles, was er am Berg Khan Tengri suche, woraufhin er antwortet: „Ich suche den Schatz der Nestorianer“, und führt entsprechende Zusammenhänge aus. Literatur Asahel Grant: Die Nestorianer oder die zehn Stämme. Reisen durch das alte Assyrien, Armenien, Midian und Mesopotamien. Schilderung der kirchlichen und häuslichen Gebräuche und Sitten der Nestorianer, und Nachweis ihrer Identität mit den verloren geglaubten zehn Stämmen Israels. 1843, modernisierte Neuauflage bei Hans J. Maurer 2006, ISBN 978-3-929345-15-5. W. Barthold: Zur Geschichte des Christentums in Mittel-Asien bis zur mongolischen Eroberung. Berichtigte und vermehrte deutsche Bearbeitung nach dem russischen Original, Hrsg. R. Stübe, Tübingen und Leipzig 1901. B. Spuler: Die nestorianische Kirche. In: Religionsgeschichte des Orients in der Zeit der Weltreligionen. Handbuch der Orientalistik, Band 8, S. 120–169, Leiden und Köln 1961. Wolfgang Hage: Nestorianische Kirche. In: Theologische Realenzyklopädie. Band 24, 1994, S. 264–276 (mit weiterer Literatur) G. L. Semenov: Studien zur sogdischen Kultur an der Seidenstraße, Studies in oriental religions, 36, Wiesbaden 1996. J. Tubach: Die nestorianische Kirche in China. In: Nubica et Aethiopica, Warschau 1999, S. 61–193. W. Klein: Das nestorianische Christentum an den Handelswegen durch Kyrgyzstan bis zum 14. Jh., Silk Road Studies 3, Turnhout 2000. Wilhelm Baum, Dietmar W. Winkler: Die Apostolische Kirche des Ostens. Geschichte der sogenannten Nestorianer. Klagenfurt 2000. Wassilios Klein: Das nestorianische Christentum an den Handelswegen durch Kyrgyzstan bis zum 14. Jahrhundert; Silk Road Studies 3; Turnhout 2000. Dietmar W. Winkler: Ostsyrisches Christentum. Untersuchungen zu Christologie, Ekklesiologie und zu den ökumenischen Beziehungen der Assyrischen Kirche des Ostens; Studien zur orientalischen Kirchengeschichte 26; Münster 2003. Marijke Metselaar: Die Nestorianer und der frühe Islam. Wechselwirkungen zwischen den ostsyrischen Christen und ihren arabischen Nachbarn. Peter Lang, Frankfurt 2009, ISBN 978-3-631-59129-1. Jasmin Bruhn: Der Nestorianismus. Die nestorianische Lehre in Bezug zur Rechtgläubigkeit, Grin, München 2016. Siehe auch Portal:Christlicher Orient Liste der Patriarchen der Assyrischen Kirche des Ostens Weblinks Corinna Mühlstedt: Christen in Syrien und Irak. Die Nachkommen der Nestorianischen Kirche. Die sogenannte Nestorianische Kirche hat ihren Ursprung im heutigen Syrien. Gegründet im 5. Jahrhundert, breitete sie sich entlang der Seidenstraße aus und formte ein weites Netzwerk. Eine ihrer wenigen Nachfolgerkirchen ist die Assyrische Kirche des Ostens – sie ist bedroht vom Krieg in Syrien. Deutschlandfunk, 8. September 2015 Nestorianismus, Website Heiligenlexikon De Babylone à Pékin, l’expansion de l’Église nestorienne en Chine par Joseph Yacoub, Professeur de sciences politiques à l’université catholique de Lyon. Einzelnachweise Häresiegeschichte (Alte Kirche) Christentum (Spätantike) Christliche Konfession Christologie
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https://de.wikipedia.org/wiki/1640er
1640er
Ereignisse 1618 bis 1648: Dreißigjähriger Krieg. 1641: Der Vulkan Parker bricht am 4. Januar auf den Philippinen aus. Die Eruptionswolke verdunkelt die Insel Mindanao mehrere Wochen lang. Die Eruption erreichte auf dem Vulkanexplosivitätsindex die Stärke fünf. 1641: Japan schließt seine Häfen; Beginn der Isolation des Landes von der Außenwelt, die bis 1853 andauern wird. 1642: Beginn des Englischen Bürgerkriegs zwischen Krone und Parlament (bis 1648), der mit dem Sieg der parlamentarischen Streitkräfte endet. 1644: Beginn der Qing-Dynastie. 1648: Ende des Dreißigjährigen Krieges durch den Westfälischen Frieden. 1649: König Karl I. von England wird wegen Hochverrats geköpft. England wird unter Oliver Cromwell zur Republik. Persönlichkeiten Ludwig XIV., König von Frankreich und Navarra Jules Mazarin, Kardinal Ferdinand III., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation, König von Ungarn, König von Böhmen Philipp IV., König von Spanien, Neapel, Sizilien und Portugal Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg Innozenz X., Papst Urban VIII., Papst Michael I., Zar in Russland Alexei I., Zar in Russland Oliver Cromwell, Lordprotektor in England, Schottland und Irland Karl I., König von England, Schottland und Irland Go-Kōmyō, Kaiser von Japan Meishō, Kaiserin von Japan Chongzhen, Kaiser von China Shunzhi, Kaiser von China Kultur Jan Brueghel der Jüngere vollendet das satirische Gemälde Allegorie der Tulipomanie. Es bezieht sich auf die sogenannte Tulpenmanie in den Niederlanden der 1630er Jahre. Weblinks
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https://de.wikipedia.org/wiki/GenBank
GenBank
GenBank ist eine der drei im INSDC zusammengeschlossenen DNA-Sequenzdatenbanken und wird vom US-amerikanischen National Center for Biotechnology Information betrieben. Im Februar 2023 enthielt die Datenbank mehr als 240 Millionen Sequenzen mit zusammen über 1700 Milliarden Basen. Neben GenBank existieren auch noch das European Nucleotide Archive (ENA) des European Molecular Biology Laboratory(EMBL-Bank) und die DNA Data Bank of Japan (DDBJ). Die Sequenzdaten dieser drei Datenbanken werden täglich untereinander abgeglichen, im Rahmen der Internationalen Nukleotidsequenz-Datenbank-Zusammenarbeit (INSDC). Da die in diesen Datenbanken enthaltenen Sequenzinformationen eine wichtige Grundlage für die Arbeit von Forschern darstellen, verlangen die meisten wissenschaftlichen Zeitschriften die Ablage von neuen Sequenzdaten in einem dieser Archive. GenBank ist frei zugänglich. Sequenzdaten können von jedermann mittels Webschnittstelle, Konsolenanwendung, oder FTP abgerufen werden. Literatur Weblinks NCBI, Zugang zur Datenbank Genetik Biochemie-Onlinedatenbank National Institutes of Health
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bibliophilie
Bibliophilie
Als Bibliophilie (von „Buch“ und „Freundschaft, Liebe“; also „Liebe zum Buch“) bezeichnet man allgemein das Sammeln von schönen, seltenen oder historisch wertvollen Büchern, meist durch Privatpersonen zum Aufbau einer Privatbibliothek nach bestimmten Sammelkriterien. Das bibliophile Interesse des Sammlers unterstützt dabei sein Bestreben, seine Sammlung in einem oder mehreren angemessenen Räumen und speziellem Mobiliar zu präsentieren. Das erste Buch über Bibliophilie verfasste in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts der Bibliophile Richard de Bury, Bischof von Durham, mit dem Titel Philobiblon. Die erste einschlägige wissenschaftliche Zeitschrift Bulletin du Bibliophile erscheint seit 1834 in Frankreich. Als Schutzpatronin der Bibliotheken und Bücherfreunde gilt die Rekluse St. Wiborada von St. Gallen, deren Namen auch ein von 1933 bis 1940 von Hans Rost herausgegebenes Jahrbuch für Bücherfreunde trug. Bibliophiliebegriff und Schwerpunkte In Bezeichnungen wie bibliophile Ausgabe oder bibliophiles Buch tritt heute allerdings die Bedeutung des Sammelns zurück hinter einen Bibliophiliebegriff, der auf das durch besondere Ausstattung hervorgehobene Exemplar zielt. Allerdings werden solche bibliophilen Ausgaben von den Verlagen gezielt für Sammler herausgebracht, die den besonderen Charakter zu schätzen wissen und dafür auch den höheren Preis zu zahlen bereit sind. Sammler achten teils auf sogenannte Kollektionen oder Buchreihen, teils auf Schicksale und Alter der Bücher, teils auf das Material derselben. Den größten wissenschaftlichen Wert haben Sammlungen von Büchern, die einen bestimmten Gegenstand betreffen oder in einer gewissen Manier gearbeitet oder in einer berühmten Offizin gedruckt worden sind. Hierher gehören Sammlungen von Erstausgaben, bei sehr seltenen oder alten Werken auch frühe Ausgaben Ausgaben der Bibel (insbesondere Biblia Hebraica) oder einzelner Klassiker (z. B. des Horaz und Cicero), bei bestimmten Druckern und Verlagen erschienenen Büchern, seltenen Büchern oder Ausgaben, insbesondere Vorzugsausgaben und nummerierten Auflagen Inkunabeln oder Alten Drucken Faksimile-Editionen Handschriften Autographen Büchern, die durch ihre Schicksale etwas Besonderes sind; dazu gehören seltene und verbotene (insbesondere in der römischen Kirche auf den Index gesetzte) Bücher. Werken über besondere Begebenheiten und Ereignisse, Werken über ganz spezielle Sachgebiete, Werken über bestimmte Persönlichkeiten. Die Vorliebe von Sammlern kann sich noch auf Ausstattungsmerkmale der Bücher beziehen. Oft werden hohe Preise gezahlt für Pracht- und illustrierte Ausgaben, insbesondere bei Ausstattung mit originaler Künstlergrafik unbeschnittene Exemplare älterer seltener Werke Exemplare mit breitem Rand (Großpapier) mit Miniaturen und Initialen verzierte Bücher, Drucke auf Pergament, auf besonderen Papierarten wie Büttenpapier, Velinpapier oder Japanpapier oder auf sonstigen ungewöhnlichen Stoffen Drucke in kalligraphischen Schriftarten Pressendrucke in limitierter Auflage Ausgaben im originalen oder besonders aufwändig gestalteten oder handgebundenen, besser noch von einem bekannten Buchbindemeister gefertigten und unter Umständen signierten Bucheinband Bücher mit dem eingeschriebenen Namen oder Exlibris des früheren Besitzers, wenn sie bedeutsamen Personen gehörten, sogenannte Provenienzexemplare. Hierdurch können an sich nicht besonders wertvolle Bücher bedeutend im Wert gesteigert werden. Exemplare mit Widmung und/oder Signatur, jedoch nur von bedeutenden Persönlichkeiten oder an diese, insbesondere vom Verfasser Als wertmindernd gelten Benutzungsspuren und Beschädigungen aller Art (Wasserschäden, Mausfraß, Wurmlöcher, Bruch des Buchblocks oder der Gelenke, Bereibungen, Bestoßungen und Fehlstellen des Einbands, Verknitterung, Einrisse, Abrisse, Ausrisse, womöglich mit Textverlust, Eselsohren, Tintenfraß, Vergilbung, Bräunung, Stockflecken, Tabakrauch-, Mäuseurin- oder Kellergeruch, Verschmutzungen, Tinten- und Fingerflecken) oder Unvollständigkeit, insbesondere fehlendes Titelblatt oder Frontispiz, selbst fehlende Leerblätter, fehlende Bände bei mehrbändigen Werken, sowie Anstreichungen oder Eintragungen oder laienhafte Restaurierungsmaßnahmen unbekannter Vorbesitzer. Wertmindernd oder -steigernd können sich je nach Qualität des ausgewählten Materials von Vorbesitzern stammende Beilagen auswirken, insbesondere zusätzlich eingeklebte oder eingebundene Illustrationen (getrüffelte Exemplare). Neben dem lesenden und sammelnden Bücherliebhaber, den man als rezipierenden Bibliophilen bezeichnet, gibt es aber auch den Bibliophilen, der seine Bücherliebe so weit treibt, dass er selbst Bücher erstellt und damit zum produzierenden Bibliophilen wird. Die produzierende Bibliophilie findet als darstellende Kunst ihren Ursprung im Versuch des Menschen, seine Wirklichkeit wiederzugeben. Einmal, um sie dem Gedächtnis zu bewahren, ein andermal, um sie anderen zu übermitteln. So zeigen sich zwei Beweggründe, wobei der zweite überwiegend sozialer Natur ist. Um diesem sozialen Wert gerecht zu werden, gibt es auch Veranstaltungen, wie beispielsweise die Mainzer Minipressen-Messe in der Gutenberg-Stadt Mainz, bei welcher Bibliophile zusammenkommen, um sich auszutauschen und ihre neuesten Bücher und Drucke vorzustellen. In der Mitte zwischen beiden Formen stehen Bibliophile, die ihre kostbaren Erwerbungen aufwerten, indem sie sie von einem Buchbinder mit einem aufwändig gefertigten Handeinband ausstatten oder beschädigte Alteinbände fachgerecht restaurieren lassen. Bei Bibliophilen jeglicher Art können soziale Aspekte eine große Rolle spielen, etwa im Austausch mit anderen Sammlern oder indem die eigene Sammlung der Wissenschaft zugänglich gemacht wird. In diesen Zusammenhang gehört auch das Verleihen von Büchern für Ausstellungen, wobei manche Bibliophile Wert darauf legen, als Eigentümer genannt zu werden, während andere dies strikt ablehnen und anonym bleiben möchten. Ein besonderer Aspekt ist der Wunsch, die Sammlung über das eigene Leben hinaus zu bewahren (und ggf. einer größeren Öffentlichkeit zugänglich zu machen), indem sie beispielsweise einer öffentlichen Bibliothek oder einem Archiv übereignet wird. Sammler mit entsprechenden finanziellen Mitteln gründen gelegentlich eine eigene Stiftung zur Erhaltung, Pflege und zum weiteren Ausbau der Sammlung. Bibliophile betonen diesen sozialen Aspekt seit der Renaissance in Exlibris mit Devisen wie sibi et amicis (für sich und die Freunde). Die Bucherwerbungen erfolgen im Allgemeinen über Antiquariate, Autographenhändler und Auktionshäuser, die alle auch eine Fachberatung anbieten und mit denen bibliophile Sammler oft über viele Jahre in engem, zuweilen auch persönlichem Kontakt stehen. Weitere Möglichkeiten bieten Antiquariatsmärkte oder -messen, Buchtauschbörsen sowie der an Bedeutung stetig zunehmende Internethandel, der einerseits die gezielte Suche nach bestimmten Büchern, Auflagen und Ausstattungsmerkmalen in einem weltweiten Angebot ermöglicht, andererseits der sozialen Komponente weitgehend ermangelt. Autorenlesungen oder Veranstaltungen wie Preisverleihungen und Buchmessen bieten die Gelegenheit, den Autor anzusprechen und sich Exemplare signieren zu lassen. Umgangssprachlich werden bibliophile Menschen auch Bücherwurm genannt, unter anderem, weil sie sich manchmal die Bücher oft so nah vor das Gesicht halten, dass es aussieht, als ob sie diese aufessen würden, genauso wie manche Nagekäfer das Innere von Büchern auffressen und dabei Spuren hinterlassen. In der Literatur wurde diese Metapher erstmals 1747 von Gotthold Ephraim Lessing in seinem Lustspiel Der junge Gelehrte (3. Aufzug, 1. Auftritt) verwendet. Manche Bibliophile steigern ihre Leidenschaft bis zu einem bedenklichen Punkt, etwa, indem sie in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil sie zu viel Geld in den Erwerb von Büchern stecken oder wenn sie zugunsten ihrer Sammelleidenschaft soziale Kontakte vernachlässigen. Ein solches problematisches Verhalten wird als Bibliomanie bezeichnet. Literatur Buchsammlung Zeitschriften Imprimatur. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Gesellschaft der Bibliophilen, Wiesbaden u. a. 1,1930 – 9, 1939/40; 10, 1950/51 – 12, 1954/55; N.F. 1,1956/57 Sankt Wiborada. Ein Jahrbuch für Bücherfreunde. Seitz, Augsburg 1, 1933 – 7, 1940 Zeitschrift für Bücherfreunde. Glock und Lutz, Nürnberg 1, 1946–1954, 1971 Der Bibliophile : internationale Zeitschrift für Bücherfreunde ; offizielles Mitteilungsblatt von Gesellschaften u. Vereinen, die Bücherliebhaberei, Bibliographie und verwandte Gebiete auf wissenschaftlicher und künstlerischer Grundlage pflegen (Beilage zu Das Antiquariat. Halbmonatsschrift für alle Fachgebiete des Buch- und Kunstantiquariats). Krieg, Wien u. a. 1, 1950 – 8, 1957 Philobiblon. Eine Zeitschrift für Bücherfreunde. Reichner, Wien u. a. 1, 1928 – 9, 1936(1936/37); 10, 1938 – 12, 1940 Philobiblon. Mitteilungen des Buch- und Kunstantiquariats Ernst Hauswedell und des Verlages Ernst Hauswedell. Hauswedell, Hamburg 1, 1952 – 5, 1954 Philobiblon. Eine Vierteljahrsschrift für Buch- und Graphiksammler. Maximilian-Gesellschaft in Hamburg, Hauswedell, Stuttgart u. a. 1, 1957 45, 2001 Marginalien – Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie. Pirckheimer-Gesellschaft in Berlin, Aufbau-Verlag, Wiesbaden, Harrassowitz, Bucha bei Jena, Quartus. 1, 1957 – Literatur Gustav A. E. Bogeng: Die grossen Bibliophilen : Geschichte der Büchersammler und ihrer Sammlungen, Bd. 1–3 (in 2). Seemann, Leipzig 1922, Nachdruck Olms, Hildesheim 1984, ISBN 3-487-07511-3. Lothar Brieger: Ein Jahrhundert Deutscher Erstausgaben. Die wichtigsten Erst- und Originalausgaben von etwa 1750 bis etwa 1880. Bearbeitung der Schweizer Autoren von Hans Bloesch. Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart 1925. Jürgen Busche und Christine Eichel (Hrsg.)/ Thomas Kierok u. a. (Fotos): Von Bücherlust und Leseglück – Kluge Köpfe und ihre Bibliotheken, mit einem Gespräch (Frauen lesen anders) mit Elke Heidenreich, Knesebeck Vlg., München 2008, ISBN 978-3-89660-558-0. Anne Fadiman: Ex Libris – Bekenntnisse einer Bibliomanin, SchimerGraf, München 2005, ISBN 3-86555-023-1. Gernot U. Gabel, Wolfgang Schmitz: Kölner Sammler und ihre Bücherkollektionen in der Universitäts- und Stadtbibliothek Köln. Universitäts- und Stadtbibliothek, Köln 2003, ISBN 3-931596-25-7. Karin Hack: Berühmte Bibliophile im Spiegel ihrer Exlibris, Supralibros und Besitzeinträge: Kabinettausstellung 14. Oktober 2001 bis 6. Januar 2002, Bibliothek Otto Schäfer, Museum für Buchdruck, Graphik, Kunsthandwerk. Dr.-Otto-Schäfer-Stiftung, Schweinfurt 2001 Jürgen Holstein, Waltraud Holstein (Hrsg.): Goldrausch & Werther : Antiquariatskataloge als Sonderfall des Umschlagdesigns. Berlin : Holstein, 2014, ISBN 978-3-00-043240-8. Fritz Homeyer: Deutsche Juden als Bibiophilen und Antiquare. 2. Auflage. Tübingen: Mohr 1966 Holbrook Jackson: The Anatomy of Bibliomania, University Of Illinois, ISBN 978-0-252-07043-3. Gerhard Loh: Verzeichnis der Kataloge von Buchauktionen und Privatbibliotheken aus dem deutschsprachigen Raum. Selbstverlag, Leipzig 1995– (bis 2008 fünf Bände erschienen) Wulf D. von Lucius: Bücherlust – Vom Sammeln, 320 S., Farbtafeln, s/w-Abb., kl. bibliophiles Glossar, Übersichten: Katalogfachausdrücke u. Literatur, DuMont Buchvlg., Köln 2000, ISBN 3-7701-4724-3. Otto Mühlbrecht: Die Bücherliebhaberei in ihrer Entwicklung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. 2. verb. u. verm. Aufl. Bielefeld u. Leipzig 1898. Klaus Walther: Bücher sammeln, Reihe: Kleine Philosophie der Passionen, dtv 34142, Deutscher Taschenbuch Vlg., München 2004, ISBN 3-423-34142-4. Klaus Walther (Texte u. Hrsg.) und Dieter Lehnhardt (Fotos): Haben Sie das alles gelesen? Ein Buch für Leser und Sammler. Mironde Verlag, Niederfrohna bei Chemnitz 2014, ISBN 978-3-937654-80-5. (Textliche und fotodokumentarische Präsentation von 16 zeitgenössischen und 10 historischen Privatbibliotheken diverser Dichter, Schriftsteller und Naturwissenschaftler im deutschen und französischen Sprachraum) Karl Klaus Walther (Hrsg.): Lexikon der Buchkunst und Bibliophilie. München und (als Lizenzausgabe) Augsburg 1994. Karl Wolfskehl: Bücher, Bücher, Bücher, Bücher. Elemente der Bücherliebeskunst. Mit einem Vorwort von Andreas Kilcher (leicht gekürzte Reproduktion der Originalausgabe 1931). Lambert 2012, ISBN 978-3-650-25227-2. Buchpräsentation Estelle Ellis, Caroline Seebohm, Christopher Simon Sykes: Mit Büchern leben. Buchliebhaber und ihre Bibliotheken. Vlg. Gerstenberg, Hildesheim 1996 (zuletzt 2008), ISBN 978-3-8369-2983-7. Weblinks Bibliografie bibliophiler Literatur Bibliophile Gesellschaften im Netz Maximilian-Gesellschaft für alte und neue Buchkunst Gesellschaft der Bibliophilen e. V. Nachrichten von der Gesellschaft der Bibliophilen e. V. Pirckheimer-Gesellschaft e. V. Glossar zum Buchwesen auf der Seite des Verbandes deutscher Antiquare von Michael Trenkle Einzelnachweise
Q214719
114.26412
214646
https://de.wikipedia.org/wiki/Endomembransystem
Endomembransystem
Als Endomembransystem oder inneres Membransystem wird die Gesamtheit der membranumschlossenen Zellkompartimente bezeichnet, die durch Vesikeltransport miteinander verbunden sind. Es setzt sich aus dem Endoplasmatischen Reticulum (raues und glattes), dem Golgi-Apparat, der Plasmamembran, der äußeren Kernhülle bzw. dem perinucleären Raum, Endosomen, Vakuole, Lysosomen und Transportvesikeln zusammen. Auch Peroxisomen konnten 2009 als Teil des Endomembransystems identifiziert werden. Im Gegensatz dazu sind Mitochondrien und Plastiden keine Bestandteile des Endomembransystems. Das Lumen all dieser Organellen wird als exoplasmatisch bezeichnet, d. h. alles, was von diesen Membranen eingeschlossen ist, kann aus der Zelle herauskommen, ohne eine Membran zu überschreiten. Innerhalb des Endomembransystems verläuft der Proteintransport über den sekretorischen Weg. Die Proteine werden cotranslational durch ein Signalpeptid über die Membran des Endoplasmatischen Retikulums transportiert. Der weitere Transport verläuft über Vesikel. Einzelnachweise Biochemie
Q899827
95.343265
10312
https://de.wikipedia.org/wiki/Daseinsvorsorge
Daseinsvorsorge
Daseinsvorsorge, auch Daseinsfürsorge bzw. gemeinsprachlich öffentliche Dienstleistungen (in der Schweiz auch Service public und öffentliche Infrastruktur), umfasst die staatliche Aufgabe zur Bereitstellung der für ein menschliches Dasein als notwendig erachteten Güter und Dienstleistungen, d. h. die Grundversorgung. Daseinsvorsorge ist in Deutschland ein verwaltungsrechtlicher Begriff, der auch in der politischen und sozialwissenschaftlichen Diskussion eine wichtige Rolle spielt. Dazu zählt als Teil der Leistungsverwaltung die Bereitstellung von öffentlichen Einrichtungen für die Allgemeinheit, also Verkehrs- und Beförderungswesen, Gas-, Wasser- und Elektrizitätsversorgung, Müllabfuhr, Abwasserbeseitigung, Bildungs- und Kultureinrichtungen, Krankenhäuser, Friedhöfe, Schwimmbäder, Feuerwehr usw. (Infrastruktur). Dabei handelt es sich größtenteils um Betätigungen, die heute von kommunalwirtschaftlichen Betrieben wahrgenommen werden. Begriff und Aufgabe der Daseinsvorsorge Der Begriff wurde von Ernst Forsthoff im Anschluss an Karl Jaspers in die staats- und verwaltungsrechtliche Diskussion eingebracht. Die ursprüngliche Verwaltungsrechtsdogmatik kannte nur die Eingriffsverwaltung. Forsthoff erweiterte diese Dogmatik in seiner 1938 in Königsberg erschienenen Schrift Die Verwaltung als Leistungsträger um das Konzept der Leistungsverwaltung, mit dem das Verhältnis des Einzelnen zum leistungsgewährenden Staat bestimmt werden sollte. Er sah die Notwendigkeit, dass dem Einzelnen Teilhaberechte an Leistungen der Daseinsvorsorge zustehen müssen. Die in Erfüllung der sozialen Verantwortung erfolgende leistungsgewährende Betätigung des Staates bezeichnete er als Daseinsvorsorge. Forsthoff definierte den Begriff Daseinsvorsorge in eigenen Worten als „diejenigen Veranstaltungen, die zur Befriedigung des Appropriationsbedürfnisses getroffen wurden“. Forsthoff begründete die Notwendigkeit der Daseinsfürsorge in Die Verwaltung als Leistungsträger wie folgt: Dieser Aufgabe, die Grundversorgung mit lebenswichtigen Gütern und Dienstleistungen „für alle zu sozialstaatlich angemessenen Bedingungen zur Verfügung zu halten“, entsprach die Übernahme der Daseinsvorsorge durch öffentliche Leistungsträger etwa durch eine staatliche Bahn oder Post oder kommunale Versorgungsbetriebe für Wasser und Strom. Inzwischen hat man die Daseinsvorsorge aber weitgehend privatisiert. Hierdurch sollte sie „der Auslesefunktion des Wettbewerbs ausgesetzt werden und dadurch möglichst effizient, flexibel und unbürokratisch funktionieren“. Hierbei bleibt aber nach der Ansicht von Zippelius der Sozialstaat „gefordert, regelnd einzugreifen, wenn die notwendige Grundversorgung … nicht erreicht wird“, z. B. auf Grund von Streiks, auf welche die betroffenen Bürger keinen nennenswerten Einfluss haben. In solchen Fällen entspräche es dem ursprünglichen Gedanken staatlicher Daseinsvorsorge, den Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern in die Hand staatlicher oder kommunaler (also demokratischer) Gesamtverantwortung zu legen, auf deren Seite sowohl die Arbeitgeber als auch die Arbeitnehmer repräsentiert sind. Daseinsvorsorge als Rechtsbegriff Der in der öffentlichen Verwaltungspraxis häufig verwendete Begriff der Daseinsvorsorge ist juristisch ein unbestimmter Rechtsbegriff. Er wird in Gesetzen häufig verwendet, ohne dass dort sein Inhalt näher definiert wird. Im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft wird in Anlehnung an den französischen Begriff der in Abs. 2 EGV von „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ gesprochen. Diese werden vage definiert als „marktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden werden.“ Darunter werden überwiegend die Bereiche der Daseinsvorsorge verstanden. Allerdings sind die Begriffe inhaltlich nicht vollkommen deckungsgleich. Auch die EU-Kommission hat den unbestimmten Rechtsbegriff in ihr Vokabular übernommen und definiert ihn als „marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden“. Vertraglich verankert wurde die Daseinsvorsorge auf europäischer Ebene mit dem Vertrag von Lissabon in den in AEUV geregelten „Diensten von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“. Rechtliche Grundlage der Daseinsvorsorge ist in Deutschland die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Abs. 2 GG. Das GG vermeidet den Begriff Daseinsvorsorge, sondern umschreibt ihn als „alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft.“ Darunter versteht das BVerfG diejenigen „Bedürfnisse und Interessen, die in der örtlichen Gemeinschaft wurzeln oder auf sie einen spezifischen Bezug haben“. Was letztlich zum Inhalt der Daseinsvorsorge wird, muss jede Kommune im Rahmen der Selbstverwaltung für sich entscheiden. Während eine Kommune Messestandort ist, sind viele andere Kommunen hingegen kein Messestandort. Bei der einen Kommune gehört das Messe- und Ausstellungswesen somit zur Daseinsvorsorge, bei den anderen nicht. Daseinsvorsorge ist also keineswegs bundeseinheitlich regelbar. In Abs. 2 Nr. 1 Raumordnungsgesetz wird bestimmt, dass in Deutschland ausgeglichene soziale, infrastrukturelle, wirtschaftliche, ökologische und kulturelle Verhältnisse anzustreben sind. Hierbei ist die „nachhaltige Daseinsvorsorge zu sichern“. Unter Daseinsvorsorge versteht man verwaltungsrechtlich alle Dienstleistungen der Kommune, an deren Erbringung ein allgemeines öffentliches Interesse besteht. Für das BVerfG ist die Daseinsvorsorge eine Leistung, „derer der Bürger zur Sicherung einer menschenwürdigen Existenz unumgänglich bedarf.“ Nach deutschem Verständnis kann die Gestaltung der Daseinsvorsorge wirtschaftlich oder nichtwirtschaftlich, im Wettbewerb oder als Monopol, gewinnbringend, kostendeckend oder zuschussbedürftig sein. Ihre Bandbreite reicht von der Energie- und Wasserversorgung über Abwasser- und Abfallentsorgung, Polizei, Feuerwehr, Krankenhäuser, Friedhöfe, sozialem Wohnungsbau und ÖPNV bis zu kulturellen, sportlichen und sozialen Angeboten. Trotz des Wandels gehört die kommunale Daseinsvorsorge weiterhin zum faktischen Kernbereich der Selbstverwaltung. Daseinsvorsorge als Begriff im Verwaltungsrecht Juristisch ungeklärt und heftig umstritten ist die rechtliche Relevanz des Begriffes Daseinsvorsorge. In der Verwaltungsrechtswissenschaft gibt es kaum einen Terminus, der eine größere Faszination ausgelöst hat, aber andererseits auch mehr Ärgernis erregt hat als der Begriff der Daseinsvorsorge. In der verwaltungsrechtlichen Diskussion wird er einerseits häufig verwendet und als Argumentationsstütze herangezogen. Andererseits wird darauf hingewiesen, dass er mehr ein soziologischer Begriff mit vorrangig „problemverdeutlichender, weniger problemlösender Funktion“ sei. Selbst Forsthoff musste 1959 anmahnen, dass der Begriff zu einem „Allerweltsbegriff“ wurde, „mit dem man alles und deshalb nichts beweisen kann“. In seinem Buch „Der Staat der Industriegesellschaft“ räumte Forsthoff ein, es handele sich um einen Begriff der Staatswissenschaften „wie sie im 18. Jahrhundert verstanden wurden“. Einige Gemeindeordnungen der Länder verwenden den Begriff Daseinsvorsorge: In Baden-Württemberg (§ 102 Abs. 1 Nr. 3 GemO), Bayern (Art. 87 Abs. 1 Nr. 4 BayGO) und Thüringen (§ 71 Abs. 2 Nr. 4 KO) gilt die kommunalwirtschaftliche Subsidiaritätsklausel nur „außerhalb der kommunalen Daseinsvorsorge“. Dies wird jedoch wegen der juristischen Unschärfe des Begriffs Daseinsvorsorge als problematische Regelung angesehen. Daseinsvorsorge und Kommunalwirtschaft heute Im Rahmen einer Debatte über Privatisierungen wird der Begriff teilweise polarisierend aufgefasst. Wer eher etatistisch denkend den Staat in erster Linie als „Gewährleistungsstaat“ ansieht, neigt dazu, dem Begriff eine besondere und wichtige Rolle einzuräumen. Liberale Politiker halten das Ende der Daseinsvorsorge für gekommen. Jedenfalls ist zu beobachten, dass viele ehemals von Staats- bzw. Gemeindemonopolen wahrgenommene Betätigungen der Daseinsvorsorge heute mit privaten Anbietern konkurrieren müssen bzw., dass die traditionellen Leistungen der Daseinsvorsorge heute auch von Privaten wahrgenommen werden. Auch im Zuge der fortschreitenden Europäisierung des Wirtschaftsrechts, die zunehmend die öffentliche Ausschreibung bisheriger kommunaler Aufgaben vorsieht, sehen selbst die Kommunen und Vertreter der Kommunalwirtschaft die Aufgabe der Kommunalwirtschaft schrumpfen. Staatliche Daseinsvorsorge kann jedoch auch privatwirtschaftlich organisiert werden. In großer Analogie zum „starken Staat“ im Ordnungssystem der Sozialen Marktwirtschaft beschränkt sich der Gewährleistungsstaat in diesem Fall auf die Setzung von Rahmenbedingungen, hier Vertragszielen, und überlässt die Umsetzung der privaten Initiative. Dahingegen hat es aber auch ab etwa den 2000er Jahren eine teilweise durch Bürgerbegehren getragene Gegentendenz von Rekommunalisierungen (beispielsweise Wasserversorgung in Berlin, Energienetze in Hamburg etc.) gegeben. Am 23. Juni 2017, dem internationalen Tag des öffentlichen Dienstes, fand erstmals ein Tag der Daseinsvorsorge statt. Digitale Daseinsvorsorge In der Diskussion zur Digitalisierung im Alltag besteht weitgehend Konsens, dass die „Digitale Daseinsvorsorge“ zu den Aufgaben des öffentlichen Sektors gehört. Dazu zählen z. B. digitale Infrastruktur (Breitband-Internetzugang, WLAN-Hotspots, EDV-Ausstattung), digitaler Content (Open Data, Live-Streaming, Social-Media-Kanäle), das Ermöglichen neuer Services (Public-Space-Server, Labs, Coworking-Spaces). Online-Zugang zu Verwaltungsleistungen (Onlinezugangsgesetz (OZG)) Der Verband kommunaler Unternehmen sieht in der digitalen Daseinsvorsorge eine zentrale Aufgabe für zukunftsfähige Kommunen. Die Kommunale Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsmanagement (KGSt) und der Deutsche Städtetag haben sich im Rahmen der gemeinsamen Initiative „Dresdner Forderungen und OZG 2.0“ für eine Stärkung der digitalen Daseinsvorsorge eingesetzt. Literatur Felix Berschin: Daseinsvorsorge durch Wettbewerb – der öffentliche Verkehr zu Lande im Markt. Heidelberg 2000, (nahverkehrsberatung.de, Digitalisat; Heidelberg, Universität, Dissertation, 2000). Charles B. Blankart, Björn Gehrmann: Der Dritte Sektor in der Europäischen Union: Daseinsvorsorge aus ökonomischer Sicht. In: Jahrbuch Recht und Ökonomik des Dritten Sektors. Bd. 1, 2005/2006 (2006), , S. 36–71. (, Digitalisat). Tobias Bringmann: Daseinsvorsorge heute und morgen – Zukunftsmodell Stadtwerke. In: Gerald G. Sander (Hrsg.): Wasser, Strom, Gas. Kommunale Daseinsvorsorge im Umbruch. Zum Spannungsfeld von öffentlicher Daseinsvorsorge und EU-rechtlichen Vorgaben. Tagung vom 1. bis 2. Juli 2009 an der Evangelischen Akademie Bad Boll (= Schriftenreihe öffentliche Unternehmen und öffentliches Wirtschaftsrecht. 1). Kovač, Hamburg 2010, ISBN 978-3-8300-4388-1, S. 9–32. Sigrid Boysen, Mathias Neukirchen: Europäisches Beihilferecht und mitgliedstaatliche Daseinsvorsorge (= Schriftenreihe europäisches Recht, Politik und Wirtschaft. 325). Nomos, Baden-Baden 2007, ISBN 978-3-8329-2303-7. Ernst Forsthoff: Der Staat der Industriegesellschaft. Dargestellt am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland (= Beck’sche schwarze Reihe. 77). Beck, München 1971, ISBN 3-406-02477-7. Ernst Forsthoff: Die Daseinsvorsorge und die Kommunen. Ein Vortrag. Sigillum, Köln-Marienburg 1958. Ernst Forsthoff: Die Verwaltung als Leistungsträger (= Königsberger rechtswissenschaftliche Forschungen. 2, ). Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1938. Hajo Friedrich: Daseinsvorsorge zwischen Wettbewerb und Gemeinwohl. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 27. September 2004, (faz.net) Johannes Hellermann: Örtliche Daseinsvorsorge und gemeindliche Selbstverwaltung. Zum kommunalen Betätigungs- und Gestaltungsspielraum unter den Bedingungen europäischer und staatlicher Privatisierungs- und Deregulierungspolitik (= Jus publicum. 54). Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147220-9 (Zugleich: Bielefeld, Universität, Habilitations-Schrift, 1998). Ulrich Hösch: Die kommunale Wirtschaftstätigkeit. Teilnahme am wirtschaftlichen Wettbewerb oder Daseinsvorsorge (= Beiträge zur Ordnungstheorie und Ordnungspolitik. 164). Mohr Siebeck, Tübingen 2000, ISBN 3-16-147383-3. Arno Kahl, Thomas Müller: Die Postliberalisierungsrichtlinie im Lichte des Beihilferechts. Universität Innsbruck – Institut für Öffentliches Recht, Staats- und Verwaltungslehre, Innsbruck o. J., (online) Alexandra Kemmerer: Als die Bürger die Grenzen ihrer Zuständigkeit noch kannten. Ist die „Daseinsvorsorge“ ein Existentialismus? Forsthoffs Schlüsselbegriff des staatlichen Handelns erfährt eine Historisierung. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. Nr. 200, 29. August 2007, S. N 3. Jens Kersten: Die Entwicklung des Konzepts der Daseinsvorsorge im Werk von Ernst Forsthoff. In: Der Staat. Bd. 44, Nr. 4, 2005, S. 543–569, . Alban Knecht: Daseinsvorsorge als gemeinschaftliche Aufgabe. In: Die Armutskonferenz (Hrsg.): Was allen gehört. Commons – neue Perspektiven in der Armutsbekämpfung. Verlag des Österreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien 2013, ISBN 978-3-7035-1609-2, S. 61–72. (armutskonferenz.at) Jens Libbe, Jan Hendrik Trapp: (Webarchiv). Christian Linder: Daseinsvorsorge in der Verfassungsordnung der Europäischen Union. Primärrechtliche Grundzüge eines Rechts der Dienste von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (= Europäische Hochschulschriften. Reihe 2: Rechtswissenschaft. 4044). Lang, Frankfurt am Main u. a. 2004, ISBN 3-631-52935-X (Zugleich: Berlin, Freie Universität, Dissertation, 2004). Benjamin Linke: Die Gewährleistung des Daseinsvorsorgeauftrags im öffentlichen Personennahverkehr (= Schriften zum Wirtschaftsverwaltungs- und Vergaberecht. 24). Nomos, Baden-Baden 2010, ISBN 978-3-8329-5502-1 (Zugleich: Tübingen, Universität, Dissertation, 2010). Jürgen Löwe: Öffentliche Unternehmen in der Marktwirtschaft? Ein Beitrag zur Neubestimmung des Verhältnisses von Wirtschaft und Politik. In: Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen. Bd. 24, Nr. 4, 2001, , S. 413–431. Fabian Löwenberg: Service public und öffentliche Dienstleistungen in Europa. Ein Beitrag zu Art. 16 des EG-Vertrages (= Berliner Juristische Universitätsschriften. 18). Berlin-Verlag Spitz u. a., Berlin u. a. 2001, ISBN 3-8305-0206-0, (Zugleich: Berlin, Humboldt-Universität, Dissertation, 2000). Claudia Neu (Hrsg.): Daseinsvorsorge. Eine gesellschaftswissenschaftliche Annäherung. VS – Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16627-8. Mathias Neukirchen: Transparenz-Richtlinie und Transparenzrichtlinien-Gesetz: Ein Leitfaden für die Praxis. In: Europarecht. Heft 1, 2005, , S. 112–123, (europarecht.nomos.de) Fritz Ossenbühl: Daseinsvorsorge und Verwaltungsprivatrecht. In: Die öffentliche Verwaltung. Bd. 24, Nr. 15/16, 1971, S. 513–524. Johann-Christian Pielow: Grundstrukturen öffentlicher Versorgung. Vorgaben des europäischen Gemeinschaftsrechts sowie des französischen und des deutschen Rechts unter besonderer Berücksichtigung der Elektrizitätswirtschaft (= Jus publicum. 58). Mohr Siebeck, Tübingen 2001, ISBN 3-16-147174-1 (Zugleich: Bochum, Universität, Habilitations-Schrift, 1998). Gerhard Pöschmann: Vereinbarkeit von Binnenmarkt und Daseinsvorsorge. In: Österreichische Gemeindezeitung. Bd. 73, Nr. 10, 2007, S. 9–11. , (staedtebund.gv.at) Miloš Vec: Daseinsvorsorge. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1: Aachen – Geistliche Bank. Lieferung 4: Burg – Deutscher Rechtshistorikertag. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Schmidt, Berlin 2006, ISBN 3-503-07911-4, Sp. 933–935. Digitale Daseinsvorsorge: Florian Blank, Claus Schäfer, Dorothee Spannagel (Hrsg.): Grundsicherung weiterdenken, transcript Verlag 2022, ISBN 978-3-8376-5594-0 Charlotte Räuchle, Gerold Ambrosius: Digitale Daseinsvorsorge in historischer Perspektive. Was ist eigentlich neu oder nicht neu im Vergleich zur analogen? In: Zeitschrift für Gemeinwirtschaft und Gemeinwohl. Jahrgang 44, Heft 4, 2021, S. 595–614. Henning Lühr (Hrsg.): Digitale Daseinsvorsorge. Bremer Gespräche zur digitalen Staatskunst. Kellner Verlag, 2020, ISBN 978-3-95651-257-5. Sönke E. Schulz: Digitale Daseinsvorsorge. In: Tanja Klenk, Frank Nullmeier, Göttrik Wewer (Hrsg.): Handbuch Digitalisierung in Staat und Gesellschaft, Springer VS 2020, ISBN 978-3-658-23667-0. Utz Schliesky: Digitale Räume als Teil der Daseinsvorsorge. Schriften zur Modernisierung von Staat und Verwaltung. Universität Kiel, Lorenz-von-Stein-Institut 2018, ISBN 978-3-945992-02-9. Anika D. Luch, Sönke E. Schulz: Die E-Daseinsvorsorge als Grundlage der Online-Handlungsfreiheit und „Eintrittskarte“ zur Digitalen Agora. In: Verwaltung und Management 17. Jg., Heft 2, 2011, S. 104–112, doi:10.5771/0947-9856-2011-2-104 Weblinks Informationen der Schader-Stiftung zur Daseinsvorsorge () Begriffserklärung auf den Seiten der kommunalpolitischen Infothek der Heinrich-Böll-Stiftung Glossar zum Thema Daseinsvorsorge auf den Seiten den SPD-Bundestagsfraktion Thomas Fuchs: Auf dem Weg zu einer neuen Konzeption der kommunalen Daseinsvorsorge. 2005, (PDF-Datei; 114 kB). Abgerufen am 30. Juli 2015. Einzelnachweise Kommunalrecht (Deutschland) Verwaltungswissenschaft Wirtschaftspolitik Öffentliche Wirtschaft
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https://de.wikipedia.org/wiki/Winnipeg
Winnipeg
Winnipeg [] ist die Hauptstadt der kanadischen Provinz Manitoba und zugleich deren mit Abstand größte Stadt. Sie zählte im Jahr 2016 über 705.244 Einwohner, die Metropolregion rund 778.489. Damit ist Winnipeg die siebtgrößte Stadt in Kanada. Der Name leitet sich vom 55 Kilometer nördlich gelegenen Winnipegsee her; „win“ bedeutet in der lokalen Cree-Sprache schlammig und „nipee“ Wasser. Bekannt als Gateway to the West (Tor zum Westen), ist Winnipeg ein Eisenbahn- und Verkehrsknotenpunkt mit einer diversifizierten Wirtschaft. Die Stadt ist multikulturell und Heimat mehrerer Sportvereine, wie z. B. die Winnipeg Jets, die Winnipeg Blue Bombers und die Winnipeg Sea Bears. Winnipeg war 1967 erster kanadischer Gastgeber der Panamerikanischen Spiele. Die Stadt ist bekannt für zahlreiche jährliche Festivals, darunter das Winnipeg Folk Festival. Geographie Winnipeg liegt in der Nähe des geographischen Zentrums Nordamerikas am Zusammenfluss von Red River und Assiniboine River, einem Überschwemmungsgebiet, das durch den Red River Floodway, eine bei Hochwasser aktivierte Umleitung, vor Überflutungen geschützt wird. Stadtbild und Gliederung Winnipeg liegt im Tal des Red River, das kaum Hügel aufweist. Das Gleiche gilt für das Stadtgebiet. Es weist vier Flussläufe auf, den Red River, den Assiniboine, den La Salle und den Seine River. 230 Neighbourhoods gliedern die Provinzhauptstadt. Kernbereich und Ausgangspunkt des städtischen Wachstums ist bzw. war Downtown Winnipeg im Bereich von Portage Avenue und Main Street. Von hier aus weisen die Ausfallstraßen strahlenförmig in alle Richtungen. Die Fläche der Innenstadt beträgt ungefähr 2,5 Quadratkilometer. Das städtische Wachstum folgte weitgehend den beiden Hauptflüssen. Das urbanisierte Gebiet umfasst ein Gebiet von 25 × 20 Kilometern, weist jedoch erhebliche unbebaute Flächen auf. Die beiden bedeutendsten Parks sind der Assiniboine Park und der Kildonan Park. Die hauptsächlichen Zentren der Vergnügungs- und Kulturindustrie liegen im Exchange District, in The Forks, Osborne Village, Little Italy, in der Sargent und der Ellice Avenue (West End) und Old St. Boniface, dem französischen Quartier. Als The Forks wird die Stelle bezeichnet an dem der Assiniboine River in den Red River einmündet und wurde am 18. Mai 1974 zur National Historic Site of Canada erklärt. Der Zusammenfluss und die umgebende Kulturlandschaft zeugen dabei von sechstausend Jahren menschlicher Aktivität als Treffpunkt, Handelsplatz und Siedlung. Klima Die Stadt ist durch Kontinentalklima geprägt, hat heiße Sommer und ist im Winter eine der kältesten Städte der Welt. Während fünf Monaten des Jahres liegen die Durchschnittstemperaturen unterhalb des Gefrierpunktes. Geschichte Frühgeschichte Paläo-Indianer Manitoba wurde zwar nach dem Ende der letzten Eiszeit von indianischen Gruppen besiedelt, doch die Schmelzwässer des riesigen Eisblocks, der den überwiegenden Teil der Provinz bedeckte, bildeten zwischen 10000 und 6000 v. Chr. den sogenannten Agassizsee, der auch das Gebiet des heutigen Winnipeg bedeckte. Die Westliche Plano-Kultur um 8000 bis 4500 v. Chr. bediente sich bei der Jagd bereits der Buffalo Jumps, bei denen Bisonherden über Klippen getrieben wurden, um sie leicht erlegen zu können. Wichtige Fundstellen dieser Kultur liegen westlich von Winnipeg im Tal des Swan River. In der jüngeren Phase dieser Kultur, dem Sister Hills Complex, folgten Menschen dem sich zurückziehenden Südufer des Agassiz-Sees nordwärts. Der Nomadismus wurde durch einen Turnus saisonaler Wanderungen abgelöst, die von Jagd- und Vegetationszyklen abhingen. Zwischen 6000 und 4000 v. Chr. dehnten sich die Wälder während einer Warmphase nordwärts aus, bis zu 300 Kilometer jenseits der heutigen Waldgrenze. Die als Nördliche Plano-Kultur bezeichnete Gruppe kam wohl um 8500 v. Chr. aus Saskatchewan und dehnte ihre Wanderungen ostwärts aus. Das Östliche Plano reichte vom Agassiz-See bis zum Oberen See. Sein Hauptfundort liegt am Caribou Lake nordöstlich von Winnipeg. Es war eine Kultur, die stärker an Wälder angepasst war. Steinringe, die ehedem der Befestigung von Zelten dienten, gehören zu den ältesten Relikten. Archaische Phase bis etwa Christi Geburt Innerhalb der Archaischen Phase werden eine jüngere und eine ältere Phase unterschieden, mit einem Übergang um 3500 v. Chr. Es entstanden neue Jagdtechniken, wie die Speerschleuder (Atlatl), gleichzeitig verdrängte das heutige Bison bison das Bison antiquus mit seinen längeren Hörnern. Erstmals lassen sich Grabbeigaben nachweisen. Funde der Logan Creek und Mummy Cave Complexes weisen auf Einwanderung von Westen und Süden her. Der Oxbow Complex dominierte im Südwesten, doch fanden sich auch Artefakte am Winnipegsee. Die Gruppen bestanden wohl aus 40 bis 60 Individuen. Eine der wichtigsten Stätten dieses Komplexes ist Kuypers Site am Ufer des Assiniboine River. Auch Ausläufer des McKean Complex aus Wyoming, die auf heiß-trockenem Klima basierte, fanden sich an der Kuypers Site. Anscheinend war pflanzliche Nahrung bei ihnen von geringerer Bedeutung, dafür wurden auch Reptilien gejagt. Der Pelican Lake Complex weist deutliche Unterschiede auf und deutet auf die Zuwanderung neuer ethnischer Gruppen hin. So wurden die Toten in Vertiefungen beigesetzt, Knife River Flint wurde bevorzugt und durch Fernhandel erworbene Grabbeigaben. Woodland von 200 v. Chr. bis 1750 Unter den Funden am Wanipigow Lake gut 200 Kilometer nordöstlich von Winnipeg fanden sich Tonscherben, die zu den ältesten in der Provinz gehören. Diese als Laurel bezeichnete Schicht datiert etwa auf ein Alter von 2000 Jahren; sie basierte weniger auf Graslandschaften als auf Wäldern und Fischerei. In dieser Zeit wurde hier erstmals wilder Reis gepflanzt. Während der Woodland-Periode entstanden Tonwaren, Mounds wurden errichtet, Pfeil und Bogen verdrängten den Atlatl und Mais, Kürbis und Bohnen veränderten die Lebensweise so stark, dass von zunehmender Sesshaftigkeit ausgegangen wird. Dabei behielt die Jagd in den Randbereichen der Kultur ihre Bedeutung bei, während sie in den Kernbereichen fast verschwand. Auch hier wird eine frühe von einer späten Phase unterschieden, deren zeitliche Grenze man um 800 sieht. Die Kultur des Mississippi, vor allem Cahokia, und aus Ohio wirkten bis weit nach Manitoba hinein. Die Arden Camp Site stellt den nördlichsten Mound der Provinz dar. Er liegt westlich von Winnipeg. Am Stott Mound bei Brandon fand man Feuersteine vom Knife River in Dakota. Die Stelle wurde seit spätestens 800 n. Chr. genutzt. Die Spätere Plain-Woodlands-Phase ist durch Gartenbau gekennzeichnet, sowie durch Wildreis. Die Lockport Site am Ostufer des Red River zeigt den Anbau von Mais, dazu Vorratshaltung. Tontöpfe weisen auf Kontakte bis nach Dakota und Minnesota hin (Psinomani-Kultur). Erst um 1500 wurde die Stelle aufgegeben, da es zu kalt wurde. Möglicherweise brachte zwischen 800 und 1400 die Westwanderung der Ojibway einen eigenen Stil bei der Tonverarbeitung mit, der als Blackduck Phase bekannt ist. Erste Europäer, Pelzhandelsgesellschaften Im Gegensatz zu den Cree, die sich als Pelztierjäger den europäischen Handelskompanien anboten, veränderten die späten Taltheilei-Leute und ihre Nachkommen, die Dene, ihre Lebensweise kaum. Die beiden Gruppen lebten aber nicht nur sehr unterschiedlich, sondern sie bekriegten sich auch häufig. 1738 wurde in der Gegend des heutigen Winnipeg ein erster Handelsposten, Fort Rouge, gegründet, später jedoch wieder aufgegeben. Im Kampf der Hudson’s Bay Company (HBC) und der North West Company um die Vorherrschaft im Fellhandel entstanden erneut Handelsposten in der Region. Fort Garry wurde 1809 von der North West Company unter dem Namen Fort Gibraltar am Zusammenfluss des Assiniboine und des Red River, der als The Forks bekannt war, gegründet. 1816 wurde es im Pemmikan-Krieg, der sich von 1815 bis 1820 hinzog, zerstört. Als mit der Fusion der beiden rivalisierenden Unternehmen 1821 die Auseinandersetzungen endeten, wurde Fort Garry in der heutigen Innenstadt von Winnipeg, Zentrum des Pelzhandels in den umgebenden Gebieten der Red-River-Kolonie. 1826 wurde Fort Garry durch eine Überschwemmung zerstört und 1836 unter dem Namen Upper Fort Garry, zur Unterscheidung von Lower Fort Garry an der Mündung des Red River in den Winnipegsee, wiederaufgebaut. Um das Fort siedelten Métis, die Büffel jagten und daraus hergestellten Pemmikan an die Hudson’s Bay Company verkauften. Darüber hinaus betrieben sie in kleinem Stil auf Farmen nach dem Seigneurial System Landwirtschaft an den Flussufern (river lot). 1855 entstand das erste Postgebäude, das heutige Ross House Museum, durch William und Jemima Ross. Der Council of Assiniboia hatte 1851 William Ross, den Sohn von Alexander Ross zum Sheriff und Postmeister gemacht. Er erfüllte letztere Funktion in seinem eigenen Haus, das er für 252 Pfund hatte errichten lassen. In Ermangelung von Briefmarken signierte er insgesamt 2912 Briefe mit „Red River, B.N.A.“ (British North America). Erst an den Zielorten, wie Pembina, wurden die Briefe abgestempelt. Ross verdiente damit 5 Pfund pro Jahr, doch er starb bereits 1856. Seine Witwe heiratete zwei Jahre später William Coldwell, den Mitherausgeber der ersten Zeitung Red Rivers, des Nor Wester. Williams Bruder James übernahm nach seiner Rückkehr den Vorstand der Familie und wurde zum Sprecher der englischsprachigen Bevölkerung der Kolonie, wie Louis Riel Sprecher der französischsprachigen war. Übergang von der HBC an Kanada 1869 erwarb die Canadian Dominion von der HBC Ruperts Land, zu dem auch die Red River Kolonie gehörte. Als Landvermesser zur Absteckung von Arealen für Neusiedler aus Ontario 1870 an den Red River geschickt wurden, fürchteten die Métis um ihre Landrechte, erhoben sich in der Red-River-Rebellion unter Louis Riel und strebten als Provisorische Regierung die Aufnahme in die Canadian Dominion an. Hauptort wurde Upper Fort Garry, wie es zuvor Sitz des Rates von Assiniboia gewesen war. Verhandlungen der Provisorischen Regierung mit der Zentralregierung in Ottawa führten zu einer grundlegenden Vereinbarung, dem Manitoba Act, mit dem die Ansprüche der Métis weitgehend anerkannt wurden. Allerdings wurde ihrem Führer Riel eine Amnestie für die von ihm angeführte Rebellion verweigert. Am 8. November 1873 wurde die Stadt Winnipeg auf Grundlage des Manitoba Act in der Umgebung von Upper Fort Garry gegründet, doch folgten die meisten Métis den schwindenden Büffelherden nach Westen, weshalb bis in die 1880er Jahre nur wenige der ursprünglichen Bewohner in der neuen Stadt zurückblieben. Das zunächst sehr kleine, als „Briefmarken-Provinz“ verspottete Manitoba wurde bis 1912 auf seine heutige Ausdehnung erweitert. John Norquay, Premierminister von 1878 bis 1887, war ein Angehöriger der englischsprachigen Métis aus der Red-River-Kolonie. Er versuchte Sprach-, Herkunfts- und konfessionelle Auseinandersetzungen zu schlichten. Währenddessen versechsfachte sich die Bevölkerung der Provinz von 1871 bis 1891 von 25.228 auf 152.506. Die Zuwanderer waren meist Briten und sie gerieten in Konflikt mit den katholischen und französischsprachigen Métis. Um Ackerland für sie zu gewinnen, zwang man die Indianer mit den Numbered Treaties, ihr Land abzugeben und in Reservate zu ziehen. Der erste dieser insgesamt elf Verträge betraf die Region Winnipeg und wurde am 3. August 1871 geschlossen. Betroffen waren die Chippewa and Swampy Cree Tribes of Indians, also die Stämme der Brokenhead Ojibway Nation mit heute 1707 staatlich anerkannten Angehörigen, der Fort Alexander (6951) (heute Sagkeeng First Nation), der Long Plain (über 3500), Peguis (8701), Roseau River Anishinabe (2255), der Sandy Bay (5636) und der Swan Lake (1218), insgesamt über 30.000 Angehörige der heutigen First Nations. Eisenbahnverbindungen Erster Bürgermeister (Mayor) wurde im Januar 1874 Francis Evans Cornish, ihm folgte William Nassau Kennedy. Alexander Logan, mehrfach Mayor in den Jahren 1882–84, setzte sich dafür ein, dass die Eisenbahnverbindung durch Winnipeg führte. Dazu bot er Steuerbefreiungen und Landschenkungen an. Gegen die zunehmende wirtschaftliche Anbindung an die USA entstand die Canadian Pacific Railway. Zugunsten dieser Bahnverbindung behinderte Norquay zunächst jeglichen privaten Eisenbahnbau. Hingegen vertrat die Manitoba Liberal Party die Interessen von Siedlern und Unternehmern, die am Export Richtung Süden interessiert waren. Als Norquay 1887 den Ausbau der Red River Valley Railroad von Winnipeg Richtung US-Grenze förderte, stellte sich der kanadische Premierminister gegen Norquay. Die Weizenausfuhr wurde durch die Eisenbahnverbindung nach St. Paul in Minnesota erleichtert. Mit der Fertigstellung der CPR, also der innerkanadischen West-Ost-Verbindung, im Jahr 1886 wurde Winnipeg zu einem wichtigen Verladezentrum an der ersten transkontinentalen Eisenbahn. Es wurde zur viertgrößten Stadt Kanadas, in der die anglikanisch-britische Mehrheit dominierte und versuchte, das französische Erbe auszulöschen. 1910/11 begann der Bau einer Eisenbahnverbindung von Winnipeg nach Churchill durch die Hudson Bay Railway. Industrialisierung Der Anteil der ländlichen Bevölkerung verminderte sich bald zugunsten der Industriearbeiterschaft. Doch ihre Löhne fielen gegenüber denen anderer Beschäftigter zurück und so begann am 15. Mai 1919 der Winnipeg-Generalstreik, der bis zum 25. Juni dauerte. Beim gewaltsamen Eingreifen der Bundespolizei am 21. Juni, dem „Bloody Saturday“, wurden dreißig Menschen verletzt, einer getötet. Mayor Charles Frederick Gray tauschte einen Teil der Polizei aus, um den Streik zu unterdrücken. Schon Bürgermeister Thomas Sharpe, der gewaltsam gegen Streikende der Winnipeg Electric Railway Company vorgegangen war, hatte sich 1906 den Beinamen „Gatling Gun Sharpe“ eingehandelt, nach der Gatling Gun. Auch spätere Bürgermeister, wie Ralph Humphreys Webb, der das Amt 1925–28 und 1930–34 innehatte, verlangte während des Streiks, man solle „die ganze Bande im Red River versenken“. Bei einem anderen Streik 1931 verlangte er die Deportation der Agitatoren. Die Zuwanderung in die Stadt wurde durch die Weltwirtschaftskrise und mehrere Dürrejahre weiter verstärkt. Diese Tendenz wurde durch den Zweiten Weltkrieg mit seiner sprunghaft ansteigenden Nachfrage nach Rohstoffen, Agrarprodukten und vor allem industriellen Gütern noch verstärkt, vor allem im Raum Winnipeg. Am 19. Februar 1942 wurde der If Day, die Simulation eines deutschen Überfalls auf die Stadt, veranstaltet. Um Winnipeg vor den Überflutungen des Red River zu schützen, die 1950 besonders heftig waren, ließ Premierminister Dufferin Roblin den Red River Floodway bauen, der noch heute als Duff's Ditch bezeichnet wird. Er sollte die Hauptstadt vor Überschwemmungen schützen. Der Bürgermeister Garnet Coulter (1943–54) gründete einen Fonds zum Ausgleich der Schäden, den Manitoba Flood Relief Fund. Unity Act, Zweisprachigkeit, eigenständige Energiepolitik 1969 gewann die NDP unter Edward Schreyer die Wahl. Er setzte Winnipegs heutige Konstitution 1971 durch, den Unity Act. Die heutigen Stadtteile St. James-Assiniboia, St. Boniface, Transcona, St. Vital, West Kildonan, Ost Kildonan, Tuxedo, Alt Kildonan, Nord Kildonan, Fort Garry und Charleswood wurden mit der ursprünglichen Gemeinde Winnipeg zusammengefasst. Um eine Zersiedlung zu vermeiden, beschränkte die Stadtverwaltung das Bauen auf ein klar abgegrenztes Gebiet. 1979 setzte der Oberste Gerichtshof den Manitoba Act von 1870 wieder in Kraft, womit die offizielle Zweisprachigkeit der Provinz nach fast neunzig Jahren wiederhergestellt wurde. Seit 1882 ist durch Beschluss des Justizkomitees des Privy Council die Provinz in den Bereichen Bodenschätze, Eigentum, Bürgerrechte, Bildung, Wohlfahrt und Gesundheit beinahe souverän. Manitoba hat eine lokale Wirtschaftselite in Winnipeg, die eine eigene Politik verfolgt. 2004 entstand bei St. Leon 150 Kilometer südwestlich von Winnipeg, auf einem Hügel, dem Pembina Escarpment, der erste Windpark Manitobas auf einer Fläche von 9000 Hektar; er liefert 99 Megawatt aus 63 Windkraftanlagen und versorgt damit bis zu 35.000 Haushalte mit Strom. Im September 2007 verhinderte Premierminister Gary Doer die Abholzung wertvollen Waldes für eine Stromleitung, die stattdessen westlich des Winnipegsees entstand. Mit Susan Thompson wurde 1992 erstmals eine Frau Bürgermeister, sie regierte bis 1998. Winnipeg wählte mit Sam Katz 2004 seinen ersten jüdischen Bürgermeister. Er wurde am 25. Oktober 2006 mit mehr als 60 Prozent der Stimmen wiedergewählt. 2008 übernahm er die Position eines Secretary of Urban Aboriginal Affairs. Zusammen mit David Chartrand, dem Präsidenten der Manitoba Métis Federation (MMF) initiierte er ein Programm, das über mehr Beteiligung und bessere Berufsausbildung das Zugehörigkeitsbewusstsein der Métis und der Angehörigen der First Nations und Inuit steigern soll, die über 10 Prozent der Bevölkerung ausmachen (‚It’s My Community Too‘). Bevölkerung Winnipeg hatte 2021 749.607 Einwohner, etwa 55 Prozent der Gesamtbevölkerung Manitobas. Zwischen 2011 und 2021 nahm die Bevölkerung von Winnipeg um 85.990 Einwohner zu. Winnipegs jährliche Wachstumsrate liegt seit 1971 bei 0,5 Prozent. Der Großteil des Wachstums wird durch Wanderungsbewegungen von nahegelegenen dünn besiedelten Gegenden, Indianerreservaten und durch das Ausdehnen der Stadtgrenze auf benachbarte Städte generiert. Minderheiten Einst Kanadas viertgrößte Stadt, hinkte das Bevölkerungswachstum von Winnipeg seit den 1970ern hinterher, was zur Folge hatte, dass die Stadt 2004 nur noch an zehnter Stelle stand. In Winnipeg leben 12.7 Südostasiaten, 12.4  Prozent Ureinwohner, 8.5 Prozent Südasiaten, 5.5 Prozent Afrikaner, 4 Prozent Ostasiaten, je 1 Prozent Mittelöstlicher und Lateinamerikaner sowie 2 Prozent sonstige Minderheiten. Religionen und Konfessionen Nach der Volkszählung von 2001 waren von den 610.445 Einwohnern rund 445.000 Christen. Davon waren 214.235 Protestanten, 199.025 Katholiken, 10.280 Orthodoxe und weitere 21.725 gehörten anderen Konfessionen an. Winnipeg beherbergt die weltweit größte Ansiedlung von Mennoniten bzw. Russlandmennoniten. Hinzu kamen 12.555 Juden, die größte jüdische Diaspora Kanadas, 5335 Buddhisten und 5285 Sikh, 4690 Muslime, 3605 Hindus. 130.740 waren konfessionslos. Von den nichtchristlichen Bevölkerungsteilen lebten jeweils weit über 90 Prozent der gesamten Provinzbevölkerung in der Hauptstadt. Winnipeg ist Sitz des Erzbistums Winnipeg. Wirtschaft und Infrastruktur Wirtschaft Winnipeg ist ein wichtiger Wirtschaftsstandort in der Provinz auch für die unmittelbar benachbarten Gemeinden und Vororte. In Winnipeg haben sich viele Unternehmen verschiedener Wirtschaftsbereichen angesiedelt. Die größten Wirtschaftsbereiche der Stadt sind Unternehmen der Finanzdienstleistungsbranche, Produktionsgewerbe, Einzelhandel und das Tourismusgewerbe. Im Juli 2010 waren etwa 409.500 Menschen in Winnipeg und den angrenzenden Vororte direkt angestellt. Zu den größten Arbeitgebern in der Stadt gehören: mehrere Städtische Einrichtungen und die University of Manitoba, Gesundheitseinrichtungen und Krankenhäuser und Manitoba Hydro. In den städtischen Einrichtungen sind 54.000 Menschen beschäftigt. Zu den größeren privaten Unternehmen gehören u. a.: Shaw Cablesystems, Manitoba Telecom Services, Ipsos, Palliser Furniture, Canada Life, Motor Coach Industries, New Flyer Industries, Boeing Canada, Bristol Aerospace, Nygård International und Royal Canadian Mint. Bildung Es gibt sieben sogenannte school divisions in Winnipeg. Diese sind die Winnipeg, die St. James-Assiniboia, die Pembina Trails und die Seven Oaks School Division, dann die Division Scolaire Franco-Manitobaine, die River East Transcona und die Louis Riel School Division. Hinzu kommen private Schulen, die nicht den school divisions zugeordnet sind. Die University of Manitoba, UM, ist die größte Universität der Provinz und die einzige Forschungsuniversität. Sie gehört seit 2011 zur kanadischen Vereinigung der Forschungsuniversitäten, der U15 Group of Canadian Research Universities. Sie wurde 1877 gegründet. 2009 hatte sie rund 26.000 Studenten und beschäftigte 8000 Mitarbeiter. Die Université de Saint-Boniface ist organisatorisch ein Teil der UM, sie nimmt vor allem französischsprachige Studenten auf. Die University of Winnipeg wurde noch einige Jahre früher gegründet. 1871 entstand das Manitoba College, 1888 das Wesley College. Sie wurden 1938 vereint und das neue Institut hieß nun United College. Bis 2007 war es nur für Undergraduates zuständig, war also nur berechtigt, die Studierenden zu einem ersten universitären Abschluss zu führen. Sie gründete ein eigenes Aboriginal Student Services Centre für die Angehörigen der First Nations und der Métis. Es soll nicht nur den Ureinwohnern an der Universität dienen, sondern auch die Kontakte zu den oftmals abgelegenen Gemeinden stärken. Die Canadian Mennonite University entstand 1999 und ist eine private Universität der Mennoniten mit rund 1600 Studierenden. Auch hier wurden Colleges zusammengelegt, nämlich das Canadian Mennonite Bible College von 1947, das Concord College, das 1944 als Mennonite Brethren Bible College entstanden war, und das Menno Simons College von 1988, deren Namensgeber Menno Simons (1496–1561) war. Das Red River College und das Booth College sind unabhängige Colleges. Das Booth College ist eine Einrichtung der Heilsarmee die 1982 entstand. Darüber hinaus befindet sich in der Stadt eines der wichtigsten Archive Kanadas, das Archiv der Hudson’s Bay Company. Es zog zwischen 1970 und 1974 von London nach Winnipeg um und ist seit 1995 öffentlich zugänglich. Medien Die erste Zeitung in Winnipeg und damit in der Provinz wurde 1872 unter dem Namen Manitoba Free Press gegründet. Unter dem heutigen Namen Winnipeg Free Press ist sie das einzige Blatt der Gründungsphase zwischen 1859 und 1890, das noch heute existiert. Die erste Ausgabe brachten William Fisher Luxton and John A. Kenny am 30. November 1872 heraus. Sie entstand in einer Hütte in 555 Main Street. Als Wochenblatt etablierte sich der Prairie Farmer. Nach mehreren Umzügen zog die Zeitung 1913 in die 300 Carlton St., wo sie bis 1991 residierte. Heute ist die 1355 Mountain Avenue der Hauptsitz. Die Winnipeg Tribune bestand ab 1890, wurde jedoch 1980 eingestellt. Im selben Jahr wurde die Winnipeg Sun gegründet. Neben den ganzen Printmedien betreiben die größeren Sendeanstalten wie CTV, CBC, Global TV mehrere lokale Sendestudios in der Stadt. Des Weiteren befinden sich mehrere Hörfunksender wie u. a. Hot 103.1FM in Winnipeg. Öffentliche Einrichtungen Für die öffentliche Sicherheit ist die Winnipeg Police Service mit rund 1400 Beamten und 400 Zivilangestellten zuständig. Diese verfügen über fünf Polizeiwachen, die für fünf Bezirke zuständig sind. Des Weiteren hat die Bundespolizei RCMP eine Dienststelle in Winnipeg. Das Winnipeg Fire Paramedic Service ist für Brandbekämpfungen und medizinische Erstversorgung zuständig und unterhält rund 27 Feuerwehrstützpunkte mit medizinischen Fachpersonal, sowie vier weitere Rettungswachen. Winnipeg verfügt über zehn Krankenhäuser, darunter das Health Sciences Centre, Concordia Hospital, Deer Lodge Centre, Grace Hospital, Misericordia Health Centre, Riverview Health Centre, Saint Boniface General Hospital, Seven Oaks General Hospital, Victoria General Hospital und das The Children's Hospital of Winnipeg. Diese Krankenhäuser sind in der Regel auch für außerhalb von Winnipeg lebende Menschen zuständig, in deren kleineren Städten kein Krankenhaus vorhanden ist. Das National Microbiology Laboratory ist das kanadische Seuchenbekämfpungszentrum, welches zu den nur eine Handvoll von weltweiten Sicherheitszentren angehört, die den höchsten Sicherheitslevel 4 entspricht. Das National Research Council betreibt das Institute for Biodiagnostics laboratory, das sich in der Innenstadt befindet. Kultur und Sehenswürdigkeiten Innenstadt In Winnipeg gibt es mehrere Einkaufszentren. Das größte Einkaufszentrum in Winnipeg mit mehr als 200 Einkaufsgeschäften, Restaurants, Cafés und Bars ist das Polo Park. Weitere größere Einkaufszentren sind das Cityplace, das Garden City Shopping Centre und das Grant Park Shopping Centre. Parkanlagen In Winnipeg befinden sich mehrere Parkanlagen mit ausreichenden Grünflächen, die zum Erholen und Entspannen einladen. Der größte Park, der sich mitten in der Innenstadt Winnipegs befindet, ist der Central Park. Der Park befindet sich zwischen der Notre Dame Avenue und der Elice Avenue sowie der Donald Street und Balmoral Street. Im Park befinden sich mehrere historische Denkmäler und Gedenkstätten. Im Sommer werden verschiedene Veranstaltungen auf dem Parkgelände veranstaltet. Im südlichen Stadtteil befindet sich der Kings Park, der sich auf der westlichen Seite des Red River befindet. Es beherbergt einen Japanischen Garten, Fußball- sowie Baseballplätze. Ein weiterer Erholungspark befindet sich in Winnipeg Beach. Dieser liegt am Lake Winnipeg, in dem auch geschwommen werden kann. Der Park befindet sich rund 55 Kilometer nördlich von Winnipeg. Theater In Winnipeg befinden sich mehrere größere Theater und andere Unterhaltungseinrichtungen. Die Centennial Concert Hall, das Manitoba Theatre Centre (MTC) und das Pantages Playhouse befinden sich direkt in der Innenstadt. Das MTC ist Kanadas ältestes englischsprachige regionale Theater mit über 250 Veranstaltungen pro Jahr. Das Pantages Playhouse Theatre wurde im Jahre 1913 eröffnet. Das Le Cercle Molière, welches sich in St. Boniface befindet, ist das älteste Theater-Unternehmen in Kanada. Das französischsprachige Theater, das im Jahre 1925 gegründet wurde, bezog im Jahre 2010 ein neues Gebäude. Weitere Theater sind das Burton Cummings Theatre und das Winnipeg Jewish Theatre (WJT), in dem vorwiegend jüdische Aufführungen stattfinden. Kunst und Museen In Winnipeg befinden sich mehrere Museen. Das Manitoba Museum ist das größte Museum in der Stadt und verfügt über mehrere Ausstellungsstücke, die sich auf die Geschichte der Provinz und der Stadt beziehen. Die Winnipeg Art Gallery ist Kanadas älteste öffentliche Gallery, die im Jahr 1912 eröffnet wurde. Ein weiteres Museum ist das Western Canada Aviation Museum, welches sich auf dem James Richardson International Airport befindet. Es verfügt über Ausstellungsstücke von Zivil- und Militärflugzeugen, darunter den Kanadas ersten Helikopter, Avrocar, Flugsimulatoren und eine Black Brant Rakete, die von Bristol Aerospace gebaut wurde. Ein Zugmuseum befindet sich am Via Rail Bahnhof und verfügt über mehrere Lokomotiven, darunter die Countess of Dufferin, die erste Dampflokomotive in West Kanada. In Winnipeg wurde im September 2014 das vom US-amerikanischen Architekten Antoine Predock entworfene Kanadische Museum für Menschenrechte eröffnet. Es liegt nahe der Innenstadt in einem Bereich, in dem Red River und Assiniboine River zusammenfließen und der als The Forks bezeichnet wird. Baubeginn des Museums war im Frühjahr 2009, die Fertigstellung war ursprünglich ein Jahr früher vorgesehen. Sport Sportteams Die Winnipeg Jets sind ein Eishockeyteam in der NHL. Das Franchise ist seit 2011 in Winnipeg beheimatet und ging aus den Atlanta Thrashers hervor, nachdem sie an eine kanadische Investorengruppe verkauft worden waren. Von 1979 bis 1996 hatte die Stadt Winnipeg bereits ein NHL-Eishockeyteam mit dem Namen Winnipeg Jets. Die Jets spielten zuvor sieben Jahre in der 1979 aufgelösten WHA. Außer dem Namen bestehen jedoch keine Gemeinsamkeiten zum aktuellen NHL-Franchise. Die Manitoba Moose sind ein Eishockeyteam in der zweitklassigen AHL. Die Winnipeg Blue Bombers sind ein Footballteam in der CFL. Verkehr Winnipeg ist betrieblicher Mittelpunkt des von VIA Rail Canada betriebenen transkontinentalen Fernverkehrszuges The Canadian, der die Stadt mit Saskatoon, Edmonton, Jasper, Vancouver und Greater Sudbury–Toronto sowie dem übrigen nordamerikanischen Eisenbahnnetz verbindet. Darüber hinaus ist Winnipeg Ausgangspunkt des Fernverkehrszuges The Hudson Bay, der etwa 1700 Kilometer weit in den Norden Manitobas bis nach Churchill fährt. In und um Winnipeg ist die Eisenbahngesellschaft Cando Rail im Schienengüterverkehr aktiv. Fernlinienbusse verbinden Winnipeg unter anderem mit Sioux Falls in den USA. Die Stadt liegt am Trans-Canada Highway und beheimatet den Winnipeg International Airport inklusive der CFB Winnipeg. Für den Personennahverkehr ist Winnipeg Transit zuständig, das rund 80 Linien betreibt und auch für die Vororte zuständig ist. Unter Bürgermeister George Sharpe (1955–56) wurden die Streetcars, eine Art Straßenbahnen, abgeschafft, was Sharpe für einen großen Gewinn für den Fortschritt der Stadt hielt. Städtepartnerschaften Winnipeg unterhält Städtepartnerschaften mit folgenden elf Städten auf: Persönlichkeiten Siehe auch Liste der Hochhäuser in Winnipeg Literatur Esyllt W. Jones: Influenza 1918: Death, Disease and Struggle in Winnipeg. University of Toronto Press 2007. Esyllt W. Jones, Gerald Friesen: Prairie Metropolis. New Essays on Winnipeg Social History. University of Manitoba Press 2009. Weblinks Offizielle Website der Stadt Einzelnachweise Ort in Manitoba Kanadische Provinzhauptstadt Hochschul- oder Universitätsstadt in Kanada
Q2135
234.294055
20488
https://de.wikipedia.org/wiki/Daressalam
Daressalam
Daressalam (Swahili und englisch Dar es Salaam; von ), umgangssprachlich oft nur kurz Dar oder DSM, ist die größte Stadt sowie wirtschaftliches und kulturelles Zentrum Tansanias. Daressalam war bis 1974 Hauptstadt und ist bis heute Regierungssitz sowie lutherischer und römisch-katholischer Bischofssitz. Mehrere Universitäten sind in Daressalam ansässig, des Weiteren befindet sich hier der größte Hafen des Landes. Geographische Lage Die Stadt liegt im Osten von Tansania am Indischen Ozean. Der küstennahe Stadtbereich befindet sich auf einer Karbonatplattform aus pleistozänem Riffkalk, die zwischen 10 und 20 m über dem Meeresspiegel liegt. Das Stadtzentrum mit den Hafenanlagen entstand an einer halbkreisförmigen Küstenlinie an der zum Meer gelegenen Mündung des Mzinga-Flusses. Die Einfahrt in das Ästuar ist nur etwa 128 m breit. Geschichte Ab 1862 begann der Sultan von Sansibar, Sayyid Mâdjid, mit dem Ausbau des Dorfes Msisima; er wollte seine Residenz auf das Festland verlegen, gab dem Ort den Namen Dar as-Salâm (arab. Haus des Friedens) und begann mit dem Bau eines Palastes, der allerdings bis zu seinem Tode 1870 noch nicht vollendet war. Sein Nachfolger Sayyid Barghash gab das Projekt auf, ließ aber seine Plantagen in der Nähe der Stadt bewirtschaften. 1888 verpachtete Sultan Sayyid Khalîfa Daressalam zusammen mit der gesamten Küste des heutigen Tansania an die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG). August Leue wurde von der DOAG mit dem Aufbau einer Station beauftragt. Am 28. Oktober 1890 verkaufte Sultan Sayyid ‘Alî Stadt und Küste. Ab 1890 hatte sich die Kolonialverwaltung im kleinen Küstenort Bagamoyo eingerichtet, doch dann wurde das rund 60 km weiter südlich gelegene Daressalam wegen seines Naturhafens für die Deutschen interessanter. Nur ein Jahr später bezog 1891 die deutsche Kolonialverwaltung von Deutsch-Ostafrika in Daressalam ihren Sitz. Auch Truppenteile der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika waren in Daressalam stationiert. Die St.-Josefs-Kathedrale des katholischen Erzbistums Daressalam wurde zwischen 1897 und 1902 errichtet, die evangelisch-lutherische Azania-Kathedrale 1898. Am 1. Oktober 1897 wurde das erste große Regierungskrankenhaus, das Ocean-Road-Krankenhaus (seit 1996 „Ocean Road Cancer Institute“), eröffnet. Im November 1902 wurde ein Schwimmdock in Betrieb genommen, das deutschen und ausländischen Schiffen weite Wartungsfahrten bis nach Indien ersparte. Im Jahr 1909 weihte man in der Stadt das Wissmann-Denkmal ein, dessen Plastik eine Arbeit des Bildhauers Adolf Kürle ist. Es wurde später demontiert und über Großbritannien nach Deutschland zurückgebracht. Bis zur Einnahme der Stadt durch die Alliierten 1916 war Daressalam im Ersten Weltkrieg 28 Mal das Ziel von Bombardierungen durch britische Schiffsgeschütze und Fliegerangriffe. Die verursachten Schäden waren jedoch gering. Ab 1920 übernahm die Mandatsregierung Stadt und Kolonie, bis 1961 die Unabhängigkeit erklärt wurde. Ab 1964 war es Hauptstadt Tansanias, bis diese 1974 offiziell nach Dodoma verlegt wurde. Allerdings verbleiben wichtige Regierungsfunktionen in Daressalam. Der südafrikanische Afrikanische Nationalkongress unterhielt in der Stadt eines seiner Hauptquartiere im Exil. Von hier übertrug er seit 1969 über die Anlagen des damaligen Radio Tanzania auf Kurzwelle das Programm seines Radio Freedom. Radio Tanzania gewährte als erste Radiostation diesem Programm eine Sendezeit. Am 7. August 1998 wurden bei einem Terroranschlag vor der US-Botschaft in Daressalam elf Menschen getötet. Die Botschaft wurde in der Zwischenzeit in den weniger belebten Stadtteil Msasani verlegt, wobei die Sicherheitsvorkehrungen verschärft wurden. Bevölkerung Ursprünglich war die Stadt besonders von Angehörigen der Ethnie Zaramo und, zu einem geringeren Teil, der Ethnien Ndengereko und Kwere bewohnt. Im Verlaufe der fortschreitenden Urbanisierung in manchen Teilen von Tansania leben heute Angehörige vieler Ethnien des Landes in der Stadt. Zwischen den Jahren 1967 und 1978 verdreifachte sich die Einwohnerzahl auf dann etwa 757.000 Menschen. Die Stadt ist seit 2015 in fünf Stadtteile gegliedert: 2016 lebten 1.528.489 Einwohner in Ilala, 1.164.177 in Kinondoni, 1.058.597 in Ubungo, 204.029 in Temeke und 1.510.129 Einwohner im südöstlichen Kigamboni. Etwa 64 % der Einwohner sind zwischen 15 und 64 Jahre alt, Kinder zwischen 0 und 14 Jahre stellen 33 % der Bevölkerung dar und nur 2 % der Einwohner sind älter als 65. Die Bevölkerungsdichte liegt bei 3100 pro km² und verteilt sich auf 1393 km². Auf der zum Stadtteil Kinondoni gehörenden Halbinsel Msasani leben die meisten Ausländer und Diplomaten. Mit einem erwarteten jährlichen Bevölkerungswachstum von 5,08 % im Durchschnitt ist Daressalam eine der am stärksten wachsenden Städte der Welt. Das rasante Wachstum ist eine große Belastung für die Infrastruktur der Stadt. Insbesondere die Müllentsorgung bleibt für die Stadt ein ungelöstes Problem. Religion Mit 61,4 % Zugehörigkeit gehört Großteil der Bevölkerung dem Christentum an. Dem Islam folgen weitere 35,2 %. 1,8 % folgen Ethnischen Religionen. Andere Religionen machen gerade einmal 0,2 % aus und 1,4 % fühlen sich keiner Glaubensgemeinschaft zugehörig. Wirtschaft und Infrastruktur Daressalam ist das wirtschaftliche Zentrum von Tansania. In der Stadt gibt es etwa 575 größere Industriebetriebe, die tansanische Zentralbank sowie Filialen nationaler, wie die auf Mikrokredite spezialisierte Dar es Salaam Community Bank, und internationaler Banken und Versicherungen. An der Dar es Salaam Stock Exchange werden die Aktien der wichtigsten tansanischen Unternehmen gehandelt. In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Daressalam im Jahr 2018 den 199. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit. Verkehr Der innerstädtische öffentliche Nahverkehr wird im Zentrum der Stadt durch Busse bestritten. Bis 2016 baute die Dar Rapid Transit Agency (DART) ein Nahverkehrssystem auf, das mit Bussen des chinesischen Herstellers Golden Dragon operiert. Die Hauptverkehrsstraßen sind gut ausgebaut. In den Randbereichen verkehren auch Minibusse, die sogenannten Dalla-Dalla. Der Hafen Daressalam ist von internationaler Bedeutung. Er gilt als der Hauptgüterumschlagplatz und das Einfallstor für Ost- und Zentralafrika. Unter anderem gibt es Fährverbindungen mit Schnellfähren nach Sansibar sowie regelmäßige Fährverbindungen nach Mombasa in Kenia. Die Tanzania Railways Corporation (TRC) verbindet Daressalam mit Mwanza im Nordwesten sowie mit Kigoma im Westen Tansanias. Die Tanzania Zambia Railways Authority (TAZARA) verbindet Daressalam mit Mbeya im Südwesten sowie mit Sambia und dem übrigen südlichen Afrika. 15 Kilometer südwestlich des Stadtzentrums liegt der internationale Mwalimu Julius K. Nyerere International Airport, von dem Flugverbindungen innerhalb des Landes sowie in andere afrikanische Länder, den Nahen Osten, Indien und Europa angeboten werden. Fernbusverbindungen gibt es zu zahlreichen nationalen Zielen sowie nach Nairobi und Mombasa in Kenia, nach Lilongwe in Malawi, nach Lusaka in Sambia und nach Kampala in Uganda. Bildung Die wichtigste Universität der Stadt ist die University of Dar es Salaam mit rund 12.000 Studierenden. Außerdem gibt es die Open University of Tanzania, die Hubert Kairuki Memorial University (HKMU), die Mwalimu Nyerere Memorial Academy (MNMA), die International Medical and Technological University (IMTU) sowie das Institute of Financial Management (IFM), das Dar es Salaam Institute of Technology (DIT), die Ardhi University Dar es Salaam (ARU), das College of Business Education (CBE) und das Institute of Social Work (Ustawi wa jamii). Partnerschaften Seit Sommer 2002 gibt es ein Partnerschaftsabkommen zwischen den Universitäten Dar es Salaam und Wien. Sport Das 2007 eröffnete Benjamin-Mkapa-Nationalstadion ist eine Mehrzweckarena und bietet 60.000 Besuchern Platz. Städtepartnerschaften Daressalam unterhält folgende Städtepartnerschaften: Hamburg, Deutschland Samsun, Türkei Yiwu, China Sāri, Iran Persönlichkeiten Der Schriftsteller Roald Dahl lebte von 1936 bis 1939 in Daressalam. Jane Goodall lebte ebenfalls dort und lehrte in den 1970er Jahren an der Universität von Daressalam. Söhne und Töchter der Stadt Bayume Mohamed Husen (1904–1944), afrikanisch-deutscher Soldat und Schauspieler Lore Grages (1906–nach 1933), deutsche Übersetzerin Gertrud von Hassel (1908–1999), deutsche Pädagogin und Malerin Raimund Schelcher (1910–1972), deutscher Schauspieler Heino von Damnitz (1934–2020), deutscher Maler und Zeichner Hunaina al-Mughairy (* 1948), omanische Diplomatin Leslie Scott (* 1955), Erfinderin des Gesellschaftsspiels Jenga Ronald Jumeau (* 1957), Journalist, Politiker und Diplomat David Adjaye (* 1966), britischer Architekt Marin Hinkle (* 1966), US-amerikanische Schauspielerin Claudia Jahnel (* 1967), deutsche evangelische Theologin Thomas Winter (* 1968), deutscher Polospieler Muhoozi Kainerugaba (* 1974), ugandischer Militär Abdallah Saleh Possi (* 1979), Diplomat Hasheem Thabeet (* 1987), Basketballspieler Mbwana Samatta (* 1992), Fußballspieler Klimatabelle Literatur Jürgen Becher: Dar es Salaam, Tanga und Tabora – Stadtentwicklung in Tansania unter deutscher Kolonialherrschaft (1885–1914) (= Missionsgeschichtliches Archiv, Band 3), Franz Steiner, Stuttgart 1997, ISBN 3-515-06735-3 (Dissertation HU Berlin, 1995, 193 Seiten, Illustrationen, graphische Darstellungen, Karton, 24 cm). Weblinks Universität von Daressalam (englisch) Börse von Daressalam (englisch) Einzelnachweise Ort in Afrika Ort in Tansania Ort mit Seehafen Millionenstadt Ehemalige Hauptstadt (Tansania) Hochschul- oder Universitätsstadt Deutsch-Ostafrika
Q1960
150.730786
38075
https://de.wikipedia.org/wiki/IsiXhosa
IsiXhosa
isiXhosa (, deutsche Aussprache: []), vereinfachend Xhosa genannt (isi- ist ein Singularpräfix, letztere sind in Bantusprachen für Nomen obligatorisch), ist die Sprache der Xhosa und eine der elf Amtssprachen in der Republik Südafrika, außerdem wird es auch in Botswana und Lesotho gesprochen. Es wird von etwa neun Millionen Menschen gesprochen. Nach isiZulu ist sie die zweithäufigste Muttersprache in Südafrika und wird von 15,43 Prozent (Stand 2015) der über 15-jährigen Bevölkerung als Muttersprache genutzt. Charakteristisch sind besonders die Schnalzlaute; auch der Name Xhosa beginnt mit einem Schnalzlaut. Er wird im internationalen phonetischen Alphabet wie folgt geschrieben: []. isiXhosa ist eine südöstliche Bantusprache der Nguni-Untergruppe, rund 15 Prozent des Vokabulars kommt jedoch aus den Khoisansprachen. Sie ist eng verwandt mit isiZulu, der Sprache der Zulu. Geschichte Der Name Xhosa kommt von einem legendären Häuptling. Die ethnische Gruppe, die isiXhosa spricht, bezeichnet sich selbst als die amaXhosa. Fast alle Sprachen mit Schnalzlauten sind Khoisan-Sprachen und das Vorhandensein dieser Schnalzlaute verrät die engen historischen Verbindungen mit den Khoisan-Nachbarsprachen. Geographische Ausbreitung Die Sprache stellt den südwestlichsten Teil der Familie der Nguni, einer Unterfamilie der Bantusprachen, dar. Die meisten Muttersprachler leben in der Ostkapprovinz, es gibt aber auch in zunehmendem Maße Sprecher in der Provinz Westkap, darunter auch in Kapstadt. Dialekte isiXhosa ist eng mit den anderen Ngunisprachen verwandt. Deren Sprecher verstehen oft auch die andere Sprache, etwa isiZulu oder Siswati. Darüber hinaus hat isiXhosa mehrere Dialekte. Zwischen Experten ist die Grenzziehung zwischen den einzelnen Dialekten umstritten. Eine Kategorisierung lautet: Xhosa, Ngqika, Gcaleka, Mfengu, Thembu, Bomvana, Mpondomise. Phonetik und Phonologie isiXhosa hat eine einfache Struktur der Vokale, ist aber reich an ungewöhnlichen Konsonanten. Zusätzlich zu den mit Hilfe des Lungenstroms geformten Konsonanten verfügt es über drei Arten von Schnalzlauten. Der erste ist der dentale Schnalzlaut, er wird erzeugt durch ein Andrücken der Zunge an die Schneidezähne. Der entstehende Laut ist vergleichbar dem „ts ts ts“, das etwa zum Tadeln verwendet wird. Der zweite Schnalzlaut ist der laterale, erzeugt durch die Zunge an den Seiten des Mundes, es ergibt sich ein Schnalzlaut, wie er etwa zum Rufen von Pferden verwendet wird. Der dritte heißt postalveolarer Schnalzlaut und wird mit dem Körper der Zunge gegen den Gaumen erzeugt. Jeder Schnalzlaut kommt in sechs Spielarten vor. Außerdem ist Xhosa eine Tonsprache, das heißt, die Tonhöhe, in der ein Wort gesprochen wird, ist bedeutungsunterscheidend. Es gibt zwei Töne, hoch und niedrig. Vokale Xhosa hat ein System von zehn Vokalen: [a], [ɛ], [i], [ɔ] und [u], die jeweils lang oder kurz sein können. Sie werden a, e, i, o und u geschrieben. Konsonanten In der folgenden Tabelle sind die Konsonantenphoneme aufgelistet. Links steht jeweils der Lautwert in IPA, rechts die Schreibweise in normaler Rechtschreibung. In Lehnwörtern kommen weitere Konsonanten vor: [r] und [r̤] werden r geschrieben; [ʒ] und [ʒ̈] werden zh geschrieben; [ʣ] und [ʣ̤] werden dz geschrieben; [ŋ̈] wird ngh geschrieben. Die Schnalzlaute, Plosive und Affrikate mit breathy voice werden eigentlich selbst mit normaler Phonation gesprochen, doch der folgende Vokal wird gehaucht. Beispiel: da [da̤]. Die Schreibweise tsh kann außer für [ʧ’] auch noch für [ʦʰ] und [ʧʰ] stehen. Der glottale Frikativ mit breathy voice [ɦ̤] wird manchmal h geschrieben. Grammatik isiXhosa ist eine agglutinierende Sprache, (vom lat. agglutinare „zusammenkleben“), Suffixe und Präfixe werden zu den Wortstämmen gefügt und enthalten grammatische Informationen. Außerdem hat isiXhosa ein Klassen- oder Genussystem wie alle Bantusprachen, mit viel mehr Kategorien als männlich, weiblich, sächlich, wie im Indoeuropäischen gebräuchlich. Es gibt Klassen für Wortgruppen, beispielsweise für Menschen, Verwandte, Tiere, Pflanzen, Gegenstände und abstrakte Konzepte. Nominalklassen Wie alle Bantusprachen teilt das isiXhosa alle Nomen in Nominalklassen ein. Das ursprüngliche System hatte 22 Klassen (wobei Klassen für Nomen im Singular und Plural jeweils als eigene Klasse gezählt werden), von denen jede Bantusprache mindestens zehn verwendet. Im isiXhosa gibt es, wie auch im verwandten isiZulu und im Swahili, fünfzehn Nominalklassen. Die gebräuchlichsten Substantive leiten sich aus dem Anhängen dieser morphologischen Klassenpräfixe an Verbstämme ab. Die Klassen 1 bis 10 sind Paare aus Singular und Plural; wobei die ungeraden Klassen singulär sind, gefolgt von ihrem Pluralkomplement (d. h. die nächste gerade nummerierte Klasse). Alphabet Benutzt wird das lateinische Alphabet. Europäische Missionare führten es ein, als sie begannen, die Bibel zu übersetzen. 1833 wurden erste Teile der Bibel in isiXhosa veröffentlicht, 1846 das gesamte Neue Testament und schließlich 1859 eine vollständige Ausgabe der Bibel. Klicklaute (Schnalzlaute) werden nicht mit speziellen Klicklautbuchstaben, sondern mit c für den dentalen, x für den lateralen und q für den postalveolaren Schnalzlaut geschrieben. Textbeispiele Sonstiges Zu den ersten Linguisten, die die Sprache wissenschaftlich erforschten, gehörte Archibald Campbell Jordan (1906–1968). Die südafrikanische Sängerin Miriam Makeba sang 1967 ihren größten Hit Pata Pata in ihrer Muttersprache isiXhosa. Der in isiXhosa gesungene und gesprochene Spielfilm U-Carmen wurde auf der Berlinale 2005 mit dem Goldenen Bären ausgezeichnet. Das Debian-Derivat Ubuntu ist mit einem Wort aus der Sprache der Xhosa und Zulu benannt. Der Gründer und Hauptsponsor dieses Softwareprojektes ist der Südafrikaner Mark Shuttleworth. Literatur Heidi Schirrmacher, Lawrence Sello Sihlabeni: Xhosa Wort für Wort. Reise Know-How-Verlag, Bielefeld 2003, ISBN 3-89416-777-7 Weblinks Eintrag „Xhosa“ im Sprachenverzeichnis „Ethnologue“ des Summer Institute of Linguistics Einzelnachweise Einzelsprache Nguni-Sprachen Xhosa
Q13218
175.505411
169189
https://de.wikipedia.org/wiki/Schadprogramm
Schadprogramm
Als Schadprogramm, Schadsoftware oder zunehmend als Malware [] – englisch , , oder [] (Kofferwort aus ‚bösartig‘ und ) – bezeichnet man Computerprogramme, die entwickelt wurden, um, aus Sicht des Opfers, unerwünschte und gegebenenfalls schädliche Funktionen auszuführen. Der Begriff des Virus ist häufig nicht klar abgegrenzt. So ist die Rede von Virenschutz, womit viel allgemeiner der Schutz vor Schadsoftware jeglicher Art gemeint ist. Von Malware abzugrenzen ist fehlerhafte Software, obwohl auch diese selbst Schaden anrichten kann oder durch Sicherheitslücken beziehungsweise mangelnde Informationssicherheit zum Angriff auf Computersysteme ausgenutzt werden kann. Die Schadfunktionen sind gewöhnlich getarnt, oder die Software läuft gänzlich unbemerkt im Hintergrund (Typisierung siehe unten). Schadfunktionen können zum Beispiel die Manipulation oder das Löschen von Dateien oder die technische Kompromittierung der Sicherheitssoftware und anderer Sicherheitseinrichtungen (wie z. B. Firewalls und Antivirenprogramme) eines Computers sein, aber auch das ungefragte Sammeln von Daten zu Marketing-Zwecken. Es ist bei mancher Malware auch üblich, dass eine ordnungsgemäße Deinstallation mit den generell gebräuchlichen Mitteln fehlschlägt, so dass zumindest Software-Fragmente im System verbleiben. Diese können möglicherweise auch nach der Deinstallation weiterhin unerwünschte Funktionen ausführen. Die bisher bekannte Malware kann man grundsätzlich in drei verschiedene Klassen einteilen: Die Computerviren, die Computerwürmer und die Trojanischen Pferde. Ein Computervirus ist per definitionem ein Programmcode, der sich selbstständig oder automatisiert weiterverbreiten kann, indem er Dateien infiziert. Der Begriff „computer virus“ wurde im Jahr 1981 durch den Informatiker Leonard M. Adleman etabliert, der die Bezeichnung erstmals öffentlich verwendete. Vergleiche von Programmcodes mit biologischen Viren gab es aber schon in den Jahren zuvor. Das erste bekannte Computervirus soll den meisten Quellen nach Elk Cloner für den Apple II im Jahr 1982 gewesen sein. Ein Computerwurm ist per definitionem ein eigenständiges Computerprogramm oder Skript, das sich selbstständig oder automatisiert weiterverbreitet. Als Erfinder des theoretischen Konzepts der Selbstreplikation gilt John von Neumann im Jahr 1953. Die erste bekannte Schadsoftware überhaupt war der Computerwurm Creeper im Jahr 1971. Die Bezeichnung „computer worm“ geht auf den Endzeit-Roman Der Schockwellenreiter von John Brunner aus dem Jahr 1975 zurück. Ob Brunner den Begriff wirklich selbst erfunden hat, ist nicht bekannt. Er prägte ihn aber zumindest dauerhaft. Ein Trojanisches Pferd ist per definitionem ein eigenständiges Programm, das als Haupt- oder Nebenfunktion schädlichen Code enthält, sich aber nicht selbstständig oder automatisiert weiterverbreiten kann. Die Infektion erfolgt daher großteils durch Drive-by-Download oder durch Spam-Kampagnen. Daniel Edwards stellte 1972 das theoretische Konzept solcher Malware als Bedrohung für die Rechnersicherheit auf und benannte sie erstmals als „trojan horse“. Das Spiel Pervading Animal aus dem Jahr 1975 wird als das erste bekannte Trojanische Pferd bezeichnet. Klassifizierung Computerviren Computerviren werden üblicherweise nach Art der Wirtsdatei/en in folgende Unterklassen eingeordnet: Bootsektorviren infizieren Bootblöcke wie Bootsektor und/oder MBR, RDB etc. Ein Bootblock ist technisch gesehen eine Datei. Companionviren erstellen infizierte Kopien einer Exe-Datei als Com-Variante. Dateiviren infizieren ausführbare Dateien mit der Endung Exe oder Com. Kernelviren infizieren Dateien, die zum Kernel des Betriebssystems gehören. Clusterviren infizieren Sektoren auf dem Datenträger und verlinken darauf. Davon ausgenommen sind Bootsektor und Bootblock. Makroviren infizieren MS-Office-Dokumente. Hybridviren infizieren Exe- oder Com-Dateien und ebenfalls Bootsektoren bzw. MBR. Wird in einer anderen Datei ein Link auf den eigentlichen Viruscode gesetzt, gilt auch diese Datei als infiziert, bzw. zählt als Wirtsdatei, da der Link als Bestandteil des Viruscodes angesehen wird. Speicherresidente Viren infizieren zusätzlich den RAM, was für diese Einteilung aber ohne Belang ist, da der RAM keine Wirtsdatei darstellt. Die zahlreichen weiteren Bezeichnungen für Viren beziehen sich meist auf ihr Infektions-Verhalten, die Wirtssysteme, den Payload, eingebaute Trigger oder angewendete Techniken. Computerwürmer Würmer unterteilt man nach der Art ihrer Verbreitung in folgende Klassen: Netzwerkwürmer nutzen Sicherheitslücken und schwache Passwörter in Betriebssystemen und Anwendungen, um sich über das Netzwerk (z. B. P2P) direkt auf andere Computer zu kopieren. Als Mittel zum Zweck wurden in den ersten zehn Jahren des 21. Jahrhunderts häufig die damals beliebten Tauschbörsen und BitTorrents ausgenutzt. Auch Instant-Messager werden von Würmern zur Verbreitung zweckentfremdet. E-Mailwürmer verschicken sich automatisiert oder teilautomatisiert per E-Mail und nutzen dabei oft Exploits in Outlook oder anderen E-Mail-Programmen. Würmer für Wechseldatenträger oder für USB-Kleingeräte verbreiten sich über USB-Sticks und Wechselfestplatten und nutzen dabei häufig Sicherheitslücken in der Autostart-Funktion. IRC-Würmer nutzen die Steuerungsskripte des Internet Relay Chats aus, um sich zu verbreiten. Bluetooth-Würmer nutzen Exploits der Bluetooth-Technik von Mobiltelefonen und Tablet-Computern. MMS-Würmer versenden sich automatisiert per Multimedia Messaging Service. Würmer werden in den Massenmedien oft fälschlich als Viren bezeichnet. Als klares Unterscheidungsmerkmal gilt, dass ein Computerwurm keine Wirtsdatei benötigt. Trojanische Pferde Je nach der Art ihrer schädlichen Auswirkungen gibt es eine Vielzahl weiterer, mehr oder weniger etablierter Bezeichnungen für Malware. Oft handelt es sich bei diesen Programmen um Trojanische Pferde, da sie sich nicht selbstständig oder automatisiert weiterverbreiten können. Eine häufig verwendete Kurzform ist Trojaner, dieser Begriff wird aufgrund seiner Wortherkunft aber häufig als falsch angesehen. Allerdings ist der Begriff in der deutschen Sprache sowohl im Fachbereich als in der Allgemeinheit fest etabliert und stellt somit eine korrekte Bezeichnung dar. Ein Trojanisches Pferd lädt man meist aufgrund von Täuschung aus dem Internet, fängt es sich als Drive-by-Download ein, oder bekommt es versehentlich oder absichtlich zugespielt. Die folgenden Typen von Malware treten meist in Form von Trojanischen Pferden auf: Adware forscht den Computer und das Nutzerverhalten aus, um gezielt Werbung zu platzieren. Adware wird häufig zusammen mit gewünschten Installationen oder Webabrufen, ohne Nachfrage und ohne Nutzen für den Anwender, gestartet. Die gesammelten Informationen dienen häufig nicht nur der personalisierten Werbung, sie stellen auch einen finanziellen Wert beim Verkauf an die Marktforschung dar. Hintertür (Backdoor) ist eine verbreitete Schadfunktion, die üblicherweise durch Viren, Würmer oder Trojanische Pferde eingebracht und installiert wird. Sie ermöglicht Dritten einen unbefugten Zugang („Hintertür“) zum Computer, jedoch versteckt und unter Umgehung der üblichen Sicherheitseinrichtungen. Backdoors werden oft genutzt, um den kompromittierten Computer als Spamverteiler oder für Denial-of-Service-Angriffe zu missbrauchen. Spyware spioniert den Computer, die Daten und das Nutzerverhalten aus und senden die Daten an Dritte weiter. Diese Form von Malware wird häufig zusammen mit anderer, nützlicher Software installiert, ohne den Anwender zu fragen, und bleibt auch häufig nach deren Deinstallation weiter tätig. Scareware ist darauf angelegt, den Benutzer zu verunsichern und ihn dazu zu verleiten, schädliche Software zu installieren oder für ein unnützes Produkt zu bezahlen. Beispielsweise werden gefälschte Warnmeldungen über angeblichen Virenbefall des Computers angezeigt, den eine käuflich zu erwerbende Software zu entfernen vorgibt. Ransomware blockiert den Zugriff auf das Betriebssystem bzw. verschlüsselt potenziell wichtige Dateien und fordert den Benutzer zur Zahlung von Lösegeld auf – meist über das digitale Bezahlsystem Bitcoin. Keylogger sind eine Unterklasse der Spyware. Sie sind Programme die dazu verwendet werden, die Eingaben des Benutzers an der Tastatur eines Computers zu protokollieren und einem Dritten bereitzustellen. Dabei werden unter anderem eingegebene Benutzernamen und Passwörter erfasst, diese geben dem Dritten wiederum die Möglichkeit auf die Systeme zuzugreifen für die diese Zugangsdaten bestimmt sind. Rogueware (auch Rogue-Software, Rogue-Sicherheitssoftware oder ) gaukelt dem Anwender vor, vermeintliche andere Schadprogramme zu entfernen. Manche Versionen werden kostenpflichtig angeboten, andere Versionen installieren weitere Schadprogramme während des Täuschungsvorgangs. Coin mining (auch Cryptocurrency mining) bezeichnet eine Technik, bei der ein Angreifer die Hardware- und Energieressourcen von Opfern unbemerkt und ohne deren Zustimmung zum rechenintensiven Mining verwendet werden, z. B. über manipulierte Webseiten oder durch Schadsoftware. Riskware ist Software, die für legale Zwecke beworben wird, aber dabei erhebliche Sicherheitsprobleme aufwerfen kann. Beispielsweise der Missbrauch von Fernwartungsprogrammen als Backdoor-Trojaner. Archivbomben sind stark komprimierte Dateien, wie beispielsweise einfarbige Bitmapdatei in Gigabyte-Größe. Nach dem Packen haben diese eine Größe von wenigen 100 Kilobyte. Das bringt möglicherweise den Systemspeicher beim Entpacken an seine Grenzen. Virenscanner hatten früher Probleme mit der Prüfung von Archivbomben, weil sie sich dabei oft in Endlosschleifen verfingen. Dropper sind Trojaner, die einen Virus aussetzen. Meistens handelt es sich dabei um einen Bootsektorvirus. Sie dienen zu Erstfreisetzung oder zur gezielten Infektion. Grayware Grayware wird teils als eigene Kategorie benutzt, um Software wie Spyware und Adware oder andere Varianten, die Systemfunktionen nicht direkt beeinträchtigen, von eindeutig schädlichen Formen, der Malware, abzugrenzen. Der Begriff ist nicht zu verwechseln mit Grauware oder dem Reimport von Waren am offiziellen Importeur vorbei. Bei Greyware handelt es sich bis auf wenige Ausnahmen um Trojanische Pferde. Strittig ist aber in vielen Einzelfällen ob es sich nun um überhaupt um Grey- oder doch um Malware handelt. Das subjektive Empfinden spielt hier eine entscheidende Rolle und gerade diese Unklarheit ist ein Definitionsmerkmal von Greyware. Oft als solche angesehen werden unter anderem: Dialer, Einwahlprogramme auf Telefon-Mehrwertrufnummern, werden oft unter Malware genannt, obwohl sie im engeren Sinne nicht dazu zählen, sondern nur missbräuchlich für Betrugszwecke genutzt werden. Illegale Dialer-Programme führen die Einwahl heimlich, d. h. im Hintergrund und vom Benutzer unbemerkt, durch und fügen dem Opfer finanziellen Schaden zu, der etwa über die Telefonrechnung abgerechnet wird. Strafrechtlich handelt es sich hier um Onlinebetrug. Der ursprüngliche Sinn von Dialern war aber der legale Hintergrund eine Möglichkeit des einfachen und unkomplizierten Bezahlens im Internet zu ermöglichen. Govware bezeichnet meist Spyware-Trojaner oder in selteneren Fällen auch Spionagesoftware mit Wurmeigenschaften. Der Unterschied zur Malware besteht lediglich in der offiziellen Verwendung durch Geheimdienste, Zoll und andere berechtigte Institutionen. Logikbomben Eine logische Bombe ist ein schädlicher Programmcode, welcher primär durch Bedingungen; sogenannte Auslöser (trigger), schädliche Befehle (malicious commands) ausführt, teilweise komplexe Aufgaben über bspw. Sprungbefehlen auch mehrere Befehlsketten ausführt. Auch Viren können auf einem infizierten Computer logische Bomben platzieren, die in der Regel so programmiert sind, dass sie zu einem festgelegten Zeitpunkt gleichzeitig hochgehen. Diese Logikbomben werden manchmal auch als Zeitbomben bezeichnet. Hintertüren (engl. backdoors/ trapdoors) Eine Hintertür (häufig als Backdoor) dient dem geheimen Zugriff auf ein installiertes System, auf Softwareebene, meist mehrfach in Betriebssystemen; Systemsoftware, Treibersoftware, Softwarepaketen, Treiberdateien, Upgrades und Updates und zunehmend Einzelsoftware. Mit höherer Programmierdichte (Code-Dichte), Software-Komplexität, steigt unweigerlich die Fehlerrate und damit das Risiko von ungewollten Hintertürchen. Hostile Applets Hostile Applets (aus dem Englischen; feindliche Kleinanwendungen) werden meist innerhalb anderer Computerprogramme eingesetzt und sind häufig Unteranwendungen (wie Add-Ons). Applets sind ähnlich, aber umfangreicher als Makros. Hostile Applets nutzen vorwiegend Fehlimplementationen, z. B. in Sandboxen und virtuellen Maschinen, aus. Eingesetzt werden sie vorwiegend um sensible, geheime Daten auszuspähen, Schadsoftware einzuschleusen, Daten zu manipulieren. Anwendungen für Betriebssysteme von Microsoft können seit Windows 10 Add-Ons, Makros und Skripte von Drittanbietern zur Laufzeit über das Antimalware Scan Interface (AMSI) auf potentiell schädliches Verhalten prüfen lassen. Hybride Schadprogramme Moderne und professionelle Schadsoftware basiert auf verschiedenen Schadkonzepten, Mischungen aus Logikbomben und anderen Schadprogrammtypen sind mit am häufigsten anzutreffen, ebenso die Verschleierungstaktiken; Tarnung ist kreativer und vielfältiger geworden (resp. erwähnt sei die Tarnung mittels Homographie, als Systemdatei, durch gefälschte oder irrtümlich erlangte Sicherheitssignaturen). Keine Malware Testviren wie die Eicar-Testdatei, bzw. der darin enthaltene Code, sind kein Virus. Die Eicar-Datei ist unter MS-DOS ein ausführbares Programm und kann sich oder den Testcode nicht weiterverbreiten. Wenn man die Testdatei überhaupt als Malware ansehen will, dann ist sie de facto ein Trojaner. Bloatware ist eine Bezeichnung für Software, die mit Funktionen überladen ist oder die Anwendungen sehr unterschiedlicher Arbeitsfelder ohne gemeinsamen Nutzen bündelt. Crapware bezeichnet die vorinstallierte Software auf einem neu erworbenen Gerät. Diese wird oft als unnütz und lästig empfunden. Nagware ist ein Name für reguläre und nützliche Freeware-Anwendungen, welche auf lästige Art sehr häufig mit Pop-Up-Fenstern oder Ähnlichem zur Registrierung auffordert oder für den Kauf der Vollversion wirbt. Hoaxes; engl. für Scherze, sind streng genommen keine Schadprogramme, sondern ein Mittel des Social Engineering, zumeist im Rahmen von Phishing. Verbreitung Im Jahr 2008 wurden von Sicherheitsunternehmen wie F-Secure „eine Million neuer Schädlinge“ erwartet. Täglich erreichen demnach etwa 25.000 neue Schadprogramme – sogenannte , also Schädlinge mit einzigartigem „Fingerabdruck“ nach MD5 – speziell hierfür eingerichtete Server, z. B. Honeypots. Dagegen konnte AV-Test bereits Mitte April 2008 zehn Millionen neue Schadprogramme im Jahr 2008 zählen. Es sei eine starke Veränderung bei der Verbreitung von Schadsoftware zu erkennen: Trojanische Pferde in E-Mail-Dateianhängen werden immer seltener, während die Angriffe über das Web etwa mittels Drive-by-Download zunehmen. Außerdem käme der Einsatz von Rootkit-Techniken zum Verstecken der Schädlinge immer häufiger vor. Laut dem kalifornischen Malware-Spezialisten Kindsight Security waren 2012 in Deutschland durchschnittlich 13 % der privaten Rechner durch Malware infiziert. Nach einer Sicherheitsstudie der Zeitschrift <kes> und Microsoft von 2014 ist die „Infektion durch Schadsoftware“ auf den ersten Platz der Gefährdungen für die Unternehmens-IT vorgerückt. Sie hat damit „Irrtum und Nachlässigkeit der Mitarbeiter“ auf den zweiten Platz verdrängt. 74 Prozent der Studienteilnehmer hätten angegeben, dass sie in den letzten zwei Jahren von Schadsoftware-Vorfällen betroffen waren. An der Spitze der Infektionswege stehe in den befragten Unternehmen die E-Mail. Danach würden Webinhalte folgen, die die Schadsoftware über aktive Inhalte oder „Drive-by-Downloads“ verteilen. Motivation Eine Studie, die sich mit den Motivationsgründen der Entwickler von Schadsoftware auseinandersetzt, ist im Jahr 2006 zu den fünf primären Ergebnissen gekommen: Habgier: Angriffe werden durchgeführt, um einen persönlichen, materiellen Gewinn daraus zu erzielen. Neugier: Angriffe werden durchgeführt, um die persönliche Neugier zu stillen. Spionage: Angriffe werden durchgeführt, um gezielt in den Besitz bestimmter Informationen zu gelangen. Vergeltung: Angriffe werden durchgeführt, um gezielt und zur Befriedigung persönlicher Emotionen Schäden zu erzeugen. Konspiration: Angriffe werden durchgeführt, um eventuelle Verfolger auf falsche Fährten zu locken. Als weitere Komponente ist mittlerweile der sogenannte Cyberkrieg dazugekommen, der über schlichtes Spionieren weit hinausgeht. Ein bekanntes Beispiel für Sabotage durch Geheimdienste war der Netzwerkwurm Stuxnet, der im Jahr 2010 bekannt wurde. Man verwendete diese Govware zum Manipulieren iranischer Atomanlagen. Siehe auch Botnet Contentfilter Crimeware Doxing Informationssicherheit Logikbombe Pharming Phishing Ransomware Vishing Literatur Weblinks Einzelnachweise
Q14001
169.196603
12171
https://de.wikipedia.org/wiki/Eremit
Eremit
Ein Eremit ( „Wüstenbewohner“, deutsch auch „Einsiedler“; von „unbewohnt, Wüste“) ist ein Mensch, der mehr oder weniger abgeschieden von den Menschen lebt (siehe Einsiedelei oder Eremitage). Begriff und Geschichte Ursprünglich wurde der Begriff nur auf Christen angewendet, die geistliche Motive für ihre Zuwendung zu dieser Lebensform hatten, nämlich die Wüstentheologie des Alten Testamentes, das heißt, die vierzigjährige Wüstenwanderung nach dem Auszug aus Ägypten, die eine Herzenswandlung bewirken sollte. Begriff Teils wird der Begriff unkritisch auf jeden angewendet, der in Einsamkeit lebt. Im geistlichen Zusammenhang wird er manchmal als bedeutungsgleich mit Anachoret (von , „zurückziehen, ins Land (außerhalb der befestigten Stadt) ausziehen“) benutzt, obwohl eine klare Unterscheidung geboten ist. Eremiten im Christentum In der frühen Kirche unterschied man allein lebende (Anachoreten) und gemeinschaftlich lebende Eremiten. Aus ihren Einsiedeleien entstanden später oft Ordensgemeinschaften, Klöster oder auch Ortschaften. Das Eremitentum gehört zu den ältesten Formen gottgeweihten Lebens und ist zugleich die früheste Form des Mönchtums in Europa. In der Regel des heiligen Benedikt (6. Jahrhundert) wird der Eremit als eine der vier Arten von Mönchen angeführt. Legenden über Eremiten oder Mönche, die weltabgeschieden lebten, enthalten durchaus historisch zutreffende Hintergründe. So wurde ein ägyptischer Mönch namens Apa Bane in seiner Lebensbeschreibung als stets fastend, stehend und nicht schlafend beschrieben. Die in seiner Klosterkirche gefundene Mumie wies die Krankheit Morbus Bechterew auf, eine Erkrankung, die nicht nur gebücktes Gehen bewirkt, wie es noch heutige Ikonen zeigen, sondern auch zu Appetitlosigkeit, Vermeidung des Liegens und Schlaflosigkeit führt – im Prinzip handelt es sich also um einen „wissenschaftlich belegten Asketen“, so der Koptologe Siegfried G. Richter. Unter den Heiligen sind einige Eremiten, unter anderem der heilige Bruno (der Gründer des Ordens der Kartäuser), Coelestin, Meinrad und Gunther von Niederaltaich. Der heilige Franziskus verknüpfte das eremitische Leben mit der Wanderpredigt und dem Apostolat unter den Menschen („Stille und Stadt“). Ein selbständiger Ordenszweig innerhalb des Franziskanerordens mit gemäßigt eremitischer Prägung sind die Kapuziner. Eremiten in den Ländern der Habsburgischen Monarchie (18. Jahrhundert) In den Ländern der Habsburgischen Monarchie wurden die kontemplativen Orden und das Eremitentum unter Kaiser Joseph II. um 1780–1790 aufgehoben, obwohl die Landbevölkerung zu den Einsiedlern hielt und diese erfolglos zu verteidigen versuchte. Viele Eremiten flohen deshalb in die Schweiz. Schmuckeremiten in England (18./19. Jahrhundert) Ein Phänomen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts waren die Schmuckeremiten der englischen Landschaftsparks, professionelle Einsiedler, die während einer vertraglich festgelegten Dauer in eigens eingerichteten Eremitagen wohnten und sich zu bestimmten Tageszeiten sehen ließen, um die Eigentümer der Parks und deren Gäste mit ihrem Anblick zu unterhalten. Hinduismus Im Hinduismus stellt Einsiedlerei die dritte von vier Lebensstadien dar. Nach Brahmacharya (Jugend) und Grihastha (Erwachsenenleben) folgt Vanaprastha. Sind die ersten beiden Phasen abgeschlossen, zieht sich der Hindu in eine Unterkunft fernab der Gesellschaft zurück. Er ernährt sich von den Früchten, die er dort auffindet, und studiert die heiligen Schriften. Er nennt sich nun Waldeinsiedler, ist nicht mehr Teil der sozialen Gemeinschaft und ihrer Pflichten und vertieft sich in seine spirituelle Erfahrung. Daraufhin folgt noch die vierte Phase: Sannyasin (Wanderasket). Das Leben in der Einsiedelei und das daran anschließende Leben als Sannyasin sollen den erhofften Eintritt in Moksha (Erlösung) vorbereiten. Diözesaneremitentum In der römisch-katholischen Kirche ist das Eremitentum eine der von der Kirche anerkannten Formen des geweihten Lebens. Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil und der sich daraus ergebenden Revision des Kirchenrechts hat die Kirche die Lebensform des Eremiten, der dem Ortsbischof unterstellt ist, in das Kirchenrecht (Canon 603 des CIC) aufgenommen: § 1: Außer den Instituten des geweihten Lebens anerkennt die Kirche auch das eremitische oder anachoretische Leben, in dem Gläubige durch strengere Trennung von der Welt, in der Stille der Einsamkeit, durch ständiges Beten und Büßen ihr Leben dem Lob Gottes und dem Heil der Welt weihen. § 2: Als im geweihten Leben Gott hingegeben wird der Eremit vom Recht anerkannt, wenn er, bekräftigt durch ein Gelübde oder durch eine andere heilige Bindung, sich auf die drei evangelischen Räte öffentlich in die Hand des Diözesanbischofs verpflichtet hat und unter seiner Leitung die ihm eigentümliche Lebensweise wahrt. Diese Einsiedler werden als Diözesaneremiten bezeichnet. Daneben gibt es Eremiten, die Mitglieder einer Ordensgemeinschaft sind und deren Unterhalt von der Ordensgemeinschaft getragen wird. Die Gesamtzahl der Eremiten in Deutschland wird auf 70 bis 80 Personen geschätzt. Bekannte Eremiten Angelus de Scarpettis (Mönch, Priester; * 1230; † 1306; ab 1245) Antonius der Große (Heiliger, Einsiedler, Mönchsvater; * um 250; † 356; ab 275) Benedikt von Nursia (Einsiedler, Ordensgründer, Abt; * 480; † 547; ab 497 oder 498) Benedikt der Mohr (Heiliger, Bergbauer, Viehhirte, Mönch, Novizenmeister, Guardian; * 1526; † 1589; ab 1547) Bruno von Köln (Heiliger, Novizenmeister, Ordensgründer; * 1030, † 1101, ab 1084) Chariton der Bekenner (Heiliger, Asket, Einsiedler, Abt; * ?; † 350; ab etwa 330) Coelestin V. (Papst) (Heiliger, Papst, Mönch; * 1215; † 1296; 1235–1294, mit Unterbrechungen) Corrado Confalonieri (Heiliger, Wundertäter; * um 1290; † 1351; gegen Lebensende) David von Thessaloniki (Einsiedler, Säulensteher, * um 450; † vor 535; ab etwa 500) Edigna von Puch (Selige, Einsiedlerin; * um 1055; † 1109; ab 1074) Euagrios Pontikos (Mönch, Asket, Schriftsteller; * 345; † 399; ?) Eva von Lüttich (Selige, Reklusin, Mystikerin; * 1190; † 1265; ?) Franziskus von Assisi (Heiliger, Ordensgründer; * 1181; † 1226; 1207–1209) Franz von Paola (Heiliger, Ordensgründer; * 1416; † 1508; ab 1431 oder 1432) Gallus (Heiliger, Klostergründer, Einsiedler, Prediger, Missionar; * um 550; † um 650; ab 612 bis Lebensende) Gerlach von Houthem, (Vormaliger adeliger Ritter, später Eremit und Wohltäter, Heiliger; * um 1100; † zwischen 1164 und 1177) Guthlac (Heiliger, Mönch, Einsiedler, Priester; * 673; † 714; ab 699) Hilarion von Gaza (Heiliger, Einsiedler, Abt; * 290 oder 291, † 371 oder 372; ab 306 für mehr als zwei Jahrzehnte) Hieronymus von Bergamo (Heiliger, Adliger, Ordensgründer; * 1486; † 1537; letzte Lebensjahre) Ida von Toggenburg (Grafentochter, Inklusin, Einsiedlerin; * 1156, † 1226; ab 1191) Johannes Cassianus (Heiliger, Mönchsvater, Priester, Klostergründer, Diakon; * etwa 360; † etwa 435; etwa 385–399) Johannes der Täufer (Heiliger, Bußprediger, Wüstenasket; * um 5. v. Chr.; † zwischen 29 und 36; im Erwachsenenalter) Juliana von Lüttich (Heilige, Chorherrin; * 1192; † 1258; nach 1248) Juliana von Norwich (Selige, Mystikerin; * 1342; † nach 1413; ab 1388) Korbinian (Heiliger, Klostergründer, Missionsbischof, Missionar, Einsiedler; * 670 oder um 680; † 724 oder 730; 14 Jahre lang, bis ca. 710) Landelin von Ettenheimmünster (Heiliger, Königssohn, Einsiedler, Mönch; * ?; 640; bis Lebensende) Lupicinus von Condat (Eremit, Klostergründer und Heiliger; * um 400 im Burgund; † um 480 in Saint-Claude) Familie Lykow (sowjetische Einsiedlerfamilie; * 1944: Tochter Agafja, ?; † 1961: Mutter Akulina, 1988: Vater Karp, 1961–1988: Zwei Söhne, eine Tochter – Tochter Agafja lebt noch (Zeitungsartikel 2018); nach der Februarrevolution) Maria von Ägypten (Heilige, Wüstenmutter, Einsiedlerin, Prostituierte; 344; † 421; ab etwa 373) Meinrad von Einsiedeln (Heiliger, Graf, Einsiedler, Mönch; * 797; † 861; ab 821) Niklaus von Flüe (Heiliger, Mystiker, Einsiedler, Friedensstifter; * 1417; † 1487; ab 1467) Notburga von Hochhausen (Königstochter; */† 7. Jh.; frühes Erwachsenenalter bis Lebensende) Onophrios der Große (Heiliger, Anachoret; * 320; † um 400; 70 Jahre bis Lebensende) Paulus von Theben (Heiliger, Einsiedler; * 228; † um 341; 90 Jahre bis Lebensende) Peter der Einsiedler (Wanderprediger, Pilger, Anführer, Initiator und Prediger des Volkskreuzzugs, Augustinerchorherr, Klöstergründer; * 1050; † 1115; früh, vor und möglicherweise nach dem Volkskreuzzug) Rosa Flesch (Selige, Ordensgründerin; * 1826; † 1906; 1851 bis spätestens 1861) Sara die Einsiedlerin (Heilige, Einsiedlerin; * 4. Jh.; † 4. oder 5. Jh.; in jungen Jahren, 60 Jahre lang) Sergius von Radonesch (Heiliger, Klostergründer, Abt, Wundertäter; * 1314; † 1392; frühestens 1340, bis 1354) Simeon von Trier (Heiliger, Inkluse, Diakon, Mönch, Einsiedler; * ?; † 1035; ab frühestens 1030, bis Lebensende) Symeon Stylites der Ältere (Säulensteher, Inkluse, Mönch, Einsiedler; * 390; † 459; ab 429 oder 430 bis Lebensende) Theophan Goworow (Heiliger, Starez, Priestermönch, Bakkalaureus für Moral- und Pastoraltheologie, Schriftsteller, Archimandrit, Vorsteher, Rektor, Bischof, Übersetzer; * 1815 ; † 1894; ab 1873) Thomas Merton (Trappistenmönch, Mystiker, Schriftsteller, Friedensaktivist; * 1915; † 1968; letzte Lebensjahre) Ursicinus (Heiliger, Adliger, Wundertäter; * 552; † 620; ab 615) Gunther von Niederaltaich (Heiliger, Adliger; Mönch, Vorstand der klösterlichen Gemeinde in Rinchnach; * 955; † 1045; ab 1008) Timon von Athen (Philosoph, Misanthrop; * 5. Jh. v. Chr.; † ?; ?) Wolfgang von Regensburg (Heiliger, Adliger, Mönch, Bischof, Missionar, Prediger; * 924; † 994; 976–983) in Klammern: Charakteristik; Geburtsjahr; Sterbejahr und Eremitenzeitraum Einsiedlerorden Kamaldulenser Kartäuser Bethlehemschwestern (Monastische Ordensfamilie von Betlehem, der Aufnahme Mariens in den Himmel und des hl. Bruno) Siehe auch Klause (Religion) Wüstenväter Einsiedler Aussteiger Bescheidenheit Armut#Freiwillig gewählte Armut Einfaches Leben Literatur Anne Bamberg: Eremiten und geweihtes Leben. Zur kanonischen Typologie. In: Geist und Leben. 78, 2005, , S. 313–318, online. Anne Bamberg: Kirchlich anerkannte Eremiten/innen. Canon 603 des Codex des kanonischen Rechtes und die Verantwortung des Diözesanbischofs. In: Ordenskorrespondenz. 45, 2004, , S. 425–433. Anne Bamberg: Im Licht von Theologie und Kirchenrecht. Katholische Eremiten und Gehorsam. In: Geist und Leben. 86, 2013, , S. 181–190. Gabriel Bunge OSB (Hrsg.) Evagrios Pontikos, Der Praktikos (Der Mönch). Hundert Kapitel über das geistliche Leben. 2. verbesserte und vermehrte Auflage. Beuroner Kunstverlag, Beuron 2008, ISBN 978-3-87071-170-2 (Weisungen der Väter 6). Freddy Derwahl: Eremiten. Die Abenteuer der Einsamkeit. Pattloch, München 2000, ISBN 3-629-00833-X. Maria Anna Leenen: Einsam und allein? Eremiten in Deutschland. 3. Auflage. Verlag Aschendorff, Münster 2017, ISBN 978-3-402-00235-3. Herbert Grundmann: Deutsche Eremiten, Einsiedler und Klausner im Hochmittelalter (10.–12. Jahrhundert). In: Archiv für Kulturgeschichte. Band 45, 1967, S. 60–90. Maria Anna Leenen: Sich Gott aussetzen und standhalten. Eremitisches Leben heute. Verlag Aschendorff, Münster 2009, ISBN 978-3-402-12811-4. Maria Anna Leenen (Hrsg.): Eine alte Lebensform in neuem Gewand. Der Canon 603 Codex Iuris Canonici. Aufsätze und Vorträge. Eine Arbeitshilfe. Verlag Traugott Bautz, Nordhausen 2012, ISBN 978-3-88309-696-4. Maria Anna Leenen: Einsamkeit schafft Raum. Paderborn 2014, ISBN 978-3-89710-574-4. Fairy von Lilienfeld: Spiritualität des frühen Wüstenmönchtums. Gesammelte Aufsätze 1962–1971. Herausgegeben von Ruth Albrecht und Franziska Müller. Lehrstuhl für Geschichte und Theologie des Christlichen Ostens, Erlangen 1983, ISBN 3-923119-15-1 (Oikonomia 18). Dominicus Meier OSB: Die Lebensform der leisen Töne – eremitisches Leben gemäß c. 603 CIC. Erbe und Auftrag. In: Monastische Welt. 86, 2, , S. 201–205. Thomas Merton: Im Einklang mit sich und der Welt. = Contemplation in a World of Action. Diogenes Verlag, Zürich 1992, ISBN 3-257-22549-0 (Diogenes-Taschenbuch 22549). Hermann-Josef Sander: Einfachheit und Verzicht als Lebensideal – Auf den Spuren von Einsiedlerpfarrer Bruder Hermann Aufenanger (1901 - 1988). Verlag Jörg Mitzkat, Holzminden 2019, ISBN 978-3-95954-082-7. Catherine Santschi: Eremiten in Tirol und Vorarlberg, Verlag Wenger, Brixen 2010, ISBN 978-88-6563-002-0. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hrsg.): Eremitisches Leben im deutschsprachigen Raum. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Viren
Viren
Viren (Singular: das Virus, außerhalb der Fachsprache auch der Virus, von ) sind infektiöse organische Strukturen, die sich als Virionen außerhalb von Zellen (extrazellulär) durch Übertragung verbreiten, aber als Viren in der Natur nur innerhalb einer geeigneten Wirtszelle (intrazellulär) vermehren können. Sie bestehen nur aus Desoxyribonukleinsäure (englisch abgekürzt DNA) oder Ribonukleinsäure (englisch abgekürzt RNA) sowie aus Proteinen, die es ihnen ermöglichen, in eine Zelle einzudringen. Alle Viren enthalten mit diesen Nukleinsäuren das „Programm“ zu ihrer Vermehrung und Ausbreitung (einige Viren auch weitere Hilfskomponenten), besitzen aber weder eine eigenständige Replikation noch einen eigenen Stoffwechsel und sind deshalb in der Natur auf den Stoffwechsel einer Wirtszelle angewiesen. Daher sind sich Virologen weitgehend darin einig, Viren nicht zu den Lebewesen zu rechnen. Man kann sie aber zumindest als „dem Leben nahestehend“ betrachten, denn sie besitzen allgemein die Fähigkeit, ihre Replikation zu steuern, und die Fähigkeit zur Evolution. 2011 waren etwa 1,8 Millionen verschiedene rezente Arten von Lebewesen bekannt, die als Wirte für Viren fungieren, mit Stand Ende Juni 2022 gab es jedoch offiziell anerkannt lediglich 11.273 Virenarten. Modellrechnungen zeigen jedoch, dass die Anzahl von Virenarten wahrscheinlich noch viel größer ist. So wurde 2013 berichtet, dass die Säugetiere alleine mindestens 320.000 noch unentdeckte Virenarten beherbergen. Da die Anzahl der Säugetierarten im Vergleich zu anderen Taxa winzig klein ist (lediglich rund 6500 Säugerarten, aber eine Million bekannte Arten von Insekten), kann von einer noch viel größeren Anzahl Virenarten ausgegangen werden (siehe Virale Dunkle Materie). Da das Augenmerk der Virologie auf den Arten liegt, welche für die Humanmedizin, die Nutztiermedizin sowie für die Landwirtschaft bedeutsam sind, macht die offizielle Beschreibung und Benennung neuer Virenarten allerdings nur langsam Fortschritte. Viren befallen Zellen von Eukaryoten (Pflanzen, Pilze und Tiere einschließlich des Menschen) sowie von Prokaryoten (Bakterien und Archaeen). Viren, die Bakterien oder Archaeen als Wirte nutzen, wurden früher in Gesamtheit als „Bakteriophagen“ bezeichnet, historisch bedingt durch die alte Bezeichnung „Archaebakterien“ für die Archaeen. Im modernen Sprachgebrauch werden Viren, die Archaeen befallen, als „Archaeenviren“ oder „Archaeen-Viren“ () bezeichnet, nur sehr selten findet sich noch die Bezeichnung „Archaeophagen“. Der Begriff „Bakteriophagen“ bleibt dann ausschließlich für Viren reserviert, die Bakterien befallen; allerdings setzt sich auch hier der Begriff „Bakterienviren“ (engl. ) immer mehr durch: Die offizielle Taxonomie des (ICTV) verwendet die Bezeichnung in Gattungs- oder Artnamen grundsätzlich nicht mehr, so dass dieser Suffix nur noch für Stämme (engl. ) von Bakterienviren oder provisorische Bezeichnungen für Gruppen der Bakterienviren anzutreffen ist, solange sie noch nicht durch das ICTV bestätigt sind. Die Wissenschaft, die sich mit Viren und Virusinfektionen beschäftigt, wird als Virologie bezeichnet. Erforschungsgeschichte Noch zur Mitte des 19. Jahrhunderts verwendete man die Bezeichnung Virus lediglich synonym für „Gift“ bzw. „Miasma“. Erst seit dem späten 19. Jahrhundert sind Viren als eigene biologische Einheit bekannt. Die Beschreibungen von Viruskrankheiten sind aber sehr viel älter, ebenso die ersten Behandlungsmethoden. Aus Mesopotamien ist ein Gesetzestext aus der Zeit um 1780 v. Chr. überliefert, der von der Bestrafung eines Mannes handelt, dessen wahrscheinlich von Tollwut befallener Hund einen Menschen beißt und dadurch tötet (Codex Eschnunna §§ 56 und 57). Aus ägyptischen Hieroglyphen sind Darstellungen bekannt, die vermutlich die Folgen einer Polio-Infektion zeigen. Die Bezeichnung „Virus“ wurde zum ersten Mal von Cornelius Aulus Celsus im ersten Jahrhundert v. Chr. verwendet. Er bezeichnete den Speichel, durch den Tollwut übertragen wurde, als „giftig“. Im Jahr 1882 führte Adolf Mayer bei Experimenten mit der Tabakmosaikkrankheit erstmals unwissentlich eine virale Erregerübertragung (Transmission) durch, indem er den Pflanzensaft infizierter Pflanzen auf gesunde Pflanzen übertrug und bei diesen so ebenfalls die Krankheit auslöste. Diese Übertragung war bereits im 18. Jahrhundert mit dem Wort Virus assoziiert. So beschreibt die Londoner Times in einem Nachruf auf einen Arzt dessen Virusinfektion: Beim Zunähen einer sezierten Leiche hatte er sich in die Hand gestochen, (wobei ein wenig Virussubstanz übertragen wurde, oder anders gesagt, ihm wurde Fäulnis eingeimpft). Dimitri Iwanowski wies unabhängig von Mayer im Jahr 1892 in einem Experiment nach, dass die Mosaikkrankheit bei Tabakpflanzen durch einen Stoff ausgelöst werden kann, der durch Filtration mittels bakteriendichter Filter (Chamberland-Filter) nicht entfernt werden konnte und dessen Partikel deshalb deutlich kleiner als Bakterien sein mussten. Iwanowski vermutete ein Gift als Auslöser der Krankheit. Dem widersprach Martinus Willem Beijerinck, nachdem er beobachtet hatte, dass besonders die noch im Wachstum befindlichen Blätter von der Krankheit befallen wurden: „Während ein Gift ebenso in die bereits bestehenden Zellen eindringen würde, brauchen die Viren offensichtlich die Zellteilung, um sich zu entfalten.“ In den 1910er Jahren vermuteten Wissenschaftler noch, Viren könnten auf sterilen Nährmedien gezüchtet werden und bräuchten nicht notwendigerweise lebende Zellen, um sich zu vermehren. Die erfolglosen Arbeiten von Frederick Twort auf diesem Gebiet führten jedoch zur Entdeckung der Bakterienviren, traditionell auch Bakteriophagen genannt. Der erste Nachweis eines tierischen Virus gelang 1898 Friedrich Loeffler und Paul Frosch, die das Maul-und-Klauenseuche-Virus entdeckten (siehe auch virologische Diagnostik). Die Größe vieler Viren wurde in den 1930er Jahren durch William Joseph Elford mit Methoden der Ultrafiltration bestimmt. Der bislang älteste – indirekte – Beleg für eine durch Viren verursachte Erkrankung wurde aus den deformierten Knochen eines 150 Millionen Jahre alten, kleinen zweibeinigen Dinosauriers (Dysalotosaurus lettowvorbecki) abgeleitet, der im Berliner Museum für Naturkunde verwahrt wird und Symptome von Osteodystrophia deformans aufweist, die auf eine Infektion mit Paramyxoviren zurückgeführt werden. Eigenschaften Viren haben DNA oder RNA, die genetische Information tragen. Doch sie haben keinen Stoffwechsel, können keine Energie umwandeln und vermögen auch nicht Proteine aufzubauen. Die Bildung dieser Strukturen und deren Vermehrung ist aber mit dem funktionsfähigen Stoffwechsel in der Zelle eines Lebewesens unter Umständen möglich. Die hierfür notwendige Information, insbesondere für die Proteinsynthese, trägt das Virus auf seiner Nukleinsäure (DNA oder RNA). Im Wesentlichen ist ein Virus eine Nukleinsäure, deren Information den Stoffwechsel einer Wirtszelle so steuern kann, dass wieder Viren entstehen. Die Replikation der Virus-Nukleinsäure erfolgt innerhalb der Wirtszelle, ebenso der Aufbau von Virusproteinen durch Ribosomen im Zytoplasma der Zelle zur weiteren Ausstattung der Viruspartikel (Virionen). Auch die Lipide einer etwaigen Virushülle des Virions stammen von der Wirtszelle. Viren kommen in zwei Erscheinungsformen vor: Erstens als Nukleinsäure in den Zellen des Wirts. Die Nukleinsäure enthält die Informationen zu ihrer Replikation und zur Reproduktion der zweiten Virusform. In dieser Erscheinungsform wird zwischen DNA-Viren und RNA-Viren unterschieden, je nachdem, ob ihr genetisches Material als DNA oder als RNA gespeichert ist. Zweitens als Virion, das aus den Wirtszellen ausgeschleust wird und eine Verbreitung auf andere Wirte ermöglicht. Hinsichtlich der Ausbreitung und Wirkung bei ihrem jeweiligen Reservoirwirt und gegebenenfalls auch Zwischenwirt unterscheiden sich die Virenarten in den Ausprägungen der Merkmale Kontagiosität, Infektiosität und Pathogenität beziehungsweise Virulenz oft sehr deutlich voneinander. Allgemein sind RNA-Viren aufgrund der höheren Fehlerrate der RNA-Polymerasen wesentlich variabler als DNA-Viren, da ihre RNA-Polymerase meist keine -Exonuklease-Funktion aufweist. Eine Ausnahme bilden die Nidovirales, die eine Proof-reading-Funktion mit der Exoribonuklease ExoN besitzen, wodurch die Genomgröße etwas weniger begrenzt wird. Durch die hohe Mutationsrate produzieren RNA-Viren zwar mehr defekte, nicht-infektiöse virale Partikel, was aufgrund der Funktionsminderung als Fitnesskosten bezeichnet wird. Sie können sich jedoch im Zuge einer Immunevasion auch schneller an neue Wirte oder Zwischenwirte anpassen sowie durch Fluchtmutation der Immunantwort entgehen. Merkmale von Virionen Ein Viruspartikel außerhalb von Zellen bezeichnet man als Virion (Plural Viria, Virionen). Virionen sind Partikel, die Nukleinsäuren – entweder Desoxyribonukleinsäuren (DNA) oder Ribonukleinsäuren (RNA) – enthalten und meist eine umschließende Protein-Kapsel (Kapsid) haben. Eine Kapsel fehlt jedoch z. B. beim Influenzavirus, das stattdessen ein Ribonukleoprotein aufweist. Einige Virionen besitzen zusätzlich eine Umhüllung durch eine Biomembran, deren Lipiddoppelschicht mit viralen Membranproteinen durchsetzt ist. Diese wird als Virushülle bezeichnet. Viren, die vorübergehend bis zum Beginn der Replikationsphase zusätzlich zum Kapsid eine Virushülle aufweisen, werden als behüllt bezeichnet, Viren ohne derartige Hülle als unbehüllt. Einige Virionen besitzen noch andere zusätzliche Bestandteile. Der Durchmesser von Virionen beträgt etwa 15 nm (beispielsweise Circoviridae) bis 440 nm (Megavirus chilensis). Virionen sind deutlich kleiner als Bakterien, jedoch etwas größer als Viroide, welche weder ein Kapsid noch eine Virushülle besitzen. Das Proteinkapsid kann unterschiedliche Formen haben, zum Beispiel ikosaederförmig, isometrisch, helikal oder geschossförmig. Serologisch unterscheidbare Variationen eines Virus nennt man Serotypen. Virionen dienen der Verbreitung der Viren. Sie dringen ganz oder teilweise (mindestens ihre Nukleinsäure) in die Wirtszellen ein (infizieren sie). Danach startet durch den Stoffwechsel des Wirts die Vermehrung der Virus-Nukleinsäure und die Produktion der anderen Virionen-Bestandteile. Systematische Stellung Viren sind im Wesentlichen bloße stoffliche Programme zu ihrer eigenen Reproduktion in Form einer Nukleinsäure. Sie besitzen zwar spezifische genetische Informationen, aber nicht den für ihre Replikation notwendigen Synthese-Apparat. Ob Viren als Lebewesen bezeichnet werden können, ist abhängig von der Definition von Leben. Eine allgemein anerkannte, unwidersprochene Definition gibt es bislang nicht. Die meisten Wissenschaftler stufen Viren nicht als Lebewesen ein – wobei die wissenschaftliche Diskussion noch nicht abgeschlossen ist, da beispielsweise bei der Genomgröße des Cafeteria-roenbergensis-Virus eine Abgrenzung anhand der Größe des Genoms zu verwischen beginnt. Viren werden normalerweise auch nicht zu den Parasiten gerechnet, weil Parasiten Lebewesen sind. Einige Wissenschaftler betrachten Viren dennoch als Parasiten, weil sie einen Wirtsorganismus infizieren und seinen Stoffwechsel für ihre eigene Vermehrung benutzen. Diese Forscher definieren Viren als „obligat intrazelluläre Parasiten“ (Lebensformen, die immer Parasiten innerhalb einer Zelle sind), die mindestens aus einem Genom bestehen und zur Replikation eine Wirtszelle benötigen. Man kann sich – unabhängig von der Klassifizierung als Lebewesen oder Nicht-Lebewesen – darauf einigen, dass das Verhalten von Viren dem von gewöhnlichen Parasiten sehr ähnlich ist. Viren können wie Prionen, funktionslose DNA-Sequenzen und Transposons in diesem Sinne als „parasitär“ bezeichnet werden. Vermehrung und Verbreitung Ein Virus selbst ist zu keinen Stoffwechselvorgängen fähig, daher braucht es in der Natur Wirtszellen zur Fortpflanzung. Der Replikationszyklus eines Virus beginnt im Allgemeinen, wenn sich ein Virion an ein Oberflächenprotein auf einer Wirtszelle anheftet (Adsorption), das vom Virus als Rezeptor verwendet wird. Bei Bakterien- uns Archaeen-Wirten erfolgt dies durch Injektion seines Erbmaterials in eine Zelle, bei Eukaryoten werden die Virionen durch Endozytose eingestülpt und durchdringen dann die Endosomenmembran, z. B. durch ein fusogenes Protein. Nach der Aufnahme muss ein Virion vor der Replikation erst von seinen Hüllen befreit werden (uncoating). Das Erbmaterial des Virus, seine Nukleinsäure, wird anschließend in der Wirtszelle vervielfältigt und die Hüllproteine sowie gegebenenfalls weitere Bestandteile der Virionen werden anhand der Gene des Virusgenoms ebenfalls von der Wirtszelle synthetisiert (Proteinbiosynthese/Genexpression). So können in der Zelle neue Viren gebildet werden (Morphogenese), die als Virionen freigesetzt werden, indem entweder die Zellmembran aufgelöst wird (Zell-Lyse, lytische Virusvermehrung), oder indem sie ausgeschleust (sezerniert) werden (Virusknospung, budding), wobei Teile der Zellmembran als Bestandteil der Virushülle mitgenommen werden. Mit Hilfe von Immunoevasinen wird die Immunabwehr des Wirtes unterdrückt. Die Anzahl an neugebildeten Virionen einer infizierten Wirtszelle wird als burst size (engl. für ‚Berstgröße‘) bezeichnet. Eine weitere Möglichkeit ist der Einbau des Virus-Genoms in das des Wirtes (Provirus). Dies ist der Fall bei temperenten Viren, wie zum Beispiel dem Bakteriophagen Lambda. Die Auswirkung der Virusvermehrung auf die Wirtszelle nennt man zytopathischen Effekt (CPE), die Auswirkungen auf den gesamten Wirtsorganismus bezeichnet man als Viruserkrankung oder Virose. Es gibt verschiedene Arten des zytopathischen Effekts: Zell-Lyse, Pyknose (Polioviren), Zellfusion (Masernvirus, Herpes-simplex-Viren, Parainfluenzavirus), intranucleäre Einschlüsse (Adenoviren, Masernvirus), intraplasmatische Einschlüsse (Tollwutvirus, Pockenviren). Die Verbreitungswege von Viren sind vielfältig. So können humanpathogene Viren zum Beispiel über die Luft mittels Tröpfcheninfektion (z. B. Grippeviren) oder über kontaminierte Oberflächen durch Schmierinfektion (z. B. Herpes simplex) übertragen werden. Bei Pflanzenviren erfolgt die Übertragung häufig durch Insekten oder auch durch mechanische Übertragung zwischen zwei Pflanzen, bzw. über kontaminierte Werkzeuge in der Landwirtschaft. Eine abstrakte Sicht auf die epidemiologische Kinetik von Viren und anderen Krankheitserregern wird in der Theoretischen Biologie erarbeitet. Evolution Ursprung Der Ursprung der Viren ist nicht bekannt. Die meisten Forscher nehmen heute an, dass es sich bei Viren nicht um Vorläufer des zellulären Lebens handelt, sondern um Gene von Lebewesen, die sich aus Lebewesen lösten. Es werden noch immer mehrere Möglichkeiten diskutiert, wobei es im Prinzip zwei verschiedene Ansätze gibt: Viren sind sehr ursprünglich; sie entstanden noch vor der ersten Zelle und schon in jener chemischen „Ursuppe“, die auch primitivste Lebensformen hervorbrachte; sie sind mit RNA-Genomen ein Überbleibsel der prä-DNA-Welt. Dieser Ansatz wurde beispielsweise von Félix Hubert d’Hérelle (1924) und Salvador Edward Luria (1960) vertreten. Viren sind eine Art Schwundstufe von schon bei ihrer Entstehung existierenden vollständigen Organismen. Daraus abgeleitet sind drei Theorien formuliert worden. Abstammung von selbstreplizierenden Molekülen (Coevolution). Diese Theorie nimmt an, dass Entstehung und Evolution der Viren von den einfachsten Molekülen ausgingen, die überhaupt zur Selbstverdoppelung in der Lage waren. Anschließend hätten sich dann manche derartige Moleküle schließlich zu Organisationseinheiten zusammengefunden, die man als Zellen ansehen kann. Parallel dazu gelang es anderen Molekülen, sich in Viruspartikel zu verpacken, die sich parallel zu den Zellen weiterentwickelten und zu ihren Parasiten wurden. Virusentstehung durch Degeneration (Parasit). Diese Theorie basiert auf dem schon oben dargestellten zweiten Möglichkeitsansatz, wonach die ersten Viren ursprünglich aus freilebenden Organismen wie beispielsweise Bakterien (oder hypothetischen Ribozyten) hervorgegangen sind, die langsam und kontinuierlich immer mehr von ihrer genetischen Information verloren haben, bis sie schließlich zu Zellparasiten wurden, die darauf angewiesen sind, dass eine Wirtszelle ihnen die verloren gegangenen Funktionen zur Verfügung stellt. Ein Konzept, das in diesem Zusammenhang zunehmend Beachtung findet, ist das der Virozelle (): Der eigentliche Phänotyp eines Virus ist die infizierte Zelle, das Virion (Viruspartikel) ist dagegen lediglich ein Stadium der Fortpflanzung oder Verbreitung, ähnlich wie Pollen oder Sporen. Virusentstehung aus wirtszelleigenen RNA- oder DNA-Molekülen. Diese dritte und für die Forschung als am wahrscheinlichsten erscheinende Theorie besagt, dass Viren unmittelbar aus RNA- oder DNA-Molekülen der Wirtszelle entstanden sind. Diese selbständig gewordenen Nukleinsäuren haben zwar als das genetische Material der Viren die Fähigkeit erworben, sich unabhängig vom Genom der Wirtszelle oder ihrer RNA zu vermehren, sind aber letztlich doch Parasiten geblieben (S. Luria, 1960). Beispiele von möglichen Übergangsformen sind Transposons und Retrotransposons. Ein gemeinsamer monophyletischer Ursprung aller Viren ist dabei angesichts derer hoher Diversität unwahrscheinlich und kann allenfalls für die als Realms abgegrenzten Bereiche angenommen werden. Daher ist es auch möglich, dass für diese maximalen Virusgruppen (Kladen) unterschiedliche Entstehungszenarien zutreffen. Variabilität Für eine Evolution eines Virus (bzw. irgendeines Gens) ist seine Variabilität und Selektion von Bedeutung. Die Variabilität ist (wie bei allen Organismen) durch Kopierfehler bei der Replikation des Erbgutes gegeben und dient unter anderem der Immunevasion und der Änderung des Wirtsspektrums, während die Selektion oft durch die (Immun)-Antwort des Wirtes durchgeführt wird. Höher organisierte Lebewesen haben per Rekombination und Crossing-over bei der geschlechtlichen Fortpflanzung eine sehr effektive Möglichkeit der genetischen Variabilität besonders in Richtung einer Umweltanpassung und damit Weiterentwicklung ihrer jeweiligen Art entwickelt. Virionen beziehungsweise Viren zeigen als überdauerungsfähige Strukturen, die für ihre Vermehrung und damit auch Ausbreitung auf lebende Wirte angewiesen sind, ohne geschlechtliche Fortpflanzung allein mit ihrer Mutationsfähigkeit eine mindestens ebenbürtige Möglichkeit für eine genetische Variabilität. Dabei ist es dann letztlich unerheblich, dass diese Mutationen im Genom der Viren im Grunde zuerst auf Kopierfehlern während der Replikation innerhalb der Wirtszellen beruhen. Was zählt, ist allein der daraus für die Arterhaltung resultierende positive Effekt der extremen Steigerung der Anpassungsfähigkeit. Während Fehler dieser Art zum Beispiel bei einer hochentwickelten Säugetierzelle zum Zelltod führen können, beinhalten sie für Viren sogar einen großen Selektionsvorteil. Kopierfehler bei der Replikation drücken sich in Punktmutationen, also im Einbau von falschen Basen an zufälligen Genorten, aus. Da Viren im Gegensatz zu den höherentwickelten Zellen nur über wenige oder keine Reparaturmechanismen verfügen, werden diese Fehler nicht korrigiert. Sonderformen der genetischen Veränderung bei Viren werden beispielsweise bei den Influenza-Viren mit den Begriffen Antigendrift und Antigenshift (genetische Reassortierung) dort genau beschrieben. Wirtsreaktionen Eine Infektion mit Viren erzeugt in ihren Wirten verschiedene Formen der Abwehrreaktion. Viren vermehren sich ausschließlich innerhalb von Zellen, denn sie verwenden zu ihrer Vermehrung die dafür notwendigen Bausteine und Enzyme einer Wirtszelle. Daher sind verschiedene intrazelluläre Abwehrmechanismen entstanden, die als Restriktions- oder Resistenzfaktoren bezeichnet werden. Während Bakterien und Archaeen unter anderem das CRISPR und Restriktionsenzyme zur Abwehr von Viren innerhalb einer Zelle verwenden, gibt es in Eukaryoten z. B. den Myxovirus-Resistenzfaktor Mx1, die PAMP-Rezeptoren, den dsRNA-aktivierten Inhibitor der Translation DAI, das Melanom-Differenzierungs-Antigen 5 (MDA-5), die Oligoadenylatsynthase OAS1, das Langerin, das Tetherin, das -Protein (SAMHD1), das RIG-I, das APOBEC3, das TRIM5alpha, die Proteinkinase R und die RNA-Interferenz. In Tieren, besonders Wirbeltieren, hat sich zusätzlich eine Immunantwort herausgebildet. Sie ist teils angeboren, teils erworben. Im Zuge der erworbenen bzw. adaptiven Immunantwort entstehen Antikörper und zytotoxische T-Zellen, die einzelne Bestandteile des Virus (Antigene) binden können. Dadurch können sie Viren und Virus-infizierte Zellen erkennen und beseitigen. Koevolution Eine Beobachtung bei der Pathogenese in natürlichen Wirten ist, dass an den Wirt angepasste Krankheitserreger ihm meist nicht sehr schaden, da sie ihn für ihre eigene Entwicklung benötigen und das Immunsystem durch Zellschäden und Apoptose aktiviert wird. Die Vermeidung einer Immunreaktion erleichtert die Replikation und die Übertragung (synonym Transmission) an weitere Wirte. Manche Viren verbleiben lebenslang im Körper. Es kann von Zeit zu Zeit zu einer Reaktivierung kommen, auch ohne Symptome. (Siehe hierzu auch: Erregerpersistenz.) So erreichen beispielsweise Herpes-simplex-Viren Infektionsquoten (synonym Durchseuchung) von über 90 % der deutschen Bevölkerung mit wenig ausgeprägten Symptomen. Das simiane Immundefizienz-Virus erzeugt in seinen natürlichen Wirten kein AIDS, im Gegensatz zu HIV im Menschen. Dagegen löschen sich Infektionen mit Ebolavirus im Menschen, nicht aber in ihren natürlichen Wirten, gelegentlich durch ihre hohe Virulenz selbst aus, bevor eine effiziente Transmission erfolgt, da der Wirt stark geschwächt ist und bald verstirbt, folglich ist sein Bewegungsradius und somit die Verbreitung des Virus begrenzt. Ein schwerer Infektionsverlauf mit hoher Sterblichkeit (siehe Letalität und Mortalität) ist zumeist ein Anzeichen dafür, dass der verursachende Erreger noch nicht an den betreffenden Organismus als seinen Reservoirwirt angepasst ist. Jedoch ist der Übergang von Pathogenen mit einer hohen Replikation (und erzeugten Schäden) zu einer dauerhaften Infektionsquote (Infect and persist, unter Vermeidung von Schäden) fließend. Anders ausgedrückt, neigen angepasste infektiöse Objekte zur Persistenz und einer regulierten Reproduktionsrate, während weniger angepasste Pathogene tendenziell zur vorzeitigen Beendigung der Infektionskette führen. Ausnahmen sind z. B. H5N1-Viren in Vögeln und humane Pockenviren im Menschen. Die Anpassung erfolgt jedoch meistens seitens des Wirts, da die Pathogene mit ihren Artgenossen in Konkurrenz stehen und ein weniger reproduktives Pathogen schneller untergehen würde. Daher tritt eine Minderung der Pathogenität bei Pathogenen vor allem in Verbindung mit einer erhöhten Reproduktionsrate auf. Die Anpassung des Wirts an das Pathogen wird als Wirtsrestriktion oder -resistenz bezeichnet. Zu den bekannten antiviralen und antibakteriellen Mechanismen gehören also, wie schon unter Wirtsreaktionen bei Eukaryoten ausgeführt, beim Menschen beispielsweise der Myxovirus-Resistenzfaktor Mx1, die PAMP-Rezeptoren, der dsRNA-aktivierte Inhibitor der Translation DAI, das MDA5, die Oligoadenylatsynthase OAS1, das Langerin, das Tetherin, das APOBEC3, das TRIM5alpha und die Proteinkinase R. Darüber hinaus erfolgt die Immunantwort. Einteilung Herkömmliche Virusklassifikation Im Jahre 1962 wurde von André Lwoff, Robert W. Horne und Paul Tournier entsprechend der von Carl von Linné begründeten binären Klassifikation der Lebewesen eine Taxonomie der Viren („LHT-System“) eingeführt, die folgende Stufen umfasst (Muster für Namensendungen der Taxa in Klammern): Virosphäre (Phylum: Vira) Subphylum (…vira) Klasse (Biologie) (…ica) Ordnung (…virales) Familie (…viridae) Unterfamilie (…virinae) Gattung oder Genus (…virus) Art oder Species (nach der hervorgerufenen <Krankheit> …virus) Damit einher geht eine Zuordnung in (nicht-taxonomische) Gruppen, die sich an den Wirten orientieren Prokaryoten (Befall durch Phagen) Bakterien (Befall durch Bakterienviren alias Bakteriophagen) Archaeen (Befall durch Archaeenviren alias „Archaeophagen“) Algen, Pilze (Befall durch Mykoviren) und Protozoen Pflanzen (Befall durch Phytoviren, auch durch Viroide) Tiere, mit drei Untergruppen: wirbellose Tiere (Invertebraten) Wirbeltiere (Vertebraten) Vertreter beider Gruppen Die meisten Viren gehören nur zu einer der obigen vier Gruppen, doch in den Familien Rhabdoviridae und Bunyaviridae gibt es jeweils Virusarten, die sowohl Pflanzen als auch Tiere infizieren. Einige Viren vermehren sich nur in Vertebraten, werden jedoch auch von Invertebraten mechanisch übertragen (siehe Vektor), vor allem von Insekten. Viren, die auf die Nutzung von Genen anderer Viren (Mamaviren) während der gemeinsamen Infektion einer Wirtszelle angewiesen sind, werden Satellitenviren oder Virophagen genannt. Virustaxonomie nach ICTV Das International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) hat ein System entwickelt, um eine einheitliche Taxonomie der Viren zu gewährleisten. Der neunte ICTV-Report definiert ein Konzept mit der Virus-Art als unterstem Taxon in einem hierarchischen System sich verzweigender Viren-Taxa. Die taxonomische Struktur war bis 2017 im Prinzip wie bei der herkömmlichen Virusklassifikation ab Rangstufe Ordnung und darunter (siehe oben) und wurde 2018 durch weitere Stufen wie folgt ergänzt (mit vom LHC-System abweichenden Namensendungen): Realm (en. ) (…viria) Subrealm (en. ) (…vira) (Endung wie bei Subphylum im LHC-System, als zweiteoberste Stufe) Reich (en. ) (…virae) Unterreich (en. ) (…virites) Stamm oder Phylum (…viricota) (in Analogie zu …archaeota – abweichend vom LHC-System sind mehrere Virusphyla möglich) Subphylum (…viricotina) Klasse (…viricetes) Unterklasse (…viricetidae) Ordnung (…virales) Unterordnung (…virineae) Familie (…viridae) Unterfamilie (…virinae) Gattung oder Genus (…virus) Untergattung oder Subgenus (…virus) Art oder Spezies/Species (…virus) Es gibt in diesen Richtlinien keine Definition von Unterarten (Subspecies), Stämmen (im Sinn von Varietäten, wie „Bakterienstamm“, englisch: strain) oder Isolaten. Die Namensendungen aller Rangstufen haben also „vir“ als Bestandteil (aber nicht in der Form „viroid“); die Abkürzungen enden auf „V“, ggf. gefolgt von einer Nummer (nicht römisch, sondern arabisch). Für Viroide, Viriforme und Satelliten als subvirale Partikel kann eine analoge Taxonomie mit jeweils eigenen Namensendungen mit charakterisierendem Bestandteil verwendet werden. Die aktuellen Top-Level-Taxa der Viren finden sich im Artikel Virus-Taxonomie $Top-Level Taxa. Innerhalb der Taxe des höchsten Rangs Realm wird jeweils eine gemeinsame Abstammung angenommen (Klade), die derzeitigen Top-Level-Taxa niedrigerer Rangstufen sind eventuell noch nicht zugeordnet oder bilden (einzeln oder mit anderen) eigene Realms. Im Gegensatz zu den zellulären Organismen (Lebewesen) wird bei den Viren in ihrer Gesamtheit kein gemeinsamer Urvorfahr angenommen. Die Baltimore-Klassifikation Die vom Nobelpreisträger und Biologen David Baltimore vorgeschlagene Klassifizierung basiert darauf, in welcher Form genau das Virusgenom vorliegt und wie daraus die Boten-RNA (mRNA) erzeugt wird. Das Virus-Genom kann in der Form von DNA oder RNA vorliegen, Einzelstrang (englisch: single-stranded, ss) oder Doppelstrang (englisch double-stranded, ds). Ein Einzelstrang kann als Original (englisch: sense, +) oder in komplementärer Form (englisch: antisense, −) vorliegen. Unter Umständen wird zur Vervielfältigung ein RNA-Genom übergangsweise in DNA umgesetzt (Retroviren) oder umgekehrt ein DNA-Genom übergangsweise in RNA transkribiert (Pararetroviren); in beiden Fällen wird die RNA mit einer Reversen Transkriptase (RT) in DNA zurückgeschrieben. Die gesamte Virosphäre wird durch folgende sieben Gruppen definiert: I:   dsDNA-Viren (dazu Adenoviren, Herpesviren, Riesenviren, Pockenviren) II:  ssDNA-Viren (+ Strang) DNA (dazu Parvoviren) III: dsRNA-Viren (dazu Reoviren) IV: (+)ssRNA-Viren (+ Strang) RNA (dazu Picornaviren, Togaviren) V:   (−)ssRNA-Viren (− Strang) RNA (dazu Orthomyxoviren, Rhabdoviren) VI:  ssRNA-RT-Viren (+ Strang) – RNA mit DNA-Zwischenstadium (Retroviren) VII: dsDNA-RT-Viren – DNA mit RNA-Zwischenstadium (Pararetroviren, dazu Hepadnaviren) Moderne Virusklassifikationen benutzen eine Kombination von ICTV und Baltimore. Schreibweise der Virusartnamen Der offizielle internationale, wissenschaftliche Name eines Virus ist die englischsprachige Bezeichnung, nach der sich stets auch die international gebräuchliche Abkürzung richtet, wie bei Lagos bat virus (LBV). Diese Abkürzung wird unverändert auch im Deutschen verwendet. Folgerichtig lautet die Abkürzung für die deutsche Virusbezeichnung Lagos-Fledermaus-Virus ebenfalls LBV. In den englischen Virusnamen wie zum Beispiel bei West Nile virus werden normalerweise keine Bindestriche benutzt und virus wird kleingeschrieben. Der Bindestrich taucht im Englischen nur bei Adjektiven auf, also bei Tick-borne encephalitis virus oder Avian encephalomyelitis-like virus. Im Deutschen werden die Virusnamen teilweise mit Bindestrichen geschrieben, also West-Nil-Virus, Hepatitis-C-Virus, Humanes Herpes-Virus, Lagos-Fledermaus-Virus, Europäisches Fledermaus-Lyssa-Virus, teilweise auch zusammen. Vor den Nummern von Subtypen steht (wie im Englischen) ein Leerzeichen, bei den Abkürzungen ein Bindestrich, z. B. Europäisches Fledermaus-Lyssa-Virus 1 (EBLV-1), Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) und Humanes Herpes-Virus 1 (HHV-1). Seit 2021 favorisiert das für Virusspezies eine binäre Namenskonvention frei nach Carl von Linné ähnlich wie bei den Lebewesen. Neue Virusarten erhalten als wissenschaftliche Bezeichnung einen binären Namen, die alten Bezeichnungen werden nach und nach angepasst. Da das ICTV keine Regeln für Trivialnamen in den einzelnen Weltsprachen vorgibt, sind diese davon nicht betroffen. Im Gegensatz zur belebten Welt werden nach den Regeln des ICTV auch die Namen der höheren Taxa (wie Familie, Ordnung, Klasse, Phylum (Abteilung) etc. kursiv geschrieben. Sie werden gewöhnlich nicht übersetzt. Im Gegensatz dazu werden Bezeichnungen für Subtypen (Stämme – im Sinn von ) – und Isolate) nie kursiv gesetzt (auch nicht evtl. darin enthaltene Gattungs- und/oder Artnamen ihrer Wirte). Werden häufig gebrauchte Namen einmal doch übersetzt (wie Coronaviren für Coronaviridae), dann werden diese Bezeichnungen nicht kursiv gesetzt. Da sich oft Taxa in aufsteigender Rangfolge nur durch die Endung unterscheiden (wie Herpesviridae und Herpesvirales), entstehen allerdings bei der Verwendung eingedeutschter Namen (hier: Herpesviren) oft Mehrdeutigkeiten. Das gilt auch für die Verwendung solcher Namen (z. B. Coronaviren für die prominentesten Vertreter wie SARS-CoV-2). Humanpathogene Viren und ausgelöste Erkrankungen Beim Menschen können eine Vielzahl von Krankheiten durch Viren verursacht werden. Allein diese humanpathogenen Viren sind hier nach Baltimore hinsichtlich Genom und Behüllung klassifiziert und erst nachrangig gemäß der Taxonomie des aufgelistet. Behüllte Viren Doppelsträngige DNA-Viren (dsDNA) Familie Poxviridae Unterfamilie Chordopoxvirinae Gattung Orthopoxvirus Orthopoxvirus variola = Variolavirus – Pocken, Echte Pocken Orthopoxvirus variola var. alastrim = Kaffernpockenvirus – Pocken, Weiße Pocken Monkeypoxvirus (MPV) = Orthopoxvirus simiae – Affenpocken; auch auf den Menschen übertragbar, Symptome wie bei Menschenpocken, aber deutlich milder Gattung Parapoxvirus Parapoxvirus ovis = Orf-Virus – Orf Gattung Molluscipoxvirus Molluscum-Contagiosum-Virus – Dellwarze (Molluscum contagiosum) Familie Herpesviridae Unterfamilie Alphaherpesvirinae Gattung Simplexvirus Herpes-simplex-Virus 1 (HSV-1) = Humanes Herpes-Virus 1 (HHV-1) – Herpes simplex, Herpes labialis, Stomatitis aphtosa Herpes-simplex-Virus 2 (HSV-2) = Humanes Herpes-Virus 2 (HHV-2) – Herpes simplex, Herpes genitalis Herpes-B-Virus = (Herpesvirus simiae) Gattung Varicellovirus Varizella-Zoster-Virus (VZV) = Humanes Herpes-Virus 3 (HHV-3) – Windpocken = Varizellen (Herpes zoster), Gürtelrose suid Herpesvirus Typ 1 (SHV-1) = Pseudowut-Virus, Aujeszky-Virus u. a. – Aujeszkysche Krankheit = Pseudowut, Juckseuche, Tollkrätze u. a. (bei Tieren, mit geringer Pathogenität auch auf den Menschen übertragbar) Unterfamilie Betaherpesvirinae Gattung Cytomegalovirus Humanes Cytomegalievirus (HCMV) = Humanes Zytomegalievirus (HZMV) = Humanes Herpes-Virus 5 (HHV-5) – Zytomegalie Gattung Reseolovirus Humanes Herpesvirus 6 (HHV-6) – Drei-Tage-Fieber Humanes Herpesvirus 7 (HHV-7) – Drei-Tage-Fieber Unterfamilie Gammaherpesvirinae Gattung Lymphocryptovirus Epstein-Barr-Virus (EBV) = Humanes Herpes-Virus 4 (HHV-4) – Pfeiffer-Drüsenfieber, Burkitt-Lymphom Gattung Rhadinovirus Humanes Herpes-Virus 8 (HHV-8) – Kaposi-Sarkom Familie Hepadnaviridae Gattung Orthohepadnavirus Hepatitis-B-Virus (HBV) – Hepatitis B Einzel(+)-Strang-RNA-Viren (ss(+)RNA) Familie Togaviridae Gattung Alphavirus – Erreger von Arbovirosen Barmah-Forest-Virus – Barmah-Forest-Fieber mit grippeähnlichen Symptomen, epidemische Polyarthritis Chikungunya-Virus (CHIKV) – Chikungunya-Fieber Eastern-Equine-Encephalitis-Virus (EEEV) = Östliches-Pferdeenzephalitis-Virus – Übertragung durch Stechmücken auch auf den Menschen möglich (selten!) → Östliche Pferdeenzephalomyelitis (Enzephalitis/ Enzephalomyelitis) Western-Equine-Encephalitis-Virus (WEEV) = Westliches-Pferdeenzephalitis-Virus – Übertragung durch Stechmücken auch auf den Menschen möglich (selten!) → Westliche Pferdeenzephalomyelitis (Enzephalitis/ Enzephalomyelitis) Everglades-Virus – Everglades-Fieber O'nyong-nyong-Virus (ONNV) – O’nyong-nyong-Fieber Mayaro-Fieber-Virus (MAYV) – Mayaro-Fieber Semliki-Forest-Virus (SFV) – Semliki-Forest-Fieber Mucambo-Virus – Mucambo-Fieber Ross-River-Virus (RRV) – Ross-River-Fieber Sindbis-Virus (SINV) – Sindbis-Fieber (Gelenkentzündung [„epidemische Polyarthritis“], zum Teil mit Hautausschlägen und selten mit Enzephalitis) Gattung Rubiviren Rubivirus = Rötelnvirus = Rubellavirus (RUBV) – Röteln Familie Flaviviridae Gattung Hepacivirus Hepatitis-C-Virus (HCV) – Hepatitis C GB-Virus-C (ohne Krankheitswert) Gattung Flavivirus West-Nil-Virus (WNV) – West-Nil-Fieber Dengue-Virus (DENV) – Dengue-Fieber Gelbfieber-Virus (YFV) – Gelbfieber Louping-ill-Virus (LIV) – Louping-ill-Enzephalitis St.-Louis-Enzephalitis-Virus (SLEV) – St.-Louis-Enzephalitis Japan-Enzephalitis-Virus (JEV) – Japanische Enzephalitis Usutu-Virus (USUV) – unspezifische Symptome wie Fieber und/oder Hautausschläge Kyasanur-Forest-Disease-Virus (KFDV) – Kyasanur-Wald-Fieber Powassan-Virus (POWV) – Powassan-Enzephalitis FSME-Virus [englisch: tick-borne encephalitic virus (TBEV)] – FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis) Subtyp European / Western tick-borne encephalitis virus (WTBEV) Subtyp Siberian tick-borne encephalitis virus (STBEV) Subtyp Far-Eastern tick-borne encephalitis virus (Far-Eastern TBEV); ehemals Russian-Spring-Summer-Enzephalitis-Virus (RSSEV) – RSSE, auch RFSE (Russian-Spring-Summer-Enzephalitis, Russische Frühsommerenzephalitis) Zika-Virus (ZIKV) (2 Hauptgruppen; diverse Subtypen) – meist nur Hautausschlag, Fieber, Gelenkschmerzen, Konjunktivitis Gattung Jingmenvirus (Vorschlag) nach NCBI Spezies Jingmen Tick Virus (JMTV) - bislang entdeckte Krankheitsanzeichen: Juckreiz oder schmerzhafter Schorf an der Stelle des Zeckenbisses, gelegentlich Kopfschmerzen, Asthenie, Lymphadenopathie Spezies Alongshan-Virus (ALSV) - bislang entdeckte Krankheitsanzeichen: Meningoenzephalitis (ähnlich FSME) Familie Coronaviridae Unterfamilie Orthocoronavirinae Gattung Alphacoronavirus Untergattung Duvinacovirus Humanes Coronavirus 229E (HCoV-229E) – Erkältung Untergattung Setracovirus Humanes Coronavirus NL63 (HCoV-NL63) – Erkältung Gattung Betacoronavirus Untergattung Embecovirus Spezies Betacoronavirus 1 Subspezies Humanes Coronavirus OC43 (HCoV-OC43) – Erkältung; gelegentlich auch schwere Infektion der Atemwege, Pneumonie Spezies Humanes Coronavirus HKU1 (HCoV-HKU1) – Erkältung Untergattung Merbecovirus Middle East respiratory syndrome coronavirus (MERS-CoV) – grippeähnliche Symptome, schwere Infektion der Atemwege, Pneumonie und ggf. Nierenversagen Untergattung Sarbecovirus SARS-assoziiertes Coronavirus (SARS-CoV) – SARS (atypische Lungenentzündung Pneumonie), mit Subtyp Subtyp SARS-CoV-2 (eng. 2019-novel Coronavirus, 2019-nCoV, bzw. Wuhan seafood market pneumonia virus) – COVID-19: Infektion der unteren Atemwege bis zur Lungenentzündung Unterfamilie Torovirinae Gattung Torovirus diverse Arten – Gastroenteritis Familie Retroviridae – Einzel(+)-Strang-RNA-Viren mit dsDNA-Zwischenstufe Unterfamilie Orthoretrovirinae Gattung Deltaretrovirus Humanes T-lymphotropes Virus 1 (HTLV-1) – Adulte T-Zell-Leukämie, Tropische Spastische Paraparese Humanes T-lymphotropes Virus 2 (HTLV-2) – Leukämie (?) Humanes T-lymphotropes Virus 3 (HTLV-3) – unbekannt Humanes T-lymphotropes Virus 4 (HTLV-4) – unbekannt Gattung Lentivirus Humanes Immundefizienz-Virus Typ 1 (HIV-1) – AIDS Humanes Immundefizienz-Virus Typ 2 (HIV-2) – AIDS Einzel(−)-Strang-RNA-Viren (ss(−)RNA) Familie Arenaviridae Gattung Mammarenavirus Untergattung LCMV/Lassa-Komplex (Altwelt-Arenaviren) Lassa-Virus (Lassa mammarenavirus / LASV) – Lassa-Fieber lymphozytäre-Chorio-Meningitis-Virus (Lymphocytic choriomeningitis Virus / Lymphocytic choriomeningitis mammarenavirus / LCMV) – Lymphozytäre Choriomeningitis Mopeia-Virus (MOPV) - Mopeia-Fieber (hämorrhagisches Fieber mit teilweise sehr schwerem bis tödlichem Verlauf.) Lujo-Virus (Lujo mammarenavirus / LUJV) - Lujo-Fieber (hämorrhagisches Fieber) Untergattung Tacaribe-Komplex: (Neuwelt-Arenaviren) Chapare-Virus (Chapare mammarenavirus / CHAV) – Hämorrhagisches Fieber Tacaribe-Virus (Tacaribe mammarenavirus / TCRV) – Hämorrhagisches Fieber Junin-Virus (Argentinian mammarenavirus / JUNV) – Junin-Fieber (argentinisches hämorrhagisches Fieber / AHF) Machupo-Virus (Machupo mammarenavirus / MACV) – Machupo-Fieber (bolivianisches hämorrhagisches Fieber / BHF mit hoher Letalität.) Guanarito-Virus (Guanarito mammarenavirus / GTOV) - Guanarito-Fieber (venezolanisches hämorrhagisches Fieber / VHF) Sabia-Virus (SPH 114202 virus / Brazilian mammarenavirus / Sabiá mammarenavirus / SABV) - Sabia-Fieber (brasilianisches hämorrhagisches Fieber / BzHF) Familie Bornaviridae Gattung Orthobornavirus (früher Bornavirus) Spezies Mammalian 1 orthobornavirus Virus der Bornaschen Krankheit (engl. Borna disease virus 1 = BoDV-1) – Erreger der Borna-Krankheit bei Pferden, Schafen und anderen Säugetieren, in seltenen Fällen auch auf den Menschen übertragbar – schwere (Enzephalitiden) Spezies Mammalian 2 orthobornavirus Bunthörnchen-Bornavirus 1 (engl. variegated squirrel Bornavirus 1 = VSBV-1) bei Bunthörnchen (Sciurus variegatoides) nachgewiesen, auch auf den Menschen übertragbar – potenziell tödlich verlaufende Encephalitis Familie Bunyaviridae – Erreger von Arbovirosen Gattung Orthobunyavirus Bunyamwera-Virus (Serogruppe) Batai-Virus (BATV) – grippeähnliche Symptome und Hautausschläge California-Encephalitis-Virus (Serogruppe) – Encephalitis Gattung Phlebovirus Rift-Valley-Fieber-Virus (3 Subtypen) – Rift-Tal-Fieber Sandmückenfieber-Virus (SFNV) – Sandfly fever = Sandmückenfieber Subtyp Karimabad-Virus (KARV) Subtyp Sandmückenfieber-Virus Sabin (SFNV-Sabin) Subtyp Teheran-Virus (THEV) Subtyp Toscana-Virus (TOSV) – Pappataci-Fieber Serotypen: Toskana (T), Sizilien (S) und Neapel (N) Gattung Nairovirus Krim-Kongo-Fieber-Virus (Serogruppe): Subtyp Krim-Kongo-Hämorrhagisches-Fieber-Virus (CCHFV) – Krim-Kongo-Fieber Subtyp Hazara-Virus (HAZV) – Krim-Kongo-Fieber Subtyp Khasan-Virus (KHAV) – Krim-Kongo-Fieber Gattung Hantavirus Hantaan-Virus (4 Subtypen) – hämorrhagisches Fieber, Nephritis Seoul-Virus (Serogruppe) – hämorrhagisches Fieber Prospect-Hill-Virus (2 Subtypen) – hämorrhagisches Fieber Puumala-Virus (Serogruppe) – hämorrhagisches Fieber, Pneumonie, Nephritis Dobrava-Belgrad-Virus – hämorrhagisches Fieber Tula-Virus – hämorrhagisches Fieber Sin-Nombre-Virus (Serogruppe) – hämorrhagisches Fieber mit schwerem Lungenödem Familie Filoviridae Gattung Marburg-Virus Lake-Victoria-Marburgvirus (Serogruppe) – Marburg-Fieber (hämorrhagisches Fieber) Gattung Ebolavirus Zaire-Ebolavirus (ZEBOV) Serogruppe – Ebolafieber (hämorrhagisches Fieber) Sudan-Ebolavirus (SEBOV) Serogruppe – Ebolafieber (hämorrhagisches Fieber) Reston-Ebolavirus (REBOV) Serogruppe – nicht humanpathogen, nur bei Makaken und Schweinen hämorrhagisches Fieber Côte d'Ivoire-Ebolavirus (CIEBOV) Serogruppe – Ebolafieber (hämorrhagisches Fieber) Bundibugyo-Ebolavirus (BEBOV) Serogruppe – Ebolafieber (hämorrhagisches Fieber) Familie Orthomyxoviridae Gattung Influenzavirus A – Influenza (Grippe) Influenzavirus A-Variante H1N1 – Influenza (Grippe) Influenzavirus A-Variante H3N2 – Influenza (Grippe) (aviäres) Influenzavirus-A-Variante H5N1, hoch pathogenes aviäres Influenzavirus (HPAIV) – „Vogelgrippe“, bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar, aber kaum von Mensch zu Mensch. Gattung Influenzavirus B – Influenza (Grippe) Influenzavirus B/Victoria-Linie – Influenza (Grippe) Influenzavirus B/Yamagata-Linie – Influenza (Grippe) Gattung Influenzavirus C – Influenza (Grippe) Gattung Influenzavirus D – Influenza (Grippe) Familie Paramyxoviridae Gattung Avulavirus Humanes Parainfluenzavirus (Typ 1, 3) – Erkältung, Parainfluenza Gattung Morbillivirus Masernvirus – Masern Gattung Henipavirus Hendra-Virus, (früher Equines Morbillivirus) – Pneumonie; Enzephalitis Nipah-Virus – Pneumonie; Enzephalitis Gattung Rubulaviren Humanes Parainfluenzavirus (Typ 2, 4) – Erkältung, Parainfluenza Mumpsvirus – Mumps Familie Pneumoviridae Gattung Orthopneumovirus (früher: Pneumovirus) Humanes Respiratorisches Synzytial-Virus (HRSV) (Typ A, B) – Atemwegsinfektion, Erkältung Gattung Metapneumovirus Humanes Metapneumovirus (HMPV) (Typ A1 bis 2, B1 bis 2) – Atemwegsinfektion, Erkältung Familie Rhabdoviridae Gattung Vesiculovirus Vesicular-Stomatitis-Indiana-Virus (VSV) – Stomatitis vesicularis (Mundschleimhautentzündung mit Bläschenbildung) bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar Gattung Lyssavirus Rabiesvirus (RABV) (ehemals Genotyp 1) = Tollwutvirus – Tollwut, bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar Mokola-Virus (MOKV) (ehemals Genotyp 3) – Tollwut, bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar Duvenhage-Virus (DUVV) (ehemals Genotyp 4) – Tollwut, bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar Europäisches Fledermaus-Lyssa-Virus 1 + 2 (EBLV-1, -2) (ehemals Genotypen 5 und 6) – Tollwut, bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar Australisches Fledermaus-Lyssa-Virus (ABLV) (ehemals Genotyp 7) – Tollwut, bei Tieren, auch auf den Menschen übertragbar Unbehüllte Viren Doppelsträngige DNA-Viren (dsDNA) Familie Adenoviridae Gattung Mastadenovirus Humane Adenoviren A-F (51 Subtypen) – Schnupfen, Erkältungen, Durchfall Familie Polyomaviridae Gattung Polyomavirus BK Polyomavirus (BKPyV) = BK-Virus (BKV) = Polyomavirus hominis Typ 1 – führt bei immunsuppressiver Behandlung nach Transplantation ev. zum Verlust des Transplantates JC Polyomavirus (JCPyV) = JC-Virus (JCV) = Polyomavirus hominis Typ 2 – bei zellulär Immunsupprimierten (AIDS) zu Progressiver multifokalen Leukoenzephalopathie (PML) Familie Papillomaviridae Gattung Papillomavirus Untergattung Humane Papillomviren diverse Humane Papillomviren (HPV) – Warzen; Kondyloma-Virus 6 (HPV-6) – Feigwarzen; sehr selten: Rezidivierende respiratorische Papillomatose (multiples, rezidivierendes Auftreten von meist gutartigen Plattenepithelpapillomen im Kehlkopf bis in Luftröhre (Trachea) und Lunge. Kondyloma-Virus 11 (HPV-11) – Feigwarzen; sehr selten: Rezidivierende respiratorische Papillomatose (multiples, rezidivierendes Auftreten von meist gutartigen Plattenepithelpapillomen im Kehlkopf bis in Luftröhre (Trachea) und Lunge). Humanes Papillomvirus 16 /18 /30 … (HPV-16 /-18 /-30 …) – Zervixkarzinom (Gebärmutterhalskrebs) Einzelsträngige DNA-Viren (ssDNA) Familie Parvoviridae Unterfamilie Parvovirinae Gattung Dependoparvovirus (alias Dependovirus) Spezies Adenoassoziiertes Virus A (AAV-A) Adenoassoziiertes Virus 1 bis 4 (AAV-1 bis AAV-4) Spezies Adenoassoziiertes Virus B (AAV-B) Adenoassoziiertes Virus 5 (AAV-5) Gattung Erythroparvovirus (alias Erythrovirus) Spezies Primate erythroparvovirus 1 Parvovirus B19 – Ringelröteln Doppelsträngige RNA-Viren (dsRNA) Familie Reoviridae Gattung Rotavirus diverse Arten – Gastroenteritis mit Durchfall Gattung Coltivirus Colorado-Tick-Fever-Virus – Colorado-Zeckenfieber Einzel(+)-Strang-RNA-Viren (ss(+)RNA) Familie Caliciviridae Gattung Norovirus Norovirus (NV) = Norwalk-Like-Virus (NLV) Humane Noroviren der Gruppen GGI, GGII und GGIV – Brechdurchfall = Gastroenteritis Gattung Sapovirus Sapovirus (SV) – Gastroenteritis Familie Hepeviridae Gattung Hepevirus Hepatitis-E-Virus (HEV) – Hepatitis E Familie Picornaviridae Gattung Enterovirus Poliovirus Typ 1–3 – Kinderlähmung Coxsackievirus A/B – von Erkältung bis Meningitis, Pankreatitis oder Myocarditis, selten auch Lähmungen Coxsackievirus B1 (CVB-1) bis B 6 – Erkältung Echovirus – Exantheme Enantheme, Infektionen des oberen Respirationstrakts (Erkältung), Herpangina, Myoperikarditis, verstreute (disseminierte) Infektion bei Neugeborenen, chronische Meningoenzephalitis bei immunsupprimierten Patienten, Meningitis, Enzephalitis selten Paralyse Enterovirus Humane Enteroviren – Erkältung Humanes Enterovirus 70 (EV-70) – akute hämorrhagische Konjunktivitis Humanes Enterovirus 71 (EV-71) – Meningoenzephalitis, Hautausschlag und Poliomyelitis ähnliches Syndrom = Hand-Fuß-Mund-Krankheit Gattung Hepatovirus Hepatitis-A-Virus – Hepatitis A Gattung Rhinovirus Rhinovirus Humane Rhinoviren-1 A (HRV-1 A) oder 1 B bis 100 – Erkältung Onkoviren Die Gruppe der „Onkoviren“, der wichtigsten beim Menschen krebserzeugenden (karzinogenen) Viren, ist weltweit für 10 bis 15 Prozent aller Krebserkrankungen des Menschen verantwortlich, nach Schätzung der amerikanischen Krebsgesellschaft sogar für etwa 17 % der Krebsfälle. Epstein-Barr-Virus (EBV) Hepatitis-B-Virus (HBV) Hepatitis-C-Virus (HCV) Humanes Papillomvirus (HPV) Humanes T-lymphotropes Virus 1 (HTLV-1) Humanes Herpesvirus 8 (HHV-8, auch Kaposi-Sarkom-Herpesvirus, KSHV) Riesenviren Antivirale Medikamente Da Viren beziehungsweise Virionen im Gegensatz zu Bakterien keine Zellen sind, können sie auch nicht wie solche abgetötet werden. Es ist lediglich möglich, eine virale Infektion und die Virusvermehrung durch Virostatika zu be- oder zu verhindern. Besonders die biochemischen Vermehrungsabläufe können von Virusart zu Virusart sehr unterschiedlich sein, was die Findung eines hemmenden oder unterbindenden Wirkstoffes erschwert. Da die Vermehrung der Viren im Inneren von normalen Zellen stattfindet und sich dort sehr eng an die zentralen biochemischen Zellmechanismen ankoppelt, müssen die in Frage kommenden antiviralen Wirkstoffe das Eindringen der Virionen in die Wirtszellen verhindern, in den Zellstoffwechsel zum Nachteil der Virusvermehrung eingreifen oder nach einer möglichen Virusvermehrung in den Zellen das Austreten der neuen Viren aus den Zellen unterbinden. Andererseits müssen diese gesuchten Wirkstoffe jedoch auch für den Körperstoffwechsel, den Zellverband und/oder den internen Zellstoffwechsel insgesamt verträglich sein, da sonst nicht nur beispielsweise die Virusvermehrung in den Zellen zum Erliegen kommt, sondern schlimmstenfalls auch das (Zell-)Leben des gesamten behandelten Organismus. Da sich diese Bedingungen sehr schwer vereinbaren lassen, bergen die bisher entwickelten antiviralen Medikamente oft das Risiko schwerer Nebenwirkungen. Diese Gratwanderung stellt die Medizin vor schwierige Aufgaben, die bislang meist ungelöst blieben. Verschärft wird die Entwicklung von effektiven antiviralen Medikamenten außerdem durch die Entwicklung von Resistenzen der zu bekämpfenden Viren gegenüber einem einmal gefundenen, brauchbaren Wirkstoff, zu der sie auf Grund ihres extrem schnell ablaufenden Vermehrungszyklus und der biochemischen Eigenart dieser Replikation gut in der Lage sind. Therapie mit Viren Aktuell wird verstärkt an Therapien geforscht, bei denen Viren zur Heilung von Krankheiten eingesetzt werden. Diese Forschungen umfassen den Einsatz viraler Vektoren unter anderem als onkolytische Viren zur Bekämpfung von Tumoren, als Phagentherapie zur gezielten Infektion und Lyse von zum Teil antibiotikaresistenten Bakterien, als Impfstoff zur Prophylaxe und Therapie von Infektionskrankheiten, zur Erzeugung von induzierten pluripotenten Stammzellen oder zur Gentherapie von Gendefekten. Virenvermehrung im Labor Im Jahr 2022 ist es in München erstmals gelungen, Bakterienviren in einer zellfreien Nährlösung aus einem Extrakt aus molekularen Bausteinen und Enzymen von Kolibakterien zu vermehren, d. h. nach Zugabe der Phagen-DNA entstanden funktionsfähige Viruspartikel (Virionen). Man erhofft sich davon die reproduzierbare und maßgeschneiderte Herstellung von Phagen für die Therapie bakterieller Infektionen durch antibiotikaresistente Keime. Siehe auch Endogenes Retrovirus Extremophile :Kategorie:Virologe Literatur Ältere Literatur Feodor Lynen: Das Virusproblem. In: Angewandte Chemie. Band 51. Nr. 13, 1938, , S. 181–185. Aktuelle Literatur Hans W. Doerr, Wolfram H. Gerlich (Hrsg.): Medizinische Virologie – Grundlagen, Diagnostik und Therapie virologischer Krankheitsbilder. Thieme, Stuttgart/ New York 2002, ISBN 3-13-113961-7. Walter Doerfler: Viren. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2002, ISBN 3-596-15369-7. Dietrich Falke, Jürgen Bohl u. a.: Virologie am Krankenbett: Klinik, Diagnostik, Therapie. Springer, Heidelberg u. a. 1998, ISBN 3-540-64261-7 (mit Literaturangaben). Matthias Eckoldt Virus: Partikel, Paranoia, Pandemien. Ecowin, Salzburg/ München 2021, ISBN 978-3-7110-0275-4. Dietrich Falke, Jürgen Podlech: Viren. In: Peter Reuter: Springer Lexikon Medizin. Springer, Berlin u. a. 2004, ISBN 3-540-20412-1, S. 2273–2282. S. J. Flint, L. W. Enquist, V. R. Racaniello (Hrsg.): Principles of Virology. 2. Auflage, ASM Press, Washington DC 2003, ISBN 1-55581-259-7. Alfred Grafe: Viren – Parasiten unseres Lebensraumes. Springer, Berlin/ Heidelberg/ New York 1977, ISBN 3-540-08482-7. David M. Knipe, Peter M. Howley et al. (Hrsg.): Fields’ Virology. 2 Bände, 5. Auflage, Lippincott Williams & Wilkins, Philadelphia 2007, ISBN 978-0-7817-6060-7 (Standardwerk der Virologie). Arnold J. Levine: Viren: Diebe, Mörder und Piraten. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 1992, ISBN 3-86025-073-6. Susanne Modrow, Dietrich Falke, Uwe Truyen: Molekulare Virologie. Eine Einführung für Biologen und Mediziner (= Spektrum-Lehrbuch). 2. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2002, ISBN 3-8274-1086-X. Stephen S. Morse: The Evolutionary Biology of Viruses. Raven Press, New York 1994, ISBN 0-7817-0119-8. Sven P. Thoms: Ursprung des Lebens: wie und wann entstand Leben auf der Erde? … (= Fischer-Taschenbücher; Fischer kompakt.). Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3-596-16128-2. Luis P. Villarreal: Viruses and the Evolution of Life. ASM Press, Washington 2005, ISBN 1-55581-309-7. Ernst-Ludwig Winnacker: Viren: Die heimlichen Herrscher. Wie Grippe, Aids und Hepatitis unsere Welt bedrohen. Eichborn, Frankfurt am Main 1999, ISBN 3-8218-1598-1. Gottfried Schuster: Viren in der Umwelt. Teubner, Stuttgart 1998, ISBN 3-519-00209-4. Dorothy H. Crawford: The invisible enemy: a natural history of viruses. Oxford University Press, Oxford 2002, ISBN 0-19-856481-3. 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Wiley-Blackwell, Hoboken NJ 2014, ISBN 978-1-118-29787-2 (Print); ISBN 978-1-118-29809-1 (E-Book). Eugene V. Koonin, Tatiana G. Senkevich, Valerian V. Dolja: The ancient Virus World and evolution of cells. In: Biology Direct. 19. September 2006, Band 1, Artikel 29, doi:10.1186/1745-6150-1-29, PMID 16984643, (englisch). Film Wie Viren unseren Körper angreifen – Abwehrkampf im Inneren der Zelle. Dokumentation von Mike Davies, Wide-Eyed Entertainment für BBC, 2012, 46 min, deutsch (Englisches Original: ) Weblinks Viren: Aufbau, Spezifische Merkmale, Entwicklung, Zellbiologie, Unterscheidung zu Bakterien Auf: zytologie-online.net; zuletzt abgerufen am 31. März 2023. International Committee on Taxonomy of Viruses: ICTV. Auf: talk.ictvonline.org; zuletzt abgerufen am 31. März 2023. Craig Freudenrich, Patrick J. Kiger: How viruses work. Auf: science.howstuffworks.com vom 3. April 2020; zuletzt abgerufen am 31. März 2023. Virusworld. (aus Röntgenstrukturanalysen abgeleitete 3-D-Darstellungen von Viren) Auf: virology.wisc.edu über archive.org vom 24. April 2011. Henning Engeln: Wie Viren die Evolution des Menschen beflügelten. Auf: riffreporter.de vom 8. April 2020; zuletzt abgerufen am 31. März 2023. Nadja Podbregar: Viren – Erfolgsmodell der Evolution. Dossier auf scinexx.de vom 3. April 2020; zuletzt abgerufen am 31. März 2023. Einzelnachweise Virologie ! Wikipedia:Artikel mit Video
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https://de.wikipedia.org/wiki/Altar
Altar
Ein Altar (von spätlateinisch altar[e], zu lateinisch altaria „[Aufsatz auf dem] Opfertisch, Brandaltar“ von alta ara „hoher Altar“, „Feuer-Aufsatz“) ist eine Opferstätte oder ein Opfertisch als Verehrungsstätte für Gottheiten. Auf Altären können Opfergaben dargebracht werden. Doch auch die Errichtung des Altars an sich und seine unter Umständen reiche Verzierung gelten bereits als Akte der Verehrung. Vorgeschichte Der älteste Altar ist der Plattenaltar: eine relativ ebene, im Umriss unregelmäßige Steinplatte, die im Heiligtum auf dem Boden lag oder wie in Lepenski Vir in den Bodenestrich eingelassen war. In der Folge entwickelten sich Bankaltäre, die in einem Gebäude oder einer artifiziellen Höhle umlaufen (Wandaltäre) oder wie bei maltesischen Tempeln Teil der Exedra sind. Mitunter sind sie, sofern auch Flüssigkeiten geopfert wurden, mit Bothroi (Opferlöchern) versehen. Aus dem südosteuropäischen Altneolithikum (Starčevo-Körös, Karanowo) sind kleine Tonaltäre bekannt, die meist vier Füße aufweisen. In den neolithischen Tempeln auf Malta wurden ab 3800 v. Chr. monolithische Tischaltäre errichtet. Die Formen vorgeschichtlicher Altäre variieren (gehörnter Altar von Be’er Scheva) und ihre genauen Bestimmungen führten später, von Religion zu Religion, zu immer anderen Mustern. So gibt es Brand- und Feueraltäre oder Altarberge (Megiddo, Monte d’Accoddi). Allerdings beruht die Deutung vieler vorgeschichtlicher Altäre auf Analogieschlüssen. Geschichte Griechen und Römer (Etrusker) Die Größe mancher antiker Altäre (beispielsweise 198 × 23 m in Syrakus) wurde später kaum mehr erreicht. Von christlichen Altären unterscheidet sie auch die Aufstellung im Freien, die die Durchführung größerer Brandopfer ermöglichte. Bekannt ist der reliefgeschmückte Pergamonaltar (2. Jh. v. Chr.), dessen Grundfläche ca. 36 × 34 m maß. Die Teilrekonstruktion des Altars befindet sich im Pergamonmuseum in Berlin. Andererseits gab es auch sehr kleine Altäre, selbst wenn sie für Feueropfer genutzt wurden. Entsprechende Darstellungen, auf denen ein Gott, der Kaiser oder ein anderes Mitglied der kaiserlichen Familie opfernd an einem kleinen Altar dargestellt werden, finden sich gelegentlich auf den Rückseiten römischer Münzen. In der späten römischen Kaiserzeit wird dieses Motiv abgelöst durch einen Globus über einem Altar mit zumeist rechteckigem Grundriss. Im etruskisch-römischen Totenbrauchtum wurden den Verstorbenen bzw. ihren Manen (persönliche Totengötter) Gedenkaltäre (cippi) errichtet, meist mit einer ehrenden Inschrift, von denen viele Tausende erhalten geblieben sind. In der Umgebung bedeutenderer Städte des römischen Reichs säumten Grabmäler und -altäre die Ausfallstraßen. Judentum der Antike Das Stadtheiligtum von Jerusalem war ursprünglich der salomonische Tempel. Der ausladende Bau war ein prägnanter Bau mit etwa 50 auf 25 Meter, der auf die Menschheit der damaligen Zeit einen großen Eindruck gemacht haben muss. Wichtiger Bestandteil waren einige Kultgeräte, aus Metall wie das „eherne Meer“ und „die zehn Kesselwaagen“ oder der Räucher- und der Brandopferaltar. Die genaue Bedeutung aller Kultgeräte ist nicht überliefert. Der Räucheraltar und der Brandopferaltar waren die wichtigsten Opferstätten. Auf dem Räucheraltar wurden Weihrauch und andere Spezereien gelegt. Am Brandopferaltar wurden in den Zeiten der zunehmenden Wirtschaftlichen Blüte ganze oder zerlegt Opfertiere verbrannt. Bei einem Schlachtopfer wurden sie gekocht und anschließend verzehrt. Das Fett wurde verbrannt. Dazu wurden Gebete zu Ehren der Gottheiten verrichtet und Psalmen gesungen. Es erklang auch Kultmusik auf Zimbeln, Saitenmusik auf Leier und Harfe und das Schofar- oder Widderhorn. Christentum Funktion und Symbolik Im Christentum wird der Altar in Anlehnung an das letzte Abendmahl, das Jesus Christus am Abend vor seinem Leiden mit seinen Jüngern beging, auch als mensa domini (Tisch des Herrn) bezeichnet. Das lateinische mensa domini entspricht der griechischen Bezeichnung für den Tisch des Herrn, τράπεζα κυρίου trápeza kyríou , wie er in der alten Kirche für die Feier der Eucharistie im christlichen Gottesdienst Verwendung fand. Der christliche Altar dient der Feier der Eucharistie. Hierbei werden die Gaben dargebracht: Brot und Wein, die der Gemeinde in der Kommunion bzw. im Abendmahl gereicht werden. Bis ins 4. Jahrhundert hinein war es in Rom üblich, diesen Tischaltar erst vor dem Gottesdienst bzw. zu Beginn der eigentlichen Eucharistiefeier von den Diakonen hereintragen und aufstellen zu lassen. Der tragbare Altar wurde an einem erhöhten Ort, in Basiliken am Vorderrand der Apsis oder auch mitten im Kirchenschiff aufgestellt. Die Errichtung feststehender Altäre im 4. und 5. Jahrhundert brachte deren Fertigung aus Stein mit sich. Zunächst blieb die Form eines Tisches erhalten, im 7. und 8. Jahrhundert glich der Altar hingegen immer mehr einem Kubus oder Block, in Anlehnung an den Felsen, auf den Christus seine Kirche erbaut hat bzw. den Eckstein, zu dem Christus selbst geworden ist . Die im 2. bis 3. Jahrhundert einsetzende Verehrung der Märtyrer nahm ebenfalls Einfluss auf die Altargestaltung. Zunächst wurde es üblich, über dem Grab eines Märtyrers oder in dessen unmittelbarer Nähe die Eucharistie zu feiern. Später begann man, über diesen Gräbern Gedächtniskirchen – sogenannte Martyrien – und Altäre zu errichten. Da es nicht überall Märtyrergräber gab, ging man dazu über, Reliquien unter dem Sockel des Altares bzw. der Altarplatte beizusetzen, in Anlehnung an . Ambrosius von Mailand deutete dies so: „Auf diese Weise folgen die Opfer im Triumph dorthin, wo Christus die Opfergabe ist: Er, der für uns alle gelitten hat, liegt auf dem Altar; sie, die durch sein Leiden erkauft wurden, ruhen unter dem Altar.“ Dieser Brauch führte schließlich zu der Vorschrift, in die Altarplatte (Mensa) eine (Teil-)Reliquie einzumauern. In der Renaissance hatten daher Altäre auch die Form eines Sarkophages. Noch vor der Errichtung steinerner Altäre wurde der Ort des Altars, der Altarraum, mancherorts durch Schranken vom Kirchenschiff abgegrenzt. Meist schloss dieser Altarraum auch den Platz des Kantors, die Kathedra des Bischofs und die Sedilien (Sitze der Priester und Presbyter) ein. Aus den Chorschranken, die in der alten Kirche aus Holz bzw. Steinsäulen bestanden, an denen Bilder oder bebilderte Stoffbehänge befestigt werden konnten, entwickelte sich in der Ostkirche die Ikonostase, in der Lateinischen Kirche der Lettner, aus diesem wiederum im Barock die Kommunionbank. Der Standort des Priesters am Altar war zunächst vor dem (freistehenden) Altar in gleicher Blickrichtung wie die anwesenden Gläubigen. Dieser Standort ergab sich aus der Gebetsostung, die bereits 200 n. Chr. als feste Regel galt. Die Position „versus populum“, also zu den Märtyrerreliquien hin, hatte der Priester allein in Rom, weil die Reliquien dort über eine Confessio unter dem Altar zur Verehrung zugänglich gemacht wurden. Der Zelebrant stand dann ausnahmsweise sowohl in Richtung Märtyrerreliquien als auch in Richtung Osten, weil diese Kirchen eingangsgeostet waren. Die Eingangsostung wurde in Nordafrika adaptiert. In der Folge verlagerte sich der Standort des Hauptaltares immer weiter an die Wand der Apsis, der Altar wurde zum Hochaltar, zuweilen auch als Choraltar bezeichnet. Der Altar stand nun nicht mehr frei im Raum und wurde an der Rückseite vielfach mit Aufbauten, Retabeln genannt (Reliefs oder Altarbildern), versehen. So entstanden die künstlerisch gestalteten Retabel- und Flügelaltäre der Gotik und des Barock. An der Vorderseite des Altares konnte eine Schmucktafel, das Antependium, angebracht sein. Da der Hauptaltar nun weiter vom Platz der mitfeiernden Gläubigen entfernt war, gab es öfters einen weiteren Altar zwischen Hauptschiff und Chor, der dem heiligen Kreuz geweiht war und der als Kreuzaltar, Laienaltar, Messaltar, Volks- oder Gemeindealtar bezeichnet. Hauptaltar und Seitenaltar Insbesondere mittelalterliche Kirchen weisen neben dem Hauptaltar eine mehr oder größere Anzahl von Neben- oder Seitenaltären auf, abhängig von Größe, Bedeutung und Reichtum der Kirche. Berühmte Reliquien machten die Bedeutung einer Ortskirche aus. Die Menge der Reliquien wurde zunehmend in mehreren Altären geborgen, die räumlich voneinander abgegrenzt waren und als eigenständiges Heiligtum galten, welches durch eine Messfeier geehrt werden musste. Dadurch vervielfachte sich die Zahl der Messfeiern in einer Kirche, die durch Mönchspriester oder Altaristen zelebriert wurden. So konnte täglich an mehreren Altären zur gleichen Zeit die heilige Messe in Form einer Privatmesse (das heißt nur mit einem Messdiener als Assistenz) gehalten werden. Die Entwicklung der Messstipendien im Mittelalter war ein weiterer Faktor zur häufigen Zelebration in einer Kirche. Der Chor großer Kirchen kann für die Nebenaltäre mit einem Kapellenkranz ausgestattet sein. Noch in der Neuzeit verfügten auch kleinere Kirchen in der Regel neben dem Hauptaltar im Chor über zwei geweihte Nebenaltäre, in der Regel am vorderen Abschluss der Seitenschiffe. Scheinaltar Manche Kirchen sind auch mit als Scheinaltäre bezeichneten ungeweihten Seitenaltären ausgestattet, die nicht zur Messfeier genutzt werden können und nur der prachtvollen Ausstattung einer Kirche dienen oder eine architektonische Symmetrie herstellen. Formen Man unterscheidet am Altar als Hauptbestandteile die Mensa (Altarplatte) und den Stipes (Unterbau). Folgende Altartypen sind verbreitet: 1. der Tischaltar als Platte mit Stützen; 2. der Kastenaltar als Hohlkörper mit Öffnungen zum inneren Hohlraum; 3. der Blockaltar als allseitig geschlossene Form, oft mit auskragender Mensa. Diese drei Typen waren im Mittelalter üblich. In der Renaissance entstand 4. der Sarkophagaltar. Mit seiner Form weist er auf das Reliquiengrab im Altar hin. Er ist der Haupttypus des barocken Altars. Ein architektonischer Altarbaldachin dient gelegentlich als Auszeichnung des Altars, er wird auch Ziborium genannt (nicht zu verwechseln mit dem Ziborium als liturgischem Gefäß). Da der höhere Klerus häufig unterwegs war und auf Reisen seinen liturgischen Pflichten (tägliche Messfeier) nachkommen musste, verbreiteten sich kleine Reisealtäre oder Tragaltäre. In der Kunst bezeichnet man als „Altar“ oft auch nur das Altarretabel, das gemalte Altarbild oder den architektonischen Altaraufbau, und man benennt kleine Andachtstafeln als „Privataltäre“, obwohl sie für sich genommen kirchenrechtlich keine geweihten Altäre sind. Als Prozessionsaltar (auch Altarbildstock) werden Altäre bezeichnet, die an Prozessionswegen stehen. Altar in orthodoxen Kirchen In den Orthodoxen Kirchen steht der Altar (; ) frei mitten in der mittleren Apsis, und zwar im vom Naos, dem Kirchenschiff, durch die Ikonostase abgesonderten, meist um eine Stufe erhöhten Bereich, der als „Allerheiligstes“ bezeichnet wird (byzantinisch Ἱερόν Βῆμα hierón bēma 'heilige Stufe'; qidduse qiddusan bei den äthiopisch-orthodoxen Christen und madbaha bei den Thomaschristen) und den während des Gottesdienstes nur Kleriker betreten. Der Altar gilt als Sinnbild für den Thron Christi, auf dem sich bei der Göttlichen Liturgie der „heilige Tausch“ vollzieht und wo in den Gestalten von Brot und Wein sein Leib und Blut gegenwärtig werden. Der hölzerne Altar ist ein Tisch mit einer quadratischen Altarplatte (Tafel oder Tisch – τράπεζα trápeza) in den Abmessungen zwischen 70 × 70 und 150 × 150 cm. Sie ruht an den Ecken bündig auf vier Pfosten, die mit einer Mischung aus Wachs, zerstoßenem Marmor, Aloe, Weihrauch und anderen Zutaten mit der Platte verklebt sind; zusätzlich wird jeweils ein Nagel durch die Platte in den Pfosten getrieben. Bei der Altarweihe durch den Bischof kommt ein etwa 20 bis 30 cm niedrigerer Pfosten mitten unter dem Altar hinzu, auf dem Heiligenreliquien in einem kleinen Behälter aufbewahrt werden. Die Kopten kennen nur den Blockaltar. Der Altar ist von zwei Tüchern bedeckt: zuunterst vom Katasárkion (Κατασάρκιον ‚Unterlage für den Leib‘; russ. katasarka, priplotie oder sračica ‚Unterkleid‘) aus weißer Seide, das bis zum Boden reicht und von einer 40 m langen Bindschnur (vervie) umwunden wird. Darüber liegt das Endýtion (Ἐνδύτιον, auch die Endytḗ (Ἐνδυτή) oder das Éndyma (Ἔνδυμα) ‚Kleid, Gewand‘ oder Háplōma (Ἅπλωμα) ‚einfaches Tuch‘; russ. enditija) aus Seide, häufig aus Seidenbrokat; es bedeckt den Altar seitlich bis zum Boden. Beim Gottesdienst wird ein seidenes Tuch, das Eilētón (Εἰλητόν, kirchenslawisch und russisch ilitón) über die Mitte des Altars auf dem Endýtion ausgebreitet; auf oder unter das Eilētón wird bei der Liturgie dann das Antimension gelegt, das die Reliquien von Märtyrern enthält. Außerhalb des Gottesdienstes ist der Altar über dem Katasárkion mit dem Kálymma hagías trapézēs (Κάλυμμα ἁγίας τραπέζης ‚Hülle des heiligen Tischs‘) bedeckt, das aus kostbarem Stoff besteht. Rechts vom Antimension liegt ein Handkreuz zur Segnung der Gläubigen. Auf dem Altar steht der Tabernakel in Form eines kleinen Hauses oder einer Kirche, in dem ein Kästchen für die Aufbewahrung der Krankenkommunion steht; es wird „Bundeslade“ (kovčeg) genannt. Neben dem Tabernakel befindet sich ein brennendes Öllämpchen. Meist liegt auch das Evangeliar auf dem Altar. Bei der Liturgie steht der Zelebrant, vom Volk abgewendet und somit in der Regel nach Osten schauend, vor dem Altar. Altar und Zelebrant sind vom Naos aus nur zeitweise durch die mittlere Tür in der Ikonostase sichtbar. Altar in römisch-katholischen Kirchen In römisch-katholischen Kirchen ist der Altar der Ort der Eucharistiefeier. Der im Chor einer Kirche stehende Altar wird als Hauptaltar bezeichnet. Im Altar kommen zwei Aspekte ein und desselben Mysteriums zum Ausdruck: der Opferaltar und der „Tisch des Herrn“ für das „Ostermahl, in dem Christus genossen, das Herz mit Gnade erfüllt und uns das Unterpfand der künftigen Herrlichkeit gegeben wird“. Um den Altar versammeln sich die Glieder des Leibes Christi und ihre Vorsteher als Abbild Christi, des Hauptes der Kirche. Zugleich ist er ein Symbol des Leibes Christi, wie sich bereits in den Schriften der Kirchenväter Eusebius von Caesarea und Ambrosius von Mailand findet: „Was ist nämlich der Altar anderes als ein Bild für den Leib Christi?“ „Der Altar ist ein Bild des Leibes, und der Leib Christi befindet sich auf dem Altar.“ Der Altar wird daher beim Einzug und vor dem Auszug jeder heiligen Messe von den Zelebranten mit dem Altarkuss geehrt. Gleichfalls Ausdruck der Verehrung ist die Inzens des Altares mit Weihrauch. Nach den Bestimmungen der Liturgiereform nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil soll der Altar einer Kirche feststehend sein und „überall, wo es möglich ist“ wieder freistehend errichtet werden, so dass er leicht umschritten werden kann und „wahrhaft den Mittelpunkt bildet, dem sich die Aufmerksamkeit der ganzen Versammlung der Gläubigen von selbst zuwendet“ („Volksaltar“). Seine Grundgestalt ist der Tisch, die mensa Domini; zugleich soll der Altar der Ort sein, „der Jesus Christus, den lebendigen Stein ( vgl. ), deutlicher und dauerhaft bezeichnet“. Auf Seiten- und Nebenaltäre wird seit der Liturgiereform verzichtet; neu gebaute Kirchen sollen nur einen Altar haben. Der Tabernakel als Aufbewahrungsort des Allerheiligsten wird wieder vom Altar getrennt. Gegebenenfalls kann er in einer vom Kirchenraum getrennten Kapelle stehen, wo dann auch ein zweiter Altar für Messfeiern mit kleineren Gruppen an Werktagen gestattet ist. Die Altarweihe (dedicatio ‚Widmung‘) findet im Rahmen eines feierlichen Pontifikalamtes durch den Bischof statt, im Ausnahmefall auch durch einen vom Bischof beauftragten Priester bei einer heiligen Messe. In der Regel gehört die Altarweihe zum Ritus der Kirchweihe. Wird in einer geweihten Kirche ein neuer Altar errichtet, wird er separat geweiht. Der Ritus dieser Altarweihe entspricht dem bei der Kirchweihe und beinhaltet die Allerheiligenlitanei, die Beisetzung von Reliquien (fakultativ), die Besprengung des Altares mit Weihwasser und die Salbung mit Chrisam, das Verbrennen von Weihrauch auf dem Altar und das Weihegebet. Die Altarweihe, ein Sakramentale, ist im Pontificale Romanum beschrieben und dem Bischof vorbehalten. Die Eucharistiefeier ist in einem sakralen Raum stets auf einem geweihten Altar zu vollziehen. Außerhalb eines sakralen Raumes kann sie auch auf einem passenden Tisch gehalten werden, wobei immer ein Altartuch, das Korporale, Kreuz und Leuchter beizubehalten sind. Der CIC von 1917 sah für reisende Priester, etwa Feldkapläne, den Gebrauch eines Altarsteines (Altare portatile) vor, der wie ein fester Altar vom Bischof konsekriert wurde und in den Reliquien eingebettet waren. Die Grundordnung des römischen Messbuches legt darüber hinaus fest, was alles auf den Altar gestellt bzw. gelegt werden darf – nämlich das Evangeliar, der Kelch mit der Patene oder Hostienschale, das Ziborium, das Korporale, das Kelchtuch, die Palla und das Messbuch – und in welcher Weise der Blumenschmuck des Altares in den geprägten Zeiten des Kirchenjahres ausgeführt werden soll. So darf in der Fastenzeit der Altar außer an Hochfesten und dem Sonntag Laetare nicht mit Blumen geschmückt werden. Altar in alt-katholischen Kirchen Der Altar in alt-katholischen Kirchen ist der zentrale Ort der Eucharistiefeier und Symbol Christi. Daher wird er durch einen Kuss verehrt und im feierlichen Gottesdienst (Hochamt) mit Weihrauch inzensiert. Im Zuge der Liturgiereform in den 1970er Jahren ist in den meisten alt-katholischen Kirchen die Altaraufstellung so abgeändert worden, dass er frei umschritten werden und der Priester während des Eucharistiegebets hinter dem Altar stehen kann. Die Altarweihe erfolgt grundsätzlich durch den Bischof. Altar in lutherischen Kirchen Der Altar nimmt in lutherischen Kirchen eine zentrale Stellung ein, da dort das Heilige Abendmahl gefeiert wird und die Kommunikanten nach lutherischer Auffassung Christi wahren Leib und sein wahres Blut zur Vergebung der Sünden empfangen. Im Gegensatz zu reformierten Kirchen wurde der vorreformatorische, meist steinerne Altar in lutherischen Kirchen beibehalten und bis ins 19. Jahrhundert oft mit reich verzierten Aufsätzen versehen, deren Zentralbild in der Regel eine Darstellung des Gekreuzigten ist, während sich in der Predella meist eine Darstellung des Letzten Abendmahls befindet. Die zentrale Bedeutung des Altarsakraments wird dadurch deutlich, dass sich oft um den Altar herum eine Kommunionbank befindet (oder zumindest Kniekissen an den Stufen des Altars), wo das Abendmahl kniend empfangen werden kann. In Gemeinden der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche singt die Gemeinde auch das Agnus Dei im Knien und bittet so noch einmal um das Erbarmen Christi, der sich am Kreuz geopfert hat. Der Altar, auf dem in der Regel die Altarbibel liegt und oft Kerzen und ein Kreuz oder Kruzifix stehen, wird zu einem Ort, an dem die Gegenwart Gottes besonders deutlich ist. Das kommt vor allem bei der Feier des Abendmahls zum Ausdruck, wenn die Abendmahlsgeräte (Hostienteller mit Hostien, der Kelch und die Weinkanne) auf dem Altar stehen. Der Altar ist in lutherischen Kirchen in der Regel der Ort, an dem das gottesdienstliche Gebet gesprochen wird, also das Kollektengebet und das Fürbittengebet. Von ihm aus empfängt die Gemeinde den Segen am Ende des Gottesdienstes. Da mit der Reformation die Neben- und Privatmessen abgeschafft wurden, gibt es auch in größeren Kirchen in der Regel nur einen Altar, der zusammen mit der Kanzel und dem Taufstein den Mittelpunkt des Kirchraumes bildet. Martin Luther hatte die Zelebration des Gottesdienstes versus populum gefordert. Dies wurde jedoch in der Folgezeit durch die Ausstattung vieler evangelischer Kirchen mit Retabelaltären verhindert. Kanzelaltar In den lutherischen Kirchen tritt die Auslegung des Wortes Gottes (die Predigt über biblische Texte in der Kirche) gleichberechtigt neben das Sakrament des Altars (Abendmahl). Sinnfälligen Ausdruck findet dies in der Sonderform des Kanzelaltars, der Kanzel und Altar in einem Objekt vereint. Die Kirche ist somit auf beides gleichermaßen ausgerichtet, beides steht im Zentrum des Gottesdienstes. Der älteste heute noch erhaltene Kanzelaltar befindet sich in der Schlosskapelle von Schloss Wilhelmsburg in Schmalkalden (heute Thüringen), die unter dem hessischen Landgrafen Wilhelm IV. 1585–1590 erbaut wurde. Bedeutende Kanzelaltar-Landschaften bilden Oberfranken, Südniedersachsen, das Bergische Land sowie die sächsischen Herzogtümer des heutigen Bundeslandes Thüringen. Das früheste gesicherte Beispiel eines Kanzelaltars im Raum Thüringen entstand in der unter Herzog Johann Casimir von Sachsen-Coburg erbauten und 1618 eingeweihten Schlosskapelle von Schloss Callenberg in Coburg (heute Oberfranken in Bayern). Um die richtige Form und Stellung des Altares entbrannte besonders im 19. Jahrhundert in den evangelischen Kirchen ein Streit. Das Eisenacher Regulativ von 1861 verwarf den Kanzelaltar und forderte eine freistehende Anordnung des Altares in einem Altarraum, womit sich die Gestaltung dem mittelalterlich-katholischen Gebrauch annäherte. Eine Abkehr von dieser Haltung brachte das Wiesbadener Programm von 1891, das zu der Einheit von Kanzel, Altar und Orgel zurückkehrte. Kanzel-Orgel-Altar Manchmal bezieht der Kanzelaltar auch die Orgel mit ein und verweist so darauf, dass die Verkündigung auch durch die Musik, vornehmlich durch den Gemeindegesang, erfolgt. Reformierte und Freikirchen In der Reformierten Kirche, bei den Baptisten und Mennoniten sowie in einigen weiteren evangelischen Freikirchen gibt es keinen feststehenden Altar, da nach deren Verständnis des Abendmahles am „Tisch des Herrn“ kein Opfer dargebracht wird. Im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht die Verkündigung des Wortes Gottes. Daher ist in diesen Kirchen die Kanzel in vielen Fällen mittig ausgerichtet. Der Abendmahlsfeier dient ein schlichter Abendmahlstisch. Altar in neuapostolischen Kirchen In der neuapostolischen Kirche dient der Altar sowohl der Predigt als auch der Gabenbereitung. Der Altar befindet sich meist auf einem leicht erhöhten Podest. In der Mitte des Altars liegt die Bibel. Während des Gottesdienstes stehen die Amtsträger hinter dem Altar und predigen von dort aus. Während des Gottesdienstes stehen auf dem Altar mit Hostien gefüllte Abendmahlskelche. Die Altäre sind für gewöhnlich mit Gestecken oder anderem Blumenschmuck versehen. Wicca Im Wicca ist ein Altar ein „Tisch oder Ort, welcher als Zentrum von Verehrung und dem Abhalten von Ritualen dient“ und auf welchem sowohl religiöse Objekte als auch Ritualgegenstände platziert werden, welche dazu dienen, die Göttin und den Gott zu verehren, Rituale zu vollziehen und/oder Anrufungen zu sprechen. Im Wicca sind Altäre sehr unterschiedlich. Je nach Zweck des Altars und je nach spezieller Tradition unterscheidet sich oft das Material des Tisches, welcher als Altar genutzt wird. Viele Wiccas argumentieren, dass Holz am besten geeignet sei und andere, wie zum Beispiel der bekannte Autor Scott Cunningham, halten Stein für ein besser geeignetes Material. Der Altar wird meist als persönlicher Ort verstanden, an dem Ritualmaterialien verwahrt werden. Manche Traditionen, wie zum Beispiel die Gardenische, bzw. auch weitere britisch traditionelle Traditionen, bewahren außerdem religiöse Symbole, wie Pentakel, oder Statuen der Göttin und des Gottes auf dem Altar auf. In den meisten Traditionen wird die linke Seite des Altars der Femininität, bzw. der Göttin und die rechte Seite der Maskulinität, bzw. dem Gott zugeordnet. Viele Wiccas ordnen ihren Altar so an, dass alle vier, bzw. fünf Elemente darauf repräsentiert sind. Dabei wird nach den Himmelsrichtungen vorgegangen; der Norden steht für Erde, der Osten für Luft, der Süden für Feuer, der Westen für Wasser und die Mitte für den Äther. Sie werden oft durch unterschiedliche Dinge repräsentiert, jedoch verbinden alle Traditionen des Wicca dieselben Elemente mit denselben Himmelsrichtungen. Wenn neue Dinge auf den Altar gelegt werden, wird meist in deosil (mit dem Uhrzeigersinn) um den Altar gelaufen; wenn ein Gegenstand entfernt wird, wird widdershins (gegen den Uhrzeigersinn) gelaufen. Dinge, die häufig auf dem Altar Platz finden, sind: Athame Besen Kerzen Kessel Kelch Räucherwerk Pentakel Stab In manchen Traditionen werden die Elemente durch diese Gegenstände repräsentiert, jedoch werden meist zusätzliche Dinge, wie zum Beispiel Mineralien, Pflanzen, Federn, oder andere natürliche Rohstoffe zur Repräsentation der Elemente auf dem Altar genutzt. Siehe auch Butsudan Kamidana Tamaya Literatur Überblick Carl Heinz Ratschow, Alfred Stuiber, Peter Poscharsky: Altar I. Religionsgeschichtlich II. Alte Kirche III. Mittelalter IV. Reformations- und Neuzeit V. Praktisch-theologisch (20. Jahrhundert). In: Theologische Realenzyklopädie 2 (1978), S. 305–327. Joseph Braun: Altar (A. In der katholischen Kirche). In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Band 1, Stuttgart 1934, Sp. 412–429. Helmuth Eggert: Altar (B. In der protestantischen Kirche). In: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, Band 1, Stuttgart 1934, S. 430–439. Antike Rudolf Hallo: Die Monumentalaltäre des Altertums. Dissertation Göttingen 1923 (ungedruckt). Mehmet Çetin Şahin: Die Entwicklung der griechischen Monumentalaltäre. Bonn 1972. Christentum Joseph Braun: Der christliche Altar in seiner geschichtlichen Entwicklung. Zwei Bände, München 1924. (Standardwerk) Karl Bernhard Ritter: Der Altar. Kassel 1930. Karl Heimann: Der christliche Altar. Übersicht über seinen Werdegang im Laufe der Zeiten. Arensberg 1954. Stefan Heid: Tisch oder Altar? Hypothesen der Wissenschaft mit weitreichenden Folgen. In: Stefan Heid (Hrsg.): Operation am lebenden Objekt. Roms Liturgiereformen von Trient bis zum Vaticanum II. Bebra, Berlin 2014, S. 352–374. Stefan Heid: Der frühchristliche Altar als Sakralobjekt. In: Andrea Beck u. a. (Hrsg.): Heilige und geheiligte Dinge. Formen und Funktionen. (Beiträge zur Hagiographie, Band 20) Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2017, S. 43–63. online Stefan Heid: Altar und Kirche. Prinzipien christlicher Liturgie. Schnell & Steiner, Regensburg 2019, ISBN 978-3-7954-3425-0. Kunstgeschichte Christian Beutler: Die Anfänge der mittelalterlichen Altäre. In: Studien zur europäischen Skulptur im 12./13. Jh. Frankfurt am Main 1994, S. 457–467. Max Hasse: Der Flügelaltar. Dresden 1941. Walter Grundmann: Die Sprache des Altars. Zur Glaubensaussage im deutschen Flügel- und Schreinaltar. Evangelische Verlags-Anstalt, Berlin 1966. Herbert Schindler: Der Schnitzaltar – Meisterwerke in Süddeutschland, Österreich und Südtirol. Recklinghausen 1982. Albert Knoepfli: Der Altar des 18. Jahrhunderts. München 1978. Angelika Seifert: Westfälische Altarretabel (1650–1720), ein Beitrag zur Interpretationsmethodik barocker Altarbaukunst. Habelt, Bonn 1983, ISBN 3-7749-2032-X (= Habelts Dissertationsdrucke, Reihe Kunstgeschichte, 7). Kanzelaltar Gerhart L′Arronge: Der Thüringer Kanzelaltar von 1700 bis 1850. Eine Studie über protestantische Dorfkirchenkunst. Jena, Phil. Diss., 1921. Gerhard Stade: Mecklenburgische Kanzelaltäre. Carl Hinstorffs Verlag, Rostock 1931. Hans Schönberg: Die barocken Kanzelaltare Hildesheimer Meister im Kreis Marienburg i. H. In: Alt Hildesheim. Band 20 (1942), S. 38–48. Helmuth Meissner: Kanzelaltäre in Oberfranken. In: Colloquium historicum Wirsbergense. In: Geschichte am Obermain. Band 5, 1968/1969. Hartmut Mai: Der evangelische Kanzelaltar. Geschichte und Bedeutung. Niemeyer VEB, Halle (Saale) 1969 (= Arbeiten zur Kirchengeschichte und Religionswissenschaft, Band 1) Hans Meyer-Roscher: Kanzelaltäre im Hildesheimer Land. In: Unser Hildesheimer Land. Beiträge zur Geschichte und Gegenwart. Hrsg. Heimatbund Landkreis Hildesheim. Peine 1973, S. 24–38. Helmuth Meissner: Kirchen mit Kanzelaltar in Bayern. München 1987. Weblinks Grundordnung des Römischen Messbuchs (2002), V. Kapitel, Nr. 296–308: Der Altar und seine Ausstattung. (PDF-Datei; 532 kB) Der Altar im Evangelischen Gottesdienst (PDF; 41 kB) Der Altar in Evangelischen Kirchen (Film) Ablauf einer Altarweihe im römischen RItus Der Kanzelaltar in Südniedersachsen, auf freies-verlagshaus.de Einzelnachweise Archäologischer Fachbegriff Eucharistie Sakramentale Kirchenausstattung Sakralbau Stätte (Religion)
Q101687
284.623002
15389
https://de.wikipedia.org/wiki/Moldauer
Moldauer
Die Moldauer (auch Moldawier oder Moldowaner genannt) sind eine ethnische Subgruppe der Rumänen, die im heutigen Osten Rumäniens, der Republik Moldau und Ukraine (meistens in der Oblast Odessa und der Oblast Tscherniwzi) lebt und die moldauische Mundart (graiul moldovenesc) der rumänischen Sprache spricht. Diese Gebiete bildeten im Mittelalter das Fürstentum Moldau. Anzahl der Moldauer Die rumänischsprachige Selbstbezeichnung ist moldovean (männl.) und moldoveancă (weibl.). Die Zahl der Moldauer liegt insgesamt bei etwa 9 Millionen Menschen. In Rumänien (2002): Die Rumänen in den Kreisen: Bacău (688.719), Botoșani (447.426), Iași (800.997), Galați (604.753), Neamț (547.122), Suceava (662.980), Vaslui (449.796), Vrancea (380.364). In andere Städte Rumäniens sind viele Moldauer (aus dem Osten Rumäniens) aus wirtschaftlichen Gründen innerhalb der letzten 40 Jahre ausgewandert (ca. 2 Mio.) in Bukarest, Constanța, Timișoara, Petroșani und Brașov. Insgesamt leben ca. 5,5 Mio. Moldauer in Rumänien. In der Republik Moldau (2004): 3.643.260 (davon 177.760 in Transnistrien). In der Ukraine (2001): 409.600, hauptsächlich in den Oblasten Tscherniwzi (181.800), Odessa (123.800), Mykolajiw (13.100) und Kirowohrad (8.200). In anderen Oblasten der Ukraine leben weitere 82.700 rumänische Moldauer. Außerdem wanderten viele Moldauer während der Sowjetzeit in die anderen Sowjetrepubliken aus, sie leben heute in Russland (172.330), Kasachstan (20.054) usw. Geschichte Die politische Abgrenzung zwischen den Moldauern aus Rumänien und denen aus der ehemaligen Sowjetunion, geht auf das Jahr 1812 zurück. Nach einem der russisch-osmanischen Kriege wurde ein Teil des osmanischen Vasallenstaates Moldau an das russische Imperium abgetreten. Das Gebiet war bis 1917 als Gouvernement Bessarabien ein Teil des russischen Kaiserreichs. Die in Bessarabien lebenden Moldauer waren somit nicht an der Entstehung des rumänischen Staates, welche mit der Vereinigung der Fürstentümer Moldau und Walachei in 1859 sowie der späteren Ausrufung des Königreichs Rumänien in 1881 erfolgte, beteiligt. Im Ersten Weltkrieg war das Gebiet ab 1917 von den Mittelmächten besetzt. Es bildete sich der Sfatul Țării als provisorische Landesversammlung, die 1918 die Vereinigung mit Rumänien erklärte. Nach dem Molotow-Ribbentrop-Pakt von 1939 annektierte die Sowjetunion 1940 das Gebiet. Daraufhin beteiligte sich Rumänien an dem Angriff auf die UdSSR im Jahr 1941 und besetzte zusammen mit deutschen Truppen das Gebiet, bis es 1944 von der Roten Armee zurückerobert wurde. Um das gewonnene Gebiet längerfristig an die Sowjetunion zu binden, wurde das eigene Landes- und Gemeinschaftsgefühl künstlich gestärkt, indem man die Sprache der Moldauer nur noch als Moldauisch bezeichnete und die Eigentümlichkeit der Moldauer unterstrich. Leonid Iljitsch Breschnew, der spätere Führer der KPdSU, war zu dieser Zeit Generalsekretär der Moldauischen Sowjetrepublik und soll in seiner Position wesentlich zu dieser Abgrenzung beigetragen haben. Sprache Alle Moldauer sprechen die moldauische Mundart der rumänischen Sprache. Die Amtssprache in der Republik Moldau, Moldauisch genannt, ist keine geschriebene Form des moldauischen Dialektes, wie oft vermutet wird, sondern dieselbe Form der rumänischen Sprache, die auch im Nachbarland Rumänien als Amtssprache dient (Muntenesc). Somit besteht der einzige Unterschied gegenüber dem westlichen Nachbarland an der offiziellen Benennung der Sprache und an der Tatsache, dass sie während der Zeit als Bessarabien und der sowjetischen Zeit weiterhin mit kyrillischer Schrift geschrieben wurde, während im Fürstentum Rumänien eine Umorientierung des Schriftrumänischen im Jahre 1868 von der kyrillischen Schrift zur Lateinschrift erfolgte. Seit 1989 wird in den Schulen von Moldau wieder der Stoff des Rumänischen in lateinischer Schrift unterrichtet und auch die Benennung des Stoffes lautet nicht mehr "Moldauische Sprache", sondern "Rumänische Sprache". In Transnistrien wird das Benutzen der lateinischen Schrift bis heute von der separatistischen Regierung nicht offiziell anerkannt (mit der Ausnahme von sechs Schulen, in denen Rumänisch mit lateinischer Schrift unterrichtet wird). Sonstiges Die bis 1940 in Bessarabien lebenden Bessarabiendeutschen nannten die Moldauer in ihrer Mundart Moldowaner. Siehe auch Transnistrien-Konflikt Bewegung zur Vereinigung von Rumänien und Moldau Einzelnachweise Literatur Stefan Ihrig: Wer sind die Moldawier? Rumänismus versus Moldowanismus in Historiographie und Schulbüchern der Republik Moldova, 1991-2006, ibidem-Verlag, Stuttgart 2008 (= Soviet and Post-Soviet Politics and Society; 76), ISBN 978-3-89821-466-7 Gesellschaft (Republik Moldau) Kultur (Republik Moldau) Moldau (Region)
Q487796
106.090023
1926679
https://de.wikipedia.org/wiki/Mozilla
Mozilla
Der Begriff Mozilla [] steht für Internet-Software und für Projektorganisationen, die mit der Erstellung dieser Software verbunden sind. Aus dem Webbrowser Netscape Navigator, der unter dem Codenamen Mozilla entwickelt wurde, ist die Programmsammlung Mozilla Application Suite hervorgegangen. Das Unternehmen Netscape Communications Corporation, in dem die Software entwickelt wurde, führte zeitweilig eine farbige Echse, die den Namen Mozilla erhalten hatte, als ihr Firmenlogo. Auch der zentrale Bestandteil der mit Mozilla assoziierten Software, die Gecko Rendering Engine, hat eine Echsenart (Geckoartige) als Namensgeber. Dieses Modul, das die Darstellung von Internet-Dokumenten übernimmt, ist beispielsweise Bestandteil des Browsers Mozilla Firefox und der Programmsammlung SeaMonkey. Mozilla-Projektorganisationen Mozilla-Projekt Das Mozilla-Projekt steht unter dem Dach der Mozilla Foundation. Es wurde ursprünglich von Netscape ins Leben gerufen. Mozilla Foundation Um die Internetprogramm-Sammlung der nächsten Generation für Netscape zu entwickeln, wurde 1998 die Mozilla Organization (kurz Mozilla.org) gegründet. Am 15. Juli 2003 wurde die Organization offiziell als eine Non-Profit-Organisation unter dem Namen Mozilla Foundation registriert. Diese Stiftung ist vor allem für die Entwicklung und Wartung des Mozilla-Firefox-Browsers, des E-Mail-Programms Mozilla Thunderbird und der beiden Anwendungen zugrundeliegenden Gecko Rendering Engine verantwortlich. Sie beherbergt aber auch einige andere Projekte wie beispielsweise Bugzilla, Tinderbox, Sunbird und Camino. Mozilla wurde von der Stiftung als Handelsmarke registriert. Mozilla Corporation Am 3. August 2005 verkündete die Mozilla Foundation die Gründung eines kommerziellen und steuerpflichtigen Unternehmens unter dem Namen Mozilla Corporation, das sich der Weiterentwicklung, der Vermarktung, dem kommerziellen Support und dem Sponsoring von Mozilla Firefox und Mozilla Thunderbird verschrieben hat. Laut Mitchell Baker, der Präsidentin der Mozilla Foundation, sollten damals 36 der rund 40 Mitarbeiter der Stiftung künftig den Arbeitgeber zugunsten der Mozilla Corporation wechseln. Mozilla Messaging Am 19. Februar 2008 wurde die Gründung von Mozilla Messaging bekanntgegeben, welches wie die Mozilla Corporation ein kommerzielles und steuerpflichtiges Unternehmen ist und sich zu 100 % im Eigentum der Mozilla Foundation befindet. Ziel des Unternehmens war die Softwareentwicklung im Bereich der Internet-Kommunikation, hierbei insbesondere die Weiterentwicklung des E-Mail-Clients Mozilla Thunderbird. Im April 2011 wurde Mozilla Messaging wieder eingegliedert, um die Entwicklung von Thunderbird 5.0 mit Firefox 5.0 besser koordinieren zu können. Der ehemalige Geschäftsführer David Ascher wechselt von Mozilla Messaging zu den Mozilla Labs. Software Die wichtigsten Endbenutzer-Anwendungen für den Desktop sind der Webbrowser Firefox und das E-Mail-Programm Thunderbird. Zudem gibt es noch eine Kalenderanwendung, die wahlweise als Einzelanwendung oder als Erweiterung für Thunderbird angeboten wird, aber wegen des frühen Entwicklungsstadiums noch nicht für den produktiven Einsatz vorgesehen ist. Im Mobilbereich bietet Mozilla mit Firefox for Android einen mobilen Webbrowser für die Android-Plattform an und mit Firefox OS ein auf HTML basierendes mobiles Betriebssystem für Smartphones. Die Mozilla Foundation plant in Zukunft die derzeitigen Einzelanwendungen auf der gemeinsamen Basis, dem XULRunner zu betreiben. Neben dieser Software werden Bugzilla, eine Fehlerverwaltung, ein IRC-Client (bis Firefox 56 ChatZilla als Firefox-Erweiterung, mittlerweile als Chat-Komponente von Thunderbird) und weitere weniger verbreitete Anwendungen angeboten. Im Juni 2012 stellte Mozilla einen Browser für das iPad von Apple mit einer neuartigen Nutzeroberfläche vor. Dieser trägt den Namen Junior. Die neu gestaltete Nutzeroberfläche hebt sich vor allem dadurch von Safari ab, dass sie keine Adresszeile enthält und nur zwei Schaltflächen anbietet, mit deren Hilfe der Nutzer zur vorherigen Seite wechseln beziehungsweise sich den Verlauf seiner Online-Aktivität plus gewohnte URL-Leiste anzeigen lassen kann. Mozilla Application Suite Im März 1998 veröffentlichte Netscape Communications fast den ganzen Quelltext ihrer als Netscape Communicator bezeichneten weitverbreiteten Programmsammlung für das Internet unter einer freien Lizenz. Als Namen für die neue Anwendung, die aus diesem freigegebenen Quelltext weiterentwickelt wurde, entschied man sich für Mozilla, den früheren firmeninternen Codenamen des ursprünglichen Netscape Navigators. Im November 1998 entschied man jedoch, eine neu entwickelte Rendering-Engine namens Gecko zu entwickeln. Nach einer relativ langen Periode der Pre-1.0-Versionen wurde Mozilla 1.0 am 5. Juni 2002 vorgestellt. Der Quelltext der Mozilla-Programmsammlung diente auch als das Open-Source-Fundament für die Netscape-Suite ab der Version 6.0 bis einschließlich Netscape 7.2; der Quellcode der Gecko-Rendering-Engine als Bestandteil der Mozilla Application Suite bildete auch die Basis für weitere eigenständige Anwendungen, unter anderem auch die heutigen Flaggschiffe der Mozilla Foundation: Mozilla Firefox und Mozilla Thunderbird. Um die Mozilla-Programmsammlung von den Einzelanwendungen besser unterscheiden zu können, wurde sie als Mozilla Suite oder Mozilla Application Suite vermarktet. Mittlerweile hat die Stiftung jedoch die Entwicklung der Programmsammlung zugunsten von Firefox und Thunderbird eingestellt. Eine Weiterentwicklung der Programmsammlung findet nun im Rahmen eines weitgehend unabhängigen Projekts unter dem Namen SeaMonkey statt, womit wiederum ein ursprünglich als Codename im Mozilla-Projekt benutzter Begriff für eine Programmsammlung verwendet wird. Mozilla Application Framework Das Mozilla Application Framework ist ein plattform­unabhängiges Gerüst für die Entwicklung von Anwendungen, die auf mehreren Betriebssystemen ausgeführt werden sollen. Es besteht hauptsächlich aus der Gecko Rendering Engine, aber auch dem XUL-GUI-Toolkit, der Necko-Netzwerkprogrammbibliothek und einigen weiteren Komponenten. Das ist der Programmkern, aus dem alle Mozilla-basierten Anwendungen gebaut werden. Zum Mozilla Application Framework gehört auch die durch dieses zur Verfügung gestellte Cross-Plattform-Komponentensammlung XPCOM, durch die einheitlich plattformübergreifend auf das Framework aus verschiedenen Umgebungen heraus und mit verschiedenen Sprachen zugegriffen werden kann. Mozilla Codebase Die Mozilla Codebase, bestehend aus dem Quelltext der Mozilla-Softwareprojekte wie Firefox, Thunderbird, XULRunner usw., wird nach Projekten getrennt in Mercurial-Repositorys verwaltet. Diese große Quellcodebasis wird auch vereinfacht als Mozilla-Quellcode oder noch einfacher als Mozilla bezeichnet. Die Mozilla Codebase wurde ursprünglich unter der Netscape Public License veröffentlicht. Mit dem Aktualisieren der Lizenz auf die Version 1.1 wurde ebenfalls der Name in Mozilla Public License (MPL) geändert. Die Free Software Foundation und andere Freie-Software-Verfechter wiesen darauf hin, dass eine unter der GNU General Public License (GPL) lizenzierte Komponente und eine MPL-lizenzierte Komponente nicht auf eine legale Weise miteinander in einem Softwareprojekt verknüpft werden könnten, und sie empfahlen Entwicklern aus diesem Grunde, die MPL nicht zu verwenden. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen, lizenzierte die Mozilla Foundation die Codebase im Jahre 2003 dreifach unter der GNU General Public License, der GNU Lesser General Public License sowie unter der Mozilla Public License. Seit der Anmeldung der Produktnamen und der Logos als Handelsmarken sowie der gleichzeitigen Lizenzierung der Logos unter einer nicht freien Lizenz konnte das Debian-Projekt wegen seiner Prinzipien die betroffenen Produkte, die auf der Mozilla Codebase aufsetzen, trotz des freien Quellcodes nicht unter den offiziellen Namen in seine Distributionen aufnehmen. So ist es zum Namensstreit zwischen Debian und Mozilla gekommen mit dem Ergebnis, dass Debian die betroffenen Mozilla-Produkte unter anderen Namen mit anderen Logos anbietet. Mozilla Firefox erhielt dabei den Namen Iceweasel. Ursprünglich wählte auch ein anderes Projekt namens GNUzilla im Vorfeld für ihre Firefox-Variante den bis auf die Großschreibung gleichen Namen IceWeasel. Dieses Projekt wurde von einem kleinen Team im Rahmen des GNU-Projekts initiiert. Das Ziel von Gnuzilla ist es ebenso, die Mozilla-Produkte ohne proprietären Bestandteile bzw. als freie Software unter anderen Namen anzubieten. Nach Verwirrungen aufgrund der Namensgleichheit entschied sich das Gnuzilla-Team jedoch später für einen anderen Namen, IceCat. Firefox Private Relay Firefox Private Relay stellt Benutzern Einweg-E-Mail-Adressen zur Verfügung, die zur Bekämpfung von Spam (durch Verbergen der echten E-Mail-Adresse des Benutzers) und zur Verwaltung von E-Mail-Abonnements verwendet werden können, indem sie basierend auf der Partei, an die eine bestimmte Adresse gesendet wurde, kategorisiert werden. Firefox Relay wurde erstmals am 9. April 2020 als Firefox-Add-on veröffentlicht. Mozilla kündigte den monatlichen Abonnementdienst Firefox Relay Premium an und beendete damit die Betaversion von Firefox Relay am 19. November 2021. Darüber hinaus können Benutzer, die vom Abonnement profitieren, davon profitieren Erhalten Sie unbegrenzt Alias-E-Mails als [email protected] als @relay.firefox.com Anstelle der bereitgestellten pseudonymen E-Mail-Adressen wurden die E-Mail-Adressen von @mozmail.com ausgetauscht. Teil der Identifikation vieler Webbrowser Wenn jemand eine Webseite mit einer Anwendung besucht, wird im Allgemeinen eine Zeichenkette übertragen, die das verwendete Benutzerprogramm (in diesem Fall User Agent genannt) gegenüber dem Webserver identifiziert. Diese Zeichenkette wird User-Agent-String genannt. Der Netscape-Browser identifizierte sich als „Mozilla/<version>“, gefolgt von Informationen über das Betriebssystem. Weil der zu dieser Zeit führende Browser Netscape viele Funktionen besaß, die andere Browser nicht hatten, funktionierten bald einige Webseiten nur noch, wenn sie eine gewünschte Version von Mozilla im User-Agent-String fanden. Deswegen begannen andere Browser den Netscape Navigator zu imitieren, um ebenfalls diese Seiten darstellen zu können, indem ihr User-Agent-String auch mit Mozilla begann. Bekanntestes Beispiel ist der Internet Explorer, der der Hauptkonkurrent von Netscape war. Er identifizierte sich mit „Mozilla/<version> (compatible; MSIE <version>…“. Dieses Format wurde von anderen Browsern kopiert und besteht heute noch. In einigen älteren Browserstatistikanwendungen wird der Begriff Netscape 5.0 fälschlicherweise benutzt, um auf diese Browser zu verweisen, weil deren User-Agent-Strings mit Mozilla/5.0 beginnt. Ursprung des Namens Ursprünglich wurde Mozilla nur als firmeninterne Bezeichnung für den Webbrowser Netscape Navigator benutzt. Zum genauen Ursprung des Namens, der sich auf den ersten populären Webbrowser Mosaic bezieht, gibt es mehrere Erklärungen. Eine besagt, dass er sich aus Mosaic Killer (englisch umgangssprachlich für Mosaic-Mörder) zusammensetzt, laut der anderen aus Mosaic meets Godzilla. Möglicherweise treffen sogar beide Erklärungen zu. Das Maskottchen Mozilla war ebenfalls das Maskottchen der Netscape Communications Corporation, die aus der Mosaic Communications Corporation hervorging. Anfangs gab es viele Ausprägungen verschiedener Formen des Maskottchens, unter anderem eines Astronauten mit Helm, aber die letztendliche Entscheidung für eine Godzilla-ähnliche grüne Echse hatte ohne Zweifel damit zu tun, dass der Name Mozilla dem Wort Godzilla ähnelte. Das Aussehen des Maskottchens wurde von Dave Titus 1994 entworfen. Mozilla wurde anfangs sehr prominent auf der Netscape-Website dargestellt. Jedoch führte die Notwendigkeit eines professionelleren Firmenimages, insbesondere im Hinblick auf Unternehmenskunden, dazu, dass das Maskottchen von der Website verschwand. Netscape verwendete es weiterhin firmenintern, und es war oft auf T-Shirts der Belegschaft oder als Kunstwerke auf den Wänden des Netscape Campus im kalifornischen Mountain View zu sehen. Nach Erwerb des Webverzeichnis NewHoo 1998 wurde es in Open Directory Project mit dem Spitznamen dmoz umbenannt. Dabei steht dmoz wegen dessen Ähnlichkeit mit dem Mozilla-Projekt für Directory of Mozilla. Ein Bild der grünen Echse zierte seitdem fast jede Seite von dmoz. Das ist auch heute noch der Fall, obwohl Netscape nach deren Erwerb durch AOL aufgelöst wurde. Siehe auch Das Buch Mozilla Firefox Send Weblinks Quellen Netscape
Q9661
146.004494
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hodensack
Hodensack
Der Hodensack oder das Skrotum zählt zu den männlichen Geschlechtsorganen und ist ein Haut- und Muskelsack bei Säugetieren, der die Hoden, Nebenhoden, den Anfang des Samenleiters und das Ende des Samenstrangs enthält. Er befindet sich zwischen den Beinen, dem Penis und dem Damm. Beim Menschen ist der Hodensack ab der Pubertät im natürlichen Zustand mit Schamhaar bewachsen. Ein Hodensack existiert bei den meisten Beuteltieren und höheren Säugetieren. Bei allen anderen Wirbeltieren einschließlich der Kloakentiere verbleiben die Hoden in der Körperhöhle. Seine Funktion ist noch nicht abschließend geklärt, wahrscheinlich dienen der Hodenabstieg und die Verlagerung der Hoden in den Hodensack dem Schutz der Spermien vor zu hohen Temperaturen in der Körperhöhle. Anatomie Makroskopische und mikroskopische Anatomie beim Menschen Der Hodensack umschließt die Hoden und die Nebenhoden sowie die abführenden Samenstränge. Er ist ein mehrschichtiger Hautbeutel, der durch eine Zwischenwand (Septum scroti) in zwei Hälften geteilt ist, die im klinischen Sprachgebrauch auch als Skrotalfächer bezeichnet werden. Von außen ist diese Zweiteilung durch eine Art „Naht“ (Raphe scroti) zu erkennen. Die meist dunkel pigmentierte Haut ist behaart (Schamhaar) und enthält Schweiß- und Talgdrüsen sowie Nervenendigungen, die sie berührungsempfindlich machen (Erogene Zone). Die Unterhaut besteht aus einem Geflecht glatter Muskulatur und elastischer Fasern, weshalb sie als „Fleischhaut“ (Tunica dartos) bezeichnet wird. 1 Hoden2 Nebenhoden3 Hodengekröse4 Organblatt der Scheidenhaut   (Epiorchium)5 Wandblatt der Scheidenhaut   (Periorchium)6 Cavum vaginale7 Nebenhodengekröse8 Fascia spermatica interna Innerhalb des Hodensacks sitzen die Hoden und Nebenhoden in einer Hodenhöhle (Cavitas scroti). Die Hodenhöhle wird gebildet von einer Aussackung des Bauchfells und der inneren Rumpffaszie (hier als Fascia spermatica interna bezeichnet), den Scheidenhautfortsatz (Processus vaginalis). Der Scheidenhautfortsatz gehört zu den Hodenhüllen im Inneren des Hodensacks. Der Bauchfellanteil dieser Ausstülpung wird als Scheidenhaut (Tunica vaginalis testis) bezeichnet. Sie kleidet das Hodensackinnere aus (sogenanntes Wandblatt, Lamina parietalis oder Periorchium), stülpt sich dann als Doppellamelle ins Innere und überzieht als Eingeweideblatt (Lamina visceralis oder Epiorchium) den Hoden. Zwischen den beiden Blättern befindet sich ein sehr enger Spaltraum, das Cavum vaginale, das die Verschieblichkeit des Hodens im Hodensack sicherstellt. Das Eingeweideblatt bildet zwischen Hoden und Nebenhoden eine Rinne (Bursa testicularis). Die Verbindungsstelle zwischen den beiden Blättern ist das Hodengekröse (Mesorchium), welches der Befestigung des Hodens im Hodensack dient. Zudem kann ein bandartiger Rest des Bauchfells die Verbindung zum Bauchraum anzeigen. Der Hoden ist außerdem mit einem kurzen Band mit dem Nebenhoden verbunden (Hodeneigenband, Ligamentum testis proprium). Dieses setzt sich vom Nebenhodenschwanz als Nebenhodenschwanzband (Ligamentum caudae epididymidis) fort und befestigt den Hoden zusätzlich indirekt am Boden des Hodensacks. Muskulatur, Blutversorgung und Nerven Der Hodenhebermuskel (Musculus cremaster) setzt am Scheidenhautfortsatz an. Er kann als Schutzvorrichtung den Hoden bei Berührung oder Kälte näher an die Bauchwand ziehen. Er besteht aus Muskelfasern, die aus dem Musculus obliquus internus abdominis und dem Musculus transversus abdominis, zwei Muskeln des Unterbauches, abzweigen. Sie begleiten den Samenstrang und heften sich an der die Hoden umgebenden Faszie (Fascia spermatica interna) an. Der Cremaster wird vom Ramus genitalis des Nervus genitofemoralis innerviert. Bei Nagetieren und Säugetieren mit saisonalem Hodenabstieg, selten auch bei einzelnen Individuen anderer Säugetiere, kann der Muskel den Hoden gänzlich in die Bauchhöhle zurückziehen („Pendelhoden“). Bei starker sexueller Erregung werden die Hoden ebenfalls kräftig zum Körper gezogen. Daran ist ein nahender Orgasmus erkennbar. Vergleichende Anatomie Ein Hodensack ist bei den meisten Beuteltieren und höheren Säugetieren mit Ausnahme derer ohne Hodenabstieg (Testiconda) ausgebildet, während die Hoden bei allen anderen Wirbeltieren einschließlich der Kloakentiere in der Körperhöhle verbleiben. Dabei kann unterschieden werden zwischen einem sitzenden Skrotum, bei dem sich die Hoden in einem Bindegewebslager unter der Haut am Körper anliegend befinden, und einem hängenden Scrotum, bei dem ein echter Beutel ausgebildet wird, der zwischen den Oberschenkeln hängt. Ein sitzendes Skrotum ist etwa bei den Schweinen und Flusspferden ausgebildet, während die meisten anderen Säugetiere einschließlich der Primaten ein hängendes Skrotum besitzen. Bei den Beuteltieren wird diskutiert, ob der Beutel eine homologe Struktur zum Hodensack und den Großen Schamlippen weiblicher Säuger darstellt, da sich alle diese Strukturen im Bereich der Genitalwülste entwickeln. Dies wird bestärkt durch die Existenz eines rudimentären Beutels bei männlichen Beuteltieren vor dem Hodensack, wodurch jedoch maximal von einer partiellen Homologie ausgegangen wird. Eine Trennung in Beutel- und Hodensackgewebe erfolgt in der Entwicklung bereits vor der hormonellen Beeinflussung und wird direkt genetisch beeinflusst – bei Anwesenheit von nur einem X-Chromosom bildet sich ein Hodensack; sind zwei X-Chromosomen vorhanden, wird ein Beutel ausgebildet. Physiologie Die Funktion des Skrotums ist noch nicht abschließend geklärt. Die am meisten verbreitete Hypothese geht davon aus, dass der Hodenabstieg und ihre Verlagerung in den Hodensack dem Schutz der Spermien vor zu hohen Temperaturen in der Körperhöhle dient. Die Hoden werden im Hodensack zwei bis fünf Grad Celsius kühler als der Rest des Körperinneren gehalten. Diese Temperatur ist optimal für die Produktion von Spermien, ebenso für das Überleben bereits produzierten männlichen Samens. Die Hodentemperatur wird dadurch geregelt, dass sich der Hodensack bei Kälte zusammenzieht, wodurch sich die Abstrahlfläche für die Körperwärme verkleinert, und sich bei Wärme entspannt, wodurch sich die Abstrahlfläche vergrößert. Für die Temperaturregulation innerhalb des Hodensacks spielen weitere Mechanismen eine Rolle: Der Musculus cremaster kann den Hoden näher an den Körper ziehen, und Hodenarterie und -vene bilden ein Geflecht, das als Wärmeaustauscher fungiert. Ontogenetische Entwicklung Der Hodensack bildet sich in der Embryonalentwicklung aus den Genitalwülsten, wobei ihm im weiblichen Geschlecht die großen Schamlippen (Labia majora) der Frau entsprechen. Die Genitalwülste verschmelzen beim männlichen Embryo zum Hodensack, wobei die Verschmelzungslinie als Skrotalseptum und von außen sichtbar als Raphe scroti erhalten bleibt, die sich hinter dem Hodensack in der Raphe perinei fortsetzt. Zum Ende der Embryonalentwicklung werden die Hoden beim Descensus testis („Hodenabstieg“) in den Hodensack verlagert, geleitet vom unteren Keimdrüsenband (Gubernaculum testis). Die Hoden sollten am Beginn des 8. Schwangerschaftsmonats im äußeren Leistenring liegen und bis spätestens Anfang des neunten Schwangerschaftsmonats sollte der Abstieg abgeschlossen sein, dies gilt als Reifezeichen des männlichen Neugeborenen. Beim Hodenabstieg bildet sich durch die begleitende Ausstülpung (Processus vaginalis) des Bauchfelles die Wand der Hodenhöhle (Cavum scroti). Die zunächst über den Leistenkanal bestehende Verbindung zur Bauchhöhle verödet dabei in der Regel, um einerseits die Entwicklung einer Skrotalhernie, andererseits einen Wiedereintritt des Hodens in den Leistenkanal zu verhindern. Erkrankungen und Verletzungen Der Hodensack selbst ist als Haut- und Muskelsack nur von sehr wenigen Erkrankungen betroffen. Wie andere Gewebe kann er Entzündungen und andere hautspezifische Erkrankungen aufweisen. Krampfaderartige Erweiterungen der venösen Begleitgefäße, insbesondere im linken Skrotalfach, werden vor allem im Stehen als Varikozele sichtbar. Bei fettleibigen Männern kann eine Intertrigo auf das Skrotum übergreifen. Vor allem bei prädisponierten Personen können sich Abszesse der Haut als Skrotalabszesse manifestieren. Der Hoden(sack)bruch (Hernia scrotalis oder Skrotalhernie) ist eine besonders schwere Sonderform des Leistenbruchs, bei der es zu einer Bruchbildung der festen äußeren Hülle des Hodensacks kommt und Teile der Eingeweide (Dünndarmschlingen) bis in den Hodensack einfallen können. Eine Skrotalhernie kann angeboren oder erworben sein. Flüssigkeitsansammlungen in der Hodensackhöhle führen zu einem Wasserbruch (Hydrocele testis), der ebenfalls entweder angeboren oder erworben sein kann. Dabei handelt es sich um einen krankhaften Erguss von seröser Flüssigkeit und eine Ansammlung in den Hodenhüllen oder auch im Samenstrang (Hydrocele funiculi spermatici). Die Folge ist eine starke Vergrößerung des Zwischenraums der Hodenhüllen. Das skrotale Lymphödem, auch bekannt als skrotale Elephantiasis, ist eine massive Vergrößerung des Hodensacks durch Verdickung des Gewebes und Ansammlung von Flüssigkeit. Die meisten Fälle von skrotalen Lymphödemen werden durch Verstopfungen in den Lymphgefäßen verursacht, die den Abfluss von Flüssigkeit aus dem Bereich verhindern. Eine von der Haut des Hodensacks ausgehende Krebserkrankung ist das Skrotalkarzinom, welches 1775, bei Schornsteinfegern auftretend, von Percivall Pott beschrieben wurde. Fehlbildungen und Lageanomalien Fehlbildungen des Hodensacks umfassen verschiedene angeborene Störungen der anatomischen Entwicklung des Hodensacks. Dies reicht vom sehr seltenen vollständigen Fehlen des Hodensacks (Skrotumagenesie) über das halbseitige Fehlen (Hemiskrotum) und die Verlagerung einer Hodensackhälfte in die Leisten- oder Dammregion (Skrotumektopie) bis hin zur Mehrfachausbildung (Akzessorisches Skrotum), die gelegentlich vorkommen. Dabei können Fehlbildungen des Hodensacks gemeinsam mit anderen Fehlbildungen der Anorektalregion vorkommen. Behandelt werden Fehlbildungen durch chirurgische Eingriffe wie etwa die Entfernung von Gewebe oder die Verlagerung von ektopem Gewebe. Kulturgeschichte Verwendung von Tierhodensäcken Aus dem Skrotum von Tieren (zum Beispiel von Ziegenböcken) werden mitunter Beutel hergestellt, beispielsweise als Trinkflasche oder Geldbeutel. Daher leitet sich vermutlich der Begriff Bocksbeutel ab. Es gibt aber auch andere Hypothesen zur Etymologie dieses Wortes. Der Hodensack in Kunst und Kultur In der Kunst und Kultur spielt der Hodensack als äußerlich sichtbares Geschlechtsorgan, in dem sich die Hoden befinden, eine Rolle. Im Gegensatz zum Phallus hat er jedoch, außerhalb der Erotik und Pornografie, keine zentrale Rolle. Allerdings können Darstellungen, bei denen der Hodensack und damit der Hoden besonders groß dargestellt wird, eine besondere Bedeutung als fortpflanzungsfähige oder sexuell besonders rege Wesen andeuten. In der Japanischen Mythologie werden Tanuki, dem Marderhund ähnliche Dämonen (Yōkai), als Glückssymbol häufig mit übergroßen Hoden dargestellt. Das Wappen des italienischen Adelshauses Colleoni aus Bergamo zeigt mehrere Paar Hoden und stellt vermutlich eine Anspielung auf coglione dar, eine italienische Bezeichnung für Hoden. Literatur W. Kahle, H. Leonhardt, W. Platzer (Hrsg.): Taschenatlas der Anatomie für Studium und Praxis. Band 2: Innere Organe. 5., überarbeitete Auflage, Thieme, Stuttgart 1986, ISBN 3-13-492105-7, S. 272–273, 280–281. Pschyrembel Wörterbuch Sexualität. de Gruyter, Berlin 2006, ISBN 3-11-016965-7. Einzelnachweise Weblinks Männliches Geschlechtsorgan
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https://de.wikipedia.org/wiki/Subtraktion
Subtraktion
Die Subtraktion (von lat. subtrahere „wegziehen“, „entfernen“), umgangssprachlich auch Minus-Rechnen genannt, ist eine der vier Grundrechenarten der Arithmetik. Unter der Subtraktion versteht man das Abziehen einer Zahl von einer anderen. Mathematisch handelt es sich bei der Subtraktion um eine zweistellige Verknüpfung. Die Subtraktion ist die Umkehroperation der Addition. Das Rechenzeichen für die Subtraktion ist das Minuszeichen „−“. Sprachregelungen, Grundeigenschaften und Notation Für die Elemente einer Subtraktion gibt es folgende Symbole und Sprechweisen: Das Rechenzeichen für die Subtraktion ist das Minuszeichen „−“. Es wurde 1489 von Johannes Widmann eingeführt. Die Zahl, von der etwas abgezogen wird, heißt Minuend (lateinisch „das zu Verringernde“). Die Zahl, die abgezogen wird, heißt Subtrahend (lateinisch „das Abzuziehende“). Der Rechenausdruck (Term), der den Minuenden, das Minus-Zeichen und den Subtrahenden umfasst, heißt Differenz. Das Ergebnis einer Subtraktion ist der Wert der Differenz (auch Differenzwert oder auch kurz nur Differenz). Das Symbol für Differenzen als Terme ist der griechische Großbuchstabe Delta „Δ“, der auch als Operator für die Differenzbildung benutzt wird (siehe Differenz-Operator). Häufig wird als Differenz – besonders im alltäglichen Sprachgebrauch – allerdings nur das Ergebnis dieser „Minusrechnung“, noch häufiger der Betrag dieses Ergebnisses bezeichnet. Beispiel: Die Differenz zwischen 7 und 9 und die Differenz zwischen 5 und 3 beträgt 2. Im Beispiel wird dies durch das Verb „beträgt“ betont. Merkhilfe: Minuend minus Subtrahend gleich Wert der Differenz (Eselsbrücke: Minuend kommt im Alphabet vor Subtrahend) Beispiele (mit Berücksichtigung des Vorzeichens): 4 minus 1 ist (gleich) 3 oder anders geschrieben: . Dabei ist 4 der Minuend, 1 stellt den Subtrahenden dar, der Rechenausdruck (Term) ist die Differenz und das Ergebnis 3 bildet den Wert der Differenz bzw. den Differenzwert. Die Menge der natürlichen Zahlen ist bezüglich der Subtraktion nicht abgeschlossen, das heißt mit der Subtraktion erzielt man eventuell ein Ergebnis, das den Bereich der natürlichen Zahlen überschreitet. Beispiel: Es gibt abkürzende Notationen für , beispielsweise oder , was vor allem bei Termen wie bzw. Anwendung findet. Bei mehreren hintereinander auftretenden Subtraktionen wird der Ausdruck von links nach rechts ausgewertet; die Subtraktion ist daher linksassoziativ: . Mathematische Definition Die Subtraktion ist die Umkehroperation der Addition. In Gruppen lässt sich zu jedem gegebenen und genau ein finden, so dass gilt: Die Bestimmung von heißt Subtraktion. lässt sich bestimmen, indem man von subtrahiert („abzieht“): heißt der Minuend, der Subtrahend. Das Ergebnis einer Subtraktion, hier , heißt Wert der Differenz. Eine Subtraktion wird mit dem Minuszeichen notiert: Die Subtraktion kann auch als Addition der Gegenzahl des Subtrahenden zum Minuenden definiert werden: Basisverfahren Graphische Methode Bei der graphischen Methode werden die Zahlenwerte als Balken, Linien, Punkte oder andere abstrakte Objekte dargestellt. Eine weitere Möglichkeit ist die Darstellung mit Vektoren, wobei die Richtung des Subtrahend-Vektors umgekehrt und die Vektoren anschließend aufaddiert werden. Beispiel Subtraktion-Subtraktion-Methode Bei der Subtraktion-Subtraktion-Methode wird so lange ein Teilbetrag des Subtrahends von Subtrahend und Minuend abgezogen, bis der Subtrahend 0 ist. Dabei wird meist eine Zehnerstelle als Zwischenschritt gewählt. Beispiel Subtraktion-Addition-Methode Bei der Subtraktion-Addition-Methode werden Subtrahend und Minuend in Teilkomponenten zerlegt, von diesen subtrahiert, und anschließend die Teilbeträge wieder addiert. Beispiel Komplement-Methode Bei der Komplement-Methode wird vom Subtrahenden das zugehörige Komplement berechnet. Anschließend werden der Minuend und das Komplement addiert. Das Verfahren wird insbesondere in der technischen Informatik, etwa beim mechanischen Feld-Tarrant-Comptometer, dem mechanischen Hoffritz-Addierer, sowie elektronischen Addierwerken in modernen Computersystemen, angewendet. Beispiel Ausgangsformel (linke Seite im Dezimalsystem, rechte Seite im Dualsystem): Dies entspricht: Berechnung des Komplements im Dezimalsystem (Zehnerkomplement) und im Dualsystem (Zweierkomplement): Addition: Schriftliche Subtraktion Die schriftliche Subtraktion ist neben der schriftlichen Addition eine der grundlegenden Kulturtechniken, die bereits in den ersten Schuljahren der Grundschule erlernt wird. Die Beherrschung der schriftlichen Subtraktion ist Voraussetzung für das Erlernen der schriftlichen Division. Vertikale Subtraktion mit Überträgen In den Grundschulen werden heute meist Verfahren gelehrt, bei denen die einander entsprechenden Stellen der Minuenden und Subtrahenden übereinander stehen. Die Stellen werden nacheinander abgearbeitet, meist von rechts nach links. Für das schriftliche Subtrahieren muss der Minuend (Zahl oben) größer oder gleich dem Subtrahenden (Zahl(en) unten) sein. Negative Ergebnisse sind somit direkt nicht möglich. Wenn der Minuend doch kleiner ist als der Subtrahend, dann können die Vorzeichen zum Rechnen vertauscht werden. Der Subtrahend wird so zum Minuend (oben geschrieben) und der Minuend zum Subtrahend (unten geschrieben). Es kann dann mit den unten beschriebenen Verfahren gerechnet werden. Das Ergebnis muss aber zum Schluss mit einem Minus versehen werden, denn es ist immer negativ (keine natürliche Zahl). Damit wird der zuvor zum Berechnen durchgeführte Vorzeichenwechsel wieder rückgängig gemacht. Wenn die einzelnen Stellen der Subtrahenden größer sind als die gleichen Stellen der Minuenden, müssen Überträge gehandhabt werden. Das heißt, der Minuend wird, um die Subtraktion zu ermöglichen, um 10 erhöht; um dies auszugleichen, muss in der links benachbarten Spalte entweder der Minuend erniedrigt (Entbündelungsverfahren; Vorabberechnung der Überträge) oder der Subtrahend erhöht werden (Ergänzungsverfahren; Subtraktion von rechts nach links). Im deutschsprachigen Raum hat sich mit dem Ergänzungsverfahren die letztgenannte Vorgehensweise durchgesetzt. Im Jahr 2000 trat in einigen Bundesländern ein neuer Lehrplan in Kraft, der nun statt des Ergänzens das Entbündeln als Standard vorschreibt. Ergänzungsverfahren Beim Ergänzungsverfahren, das auch Auffülltechnik oder (in den USA) Austrian method („Österreichische Methode“) genannt wird, wird keine Subtraktion vorgenommen, sondern der Subtrahend umgekehrt bis zum Minuenden erhöht. Falls dies nicht möglich ist, wird der Minuend um 10 erhöht. Die 10 wird nicht „geborgt“, sondern als 1 zum Subtrahenden der nächsten Teilberechnung addiert. Im deutschsprachigen Raum wird dieses Verfahren an den Grundschulen als Standardmethode gelehrt. Einer der Vorteile des Verfahrens besteht darin, dass es den Umgang mit Aufgaben vorbereitet, bei denen von einem Minuenden mehrere Subtrahenden abgezogen werden sollen. Beispiel Subtraktion von links nach rechts Die Subtraktion kann auch von links nach rechts durchgeführt werden. Bei diesem ungewöhnlichen Verfahren, das eine Variante des Ergänzungsverfahrens ist, werden die Überträge abgearbeitet, bevor die Differenz genau ausgerechnet wird. Da die Überträge weder notiert noch gemerkt werden müssen, ist die Methode nicht nur vergleichsweise resistent gegen Flüchtigkeitsfehler, sondern auch sehr schnell und sogar fürs Kopfrechnen geeignet. Beispiel Findet sich eine Spalte oder eine Sequenz von mehreren Spalten, in denen zwei gleiche Ziffern stehen, und rechts daneben eine Spalte mit einem Minuend, der kleiner als der Subtrahend ist, so muss die bei diesem Verfahren routinemäßige „Vorausschau“ nicht nur die zwei gleichen Ziffern, sondern auch die darauf folgenden Spalten umfassen. Jede Spalte mit den gleichen Ziffern erhält dann eine Neun statt einer Null als Ergebnis. Die Vorausschau über mehreren Spalten in den oben geschilderten Fällen ist eine Schwachstelle dieser Methode. Entbündelungsverfahren Abziehen mit „Entbündeln“ bedeutet, dass der zu kleine Minuend bei seinem linken Nachbarn eine „Anleihe“ macht. Der Minuend wird um 10 erhöht und der linke Nachbar um 1 erniedrigt. Das Verfahren wird an den Grundschulen z. B. der Vereinigten Staaten als Standardmethode gelehrt. Der reine Rechenaufwand ist ähnlich wie beim Ergänzungsverfahren; wenn von einer Null „geliehen“ werden muss, muss diese jedoch bei ihrem eigenen linken Nachbarn eine „Anleihe“ machen – eine Technik, die zusätzlich erlernt werden muss (beim Ergänzungsverfahren wird sie nicht gebraucht). Außerdem muss beim Entbündeln mehr geschrieben werden. Beispiel Vorab-Entbündelung Eine Variante des Entbündelungsverfahrens besteht darin, dass alle Stellen in einem ersten Arbeitsgang vollständig entbündelt werden, sodass für den zweiten Arbeitsgang, bei dem nur noch subtrahiert wird, hinreichend große Minuenden zur Verfügung stehen. Beispiel Vertikale Subtraktion ohne Überträge Teildifferenzen Die Partial Differences-Methode unterscheidet sich von anderen vertikalen Subtraktionsmethoden dadurch, dass keine Überträge verwendet werden. An deren Stelle treten Teildifferenzen, die – je nachdem, ob in einer Spalte der Minuend oder der Subtrahend größer ist – ein Plus- oder ein Minuszeichen erhalten. Die Summe der Teildifferenzen ergibt die Gesamtdifferenz. Beispiel Nicht-vertikale Verfahren Ausschreiten der Differenz Die Berechnung einer Differenz muss nicht Stelle für Stelle erfolgen. Meist umständlich, aber möglich ist es auch, den zwischen einem Subtrahenden und einem Minuenden liegenden Zahlenraum auszuschreiten. Beispiel 1234 − 567 = kann über folgende Schritte errechnet werden: 567 + 3 = 570 570 + 30 = 600 600 + 400 = 1000 1000 + 234 = 1234 Um die Differenz zu ermitteln, werden die Werte der Einzelschritte addiert: 3 + 30 + 400 + 234 = 667. Zergliederung des Subtrahenden Eine weitere Vorgehensweise, die sich gleichermaßen für die schriftliche Subtraktion wie für das Kopfrechnen eignet, ist die Zergliederung des Subtrahenden, der in Einzelschritten vom Minuenden abgezogen wird. Beispiel „1234 − 567 =“ kann über folgende Schritte errechnet werden: 1234 − 500 = 734 734 − 60 = 674 674 − 7 = 667 Gleiche Veränderung Grundlage der Same change-Subtraktion ist die Beobachtung, dass eine Subtraktion einfach durchzuführen ist, wenn am Ende des Subtrahenden eine oder mehrere Nullen stehen. Der Subtrahend wird bei diesem Verfahren darum auf den nächstliegenden Zehner erhöht oder erniedrigt; da der Minuend um dieselbe Differenz erhöht oder erniedrigt wird, nimmt die Manipulation auf die Differenz keinen Einfluss. Wenn die Aufgabe danach immer noch zu schwer ist, kann die Operation wiederholt werden. Beispiel „1234 − 567 =“ kann über folgende Schritte errechnet werden: 1234 − 567 = 1237 − 570 = 1267 − 600 = 667 Siehe auch Subtraktion zweier Zahlen mit Zirkel und Lineal Weblinks Beispiele für das Abziehen mit Entbündeln und Erweiterungstechnik (PDF-Datei; 39 kB) Äpfel – Freeware-Übungsprogramm zur schriftlichen Subtraktion Einzelnachweise
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133.395305
8566
https://de.wikipedia.org/wiki/Ruanda
Ruanda
Ruanda oder Rwanda [] (, []) ist ein dicht bevölkerter Binnenstaat in Ostafrika bzw. Zentralafrika. Er grenzt an Burundi, die Demokratische Republik Kongo, Uganda und Tansania. Wegen seiner hügeligen Landschaft wird Ruanda auch „Land der tausend Hügel“ genannt. Auf dem Staatsgebiet verläuft die afrikanische Hauptwasserscheide zwischen den Einzugsgebieten des Nil und des Kongo. Von 1884 bis 1916 war Ruanda als Teil Deutsch-Ostafrikas eine deutsche Kolonie. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es 1919 belgisches Völkerbundsmandat bzw. nach 1945 UN-Treuhandsgebiet. 1962 erfolgte die Unabhängigkeit. Wegen struktureller Probleme, einer hohen Bevölkerungsdichte und Konflikten zwischen den Volksgruppen der Hutu und Tutsi zählte das Land lange zu den ärmsten in Afrika. Der gesellschaftliche Konflikt führte zu einem Bürgerkrieg in Ruanda (1990–1994) sowie den Völkermord an den Tutsi 1994, bei dem etwa 800.000 ethnische Tutsi sowie viele gemäßigte Hutu von radikalen Hutu ermordet wurden – der weltweit letzte Völkermord dieser Größenordnung. Seit dem Ende des Bürgerkrieges setzte ein wirtschaftlicher Wiederaufbauprozess ein, der unter anderem durch die Ausbeutung von Rohstoffen in den östlichen Kongoprovinzen begünstigt wurde. Seit dem Jahr 2000 amtiert Paul Kagame als Präsident, der das Land autoritär als Diktator regiert. Das Regierungssystem steht international in der Kritik wegen mangelnder Pressefreiheit, Unterdrückung der Opposition, Manipulation von Wahlen sowie der Destabilisierung des Ostkongo. Ruanda gehört seit längerem zu den Ländern Afrikas mit dem stärksten Wirtschaftswachstum. Weite Teile der Wirtschaft werden durch die regierende Partei Ruandische Patriotische Front kontrolliert. Der Großteil der Landesbevölkerung sind christliche Banjaruanda. Kennzeichnend für die ruandische Gesellschaft ist die hohe Teilhabe von Frauen an der wirtschaftlichen und politischen Macht. Geografie Ruanda grenzt im Norden an Uganda, im Osten an Tansania, im Süden an das in vielen Eigenschaften ähnliche Burundi und im Westen an die Demokratische Republik Kongo. Der Großteil Ruandas ist ein Hochland mit einer durchschnittlichen Seehöhe von 1500 Metern. Der gesamte Höhenbereich reicht von etwa 1000 Meter bis zum 4507 Meter hohen Karisimbi (Virunga-Vulkane im Norden). Hier verläuft von Nord nach Süd auf 3000 bis 4000 Meter Höhe die Afrikanische Hauptwasserscheide zwischen den Quellgebieten des Weißen Nil und des Kongo. Den größten Teil von Ruandas Westgrenze bildet der Kiwusee, der zum System der ostafrikanischen Grabenbrüche gehört und daher sehr tief ist. Im Grenzgebiet zu Kongo und Uganda liegen die bis 4500 Meter hohen Virunga-Vulkane, auf denen in mittlerer Höhe die seltenen Berggorillas leben. Im Osten bilden die ausgedehnten Akagera-Sümpfe und eine lange Reihe von Seen eine natürliche Grenze zum heutigen Tansania. Von der ostafrikanischen Küste ist das Land 1200 Kilometer entfernt, dient aber wegen seines guten Straßennetzes dennoch als Transit für manche Exporte aus der Demokratischen Republik Kongo. Ruanda wird gern „Land der tausend Hügel“ genannt (frz. Pays de Mille Collines) und hat in der Tat eine sehr hügelige Landschaft, hauptsächlich im westlichen Teil des Landes. Klima Aufgrund der Höhe ist das Klima trotz der Äquatornähe eher mild-feucht. Das heiße äquatoriale Tageszeitenklima wird vom jahreszeitlichen ostafrikanischen Klima überlagert und durch die große Höhenlage gemildert. Die mittlere Tagestemperatur liegt bei 18 °C. Die höchsten Temperaturen herrschen im tiefergelegenen Osten des Landes, während es im zentralen Hochland und im Bergland im Nordwesten etwas kühler ist. Über das Jahr variieren die Temperaturen wenig. Es gibt zwei Regenzeiten entsprechend den ostafrikanischen Monsunregen, umuhindo etwa zwischen September und Dezember (durchschnittlich 27 % der Jahresniederschlagsmenge) sowie itumba zwischen Februar und Anfang Juni. Zwischen März und Mai fallen 40 % der jährlichen Niederschläge. Das Klima und vor allem die Niederschläge weisen jedoch große Unregelmäßigkeiten auf. Anormale Trockenheiten, überreichliche Regen und Hagel bedrohen immer wieder die Ernten und sorgen für Hungersnöte. Nach Starkregen kommt es häufig zu Überschwemmungen und Erdrutschen, die vor allem die West- und Nordprovinz betreffen, während Dürren eher im Osten des Landes problematisch sind. Hydrologie Ruanda entwässert in zwei große Einzugsgebiete. Die Landesfläche teilt sich zu ¾ in das Nil-Einzugsgebiet und zu ¼ in das Kongo-Einzugsgebiet auf. Die prägenden Nilzuflüsse des Landes sind der im südwestlichen Bergland (Naturpark Nyungwe-Wald) entspringenden Nyabarongo, und der Grenzfluss im Osten, der Akagera (Kagera). Der Nyabarongo entspringt als Rukarara auf 2700 Meter Seehöhe nahe der Wasserscheide zum Kongo und ist der zentrale Fluss des Landes. Er fließt wie sein Nebenfluss Mwogo zunächst von Süd nach Nord, um sich dann unweit der Virunga-Vulkane nach Südosten zur Hauptstadt Kigali zu wenden. Diese abrupte Laufänderung erklärt die Geologie durch tektonische Verschiebungen der Erdkruste bei der Entstehung des Ostafrikanischen Grabens und der Virunga-Vulkane. Südlich von Kigali vereinigen sich der Nyabarongo und der vom Burundi-Grenzgebiet kommenden Akanyaru auf etwa 1500 Meter Höhe. Je nach Quelle wird der weitere Verlauf auf dem Weg zum Rwerusees bereits als Kagera bezeichnet oder weiter als Nyabarongo. Nach dem Verlassen des Rwerusees fließt der Kagera erst nach Osten, später nach Norden und bildet auf etwa 250 Kilometern Länge die Landesgrenze zu Tansania. Der am Dreiländereck zu Tansania und Uganda nordwärts gerichtete Fluss knickt schließlich abermals scharf nach Osten ab, um später in den Viktoria-See zu fließen. Das Kongo-Einzugsgebiet wird vor allem durch den Kiwusee und seinen Abfluss, den Ruzizi, geprägt. Letzterer bildet die südwestliche Grenze Ruandas und fließt zum Tanganjikasee. Die drei Großlandschaften Ruanda lässt sich im Wesentlichen in drei Groß- und mehrere kleine Landschaften unterteilen: Die (süd-)östliche Senke, das zentrale Hochplateau und die Kongo-Nil-Wasserscheide bilden drei Großlandschaften. Im Zentrum Ruandas befindet sich das zentrale Hochplateau. Es liegt zwischen 1500 und 2000 Metern hoch und erstreckt sich zwischen der Kongo-Nil-Wasserscheide und der südöstlichen Senke. Es ist von zahlreichen Wasserläufen zerschnitten und repräsentiert vor allem im Anstieg zur Kongo-Nil-Wasserscheide hin das sprichwörtliche „Land der tausend Hügel“. Aufgrund der guten Versorgung mit Oberflächenwasser und Niederschlägen sowie der gemäßigten Temperaturen und recht fruchtbarer Böden wird es seit langer Zeit intensiv landwirtschaftlich genutzt. Die ursprüngliche Waldvegetation ist ebenso lange verschwunden. Die Virunga-Vulkane im Norden stellen die höchsten Erhebungen dar. Ihnen schließen sich das Bergland von Buberuka und das vulkanische Gebiet im Nordwesten Ruandas an. Es ist durch feuchtkühles Klima mit zum Teil extremen Regenfällen gekennzeichnet. Die vulkanischen Aschen- und Schlackenböden sind sehr fruchtbar und werden intensiv landwirtschaftlich genutzt. Hier befindet sich ein Zentrum des Kartoffelanbaus von Ruanda. Allerdings versickern vor allem in der Lava-Ebene die Wasser sehr schnell und treten erst an ihrem Rand als Quellen wieder auf. Neben den Virunga-Vulkanen erreicht die Kongo-Nil-Wasserscheide, die sich im Westen entlang des Kiwusees von Nord nach Süd erstreckt, Höhen nahe 3000 Metern, im mittleren Teil nur bis zu 1200 Metern und im Süden wieder bis zu 2700 Metern. Sie ist durch schroffe Schluchten und spitze Gipfel gekennzeichnet. Das Klima ist durch Steigungsregen im Osten feucht, im Westen durch Föhnwinde etwas reduziert. Früher waren die Berge von tropischem Höhenregenwald bedeckt. Dieser wurde aufgrund des Bevölkerungswachstums extrem reduziert. Bis Ende der 1990er Jahre gab es noch Regenwaldreste in Gishwati (Nord), Mukura (Zentrum) und Nyungwe (Süd). Gishwati und Mukura wurden zum Zwecke der Besiedlung vor allem von rückkehrenden Langzeitflüchtlingen nach 1994 nahezu vollständig zerstört. Der Nyungwe-Wald hingegen ist noch recht ausgedehnt. In allen tropischen Hochgebirgs-Nebelwäldern leben Kleinaffen (Koloben und andere), Klein-Antilopen, früher auch Waldelefanten und zahlreiche Vogel- und Kleintierarten. Die Pflanzenvielfalt ist einzigartig und groß. Der Uferstreifen des Kiwusees ist von tiefen Buchten und steilen Hängen geprägt. Durch Föhnbildung an den Westhängen der Kongo-Nil-Wasserscheide sind die Niederschläge hier geringer als auf der Ostseite des Gebirges. Das Wasser des Kiwusees ist etwa 23,5 °C warm. Das Klima ist durch milde Temperaturen geprägt. Auf den fruchtbaren Böden im Süden und Norden erfolgt seit langer Zeit intensiver Bodenbau; auf den weniger fruchtbaren Böden in Höhe von Kibuye (Zentrum) hingegen überwog traditionell Rinderzucht. Der Südwesten von Ruanda (Impara und Imbo) weist zum Teil sehr fruchtbare Böden auf, die sowohl in den heißen tiefen Lagen als auch in den kühlen Bergen intensiven Bodenbau erlauben. Die östliche und südöstliche Senke mit Höhenlagen zwischen 1000 und 1500 Metern erstreckt sich westlich der ausgedehnten Rückstausümpfe des Akageraflusses und zahlreicher Seen. Sie ist durch trockenheißes Klima, poröse Böden und Lateritkrusten sowie Buschsavanne geprägt. Klima, Böden und die starke Verbreitung der Tsetsefliegen machen diese Landschaft für Bodenbau und Viehzucht wenig geeignet. Es kommt immer wieder zu ausgedehnten Trockenzeiten, die in den besiedelten Teilen zu Hungersnöten führen. Die belgische Verwaltung richtete 1934 in dem dünn besiedelten Gebiet im Osten den Akagera-Nationalpark als Wildreservat ein. Südlich und westlich davon schlossen sich Jagdgebiete und Privatranchen an. Diese Jagdgebiete sowie Teile des Akagera-Parkes wurden nach Juli 1994 für rückkehrende (sog. Langzeit-)Flüchtlinge zur Besiedelung freigegeben. In den südöstlichen Teil, den Bugesera-Distrikt, waren seit Ende der 1950er Jahre zunächst Tutsi aus verschiedenen Landesteilen zwangsumgesiedelt worden, später kamen Hutu aus dem Norden des Landes hinzu. Die Niederungen der Region Mayaga entlang des Akanyaru-Flusses und seiner Papyrussümpfe waren früher den Rinderherden der Tutsi als Weidereserven in anhaltenden Trockenzeiten vorbehalten. Sie wurden erst im Laufe des 20. Jahrhunderts bodenbaulich genutzt. Flora und Fauna Die Hochgebirge in Ruanda sind durch besondere Ökosysteme mit einzigartigen Tier- und Pflanzenarten geprägt, die durch das nebelig-feucht-kühle tropische Klima zustande kommen. Beispielsweise beherbergt der Nyungwe-Wald als einziger verbliebener Bergregenwald eine beachtliche Biodiversität mit vielen endemischen Arten. Das Zentrum Ruandas ist schon seit langer Zeit intensiv landwirtschaftlich genutzt. Im trocken-heißen Osten befinden sich der Akagera-Nationalpark mit Gras-Baum-Savannen, Sumpfgebieten und Seen. Der Park beherbergte bis 1994 zahlreiche große Herden von Zebras, Impalas, Topis sowie Kaffernbüffeln sowie andere Antilopen-Arten in kleineren Herden, wenige Elefanten sowie aus Tansania eingeflogene Giraffen. Löwen waren zahlreich, Leoparden ebenfalls vorhanden. In den Gewässern lebten viele Nilpferde und Krokodile. Die Vogelfauna war sehr vielfältig. Durch den Krieg wurde der Tierbestand – vor allem der Löwen und Antilopen – sehr stark dezimiert. Eine Besonderheit sind die wenigen noch vorhandenen Berggorillas in den Virungavulkanen. Die vom Aussterben bedrohten Berggorillas werden durch Schutzmaßnahmen (unter anderem einem Jagdverbot) geschützt. Bekannt geworden sind sie durch den Film Gorillas im Nebel, der das Leben der US-Forscherin Dian Fossey mit den Gorillas in Ruanda zeigt. Umweltschutz Seit 2005 gibt es in Ruanda ein Umweltschutzgesetz. Im Jahr 2006 wurde die Umweltbehörde REMA gegründet. Sie gibt dem Land die Richtlinien in Sachen Umweltschutz vor und hat es geschafft, dass Ruanda allen anderen afrikanischen Ländern ein Vorbild im Umweltschutz ist. Kigali gilt als eine der saubersten Hauptstädte Afrikas. Mülltrennung ist in Ruanda per Gesetz vorgeschrieben, wird aber noch nicht flächendeckend angewandt. Illegale Müllentsorgung wird mit mindestens 1.500 Dollar Strafe oder bis zu zwei Jahren Gefängnis geahndet. Plastiktüten sind in Ruanda verboten. Bei der Einreise wird das Gepäck von Touristen auf Plastiktüten durchsucht. Gefundene Tüten werden ihnen abgenommen und entsorgt. Stattdessen nutzt man in Ruanda Tüten aus Papier. Derzeit wird die Hälfte des Stroms mit Dieselgeneratoren erzeugt, die andere Hälfte durch Wasserkraftwerke. Drei neue Wasserkraftwerke sind in Planung. In Ruanda gibt es drei Nationalparks: Akagera-Nationalpark Nyungwe-Wald Vulkan-Nationalpark Verwaltungsgliederung Seit dem 1. Januar 2006 gliedert sich Ruanda in fünf Provinzen: Vorher war Ruanda in folgende zwölf Provinzen gegliedert: Butare, Byumba, Cyangugu, Gikongoro, Gisenyi, Gitarama, Kibungo, Kibuye, Kigali, Kigali Rural, Ruhengeri und Umutara. Die fünf gegenwärtigen Provinzen sind weiter in insgesamt dreißig Distrikte untergliedert. Städte Ruanda gehört zu den am dichtesten besiedelten Ländern weltweit und liegt hinsichtlich der absoluten Bevölkerungsgröße global gesehen im Mittelfeld (Platz 75). Der überwiegende Teil der Bevölkerung lebt auf dem Land, wobei die Verstädterung zunimmt. Die größten Städte sind Kigali (1.168.570 Einwohner; Stand 2012), Butare (103.312 Einwohner; Stand 2009), Gitarama (88.031 Einwohner; Stand 2009), Ruhengeri (86.685 Einwohner; Stand 2005) und Gisenyi (83.623 Einwohner; Stand 2005). Außer Kigali, das einen zunehmend urbanen Charakter entwickelt, sind die Städte allerdings sehr ländlich geprägt. Sie sind meist Sitz der lokalen Verwaltung sowie kirchliche Zentren (ehemalige Missionen) und dienen darüber hinaus als Umschlagplatz für lokalen Handel sowie als Verkehrsknotenpunkte. Kigali ist die Hauptstadt Ruandas und besitzt einen internationalen Verkehrsflughafen sowie mehrere internationale Hotels und ist das Zentrum des regelmäßigen Busverkehrs in alle Richtungen. Gisenyi ist eine malerisch gelegene Kleinstadt am nördlichen Ende des Kiwusees. Es wurde schon in der deutschen Kolonialzeit gegründet. Dort finden sich noch Wohnhäuser aus dieser Zeit. Auch in der belgischen Kolonialzeit lebten viele Kolonialbeamte und Siedler in Gisenyi. Es liegt unmittelbar an der Grenze zu Kongo; die Nachbarstadt auf der anderen Seite der Grenze ist Goma. Nach dem Völkermord zogen große Flüchtlingsströme durch Gisenyi nach Goma. Von Gisenyi gibt es einen regelmäßigen Bootsverkehr für Frachten und Personen nach Kibuye und Cyangugu. In Gisenyi befindet sich auch die staatliche Brauerei Bralirwa, die den größten Anteil am BIP erwirtschaftet. Ruhengeri liegt im Norden in der Lava-Ebene zu Füßen der Vulkane. Von dort aus bereisen Touristen die Vulkane und besuchen an Menschen gewöhnte Gorilla-Gruppen. Gitarama liegt im Zentrum des Landes, zwischen Kigali und Butare, unweit der bedeutenden katholischen Mission und des Diozösansitzes Kabgayi. Von Gitarama ging die sogenannte „Hutu-Revolution“ der PARMEHUTU aus. Hier war Ende der 1950er Jahre die erste Republik ausgerufen worden. Kibuye ist eine Kleinstadt an einer sehr zerklüfteten Küste am Kiwusee. Eine alte Missionsstation befindet sich auf einem Felsen, der in den See hineinreicht. Die Stadt selbst liegt etwas erhöht, jedoch haben die zahlreichen Fischer ihre Häuser meist unten an der Küste. Eine heruntergekommene und seit 2005 geschlossene Ferienanlage mit Bungalows sollte Touristen anlocken. Vor dem Völkermord gab es 250.000 Tutsi in der Präfektur von Kibuye, lediglich 8.000 überlebten die Massaker. Cyangugu am Südende des Kiwusees liegt unmittelbar an der Grenze zu Kongo. Auch hier gab es während des Völkermords mächtige Flüchtlingsströme nach Kongo. Butare im Süden Ruandas ist gewissermaßen die Kulturstadt des Landes. Es wurde in der belgischen Kolonialzeit gegründet und stellte zu dieser Zeit den Sitz der belgischen Kolonialverwaltung für die Doppelkolonie Ruanda-Urundi dar. Auch in Butare befinden sich Gebäude aus der belgischen Kolonialzeit. Die National-Universität wird unter anderem von Deutschland unterstützt. Neben der National-Universität befindet sich auch das Nationalmuseum in Butare, das zum Teil interessante Ausstellungsstücke aus vorkolonialer Zeit zeigt, darunter nachgebaute traditionelle Grashäuser, darunter das des „Königs“ (Mwami). Kibungo liegt im Südosten des Landes, an einer Straße, die zum Grenzübergang Rusumo nach Tansania führt. Byumba liegt im Norden des Landes. Bevölkerung Demografie Ruanda hatte 2020 13,0 Millionen Einwohner. Das jährliche Bevölkerungswachstum betrug + 2,5 %. Zum Bevölkerungswachstum trug ein Geburtenüberschuss (Geburtenziffer: 30,7 pro 1000 Einwohner vs. Sterbeziffer: 5,0 pro 1000 Einwohner) bei. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 3,9 und damit unter der Fruchtbarkeitsrate von Sub-Sahara-Afrika von 4,6. Die Lebenserwartung der Einwohner Ruandas ab der Geburt lag 2020 bei 69,3 Jahren (Frauen: 71,5, Männer: 67,1). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 20 Jahren. Der Bevölkerungsanteil der unter 15-Jährigen beläuft sich auf 39,8 %, jener der über 65-Jährigen auf 3 %. Mit durchschnittlich 432 Einwohnern pro Quadratkilometer ist Ruanda das am dichtesten bevölkerte Land Afrikas. Der hohe Bevölkerungsdruck ist Ruandas Hauptstrukturproblem, da das Land kaum über Industrie und keine nennenswerten Ressourcen verfügt. Belastet wird das Land auch durch die hohe Zahl von Flüchtlingen, die vor allem aus der Demokratischen Republik Kongo nach Ruanda kommen. Im Jahre 2017 waren 3,6 % der Bevölkerung im Ausland geboren. Das Bevölkerungswachstum beträgt rund 2,1 % jährlich. Ethnische Zusammensetzung In Ruanda lebt eine Bevölkerung mit einer gemeinsamen Sprache und Kultur, genannt Banjaruanda. Die Kolonialmächte, zunächst Deutsche, dann Belgier, beschlossen, durch indirekte Herrschaft zu regieren, und wollten keinen eigenen Verwaltungsapparat aufbauen. Sie unterstützten zunächst die herrschenden Eliten der Tutsi und versuchten, sie für ihre Zwecke zu nutzen. Die Kolonialmächte definierten die gesellschaftlichen Kategorien von „Hutu“, „Tutsi“ und „Twa“ als „Stämme“, unterschieden nach rassischen Kriterien bezüglich des Äußeren und des angeblichen Charakters sowie nach der Wirtschaftsbasis (Tutsi = Rinderzüchter; Hutu = Bauern; Twa = Jäger/Sammler, Töpfer). Europäische Forscher (Rassentheoretiker) hatten zum Ende des 19. Jahrhunderts im Geiste der „Rassenkunde“ die „hamitische Hypothese“ entwickelt und eine vielfältig durchmischte afrikanische Gesellschaft, deren Volksgruppen die Sprache, Sitten und Traditionen teilten, in „Stämme“ sortiert: Hier die Minorität der angeblich aus dem Niltal eingewanderten Tutsi, eine hochwüchsige, hellhäutige, blaublütige, hamitische Rasse, dort die autochthone Mehrheit der untersetzten, negroiden, servilen, bäuerlichen Hutu aus der Bantufamilie. Die Hamiten seien die Träger der kulturellen Entwicklung Afrikas gewesen und seien überhaupt eine überlegene „Herrenrasse“, so die Hamitentheorie von John Hanning Speke. Diese „Ethnien“ oder „Rassen“ gehören zu einem Geschichtsmythos, der zu einem wichtigen ideologischen Instrument der Kolonialpolitik wurde. Tutsi, gleichsam zu „schwarzen Weißen“ geadelt, wurden im kolonialen Herrschaftssystem privilegiert; sie übernahmen bereitwillig eine Theorie, die ihre Überlegenheit historisch „bewies“. Nach modernen genetischen Analysen bestehen zwar statistisch signifikante Unterschiede bei genetischen Markern auch zwischen Tutsi und Hutu, die Unterschiede sind aber nicht groß. Die Ergebnisse belegen eine sehr nahe Verwandtschaft zwischen Tutsi und Hutu (auch relativ zu benachbarten Bevölkerungsgruppen), so dass von einer spezifischen Wanderung nur der Tutsi nicht auszugehen ist. 1934/35 wurde von der belgischen Kolonialmacht eine Volkszählung durchgeführt. Die Zugehörigkeit zu Tutsi oder Hutu wurde u. a. anhand der Anzahl der Rinder definiert, die jemand besaß. Alle Familien mit mehr als zehn Rindern waren Tutsi, alle mit weniger waren Hutu. Wer kein Rind hatte, wurde als Twa eingestuft. Die Kolonialmächte verhandelten zunächst bevorzugt mit den reicheren Tutsi, zu denen das Königshaus und die traditionellen Eliten gehörten. Im Jahre 1939 schrieben die belgischen Kolonialisten den Vermerk der ethnischen Zugehörigkeit im Personalausweis vor. Der postulierte Unterschied – der Völkerkundler Claude Meillassoux spricht von „imaginärer Ethnographie“ – wurde gleichsam zum Naturzustand und vergiftete als tribalistisches Stereotyp die Vorstellungswelt der Ruander. Die Tutsi erhielten zunächst alleinigen Zugang zu den Kolonialschulen mit dem Ziel, dadurch der Kolonialverwaltung zu dienen. Durch die Kolonialpolitik wurde die Bevölkerung zu Abgaben und Zwangsarbeit verpflichtet, für deren Eintreibung Tutsi zuständig waren. All dies führte zu Unzufriedenheit und Neid. Außerdem kam es zu zunehmenden Problemen, weil Tutsi eigene Gedanken äußerten und nicht alle Vorgaben der (belgischen) Kolonialmacht umsetzen wollten. So setzten die belgische Kolonialverwaltung und die katholische Mission zunehmend auf „divide et impera“ und begannen die Hutu politisch zu fördern. Als die Hutu 1959 die Macht übernahmen, pervertierten sie die ethnische Segregation zu einer Art „schwarzen Apartheid“. Sie nahmen das rassistische Gedankengut der Europäer an und begannen, die Tutsi als später eingewanderte Fremde in Ruanda zu behandeln. Vor den ersten Massakern, Vertreibungen und der ersten Fluchtwelle von Tutsi im Jahre 1959 wurde deren Anteil auf 12–13 % geschätzt. Dieser Anteil soll bis zum Völkermord durch weitere Fluchtwellen und Vertreibungen auf etwa 9–10 % abgenommen haben. Auch der Anteil der Twa scheint seit den 1930er Jahren stetig gesunken zu sein. Es gab und gibt einen nicht zu vernachlässigenden Anteil von Menschen mit schwankender oder gemischter ethnischer Identität, obwohl die Ethnizität amtlich registriert war. Der Völkermord brachte für mindestens drei Viertel, vielleicht auch über 90 % der in Ruanda ansässigen Tutsi den Tod. Durch die kurz danach einsetzende Rückwanderung einer großen Zahl von Exil-Tutsi machen die Tutsi wieder wesentlich mehr als die zu erwartenden 1–3 % der Bevölkerung aus. Neuere Zahlen zur Ethnizität sind kaum erhältlich. Die „Hamitentheorie“ erfreut sich bis heute großer Beliebtheit, liefert sie doch ein simples Erklärungsmodell für den Genozid. Sprachen Muttersprache nahezu aller Ruander ist die Bantusprache Kinyarwanda. 88 % der Einwohner beherrschen ausschließlich diese Sprache. Weitere offizielle Amtssprachen sind Französisch (seit der belgischen Kolonialzeit) und seit 1994 Englisch, das vor allem von aus Tansania und Uganda rückkehrenden Langzeitflüchtlingen eingeführt wurde. In den Handelszentren wird auch das ebenfalls zu den Bantusprachen gehörende Swahili gesprochen, das in Ruanda nur als Fremdsprache erlernt wird. Aufgrund der für Bantusprachen typischen Flexion am Wortanfang entstehen vielfältige Schreibweisen. Die Wörter Hutu und Tutsi zum Beispiel gibt es als solche im Kinyarwanda nicht. In der grammatischen Normalform wird ein ba (wa) vorangestellt, also bahutu bzw. batutsi (= watussi). Noch genauer genommen kommt dazu noch der Artikel, und es wird von umuhutu (Mehrzahl: abahutu) bzw. umututsi (abatutsi) gesprochen. Da sich aber die Vorsilben je nach grammatischer Verwendung verändern, werden in Kinyarwanda-Wörterbüchern die Wörter nach dem Wortstamm sortiert. Im Oktober 2008 erklärte die Regierung, dass in den kommenden Jahren der Schwerpunkt im ruandischen Bildungswesen von Französisch auf Englisch verlagert werden solle. 2009 wurde dies umgesetzt. Schulprüfungen und Unterricht finden beispielsweise in englischer Sprache statt. Damit wird angestrebt, das Land politisch und wirtschaftlich enger an Ostafrika zu binden. Im Frühjahr 2017 beschloss die Abgeordnetenkammer, Swahili als Teil der fortwährenden Integration in die Ostafrikanische Gemeinschaft als weitere Amtssprache einzuführen. Religion Der einheimische Ahnen- und Ryangombe-Kult tritt zwar öffentlich nicht in Erscheinung, wird jedoch neben den später eingeführten Religionen von einem beträchtlichen Teil der Bevölkerung weiterhin praktiziert. Es handelt sich dabei ebenfalls um eine monotheistische Religion mit einem Schöpfergott (Imana) und einer großen Persönlichkeit (Ryangombe), der ein Mittler und irdischer Repräsentant Gottes war. Wegen dieser Parallelen zur Lehre von Jesus Christus und der Dreieinigkeit waren die Ruander während der deutschen Kolonialzeit vergleichsweise leicht für den christlichen Glauben zu gewinnen. Im Norden des Landes – wie auch in Uganda und der Demokratischen Republik Kongo – gibt es noch den Nyabingi-Kult, in dessen Mittelpunkt eine Frau steht. Schon seit der deutschen, vor allem aber seit der belgischen Kolonisation nach dem Ersten Weltkrieg wurde das Land christlich missioniert, was zu einer Dominanz der Römisch-katholischen Kirche führte, der kurz vor dem Völkermord etwa zwei Drittel der Bevölkerung angehörten, gegenwärtig bis zu 55 %. Charismatische Gruppen und viele neue Kirchen (Wiedergeborene Christen und Erweckungskirchen) hingegen breiteten sich nach dem Völkermord im Land aus. Protestanten (auch Adventisten), gegenwärtig bis zu 38 %, sind durch zahlreiche verschiedene Kirchen vertreten (darunter Anglikaner, Presbyterianer, Adventisten, Methodisten sowie Baptisten). Erste Muslime kamen mit arabisch-sansibarischen Elfenbein- und Sklavenhändlern Ende des 19. Jahrhunderts ins Land, doch erst mit der deutschen Kolonialmacht ließen sich ostafrikanische Muslime nieder. Zum Islam bekennen sich mindestens 5 % der Ruander. Andere Quellen, die bis zu 12 % Muslime und mehr angeben, sind möglicherweise überhöht, aber auf einen verstärkten Zulauf zum Islam seit dem Bürgerkrieg zurückzuführen. Soziales Bildung Öffentliche Bildungsausgaben betrugen 4,1 % des Bruttoinlandsproduktes im Jahr 2008. 70 % der erwachsenen Bevölkerung kann lesen und schreiben, wobei der Anteil an Analphabeten bei den Frauen höher liegt. Öffentliche Grundschulen sind gebührenfrei geworden. 86,4 % aller Jungen und 88,5 % aller Mädchen besuchen die Grundschule (Stand 2012). In Ruanda stieg die mittlere Schulbesuchsdauer der Personen über 25 von 1,8 Jahren im Jahr 1990 auf 3,8 Jahre im Jahr 2015 an. Die aktuelle Bildungserwartung beträgt bereits 10,8 Jahre. Für die sechs Jahre dauernde Grundschule besteht Schulpflicht. Daran anschließend besteht die Möglichkeit eines Besuches der drei Jahre dauernden Sekundarschule, welche entweder zum Besuch einer Universität berechtigt oder eher berufsbildenden Charakter hat. Kinyarwanda, Französisch und Englisch werden allgemein gelehrt. Ruanda hat mehrere Universitäten; die größte ist die Université nationale du Rwanda. Gesundheit Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 3,9. Seit den 1980er Jahren, als die Fertilitätsrate noch bei ca. 8,5 Kindern pro Frau lag, geht die Kinderzahl stetig zurück. Zeitweise bestanden Pläne auf politischer Ebene zur Einführung einer „Drei-Kinder-Politik“. Die Verfügbarkeit und Nutzung moderner Verhütungsmittel ist in Ruanda in den letzten Jahren enorm gestiegen. 1990 griffen nur zehn Prozent der Frauen auf Verhütungsmittel zurück, 2012 waren es bereits 45 Prozent, 2020 schließlich 66 Prozent. Vor allem in den Städten geht die Fruchtbarkeitsrate zurück, hier bekommen Frauen im Durchschnitt nur noch zwischen 3 und 4 Kinder. Auf einen Arzt kommen etwa 18.000 Einwohner. 31 % der Frauen nehmen Gesundheitsdienste bei der Geburt in Anspruch. 18 % der unter 5-jährigen Kinder sind fehlernährt (Stand 2005). Die Sterblichkeit der unter 5-jährigen Kinder beträgt etwa 3,5 %. Die HIV-Prävalenz an der Gesamtbevölkerung wird mit 2,9 % angegeben; sie ist in den sexuell aktiven Bevölkerungsteilen jedoch höher. Der Anteil der gesetzlich krankenversicherten Bevölkerung hat sich den letzten Jahren stark vergrößert und liegt bei 91 % (Stand 2010). Der Preis der Krankenversicherung beträgt etwa 1,50 Euro pro Person pro Jahr. Entwicklung der Lebenserwartung in Ruanda Landesname Der Name Rwanda leitet sich vom altruandischen Wortstamm anda (vergrößern, ausdehnen) des Verbes kwanda ab. Die Vorsilbe ku- charakterisiert das Verb, wird aber in Ländernamen von den Vorsilben bu oder ru sowie der Artikel u- ersetzt. Beispiele sind: uRwanda (Ruanda, „das wachsende Land“); Vorsilbe ru + Wortstamm anda („wachsen“) uBudage (Deutschland); Vorsilbe bu + Wortstamm dage (von deutsch) uBufaransa (Frankreich); Vorsilbe bu + Wortstamm faransa (von France) Die Nationalitätszugehörigkeit heißt auf Deutsch ruandisch, Ruander(in), auch: ruandesisch, Ruandese, Ruandesin; Französisch: Rwandais(e); Englisch: Rwandan oder Rwandese. Geschichte Monarchie und Kolonialzeit Ruanda hat eine jahrhundertealte Geschichte als Monarchie. Am Ende des 19. Jahrhunderts wurde es, im Rahmen der Aufteilung Afrikas unter den europäischen Großmächten, Deutschland zugeschlagen und der Kolonie Deutsch-Ostafrika unterstellt. Die Deutschen beschränkten sich auf die indirekte Herrschaft in Gestalt einer Residentur. Der deutsche Resident stand ähnlich wie in britischen Protektoraten den einheimischen Herrschern kontrollierend und beratend gegenüber. Parallel begann die Missionierung, bei der die Katholiken sich durchsetzten. Im Ersten Weltkrieg wurde das Land ausgehend von Belgisch-Kongo von belgischen Streitkräften besetzt und vom Völkerbund Belgien als Teil des Mandatsgebietes Ruanda-Urundi zugesprochen. Mit der Unabhängigkeit traten die alten Gebiete von Ruanda und Burundi ihren eigenen Weg getrennt voneinander als eigenständige Staaten an. Für die Kommunalwahlen von 1960 erhielten Frauen das aktive Wahlrecht. Im Legislative Decree of Rwanda – Urundi (L.D.R.U.) N° 02/269, erlassen am 17. August 1961 von der belgischen Verwaltung des UN-Mandatsgebiets, wurde Frauen das allgemeine Wahlrecht auf nationaler Ebene zugestanden und in den Wahlen zur Gesetzgebenden Versammlung vom 25. September 1961 erstmals ausgeübt. Das allgemeine Wahlrecht für alle Erwachsenen wurde bei der Unabhängigkeit 1962 bestätigt. 1961 erhielten Frauen das Recht, in alle Ämter mit Ausnahme des Präsidentenamtes gewählt zu werden. Das passive Wahlrecht für dieses Amt wurde ihnen erst 1978 in der neuen Verfassung zugestanden. In der neueren Geschichte waren neben der Kolonisation, die das Land erst kurz vor 1900 erreichte, die Unabhängigkeit im Jahre 1962 und der Völkermord von 1994 die wichtigsten Ereignisse. Seit der Unabhängigkeitserklärung Nach der Unabhängigkeit am 1. Juli 1962 folgten zunächst eine erste (1962–1973) und dann eine zweite Republik (Juli 1973–1994). Vor allem die erste Republik war begleitet von Massakern, Vertreibungen und Fluchtbewegungen von Tutsi. Eine große Anzahl von ihnen war danach an der Rückkehr nach Ruanda gehindert und lebte jahrzehntelang in den Nachbarländern (Uganda, Burundi, Tansania und DR Kongo, zum Teil auch Kenia). Am 1. Oktober 1990 griff die Ruandische Patriotische Front (RPF), in der Exil-Ruander aus Uganda stark vertreten waren, das Land an, um militärisch die Rückkehr von Flüchtlingen zu erzwingen. Sie besetzte Teile des Nordens des Landes (in Byumba und Mutara). International vermittelte Verhandlungen führten zunächst zu einem Waffenstillstand im Juli 1992. Eine Folge war die Bildung der UNAMIR-Truppe. Nach dem Friedensvertrag von Arusha kam es im Januar 1993 aber mehr oder weniger zu einer politischen Blockade der Umsetzung der Vereinbarungen des Friedensvertrags. Radikale Kräfte waren nicht zur Kooperation mit dem Gegner in Übergangsstrukturen von Regierung, Parlament und Armee bereit. Am 6. April 1994 wurde das Flugzeug des damaligen Staatspräsidenten Juvénal Habyarimana beim Landeanflug auf die Hauptstadt Kigali abgeschossen. Habyarimana und der Präsident Burundis, Cyprien Ntaryamira, starben bei diesem Anschlag. Vom 7. April bis Juni 1994 kam es daraufhin zum Völkermord an den Tutsi in Ruanda, verbunden auch mit der Liquidation von dissidenten Hutu. Die RPF nahm die Kampfhandlungen gegen das den Völkermord organisierende Regime wieder auf. Sie eroberte bis Juli den Norden, Osten und Südosten sowie die Hauptstadt, danach auch den zentralen und nördlichen Westen des Landes. Französische Truppen, von Ostkongo aus kommend, besetzten vorübergehend den Südwesten des Landes. Am 19. Juli 1994 wurde Pasteur Bizimungu zum Präsidenten ernannt. Es folgte eine Übergangsphase mit am Arusha-Vertrag angelehnten Übergangsregierungen, die bis 2003 dauerte. Seit 2003 hat Ruanda eine neue Verfassung, ein gewähltes Parlament und einen gewählten Staatspräsidenten. 1998 begann in der Demokratischen Republik Kongo (ehemals Belgisch-Kongo) der Zweite Kongokrieg, an dem sich Ruanda (wie auch Uganda) beteiligte – offiziell, um dorthin geflohene Reste der Hutu-extremistischen Interahamwe-Milizen zu verfolgen, aber auch, um sich an den kongolesischen Bodenschätzen zu bereichern. 2002 wurde ein Friedensabkommen mit dem Kongo geschlossen. Präsident Joseph Kabila kündigte im Oktober 2007 die Entwaffnung der Hutu-Milizen an. Bis heute dauern im Osten des Kongo die Kämpfe zwischen verschiedenen Rebellengruppen sowie der kongolesischen Regierung an. Anfang Januar 2009 wurde der kongolesische Milizenchef Nkunda in einem Machtkampf innerhalb der Führung der CNDP von seinem Militärchef Bosco Ntaganda gestürzt. Ntaganda unterzeichnete einen Waffenstillstand und ging gemeinsam mit kongolesischen und ruandischen Regierungstruppen gegen Nkunda vor. Am 22. Januar 2009 wurde Laurent Nkunda auf ruandischem Gebiet festgenommen. Politik Politisches System Ruanda ist eine Verfassungsrepublik. Die heutige Verfassung wurde 2003 per Volksabstimmung verabschiedet. Der Präsident wird in allgemeinen Wahlen bestimmt. Das Parlament besteht aus zwei Kammern, der Abgeordnetenkammer und dem Senat. Die politischen Parteien versammeln sich im so genannten „Abstimmungsforum“ (Forum de concertation), wo Beschlüsse im Konsens gefasst werden. Politische Organisationen waren bis 2003 verboten. Dementsprechend fanden erst im August und September 2003 die ersten Nachkriegswahlen für Parlament und Präsidentenamt statt. Die heutige Politik ist stark von den Nachwirkungen des Krieges (1990–1994) und Völkermordes (1994), den wirtschaftlichen Problemen und der Unsicherheit in der Region geprägt. Die Justizeinrichtungen bestehen aus dem Obersten Gerichtshof (Cour Suprême), „la Haute cour de la République“, den Provinzgerichtshöfen, den Gerichtshöfen der Distrikte und Städte, sowie speziellen Einrichtungen, etwa Gacaca und Militärgerichten. Nach dem militärischen Sieg 1994 etablierte die „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) eine Koalitionsregierung ähnlich der bereits 1992 von Präsident Juvénal Habyarimana gebildeten. Habyarimanas Partei, die von Hutu dominierte „Nationale Bewegung für Demokratie und Entwicklung“, wurde verboten, da nach seinem Tod bei einem Flugzeugabsturz im April 1994 Hardliner die Macht übernommen hatten. Diese sollen maßgeblich an der Planung des unmittelbar auf seinen Tod einsetzenden Völkermordes beteiligt gewesen sein. Im Dezember 2015 wurde ein Verfassungsreferendum angenommen, das die Beschränkung der Amtszeit des Präsidenten auf zwei mal sieben Jahre aufhebt. Damit konnte Präsident Kagame auch nach 2017 weiterregieren (er wurde im August 2017 erneut im Amt bestätigt). Aufgrund der wirtschaftlichen Fortschritte des Landes wird Ruanda von einigen Beobachtern als erfolgreiche „Entwicklungsautokratie angesehen“. Exekutive Amtierender Staatspräsident und damit Staatschef ist seit dem 22. April 2000 General Paul Kagame (RPF). Der Regierungschef und seine Minister werden vom Präsidenten eingesetzt. Das Amt des Premierministers wird seit 2017 von Édouard Ngirente wahrgenommen. Der Präsident wird normalerweise direkt vom Volk gewählt. Der jetzige Amtsinhaber wurde jedoch in einem Sonderverfahren am 17. April 2000 von den Abgeordneten der Nationalversammlung mit 81 von 86 möglichen Stimmen gewählt, dann 2003 jedoch in allgemeinen Wahlen gewählt. Am 9. August 2010 wurde Kagame im Amt bestätigt; die Opposition bezeichnete die Präsidentschaftswahlen allerdings als „nicht frei“. Amtierender Außenminister ist Richard Sezibera. Legislative Von 1994 bis 2003 besaß Ruanda ein Übergangsparlament mit nur einer Kammer und 70 Sitzen. Gegründet wurde es am 12. Dezember 1994 durch ein Abkommen mehrerer Parteien. Die Mitglieder wurden durch die Verträge von Arusha bestimmt. Seit den Wahlen 2003 besteht das Parlament in Ruanda aus zwei Kammern: der Chambre des Députés (Abgeordnetenkammer) mit 80 Sitzen und dem Sénat mit 26 Sitzen. Die Sitze der Abgeordnetenkammer werden wie folgt vergeben: 53 Abgeordnete werden direkt vom Volk in geheimer Wahl gewählt; 24 Frauen werden gewählt: zwei für jede Provinz und die Stadt Kigali; zwei Mitglieder werden vom „Nationalen Jugendrat“ gewählt; ein Mitglied wird gewählt von der Behindertenvereinigung „Bund der Assoziation der Behinderten“. Das Parlament hat mit 63,8 % derzeit (2015) den höchsten Frauenanteil unter den parlamentarischen Unterhäusern weltweit. Die Sitze im Senat setzen sich folgendermaßen zusammen: 12 Senatoren werden indirekt gewählt, einer von jeder Provinz und der Stadt Kigali; acht Senatoren werden vom Präsidenten eingesetzt; vier Senatoren werden bestimmt vom „Forum of Political organizations“; ein Senator wird gewählt aus den Reihen der Dozenten und Forscher von staatlichen Universitäten und Hochschulen und ein Senator aus den Reihen der Dozenten und Forscher von privaten Universitäten und Hochschulen. Politische Indizes Außenpolitik Ruanda ist Mitglied der Vereinten Nationen, der Afrikanischen Union, der Ostafrikanischen Gemeinschaft, der Gemeinsame Markt für das Östliche und Südliche Afrika, sowie seit 2009 Mitglied im Commonwealth of Nations. Damit ist Ruanda neben Gabun, Mosambik und Togo der einzige Mitgliedstaat des Commonwealth ohne vorhergehende koloniale Beziehungen zum Vereinigten Königreich. Zwischen Ruanda und dem deutschen Bundesland Rheinland-Pfalz besteht seit 1982 eine Partnerschaft, wo 2007 die Ruanda-Stiftung gegründet wurde. Menschenrechte Laut Beobachtungen von Amnesty International (AI) ist das Recht auf Meinungsäußerung in Ruanda stark eingeschränkt und die Vereinigungsfreiheit wird von der Regierung behindert. Zivilbevölkerung, aber auch Menschenrechtsverteidiger und Journalisten, werden von den Behörden kontrolliert und an ihrer Arbeit behindert. Die Gerichte erfüllen nach AI-Einschätzung keine internationalen Standards für faire Gerichtsverfahren. Besonders die Kinder leiden unter den Nachwirkungen des Völkermordes. Nach Angaben von UNICEF wachsen 600.000 Kinder ohne oder mit nur einem Elternteil und in extremer Armut auf. Nach Schätzungen von UNICEF gibt es in Ruanda rund 28.000 so genannte Kinderhaushalte. Über 100.000 Jungen und Mädchen in diesen Familien sind ohne Eltern und schlagen sich weitgehend allein durch. In rund 80 % der Kinderhaushalte kümmern sich die ältesten Mädchen um die Versorgung ihrer jüngeren Geschwister. Viele dieser Kinder werden als billige Arbeitskräfte auf Plantagen oder in privaten Haushalten ausgebeutet und sexuell missbraucht. Oft müssen sich die Mädchen prostituieren, um den Lebensunterhalt dieser Familien zu verdienen. Dabei sind sie völlig unaufgeklärt dem hohen HIV-Ansteckungsrisiko des Landes ausgesetzt. Die Chancen der Kinder, sich eine bessere Zukunft zu erarbeiten, sind gering: 90 % der Jungen und Mädchen aus Kinderhaushalten gehen nicht zur Schule. In der Vergangenheit rekrutierte der damalige kongolesische Rebell Laurent Nkunda immer wieder Kämpfer, viele von ihnen Kindersoldaten, aus den Flüchtlingslagern in Ruanda. Nach Schätzungen von UNICEF leiden heute in Ruanda rund eine Million Kinder unter besonders schwierigen Lebensbedingungen. Militär Die Streitkräfte Ruandas ( RDF, ) setzen sich aus dem Oberkommando der Streitkräfte, dem Generalstab, dem Heer, der Luftwaffe sowie Spezialkommandos zusammen. Minister für Verteidigung ist Albert Murasira. Ruanda gab 2020 knapp 1,2 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 127 Millionen US-Dollar für seine Streitkräfte aus. Die RDF wurde 1994 nach dem Genozid an den Tutsi neu gebildet. Die vorrückenden militärischen Einheiten der Ruandischen Patriotischen Front (RPF) gingen dabei in die offiziellen Streitkräfte Ruandas über. Die RDF umfasst nach dem Rwandan Defence Law von 2002 das High Command Council den Generalstab die Rwanda Land Force die Rwanda Air Force Spezialeinheiten Die Personalstärke beträgt ca. 33.000 Soldaten. Mehrere ehemalige Offiziere der RDF wurden inzwischen wegen Verbrechen während des Genozids 1994 angeklagt. Wirtschaft Entwicklung Die Rahmenbedingungen sind ungünstig. Im Staat herrschen: hohe Bevölkerungsdichte Dominanz der Subsistenzlandwirtschaft bei Landknappheit und strapazierten natürlichen Ressourcen schwacher Dienstleistungs- und industrieller Sektor kleiner, fragmentierter und stark regulierter Markt mangelnde regionale Vernetzung der Märkte regionale Konflikte und Kriege große Entfernungen und hohe Kosten beim Zugang zum Weltmarkt Der Völkermord von 1994 hat Ruandas ohnehin schon schwache wirtschaftliche Basis weiter geschädigt und die Bevölkerung, insbesondere die Frauen, nachhaltig verarmen lassen. Mitte 1994 und 1995 erhielten das Land sowie die Flüchtlingslager in den Nachbarländern zusammen Nothilfe im Wert von mehr als 307,4 Mio. US-Dollar. 1996 begann der Übergang von Nothilfe in Wiederaufbau und Entwicklungszusammenarbeit. Die USA, Belgien, Deutschland, die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, China, die Weltbank und das UN-Entwicklungsprogramm sowie der Europäische Entwicklungsfonds sind die wichtigsten Geber. Von 1994 bis Ende 1995 erhielt Ruanda zunächst nur wenig externe Wirtschaftshilfe. 1996 bis 1997 begann die Regierung den industriellen Sektor durch technische und finanzielle Hilfe inklusive Kreditgarantien, wirtschaftliche Liberalisierung und Privatisierung staatlicher Unternehmen wieder aufzubauen. 1998 richtete die Regierung ein Investitionszentrum ein und erließ einen neuen Investment Code, um lokale und ausländische Investoren anzuwerben. Über 60 % der Bevölkerung leben unter der Armutsgrenze, davon wiederum 20 % sogar unter der Grenze absoluter Armut. Ruandas Fähigkeit, privates und privatwirtschaftliches Kapital anzuziehen, ist noch sehr begrenzt. Inzwischen sind jedoch auch beachtliche Fortschritte in der Stabilisierung und Wiederbelebung der Wirtschaft auf das Niveau vor 1994 erkennbar. Das Bruttoinlandsprodukt stieg in den letzten Jahren. Die Armut hat allerdings im selben Zeitraum zugenommen. Die Nahrungsmittelproduktion stellt nur 80 % des Bedarfs, sodass es regelmäßig regional und saisonal zu Hungersnöten kommt und es Gebiete und Bevölkerungsgruppen mit chronischer Unterernährung gibt. 2000 lag die Inflation bei ca. 3,3 % und stieg 2003 auf 8,7 % sowie 2004 auf 12,6 %. Vor allem die Energie- (Strom) und Nahrungsmittelpreise stiegen 2004 und 2005 stark. 2017 lag die Inflationsrate bei ca. 5 %. Im August 2016 betrug der Wechselkurs zum Euro in etwa 897 Ruandische Franc (RWF). Es gibt zahlreiche staatlich registrierte Wechselbüros, vor allem in der Hauptstadt. Ein Betriebswirt in der Verwaltung kann monatlich in etwa 100.000 RWF verdienen (ca. 135 Euro); ein Fahrer in der Hauptstadt etwa 5000 RWF. Eine Taxifahrt in der Hauptstadt kostet etwa 2000 RWF, ein halber Liter Milch 450 RWF, eine 33 cl Flasche Mineralwasser ca. 250 RWF. Nur wenige Ruander haben feste, dauerhafte Arbeitsplätze mit Lohneinkommen. Die Anzahl der Arbeitskräfte wird auf ca. 6,2 Mio. geschätzt. Zahlen zu Arbeitslosigkeit liegen nicht vor und hätten in einer nach wie vor wenig marktintegrierten Wirtschaft mit einem nach wie vor großen nicht-monetären Produktionsbereich auch kaum Aussagekraft. Die CIA schätzte die Arbeitslosenquote im Jahr 2014 auf 2,7 %, allerdings sind fast alle Arbeitsplätze informeller Natur. 2012 arbeiteten ca. drei Viertel der Arbeitskräfte in der Landwirtschaft. Die größte Gewerkschaft, CESTRAR, wurde als Organ der früheren Regierung gegründet und ist durch politische Reformen 1991 unabhängig geworden. Die Regierung hat sich der NEPAD-Initiative angeschlossen und teilt deren Ziele. Die Afrikanische Entwicklungsbank hatte von Mitte 2005 bis 2015 einen ruandischen Präsidenten, Donald Kaberuka. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) für 2021 wird auf 11,1 Milliarden US-Dollar geschätzt. In Kaufkraftparität beträgt das BIP 33,1 Milliarden US-Dollar oder 2550 US-Dollar je Einwohner. Das reale Wachstum zum Vorjahr betrug 10,8 %. Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegt Ruanda Platz 58 von 137 Ländern (Stand 2017–2018). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegte Ruanda 2022 Platz 105 von 180 Ländern. In beiden Kategorien zählte Ruanda damit zu den besten Ländern innerhalb Afrikas. Kennzahlen Alle BIP-Werte sind in US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben. Sektoren Die Wirtschaft (Produktion) wuchs seit ca. 2000 stark. Die Landwirtschaft stellt 40 % bis 41 % des BIP, Industrie ca. 20 % und Dienstleistung ca. 37–38 %. Exporte machen 8,3 (2000 und 2003) bis 9,6 % (2004), Importe 24–27 % des BIP aus. Das Wachstum scheint jedoch hauptsächlich auf einen Bauboom vor allem in der Hauptstadt und Nationalparks (u. a. Großhotels wie das Intercontinental, Kivu Sun und Akagera Game Lodge; Gebäude von Versicherungen und Geschäftsleuten) sowie Großprojekte beim Straßenbau (2004: Kigali-Kayonza; Kigali-Butare-Akanyaru) zurückzugehen. Der Bausektor stieg 2003 um 15,6 % und 2004 um 10 %. Jahre mit Spitzenwachstum (2000 und 2001) gehen auch auf Exporterlöse durch die Vermarktung von Coltan und anderen Mineralien zurück, bei denen unklar ist, wie viel davon aus dem benachbarten Kongo stammt und was legal und was illegal über Ruanda vermarktet wird. Auf dem Binnenmarkt stellt BRALIRWA, Brauerei und Softdrinkhersteller, unter holländischer Lizenz (Heineken) seit Jahrzehnten den Hauptanteil. Andere wichtige Wirtschaftsbetriebe sind: Zigaretten (Tabarwanda), Mobilfunkunternehmen und Internet (MTN), Seifen und Kosmetik (Sulfo), Textilien (Utexrwa, eher im Rückgang begriffen durch Importe von Billigtextilien) und Baumaterial (v. a. Cimerwa, Zementfabrikation; durch hohe Energiepreise in der Krise). Landwirtschaft stellt nur etwa 40 % des BIP. Andererseits leben 93 % der Ruander auf dem Land und davon 90 % in Subsistenzwirtschaft. Die Landwirtschaft leidet wiederholt unter meteorologischen Unregelmäßigkeiten und Ernteausfällen. Große Teile der landwirtschaftlichen Produktion werden nicht vermarktet. Dienstleistungen und Industrie sind schwach ausgebildet. Der Aufschwung des Dienstleistungssektors (Gastgewerbe/Tourismus, Transport und Telekommunikation) betrifft ebenfalls vor allem die Hauptstadt. Die Zahl der Touristen (Besucher der Nationalparks) steigt (2003: 16.538; 2004: 26.998) ebenso wie die Zahl der Fluggäste auf dem Flughafen von Kigali (2003: 116.638; 2004: 132.504). Im Handel sind wie in anderen ostafrikanischen Ländern seit der Kolonialzeit asiatischstämmige Familien (v. a. aus Pakistan und Indien) stark vertreten, zum Teil auch Griechen. Seit dem Eintritt von Ruanda in den Gemeinsamer Markt für das Östliche und Südliche Afrika (COMESA) ist der Konkurrenzdruck bei Im-/Export gewachsen. Die Böden sind durch intensiven Landbau, tropisches Klima und Hanglagen stark beansprucht und von Erosion bedroht. Große Teile der natürlichen Bergwälder waren schon in vorkolonialer Zeit abgeholzt, dieser Trend setzte sich seitdem stetig fort. Der Waldbestand wird mit 3440 km² (2004) angegeben. Die Regierungen unternahmen teils mehr, teils weniger ernsthafte Anstrengungen zum Schutz der Restwälder. Auch Kulturforste und Nutzwälder sind in schlechtem Zustand. Die Bevölkerung hat einen großen Bedarf an Nutzholz zur Feuerung, zum Bauen etc. Noch 95 % der Haushalte kochen mit Holz und Holzkohle, der Großteil davon auf energieineffizienten „drei Steinen“. Die Verbreitung verbesserter Öfen ist noch gering. Die Regierung hat vor einigen Jahren ein Gesetz verabschiedet, nachdem das Schlagen von Bäumen oder Ästen derselben nur noch mit Genehmigung erlaubt ist. Seitdem haben sich die Preise von Holzkohle sowie Ziegeln stark erhöht. Es fehlt an Alternativen zu Brennholz und Holzkohle. Die Regierung plant, der Schaffung alternativer, umweltschonender Energieformen hohe Priorität einzuräumen. So gibt es einzelne Projekte zur Herstellung von Briketts aus nicht-kompostierbaren organischen Abfällen (in der Hauptstadt), aber dies hat volkswirtschaftlich quantitativ keine Bedeutung. Die Regierung hat einen Rahmenplan namens „Vision 2020“ verabschiedet, der auf ein jährliches Wirtschaftswachstum von 7 % abzielt, die Entwicklung des privaten Sektors, eine Modernisierung der Landwirtschaft und darauf, Ruanda zu einem Dienstleistungszentrum im Afrika der Großen Seen zu machen. Nach der Privatisierung der landeseigenen Telekom-Firma RwandaTel wurde laut Popular Science durch die US-Firma Terracom in Ruanda die Glasfaserinfrastruktur mit Stand 2009 auf 1400 Meilen ausgebaut. Die Ruandische Regierung plant nun bis 2013 den Kauf von 50.000 XO Laptops. Energiewirtschaft Ruanda hat einen großen Mangel an Energie. Es gibt kaum Möglichkeiten, vor Ort Energie zu gewinnen. Die Abhängigkeit von Nachbarstaaten ist groß. Zugleich wächst der Energiebedarf durch das Wachstum der Städte und den wirtschaftlichen Aufschwung. Erdölprodukte werden über große Entfernungen und schlechte Straßen vom Indischen Ozean herangeschafft, vor allem über Kenia und Uganda. Das Land produziert Strom vor allem aus Wasserkraft (97,7 %). 2001 betrug die Produktion an Elektrizität 97 Mio. kWh, 2002 schon 166,7 Mio. kWh; der Verbrauch lag 2002 allerdings bei 195 Mio. kWh; 40 Mio. kWh wurden importiert. 2008 lag der Verbrauch bei 237 Mio. kWh, was ca. 22 kWh pro Einwohner entspricht (Deutschland: etwa 7000 kWh). Nur ca. 6 % der Bevölkerung, vor allem in Städten, hatten 2009 einen Stromanschluss, bis 2012 soll der Wert auf 16 % steigen. Die Stromversorgung ist völlig unzureichend, da die Wasserspiegel einheimischer Seen aufgrund von übermäßiger Nutzung und/oder klimatischer Veränderungen zu stark gefallen sind. Der Strom wird daher regelmäßig abgeschaltet. Um das mit Kongo und Burundi gemeinschaftlich genutzte große Wasserkraftwerk im Südwesten am Rusizi-Fluss gibt es zwischen den beteiligten Ländern Streit, außerdem ist auch der Wasserspiegel des Kívu-Sees, der den Zufluss darstellt, gesunken. Seit 2005/06 werden auch große Dieselgeneratoren genutzt, um die durch Unterkapazitäten bedingten Stromabschaltungen bestimmter Stadtviertel Kigalis und anderer Orte in Grenzen zu halten. Der Kiwusee enthält Methangas aus vulkanischer Aktivität, das seit 1983 zur Energiegewinnung für die Brauerei BRALIRWA genutzt wird. Die Naturgasreserven werden auf 28,32 Milliarden Kubikmeter geschätzt (Stand: 1. Januar 2002). 2009 unterzeichnete CounterGlobal einen Vertrag mit der ruandischen Regierung zur Durchführung des Methangas-Projektes. Das Kraftwerk KivuWatt im Distrikt Karongi ging im Mai 2016 offiziell in Betrieb. Es hat eine Leistung von 26 MW. In einer zweiten Phase sollen mithilfe weiterer Gasmotoren 75 MW zusätzlich geliefert werden. 2020 wurde die ruandische Atomenergiebehörde (Rwanda Atomic Energy Board, RAEB) gegründet, die bis 2031 mindestens 1 GW aus neu zu bauenden Kernkraftwerken beziehen will. 2023 wurde ein Vertrag mit dem kanadisch-deutschen Unternehmen Dual Fluid Energy Inc. über den Bau eines neuartigen Dual-Fluid-Reaktors abgeschlossen, ein Testreaktor soll 2026 in Betrieb gehen. Damit würde in Ruanda einer der Vorreiter dieser Technologieentwicklung angesiedelt. Landwirtschaft Ruandas Wirtschaft ist stark landwirtschaftlich geprägt. Ungefähr 93 % der Bevölkerung arbeiten in diesem Bereich. Ein großer Teil der Erträge gelten allerdings der Selbstversorgung (90 %). Die Landknappheit ist groß. Über 90 % der vorwiegenden Familienbetriebe bewirtschaften eine Fläche von weniger als einem Hektar. Ein Gesetz zur Landreform wurde über mehrere Jahre diskutiert und 2005 verabschiedet. Es soll den dauerhaften Erwerb von Land ermöglichen und damit Anreize für Investitionen schaffen. Bisher war alles Land in staatlichem Besitz; Bürger hatten nur Nießnutzrechte. Zahlen zur Produktion des Agrarsektors sind mit Vorsicht zu betrachten, da nur ein Teil der landwirtschaftlichen Produktion vermarktet wird und die Schätzungen angesichts des hohen Anteils an Subsistenzproduktion durch kleinbäuerliche Familien ungenau bleiben müssen. Außerdem schwankt die Agrarproduktion durch klimatische Unregelmäßigkeiten (v. a. Dürren) von Jahr zu Jahr oft stark. Beispiel: 2002 soll die Agrarproduktion um 15 % gestiegen sein, für 2003 wurde ein Rückgang um 4,1 % verzeichnet, 2004 soll sie im Vergleich zu 2003 konstant geblieben sein. Preiserhöhungen vor allem für Grundnahrungsmittel belasten die Bevölkerung stark. Wichtigste Anbaukulturen zur Eigenversorgung sind die Knollenfrüchte Maniok (Kassava), Süßkartoffel (weniger: Kolokasien), verschiedene Bohnensorten, teilweise Erbsen. Der Sojaanbau breitet sich immer stärker aus; im Zentrum des Landes wird daraus sogar Tofu hergestellt. In den höheren Lagen werden Kartoffeln, Weizen und Erbsen angebaut. Bananen, die zur Weinherstellung und als Speise- und Obstbananen genutzt werden, werden in großen Mengen angebaut, vor allem in den tieferen und mittleren Lagen, klimabedingt weniger in höheren Lagen. Sie sind aber kulturell hoch angesehen. An Getreidefrüchten wird Sorghum angebaut für Bier- und Speisebreiherstellung (v. a. in den tiefen und mittleren Lagen), außerdem Mais; in den Senken wird auch zunehmend mehr Reis sowie Weizen angebaut (Letzterer in den hohen Lagen). Die Anbauflächen befinden sich auf den Hügelflanken. Die Bauernfamilien bestellen nahezu jeden nutzbaren Flecken an Land; es werden kaum mehr Brachen praktiziert. Angebaut wird meist in Mischkultur und in Fruchtwechsel. Auf den Kuppen gibt es teilweise noch kleine Baumbestände; oft ist der Boden dort schlecht. Die Niederungen gehören den Kommunen, die sie Bauerngruppen zur Nutzung überlassen; meist zur kommerziellen Nutzung. Die ruandischen Bauernfamilien leben traditionell in Streusiedlung inmitten ihrer Felder; direkt ums Haus den Bananenhain. Nach 1994 begann die Regierung, die Menschen zu verpflichten, sich in Dörfer umzusiedeln. Dieser Prozess ist unterschiedlich stark fortgeschritten und umstritten. Traditionell sind Rinder die hoch geschätzten Nutztiere; es wurde vor allem die Milch (für Butter zur Körperpflege und Sauermilch als Nahrung) genutzt. Heute gibt es eine moderne Milchverarbeitung mit einer breiten Palette an Produkten. Viele Kleinbauern haben aber nicht genug Weideland und Futter, um eine Kuh zu halten. Kleinstbauern halten daher eher Ziegen oder gar nur ein paar Hühner. Kaninchenzucht und Schweinehaltung sind in geringem Ausmaß bekannt. Primäre Exportgüter sind Kaffee und Tee. Das Land leidet jedoch unter den niedrigen Preisen dieser Güter in den Industrieländern. Die Qualität von Kaffee und Tee nahm in den 1990er Jahren stark ab; die von Kaffee konnte inzwischen aber auf ein höheres Niveau als vor dem Krieg gebracht werden. Trotz Ruandas relativ fruchtbarem Boden kann die Nahrungsmittelproduktion oft nicht mit dem Bevölkerungswachstum Schritt halten. Dadurch werden Nahrungsmittelimporte notwendig. Außenwirtschaft Energieknappheit, Instabilität in der Region sowie große Distanzen zu den Häfen (Indischer Ozean) und zum Teil (Tansania) schlechte Transportanbindungen an die Nachbarländer überschatten die Exportwirtschaft des Landes. Trotzdem konnte Ruanda sein Exportvolumen seit dem Jahre 2003 mehr als verzehnfachen und hat im regionalen Vergleich eine relativ hohe Außenhandelsquote. 2016 und 2017 betrug der Wert der Exporte von Güten und Dienstleistungen geschätzte 1246 bzw. 1667 Millionen US-Dollar bzw. laut Weltbank 2016 und 2017 14,9 % und 18,2 % des BIP. Wichtige Exportpartner waren 2017 die Vereinigten Arabischen Emirate (2017: 38,5 % der Exporte); Kenia (2017: 15,1 %); die Schweiz (2017: 9,9 %); DR Kongo 2017: 4,9 % und Singapur 2017: 4,5 %. Wichtigste Exportgüter sind nach wie vor Kaffee und Tee, im geringeren Maße auch Pyrethrum (pflanzliches Insektizid), sowie Mineralerze (Coltan und Zinnoxid). Von 2003 zu 2004 stieg der Wert exportierter Waren von 62 auf 98 Millionen US-Dollar. Kaffeeproduktion, -verarbeitung und -vermarktung wurde nach 1994 privatisiert (davor war es staatliches Monopol), so dass es inzwischen verschiedene Kaffeemarken gibt. Der Export von Kaffee konnte sich von 2003 auf 2004 um 82 % verbessern: Es wurden 700 Tonnen im Vergleich zu 270 im Jahr 2003 exportiert. Dies geht auf den Bau von Kaffeewaschanlagen im ganzen Land zurück. Die Teeproduktion ist noch in staatlicher Hand, zwei Plantagen sollen aber privatisiert werden (laut New Times vom 8. April 2006). Insgesamt sollen Kaffee- und Teeproduktion weiter intensiviert werden. Seit der (belgischen) Kolonialzeit wurden Erze wie Cassiterit (Zinn), Columbit-Tantalit und Wolframit sowie kleine Mengen von Gold und Saphiren abgebaut. Bis in die 1980er Jahre waren Erze aber bedeutungslos geworden. Mit dem Coltan-Boom Ende der 1990er Jahre im Osten der DR Kongo wurden auch ruandische Minen wieder eröffnet. Ein großer Teil der ostkongolesischen Mineralien (auch Gold) wird aber über Ruanda auf den Weltmarkt gebracht. Der Export von Zinnoxid betrug 2003 1458 Tonnen (t) und 2004 3553 t; der von Coltan betrug 2003 732 t und 2004 861 t. Um die Exportbasis zu verbreitern, versucht die Regierung, den Anbau und die Vermarktung von „alternative crops“ wie Blumen oder Obst zu fördern. Dies steht aber in Konkurrenz zur ohnehin unzureichenden Eigenversorgung an Nahrungsmitteln für die Bevölkerung. Das Importvolumen betrug 2017 geschätzte 2.994 Millionen US-Dollar. Importe machten laut Weltbankangaben im Jahr 2000 24,6 % und 2017 ca. 32,8 % des BIP aus. Importpartner: Volksrepublik China (2017: ca. 20,4 %), Uganda (2017: 11 %), Indien (2017: 7,2 %), Tansania (2017: 5,3 %); Vereinigte Arabische Emirate (2017: 5,1 %);. Wichtigste Importgüter sind Treibstoffe, Fahrzeuge, Baumaterialien und Konsumgüter. Die wichtigsten deutschen Lieferindustrien sind Maschinenbau, Elektrotechnik, Feinmechanik/Optik. Inzwischen werden auch chemische Vorerzeugnisse nach Ruanda exportiert. Es wird jedoch auch Elektrizität importiert (2002: 40 Millionen kWh). Die Regierung setzt auf regionale Integration der Wirtschaft, wobei das Land eine Brückenfunktion zwischen dem anglophonen Ostafrika und den zentralafrikanischen Nachbarn Burundi und Demokratische Republik Kongo ausüben soll. Dabei ist unter anderem gedacht, Ruanda zu einem Zentrum der Informationstechnologie der Region (IT) zu machen. In diesem Zusammenhang strebt Ruanda zusammen mit Burundi die Mitgliedschaft in der Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) an. 2007 trat Ruanda ihr bei. Im Rahmen des Gemeinsamen Ost- und Südafrikanischen Marktes (COMESA) hat sich Ruanda zur Angleichung seiner Zölle verpflichtet. Ruanda bemüht sich außerdem stark um ausländische Investitionen. Laut Weltbankangaben betrug das Volumen ausländischer Direktinvestitionen (net inflows, BoP) 2000 7,7 Mio. US-Dollar, 2010 250,5 Mio. US-Dollar und 2017 293,4 Mio. US-Dollar. Anfang 2018 kündigte die Volkswagen AG die Eröffnung eines Werkes in Ruanda an. Tourismus Tourismus spielt in Ruanda noch keine umfangreiche Rolle. Das Land verfügt anders als Kenia und Tansania nicht über große Nationalparks. Es setzt daher nicht auf Massentourismus, sondern auf wenige, zahlungskräftige Touristen. Auch eher abenteuerlustige Touristen auf dem Weg quer durch Afrika halten sich gelegentlich in Ruanda auf. Eine Besonderheit für den internationalen Tourismus stellen vor allem die Berggorillas dar, die an den Hängen der Virunga-Vulkane im Norden des Landes leben. Es gibt an Menschen gewöhnte („habituierte“) wilde Gorillagruppen, die von einer begrenzten Anzahl von Touristen in ihrer natürlichen Umgebung unter bestimmten Auflagen besucht werden können. Potenzial zu einem begrenzten Ausbau des Tourismus besteht im Ausbau malerischer Orte am Kiwusee sowie den Angeboten im südlichen Bergregenwald (Nyungwe) – Führungen zu Schimpansengruppen werden bereits angeboten –, der Regeneration des Tierbestandes des Savannenparks im Osten (Akagera-Nationalpark), der Erschließung der Nilquelle sowie der Möglichkeit, dies mit einem kulturell-historischen Programm zu ergänzen (Tanz und Gesang, Museen, Butare, Königshof in Nyanza, Völkermordgedenkstätten und die wenigen erhaltenen Häuser aus der frühen Kolonialzeit). Entwicklungshilfe In den 1960er und 1970er Jahren wuchs die ruandische Wirtschaft dank einer vorsichtigen Finanzpolitik, gepaart mit großzügiger externer Hilfe und günstigen Handelsbedingungen. Die Inflation war niedrig. Als aber die Kaffeepreise in den 1980er Jahren stark fielen, kam es zu wirtschaftlichen Problemen. Von 1973 bis 1980 betrugen Wachstumsraten jährlich zirka 6,5 %, gingen dann zwischen 1980 und 1985 auf 2,9 % zurück und stagnierten von 1986 bis 1990. Die Krise spitzte sich 1990 zu, als die ersten Maßnahmen eines Strukturanpassungsprogramms des Internationalen Währungsfonds durchgeführt wurden. Das Programm wurde nicht vollständig umgesetzt, aber zwei starke Abwertungen und die Aufhebung staatlich festgelegter Preise wurden durchgeführt. Unter den Folgen litten vor allem die gebildeten Eliten, die zumeist staatliche Angestellte oder in staatlichen Betrieben beschäftigt waren. Während der Kriegsjahre 1990 bis 1994 nahm die wirtschaftliche Produktion ab, 1994 gar um 40 %. Danach begann sie sich langsam wieder zu erholen, mit einem Wachstum von 9 % 1995 und 13 % im Jahr 1996. Steuereinnahmen wurden verbessert, staatliche Betriebe privatisiert, Export- und Nahrungsmittelproduktion wieder aufgenommen. Der Staatshaushalt ist stark von internationalen Finanzzuwendungen abhängig. 1999 erhielt das Land 372,9 Mio. US-Dollar Wirtschaftshilfe. Schwerpunkte der internationalen Hilfe sind Wiederherstellung und Ausbau der Infrastruktur (Straßen, Wasser, öffentliche Einrichtungen wie Schulen und Gesundheitseinrichtungen etc.) und die Justiz. Im Juni 1998 unterzeichnete Ruanda ein erweitertes Strukturanpassungsprogramm mit dem Internationalen Währungsfonds. Ruanda wird von der Weltbank als hoch verschuldetes Entwicklungsland eingestuft. Mit dieser Einstufung qualifiziert es sich für die Teilnahme an dem im Jahr 2000 von den Industrieländern beschlossenen Programm zum Schuldenerlass für die ärmsten Länder Afrikas. Am 12. April 2005 stellte der IWF die Erreichung des für weitere Schuldenerlasse nötigen „completion points“ fest, das Ruanda eine Reihe von Bedingungen (u. a. Programm zu Reduzierung von Armut, diverse Programme zur Wirtschaftsförderungen, Strukturreformen, Privatisierungen etc.) erfüllt hatte (siehe auch Wirtschaft). Ein erster Schuldenerlass wurde daraufhin gewährt, ein zweiter zum Juli 2006 (s. East African Business Week, 10. April 2006). Der Anteil der externen Geberfinanzierung ist weiter angestiegen und belief sich 2005 auf 57 %. Offizielle Entwicklungshilfe betrug nach Weltbankangaben im Jahr 2000 467,5 Mio. US-Dollar, 2003 333,4 Mio. US-Dollar und 2004 322,0 Mio. US-Dollar. 2010 wurde nach Plänen des Münchner Architekten Dominikus Stark das Ausbildungszentrum „Education Center Nyanza“ von und für die Einheimischen errichtet, um die ländliche Region zu stärken. Staatshaushalt Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 2,27 Mrd. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 1,86 Mrd. US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 5,0 % des BIP. Die Staatsverschuldung betrug 2016 2,4 Mrd. US-Dollar oder 36,3 % des BIP. 2006 betrug der Anteil der Staatsausgaben (in % des BIP) folgender Bereiche: Gesundheit: 10,9 % Bildung: 3,8 % (2005) Militär: 2,9 % Verkehr Derzeit wird die Infrastruktur des Landes mit ausländischer Unterstützung stark ausgebaut. Im Logistics Performance Index, der von der Weltbank erstellt wird, belegte Ruanda 2018 den 57. Platz unter 160 Ländern. Ruanda zählte damit zu den besten afrikanischen Ländern. Schienenverkehr Bis heute verfügt Ruanda über kein Schienennetz. Es gibt jedoch schon seit langem Überlegungen, Ruanda an die Schienennetze von Uganda oder Tansania anzuschließen (siehe auch Ruandabahn). Seit 2008 existieren Pläne zum Bau einer etwa 450 Kilometer langen Verbindung zwischen Kigali und dem Umschlagspunkt Isaka in Tansania. Die Verbindung soll in Normalspur gebaut werden, die anschließenden Strecken Richtung Daressalam von Meterspur auf Normalspur umgespurt werden. Straßenverkehr Das Straßennetz ist recht gut ausgebaut und wird weiter verbessert. Ruanda verfügt über ein Straßennetz von etwa 12.000 Kilometern. Das asphaltierte Straßennetz hat eine Länge von etwa 1500 Kilometern und verbindet die wichtigsten Städte des Landes mit der Hauptstadt Kigali. Es gibt zwischen den wichtigen Städten relativ gute Asphaltstraßen (insgesamt 1000 km). Manche Regionen sind jedoch schlecht angebunden; immerhin wurde die jahrelang überfällige Asphaltstraße in den Bugesera im Frühjahr 2006 in Angriff genommen. Nebenstraßen sind nicht befestigt und in unterschiedlichem Zustand. Der Ausbau des Straßennetzes erfolgt mit Unterstützung multilateraler Geldgeber (Weltbank, EU). Die wichtigsten Straßenverbindungen zu den nächsten Hochseehäfen (Mombasa/Kenia) und Daressalam/Tansania (je über 1500 km) sind in schlechtem Zustand. Im April 2006 wurden immerhin Pläne zum Ausbau der Fernverbindung Uganda-Ruanda bekannt. Die Binnenlage, geringe Transportvolumina und schwache Konkurrenz machen Ruanda zu einem der Länder mit den weltweit höchsten Transportkosten, was sich durch steigende Ölpreise seit 2004 noch verschärft. Luftverkehr Medien Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen sieht in Ruanda eine schwierige Lage für die Pressefreiheit. Vom ruandischen Inlandsrundfunkdienst wird ein Kurzwellensender betrieben, der gelegentlich auf 6055 bzw. 25740 kHz auch in Europa empfangen werden kann. Häufiger sind die Sendungen einer der ältesten Relaisstationen der Deutschen Welle aus Ruanda zu hören, z. B. abends zwischen 20:00 und 22:00 Uhr auf 9655, 11800 bzw. 12070 kHz. Als Internet-Audio-Stream ist der Sender Radio Rwanda (früher Radiodiffusion de la République Rwandaise) zu empfangen. Im Jahr 2020 nutzten 26,5 Prozent der Einwohner Ruandas das Internet. Kultur Kunst und Kunsthandwerk Musik, Tanz und Poesie in einheimischer Sprache sind wichtige Kunstformen in Ruanda. Prosa, Theater und bildende Künste sind traditionell weniger ausgeprägt. Eine verbreitete traditionelle Bildkunst ist Imigongo. Diese geometrisch ausgerichteten Malereien werden von in Kooperativen zusammengeschlossenen Künstlern auf Holzplatten vorgezeichnet, mit Kuhdung dreidimensional ausgeformt, getrocknet und anschließend bemalt. Traditionell sind Spiralmuster oder Zickzackmuster in Schwarz und Weiß. Moderne Bilder verwenden auch andere Farben und sind zum Teil figürlich. An Kunsthandwerk sind zum Teil fein ausgearbeitete Flechtarbeiten typisch. In jüngerer Zeit werden auch Werke von Malern verbreitet. Der Kriegstanz Intore hat Berichte von Heldentaten nach der Rückkehr von einer Schlacht zum Inhalt. Feiertage Nationalfeiertage sind der 1. Juli, Tag der Unabhängigkeit von Belgien 1962, und der 7. April, Gedenktag des Genozids 1994. Sport Cricket gilt als eine der am schnellsten wachsenden Sportarten Ruandas. Der Sport gewann an Beliebtheit, als Flüchtlinge aus Kenia, wo sie diesen Sport erlernt hatten, zurückkehrten. Die Rwanda Cricket Association (RCA) wurde 1999 gegründet und 2003 vom International Cricket Council anerkannt. Die Entwicklung des ruandischen Crickets wird unterstützt von der britischen Wohltätigkeitsorganisation Cricket Without Borders, deren Ziel es ist, das Bewusstsein für AIDS/HIV durch den Sport zu verbessern, und der Stiftung des Marylebone Cricket Club. Letztgenannte unterstützt auch ein Projekt zum Bau eines nationalen Cricketstadions außerhalb von Kigali. Ruandas Mitgliedschaft im Commonwealth of Nations half ebenfalls dabei, das Cricket in Ruanda beliebt zu machen, und sowohl Männer als auch Frauen üben diesen Sport bei Waisenhäuser, Schulen, Universitäten und Cricketclubs aus. Special Olympics Ruanda wurde 2002 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs von Speyer betreut. Siehe auch Völkermord in Ruanda Literatur Barbara Achermann: Frauenwunderland: Die Erfolgsgeschichte von Ruanda. Reclam, Ditzingen 2018, ISBN 978-3-15-011128-4. Jakob Lempp, Angela Meyer, Jan Niklas Rolf (Hrsg.): Die aktuelle politische und wirtschaftliche Situation in Ruanda – Perspektiven aus Wissenschaft und Praxis. In: Political Science Applied Nr. 8, Oktober 2017 (online, PDF) Theodor Hanf: Die politische Bedeutung ethnischer Gegensätze in Ruanda und Urundi. Arnold-Bergstraesser-Institut, Freiburg 1964. Gerd Hankel: Ruanda. Leben und Neuaufbau nach dem Völkermord. Wie Geschichte gemacht und zur offiziellen Wahrheit wird. Zu Klampen, Springe 2016, ISBN 978-3-86674-539-1. Gudrun Honke: Als die Weissen kamen. Ruanda und die Deutschen 1885–1919. Hammer, 1990, ISBN 3872944363. Jacques Maquet: The premise of inequality in Ruanda. A study of political relations in a central African kingdom. Oxford University Press, Oxford 1961. Esther Mujawayo, Souâd Belhaddad: Auf der Suche nach Stéphanie. Ruanda zwischen Versöhnung und Verweigerung. Hammer, Wuppertal 2007, ISBN 3-7795-0082-5. Esther Mujawayo, Souâd Belhaddad: Ein Leben mehr. Zehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda. Hammer, Wuppertal 2005, ISBN 3-7795-0029-9. Benjamin Sehene: Le Piège Ethnique. Éditions Dagorno, Paris 1999, ISBN 2-910019-54-3. (französisch, deutsch: „Die ethnische Falle“) Scott Straus, Lars Waldorf (Hrsg.): Remaking Rwanda: State Building and Human Rights after Mass Violence. University of Wisconsin Press, Madison 2011, ISBN 978-0-299-28264-6. Helmut Strizek: Ruanda und Burundi von der Unabhängigkeit zum Staatszerfall. Weltforum-Verlag, München [u. a.] 1996, ISBN 3-8039-0451-X. Helmut Strizek: Geschenkte Kolonien: Ruanda und Burundi unter deutscher Herrschaft. Ch. Links, Berlin 2006, ISBN 978-3-7632-5849-9. Weblinks Landeseigene Links Republic of Rwanda. Offizielle Regierungsseite (englisch) The President of the Republic. Präsident von Ruanda, auf www.gov.rw (englisch) The Parliament of the Republic of Rwanda. Parlament der Republik Ruanda, auf www.parliament.gov.rw (englisch, Kinyarwanda) Embassy of the Republic of Rwanda. Botschaft der Republik Ruanda in der Bundesrepublik Deutschland (erfüllt die Funktion für Rumänien, Tschechien, Slowakei, Polen, Ukraine und Ungarn) (englisch, deutsch) Landesprofil bei Ministerien deutschsprachiger Staaten Auswärtiges Amt (D): Ruanda. auf www.auswaertiges-amt.de. Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (A): Länderspezifische Reiseinformation: Ruanda (Republik Ruanda). auf www.bmeia.gv.at. Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (CH): Ruanda. auf www.eda.admin.ch. Internationale Links United Nations: United Nations Statistics Division. Rwanda. auf www.data.un.org (englisch). The World Bank: Countries. Rwanda. auf www.worldbank.org (englisch). US-Government: CIA World Fact Book. Rwanda. auf www.cia.gov (englisch). WHO: Rwanda. auf www.afro.who.int (englisch). Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen: Rwanda. auf www.wfp.org (englisch). UNHCR: Rwanda. auf www.unhcr.org (englisch). Minority Rights Group International: Rwanda. auf www.minorityrights.org (englisch). UNCTAD: Catalogue of Diversification Opportunities 2022. Rwanda. auf www.unctad.org (PDF, englisch). Weitere Links Internationale Perspektive: Artikelserie zu Ruanda. Kolonialzeit, Geschichte des Hutu-Tutsi-Konflikts, Medien, Sprache und Ethnien Einzelnachweise Staat in Afrika Least Developed Country Binnenstaat Mitgliedstaat der Vereinten Nationen Gegründet 1962 Mitgliedstaat des Commonwealth of Nations Mitgliedstaat der Ostafrikanischen Gemeinschaft
Q1037
2,070.754251
41520
https://de.wikipedia.org/wiki/Spezialeinheit
Spezialeinheit
Eine Spezialeinheit ( special operations forces (SOF)) oder Sondereinheit ist eine geschlossene Einheit von Spezialkräften einer militärischen, polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Institution, deren taktische Verwendung eine operative Wirkung entfalten soll, die durch den Einsatz diplomatischer, nachrichtendienstlicher oder konventioneller militärischer Mittel üblicherweise nicht zu erwarten ist. Die Verwendung von Spezialeinheiten ist daher vom Bestreben nach hoher Präzision bei gleichzeitiger Kosten- und Risikenminimierung gekennzeichnet. Daher sind sie meist in der Lage, Aufträge mit extremer Gefährdungslage und hohem Schwierigkeitsgrad wahrzunehmen. Dazu sind sie aufgrund besonderer Ausbildung und speziellen Trainings und hochwertiger sowie moderner Ausrüstung befähigt. Sie decken mit ihrer besonderen Kombination von Kompetenzen Einsatzspektren ab, die beispielsweise von konventionellem Militär aufgrund logistischer, finanzieller oder anderer organisatorischer Erwägungen nicht geleistet werden können. Spezialisierte Kräfte sind in Abgrenzung dazu Kräfte, deren Einsatzarten und Aufträge auf einen besonderen Auftrag ausgerichtet sind, wie etwa die Boardingkompanie der Deutschen Marine, Spezialpioniere, die Personenschutzkommandos oder Zugriffskräfte der Feldjägertruppe. Vorläufer heutiger militärischer Sondereinsatzkräfte waren die deutschen Stoßtrupps im Ersten Weltkrieg, die sowjetischen und deutschen Fallschirmjäger zwischen den Kriegen und die Kommandos des Zweiten Weltkrieges. Einige militärische Spezialeinsatzkräfte, die mit dem Aufstellen, Ausbilden und Führen einheimischer Widerstandsgruppen in feindlichem Territorium befasst sind, werden von militärischen Planern und Politikern als sogenannte force multiplier (dt. „Kraftmultiplikator“) angesehen, da ihre Effektivität durch ihr Wirken um ein Vielfaches höher ist als die konventioneller Einheiten. Im Laufe der Zeit gerieten Spezialeinheiten immer mehr in den Fokus militärischer und polizeilicher Planungen, weil sich die Bedrohungsszenarien durch das Aufkommen des Terrorismus, das Ende des Kalten Krieges und das Anwachsen asymmetrischer Konflikte und Krisen weltweit gewandelt haben. Heute gelten sie vielfach als ein probateres Instrumentarium zur Bewältigung und Lösung schwieriger Lagen als traditionelle konventionelle Formationen. Militärische Spezialeinheiten Begriff Dem Militärhistoriker Simon Anglim zufolge ist der Begriff der Spezialeinheit unzureichend erforscht oder gar theoretisch begründet. Anders als der Krieg im Allgemeinen oder die Insurrektion im Besonderen, denen die Schriften von Carl von Clausewitz oder Mao Zedong zugrunde liegen, sei Spezialeinheiten bisher kein einschlägiger Theoretiker vorausgegangen. Des Weiteren werde die Abgrenzung durch drei Faktoren erschwert: Erstens seien offizielle Doktrinen aufgrund von Geheimhaltungsmaßnahmen unzugänglich. Zweitens verschwimme die Abgrenzung durch „sensationslüsterne“ Medien, besonders in Film, Fernsehen und in Videospielen. Zuletzt sähen sich befehlshabende Offiziere dem Spannungsfeld zwischen der Politik und der Operationsführung ausgesetzt; während politische Eliten Spezialeinheiten aufgrund ihrer vermuteten oder demonstrierten Wirksamkeit mit Begeisterung oder gar unangemessenen Erwartungen entgegenträten, belasten von Zeit zu Zeit genau diese Patronage, der vergleichsweise hohe Ressourcenaufwand und das Prestige solcher Einheiten das Verhältnis zu den Kommandeuren konventioneller Einheiten mit einem traditionellen Aufgabenverständnis. In der Nato-Doktrin werden Spezialeinheiten wie folgt definiert: "Spezialkräfte (...) sind (...) für militärische Operationen vorgesehen, die wegen der Besonderheit des Auftrags, der Aufgabenerfüllung und der Bedeutung der Ziele nach anderen Grundsätzen und Verfahren durchgeführt werden müssen als die Einsätze herkömmlicher Kräfte. Übergeordnete Erwägungen können dabei verdeckte Einsatzverfahren und die Akzeptanz hoher Risiken erfordern. Aufgrund der hohen Anforderungen sind diese Kräfte personell besonders sorgfältig ausgewählt, speziell ausgebildet und gegliedert und nutzen auch eine spezielle Ausrüstung" In den Vereinigten Staaten wird die Gesamtheit der amerikanischen Spezialeinheiten als Special Operations Forces bezeichnet, da der Begriff Special Forces dort bereits als Eigenname der entsprechenden Einheit der US Army belegt ist. International und in der nicht-angloamerikanischen Literatur wird Special Forces allgemein für Spezialkräfte verwendet. In Russland sind die Spezialeinheiten ALFA und Wympel dem Inlandsgeheimdienst FSB unterstellt. „Eliteeinheiten“ Der Begriff Spezialeinheit wird häufig missverständlich verwendet. Nicht jede herausragende Einheit ist originär auch eine Spezialeinheit, denn Angehörige von Spezialeinheiten gehören zwar in der Regel zur professionellen Leistungselite, umgekehrt sind aber nicht alle Eliteverbände Spezialeinheiten. Deshalb muss insbesondere unterschieden werden zwischen militärischen „Eliteverbänden“, die zwar einen erhöhten Ausbildungsstand, besondere Rekrutierungs- und Auswahlverfahren und damit auch eine überdurchschnittliche Kampfkraft haben, und konzeptionellen Spezialkräften, die einen vom regulären Militär deutlich abweichenden Auftrag haben, für den sie besonders ausgebildet und ausgerüstet sind und der nicht oder nur unbefriedigend von „normalen“ Formationen ausgeführt werden kann. Beispiele für solche „Eliteverbände“ (der Begriff Eliteeinheit ist in den meisten Streitkräften mittlerweile ungebräuchlich und teilweise sogar verpönt und wird heute eigentlich nur noch in der Presse oder in populärwissenschaftlicher Literatur verwendet) sind die französische Fremdenlegion, die Spanische Legion, die Leichte Infanterie der US Army (zum Beispiel die 10. US-Gebirgsdivision) sowie diverse Luftlandeverbände einzelner Nationen. Letztere sind im Grunde nur luftlandefähige leichte Infanterie und aufgrund ihres Einsatzprofils, das regelmäßig von einem auf sich gestellten Kampf gegen überlegene feindliche Kräfte ausgeht, bis Entsatz möglich ist, mit besonders leistungsfähigem und motiviertem Personal ausgestattet. All diese Verbände führen aber im Gros klassische militärische Aufträge auf breiter Basis aus, auch wenn sie zum Teil über Zusatzausbildungen für den Kampf unter besonderen klimatischen Bedingungen (Dschungel-, Wüsten- und alpine Kriegführung) und zum Teil über eine Kommandofähigkeit (diese beschränkt sich in der Regel allerdings auf eine oder mehrere Kompanien oder auf ein Bataillon und ist nicht in der Breite vorhanden) verfügen. Abzugrenzen vom Kommandoeinsatz ist der Jagdkampf der durch die Infanterie als Gefechtsart, früher Besondere Gefechtshandlung, zusätzlich zu ihrem normalen Spektrum an Aufträgen mit Angriff und Verteidigung durchgeführt wird. Wesentlicher Unterschied ist, dass Kommandoeinheiten nur für den operativen Kommandoeinsatz vorgesehen sind, während die Infanterie, insbesondere Fallschirmjäger und Gebirgsjäger, dies im taktischen Sinne zusätzlich wahrnimmt. Konventionelle Spezialeinheiten Der Auftrag konventioneller Spezialeinheiten bewegt sich in der Regel auf der unteren taktischen Ebene und im Rahmen allgemeiner militärischer Operationen. Bestimmte Einsätze können eine strategische Bedeutung haben, beispielsweise wenn ein feindliches Führungszentrum oder eine Radarstation durch einen Kommandoeinsatz zerstört werden konnte und infolgedessen eine ungesicherte Einflugschneise entsteht, durch die die eigene Luftwaffe anschließend strategische Ziele angreift. Spezialeinheiten sind durchgängig sprungtauglich, in der weiterführenden Sprungtechnik HAHO und in besonderen Infiltrationstechniken ausgebildet. Klassische Einsatzprofile sind Kommandooperationen, also das gezielte Einnehmen, Unbrauchbarmachen oder Zerstören von feindlichen Schlüsselstellungen, wie Flugplätzen, Kommunikations- und Führungszentren, Artillerie- und Raketenstellungen, Brücken, Häfen, Nachschubbasen, Bunkern oder sonstigen besonders wertvollen Stellungen des Feindes. Überfälle als Handstreich (engl. direct action) werden entweder an der Front oder aber, nach erfolgreicher Infiltration, im feindlichen Hinterland ausgeführt. Ein weiteres Aufgabengebiet ist die taktische Aufklärung sowie die Bergung von Personal und Ausrüstung hinter feindlichen Linien mit geringer Eindringtiefe (meist bis zu 30 Kilometer). Viele dieser Einheiten sind auch für Sabotage und Such- und Rettungseinsätze in Gefechtssituationen (CSAR) ausgebildet. Sie können darüber hinaus auch als vorgeschobener Beobachter und als Forward Air Controller eingesetzt werden, um das indirekte Feuer der Artillerie zu lenken oder Luftnahunterstützung zu leiten. Um ihr eigenes Selbstverständnis und ihre Abgrenzung zu unkonventionellen Spezialeinheiten wie den Green Berets zum Ausdruck zu bringen, formulierte ein Kommandeur der US Army Rangers seine Mission in einem Interview mit Autor Hartmut Schauer wie folgt: Typische Vertreter dieser klassischen Kommandotruppen (Stoßtruppen, engl. auch Shock-Troops) sind die US Army Rangers und die USMC Reconnaissance Battalions. Unkonventionelle Spezialeinheiten Die unkonventionellen Spezialeinheiten operieren im Gegensatz zu den klassischen Kommandoeinheiten eher verdeckt und im Untergrund. Das bedeutet, dass sie zwar ebenfalls über die Fähigkeiten dieser Einheiten verfügen (klassische Kommandokriegführung), aber normalerweise nicht nach den taktischen Grundsätzen regulärer Infanterie operieren. Ihre Einsatzmuster entsprechen eher denen von Nachrichtendiensten. Das heißt, dass sie auch „undercover“ und ohne Uniform zum Einsatz kommen können. Ihre Ausbildung geht weit über das Maß einer klassischen Kommandoeinheit hinaus, weil diese Einheiten nicht nur wesentlich mehr Einsatzprofile bedienen, sondern auch sprachlich und kulturell geschult sind, um im Einsatzgebiet arbeiten zu können und sich den dortigen Begebenheiten anzupassen. Das bedeutet im Unterschied zu den konventionellen Spezialeinheiten auch, dass viele Einsatzmuster dieser Einheiten in zivil und verdeckt ablaufen mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen für die beteiligten Soldaten und möglicherweise auch für die Nationen, die sie einsetzen. Beispielsweise würde eine verifizierbare Offenlegung oder sogar Gefangennahme bedeuten, dass Angehöriger solcher Einheiten nicht unter den Schutz der Haager Landkriegsordnung und Genfer Konventionen fallen und so als formale Nichtkombattanten und Spione gelten, die mit einer Hinrichtung rechnen müssen. Die typischen Auftragsmuster sind Fernaufklärung mit großer Eindringtiefe (bis zu 800 Kilometern), asymmetrische Kriegführung (engl. Unconventional oder Revolutionary Warfare), Anti-Guerilla-Kriegsführung, Sabotage und das weite Feld der Sicherheits- und Militärberatung. Diese gewinnt in der heutigen Zeit an Bedeutung, weil sie den Regierungen die Möglichkeit gibt, diskret und ohne große Militärkontingente politischen Einfluss auf die befreundeten Gastnationen und deren Region zu nehmen, was sonst mittels üblicher Machtprojektion durch Flottenverbände oder konventionelles Militär so nicht möglich wäre. Im Rahmen dieser Militärberatungseinsätze werden neben den militärischen und sicherheitsrelevanten Aspekten auch zivile Ziele verfolgt. Durch Ausbildung, infrastrukturelle, soziale und gesundheitliche Maßnahmen sollen die Gastländer politisch stabilisiert und eventuelle Konflikte bereits im Keim erstickt werden (Krisenprävention). Oft sind solche Einheiten auch in psychologischer Kriegführung und militärischer Zivilverwaltung ausgebildet. Man unterscheidet dabei drei Einsatzebenen, die Militärberatung im Frieden, die Krisenintervention und den Kriegseinsatz. Im letzteren arbeiten diese unkonventionellen Formationen meist völlig auf sich allein gestellt monatelang hinter feindlichen Linien in Kleinstgruppen, die meist nur aus sechs bis zwölf Mann bestehen. Dabei sind sie bestrebt, einheimische Widerstandsgruppen zu rekrutieren, auszubilden und in einem Guerillakrieg (Guerra bedeutet „Krieg“ und Guerilla „Kleinkrieg“, das heutige Synonym für den Partisanenkrieg) gegen den Feind zu führen, den sie auch logistisch unterstützen. Ein weiteres Auftragsprofil solcher Einheiten besteht in der Geiselbefreiung und Terrorismusbekämpfung. Dies führt häufig dazu, dass Angehörige solcher Einheiten auch als Personenschützer von Oberkommandierenden oder zivilen Würdenträgern fungieren. Aufgrund der engen Anbindung an die (militärischen) Nachrichtendienste führen diese Einheiten auch Sondereinsätze (Special Activities) wie gezielte Tötungen oder Entführungen von Einzelpersonen, zum Beispiel eines Diktators oder Kriegsverbrechers oder die verdeckte Aufklärung in einem feindlichen Land durch. Naturgemäß werden diese Einsätze aufgrund ihrer politischen Brisanz unter besonders strenger Geheimhaltung ausgeführt. Oft ist es so, dass die Ausführenden, sollten sie enttarnt und gefangen genommen werden, auf sich gestellt sind, das heißt, dass die verantwortliche Regierung leugnet, dass es sich bei den Soldaten um Angehörige des eigenen Militärs handelt. Polizeiliche Spezialeinheiten Polizeiliche Spezialeinheiten haben teilweise ähnliche Ausrichtungen, wie militärische, die aber rechtlich und praktisch an die spezifischen Erfordernisse polizeilicher Aufgabenerfüllung angepasst sind. Man unterscheidet drei klassische Gruppen von polizeilichen Spezialeinsatzkräften, sowie diverse Fach- oder Sonderabteilungen für bestimmte Spezialverwendungen, die aber nicht selbständig operieren, sondern regelmäßig entweder als Führungsstelle oder Unterstützungsabteilung bei besonderen Lagen oder Verbrechenstypen zum Einsatz kommen. Die europäischen polizeilichen Spezialeinheiten organisieren sich seit 2002 im Atlas-Verbund. Spezialeinsatzkommandos Vereinigte Staaten 1965 führten die Rassenunruhen des Watts-Aufruhrs in Los Angeles, die sechs Tage andauerten, 34 Todesopfer und über tausend Verletzte forderten, sowie 4000 Verhaftungen nach sich zogen und letztendlich nur mit Hilfe der Nationalgarde beendet werden konnte, zu einer Überprüfung der polizeilichen Einsatztaktik. Diese Erfahrungen und die deutliche Zunahme von Kriminalität, bei der Schusswaffen eingesetzt wurden, sowie das Anwachsen von Gang-Kriminalität, führten im Los Angeles Police Department (LAPD) zur Entwicklung des SWAT-Einsatzkonzeptes und 1967 zur Aufstellung der ersten SWAT-Einheit der USA, dem LAPD-SWAT. Viele andere US-Polizeiverwaltungen folgten diesem Beispiel und stellten ebenfalls eigene SWAT-Teams auf, noch bevor Anfang der 1970er Jahre ein weiteres wichtiges Einsatzfeld hinzu kam, die Terrorismusbekämpfung. Deutschland Nach dem Münchner Olympia-Attentat 1972 wurde im selben Jahr die GSG 9 als Spezialeinheit des Bundes aufgestellt, um derartigen Bedrohungsszenarien adäquat begegnen zu können. Zwei Jahre später beschloss die Innenministerkonferenz im Jahre 1974 durch den Aufstellungserlass für Spezialeinheiten (Offiziell Konzept für die Aufstellung und den Einsatz von Spezialeinheiten der Länder und des Bundes für die Bekämpfung von Terroristen) die Aufstellung von Präzisionsschützenkommandos, nachfolgend den Spezialeinsatzkommandos für die einzelnen Bundesländer. Andere Länder Ähnlich verfuhr man auch in anderen Ländern und stellte dort taktische Spezialeinheiten auf, die für die Terrorismusbekämpfung, die finale Lösung von Geiselnahmen, das Verhaften besonders gefährlicher Krimineller sowie das Beenden von Amokläufen und Entführungen speziell ausgebildet und ausgerüstet waren. Organisation Diese Einheiten sind in der Regel aus zwei Gruppen zusammengesetzt, einer Präzisionsschützen-Gruppe (in Deutschland Präzisionsschützenkommando) und einer Zugriffsgruppe. Die erste Gruppe sichert den Verbrechensschauplatz, die zweite Gruppe ist für die Befreiung von Geiseln und Festnahmen zuständig. In vielen Nationen ist der so genannte Finale Rettungsschuss erlaubt, die gezielte Tötung eines Geiselnehmers oder drohenden Sprengstoffattentäters. In Deutschland gelten hier hohe Ansprüche an die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme. Die Anwendung ist nicht in allen Polizeigesetzen geregelt. Typische Vertreter solche Einheiten sind die SEKs der Bundesländer, das Hostage Rescue Team des FBI, die SWAT-Einheiten der US-Polizeibehörden und das österreichische Einsatzkommando Cobra. Andere Einsatzkommandos Es gibt auch polizeiliche Spezialeinheiten, die sich nicht primär mit Terrorismusbekämpfung und Geiselbefreiung befassen, sondern mit der Bekämpfung anderer Kriminalitätsformen, die eine besonders ausgebildete Fahndungs-, Observations- und Zugriffseinheit in zivil erforderlich machen, da diese Lagen den Ausbildungsstand normaler Kriminalpolizeibeamter überfordern. In Deutschland sind dies die Mobilen Einsatzkommandos (MEK) der Bundesländer. Sie haben zwei Einsatzschwerpunkte. Die verdeckte Observation von potentiellen oder identifizierten Straftätern kann sowohl personell als auch mit entsprechender Technik ausgeführt werden. Weitere Aufgaben sind Peilung und Ortung, die technische Observation von Personen, Fahrzeugen und Mobiltelefonen sowie die Absicherung von verdeckten Ermittlern bei möglicherweise problematischem Täterkontakt. Sowohl MEKs als auch SEKs sind qualifiziert ausgebildet zur Festnahme von Personen, sowohl aus einer mobilen Lage wie auch aus der statischen Lage. Dabei werden zivil bekleidete MEK vorzugsweise in der mobilen Lage eingesetzt, das heißt, der Zugriff soll für den Festzunehmenden überraschend aus der Bewegung ablaufen (fahrender/laufender Täter). Ist dagegen bereits im Vorfeld beim polizeilichen Gegenüber mit starker Bewaffnung, hohem Widerstand oder mit verschlossenen Türen in einer statischen Lage (wie einer Wohnung) zu rechnen, wird meist die Unterstützung durch ein mit einem besseren Eigenschutz ausgestattetes und uniformiertes Spezialeinsatzkommandos (SEK) angefordert. In anderen Ländern gibt es ähnliche Einheiten, die zwar für besondere Lagen und Einsätze ausgebildet sind, sich aber nicht mit terroristischen oder schwerkriminellen Bedrohungen befassen. Dennoch sind sie besonders ausgerüstet und ausgebildet und als Einheit nicht in den normalen Polizeidienst integriert, sondern kommen ausschließlich situationsabhängig und punktuell zum Einsatz. Beispiele für solche Einheiten sind die WEGA der Wiener Polizei, die russische OMON und die Schweizer Spezialeinheit Enzian. Die Spezialeinheiten des Zoll wurden, in Gliederung und Unterstellung, denen der Polizei gem. Polizeidienstvorschrift 100 angeglichen. Somit ist die Zentrale Unterstützungsgruppe Zoll (ZUZ) vergleichbar mit einem Spezialeinsatzkommando (SEK) und die Observationseinheit Zoll (OEZ) mit einem Mobilen Einsatzkommandos (MEK). Observations- und Aufklärungsgruppen Diese Spezialeinheiten oder auch Einsatzabteilungen befassen sich hauptsächlich mit der Observation von für die Sicherheitsorgane interessanten Personen, um diese zu überwachen und ihre Bewegungsprofile und Gewohnheiten zu ermitteln. Dies können potentielle oder identifizierte Straftäter, Informanten, Undercover-Ermittler, Terrorverdächtige, nachrichtendienstlich relevante Personen und ausländische Bürger oder Diplomaten sein. Normalerweise werden Observationen von Vier-Mann-Teams vorgenommen, können aber auch mit mehreren Teams stattfinden. Dies richtet sich nach der Bedeutung der Zielperson und nach dem Umstand, ob sie selbst in Observationstechniken und deren Erkennen ausgebildet ist. Dabei wird auch auf technische Hilfsmittel wie Sender, Transponder, UV-Farbmarkierungen oder Reflektoren (an Fahrzeugen) und, in Fällen allerhöchster Bedeutung, auch militärische Satelliten zurückgegriffen. Die zweite typische Aufgabe solcher Einheiten besteht in der taktischen Aufklärung von Stadtvierteln, Gebäuden oder ländlichen Umgebungen, in denen sich relevante Personen, gefangene Geiseln, Attentäter, Amokläufer, Entführer oder Objekte aufhalten oder befinden. Dies geschieht in der Regel als Vorbereitung für einen späteren Zugriff (Einsatz) oder um strafrechtlich relevantes Material oder Umstände zu ermitteln. Oft werden Teile des Einsatzprofils solcher Observations- und Aufklärungsgruppen aber auch von Sondereinsatzkommandos selbst übernommen oder gehören bereits zum Einsatzprofil anderer Einsatzkommandos, wie beispielsweise bei den MEKs. Ein Beispiel für eine solche Spezialeinheit ist das englische Special Reconnaissance Regiment, das zwar der British Army angehört, aber wie der Special Air Service auch polizeiliche Aufgaben wahrnimmt. Spezialisierte Fachabteilungen Spezialisierte Fachabteilungen sind keine Spezialeinheiten im eigentlichen Sinne, da sie nicht selbständig operieren, und keine Verbandsstruktur aufweisen. Sie werden bei besonderen Lagen als spezialisierte Unterstützungsgruppe (-Abteilung) oder Führungsstelle herangezogen und arbeiten als Teil einer Kriseninterventionsgruppe bei Geiselnahmen, Lagen mit terroristischen oder schwerkriminellen Hintergrund und bei Naturkatastrophen oder aber als Teil einer speziell eingerichteten Sonderkommission (SOKO) mit individuell festgelegter Zielrichtung. Ein Beispiel für so eine spezialisierte Fach-, beziehungsweise Kriseninterventionsführungsstelle ist die Critical Incident Response Group des FBI. Dies können sein, psychologisch geschulte Verhandlungsführungsgruppen (bei Geiselnahmen), so genannte Profiler-Gruppen bei Ermittlungen gegen Serientäter oder auch spezielle EDV-Ermittlungsgruppen, die sowohl Internetfahndung als auch gesetzlich legitimiertes Hacken betreiben, das gezielte Eindringen in fremde geschützte IT-Systeme. Als ein Beispiel für eine solche Profilerfachabteilung gilt die Behavioral Analysis Unit des FBI. Bestimmte Abteilungen des Bundeskriminalamts, die ähnliche Ableger in den Strukturen der Landeskriminalämter haben, wie beispielsweise der Staatsschutz, die Abteilung SO – Schwere und Organisierte Kriminalität (unter anderem zuständig für Organisierte Kriminalität, Rauschgiftkriminalität und Verdeckte Ermittlungen und Führung von Vertrauenspersonen) und die Abteilung SG–Sicherungsgruppe (Personenschutz), sind ebenfalls Spezialfachabteilungen. Allerdings verwischen hier die Grenzen und es wird deutlich, wie schwierig eine Abgrenzung zu Spezialeinheiten im klassischen Sinne ist, da es kein verbindliches Unterscheidungssystem gibt. Erschwerend kommt auch die unterschiedliche nationale Einordnung und Klassifizierung verschiedener Einheiten mit dem gleichen Einsatzprofil hinzu. Nachrichtendienstliche Spezialeinheiten Auch Nachrichtendienste unterhalten Spezialeinheiten, meist mit paramilitärischem Charakter. Im Unterschied zu den administrativen Fachabteilungen der Dienste, haben diese oft eine geschlossene Verbandsstruktur und rekrutieren sich in erster Linie aus besonders qualifizierten und erfahrenen Soldaten der Streitkräfte, die bereits in militärischen Spezialeinheiten gedient haben. Wenn diese Soldaten den Dienstherren wechseln, dann erhalten sie eine Zusatzausbildung in operativer Nachrichtendienstarbeit. Dabei wird die gesamte Bandbreite der Fertigkeiten, die ein Agent im Einsatz beherrschen muss, von Nachrichtendienst-Instrukteuren gelehrt. Diese umfassen unter anderem Observation, Gegenobservation, direkte konspirative Kontaktaufnahme mit Informanten, aber auch indirekten nichttechnischen Nachrichtenaustausch (zum Beispiel die Nutzung toter Briefkästen) und die verdeckte Infiltration in feindliche Operationsgebiete. Dabei steht nicht so sehr die klassische nachrichtendienstliche Informationsgewinnung im Vordergrund, sondern eher die Weiterleitung von Informanten- und Agentenerkenntnissen und die Sondierung der Lage. Die Angehörigen solcher Einheiten sollen in die Lage versetzt werden, unentdeckt undercover in feindlichem Territorium zu operieren. Oft beherrschen die ehemaligen Soldaten viele dieser Fertigkeiten bereits, weil sie beim Militär bereits an den Schnittstellen zu Nachrichtendiensten eingesetzt waren oder bereits in gemeinsamen Operationen eingesetzt waren. Der Einsatzschwerpunkt solcher Einheiten umfasst die ganze Bandbreite der Missionsprofile unkonventioneller Spezialeinheiten. Da Nachrichtendienste meist anderen gesetzlichen Grundlagen folgen als die Streitkräfte des jeweiligen Landes, hat die Eingliederung solcher militärischen Potentiale unter dem Dach eines Nachrichtendienstes den Vorteil, dass Einsätze mit eigenen Mitteln stattfinden können, ohne dass andere Behörden oder Ministerien involviert werden müssen, und so die Geheimhaltung oft besser gewahrt werden kann. Ein weiterer Vorteil besteht in der Eliminierung möglicher Reibungsverluste bei gemeinsamen Operationen mit anderen Dienststellen, wenn das involvierte Personal die besonderen Gesichtspunkte einer nachrichtendienstlichen Operation kennt und so von vornherein mögliche Fehlerquellen ausgeschlossen werden können. In vielen Ländern führt die Einbindung paramilitärischer Spezialeinheiten in nachrichtendienstliche Behörden zu erweiterten Einsatzbefugnissen, die über militärische oder polizeiliche hinausgehen und diese dann verquicken. Das führt nicht selten dazu, dass diese von den jeweiligen Regierungen missbraucht und zur Repression politischer Gegner und zum reinen Machterhalt diktatorischer Regime eingesetzt werden. Dies führt bei politischen Beobachtern, Fachautoren und der Presse oft zu einer generell eher kritischen Bewertung paramilitärischer Formationen unter dem Dach von Nachrichtendiensten. Typische Beispiele solcher Formationen sind die US-amerikanische Special Activities Division der CIA, die israelische Sajeret Matkal des Aman, die russischen Speznas der GRU, die Alfa und Wympel des FSB sowie Bundeswehrangehörige im Amt für Militärkunde, die für den Bundesnachrichtendienst tätig sind. Vorteile und Risiken Spezialeinheiten sind aufgrund ihrer Struktur, Ausbildung und Ausrüstung in der Lage, bestimmte Einsatzprofile besser abzuarbeiten als das konventionellen Verbänden oder Abteilungen möglich ist. Darüber hinaus eröffnen sie gänzlich neue Einsatzmuster, die herkömmlichen Einheiten nicht leisten können. Wie andere Eliten in Gesellschaft und Wirtschaft auch haben sie mit denselben Problemen zu kämpfen, was Akzeptanz und Berechtigung hinsichtlich Aufgabe und Etat angeht. Als Antithese zum großen konventionellen Militär, werden sie innerhalb der Streitkräfte häufig als Fremdkörper und Konkurrent gesehen, da allein ihr Vorhandensein oft einen negativen Einfluss auf die Moral herkömmlicher Einheiten hat, weil diese sich nicht selten in der Wertung zurückgesetzt fühlen und der Unterhalt von Spezialeinheiten im Verhältnis zu ihrer Mannstärke sehr teuer ist. Viele Kommandeure sind auch heute noch skeptisch, was ihren militärischen Nutzen im Verhältnis zu ihren Kosten angeht und stören sich an dem elitären und oftmals die militärischen Etikette verletzenden Habitus solcher Einheiten. Dennoch erfuhr die Bedeutung von Spezialeinheiten seit den 1960er Jahren, dem Zeitalter der Stellvertreterkriege in der Epoche des Kalten Krieges, zunächst eine stetige, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Krieges jedoch eine massive Aufwertung. Durch die Auflösung des Ost-West-Gegensatzes und der Blockpolitik sowie der Entstehung neuer souveräner Einzelstaaten aus ehemaligen Sowjetrepubliken (zum Beispiel Belarus, Ukraine und Georgien) wurde aber auch die internationale Lage, was die Führbarkeit von Kriegen angeht, komplizierter und gefährlicher. War früher alles der Ost-Westkonfrontation und der drohenden atomaren Apokalypse (Atomkrieg) untergeordnet, droht dieses Damoklesschwert heute weniger, was viele Staaten glauben lässt, dass Kriege wieder führbar sind und ein nützliches Mittel der Durchsetzung politischer Ziele sein können. Wurden im 20. Jahrhundert bis 1990 rund 600 Kriege dokumentiert, zählt man heute bereits jährlich über 50 militärische Konflikte weltweit, Tendenz steigend. Diese Entwicklung führte bei vielen Regierungen zu der Einsicht, dass es eines militärischen Instrumentariums bedarf, das in der Lage ist, nationale Sicherheitsinteressen direkt, aber auch im Rahmen internationaler Organisationen, wie beispielsweise der UNO, durchzusetzen. Dies geschieht mittels schlichtender, friedensschaffender und konfliktdeeskalierender Einsätze bei bereits schwelenden Auseinandersetzungen. Dies ist mit herkömmlichem Militär, wie es im Kalten Krieg zur Abschreckung erforderlich war, sowohl technisch als auch politisch nur bedingt möglich. Das führte in vielen Staaten zu einer enormen Abrüstung seit den 1990er Jahren bei gleichzeitiger Beibehaltung und Aufstockung der Spezialkräfte. Schlagkräftige, flexible und luftverlegbare Einheiten fingen an, die Rolle des konventionellen Militärs innerhalb der nationalen Einsatzplanung zwar nicht zu ersetzen, aber zu verschieben. Das teure, schwere und unbewegliche Massenheer, meist mit einer Vielzahl Wehrpflichtiger, wurde bei etlichen Planungen und Einsätzen von leichten, durchtrainierten und hochmotivierten Spezialeinheiten aus Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit verdrängt. Die quantitative Veränderung (Zunahme) der Konflikte, aber vor allem ihrer qualitative, das Anwachsen der asymmetrischen Bedrohungen und Auseinandersetzungen führten dazu, dass die Rolle und Bedeutung von Spezialeinheiten weiter aufgewertet wurde, da sie nicht nur im Krieg, sondern auch bereits bei Krisen oder im Frieden als Militärberatungsorgan einsetzbar sind und so einen über den rein militärischen Wirkungsgrad weit hinausgehenden politischen Effekt haben. Wettbewerbe Jährlich finden Turniere und Wettbewerbe unter Spezialeinheiten statt. Bei den Treffen stehen neben dem Wettkampf vor allem der Informations- und Taktikaustausch im Mittelpunkt. Im Jemen treffen sich seit 2009 jährlich 30 bis 40 Spezialeinsatzkräfte aus bis zu 19 Ländern zur Warrior Competition. Ein weiterer Bewerb ist die seit 1983 alle vier Jahre in Deutschland ausgetragene Combat Team Conference, hierbei wird neben den physischen Übungen besonders auf Sorgfalt, Präzision und auf den optimalen Einsatz personeller und materieller Ressourcen sowie die Einhaltung taktischer Grundsätze geachtet. Warrior Competition Kritik Militärisch Da für die Auftragserfüllung bestimmter Spezialeinheiten oftmals eine Abschottung und besondere Geheimhaltung erforderlich ist, werden ohnehin latent vorhandene Ressentiments bei konventionellen Einheiten noch verstärkt. Der elitäre und oft geheimnisumwitterte Nimbus wirkt sich nicht selten negativ auf die militärische Zusammenarbeit aus. Das Konkurrenzgebaren um Ausrüstung und Etatzuwendungen ist bei vielen Streitkräften nach wie vor vorhanden. Und obwohl „Glücksritter“ und „Draufgänger“ durch entsprechende psychologische Auswahlverfahren meist ausgesondert werden, gelingt es immer wieder bestimmten Soldaten Zugang zu finden, die charakterlich eigentlich nicht in solche Einheiten passen. Solche Individuen sind auch meist dafür verantwortlich, wenn es zu Schlägereien mit konventionellen Soldaten oder Verspottungen selbiger durch Sondereinsatzkräfte kommt. Trotz der veränderten weltweiten Konfliktlage und der allgemeinen Aufwertung von Spezialeinheiten, gibt es nach wie vor konservativ eingestellte Militärs, die die Rolle der Spezialeinheiten als überbewertet sehen und teilweise deren militärischen Nutzen, angesichts ihrer Kosten, in Frage stellen. Die allgemeine Abrüstung der konventionellen Heere bei gleichzeitiger Aufwertung der Spezialeinheiten hat die Verteilungswettkämpfe eher noch verstärkt. Bei den Sondereinsatzkräften (engl. Special Operations Forces) der US-Streitkräfte hat man nach etlichen schlechten Erfahrungen von administrativer Seite dieser Negativentwicklung einen Riegel vorgeschoben. Durch den Erlass des Nunn-Cohen Amendment von 1987 wurde das Militär gesetzlich dazu gezwungen, ein teilstreitkraftübergreifendes Oberkommando, das US Special Operations Command (SOCOM) einzurichten, das alle Sondereinsatzkräfte gemeinsam führt, ausbildet und ausrüstet und über einen eigenen Etat verfügt, über dessen Verwendung es selbst entscheiden darf. Ähnliche Entwicklungen gab es auch im gleichen Jahr im Vereinigten Königreich mit der Einrichtung des United Kingdom Special Forces (UKSF) des Verteidigungsministeriums und in Frankreich, das 1992 das Commandement des opérations spéciales (COS) ins Leben rief. Die häufig recht laxe militärische Disziplin innerhalb der Spezialkräfte ist ebenfalls eine stetige Quelle für Kritik, obwohl zum Beispiel die Grußrituale zwischen Offizier und Unteroffizieren (Mannschaften gibt es in den meisten militärischen Spezialeinheiten nicht) schon aus einsatztaktischen Gründen nicht sein sollen, damit beispielsweise feindliche Scharfschützen nicht erkennen, wer das Kommando hat, oder Passanten bei verdeckten Einsätzen nicht erkennen, dass die vermeintlichen Zivilisten tatsächlich gar keine sind. Da Mitglieder solcher Einheiten in der Regel ein sehr schwieriges Ausleseverfahren durchlaufen haben und im Einsatz in Kleingruppen operieren, sind bei ihnen Intelligenz und eine kreative, teamorientierte und selbstständige Problemlösungstrategie gefragt. Dabei wäre eine unnötige und übertrieben hierarchische Disziplin eher hinderlich. Offiziere und Unteroffiziere arbeiten als Team und Rangunterschiede treten gegenüber der persönlichen Qualifikation in den Hintergrund. Die eigentliche Kommandostruktur bleibt jedoch davon unangetastet. Ein weiterer Kritikpunkt ist die oft geheimhaltungsbedingte und immer wieder vorkommende mangelnde Abstimmung mit der Führung des herkömmlichen Militärs im Operationsgebiet. Beispielsweise operieren gegenwärtig in Afghanistan neben dem regulären Militär auch zahlreiche Sondereinsatzkräfte der US-Streitkräfte, die nicht dem eigentlich zuständigen Oberkommando des Kriegsschauplatzes, dem US Central Command (CENTCOM) unterstehen, sondern parallel dazu dem im selben Gebiet tätigen US Special Operations Command (SOCOM). Dies hat in der Vergangenheit zum Teil zu Ineffizienz und einer erhöhten Eigengefährdung des konventionellen Militärs geführt, da dieses nicht in die Planungen des SOCOM eingebunden war. In Deutschland stellt sich die Situation ähnlich dar, beispielsweise wurden Operationen des deutschen KSK im Nachhinein vom zuständigen Einsatzführungskommando der Bundeswehr (EinsFüKdoBw) kritisiert, weil diese nicht abgestimmt gewesen seien. Administrativ Spezialeinheiten wecken durch ihr oft weitgefächertes Einsatzspektrum teils behördliche Begehrlichkeiten, Abgrenzungsreflexe und Verantwortungsdiffusion. In vielen Fällen werden die meist vom Militär kontrollierten Einheiten auch in angestammten Verantwortungsbereichen anderer Ministerien oder Ämter eingesetzt. Dies ist etwa bei manchen Militärberatungseinsätzen der Fall, wenn diese Einheiten unter der Ägide des Außenministeriums arbeiten oder bei der Drogenbekämpfung auch mit heimischen Strafverfolgungsbehörden kooperieren. Ähnliches gilt auch für polizeiliche Spezialeinheiten, auch diese arbeiten im Auslandseinsatz unter der politischen Verantwortung des Außenministeriums sogar dann, wenn diese Kräfte dem jeweiligen Fachministerium des Gastlandes beigeordnet sind. Ein Beispiel, wozu behördliches Kompetenzgerangel führen kann, war die Katastrophe in Waco im US-Bundesstaat Texas am 28. Februar 1993. Hier wurde eine Farm, auf der sich Mitglieder der Davidianer-Sekte mit Frauen und Kindern verschanzt hatten, von Beamten des Bureau of Alcohol, Tobacco and Firearms (ATF) belagert, obwohl der Einsatzleitung des FBI bekannt war, dass die Sekte von der geplanten Aktion wusste. Nach heftigen Schusswechseln und einem Brand blieb als Bilanz des misslungenen Einsatzes der Tod von vier Beamten und 68 Sektenmitgliedern, darunter 25 Kindern. Politisch und gesellschaftlich Neben der militärinternen Kritik gibt es in einigen Ländern auch politische Kritik. Insbesondere werden manche Spezialeinheiten in Lateinamerika und Afrika von Diktaturen immer wieder zum Machterhalt und zur Repression der Bevölkerung missbraucht. Selbst nach nationaler Rechtslage legale regimekritische Organisationen und Presseorgane werden häufig mittels solcher Spezialeinheiten, ob nun militärischen, polizeilichen oder nachrichtendienstlichen Charakters, verfolgt, verschleppt und getötet. Nicht wenige solcher Einheiten operieren sogar gänzlich im Verborgenen (inoffiziell), wie sogenannte Todesschwadronen. Allerdings sind solche Gruppierungen nicht zwingend auf autoritäre Systeme beschränkt. Ein jüngeres Beispiel für eine solche Formation waren die spanischen Grupos Antiterroristas de Liberación (GAL) (dt. „Antiterroristische Befreiungsgruppen“). Diese verdeckt agierenden Kommandos des Innenministeriums waren von 1983 bis 1986 mit der Bekämpfung der baskischen ETA befasst und operierten oft außerhalb des Gesetzes. Aber auch in den Demokratien westlicher Prägung sind die Spezialeinheiten im kritischen Fokus der Gesellschaft. Der sie umgebende elitäre Charakter, ihre oft wenig transparenten Befugnisse und Einsatzprofile, die für sie oft geltenden besonderen Geheimhaltungsbestimmungen, bilden einen stetigen Hort für Befürchtungen, dass solche Gruppierungen außerhalb des Gesetzes stehen könnten, beziehungsweise jenseits desselben eingesetzt und von den politischen und militärischen Entscheidungsträgern möglicherweise missbraucht werden könnten. Damit stehen Spezialeinheiten und deren Angehörige regelmäßig im Spannungsfeld zwischen erforderlicher Geheimhaltung, Einsatzbefugnissen und Auftragslage einerseits und notwendiger parlamentarischer Kontrolle und politischer Transparenz, dem Recht der Öffentlichkeit auf Information, andererseits. Dennoch hat der zunehmende Einsatz von Spezialkräften im Rahmen internationaler humanitärer und infrastruktureller Maßnahmen dazu geführt, dass das früher oft verbreitete „Killer“- und „Rambo“-Image solcher Einheiten eine Wandlung erfahren hat und die Soldaten jetzt eher als professionelle Spezialisten gesehen werden (Einschätzung von Autor Hartmut Schauer, siehe Literaturliste). Siehe auch Liste von Spezialeinheiten Liste von deutschen Spezialeinheiten und spezialisierten Kräften Literatur Bewaffnung und Ausrüstung von Spezialeinheiten. Ein Bildlexikon. Motorbuchverlag, Stuttgart 1994, ISBN 3-613-01581-1. Christin-Désirée Rudolph: Die Kampfschwimmer der Bundeswehr. Motorbuch-Verlag, Stuttgart 2014, ISBN 978-3-613-03647-5. Christoph Rojahn: Militärische Antiterroreinheiten als Antwort auf die Bedrohung des internationalen Terrorismus und Instrument nationaler Sicherheitspolitik – das Beispiel Amerika. Utz, München 2000, ISBN 3-89675-841-1. David Bohrer: US-Eliteverbände. 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Q234497
87.808242
18554
https://de.wikipedia.org/wiki/Globus
Globus
Ein Globus (Mehrzahl: die Globen oder Globusse; lateinisch für Kugel) ist in der Kartografie ein verkleinertes, kugelförmiges Modell der Erde (terrestrischer Globus oder lat. Globus terrestris), eines Himmelskörpers oder der scheinbaren Himmelskugel. Dementsprechend unterscheidet man Himmelsgloben und Planetengloben (Erdgloben und Globen erdnaher „Planeten“: meist Mond (Mondglobus), Venus oder Mars). Himmelsgloben, die den Sternenhimmel auf der scheinbaren Himmelskugel (scheinbarer Sternhimmel) zeigen, haben eine ältere Geschichte als Erdgloben. Bis zum 19. Jahrhundert wurden Globen meist paarweise hergestellt: Ein Erdglobus und ein dazugehöriger Himmelsglobus. Globen und Luftbilder gehören zu den kartenverwandten Darstellungen. Globenverwandte Instrumente sind Armillarsphären, Planetarien (Planetenmaschinen, Tellurien (ein Sonderfall der Orrery-Planetenmaschine – eine Planetenmaschine der Erde)). Eine Armillarsphäre stellt jedoch trotz ihrer Kugelgestalt keinen Globus dar, sondern diente der Messung von Koordinaten am Himmel oder der Darstellung der Bewegung von Himmelskörpern. Der große Vorteil gegenüber einer Karte ist, dass der Globus gleichzeitig form-, flächen-, winkel- und längengetreu ist. Diese Eigenschaften kann die Karte nicht gleichzeitig erfüllen, da sich die Fläche einer Kugel nicht auf einer ebenen Fläche abrollen lässt. Ein weiterer Vorteil der Globen ist die Anschaulichkeit etwa bei der Darstellung längerer Flugrouten und Schiffsrouten. Nachteile des Globus gegenüber der Karte sind umständliche Lagerung und Transport, höherer Preis, meist kleinerer Maßstab und die Unmöglichkeit der Betrachtung der gesamten Erdoberfläche auf einen Blick. Wenn von einem Globus gesprochen wird, ist vorzugsweise ein Erdglobus oder umgangssprachlich die Erde selbst gemeint (Beispiel: „um den Globus reisen“). Entstehungsgeschichte Antike und Mittelalter Nach römischen Quellen soll um 150 v. Chr. Krates von Mallos den ersten Erdglobus gebaut haben. Bereits Eratosthenes (* ca. 276 v. Chr.; † 194 v. Chr.) kannte die Kugelgestalt der Erde und beschäftigte sich mit der Bestimmung des Erdumfangs. Cicero beschrieb in seiner Schrift De re publica die Verwendung eines Himmelsglobus durch Archimedes. Ein noch erhaltener antiker Himmelsglobus aus der Zeit um 150 n. Chr. ist als Teil einer Skulptur (Atlas Farnese) im Archäologischen Nationalmuseum Neapel zu sehen. Es handelt sich um die römische Kopie einer griechischen Arbeit. Der älteste erhaltene Himmelsglobus, der Mainzer Himmelsglobus, ist römischen Ursprungs und aus dem 2. Jahrhundert n. Chr. Der kleine Globus aus Bronze mit 11 cm Durchmesser (heute im Römisch-Germanischen Zentralmuseum, Mainz) hat vermutlich den Schattenstab einer Sonnenuhr geziert. Ungefähr zu dieser Zeit hat auch Ptolemäus die Herstellung solcher Globen beschrieben. Der erste Erdglobus der Alten Welt wurde wahrscheinlich im Mittelalter von arabischen Kartografen und Astronomen angefertigt, die im Dienst des Abbasiden-Kalifen al-Ma'mūn standen. Die Herstellung eines Himmelsglobus beschreibt gegen Ende des 10. Jahrhunderts Gerbert von Aurillac in einem Brief. Darstellungen der Erde und des Universums tauchten seit der Römerzeit immer wieder auch auf Münzen und Medaillen auf. Im 16. Jahrhundert verschwand die Darstellung von Globen auf Münzen weitgehend, um dann im 17. Jahrhundert eine besonders starke Verbreitung zu finden. Das fiel insbesondere in die Jahre 1670 bis 1720, als Globen in Europa besonders populär wurden. 15. Jahrhundert Mit dem Zeitalter der Entdeckungen begann die große Zeit der Globenherstellung. Bereits 1477 hatte Donnus Nicolaus Germanus für Papst Sixtus IV. den ersten belegten Erdglobus der Neuzeit angefertigt. Die Globen wurden meist in lateinischer Sprache beschriftet, der Sprache der Wissenschaft zu jener Zeit. Der Mathematiker und Kardinal Nikolaus von Kues interessierte sich für Astronomie und kaufte 1444 je einen in Nürnberg gefertigten hölzernen und einen kupfernen Himmelsglobus. Nürnberg war zu jener Zeit das erste große Zentrum der Globenherstellung in Europa. Der älteste heute noch erhaltene Erdglobus ist Martin Behaims Erdapfel, welcher 1492 von Martin Behaim in Nürnberg geschaffen wurde und heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg aufbewahrt wird. Der von Leonardo da Vinci entworfene Da-Vinci-Globus aus der Zeit um 1504 ist der erste Globus, der die Neue Welt darstellt. In der New York Public Library ist ein Globus aus dem Jahr 1506 ausgestellt. 1507 schuf Martin Waldseemüller einen Globus, der America zeigte. Auch auf dem Globus Jagellonicus von 1510 taucht der Name „America“ auf, jedoch wird damit noch eine unbekannte Stelle südlich von Indien bezeichnet. Waldseemüllers Schüler Johannes Schöner, ebenfalls ein berühmter Kartograf, fertigte in Bamberg ebenfalls Erd- und Himmelsgloben an. Sein Erdglobus von 1515 ist der älteste, noch heute erhaltene seiner Art, der Südamerika zeigt und den neuen Kontinent mit dem Namen „America“ bezeichnet. Ein anderer früher Globus war der Hunt-Lenox-Globus, ca. 1507. Es wird angenommen, dass er die Quelle für den Ausspruch „Hic sunt dracones“ („Hier sind Drachen“) ist. 1541 brachte Gerhard Mercator seinen ersten Globus in Löwen heraus, der sich über Jahrzehnte in großen Stückzahlen verkaufte (siehe Mercator-Erdglobus von 1541). Ein weiterer Erdglobus wurde 1570 von Taqi al-Din an seiner Sternwarte in Istanbul gebaut. 16. Jahrhundert Im frühen 16. Jahrhundert wurden grafische Reproduktionsverfahren eingeführt und ermöglichten so die Serienfertigung von Globen. Die Globusstreifen, sphärische Zweiecke (Globuszwickel), wurden auf Papier gedruckt, das dann auf den Globus geklebt wurde (Kaschieren oder Belegen genannt). Der Druck erfolgte mittels Hochdruckverfahren des Holzschnitts, seit Mitte des 16. Jahrhunderts dann mittels Tiefdruckverfahren des Kupferstichs und seit Anfang des 19. Jahrhunderts mittels Steindruck (Lithografie). Den ersten gedruckten Globusstreifen stellte Martin Waldseemüller 1507 her. Ein anderer berühmter Kartograf und Globenhersteller jener Zeit war Johann Richter (latinisiert: Johannes Praetorius) in Nürnberg, aus dessen Werkstatt auch der Nürnberger Stadtarzt Melchior Ayrer (eher nicht dessen Bruder Egidius, der wie Melchior 1561 durch Kaiser Ferdinand I. geadelt wurde) sowohl Erdgloben als auch Himmelsgloben bezogen haben soll. Im 16. Jahrhundert zeichneten sich Fracastori, Gemma Frisius, Gerhard Mercator und Jodocus Hondius durch die Konstruktion von Erdgloben aus. Mit dem Aufstieg der Niederlande zur See- und Handelsnation stieg gegen Ende des 16. Jahrhunderts die Nachfrage nach Globen stark an. Reiche Kaufleute und Kapitänsfamilien hatten den Wunsch, die Routen der Seefahrer nachzuverfolgen. Amsterdam wurde Ende des 16. Jahrhunderts zum Herstellungszentrum für immer bessere geografische Karten, Globen und Navigationsinstrumente. Die Familie Blaeu etablierte eine Dynastie von Kartografen, die einige Jahrzehnte bestand. Der Begründer war Willem Blaeu, ein Astronom, der zusammen mit Tycho Brahe studiert hatte. Ein Konkurrent der Familie Blaeu war unter anderem der Kartograf Johannes Janssonius. Die Globenherstellung in England begann mit Emery Molyneux († 1598), der 1592 mit großer finanzieller Unterstützung ein Paar große Globen schuf, auf denen insbesondere die englischen Unternehmungen zur See dargestellt wurden. Seine Globen wurden sehr zahlreich hergestellt. Ein Globenpaar wurde Elisabeth I. zum Geschenk gemacht. Sein einziges erhalten gebliebenes Globenpaar ist im Petworth House in Petworth, West Sussex ausgestellt. Der Globus war erst 1950 wiederentdeckt worden. In Italien fertigten 1561 die Brüder Giulio und Livio Sanuto (* 1520; † 1576) einen Globus an, von dem heute einige Globussegmente erhalten sind. Aus den Maßen der Globussegmente lässt sich schließen, dass dieser venezianische Erdglobus einen Durchmesser von 68,6 cm hatte und einen Umfang von ca. 216 cm. Diese Globussegmente sind als Holzheimer Globussegmente (engl. Holzheimer Globe Gores) bekannt, da sie sich in der Sammlung von Arthur Holzheimer befinden. Es handelt sich wahrscheinlich um die größten gedruckten Globussegmente des 16. Jahrhunderts. Der Erdglobus des venezianischen Geografen Livio Sanudo wurde 2008 im Magazin des Museo Correr in Venedig wiederentdeckt. 17. Jahrhundert Im 17. Jahrhundert legte man besonders Wert auf große Globen. Zu den bekannten Globenherstellern des 17. Jahrhunderts zählten: Verlagshaus Blaeu (Willem Blaeu und später Joan Blaeu) Bloen in Amsterdam Johannes Janssonius in Amsterdam Matthäus Greuter Vincenzo Maria Coronelli Im 17. Jahrhundert verschoben sich die Kräfte in Europa von den Niederlanden nach Frankreich und entsprechend verschob sich auch der Schwerpunkt der kartographischen Produktion und der Globenherstellung. Ende des 18. Jahrhunderts waren dann die britischen Kartographen führend. Die anderen Zentren der Globenherstellung waren zu jener Zeit: die Niederlande (z. B. Henricus Hondius, Nicolaes Visscher I, Petrus Plancius, Michael Florent van Langren – 1592 verliehen die Generalstaaten der Familie Van Langren das Monopol auf die Herstellung von Globen, was 1597 zu Auseinandersetzungen mit Jodocus Hondius führte.) Italien (z. B. Vincenzo Coronelli), England – Karl II. von England (* 1630; † 1685) förderte gezielt die Entwicklung der Wissenschaften in England und löste damit auch eine große Veränderungen auf dem Markt für Globen aus. Der kleine Maßstab der Globen bedingt eine nur grobe Darstellung des Kartenbildes. Deshalb waren sie für Navigationszwecke ungeeignet. Jedoch wurden im 17. und 18. Jahrhundert Himmelsgloben als Standardausrüstung auf niederländischen Schiffen mitgeführt. 18. Jahrhundert Im 18. Jahrhundert waren die bekannten Zentren der Globenherstellung: Deutschland: mit den Herstellern (z. B. Johann Philipp Andreae, Johann Christoph Berndt, Johann Elert Bode, Anselm Desing, Johann Gabriel Doppelmayr, Johann Baptist Homann, Daniel Friedrich Sotzmann, Matthäus Seutter, Homann-Verlag von Johann Baptist Homann). Frankreich: mit den Herstellern (z. B. Didier Robert de Vaugondy, Rigobert Bonne, Guillaume Delisle) England: mit dem Hersteller (z. B. John Senex) Niederlande Schweden: mit dem Hersteller (z. B. Anders Åkerman) Die Globenherstellung erweiterte sich. Es wurden mehr Globen hergestellt und an immer mehr Orten. Die Globen wurden erschwinglicher, waren aber nicht mehr so kunstvoll gestaltet, sondern sachlicher und schmuckloser. Die in früheren Jahrhunderten übliche Verzierung des Kartenbildes (Fabelwesen, Schiffe, Motive aus der Seefahrt, Flaggen) verschwand immer mehr. Stattdessen fanden sich immer mehr geografische Angaben auf den Globen, die von neuen Entdeckungen zeugten, es wurden Seerouten auf den Globen eingetragen, Meeresströmungen und Tiefen. 1779 erschien das damals sehr populäre Buch A New and easy Guide to the Use of the Globes von Daniel Fenning. Das alles war auch dem Einfluss der Aufklärung zu verdanken. In unerforschten Gebieten wurden keine geographischen Phantasieeintragungen mehr vorgenommen, sondern diese wurden als weiße Flecken auf der Karte belassen. Da durch die vielen Entdeckungsreisen die geografischen Kenntnisse von der Erdoberfläche immer detaillierter wurden, wurden auch die Erdgloben immer besser. Beispielsweise brachten viele Globenhersteller nach dem Fahrten von James Cook verbesserte Neuauflagen ihrer Globen heraus. Auf den Himmelsgloben tauchten viele neue Sternbilder auf. Um 1780 übertrafen die britischen Globenmacher mit ihrem Können und geografischen Informationen die Globenverlage anderer Länder. Großbritannien war zu jener Zeit ein wichtiges Handelszentrum geworden und wurde auch ein Zentrum der Bildung und der wissenschaftlichen Erkenntnis. Bekannt waren beispielsweise der britische Globenverlag „Newton & Son“ (John Newton; *1759; † 1844), W. & S. Jones (William & Samuel Jones), George Philip & Son, John Cary. Als Qualitätssiegel gab es für die Firmen den Titel „Globe & Math Instrument Makers to the King“. 19. Jahrhundert Im 19. Jahrhundert wurde der Globus zur standardisierten, industriellen Massenware, die in Gewerbebetrieben in Serienproduktion gefertigt wurde. Durch technische Neuerungen wurde die Herstellung der Globen billiger und präziser. Die Reproduktion der einzelnen Streifen für den Globus erfolgte jetzt mittels Lithografie statt mit dem bisher üblichen Kupferstichverfahren, zuerst handkoloriert, durch Farblithografie ab Mitte des 19. Jahrhunderts nochmals wesentlich billiger. Dies begünstigte auch die Verbreitung der Schulgloben, die als Anschauungs- und Demonstrationsobjekte eingesetzt wurden. Ende des 19. Jahrhunderts wurden Maschinen erfunden, die hohle Halbkugeln aus Karton pressten. 20. Jahrhundert Im 20. Jahrhundert ging man auch wegen des großen Bedarfs an Schulgloben von der Serien- zur Massenproduktion der Globen über, die nur noch wesentliche geografische Merkmale zeigten und von Einrichtungsgegenständen zu reinen Lehrmitteln und Demonstrationsobjekten wurden. Es wurden fast nur noch erschwingliche Erdgloben durch Tiefziehen von thermoplastischen Kunststoffen hergestellt. Aufbau und Herstellung Früher bestand der Globus meist aus zwei hohlen Halbkugeln aus Pappmaché. Der Globuskörper wurde dann aus den hohlen Halbkugeln zusammengefügt. Dieses Herstellungsverfahren war vom 16. Jahrhundert bis zu den 1950er Jahren am meisten verbreitet. Bis Ende des 19. Jahrhunderts wurde die Pappmaché-Kugel zusätzlich noch mit einer dünnen Gipsschicht überzogen, die ganz glatt geschliffen wurde. Um den Herstellungspreis zu reduzieren, wurde dann auf den traditionellen Gipsüberzug verzichtet. Im Inneren wurde die Globuskugel durch einen Holzstab verstärkt, durch den auch die Drehachse geführt wurde. Globuskartennetz Der Globus gibt nur die ideale Erdkugel wieder, nicht jedoch die Erdfigur (Geoid) mit der Erdabplattung, da sie mit einem Wert von 1:300 des Äquatordurchmessers auf einem 30-cm-Globus nur 1 mm beträgt. Moderne Globen sind meist mit einem groben Netz aus Längenkreisen und Breitenkreisen in Abständen von 10° versehen, bei kleineren Globen auch in Abständen von 20° oder 30°. Des Weiteren sind meist der Äquator, die Wendekreise und die Polarkreise eingezeichnet. Globusmaßstab und Größe Der Globusmaßstab ist der Maßstab eines Globus. Globen mit einem Durchmesser von 26 cm haben einen Maßstab von 1:50 Millionen. Bei einem Durchmesser von 51 cm beträgt der Maßstab 1:25 Millionen. Der typische Maßstab für einen Erdglobus beträgt 1:40 Millionen. Je nach Größe und Art des Globus bezeichnet man ihn als Taschenglobus, Tischglobus, Standglobus oder Riesenglobus. Ein gebräuchlicher Tischglobus hat etwa einen Durchmesser von 25 bis 30 cm. Der wohl kleinste Globus mit 60 Mikrometer Durchmesser wurde im Februar 2004 von der japanischen Firma NTT DoCoMo vorgestellt. Es wurden im Laufe der Geschichte zahlreiche größere Globen oder Globenpaare (Erd- und Himmelsglobus) für Könige und Fürstenhäuser gebaut. In neuester Zeit dienen große Globen als Werbemittel und Blickfang. Hier folgt eine Auflistung von Riesengloben, sortiert nach Durchmesser: Das Mapparium in Boston ist ein drei Stockwerke hoher Glasglobus, der von einer Zuschauerbrücke aus betrachtet wird. Ein weiterer 1930 hergestellter Riesenglobus steht in der Lobby des Daily News Buildings in New York. Weitere bedeutende oder bekannte Globen St. Galler Globus aus dem 16. Jahrhundert, eine Kombination von Erd- und Himmelsglobus Zwei Globen für Ludwig XIV. von Vincenzo Coronelli (Erde und Himmel), heute in Paris Globus Jagellonicus – um 1510 in Frankreich angefertigt, heute im Museum der Jagiellonen-Universität ausgestellt Sonderformen Es gibt auch freischwebende Globen (Schwebeglobus), welche mit Hilfe eines Mechanismus aus Magneten frei im Raum schwebend gehalten werden. Für den repräsentativen Publikumsbereich wurde mit Luxesse ein Globus mit integriertem Antrieb konzipiert, der optisch frei schwebend in einer Säule aus gegossenem Acrylglas rotiert. Gestell Die alten Globen wurden traditionell auf teure, vierbeinige hölzerne Gestelle montiert. In neuerer Zeit ging man mit der Massenproduktion zur Montage der Globen auf der billigeren Säulenhalterung mit rundem Standfuß (Rundfuß, „Trompetenfuß“) über. Die wissenschaftliche Funktion der Globen ging Ende des 19. Jahrhunderts verloren, weshalb auch die Globengestelle wesentlich reduziert werden konnten. (siehe unten: Der Globus als wissenschaftliches Instrument) Die alten traditionellen Halterungen für die großen Standgloben bestanden aus einem hölzernen horizontalen Ring (Äquatorring), der auf vier Füßen ruhte. Der Globus lag zur Hälfte oberhalb und unterhalb des Äquatorrings. Auf diesem Äquatorring war ein weiterer Ring vertikal angebracht – der Meridianring. Der Meridianring war anfangs ebenfalls aus Holz, bei jüngeren Globen dann meist aus Messing, er ließ sich innerhalb des Äquatorrings drehen. Im Meridianring war der Globus mittels einer Drehachse angebracht. Diese Konstruktion erlaubte es, den Globus in alle Richtungen zu drehen und zu schwenken, so dass er so positioniert werden konnte, dass zwei beliebige Orte auf dem Globus auf dem Äquatorring zu liegen kamen. Der Äquatorring trug meist mehrere Skalen für Winkel, Stunden und Entfernungen. Diese konnten dann nach der gewünschten Positionierung des Globus direkt zwischen zwei Orten auf dem Globus abgelesen werden. Äquatorring und Meridianring werden bei Globen als Armierung bezeichnet. Ebenfalls zur Armierung zählt ein Kompass (meist ein Trockenkompass), der gewöhnlich zwischen den Füßen des Gestelles angebracht ist. Zusätzlich zur Armierung gehört zur Ausrüstung älterer Globen auch manchmal einen biegsamen Blechstreifen aus Messing, der wie ein Lineal auf dem Globus benutzt wird. Damit wird der Abstand zwischen zwei Punkten gemessen, die nicht auf dem Äquator oder auf dem gleichen Meridian liegen. Die Gestelle der alten Globen hatten auch einen nicht zu unterschätzenden dekorativen Aspekt. Die Atlasfigur ist ein beliebtes Motiv, das gelegentlich in Halterungen antiker Globen integriert ist. Atlas ist ein griechischer Riese, der das Himmelsgewölbe auf seinen Schultern trägt. Weit verbreitet ist das Drehgestell, bei dem der Globus mittels einer Achse, die durch seine beiden Pole läuft, befestigt wird. Der Globus ist drehbar auf dieser Achse montiert. Diese auf einem Standsockel befestigte Drehachse ist meist um 23,5° gegenüber der Senkrechten geneigt, um die Bahnebene (Ekliptik) der Erde um die Sonne zu veranschaulichen. So lässt sich auch der Verlauf der Jahreszeiten und der Verlauf eines Tages anschaulicher demonstrieren. Ältere Globen haben jedoch auch manchmal eine genau senkrecht stehende Drehachse. Seltener sind Globen mit einer kardanischen Aufhängung. Rollgloben haben eine lose auf einem Sockel liegende Globuskugel, die in zwei gekreuzten Quadranten ruht. Die Messskala am Quadranten erlaubt die Entfernungsmessung zwischen zwei beliebigen Punkten auf der Erde. Die Messskala ist oft mit mehreren Einheiten skaliert (Nautische Meilen, Stundenskala, Winkelskala). Einige hochwertige moderne Globen haben einen „Datumsrechner“ am Stativ, um die Position der Erde und den Sonnenstand für jeden Tag des Jahres und für jede Tageszeit exakt einstellen zu können. Globen mit einer Dreh-Schwenk-Halterung lassen sich in alle Richtungen drehen. Hierbei durchstößt die interne Drehachse des Globus nicht die beiden Pole, sondern sie wird durch einen seitlichen Schwenkarm gehalten, der den Globus im Äquatorbereich „durchsticht“. Damit der Schwenkarm den Globus am Äquator durchdringen kann, ist der Globus in eine Nord- und Südhalbkugel zerteilt. Dazwischen liegt ein mehrere Millimeter breiter Spalt, durch den der von der Seite kommende Schwenkarm zur internen Globusachse geführt wird. Stehaufgloben haben ein Gestell, das nach dem Prinzip des Stehaufmännchens gestaltet ist. Durch den schweren, abgerundeten Standfuß richtet sich das Gestell mit dem Globus immer wieder auf, nachdem es nach unten gedrückt wurde. Segmenttechnik Bis zur Einführung der Kunststoffgloben war das Handkaschieren von Globen das einzige Herstellungsverfahren. Bei dieser althergebrachten traditionellen handwerklichen Technik der Globenherstellung werden Globussegmente von Hand auf eine Kugel aufkaschiert (mit der Karte belegt) und mit Lack versiegelt. Um Überlappungsfehler zu vermeiden, werden die nicht verzerrungsfreien Segmente möglichst schmal gewählt, die sphärischen Zweiecke (die Globusstreifen; engl. gores ) decken meist 30° Längenunterschied ab. So wird der Globus gewöhnlich mit 12 mit Schnittstanzen ausgeschnittenen Zweiecken beklebt. Dabei wird darauf geachtet, dass die Schnittstellen der sich geringfügig überlappenden Globussegmente nicht auf den eingezeichneten Meridianlinien liegen, sondern dicht daneben. Bei sehr großen Globen werden diese Zweiecke nochmals am Äquator geteilt. An den Polen wird oft noch ein zusätzliches kreisrundes Kartenstück aufgeklebt (Polkappe; engl. polar calottes), um so an dem Punkt, an dem die 12 Segmente zusammenlaufen, eventuelle unsaubere Überlappungen zu verbergen. Die Karten der Globussegmente werden beispielsweise in der querachsigen abstandstreuen Azimutalprojektion gedruckt. Früher wurden auf eine Holzkugel (die sich aber leicht im Laufe der Zeit verzog) in Handarbeit erstellte Kartensegmente aufgebracht und so zu einem Globus zusammengesetzt. Tiefziehtechnik Heute werden Kunststoffgloben als Massenprodukt aus thermoplastischen Kunststoffen hergestellt. Eine Kunststoffplatte wird mit einem verzerrten Kartenbild (Zerrdruck) bedruckt und in einer Pressmaschine durch Hitze in eine Halbkugel geformt, wobei das verzerrte Kartenbild in die unverzerrte Form gebracht wird. Der überstehende Rand der Platte wird weggeschnitten und die separaten Halbschalen für die Nord- und Südhalbkugel werden zur Globuskugel zusammengefügt. Bei einem anderen Herstellungsverfahren wird eine Kunststofffolie mit der verzerrten Karte bedruckt, dann mittels Vakuum tiefgezogen und danach unter Druck mit Acryl hinterspritzt. Auch das Hinterfüttern der dünnen tiefgezogenen Folie mit Hartschaum wird angewendet. Globen werden auch aus Acrylglas und selten aus Glas gefertigt. Obwohl heute die Tiefziehtechnik bei der Globenherstellung das dominierende Verfahren ist, werden jedoch auch weiterhin die teureren handkaschierten Globen hergestellt. Moderne Kartongloben Für die Herstellung moderner Globen aus Karton wird eine Folie, die mit dem Kartenbild der Nordhalbkugel bzw. der Südhalbkugel bedruckt ist, mit einer Schicht Karton verklebt und dann ausgestanzt. Zusammen mit einer zweiten Lage ausgestanzten Kartons gleicher Form und mit einer Klebeschicht dazwischen wird alles zusammen in einer Presse unter zusätzlicher Hitzeeinwirkung zu einer hohlen Halbkugel gepresst. Die Ränder der Halbkugel sind um ca. ein bis zwei Zentimeter länger, als für den späteren Globus erforderlich. Dieser etwas zu lange Rand der Halbkugel wird genau entlang des Äquators abgeschnitten, da sich so die größte Genauigkeit erzielen lässt. Abschließend werden Nordhalbkugel und Südhalbkugel des Globus zusammengesetzt, wobei zur Verstärkung ein zusätzlicher ca. zwei Zentimeter breiter Kartonring im Globus entlang des Äquators eingeklebt ist. Dieser Ring gibt dem Globus noch eine zusätzliche Stabilität. Abschließend wird die schmale Stoßfuge zwischen den Halbkugeln entlang des Äquators mit einem schmalen Klebeband verklebt, das gleichzeitig mit einer Längeneinteilung versehen ist. Bedeutende Hersteller Columbus Verlag Paul Oestergaard in Krauchenwies Ludwig-Julius Heymann Räthgloben 1917 Verlag in Leipzig Simon Schropp & Comp. Ernst Schotte Dietrich Reimer Kartuschen So wie viele historische Karten haben besonders ältere Globen eine mehr oder weniger dekorativ gestaltete Kartusche, aus der der Titel und eventuell der Name des Autors, Verlages, der Maßstab und/oder das Herstellungsjahr hervorgeht. Bei einer Widmungskartusche steht in der oberen oder unteren Hälfte wem dieser Globus gewidmet ist (häufig einem König oder anderen Herrscher). Da dieser zur Zeit der Anfertigung des Globus noch nicht immer feststeht, wird diese Hälfte der Widmungskartusche oft vorerst frei gelassen. Verschiedene Globustypen Es gibt Globen der Sternbilder (Himmelsgloben), des Mondes und anderer Planeten. Bei Erdgloben werden unter anderem physische Globen und thematische Globen unterschieden. Physische Globen sind wie geografische (topografische) Karten gestaltet. Auf einigen ist auch der Meeresboden als geografische Karte dargestellt. Thematische Globen sind hauptsächlich die politischen Globen. Es gibt aber auch thematische Globen über die Geologie der Erde, Geotektonik, Klima, Wirtschaft oder Verkehr. Manuskriptgloben Manuskriptgloben (von Manuskript oder Handschrift) waren handgezeichnete Globen, bei denen auch alle Beschriftungen und Eintragungen von Hand vorgenommen wurden. Es handelte sich nicht etwa um handschriftliche Druckvorlagen, die dann später durch Druck vervielfältigt werden sollten. Diese Manuskriptgloben waren Einzelstücke. Erst viel später folgte die Serienfertigung und dann die Massenproduktion der Globen. Einige Globen wurden auf Stein-, Metall- oder Elfenbeinkugeln gefertigt. Auf solchen massiven Globen ist das Kartenbild manchmal plastisch hervorgehoben. Sie können graviert oder bemalt sein. Meist wurde das Kartenbild jedoch aus Papierstreifen aufgeklebt. Auch massive Holzkugeln oder hohle Halbkugeln aus Holz wurden verwendet. Schulgloben Der Schulglobus wurde als Lehr- und Anschauungsmittel für den Schulunterricht eingesetzt, auch zur Erläuterung und Veranschaulichung geografischer Phänomene (Erdrotation, Sonnenstand, Wendekreis, Polarnacht, Corioliskraft, Zeitzonen, Sonnenuhren, Großkreise und Großkreisnavigation usw.). In Österreich wurden ab 1870 Globen als Lehrmittel an den allgemeinen Schulen eingesetzt. Eine besondere Version ist der stumme Globus, auf dem lediglich das Gradnetz der Erde, die Konturen der Kontinente, die größten Flüsse und alle Landesgrenzen eingezeichnet sind, aber keinerlei Beschriftung (Ländernamen, Städtenamen, geografische Bezeichnungen) oder geografische Information. Auf diese Globen, die ohne eigentlichen Karteninhalt sind, können zu Lehrzwecken verschiedene Sachverhalte, z. B. mit Kreide oder Filzstift, aufgezeichnet werden. Es gibt auch stumme Globen, auf denen lediglich die Umrisse der Kontinente (ohne Ländergrenzen) eingezeichnet sind. Auf anderen didaktischen Globen sind die Kontinente und die Ozeane farblich deutlich voneinander abgehoben, um das Verhältnis zwischen Weltmeeren und Landmassen zu veranschaulichen. Auch gibt es Schulgloben, auf denen lediglich die einzelnen Kontinente in verschiedenen Farben dargestellt sind. Eine weitere Version des stummen Globus ist der Induktionsglobus, der nur das Gradnetz der Kugel zeigt, so dass an ihm physikalisch mathematische Zusammenhänge gut erklärt werden können. Der Induktionsglobus wurde von Joseph August Brandegger in Ellwangen erfunden und diente zur praktischen Einführung in den mathematisch-geografischen Unterricht. Leuchtgloben Die Firma Räthgloben 1917 Verlag verkaufte 1921 die möglicherweise ersten Leuchtgloben, die auf einer Glaskugel gefertigt und von innen mit elektrischen Glühlampen beleuchtet waren. Ab den 1950er Jahren wurden die Leuchtgloben dann als Duo-Globen angeboten, die auf der Innenseite eine weitere Karteninformation hatten, die beim Einschalten der Beleuchtung sichtbar wurde. Je nach Hersteller zeigt der Globus im unbeleuchteten Zustand das politische oder physische Kartenbild und im beleuchteten Zustand das andere Kartenbild. Sie werden je nach Hersteller auch als Doppelbild-Leuchtglobus, Zweibild-Leuchtglobus oder Doppelleucht-Globus bezeichnet Duogloben gibt es auch in einer Ausführung mit Tag- und Nachtdarstellung. Eine weitere Variante des Leuchtglobus ist der Wechselbildglobus, bei dem in einem einzigen Globus Erdglobus und Himmelsglobus vereint sind. Digitale Globen Digitale Globen, auch als virtuelle Globen bezeichnet, modellieren seit Ende des 20. Jahrhunderts die Erde auf einem virtuellen Globenkörper im virtuellen Raum. So wie der traditionelle analoge Globus weist der digitale Globus ein verzerrungsfreies Kartenbild auf (flächen-, winkel- und längentreu). Hingegen können digitale Globen eine wesentlich höhere Auflösung der Kartendarstellung erreichen als konventionelle analoge Globen. Durch die Möglichkeit unterschiedliche Themen darzustellen, die direkte Auswahl durch die Nutzenden und die Funktion den Globus zu skalieren und damit die Option Themen genauer zu betrachten, ist der digitale dem analogen Globus in Sachen Interaktivität einige Schritte voraus. Zudem können sie einfacher aktualisiert werden, da der analoge Herstellungsprozess hinfällig ist. Beispiele für virtuelle Globen sind der World Wind Globus der NASA, Google Earth, Marble oder der 3D-Globus von National Geographic. Hypergloben Bei einem Hyperglobus handelt es sich um einen Globus bei welchem auf einen materiellen Globenkörper im Raum (sphärisches Display), das digitale Abbild der Erde projiziert wird. Dabei kann eine Vielzahl von Informationen visualisiert werden, unter anderem Karten, Videos, Bilder, Texte und Animationen. Eine weitere Informationsebene ist die Erweiterung der Inhalte durch eine Audiospur. Die Daten werden mit Hilfe von Projektoren auf das sphärische Display übertragen, dabei handelt es sich um ein Display in Form einer Kugel. Taktile Hypergloben unterscheiden sich in erster Linie durch die Beschaffenheit des Globenkörpers und die verwendete Projektionsart. Es lassen sich 3 Projektionsarten unterteilen: Außenprojektion: Bei der Außenprojektion wird die Globuskugel von mindestens vier, besser 6, Projektoren von außen bestrahlt. Innenprojektion: Das Globenbild wird von innen auf die Kugel projiziert. Fischaugenbasierte Innenprojektion – Projektion durch ein spezielles Fischaugenobjektiv mit Hilfe eines einzelnes Beamers. Spiegelbasierte Innenprojektion – Projektion mit einem oder zwei Beamern und einem konvexen Spiegel im Innern der Kugel. Direkte Projektion: Mit Hilfe von LEDs oder OLEDs wird die Globuskugel gleichzeitig Projektor, wie auch Projektionsfläche. Für Hypergloben existiert eine Vielzahl an Inhalten, diese erstrecken sich von statischen, über animierten, bis hin zu Echtzeit- und Prognosedarstellungen. Das Einsatzgebiet von Hypergloben liegt vor allem in der Informationsvermittlung, Medienkunst und Didaktik, sie sind in Museen, Forschungseinrichtungen, Schulen, Firmen und weiteren Einrichtungen zu finden. Der erste Hyperglobus in einem europäischen Museum ist seit April 2007 im Swiss Science Center Technorama in Winterthur einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Mit Hilfe des 1,5 m großen Globus werden den Besuchern Themen wie Stürme, Meeresströmungen, der Wechsel der Jahreszeiten, die Wanderung des magnetischen Pols oder der weltweite Luftverkehr nähergebracht. Paläogloben Es gibt sogenannte Paläo-Globen, bei denen unter Berücksichtigung der Theorie der Erdexpansion, die besagt, dass die Erde vor ein paar hundert Millionen Jahren nur halb so groß wie heute war, die Erde entsprechend dargestellt wird. Alfred Wegener folgerte aus der genauen Passung der Küstenlinien von Südamerika und Afrika, dass sie einst zusammen einen größeren Kontinent gebildet haben müssen. Er rekonstruierte einen Superkontinent namens Pangäa, der alle bekannten Erdteile umfasste und aus dem Weltmeer herausragte. Paläo-Globen und Computeranimationen zeigen, dass mit den heutigen Kontinenten eine viel kleinere Erdkugel fast vollständig geschlossen werden kann. Die ersten Paläo-Globen stammen von Christoph Hilgenberg. Weitere Globusarten Reliefgloben zeigen ein stark überhöhtes Relief der großen Gebirge. Bei einer maßstabgerechten Abbildung des Gebirgsreliefs würde auf einem Globus mit 60 cm Durchmesser der Mount Everest beispielsweise nur eine Höhe von 0,5 mm haben. Da bei Reliefgloben die Beschriftung auf einer unebenen Fläche erfolgt, ist sie stellenweise schlechter lesbar. Meist zeigen Reliefgloben auch das Meeresrelief. Die Überhöhung kann auch für unterschiedliche Höhenbereiche unterschiedlich gewählt werden. Beispielsweise bis 1000 m NN eine 60-fache Überhöhung und darüber lediglich eine 40-fache Überhöhung, sowie eine 40fache Überhöhung beim Relief der Ozeane. Eine billigere Alternative zu Reliefgloben sind Globen mit glatter Oberfläche, bei denen die Gebirge lediglich mit Reliefschummerung dargestellt sind. Für Sehbehinderte werden auch taktile Globen hergestellt. Oft sind auf Globen auch die Meeresströmungen dargestellt, unterschieden nach kalten und warmen Meeresströmungen. Auch gibt es Globen bei denen, besonders am Meeresboden, zusätzlich noch die tektonischen Plattengrenzen eingezeichnet sind. Taschengloben (auch: Miniaturgloben oder Minigloben; ) haben einen Durchmesser von 5 bis 12 cm. Sie werden meist in einer Dose, Schachtel oder Kästchen geschützt transportiert und aufbewahrt. Taschengloben können auch aus edlen Hölzern, beispielsweise aus Mahagoni- oder Walnussholz, oder aus Elfenbein hergestellt sein. Der Sackglobus ist eine Sonderform des Taschenglobus. Es handelt sich um einen aufklappbaren Taschenglobus, in dessen Inneren beispielsweise noch eine kleine, herausnehmbare Armillarsphäre verstaut ist. Als Kosmoglobus bezeichnete Caspar Garthe 1827 einen aus zwei Glashalbkugeln hergestellten Himmelsglobus, in dessen Innerem er eine hölzerne Erdkugel anbrachte. Ein solcher Globus entstand Mitte des 16. Jahrhunderts in der Werkstatt des Gerhard Mercator als Auftragsarbeit für Kaiser Karl V. Der äußere Himmelsglobus des Mercator-Doppelglobus war aus Kristall geformt. Weitere Globenarten sind Themengloben (beispielsweise Verkehrsgloben – mit eingezeichneten Strömen des weltweiten Schiffsverkehrs), Kindergloben (mit eingezeichneten typischen Tieren der Region), Globen aus Edelsteinen oder Perlmutt, Designergloben, Mondgloben und der Anfang der 1990er Jahre erschienene „Globus von Mecklenburg“ der Firma Räth-Globen (siehe auch Rudolf Tarnow), eine ironische Anspielung auf veraltete Verhältnisse in Mecklenburg. Aufblasbare Globen sind besonders für sehr große Modelle der Erdkugel geeignet. Sie sind trotz ihrer enormen Größe noch leicht zu transportieren und passen im kollabierten Zustand noch durch normale Türen. Bei entsprechender Gasfüllung können sie auch als Fesselballon fliegen. Aufblasbare Globen sind manchmal auch so ausgeführt, dass die Wasserflächen transparent sind. Klimagloben zeigen neben den Kontinenten auch ein starkes Wolkenbild auf der Erdkugel, ähnlich wie bei Satellitenaufnahmen. Daneben gibt es auch Satellitenbildgloben, bei denen das Kartenbild aus Satellitenaufnahmen besteht, jedoch ohne Darstellung von Wolken. Ein „Cutaway-Globus“ zeigt den inneren Aufbau von Erdmantel, -kruste und -kern. Er lässt sich teilweise öffnen, um in das Erdinnere zu „sehen“. Ein Verkehrsglobus zeigt die Warenströme und Reisrouten von Luft- und Schifffahrtswegen. Gut ausgestattete neuere Globen haben Zusatzfunktionen, wie: Anzeige des Subsolaren Punktes Tag- und Nachtdarstellung Darstellung der drei Dämmerungszonen: bürgerlich, nautisch, astronomisch Äquatorring Dekorative Globen können zur Verzierung und als symbolisches Element an Gebäuden angebracht sein, als Schmuck in Repräsentationsräumen, in Bibliotheken oder Arbeitszimmern von Gelehrten stehen. Auch in Kombination mit Uhren oder Buchstützen werden gelegentlich Globen als dekoratives Element verwendet. Auch werden Antike Globen (Faksimile, Antikgloben-Replikate), Globen im antiken Stil oder Globen in Antikdesign in vereinfachter, billigerer Ausführung neu herausgegeben. Echte alte Globen werden über den Kunsthandel vertrieben. Kartendarstellungen des Globus sind: Planiglobus (Mehrzahl: Planigloben) – das ist die Abbildung einer Halbkugel der Erde in einem Kreisnetz. Planisphäre – sie bildet die gesamte Oberfläche der Erdkugel in einer geschlossenen Form ab. Sphärische Karten Als Alternative zu Globen gibt es sphärisch gekrümmte Karten (Globussegment). Diese sphärischen Karten, die gewissermaßen ein Mittelding zwischen Globus und normalen (ebenen) Karten darstellen, fanden jedoch keine weite Verbreitung. Digitale Globen haben heutzutage solche sphärischen Karten überflüssig gemacht. Dabei dient eine konvexe (sphärisch gekrümmte) Oberfläche (Kugelkalotte) als Kartenträger. Faktisch unterscheiden sich diese Karten nicht von einem sehr großen Globus, der in einzelne handliche Stücke zerschnitten wurde. Genauso wie auf einem Globus ist die Darstellung auf einer sphärischen Karte flächen-, winkel- und längengetreu. Sphärische Karten können rechteckig oder kreisrund ausgeschnitten sein. Einerseits wird so das Problem der Projektionsverzerrung planarer Karten umgangen und andererseits kann man die sphärisch gekrümmten Kartenblätter (meist aus Kunststoff) noch irgendwie praktisch lagern und transportieren und es ist billiger als ein Globus. So werden keine großen sperrigen Globen benötigt, um Karten im größeren Maßstab verzerrungsfrei darzustellen. Die Maße von großen Globen werden schon dadurch für den Transport problematisch, dass sie durch keine normale Tür (ca. 1 m breit) mehr passen, notfalls werden große Globen zum Transport in zwei Halbkugeln zerlegt. Beispielsweise wurden im Science Museum of Minnesota in Saint Paul (Minnesota) 1941 zu didaktischen Zwecken sphärische Karten angefertigt, im Rahmen einer Ausstellung mit der Fragestellung: „Kann Amerika bombardiert werden?“. Es wurden mehrere sphärische Karten zu einem „Atlas of spherical maps“ zusammengestellt, der 56 × 66 cm (22 × 25 inch) maß. Der Maßstab entsprach einem Globus von 3 m Durchmesser. An diesen sphärischen Karten konnte das Besucherpublikum Messungen der Reichweite von Bombern durchführen. Die US-Army erprobte die Herstellung sphärischer Karten im Maßstab 1:1 Mill. („design and production of spherical map sections displaying a portion of the globe at a scale of 1:1,000,000“). Der Globus als wissenschaftliches Instrument Erd- und Himmelsgloben dienten in früheren Jahrhunderten auch als wissenschaftliches Instrument zur Darstellung des geografischen und astronomischen Weltbildes und als Kommunikationsinstrument zum Austausch von Informationen. Er war ein Arbeitsinstrument für Astronomen und Navigatoren. Gerhard Mercator beschrieb beispielsweise 1554 in einem Brief an Kaiser Karl V. wie die Ortsmissweisung mit Hilfe eines Globus zu bestimmen sei („Invenire magnetis declinationem quodlibet loco per globum“ / „Wie man die Magnetische Abweichung an einem beliebigen Ort mit Hilfe des Globus findet“). Wenn der Globus über eine komplette Armierung als zusätzliche Messeinrichtung verfügte, also mit Horizontring, Meridianring, Mittagsring, Stundenring (er war am Nordpol des Globus angebracht und hatte meist einen separaten Stundenzeiger; seltener war der Stundenring am Äquator angebracht), Höhenquadrant und Kompass ausgerüstet war, dann konnte er als „Analogrechner“ für wissenschaftliche Berechnungen für geografische und astronomische Fragestellungen der sphärischen Geometrie herangezogen werden, beispielsweise zur Berechnung der Großkreisdistanz (siehe auch: Mathematische Kartographie und Mathematische Geographie). Diese geometrischen Lösungen waren mit wesentlich weniger Zeitaufwand zu finden als die etwas exakteren mathematischen Lösungen. Am Erdglobus konnte schnell eine Orthodrome gemessen werden, ohne dass sie aufwendig berechnet werden musste. Insbesondere die Lösungen für zahlreiche astronomische Fragestellungen konnten bei ausreichend präziser Skalierung der Armierung mit ausreichender Genauigkeit, ohne zusätzliche Berechnung, direkt abgelesen werden. Besonders nützlich für die Berechnungen war, wenn ein Himmelsglobus und ein Erdglobus mit demselben Durchmesser vorhanden war, weswegen sie in früheren Jahrhunderten oft als Globenpaar gefertigt wurden. Der Himmelsglobus musste vorher mittels des eingebauten Kompasses orientiert werden, damit seine Ausrichtung exakt mit seinem Aufstellungsort übereinstimmt. Der Höhenquadrant war ein beweglicher Quadrant, ein dünner Metallstreifen, der sich am Meridian anschrauben ließ und in jede beliebige Richtung über die Globuskugel biegen ließ. Er umfasste 90° der Globuskugel. Ikonografische Bedeutung des Globus In ihrer ikonografischen Bedeutung gelten Erd- und Himmelgloben als Zeichen des Sieges, der territorialen oder internationalen Macht und des Patriotismus, als Symbol des Wissens, der Bildung und der Gelehrsamkeit, der Weltkenntnis, der Universalität, universellen Hoffnungen und Bestrebungen. Besonders im religiösen Bereich versinnbildlichen Erdgloben das Irdische und Vergängliche, während Himmelsgloben das Universale und Immerwährende verkörpern. Die Kugel am Reichsapfel stellt eine Weltkugel mit aufgesetztem Kreuz dar und geht historisch auf den Globus der Römer zurück, der die Weltherrschaft des Römischen Reichs symbolisierte. Die moderne symbolische Benutzung von Erdgloben beschränkt sich heute weitgehend auf Firmenlogos (internationale Unternehmen, Transportunternehmen, Dolmetscherdienste, Reisebüros usw.), Logos von internationalen Organisationen, Eröffnungssequenzen (Intro) von Nachrichtensendungen, Militäremblemen verschiedener Einheiten und Icons. Dabei handelt es sich streng genommen jedoch meist nicht um die Darstellung eines Globus im herkömmlichen Sinn, sondern eher um die symbolische Darstellung der Erdkugel. Auch in einigen Staatswappen (Sowjetunion, Brasilien) wie auch als Kühlerfigur am Ford Taunus 12M ist die Darstellung der Erdkugel zu finden. Sammlungen, Museen und Organisationen Wegen ihres historischen, kulturellen, ästhetischen, materiellen und wissenschaftlichen Wertes wurden und werden Globen von Liebhabern gesammelt. Historische Globen zeugen von vergangenem Weltverständnis und spiegeln den Stand des kartographischen Wissens ihrer Zeit wider und sind somit Geschichtsdokumente. Sie sind geografische Zeitzeugen vergangener Jahrhunderte, sie vermitteln das geografische Weltbild ihres jeweiligen Zeitalters. Auf den Erdgloben lässt sich die Geschichte der geografischen Entdeckungen nachvollziehen. Globensammlungen finden sich in Museen, Bibliotheken (Kartenabteilungen), Archiven, aber auch bei Privatsammlern. Ihnen geht es beim Sammeln von Globen vor allem um die Entwicklung der Kartografie. In der österreichischen Nationalbibliothek in Wien gibt es seit dem 14. April 1956 ein Globenmuseum. Seit Dezember 2005 wird ein Teil der Sammlung im Palais Mollard ausgestellt. Die Sammlung besteht aus insgesamt über 700 Globen und globenverwandten Objekten. Damit ist die Sammlung die größte der Welt. Zusätzlich werden auch Objekte von insgesamt vier Privatsammlern präsentiert, die einen Teil ihrer Sammlung dem Globenmuseum zur Verfügung stellen. Unter den Objekten befindet sich auch ein Globus von Gemma Frisius, der auch der älteste in Österreich befindliche Globus ist. Das National Maritime Museum in Greenwich, London, beherbergt unter anderem auch eine Globensammlung mit 240 Globen und 160 Globensegmenten. Der älteste Globus stammt aus dem Jahre 1537. Der kleinste Globus hat einen Durchmesser von 7 cm (Taschenglobus), der größte Globus einen Durchmesser von 1 m (Bibliotheksglobus von Coronelli). Zu sehen sind auch islamische Himmelgloben, einige Manuskriptgloben und sehr viele Globen der Globusmacher Gemma Frisius, Jodocus Hondius und Gerhard Mercator. Die Royal Geographical Society in London hat eine Sammlung alter Karten und Globen (map and globe collection). Die Sterling Memorial Library Map Collection der Yale University beherbergt 30 Globen in der Lanman Globe Collection. Die Globensammlung der Kartenabteilung der Staatsbibliothek zu Berlin umfasst Globen aus dem deutschsprachigen Raum des Zeitraums von 1801 bis 1912. Schon ab 1661 befanden sich vier Globen im Bibliothekssaal der „Kurfürstlichen Bibliothek“ (später Alte Bibliothek). Die Globensammlung des Mathematisch-Physikalischen Salons in Dresden umfasst 61 Globen aus 6 Jahrhunderten. In der Schatzkammer der Stadtbibliothek Trier sind unter anderem Coronelli-Globen ausgestellt. Die Globensammlung der Sternwarte Kremsmünster in Oberösterreich umfasst 49 Globen. 1952 wurde in Wien die Internationale Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde gegründet, die nach Vincenzo Coronelli, dem berühmtesten Globenbauer, benannt ist. Sie widmet sich der Globenkunde, der historischen Erforschung der Globen. Die Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde gibt die Zeitschrift „Der Globusfreund: Wissenschaftliche Zeitschrift für Globographie und Instrumentenkunde“ heraus, die sich mit der Globen- und Instrumentenkunde beschäftigt. Literatur Peter E. Allmayer-Beck: Modelle der Welt: Erd- und Himmelsgloben. Kulturerbe aus österreichischen Sammlungen. ISBN 3-85447-733-3 Elly Decker, Peter van der Krogt: Globes from the Western world. Zwemmer, London, 1993. ISBN 0-302-00618-4 Wolfram Dolz, Esther Wipfler: Globus. In: RDK Labor (2015). Alois Fauser: Kulturgeschichte des Globus, Schuler Verlagsgesellschaft 1967, Auflage: Vollmer Verlag, München 1973 Daniel Fenning: A new and easy guide to the use of the globes, printed for S. Crowder (London), 1779 Thomas Horst: Die Globen der Sammlung Woldan: Erdkugeldarstellungen als Quelle für die Geschichtswissenschaft. In: Gerhard Holzer, Thomas Horst, Petra Svatek (Hrsg.): Die Leidenschaft des Sammelns. Streifzüge durch die Sammlung Woldan. Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse, 2 Bände, Wien 2010, ISBN 978-3-7001-6894-2, S. 233–315. Thomas Horst: Traces of Voyages of Discovery on early 16th-Century Globes. In: Globe Studies 55/56 (2009, for 2007/2008), S. 23–38 . Felix Lühning: Gottorf im Glanz des Barock IV, Der Gottorfer Globus…, Schleswig-Holsteinisches Landesmuseum, Schloss Gottorf, 1997 Jan Mokre (Autor), Peter Allmayer Beck (Hrsg.): Rund um den Globus: Über Erd- und Himmelgloben und ihre Darstellungen. Verlag Bibliophile Edition, 2008, ISBN 978-3-9502052-3-7 Oswald Muris, Gert Saarmann: Der Globus im Wandel der Zeiten. Berlin 1961, Columbus Verlag National Maritime Museum: An inventory of the navigation and astronomy collections in the National Maritime Museum. 1970 Greenwich Andreas Riedl: Virtuelle Globen in der Geovisualisierung, = Wiener Schriften zur Geographie und Kartographie, Band 13, Wien, 2000, ISBN 3-900830-41-X Ernst Schlee: Der Gottorfer Globus Herzog Friedrichs III. Boyens & Co. 1991, ISBN 3-8042-0524-0 Jürgen Schweikart, Jonas Pieper, Bennet Schulte: Virtuelle Globen: Entwicklungsgeschichte und Perspektiven, Kartographische Nachrichten 03/2009, 59. Jahrgang, Kirschbaum Verlag, Bonn, Peter van der Krogt: Globi Neerlandici. The production of globes in the Low Countries. HES Publishers, Utrecht, 1993, ISBN 978-90-6194-138-5 Weblinks Globenmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek coronelli.org – Internationale Coronelli-Gesellschaft für Globenkunde Virtuelle Globen – Entwicklungsgeschichte und Perspektiven (Screenshots virtueller Globen). Bildergalerie von Globen in der David Rumsey Map Collection Martin Waldseemueller Globus 1507 mit Amerika Eine kleine Kulturgeschichte der Globen bei Monumente Online Einzelnachweise Kartentyp Geographiedidaktik
Q133792
192.773588
1493772
https://de.wikipedia.org/wiki/Westkasachstan
Westkasachstan
Das Gebiet Westkasachstan (kasachisch / Batys Qasaqstan oblyssy; / Sapadno-Kasachstanskaja oblast) ist eine der 14 Provinzen der Republik Kasachstan und liegt im äußersten Nordwesten des Landes. Akim (Gouverneur) ist Ghali Jesqalijew. Das Gebiet wurde am 10. März 1932 gebildet. Geografie Geografische Lage Westkasachstan hat eine Fläche von 151.300 km² und etwa 657.000 Einwohner (2020). Hauptstadt ist Oral (russisch Uralsk) im Norden. Es grenzt im Osten an das Gebiet Aqtöbe und im Süden an das Gebiet Atyrau sowie im Norden und Westen an Russland. Der wichtigste das Gebiet durchquerende Fluss ist der Ural. Der westliche und größere Teil des Gebietes liegt somit in Europa. Das Gebiet Westkasachstan ist hauptsächlich von Halbwüsten und Wüsten im Westen sowie Steppen im Osten bedeckt. Ein schmaler Gebietsstreifen entlang der russischen Grenze wird für den Weizenanbau genutzt. Nachbarstaaten und Gebiete Bevölkerung Bevölkerungsgruppen Einwohnerentwicklung ¹ Volkszählungsergebnis Politik und Verwaltung Verwaltungsgliederung Das Gebiet ist in 13 Bezirke (; ) unterteilt. Das Verwaltungszentrum Oral stellt dabei einen eigenen städtischen Bezirk dar. Neben Oral gibt es mit Aqsai noch einen weiteren Ort mit dem Status einer Stadt in Westkasachstan. Äkim (Gouverneur) Liste der Gouverneure (, Äkim) des Gebietes Westkasachstan seit 1992: Weblinks Offizielle Webseite des Akimats des Gebietes Westkasachstan (kasachisch, russisch, englisch) Einzelnachweise Gebiet (Kasachstan)
Q486007
124.24685
148324
https://de.wikipedia.org/wiki/Oviedo
Oviedo
Oviedo (asturisch Uviéu oder Uvieo; seit 2019 offiziell Oviedo/Uviéu) ist die Hauptstadt der Autonomen Gemeinschaft Fürstentum Asturien im Norden Spaniens. Im 9. und 10. Jahrhundert war die Stadt die Residenz des damals unabhängigen Königreiches Asturien. Die Bewohner der Stadt werden „Ovetenser“ genannt. Geographie Lage Oviedo liegt auf einer Höhe von 231 m ü. M. im Zentrum Asturiens. Südlich der Stadt fließt der Rio Nalón. Die höchste Erhebung ist mit 708 m der El Picayu. Nach dem nördlich gelegenen Gijón am Golf von Biskaya sind es etwa 28 Kilometer, Madrid liegt 465 Kilometer entfernt. Die Gemeinde Oviedo grenzt an die folgenden Nachbargemeinden: Parroquias Oviedo unterteilt sich in 30 Parroquias: Stand 1. Januar 2011 Quelle: Klima Quelle: Agencia Estatal de Meteorología – AEMET Wappen Das Siegeskreuz mit den Engeln ist das Wappen des Erzbischofs von Oviedo. Das Kreuz auf blauem Grund wird umrahmt von den Ehrentiteln: MUY NOBILE, MUY LEAL, BENEMERITA, INVICTA, HEROICA, BUENA (Sehr edel, sehr treu, verdienstvoll, unbesiegt, heldenhaft, gut) Das Siegeskreuz steht zusammen mit den Ehrentiteln für die Monarchie Asturiens. Geschichte Oviedo entstand auf einem Hügel, den die Römer Ovetao nannten. Unweit der alten Römersiedlung Lucus Asturum gründeten 761 der Mönch Máximo und sein Neffe Fromestano an der römischen Straße, die León über den Pajares-Pass mit Lugo de Llanera verband, ein Kloster und errichteten eine Einsiedelei (ermita) zu Ehren des Märtyrers San Vicente. Später stießen zwei Dutzend Mönche aus dem muslimischen Süden zu den Gründern und wählten laut Urkunde vom 25. Dezember 781 Fromestano zu ihrem ersten Abt. Sie erhielten den Schutz Fruelas I., der den Ort zur Residenz für seine Frau Munia wählte, die hier ihren Sohn und späteren König Alfons II. gebar. Alfons II. war es auch, der die Hauptstadt im Jahre 812 hierher verlegte und Oviedo zum Bischofssitz machte. Im Jahr 912 verlor Oviedo jedoch die Hauptstadtfunktion im Zuge der Rückeroberung (reconquista) an León. Alfons II. befestigte Oviedo und stattete es mit Palästen, Kirchen und anderen Infrastrukturelementen aus. Beispiel für Letzteres ist ein Aquädukt, von dem heute noch drei Bögen zu besichtigen sind. Während seiner Regierungszeit wurde 812 in Santiago de Compostela ein Grab entdeckt, das man Jakobus dem Älteren zuschrieb. Der König zog von Oviedo nach Santiago und soll damit der erste Jakobspilger gewesen sein. Er soll gleichzeitig den ersten Jakobsweg, den Camino Primitivo eröffnet haben. Der Jakobsweg, wenn auch ein „Nebenweg“, sorgte für eine wirtschaftliche Belebung der Stadt während des gesamten Mittelalters. Zweimal in seiner Geschichte wurde Oviedo schwer zerstört: im Jahr 1521 durch eine Brandkatastrophe sowie 1934 bei Bergarbeiteraufständen und während des Spanischen Bürgerkrieges. Ein (wenig schmeichelhaftes) literarisches Denkmal setzte Leopoldo Alas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Oviedo war Vorbild für das Städtchen Vetusta in dem Roman La Regenta. Bevölkerung Bevölkerungsentwicklung Quelle: Grafische Aufarbeitung für Wikipedia Religion Oviedo ist Bischofssitz des Erzbistums Oviedo. Politik Gemeinderat Städtepartnerschaften Oviedo unterhält mit folgenden Städten Städtepartnerschaften: Kultur Kulinarische Spezialitäten Sidra – Apfelwein Käse aus Cabrales (Cabrales), Vidiago oder Gamonedo Carne gobernada – geschmortes Fleisch Pixin – Seeteufel Frixuelos – eine Art Crêpe Fabada – asturianisches Bohnengericht Arroz con Leche – Milchreis Tarta de Almendras – Mandeltorte Veranstaltungen San Mateo Fest Höhepunkt des kulturellen Lebens ist alljährlich im September das „San Mateo Fest“, ein Spektakel aus Opern, Rock, Pop, Sport- und Stierkampf sowie einer großen Parade durch die Altstadt. Prinzessin-von-Asturien-Preis Einmal im Jahr erlangt die Stadt internationale Beachtung durch die Verleihung der Prinzessin-von-Asturien-Preise (Premios del Príncipe de Asturias) durch die spanische Kronprinzessin. Bauwerke Altstadt Der gesamte Altstadtkern Oviedos ist Fußgängerzone, die wichtige Sehenswürdigkeiten wie die Universität, die Kathedrale San Salvador, den Palast des Markgrafen von San Félix und den Camposagrado-Palast, aber auch zahlreiche Statuen (u. a. von Woody Allen und Mafalda) an historischen Standorten oder die unzähligen „sidrerías“ (Apfelweinschenken) einschließt. Das Gebäude der Universität ist das letzte des Altstadtkerns, bevor man in die neueren Stadtteile gelangt. Die Fassade im Platereskenstil aus dem 16. Jahrhundert führt zu einem Kreuzgang, der das ganze Jahr über Schauplatz zahlreicher kultureller Aktivitäten ist. Sehenswert sind überdies die nahe gelegenen Fassaden der Paläste Toreno und Camposagrado. Kathedrale – spätgotischer Bau aus dem 15./16. Jahrhundert mit einem Turm, Säulengang am Eingang und großem Rosettenfenster, „UNESCO-Weltkulturerbe“ Cámara Santa (Heilige Kammer) in der Kathedrale (eigentlich Kapelle San Miguel) – beherbergt eine der wichtigsten spanischen Reliquiensammlungen. Gezeigt werden die Heilige Truhe, das Engelskreuz sowie das Siegeskreuz. Diese Reliquien waren früher für viele Pilger Grund für einen langen Umweg auf ihrer Pilgerschaft nach Santiago de Compostela. Als Symbole fanden sie teilweise Eingang in das Wappen von Oviedo und das des Fürstentums Asturien. Balesquida-Kapelle gegenüber der Kathedrale Kirche San Tirso Museum für Schöne Künste im einstigen Velarde-Palast Museum für Archäologie im Kloster San Vicente mit Beispielen für die gesamte asturische Kunstgeschichte ab der Bronzezeit Präromanische Architektur Der innovative präromanische Stil Asturiens aus dem 9. Jahrhundert ist ein Exklusiverbe dieser Region mit Fokus auf Oviedo. Einige der bedeutendsten Bauten, wie die Kirchen San Julián de los Prados (wohl unter Alfons II. um 800–830 erbaut), Santa María del Naranco (unter Ramiro I. als aula regia einer Palastanlage um 850 erbaut), San Miguel de Lillo (Überrest einer Palastkapelle von Ramiro I.), wurden zusammen mit Santa Cristina de Lena, der Cámara Santa (Heilige Kammer) und La Foncalada (einem mittelalterlichen Brunnen) von der UNESCO zum Weltkulturerbe erhoben. Bauten des 19. Jahrhunderts Die Gewinne aus Bergbau und industrieller Entwicklung in Asturien ermöglichten im 19. Jahrhundert eine bauliche Entwicklung, die man rund um die Plaza de la Escandalera und den Park Campo de San Francisco besichtigen kann. Hiervon erwähnenswert sind der Palacio Regional, Sitz der Generalversammlung des Fürstentums, das Gebäude der asturianischen Sparkasse Caja de Asturias sowie das Bankgebäude der einstigen Banco Herrero, die sich an den damaligen französischen Stil anlehnen. Ganz in der Nähe befinden sich überdies das Teatro Campoamor, wo alljährlich die Auszeichnungen Príncipe de Asturias verliehen werden, sowie das Zentrum für moderne Kunst. Eine kleine Seitenstraße, die Calle Gil de Jaz, führt zum einstigen Provinzialhospiz (18. Jahrhundert), das heute das luxuriöse Hotel Reconquista beherbergt. Plätze, Parks und Denkmale Oviedo verfügt über mehrere sehenswerte Plätze (Auswahl): Plaza de la Catedral Plaza de Alfonso II el Casto mit den Palästen Valdecarzana und Rúa Plaza de Trascorrales in Cimadevilla, dem ältesten Viertel der Altstadt, mit der einstigen Warenbörse Plaza de la Constitución mit dem Rathaus und der Kirche San Isidoro, beide aus dem 18. Jahrhundert Plaza de Fontán mit Säulengängen, der einstige Eisen- und Glasmarkt trägt Plaza de Daoíz y Velarde mit farbenfrohen Häuser dieses Platzes und Bogengängen versehen. Oviedo verfügt über einige Grünanlagen und Parks. Der größte ist der Parque de Invierno. Des Weiteren befindet sich in Oviedo eine Statue von Woody Allen, der die Stadt in seinen Film „Vicky Cristina Barcelona“ mit einbaute. Wirtschaft und Infrastruktur Wirtschaft Vom Ende des 18. Jahrhunderts an begann in Oviedo mit einer Waffenfabrik eine intensive industrielle Entwicklung. Oviedo liegt inmitten eines der größten spanischen Bergbaugebiete Cuenca Central Asturiana, das 1880–1916 über die 7 km lange Bergwerksbahn Oviedo–Villapérez erschlossen wurde; weitere wichtige Standbeine waren Stahl- und Chemieindustrie. Sie ist über die Asturien-Bahn einerseits mit der Hafenstadt Gijón und andererseits mit León verbunden. Inzwischen hat jedoch ein Strukturwandel in Richtung Verwaltung und Banken begonnen. Bildung und Wissenschaft 30.000 Studenten besuchen heute die 1608 gegründete Universität Oviedo; durch sie ist die Stadt auch das wissenschaftliche und kulturelle Zentrum Asturiens. In Oviedo befindet sich das „Institut für Asturische Studien“. Am 4. April 1997 wurde in Oviedo die Biomedizinkonvention des Europarats unterzeichnet, die auch „Oviedo-Konvention“ genannt wird. Verkehr Die Stadt Oviedo ist per Flugzeug über den Flughafen Oviedo erreichbar. Oviedo verfügt außerdem über eine Bahnhof der Breitspur der RENFE von León nach Gijón und der Schmalspur der FEVE von Santander nach Ferrol. Sport Die Männer des Club Balonmano Ciudad Naranco spielten Handball in der höchsten spanischen Liga, die Frauen von Club Deportivo Básico Oviedo Balonmano Femenino ebenfalls. Söhne und Töchter der Stadt Alfons II (zwischen 761 und 768 – 842), König von Asturien Juan López de Zárate (1490–1555), erster Bischof von Antequera José Tomás Boves (1782–1814), venezolanischer Caudillo Carmen Polo y Martínez-Valdés (1900–1988), Ehefrau von Francisco Franco Rafael Rodríguez Urrusti (1922–2000), Künstler Carmen Franco y Polo (1926–2017), Tochter von Francisco Franco und Carmen Polo y Martínez-Valdés Quini (1949–2018), Fußballspieler Emilio Campos (1954–2022), venezolanischer Fußballspieler Letizia Ortiz Rocasolano (* 1972), Königin von Spanien Ricardo Rodríguez (* 1974), Fußballtrainer César Martín (* 1977), Fußballspieler Samuel Sánchez (* 1978), Radrennfahrer Jonás Fernández (* 1979), Politiker Melendi (* 1979), asturianischer Sänger Fernando Alonso (* 1981), Formel-1-Weltmeister der Jahre 2005 und 2006 Luis García Fernández (* 1981), Fußballspieler Javier Paredes (* 1982), Fußballspieler Montserrat Tomé (* 1982), Fußballspielerin und -trainerin Adrián Colunga (* 1984), Fußballspieler Ernesto Amantegui Phumipha (* 1990), Fußballspieler Jorge Meré (* 1997), Fußballspieler Manu García (* 1998), Fußballspieler Weblinks Offizielle Website von Oviedo (spanisch) Informationen zu Oviedo auf der Website der Partnerstadt Bochum Einzelnachweise Bevölkerungszahlen siehe Postleitzahlen siehe Koordinaten und Höhenangaben siehe Google Earth Thomas Schröder: Nordspanien. Erlangen 2005, S. 388ff. Hauptstadt in Spanien Ort in Asturien Ort am Jakobsweg (Camino de la Costa) Provinzhauptstadt in Spanien Ehemalige Hauptstadt (Spanien) Königreich Asturien Hochschul- oder Universitätsstadt in Spanien Stadt in Spanien
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https://de.wikipedia.org/wiki/Semiotik
Semiotik
Semiotik (auch Semeiotik; von ‚Zeichen‘, ‚Signal‘), manchmal auch Zeichentheorie, ist die Wissenschaft, die sich mit Zeichensystemen aller Art befasst (z. B. Bilderschrift, Gestik, Formeln, Sprache, Verkehrszeichen). Sie findet unter anderem in verschiedenen Geistes-, Kultur-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften Anwendung. Geschichte Zwar wird über den Gegenstandsbereich der Semiotik seit der Antike debattiert, eine eigenständige Disziplin entwickelt sich aber erst mit den Studien von Charles Sanders Peirce ab Ende des 19. Jahrhunderts. Moderne Klassiker der Semiotik sind gleichzeitig oft Leitfiguren der strukturalistischen Linguistik und Philosophie, allen voran Ferdinand de Saussure und Roland Barthes. Diese bezeichnen ihre Zeichentheorien auch als „Semiologie“. Nach wie vor stehen sich unterschiedliche Ansätze gegenüber. Vorgeschichte: Antike, Mittelalter und frühe Neuzeit Bereits bei den Vorsokratikern, Sophisten und Platon findet man semiotische Untersuchungen. Aristoteles hat sie in seinen logischen und rhetorischen Schriften zu einem ersten System der Semiotik zusammengefasst und erweitert. Er behandelt die Zeichen als eine Dreiecksbeziehung zwischen dem Zeichen selbst (dem gesprochenen Wort), dem Bezeichneten (einem Gegenstand) und einer Vorstellung in der Seele. Ein gesprochenes Wort wie „Tisch“ ruft nach Aristoteles in der Seele desjenigen, der dieses Wort hört oder spricht, die Vorstellung eines Tisches hervor. Diese Vorstellung steht in einer von Aristoteles nicht näher erläuterten Abbildbeziehung zum jeweils bezeichneten Gegenstand. Mündliche Zeichen (Worte) sind für Aristoteles vorrangig gegenüber schriftlichen Zeichen, da letztere nur auf mündliche Zeichen verwiesen: Wie später Peirce ordnet Aristoteles die Semiotik in die Logik (Organon) ein. Der Ausdruck semeiotikon meros (semiotischer Teil) bezeichnet in der Medizin der Antike die Wissenschaft der Symptome und der Diagnostik (Demetrios von Apameia, Galen, Pseudo-Galen) und findet in einigen stoischen Texten auch in erkenntnistheoretischen Zusammenhängen Verwendung. In lateinischen Übersetzungen von Galen wird semeiotikon meros wiedergegeben als pars semiotica. Im Thesaurus graecae linguae von Henri Stephanus (1572 u.ö.) wird dafür Semeiotiké verwendet und dies erklärt als jener Teil der Medizin, welcher die Unterschiede und (Bezeichnungs-)Vermögen aller Zeichen behandelt. Zeichen- und Bedeutungslehren findet man auch bei den Stoikern, zum Beispiel bei Diogenes von Babylon. Ihm zufolge ist die Äußerung eines Menschen körperlich und wird durch die Vernunft artikuliert und ausgedrückt. Sie ist darin verschieden von den tierischen Lauten, die nur Luft sind, welche durch Instinkt hervorgebracht werden. Als verstehbare Rede (logos) gilt ihm eine Äußerung, die etwas bedeutet. Auch epikureische Philosophen wie Philodemos von Gadara (um 110–40 v. Chr.) diskutieren Aspekte von Zeichen, Bedeutungen und deren Relationen, insbesondere analoge und induktive Relationen. In der Scholastik wurde der Semiotik innerhalb der Logik ein hoher Stellenwert beigemessen. Als eines von vielen Beispielen kann man die Zeichenlehre von Petrus Hispanus heranziehen: Das Gehör nimmt Laute wahr. Ein durch Lebewesen hervorgebrachter Laut ist Stimme, Glockengeräusche hingegen sind nicht Stimme. Artikulierbare Stimme (z. B. „Mensch“) kann im Gegensatz zu unartikulierbarer Stimme geschrieben werden. Die artikulierbare Stimme ist entweder sinnvoll (z. B. Mensch) oder sinnlos (z. B. „bu“, „ba“). Sinnvolle Stimme hat konventionelle Bedeutung (z. B. „Mensch“) oder natürliche Bedeutung (z. B. „das Jammern der Kranken“). Konventionelle Stimme ist entweder unzusammengesetzt (einzelne Wörter) oder zusammengesetzt (Sätze). Unzusammengesetzte Stimme sind z. B. das Verb und das Nomen, welches letztere entweder Allgemeines (z. B. „Mensch“) oder Individuelles (z. B. „Sokrates“) bedeutet. Im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit stellt zum Beispiel Nikolaus von Kues die Zeichenlehre als grundlegend für jede Erkenntnis dar, insbesondere für die Theologie. Auch die scholastischen Diskussionen werden weitergeführt, beispielsweise bei Pedro da Fonseca (1528–1599). Der aus Lissabon stammende Theologe und Philosoph Johannes a S. Thomas (1589–1644), auch als Johannes Poinsot bezeichnet, entwickelt in seinem zweiten Hauptwerk Cursus philosophicus eine umfangreiche Semiotik, und zwar im zweiten (materiellen) Teil seiner Logik. Auch John Locke spricht in seinem Essay concerning Humane Understanding von 1690 von einer Theorie der Zeichen, die er Semeiotike nennt. Begriffsverwendung im 18. und 19. Jahrhundert Im 18. und beginnendem 19. Jahrhundert wurde der Begriff Semiotik bzw. Semeiotik noch nicht in seiner heutigen umfassenden Bedeutung verwendet, sondern vor allem für die überwiegend als Hilfswissenschaft der Diplomatik (Urkundenwissenschaft) angesehene Zeichenkunde. Daneben findet sich in dieser Zeit auch eine Verwendung als medizinischer Fachbegriff für die Lehre von den Krankheitszeichen. 20. Jahrhundert Überblick Eine Theorie sprachlicher und anderer Zeichen ist ein elementarer Bestandteil der Erkenntnis- und Wissenschaftstheorie, in der unterschiedliche Ansätze ausgearbeitet und vertreten sind. Begründer der Semiotik im heutigen Sinne ist Charles Sanders Peirce. In seiner Nachfolge entwickelte Charles William Morris eine behavioristische Zeichentheorie, die mit einer Unterscheidung von Syntaktik, Semantik und Pragmatik arbeitet. Strukturalistische Linguisten und Philosophen legen dagegen eine andersgeartete Methode zugrunde. Ihre Vertreter sind: Roland Barthes Louis Hjelmslev Roman Jakobson Ferdinand de Saussure Ferdinand de Saussure (1857–1913) Die – weder eindeutige noch unumstrittene – Zeichentheorie de Saussures gilt als „grundlegend“ und „bedeutsam“ für die Entwicklung der modernen Semiotik (in Europa), genauer wohl für die sprachwissenschaftlichen (linguistischen) Zeichentheorien, die „praktisch alle“ auf das bilaterale Zeichen im Sinne von de Saussure zurückgehen sollen. De Saussure verwendet den Ausdruck Zeichen mehrdeutig, was auch zu verschiedenen Interpretationen Anlass gibt. Nach einer Lesart versteht er das Zeichen psychologisch, nach einer anderen Lesart nicht nur psychologisch. Für eine psychologische Interpretation spricht folgende Definition von de Saussure: „Das sprachliche Zeichen ist also etwas im Geist tatsächlich Vorhandenes, das zwei Seiten hat: […] Diese beiden Bestandteile sind eng miteinander verbunden und entsprechen einander. […] Ich nenne die Verbindung der Vorstellung mit dem Lautbild das Zeichen.“ Dies führt zu dem Gegensatzpaar: concept (Vorstellung) – image acoustique (Lautbild), vgl. ausführlicher dazu: Vorstellung und Lautbild. Der Zeichenbegriff von de Saussure wird aber auch so wiedergegeben, dass nach ihm ein Zeichen die Einheit (Verbindung) von Zeichenform (signifiant) und Bedeutung (signifié, der Zeicheninhalt) ist. Die Beziehung von signifié und signifiant konstituiere das Zeichen. Dies führt zu dem Gegensatzpaar signifié (Zeicheninhalt) – signifiant (Zeichenausdruck). Statt von signifiant (Zeichenausdruck, Zeichenform) wird im gleichen Sinne auch von Ausdrucksseite (Ausdrucksebene), statt von signifié (Zeicheninhalt) wird auch von Inhaltsseite (Inhaltsebene) gesprochen. Dies führt zu folgendem terminologischem Schema: Das Zeichenmodell von de Saussure wird unter anderem als „zweiseitig“ (bilateral, dyadisch) und (z. T. kritisch gemeint) mentalistisch qualifiziert. Das zweiseitige Zeichenmodell von de Saussure hat im Gegensatz zu „dreistelligen“ (triadischen) Modellen (Peirce, vgl. Representamen, dort insbesondere Verständnisprobleme) keinen Interpretantenbezug, im Gegensatz zu vierstelligen Modellen auch keinen signifischen (begriffshistorisch vgl. Victoria Lady Welby, systematisch vor allem Georg Klaus) quasi-außerzeichenhaften Realitätsbezug. Charles Sanders Peirce (1839–1914) Die Semiotik als Lehre von den Zeichen ist nach Peirce nicht nur die Grundlage jeder Kommunikation, sondern auch die Voraussetzung für jede Form der Erkenntnis, denn jedes Denken ist ein Denken in Zeichen. Die Theorie begreift das Zeichen nicht als ein Ding, als ein statisches Objekt, sondern als eine dreistellige (triadische) Relation zwischen einem Mittel, also dem materiellen Zeichen, einem Objekt, auf das sich das Zeichen bezieht, und einem Interpretanten, also dem System, in dem das Zeichen zu verstehen ist. Diese dreifache Beziehung wiederholt sich auf jeder Ebene und bildet die verschiedenen Arten von Zeichen: Eine Grundlage für diese Einteilung ist die ontologische These dreier nicht aufeinander reduzierbarer Grundformen jeden Seins, die aus den grundlegenden philosophischen Kategorien abgeleitet sind und als Möglichkeit, Wirklichkeit und Vernunft identifiziert werden können. Die Bedeutung eines Zeichens oder Zeichenkomplexes lässt sich nur unter Berücksichtigung aller drei Bezüge erfassen. Peirce vertritt also einen holistischen Begriff von Bedeutung. Dabei schließen sich die verschiedenen Zeichenarten keineswegs „gegenseitig aus, sondern sind nur Aspekte des Zeichenprozesses, der Semiose, und wir nennen ein Zeichen nach seinem jeweils dominierenden Aspekt“. Dies gilt auch für die wichtigste Einteilung der Zeichen in Ikon, Index und Symbol. Heinz Kroehl, der die semiotische Theorie auf die visuelle Kommunikation anwendet und sie einer empirischen Überprüfung unterzogen hat, spricht daher von einem „Kontinuum der Bezeichnungsmöglichkeiten“. Zugleich identifiziert er die nächsttiefere Ebene der triadischen Relation: Das Gelingen jeder Kommunikation entscheidet sich in Bezug auf den Interpretanten, das System, in dem das Zeichen zu verstehen ist. Eine Klärung setzt dabei mindestens ein anderes Zeichen voraus. Wenn jemand beispielsweise fragt, was ist ein Pharao, lautet die Antwort in der Regel: ein König bei den alten Ägyptern. Um aber wirklich zu verstehen, was ein Pharao ist, muss ich die Kultur kennen, muss die Vorstellung von einem Gottkönig nachvollziehen können. Andererseits bin ich belastet mit Konnotationen, die der Begriff König in unserer Kultur mit sich bringt. Derartiges Kulturwissen, alle Erlebnisse und Erfahrungen sind Teil der Bedeutung. Daher können zwei Menschen niemals ein exakt gleiches Verständnis einer Sache haben. Die Begriffe Rhema, Dicent und Argument korrespondieren mit der klassischen Einteilung in Term, Proposition und Argument. Daraus kann man drei Hauptsysteme mit völlig unterschiedlichen Formen der Bedeutungsvermittlung ableiten: Kunst, Alltag und Wissenschaft. Im Bereich der Kunst kann ein Zeichen immer nur Möglichkeiten vermitteln; es gibt keine festen Bedeutungen, sondern nur individuelle Interpretationen. Im Alltag beziehen sich die Zeichen auf die Wirklichkeit, sie haben ein reales Objekt, und ein Sprecher darf in der Regel davon ausgehen, dass der Andere das Gemeinte versteht. In der Wissenschaft verweisen die Zeichen auf Notwendigkeiten und folgen fachspezifischen Regeln: verwendete Begriffe müssen definiert, Aussagen belegt und Schlussfolgerungen bewiesen werden. Da der Interpretant stets ein Zeichen ist, das wiederum nur durch ein Zeichen erklärt werden kann, wird die Semiose zu einem prinzipiell endlosen Prozess. In alltäglichen Situationen tritt dies aber oft nicht zutage, denn solange sich die Kommunikation auf konkretes Handeln bezieht, kann dieser Prozess abgebrochen werden, sobald ein Konsens über das Handeln erreicht ist. Angewandte und angrenzende Disziplinen Literatursemiotik Vertreter der Literatursemiotik werden teilweise auch den Strukturalisten oder Formalisten zugerechnet. Die literatursemiotischen Ansätze sind zudem sehr unterschiedlich: Roland Barthes vertritt eine poststrukturalistische Position, von der aus er die Vieldeutigkeit eines Werkes betont, während Umberto Eco Barthes’ Vorstellung einer grenzenlosen Offenheit der Bedeutung literarischer Werke kritisiert und die Rezeption literarischer Texte als Wechselspiel von Freiheit und Determiniertheit darstellt. Einerseits müsse der Text eine Struktur aufweisen, sonst „gäbe es keine Kommunikation, sondern nur eine rein zufällige Stimulierung von aleatorischen Reaktionen“ (Eco). Andererseits entscheide der Leser, welche Codes und welchen semantischen Rahmen er auf den Text anwenden soll, wodurch er im Verlauf seines Lektüre­prozesses die weitere Aktualisierung von Bedeutungen maßgeblich beeinflusst. Demgegenüber stehen Ansätze in der Tradition des Strukturalisten Algirdas Julien Greimas, der über die Analyse der verschiedenen bedeutungstragenden, hierarchisch organisierten Ebenen eines Textes eine semantische Tiefenstruktur eindeutig rekonstruieren will. Theatersemiotik Die Theatersemiotik ist ein Zweig der Theaterwissenschaft, der vor allem in den 1970er und 80er Jahren seine Blüte erlebte. Als anwendungsorientierte Theorie bietet sie zum Beispiel Systematiken für die Aufführungsanalyse. Die Aufführung wird dabei als Kommunikationsprozess verstanden, in dem über verschiedene Kanäle auf unterschiedlichen Ebenen Informationen vergeben werden. Erika Fischer-Lichte, Patrice Pavis und Manfred Pfister sind wichtige Vertreter dieser Strömung. Ästhetik Der Prager strukturalistische Linguist Jan Mukařovský hat das Konzept einer ästhetischen Funktion eingeführt. Wenn ein Zeichen diese Funktion erfüllt, wird dieses vornehmlich um seiner selbst willen rezipiert und bezieht sich auf seine eigenen Möglichkeitsumstände, insbesondere auf den gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang seiner Rezeption – anstatt nur Mittel zur Bezugnahme auf anderes zu sein („referentielle Funktion“). Wann und wie einem Zeichen die ästhetische Funktion beigelegt wird, ist zwar auch vom rezipierenden Subjekt abhängig, wird aber, allgemein gesehen, von der ästhetischen Norm bestimmt, die in einer Gesellschaft im Moment der Zeichenrezeption herrscht. So können nach Mukařovský für uns heute Kathedralen oder Bauwerke durchaus unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachtet werden, waren aber zur Zeit ihres Baus weit stärker mit einer sakralen Funktion als mit der ästhetischen Funktion belegt. Ästhetische Objekte werden oft, zum Beispiel von Hans Wollschläger, als Zeichensysteme beschrieben, die sich eines anderen Zeichensystems als Trägersystem bzw. als Form bedienen. Im Fall der Literatur ist dies das komplexe Zeichensystem Sprache. Kultur- und Geschichtswissenschaft Das schon in mesopotamischen Quellen erkennbare Modell, aktuelle positive und negative Ereignisse als Belohnung und Bestrafung durch Gottheiten für historische Leistungen und Verfehlungen zu sehen, bezeichnet Jan Assmann als „Semiotisierung der Geschichte“. Die Geschichte wird dadurch mit Bedeutung erfüllt und erhält eine Struktur, in der nicht nur „Sinn als Zusammenhang von Tun und Ergehen lesbar“ und somit auch erträglicher wird, sondern begründet auch den Anlass für Aufzeichnungen und Geschichtsrekapitulation. Wichtige Personen der Semiotik Roland Barthes Jean Baudrillard Max Bense Jeff Bernard Jacques Bertin Paul Bouissac John Deely Jacques Derrida Umberto Eco Achim Eschbach Nelson Goodman Louis Hjelmslev Jesper Hoffmeyer Angelika Karger Georg Klaus Martin Krampen Julia Kristeva Kalevi Kull Jacques Lacan Claude Lévi-Strauss Juri Lotman Floyd Merrell Charles W. Morris Winfried Nöth Ivo Osolsobě Helmut Pape Charles Sanders Peirce Susan Petrilli Wolfgang Pollak Roland Posner Burghard Rieger Ferdinand de Saussure David Savan Thomas Sebeok Jakob Johann von Uexküll Eliseo Verón Elisabeth Walther-Bense Russische Semiotik: Wjatscheslaw Iwanow Juri Lotman Wladimir Toporow Boris Uspenski Walentin Woloschinow Vorläufer: Giordano Bruno Diogenes von Babylon John Locke Wilhelm von Ockham Platon (im Höhlengleichnis) Siehe auch Biosemiotik Filmsemiotik Semasiologie Semiotisches Dreieck Zoosemiotik Literatur Allgemeine Überblicksdarstellungen, Einführungen, Handbücher und Lexika Günter Bentele, Ivan Bystřina: Semiotik. Grundlagen und Probleme. Kohlhammer, Stuttgart 1978, ISBN 3-17-004429-X. Johannes Bergerhausen, Siri Poarangan: decodeunicode: Die Schriftzeichen der Welt. Verlag Hermann Schmidt, Mainz 2011, ISBN 978-3-87439-813-8. Alle 109.242 digitalen Schriftzeichen nach dem Unicode-Standard. Typografische Semiotik. 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Vicente Ballero Flores: Auswahlbibliographie (PDF; 427 kB) Algirdas Budrevičius: Semiotics, Wilna – Vortragsfolien und eine Sammlung einschlägiger Textauszüge zur Geschichte der Semiotik (englisch) Paul Kockelman: The semiotic stance (PDF; 485 kB), Semiotica 157–1/4 (2005), 233–304 Justo Fernández López (Hrsg.): Semiotik, in: Lexikon der Linguistik und Nachbardisziplinen, Institut für Romanistik, Innsbruck (Zusammenstellung von Textauszügen) Nina Ort (Hrsg.) Münchner Semiotik, Zeitschrift des Forschungskolloquiums an der LMU mit Publikationen zu den Semiotiken von Ch.S. Peirce und Jacques Lacan Michael L. Raposa: Semiotics, in: Encyclopedia of Science and Religion Martin Ryder: , Colorado (englisch) Göran Sonesson: The Internet Semiotics Encyclopaedia Einzelnachweise Literaturtheorie Philosophische Disziplin
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https://de.wikipedia.org/wiki/Seemeile
Seemeile
Die Seemeile oder nautische Meile (M, Deutsch: sm, Englisch: NM, USA: nmi) ist eine in der Schiff- und Luftfahrt gebräuchliche Maßeinheit der Länge. Sie soll 1/60 Längengrad am Äquator entsprechen bzw. 1/60 Breitengrad, also einer Winkelminute. Sie wurde aber später mit exakt 1852,0 m definiert. Die davon abgeleitete Geschwindigkeitseinheit Seemeilen pro Stunde wird Knoten genannt. Definition In der internationalen Norm EN ISO 80000–3 ist 1 Seemeile auf exakt 1852 m festgelegt, dasselbe findet sich auch in der DIN 1301-2 vom Februar 1978. Geschichte Ursprünglich wurde das Maß der Seemeile auf die Bogenlänge einer Winkelminute auf einem Großkreis – z. B. dem Äquator oder einem Meridian – des kugelähnlichen Erdkörpers festgelegt. Das entspricht dem 60. Teil der Entfernung zwischen zwei benachbarten ganzzahligen Längengraden am Äquator – oder zwischen zwei benachbarten Breitengraden. Aus der Länge eines Meridians vom Äquator bis zum Pol von ca. 10.001,966 km – das ist ein Viertel des Erdumfangs von 40.008 km, (Ellipsoidparameter des WGS84), ergibt sich ein mittlerer Wert von . Aufgrund der Erdabplattung misst eine Meridianminute der geographischen Breite jedoch am Äquator 1842,90 m, an den Polen aber 1861,57 m. Hingegen ergibt sich für eine vom Erdmittelpunkt aus entlang des Äquators gemessene Bogenminute eine Bogenlänge von 1855,31 m (1/21600 des Erdumfanges am Äquator). Admiralty Mile, U.S. nautical mile, International Nautical Mile So wurde bis 1929 von Großbritannien für das Maß der Seemeile zur Länge der englischen Meile eine Länge von genau 800 englischen Fuß hinzugezählt (insgesamt 6080 Fuß), woraus sich das Maß von 1853,18 Metern für die englische Admiralty Mile ergab. In den USA galt bis 1954 als Maß der Seemeile die U.S. nautical mile, die mit 6080,20 feet festgelegt war, was umgerechnet einer Länge von 1853,24 Metern entspricht. International übergreifend wurde das Maß der International Nautical Mile 1929 auf der Internationalen Hydrographischen Konferenz in Monaco auf 1852,01 m festgelegt. Abweichend hiervon geben jedoch die deutsche DIN 1301-1 und die unten erwähnte Broschüre des BIPM an, dass damals der Wert 1852 m für die international nautical mile angenommen wurde. Nautische Meile, Seemeile Das Admiralty Manual of Navigation (1964) unterscheidet zwischen nautical mile (NM) und sea mile (sm). Die nautical mile entspricht der offiziellen, aber nichtgesetzlichen internationalen SI-Einheit Seemeile (französische Namensdefinition: mille marin; wörtlich Deutsch: Seemeile, wörtlich Englisch: sea mile) mit der durch internationale Verträge festgelegten Länge von 1852 m, also ohne Nachkommastellen. Die Einführung des neuen Namens war notwendig, weil der Begriff sea mile mit seiner historischen Definition und seiner aktuellen und zukünftigen Relevanz absolute Priorität genoss. Diese englische sea mile bleibt die Länge einer Bogenminute auf einem beliebigen Großkreis der Erde, schwankt also wegen der Erdabplattung zwischen 1843 m (Meridian am Äquator) und 1862 m (Meridian an den Polen) und wird nach wie vor nur in der unmittelbaren Umgebung des Schiffsorts empfohlen. Bei dieser Gelegenheit wurde auch die weitere Verwendung der admiralty mile (1853,18 m) für unerwünscht erklärt. Bei Bedarf ist der Begriff admiralty mile bedeutungsgleich durch nautical mile zu ersetzen. Wegen der tatsächlich erzielbaren Genauigkeit in der Ortsbestimmung und Messtechnik auf See (Astronavigation, Funkpeilung, DECCA, LORAN, Sichtpeilung, Log) spielen die unterschiedlichen Definitionen bis heute (GPS) keine praktische Rolle. Fehler entstehen erst, wenn die Rechengenauigkeit moderner Computer dazu verwendet wird, über große Distanzen gezielt mit ungeeignetem Maßstab zu arbeiten. Nachdem Mitte des 19. Jahrhunderts, insbesondere durch Friedrich Wilhelm Bessel, zuverlässige Daten über die Erdabplattung ermittelt worden waren, führte man in Deutschland zusätzlich zur großkreisbasierten Definition der Seemeile die geographische Landmeile und die geographische Seemeile ein: Die geographische Landmeile entspricht der historischen Seemeile auf dem Äquator (1855,46 m), die geographische Seemeile entspricht der Seemeile auf einem Meridian (1843 m bis 1862 m). Beides sollte bei der Vermessung zu Land und zur See nützlich sein, konnte sich in der Praxis aber nicht durchsetzen und ist heute kaum noch bekannt. Mit Übernahme der Seemeile als „offizielle aber nichtgesetzliche SI-Einheit“ wurden in Deutschland alle großkreisbasierten Definitionen wegen praktischer Irrelevanz ersatzlos gestrichen. Lediglich in der Astronomischen Navigation wird eine Seemeile immer noch mit einer Bogenminute auf einem Großkreis gleichgesetzt. Dabei ist jedoch die Kenntnis eines Umrechnungfaktors in Meter unnötig, so dass die moderne Definition unerheblich ist. Letztlich wird seit über tausend Jahren in der Astronavigation mit der Kugelgestalt der Erde gerechnet und die Abplattung ignoriert. Die historische Definition der Seemeile findet in der Seefahrt bis heute noch insofern täglich praktische Anwendung bei der Kartenarbeit, als dort fast ausschließlich Mercatorkarten zur Navigation verwendet werden. Alle Linien in Nord-Süd-Richtung sind immer Teile von Meridianen, also Großkreisen. Folglich ist die Skalierung des linken und rechten Kartenrandes mit den Breitengraden und -minuten ein annähernd genauer Maßstab für Seemeilen im Bereich des betreffenden Breitengrades. Die Kartenränder sind bewusst so gestaltet, dass Längenmessungen mit dem Kartenzirkel besonders einfach und übersichtlich sind. Bei der Navigation ist uninteressant, wie viele Meter eine Seemeile genau hat, weil sich ohnehin alle Messinstrumente und Karten immer auf die Seemeile (oder Bogenminute) beziehen. In der Astronavigation entsprechen die am Sextanten abgelesenen Winkelminuten ebenfalls Bogenminuten auf der Weltkugel. Diese Äquivalenzen sind niemals exakt, aber für den ständigen Gebrauch mehr als ausreichend genau. Luftfahrt: Nautical und Statute Miles Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nutzte die deutsche Luftfahrt Meter für Höhen- und Kilometer für Entfernungsangaben. Die USA übernahmen in der Nachkriegszeit eine Führungsrolle bei der Schaffung nationaler Regulierungsbehörden für die Luftfahrt (FAA) und später auch bei der Etablierung internationaler Luftfahrtorganisationen (ICAO, IATA). Seemeilen setzten sich daraufhin nahezu weltweit als Entfernungsangabe in der Luftfahrt durch. Ausnahmen bilden China, Russland und andere Länder der GUS bzw. früher der Sowjetunion. Diese Länder wenden bzw. wendeten das Internationale Einheitensystem auch in der Luftfahrt konsequent an. Piloten müssen beim Überflug der Luftraumgrenzen zwischen SI-Einheiten und Fuß/Meilen/… wechseln. Zur weltweiten Standardisierung setzen auch diese Länder zunehmend die üblichen Nicht-SI-Einheiten ein. Umrechnungen zwischen Seemeile und Kilometer sind selten erforderlich, da durchgehend mit Seemeilen gerechnet wird. Größere Verwirrungen treten vor allem in den USA und Großbritannien bei der Unterscheidung zwischen Seemeile und statute mile auf. Im Sprechfunk bezeichnet der Ausdruck „miles“ stets Seemeilen. Entfernungsangaben auf US-Straßenschildern und -karten (z. B. Daytona 6 miles) beziehen sich hingegen immer auf statute miles (= 1609,344 m). Auch bei der Definition der US-Luftraumstruktur sind statute miles für die einzuhaltenden Wolkenabstände und Sichtweiten maßgebend. Herleitung und Anwendung in der Navigation Die klassische Anwendung ist die maritime Navigation. Die hierbei verwendeten Seekarte nutzen in der Regel die Mercator-Projektion. Dadurch haben diese Karten die folgende Eigenschaft. Eine Distanz, die mit einem Stechzirkel auf der Karte abgelesen wird entspricht der am rechten bzw. linken Kartenrand aufgetragenen Angabe der Breitengrade. Die Differenz in Winkelminuten entspricht approximativ in genügender Genauigkeit der Distanz in Seemeilen. Hierdurch erklärt sich die nicht-metrische Ableitung dieses Längenmaßes. Umrechnung Aus der ursprünglichen Definition von Seemeile (1 Meridianminute) und der ältesten Definition von 1 Meter (der 10-millionste Teil der Entfernung zwischen Nordpol und Äquator) ergibt sich die Tatsache, dass 54 Seemeilen etwa 100 Kilometern entsprechen. Näherungsweise lassen sich x Seemeilen nach der Faustformel „Verdoppeln und vom Ergebnis 10 % abziehen“ in Kilometer umrechnen, was einer Multiplikation mit dem Faktor 1,8 entspricht. Man errechnet durch diese Formel zwar den Seemeilenwert in Kilometer um fast 3 % zu knapp, was aber – kopfgerechnet, für einen groben Überschlag – in den allermeisten Fällen eine praxistaugliche und hinreichende Genauigkeit bedeutet. Abkürzungen und abgeleitete Einheiten Es gibt keine allgemeine Übereinkunft über das Einheitenzeichen der Seemeile. Im Deutschen gebräuchlich ist die Abkürzung sm, international wird sie oft als nautical mile mit nm, NM oder n.m. abgekürzt. Der IHO-Standard für Seekarten verlangt die internationale Abkürzung M. In der Flugsicherung wird NM genutzt. Die Encyclopaedia of Scientific Units, Weights and Measures von 1999 nennt als international gebräuchliche Abkürzung für nautical mile mi. Nach einer Broschüre des BIPM sind hingegen folgende Zeichen gebräuchlich: M, NM, Nm und nmi. Eine Verwechslung mit den SI-Einheiten Nanometer (nm) und Newtonmeter (N•m) kann aus dem Zusammenhang meist ausgeschlossen werden. In Österreich und Deutschland ist die Seemeile aufgrund von internationalen Vereinbarungen als „gesetzliche Einheit im Messwesen“ zulässig, obwohl sie außerhalb des SI steht. eine Seemeile wird in 10 Kabellängen (kbl) unterteilt eine Seemeile sind annähernd 2000 Yards annähernd gleich 1/1000 Seemeile (1,852 m) – genau: 6 Fuß, also 1,8288 m – ist der Faden (fm), der fast nur noch für Tiefenangaben in einigen Seekarten für die Schifffahrt verwendet wird. der 3600ste Teil der Seemeile ist die Meridiantertie (mtr), die für die Sekundengeschwindigkeit beim Loggen verwendet wird Die Geschwindigkeit von Wasserfahrzeugen im Seeverkehr und Luftfahrzeugen wird rechnerisch meist in Seemeilen pro Stunde angegeben, das Einheitenzeichen kn dafür basiert jedoch auf dem Begriff Knoten (englisch: knot). Frühere „Seemeilen“ Der Türkischen Seemeile entsprach 1 Seemeile = 1296 Meter Der Niederländischen sowie der Französischen „Meile“ auf See entsprachen 1 Seeleuge (französisch: lieue marine) entspricht 1/20 Grad des Erdumfangs, also 3 Seemeilen = 5556 Meter Siehe auch Meile Preußische Meile Etmal – von einem Schiff von Mittag zu Mittag zurückgelegte Wegstrecke Sphärische Geometrie – Mathematik zur Berechnung Geographische Koordinaten – das Gradnetz der Erde Angloamerikanisches Maßsystem Größenordnung (Länge) Meridianbogen Literatur Sobel/Andrewes, Längengrad, Berlin 1999 The International System of Units. Bureau International des Poids et Mesures (BIPM): 8. Auflage 2006, ISBN 92-822-2213-6. Dort speziell S. 124, 127 und 128 im englischen Teil. (PDF-Datei; 3,88 MB) Bureau International des Poids et Mesures: Le Système International (SI). 6. Auflage. 1991, ISBN 92-822-2112-1. Norm DIN 1313 April 1978, Physikalische Größen und Gleichungen, Begriffe, Schreibweisen. Richtlinie des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Einheiten im Meßwesen (i.d.F) des Vorschlages vom 21. Juni 1991 (91/C185/06) AbL. Nr. C 185 v. 17. Juli 1991, S. 13–21) Einheiten- und Zeitgesetz, Einheitenverordnung A. Sacklowski: Einheitenlexikon, Entstehung, Anwendung, Erläuterung von Gesetz und Normen. (= Beuth-Kommentare). Beuth-Verlag, Berlin 1986, ISBN 3-410-11988-4. P. Anderton, P. H. Bigg: Changing to the metric system, conversion factors, symbols and definitions. Her Majesty’s Stationery Office, London 1965. Norm ANSI/IEEE Std 268-1982. American National Standard, Metric Practice Admiralty Manual of Navigation. Volume 1 (B.R. 45(1)) Her Majesty’s Stationery Office, London 1964. (consolidated edition 1970) Weblinks Einzelnachweise Maßeinheit (Schifffahrt) Meile (Einheit)
Q93318
453.579164
6713
https://de.wikipedia.org/wiki/1704
1704
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Großer Nordischer Krieg 16. Februar: Gegner des polnischen Wahlkönigs August II. unter der Führung von Primas Michael Stephan Radziejowski finden sich in der Konföderation von Warschau zusammen. Sie entthronen den auch Kursachsen regierenden Herrscher und rufen in Polen-Litauen ein Interregnum aus. Kardinal und Primas Radziejowski wird zum Interrex ernannt. 16. Mai: Die Festung des Hafens von Kronstadt, ehemals meist eisfreier Ostseehafens Schwedens vor der neu entstandenen Stadt Sankt Petersburg, Kronschlot, wird eröffnet. 20. Mai: Polnische Unterstützer des Königs August II. und der Personalunion Sachsen-Polen schließen sich in der Konföderation von Sandomir zusammen. Sie reagieren damit auf die königsfeindliche Konföderation von Warschau. Zum Konföderationsmarschall wird Stanisław Ernest Denhoff ernannt. 4. Juni: Die Belagerung von Tartu durch russische Truppen beginnt. 27. Juni: Die Belagerung von Narva durch die Russen beginnt, nachdem zuvor ein russisches Armeekorps unter dem Kommando von Feldmarschall Georg Benedikt von Ogilvy von Ingermanland aus zur Eroberung dieser schwedischen Festung in Estland angesetzt worden war. Gleichzeitig stößt eine weitere russische Armee gegen Dorpat vor. Ziel dieser Operationen ist die Einnahme dieser wichtigen Grenzfestungen im Großen Nordischen Krieg, um dadurch das im Vorjahr eroberte Ingermanland mit dem neuen St. Petersburg zu schützen und die Möglichkeit zur Eroberung Livlands zu gewinnen. 12. Juli: Die Konföderation von Warschau erklärt Stanislaus I. Leszczyński zum König von Polen. Sie hat für diesen Schritt Rückendeckung des schwedischen Königs Karl XII. Der Affront gegenüber König August II. löst in der weiteren Folge einen Bürgerkrieg aus. 13. Juli: Die Garnison der schwedischen Festung Dorpat (heute Tartu, Estland) ergibt sich nach über einmonatiger Belagerung der russischen Armee unter dem Kommando von Generalfeldmarschall Boris Sheremetew. 26. Juli: Die schwedische Armee unter General Adam Lewenhaupt besiegt lettisch-russische Streitkräfte unter dem Kommando von Großhetman Michał Serwacy Wiśniowiecki in der Schlacht bei Jakobstadt. 9. August: Die Belagerung von Narva endet mit der Besetzung der schwedischen Festung durch russische Truppen unter Feldmarschall Georg Benedikt von Ogilvy und Zar Peter dem Großen. August: Russische Truppen unter Oberst Roman von Bruce schlagen einen Angriff auf St. Petersburg von schwedischen Truppen unter dem Befehl von Generalleutnant Georg Johann Maydell zurück. 16. August: Die Russen unter dem Befehl von Carl Ewald von Rönne siegen in der Schlacht bei Wesenberg über eine schwedische Armee unter Wolmar Anton von Schlippenbach. 30. August: Der sachsentreue polnische Adel schließt mit Russland den Vertrag von Narva als Schutz- und Angriffsbündnis. 7. September: Die schwedische Armee, die, kommandiert von König Karl XII., Warschau verlassen hat, erstürmt nach kurzer Belagerung die Stadt Lemberg. September: König August II. gelingt die Einnahme von Warschau mit der Unterstützung von russischen Truppen. Der sächsische Kurfürst lässt alle Häuser der Anhänger von Stanislaus plündern und niederbrennen. Danach vereint sich das Heer des polnischen Königs mit dem des sächsischen Generals Johann Matthias von der Schulenburg und fällt in Großpolen ein. Hier werden alle Besitzungen von stanislaustreuen Adeligen geplündert und gebrandschatzt. 14. Oktober bis 2. November: Russische Truppen unter dem Kommando von Oberst Robert Bruce aus St. Petersburg schlagen einen Angriff schwedischer Truppen unter dem Befehl von Generalleutnant Georg Johann Maydell und unterstützt von einem Marinegeschwader unter Cornelius Anckarstjerna mit Erfolg zurück. Im gleichen Zeitraum gelingt es der schwedischen Garnison unter Arvid Axel Mardefelt, die Belagerung von Posen durch sächsische und russische Einheiten abzuwehren. Die Stadt wird dabei in Brand geschossen und es gelingt den Belagerern, eine Bresche in die Stadtmauern zu schlagen. Erst auf die Nachricht, dass Karl XII. mit einer Armee im Anmarsch sei, ziehen sich die Russen unter Johann Reinhold von Patkul zurück. 7. November: Die Schweden unter König Karl XII. siegen in der Schlacht bei Punitz. Die geschlagenen sächsischen Einheiten unter dem Befehl von Johann Matthias von der Schulenburg können sich jedoch über die Oder zurückziehen. 9. November: Die Schweden unter Otto Vellingk siegen auch im Gefecht bei Tillendorf über die Russen. Spanischer Erbfolgekrieg 28. Januar: Ein plötzlich einfallender Föhn lässt den zugefrorenen Kochelsee und das umliegende Moor auftauen und verhindert so einen Angriff österreichischer Truppen auf das bayerische Kloster Benediktbeuern. Das Ereignis wird später als das Kochelsee-Wunder bezeichnet. 9. März: Ein englisch-holländisches Korps unter Meinhard von Schomberg landet in Lissabon, nachdem sich Portugal im Spanischen Erbfolgekrieg den Alliierten angeschlossen hat. 2. Juli: Nach der Schlacht am Schellenberg mit bayerischen Truppen kann sich das Heer von John Churchill, 1. Duke of Marlborough, und des badischen Markgrafen Ludwig Wilhelm den strategisch wichtigen Ort Donauwörth sichern und so das Kurfürstentum Bayern militärisch bedrohen. 1. bis 4. August: Gibraltar wird von den Briten erobert. Anführer der alliierten Flotte ist Georg von Hessen-Darmstadt. 13. August: Eugen von Savoyen und der Herzog von Marlborough besiegen in der Zweiten Schlacht bei Höchstädt die französisch-bayerischen Truppen in Bayern. Der bayerische Kurfürst Maximilian II. Emanuel muss in die Niederlande fliehen. 24. August: Die Schlacht bei Vélez-Málaga endet mit einem strategischen Sieg der Niederländisch-Englischen Flotte über französische Kriegsschiffe. Die Auseinandersetzung wird als größte Seeschlacht im Spanischen Erbfolgekrieg angesehen. 7. November: Im Vertrag von Ilbesheim zwischen Österreich und Bayern verliert das Kurfürstentum seine Unabhängigkeit und wird in Fremdverwaltung genommen. Heiliges Römisches Reich 26. Januar: Durch den Tod seines Bruders Rudolf August wird Anton Ulrich Alleinherrscher im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel. Frankreich April: Marschall Montrevel wird im Kampf gegen die von England und den Niederlanden unterstützten aufständischen Kamisarden in den Cevennen von Claude-Louis-Hector de Villars abgelöst. Dieser verkündet eine Amnestie für alle diejenigen, die ihre Waffen niederlegen. Jean Cavalier, der Anführer der Aufständischen, schließt daraufhin einen Vergleich mit Villars und tritt als Oberst in den Dienst des französischen Heeres. Andere Kamisarden führen den Kampf fort, werden aber bis Jahresende besiegt. Wirtschaft 1. Juli: Im Herzogtum Luxemburg erscheint die erste Ausgabe der Zeitschrift La Clef du cabinet des princes de l’Europe, die von nun an monatlich erscheint. Im Zarentum Russland wird ein neuer Silberrubel herausgegeben, der im Rau- (circa 28 g) und im Feingewicht (circa 25 g) an die westeuropäischen Talermünzen angepasst wurde, so dass der internationale Zahlungsverkehr wesentlich erleichtert wird. Die erste regelmäßig erscheinende Wochenzeitschrift The Review wird gegründet. Wissenschaft und Technik Im Verlag von Johann Friedrich Gleditsch in Leipzig erscheint die erste Auflage eines Nachschlagewerkes mit dem Namen Reales Staats- und Zeitungs-Lexicon. In Zürich erscheint die erste Auflage der Memorabilia Tigurina. Kultur 23. April: Unter Fürstabt Adalbert von Schleifras beginnt im Kloster Fulda der Bau des Fuldaer Doms. Obwohl nach dem Urteil des für den Neubau verantwortlichen Baumeisters Johann Dientzenhofer eine Restaurierung und Barockisierung des vorhandenen Baus möglich gewesen wäre, erfolgt ein Teilabriss der alten Ratgar-Basilika, auf der der Neubau im barocken Stil errichtet wird. 20. Oktober: Die Uraufführung der Oper Die unglückselige Cleopatra, Königin von Egypten oder Die betrogene Staats-Liebe von Johann Mattheson auf das Libretto von Friedrich Christian Feustking findet am Theater am Gänsemarkt in Hamburg statt. Nach 19 Jahren Bauzeit wird unter Abt Albert Hausner die Stiftsbasilika in Waldsassen vollendet und von Weihbischof Franz Ferdinand von Rummel geweiht. Bedeutende Kirchenbaumeister wie Georg Dientzenhofer und Abraham Leuthner haben an der barocken Basilika gebaut. Gesellschaft 4. Februar: Herzog Ernst Friedrich I. von Sachsen-Hildburghausen heiratet in Erbach Sophia Albertine von Erbach-Erbach. 24. Juni: Herzog Johann Georg von Sachsen-Weißenfels stiftet den Orden der edlen Leidenschaft. Stiftungsanlass ist die Amtsübernahme auf dem Reichstag für das Fürstentum Querfurt. Der Sinn des Ordens, mit dem adlige Männer bedacht werden sollen, ist die Förderung wahrer Tugend und Ehre und Bewahrung der Sprache. Oktober: Der schottische Seemann Alexander Selkirk wird alleine auf der zum Juan-Fernández-Archipel gehörenden unbewohnten Insel Más a Tierra zurückgelassen. Sein Schicksal wird Vorbild für den Roman Robinson Crusoe von Daniel Defoe. Ende des Jahres: Johann Sebastian Bach lernt in Arnstadt seine entfernte Cousine Maria Barbara Bach kennen. Der zehnjährige François-Marie Arouet besucht als Internatsschüler das Jesuitenkolleg Louis-le-Grand. Religion Der dänische König Friedrich IV. beschließt, in der südostindischen Handelskolonie Tranquebar eine Überseemission zu gründen. Geboren Erstes Halbjahr 5. Januar: Johann Ernst Döring, deutscher Orgelbauer († 1787) 14. Januar: Giovanni Domenico Barbieri, aus Graubünden stammender, im Fürstbistum Eichstätt tätiger Baumeister († 1764) 5. Februar: Anna Christine Luise, Pfalzgräfin von Sulzbach, Herzogin von Savoyen und Kronprinzessin von Sardinien-Piemont († 1723) 11. Februar: Francesco Pozzi, Schweizer Stuckateur († 1789) 13. Februar: Johann Josef Kittel, böhmischer Arzt († 1783) 14. Februar: Iwan Iwanowitsch Bezkoi, Schulreformer, Berater für Bildung und Präsident der Russischen Kunstakademie († 1795) 17. Februar: Johann August von Sachsen-Gotha-Altenburg, deutscher Adeliger und Reichsgeneralfeldmarschall († 1767) 27. Februar: Johann Gottfried Höre, deutscher Pädagoge († 1778) 28. Februar: Hans Hermann von Katte, Leutnant der preußischen Armee und Jugendfreund Friedrichs II. († 1730) 1. April: Amalie Sophie von Wallmoden, deutsche Adelige und Mätresse des britischen Königs George II. († 1765) 17. April: Andrija Kačić Miošić, kroatischer Franziskaner und Dichter († 1760) 3. Mai: Johann Gottfried Teske, deutscher Physiker († 1772) 16. Mai: Johann Joachim Gottlob am Ende, deutscher Theologe und Lehrer († 1777) 4. Juni: Benjamin Huntsman, englischer Uhrmacher und Erfinder († 1776) 11. Juni: José Antonio Carlos de Seixas, portugiesischer Komponist und Cembalist († 1742) 24. Juni: Johann Georg Platzer, Tiroler Barockmaler († 1761) Zweites Halbjahr 31. Juli: Gabriel Cramer, Schweizer Mathematiker († 1752) 2. August: Maria Caroline Charlotte von Ingenheim, bayerische Adelige und kaiserliche Mätresse († 1749) 12. August: Karoline von Nassau-Saarbrücken, Pfalzgräfin und Herzogin von Pfalz-Zweibrücken († 1774) 21. August: Johann Georg von Sachsen, kursächsischer General und Gouverneur von Dresden († 1774) 5. September: Maurice Quentin de La Tour, französischer Pastell-Porträtmaler († 1788) 16. September: Louis de Jaucourt, französischer Arzt, Schriftsteller und Gelehrter († 1779) 24. September: Karl August Friedrich, Fürst von Waldeck-Pyrmont († 1763) 2. Oktober: František Ignác Tůma, tschechischer Komponist († 1774) 26. Oktober: Johannes Oosterdijk Schacht, niederländischer Mediziner († 1792) vor dem 29. Oktober: John Byng, britischer Admiral und Politiker († 1757) 29. Oktober: Johann Karl Chotek von Chotkow, böhmisch-österreichischer Hofkanzler († 1787) 1. November: Paul Daniel Longolius, deutscher Enzyklopädist († 1779) 4. November: Andreas Jäger, deutscher Orgelbauer († 1773) 6. November: Wilhelm Bentinck, deutscher Reichsgraf und Diplomat niederländisch-englischer Herkunft († 1774) 10. November: Auguste von Baden-Baden, Herzogin von Orléans († 1726) 13. November: Paul Wilhelm Schmid, deutscher Rechtswissenschaftler († 1763) 24. November: Charlotte Wilhelmine von Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym, paragierte Landgräfin von Hessen-Philippsthal-Barchfeld († 1766) 24. November: Ebba Margaretha De la Gardie, schwedische Gräfin († 1775) 24. Dezember: Pedro Vicente Maldonado, ecuadorianischer Kartograf und Universalgelehrter († 1748) Genaues Geburtsdatum unbekannt Eugene Aram, britischer Philologe und Mörder († 1759) Franz Anton Baumann, österreichischer Kirchenmusiker und Komponist († 1750) Moses Browne, englischer Dichter, Schriftsteller, Übersetzer und Kleriker († 1787) Carl Heinrich Graun, deutscher Komponist und Sänger († 1759) Johann Jacob Haid, deutscher Kupferstecher, Schabkünstler, Bildnismaler und Verleger († 1767) Charles Knowles, britischer Admiral († 1777) Marijona Kosakovskienė, litauische Landgräfin († 1776) Isaac Lawson, schottischer Arzt und Mineraloge († 1747) Na’od II., Negus negest von Äthiopien († 1722) Tahmasp II., Schah der Safawiden-Dynastie im Iran († 1740) Geboren um 1704 Martin Hannibal, deutscher Münz-Stempelschneider und Medailleur († 1766) Gottfried Sellius, deutscher Jurist, Naturforscher und Übersetzer († 1767) Gestorben Erstes Quartal 8. Januar: Lorenzo Bellini, italienischer Anatom (* 1643) 13. Januar: Hans Jakob Gessner, Schweizer evangelischer Geistlicher (* 1639) 26. Januar: Rudolf August, Fürst von Braunschweig-Wolfenbüttel (* 1627) 31. Januar: Christian Andreas Siber, deutscher Pädagoge und lutherischer Theologe (* 1662) 2. Februar: Guillaume Francois Antoine l’Hospital, französischer Mathematiker (* 1661) 3. Februar: Antonio Molinari, italienischer Maler und Graphiker (* 1655) 8. Februar: Philipp Jeningen, Jesuit, Volksmissionar und Mystiker (* 1642) 18. Februar: Johann Philipp von Arco, kaiserlicher Feldmarschall-Leutnant (* 1652) 21. Februar: Johann Karl, Pfalzgraf bei Rhein, Herzog in Baiern, von Zweibrücken-Birkenfeld zu Gelnhausen, Graf zu Veldenz und zu Sponheim (* 1638) 23. Februar: Georg Muffat, französischer Musiker und Komponist (* 1653) 24. Februar: Marc-Antoine Charpentier, französischer Komponist zur Zeit des Sonnenkönigs Louis XIV. (* 1643) 25. Februar: Isabella Leonarda, italienische Nonne und Komponistin (* 1620) 26. Februar: Kandidus Pfister, Abt des Zisterzienserklosters in Ebrach 1. März: Joseph Parrocel, französischer Maler (* 1646) 19. März: Imbert Rollaz du Rosey, preußischer Generalmajor (* 1640) März: John Gadbury, englischer Astrologe (* 1627) Zweites Quartal 5. April: Christian Ulrich I., Herzog von Württemberg-Oels (* 1652) 8. April: Hiob Ludolf, Begründer der Äthiopistik (* 1624) 10. April: Wilhelm Egon von Fürstenberg-Heiligenberg, Bischof von Straßburg und Premierminister von Kurköln (* 1629) 12. April: Jacques Bénigne Bossuet, französischer Bischof und Autor (* 1627) 14. April: Johann Adolf von Fürstenberg, Dompropst von Münster und Paderborn (* 1631) 17. April: Ulrich Friedrich Gyldenlöwe, dänischer Statthalter in Norwegen (* 1638) 20. April: Agnes Block, niederländische Mennonitin, Mäzenin und Sammlerin (* 1629) 3. Mai: Heinrich Ignaz Franz Biber, böhmischer Geiger und Komponist (* 1644) 3. Mai: Estephane Boutros El Douaihy, maronitischer Patriarch (* 1630) 10. Mai: Ezéchiel de Mélac, französischer Offizier (* um 1630) 21. Mai: Heinrich Elmenhorst, deutscher Theologe, Kirchenlieddichter und Librettist (* 1632) 21. Mai: Hermann Werner von Wolff-Metternich zur Gracht, Fürstbischof von Paderborn (* 1625) 24. Mai: Karl Dankwart, schwedisch-deutscher Kirchenmaler 29. Mai: Johann Schadowitz, kroatischer Reiter, historisches Vorbild für die sorbische Sagengestalt Krabat (* 1624) 30. Mai: Emanuel Lebrecht, Fürst von Anhalt-Köthen (* 1671) 11. Juni: Johann Ulrich Mayr, deutscher Maler (* 1630) 16. Juni: Georg Franck von Franckenau, deutscher Mediziner und Botaniker (* 1644) 24. Juni: Anna Dorothea von Sachsen-Weimar, Äbtissin des Reichsstifts Quedlinburg (* 1657) 27. Juni: Jakob Potma, bayerischer Hofmaler und Kammerdiener 27. Juni: Elisabeth Helene von Vieregg, deutsche Adelige, Mätresse des dänisch-norwegischen Königs Friedrich IV. (* 1679) Drittes Quartal 2. Juli: Johann Adolf, Herzog von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Plön (* 1634) 2. Juli: August Ferdinand, Herzog von Braunschweig und Lüneburg (* 1677) 6. Juli: Hieronymus Dürer, deutscher Schriftsteller und Theologe (* 1641) 9. Juli: Hermann Otto II. von Limburg-Styrum, kaiserlicher Generalfeldmarschall (* 1646) 11. Juli: Marcus Conrad Dietze, deutscher Architekt und Bildhauer (* 1658) 14. Juli: Sofia Alexejewna, Regentin von Russland (* 1657) 18. Juli: Benjamin Keach, englischer baptistischer Evangelist, Pastor, Liederdichter und Autor (* 1640) 24. Juli: Honorius Aigner, österreichischer Benediktiner und Abt des Klosters Kremsmünster (* 1651) 7. August: Paul von Fuchs, brandenburgisch-preußischer Minister (* 1640) 15. August: Dominicus Bassus, schweizerisch-deutscher Jurist (* 1643) 19. August: Jane Leade, englische christliche Mystikerin und Autorin (* 1623) 24. August: Ludolf Hugo, deutscher Jurist und Politiker (* 1632) 4. September: Anthonius Lucius, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1635) 6. September: Francesco Provenzale, neapolitanischer Komponist (* 1624) 20. September: Barbara Dietrich, Opfer der Hexenverfolgung in Ingolstadt (* 1680) 21. September: Maria Antonia Scalera Stellini, italienische Dichterin und Dramatikerin (* 1634) 28. September: Jacob Henning, deutscher evangelischer Theologe (* 1633) Viertes Quartal 1. Oktober: Cornelis Dusart, niederländischer Maler (* 1660) 3. Oktober: Jean-Baptiste Denis, französischer Arzt, Hofarzt Ludwigs XIV. (* um 1640) 7. Oktober: Cyriakus Günther, Kirchenlieddichter (* 1650) 8. Oktober: Mukai Kyorai, japanischer Dichter (* 1651) 12. Oktober: Hieronymus von Dorne, Bürgermeister von Lübeck (* 1646) 12. Oktober: Jacques-Henri de Durfort, duc de Duras, Marschall von Frankreich (* 1625) 28. Oktober: John Locke, englischer Philosoph (* 1632) 30. Oktober: Friederike Amalie von Dänemark, Herzogin von Schleswig-Holstein-Gottorf (* 1649) 1. November: Johann Ludwig I., Fürst von Anhalt-Zerbst (* 1656) 4. November: Andreas Acoluthus, deutscher Orientalist und Sprachforscher (* 1654) 11. November: Johann Georg Knoll, deutscher Architekt und Baumeister (* um 1644) 16. November: Friedrich von der Asseburg, Ritter des Deutschen Ordens 20. November: Charles Plumier, französischer Botaniker (* 1646) 28. November: Magdalena Claudia von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld, Gräfin von Hanau-Münzenberg (* 1668) 1. Dezember: Joan Huydecoper van Maarsseveen, Regent und Bürgermeister von Amsterdam (* 1625) 6. Dezember: Johann Martin von Eyb, Fürstbischof von Eichstätt (* 1630) 9. Dezember: Johann Rudolf von Wämpl, kurfürstlich bayerischer Geheimer Ratskanzler und Konferenzrat (* 1638) 11. Dezember: Roger L’Estrange, englischer Verfasser von Flugblättern, Autor und ergebener Verteidiger des Königtums (* 1616) 22. Dezember: Paolo Boccone, italienischer Arzt und Botaniker (* 1633) 27. Dezember: Hans Albrecht von Barfus, kurbrandenburgisch-preußischer Generalfeldmarschall (* 1635) Genaues Todesdatum unbekannt Basile de Glemona, italienischer Missionar in China (* 1648) Leonhard Heckenauer, deutscher Kupferstecher (* 1658) Egbert van Heemskerk II, niederländischer Maler und Zeichner (* um 1634/35 oder 1645) Johann Heiss, deutscher Maler (* 1640) Johann Adolph Höltich, Stadtschreiber in Mölln und Jurist zu Lübeck (* 1641) Gottfried Keller, deutsch-englischer Musiker und Komponist (* um 1650) Elias Loccelius, brandenburgischer Chronist (* 1621) Mustafa II., Sultan des Osmanischen Reiches (* 1664) Wouter Schouten, niederländischer Schiffsarzt und Autor (* 1638) Johann Christoph Sebastiani, deutscher Architekt und Hofbaumeister in Trier (* 1640) Selim I. Giray, Khan der Krim (* vor 1671) Weblinks
Q6824
200.71121
448078
https://de.wikipedia.org/wiki/Rhizoid
Rhizoid
Rhizoide sind ein- oder mehrzellige wurzelersetzende Haarbildungen der Thallophyten. Sie kommen bei hochentwickelten Algen, Pilzen und Moosen vor, außerdem beim Gametophyten der Farnartigen Pflanzen. Bei Algen dienen sie vor allem der Verankerung am Untergrund (beispielsweise Boden, Holz und Rinde, Gestein, Muschelschalen oder große Algen). Rhizoide sind meist einfacher aufgebaut als Wurzeln und enthalten kein spezialisiertes Leitgewebe. Unter den Algen besitzen die Armleuchteralgen und viele Braunalgen Rhizoide. Bei den zu den Braunalgen gehörenden Laminariales sind diese Haftorgane oft derb, vielzellig und hoch differenziert. Bei Laubmoosen bestehen die Rhizoide aus Filamenten von Einzelzellen, bei Leber- und Hornmoosen aus langen, tubulären (schlauchförmigen) Einzelsträngen. Auch bei einigen wurzellosen Samenpflanzen, zum Beispiel den Wasserschläuchen, kommen Rhizoide vor. Einzelnachweise Pflanzenmorphologie Morphologie (Pilz) Phykologie he:מורפולוגיה של הצמח - מונחים#איברים בצמחים פרימיטיביים
Q944420
98.795515
8944
https://de.wikipedia.org/wiki/Gray
Gray
Das Gray [] (Einheitenzeichen: Gy) ist im Internationalen Einheitensystem (SI) die Maßeinheit der durch ionisierende Strahlung verursachten Energiedosis und beschreibt die pro Masse absorbierte Energie. Auch die Kerma wird in Gray gemessen. Es ist nach dem britischen Physiker und Vater der Radiobiologie, Louis Harold Gray (1905–1965), benannt. Das Gray findet vor allem Verwendung in der Medizin, etwa zur Angabe der angewendeten Strahlungsdosis bei einer Strahlentherapie oder der nuklearmedizinischen Therapie. Definition Das Gray wurde im Jahr 1975 als SI-Einheit definiert: Bezug zu anderen Einheiten Sievert Um die Energiedosis unterschiedlicher Strahlungsarten hinsichtlich der schädigenden Wirkung für Organismen besser vergleichen zu können, wird sie mit einem Gewichtungsfaktor multipliziert, dem Strahlungswichtungsfaktor. Durch ihn wird die relative biologische Wirksamkeit der Strahlung berücksichtigt. Da der Strahlungswichtungsfaktor eine Größe der Dimension Zahl ist, haben die Äquivalentdosis und die Energiedosis gleiche Dimension. Um jedoch den Unterschied zwischen den Dosisgrößen für den praktischen Gebrauch hervorzuheben und da sich der Zahlenwert der Dosisgröße durch den Strahlungswichtungsfaktor auch ändern kann, werden für Energiedosen Gray verwendet, für gewichtete Dosisgrößen Sievert. Die Bezeichnung J/kg soll nicht verwendet werden. Rad (veraltete Einheit) Bis zum 31. Dezember 1985 war die offizielle Einheit der Energiedosis das rad (Einheitenzeichen rd). Siehe auch Liste strahlenschutzrelevanter Maßeinheiten Quantifizierung der Strahlenexposition Einzelnachweise Kernchemie Strahlungsdosiseinheit
Q190095
383.311854
33531
https://de.wikipedia.org/wiki/Kategorientheorie
Kategorientheorie
Die Kategorientheorie oder die kategorielle Algebra ist ein Zweig der Mathematik, der Anfang der 1940er Jahre zuerst im Rahmen der Topologie entwickelt wurde; Saunders MacLane nennt seine 1945 in Zusammenarbeit mit Samuel Eilenberg entstandene „General Theory of Natural Equivalences“ (in Trans. Amer. Math. Soc. 58, 1945) die erste explizit kategorientheoretische Arbeit. Die Grundbegriffe dieser Theorie sind Kategorie, Funktor und natürliche Transformation. Um den letzteren Begriff zu präzisieren, wurden die ersten beiden ursprünglich eingeführt. Die Kategorientheorie lässt sich, ähnlich wie die universelle Algebra, als allgemeine Theorie mathematischer Strukturen auffassen (klassische Strukturen sind z. B. Gruppen, Ringe, Moduln und topologische Räume). Dabei werden Eigenschaften mathematischer Strukturen allerdings nicht über Relationen zwischen Elementen der Trägermenge(n) definiert, sondern mittels Morphismen und Funktoren quasi über Vergleiche sowohl innerhalb von als auch zwischen Kategorien. Bedeutung Diese Art der Abstraktion führt nicht nur zu einer Klärung grundlegender, theorieübergreifender Begriffe, sie ermöglicht es auch, erfolgreiche Methoden und Konzepte einer speziellen mathematischen Theorie auf andere Bereiche und Objektklassen zu übertragen. Ein illustratives Beispiel liefert die Geschichte der homologischen Algebra, deren Methoden zuerst auf abelsche Gruppen beschränkt waren, dann auf Moduln über Ringen verallgemeinert wurden und schließlich, als Theorie der abelschen Kategorien, auf abelsche Garben übertragen wurden. Die Kategorientheorie ist ebenso für Grundlagenfragen relevant. So bilden Topoi, kategorientheoretische Extrakte der Kategorie der Mengen, in der wichtige Eigenschaften von Mengen rein pfeiltheoretisch (d. h. über Morphismen) formuliert werden, eine Alternative zum axiomatischen mengentheoretischen Aufbau der Mathematik. Darüber hinaus spielt die Kategorientheorie in der Logik, der Theoretischen Informatik (Semantik von Programmiersprachen, Bereichstheorie, Graphgrammatiken) und der mathematischen Physik (topologische Quantenfeldtheorie) eine Rolle. Aufgrund ihres hohen Grades an Abstraktion wird die Kategorientheorie gelegentlich – selbst von den Mathematikern, die sie entwickelten – als allgemeiner Unsinn bezeichnet. Definitionen Kategorie Eine Kategorie besteht aus folgendem: Einer Klasse von Objekten. Einer Klasse von sogenannten Pfeilen oder Morphismen. Ein Morphismus ist ein Element einer Klasse die es zu jedem Paar von Objekten gibt (auch mit , , oder bezeichnet). Diese Klassen sind paarweise disjunkt, d. h. kein Morphismus , auch geschrieben, ist Element einer anderen Morphismenklasse. ist die Quelle eines Morphismus und wird auch mit bezeichnet (von englisch domain), das Ziel mit (von co-domain). Verknüpfungsabbildungen die im offensichtlichen Sinne assoziativ sind: sofern und . (Gelegentlich wird das weggelassen und als angeschrieben.) einem Identitätsmorphismus zu jedem Objekt , der neutrales Element für die Verknüpfung mit Morphismen mit Quelle oder Ziel ist, d. h. es gilt , falls ist, und , falls . Anstelle ist auch die Form gebräuchlich. Die Klasse aller Morphismen wird auch mit oder bezeichnet (von englisch arrow, französisch flèche, deutsch Pfeil). Unterkategorie Eine Unterkategorie einer Kategorie ist eine Kategorie , so dass eine Teilklasse von ist und für je zwei Objekte und in die Morphismenmenge Teilmenge von ist. Sind die Morphismenmengen von gleich denen von , ist eine volle Unterkategorie. Eine volle Unterkategorie ist schon durch die Angabe der Objekte bestimmt. Duale Kategorie Die duale Kategorie zu einer Kategorie ist die Kategorie mit und . Die Verknüpfungsabbildungen und Identitätsmorphismen sind dieselben wie in . Anschaulich gesagt, zeigen in alle Pfeile in die andere Richtung. Die Kategorie ist gleich . Produktkategorie Die Produktkategorie zu zwei Kategorien und ist die Kategorie, deren Objekte genau die Paare mit und sind und deren Morphismen gegeben sind durch . Die Verknüpfung von Morphismen geschieht komponentenweise, d. h. , und es ist . Funktor Ein (kovarianter) Funktor ist eine strukturverträgliche Abbildung zwischen Kategorien. Ein Funktor von einer Kategorie in eine Kategorie besteht aus den folgenden Daten: eine Zuordnung Abbildungen für je zwei Objekte , von . Die Abbildungen zwischen den Morphismenmengen müssen folgende Eigenschaften haben: Sie sind kompatibel mit Verknüpfungen, d. h. . Sie erhalten Identitätsmorphismen: . Ein kontravarianter Funktor (oder Kofunktor) von nach ist ein Funktor . Äquivalent dazu ist die Beschreibung wie oben, mit den folgenden Unterschieden: Die Abbildungen auf den Morphismenmengen gehen von nach . Die Kompatibilität mit den Verknüpfungen lautet . Ein Funktor von einer Kategorie in sie selbst heißt Endofunktor. Sind Kategorien und sowie ko- oder kontravariante Funktoren, so ist die Verkettung (auch geschrieben), die formal durch für Objekte und Morphismen definiert ist, ein Funktor . ist genau dann kovariant, wenn und beide ko- oder beide kontravariant sind, andernfalls kontravariant. Natürliche Transformation Natürliche Transformationen sind eine Art Abbildung zwischen „parallelen“ Funktoren. Es wird von Funktoren und ausgegangen, die beide von derselben Kategorie in dieselbe Kategorie gehen. Eine natürliche Transformation von nach enthält für jedes Objekt von einen Morphismus , genannt Komponente von bei . Dabei muss für jeden Morphismus zwischen Objekten von das folgende Diagramm kommutieren: Als Formel bedeutet das: . Natürlich äquivalent sind zwei Funktoren und von nach , wenn es natürliche Transformationen und gibt, so dass und jeweils die Identität sind. Anders formuliert: Natürliche Äquivalenz ist der Isomorphiebegriff in der Funktorkategorie. Eine natürliche Transformation ist eine natürliche Äquivalenz genau dann, wenn jede Komponente ein Isomorphismus ist, man nennt daher auch einen natürlichen Isomorphismus. Äquivalenz von Kategorien: Ein Funktor heißt eine Äquivalenz von Kategorien, wenn es einen Funktor gibt, so dass und jeweils natürlich äquivalent zur Identität von bzw. sind. Man kann zeigen, dass Äquivalenzen von Kategorien genau die volltreuen, wesentlich surjektiven Funktoren sind. Beispiele Kategorien Hinweis: Die Bezeichnungen für spezielle Kategorien sind in der Literatur extrem uneinheitlich. Oft wird eine Beschreibung der Kategorie in runde oder geschweifte Klammern gesetzt, z. B. (Gruppen), oder unterstrichen. Die Kategorie Set, Ens bzw. Me (von engl. set, franz. ensemble, deutsch Menge) ist die Kategorie der Mengen. Die Kategorie besteht aus der Klasse , die alle Mengen enthält, und die Morphismenmenge enthält genau die Abbildungen von nach , d. h. Die Verknüpfung zweier Morphismen ist die Verkettung der Abbildungen. PoSet oder Pos wird die Kategorie der halbgeordneten Mengen (Objekte) und monotonen Abbildungen (Morphismen) genannt. Top bezeichnet die Kategorie der topologischen Räume (Objekte) und stetigen Abbildungen (Morphismen). Eine interessante Unterkategorie ist beispielsweise die volle Unterkategorie KHaus der kompakten Hausdorffräume. die Kategorie Grp oder Gr der Gruppen mit den Gruppenhomomorphismen als Morphismen; weiter die volle Unterkategorie AbGrp der abelschen Gruppen, die sehr konsequent auch mit Ab bezeichnet wird. die Kategorie NLinSp der normierten linearen Räume mit den stetigen (=beschränkten) linearen Abbildungen. Unterkategorien sind z. B. die Banachräume mit stetigen linearen Abbildungen (BanSp1), die Banachräume mit stetigen normreduzierenden Abbildungen (BanSp2), oder kommutative komplexe Banachalgebren mit Einheit und normreduzierenden Algebrenhomomorphismen (CBanAlg). Die Kategorie der kleinen Kategorien Cat oder Kat: Eine Kategorie heißt klein, wenn die Klasse ihrer Morphismen eine Menge ist. Die Objekte von Cat sind die kleinen Kategorien und die Morphismen sind die Funktoren. (Die Beschränkung auf kleine Kategorien ist aus mengentheoretischen Gründen nötig.) Eine Menge mit einer Halbordnung bestimmt eine Kategorie: Objekte sind die Elemente der Menge, und habe genau ein Element (z. B. das geordnete Paar ), falls , und sei andernfalls leer. Ist hierbei leer, ergibt sich eine Kategorie ganz ohne Objekte und Morphismen. Sie wird mit bezeichnet und heißt die initiale oder leere Kategorie. Die Benennung rührt daher, dass initiales Objekt in Cat ist. Ist dagegen einelementig, ergibt sich eine Kategorie , die aus genau einem Objekt und dessen Identitätsmorphismus besteht. Sie wird finale oder terminale Kategorie genannt, was dadurch motiviert ist, dass finales Objekt in Cat ist. Sind und Kategorien, so kann man die Funktorkategorie bilden: Objekte sind Funktoren von nach , Morphismen sind natürliche Transformationen. Ist eine Kategorie und ein Objekt von , so ist die Kategorie der Objekte über wie folgt definiert: Objekte von sind Morphismen in mit Ziel , und Morphismen von sind Morphismen von , die mit den „Strukturmorphismen“ nach verträglich sind, d. h. sind und zwei Objekte von , so sind Morphismen von nach in die Morphismen von nach , für die gilt. Umgekehrt sei * ein fester einpunktiger topologischer Raum. Dann ist die Kategorie der topologischen Räume unter * isomorph zur Kategorie Top* der punktierten topologischen Räume. Die meisten der oben genannten Beispiele sind so geartet (oder lassen sich leicht dahingehend anpassen), dass die Objekte Mengen zusammen mit einer Zusatzstruktur sind, die Morphismen Abbildungen, die mit dieser Struktur verträglich sind, und die Verknüpfung von Morphismen die Hintereinanderausführung von Abbildungen ist. Man spricht in diesem Fall von einer konkreten Kategorie. Es ist jedoch nicht jede Kategorie konkret oder auch nur äquivalent zu einer konkreten Kategorie (d. h. konkretisierbar). Nicht konkretisierbar sind beispielsweise (ohne Beweis): Die Homotopie-Kategorie HoTop bzw. hTop mit topologischen Räumen als Objekten und Homotopieklassen stetiger Abbildungen als Morphismen. Die Kategorie der kleinen Kategorien, allerdings mit den natürlichen Äquivalenzklassen von Funktoren als Morphismen. Funktoren Meist gibt man für Funktoren nur die Zuordnung der Objekte an, wenn die Abbildungen auf den Morphismenmengen daraus leicht zu ersehen sind. Für ein Objekt einer Kategorie ist die Zuordnung ein (kovarianter) Funktor . Der Funktor ist kontravariant. Hierzu siehe auch Hom-Funktor. Es sei ein Körper und die Kategorie der Vektorräume über mit den -linearen Abbildungen als Morphismen. Es sei nun ein kontravarianter Funktor wie folgt definiert: Für ein Objekt ist der Dualraum von Für eine lineare Abbildung ist Man überprüft leicht, dass und gilt. : ordnet einem unitären Ring seine Gruppe der Einheiten zu. Allgemeiner: : ordnet einem Ring die Gruppe der invertierbaren -Matrizen zu. Die Fundamentalgruppe ist ein Funktor , von der Kategorie der punktierten topologischen Räume (die Punktierung gibt den Basispunkt an) in die Kategorie der Gruppen; die höheren Homotopiegruppen sind Funktoren ; die Homologiegruppen sind Funktoren ; die Kohomologiegruppen sind kontravariante Funktoren . Vergissfunktoren: Es gibt offensichtliche Funktoren , , usw., die einfach einen Teil der Struktur „vergessen“, d. h. einer abelschen Gruppe die zugrundeliegende Menge, einer abelschen Gruppe sich selbst (aber ohne die Information, dass sie abelsch ist), einem topologischen Raum die zugrundeliegende Menge usw. zuordnen. „Freie“ Konstruktionen, hier freie abelsche Gruppe: Jeder Menge kann man die abelsche Gruppe (mit punktweiser Addition) zuordnen. Zusammen mit offensichtlichen Zuordnungen für Abbildungen, nämlich , ergibt sich ein Funktor von nach . Es gibt dann eine kanonische Isomorphie , wobei der Vergissfunktor ist. Man sagt, ist (links-)adjungierter Funktor zu . Ähnliche Konstrukte existieren für viele Vergissfunktoren. Funktoren zwischen Kategorien, die von halbgeordneten Mengen bestimmt werden (s. o.), sind gerade monotone Abbildungen. Natürliche Transformationen Die Bezeichnungen seien wie im Beispiel des Funktors „Dualraum“ oben. Die Abbildungen eines Vektorraumes in seinen Bidualraum bilden eine natürliche Transformation Auf der vollen Unterkategorie der endlichdimensionalen Vektorräume ist eine natürliche Äquivalenz. : Für einen Ring ist der Gruppenhomomorphismus , die Determinante. Die Hurewicz-Abbildung Das Cupprodukt in der Kohomologie. Die Abelisierung einer Gruppe Yoneda-Lemma und universelle Konstruktionen Universelle Konstruktionen übertragen einfache Begriffe aus der Kategorie der Mengen auf beliebige Kategorien. Das Yoneda-Lemma Es sei eine Kategorie. Der Funktor der einem Objekt den Funktor zuordnet, ist volltreu. Allgemeiner gilt für Objekte von und von : ; einer natürlichen Transformation wird dabei zugeordnet (man beachte ). Strukturtransfer Das Yoneda-Lemma erlaubt es, Begriffe, die aus der Kategorie der Mengen geläufig sind, auf beliebige Kategorien zu übertragen. Beispielsweise kann man ein Produkt von Objekten definieren als ein Objekt , für das objektweise das kartesische Produkt der ist, d. h., dass gilt; dabei meint eine natürliche Äquivalenz von Funktoren in . Diese Äquivalenz liefert für als Entsprechung von auch Morphismen . Das Yoneda-Lemma zeigt dann, dass bis auf kanonische Isomorphie eindeutig bestimmt ist: sind und via natürlich äquivalente Funktoren, so sind und via isomorph. „Universell“ ist dieses kategorielle Produkt in dem folgenden Sinn: wann immer man Abbildungen gegeben hat, kommen diese von den universellen Abbildungen her, d. h. es gibt eine Abbildung , so dass gilt. Außerdem kann man zu jeder derart gewonnenen Konstruktion die duale Konstruktion bilden (meist durch eine Vorsilbe „Ko“ gekennzeichnet), indem man zur dualen Kategorie übergeht. Beispielsweise ist das Koprodukt von Objekten in einer Kategorie dasselbe wie das Produkt derselben Objekte in der dualen Kategorie . Entsprechend können auch Eigenschaften von Mengenabbildungen auf beliebige Kategorien übertragen werden: beispielsweise ist ein Morphismus ein Monomorphismus, wenn objektweise injektiv ist. Spezielle universelle Konstruktionen bzw. Begriffe Produkt und Koprodukt Anfangsobjekte und Endobjekte Differenzkern und Differenzkokern Faserprodukt und Pushout allgemein Limites bzw. Kolimites injektive und projektive Objekte adjungierte Funktoren 2-Kategorie Siehe auch Kategorie (Philosophie) Literatur Einführungen: F. W. Lawvere, Stephen Schanuel: Conceptual Mathematics. A first introduction to categories. Cambridge 1997, ISBN 0-521-47817-0. Steve Awodey: Category Theory. Clarendon Press, Oxford 2006, ISBN 0-19-856861-4. Michael Arbib, Ernest G. Manes: Arrows, Structures and Functors. The Categorical Imperative. Academic Press, 1975. Hartmut Ehrig, Michael Pfender und Studenten der Mathematik und Informatik: Kategorien und Automaten. Walter de Gruyter, Berlin/ New York 1972, ISBN 3-11-003902-8. (Das Buch gibt in den Kapiteln 1, 3 und 5 eine in sich abgeschlossene Einführung in die allgemeine Kategorientheorie und in den Kapiteln 2, 4 und 6 wird die Automatentheorie mit kategoriellen Methoden entwickelt.) Samson Abramsky, Nikos Tzevelekos: Introduction to Categories and Categorical Logic. Klassische Lehrbücher: J. Adámek, H. Herrlich, G.E. Strecker: Abstract and concrete categories. The Joy of Cats. John Wiley, 1990. Horst Herrlich, George E. Strecker: Category Theory: An Introduction. Boston 1973. Saunders MacLane: Kategorien: Begriffssprache und mathematische Theorie. Berlin 1972, ISBN 3-540-05634-3. Saunders MacLane: Categories for the Working Mathematician. 2. Auflage. Springer, 1998, ISBN 0-387-98403-8. Bodo Pareigis: Kategorien und Funktoren. B. G. Teubner, Stuttgart 1969. Horst Schubert: Kategorien I/II. Springer, 1970. Ein Nachschlagewerk: Francis Borceux: Handbook of categorical algebra. 3 vol (1: Basic category theory; 2: Categories and structures; 3: Categories of sheaves). – Cambridge 1994. (Encyclopedia of Mathematics and its Applications, 50/52) ISBN 0-521-44178-1, ISBN 0-521-44179-X, ISBN 0-521-44180-3. Ein Sammelband: W. Gähler, G. Preuss: Categorical Structures and their Applications. World Scientific, 2004, ISBN 981-256-053-X. Weblinks PlanetMath Übersichtsartikel (englisch) Eine „sanfte Einführung“ in die Kategorientheorie, die nur mit Beispielen aus der Algorithmik arbeitet (englisch; 80 S.; PDF) nLab, Wiki mit vielen Einträgen über Kategorientheorie und den Bezug zu anderen Disziplinen J. Adámek, H. Herrlich, G.E. Strecker: Abstract and concrete categories. The Joy of Cats. Online ed. 2004 (PDF; 4,4 MB) Theory and Applications of Categories, Zeitschrift Categories, moderierte Liste von Kategorientheoretikern über Kategorientheorie Einzelnachweise Teilgebiet der Mathematik
Q217413
146.976519
31099
https://de.wikipedia.org/wiki/Korrosion
Korrosion
Korrosion (von ‚zersetzen‘, ‚zerfressen‘, ‚zernagen‘) ist aus technischer Sicht die Reaktion eines Werkstoffs mit seiner Umgebung, die eine messbare Veränderung des Werkstoffs bewirkt. Korrosion kann zu einer Beeinträchtigung der Funktion eines Bauteils oder Systems führen. Eine durch Lebewesen verursachte Korrosion wird als Biokorrosion bezeichnet. In der Geologie versteht man unter Korrosion die Zersetzung von Gesteinen durch Einwirkung von Wasser und etwa Kohlenstoffdioxid aus der Luft. Solche Verwitterungsprozesse insbesondere unter Mitwirkung von Schwefeldioxid und Frost spielen auch bei Gebäuden eine Rolle. In der Medizin bezeichnet die Korrosion die Zersetzung von Geweben, mit Absicht angewandt, um Schauobjekte zu präparieren. Die Korrosion von Metallen (Metallkorrosion) ist nach DIN EN ISO 8044 (ehemals DIN 50900) eine von der Oberfläche ausgehende physikochemische Wechselwirkung zwischen Metall und Umgebung, die auf einer Redoxreaktion unter Bildung von Metalloxid mit Sauerstoff als Oxidationsmittel beruht. Vor allem die Korrosion von Eisen zu Rost ist von großer Bedeutung. Sie läuft nur in Gegenwart von Feuchtigkeit und Sauerstoff ab und wird gefördert durch die Anwesenheit von Salzen als Ladungsträgern. Auch der Kontakt mit edleren Metallen wie Kupfer, Nickel und Chrom bewirkt in feuchter Umgebung den Lochfraß von Eisen. Unedlere Metalle wie Zink hingegen schützen Eisen vor Korrosion. Durch Bewitterung wird eine Zinkschicht jedoch über die Jahre abgetragen. Form und Maß metallischer Korrosion sind von einem komplexen Zusammenspiel verschiedener Parameter abhängig und in der Regel nicht allein anhand von einzelnen Einflüssen vorherzusagen. Auch reagieren Metalle sehr unterschiedlich auf Umgebungsbedingungen. Aluminium, Blei, Chrom, Corten-Stahl, Rostfreier Stahl, Kupfer, Nickel, Silicium, Titan, Zink, Zinn bilden in vielen Fällen eine sauerstoffundurchlässige Oxidschicht (Passivschicht) an der Oberfläche, die das Material vor weiterer Korrosion schützt. Edelmetalle sind ohnehin reaktionsträge. Polymere wie Kunststoff und Gummi werden zwar durch bestimmte Chemikalien zersetzt und unterliegen einer Alterung, sind jedoch nicht von Korrosion im eigentlichen Sinne betroffen. Chemie In der Chemie bezeichnet Korrosion die chemische Reaktion oder eine elektrochemische Reaktion eines meist metallischen Werkstoffes mit Stoffen aus seiner Umgebung in einem Korrosionselement, wobei eine messbare Veränderung am Werkstoff eintritt, meist eine Änderung der Farbe sowie oft eine negative Veränderung der sonstigen Oberflächeneigenschaften. In bestimmten Fällen kommt es zu einer Massenzunahme am Metall. Hauptarten der chemischen Korrosion sind dabei: Anlaufen von Silber unter Bildung von Silbersulfid Bakterielle anaerobe Korrosion Glaskorrosion Patinabildung bei Kupfer Rost­bildung bei Eisen bzw. allgemeiner Sauerstoffkorrosion Wasserstoffkorrosion (Säurekorrosion) Wasserstoffversprödung Die wichtigste elektrochemische Korrosion ist die Bimetallkorrosion beim Kontakt unterschiedlicher Metalle. Korrosion (Beispiele) Technik Definition Der Begriff der Korrosion ist in der DIN EN ISO 8044 (früher DIN 50900) wie folgt definiert: „Korrosion ist die Reaktion eines metallischen Werkstoffs mit seiner Umgebung, die eine messbare Veränderung des Werkstoffs bewirkt (Korrosionserscheinung) und zur Beeinträchtigung der Funktion eines Bauteiles oder eines ganzen Systems (Korrosionsschaden) führen kann. In den meisten Fällen ist diese Reaktion elektrochemischer Natur, in einigen Fällen kann sie jedoch auch chemischer oder metallphysikalischer Natur sein.“ Korrosionsrate Die Korrosionsrate oder Abtragsrate gibt die Geschwindigkeit der Materialveränderung bzw. des Materialabtrags an. Sie wird in Millimeter je Jahr (mm/a), im angelsächsischen Bereich in mils/year (tausendstel Inch je Jahr) angegeben. Unter standardisierten Bedingungen charakterisiert sie bei metallischen Werkstoffen die Anfälligkeit für Korrosion. Die Korrosionsrate hängt von den Konzentrationen der beteiligten Stoffe (beispielsweise Sauerstoff, Wasser, Chlor), dem pH-Wert, der Temperatur und weiteren Parametern ab. Je nach Bedingungen treten zudem unterschiedliche Formen der Korrosion auf. Die Korrosionsrate kann im Bereich von mehreren Größenordnungen schwanken. Die meisten Angaben sind daher nur als grobe Richtwerte zu sehen. Für rostfreie Stähle liegt die Rate bei unter 0,001 mm/Jahr, bei Aluminium im einstelligen Tausendstel Bereich und bei niedrig legierten Stählen im Bereich von mehreren Zehntel Millimetern pro Jahr. Die Messung der Korrosionsrate muss für eine gute Vergleichbarkeit nach dem jeweiligen Standard für eine Anwendung geschehen. Für die Messung an Bauteilen von wenigen Millimetern Größe werden häufig elektrochemische oder Tomografieverfahren verwendet. Korrosive Mittel Sind die Stoffe, die das Bauteil umgeben, auf den Werkstoff einwirken und die Korrosion verursachen, z. B. die Raumluft, Freiluftatmosphäre mit oder ohne Industrieverschmutzung, Meeres-Atmosphäre, Süß- und Salzwasser, Erdboden oder Chemikalien. Arten der Korrosion Korrosionsarten werden nach Material, Ursache und Erscheinungsbild unterschieden. Die Norm definiert 37 verschiedene Korrosionsarten. In der Technik werden neben werkstoffbasierter Korrosion weitere Arten der Korrosion anhand des Ortes ihres Auftretens unterschieden: Kontaktkorrosion kann auftreten, wenn zwei Metalle mit unterschiedlichen Potentialen leitend miteinander verbunden werden. Lochfraßkorrosion Muldenkorrosion Flächenkorrosion Spannungsrisskorrosion Schwingungsrisskorrosion Spaltkorrosion Interkristalline Korrosion Messerlinienkorrosion Erosionskorrosion Unterwanderungskorrosion Streustromkorrosion Andere Arten der Korrosion: Filiformkorrosion Hochtemperaturkorrosion Korrosionsschutz Ein passiver Korrosionsschutz verhindert den Kontakt des zu schützenden Materials mit dem Korrosionsmedium durch Abschirmung, während bei einem aktiven Schutz die vollständige Trennung von Material und korrosivem Medium nicht erforderlich ist. Aktiver Schutz Opferanode Fremdstromanode Thermisches Spritzen Feuerverzinken Sherardisieren Zinklamellenüberzug kathodischer Korrosionsschutz Polarisation Schwachstrom Inhibitoren Verringerung des Sauerstoffgehaltes Förderung der Passivschichtbildung Homogenisierung des Gefüges Optimierung der Oberfläche Passiver Schutz Feuerverzinken Schutzanstrich bzw. Schutzbeschichtung mit entsprechender Vorbehandlung oder unter Verwendung von Haftvermittlern Sonstiger organischer Transportschutz: Fette, Wachse, fluoriertes Polyurethan (FPU) Anorganischer nichtmetallischer Schutz: Passivierung, Oxide, Glas, insbesondere Borosilikatglas Anorganischer metallischer Schutz: Hämatit (Eisenglimmer), Zink, Aluminium Konstruktive Maßnahmen: durchgehend schweißen etc. Unterschiedliche Metalle nicht in direktem Kontakt verbauen, z. B. keine Chrom- oder Aluminiumzierteile direkt auf Stahl; Kfz-Nummernschilder mit Kunststoffzwischenlage montieren An gefährdeten Stellen Wasserabläufe vorsehen (z. B. in Autotüren) Hohlraumversiegelung Relais mit Schutzgas-Füllung, Reed-Relais Elektrolytisches Vergolden, z. B. in der Zahntechnik Luftfilterung und Überdruckbelüftung von Gehäusen und Schaltschränken, z. B. durch chemisorptive Filter, zur Elimination korrosiver Gase wie H2S Hinweis: Durch Feuerverzinken entsteht sowohl ein passiver als auch ein aktiver Korrosionsschutz. Bauten: Korrosion von Gestein In der Geologie ist Korrosion die zersetzende chemische Verwitterung von Gesteinen durch verschiedene in Wasser gelöste Agentien (siehe auch → Mischungskorrosion). Auch bei Bauten tritt eine solche Korrosion auf, dort oft Steinfraß genannt. Wie das Wort Verwitterung andeutet, spielt dabei die Witterung oder vielmehr das regionale Klima eine große Rolle. Durch konstruktive Maßnahmen kann Korrosion an steinernen Bauteilen verringert werden, z. B. durch Verwendung solider Materialien, Tropfkanten, überstehende Dachkanten zum Schutz der Fassaden, Pflege, Vermeidung von Bewuchs, Vorbeugung von Hochwasser- und Grundwasser­schäden, Vermeidung von Baumbepflanzung oberhalb von Abwasserleitungen. Medizin: Korrosion von Gewebe In der Medizin versteht man unter „Korrosion“ die Zerstörung von tierischem Gewebe, die durch eine Entzündung oder ätzende Mittel hervorgerufen wird. Andererseits spielt auch die Korrosion von Metallen in der Implantologie und der Zahnmedizin eine Rolle. Korrosionsprodukte als Verbindungen oder Ionen können bioaktive (z. B. Magnesium oder Calcium) aber auch allergene (z. B. Nickel) oder pathologische Effekte haben. Das vielseitige klinische Erscheinungsbild wird als Metallose bezeichnet und ist in den Anfängen meist symptomlos. Schaupräparate zum Studium der Anatomie werden mitunter durch Korrosion hergestellt. Siehe auch Entzinkung Korrosionsmedium Schwingungsrisskorrosion Spannungsrisskorrosion Kesternichtest (Korrosionsprüfung mit Schwefeldioxid) Korrosionszuschlag Literatur Helmut Kaesche: Die Korrosion der Metalle – Physikalisch-chemische Prinzipien und aktuelle Probleme. Springer-Verlag, Berlin/ Heidelberg/ New York 1979, ISBN 3-540-08881-4. Fonds der Chemischen Industrie: Korrosion / Korrosionsschutz. Folienserie und Textheft Nr. 8, Frankfurt am Main 1994. Weblinks Korrosion Einzelnachweise
Q137056
226.743742
51221
https://de.wikipedia.org/wiki/Schauspiel
Schauspiel
Der Begriff Schauspiel im Theater wird entweder für ein überwiegend gesprochenes Drama verwendet oder für eine Sparte der Bühnenkünste, die von Schauspielern ausgeübt wird. Im klassischen Mehrspartentheater bezeichnet er die mehrheitlich gesprochenen Theateraufführungen im Unterschied zu Musiktheater und Tanztheater. In Analogie zu diesen Begriffen wird die Sparte des Schauspiels auch Sprechtheater genannt. Ein hauptsächlich für Sprechtheater konzipiertes oder genutztes Theatergebäude wird als Schauspielhaus bezeichnet. Begriff Die Begriffe Schauspiel und Sprechtheater sind unabhängig von der Gattung. Sie können sowohl eine Tragödie als auch eine Komödie, ein Melodram oder eine Posse bezeichnen. Gustav Freytag hingegen grenzte das Schauspiel als geringere, gewöhnlichere Theatergattung vom Drama ab (Die Technik des Dramas, 1863) und favorisierte damit eine klassizistische Art von Theaterstücken, die man heute oft geschlossenes Drama nennt. Umgekehrt wurde das Schauspiel vor allem seit dem Ende des 19. Jahrhunderts als höhere Gattung gegenüber den musikbetonten Theaterformen (Operette, Vaudeville) und dem Schwank betrachtet, was sich in Theatern zeigt, die von einem populären Repertoire auf ein Bildungsangebot umstiegen, wie etwa das Deutsche Theater oder das Neue Friedrich-Wilhelmstädtische Theater um 1900. Daneben wird der Begriff Schauspiel auch abgrenzend für Dramen (Drama dann als Oberbegriff) verwendet, die weder Tragödie noch Komödie sind, also ernste Dramen mit gutem Ausgang. Geschichte Der Beruf des Schauspielers hat sich erst im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts von den Berufen des Sängers und des Tänzers getrennt. Während das klassische Schauspiel vor allem auch den Sinn hatte, eine makellose Aussprache der Texte auf die Bühne zu bringen, was als Teil seines Bildungsauftrags betrachtet wurde, hat sich der Vorrang der Sprecherziehung für das Schauspiel etwa seit der 68er-Bewegung verringert. Viele Spielarten der Regie im 20. Jahrhundert von Peter Zadek bis Christoph Marthaler haben das traditionelle Schwergewicht des Schauspiels auf der gesprochenen (Literatur-)Sprache in Frage gestellt. Literatur Peter Brook: Der leere Raum. 4. Auflage. Alexander Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-923854-90-0. Klaus Lazarowicz und Christopher Balme (hrsg.): Texte zur Theorie des Theaters. reclam Verlag, Stuttgart 1991, ISBN 3-15-008736-8. Siehe auch Filmschauspiel Naturschauspiel Weblinks Theatergenre
Q222749
333.841757
220239
https://de.wikipedia.org/wiki/Zhou-Dynastie
Zhou-Dynastie
Die Zhou-Dynastie () wird in eine westliche Dynastie mit der Hauptstadt Zongzhou/Hao (zirka 1122/1045–770 v. Chr.) und in eine östliche Dynastie mit der Hauptstadt Chengzhou bei Luoyang (770–256 v. Chr.) unterteilt. Die Verlegung der Hauptstadt folgte dem Einfall von Nomaden, die 771 den König You töteten und die alte Hauptstadt plünderten. Die Zhou-Dynastie folgte zeitlich auf die Shang-Dynastie und wurde von der Qin-Dynastie abgelöst. Zur Chronologie Eine andere traditionelle Einteilung bezieht sich auf die Existenz von Reichsannalen im Herzogtum Lu für die Jahre 722–481 v. Chr., nach denen man in eine Periode der Frühlings- und Herbstannalen (770–476 v. Chr.) und in die nachfolgende Zeit der Streitenden Reiche (476–221 v. Chr.) unterscheidet. Diese Einteilung steht alternativ zur „Zeit der späten/östlichen Zhou“. Die historische Datierung ist bis 841 v. Chr. unklar. Erst für die folgende Zeit beginnt der Historiker Sima Qian (145–84 v. Chr.) mit einer allgemein akzeptierten Datierung. Aus diesem Grunde gibt es beispielsweise heute noch verschiedene Jahresangaben für die Errichtung der Westlichen Zhou. Die beiden traditionellen Daten dafür sind 1122 v. Chr. und 1111 v. Chr., aber in der jüngeren Zeit tendiert man aufgrund neuer Untersuchungen der Zhou-Bronzeinschriften und der Bambusannalen zu einem späteren Zeitpunkt, etwa 1050 v. Chr. bis 1045 v. Chr. Letzteres sind auch die offiziell sanktionierten Angaben der Volksrepublik, die durch das Xia-Shang-Zhou-Projekt festgelegt wurden. Die generelle Unsicherheit beim Umgang mit allen Jahresangaben in der Frühzeit der Zhou sollte für die folgenden Datumsangaben beachtet werden. Die frühen/westlichen Zhou Die Abstammung der Dynastie wird auf einen Ackerbauminister des mythologischen Kaisers Shun zurückgeführt, der ein Lehen in Shaanxi erhielt. Sein Nachkomme Dan-fu wurde Herzog von Zhou, und dessen Urenkel Fa alias König Wu stürzte die Shang- bzw. (genauer) Yin-Dynastie. Der letzte Yin-König Zhouxin (1154–1122 v. Chr.) war ein Tyrann, dem diverse Grausamkeiten nachgesagt werden. Darüber hinaus sperrte er den Zhou-Herzog Chang (postum: Wen Wang, Zhōu Wén Wáng 周文王) zwei Jahre lang ein, bis dessen Verwandte mit allerlei Geschenken die Freilassung erwirken konnten. In der Gefangenschaft soll Chang die Trigramme Fu Xis studiert und sogar mit dem I-Ging begonnen haben. Nachdem Chang aufgrund der schwierigen Lage wieder in sein Amt eingesetzt wurde, hinterließ er seinem Sohn Fa die Weisung zum Sturz der Yin. Der König Zhouxin verlor unterdessen viele Anhänger und musste sich mit den Huai-Barbaren auseinandersetzen, was Fa zum Einmarsch in Henan ausnutzte. Er schlug Rebellen in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt, was jedem die Machtverhältnisse im Reich offenbarte und zum allgemeinen Aufstand führte. In der Schlacht von Muye (Streitwagen, Fußvolk) wurde König Zhouxin von Herzog Fa alias König Wu (reg. 1122–1117 v. Chr.) geschlagen, woraufhin er Selbstmord beging, indem er sich mitsamt dem Palast Lu Tai (chin. 鹿台) in Brand setzte. Die Zhou-Herrschaft blieb zunächst unsicher. Diverse Barbarenstämme unterwarfen sich, und zwar die I-Barbaren an der Küste im Osten, die unter dem Begriff Man-Barbaren zusammengefassten Bewohner im Süden und die Lü-Barbaren im Westen. Zongzhou/Hao im Wei-Tal (Provinz Shaanxi) wurde zur Hauptstadt. Zahlreiche Erben von namhafter Herkunft wurden als Lehnsherren eingesetzt – und erhoben sich bei erster Gelegenheit. Der neue Zhou-König Cheng (reg. 1115–1078 v. Chr.) blieb jedoch mit Hilfe des Regenten Dan (seines Onkels, saß in Lu in Shandong) und seines Sohnes Bo-kin siegreich. Unter König Cheng wurde eine Reichsverfassung eingeführt, auch soll das erste Kupfergeld gegossen worden sein. König Chao (1052–1001 v. Chr.) führte wiederholt Kriegszüge gegen die Barbaren im Yangtse-Gebiet und scheint auf dem letzten ertrunken zu sein. König Mu (1001–946 v. Chr.) führte ein neues Strafgesetzbuch ein, welches beinhaltete, dass man sich von Leibesstrafen loskaufen (und so die Staatskassen füllen) konnte. Mu setzte sich zudem mit den Quanrong (d. h. Hunde-)Barbaren im Nordwesten auseinander und bemühte sich der Überlieferung zufolge, bis zum Tarimbecken vorzustoßen. Es handelt sich hier um eine Zeit der Expansion und Kolonisation in alle Richtungen. Mu soll auch Xi Wang Mu besucht haben. Aus der Zeit der folgenden vier Herrscher wird nichts Wesentliches berichtet, abgesehen von der Gründung des Herzogtums Qin 936 v. Chr. Der fünfte Nachfolger von König Mu, König Li (878–827 v. Chr.), war ein Tyrann, der ebenfalls erfolglos vierzehn Armeen gegen die Barbaren im Süden und Südosten führte. Als Li von einer Revolte aus der Hauptstadt gejagt wurde, rettete der Herzog von Zhao seinen Sohn. Dieser, König Xuan (827–782 v. Chr.), wurde im Exil zum König ernannt und musste die Nachbarn im Norden zurückhalten, besonders die Jiangrong- und Quanrong-Barbaren (letztere auch: Yanyun), die möglicherweise schon ein Reitervolk waren. Dem gegen Ende seines Lebens bösartig und lasterhaft gewordenen Xuan folgte sein Sohn You (781–771 v. Chr.), der durch eine ebensolche Haltung sämtliche Unterstützung im Reich verlor. König You fand keine Hilfe, als die Quanrong aus dem Nordwesten Shaanxi angriffen. Er wurde getötet und die Hauptstadt Hao geplündert. Die späten/östlichen Zhou Ein Heer der Lehnsherren vertrieb dann die Barbaren und der neue König Ping (770–719 v. Chr., Sohn des König You) verlegte die Hauptstadt nach Chengzhou bei Luoyang (Provinz Henan), um sich vor weiteren Angriffen zu schützen. Xiang von Qin deckte seinen Rückzug und wurde dafür von König Ping mit alten Kernländern der Zhou belehnt. An diesem Punkt begann der Aufstieg des Staates Qin als Grenzschützer des chinesischen Kernlands im Nordwesten. Im Norden dehnte sich der Staat Jin aus, im Nordosten der Staat Qi. Während die Fürstentümer der genannten Grenzländer an der Peripherie wuchsen, blieb das chinesische Kernland selbst unterteilt in die Lehenstümer der alteingesessenen Fürsten. Als Zhuang von Zheng, der Herrscher von Zheng, eine aus Sicht des Zhou-Königs Huan (719–696 v. Chr.) unangemessen große Macht erlangt hatte, wollte Huan Zheng in die Schranken weisen. Nach Huans Niederlage im Jahr 707 v. Chr., bei der der König zudem verletzt wurde, war seine Autorität jedoch endgültig zerschlagen. Wenige Jahre darauf nahm Wu von Chu, Fürst im mächtigen südlichen Chu, ebenfalls den Königstitel (Wang) an, da sein Titel bei Hofe („Vizegraf“) im Umgang mit den eigenen Vasallen und den barbarischen Königreichen des fernen Südchina demütigend war. Chu bildete in der Folgezeit als zunächst noch unterentwickeltes Grenzland im Süden den mächtigen Gegenpol zu den nördlichen Grenzländern Qin, Jin und Qi, welche auf der Seite des Zhou-Hofs standen und in Chu die Bedrohung der alten Lehensordnung sahen – allerdings auch der eigenen Unabhängigkeit vom Königshof. Sehr bald waren die Zhou nur noch ein Machtfaktor unter vielen, und ab ungefähr 450 v. Chr. nur noch von kulturell-zeremonieller Bedeutung. Die Konflikte zwischen den mächtigsten Fürsten des Zhou-Reiches, welche miteinander in wechselnden Bündnissen um die Vorherrschaft (Hegemonie) kämpften, waren zugleich aber auch die Kulisse einer Epoche von grundlegenden Neuerungen in Wirtschaft, Kultur und Philosophie, in der sich Konzepte wie Zentralisierung, Staatsmonopole und die Schulen des Konfuzianismus und Taoismus entwickelten. Zeitgenössische Autoren beklagten in der Zeit der Frühlings- und Herbstannalen sowie danach in der Zeit der Streitenden Reiche allerdings eher eine Verwahrlosung der Sitten sowie Verrat, Meuchelmord, Bürgerkrieg und Angriffe von Barbaren. Die längst entmachtete (östliche) Zhou-Dynastie wurde 256 v. Chr. durch die Qin-Dynastie beseitigt. Staat und Wirtschaft, Veränderungen/Entwicklungen Das Reich teilte sich in 9 Provinzen und ca. 1700 Lehen. Es gab 5 Rangklassen von Lehnsherren, eine Hofhaltung mit königlichen Inspektionsreisen und ein diplomatisches Protokoll für den Umgang zwischen dem König und seinen Lehnsherren. Drei Großherzöge und sechs Minister fungierten als Staatsverwaltung. Die Macht der Lehnsherren richtete sich nach der Anzahl ihrer (Streit-)Wagen, ihren religiösen Privilegien (Opfer, Tänze, Hymnen), dem Alter ihrer Traditionen, ihrer Beziehung zum Königshaus und natürlich ihrem Reichtum. Bronzegefäße dienten dem Ahnenkult, ihre Inschriften enthielten Hinweise auf den Rang der betreffenden Familie. Insgesamt betrachtet wurde der Zusammenhalt des Staates durch ein komplexes System der Kulthierarchien und Riten bestimmt. Es gab Steuern („mittleres Quadrat“), Frondienste (3 von 10 Tagen) und Kriegsdienste. Im 6. Jahrhundert. v. Chr. verzeichnet man beispielsweise die Agrarsteuer in den Teilstaaten Lu und Zheng, Waffen und Getreideabgaben ersetzten den Kriegsdienst. Dies war ein Gegensatz zur Yin-Zeit, in der das Volk weniger mit Frondiensten und Steuern belastet worden war, und erklärte sich aus den ständigen Auseinandersetzungen der großen Familien. Die Gesetze wurden nun in Bronze geschrieben, allerdings hatte man nur wenige Beamte zu ihrer Überwachung. Man begnügte sich mit der Statuierung von Exempeln. Die Philosophie erblühte durch Laozi, Konfuzius, Mengzi, Mo Zi, besonders zur Zeit der Frühlings- und Herbstannalen und der Zeit der Streitenden Reiche aufgrund der schwierigen Verhältnisse. Wandernde Berater (allein schon Konfuzius hatte 72 bedeutende Schüler) versuchten die Teilstaaten effektiver zu organisieren und den inneren Frieden zu festigen. Die straffere Organisation der Herzogtümer führte im 4. und 3. Jhd. v. Chr. auch zu einem wirtschaftlichen Aufschwung und technischen Neuerungen. Die Landwirtschaft wurde intensiviert, man verwendete Dünger, gegossene Eisenwerkzeuge (Eisenguss 513 v. Chr. nachgewiesen) und das Brustgurtgeschirr, was den Zugtieren nicht mehr die Luftröhre abdrückte. Ferner unterschied man mehrere Bodenarten, be- und entwässerte in großen Anlagen, deren Konstrukteure auch namentlich überliefert sind. Infolgedessen nahm die Bevölkerungszahl im Gegensatz zur frühen Zhou-Zeit zu. Auch die Art der Kriegsführung wandelte sich vom ritualisierten Privileg des Adels zum gewissenlosen Einsatz großer Bauernheere, die mehr als 100 000 Mann umfassen konnten. In diesem geänderten Umfeld formten sich die Machtgrundlagen der künftigen Qin-Dynastie. Könige der Zhou-Zeit Literatur Li Feng: Landscape and power in early China. The crisis and fall of the Western Zhou, 1045 – 771 BC. Cambridge University Press, Cambridge 2006. Michael Loewe, Edward L. Shaughnessy (Hrsg.): The Cambridge History of Ancient China. Cambridge University Press, Cambridge 1999. Weblinks Ah Xiang: Zhou Dynasty (uglychinese.org) Chinesische Dynastie
Q35216
237.484773
1671513
https://de.wikipedia.org/wiki/.de
.de
.de ist die länderspezifische Top-Level-Domain (ccTLD) der Bundesrepublik Deutschland. Sie wurde am 5. November 1986 bei der IANA delegiert und zunächst von der Universität Dortmund verwaltet, seit 1996/1997 übernimmt die DENIC mit Hauptsitz in Frankfurt am Main diese Aufgabe. Mit mehr als 17 Millionen registrierten Domains ist .de die drittgrößte Top-Level-Domain nach .com und .cn. Geschichte Am 5. November 1986 wurde .de gemäß ISO 3166 als Top-Level-Domain für Deutschland in der Root Zone des Domain Name Systems durch die IANA eingetragen. Seit diesem Tag können .de-Domains registriert werden. Im März 1988 verzeichnete das zu diesem Zeitpunkt an der Universität Dortmund angesiedelte Network Information Center insgesamt sechs .de-Domains: dbp.de, rmi.de, telenet.de, uka.de, uni-dortmund.de und uni-paderborn.de. Seit 1997 liegt die Verwaltung aller .de-Domains in Händen der DENIC, die ein Jahr zuvor ins Leben gerufen wurde. In der Genossenschaft haben sich zahlreiche Webhoster zusammengeschlossen, die ihrerseits als akkreditierter Registrar für .de-Domains auftreten. Zusätzlich bietet die DENIC unter der Bezeichnung DENICdirect selbst die Vergabe von .de-Domains an. Allerdings beinhaltet dies weder Webspace noch E-Mail-Adressen oder andere Leistungen. Verbreitung Mit 17,5 Millionen registrierten Domains ist .de eine der am häufigsten verwendeten länderspezifischen Top-Level-Domains, hinter der .cn (Volksrepublik China) mit 20,3 Millionen (Stand März 2023) registrierten Domains, aber vor .uk. Bei Betrachtung aller Adressen – also sowohl länderspezifischer als auch generischer Domains – liegt .de auf dem vierten Platz hinter den Top-Level-Domains .com, .tk und .cn. Die Marke von 15 Millionen .de-Domains wurde im April 2012 überschritten, seit Juni 2006 gibt es mehr als 10 Millionen Adressen. Die erste Million wurde am 5. Oktober 1999 erreicht. Die DENIC eG veröffentlicht jährlich Statistiken zur regionalen Verteilung von .de-Domains. In Deutschland stechen besonders die Ballungsgebiete Berlin, München und Hamburg durch die meisten Domains pro Kopf heraus. Allerdings wird diese Statistik durch den Sitz der großen Webhosting-Anbieter verfälscht: So liegt z. B. der Landkreis Starnberg auf dem zweiten Platz der Regionen mit den meisten Domains je Einwohner, da hier die Firma united-domains ansässig ist. Wie bei den meisten länderspezifischen Top-Level-Domains können auch .de Domains von Personen aus dem Ausland registriert werden. Bei Registrierungen aus dem Ausland liegen die USA, die Niederlande sowie Russland auf den vorderen Plätzen. Eigenschaften Insgesamt darf eine .de-Domain ein bis 63 Zeichen lang sein. Lange Zeit mussten Domains mindestens drei Zeichen lang sein, was sich mit Liberalisierung der Kriterien im Jahr 2008 änderte. Neben alphanumerischen Zeichen können alle deutschen Umlaute, das Eszett und diverse Zeichen anderer Sprachen gemäß der offiziellen Liste der DENIC genutzt werden. Diese werden in ihrer Punycode-Schreibweise auf die maximal erlaubte Länge angerechnet. Bindestriche, genauer Bindestrich-Minusse, sind möglich, jedoch weder an erster noch letzter Stelle der Domain. Auch darf nicht gleichzeitig an dritter und vierter Stelle ein Bindestrich stehen. Domains, die mit Bindestrichen gebildet werden, stellen die größte Gruppe dar und beträgt seit 2001 immer über die Hälfte aller Domain-Namen. Um eine .de-Domain zu registrieren, benötigt der künftige Inhaber keinen Wohnsitz oder Niederlassung in Deutschland. Hat der Domaininhaber seinen Sitz nicht in Deutschland, kann DENIC ihn auffordern, binnen zwei Wochen einen in Deutschland ansässigen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Ferner müssen für eine Domain-Delegierung bereits während der Anmeldung mindestens zwei Nameserver genannt werden, die autoritativ für die jeweilige .de-Domain antworten. Alternativ bietet die DENIC unter dem Namen NSentry an, für eine Domain bis zu fünf A- oder MX-Einträge direkt in die .de-Zone aufzunehmen. Zeitraum Eine .de-Domain wird grundsätzlich unbefristet registriert, die Gebühren sind üblicherweise mindestens ein Jahr im Voraus fällig. Dies gilt sowohl für die Vergabe durch DENICdirect als auch einen akkreditierten Registrar. Gibt der Registrar die Verwaltung einer .de-Domain auf, ohne diese zu löschen, wird diese in den sogenannten Transit-Zustand gesetzt. Dieser ermöglicht es dem Inhaber, sie zu einem anderen Domain Name Registrar zu transferieren oder durch DENICdirect verwalten zu lassen. Alternativ kann auch dann noch die Löschung veranlasst werden. Seit dem 3. Dezember 2013 kann eine .de-Domain nach der Löschung nicht sofort wieder durch Dritte angemeldet werden: Es wurde eine sogenannte Redemption Grace Period (RGP) eingeführt, wie sie bei anderen Top-Level-Domains wie .com bereits seit 2002 üblich ist. Sie räumt dem Inhaber eine 30-tägige Bedenkzeit ein, während der die Löschung zurückgezogen werden kann. Damit soll die versehentliche Löschung einer .de-Domain verhindert werden. Sicherheit Durch AuthInfo sind .de-Domains vor unberechtigten Transfers geschützt. Eine solche Zeichenkette wird auf Anfrage durch den Inhaber oder dessen gesetzlichen Vertreter vom bisherigen Registrar (Domainhoster) erzeugt. Diese wird nun beim neuen Registrar angegeben, meist in einer Web-Anwendung, und ermöglicht damit erst den Umzug der Domain. Gleiches gilt für den Wechsel des Inhabers selbst. Das Verfahren gilt als Standard in der Branche und wurde ab 2008 getestet und im Februar 2010 final durch die DENIC umgesetzt. Zusätzlich unterstützt die Top-Level-Domain .de seit Frühjahr 2010 das DNSSEC-Verfahren. Dadurch soll sichergestellt werden, dass die Authentizität und Datenintegrität des Domain Name System gewährleistet bleibt und Abfragen eines Clients sowie die Antwort der DNS-Server nicht manipuliert werden können. Nach einem Testversuch im Juli 2009 wurde DNSSEC im Januar 2010 für .de erstmals in Betrieb genommen. Dafür wurde die DENIC vom Verband der deutschen Internetwirtschaft (eco) sowie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik unterstützt. Kontroversen Kurt Biedenkopf forderte während seiner Amtszeit als Ministerpräsident des Freistaats Sachsen, die DENIC solle die Domain kurt-biedenkopf.de unbefristet sperren, sodass diese nicht von dritten Personen registriert werden könne. Biedenkopf wollte die Domain auch selbst nicht nutzen. Das Oberlandesgericht Dresden lehnte eine entsprechende Klage im November 2000 ab, woraufhin Biedenkopf vor den Bundesgerichtshof zog. Auch dieser folgte allerdings der Argumentation der DENIC, eine Sperre der genannten Domain sei nur dann zuzumuten, sofern eine Registrierung auch in Zukunft durch einen beliebigen Inhaber absehbar immer einen Verstoß gegen geltendes Recht darstellen würde. Im August 2004 wurde die .de-Domain von eBay auf einen neuen Inhaber übertragen, ohne dass eine Zustimmung des Auktionshauses vorlag. Ein Kunde der Webhosters Intergenia stellte einen KK-Antrag zum Wechsel des Inhabers, der aufgrund einer ausbleibenden Zurückweisung des Registrars Tucows ausgeführt wurde. Im Zuge dessen geriet die DENIC in die Kritik, keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen zu haben, obwohl ebay.de wenige Stunden nach dem Transfer auf den korrekten Inhaber wiederhergestellt wurde. eBay selbst sah entgegen ersten Ankündigungen von juristischen Schritten gegen den Initiator des KK-Antrags ab. Die DENIC vergab Domains zunächst nur ab einer Länge von mindestens drei Zeichen. Ausgenommen von dieser Regel waren ix.de, db.de und hq.de sowie die Adresse bb.de. Im Jahr 2008 wehrte sich die Volkswagen AG erfolgreich gegen die Entscheidung der DENIC, vw.de nicht registrieren zu dürfen. Daraufhin wurden die Vergabekriterien dahingehend geändert, dass sowohl einstellige als auch reine Zifferndomains gestattet wurden. Die neuen Domains waren am 23. Oktober 2009 innerhalb weniger Minuten vergeben. 2010 hatte das Landgericht Frankfurt am Main eine weitere Klage gegen die DENIC zu entscheiden. Auslöser war der Verlust von gewinn.de, gegen den sich der bisherige Inhaber aufgrund des hohen Werts der Domain juristisch wehren wollte. Letztendlich urteilte das Gericht, der Inhaber habe Fehler seines Domain Name Registrars selbst zu vertreten. Eine (Mit-)Verantwortung der DENIC wurde ausgeschlossen. Ferner wurde ausdrücklich klargestellt, dass Informationen in der Whois-Datenbank über den Inhaber einer .de-Domain nicht zwingend verbindlich sein müssen, sondern die eigentlichen Besitzverhältnisse abweichen können. Der Freistaat Bayern prozessierte ab 2008 ebenfalls gegen die DENIC, nachdem panamaische Unternehmen zahlreiche .de-Domains mit Bezug zu den Regierungsbezirken Unterfranken, Mittelfranken und Oberfranken sowie Oberpfalz angemeldet hatten. Von der Vergabestelle verlangte der Freistaat nach den Grundsätzen der Störerhaftung die Löschung der betroffenen Adressen, was zunächst abgewiesen wurde. Im Juni 2010 bejahte der Bundesgerichtshof aber die Ansprüche des Freistaates und erlegte der DENIC eine erweiterte Prüfungspflicht auf, nach der .de-Domains bei eindeutigen Rechtsverstößen umgehend zu löschen seien. Literatur Weblinks Offizielle Website der Vergabestelle DENIC Einzelnachweise Länderspezifische Top-Level-Domain Internet in Deutschland Technik (Deutschland)
Q37251
101.915587
4447
https://de.wikipedia.org/wiki/Symbiose
Symbiose
Symbiose (von sowie ) bezeichnet die Vergesellschaftung von Individuen zweier unterschiedlicher Arten, die für beide Partner vorteilhaft ist. Ausgehend von seinen Arbeiten an Flechten schlug Anton de Bary 1878 auf der 51. Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Kassel vor, die Bezeichnung Symbiose für jegliches Zusammenleben von artverschiedenen Organismen, also auch für den Parasitismus, in die Biologie einzuführen. In diesem weitgefassten Sinn wird die Bezeichnung Symbiose () noch immer in der US-amerikanischen Literatur für sämtliche Formen des koevolutionär entstandenen Zusammenlebens, vom Mutualismus über den Kommensalismus, den Neutralismus bis hin zum Parasitismus verwendet. In Europa wird die Bezeichnung Symbiose dagegen im eingangs definierten engeren Sinn verwendet. Bei Symbiosen zwischen Lebewesen, die sich durch ihre Größe erheblich unterscheiden, bezeichnet man den größeren Partner oft als Wirt, den kleineren als Symbiont. Häufigkeit von Symbiosen Der größte Teil der Biomasse auf der Erde besteht aus symbiotischen Systemen, da ein großer Teil der Bäume und Sträucher auf Bestäubung durch andere Spezies angewiesen ist. Hinzu kommen die Flechten, eine symbiotische Lebensgemeinschaft zwischen einem Pilz und Grünalgen oder Cyanobakterien. Viele im flachen Wasser lebende sessile wirbellose Meerestiere wie Feuerkorallen, die meisten Blumentiere sowie die Riesenmuscheln leben mit Fotosynthese betreibenden Zooxanthellen zusammen. Ein weiteres Beispiel sind die Magen- und Darmbakterien der Tiere, die etwa bei Wiederkäuern den Aufschluss zellulosereicher Pflanzennahrung ermöglichen. Unterscheidung nach dem Grad der wechselseitigen Abhängigkeit Eine Unterscheidungsmöglichkeit verschiedener Symbiosenformen ergibt sich aus dem Grad der wechselseitigen Abhängigkeit der beteiligten Arten: Protokooperation (Allianz): Lockerste Form einer Symbiose: Beide Arten ziehen zwar einen Vorteil aus dem Zusammenleben, sind aber ohne einander gleichwohl lebensfähig. Mutualismus: Regelmäßige, aber nicht lebensnotwendige Beziehung der Symbionten. Eusymbiose, auch obligatorische Symbiose ( „gut, echt“): Bei der Eusymbiose sind die Partner alleine nicht mehr lebensfähig. So kultivieren Blattschneiderameisen in ihrem Bau Pilze, von denen sie sich ernähren; die Pilze wiederum können sich ohne die Ameisen nicht vermehren. Unterscheidung auf der Basis der räumlichen Beziehung Eine Unterscheidung verschiedener Symbioseformen ergibt sich aus der räumlichen oder körperlichen Beziehung der beiden beteiligten Arten: Endosymbiose: einer der Partner (Endosymbiont) wird in den Körper des anderen (Wirt) aufgenommen. Beispiele sind bestimmte Enterobakterien im Darm von Menschen und Tieren, Knöllchenbakterien in den Wurzeln von Hülsenfrüchtlern, Zooxanthellen in den riffbildenden Steinkorallen des Tropengürtels und Nitrat-atmende Bakterien in den anaeroben Tiefen einiger meromiktischer Seen. Endocytobiose: Ein Organismus (ein Einzeller oder ein Virus), der in den Zellen anderer Organismen lebt bzw. sich dort vermehrt (symbiotisch oder parasitär). Alle Viren sind in diesem Sinn obligate Endocytobionten. Die zellulären Endocytobionten sind meist (größenbedingt) Bakterien, es gibt aber auch eukaryontische Endocytobionten (beispielsweise die Zoochlorellen und Zooxanthellen). Siehe auch § Endosymbiontentheorie. Exosymbiose: Die Partner stehen nur über ihre Oberfläche miteinander in Kontakt. Beispiele dafür ist die Flechtensymbiose und die Epixenosomen (zu den Verrucomicrobia gehörende Bakterien) des Wimpertierchens Euplotidium. Vergleiche auch Parabiose und Epibiont (mit Spezialfällen Epiphyt und Epizoon). Ektosymbiose: Die Partner einer Symbiose bleiben körperlich getrennt (etwa Blüten und ihre Bestäuber; Clownfische und ihre Seeanemonen). Eine leicht abweichende Unterteilung findet sich etwa bei Ebert und Rühle (2009–2013): Die Autoren unterscheiden extrazelluläre Exosymbiose, extrazelluläre Endosymbiose, intrazelluläre Symbiose und intranukleäre Symbiose. Unterscheidung nach der Art des erzielten Nutzens Eine Unterscheidung von Symbioseformen ergibt sich aufgrund der Art des erzielten Nutzens für die beiden beteiligten Arten. Fortpflanzungssymbiose: Ein Beispiel für Fortpflanzungssymbiose ist die Symbiose zwischen Bienen und Blütenpflanzen. Die Biene nimmt den Nektar der Blüten als Nahrung auf, dabei bleiben die Pollen der Blüte an ihr hängen, welche die Biene dann weiter trägt und damit eine andere Blüte bestäubt, sodass diese sich vermehren kann. Diese wird Zoophilie genannt und ist der „normale“ Akt der Bestäubung von Blütenpflanzen (Angiospermen) durch Insekten oder Vögel, wobei die Insekten bzw. Vögel Nektar, aber auch Pollen als Nahrung erhalten. Symbiose zum Schutz vor Feinden: Ein Beispiel für diese Symbiose ist die Beziehung von Ameisen zu Blattläusen. Die Ameisen geben den Blattläusen Schutz vor Feinden, im Gegenzug lassen sich diese von den Ameisen „melken“, sie sondern eine Zuckerlösung ab, welche die Ameisen zu sich nehmen. Weitere Beispiele Nach einer Studie vom Juli 2017 wurden bis zu diesem Zeitpunkt 106 Endosymbiosen allein zwischen 58 Bakterienspezies auf der einen Seite, und 89 eukaryotischen Wirtsspezies (darunter Pflanzen, Pilze, Spinnentiere, Insekten, Mollusken und Würmer) auf der anderen Seite gefunden. Einige Symbionten-Arten sind in mehreren Wirten zu finden, und einige Wirte haben mehrere Symbionten, was zu einer teilweisen Überschneidung von Symbionten und Wirten führt. Transport von Pflanzensamen durch Tiere, wobei Tiere die Früchte fressen und die Samen an einem anderen Ort wieder ausscheiden (Zoochorie) oder die Samen an Tieren vorübergehend anhaften (Tierstreuung genannt). Flechten bestehen aus Algen und Pilzen, wobei die Algen durch Photosynthese Kohlenhydrate produzieren, die von den Pilzen aufgenommen werden, während die Pilze den Algen Wasser und Nährsalze liefern. Bei manchen Ameisenarten wie den Blattschneiderameisen werden regelrechte Pilzfarmen innerhalb der Ameisenbauten angelegt, in denen bestimmte Pilze mit Pflanzenresten gedüngt und von Sporen schädlicher Schimmelpilze gereinigt werden. Teile der Pilze dienen den Ameisen als Nahrung. Diese Symbioseform heißt Myrmekophilie. Mykorrhizapilze entziehen Bäumen oder anderen Photosynthese betreibenden Pflanzen Kohlenhydrate und liefern im Gegenzug Mineralstoffe und Wasser aus dem Boden. Mykorrhiza ist für alle Orchideen, aber auch für viele andere Pflanzenarten obligatorisch. Die Hautparasiten von Großsäugern (z. B. Nilpferd und Elefant) werden von Putzervögeln abgefressen, das gleiche Phänomen gibt es bei Putzerfischen, die sich an Großfische (z. B. Haie) heften und Parasiten von deren Haut abfressen (→ Putzsymbiose). Im Yellowstone-Nationalpark in Nordamerika wurde eine Symbiose zwischen drei Beteiligten nachgewiesen, einem Rispengras, einem Schimmelpilz und einem Virus. Dort gibt es viele heiße Quellen, in deren Umgebung auch der Erdboden erhitzt wird. Das Gras Dichanthelium lanuginosum toleriert aufgrund einer Symbiose mit dem Pilz Curvularia protuberata im Wurzelbereich noch Temperaturen von beinahe 70 °C. Sowohl der Pilz allein als auch das Gras allein können nur ca. 38 °C überstehen. Zwingend nötig bei dieser Symbiose ist der dritte Beteiligte, das Virus CthTV (Curvularia thermal tolerance virus), das den Schimmelpilz befällt. Wird dieses Virus entfernt, verliert der Schimmelpilz seine Hitzebeständigkeit, und mit ihm geht auch das Gras an den heißen Standorten zugrunde. Kappa-Organismen sind endosymbiotische Bakterien in gewissen Linien des Pantoffeltierchens Paramecium. Sulfidoxidierende chemoautotrophe Bakterien leben als Endosymbionten innerhalb der Zellen von Polychaeten oder zwischen den Zellen von Oligochaeten sowie als Ektosymbionten auf der Oberfläche von Einzellerkolonien wie Zoothamnium niveum. Sie erhalten durch diese Lebensweise optimale Konditionen innerhalb des sulfidreichen Milieus an Hydrothermalquellen wie den Schwarzen Rauchern der Tiefsee oder in der Nähe verwesender organischer Stoffe im Flachwasser und werden durch ihre Wirte teilweise verdaut. Diese Symbiose ist bei den Bartwürmern (z. B. Riftia) so eng, dass die Tiere im ausgewachsenen Zustand keine Mundöffnung besitzen und keine externe Nahrung mehr aufnehmen. Einsiedlerkrebse leben gelegentlich in Symbiose mit einer Seeanemone, die sich auf seinem Gehäuse festgesetzt hat: Die Seeanemone schützt den Einsiedlerkrebs durch ihre Nesselzellen vor Fressfeinden; der Einsiedlerkrebs „transportiert“ die Seeanemone zu neuen Futterplätzen, außerdem bekommt die Seeanemone auch etwas von der Beute des Einsiedlerkrebses ab. Pflanzen können endophytische Bakterien aufnehmen, z. B. die Kapuzinerkresse. Ein primäres Endosymbiose-Ereignis ist mit einem nicht-photosynthetischen cyanobakteriellen Symbionten in der Kieselalgenfamilie Rhopalodiaceae (Ordnung Rhopalodiales) bekannt. Manche Grüne Schwefelbakterien bilden mit begeißelten heterotrophen Bakterien mikrobielle Konsortien (Zellaggregate). Ein weiterer Fall ist das Wimpertierchen Pseudoblepharisma tenue (Heterotrichea), das neben einem Grünalgen-Endosymbionten (Chlorella sp. K10, sekundäre Endosymbiose), auch ein photosynthetisch aktives Bakterium als Endosymbionten hat – dies ist aber kein Cyanobakterium, sondern ein Schwefelpurpurbakterium aus der Familie Chromatiaceae (Candidatus Thiodictyon intracellulare). Endosymbiontentheorie Die Endosymbiontentheorie besagt, dass die Mitochondrien und Chloroplasten (Zellorganellen in Eukaryoten – Pflanzen, Tieren und Pilzen) zu einem frühen Zeitpunkt der Evolution aus endosymbiotisch lebenden Prokaryoten (aeroben, chemotrophen Alphaproteobakterien bzw. photosynthetisch aktiven, autotrophen, Cyanobakterien) entstanden sind. Hierfür sprechen die Übereinstimmungen im strukturellen Aufbau und in den von den Wirtszellen abweichenden, aber mit den Prokaryoten übereinstimmenden, biochemischen Merkmale. Beispiele sind eine eigene DNA und der Aufbau der Ribosomen, soweit vorhanden – im Zellkern finden sich auch bei vollständigem Verlust der DNA noch Gene von alphaproteo- bzw. cyanobakteriellem Ursprung. Des Weiteren vermehren diese Zellorganellen sich durch Teilung, genau wie Bakterien es tun. Symbiogenese Die Aufnahme von Endosymbionten ist ein Beispiel dafür, dass symbiotische Lebensgemeinschaften im Laufe der Evolution so eng werden können, dass es sinnvoll ist, diese als neu gebildete biologische Arten zu betrachten. Dieses Entstehen einer neuen Art durch Verschmelzung von Symbionten wird als Symbiogenese bezeichnet. Die Bedeutung der Symbiogenese wurde in den 1970er Jahren durch die US-amerikanische Evolutionsbiologin Lynn Margulis stark betont. Nach ihrer (in Einzelheiten stark umstrittenen, im Kern aber weitgehend akzeptierten) Theorie gehört Symbiogenese zu den wichtigsten artbildenden Mechanismen überhaupt. Wissenschaftliche Beschreibung Zur wissenschaftlichen Beschreibung und Modellierung symbiotischer Systeme kommen in der Biologie Systeme gewöhnlicher Differentialgleichungen, gelegentlich aber auch kompliziertere mathematische Strukturen zum Einsatz. Beispielsweise werden, unter Zuhilfenahme einiger idealisierender Vereinfachungen Symbiosen zweier Spezies auf Ebene der Populationsdynamiken beschrieben durch: falls ein Effekt der Symbiose in einer Veränderung der intrinsischen Wachstumsrate der beteiligten Populationen besteht und falls der primäre Effekt in einer Anpassung der Kapazitäten liegt. (Bezeichnungen: X,Y Abundanzen der Spezies; a, b intrinsische Wachstumsraten der Spezies; K1, K2 Kapazitäten; c, d ökologische Interaktionsparameter) Mischformen dieser beiden simplifizierenden Grenzfälle sind selbstverständlich möglich und dürfen in der Natur regelhaft vermutet werden. Weblinks Symbiose und Fortschritt Literatur Johann Brandstetter und Josef H. Reichholf (Hrsg.): Symbiosen. Das erstaunliche Miteinander in der Natur. Matthes und Seitz, Berlin 2017, ISBN 978-3-95757-366-7. Einzelnachweise Ökologische Beziehung
Q121610
364.083407
6787
https://de.wikipedia.org/wiki/1798
1798
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Revolutionskriege in Europa und dem Mittelmeerraum Deutschland/Frankreich 4. Januar: Die Republik Mülhausen stimmt für ihren Beitritt zu Frankreich. 1. Mai: Das von den Franzosen besetzte linksrheinische Gebiet führt das staatliche Personenstandswesen ein. 11. Mai: In der Zeit der Französischen Revolution unterstützt das Direktoriumsmitglied Louis-Marie de La Révellière-Lépeaux den unblutigen Staatsstreich vom 22. Floreal VI, der sich gegen die Jakobiner richtet. Eidgenossenschaft 24. Januar: Die Révolution vaudoise ist der Auftakt für die Unabhängigkeit des Kantons Waadt. 28. Januar: Der Franzoseneinfall in der Eidgenossenschaft beginnt. 3. Februar: Im Kanton Bern wird die Légion fidèle gegründet. Sie wird bereits am 9. März wieder aufgelöst. 2. März: In der Schweiz entsteht der Kanton Thurgau, bisher eine Gemeine Herrschaft der Alten Eidgenossenschaft. 5. März: Berner Truppen stellen sich in der Schlacht am Grauholz (General von Erlach) und in der Schlacht von Neuenegg (General von Graffenried) den französischen Armeen (Generale Schauenburg und Masséna). Die alte Republik Bern geht unter. 12. April: Ausrufung der Helvetischen Republik, nachdem seit der Jahreswende 1797/98 Revolutionen in verschiedenen Kantonen der Alten Eidgenossenschaft ausgebrochen und französische Truppen eingefallen sind 26. April: Gefecht bei Hägglingen 30. April: Gefecht bei Wollerau 2. Mai: Schlacht bei Schindellegi 7. bis 9. September: Schreckenstage von Nidwalden Italien 9. Januar: Das Prachtschiff des venezianischen Dogen, der Bucentaur, wird von Soldaten Napoleons völlig zerstört, da sie den Wert des aufgetragenen Blattgolds überschätzen. 10. Februar: Französische Truppen unter General Louis-Alexandre Berthier nehmen Rom ein. Frankreich hat dem Kirchenstaat nach der Ermordung seines Militärattachés den Krieg erklärt. 15. Februar: Frankreich zerstört den Kirchenstaat und errichtet die Römische Republik. 10. Dezember: In Turin wird durch französische Einwirkung die Piemontesische Republik ausgerufen. 23. Dezember: König Ferdinand IV., Herrscher im Königreich Neapel, flieht vor anrückenden französischen Truppen nach Sizilien. Irland 23. Mai: In Irland bricht ein von Frankreich unterstützter Aufstand gegen die Briten aus. Die Organisatorin des Aufstandes ist die Society of United Irishmen unter der Führung von Theobald Wolfe Tone. Durch Verrat und die Arbeit von Informanten erfährt die britische Armee unmittelbar vor Beginn von dem Vorhaben und verhindert die Eroberung Dublins durch die Rebellen. Trotz dieses unerwarteten Rückschlags gelingt es den Aufständischen, die umliegenden Countys um Dublin einzunehmen. Die Rebellion greift rasch auf weitere Countys über. Zum Teil kann die britische Armee diese allerdings schnell wieder niederschlagen, zum Teil werden durch Loyalisten alle der Rebellion verdächtigten Mitbürger umgebracht oder verhaftet. Im Gegenzug richtet sich der Zorn der Rebellen in der Regel gegen wohlhabende Protestanten. Die britische Armee kann die meisten Aufstände schon nach wenigen Tagen niederschlagen und so eine vollständige Rebellion im ganzen Land verhindern. Lediglich der County Wexford kann über längere Zeit von den Rebellen gehalten werden, doch mit der Niederlage bei der Schlacht von Vinegar Hill am 21. Juni, als 20.000 britische Soldaten in den County eindringen, endet faktisch die Rebellion. Nur vereinzelte Truppen liefern sich noch bis zum 14. Juli vereinzelte Gefechte mit der britischen Armee. Am 22. August landen 2.000 französische Soldaten im County Mayo und helfen dort ca. 5.000 Aufständischen die britischen Truppen in der Schlacht von Castlebar zu besiegen. Nach diesem Sieg rufen sie die Republic of Connaught aus, die bis zum Sieg der Briten über die Truppen der Rebellen und Franzosen am 8. September Bestand hat. 12. Oktober: Eine weitere Einheit französischer Truppen will im County Donegal landen, doch die britische Marine kann die Einheiten noch auf See abfangen und in der Seeschlacht bei Tory Island besiegen. Theobald Wolfe Tone wird an Bord des eroberten französischen Flaggschiffs aufgefunden und arretiert. Über die nächsten zwei Wochen durchkämmen britische Fregattenpatrouillen die Passage nach Brest und erobern dabei drei weitere Schiffe. 19. November: Theobald Wolfe Tone begeht Suizid, nachdem er wegen Hochverrats zum Tode verurteilt worden ist. Ägyptische Expedition 19. Mai: Napoleon Bonaparte bricht mit einem französischen Heer von 40.000 Mann nach Ägypten auf. 11. Juni: Malta kapituliert kampflos gegenüber Napoleon, der sich mit seinen Truppen auf die Ägyptische Expedition begeben hat. Der Malteserorden der Johanniter verlässt in der Folge die Insel und geht nach Russland. 2. Juli: Die Ägyptische Expedition von Napoleon Bonaparte nimmt die Hafenstadt Alexandria ein. 21. Juli: In der Schlacht bei den Pyramiden bezwingt Napoleon Bonapartes Invasionsarmee auf ihrem Ägyptenfeldzug ein Mamlukenheer unter Mourad Bey. 24. Juli: Napoleon zieht nach dem Sieg über das ägyptische Heer in Kairo ein. 1./2. August: Der britische Admiral Horatio Nelson vernichtet die die von Comte Brueys kommandierte französische Flotte in der Seeschlacht bei Abukir im Nildelta, die sich von diesem Schlag nie wieder völlig erholt. 22./23. Oktober: Ein Aufstand in Kairo wird von Napoleon niedergeschlagen. Rund 2.500 Aufständische werden getötet, die Anführer verhaftet und hingerichtet. Ende des Jahres: Unter britischem Druck erklärt das Osmanische Reich unter Sultan Selim III. Frankreich den Krieg. Amerika 7. April: Aus den von Spanien im Jahr 1795 im Pinckney-Vertrag abgetretenen Gebieten wird von den Vereinigten Staaten das Mississippi-Territorium gebildet, das sich über die südliche Hälfte der heutigen Staaten Mississippi und Alabama erstreckt. April: Der Föderalist John Jay gewinnt die Gouverneurswahl in New York. 7. Juli: Mit der Aufhebung von Verträgen mit Frankreich durch den Kongress der Vereinigten Staaten bricht der Quasi-Krieg zwischen den beiden Staaten aus, ein unerklärter Krieg, der ausschließlich auf See ausgetragen wird. Geschwader der US-Marine laufen aus und greifen französische Freibeuter an. Angesichts zunehmender Piraterie im Mittelmeer und Plünderungen durch Freibeuter des revolutionären Frankreichs hat sich der Kongress bereits zuvor dazu veranlasst gesehen, eine Marine zum Schutz des wachsenden Seehandels aufzubauen. Georgia verbietet als letzter der US-Bundesstaaten den Sklavenhandel; nur den Handel, der Einsatz von Sklaven ist weiterhin möglich. Karibik 10. September: Eine spanische Flottille wird vor Britisch Honduras in der Schlacht von St. George’s Caye mit Unterstützung der Royal Navy von britischen Siedlern besiegt. In der Folge unterbleiben weitere Versuche Spaniens, das Gebiet in seinen Machtbereich zurückzuholen. Pazifischer Ozean 8. November: Als erster Europäer betritt der britische Kapitän John Fearn mit seiner Mannschaft eine ihnen unbekannte Insel, die er Pleasant Island nennt. Wirtschaft 17. März: Die Niederländische Ostindien-Kompanie, eines der größten Handelsunternehmen seiner Zeit, wird nach 196-jährigem Bestehen aufgelöst. Die Kirner Privatbrauerei wird gegründet. Wissenschaft und Technik Anfang bis Mitte August: Auf der Seeberg-Sternwarte in Gotha findet der erste europäische Astronomenkongress statt. 9. September: Der Astronom Wilhelm Herschel sichtet im Sternbild Kepheus die Galaxie NGC 6946. 9. Dezember: Die Himmelsbeobachtungen Wilhelm Herschels lassen ihn im Sternbild Bildhauer die Galaxie NGC 613 auffinden. 10. Dezember: Wilhelm Herschel entdeckt im Sternbild Walfisch die Galaxien NGC 163 und NGC 270. 18. Dezember: Das Zentralarchiv der Helvetischen Republik wird in Bern gegründet. Henry Cavendish entwickelt sein Verfahren zur Messung der Gravitationskonstante. Alois Senefelder entwickelt die Lithografie. Das Steindruckverfahren wird für die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts zur wichtigsten Methode, um Bilder zu vervielfältigen. Die Anthropologie in pragmatischer Hinsicht von Immanuel Kant erscheint. Religion 16. Oktober: Mit der Bulle Ad universam agri Dominici curam gründet Papst Pius VI. das Erzbistum Warschau. Kultur Architektur und Bildende Kunst Der Bau von Schloss Freienwalde in Freienwalde wird nach Entwürfen des Architekten David Gilly für Friederike von Hessen-Darmstadt – die Witwe des preußischen Königs Friedrich Wilhelm II. – als Sommerresidenz im Stil des Klassizismus errichtet. Es wird 1799 fertiggestellt. Der Lili-Tempel in Offenbach am Main wird vom französischen Architekten Nicolas Alexandre Salins de Montfort im Stil des Klassizismus erbaut. Ende des Jahres: Goethe gibt die erste Nummer der periodischen Schrift Propyläen heraus, einer Zeitschrift für bildende Kunst. Inhaltlich wird diese fast ausschließlich von Goethe selbst und dem mit ihm befreundeten Maler und Kunsthistoriker Johann Heinrich Meyer bestritten. Literatur Sommer: Friedrich Schiller schreibt die Balladen Die Bürgschaft und Der Kampf mit dem Drachen. September: Mit der Erstveröffentlichung der bedeutenden Gedichtsammlung Lyrical Ballads initiieren William Wordsworth und Samuel Taylor Coleridge die englische Romantikbewegung. Das Werk enthält mit The Rime of the Ancient Mariner Coleridges berühmteste Ballade. Musik und Theater 29./30. April: Das Oratorium Die Schöpfung von Joseph Haydn hat seine Uraufführung unter der Leitung des Komponisten im Palais Schwarzenberg am Neuen Markt in Wien vor privatem Publikum. 12. Juni: Die Uraufführung der Oper Der Zauberflöte zweyter Theil. Das Labyrinth von Emanuel Schikaneder mit Musik von Peter von Winter findet am Freihaustheater auf der Wieden statt. Der außergewöhnliche Erfolg der Zauberflöte wiederholt sich nicht. 6. Juli: Uraufführung der Oper Die Geisterinsel von Johann Friedrich Reichardt an der Hofoper Berlin 25. Juli: Uraufführung der Oper L'Hôtellerie portugaise von Luigi Cherubini am Théâtre Feydeau in Paris 5. August: Uraufführung der Oper Le Rendez-vous supposé ou Le Souper de famille von Henri Montan Berton an der Opéra-Comique in Paris Ludwig van Beethoven stellt nach zweijähriger Arbeit seine Klaviersonate Nr. 5 fertig. Sport Johann Christoph Friedrich GutsMuths veröffentlicht sein Kleines Lehrbuch der Schwimmkunst. Geboren Erstes Quartal 2. Januar: Désiré-Alexandre Batton, französischer Komponist († 1855) 4. Januar: Wilhelm Arnoldi, Bischof von Trier († 1864) 5. Januar: James Semple, US-amerikanischer Politiker († 1866) 6. Januar: Melchior von Diepenbrock, Kardinal und Fürstbischof von Breslau († 1853) 6. Januar: Gaspar Hernández aus Peru stammender Priester, Pädagoge und Politiker in der Dominikanischen Republik († 1858) 8. Januar: Waddy Thompson, US-amerikanischer Politiker († 1868) 12. Januar: David-François Munier, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer († 1872) 13. Januar: Carl Baumann, württembergischer Zeichner, Lithograph und Fotograf († 1878) 14. Januar: Isaäc da Costa, niederländischer Dichter und Schriftsteller († 1860) 14. Januar: Johan Rudolf Thorbecke, niederländischer Staatsmann († 1872) 17. Januar: Johann Joseph Rosenbaum, deutscher katholischer Geistlicher und Theologe († 1867) 19. Januar: Auguste Comte, französischer Mathematiker, Philosoph und Religionskritiker, Begründer des Positivismus († 1857) 19. Januar: Johann Adolph Heinlein, deutscher Jurist und Bürgermeister († 1829) 24. Januar: Karl von Holtei, deutscher Schriftsteller, Schauspieler und Theaterleiter († 1880) 24. Januar: Karl Georg Christian von Staudt, deutscher Mathematiker († 1867) 26. Januar: Albert August Wilhelm Deetz, preußischer Soldat und Abgeordneter († 1859) 31. Januar: Carl Gottlieb Reißiger, deutscher Komponist und Hofkapellmeister in Dresden († 1859) 31. Januar: Henriette von Bissing, deutsche Erzählerin († 1879) 1. Februar: Franz von Hauslab, altösterreichischer General und Kartograph († 1883) 3. Februar: Friedrich Jakob Heller, österreichischer Militärhistoriker deutscher Herkunft († 1864) 8. Februar: Matthias Franz Borgnis, deutscher Bankier, Juwelier und Tabakfabrikant († 1867) 10. Februar: Heinrich Karl Brandes, deutscher Philologe, Reiseschriftsteller und Gymnasiallehrer († 1874) 13. Februar: Heinrich Alexander von Arnim, preußischer Staatsmann († 1861) 20. Februar: Richard M. Young, US-amerikanischer Politiker († 1861) 17. März: John Bennett Dawson, US-amerikanischer Politiker († 1845) 18. März: Joseph Chmel, österreichischer Augustiner-Chorherr und Historiker († 1858) 22. März: Eduard Gans, deutscher Jurist, Rechtsphilosoph und Historiker († 1839) 24. März: Richard F. Simpson, US-amerikanischer Politiker († 1882) 25. März: Christoph Gudermann, deutscher Mathematiker († 1851) 30. März: Luise Hensel, deutsche Dichterin († 1876) Zweites Quartal 2. April: August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, deutscher Germanist und Dichter († 1874) 3. April: Charles Wilkes, US-amerikanischer Marineoffizier und Polarforscher († 1877) 7. April: Pasquale Lucchini, Schweizer Ingenieur und Politiker († 1892) 11. April: Pierce Mason Butler, US-amerikanischer Politiker († 1846) 11. April: Alfred V. du Pont, US-amerikanischer Industrieller († 1856) 15. April: Ludwig Hofacker, evangelischer Theologe († 1828) 18. April: Antonio Rolla, italienischer Violinvirtuose († 1837) 19. April: Heinrich Maria von Hess, deutscher Maler († 1863) 25. April: Friedrich Ludwig Haarmann, Gründer der ersten deutschen Baugewerkschule († 1864) 26. April: Eugène Delacroix, französischer Maler († 1863) 30. April: Albert, Fürst von Schwarzburg-Rudolstadt († 1869) 3. Mai: Thomas Dickens Arnold, US-amerikanischer Politiker († 1870) 5. Mai: Christian Friedrich Scherenberg, deutscher Dichter († 1881) 6. Mai: Heinrich von Quintus-Icilius, deutscher Verwaltungsjurist und Politiker († 1861) 12. Mai: Cornelis Adriaan Bergsma, niederländischer Chemiker, Botaniker und Agrarwissenschaftler († 1859) 12. Mai: Joseph Burkart, deutscher Bergrat und Forschungsreisender († 1874) 19. Mai: Joseph Pröbstl, deutscher Orgelbauer († 1866) 20. Mai: Heinrich August Wilhelm Stolze, deutscher Stenograf († 1867) 22. Mai: Alexander McDonnell, irischer Schachmeister († 1835) 23. Mai: Ludwig Benjamin Henz, deutscher Eisenbahningenieur († 1860) 28. Mai: Josef Dessauer, österreichischer Komponist († 1876) 3. Juni: Nikolaus Ludwig Arnold, deutscher Jurist († 1886) 6. Juni: Johann Friedrich Wilhelm Bötticher, deutscher Pädagoge und Historiker († 1850) 9. Juni: Adolphe Bauty, Schweizer evangelischer Geistlicher und Politiker († 1880) 9. Juni: August Wellauer, deutscher Altphilologe und Pädagoge († 1831) 13. Juni: Christian Bähr, Altphilologe († 1872) 14. Juni: František Palacký, tschechischer Historiker und Politiker († 1876) 15. Juni: Alexander Gortschakow, russischer Staatsmann († 1883) 21. Juni: Wolfgang Menzel, deutscher Dichter der Spätromantik († 1873) 24. Juni: Edward Turner, englischer Chemiker († 1837) 29. Juni: Willibald Alexis, deutscher Schriftsteller und Dichter († 1871) 29. Juni: Giacomo Leopardi, italienischer Dichter († 1837) Drittes Quartal 7. Juli: Helene Strack, deutsche Blumenmalerin († 1853) 8. Juli: Thomas Burr Osborne, US-amerikanischer Politiker († 1869) 13. Juli: Charlotte von Preußen, russische Zarin († 1860) 14. Juli: Alessandro Antonelli, italienischer Architekt († 1888) 16. Juli: Eduard Friedrich Poeppig, deutscher Forschungsreisender († 1868) 24. Juli: John Adams Dix, US-amerikanischer Politiker († 1879) 25. Juli: Albert Knapp, deutscher Dichter († 1864) 28. Juli: Hezekiah Williams, US-amerikanischer Politiker († 1856) 29. Juli: Carl Blechen, deutscher Landschaftsmaler († 1840) 12. August: Abraham Rencher, US-amerikanischer Politiker († 1883) 13. August: August Friedrich Ernst von Arnswaldt, deutscher Literat († 1855) 15. August: Henry de Labouchère, britischer Staatsmann († 1869) 15. August: W. O. von Horn, deutscher Schriftsteller († 1867) 16. August: Mirabeau B. Lamar, US-amerikanischer Politiker, Botschafter und Präsident der Republik Texas († 1859) 19. August: Friedrich Jahn, deutscher Orgelbauer († 1875) 20. August: Paul Wilhelm Eduard Sprenger, österreichischer Architekt († 1854) 21. August: Jules Michelet, französischer Historiker († 1874) 25. August: Joseph von Auffenberg, deutscher Dramatiker und Dichter († 1857) 25. August: Henrik Hertz, dänischer Schriftsteller († 1870) 26. August: August Friedrich Moritz Anton, deutscher Pädagoge († 1868) 28. August: Harro Harring, Revolutionär, Dichter und Maler († 1870) 28. August: John W. A. Sanford, US-amerikanischer Politiker († 1870) 31. August: Georg Friedrich Puchta, deutscher Jurist († 1846) 1. September: Jean-Augustin Franquelin, französischer Kunstmaler († 1839) 1. September: Ferenc József Gyulay, Oberbefehlshaber der österreichischen Truppen im Sardinischen Krieg († 1868) 2. September: Thomas Holliday Hicks, US-amerikanischer Politiker († 1865) 4. September: Hippolyte Dussard, französischer Wirtschaftswissenschaftler (VWL) († 1876) 9. September: Joseph Anselm Feuerbach, Archäologe und Professor der Philologie († 1851) 11. September: Franz Ernst Neumann, deutscher Physiker († 1895) 12. September: Johann Heinrich Schenck, deutscher Mediziner († 1834) 17. September: Antonio Benedetto Antonucci, Kardinal der katholischen Kirche († 1879) 19. September: Alexander Mendelssohn, deutscher Bankier († 1871) 20. September: Philipp Schey von Koromla, ungarisch-österreichischer Großhändler und Mäzen († 1881) 22. September: Joseph C. Noyes, US-amerikanischer Politiker († 1868) 25. September: Henry Scheffer, französischer Maler († 1862) 28. September: Bonaventura Genelli, deutscher Maler, Zeichner und Kupferstecher († 1868) 30. September: Josef Jakob Xaver Pfyffer zu Neueck, Schweizer Beamter, Politiker und Autor († 1853) Viertes Quartal 2. Oktober: Carlo Alberto I., König von Sardinien-Piemont und Herzog von Savoyen († 1849) 7. Oktober: Jean-Baptiste Vuillaume, französischer Geigenbauer († 1875) 11. Oktober: Ida Arenhold, Mitbegründerin und erste Vorsteherin des Krankenhauses Friederikenstift in Hannover († 1863) 12. Oktober: Peter IV., portugiesischer König und brasilianischer Kaiser († 1834) 13. Oktober: Herman Wilhelm Bissen, dänischer Bildhauer († 1868) 18. Oktober: Karl Ludwig von Bruck, österreichischer Politiker († 1860) 22. Oktober: Jodocus Donatus Hubertus Temme, deutscher Politiker, Jurist und Schriftsteller († 1881) 24. Oktober: Massimo d’Azeglio, italienischer Schriftsteller, Maler und Politiker († 1866) 24. Oktober: Wilhelm Amandus Auberlen, württembergischer Lehrer, Musiker und Komponist († 1874) 26. Oktober: Beda Weber, Schriftsteller, Theologe und Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung († 1858) 28. Oktober: Levi Coffin, US-amerikanischer Quäker, Abolitionist und Geschäftsmann († 1877) 29. Oktober: Ulrike von Pogwisch, deutsche Priorin († 1875) 1. November: Sebastian Gutzwiller, Elsässer Maler († 1872) 4. November: Henriette Méric-Lalande, französische Opernsängerin († 1867) 5. November: Maria-Carolina von Bourbon-Sizilien, Tochter König Franz’ I. von Neapel († 1870) 15. November: Abel Hugo, französischer Essayist († 1855) 15. November: Karl von Moltke, dänischer Politiker († 1866) 16. November: Persifor Frazer Smith, amerikanischer Offizier († 1858) 23. November: Gustav Asverus, deutscher Jurist († 1843) 23. November: Robert Oettel, Kaufmann, Begründer der deutschen Rassegeflügelzucht († 1884) 27. November: Andries Pretorius, burischer Politiker und Gründer der Südafrikanischen Republik († 1853) 29. November: Hamilton Rowan Gamble, US-amerikanischer Politiker († 1864) 30. November: Carl Wilhelm Asher, deutscher Jurist und Publizist († 1864) 6. Dezember: Friedrich Karl von Prittwitz, russischer Generalmajor († 1849) 7. Dezember: Lodewijk-Jozef Delebecque, belgischer Bischof († 1864) 8. Dezember: Thomas T. Whittlesey, US-amerikanischer Politiker († 1868) 10. Dezember: Alexander Pawlowitsch Brjullow, russischer Architekt und Aquarellist († 1877) 12. Dezember: Friedrich August Grotefend, deutscher Altphilologe († 1836) 13. Dezember: Otto Philipp Braun, aus Kassel stammender bolivianischer Kriegsminister († 1869) 13. Dezember: Joseph R. Walker, US-amerikanischer Mountain Man und Entdecker († 1876) 17. Dezember: Julius Converse, US-amerikanischer Politiker († 1885) 18. Dezember: Heinrich Smidt, deutscher Schriftsteller († 1867) 20. Dezember: Albert Dufour-Féronce, deutscher Bankier, Unternehmer und Eisenbahnpionier († 1861) 22. Dezember: George Walker Crawford, US-amerikanischer Politiker († 1872) 24. Dezember: Adam Mickiewicz, polnischer Dichter († 1855) 28. Dezember: Édouard d’Anglemont, französischer Dichter († 1876) 30. Dezember: Godehard Braun, deutscher Weihbischof († 1861) 31. Dezember: Friedrich Robert Faehlmann, deutsch-estnischer Philologe († 1850) Genaues Geburtsdatum unbekannt Carl Amon, österreichischer Maler († 1843) Bonaventura Carles Aribau i Farriols, spanischer Schriftsteller, Poet und Wirtschaftsgelehrter († 1862) Iwan Malchasowitsch Andronikow, georgischer Fürst und russischer General († 1868) Karl Burkart, deutscher Verwaltungsjurist († 1851) Caspar Halbleib, ungarndeutscher Kirchenmusiker und Komponist († um 1850) Sojourner Truth, US-amerikanische Abolitionistin und Frauenrechtlerin († 1883) Gestorben Januar bis April 4. Januar: Gavin Hamilton, schottischer Maler, Archäologe und Kunsthändler (* 1723) 9. Januar: Charlotte von Hessen-Philippsthal-Barchfeld, Gräfin von Ysenburg-Büdingen-Wächtersbach (* 1725) 11. Januar: Erekle II., König von Georgien (* 1720) 20. Januar: Christian Cannabich, deutscher Violinist, Kapellmeister und Komponist (* 1731) 22. Januar: Lewis Morris, Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung der USA (* 1726) 22. Januar: Matija Antun Relković, kroatischer Aufklärer (* 1732) 26. Januar: Christian Gottlob Neefe, deutscher Komponist, Organist, Kapellmeister und Musikwissenschaftler (* 1748) 9. Februar: Friedrich Ernst Constantin von Arnold, deutscher Landrat und Gutsbesitzer (* 1740) 12. Februar: Stanislaus II. August, letzter König von Polen (* 1732) 13. Februar: Christian Friedrich Schwartz, deutscher Missionar (* 1726) 13. Februar: Wilhelm Heinrich Wackenroder, deutscher Jurist und Schriftsteller (* 1773) 15. Februar: Johann Baptist Enderle, deutscher Maler (* 1725) 27. Februar: Heinrich Ferdinand Möller, deutscher Schauspieler und Schriftsteller (* 1745) 5. März: Karl Ludwig von Erlach, Schweizer General (* 1746) 13. März: Genovefa Weber, deutscher Opernsängerin und Schauspielerin (* 1764) 21. März: Albert Philipp Frick, deutscher Jurist und Hochschullehrer (* 1733) 1. April: Johann Wilhelm Schmid, deutscher evangelischer Theologe (* 1744) 9. April: Josef Friedrich Wilhelm, Fürst von Hohenzollern-Hechingen (* 1717) 11. April: Karl Wilhelm Ramler, deutscher Dichter und Denker/Philosoph (* 1725) 22. April: Sebastian Seemiller, deutscher katholischer Theologe (* 1752) Mai bis August 6. Mai: Anselm Feldhorn, österreichischer Benediktiner-Abt (* 1738) 10. Mai: George Vancouver, britischer Offizier der Royal Navy und Entdecker (* 1757) 14. Mai: David Ruhnken, niederländischer Gelehrter (* 1723) 14. Mai: Carl Gottlieb Svarez, preußischer Jurist und Justizreformer (* 1746) 15. Mai: Thomas Jenkins, britischer Maler, Kunstsammler, Antikenhändler und Bankier (* 1722) 16. Mai: Joseph Hilarius Eckhel, Numismatiker (* 1737) 25. Mai: Asmus Carstens, deutscher Maler (* 1754) 30. Mai: Nikolaus Wilhelm Schröder, deutscher Orientalist und Bibliothekar (* 1721) 2. Juni: Franz Sales von Greiner, österreichischer Staatsbeamter (* 1732) 4. Juni: Giacomo Casanova, italienischer Abenteurer und Schriftsteller (* 1725) 9. Juni: Johann Georg Pforr, deutscher Maler (* 1745) 16. Juni: Ignaz Pfefferkorn, Jesuit, Missionar und Naturforscher (* 1726) 24. Juni: Marie Christine, österreichische Erzherzogin (* 1742) 1. Juli: Johann Friedrich Mende, deutscher Maschinenbauer (* 1743) 2. Juli: François-Louis Bourdon, französischer Politiker (* 1758) 6. Juli: Adrien Duport, französischer Politiker (* 1759) 15. Juli: Gaetano Pugnani, italienischer Violinist und Komponist (* 1731) 16. Juli: Christian Gottfried Hahmann, deutscher Baumeister (* 1739) 19. Juli: Johann Gottfried Malleck, Wiener Orgelbauer (* 1733) 21. Juli: Charles Joseph de Croix, Graf Clerfait, österreichischer Feldmarschall (* 1733) 27. Juli: Ernestine Christine Reiske, deutsche Autorin und Privatgelehrte (* 1735) 1. August: François-Paul Brueys d’Aigalliers, Kommandeur der französischen Flotte in der Schlacht bei Abukir (* 1753) 1. August: Aristide Aubert Dupetit-Thouars, französischer Admiral und Seefahrer (* 1760) 11. August: Joshua Clayton, US-amerikanischer Politiker (* 1744) 21. August: James Wilson, Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung der USA (* 1742) 30. August: Matthias Wilhelm von Below, preußischer Generalleutnant und Gouverneur der Festung Stettin (* 1722) September bis Dezember 1. September: Christian Friedrich Exner, deutscher Baumeister (* 1718) 5. September: Joshua Coit, US-amerikanischer Politiker (* 1758) 7. September Peter Frederik Suhm, norwegischer Historiker (* 1728) 15. September: Michael Gröll, deutscher Drucker, Verleger und Verfasser (* 1722) 21. September: George Read, US-amerikanischer Politiker, Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung (* 1733) 22. September: Guy André Pierre de Montmorency-Laval, Marschall von Frankreich (* 1723) September: Ulrich Bräker, Schweizer Schriftsteller (* 1735) 5. Oktober: Antoine de Chézy, französischer Hydraulik-Ingenieur (* 1718) 17. Oktober: Johann Samuel Göbel, kursächsischer Finanzsekretär und Historiker (* 1762) 20. Oktober: Joshua Seney, US-amerikanischer Politiker (* 1756) 28. Oktober: Esteban José Martínez, spanischer Seefahrer und Entdecker (* 1742) 2. November: Jean-Joseph d’Apcher, französischer Adliger (* 1748) 2. November: Charles de Wailly, klassizistischer französischer Architekt (* 1730) 10. November: Allen Jones, US-amerikanischer Politiker (* 1739) 10. November: Gabriel Lenkiewicz, Ordensgeneral (* 1722) 14. November: Naonobu Ajima, japanischer Mathematiker (* 1732) 19. November: Theobald Wolfe Tone, irischer Rechtsanwalt, Anführer der irischen Unabhängigkeitsbewegung (* 1763) 23. November: Carl Otto von Arnim, preußischer Landrat (* 1747) 26. November: Johann Martin Anwander, österreichischer Orgelbauer (* 1740) 26. November: Friedrich Albrecht Carl Gren, deutscher Chemiker (* 1760) 1. Dezember: Christian Garve, deutscher Philosoph (* 1742) 4. Dezember: Luigi Galvani, Arzt, Anatom und Biophysiker (* 1737) 9. Dezember: Johann Reinhold Forster, deutscher Naturwissenschaftler (* 1729) 16. Dezember: John Henry, US-amerikanischer Politiker (* 1750) 16. Dezember: Thomas Pennant, walisischer Naturwissenschaftler, Ornithologe und Altertumsforscher (* 1726) 18. Dezember: Michael Johann von Wallis, österreichischer Feldmarschall und Hofkriegsratspräsident (* 1732) 19. Dezember: Charles-Joseph Panckoucke, französischer Schriftsteller und Verleger (* 1736) 30. Dezember: Christian Gotthelf von Gutschmid, Theologe, Pädagoge und kursächsischer Staatsmann (* 1721) Dezember: Eleazer McComb, US-amerikanischer Politiker (* 1740) Weblinks
Q7823
430.531065
49303
https://de.wikipedia.org/wiki/Populationsgenetik
Populationsgenetik
Die Populationsgenetik ist der Zweig der Genetik, der Vererbungsvorgänge innerhalb biologischer Populationen untersucht. Sie ermittelt die relative Häufigkeit homologer Gene (Allele) in Populationen (Genfrequenz) und erforscht deren Veränderung unter dem Einfluss von Mutation, Selektion, zufälligem Gendrift, der Separation von Teilpopulationen und dem Genfluss zwischen Populationen. Sie hat eine große Bedeutung in der Evolutionsforschung sowie in der Tier- und Pflanzenzucht. Ein wichtiger Grundsatz der Populationsgenetik ist das schon 1908 von Wilhelm Weinberg und Godfrey Harold Hardy unabhängig entdeckte Hardy-Weinberg-Gesetz, das bei rein zufälliger Paarung und in Abwesenheit jeglicher Selektion einen Gleichgewichtszustand beschreibt, in dem die Häufigkeit der Allele eines Gens von Generation zu Generation konstant bleibt. Als eigenständiger Forschungszweig etablierte sich die Populationsgenetik in den 1920er Jahren, nachdem Reginald Punnett 1917 die bis dahin nahezu unbeachtete Entdeckung Weinbergs und Hardys als „Hardy-Gesetz“ in die Populationsbiologie eingeführt hatte. Die Begründer dieses neuen Forschungszweiges waren Sewall Wright, Ronald A. Fisher und J. B. S. Haldane. In den 1930er und 1940er Jahren lieferte die Populationsgenetik einen wesentlichen Beitrag zu der Vereinigung der von Charles Darwin begründeten Evolutionstheorie mit der an Gregor Mendel anknüpfenden Genetik in der bis heute gültigen Synthetischen Evolutionstheorie, indem sie zwischen diesen Theorien bestehende Widersprüche zu beheben half. Das Hardy-Weinberg-Gleichgewicht ist ein theoretisches Konstrukt, dem keine real vorfindbare Population entspricht. In realen Populationen machen sich vor allem verschiedene Mechanismen der Selektion geltend, die gewisse Allele gegenüber anderen bevorzugen. Das führt jedoch außer in sehr kleinen Populationen nicht zum alleinigen Übrigbleiben des „fittesten“ Genotyps, sondern es bleibt immer eine gewisse Vielfalt (Polymorphismus) erhalten. Die zahlreichen Gründe dafür sind ebenfalls Gegenstand der populationsgenetischen Forschung. Einer davon ist das häufig zu beobachtende Phänomen der Heterosis, das darin besteht, dass mischerbige (heterozygote) Individuen von der Selektion gegenüber reinerbigen (homozygoten) bevorzugt werden, sich also als fitter erweisen. Im umgekehrten Fall erweist sich Inzucht, also die Paarung genetisch nah verwandter oder identischer Individuen, als nachteilig, was insbesondere auch auf das vermehrte Auftreten rezessiver Gene zurückzuführen ist. Literatur John H. Gillespie: Population Genetics: A Concise Guide, Johns Hopkins Press, 2. Aufl. 2004, ISBN 0-8018-5755-4 Matthew Hamilton: Population Genetics, John Wiley & Sons 2009 Daniel L. Hartl & Andrew G. Clark: Principles of Population Genetics, Palgrave Macmillan, 4. Aufl. 2007, ISBN 0-87893-306-9 Philip W. Hedrick: Genetics of Populations, Jones & Bartlett Publ., 4. Aufl. 2009 Weblinks (PDF-Datei; 401 kB) Theoretische Ökologie Evolution
Q31151
315.617221
56571
https://de.wikipedia.org/wiki/Krasnodar
Krasnodar
Krasnodar (; ) ist eine russische Großstadt mit über einer Million Einwohnern (2018), gerechnet auf den gesamten Stadtkreis, zu dem neben der eigentlichen Stadt mit gut 900.000 Einwohnern 29 weitere Ortschaften gehören. Sie ist Hauptstadt der gleichnamigen Region Krasnodar und eines der wichtigsten Zentren Südrusslands. Krasnodar ist ein bedeutender Wirtschaftsstandort, beheimatet einige der erfolgreichsten Sportvereine Russlands und ist Sitz mehrerer Universitäten, Theater und Museen. In der Agglomeration Krasnodar leben rund 1,35 Millionen Menschen. Bis 1920 trug die Stadt den Namen Jekaterinodar. Krasnodar ist ein Verkehrsknotenpunkt an der Fernstraße M4 mit zwei Fernbahnhöfen und einem internationalen Flughafen. Geografie Krasnodar liegt knapp 1200 km südlich von Moskau genau auf dem 45. Breitengrad (wie die Halbinsel Krim), zwischen Schwarzem Meer und Kaspischem Meer. Die südliche Stadtgrenze wird vom Fluss Kuban markiert. Unmittelbar südlich von Krasnodar verläuft die Grenze zur Republik Adygeja, einer autonomen russischen Teilrepublik. Einige Vororte Krasnodars, so etwa Jablonowski oder Tljustenchabl, liegen bereits in Adygeja. Ebenfalls im Süden der Stadt befinden sich vier große Stauseen. Die Luftlinienentfernung zum Schwarzen Meer beträgt rund 85 Kilometer. Klima In Krasnodar herrscht submediterranes Klima. Die jährliche Tagesdurchschnittstemperatur beträgt 12,1 °C und liegt damit in etwa auf dem Niveau von Bozen. Geschichte Gründung als Jekaterinodar Krasnodar wurde 1793 unter dem Namen Jekaterinodar (Екатеринодар) von Schwarzmeerkosaken unter der Führung des Atamans Sachari Tschepiga zunächst als Festungsstadt gegründet. Die Festung erhielt den Namen Jekaterinodar, d. h. „Geschenk Katharinas“, in Anlehnung an Katharina II., die das Land den Kubankosaken übertragen hatte. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts gaben noch 38 % der Einwohner Ukrainisch als Muttersprache an, das in der Zeit als „kleinrussischer“ Dialekt des Russischen angesehen wurde, und 53 % „Großrussisch“; im gesamten umliegenden Gebiet Kuban lag das Ukrainische mit 47 % vor dem Russischen mit 43 %. In der Folgezeit sank der ukrainische Anteil durch verschiedene Faktoren wie Assimilation der Ukrainer und Migration von Russen und Angehörigen weiterer Ethnien aus anderen Landesteilen: 1926 gaben noch etwa 30 % der Einwohner Krasnodars eine ukrainische ethnische Zugehörigkeit an, schon 1959 nur noch knapp 5 % der gesamten Stadtbevölkerung der Region. Diese Entwicklung setzte sich fort, so dass 2010 nur noch etwa 0,4 % der Einwohner der Region Ukrainisch als Muttersprache angaben. Jekaterinodar wurde nach seiner Gründung zum zentralen Stützpunkt des Schwarzmeerkosakenheeres und 1860 Hauptstadt des Gebietes Kuban. 1867 erhielt Jekaterinodar den Stadtstatus. Die Bevölkerung lebte von der Landwirtschaft. Mit dem Bau der Eisenbahn im späten 19. Jahrhundert begann das Wachstum der Stadt, die zu einem bedeutenden Verkehrs- und Handelszentrum wurde, besonders für Tabak, Brot und Leder. 1897 hatte Jekaterinodar 66.000 Einwohner, 1913 waren es bereits über 100.000. Unmittelbar nach der Oktoberrevolution gelangte Jekaterinodar unter die Kontrolle der Roten Armee, wurde jedoch im April 1918 von der Weißen Armee unter Kornilow und Denikin erobert. Die Stadt wurde daraufhin eines der Zentren der weißen, konterrevolutionären Bewegung, die dort besonders unter Kosaken zahlreiche Anhänger fand. 1917–1919 war Jekaterinodar die Hauptstadt der unabhängigen Volksrepublik Kuban und (de facto) Teil der Ukrainischen Volksrepublik. Umbenennung in Krasnodar 1920 nahm die Rote Armee die Stadt ein. Unmittelbar mit der Machtübernahme der Sowjets wurde die Stadt in Krasnodar umbenannt und erhielt damit ihren heutigen Namen. In den 1920er/30er Jahren begann die industrielle Entwicklung der bis dahin hauptsächlich agrarisch geprägten Stadt, besonders in den Bereichen der Metallverarbeitung und der Erdölförderung und -verarbeitung. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Krasnodar am 9. August 1942 von der Heeresgruppe A der deutschen Wehrmacht eingenommen und besetzt. Am 12. Februar 1943 konnte die Rote Armee die Stadt zurückerobern. Bei den Kämpfen um Krasnodar war es zu schweren Zerstörungen gekommen. In Krasnodar bestand das Kriegsgefangenenlager 148 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs. Von den Schäden des Kriegs erholte sich die Stadt schnell; in den 1970er Jahren wurde die Marke von 500.000 Einwohnern überschritten. Um das Einwohnerwachstum bewältigen zu können, wurden zahlreiche neue Wohnviertel im Plattenbauweise angelegt. Im Januar 1961 kam es in Krasnodar zu Massendemonstrationen gegen die Politik von Nikita Chruschtschow, die jedoch nach nur zwei Tagen von der Polizei aufgelöst wurden. Nachsowjetische Zeit Im Gegensatz zu vielen anderen russischen Städten wurde Krasnodar vom Zerfall der Sowjetunion kaum getroffen. Durch Transformationsprozesse konnte Krasnodar in den 1990er Jahren seine Position als Industriezentrum ausbauen, Ende des Jahrzehnts überholte es das nahegelegene Rostow am Don bezüglich der Industrieproduktion und wurde der größte Industriestandort im Nordkaukasus. Entgegen dem allgemeinen Trend in der demographischen Entwicklung Russlands hatte Krasnodar auch in den 1990er Jahren einen deutlichen Bevölkerungszuwachs erfahren, was zum Teil auf eine starke Zuwanderung von Flüchtlingen aus den Krisengebieten des Kaukasus und anderer ehemaliger Sowjetrepubliken zurückzuführen war, zum Teil aber auch auf die günstige wirtschaftliche Entwicklung der Stadt. Bevölkerung Krasnodar gehört zu den russischen Städten, in welchen die Geburtenrate über der Sterberate liegt. Hinzu kommt eine stetige Zuwanderung aus dem In- und Ausland, so dass Krasnodar in den letzten Jahren ein stetiges Bevölkerungswachstum vorweisen kann. Bei der Volkszählung 2010 gaben über 90 % der Bevölkerung „Russisch“ als ethnische Herkunft an. Größte Minderheiten sind Armenier (3,7 %), Ukrainer (1,5 %) und Adygejer (0,9 %). 54,6 % der Bevölkerung sind weiblich (2010). Bis 2015 stieg die Bevölkerungszahl auf rund 830.000 in der Stadt selbst und 1,35 Millionen in der Agglomeration. Unter den größten Städten Russlands liegt Krasnodar auf Platz 17. Anmerkung: Volkszählungsdaten Wirtschaft In den Zeiten der Sowjetunion gezielt als industrielles Zentrum ausgebaut, finden sich hier heute vor allem Raffinerien sowie große Betriebe zur Herstellung von Werkzeugen und Landwirtschaftsmaschinen. Das größte russische Einzelhandelsunternehmen, Magnit, hat hier ebenso seinen Hauptsitz wie das mittlerweile europaweit agierende Photovoltaikunternehmen Solar Wind. Ein weiteres wirtschaftliches Standbein der Stadt sind Ackerbau sowie Tabak-, Obst- und Getreideanbau. Durch die vorhandene Schwarzerde sind die Bedingungen für die Landwirtschaft besonders günstig. Getreide, Sonnenblumen und Reis werden in 69 Staaten exportiert. Im Gebiet der zur Region Krasnodar gehörenden Stadt Sotschi befindet sich auch das nördlichste Teeanbaugebiet der Welt. Noch in den 1980er Jahren wurde geplant, das Kernkraftwerk Krasnodar mit einem WWER-1000 zu errichten. Jedoch wurde der Plan am 1. Januar 1988 aufgegeben. 1993 übernahm Philip Morris International die seit den 1930er Jahren in der Stadt bestehende staatliche Tabakfabrik und führte sie nach aufwändiger Renovierung mit 700 Beschäftigten und einer Produktion von gegenwärtig 30 Milliarden Zigaretten pro Jahr unter dem Namen „Philip Morris Kuban“ fort. Der Landmaschinenhersteller Claas betreibt seit 2005 ein Montagewerk, in dem Mähdrescher für den Verkauf in die GUS-Staaten gefertigt werden. Die Baukomponenten kommen hauptsächlich aus Deutschland, aber auch aus anderen europäischen Ländern. Die Baubranche ist in Krasnodar im Vergleich zu anderen russischen Städten sehr gut entwickelt. Im russlandweiten Vergleich gehört Krasnodar zusammen mit Moskau und Sankt Petersburg zu den Spitzenreitern bei der Anzahl von Neubauten und dem Bautempo. Allein 2011 wurden in Krasnodar rund 1.750.000 Quadratmeter Wohnfläche geschaffen. Am 26. Januar 2012 wurde von der Krasnodarer Stadtduma ein Bebauungs- und Entwicklungsplan für die kommenden 40 Jahre beschlossen. Seit Februar 2012 ist der Plan öffentlich einsehbar. Verkehr Straße und Bahn Krasnodar ist ein Verkehrsknotenpunkt an der Fernstraße M4 mit zwei Fernbahnhöfen und einem internationalen Flughafen. Öffentlicher Personennahverkehr Der Öffentliche Personennahverkehr der Stadt wurde bis etwa 1990 praktisch allein durch die Straßenbahn und zahlreiche Oberleitungsbus- sowie Autobuslinien abgewickelt. Danach blühte ein neues Verkehrsmittel auf – die Marschrutka. Das sind privat betriebene Kleinbusse, die zwar relativ feste Linien abfahren, die auch beantragt werden, aber auf Zuruf oder Winkzeichen auch zwischen zwei üblichen Haltestellen anhalten. Marschrutki haben blitzschnell alle nachgefragten Routen ausprobiert und sind in manchen Gegenden die einzige Alternative zum Taxi oder zum eigenen Fahrzeug. Es gibt wesentlich mehr Marschrutki als Taxis oder Busse. Typisches Fahrzeug der Marschrutki in Krasnodar ist ein an den Ford Transit erinnernder Kleinbus aus Nischni Nowgoroder Produktion, der GAZelle heißt und Motoren verwendet, die auch in die im selben Werk hergestellten PKWs der Marke Wolga eingebaut wurden. Seit Juli 2011 gibt es in Krasnodar den „EKOBus“, einen Omnibus mit umweltfreundlichem Hybridantrieb. Krasnodar war ferner bis Ende 2013 die letzte Stadt weltweit, in der Oberleitungsbusdoppeltraktionen zum Einsatz kamen. Luft Der internationale Flughafen Krasnodar liegt am östlichen Stadtrand bei der vor einigen Jahren eingemeindeten Siedlung Paschkowka, etwa 12 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt. Städtepartnerschaften Krasnodar listet elf Partnerstädte auf: 1979 wurden erste Kontakte zwischen Karlsruhe und Krasnodar geknüpft. Seit 1992 verbindet beide Städte ein offizieller Freundschaftsvertrag, seit Dezember 1997 sind sie Partnerstädte. Zahlreiche Aktivitäten und Besuche von beiden Seiten haben die Beziehung gefestigt. Dabei stehen neben dem kulturellen Austausch und persönlichen Begegnungen die materielle und ideelle Hilfe beim derzeitigen Prozess der Umgestaltung Krasnodars im Vordergrund. Aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine am 24. Februar 2022 ist die Städtepartnerschaft mit Karlsruhe seit 2022 pausiert. Bildung und Kultur Die Stadt verfügt über mehrere Theater, Bibliotheken und Museen sowie über ein breites Angebot von Hochschulen. Sie ist Standort der größten landwirtschaftlichen Universität Russlands. Filiale der Universität für Verbraucherkooperativen Belgorod Filiale der Internationalen Universität Filiale der Staatlichen Handelsuniversität Moskau Filiale der Staatlichen Universität für Verkehrsverbindung Rostow Filiale der Russischen Ökonomischen Akademie Institut für Internationales Business Institut für Internationales Recht, Ökonomie, Geisteswissenschaften und Verwaltung Institut für Internationales Unternehmertum und Management des Kubangebiets Institut für Kultur Krasnodar Institut für Management und Markt der Internationalen Universität Institut für Marketing und soziale Informationstechnologien Institut für Moderne Technologien und Ökonomie Institut für Ökonomie und Verwaltung der Staatlichen Medizinakademie des Kubangebiets Institut für Wirtschaft, Recht und Naturwissenschaften Juristisches Institut Krasnodar des Innenministeriums Russlands Militärinstitut Krasnodar Militärinstitut für Luftfahrt Krasnodar Städtisches Medizininstitut Krasnodar für Höhere Krankenpflegerausbildung Medizininstitut des Kubangebiets Sozialökonomisches Institut des Kubangebiets Staatliche Agraruniversität des Kubangebiets Staatliche Akademie für Sport des Kubangebiets Staatliche Medizinuniversität des Kubangebiets Staatliche Technologische Universität des Kubangebiets Staatliche Universität des Kubangebiets Südliches Managementinstitut Südrussisches Institut für Internationale Beziehungen Universität für Innovationen des Unternehmertums Universität Megu-Krasnodar Der 1936 in Sibirien geborene Schriftsteller Wiktor Lichonossow lebt in Krasnodar und gibt dort das Literaturmagazin Rodnaja Kuban heraus. Sein 1986 erschienener Roman Unser kleines Paris (Наш Маленький Париж) beschäftigt sich mit der vom Kosakentum geprägten Vergangenheit der Stadt und gilt als sein Hauptwerk. 1988 wurde er mit dem staatlichen Gorki-Preis ausgezeichnet. Sport Im Fußball ist die Stadt durch den Verein FK Krasnodar in der Premjer-Liga vertreten. In der Stadt hätten einzelne Spiele im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft 2018 ausgetragen werden sollen. Jedoch wurde Krasnodar neben Jaroslawl aus der vorläufigen Liste der Spielorte gestrichen. Der 1928 gegründete FK Kuban Krasnodar spielte ebenfalls mehrere Jahre erstklassig und nahm an der Gruppenphase der UEFA Europa League 2013/14 teil. 2018 wurde der insolvente Verein aufgelöst. Der kurzlebige Eishockeyklub HK Kuban Krasnodar spielte von 2012 bis 2015 in der Wysschaja Hockey-Liga. PBK Lokomotive Kuban Krasnodar spielt als Profibasketballverein in der VTB United League. In der Stadt befindet sich mit dem GK Kuban Krasnodar ein bekannter Frauen-Handballverein der russischen Liga. Persönlichkeiten Zu den Söhnen und Töchtern der Stadt Krasnodar gehören u. a. der Geiger und Kapellmeister Ilja Livschakoff (1903–1990), die Bomberpilotin und Filmregisseurin Jewgenija Schigulenko (1920–1994), General und Politiker Walentin Warennikow (1923–2009), Fußballspieler Sergei Salnikow (1925–1984), der Kosmonaut Gennadi Padalka (* 1958), die Opernsängerin Anna Netrebko (* 1971), Basketballspieler Lazaros Papadopoulos (* 1980), Gymnastin Ina Schukawa (* 1986), Tennisspielerin Alexandra Panowa (* 1989) und die Handballspielerin Anna Sen (* 1990). Einzelnachweise Weblinks Offizielle Website der Stadtverwaltung (russisch) Freundschaftsgesellschaft Karlsruhe-Krasnodar Städtepartnerschaft Karlsruhe-Krasnodar Ort in der Region Krasnodar Hochschul- oder Universitätsstadt in Russland Hauptstadt eines Föderationssubjekts Russlands Gegründet 1793 Stadtrechtsverleihung 1867 Millionenstadt
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140.927576
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https://de.wikipedia.org/wiki/Chandigarh
Chandigarh
Chandigarh (Hindi: , Panjabi: Caṇḍīgaṛh) ist eine Millionenstadt und eine Municipal Corporation im Norden Indiens. Die Stadt besitzt den Status eines eigenen Unionsterritoriums und ist zugleich die Hauptstadt der beiden indischen Bundesstaaten Punjab und Haryana, an deren Grenze sie liegt. Die Planstadt Chandigarh wurde nach der Teilung Indiens nach Plänen des schweizerisch-französischen Architekten Le Corbusier als neue Hauptstadt des indischen Teils des Punjab errichtet. Auf der Grundlage der Volkszählung 2011 hat die Stadt Chandigarh rund 960.000 Einwohner; im gesamten Unionsterritorium leben knapp 1,05 Millionen Menschen. Zusammen mit den beiden Satellitenstädten Panchkula und Sahibzada Ajit Singh Nagar (ehemals Mohali) bildet Chandigarh einen Ballungsraum mit über 1,4 Millionen Einwohnern, die sogenannte „Chandigarh Tricity“. Hauptsprachen sind Hindi und Panjabi. Geografie Geografische Lage Chandigarh liegt im Nordwesten Indiens am Fuß der Siwaliks, der Vorberge des Himalaya, auf einer Höhe von 321 Metern. Das Unionsterritorium Chandigarh umfasst eine Fläche von 114 Quadratkilometern. Es wird im Westen vom Bundesstaat Punjab (Distrikt Sahibzada Ajit Singh Nagar) und im Osten vom Bundesstaat Haryana (Distrikt Panchkula) umschlossen. Die Grenze zum Bundesstaat Himachal Pradesh ist nur rund 25 Kilometer entfernt. Die nächsten größeren Städte sind Ambala 50 Kilometer südlich, Ludhiana 100 Kilometer westlich und Shimla 125 Kilometer nordöstlich. Nach Delhi sind es rund 260 Kilometer. Zu den Vorstädten zählt Zirakpur. Klima Chandigarh hat ein subtropisches bis kontinentales Klima mit durch den Monsun bedingtem jahreszeitlichem Wechsel. Geschichte Chandigarh ist eine Planstadt, die erst Mitte des 20. Jahrhunderts gegründet wurde. Im Sommer 1947 wurden Indien und Pakistan aus dem britischen Kolonialreich in die Selbständigkeit entlassen, was mit einer neuen Grenzziehung zwischen beiden Staaten verbunden war (siehe Teilung Indiens). Auch die Provinz Punjab wurde geteilt, wobei die Hauptstadt Lahore an Pakistan fiel. Daraufhin beschloss Indien die Errichtung eines neuen Regierungssitzes für den indischen Teil des Punjab. Als Standort wählte man ein Gelände in direkter Nachbarschaft zum Dorf Chandigarh, dessen Namen man auf die neue Stadt übertrug. Der Name leitet sich von der Göttin Chandi ab, der ein nahegelegener Tempel geweiht ist (garh bedeutet „Festung“). Für die Errichtung einer neuen Hauptstadt wurden der amerikanische Städteplaner Albert Mayer und sein Partner, der Architekt Matthew Nowicki verpflichtet. Nachdem Nowicki im Jahr 1950 tödlich verunglückte, schied auch Mayer aus der Planung aus. Nachfolger für die Planung wurde auf besonderen Wunsch Jawaharlal Nehrus, des Ministerpräsidenten Indiens, der Schweizer Architekt Le Corbusier. Der Grundstein für Chandigarh wurde 1952 gelegt. Im Jahr 1966 wurde der mehrheitlich von Hindus bewohnte südliche Teil des indischen Punjab als neuer Bundesstaat Haryana abgespalten, außerdem entstand im nördlichen Teil der Bundesstaat Himachal Pradesh. Chandigarh blieb gemeinsame Hauptstadt der Bundesstaaten Punjab und Haryana. Der Status Chandigarhs blieb allerdings in den folgenden Jahrzehnten zum Teil umstritten. Nationalistische Sikh-Politiker der Akali Dal wollten die Stadt in den Bundesstaat Punjab eingliedern. Im Punjab-Abkommen vom 24. Juli 1985 zwischen Premierminister Rajiv Gandhi und dem Sikh-Führer und Präsidenten der Shiromani Akali Dal Harchand Singh Longowal wurde unter anderem die Angliederung Chandigarhs an den Punjab vereinbart. Diese kam jedoch nicht zustande, da die Übereinkunft nicht umgesetzt wurde. Bevölkerung Bevölkerungsstruktur Nach der indischen Volkszählung 2011 hat die Stadt Chandigarh 960.787 Einwohner. Im Unionsterritorium Chandigarh, das nur wenig über die administrativen Grenzen der Stadt hinausgeht, leben 1.055.450 Menschen (alle folgenden Zahlen beziehen sich auf das gesamte Unionsterritorium). Die Bevölkerungsdichte Chandigarhs ist mit 9.258 Einwohnern pro Quadratkilometer hoch, aber typisch für eine indische Großstadt (zum Vergleich: Mumbai ca. 28.500 Ew./km², Delhi ca. 11.300 Ew./km², Berlin ca. 3.900 Ew./km²). Das Geschlechterverhältnis ist äußerst unausgeglichen: Auf 1.000 Männer kommen nur 818 Frauen (im Durchschnitt Indiens sind es 943). Der Männerüberschuss lässt sich nur bedingt durch die (meist männliche) Arbeitsmigration in die Großstadt Chandigarh erklären: Auch unter den bis zu 6-Jährigen kommen nur 880 Mädchen auf 1.000 Jungen (Gesamtindien: 919). 86 Prozent der Einwohner Chandigarhs können lesen und schreiben. Die Alphabetisierungsquote liegt damit deutlich über dem indischen Durchschnitt von 73 Prozent, aber nur wenig über dem Durchschnitt von 84 Prozent für die städtische Bevölkerung. Die Agglomeration Chandigarh hat laut der Volkszählung 2011 eine Einwohnerzahl von 1.054.686. Dabei ist aber zu beachten, dass der indische Zensus Agglomerationen nicht über die Bundesstaatsgrenzen hinweg registriert. Tatsächlich bildet Chandigarh mit den direkt angrenzenden, aber zum Punjab bzw. zu Haryana gehörigen Städten Sahibzada Ajit Singh Nagar (ehemals Mohali) und Panchkula einen einheitlichen Ballungsraum, der als „Chandigarh Tricity“ (Tri-City analog zu Zwillingsstädten) bezeichnet wird. Gemeinsam hat die Agglomeration Chandigarh-Mohali-Panchkula über 1,4 Millionen Einwohner. Bevölkerungsentwicklung Seit seiner Gründung hat Chandigarh ein enormes Bevölkerungswachstum erfahren. Im Jahr 1951 lebten im Gebiet Chandigarhs nur rund 24.000 Menschen. Innerhalb der nächsten zehn Jahre verfünffachte sich die Einwohnerzahl auf 120.000; bis zum Jahr 1971 verdoppelte sie sich dann noch einmal auf knapp 260.000. Seitdem setzt sich das Bevölkerungswachstum unvermindert fort: 1981 hatte Chandigarh ca. 450.000 Einwohner, 1991 waren es 640.000, 2001 dann 900.000 und 2011 hatte Chandigarh erstmals über eine Million Einwohner. Gleichwohl ist die Wachstumskurve deutlich abgeflacht: Zuletzt betrug das Bevölkerungswachstum nur noch 17 Prozent binnen zehn Jahren. Ein Grund dafür ist, dass das bereits dicht besiedelte Chandigarh immer weniger Platz für weiteres Wachstum bietet. Nach Le Corbusiers Plänen war die Stadt für nur 500.000 Einwohner vorgesehen. Sprachen Die Bundesstaaten Punjab und Haryana, an deren Grenze die gemeinsame Hauptstadt Chandigarh liegt, wurden nach der Sprachgrenze zwischen dem Panjabi und dem Hindi gegründet. Daher sind in Chandigarh beide Sprachen verbreitet. Die Sprecher des Hindi stellen nach der Volkszählung 2001 mit 68 Prozent die Mehrheit, Panjabi-Sprecher machen eine Minderheit von 28 Prozent aus. Die restlichen vier Prozent entfallen auf übrige Sprachen. Englisch ist, wie in ganz Indien, als Bildungs- und Verkehrssprache verbreitet. Im Alltag und in der Verwaltung dominiert in Chandigarh das Hindi, was unter den Panjabi-Sprechern bisweilen für Unmut sorgt. So verabschiedete das Parlament des Bundesstaats Punjab 2010 eine Resolution, in der es die Vernachlässigung des Panjabi in Chandigarh beklagte und forderte, das Panjabi zur „ersten Sprache“ Chandigarhs zu machen. Religionen Die Mehrheit der Einwohner Chandigarhs sind Hindus. Nach der Volkszählung 2011 stellen sie 81 Prozent der Bevölkerung. Die Sikhs, die im benachbarten Bundesstaat Punjab die Mehrheit ausmachen, sind in Chandigarh mit einem Bevölkerungsanteil von 13 Prozent in der Minderheit. Nur eine kleine Minderheit stellen die Muslime mit knapp 5 Prozent der Bevölkerung. Sehenswürdigkeiten Architektur Chandigarh ist in Sektoren aufgeteilt, Le Corbusier entflocht dabei die städtischen Funktionen zu entmischten Zonen. In diesen wird entweder gewohnt, verkauft oder gearbeitet. So ist z. B. Sektor 17 der Einkaufssektor, Sektor 35 Gastronomie- und Restaurantsektor. Gleichzeitig verfügt jeder Wohnsektor über Basiseinrichtungen wie Schule, Markt oder lokale Ärzte. Der Bahnhof Chandigarhs liegt acht Kilometer außerhalb der Stadt. Die strenge Funktionenteilung im Innern der Stadt macht Chandigarh zur Stadt der langen Wege. Im Gegensatz zu vielen anderen indischen Städten, die unter täglichem Verkehrschaos und hoher Bevölkerungsdichte leiden, hat Le Corbusier solche Engpässe in der städtischen Infrastruktur durch großzügige Planung vermieden. Architektonisch ist Chandigarh in mehrfacher Hinsicht sehr auffällig. Die meisten Wohnbauten wurden von Le Corbusiers Cousin Pierre Jeanneret, dem britischen Architekten Maxwell Fry und seiner Frau Jane Drew sowie indischen Architekten wie M.N. Sharma und Aditya Prakash geplant. Die unterschiedlichen Wohnbauten, einige mit Blendgittern und Transennen (Gitterfenster oder Jalis) an den Fassaden, die in den feuchtheißen Sommern für Beschattung und Durchlüftung sorgen, geben der Stadt ein eigenes Flair. Viele Gebäude wurden jedoch schon mehrfach verändert. Die monumentalen Regierungsbauten Le Corbusiers im Kapitol-Komplex in Chandigarh machen die Stadt zu einer Pilgerstätte für Architekten. Die in Sichtbeton ausgeführten Bauwerke liegen im Sektor 1, dem „Kopf“ der Stadt. Ursprünglich plante Le Corbusier vier Regierungsbauwerke: den Justizpalast, das Parlament, das Sekretariat (Ministeriengebäude) und den Gouverneurspalast. Letzterer wurde jedoch nicht realisiert. Neben dem künstlichen Plateau, auf dem die Regierungsbauten stehen, findet sich das 250 Meter lange Sekretariatsgebäude (Ministerien), ebenfalls ein Entwurf von Le Corbusier. Von weitem gesehen sind die Bauwerke immer noch beeindruckend, der Beton zeigt allerdings bereits starke Auflösungserscheinungen. Zu Ehren von Le Corbusier ist der Grundriss eines Viertels auf der ihm gewidmeten Schweizer 10-Franken-Note abgebildet (8. Serie von 1995 bis 2016). Museen Government Museum and Art Gallery, Sector 10, Architekt Le Corbusier Natural History Museum, Sector 10 Architecture Museum, Sector 10 Le Corbusier Centre, Sector 19, im ersten, bis 1965 genutzten und von Pierre Jeanneret entworfenen Planungsbüro. Der eingeschossige Pavillonbau war die Wirkungsstätte von Le Corbusier in Chandigarh. Pierre Jeanneret Museum, Sector 5 Parks Eine Sehenswürdigkeit besonderer Art ist das etwa 10 Hektar große Gartenkunstprojekt „Rock Garden“, seit Mitte der 1960er Jahre gestaltet von Nek Chand als eine Art Gegenwelt zur modernen Planstadt von Le Corbusier. Wirtschaft Chandigarh ist der Geschäftssitz von SML Isuzu. Verkehr Der Individualverkehr hat in Chandigarh einen hohen Stellenwert. Der Autoverkehr in Chandigarh profitiert dabei im Vergleich zu anderen indischen Städten von den großzügig angelegten Verkehrsflächen. Der öffentliche Nahverkehr ist dagegen unterentwickelt. Das staatliche Unternehmen Chandigarh Transport Undertaking (CTU) betreibt Busverbindungen innerhalb Chandigarhs und in die Nachbarbundesstaaten. Es besitzt eine Flotte von über 500 Bussen, die täglich 217.000 Passagiere befördern. Fahrrad- oder Autorikschas stellen eine wichtige Ergänzung zum öffentlichen Nahverkehr dar. Der Bau einer U-Bahn wurde 2017 verworfen. Diese sollte zwei Linien mit einer Gesamtlänge von 38 Kilometern (davon 14 Kilometer unterirdisch) erhalten und 2018 in Betrieb gehen. Vom Bahnhof Chandigarh aus bestehen Zugverbindungen unter anderem nach Delhi, Mumbai, Kalkutta, Indore, Amritsar und Jaipur. Nach Delhi verkehrt der Shatabdi Express. Außerdem besitzt Chandigarh einen eigenen Flughafen, den Flughafen Chandigarh. Es bestehen Flugverbindungen in verschiedene Städte Indiens. Bildung Die PEC University of Technology wurde als Punjab Engineering College 1921 in Mughalpura, Punjab, gegründet und 1953 nach Chandigarh verlegt, wo sie 2009 Universitätsstatus erhielt. Sie ist neben der im Jahr der Teilung des Punjab 1947 gegründeten Punjab University, die aus der in Pakistan verbliebenen, 1882 in Lahore gegründeten University of the Punjab hervorging, die zweite akademische Lehranstalt in Chandigarh. Sport In Chandigarh befinden sich mit Punjab Cricket Association Stadium und Sector 16 Stadium zwei Test-Cricket-Stadien. In der Stadt bestreitet die Indische Cricket-Nationalmannschaft regelmäßig Heimspiele gegen andere Nationalmannschaften. Im Punjab Cricket Association Stadium fanden unter anderem Spiele beim Cricket World Cup 1987 statt, sowie im Punjab Cricket Association Stadium Partien beim Cricket World Cup 1996 und Cricket World Cup 2011, der ICC Champions Trophy 2006, der ICC World Twenty20 2016 und der ICC Women’s World Twenty20 2016. Söhne und Töchter der Stadt Neerja Bhanot (1962–1986), Flugbegleiterin und Model Jeev Milkha Singh (* 1971), Profigolfer Sanam Singh (* 1988), Tennisspieler Taniya Bhatia (* 1997), Cricketspielerin Harleen Deol (* 1998), Cricketspielerin Siehe auch Le Corbusier in Chandigarh Einzelnachweise Literatur Bärbel Högner: Chandigarh-Living with Le Corbusier. Jovis, Berlin 2010, ISBN 978-3-86859-137-8 Ernst Scheidegger (Fotografien), Maristella Casciato u. a. (Text), Stanislaus von Moos (Hrsg.): Chandigarh 1956: Le Corbusier, Pierre Jeanneret, Jane B. Drew, E. Maxwell Fry. Scheidegger & Spiess, Zürich 2010, ISBN 978-3-85881-222-3 Klaus-Peter Gast: Le Corbusier, Paris – Chandigarh. Birkhäuser, Basel/Berlin/Boston 2000, ISBN 3-7643-6088-7 Thomas Göbel-Gross: Der Rock Garden in Chandigarh. Zwischen Indischem Garten und „Outsider Art“. In: Die Gartenkunst, 11 (1999), Heft 1, S. 1–21 Ravi Kalia: Chandigarh: The Making of an Indian City. Oxford University Press, New Delhi 1999 Jaspreet Takhar (Hrsg.): Celebrating Chandigarh. (50 years of the idea, 9–11 January 1999, Chandigarh, India, conference). Chandigarh, Chandigarh Perspectives, 2002, ISBN 1-890206-38-5 Vikramaditya Prakash: Chandigarh’s Le Corbusier. The Struggle for Modernity in Postcolonial India. Studies in Modernity and National Identity. University of Washington Press, Seattle 2002, ISBN 0-295-98207-1 Udo Weilacher: Märchenhafte Weltenschöpfung. Rock Garden in Chandigarh. In: Ders.: In Gärten. Profile aktueller europäischer Landschaftsarchitektur. Birkhäuser, Basel/Berlin/Boston 2005, ISBN 978-3-7643-7084-8 Heike Werner: Das Capitol von Chandigarh. In: Baumeister – Zeitschrift für Architektur 96 (1999), Heft 5, S. 42–47 Niclas-Tölle, Boris: India’s „Ville Radieuse“: Modernist Town Planning in Chandigarh. In: India in the World since 1947. National and Transnational Perspectives, Hrsg. von Andreas Hilger & Corinna Unger, Frankfurt am Main u. a.: Peter Lang 2012, ISBN 978-3-631-61178-4, S. 161–182. Weblinks Website der Municipal Corporation Chandigarh Urban and Architectural Work of Le Corbusier in Chandigarh. UNESCO.org elarq Bilder der Architektur Frank E. Strasser: Chandigarh überdenken, Neue Zürcher Zeitung, 5. März 1999 Ariane Stürmer: Architektur: Die perfekte Stadt, Beitrag auf spiegel.de/einestages vom 3. Dezember 2008 Ort in Indien Planstadt Indisches Unionsterritorium Hauptstadt eines indischen Bundesstaates oder Unionsterritoriums Municipal Corporation in Indien Hochschul- oder Universitätsstadt in Indien
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310.703382
2096190
https://de.wikipedia.org/wiki/Singzikaden
Singzikaden
Singzikaden (Cicadidae) sind eine Familie innerhalb der Unterordnung der Rundkopfzikaden (Cicadomorpha). Die Insekten sind in der Lage, für Menschen hörbare Laute zu produzieren. Dazu verfügen sie über speziell ausgebildete Trommelorgane (Tymbale). Auf ihre artspezifischen und damit bestimmungsrelevanten Gesänge nimmt die deutsche Bezeichnung Bezug. Die Vertreter dieser Familie gehören aufgrund ihres Gesanges, ihrer oft auffälligen Färbung und ihrer Größe zu den bekanntesten Zikaden. Beispielsweise erreicht die indomalayische Kaiserzikade (Pomponia imperatoria) 11 Zentimeter Körperlänge und eine Flügelspannweite über 22 Zentimeter. Bezeichnungen wie „Schwarzer Prinz“, „Kirschnase“, „Rotauge“ oder „Grüner Kaufmann“ geben einen Eindruck von der auffälligen Färbung australischer Singzikaden. Morphologische Merkmale Die Färbung der Zikaden ist meist der Umgebung so gut angepasst, dass sie vom Laien kaum in der Vegetation erkannt werden. Die Tiere sind ein- oder mehrfarbig. Es überwiegen Erdtöne, wie Braun, Schwarz, Grün, Gelb- und Orangetöne. Der Körperbau der Singzikaden ist meist gedrungen. Während die Männchen der Kaiserzikade (Pomponia imperatoria) Körperlängen bis zu 11 Zentimetern und Flügelspannweiten von über 22 Zentimetern erreichen können, misst die kleinste bekannte Singzikade Panka parvulina lediglich 1,4 Zentimeter mit einer Flügelspannweite von etwa 2,4 Zentimetern. Die Weibchen haben einen mehr oder weniger langen Legebohrer (Ovipositor), der den Hinterleib spitz erscheinen lässt. Der Hinterleib der Männchen ist stumpf abgerundet und je nach Art unterschiedlich getönt. Der Halsschild (Pronotum) ist gedrungen und kurz. Er verdeckt weniger als die Hälfte der Mittelbrust (Mesothorax). Der Kopf ist groß. Die erwachsenen Tiere haben deutlich seitlich hervorgewölbte Komplexaugen (Facettenaugen). Dank solch weiter Vorwölbung ihrer Komplexaugen können in der Mittagshitze von Baum zu Baum fliegende Singzikaden einen von hinten anfliegenden Beutegreifer, z. B. einen sie im Flug verfolgenden Italiensperling, wahrnehmen und durch mehrfach ausgestoßene kräftige Warnlaute „abschütteln“. Sie verfügen über drei Punktaugen (Ocelli), die sich im Dreieck angeordnet auf der Stirn (Frons) befinden. Dieses Merkmal unterscheidet sie von allen anderen Zikadenarten, die über nur zwei Ocelli verfügen oder deren Punktaugen völlig zurückgebildet sind. Die zwischen den Augen ansetzenden, deutlich gegliederten Fühler sind sehr kurz. Sie bestehen aus je zwei dicklichen Grundgliedern und einer fünfgliedrigen, schlanken Fühlerborste. Auffällig ist der blasenartig vorgewölbte Kopfschild, der durch mehrere Querrillen und Falten gekennzeichnet ist. An der Unterkante des Gesichts entspringt der Saugrüssel (Rostrum), der in Ruhestellung an den Körper geklappt zwischen den Hüften (Coxa) liegt. Die Vorderflügel werden in Ruhestellung in für Zikaden charakteristischer Weise dachförmig zusammengelegt. Sie überragen stets den Hinterleib (Abdomen). Die gut entwickelte und stark ausgeprägte Aderung der hyalinen, ganz, teilweise oder gar nicht pigmentierten Vorderflügel ist je nach Art verschiedenfarbig. Teilbereiche der Adern sind abweichend gefärbt und bilden zusammen mit der unterschiedlichen Architektur der Nervatur ein Artunterscheidungsmerkmal. Die Flügel sind von einem aderfreien Raum umgeben. Unter den Vorderflügeln liegen die kleineren, einfacher geformten, häutigen Hinterflügel. Sie werden jederseits im Flug durch Häkchen am Vorderrand des Hinterflügels miteinander gekoppelt. Die Schenkel (Femora) der Vorderbeine erwachsener Tiere sind, im Gegensatz zu den normal gestalteten Mittel- und Hinterbeinen, deutlich verdickt und bedornt. Die Vorderbeine der Larven sind in Anpassung an ihre unterirdische Lebensweise zu Grabbeinen entwickelt. Singzikaden haben kein Sprungvermögen wie andere Vertreter der Rundkopfzikaden. Die Männchen besitzen ein Trommelorgan (Tymbal) an den Seiten des ersten Hinterleibssegmentes, hinter dem Ansatz der Hinterflügel. Durch ansetzende Muskeln (Singmuskel) werden nach außen gewölbte, durch Rippen verstärkte Schallplatten in Schwingungen versetzt. Diese liegen frei (Tibicininae) oder sind durch einen von der zweiten Rückenplatte des Außenskelettes (Tergit) ausgehenden Schalldeckel bedeckt (Cicadinae). Das Geräusch entsteht durch Eindellen (Muskelzug) und Zurückspringen (Eigenelastizität). Direkt unter dem Singmuskel sorgt ein großer Luftsack im hohlen Hinterleib für die notwendige Resonanz. Mit Hilfe dieser Organe können Laute bis 900 Hertz und Lautstärken bis 120 dB erzeugt werden. Auf der Abdomenunterseite beider Geschlechter befinden sich Gehörorgane (Tympanale). Die paarigen Organe bestehen aus einer hauchdünnen Membran, die Schwingungen aufnimmt. Zusätzlich zu den speziellen Trommelorganen besitzen einige Vertreter der Familie weitere Stridulationsorgane, bei denen zwei Teile aneinander gerieben werden und Schall erzeugen. Ernährung und Atmung Alle Singzikaden sind Xylemsauger. Mit Hilfe ihres Rüssels stechen die erwachsenen Tiere die Leitungsbahnen verschiedener Gehölze und krautiger Pflanzen an und saugen den an Nährsalzen und Wasser reichen Pflanzensaft. Die unterirdisch lebenden Larven saugen den Saft von Pflanzenwurzeln. Die innere Anatomie und die Physiologie der Singzikaden entspricht weitgehend jener der Insekten. In Anpassung an die spezielle Ernährung verfügen Singzikaden wie alle Rundkopfzikaden jedoch über eine besondere Konstruktion des Verdauungstraktes, um überschüssiges Wasser beziehungsweise Kohlenhydrate abzugeben. Der sehr wasserreiche Pflanzensaft der Leitungsbahnen (Xylem) ist im Gegensatz zum zuckerreichen Phloemsaft deutlich ärmer an Nährstoffen, weshalb Singzikaden, die sich ausschließlich hiervon ernähren, sehr viel davon aufnehmen müssen. Im Darm der Pflanzensaftsauger existiert eine Filterkammer, die eine Übergangsregion zwischen Vorder- und Mitteldarm und dem Hinterdarm herstellt. Sie ermöglicht die direkte Ableitung des überschüssigen Wassers in den Enddarm und der Nahrungssaft wird vor dem Eintritt in den Mitteldarm verdickt. Ferner sind die Zentren der für Insekten typischen Strickleiternervensysteme bei den Rundkopfzikaden nur noch im Kopf und in der Brust vorhanden; der Hinterleib wird vom Nervenzentrum der Brust versorgt. Ebenso erfolgt die Atmung bei fast allen Insekten über das Tracheensystem. Sonderstrukturen sind aber offenbar bei den Larven des letzten Entwicklungsstadiums (L5) einiger afrikanischer Arten der Singzikaden entwickelt, die zum Leben in Flüssigkeit übergegangen sind (z. B. Muansa clypealis, Ugada limbalis, Orapa elliotti). Bei ihnen ist der Hinterleib zum Luftholen und -festhalten umgestaltet. Der Hinterleib ist mit einer flüssigkeitsabweisenden Oberfläche ausgestattet. Auf der Körperoberfläche befindet sich eine Luftschicht, die ab und an durch das Herausstrecken des Hinterleibes aus der Flüssigkeit erneuert wird. Offenbar handelt es sich bei der Flüssigkeit nicht um Grund- oder Regenwasser, sondern um die wasserreichen Ausscheidungen der Larve selbst, welche sich in dem Boden mit kolloidalen Eigenschaften ansammeln und nicht versickern können. Lauterzeugung Der typische Gesang der Singzikaden, der manchen aus einem Urlaub am Mittelmeer bekannt ist, ähnelt jenem von Heuschrecken oder Grillen, wird aber anders erzeugt. Während diese stridulieren (Körperteile aneinander reiben), haben die männlichen Singzikaden Tymbalorgane („Trommelorgane“), links und rechts an der Basis des Abdomens. Die Tymbalorgane haben je eine gewölbte Schallmembran, die durch rhythmische Kontraktion eines Muskels in Schwingungen versetzt wird und dadurch der Ton erzeugt wird. Obwohl alle Zikadenarten Schall- bzw. Erschütterungswellen zur Kommunikation von sich geben, ist nur die Mehrzahl der Vertreter der Cicadidae in der Lage, für Menschen hörbare Laute zu produzieren. Der Gesang der Männchen dient vor allem der Anlockung der Weibchen, er wird jedoch auch zur Festsetzung von Reviergrenzen eingesetzt. Es sind ferner Protest- und Alarmlaute bei Berührung bekannt. Es ist noch nicht geklärt, warum die Männchen tagsüber oder in der Dämmerung fast ununterbrochen singen. Manche untermalen ihren Gesang noch zusätzlich mit Flügelklick-Signalen. Die Weibchen sind meist stumm. Jene einiger Arten sind aber in der Lage, ein kurzes klickartiges „Ja“, das durch spezielle Flügelschläge entsteht, im Paarungsverhalten auszusenden. Die meisten Arten produzieren Laute im für den Menschen deutlich hörbaren Bereich. Manche Arten dagegen erzeugen einen Frequenzbereich an der oberen Hörgrenze eines jungen gesunden Menschen. Die Gesänge sind artspezifisch und lassen sich anhand von Oszillogrammen und Sonagrammen beschreiben. Sie können zur Arterkennung herangezogen werden. Fortpflanzung, Entwicklung und Lebenszyklus Die durch die Gesänge angelockten Weibchen fliegen zu den singenden Männchen. Bei den übrigen Arten der Rundkopfzikaden ist es umgekehrt die Regel. Dort sind meist die Weibchen stationär. Zur Paarung versammeln sich die Tiere oft in großer Zahl in Bäumen, Sträuchern oder auch in der niederen Vegetation. Über das Werbe- und Paarungsverhalten ist insgesamt nur wenig bekannt. Die Kopulation erfolgt, indem sich das Männchen von der Seite dem Weibchen nähert, seine Hinterleibsspitze unter die des Weibchens schiebt und seinen Penis (Aedeagus) von unten an der Basis des Legeapparates (Ovipositor) in eine nur bei Zikaden dieser Familie entwickelten Kopulationsöffnung einführt. Es wird vermutet, dass die Paarung mehrmals wiederholt wird. Danach sucht das Weibchen dünne Zweige von Gehölzen oder Stängel krautiger Pflanzen, um seine ovalen Eier in mittels seiner kräftigen Legesäge gebohrte Löcher zu legen. Die Siebzehnjahr-Zikade (Magicicada septendecim) legt auf diese Weise 400 bis 600 Eier im Verlauf eines Monats. Nach fünf bis acht Wochen ist die Embryonalentwicklung abgeschlossen. Die Junglarven sprengen die Eihülle und schlüpfen aus der Einstichöffnung heraus, wobei sie die Embryonalhülle abstreifen. Sie fallen auf die Erde. Von nun an leben die gelblichen oder weißlichen Larven grabend im Boden. Dazu verfügen sie über kräftige, zu Grabbeinen entwickelte Vorderbeine, deren sehr kurze Schenkel (Tibien) verdickt und bedornt sind. Die Larven saugen an Wurzeln. Haben sie eine geeignete Nahrungsquelle gefunden, legen sie sich eine Aufenthaltskammer an. Je nach Bodenverhältnissen sind die Larven zwischen 15 und 60 Zentimetern Tiefe zu finden. Zuweilen dringen sie sogar bis zu 3 Meter tief in den Boden ein. Singzikaden sind hemimetabol, das heißt, sie durchlaufen fünf, durch Häutungen getrennte Larvenstadien (L1 bis L5), wobei sie dem erwachsenen Tier allmählich immer ähnlicher werden. Sie haben im Vergleich zum wenige Monate währenden Erwachsenenleben eine sehr lange Larvalentwicklungszeit. Diese dauert bei den Cicadidae von neun Monaten bis zu mehreren Jahren. Meist sind es zwei bis fünf Jahre. Bei den Singzikaden der in Nordamerika verbreiteten Gattung Magicicada sind es sogar 13 oder 17 Jahre. Sie zeichnen sich besonders durch regelmäßige Massenvermehrungen aus. Gegen Ende der Entwicklung arbeiten sich die Larven in Richtung Erdoberfläche. Die Larven weniger Arten legen im Endstadium schlanke, zylindrische, bis zu 30 Zentimeter hohe Türmchen aus Erde an, um diese nach etwa drei Wochen durch ein Ausgangsloch zu verlassen. Einige Arten leben in wassergefüllten Röhrchen und sind morphologisch entsprechend angepasst (s. oben). Über die genaue Funktion dieser Bauten ist bis heute nichts bekannt. Möglicherweise können nur so die für den Abschluss der Entwicklung nötigen Umweltbedingungen erreicht werden. Die zum Schlüpfen bereiten Larven klettern dann bei günstiger Witterung und oft bei Nacht an Bäumen und Sträuchern hoch, klammern sich fest und nach kurzer Zeit schlüpfen die Vollinsekten. Verbreitung Mit mehr als 4000 bekannten Arten sind die wärmeliebenden Singzikaden weltweit, vorwiegend aber in den Tropen und subtropischen Zonen verbreitet. Die größten Vertreter dieser Familie leben in Indien, Südchina und den Großen Sundainseln. In Europa kommen die Singzikaden mit 61 Arten in 16 Gattungen überwiegend im Mittelmeergebiet vor, wobei mindestens 16 Arten in 8 Gattungen in thermisch besonders begünstigte Regionen Mitteleuropas vordringen, davon kommen in Deutschland 6 Arten in 3 Gattungen vor, in Österreich 8 Arten in 6 Gattungen und in der Schweiz 10 Arten in 5 Gattungen. Aus Polen sind zwei weitere mitteleuropäische Arten bekannt. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind folgende Arten nachgewiesen: deutsche Namen nach *Nickel & Remane 2002, **Gogala 2002 und ***Mühlethaler, Holzinger, Nickel & Wachmann 2018. Weitere ausgewählte europäische Arten: Cicada barbara (, 1866) Cicada cretensis , 2005 (Kretische Zikade) Cicada mordoganensis , 1979 Cicadatra hyalina (, 1798) Cicadatra icari , 2013 Cicadatra persica , 1909 Cicadatra platyptera , 1876 Cicadetta cerdaniensis , 2000 Cicadetta concinna (, 1821) – auch in Mitteleuropa (Polen) Cicadetta dirfica , 2011 Cicadetta fangoana , 1976 Cicadetta hannekeae , 2008 Cicadetta macedonica , 1999 Cicadetta mediterranea , 1876 (Mittelmeer-Grassingzikade) Cicadetta podolica (, 1830) – auch in Mitteleuropa (Polen) Dimissalna dimissa (, 1856) (Südliche Bergsingzikade) Euboeana castaneivaga , 2011 (Euböanische Bergsingzikade) Euryphara cantans (, 1794) Euryphara euphorbiae (, 1876) Euryphara virens (, 1835) Hilaphura varipes (, 1837) Oligoglena carayoni (, 1982) Oligoglena filoti (, 2017) Oligoglena flaveola (, 1832) Oligoglena goumenissa (, 2012) Oligoglena iphigenia (, 1996) Oligoglena sakisi (, 2017) Pagiphora annulata (, 1832) Pagiphora aschei , 1978 Pseudotettigetta melanophrys (, 1907) Tettigettacula baenai (, 2000) Tettigettalna aneabi (, 2000) Tettigettalna boulardi , 2010 Tettigettalna defauti , 2010 Tettigettalna estrellae (, 1982) Tettigettalna helianthemi (, 1840) Tettigettalna josei (, 1982) Tettigettalna mariae (, 1995) Tettigettula pygmea (, 1790) Tibicen gemellus , 1988 (Zwillingszikade) Tibicina contentei (, 1982) Tibicina corsica (, 1840) Tibicina garricola , 1983 Tibicina nigronervosa , 1876 Tibicina picta (, 1794) (Andalusische Zikade) Tympanistalna gastrica (, 1854) Andere ausgewählte Gattungen und Arten: Magicicada , 1925 Formotosena seebohmi (, 1904) Phylogenie und Systematik der Cicadidae Singzikaden existieren bereits seit dem Eozän, wie Einschlüsse (Inklusen) in Bernstein belegen. Nach derzeitiger Auffassung sind die Cicadoidea neben den Membracoidea und den Cercopoidea eine Überfamilie der Rundkopfzikaden (Cicadomorpha). Eine umfassende phylogenetische Analyse der Überfamilie der Cicadoidea anhand der Ermittlung der ribosomalen 18S-rDNA, 28S-rDNA und Histone3 bestätigt die Monophylie der Überfamilie. Sie umfasst die Familien der Singzikaden (Cicadidae) und der Tettigarctidae. Letztere beinhaltet lediglich zwei in Süd-Ostaustralien und Tasmanien beheimatete Arten. Die Singzikaden umfassen die Unterfamilien Cicadinae und Tibicininae, die zum Teil von manchen Autoren auch als eigene Familien aufgefasst werden. Die Taxonomie und Artzuordnungen sind diesbezüglich noch nicht abschließend geklärt. In neueren Arbeiten werden die Unterfamilien Cicadinae, Cicadettinae und Tibicininae unterschieden. Viele Arten die früher zu den Tibicininae gehörten werden mittlerweile in die Unterfamilie Cicadettinae gestellt und der restliche Teil der Tibicininae wird dann alternativ auch als Tettigadinae bezeichnet. Die sehr ähnlich lautenden Unterfamilie Tibiceninae aus Amerika ist eine weitere Unterfamilie, die aber heute meist als Teil der Cicadinae gesehen wird. Singzikaden und der Mensch Schon seit Jahrtausenden sind Zikaden, und besonders die Singzikaden, ein Bestandteil der Mythologie, Kunst und Folklore. Ihre besondere Bedeutung ergibt sich vor allem aus ihrem Gesang, ihrer außergewöhnlichen Lebensweise, ihrer Allgegenwärtigkeit, ihrer Größe und ihrer Schönheit. Zikaden in der Kultur verschiedener Völker Singzikaden bildeten in verschiedenen Völkern die Grundlage für zahlreiche Legenden und Mythen. Die mythologische Bedeutung beschränkte sich dabei auf mehrere Regionen, in denen auch heute noch Singzikaden vorkommen. Diese sind das antike Griechenland, das alte China und Japan sowie Nordamerika. In Afrika und im alten Ägypten scheinen die Singzikaden eine Rolle in der Vorstellungswelt der Menschen gespielt zu haben. Sie wurden als Sinnbild für die menschliche Seele verehrt sowie als Symbol angesehen für Unsterblichkeit, Wiedergeburt, ein langes Leben, zum Teil auch für Erotik. Dass die Gesänge hauptsächlich von den Männchen ausgehen, war schon den alten Griechen bekannt und verleitete den griechischen Dichter Xenarchos zu dem Ausspruch: „Glücklich leben die Zikaden, denn sie haben stumme Weiber“. Wegen der nicht enden wollenden Gesänge galten Zikaden als Symbol für Schwatzhaftigkeit. Aristoteles (384-322 v. Chr.) beschrieb bereits im 4. Jahrhundert v. Chr. zumindest in Grundzügen die Lebensweise der Singzikaden. Man glaubte damals in Griechenland, dass die erwachsenen Zikaden keine Nahrung zu sich nehmen würden. In Griechenland sind erste plastische Darstellungen der Tiere bereits aus prähistorischer Zeit bekannt. In Gräbern der Stadt Mykene (2000 v. Chr.) fand man die Modelle von flügellosen Insekten, die als Zikadenlarven interpretiert werden. Die Grabbeigaben deuten auf die Bedeutung der Zikaden als Symbole für die Unsterblichkeit und ein langes Leben hin. Singzikaden sind jedoch als Metaphern für die Sangeskunst und Eloquenz (Musen) und die Unsterblichkeit noch viel tiefer in der Vorstellungswelt der Griechen verwurzelt gewesen. Nach dem Phaidros, einem Text des Philosophen Platon (429-347 v. Chr.), geht man davon aus, dass Zikaden als Botschafter der Musen gleichbedeutend zu „entkörperlichten Seelen“ aufgefasst wurden. Sie sollen sich von den physischen Bedürfnissen (=Abstreifen der Larvenhaut) befreit haben und damit eine höhere Ebene der Erkenntnis erreicht haben. Damit wurden Zikaden offenbar als ein „Modell der menschlichen Seele“ angesehen. In China existieren verschiedene Darstellungen und Ornamente mit Zikadenmotiven auf Gegenständen, die bis etwa 1500 v. Chr. datieren. Seit der Han-Dynastie (206–220 v. Chr.), möglicherweise schon vorher, gibt es Nachweise für sogenannte „Zungenzikaden“. Die aus Jade geschnitzten Figuren wurden auf die Zunge von Verstorbenen gelegt, in der Hoffnung auf deren Wiedergeburt. Die Ureinwohner der Neuen Welt beobachteten das eigentümliche periodische Wiederkehren von Singzikaden (Gattung Magicicada) und integrierten das Phänomen in ihre Mythologie. Die in Arizona lebenden Hopi-Indianer (Oraibi) sprachen den Tieren die Kraft der Unsterblichkeit zu. Solche übernatürlichen Kräfte wurden als Kachina bezeichnet. Diese wurden in Form geschnitzter Puppen zur religiösen Unterweisung an Kinder verschenkt. Eine wurde „Mahu“ (Zikade) genannt. Sie wird auch heute noch in Tänzen und Zeremonien verehrt. In der Literatur, Musik und bildenden Kunst In der Literatur (Gedichte, Fabeln und Erzählungen) spielen die Zikaden eine bedeutende Rolle. Abgehoben wird überwiegend auf die Zikaden als Sänger oder als Sinnbilder für Musik und Kunst aber auch als Lärmverursacher. Singzikaden und ihre Gesänge werden bereits in den frühesten schriftlichen Werken, der „Ilias“ von Homer (800 v. Chr.) erwähnt. Die Aspekte der griechischen „Zikaden-Mythologie“ sind in dem Gedicht „An die Zikade“ von Anakreon verarbeitet. Es handelt sich um eine wahrscheinlich aus dem 5. Jahrhundert v. Chr. stammende Hymne an die „gottgleichen“ Singzikaden. Das Gedicht erfreute sich auch in späterer Zeit großer Beliebtheit. Es wurde beispielsweise von Thomas Moore und Johann Wolfgang von Goethe übersetzt. Erwähnt werden im deutschsprachigen Raum die Zikaden in den Gedichten von Heinrich Heine „Die Libelle“ („…Und mit der Cikade, der Künstlerinn…“) oder in Karl Leberecht Immermanns Epos „Tulifäntchen“ („…Zu der Tulpe Füßen spielte/ der tonkundigen Zikaden/ auserwählte Kapelle/ Stücke von den besten Meistern…“). Wenig freundlich geht Eugen Roth in seinem Gedicht „Die Zikaden“ um: „Es lobe hoch Anakreon/ Das Flöten der Zikaden schon./ Doch leicht wird’s einem nachts zuviel: O unglückseliges Flötenspiel! “ Ein weiteres modernes Gedicht ist jenes von Dao (2001) „Streichen und Kürzen“, welches auf die vom Zirpen der Singzikaden ausgehenden melancholische Stimmung abzielt. Die wohl bekannteste Fabel ist jene, die auf den griechischen Fabeldichter Äsop (600 v. Chr.) zurückgeht. Sie wurde von Sebastian Brant im Jahr 1501 in der Version „De formica et cicada“ herausgebracht und von dem Franzosen La Fontaine (1621–1695) 1668 in Versform mit dem Titel „La Cigale et la Fourmi“ gebracht. Beide Autoren sprechen ausdrücklich von einer Zikade, während in deutschen und englischen Übersetzungen späterer Autoren Bezeichnungen wie „Heuschrecke“, „Grille“ oder „grasshopper“ verwendet werden. Entsprechend werden auch in vielen zeitgenössischen Illustrationen, besonders jenen der oben genannten Autoren Brant und La Fontaine, Grillen oder Heuschrecken statt Singzikaden abgebildet. Der Grund dieser Verwechslung der Zikaden mit anderen „singenden“ Insekten wird darin vermutet, dass die Singzikaden hauptsächlich im Mittelmeerraum beheimatet sind. Sie waren den Illustratoren, Lesern und vielleicht auch Autoren in Mitteleuropa wenig bekannt oder es war einfach kein vergleichbarer Begriff vorhanden. Die Singzikaden wurden demnach bewusst oder unbewusst durch die in Mitteleuropa besser bekannten Arten ersetzt, da die richtige Artbezeichnung ohnehin für die Botschaft der Fabel, bereits im Sommer für den Winter vorzusorgen, keine Rolle spielt. Der auffällige Gesang der Insekten legt nahe, dass sie auch in der Musik eine größere Rolle spielen. Dennoch sind nur relativ wenige Musikstücke bekannt, die Zikaden zum Motiv haben. Der Schweizer Komponist Ulrich Gasser verfasste 1989 das Stück „Die singenden Zikaden“ für Flöte und drei Klangsteine. Wassili Leps setzte eine Zikaden-Drama „Yo-Nennen“ in Form einer Kantate. Aufbauend auf ein Gedicht des Griechen Anakreon „An die Zikade“ (siehe oben) komponierte der deutsche Komponist Harald Genzmer (1909–2007) das gleichnamige Stück. Besonders viele Beispiele von Liedern und Gedichten, die Zikaden zum Gegenstand haben, sind aus Südfrankreich zu nennen. Vor allem in der Provence werden Singzikaden als Ausdruck des leichten, mediterranen Lebensgefühles symbolhaft verwendet und in Volksliedern besungen. Beispiele für Zikaden in Chansons sind „Aussi bien que les cigales“ oder „La mort de la cigale“. Auch in die moderne Folks-, Pop- und Unterhaltungsmusik haben Zikaden Einzug gehalten. Melancholisch besingt beispielsweise Linda Ronstadt in ihrem Song „La Cigarra“ die Zikaden und spielt damit auf deren kurzes Leben an. In Asien und Südeuropa existiert ein bei Kindern beliebtes Musikinstrument, das als „Zikade“ oder „Toulouhou“ bezeichnet wird. Damit werden die Gesänge von Singzikaden nachgeahmt oder zumindest schnarrende Geräusche erzeugt. An einem Stock mit einer konischen, mit Kolophonium bestrichenen Nut verläuft in die Schlinge einer Schnur. Am anderen Ende der Schnur ist eine Dose mit einer aufgespannten Membran befestigt. Durch Herumwirbeln wird das Instrument zum Klingen gebracht, wobei die Schnur in der Nut durch das Harz abwechselnd haftet und gleitet. Die Geräusche werden über die Schnur auf die Membran übertragen, die Dose wirkt als Resonanzkörper. Älteste bildliche Darstellungen stammen aus China und Japan auf Gefäßen und Seidenpapier. In der Kunst der neueren Zeit ist vor allem van Gogh zu nennen, der mehrere Zeichnungen von Singzikaden anfertigte. Bei den Künstlern der japanischen Faltkunst Origami sind auch Singzikaden ein beliebtes Motiv. Eine Singzikade kann mit 95 Faltschritten aus einem Stück Papier hergestellt werden. Das Maskottchen der venezolanischen Reggaeton-Band Dame Pa’ Matala ist eine Singzikade. In der Volkskunst Die Insekten waren und sind vielfach Bestandteil von Schmuckgegenständen. Im antiken Griechenland wurden nicht nur Münzen mit Zikadenmotiven geprägt, sondern die Bürger Athens trugen auch Goldschmuck, wie beispielsweise Haarnadeln mit Ornamenten in Zikadenform. Später galten sie als Symbol für die Autonomie Athens, da die frühesten Vorfahren, den Zikaden gleich, aus dem angestammten Boden „entschlüpften“. Bei den Goten und den Römern galten Zikaden als Symbole für Macht. Auch bei ihnen wurde Schmuck mit Zikadenmotiven als Statussymbol getragen. Im Mittelalter trugen Troubadoure, wahrscheinlich als Ausdruck ihrer Zunft, Zikadenbroschen. Dem Grab des ersten Frankenkönigs Childerich I. († 482 n. Chr.), beziehungsweise seinem mitbestatteten Lieblingspferd, wurden 300 zikadenförmige Schmuckstücke beigegeben. Bei der Entdeckung des Grabes im 17. Jahrhundert wurden sie zunächst für „Bienen“ und als Besatz des königlichen Mantels gehalten, waren aber Bestandteil und Verzierung des Pferdegeschirrs. Heute geht man davon aus, dass es sich um Zikaden handelt und möglicherweise auch um Singzikaden. Napoleon (1769–1821) war von den Grabbeigaben so beeindruckt, dass er in Unkenntnis der einstigen Bedeutung seinen Krönungsmantel mit 300 goldenen „Bienen“ besticken ließ. Besonders weitverbreitet sind die Singzikaden im Alltag der Menschen in der Provence. Als Ausdruck des leichten mediterranen Lebensgefühls begegnet man hier den Tieren in der provenzialischen Kultur in vielfältiger Form, beispielsweise auf Gasthausschildern, als Willkommenssymbol über Haustüren, in Form kleiner Tonfiguren und Fayencen, als Darstellungen auf Vasen und Geschirr oder Broschen. In vielen weiteren Ländern und Regionen der Welt finden sich Abbildungen von Singzikaden auf Briefmarken und anderen Alltagsgegenständen. In der Volksmedizin Singzikaden wurden und werden auch in der Medizin eingesetzt. Vor allem in China und Japan wurden die Larvenhäute verwendet, um daraus ein Mittel, ironischerweise gegen Ohrenschmerzen, herzustellen. Heute noch werden aus Zikaden Präparate gegen Fieber gewonnen. Im Orient wurde die Zikade Huechys sanguinea („Rote medizinische Zikade“) für ein Mittel gegen Blasen eingesetzt. Von dem Glauben ausgehend, Zikaden wären unsterblich, nutzten auch die Oraibi-Indianer eine Medizin aus diesen Tieren gegen tödliche Verletzungen. In der Ernährung Zikaden gehören zu den essbaren Insekten und können als Speiseinsekten genutzt werden, insbesondere die Nymphen. Weltweit sind 73 essbare Zikadenarten bekannt, darunter auch etliche Singzikadenarten. Zikaden haben einen physiologischen Brennwert von ca. 640 kJ (= 153 kcal) pro 100 g, ähnlich wie gebratenes Hühnchen. Bei den Tabare Sine einem Volk, das im Hochland von Papua-Neuguinea lebt, gelten die dort beheimateten Singzikaden als Delikatesse (Cosmopsaltria papuensis, Cosmopsaltria aurata, Cosmopsaltria mimica, Cosmopsaltria gigantea gigantea). Die Zikaden tragen in der volkseigenen Sprache Bezeichnungen wie beispielsweise „Dui helme“ oder „Dui meh“. Ferner sind die Singzikaden mit ihrem Gesang soweit im Alltag der Menschen verwurzelt, als dass sie ihre Aktivitäten wie Feldarbeit und Jagd nach den durch den Gesang der Zikaden gekennzeichneten Tageszeiten richten. Beispielsweise beginnen sie mit ihren Jagdvorbereitungen, wenn der Gesang von „Dui erangrre“ (C. mimica) ertönt. Wenn „Dui wave“ (C. gigantea gigantea) singt, ist es Zeit in den Wald zu gehen und zu jagen, da dann auch alle anderen Tiere aktiv sind. „Dui wave“ bedeutet in etwa „Cuscus schließt die Tür“ und nimmt auf den Gesang des Insektes, das sich wie eine sich schließende Tür anhört, Bezug. Einzelne Insektenköche an der US-amerikanischen Ostküste brachten 2021 Gerichte mit Periodischen Zikaden der Brood X auf die Speisekarte, zum Beispiel in Paella, auf Pizzen und als Sushi. Einzelnachweise Weblinks Gesänge von Singzikaden Songs of Cicadas from Slovenia, Croatia and Macedonia Brisbane Insects and Spiders Home Page Songs of European Singing Cicadas
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https://de.wikipedia.org/wiki/H%C3%B6rfunkformat
Hörfunkformat
Ein Hörfunkformat ist eine strategisch festgelegte, einheitliche Ausrichtung eines Hörfunkprogramms, in der alle Inhalte wie Musik und Wortbeiträge in der Art ihrer Kombinationen, Struktur und Präsentation festgelegt werden. Bei der Auswahl der Musikstücke spricht man auch von der „Musikfarbe“ eines Programms. Die genaue Ausgestaltung eines Hörfunkformates orientiert sich an den Bedürfnissen und Erwartungen der angestrebten Zielgruppe wie auch – insbesondere bei nicht-privaten Rundfunkstationen – an den Ansprüchen und Aufträgen der jeweiligen Veranstalter. Ein zentrales, aber nicht zwingendes Kriterium bei diesen Überlegungen ist die Durchhörbarkeit des Programms. Formatradio Der Begriff „Formatradio“ bezeichnet ein Hörfunkprogramm, welches relativ streng und meist rund um die Uhr einem bestimmten Hörfunkformat folgt und anhand der leicht konsumierbaren Musikauswahl und des Präsentationsstils leicht wiedererkennbar ist („Dudelfunk“). Es handelt sich um ein Programm, das durch Musikauswahl, Moderation und Programmstruktur auf Anhieb erkannt und einordenbar sein soll. Hierzu wird das Programm in der Regel auf einzelne Genres und weniger umfangreiche Wiedergabelisten beschränkt. Der Gegensatz zum Formatradio ist das „Programmradio“. In Deutschland sind praktisch alle Privatradiosender Formatradios, während offene Kanäle und Freie Radios in der Regel kein einheitliches Hörfunkformat verfolgen, d. h., hier kann die Musikfarbe und die Art der Präsentation immer wieder komplett wechseln. Manche Sender verfolgen auch tagsüber ein strenges Hörfunkformat, während sie in den hörerschwächeren Abend- und Nachtstunden das Format lockern und in Richtung Programmradio tendieren, also beispielsweise auch anderen Musikstilen Platz einräumen. Viele Formatradios verwenden eine einheitliche „Sendeuhr“, in der alle Elemente wie Nachrichten, Wetter, Verkehrsservice, Werbung, Musik und Wortbeiträge im Stundenablauf festgelegt sind. Dies hat zur Folge, dass diese Elemente jede Stunde zum etwa gleichen Zeitpunkt auftauchen (z. B. Werbung immer um XX:20 und XX:50). Hintergrund Die Formatierung eines Hörfunkprogrammes wird oft betrieben, um eine höhere Hörerbindung und damit eine höhere Einschaltquote zu erreichen. Bei kommerziellen Sendern sollen dadurch größtmögliche Werbeeinnahmen erreicht werden. Die genaue Ausgestaltung der Formatierung ist oft das Ergebnis einer umfassenden Marktforschung. Dabei werden nicht nur die Bedürfnisse der Hörer ermittelt, sondern auch untersucht, welches Hörfunkformat im Wettbewerb mit bereits existierenden Radiosendern eine größtmögliche Einschaltquote, bzw. größtmöglichen Gewinn erwarten lassen kann. In Märkten, in denen viele Radiosender um die Hörerschaft konkurrieren, bilden sich oft sehr strenge und klar definierte Hörfunkformate heraus, während die Sender in Märkten mit wenigen Sendern oft versuchen, eine sehr breite Hörerschaft zu erreichen und dementsprechend auch ein weniger stark formatiertes Programm senden, also z. B. eine breitere Palette an Musiktiteln spielen und mitunter den Moderationsstil wechseln (z. B. Sendungen für Kinder am Sonntagmorgen, Oldiesendungen am Dienstagabend usw.). Das Formatradio hat seine Wurzeln in den USA, wo seit dem Beginn des Radios in den 1920er Jahren zwischen den Sendern eine starke Konkurrenz bestand. Im deutschsprachigen Raum begannen Radiosender erst im Zuge der Einführung der Privatradios, sich stärker zu formatieren. Hierbei haben sich nur wenige, im Vergleich mit den USA eher unspezifische Formate entwickelt, die auch keine allgemein geläufigen Bezeichnungen besitzen. Bekannte Hörfunkformate Siehe auch Radioquote Literatur Axel Buchholz, Walther von La Roche (Hrsg.): Radio-Journalismus. Ein Handbuch für Ausbildung und Praxis im Hörfunk. 10. Auflage. Springer VS, Wiesbaden 2013, ISBN 978-3-658-01772-9. Klaus Goldhammer: Formatradio in Deutschland. Konzepte, Techniken und Hintergründe der Programmgestaltung von Hörfunkstationen. Wissenschaftsverlag Volker Spiess, Berlin 1995 (Online-Version) A. M. Rubin, R. B. Rubin: Call-in talk radio in den USA. In: Rundfunk und Fernsehen. 40(3), 1992, S. 385–397. Pierre Seidel: Das erfolgreiche U.S. amerikanische Formatradio – eine empirische Studie. Diplomarbeit. Fachhochschule Stuttgart, 2002. (Online-Version; PDF; 961 kB) Weblinks Oliver Kalkofe: Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/Nijmegen
Nijmegen
Nijmegen [] (), , seltener auch Nijmwegen und Nymwegen, auf Nimwegisch Nimwèège [] (lateinisch Ulpia Noviomagus Batavorum), ist eine Gemeinde mit Einwohnern (Stand ) in der Provinz Gelderland im Osten der Niederlande, die in unmittelbarer Nähe der Grenze zur deutschen Region Niederrhein liegt. Nijmegen war der wichtigste der vier Hauptorte in der Grafschaft Geldern und wurde 1402 Mitglied der Hanse. Name Der Name Nijmegen (lat. Ulpia Noviomagus Batavorum) ist keltischen Ursprungs. Er geht zurück auf das keltische Wort magos für „Feld“, „Ebene“ und das keltische Adjektiv novios für neu. Die Endung wurde von -os zu -us romanisiert. Über die Jahrhunderte entwickelten sich unterschiedliche Schreibweisen wie Novimagus, Novomagus, Neomagus oder Noviomagi. In der Zeit Karls des Großen hieß der Ort Numaga, was sich im Laufe der Geschichte in Nieumeghen oder Nimmegen (siehe auch das deutsche Neumagen) veränderte. Letztere ist stets im deutschen Exonym Nimwegen erkennbar. Die Eigenbezeichnung im Nimweg(en)er Platt (niederländisch Nijmeegs) ist Nimwèège. Geographie Lage Nijmegen liegt 15 Kilometer südlich von Arnhem entfernt und mit nur ca. 14,5 km in der Nähe der deutschen Gemeinden Kranenburg und Kleve. Im Norden bildete die Waal, die bei Pannerden als einer der Flüsse des Rhein-Maas-Deltas aus dem Rhein entsteht, bis in die 1990er-Jahre die Stadtgrenze. Seither ist dort der neunte und damit jüngste Stadtbezirk mit dem Namen Waalsprong (eigentlich Nijmegen-Noord) angesiedelt. Gemeindegliederung Die Gemeinde Nijmegen ist in die folgenden neun Bezirke gegliedert: Erst seit 1998 entspricht die Anzahl der Stadtbezirke der heutigen. Damals entstanden erstmals nördlich der Waal Wohnsiedlungen im heutigen Bezirk Nijmegen-Noord, der deswegen auch Waalsprong genannt wird. Der Stadtbezirk Dukenburg existiert seit 1965 und in Lindenholt begannen erste Bauarbeiten im Jahr 1977. Nachbargemeinden Geschichte Antike Die Hansestadt Nijmegen bezeichnet sich als die älteste Stadt der Niederlande. Die Geschichte der Stadt geht bis in die Zeit des Römischen Reiches zurück; 2005 fand die 2000-Jahr-Feier statt, die Römer unterhielten hier seit 19 v. Chr. verschiedene Militärstützpunkte und gründeten 104 n. Chr. eine zivile Siedlung, Ulpia Noviomagus Batavorum. (Maastricht im Süden der Niederlande beansprucht für sich ebenfalls, die älteste Stadt des Landes zu sein.) Die militärischen Standorte wechselten: Von 19 v. Chr. bis 12/10 v. Chr. befand sich die Garnison auf dem Hunnerberg, von 12/10 v. Chr. bis 69 n. Chr. auf dem Kops Plateau und von 69 n. Chr. bis zur Mitte des zweiten Jahrhunderts wieder auf dem Hunnerberg. Vom Ende des vierten Jahrhunderts bis zum Anfang des fünften Jahrhunderts gab es noch einmal eine spätantike Befestigung im Bereich des späteren Pfalzhügels. Nach dem Abzug der Römer gingen um 410 auch deren administrativ-militärische Funktionen verloren. Zahlreiche Grabungsfunde im Stadtgebiet erweisen eine spätantik-frühmittelalterliche Siedlungskontinuität vom vierten bis zum siebten Jahrhundert. Mittelalter Die römischen Befestigungen gingen an die Merowingerkönige und dann in die Hände der karolingischen Könige. Anfang des 7. Jahrhunderts ist eine merowingische Münzstätte nachgewiesen. Die Pfalzkirche aus dem ersten Viertel des 7. Jahrhunderts diente zugleich als Pfarrkirche. Nijmegen war ein castrum gegen die Nachbarvölker Sachsen und Friesen. Karl der Große baute 777 auf den Mauern des Kastells eine Pfalz, die aber erst nach seinem Tod fertiggestellt wurde. Die zugehörige Ortschaft wurde als villa bezeichnet. Ludwig der Fromme hielt sich oft in der Pfalz auf. Die Pfalz war Mittelpunkt eines ausgedehnten Königsgutsbezirkes (fiscus Niumaga) mit Reichsforst. Um das Jahr 880 nahmen die Normannen die Pfalz ein, die sie bei ihrem späteren Abzug niederbrannten. Als Handelsniederlassung entstand Nijmegen wahrscheinlich vor dem Jahr 1000 zwischen der heutigen Grotestraat, Priemstraat und Nonnenstraat, westlich des Pfalzhügels in unmittelbarer Nähe zur Waal. Während der ottonischen und salischen Zeit fanden königliche oder kaiserliche Hoftage im Ort statt. Wohl um 1030 wurde in der Pfalz die St.-Nikolaus-Kapelle, einer der wenigen erhaltenen romanischen Zentralbauten errichtet. Es war ein Zentralbau nach dem Vorbild der Aachener karolingischen Pfalzkirche. Friedrich Barbarossa, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches ließ die im Jahr 1047 von Herzog Gottfried dem Bärtigen niedergebrannte Pfalz 1155 in eine ausgedehnte Burganlage, den Valkhof, umbauen. Davon sind im 21. Jahrhundert jedoch nur zwei Kapellen erhalten. Seit Ende des 12. Jahrhunderts hatte Nijmegen eine königliche, seit 1247 eine gräfliche Münzstätte. Mit der Burggrafschaft war ein umfangreicher Gerichtsbezirk im Umland verbunden, zu dem Ubbergen und Groesbeck gehörten. Unter Heinrich VII. wurde Nijmegen 1230 freie Reichsstadt. Kurz darauf, am 8. Oktober 1247, kam die Reichsstadt in gelderländische Hände. Graf Otto II. von Gelderland erhielt die Stadt als Pfand vom römisch-deutschen König Wilhelm II. (der gleichzeitig Graf von Holland war). Weil das Lehen nicht ausgelöst werden konnte, blieb es fortan im Besitz der Herren von Geldern. Unter Otto II. begann 1250 auch der Bau der Stevenskerk, einer Kirche, die auch heute noch die Silhouette von Nijmegen dominiert. Um 1300 wurde die Umwallung der Stadt anlegt (Fläche 29 ha). Trotz der Großen Pest 1345 stieg die Einwohnerzahl Nijmegens kontinuierlich. Nijmegen wurde 1402 Mitglied der Hanse. Es wurden Handelsbeziehungen nach England und in die Ostsee aufgebaut. Zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert Mitte des 15. Jahrhunderts soll die Stadt über 10.000 Einwohner gehabt haben. Die Errichtung und Renovierung zahlreicher Kirchen und Klöster lockte Handwerker und Künstler in die Stadt. In dieser Zeit wurde zur Unterstützung des Handels der Nimweger Kran (Nijmegse Craen (Kraan), ein steinerner Haus- oder Tretradkran als Hafenkran) auf der Waalkade errichtet. Er diente auch als Wachunterkunft und wurde 1882 wegen Baufälligkeit abgerissen. Die Reformation fand zunächst freundliche Aufnahme.Nijmegen wurde der wichtigste von vier Hauptorten im Herzogtum Geldern. 1543 kam Nijmegen mit dem Rest des Geldernlandes durch den Vertrag von Venlo in spanischen Besitz. Prinz Moritz eroberte die Stadt 1591. Zu Nijmegen wurde 1678 der Friede von Nimwegen zwischen Frankreich und der Republik der Sieben Vereinigten Niederlande geschlossen. Unter Napoleon geriet Nijmegen unter französische Herrschaft, bis es im Wiener Kongress 1815 definitiv zum Königreich der Niederlande gelangte. Ab dem 20. Jahrhundert Im Jahr 1923 eröffnete in Nijmegen eine katholische Universität (Katholieke Universiteit Nijmegen, kurz KUN). Am 22. Februar 1944, im Zweiten Weltkrieg, verursachte ein alliiertes Bombardement starke Zerstörungen in der Stadt: Nachdem eine Mission auf Gotha (dort befand sich ein Werk der Messerschmitt AG) abgebrochen worden war, erlagen die zurückfliegenden Bomberbesatzungen auf der Suche nach einem Sekundärziel vermutlich dem Irrtum, das deutsche Kleve anzufliegen. Fast 800 Menschen starben, darunter alle Menschen in einem Schulgebäude. Im September 1944 erlitt Nijmegen weitere Kriegsschäden während der Schlacht um Arnheim. Im nahe gelegenen Klever Reichswald und im Umfeld der heutigen Stadt fand zudem im Februar 1945 die sogenannte Schlacht im Reichswald statt. Nach dieser Schlacht konnten die Alliierten bei Wesel einen Brückenkopf über den Rhein schlagen und von dort aus das Ruhrgebiet einnehmen. Die am 17. Oktober 1923 eröffnete Hochschule wurde 2004 in Radboud Universiteit Nijmegen umbenannt (kurz RU), um mit dem überregional bekannten Universitätsklinikum Radboudumc auch namentlich eine Einheit zu bilden. Der Bombenopfer aus dem Zweiten Weltkrieg gedachte die Stadtverwaltung mit der Gestaltung von Infoplatten auf den Gehwegen der Innenstadt. Diese runden Edelstahl-Plaketten sind außen herum gekennzeichnet als Brandgrens Bombardement 1944-02-22 und markieren frühere Gebäudestandorte oder nennen Personen, die genau an der Stelle umgekommen sind. Verkehr und Wirtschaft Schienengebundener Verkehr Eisenbahnen und Autobahnen verbinden die Stadt mit Arnhem, ’s-Hertogenbosch und Venlo. Der Bahnhof Nijmegen wird auf der Bahnstrecke Arnhem–Nijmegen seit 1879 von Norden, auf der Bahnstrecke Tilburg–Nijmegen seit 1881 von Westen und auf der Maaslinie seit 1883 von Süden erreicht; die historisch älteste Verbindung auf der Linksniederrheinischen Strecke (1865–1991) von Osten liegt inzwischen brach. Das Bahnhofsgebäude wurde dagegen 1944 auch ein Opfer des Bombardements. Im Jahr 1955 war der heutige Bahnhof (siehe Bild) fertiggestellt. Bis 1955 besaß Nijmegen eine Straßenbahn. Die Einführung einer Regional-Stadtbahn ist im Gespräch (Stand 2018). Öffentliche Nahverkehrsmittel und Autonutzung Die Stadtbusse des Verkehrsunternehmens Hermes verkehren unter dem Namen Breng. Außerdem wird Nijmegen mit Regionalbussen angefahren. Nijmegen liegt an der Europastraße 31 nach Papendrecht (Südholland), nach Goch (Linker Niederrhein), Köln und Hockenheim (Rhein-Neckar-Kreis). Fahrradverkehr Seit dem 19. Mai 2016 galt Nijmegen für zwei Jahre als die beste niederländische Fahrradstadt (Fietsstad 2016). Sie war 2017 mit Arnhem auch Gastgeberin der internationalen Fahrrad-Konferenz Velo City. Die Stadt ist an den Fernradweg Via Romana angebunden, welcher von Xanten bis hierher verläuft. Der Fahrradverkehr in der Stadt weist einen hohen Anteil am Gesamtverkehr auf: 37 Prozent aller Wege bis 7,5 km wurden 2017 mit dem Fahrrad zurückgelegt, 64 Prozent aller Pendlerstrecken bis 7,5 km erfolgen mit dem Fahrrad (eine Verdreifachung gegenüber 2013) und 65 Prozent aller Wege in die Innenstadt werden mit dem Fahrrad erledigt. Dagegen hat der motorisierte Individualverkehr zwischen 2013 und 2017 um ein Drittel abgenommen. Schifffahrt Der Binnenhafen am Maas-Waal-Kanal, der von der Waal abzweigt, wird als Umschlaghafen für den Güterverkehr genutzt. Flusskreuzfahrtschiffe legen an der Waal nahe der Altstadt an. Wirtschaft Die Industrie umfasst viel Kleingewerbe sowie unter anderem Fabriken zur Herstellung von Computerchips, von Beton und den Schiffbau. Politik Gemeindeverwaltung In der Legislaturperiode von 2022 bis 2026 wird die Gemeinderegierung von einer Koalition aus D66, GroenLinks und Stadspartij Nijmegen geleitet. Gemeinderat Seit den Kommunalwahlen im Jahr 1946 zählt der Gemeinderat 39 Sitze. Er wird seit 1990 folgendermaßen gebildet: Anmerkungen College van B&W Das College van burgemeester en wethouders setzt sich in der Legislaturperiode 2022–2026 aus je zwei Beigeordneten aller Koalitionsparteien zusammen. Folgende Personen gehören zum Kollegium und sind in folgenden Bereichen zuständig: Bürgermeister Hubert Bruls, Mitglied der CDA, ist Bürgermeister der Gemeinde, nachdem er das Amt am 21. Mai 2012 als Nachfolger von Thom de Graaf übernommen hat, welcher nach seinem Rücktritt kommissarisch von Wim Dijkstra vertreten wurde. Er war bereits zwischen 1998 von 2002 in Nijmegen als Ratsmitglied und Beigeordneter in der Kommunalpolitik tätig und vertrat die CDA anschließend als Parlamentsmitglied in der Zweiten Kammer. Ab 2005 hatte er als Bürgermeister der Gemeinde Venlo amtiert, bis er schließlich von Clemens Cornielje, dem damaligen Kommissar der Königin, zum Bürgermeister von Nijmegen ernannt wurde. Nachhaltigkeit In der ältesten Stadt der Niederlande stellen sich die politisch Verantwortlichen drängenden Umweltfragen und sind in puncto Nachhaltigkeit überdurchschnittlich fortschrittlich. Sie führen fort, was als Studentenbewegung in den 1970er-Jahren begann. 2018 wurde die Stadt zur „Grünen Hauptstadt Europas“ ausgezeichnet. Sehenswürdigkeiten und Bauwerke St.-Stevenskerk (gotisch), erbaut im 13. Jahrhundert, nach dem Zweiten Weltkrieg restauriert Rathaus Die Waage auf dem Großen Markt (jetzt Cafe-Restaurant) Der Valkhof mit der Barbarossa-Ruine (früher römische und karolingische Bauwerke an dieser Stelle) und der St.-Nikolaus-Kapelle Reste der Wallanlage: das Belvedère und der Kronenburgerturm (Kruittoren) im Kronenburgerpark Titus-Brandsma-Gedächtniskirche Nationales Fahrradmuseum Velorama Die 1931 bis 1936 errichtete Waalbrücke Nijmegen Museum Het Valkhof, modernes Museum mit römischen und anderen archäologischen Funden sowie alter und moderner Kunst (seit März 2023 temporär an dein Keizer-Karel-Plein ausgelagert, üblicherweise Kelfkensbos 59, am Ostrand der Innenstadt), bemerkenswerte Architektur von UNStudio (Ben van Berkel und Caroline Bos) muZIEum, Erfahrungsmuseum über Sehen und Nichtsehen, unter anderem mit „Dialoog in het donker“, wo Besucher erfahren können, wie es ist, nicht zu sehen Hochhaus 52Nijmegen ehem. Tankstelle Auto Palace (1936) Das Konzerthaus Concertgebouw de Vereeniging Das Stadttheater Stadsschouwburg Nijmegen Bildung und Wissenschaft In der Nähe der Bahnhofshaltestelle Nijmegen Heyendaal befindet sich der Campus der Radboud-Universität Nijmegen sowie einige Standorte der Hogeschool van Arnhem en Nijmegen (HAN). Insgesamt studieren fast 33.000 Menschen in Nijmegen. Seit 1980 befindet sich in Nijmegen das Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, das auch eng mit der Universität kooperiert. Des Weiteren befindet sich direkt neben dem Hauptbahnhof das Hauptgebäude des ROC Nijmegen, ein Zentrum für Berufsausbildungen. Unterhaltung und Sport In Nijmegen gibt es ein Holland Casino. Im Goffert-Stadion (südwestlich der Innenstadt, etwa 12.500 Sitze) ist der Profi-Fußballverein NEC Nijmegen zu Hause. Im Goffert-Park startete 2009 das Sonisphere Festival. Im gleichen Jahr gab es hier erstmals das FortaRock Festival. Ein bekannter Club für Livemusik und Partys ist das Doornroosje. Im Triavium-Eisstadion spielen die Nijmegen Devils. Der Sieben-Hügel-Lauf mit Start und Ziel in Nimwegen ist einer der größten Volksläufe Europas mit jährlich zwischen 20.000 und 30.000 Läufern. Nijmegenmarsch Der Nijmegenmarsch ist eine viertägige Marschveranstaltung, die jährlich am 3. Dienstag im Juli in Nijmegen beginnt und zahlreiche Touristen anlockt. Laut eigner Beschreibung ist die Veranstaltung mit über 45.000 Teilnehmern aus mehr als 70 Nationen die weltweit Größte ihrer Art. Über vier Tage werden in der Veranstaltung durch Soldaten und zivile Teilnehmer täglich 30–50 km Strecke zurückgelegt. Der erste Marsch im Jahr 1909 entstand als militärischer Übungsmarsch. Um das Event herum findet das Volksfest „Vierdaagsefeesten“ (Four Days Festival) statt. Im Jahr 2020 und 2021 fiel die Veranstaltung wegen der COVID-19-Pandemie aus. Verkehr Am Südrand der Rheinniederung verläuft die N325 von Arnhem zur deutschen Grenze, wo sie durch die Bundesstraße 9 fortgesetzt wird. Von ihr zweigen Richtung Norden und Millingen die N840 ab, Richtung Süden und Groesbeek die N841. Nach Groesbeek führen außerdem die N842 aus Nijmegen und die N843 aus Milsbeek. Bis 1991 bestand über die Linksniederrheinische Strecke eine Verbindung in Richtung Nijmegen und Köln. Seit dem Frühjahr 2008 sind auf einem Teil dieses Abschnittes Draisinenfahrten für bis zu 14 Personen zwischen Kleve und Groesbeek möglich. Der ÖPNV wird mit Bussen der NIAG (SB 58 und Linie 60 ab Kleve nach Nijmegen und Millingen) angeboten. Persönlichkeiten Städtepartnerschaften Partnerstädte von Nijmegen sind: Pskow, Russland Masaya, Nicaragua Higashimatsuyama, Japan Gaziantep, Türkei Albany, USA Oulu, Finnland Literatur Jos Seveke: Nimwegen. Bilder aus dem Leben der Kaiserstadt der Niederlande. Zur Schau ausgelegt und erörtert: Jos Seveke. Lichtbilder v. Louis Drent; „Foto Gelderland“. [Ins Deutsche übertragen v. Hans Grimmelt]. – Nimwegen; Utrecht: Dekker & van de Vegt, 1955, 102 S. Friedrich Gorissen: Nimwegen, Niederrheinischer Städteatlas ; Reihe 2. Geldrische Städte ; H.1, Boss, Kleve 1956 Jan Kuys: Nijmegen, in: Reallexikon der germanischen Altertumskunde, Band 21, Naualia – Østfold. 2. Auflage, de Gruyter, Berlin/New York, NY 2002, S. 217 f., ISBN 3-11-017272-0. Uwe Ludwig, Thomas Schilp (Hrsg.): Mittelalter an Rhein und Maas, Waxmann, Münster 2004, ISBN 978-3-8309-1380-1 Weblinks Website der Gemeinde (niederländisch) Touristische Website von Nijmegen (niederländisch, deutsch, englisch) Hylke Roodenburg: Städtebauliche Geschichte (deutsch) Website des Valkhof-Museums (niederländisch, deutsch, englisch) Forschungsprojekt TU Berlin: Nimwegen, Valkhofkapelle (deutsch) Virtueller Rundgang durch Nijmegen (niederländisch, deutsch, englisch, französisch) Römisches Nijmegen In: livius.org (englisch) Einzelnachweise Gemeinde in Gelderland Reichsstadt Hansestadt Ort in Gelderland Hochschul- oder Universitätsstadt in den Niederlanden Umwelthauptstadt Europas Ort mit Binnenhafen Stadt als Namensgeber für einen Asteroiden Ortsname keltischer Herkunft Stadt in den Niederlanden
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https://de.wikipedia.org/wiki/Astana
Astana
Astana [], deutsch auch [] (kasachisch und russisch ; ist auch das kasachische Wort für Hauptstadt) ist seit dem 10. Dezember 1997 die Hauptstadt Kasachstans. Sie befindet sich im nördlichen Teil des Landes inmitten der Kasachischen Steppe am Ufer des Flusses Ischim. Mit Einwohnern (Stand ) ist sie nach Almaty die zweitgrößte Stadt des Landes. Die Stadt wurde 1830 als russische Festung gegründet. In den 1950er Jahren wurde der Ort zum Zentrum der sowjetischen Neulandkampagne zur Gewinnung von landwirtschaftlichen Anbauflächen. Dies führte dazu, dass sich das Stadtbild veränderte und die Entwicklung der Stadt vorangetrieben wurde. Nach der Unabhängigkeit Kasachstans von der Sowjetunion wurde eine Verlegung der Hauptstadt beschlossen und die Stadt somit am 10. Dezember 1997 zur Planhauptstadt. Im Süden der Stadt entstand daraufhin ein modernes Regierungsviertel mit markanten Bauwerken wie dem Bajterek-Turm, dem Khan Shatyr oder der Pyramide des Friedens und der Eintracht. Entwicklung des Ortsnamens Die Stadt hat in jüngster Vergangenheit mehrmals ihren Namen gewechselt. So hieß sie bis 1961 , von „weiße Grabstätte“, von 1961 bis 1991 , von „Neuland“, von 1992 bis 1998 Aqmola, ab dann , kasachisch für „Hauptstadt“. Von 2019 bis 2022 hieß die Stadt zu Ehren des langjährigen Präsidenten Kasachstans Nursultan Nasarbajew Nur-Sultan. Am 17. September 2022 unterzeichnete Kasachstans Präsident Toqajew ein verfassungsänderndes Dekret, mit dem die Rückbenennung in Astana vollzogen wurde (Details siehe Abschnitt „Geschichte“). Geografie Geografische Lage Der Ort liegt in einer großräumigen Steppenlandschaft im Übergangsbereich zwischen dem russisch geprägten Norden Kasachstans und dem extrem dünn besiedelten Landeszentrum am Fluss Ischim. Die älteren Stadtviertel liegen nördlich des Flusses, während die neuen Stadtviertel vor allem südlich des Ischim angelegt wurden. Stadtgliederung Die Stadt kann geografisch in verschiedene Gebiete eingeteilt werden. Nördlich der Eisenbahn, welche den Norden der Stadt in ost-westlicher Richtung durchquert, befinden sich Industrie- und ärmere Wohnviertel. Zwischen der Eisenbahnlinie und dem Fluss Ischim befindet sich die Innenstadt, in der aktuell eine rege Bautätigkeit herrscht. Westlich und östlich davon schließen sich gehobenere Wohnviertel an. Südlich des Ischim befinden sich Parks und das neue Regierungsviertel. Hier sind ebenfalls viele große Bauprojekte im Entstehen, so zum Beispiel der Bau eines Diplomatenviertels, verschiedener Regierungsgebäude und einer repräsentativen Uferpromenade. Bis 2030 sollen diese Stadtteile vollendet sein. Astanas Chefplaner, Wladimir Laptew, will ein Berlin in eurasischer Version erbauen. Gelegentlich wird auch eine Parallele zu Ankara gezogen, welches nach Gründung der modernen Türkei Hauptstadt wurde. Eine reine Verwaltungs-Hauptstadt wie Brasília oder Canberra ist nicht das Ziel der Stadtplaner. Klima Astana gilt klimatisch nach Ulaanbaatar als die zweitkälteste Hauptstadt der Welt; sie wird vom Kontinentalklima geprägt. Die Winde aus Nordsibirien gelangen in den Wintermonaten aufgrund fehlender geografischer Barrieren nahezu ungebremst nach Nord- und Zentralkasachstan. Die winterliche Durchschnittstemperatur beträgt ca. −15 Grad Celsius mit vereinzelten Nachtfrösten bis −40 Grad Celsius. Das absolute Temperaturminimum liegt bei −51,6 Grad Celsius. Dagegen sind im Sommer Spitzentemperaturen von über 35 Grad Celsius zu verzeichnen. Bevölkerung Einwohnerentwicklung ¹ Volkszählungsergebnis Geschichte Gründung bis Zweiter Weltkrieg Spuren skythischer Besiedlung finden sich im Grab des Sonnenherrschers (vor etwa 2500 Jahren). Die Stadt wurde 1830 als russische Festung Akmolinsk gegründet (von kasachisch Aqmola (Ақмола), ‚weißes Heiligtum‘, aber auch ‚weißes Grab‘ für einen nahe gelegenen Platz, an dem heller Kalkstein zutage tritt). Lange Zeit fungierte sie nur als Fort in der kasachischen Steppe. Die Bedeutung der Stadt wuchs Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, als Akmolinsk ein Eisenbahnknotenpunkt an der Turksib wurde. Dies führte zur ersten wirtschaftlichen Blüte der Stadt, die bis zum Russischen Bürgerkrieg anhielt. Dieser betraf auch das Gebiet des heutigen Nordkasachstans und damit auch Akmolinsk. In Akmolinsk bestand das Kriegsgefangenenlager 330 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs. Stadterweiterung im 20. Jahrhundert Als Nikita Chruschtschow in den 1950er Jahren ein Mammutprojekt startete, um die nordkasachische Steppe in eine zweite Kornkammer der Sowjetunion zu verwandeln, wurde die Stadt zur Hauptstadt dieser sogenannten Neuland-Region (Целинный край / Zelinny krai) und 1961 in Zelinograd umbenannt. Der hohe Anteil an russischer Bevölkerung in dieser Gegend, der zu ethnischen Spannungen geführt hat, lässt sich auf den Zuzug von Landarbeitern in dieser Zeit zurückführen. In der Umgebung der Stadt wurden daneben viele Russlanddeutsche angesiedelt, die vorher unter der Herrschaft Josef Stalins deportiert worden waren. Hauptstadt Nachdem Kasachstan mit dem Zerfall der Sowjetunion die Unabhängigkeit erlangt hatte, wurden die Stadt und ihre Region 1992 nach dem ursprünglichen Namen in Aqmola umbenannt und 1994 als zukünftige Hauptstadt nominiert. Nach der Verlegung der Hauptstadt von Almaty nach Aqmola am 10. Dezember 1997 wurde die Stadt am 6. Mai 1998 abermals umbenannt und erhielt den Namen Astana. Der Grund für die Verlegung der Hauptstadt bestand neben der hohen Erdbebengefahr in Almaty vor allem darin, dass die kasachische Regierung unter Nursultan Nasarbajew hoffte, durch diesen Schritt eventuellen separatistischen Tendenzen der mehrheitlich von Russen bewohnten Gebiete im Nordosten des Landes besser entgegentreten zu können. Des Weiteren wurden Astana die besten Entwicklungsmöglichkeiten – resultierend aus möglichen Bebauungsflächen und Verkehrsinfrastruktur – prognostiziert. Schließlich war der Umzug – was in Kasachstan eher hinter vorgehaltener Hand erwähnt wird – durch einen Interessen- und Machtausgleich zwischen den drei traditionellen kasachischen Stammesföderationen der Großen Horde im städtisch geprägten Süden – der der ehemalige Präsident Nasarbajew angehört –, der Mittleren Horde im zentralen und östlichen Kasachstan, in deren Gebiet Astana liegt, und der in der erdöl- und gasreichen Kaspischen Senke im Westen Kasachstans ansässigen Kleinen Horde bedingt. Seit Astana als Hauptstadt fungiert, erlebt die Stadt ein starkes Wirtschaftswachstum. Damit einhergehend sind ein starkes Bevölkerungswachstum und eine hohe Bautätigkeit. Am 23. März 2019 wurde die Stadt zu Ehren des langjährigen Präsidenten Kasachstans, Nursultan Nasarbajew, in Nur-Sultan umbenannt. Die Umbenennung erfolgte auf Vorschlag seines Nachfolgers Qassym-Schomart Toqajew. Im September 2022 willigte er aber ein, den Namen der kasachischen Hauptstadt zurück in Astana zu ändern. Politik Bürgermeister Bürgermeister (Äkim) von Astana ist seit Dezember 2022 Schengis Qassymbek. Während sowjetischer Zeit stand der Stadtverwaltung der Vorsitzende des Exekutivausschusses vor. Nachfolgend die Bürgermeister der Stadt seit 1992: Amanschol Bölekpajew (1992–1997) Ädilbek Schaqsybekow (1997–2003) Temirchan Dosmuchambetow (2003–2004) Ömirsaq Schökejew (2004–2006) Asqar Mamin (2006–2008) Imanghali Tasmaghambetow (2008–2014) Ädilbek Schaqsybekow (2014–2016) Ässet Issekeschew (2016–2018) Baqyt Sultanow (2018–2019) Altai Kölginow (2019–2022) Schengis Qassymbek (seit 2022) Wappen und Flagge Das aktuelle Wappen von Astana wurde vom kasachischen Präsidenten Nursultan Nasarbajew entworfen und am 5. Juni 2008 eingeführt. Die beiden zentralen Motive des Wappens sind Bäiterek () und Schangyraq (). Dabei ist Bajterek, Bezeichnung für den Baum des Lebens bei den Turkvölkern, die Personifizierung des Universums und Schangyrak, die Krone einer kasachischen Jurte, stellt den Übergangspunkt von der unendlichen Weite des Universums zum eigenen Haus dar. Am unteren Ende von Bäiterek findet sich eine stilisierte Darstellung des mythischen Vogels Simorgh mit ausgebreiteten Flügeln, für den in Kasachstan der Name Samruk verwendet wird. Das Wappen der Stadt ist in zwei Ringe aufgeteilt: Der äußere Ring steht für die Geschichte der Großen Steppe. Die rote Farbe geht auf die reinigende Kraft des Feuers zurück, das von den Türken als unverzichtbares Element angesehen wurde und mit Geburt, Wachstum und Entwicklung in Verbindung gebracht wurde. Die rote Grenze symbolisiert auch die feurigen Tore, die man durchquert, um den Geist zu reinigen und mit Kraft gefüllt zu werden. Der innere Ring in der Farbe Azurblau, die auch für die Flagge Kasachstans verwendet wird, steht für die Unabhängigkeit des modernen Kasachstan. An beiden Seiten der Inschrift des Stadtnamens befinden sich im roten Ring jeweils drei symmetrische Linien, die die Dachstangen (/uyq) des Schangyrak darstellen. Die Inschrift Астана (kasachisch und russisch für Astana) wurde durch Nur-Sultan (in lateinischer Schrift) ersetzt. Städtepartnerschaften Kultur und Sehenswürdigkeiten Museen Unter den Museen der Stadt befindet sich das Museum des ersten Präsidenten der Republik Kasachstan mit einer Sammlung von Waffen, Orden und Auszeichnungen des Präsidenten Nursultan Nasarbajew. In verschiedenen Ausstellungen werden auch Exponate gezeigt, die Einblicke in die kasachische Kultur geben. In der Nähe des Flusses Ischim befindet sich das Freilichtmuseum Atameken. Auf gut zwei Hektar wurde hier ein Miniaturmodell Kasachstans und des Kaspischen Meeres geschaffen. Es werden Modelle kasachischer Sehenswürdigkeiten und einiger europäischer Bauwerke präsentiert. Das Kulturzentrum des Präsidenten besteht aus einem Museum, einer Bibliothek und einem Konzertsaal. Es werden neben den Themengebieten Archäologie, Kunst und Geschichte Kasachstans einige weitere wissenschaftlich-kulturelle Themen behandelt. Bauwerke Alte Gebäude sucht man in Astana vergeblich. Die Stadt wird zum einen von Gebäuden der Sowjetzeit geprägt – hier herrscht der Baustil der 1960er und 1970er Jahre vor –, zum anderen von Stadtvierteln, die entweder in den letzten Jahren entstanden sind oder umgebaut wurden. Das betrifft die Viertel südlich des Ischim, die im Rahmen des Regierungsumzuges entstanden sind. Nahezu alle bedeutenden Bauwerke der Stadt entstanden erst, nachdem die Stadt zur Hauptstadt Kasachstans erklärt wurde. Die bekannten Bauwerke der Stadt befinden sich überwiegend im neuen Regierungsviertel der Stadt, das im Süden von Astana angelegt wurde. Im Zentrum des Regierungsviertels befindet sich der Nurschol-Boulevard, an dem zahlreiche Behörden, das kasachische Parlament und einige staatliche Unternehmen ihren Sitz haben. An ihm befindet sich auch der Bajterek-Turm, ein rund 100 Meter hoher Aussichtsturm in der Form eines mythologischen Lebensbaumes und Wahrzeichen der Stadt. An seinem westlichen Ende liegt das Khan Shatyr, eine Konstruktion in Form eines Zeltes. Darin befinden sich unter anderem ein Einkaufszentrum, ein Entertainmentcenter und ein Aquapark. Am östlichen Ende dieser Prachtstraße befindet sich am Flussufer der Ak-Orda-Palast, der Amtssitz des kasachischen Präsidenten. Der markante Bau, der mit italienischem Marmor verkleidet ist und eine Kuppel mit einer goldenen Antenne trägt, ist umgeben von einem groß angelegten Park. Direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Ischim, befindet sich die Pyramide des Friedens und der Eintracht. Dieses pyramidenförmige Bauwerk, das vom britischen Architektenbüro Foster + Partners entworfen wurde, ist dauerhafter Tagungsort des Kongresses der Führer der Welt- und der traditionellen Religionen. Es ist konzipiert als Ort der für religiöse Verständigung, Abkehr von Gewalt und Förderung von Glaube und der Gleichheit der Menschen steht. Seit der Jahrtausendwende entstanden in Astana auch zunehmend Wolkenkratzer. Das älteste Hochhaus der Stadt ist der 2001 vollendete Astana Tower. Die meisten Hochhäuser wurden am Nurschol-Boulevard errichtet. Dort befindet sich das 175 Meter hohe Railways Building, Sitz der Eisenbahngesellschaft Qasaqstan Temir Scholy, und der Transport Tower. Direkt neben dem Railways Building befindet sich der Komplex der Emerald Towers, der aus zwei Wolkenkratzern besteht. Emerald Towers 1 ist mit einer Höhe von 210 Metern das derzeit höchste Gebäude in Kasachstan. Der Komplex Northern Lights besteht aus drei Hochhäusern, von denen das höchste Gebäude eine Höhe von 180 Metern misst. Bereits seit 2010 entsteht südlich des Bajterek-Turms der Abu Dhabi Plaza, der durch die Vereinigten Arabischen Emirate finanziert wird. Mit einer Höhe von 311 Metern wird das Bauwerk das höchste Gebäude in Zentralasien sein. Die Fertigstellung wurde mehrmals verschoben und ist für das Jahr 2021 geplant. Die neue russisch-orthodoxe Mariä-Entschlafens-Kathedrale wurde Anfang 2010 vom Patriarchen der russisch-orthodoxen Kirche Kyrill I. eingeweiht. Die Nur-Astana-Moschee war die größte Moschee Kasachstans, bis sie 2012 von der Hazrat-Sultan-Moschee abgelöst wurde. Außerdem befindet sich in Astana mit der Beit Rachel Synagoge die größte Synagoge Zentralasiens. Astana richtete 2017 die Weltausstellung Expo 2017 aus. Musik Astana Symphony Orchestra gegründet 1998 Zentrale Konzerthalle Kasachstan Astana Opera, erbaut von 2010 bis 2013 Sport Zwei große Fußballvereine sind bzw. waren in Astana beheimatet. Der Fußballklub FK Astana-1964 spielte in der zweithöchsten Spielklasse des Landes und wurde 2014 aufgelöst. Seine Heimspiele trug er im Kaschymukan-Munaitpassow-Stadion aus. FK Astana wurde erst 2009 durch die Fusion zweier Teams gegründet und ist in der kasachischen Premjer-Liga vertreten. Die Fußball-Heimspiele werden in der 2009 eröffneten und 30.000 Zuschauer fassenden Astana Arena ausgetragen. Die Eishockeymannschaft Barys Astana ist eines der erfolgreichsten Teams Zentralasiens. Seit der Saison 2008/2009 nimmt sie am Spielbetrieb der Kontinentalen Hockey-Liga teil. Die Spielstätte der Mannschaft ist die 12.000 Zuschauer fassende Barys Arena. Das Radsportteam Astana, das an der UCI ProTour teilnimmt, hat seit 2009 seinen Standort in Astana. Die Basketballmannschaft BK Astana wurde 2011 neu gegründet und spielt neben der Kasachischen National League in der VTB-UL. Sie gewann 2012 die nationale Meisterschaft und den Pokal. Seit 2011 existiert auch ein Rally Team Astana, das bei der Dakar Rally 2012 in der Klasse der Trucks den dritten Platz belegte. Mit dem Ironman Kazakhstan wird hier seit 2020 ein Triathlon über die Ironman-Distanz (3,86 km Schwimmen, 180,2 km Radfahren und 42,195 km Laufen) ausgetragen. Wirtschaft und Infrastruktur Wirtschaft Astana lebt vor allem von seiner Hauptstadtfunktion und den damit zusammenhängenden Wirtschaftszweigen. Durch die rege Bautätigkeit hat der Bausektor eine wichtige Bedeutung in der Stadt. Ein weiterer wichtiger Industriezweig ist die Lederverarbeitung. Das Stadtgebiet stellt eine Sonderwirtschaftszone dar. Die Umgebung wird großräumig landwirtschaftlich genutzt. Verkehr Astana liegt in der Mitte Kasachstans und hat dadurch eine Sonderstellung als Verkehrsknotenpunkt. Eisenbahn Astana ist ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Eisenbahnverkehr sowohl in Nord-Süd- (von Petropawl nach Almaty und Taschkent) als auch in Ost-West-Richtung (von Moskau nach China). Der Bahnhof von Astana wird von der staatlichen kasachischen Eisenbahngesellschaft Kasachstan Temir Scholy betrieben und ist einer der größten Bahnhöfe Kasachstans. Es bestehen täglich Verbindungen in kasachische Großstädte. Zugverbindungen ins Ausland bestehen vor allem nach Russland, aber auch in zentralasiatische Staaten und nach China. Straße Parallel zu den Eisenbahnstrecken verlaufen Hauptstraßen. Aufgrund der enormen Ausdehnung des Landes besitzt das Straßennetz nur Bedeutung für den regionalen Verkehr. In den nächsten Jahren sind weitere Schnellstraßen bzw. Autobahnen geplant. Die bislang einzige winter- und wetterfeste Autobahn Kasachstans verbindet Astana mit Kökschetau (A12, Teil der Europastraße 125). Flugverkehr Ca. 15 km südlich vom Stadtzentrum Astanas befindet sich der Flughafen von Astana, u. a. mit Verbindungen nach Europa, z. B. nach Wien, Frankfurt und Kiew. Der Flughafen war für einige Jahre ein wichtiges Drehkreuz für die Flüge der Lufthansa Cargo nach Asien. Von Deutschland aus fliegen Air Astana und Lufthansa von Frankfurt am Main non-stop nach Astana. Turkish Airlines fliegt von Istanbul nach Astana. Von der Ukraine aus fliegt Ukraine International Airlines non-stop nach Astana und Almaty. In den nächsten Jahren soll etwa 15 km westlich von Astana ein neuer internationaler Flughafen gebaut werden. Öffentlicher Personennahverkehr Dem öffentlichen Personennahverkehr dienen Omnibuslinien sowie eine große Zahl Marschrutki. Der Verkehr von Oberleitungsbussen musste 2008 aufgegeben werden, nachdem die Stromrechnungen nicht mehr beglichen werden konnten. Mit Inbetriebnahme der Stadtbahn Astana soll ein neues Verkehrssystem eingeführt werden. Nach Vollendung aller vier Bauabschnitte wird das Liniennetz aus vier Linien bestehen, die durch das gesamte Stadtgebiet verlaufen. Unternehmen In Astana befinden sich vor allem die Konzernzentralen kasachischer Staatsunternehmen. Die meisten Unternehmen Kasachstans, die nicht in staatlichem Besitz sind, sind in der ehemaligen Hauptstadt Almaty ansässig. Das staatliche kasachische Mineralölunternehmen KazMunayGas hat seinen Hauptsitz in einem 18-stöckigen Gebäude im neuen Regierungsviertel der Stadt. Auch die beiden Tochterunternehmen KazTransOil und KazTransGas befinden sich in Astana. Neben Kasachstans größtem Transportunternehmen Kasachstan Temir Scholy, dessen Tochterunternehmen Kaztemirtrans und Kaztransservice hat auch die KazakhTelecom hier ihre Unternehmenszentrale. Das staatliche Medienunternehmen Nur Media befindet sich ebenfalls in Astana. Kasachstans größter Automobilhändler Astana Motors befindet sich in Astana. Das Bergbauunternehmen Eurasian Natural Resources hat in Astana seine neue kasachische Konzernzentrale eingerichtet. Als einziges kasachisches Kreditinstitut hat die Tsesnabank ihren Unternehmenssitz in der Hauptstadt. Bildung Die Stadt ist Sitz mehrerer Hochschulen und Universitäten. Die älteste Universität ist die Kasachische Agrartechnische Universität. Die landwirtschaftliche Hochschule gehört zu den besten Hochschulen Kasachstans und verfügt über neun Fakultäten an denen mehr als 10.000 Studenten eingeschrieben sind. Eine weitere bedeutende Universität ist die Eurasische Nationale Universität. Sie wurde 1996 durch die Zusammenlegung zweier Hochschulen gegründet. Die Medizinische Universität Astana wurde 1964 gegründet. Die KAZGUU Närikbajew-Universität ist eine private Universität, die 1994 gegründet wurde. Die Nasarbajew-Universität wurde 2010 etabliert. Sie ist eine Forschungsuniversität mit vorwiegend internationalem Personal. An der Universität sind rund 5000 Studenten eingeschrieben. Söhne und Töchter der Stadt Alexander Kasanzew (1906–2002), Science-Fiction-Schriftsteller und Schachkomponist Michail Guzerijew (* 1958), russischer Unternehmer und Politiker Tölegen Sakarijanow (* 1961), Politiker Anatoli Chrapaty (1962–2008), Gewichtheber und Olympiasieger Asqar Mamin (* 1965), Politiker Kärim Mässimow (* 1965), Regierungschef Kasachstans Sergej Tcherepanov (* 1967), russischer Orgel- und Cembalodozent sowie Kirchenmusiker Jermek Marschyqpajew (* 1969), Politiker Eleonora Hummel (* 1970), deutsche Schriftstellerin Dmitri Posdnjakow (* 1972), Biathlet Pawel Kozur (* 1974), Schachspieler und -trainer Christian Remchen (* 1976) Maler, Bildhauer, Architekt Igor Subrilin (* 1976), Skilangläufer Nurlan Ybyrajew (* 1977), Schachspieler und -schiedsrichter Konstantin Airich (* 1978), Schwergewichtsboxer Jana Haas (* 1979), deutsch-russische Autorin Därmen Säduaqassow (* 1979), Schachspieler Maxim Iglinski (* 1981), Radrennfahrer Dawid Lorija (* 1981), Fußballspieler Darja Starostina (* 1982), Skilangläuferin Nikita Chochlow (* 1983), Fußballspieler Maxim Schalmaghambetow (* 1983), Fußballspieler Anton Tschitschulin (* 1984), Fußballspieler Natalja Iwoninskaja (* 1985), Leichtathletin Maxim Asowski (* 1986), Fußballspieler Änuar Ismagambetow (* 1986), Schachspieler Alex Mizurov (* 1988), deutscher Skateboarder Sultanmurat Miralijew (* 1990), Radsportler Mark Starostin (* 1990), Skilangläufer Arnold Suew (* 1991), Fußballspieler Anastassija Lawrowa (* 1995), Tischtennisspielerin Kirill Gerassimenko (* 1996), Tischtennisspieler Wadim Pronski (* 1998), Radrennfahrer Siehe auch Liste der Städte in Kasachstan Weblinks astana.gov.kz: Seite der Stadt Astana (englisch, kasachisch und russisch) Einzelnachweise Stadt republikanischer Bedeutung (Kasachstan) Hauptstadt in Asien Sonderwirtschaftszone Ort in Asien Millionenstadt Planstadt Gegründet 1830
Q1520
680.211701
270240
https://de.wikipedia.org/wiki/Karasee
Karasee
Die Karasee oder auch Karisches Meer (, Karskoje more) ist ein nördlich von Russland bzw. Asien liegendes Randmeer des Arktischen Ozeans. Geographie Die Karasee erstreckt sich von etwa 65° bis 80° nördlicher Breite und von 55° bis 105° östliche Länge. Sie wird im Westen von der bogenförmigen Inselgruppe Nowaja Semlja eingefasst, welche die viertgrößte und sechstgrößte Insel Europas enthält. Im Osten bilden die Inselgruppe Sewernaja Semlja und die Taimyr-Halbinsel den Rahmen. Laut der Internationalen Hydrographischen Organisation ist ihre Nordwestgrenze das Ostende der Inselgruppe Franz-Josef-Land, am Kap Kohlsaat (Graham-Bell-Insel). Vollständig in der Karasee liegen die isolierten Inseln, von Nord nach Süd, Uschakow, Wiese-Insel und Einsamkeit. Westlich liegt die Barentssee, die zwischen Nowaja Semlja und Franz-Josef-Land angrenzt, und im Südwesten auch durch die im Mittel 61 km breite und 33 km lange Karastraße und die 2,8–16 km breite und 40 km lange Jugorstraße, die sich nordwestlich respektive südöstlich der Waigatsch-Insel befinden, verbunden ist. Hinzu kommt die fast 100 km lange und gewundene, aber nur 0,6–10 km breite und im Mittel 10 m tiefe Matotschkin Schar, die Nord- und Südinsel der Nowaja Semlja-Gruppe trennt. Im Osten leitet die 55–88 km breite und 104 km lange Wilkizkistraße, die sich zwischen Sewernaja Semlja und der Taimyr-Halbinsel erstreckt, zur östlich anschließenden Laptewsee über. Die Inselgruppe Sewernaja Semlja wird von zwei Straßen durchzogen: Im Süden von der im Mittel 50 km breiten und 106 km langen Schokalskistraße und im Norden von der mit 3 bis 15 km Breite deutlich schmaleren, aber mit 92,4 km ähnlich langen Krasnaya Armiya-Straße. Anders als die westlich gelegenen Straßen zur Barentssee weisen die östlichen signifikante Tiefen von 200 m und mehr auf, diese Rinnen führen in das bis zu 1000 m tiefe Becken der Laptewsee. Nördlich, zwischen Franz-Josef-Land und Sewernaja Semlja, grenzt das offene Nordpolarmeer an. Im Süden grenzt die Karasee unter anderem an die Jamal-Halbinsel, die nach Süden in das Westsibirische Tiefland übergeht. Sie grenzt außerdem an die Gydan-Halbinsel, die nach Osten mit dem Nordsibirischen Tiefland verschmilzt. In die Karasee fließen aus Richtung Süden kommend insbesondere die gewaltigen Wassermassen des Ob und Jenissei ein mit ihren rund 800 und 400 km langen Trichtermündungen: dem Obbusen zwischen Jamal-Halbinsel und Gydan-Halbinsel und dem Jenisseigolf östlich der Gydan-Halbinsel. Beide Ströme sind aufgrund ihrer der Karasee zugeführten sehr großen Süßwassermengen mitverantwortlich für die Strömungsverhältnisse innerhalb dieses Meeres und bestimmen auch dessen Klima mit. Insgesamt umfasst die Karasee eine Fläche von etwas weniger als 900.000 km². Der Name leitet sich von dem aus dem Ural stammenden Fluss Kara ab, der westlich der Jamal-Halbinsel in die Baidaratabucht mündet. Bodenrelief Die Karasee liegt fast vollständig auf dem sibirischen Kontinentalschelf. Sie ist mit durchschnittlich 111 m Meerestiefe relativ flach, auf mehr als 40 % der Fläche ist sie weniger als 50 m tief. Regionen mit Tiefen von mehr als 500 m gibt es kaum, sie machen weniger als 2,5 % der gesamten Fläche des Ozeanbodens aus. An ihrer tiefsten Stelle, nordöstlich der Nordinsel von Nowaja Semlja, erreicht sie 620 m Tiefe. Der südöstliche Teil der Karasee ist relativ flach, aber irregulär. Östlich von Nowaja Semlja gibt es einen langgestreckten Trog, den Novozemelsky-Trog, mit Tiefen zwischen 200 und 400 m. Im Nordosten liegt der Voronin-Trog, dessen Tiefe etwas mehr als 400 m beträgt, östlich des Franz-Josef-Landes und nördlich Nowaja Semlja reicht der Sankt-Anna-Trog in Tiefen von mehr als 500 m. Ein Ausläufer des Sankt-Anna-Trogs reicht bis in die Barentssee, über ihn erfolgt ein wesentlicher Teil des Wasseraustauschs zwischen den beiden Randmeeren. Zwischen den Trögen erstreckt sich das zentrale Hochland der Karasee mit Tiefen von weniger als 50 m. Es ist mit der Flachwasserregion vor den Mündungsgebieten des Ob und Jenissei verbunden. Hydrologie Wasserbilanz Der Wasseraustausch zwischen Karasee und Barentssee wird dominiert von Zuflüssen in die Karasee in Höhe von etwa 20.000 km³ pro Jahr durch die Karastraße und, nach Schätzungen aus den Jahren 1991 und 1992, von etwa 60.000 km³ pro Jahr zwischen Nowaja Semlja und Franz-Josef-Land. Der Zufluss dort ist im Winter deutlich größer als im Sommer. In der Tiefe strömen auch etwa 10.000 km³ kaltes Wasser zwischen Nowaja Semlja und Franz-Josef-Land in umgekehrter Richtung in die Barentssee. In den Tiefseetrögen im Norden der Karasee strömt Wasser atlantischen Ursprungs über den Arktischen Ozean ein. Ein Teil des dort zufließenden Volumens von etwa 10.000 km³ pro Jahr umfließt südlich das Franz-Josef-Land in Richtung Barentssee. Schätzungen des Wasserabflusses von der Karasee in den Arktischen Ozean waren bis Ende der 1990er Jahre kaum möglich, er könnte etwas größer als der Zufluss sein. Über die Wilkizki- und Schokalskistraße gelangt Wasser in der Größenordnung von je 10.000 km³ ostwärts in die Laptewsee. Der Süßwassereintrag über Niederschläge und Land spielt in der Wasserbilanz nur eine geringe Rolle, über Flüsse gelangen ca. 1.300 km³ pro Jahr in die Karasee. Damit hat sie aber, bezogen auf die Fläche, immer noch den größten Süßwasserzustrom aller Meere. Zuflüsse aus dem Obbusen – in den, neben dem Ob, auch Nadym, Pur und Tas münden – und dem Jenisseigolf machen mehr als 80 % des Süßwasserzuflusses von Land in die Karasee aus, mit Pjassina und Taimyra sind es fast 95 %. Die von den Flüssen in die Karasee transportierten Wassermengen unterliegen großen jährlichen Schwankungen: Im Winter gefrieren die Flüsse, der Zufluss kann dann fast zum Erliegen kommen. Im Mai, Juni und Juli kommt es zum Abfluss großer Mengen Schmelzwassers, im Herbst nimmt die Wassermenge wieder ab. Im Jenissei beeinflussen auch Wasserkraftwerke die Abflussmengen. Während im Winter Meerwasser in die Buchten der großen Flüsse einströmt, kann im Sommer das Süßwasser der Flüsse an der Meeresoberfläche weit in den Norden, bis auf die Höhe des Kap Schelanija, der Nordspitze der Nordinsel Nowaja Semljas, reichen. Meeresströmungen Das durch die Meeresstraßen südlich von Nowaja Semlja einströmende Wasser wird an der Jamal-Halbinsel umgelenkt und fließt als Jamal-Strom weiter nach Norden. Es vereinigt sich mit einer Strömung aus der Barentssee um die Nordinsel von Nowaja Semlja und fließt als östlicher Novozemelskystrom entlang der Ostküste der beiden Inseln wieder nach Süden. Zwischen Nowaja Semlja und Jamal-Halbinsel entsteht so ein großer Meereswirbel. Die Größe des Wirbels zwischen Nowaja Semlja und Jamal-Halbinsel hängt von der Witterung in der Region ab und wird stark durch die vorherrschenden Winde geprägt. Mit einem kleinen Wirbeldurchmesser ist ein relativ großer Wassereinstrom um den Norden Nowaja Semljas herum verbunden, umgekehrt bei einem großen Wirbeldurchmesser. Ein Teil des Wassers strömt im Süden von Nowaja Semlka durch die Karastraße als Litkestrom wieder in die Barentssee, ein anderer Teil zweigt vom Jamal-Strom in nordöstliche Richtung ab und vereinigt sich mit dem aus dem Obbusen und dem Jenissei kommenden Wassermassen, um als Westtaimyr-Strom durch die Wilkizkistraße in die Laptewsee oder entlang der Westküste Sewernaja Semljas in die nördliche Karasee und das Nordpolarmeer zu gelangen. Das aus den großen Flüssen in die Karasee einströmende Süßwasser bildet, besonders nördlich der Nordspitze der Jamal-Halbinsel, oft ausgeprägte ästuarische Fronten mit großen Salinitätsgradienten, Unterschieden in Temperatur und Wellengang, die auch mittels Satellitenbeobachtung klar zu erkennen sind. Im Sankt-Anna-Trog strömt in der Tiefe relativ warmes Wasser atlantischen Ursprungs in die Karasee. Meereis Bis Ende der 1990er Jahre war die Karasee im Winter fast vollständig zugefroren. Ab Juni begann das Meereis typischerweise merklich zu schmelzen. In drei Regionen, meist vor Nowaja Semlja sowie im Norden und Nordosten der Karasee, gab es große Flächen massiven Meereises, die den Sommer überdauerten. Die sommerlichen Minima der Eisfläche schwankten stark; seit Beginn der Satellitenbeobachtungen 1979 gab es einen negativer Trend der sommerlichen Eisfläche. Durch die globale Erwärmung kommt es besonders in der Arktis zu ausgeprägten Klimaänderungen. Im Zeitraum 2003–2017 wurde über der nördlichen Barents- und Karasee mit 2,5 °C pro Jahrzehnt die deutlichste Erwärmung der Arktis beobachtet. In den sommerlichen Eisrandgebieten der Karasee sind besonders hohe Meereisverluste zu verzeichnen. Im Zeitraum 2005–2019 begann im jährlichen Zyklus der Rückgang des Meereises typischerweise im frühen Mai; die geringste Eisbedeckung in diesem Zeitraum lag bei nurmehr 5 % der Fläche der Karasee. Die Meereisbedeckung im Sommer hängt dabei nicht nur von den Temperaturen, sondern auch stark von meridionalen Winden ab. Im Herbst beginnt wieder die Meereisbildung, wobei diese wesentlich schneller verläuft als die Schmelze im Frühjahr und Frühsommer. Im Dezember ist die Karasee weitgehend zugefroren. Umweltschutz Schutzgebiete Das Große Arktische Schutzgebiet, eines der größten Naturreservate weltweit, umfasst neben Teilen der Taimyr-Halbinsel auch Regionen der südöstlichen Karasee. Dazu gehören das Delta des Pjassina, das von besonders hohem Biodiversitätswert ist, der Nordenskiöld-Archipel und zahlreiche weitere Inseln und angrenzende Gebiete der südöstlichen Karasee. Im Nordwesten bilden 58.000 km² Meeresflächen zusammen mit 14.000 km² Landfläche im Norden Novaja Semljas und des Franz-Josef-Landes den Nationalpark Russkaja Arktika (Nationalpark Russische Arktis). Radioaktive Belastung Zu den wichtigsten vorhandenen oder potentiellen Quellen radioaktiver Belastung der Karasee zählen der Fallout nach atmosphärischen Kernwaffentests – unter anderem aus dem Atomtestgebiet auf Nowaja Semlja und aus Kernkraft-Unfällen –, radioaktive Abfälle aus westeuropäischen kerntechnischen Anlagen wie La Hague, Sellafield oder Dounreay, die in die See gelangen und mit Meeresströmungen bis in die Karasee verfrachtet werden, und aus Leckagen von in der Barentssee und Karasee verklappten radioaktiven Abfällen. Hinzu kommt der Eintrag kontaminierten Wassers aus russischen kerntechnischen Anlagen (darunter Majak und Krasnojarsk) über Ob und Jenissej. Manchen Berichten zufolge wurden zu Zeiten der Sowjetunion 13 Kernreaktoren in der Karasee versenkt, sechs davon mit nuklearem Brennstoff. Radioaktive Abfälle des Atomeisbrechers Lenin und einiger Atom-U-Boote wurden vor der Küste Nowaja Semljas entsorgt. Einer 2002 veröffentlichten Einschätzung zufolge war zu der Zeit die radioaktive Belastung der Karasee sehr gering. Besondere Aufmerksamkeit sei dennoch vonnöten angesichts der signifikanten Mengen radioaktiver Feststoffe, die in der Karasee verklappt worden sind und sie potentiell belasten können. Erdöl und Erdgas Medien berichten von einem großen Öl- und Erdgasvorkommen unter der Karasee, das auf 87 Milliarden Barrel geschätzt wird. Die gesamten Ölreserven der Karasee übersteigen laut Rosneft die Saudi-Arabiens. ExxonMobil sicherte sich 2012 davon einen Anteil von 33 Prozent, wobei Russland Zugang zum amerikanischen Know-how, das ihm die Erschließung von Öl in den extremen Verhältnissen der Arktis überhaupt erst ermöglichen sollte, zugesichert wurde. Wegen der Annexion der Krim durch Russland musste sich der Ölkonzern aber aus dem Geschäft zurückziehen. Literatur The Kara Sea in der Encyclopedia Arctica (ca. 1947 bis 1951, unveröffentlicht) Fußnoten Meer (Arktischer Ozean) Gewässer in Russland
Q33629
317.982839
48272
https://de.wikipedia.org/wiki/Schotten
Schotten
Die Schotten (schottisch-gälische Eigenbezeichnung Gáidheal oder Albannaich, englisch Scots; von der lateinischen Bezeichnung Scoti für die Skoten, einen gälischen Stamm im 5. Jh.) sind die Bewohner Schottlands (schottisch-gälisch: Alba, englisch: Scotland), eines Teiles des Vereinigten Königreichs, im Norden von Großbritannien. Schottland besitzt zirka 5,5 Millionen Einwohner – das entspricht etwa 9 % der Bevölkerung des Vereinigten Königreichs. Davon wohnen 65 % im zentralen Lowland. Sprache 1,5 % der Schotten (überwiegend auf den Hebriden) sprechen Schottisch-Gälisch (Gàidhlig auf Gälisch, Scots Gaelic auf Englisch); Scots wird von ungefähr einem Drittel der Bevölkerung gesprochen; Hauptsprache ist Englisch. Kultur Stereotype Über die schottische Kultur bestehen zahlreiche, teils wenig schmeichelhafte Stereotype, die auch noch in zeitgenössischen deutschsprachigen Lehrwerken fortleben. Positiv gelten die Schotten als mutig und eigenständig, werden aber auch als sprichwörtlich „geizig“ dargestellt, was manchmal damit zu erklären versucht wird, „daß Schottland früher recht arm war, so daß die Leute einfach sparsamer sein mußten.“ Da solche pseudohistorischen Erklärungsversuche das Klischee eher verfestigen als berichtigen, werden sie in den Kulturwissenschaften als untauglich angesehen. Der Highlander prägte sich den deutschen Soldaten des Ersten Weltkrieges als in militärischem Sinne äußerst tapfer ein. Religion Die meisten religiösen Schotten gehören reformiert-presbyterianischen Kirchen an, weit weniger der Römisch-katholischen Kirche oder der Scottish Episcopal Church. Die presbyterianische Church of Scotland hat den Status der schottischen Nationalkirche. Schottische Diaspora Ein bedeutender Teil der Bevölkerung der Provinz Ulster in Irland ist schottischstämmig. Anerkannt sind die Ulster-Schotten als Gruppe unter anderem im Good Friday Agreement. In den Vereinigten Staaten leben heute etwa 6 Millionen, in Kanada etwa 4,7 Millionen, in Australien etwa 1,8 Millionen Menschen mit schottischem Migrationshintergrund. Weitere nennenswerte schottische Gemeinden außerhalb Schottlands befinden sich in England, Nordirland, Argentinien, Chile, Frankreich, Polen, Neuseeland, Deutschland und auf der Insel Man. Am Tartan Day werden die Verbindungen zwischen Diaspora-Schotten und Schottland gefeiert. Einzelnachweise Ethnie in Europa Gesellschaft (Schottland)
Q181634
242.361369
61799
https://de.wikipedia.org/wiki/Shorttrack
Shorttrack
Shorttrack, auch Short Track, ist eine Disziplin des Eisschnelllaufs, die seit 1992 olympisch ist. Die Bezeichnung ‚Shorttrack‘ (engl. für ‚Kurzbahn‘) betont, dass die Rundenlänge mit 111,12 Metern kürzer als die des klassischen Eisschnelllaufs mit 400 Metern ist und damit auf Eishockeyflächen gelaufen werden kann. Entwicklung 1967 übernahm die Internationale Eislaufunion (ISU) das bislang uneinheitliche Shorttrack-Eisschnelllaufen. Die ISU richtet jährlich Weltmeisterschaften (seit 1976), Europameisterschaften (seit 1997) sowie den Shorttrack-Weltcup aus. Seit 1989 finden die Weltmeisterschaften mit der Bezeichnung „World Short Track Speed Skating Championships“ statt. Die Veranstaltungen 1976–1980, die unter verschiedenen Namen stattgefunden hatten, erhielten rückwirkend den Status einer Weltmeisterschaft. Die ISU registriert Weltrekorde über 500, 1000, 1500 und 3000 Meter sowie im Staffellauf. Shorttrack gehört seit 1988 (Demo, offiziell 1992) zum Programm der Olympischen Winterspiele. Rennen und Verbände Die Rennen werden auf einer 111,12 Meter langen ovalen Bahn ausgetragen. Damit kann man alle Standardstrecken als Vielfache von ganzen und halben Runden darstellen. Der Sieger wird in einem über mehrere Runden führenden Wettbewerb im K.-o.-System ermittelt. Ausschlaggebend ist – im Unterschied zum verwandten Eisschnelllauf – nicht die erzielte Zeit, sondern ausschließlich die Platzierung. Pro Lauf starten auf kürzeren Strecken vier, auf längeren bis zu acht Läufern, von denen zwei bis drei die nächste Runde erreichen. Massenstart und Laufen im Pulk (sog. Packstyle) stellen besondere Anforderungen an das taktische Verhalten der Läufer. Die engen Kurvenradien erzwingen eine gegenüber dem klassischen Eisschnelllauf wesentlich andere Lauftechnik und Ausrüstung. Es gibt Entscheidungen im Mehrkampf, im Staffellauf und auf den Einzelstrecken: Der Mehrkampf (Overall) besteht aus Rennen über 1500 Meter (13½ Runden), 500 Meter (4½ Runden), 1000 Meter (9 Runden) sowie 3000 Meter (27 Runden), die in dieser Reihenfolge (meist an zwei bis drei Tagen) ausgetragen werden. Die ersten drei Strecken werden mit allen Teilnehmern vom Vorlauf bis zum Endlauf ausgetragen, über 3000 Meter gibt es nur ein Rennen mit den sechs bis acht Bestplatzierten nach drei Strecken. Mehrkampfmeister werden bei Weltmeisterschaften, Europameisterschaften und nationalen Meisterschaften ermittelt. Im Staffellauf bestreiten aus je vier Läufern bestehende Mannschaften Rennen über 3000 Meter (Frauen) bzw. 5000 Meter (Männer). Es wird laufend gewechselt, die jeweils nicht im Einsatz befindlichen Läufer halten sich innerhalb der 111,12-Meter-Runde auf. Staffelmeister werden bei Olympischen Winterspielen, Welt-, Europa- und nationalen Meisterschaften ermittelt. Die üblicherweise ausgetragenen Einzelentscheidungen sind 500 Meter, 1000 Meter und 1500 Meter. Die Austragung kann sowohl separat als auch im Rahmen eines Mehrkampfes erfolgen. Einzelsieger werden bei Olympischen Winterspielen, Welt- und einigen nationalen Meisterschaften ermittelt. Bei Nachwuchswettkämpfen sowie nicht von der ISU registrierten Wettbewerben sind auch andere Streckenlängen üblich. Zuständige nationale Verbände (Auswahl) sind in Deutschland die Deutsche Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft in der Schweiz der Schweizer Eislauf-Verband in Österreich der Österreichische Eisschnelllauf-Verband Weltrekorde Bahn Der österreichische Verband fordert eine Eisfläche von mindestens 60 × 30 m Größe (in der Regel mit abgerundeten Ecken), eine Mindestbreite der Längsbahnen von je 7 m, sowie eine symmetrische Form der zwei Kurven. Pro Kurve werden 7 Blöcke zur Markierung verwendet, der mittlere (Apex-)Block muss mindestens 4 m Abstand von der Bande aufweisen. Die Banden müssen in voller Höhe geeignet für das Anprallen von Läufern gepolstert sein. Um 1 oder 2 Meter in eine der 4 Richtungen verschobene Bahnen helfen die Eisqualität zu bewahren. Weblinks International Skating Union (englisch) Europäisches Shorttrack-Portal (englisch) Österreichischer Eisschnelllauf-Verband International Skating Union/Rekorde (englisch) Einzelnachweise Wintersportart Olympische Sportart
Q193654
129.214132
136078
https://de.wikipedia.org/wiki/Bujumbura
Bujumbura
Bujumbura (bis 1962 Usumbura) ist die größte Stadt und das verwaltungstechnische und wirtschaftliche Zentrum des ostafrikanischen Staates Burundi. Sie liegt am Nordende des Tanganjikasees. Von der Unabhängigkeit Burundis 1962 bis zum Dezember 2018 war sie die Hauptstadt des Landes. Die Stadt hat eine Fläche von 87 Quadratkilometern. Für 2009 wird die Einwohnerzahl für die Agglomeration auf 1.038.857 berechnet, 1999 waren es laut Zensus 755.994. Im Jahr 1990 betrug die Bevölkerungsdichte 456 Einwohner je km². Geschichte Bujumbura entstand aus einem kleinen Dorf, nachdem es 1889 ein Militärposten, unter dem Namen Marienheim, im damaligen Deutsch-Ostafrika geworden war. Als Stützpunkt der Schutztruppe für Deutsch-Ostafrika hieß der Ort Usumbura und war Standort der 9. Kompanie der Schutztruppe. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde es zum Verwaltungszentrum des belgischen Völkerbund-Mandats über Ruanda-Urundi. Die Stadt wurde von Usumbura in Bujumbura umbenannt, als das Königreich Burundi 1962 unabhängig wurde. Am 22. Dezember 2018 verlegte der burundische Präsident Pierre Nkurunziza die Hauptstadt von Bujumbura in das deutlich kleinere Gitega, das zentral im Land gelegen ist. Damit hielt er ein Wahlversprechen von 2007. Die Kabinettssitzungen werden seitdem dort gehalten, im Januar 2019 siedelten die ersten fünf Ministerien dorthin um. Der Rest soll im Lauf des Jahres 2019 folgen. Seit der Unabhängigkeit war Bujumbura der Schauplatz zahlreicher Kämpfe zwischen den beiden größten ethnischen Gruppen des Landes, wobei die Hutu-Miliz gegen die Tutsi-dominierte Armee Burundis kämpfte. Wirtschaft und Infrastruktur Es werden unter anderem Zement, Textilien und Seife hergestellt. Bujumbura ist Burundis größter (Binnen-)Hafen und verschifft über den Tanganjikasee einen großen Teil der Exportprodukte des Landes: Kaffee, Baumwolle, Felle und Zinnerz. Der internationale Flughafen Bujumbura liegt elf Kilometer nordwestlich der Stadt. Es besteht eine Fährverbindung über den Tanganjikasee nach Kalemie in der Demokratischen Republik Kongo. Eine Hauptstraße führt in die ruandische Hauptstadt Kigali. Die Universität von Burundi wurde 1960 in Bujumbura eröffnet. Religion Etwa 60 % der Einwohner Burundis sind katholisch. 1959 wurde von Papst Johannes XXIII. das Bistum Usumbura errichtet. Es wurde 2006 durch Papst Benedikt XVI. zum Erzbistum Bujumbura erhoben. Bischofskirche ist die Kathedrale Regina Mundi. Bujumbura ist auch Sitz einer Diözese der Anglikanischen Kirche. Klima Bujumbura hat ein tropisches, ganzjährig warmes Klima. Nur selten sinken die Temperaturen unter 15 °C. Das Niederschlagsmaximum liegt im April, das Minimum hingegen im Juli. Söhne und Töchter der Stadt Saido Berahino (* 1993), englisch-burundischer Fußballspieler Gaël Bigirimana (* 1993), englisch-burundischer Fußballspieler Beni Bertrand Binobagira (* 1989), Schwimmer Gaël Duhayindavyi (* 1991), Fußballspieler Gaël Faye (* 1982), französischer Schriftsteller und Sänger Philippe Gautier (* 1960), belgischer Jurist Prosper Karangwa (* 1978), Basketballspieler und -funktionär Costas Kondylis (1940–2018), US-amerikanischer Architekt Pierre Kwizera (* 1991), Fußballspieler Sada Nahimana (* 2001), Tennisspielerin Janvier Ndikumana (* 1982), Fußballtorhüter Aimé Ndizeye (* 2002), Fußballspieler Vladimir Niyonkuru (* 1983), Fußballtorhüter Willy Ngumbi Ngengele (* 1965), katholischer Bischof von Goma (Kongo) Pierre Nkurunziza (1963–2020), Präsident von Burundi Shabani Nonda (* 1977), kongolesischer Fußballspieler Lydia Nsekera (* 1967), Sportfunktionärin Saïdi Ntibazonkiza (* 1987), Fußballspieler Diane Nukuri (* 1984), Leichtathletin Faty Papy (1990–2019), Fußballspieler Nyamko Sabuni (* 1969), schwedische Politikerin Mohammed Tchité (* 1984), Fußballspieler Siehe auch Liste der Städte in Burundi Weblinks Universität von Burundi Die ARD-Korrespondentin Shafagh Laghai ist mit ihrem Team über Ruanda nach Burundi eingereist und war vier Tage in der Hauptstadt. – DLF, 2016 Einzelnachweise Ehemalige Hauptstadt (Burundi) Ort in Burundi Tanganjikasee Ort in Afrika Deutsch-Ostafrika
Q3854
125.416596
629058
https://de.wikipedia.org/wiki/Synapsiden
Synapsiden
Die Synapsiden (Synapsida, „synapsid“ – „verschmolzener Bogen“; auch Theromorpha) sind eine der beiden Großgruppen der Amnioten. Namensgebendes Merkmal ist ein einzelnes Schädelfenster in der hinteren Schädelseitenwand (Schläfen- oder Temporalfenster). Die Synapsiden entstanden im späten Karbon und erlebten eine erste Blüte in den nachfolgenden Erdzeitaltern Perm und Trias. Nach dem Massenaussterben an der Kreide-Paläogen-Grenze („Aussterben der Dinosaurier“) erlebten sie mit der Radiation der Säugetiere ab dem Paläozän eine zweite Blüte, die bis heute anhält. Die modernen Säugetiere repräsentieren dabei die einzige Linie der ersten Synapsiden-Blüte, die bis heute überlebt hat. Nach traditioneller Auffassung sind die Synapsida eine Unterklasse der Reptilien (Reptilia), die die Ordnungen der Pelycosaurier (Pelycosauria) sowie die Therapsiden (Therapsida), Nachfahren der Pelycosaurier und Vorfahren der Säugetiere (Mammalia), umfasst. In der modernen, kladistisch basierten Systematik der Landwirbeltiere existiert dieses traditionelle Konzept der Reptilien nicht mehr. Stattdessen werden zwei Amnioten-Hauptentwicklungslinien (Kladen) unterschieden, Synapsiden und Sauropsiden – zu letzteren gehören die rezenten Vertreter der vormaligen „Reptilien“ und die verwandtschaftlich tief innerhalb derer stehenden Vögel. Merkmale Namensgebend für die Gruppe der Synapsiden ist das einzelne Schläfenfenster (Temporalfenster), das von den Schädelknochen Jugale, Quadratojugale, Squamosum und Postorbitale gerahmt wird. Das Quadratojugale ist aber nur bei den ursprünglichsten Pelycosauriern vorhanden. Schon bei den höheren Pelycosauriern ist es reduziert und der hintere Teil des Temporalfensters wird komplett vom Squamosum gerahmt. Das Schädelfenster bot mehr Platz für die Kiefermuskulatur und verringerte zusätzlich das Schädelgewicht. Bei den jüngeren Synapsiden („höhere“ Therapsiden und Säugetiere) ist es durch weitere evolutive Veränderungen des Schädelbaus nicht mehr als solches erkennbar. Der Knochensteg aus Squamosum und Jugale, der die untere Begrenzung des Schädelfensters der Pelycosaurier bildete, ist jedoch heute noch bei den Säugetieren in Form des Jochbogens vorhanden. Die frühesten Synapsiden (Pelycosaurier) sahen wie typische Reptilien aus und lebten wahrscheinlich auch so. Spätere Formen (Therapsiden) entwickelten einen schnelleren Stoffwechsel und damit eine konstante innere Körpertemperatur (Endothermie), einen sekundären Gaumen, der ihnen das gleichzeitige Fressen und Atmen ermöglichte, eine drüsenreiche, zum Teil behaarte Haut und differenzierte Gebisse mit Schneide-, Eck- und Backenzähnen. Außerdem veränderte sich die Körperhaltung: Während viele rezente Reptilien seitlich weggespreizte Beine haben, standen die der späteren Synapsiden (Therapsiden) etwa ab dem mittleren Perm (vor circa 270 Mio. Jahren) unter dem Körper und trugen ihn relativ bodenfern. So konnten sie schneller und ausdauernder laufen. Der Unterkiefer eines frühen Synapsiden (Pelycosaurier) besteht aus mehreren zusammengewachsenen Knochenelementen, von denen eines, das Dentale, die Zähne trägt. Im Laufe der Evolution nahm der Anteil des Dentale am Unterkiefer stetig zu und die übrigen Elemente, die sogenannten postdentalen Knochen, wurden immer kleiner, bis der Unterkiefer bei den echten Säugern schließlich vollständig aus dem Dentale bestand. Einer der postdentalen Knochen, das Articulare, ist bei den Säugetieren zu einem Gehörknöchelchen, dem Hammer (Malleus) umgebildet und liegt im Innenohr. Systematik und Evolution Die frühen Synapsiden des Oberkarbon und Unterperm wurden traditionell in der Gruppe Pelycosauria zusammengefasst. Die moderneren Formen des höheren Perms und Mesozoikums wurden als Therapsiden bezeichnet, wobei die Säugetiere traditionell weder bei den Synapsiden noch bei den Therapsiden mit einbegriffen waren. Nach moderner Auffassung sind die Synapsida, Pelycosauria und Therapsida der traditionellen Systematik paraphyletisch, da sie nicht alle Nachfahren ihres jeweils gemeinsamen Vorfahren umfassen. Während die Synapsida und Therapsida in der modernen, kladistisch gestützten Systematik als Klade neu definiert wurden und nunmehr jeweils auch die Säugetiere einschließen, wird der Name „Pelycosauria“ nur noch informell und nicht als systematische Gruppenbezeichnung für die frühesten Synapsiden benutzt, weil er bei Anwendung der Regeln der phylogenetischen Systematik ein Synonym der Synapsida ist, der Name „Synapsida“ aber älter ist und daher Priorität hat. Vertreter der Pelycosaurier sind beispielsweise Dimetrodon, Sphenacodon und Edaphosaurus. Dimetrodon, ein Fleischfresser, und Edaphosaurus, ein Pflanzenfresser, waren mit einem Rückensegel ausgestattet, das ihnen trotz ihrer Größe (bis 3,50 m Länge) eine relativ schnelle Regulierung ihrer Körpertemperatur erlaubte. Das Rückensegel wird als recht klarer Hinweis darauf gedeutet, dass die Pelycosaurier noch „wechselwarm“ (ektotherm) waren. Pelycosaurier sind ausschließlich aus dem Oberkarbon und Unterperm von Nordamerika und Europa bekannt. An der Wende vom Unter- zum Mittelperm verschwinden die Pelycosaurier und es erscheinen die ersten Therapsiden. Sie kommen auch außerhalb Nordamerikas und Europas vor: die Dinocephalier oder Anomodontier mit ihren gedrungenen Körpern und die Theriodontia („Säugetierzähner“), die relativ „grazile“ Formen stellen. Viele der permischen Therapsiden fielen dem Massenaussterben an der Perm-Trias-Grenze zum Opfer, doch einige Linien überlebten, unter anderem die schwer gebauten pflanzenfressenden Dicynodontia (griech.: „Zwei-Hundezähner“, also Tiere mit zwei Eckzähnen, die aber eher als kleine Stoßzähne anzusprechen sind) aus der Gruppe der Anomodontier, mit einem Hornschnabel anstelle der Schneidezähne (z. B. Lystrosaurus) sowie die kleineren, meist fleischfressenden Cynodontia („Hundezähner“) aus der Gruppe der Theriodontia, mit Körperlängen von höchstens einem Meter (Cynognathus, Thrinaxodon), die spätestens in der Trias behaart und warmblütig (endotherm) waren. Aus den Reihen der Cynodontier sind gegen Ende der Trias schließlich die ersten frühen Säugetiere hervorgegangen. Alle Therapsiden-Linien, mit Ausnahme der „echten“ Säuger, starben im weiteren Verlauf des Mesozoikums aus, vermutlich aufgrund der von den Dinosauriern ausgehenden Konkurrenz. Erst nach dem Aussterben der Dinosaurier an der Kreide-Tertiär-Grenze wurden die Synapsiden in Gestalt der Säugetiere wieder zu einer dominierenden, sehr artenreichen Wirbeltiergruppe. Innere Systematik Synapsida Caseasauria Eothyrididae Caseidae Eupelycosauria Varanopseidae Ophiacodontidae Edaphosauridae Sphenacodontia Therapsida Biarmosuchia Biarmosuchidae Burnettidae Dinocephalia Brithopia Titanosuchia Titanosuchidae Tapinocephalidae Styracocephalidae Anomodontia Venyukovioidea Dromasauroidea Dicynodontia Eudicynodontidae Eudicynodontia Theriodontia Gorgonopsia Eutheriodontia Therocephalia Cynodontia Procynosuchidae Dviniidae Epicynodontia Galesauridae Thrinaxodontidae Eucynodontia Säugetiere (Mammalia) Siehe auch Therapsiden Evolution der Säugetiere Literatur Thomas S. Kemp: The Origin & Evolution of Mammals. Oxford University Press, Oxford 2005, ISBN 0-19-850761-5. Robert L. Carroll: Paläontologie und Evolution der Wirbeltiere. Thieme-Verlag, Stuttgart 1993, ISBN 3-13-774401-6. Oskar Kuhn: Die säugetierähnlichen Reptilien (Therapsiden). (= Die Neue Brehm-Bücherei. Band 423), A. Ziemsen Verlag, Wittenberg 2003 (Reprint der Erstauflage aus dem Jahr 1970), ISBN 3-89432-797-9. Weblinks Autapomorphien der Untergruppen der basalen Synapsiden (englisch) Mikkos Archiv der Phylogenetik (englisch) palaeos.com (englisch) Die Sammlung nicht-mammaler Synapsiden im Chicago Field Museum (englisch) Einzelnachweise
Q189069
128.941835
8948
https://de.wikipedia.org/wiki/Brennstoff
Brennstoff
Ein Brennstoff ist ein chemischer Stoff, dessen gespeicherte Energie sich durch Verbrennung in nutzbare Energie umwandeln lässt. Einteilung der Brennstoffe Brennstoffe werden nach verschiedenen Kriterien unterteilt, etwa nach ihrem Aggregatzustand in feste, flüssige und gasförmige Brennstoffe. Je nach Herkunft wird differenziert zwischen natürlichen, veredelten oder synthetischen Brennstoffen. Brennstoffe können organischer Natur sein, wie Erdöl, Erdgas oder Kohle, oder anorganischer Natur wie Wasserstoff oder Kohlenstoffmonoxid. Nach Art der Energiefreisetzung werden Brennstoffe unterteilt in chemische Brennstoffe, die durch Oxidation thermische Energie freisetzen und elektrochemische Brennstoffe, die zum Beispiel in Brennstoffzellen zur Stromerzeugung dienen. Die Qualität eines Brennstoffes wird durch den Heizwert oder den Brennwert beschrieben. Der Heizwert beschreibt dabei den Energieinhalt eines Brennstoffes ohne Berücksichtigung der Kondensationsenthalpie des bei der Verbrennung gebildeten Wasserdampfes, der Brennwert dagegen berücksichtigt diese. Darum ist der Brennwert eines wasserstoffhaltigen Brennstoffs um diesen Energiebetrag größer als sein Heizwert. Fossile Brennstoffe sind meist über lange, oft Millionen von Jahren dauernde, bio- und geochemische Prozesse entstanden. Die festen Brennstoffe unterlagen dabei einer Inkohlung, der Anreicherung von Kohlenstoff in durch Erdschichten abgeschlossene organische Masse. Die beiden Hauptschritte der Inkohlung sind der Übergang von organischer Masse, die meist aus höheren Pflanzenarten wie Hölzern oder Farnen bestand, zur Braunkohle und der weitere Übergang der Braunkohle zur Steinkohle. Als Ursprung des Erdöls werden niedere Meerestiere und Pflanzen vermutet. Die gesamten bestehenden Brennstoffvorräte nennt man Ressourcen. Diese unterteilen sich in vermutete und nachgewiesene Ressourcen. Nachgewiesene Ressourcen unterteilen sich weiter in abbaubare und vermutlich nicht abbaubare Ressourcen. Ist der technische Abbau einer Ressource gesichert, wird diese Ressource Reserve genannt. Der Energiegehalt fester fossiler Brennstoffe wird oft in sogenannten Steinkohleeinheiten (SKE) angegeben. Davon unterschieden werden heute nachwachsende Rohstoffe, das sind regelmäßig nachproduzierbare Ressourcen (biogene Brennstoffe wie Holz, Biokraftstoffe, Biogas). Kernbrennstoffe, wie angereichertes Uran und Plutonium, die durch Kernspaltung oder wie Deuterium und Tritium, die durch Kernfusion Energie freisetzen können, gehören ebenfalls nicht zu den fossilen Brennstoffen. Aggregatzustand und Verwendung Brennstoffe kommen in allen drei klassischen Aggregatzuständen (fest, flüssig und gasförmig) zum Einsatz. Sie werden verschiedensten Verwendungszwecken zugeführt. Festbrennstoffe, wie vor allem Steinkohle, Braunkohle und Holz, dienen heutzutage in erster Linie der Erzeugung von elektrischem Strom im Dampfkraftwerk. Daneben werden Festbrennstoffe für die Verfahrenstechnik und die Erzeugung von Metall bei der Verhüttung von Eisen und Stahl benötigt. Die Bedeutung für die Beheizung von Gebäuden ist nur noch gering. Der Energiegehalt wird in Steinkohleeinheiten (SKE) angegeben. Flüssigbrennstoffe wie verschiedene Erdölderivate (Benzin, Diesel, Heizöl) und Biokraftstoffe haben einen erheblichen Anteil im Verkehrswesen und zur Heizung von Gebäuden. Weiterhin dienen sie als Rohstoff für Produkte in der chemischen Industrie. Der Energiegehalt wird in Öleinheiten (ÖE) angegeben. Gasförmige Brennstoffe wie Erdgas und Biogas werden hauptsächlich zur Gebäudebeheizung und zur Stromerzeugung genutzt. Sie werden in der chemischen Industrie ebenfalls als Brenn- und Rohstoff verwendet. Erdgas wird auch in kleineren und mittleren Dampfkesselanlagen zur Erzeugung von Wasserdampf verfeuert. Der Energiegehalt wird in kWh/kg angegeben. Brennstoffpreise Der Weltmarktpreis für Brennstoffe schwankt aufgrund vieler Faktoren. Gemessen an der Steinkohleeinheit schwankte der Preis im Zeitraum von 1970 bis 2004: bei Erdöl um 900 Prozent bei Steinkohle um 200 Prozent Die Preise für die wichtigsten Brennstoffe haben einen erheblichen Einfluss auf die nationalen Volkswirtschaften. Stark steigende Preise können zum Beispiel eine bereits vorhandene Inflation verstärken. Brennstoffbedarf Die Bestimmung des Brennstoffbedarfes ist erforderlich, um Bestell- oder Lagermengen zu bestimmen, die Verbrauchskosten zu schätzen und um Vergleichsrechnungen mit anderen Energieträgern oder Technologien zu erstellen. Das gilt gesamtwirtschaftlich ebenso wie für eine einzelne Feuerungsanlage respektive Verbraucher, seien sie ortsfest installiert oder mobil. Der Brennstoffbedarf ist unter anderem abhängig von: Leistung der Anlagen, Wirkungsgrad, Laufzeit, Brennstoffart, und speziellen Faktoren wie Regelung und Steuerung. Nationales Deutschland Die meisten der in Deutschland verwendeten Brennstoffe müssen importiert werden. Dieses gilt in erster Linie für die flüssigen und gasförmigen Brennstoffe, da Mitteleuropa auf diesem Gebiet nur geringe eigene Ressourcen besitzt. Feste natürliche Brennstoffe werden dagegen in diesem geographischen Gebiet als Bodenschatz in größeren Mengen gefördert, wobei die bei der Förderung anfallenden Kosten durch Subventionen unterstützt werden, um den heimischen Brennstoff gegenüber den auf dem Weltmarkt gezahlten Preisen konkurrenzfähig halten zu können. Die Bereitstellung von Brennstoffen aus nachwachsenden Rohstoffen (biogene Brennstoffe) hat für die Energiewirtschaft und den Verkehrssektor eine wachsende Bedeutung. Im Jahr 2009 wurden 5,5 Prozent der in Deutschland benötigten Endenergie durch biogene Brennstoffe (als Bioenergie) bereitgestellt. Damit machen sie rund zwei Drittel der erneuerbaren Energien (insgesamt 10,1 Prozent) aus. Den überwiegenden Teil der Bioenergie macht Wärme aus. Das Gesamtpotential der Bioenergie in Deutschland ist jedoch begrenzt, so dass nur ein Teil des Energiebedarfs durch sie gedeckt werden kann. Literatur Karl-Heinz Schmidt, Ingo Romey, Fritz Mensch: Kohle – Erdöl – Erdgas: Chemie und Technik. 1. Aufl., Vogel Verlag, Würzburg 1981, ISBN 978-3-8023-0684-6. Weblinks Einzelnachweise Verbrennungslehre
Q42501
386.283005
1564621
https://de.wikipedia.org/wiki/Azithromycin
Azithromycin
Azithromycin ist eine organische chemische Verbindung, die als antibiotisch wirkender Arzneistoff zu den Makrolidantibiotika gehört. Da das als Glycosid vorliegende makrocyclische Lacton im großen Ring ein N-Atom enthält, zählt Azithromycin zu den Azaliden, einer Untergruppe der Makrolide. Geschichte Eine Forschergruppe des pharmazeutischen Unternehmens Pliva in Zagreb im damaligen Jugoslawien um Slobodan Dokić, Gabrijela Kobrehel, Gorjana Radobolja-Lazarevski und Zrinka Tamburašev entdeckte Azithromycin 1979/1980. Es wurde 1981 patentiert und war ab 1988 als Sumamed im Bereich des sozialistischen Mittel-Osteuropas erhältlich. Bereits 1986 wurde mit Pfizer ein Vertrag geschlossen, der diesem 1991 die Markteinführung in Westeuropa und außerhalb Europas unter dem Handelsnamen Zithromax ermöglichte. Anwendung Azithromycin findet Anwendung bei Infektionen der Atemwege einschließlich Lungenentzündungen, akuter Exazerbation der chronischen Bronchitis, Nasennebenhöhlenentzündungen, Entzündungen im Rachenbereich und Mandelentzündungen. Weiterhin wird Azithromycin bei akuten Mittelohrentzündungen, Haut- und Wundinfektionen, Lyme-Borreliose, bakterieller Konjunktivitis, bei Urethritis durch Chlamydien und zur Prophylaxe sogenannter MAK-Infektion (Mycobacterium-avium-intrazellulare-Komplex-Infektion) bei immungeschwächten Patienten verwendet. Bei Hunden hat der Wirkstoff eine gute Wirksamkeit gegen die Canine Papillomatose. Dosierung Bei Infektionen der Atemwege und Otitis media werden täglich 500 mg Azithromycin über drei Tage verabreicht. Bei einer Infektion mit Chlamydien erfolgt die Einnahme der gleichen Gesamtdosis hingegen als eine einmalige Gabe von 1500 mg Azithromycin. Schwangerschaft und Stillzeit Nach aktuellem Wissensstand erhöht Azithromycin nicht das Fehlbildungsrisiko, wenn es von schwangeren Frauen eingenommen wird. Aufgrund der besseren Datenlage sind jedoch Penicilline und Cephalosporine zu bevorzugen. Bei Einnahme in der Stillzeit zeigen gestillte Kinder meist keine Symptome, bis auf vereinzelte dünnere Stuhlgänge. Wirkmechanismus Makrolid-Antibiotika behindern den Prozess der Proteinbiosynthese während der Verlängerungsphase der Proteinkette am Ribosom durch Bindung an die 50S-Untereinheit der bakteriellen Ribosomen. Durch ihre Bindung blockieren sie die Translokation, also die Verlagerung der Peptidyl-t-RNA von der Akzeptorstelle zur Donorstelle. Dadurch kommt es zu einer vorzeitigen Unterbrechung der Proteinbiosynthese und somit zur bakteriostatischen Wirkung. Azithromycin wirkt etwas schlechter gegen grampositive, aber etwas besser gegen gramnegative Bakterien als andere Makrolide. Besonders an diesem Wirkstoff ist seine hohe Verweildauer in den betroffenen Geweben, also Hals, Rachen, Atemwege. So wird er auch in den körpereigenen Abwehrzellen stark angereichert, aber nur sehr langsam abgebaut. Der Vorteil dieser Eigenschaft: Das Medikament muss nur drei Tage vom Patienten eingenommen werden, wirkt aber durch den verzögerten Abbau bis zu vier Tage nach. Dadurch wird die negative Wirkung auf den Verdauungsapparat vermindert. Der Nachteil ist eine lange Verweildauer in zu geringer Konzentration im Körper. Hierdurch wird die Resistenzbildung begünstigt, da das Keimwachstum nicht mehr gehemmt wird, die Erreger aber immer noch der Substanz ausgesetzt sind. Pharmakokinetik Die Bioverfügbarkeit von Azithromycin beträgt ca. 37 %, wobei maximale Plasmakonzentrationen nach 2–3 Stunden gemessen werden. Es verteilt sich stark im Gewebe, sodass die Konzentrationen dort höher sind als im Plasma. Die Halbwertszeit im Gewebe beträgt 2–4 Tage. Anders als andere Makrolide, wie bspw. Erythromycin, zeigt Azithromycin keine Interaktion mit CYP450-Enzymen, weshalb typische Wechselwirkungen nicht erwartet werden. Aufgrund der Verlängerung der QT-Zeit soll Azithromycin allerdings nicht mit Arzneistoffen kombiniert werden, die diese auch verlängern. Azithromycin ist von Kreuzresistenzen anderer Makrolide betroffen. Unerwünschte Wirkungen Häufig (unter 10 % der Patienten): Störungen im Magen-Darm-Trakt wie Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, weicher Stuhl, Bauchschmerzen sowie Bauchkrämpfe, Verdauungsstörungen und Verstopfung. Gelegentlich (unter 1 % der Patienten): Blähungen, Störungen des Geschmacksinns, Pilzinfektionen, Scheidenentzündungen, allergische Reaktionen mit Hautausschlag, Juckreiz und Nesselfieber, Nervosität, Benommenheit, Schläfrigkeit, Kopfschmerzen, Missempfindungen (Parästhesien) und Müdigkeit. Selten (unter 0,1 % der Patienten): Schwindel, Krämpfe, Krampfanfälle, Hyperaktivität, aggressive Reaktionen, Unwohlsein, Schwäche, Erregung, Angst, tiefer Blutdruck, Herzklopfen, Herzrhythmusstörungen, schwere anhaltende Durchfälle, Lichtempfindlichkeitsreaktionen (Hautreaktionen in Zusammenhang mit Sonnenlicht), Gelenkschmerzen und Zungenverfärbung. Sehr selten sind schwere allergische Reaktionen beobachtet worden. Unter einer Therapie mit Azithromycin kann es zu einem Anstieg der Transaminasen kommen. Bei schweren Leberfunktionsschäden ist Azithromycin daher kontraindiziert. Eine weitere Kontraindikation sind bekannte allergische Reaktionen gegen Azithromycin oder andere Antibiotika aus der Gruppe der Makrolide. Azithromycin hat ein ototoxisches Potential. Aus diesem Grund kommt es in seltenen Fällen zu einem Tinnitus. Die dabei entstandene Schädigung auf das Innenohr soll reversibel sein. In einer amerikanischen Studie wurde festgestellt, dass während einer 5-tägigen Therapie mit Azithromycin das Risiko für einen Herztod geringfügig steigt. Dabei wurde ein zusätzlicher kardiovaskulärer Todesfall pro 21.000 behandelter Patienten (number needed to harm: 1:21.000) beobachtet, insbesondere bei Patienten, die schon vorher an kardiovaskulären Erkrankungen gelitten haben. Dies muss jedoch gegen die eventuell wirksamere Behandlung als durch andere Antibiotika abgewogen werden. Eine weitere große dänische landesweite Kohortenstudie konnte jedoch bei Patienten unter 65 Jahren kein erhöhtes Mortalitätsrisiko aufzeigen, so dass die Gabe bei herzgesunden jungen Patienten kein erhöhtes Risiko darstellt. Siehe auch Translation Ribosom Handelsnamen Monopräparate Azyter (D), InfectoAzit (D), Ultreon (D), Zithromax (D, A, CH), Azi-Teva (D), Sumamed (HR, PL, RS), zahlreiche Generika (D, A, CH), Azitromicina (Costa Rica, Dominikanische Republik, Ecuador, Kolumbien, Mexiko, Peru), Azicip (Indien). Weblinks Azithromycin wurde vom Unternehmen "Pliva" synthetisiert Einzelnachweise Arzneistoff Antibiotikum Glycosid Makrolid Polyol Alkylamin Stickstoffhaltiger gesättigter Heterocyclus Dimethylamin Hydroxyoxan Acetal
Q165399
100.772026
749378
https://de.wikipedia.org/wiki/Angle
Angle
Angle ist der Familienname folgender Personen: Edward H. Angle (1855–1930), US-amerikanischer Orthodontist und Mitbegründer der Kieferorthopädie Kurt Angle (* 1968), US-amerikanischer Ringer und Wrestler Sharron Angle (* 1949), US-amerikanische Politikerin Angle bezeichnet folgende Orte: Angle (Pembrokeshire), in Wales, Vereinigtes Königreich Angle (Utah), im Piute County, Vereinigte Staaten Angle City, im Lincoln County, Nevada, Vereinigte Staaten Angle Inlet, im Lake of the Woods County, Minnesota, Vereinigte Staaten Angle View, im Salt Lake County, Utah, Vereinigte Staaten Angle steht für: Angle (Tauge), Fluss in Frankreich, Nebenfluss der Tauge ANGLE steht als Abkürzung für: Almost Native Graphics Layer Engine, ein Projekt von Google Siehe auch: Angle Peak Abkürzung
Q363939
114.722447
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https://de.wikipedia.org/wiki/Thessaloniki
Thessaloniki
Thessaloniki ( [], kurz auch Saloniki , Ladino Salonika oder türkisch Selânik, in südslawischen Sprachen Solun (Солун); im biblischen Zusammenhang verwendeter deutscher Name Thessalonich) ist mit rund 326.000 Einwohnern die zweitgrößte Stadt Griechenlands, Hauptstadt der Verwaltungsregion Zentralmakedonien und wirtschaftliches und kulturelles Zentrum der gesamten griechischen Region Makedonien. Zu Jahresanfang 2022 betrug die Einwohnerzahl des engeren Ballungsraums Thessaloniki unter Einschluss der unmittelbar angrenzenden Städte und Gemeinden etwa 814.000 Menschen. Die Stadt liegt an den nordwestlichen Ausläufern des 1201 Meter hohen Chortiatis und grenzt an den Thermaischen Golf. Sie ist eine bedeutende moderne Universitäts-, Messe-, Kultur-, Industrie- und Hafenstadt im Schnittpunkt wichtiger jahrtausendealter nordsüdlicher und westöstlicher Verkehrswege (Via Egnatia). Als Schutzpatron der Stadt gilt der Heilige Demetrios, dem auch eine große frühchristliche Basilika geweiht ist. Das Wahrzeichen Thessalonikis ist der von dem osmanischen Architekten Sinan gebaute Lefkós Pýrgos ( ‚weißer Turm‘). Die frühchristlichen und byzantinischen Kirchen der bereits im Neuen Testament erwähnten Stadt (zwei Briefe des Apostels Paulus sind an die Gemeinde in Saloniki gerichtet) wurden 1988 in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. 1997 war Thessaloniki Europäische Kulturhauptstadt. Geschichte Makedonische Zeit Thessaloniki wurde 315 v. Chr. von dem makedonischen König Kassandros als Thessalonikē gegründet durch Zusammenlegung von 26 kleineren Orten an der Stelle von Therme am Thermaischen Golf, einer ursprünglich thrakischen Siedlung und nach seiner Frau Thessalonikē, einer Halbschwester Alexanders des Großen, benannt. Der Name Thessalonikē erinnerte an die Eroberung Thessaliens durch Makedonien (Thessalonikē, ‚Sieg in Thessalien‘, zu ‚Sieg‘) unter Philipp II (359 bis 336). 168 v. Chr. schafften die Römer das makedonische Königtum ab und machten Makedonien mit Thessaloniki 146 v. Chr. zu einer Provinz ihres Reiches. Römische Zeit Thessaloniki lag an der Via Egnatia, dem Hauptverkehrsweg zwischen Rom und Byzanz, und an der nach Norden führenden Balkanstraße. Sie wurde Hauptstadt der römischen Provinz Macedonia. 58 v. Chr. ging Cicero vorübergehend hierher in die Verbannung. Nach der Flucht aus Italien vor Caesar 49 v. Chr. verlegten die Konsuln ihr Quartier nach Thessaloniki. Etwa 200 Senatoren folgten ihrer Einladung. Sie erklärten den Versammlungsplatz zu römischem Staatsboden, so dass Senatssitzungen abgehalten werden konnten. Etwa 49 oder 50 n. Chr. hielt sich der Apostel Paulus auf seiner zweiten Missionsreise in Thessaloniki auf und gründete die zweite namentlich genannte Christengemeinde Europas nach Philippi. Wenige Jahre nach 260 wurden Angriffe der Goten von der Stadt abgewehrt. Um 300 wurde Thessaloniki unter Kaiser Galerius zu einer der Kaiserresidenzen des Römischen Reichs und mit bedeutenden Bauwerken ausgestattet, u. a. mit dem Kaiserpalast, der Pferderennbahn (Hippodrom) parallel zum Palast, dem Galeriusbogen (Siegesmonument des Kaisers Galerius neben der Via Egnatia, errichtet aus Anlass eines Sieges über die Sassaniden), der Rotunde (vielleicht ein Mausoleum oder ein Pantheon) und dem Forum sowie einer Agora (Pfeiler mit prachtvollen Relieffiguren von einer zweigeschossigen Halle ist heute im Louvre, Paris) mit einem Odeion. 322 ließ Kaiser Konstantin I. (der Große) an der südwestlichen Ecke Thessalonikis ein künstliches Hafenbecken anlegen. 325 wurde Licinius (Mitkaiser von 308 bis 324) in Thessaloniki hingerichtet. Dadurch wurde Konstantin endgültig Alleinherrscher (totius orbis imperator); am 11. Mai 330 wurde schließlich Byzantion christliche Reichshauptstadt (Zweites Rom) und wenig später in Konstantinopolis umbenannt. Die Zeit, in der Thessaloniki Kaiserresidenz gewesen war, gelangte damit an ihr Ende. 390 erlebte Thessaloniki einen Aufstand gegen Kaiser Theodosius I., den dieser beim sogenannten Massaker von Thessaloniki blutig niederschlagen ließ. Nach der Reichsteilung von 395 gehörte Thessaloniki zum östlichen Reichsteil unter Kaiser Arcadius und seinen Nachfolgern. Byzantinische Zeit In den ersten beiden Jahrhunderten der byzantinischen Zeit (560 bis 750) wurde Thessaloniki wiederholt von vordringenden Awaren, Slawen und Bulgaren erfolglos belagert, unter anderem 586, 610?, 615, 617, 682, 684 (siehe auch Balkanfeldzüge des Maurikios). Während der slawischen Eroberung weiter Teile Griechenlands im Frühmittelalter leistete die Stadt erfolgreich Widerstand und blieb ein kaiserlicher Stützpunkt: Anfang des 9. Jahrhunderts entstand das byzantinische Archontat Thessaloniki. Im 9. Jahrhundert begann eine lange Friedenszeit, in der Thessaloniki Ausgangspunkt der orthodoxen Christianisierung der Slawen durch Kyrillos (826/827 in Thessaloniki geboren) und Methodios unter Schaffung eines slawischen, glagolitischen Alphabets wurde. Thessaloniki war im Byzantinischen Reich in seinen Glanzzeiten zweitwichtigste Stadt neben der Hauptstadt Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Im Jahre 904 eroberten und zerstörten Sarazenen die Stadt nach nur dreitägiger Belagerung. 1185 wurde sie durch sizilianische Normannen erobert und verwüstet. Ab 1204 war Thessaloniki Hauptstadt eines kurzlebigen fränkischen Königreichs unter Bonifatius I., Markgraf von Montferrat, im Rahmen des 4. Kreuzzugs. Hagios Demetrios und die Hagia Sofia wurden vorübergehend zu katholischen Kirchen. Von 1224 bis 1242 residierten in Thessaloniki die Despoten von Epiros, 1227 ließ sich hier Fürst Theodoros I. Angelos (ein Vetter des Kaisers Alexios III.) zum Gegenkaiser krönen. In der Zwischenzeit wurde die Stadt dem Bulgarischen Reich des Zaren Iwan Assen II. einverleibt. 1246 wurde die Stadt wieder dem Byzantinischen Reich eingegliedert. Für Thessaloniki, die zweite Stadt im Reich, begann eine glanzvolle Epoche, von der auch heute noch zahlreiche Kirchenbauten zeugen, die Hagioi Apostoloi, die Hagia Ekaterini, das Vlatades-Kloster oder auch die große Mole, die den Hafen schützte und von der ein Teil bis heute erhalten ist. Venezianer und Genuesen bauten in dieser Zeit ihren Einfluss aus, Venedig erhielt sogar ein eigenes Stadtviertel. Thessaloniki fühlte sich als ein Zentrum der Wissenschaft: Thomas Magister (1270–1325), Demetrios Triklinios (1280–1340), der heilige Gregorios Palamas (1296–1359) oder Demetrios Kydones (1324–1397) wirkten hier. 1308 belagerte die Katalanische Kompanie Thessaloniki erfolglos, 1342 bis 1349 errichteten radikale Revolutionäre (die „Zeloten“) eine autonome Stadtrepublik. Von 1387 bis 1391 und ab 1394 beherrschten zwischenzeitlich Türken die Stadt. 1403 wurde Thessaloniki wieder byzantinisch und kam 1423 an Venedig. Osmanische Zeit Am 29. März 1430 wurde Thessaloniki nach fast zweimonatiger Belagerung durch Sultan Murad II. erobert und dem Osmanischen Reich einverleibt. Aus Thessaloniki wurde . 1515 erreichte die Buchdruckerkunst die Stadt. Im 17. Jahrhundert war sie wichtigstes Handelszentrum des Balkans. 1821/1822 schlugen osmanische Truppen den aufflammenden griechischen Befreiungskampf nieder, der im Süden Griechenlands erfolgreich war und dort zur Gründung des Königreichs Griechenland führte. Ende des 19. Jahrhunderts nahm Thessaloniki einen enormen Aufschwung. Während 1865 die Stadt etwa 50.000 Einwohner hatte, waren es 1880 schon 90.000 und 1895 etwa 120.000. 1869 wurden die südlichen Teile der byzantinischen Stadtmauer niedergerissen, um Platz zu schaffen. Am 6. Mai 1876 töteten verärgerte Muslime bei einem Tumult den deutschen und den französischen Konsul, was die diplomatischen Beziehungen zum Osmanischen Reich erheblich belastete. 1871 wurde die Eisenbahnlinie nach Skopje gebaut und 1888 über Belgrad an das europäische Eisenbahnnetz angeschlossen sowie 1896 nach Osten bis Dedeağaç, dem heutigen Alexandroupoli fortgeführt. Die Stadt wurde am 4. September 1890 durch ein umfangreiches Feuer schwer beschädigt, welches 20.000 Menschen, meist Juden, obdachlos machte. Unter anderem brannten das europäische Viertel mit dem britischen und dem griechischen Konsulat, das griechische Krankenhaus, die Sophienkirche, die byzantinische Kirche mit dem Regierungsarchiv, die Metropolitenkirche und sieben Synagogen nieder. 1893 wurde die erste Straßenbahn installiert, die anfangs von russischen und ungarischen Pferden gezogen wurde und zur weiteren Expansion der Stadt beitrug. In dieser Zeit wurde eins der wenigen bulgarischen Gymnasien im osmanischen Reich, das Bulgarische Männergymnasium „Gymnasium Kyrill und Method“, mit der ersten Wetterstation der Stadt errichtet. Später folgte auch eine bulgarische Frauenschule. 1888 entstand die Deutsche Schule Thessaloniki, die 1915 bis 1924 und 1944 bis 1956, also infolge der Weltkriege, geschlossen war. Mustafa Kemal Atatürk, der Begründer der Republik Türkei, wurde 1881 in Thessaloniki geboren (sein Geburtshaus ist heute Museum und Teil des türkischen Konsulats). Nachdem Vitaliano Poselli sich erfolgreich als Architekt in Thessaloniki etabliert hatte, folgte um 1890 sein Landsmann Pierro Arrigoni, die beide zahlreiche private und öffentliche Bauten entwarfen und wesentlich das Bild der Stadt prägten. Im Jahre 1896 wurde die strategisch wichtige Eisenbahnstrecke nach Istanbul eröffnet. Die 510 Kilometer lange Strecke folgte der Küste und wurde mit finanzieller Unterstützung durch das osmanische Reich von der französischen Société du Chemin de Fer Ottoman Jonction Salonique–Constantinople gebaut. Im April 1903 wurde die Stadt und ihre Umgebung Ziel mehrerer Terrorattentate, die von der bulgarischen BMARK durchgeführt wurden. Dabei wurde das französische Schiff Guadalquivir im Hafen versenkt. Auch die Ottomanische Bank und weitere öffentliche Gebäude wurden durch Bombenattentate schwer beschädigt. Im Jahre 1908 nahm die Jungtürkische Revolution von Thessaloniki aus ihren Anfang. 1909 verbannten die Jungtürken den abgesetzten Sultan Abdülhamid II. nach Thessaloniki und stellten ihn in der Villa Allatini unter Hausarrest. Thessaloniki blieb bis zu den Balkankriegen unter osmanischer Herrschaft. Balkankriege und Erster Weltkrieg Am 8. November 1912, 20 Tage nach der Kriegserklärung Montenegros, Serbiens, Bulgariens und Griechenlands an das Osmanische Reich (Erster Balkankrieg), belagerten griechische Truppen und bulgarische Truppen die Stadt. Im Hafen von Thessaloniki wurde bereits am 31. Oktober das Panzerschiff Feth-i Bülend (1869) von dem griechischen Torpedoboot-Nr.-11 versenkt. Der Kommandeur der osmanischen Streitkräfte Hasan Tahsin Paşa handelte ein Übergabeprotokoll aus und entschied sich, die Stadt den Griechen (und nicht den Bulgaren) kampflos zu überlassen – mit ihm gingen 25.000 Soldaten in Gefangenschaft. Am 18. März 1913 fiel der griechische König Georg I. in Thessaloniki einem Attentat zum Opfer. Am 8. Juli erklärten Serbien, Montenegro, die Türkei, Rumänien und Griechenland Bulgarien (nach einem bulgarischen Angriff auf Serbien) den Krieg (Zweiten Balkankrieg), in dessen Verlauf die Bulgaren aus Thessaloniki vertrieben wurden. Im Frieden von Bukarest am 10. August 1913 wurden Thessaloniki und weitere Teile Makedoniens Griechenland zugesprochen. Im Ersten Weltkrieg landeten Mitte Oktober 1915 mit Unterstützung des griechischen Ministerpräsidenten Eleftherios Venizelos gegen den Willen des griechischen Königs aus dem Hause Sonderburg-Glücksburg alliierte Truppen in Thessaloniki, um die in Serbien stehenden Truppen der Mittelmächte (Österreich-Ungarn, Türkei, Deutschland, Bulgarien) anzugreifen (vgl. Salonikifront). Am 18. Oktober 1916 rief Venizelos in Thessaloniki eine Gegenregierung aus. Von 1916 bis 1918 befand sich in Thessaloniki das Hauptquartier der alliierten Besatzungstruppen (Orientarmee). Am 18. August 1917 zerstörte ein Großbrand nahezu das gesamte südliche Stadtzentrum. Der Wiederaufbau wurde von Ernest Hébrard geleitet, der zuvor mit der Orientarmee nach Thessaloniki gekommen war. Der nach dem Ersten Weltkrieg von Griechenland gegen die Türkei geführte Griechisch-Türkische Krieg (1919–1922) in Kleinasien führte in die Niederlage Griechenlands und in eine Flüchtlingskatastrophe. Im Vertrag von Lausanne 1923 wurde ein Bevölkerungsaustausch vereinbart: Ein großer Teil der griechischen Flüchtlinge aus Anatolien fand eine neue Heimat in und um Thessaloniki, im Gegenzug verließ die türkische Bevölkerung die Stadt. 1926 fand erstmals die Internationale Messe Thessaloniki statt. Bis dahin gab es nur die unregelmäßigen Industrie- und Warenschauen im Athener Zappeion. Bis heute ist sie die wichtigste Messe Griechenlands, wenn auch Spezialmessen deren Bedeutung geschmälert haben. Deutsche Besatzung und das Schicksal der jüdischen Gemeinde Wegen der großen jüdischen Gemeinde war die Stadt früher auch als „Jerusalem des Balkans“ bekannt. Neuere archäologische Funde auf dem alten jüdischen Friedhof weisen auf eine jüdische Besiedlung Thessalonikis seit dem 2. Jahrhundert nach Christus hin. Die meisten jüdischen Bewohner der Stadt stammten jedoch von sephardischen Juden ab, die im 15. Jahrhundert von der Iberischen Halbinsel vertrieben worden waren (Alhambra-Edikt). Vor dem Zweiten Weltkrieg war die Stadt Sitz von etwa 40 Synagogen und hatte eine jüdische Bevölkerung von etwa 56.000 Personen. Sie galt damit als größte sephardische Gemeinde Europas. Bis ins 20. Jahrhundert war Ladino neben Griechisch die dominierende Sprache. 1910 hielt sich David Ben-Gurion zum Türkischstudium in der Stadt auf und war fasziniert von der Vielfalt des jüdischen Gemeinwesens. 1933 entstand für jüdische Flüchtlinge nördlich von Jaffa (Israel) der Vorort Florentin, nachdem 1931 in Folge des Campbell Pogroms im Stadtteil Campbell durch von der faschistischen Partei Ethniki Enosis Ellados gelegte Brände 250 jüdische Familien obdachlos geworden waren. Bis zu 18.000 Juden flohen nach Palästina. Von April 1941 bis zum 30. Oktober 1944 war Thessaloniki infolge des Balkanfeldzugs von deutschen Truppen besetzt und in einer ehemaligen Kaserne bestand das KZ Pavlos Melas. Die deutschen Besatzer forderten hohe Schutzgelder von der jüdischen Gemeinde. Diese erbrachte den enormen Betrag von 3 Billionen Drachmen. Dieser Betrag wurde als zu niedrig empfunden. Daraufhin beschlagnahmten die Besatzer am 6. Dezember 1942 den jüdischen Friedhof und demontierten die Grabsteine zum Bau eines Schwimmbeckens für die deutschen Soldaten. Anschließend wurden Steine auch als Baumaterial an die Bevölkerung abgegeben. Militärverwaltungsoberrat Karl Blaesing stellte am 1. Oktober 1943 einer Kirchengemeinde Marmor aus dem zerstörten jüdischen Friedhof zur Verfügung. Der Friedhof hatte etwa 300.000 bis 500.000 Gräber und gehörte zu den größeren seiner Art. Die Fläche veräußerten sie als Bauland, ein Teil der Aristoteles-Universität befindet sich auf der Fläche. Zwischen März und August 1943 wurden in 19 Zugtransporten von den deutschen Besatzern unter der Leitung von Dieter Wisliceny und Alois Brunner nahezu alle thessalonischen Juden ins KZ Auschwitz deportiert; dort wurden sie ermordet (siehe dazu Vernichtung der jüdischen Gemeinde). Nur etwa 2000 Juden überlebten. Das italienische Generalkonsulat in Thessaloniki konnte unter der Leitung von Guelfo Zamboni 322 Juden evakuieren, davon 217 mit italienischer Staatsbürgerschaft, 92 mit provisorisch ausgestellten italienischen Pässen sowie 13 weitere Juden, die in familiären Verbindungen mit den ersten beiden Gruppen standen. 367 spanische Juden wurden nach Bergen-Belsen deportiert und später an das frankistische Spanien ausgeliefert. In Anbetracht der Totalplünderungen von Wohnungen deportierter Juden durch Wehrmachtangehörige waren diese in der Regel danach unbewohnbar. Der deutsche Leiter der hier ansässigen Marinewetterwarte, Georg Eckert, gewann bei deutschen Militärstellen und Besatzungsbehörden Einfluss und konnte unter dem Deckmantel völkerkundlicher Studien zugleich Kontakte zur griechischen Widerstandsbewegung aufnehmen. Er konnte einige Verfolgte retten und Vergeltungsmaßnahmen verhindern. Im Herbst 1944 vermittelte er zwischen der Wehrmacht und der Volksbefreiungsarmee ELAS den kampflosen Abzug der deutschen Truppen aus Saloniki und ging dann mit seinen Gefolgsleuten zur ELAS über. Aus politisch zuverlässigen Personen bildete Eckert ein „Antifaschistisches Komitee“, welches die in Saloniki verbliebenen deutschen Widerständler, Deserteure und Kriegsgefangenen der ELAS, die sich der Übergabe an die britischen Truppen entzogen hatten, unter griechischer Oberaufsicht in antifaschistischen Kompanien organisierte. Nachkriegszeit Nach Ende des griechischen Bürgerkriegs 1949 begannen der Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung der Stadt. Die Stadt wird auch „Mithauptstadt“ (, symprotevousa) genannt, da sie von ihren Bewohnern als gleichwertig zu Athen wahrgenommen wird. Sie bildet zu dieser aber auch bis heute einen Gegenpol. Entfernt vergleichbar ist diese Bipolarität mit den Städten Amsterdam und Rotterdam in den Niederlanden. Die Internationale Messe Thessaloniki erlangte in der Nachkriegszeit eine bedeutende Rolle. Auf der Messe von 1957 wurde der in Griechenland sehr beliebte Café frappé präsentiert. In den 1960er Jahren wurden der neue Hauptbahnhof und das sogenannte Palais des Sports fertiggestellt. 1966 übertrug erstmals das griechische Fernsehen vom OTE-Fernsehturm, welcher kurz zuvor am Messegelände fertiggestellt worden war. 1978, am 20. Juni, wurde Thessaloniki und seine Umgebung von einem schweren Erdbeben mit der Schwere 6,6 auf der Richterskala erschüttert: Das Epizentrum des Bebens lag 30 km nordöstlich der Stadt; das Beben forderte 50 Todesopfer und verursachte erhebliche Sachschäden. 1997 war die Stadt Kulturhauptstadt Europas. In diesem Kontext wurde ein Vorgänger des heutigen Jüdischen Museums eröffnet, das Kulturministerium erwarb die Sammlung von George Costakis als Grundstock für das Staatliche Museum für zeitgenössische Kunst. Auf dem Gipfel im Juni 2003 in Porto Carras bei Thessaloniki, während der griechischen Ratspräsidentschaft der Europäischen Union, wurde die Integration der Staaten des früheren Jugoslawien und Albaniens als das nächste große Ziel in der EU-Erweiterung festgelegt (Versprechen von Thessaloniki). Die Stadt richtete vom 11. bis 27. August 2004 einen Teil der Fußball-Wettbewerbe der Olympischen Sommerspiele 2004 aus. 2006 wurde der Bau der Metro Thessaloniki begonnen, welche nach vielen Verzögerungen 2020 in Betrieb gehen soll. 2010 wurde die Gemeinde Thessaloniki mit der Verwaltungsreform 2010 um die Nachbargemeinde Triandria erweitert. Bevölkerungsentwicklung Obwohl die Bevölkerung der Gemeinde Thessaloniki im Vergleich der letzten drei Volkszählungen zurückgegangen ist, ist die Großraumbevölkerung gewachsen, da verstärkt Bewohner in die Vororte ziehen. Die Stadt bildet die Basis einer Metropolregion. Klima Thessaloniki liegt im Bereich des mediterranen Klimas. Durch die nahe Landverbindung zum Balkan sind allerdings die Temperaturen ein paar Grad niedriger als im südlichen Griechenland (im Mittel 1,6 Grad kühler als Athen). Im Winter kommt es daher häufiger zu Kaltlufteinbrüchen aus dem Norden, die fast jährlich zu Schneefällen und Bodenfrost führen. Verkehr und Infrastruktur Schiffsverkehr Der Hafen von Thessaloniki ist der wichtigste Schiffsumschlagsplatz für den gesamten Balkan, bietet Fährverbindungen in die Ägäis und dient der internationalen Kreuzschifffahrt. Der internationale Handelshafen schlug 2008 etwa 16 Millionen Tonnen um. Flugverkehr Der Flughafen Thessaloniki stellt viele Verbindungen zu nationalen sowie europäischen und nichteuropäischen Flughäfen her. Eisenbahn Thessaloniki ist der für Griechenland wichtigste Eisenbahnknotenpunkt und stellte früher die Verbindung des Landes nach Mittel- und Osteuropa her. Über viele Jahre hat die Bedeutung der von Thessaloniki ausgehenden Eisenbahntransitstrecke nach Mitteleuropa stark abgenommen. Gründe waren die Situation im ehemaligen Jugoslawien sowie im Personenverkehr der stärkere Wettbewerb durch preiswerte Flugverbindungen. Die Verkehrsströme gehen heute nach Süden; Waren für andere Länder der Europäischen Union werden über Igoumenitsa verschifft. Der Hauptbahnhof von Thessaloniki besteht in der heutigen Form seit 1962, ist ein Kopfbahnhof und liegt im Westen des Stadtzentrums. Der Bahnhof verfügt über eine Verladestelle für Autoreisezüge. Die Griechische Staatsbahn (OSE) hat in den letzten Jahren die Magistrale des Landes nach Athen, die Bahnstrecke Piräus–Thessaloniki in großem Umfang ausgebaut und elektrifiziert. Die Intercity-Verbindung stellt eine Reisealternative zur Flugverbindung Thessaloniki–Athen dar, zumal auch Anschluss an die Peloponnes besteht. Von 2005 bis 2011 wurde eine Direktverbindung nach Istanbul über die Bahnstrecke Thessaloniki–Alexandroupoli angeboten. Seit dem 10. Mai 2014 werden erneut tägliche Verbindungen nach Sofia sowie in der Sommersaison eine Verbindung über die Bahnstrecke Thessaloniki–Idomeni nach Skopje und Belgrad angeboten. Busverkehr Personen nach und von Bulgarien und Nordmazedonien werden seit den 1990er Jahren vor allem durch regelmäßige Busverbindungen befördert, die kostengünstiger und zeitlich konkurrenzfähig sind. Von Thessaloniki aus gibt es zahlreiche Busverbindungen des KTEL-Verbunds in die nähere und weitere Umgebung der Stadt sowie einige Fernbusverbindungen ins übrige Griechenland. Innerstädtischer Verkehr Am 7. April 2006 wurde nach 15 Jahren Planung und Verbesserung der Vertrag für den Bau einer in der ersten Phase 9,6 km langen Metrolinie mit 13 Stationen unterschrieben. Nach einigen Verzögerungen, vor allem aufgrund der griechischen Finanzkrise, konnte im August 2017 die Fertigstellung der Tunnelbohrungen verlautbart werden. OASTH betreibt die Stadtbusse innerhalb Thessalonikis. Straßenverkehr Ein modernes Schnellstraßensystem (Autobahn und Stadtautobahn) führt in alle vier Himmelsrichtungen. Die Autobahn 2 (A2, E 90) führt von Westen her kommend (Igoumenitsa, Ioannina, Kozani, Veria, Athen) im Norden um Thessaloniki herum (Außenring Thessaloniki) und geht weiter in Richtung Kavala, Xanthi, Alexandroupoli. In Richtung Süden und Südosten (Chalkidiki) besteht eine Verbindung zwischen der A2 und dem Innenring Thessaloniki (Nationalstraße 16 und A16). Der Innenring von Thessaloniki umgeht die Stadt auf den Höhen des Stadtwalds Seich-Sou in Richtung Kalamaria, Flughafen Thessaloniki und Chalkidiki. Der Innenring ist in beiden Richtungen durchgängig dreispurig ausgebaut und ist kreuzungs- und ampelfrei. Der Außenring von Thessaloniki ist durchgängig dreispurig mit einem Standstreifen in jede Richtung. Die Nationalstraße 67 führt autobahnähnlich (2 Richtungsfahrbahnen bis Nea Kallikratia) ausgebaut nach Nea Moudania auf der Chalkidiki und kreuzt östlich des Stadtzentrums von Kalamaria den Innenring von Thessaloniki. Das Teilstück der Nationalstraße 67 von Nea Kallikratia bis nach Nea Moudania ist in Bau: nach Abschluss der Ausbauarbeiten ist eine Aufstufung zur Autobahn möglich. An die Nationalstraße 67 ist der Flughafen Thessaloniki (fast) kreuzungsfrei in Höhe der Ortschaften Tagarades und Thermi angeschlossen. Die Autobahn 1 (A1, E 75, PATHE) von Evzoni an der Grenze zu Nordmazedonien nach Athen, Larisa und Lamia führt nicht durch Thessaloniki, sondern läuft westlich der Stadt entlang des Flusses Axios nach Süden. Wirtschaft Industrie In Thessaloniki und Umgebung arbeitet eine wichtige Lebensmittelindustrie für den griechischen Markt und für den Export (u. a. für Europa und den vorderen Orient), ebenfalls eine Tabakindustrie. Es gibt auch eine gute Möbelindustrie. Eine sehr moderne Erdölraffinerie mit saudi-arabischer Beteiligung hat große überregionale Bedeutung erlangt. Thessaloniki ist Hauptsitz eines Großteils der griechischen Solarindustrie. Die jährlich stattfindende internationale Herbstmesse ist die bedeutendste Industrie- und Handelsmesse Griechenlands. Medien Die Stadt ist Sitz des öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ET3 und des privaten Makedonia TV; größte Tageszeitung ist Makedonia. Tourismus Die Stadt hat viele interessante Sehenswürdigkeiten vorzuweisen hat und ist urban geprägt. In Ladadika (ehemals Viertel der Olivenölhändler) ist ein Viertel mit vielen traditionellen und auch preiswerten Tavernen und Ouzerien. Die 2011 neu aufgenommene direkte Flugverbindung nach Istanbul durch Turkish Airlines hat die Zahl der türkischen Touristen verdoppelt. Bildungseinrichtungen Thessaloniki verfügt über mehrere Hochschulen: die Aristoteles-Universität Thessaloniki, die Universität Makedonien, die International Hellenic University sowie ein Technisches Ausbildungsinstitut Thessaloniki. Insgesamt gibt es etwa 100.000 Studenten. Daneben existieren Forschungseinrichtungen wie das Institut für Balkanstudien. Öffentliche Verwaltung In Saloniki befand sich bis zu dessen Auflösung 2010 das Ministerium für Makedonien und Thrakien, welches auch für die Ausstellung von Tagesvisa für nichtgriechische Besucher der Republik Athos zuständig war. Dessen Nachfolge ist im Zug der Verwaltungsreform die Dezentrale Behörde für Makedonien und Thrakien angetreten, die im selben Gebäude ihren Sitz hat. Bürgermeister ist seit Juni 2019 Konstantinos Zervas. Das deutsche Nachrichtenmagazin Der Spiegel berichtete im Februar 2012 von Erfolgen seines Vorgängers, Giannis Boutaris, bei der Sanierung der Kommunalverwaltung. Stadtbild Das Wahrzeichen der Stadt ist der Weiße Turm, der aus der venezianischen oder der frühen osmanischen Zeit stammt und wahrscheinlich von venezianischen Baumeistern errichtet wurde; durch die Jahrhunderte diente er den wechselnden Herren als Waffenlager, als Gefängnis für zum Tode Verurteilte, und unter deutscher Besatzung im Zweiten Weltkrieg als Nahrungsmittellager (vornehmlich für die Wehrmacht). In Zeiten der griechischen Souveränität zuvor und danach war er zeitweise Stützpunkt der Luftabwehr, universitäre Wetterstation und bis 1983 Marineschule. Inzwischen wird er als Museum genutzt. Bauwerke der römischen Zeit sind die Reste des Kaiserpalasts mit einem Oktogon, der Galeriusbogen (Kamara) mit Reliefdarstellungen von Szenen aus den Kämpfen des Galerius gegen die Perser 296/297, eine Rotunde, erbaut im 4. Jahrhundert vielleicht als Mausoleum des Galerius, danach orthodoxe Kirche und später Moschee (Reste eines Minaretts), heute Museum. Sie hat einen Kuppelinnendurchmesser von 24,15 m und war bei Erbauung weltgrößte Ziegelkuppel. Daneben gibt es Reste eines Forums (145 × 90 m) mit unterirdischer Stoa unter der Südstoa und mit einem Odeion (Theater). Zu den frühchristlichen und byzantinischen Bauten gehört das Latomos-Kloster Osios David mit einem Mosaik (5. oder 6. Jahrhundert), das einen bartlosen Christus darstellt. Die Kirche bildet einen Vorläufertypus der Kreuzkuppelkirche mit Mosaiken und Malereien vom Ende des 5. bis ins 14. Jahrhundert. Es gibt zahlreiche bedeutende frühchristliche und byzantinische Kirchen. Sie wurden 1988 als frühchristliche und byzantinische Bauten in Thessaloniki in die Liste des Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen. Sie haben teilweise hervorragende Mosaike und Malereien. Darunter sind die Kirche der Agia Ekaterini; die Kapelle der Verklärung des Erlösers (Metamorfosis Sotira); das Vlatades-Kloster, das einzige noch überlebende Kloster von ursprünglich etwa 20 Klöstern der Stadt; die Kirche des Propheten Elias, außerdem umfangreiche und teilweise gut erhaltene Befestigungsanlagen mit zahlreichen Türmen (ursprünglich über acht Kilometer, heute noch etwa vier Kilometer) mit Akropolis und der byzantinisch-osmanischen Zitadelle Heptapyrgion (griechisch , etwa „Siebengetürm“); die Kirche des Heiligen Pandeleimon, eine Kreuzkuppelkirche mit Wandmalereien Ende 13. und Anfang 14. Jahrhundert; die Kirche der Heiligen Apostel (Hagia Apostoloi), eine kreuzförmige Viersäulenkirche mit fünf Kuppeln; die Kirche des Heiligen Demetrios (Agios Dimitrios), des Stadtheiligen, eine fünfschiffige Basilika mit Mosaiken aus dem 7. und 9. Jahrhundert; die Kirche Johannes des Täufers (Agios Ioannis), eine frühchristliche Kirche mit gut erhaltenen Katakomben; die Kirche der Heiligen Sofia (Hagia Sofia), eine dreischiffige Basilika mit Mosaiken aus dem 8. und 9. Jahrhundert; die Kirche der Panagia Acheiropoietos, eine dreischiffige Basilika; die Kirche der Panagia Chalkeon (Kokkini Ekklisia), eine kreuzförmige Viersäulenkirche und Vorbild für viele andere Kreuzkuppelkirchen mit Darstellungen bis ins 14. Jahrhundert; die Kirche des Heiligen Nikolaus des Waisen (Hagios Nikolaos Orfanos). Bauwerke aus osmanischer Zeit sind der Besesteni, ein überdachter Markt mit sechs Kuppeln, der hauptsächlich Tuchhändler und Goldschmiede beherbergte, türkische Bäder (Hamama) wie der Giachounti-Hamam, Bey Hamam, Pascha Hamam (Phönix Hamam), die Moscheen Hamsa-Bey-Tsami, Alatsa-Imaret-Tsami und Yeni Cami (von 1902), der Weiße Turm, griech. Lefkós Pýrgos (Λευκός Πύργος), das Geburtshaus Atatürks sowie das Konak. Kultur Kunstmuseen Das Staatliche Museum für Zeitgenössische Kunst (SMCA) im ehemaligen katholischen Lazaristen-Kloster beherbergt die Sammlung von George Costakis, eine der bedeutendsten Sammlungen der russischen Avantgarde. Sie wurde 1997 vom griechischen Staat anlässlich der Veranstaltungen zur europäischen Kulturstadt erworben. Weiterhin sind auch Werke international bekannter griechischer Künstler zu sehen, z. B. eine Skulptur von Joannis Avramidis. Am Hafen besteht eine Dependance („Warenhaus B1“). 2004–2005 war die Ausstellung „Licht und Farbe in der russischen Avantgarde“ im Martin-Gropius-Bau (Berlin) und im Museum Moderner Kunst Stiftung Ludwig (Wien) zu sehen, die aus Werken der Sammlung Costakis zusammengestellt wurde. Die Städtische Pinakothek ist in einem Jugendstilgebäude untergebracht. Von einer Ikonensammlung abgesehen liegen die Sammlungsschwerpunkte ähnlich wie die des SMCA in der modernen Kunst. Hier finden sich u. a. Werke von Salvador Dalí, Roy Lichtenstein, Lucebert und fast aller national bekannten Künstler. Das Macedonian Museum of Contemporary Art mit 2000 Werken u. a. von Joseph Beuys, Andy Warhol und Niki de Saint Phalle. Daneben gibt es die Teloglion-Kunststiftung mit regelmäßigen Ausstellungen und das Artforum Culture Foundation im Artforum-VILKA-Zentrum mit Ausstellungen griechischer und internationaler Künstler und Jahresausstellungen der Meisterschüler der Aristoteles-Universität. Weitere Museen Die Stadt beherbergt eine große Zahl weiterer Museen, darunter das Museum der Stadt im Weißen Turm, das Archäologische Museum, das Museum der byzantinischen Kultur, ein Kinomuseum, ein Sportmuseum und ein Fotografiemuseum, ein volkskundliches und Ethnologie-Museum, das Museum des Makedonischen Kampfes, das Kriegsmuseum, das Museum der Musikinstrumente, ein Design-Museum (seit 1997 ohne Gebäude, als Wanderausstellung in den Kunstmuseen), ein Wasserwerkemuseum, das Eisenbahnmuseum Thessaloniki, das Nationale kartografische Museum, ein bischöfliches Museum, ein Pfadfindermuseum und ein Radio-Museum. Bedeutend sind weiterhin das Noesis (Wissenschaftszentrum und Technisches Museum) und das Jüdische Museum. Kulturelle Veranstaltungen Das seit 1960 stattfindende Internationale Filmfestival Thessaloniki ist die wichtigste kulturelle Veranstaltung von überregionaler Bedeutung. Die Thessaloniki Biennale of Contemporary Art findet seit 2007 im Staatlichen Museum für zeitgenössische Kunst statt. Konzerte Die Thessaloniki Concert Hall – Megaro Mousikis ist das multifunktionelle Veranstaltungszentrum im Hafen der Stadt. Der große Saal fasst bis zu 1.400 Zuschauer, es finden Konzerte, Ballet-, Opern- und Theateraufführungen statt, sowie Ausstellungen und Konferenzen. Das Gebäude wurde vom japanischen Architekten Arata Isozaki (Pritzker-Preisträger des Jahres 2019), entworfen und im Jahr 2000 eröffnet. Internationale Kulturinstitute Es gibt ein Goethe-Institut, ein Institut français und ein Istituto Italiano di Cultura. Kulinarisches Eine Spezialität aus Stadt und Umland ist das Blätterteigdessert Bougatsa. Sport Die zwei führenden Sportvereine in der Stadt sind PAOK und Aris. Von beiden wird eine Vielzahl an Sportarten angeboten, die wichtigsten Abteilungen sind jedoch Fußball und Basketball. Dort konnten beide Vereine schon mehrere nationale Meistertitel gewinnen und es kommt regelmäßig zu brisanten Stadtderbys. Ein weiterer großer Sportverein ist der Iraklis, dessen Volleyballer fünfmal die griechische Meisterschaft gewannen. Söhne und Töchter der Stadt Bis 1900 Aristarchus von Thessalonice (1. Jh.), einer der 70 Jünger Demetrios von Thessaloniki (3. Jh.), Heiliger der orthodoxen Kirchen und Schutzheiliger der Stadt Porphyrios von Gaza (um 347 – 420), „Apostel“ von Gaza die „Slawenapostel“ Kyrill (um 826 – 869) und Method (um 815 – 885) Georg Maniakes (11. Jh.), General im Byzantinischen Reich Philotheos Kokkinos (14. Jh.), Patriarch von Konstantinopel Isidor von Thessaloniki (um 1385 – 1463), Kirchenpolitiker Theodoros Gazes (um 1410–1475), Humanist und Übersetzer antiker griechischer Schriftsteller Moses ben Joseph di Trani (1505–1585), Talmudgelehrter Lysandros Kaftanzoglou (1811–1885) Architekt Halil Rıfat Pascha (1827–1901), osmanischer Staatsmann und Großwesir Ali Rıza Efendi (1839–1888), osmanischer Beamter und Vater des türkischen Staatsgründers Atatürk Hasan Rami Pascha (1842–1923), osmanischer Militär und Marineminister Mithat Şükrü Bleda (1874–1956), osmanischer Abgeordneter und türkischer Bildungsminister Mustafa Arif Deymer (1874–1957), osmanischer Innenminister und türkischer Gouverneur Dschawid Bey (1875–1926), osmanischer Ökonom, Verleger und Finanzminister Sıtkı Üke (1877–1941), osmanischer Militär und türkischer Abgeordneter Hasan Tahsin Uzer (1878–1939), osmanischer Bürokrat und türkischer Politiker Mustafa Kemal Atatürk (1881–1938), Gründer der modernen Türkei und ihr erster Staatspräsident Ahmet Derviş (1881–1932), osmanischer und türkischer Militär Ahmet Zeki Soydemir (1883–1954), osmanischer und türkischer Militär Makbule Atadan (1885–1956), Autorin und Schwester Atatürks Yusuf Salman (1888–1960), jüdischer Politiker in der Türkei Didier Aslan (1893–1978), armenisch-österreichischer Schauspieler Sabiha Sertel (1895–1968), erste türkische Journalistin Juana Mordó (1899–1984), Kunsthändlerin und Galeristin 1901 bis 1950 Nâzım Hikmet (1902–1963), türkischer Dichter und Dramatiker Maurice Abravanel (1903–1993), US-amerikanischer Dirigent Atanas Daltschew (1904–1978), bulgarischer Dichter, Kritiker und Übersetzer Afet İnan (1908–1985), türkische Historikerin Cahit Arf (1910–1997), türkischer Mathematiker Seyyan Hanım (1913–1989), türkische Sängerin Estrongo Nachama (1918–2000), Oberkantor der Jüdischen Gemeinde Berlin Stephen Kondaks (1919–2005), kanadischer Bratschist und Musikpädagoge Manolis Chiotis (1920–1970), Komponist, Musiker und Sänger Alexander Cambitoglou (1922–2019), australischer Klassischer Archäologe griechischer Abstammung Shlomo Venezia (1923–2012), jüdisch-italienischer Zeitzeuge des Holocaust Manolis Anagnostakis (1925–2005), Dichter des Existenzialismus Yvonne Sanson (1925–2003), griechisch-italienische Filmschauspielerin Saul Amarel (1928–2002), Informatiker Christos Sartzetakis (1929–2022), griechischer Staatspräsident von 1985 bis 1990 Michalis Setatos (1929–2017), Sprachwissenschaftler und emeritierter Professor Nikos Ch. Chourmouziadis (1930–2013), Gräzist und Regisseur Constantin Floros (* 1930), griechisch-deutscher Musikwissenschaftler Georges Dimou (1931–2019), Gastronom, Schauspieler und Schlagersänger David Saltiel (* 1931), Rabbiner der jüdischen Gemeinde von Thessaloniki und Sänger sephardischer Musik Antonios Trakatellis (* 1931), Biochemiker und Politiker Alketas Panagoulias (1934–2012), Fußballspieler und -trainer Petros Themelis (1936–2023), Klassischer Archäologe Marinella (* 1938), Sängerin Dimitrios Pandermalis (1940–2022), Archäologe Vassilis Triandafyllidis (1940–2018), Komiker, Moderator, Kabarettist, Schauspieler und Sänger (Harry Klynn) Michael Witt (1940–2012), deutscher Kirchenmusiker Ioannis Tsoukalas (* 1941), Politiker und Physiker Giannis Boutaris (* 1942), Bürgermeister von Thessaloniki von 2011 bis 2019 Dionysis Savvopoulos (* 1944), Komponist, Musiker und Sänger Giorgos Kechagioglou (* 1947), Neogräzist Chrysoula Saatsoglou-Paliadeli (* 1947), Klassische Archäologin und Abgeordnete im Europäischen Parlament Ab 1951 Nick Nikitakis (* 1955), Jazzgitarrist und Bouzoukispieler Theodoros Kontidis (* 1956), römisch-katholischer Ordensgeistlicher und Erzbischof von Athen Mercouri Kanatzidis (* 1957), Chemiker Notis Marias (* 1957), Politiker Despina Pajanou (* 1958), Fernsehschauspielerin Mihalis Siganidis (* 1958), Jazzbassist John N. Tsitsiklis (* 1958), griechisch-US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Informatiker Sotiris Zarianopoulos (* 1961), Politiker Albert Bourla (* 1961), Tierarzt und Geschäftsmann, Vorsitzender von Pfizer Hermes Hodolides (* 1963), Schauspieler Yorgos Dimitriadis (* 1964), Jazz- und Improvisationsmusiker Konstantinos Zervas (* 1964), Politiker Kyriakos Gouventas (* 1967), Violinist Maria Mavroudi (* 1967), Byzantinistin Anastasia Zampounidis (* 1968), Fernsehmoderatorin Antonis Anissegos (* 1970), Komponist und Pianist Natasa Theodoridou (* 1970), Sängerin Janis Nikos (* 1973), deutsch-griechischer Sänger Evangelia Psarra (* 1974), Bogenschützin Traianos Dellas (* 1976), Fußballspieler Vassilis Lakis (* 1976), Fußballspieler Nikolaos Chatzivrettas (* 1977), Basketballspieler Pantelis Golitsis (* 1977), Philosophiehistoriker Eva Kaili (* 1978), Politikerin Christos Passalis (* 1978), Regisseur und Schauspieler Alexandros Nikolaidis (1979–2022), Taekwondoin Alexandros Alvanos (* 1980), Handballspieler und Trainer Gianna Terzi (* 1980), Sängerin Maria Tsiartsiani (* 1980), Beachvolleyballspielerin Dimitrios Salpingidis (* 1981), Fußballspieler Zoi Tsokanou (* 1981), Dirigentin Giorgos Patis (* 1983), Badmintonspieler Lazaros Christodoulopoulos (* 1986), Fußballspieler Maria Gatou (* 1989), Sprinterin Giannis Papadopoulos (* 1989), Fußballspieler Charoula Dimitriou (* 1990), Fußballspielerin Nikolas Anadolis (* 1991), Jazzmusiker Giorgos Athanasiadis (* 1993), Fußballspieler Giorgos Katidis (* 1993), Fußballspieler Stavroula Samara (* 1994), Rhythmische Sportgymnastin Anna Korakaki (* 1996), Sportschützin Kostas Tsimikas (* 1996), Fußballspieler Anneta Kyridou (* 1998), Ruderin Vangelis Pavlidis (* 1998), Fußballspieler Christina Bourbou (* 2000), Ruderin Maria Kyridou (* 2001), Ruderin Vasilios Pavlidis (* 2002), Fußballspieler Christos Tzolis (* 2002), Fußballspieler Polyniki Emmanouilidou (* 2003), Sprinterin Politik Partnerstädte Literatur Niki Eideneier, Hans Eideneier (Hrsg.): Thessaloniki. Bilder einer Stadt. Mit einer Einleitung von I. K. Hassiotis und Zeittafel. Romiosini-Verlag, Köln 1992, ISBN 3-923728-46-8. Lilli Herschhorn (Hrsg.): Zuflucht Saloniki: Die Sepharden im osmanischen Exil. Eine Auswahl (1492–1556) aus Joseph Nehamas „Histoire des Israélies de Salonique“. Bochum 2005, ISBN 3-89911-025-0. Bea Lewkowicz: The Jewish Community of Salonika. History, Memory, Identity. (englisch) Vallentine-Mitchell, Middlesex 2006. Mark Mazower: Salonica, City of Ghosts: Christians, Muslims and Jews, 1430–1950, (englisch) Alfred A. Knopf, New York 2004, ISBN 0-375-41298-0. Joseph Nehama: Histoire des Israélites de Salonique, 6 Bände. Paris/Saloniki 1935–1978. Weblinks Offizielle Website von Thessaloniki Einzelnachweise Ort in Zentralmakedonien Gemeinde in Zentralmakedonien Ort mit Seehafen Antike makedonische Stadt Märtyrerorte Griechenlands Ort im Neuen Testament Makedonien (Griechenland) Hauptort einer Verwaltungseinheit Hochschul- oder Universitätsstadt
Q17151
441.736867
4018791
https://de.wikipedia.org/wiki/Osnabr%C3%BCck
Osnabrück
Osnabrück (, westfälisch Ossenbrügge, älteres Platt Osenbrugge, lateinisch Osnabruga) ist eine Großstadt in Niedersachsen und Sitz des Landkreises Osnabrück. Die kreisfreie Stadt ist ein Oberzentrum Niedersachsens und Mittelpunkt des Osnabrücker Landes. Mit rund 167.000 Einwohnern ist sie nach Hannover, Braunschweig und Oldenburg die viertgrößte Stadt Niedersachsens und ist damit auch die größte westfälische Stadt auf niedersächsischem Boden. Die ca. 28.000 Studenten von Universität und Hochschule machen etwa 14 % der Gesamtbevölkerung aus. Die Stadt entstand im Frühmittelalter um den Bischofssitz des 780 gegründeten Bistums Osnabrück, der an einem Knotenpunkt alter Handelsstraßen lag. Im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit war Osnabrück Hansestadt, genauer eine Prinzipalstadt des westfälischen Quartiers der Hanse. Bekannt wurde Osnabrück, gemeinsam mit dem ca. 50 km entfernten Münster, auch als Ort der Unterzeichnung des Westfälischen Friedens von 1648. Laut eigener Aussage gilt in Osnabrück noch heute im Rahmen des Friedensgedankens der Leitsatz „Frieden als Aufgabe – dem Frieden verpflichtet“, der das kulturelle und politische Leben in der Stadt bestimme. Dies soll auch durch den Slogan Osnabrück – Die Friedensstadt verdeutlicht werden, der z. B. im Corporate Design der Stadt Osnabrück verwendet wird. Nach dem Wiener Kongress setzte eine „Entwestfalisierung“ in Osnabrück und Umland ein (siehe Geschichte Westfalens). Die westfälische Prägung Osnabrücks ist jedoch immer noch an dem von der einheimischen Bevölkerung gesprochenen Standarddeutsch, an der Architektur in und um Osnabrück sowie der regionalen Küche (siehe Westfälische Küche) deutlich zu erkennen. Osnabrück liegt auch heute im Schnittpunkt wichtiger europäischer Wirtschaftsachsen. Dadurch entwickelte sich die Stadt zu einem Logistikzentrum. Zudem hat sich eine bedeutende Auto-, Metall- und Papierindustrie angesiedelt. Im Jahr 2022 stand Osnabrück auf Platz 48 der größten Städte Deutschlands. Geografie Geografische Lage Die Stadt liegt im südwestlichen Niedersachsen an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen, in das Osnabrück mit dem teilweise umgebenden Landkreis Osnabrück hineinreicht. Dieser Teil Niedersachsens wird an drei Seiten von Nordrhein-Westfalen umschlossen, wobei Osnabrück nur an seiner Westseite direkt an Nordrhein-Westfalen grenzt. Osnabrück und der Landkreis Osnabrück bilden zusammen die Region Osnabrücker Land, diese ist aus dem historischen Hochstift Osnabrück entsprungen. Zur benachbarten westfälischen Region des Tecklenburger Landes besteht eine enge Beziehung sowohl wegen der Nähe als auch in historischem Zusammenhang. So ist Osnabrück das wichtigste Oberzentrum für das Osnabrücker und Tecklenburger Land und für weitere Bereiche im Umfeld. Osnabrück liegt im Schnittpunkt wichtiger europäischer Wirtschaftsachsen in Nord-Süd- und Ost-Westrelation. Sie werden im Autobahnnetz und im Schienennetz sichtbar. Durch die Verkehrserschließung entwickelte sich die Stadt zu einem bedeutenden Logistikzentrum im nordwesteuropäischen Raum. Benachbarte Großstädte sind im Uhrzeigersinn von Norden Oldenburg, Bremen, Hannover, Bielefeld, Dortmund, Münster und Enschede (Niederlande). Osnabrück ist deutschlandweit die einzige Großstadt, die in einem Naturpark liegt: Der Natur- und Geopark TERRA.vita umschließt die Stadt und reicht in das Stadtgebiet hinein. Osnabrück befindet sich im Osnabrücker Hügelland, das im Norden durch das Wiehengebirge und im Süden durch den Teutoburger Wald begrenzt wird. Die Ausläufer prägen die Stadt unmittelbar, da sich eine Vielzahl von Erhebungen in Osnabrück befindet. Die höchste ist der Piesberg mit 188 Metern, der für seinen ehemaligen Steinkohleabbau und das Industriemuseum bekannt ist. Allgemeiner liegt Osnabrück im Niedersächsischen Bergland, das sich von der Norddeutschen Tiefebene abgrenzt. Die Höhenlage am Neumarkt (Innenstadt) beträgt 64 m über Normalnull. Der höchste Punkt der Stadt befindet sich am Piesberg bei 188 Metern über dem Meeresspiegel, der tiefste Punkt liegt am Fluss Hase in Pye bei 54 Metern über dem Meeresspiegel. Die Stadtgrenze ist 79,5 km lang. Nördlich des Wiehengebirges beginnt die Norddeutsche Tiefebene mit der Dümmer-Geestniederung. Das Osnabrücker Nordland ist geprägt von Endmoränen und ausgedehnten Moorlandschaften sowie Geest. Südlich des Teutoburger Waldes befindet sich ebenfalls ein Teil der Norddeutschen Tiefebene, die Westfälische Bucht. Geografischer Mittelpunkt der Stadt Der geografische Mittelpunkt der Stadt liegt auf dem Breitengrad 52°16′39″ Nord, Längengrad 8°02′51″ Ost. An der Stelle auf dem Herrenteichswall wurde 2016 eine rote Kugel auf einem Betonsockel errichtet. Direkt neben dem Punkt verläuft die Hase mit dem Haseuferweg. Am Mittelpunkt überquert der Conrad-Bäumer-Weg die Hase und führt zum nahen Gymnasium Carolinum und dem Osnabrücker Dom. An der Brücke weist eine Tafel auf den Mittelpunkt hin. Geologie Erdbeben Durch die südlich der Stadt verlaufenden Osning-Störungszone sind in Osnabrück Erdbeben möglich, jedoch sehr selten. Im weiteren Umland gab es die historischen Erdbeben von Bielefeld (1612) sowie am 3. September 1770 in Alfhausen. Durch den Bergbau in Ibbenbüren gab es in den letzten Jahrzehnten drei Beben mit einer Stärke von mehr als 4 auf der Richterskala, welche auch in Osnabrück gespürt werden konnten: 13. Juli 1981, 16. Mai 1991 und am 6. Januar 2003. Endlagersuche Schon bei der 1. Etappe der Endlagersuche in Deutschland wurden große Teile von Osnabrück als untauglich für ein Atomares Endlager eingestuft. Zwar sind in Osnabrück sowohl Tonsteinschichten und Salzablagerungen zu finden, jedoch sind diese zu geringmächtig oder durch die zahlreichen geologischen Störungen des Osnabrücker Berglandes ungeeignet. Zudem sind in und um Osnabrück zahlreiche Altbergbaustandorte zu finden, in welchen sowohl Steinkohle als auch verschiedene Erze gefördert wurden. Lediglich ein kleiner Teil von Hellern könnte in der zweiten Etappe möglicherweise genauer betrachtet werden. Gewässer Fließgewässer Das Hauptgewässer in Osnabrück ist die Hase samt den Nebenflüssen Belmer Bach, Nette und Düte. Die Hase ist nach wasserwirtschaftlicher Bedeutung ein Gewässer 2. Ordnung und innerhalb Osnabrücks nicht schiffbar. Sie erreicht Osnabrück von Osten aus Richtung Melle in Voxtrup. Im Bereich Fledder mündet der rechte Nebenfluss Belmer Bach in die Hase, der vom namensgebenden Belm kommt. Kurz darauf spaltet sich die Hase für rund zwei Kilometer in zwei getrennte Flussarme, die Klöckner Hase und die Neue Hase. Diese bilden somit praktisch eine Insel, auf der bis 1989 das Stahlwerk Osnabrück stand und heute das Gewerbegebiet Hasepark liegt. Nachdem die Innenstadt durchflossen ist, nimmt sie im Stadtteil Hafen den rechten Nebenfluss Nette auf. Die im Osnabrücker Bergland entspringende Nette fließt aus nordöstlicher Richtung durch den Stadtteil Haste, ehe sie nach Unterdükerung des Stichkanals bei den Papierwerken Kämmerer in die Hase mündet. Danach fließt die Hase weiter bis zur nordwestlichen Stadtgrenze bei Eversburg. Bezugnehmend auf den Fluss wird die Stadt Osnabrück auch gelegentlich als Hasestadt bezeichnet. Die Düte fließt aus südlicher Richtung durch die Stadtteile Sutthausen, Hellern und Atter, um hier nach der Dütebrücke am Attersee das Osnabrücker Stadtgebiet zu verlassen und das benachbarte Lotte zu erreichen. Weiter nördlich mündet sie zwischen Wallenhorst und Wersen in die Hase. Starke Regenfälle durch das Tief Cathleen führten im August 2010 zu erhöhten Wasserständen der Fließgewässer Osnabrücks. In einigen Stadtteilen und den angrenzenden Gemeinden kam es zu Überschwemmungen, was die Ausrufung des Katastrophenalarms zur Folge hatte. Seen Die beiden größten Seen Osnabrücks sind der Rubbenbruchsee und der Attersee. Während der Rubbenbruchsee vorwiegend von Spaziergängern und Joggern zur Naherholung genutzt wird, bietet der Attersee ein ausgeprägtes Camping- und Freizeitgelände und ist der einzige Badesee im Stadtgebiet. Beide sind künstlich geschaffene Baggerseen. Kleinere Stillgewässer finden sich im gesamten Stadtgebiet, Beispiele sind der Pappel- und der Wüstensee im Stadtteil Wüste. Oft erfüllen sie die Funktion eines Regenrückhaltebeckens. Wasserstraßen Im Flusstal der Hase verläuft parallel zu ihr der Stichkanal Osnabrück, eine 14,5 km lange künstliche Bundeswasserstraße, die den Mittellandkanal bei Bramsche mit dem Hafen im gleichnamigen Stadtteil von Osnabrück verbindet. Der eigentliche Kanal als Bundeswasserstraße ist 13,0 km lang und endet im oberen Vorhafen der Schleuse Haste, die verbleibende Reststrecke wird zum Stadthafen Osnabrück gezählt. Weiter nördlich am Kanal befinden sich der Ölhafen sowie der Piesberger Hafen. Stadtgliederung Das Osnabrücker Stadtgebiet erstreckt sich über 119,8 km². Offiziell leben in Osnabrück 164.748 Menschen, das einer Bevölkerungsdichte von 1375,2 Einwohnern pro km² entspricht. Das Stadtgebiet Osnabrücks ist in 23 Stadtteile unterteilt, die fortlaufend nummeriert sind. Ihre Namen entspringen meist historisch überlieferten Bezeichnungen oder der geographischen Lage. Teilweise wurden auch mehrere frühere Ortschaften zu einem Stadtteil vereinigt. Jeder Stadtteil gliedert sich weiter in Statistische Bezirke, von denen jeder mit einer dreistelligen Nummer bezeichnet wird. Eine noch kleinräumigere Gliederung besteht mit der statistischen Unterteilung in Baublöcke. Die 23 Stadtteile mit ihren amtlichen Nummern (Stand: 31. Dezember 2017): Die einzelnen Stadtteile haben im Laufe der Zeit einen eigenen Charakter entwickelt. Während sich beispielsweise in der Innenstadt, dem Hafen und im Fledder primär der Einzelhandel, Gewerbe und Industrie angesiedelt haben, stellen Hellern oder das Widukindland klassische Wohngebiete mit großem Anteil an Ein-Familien-Haushalten dar. Westlich der Innenstadt ist das Wohngebiet dichter besiedelt und von Altbauten und Mietwohnungen geprägt. Während sich im Bereich Westerberg eine bürgerliche Klientel angesiedelt hat, bewohnen die Wüste und die Weststadt Studenten sowie jüngere Familien und Einzelhaushalte. An den Stadtgrenzen hingegen ist das Gebiet teilweise ländlich geprägt, Schinkel und Schinkel-Ost sowie Eversburg wurden durch ihre Geschichte als Arbeiterviertel beeinflusst. Flächennutzung Die 119,80 km² große Stadt Osnabrück teilt sich in folgende Flächennutzungen auf (Stand 31. Dezember 2016): Nachbargemeinden Osnabrück befindet sich an der Grenze zu Nordrhein-Westfalen. Der Großteil der Nachbargemeinden befindet sich im niedersächsischen Landkreis Osnabrück, die Gemeinde Lotte liegt im nordrhein-westfälischen Tecklenburger Land (Kreis Steinfurt). Osnabrück weist als Wirtschafts- und Dienstleistungszentrum einen relativ hohen Pendlersaldo auf; über 59 % der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten pendeln zur Arbeit in die Stadt. Der Ballungsraum Osnabrück hat rund 281.000 Einwohner. Entfernungsangaben beziehen sich auf die Luftlinie von Ortsmittelpunkt zu Ortsmittelpunkt. Wetter und Klima Osnabrück liegt in der gemäßigten Klimazone. Auf den 1900 Hektar Waldfläche innerhalb des Stadtgebiets herrscht daher Laubmischwald vor. Bestimmend sind West- und Nordwestwinde, die im Sommer kühles und im Winter mildes regnerisches Wetter mit sich bringen. Die Wetterlage ist eher unbeständig. Die Jahresdurchschnittstemperatur beträgt 9,4 °C im langjährigen Mittel, wobei der Januar mit 1,8 °C der kälteste, der Juli mit durchschnittlich 17,6 °C der wärmste Monat ist. Die Winter sind etwas milder als in Ost- oder Süddeutschland, die Sommer aber entsprechend kühler, wobei nicht nur Sommergewitter, sondern auch lang anhaltende Regenperioden vorkommen können. Osnabrück hat jährlich mit 856 mm relativ viel Niederschlag und liegt über dem Bundesdurchschnitt. Dabei halten sich Winter- und Sommerregen die Waage. Insgesamt verteilt sich der Niederschlag auf durchschnittlich 122 Regentage im Jahr. Wetterstationen ehemalige Wetterstation des DWD am Ziegenbrink (1952–2010), Verlegung der Station nach Belm in 2010 Wetterdatenaufzeichnung durch die Luftmessstation am Ziegenbrink Wetterstation der Meteomedia am Campus Haste privat betriebene Wetterstation am Westerberg Stadtbild Das Bild der Innenstadt ist von Kirchen (Turmhöhen bis zu 103,5 Meter: St. Katharinen) geprägt. Im nördlichen Teil der Innenstadt, zwischen der Kathedrale Dom St. Peter und Heger Tor, erstreckt sich die historische Altstadt mit dem Rathaus des Westfälischen Friedens. Hier finden sich viele Gebäude des Klassizismus wie das Haus Tenge aus dem Jahr 1813/1814. In der Altstadt finden sich zudem Gebäude des Rokoko sowie Häuser aus der Zeit, als in der Stadt noch in Fachwerkbauweise gebaut wurde. Zu den Fachwerkhäusern gehört das 1690 erbaute Hotel Walhalla. Der dreieckige Marktplatz mit dem Rathaus des westfälischen Friedens und der Kirche St. Marien ist mittelalterlich geprägt. Zudem konnten in Osnabrück um die 150 romanische und gotische Steinwerke nachgewiesen werden, von denen viele gut erhalten sind. Das sind mehr als in jeder anderen Stadt Deutschlands, Osnabrück wird daher auch die Hauptstadt der Steinwerke genannt. Besonders zu nennen ist der Ledenhof, ein Steinwerk mit Palas gegenüber dem ehemals fürstbischöflichen Barockschloss. Am Domhof befindet sich das Theater Osnabrück, ein Jugendstil-Gebäude von 1909. Im Jugendstil ausgemalt ist die Lutherkirche in der Südstadt. Sie wurde als Tochterkirche der spätgotischen Hallenkirche St. Katharinen, der mit 103,5 m höchsten Kirche der Stadt, gebaut. Von historischer Bedeutung ist das ehemalige Dominikanerkloster, dessen Kirche heute als Kunsthalle genutzt wird. Die Fußgängerzone im mittleren Teil der Innenstadt schließt an die Altstadt an und bildet die Haupteinkaufsstraße (Große Straße und vorderer Teil der Johannisstraße). Neben wenigen Gebäuden, die den Krieg überstanden haben, dominieren hier moderne Zweckbauten. Zwischen der Alt- und Neustadt (südliche Innenstadt) befindet sich der Neumarkt. Früher ein zentraler Marktplatz der Stadt ist er heute durch eine vierspurige Straße zerschnitten und dient als Verkehrsknotenpunkt und Haupt-Busbahnhof. Fußgänger konnten zwischen 1964 und 2001 den Neumarkt nicht ebenerdig überqueren, sondern mussten durch einen unterirdischen Fußgängertunnel gehen. Dieser als Neumarktpassage betitelte Tunnel wurde angelegt, um die Stadt autogerecht zu gestalten. Nachdem ab dem Jahr 2001 wieder übertägiges Queren des Platzes möglich war, sank die Bedeutung des Tunnels, sodass er 2012 geschlossen und 2014–16 abgerissen sowie verfüllt wurde. Nördlich des Neumarkts, im Bereich Wittekindstraße und Berliner Platz, haben sich Unternehmen des Dienstleistungs- und Finanzsektors mit moderner Baustruktur und gläsernen Fassaden angesiedelt. Die Neustadt bietet besonders im Bereich um die ehemalige Stiftskirche St. Johann noch alte Bausubstanz. Auf dem früheren Kirchhof von St. Johann steht die denkmalgeschützte Abluftsäule, die eine unterirdische Toilettenanlage be- und entlüftet. Südlich des Platzes steht das ehemalige Neustädter Rathaus. Die Innenstadt wird von einem nierenförmigen Stadtring umschlossen, der den Autoverkehr aufnimmt. Von diesem so genannten Wall gehen sternförmig die Haupt-, Ein- und Ausfallstraßen der Stadt ab. Sieben Türme, eine Wallanlage und zwei Mauern säumen den Stadtring, der ein Überbleibsel der alten Stadtbefestigungen ist. Der heutige Wall umfasst, gegen den Uhrzeigersinn, den Hasetor-, Natruper-Tor-, Heger-Tor-, Schloss-, Johannistor- und Petersburgerwall sowie den Konrad-Adenauer-, Goethe- und Erich-Maria-Remarque-Ring. Eine Kombination Altem mit Neuem stellt die Vitischanze dar, in der moderne Architektur auf eine alte Stadtbefestigung gesetzt wurde. Hier war bis 2007 ein Teil der Spielbank untergebracht. Zwischenzeitlich wurde das Gebäude vom Studiengang Industrial Design der Hochschule Osnabrück genutzt. Das höchste Bauwerk ist das Iduna-Hochhaus aus der ersten Hälfte der 1970er Jahre mit 20 Stockwerken. Bis nah an den Stadtkern reichen rundum Grün- und Waldflächen, die auch als Naherholungsgebiete dienen. Dieses Konzept der „grünen Finger“ entstand in den 1920er Jahren durch den damaligen Stadtbaurat Lehmann, der sich damit durchsetzte, dass Wald- und Naherholungsbereiche von außen als grüne Lunge bis hinein an den Stadtkern erhalten blieben. Auch bei der jetzigen Flächennutzungsplanung werden zusätzlich unter dem Gesichtspunkt des Klimaschutzes die grünen Finger weiter berücksichtigt. Osnabrück ist die größte Stadt Deutschlands, die inmitten eines Naturparks liegt, dem Natur- und Geopark TERRA.vita. Geschichte Vorgeschichte Jungsteinzeit Im Bereich der heutigen Sandforter Straße im Stadtteil Voxtrup verlief etwa von der Jungsteinzeit bis zum Mittelalter eine Altstraße, die dem Handel diente und dort die Hase durch eine Furt kreuzte. In der näheren Umgebung der Furt liegen mehrere jungsteinzeitliche Großsteingräber, wie die Gretescher Steine, die Sundermannsteine und die Teufelssteine, sowie weitere Grabstätten. 2016 wurde in dem Gebiet der rund 5000 Jahre alte Kupferhort von Lüstringen gefunden. Auch an anderen Orten im heutigen Stadtgebiet finden sich Spuren menschlicher Aktivität aus der Jungsteinzeit. Antike Das heutige Osnabrücker Land lag in der Antike in Germania magna, also dem Einfluss- und Siedlungsgebiet der Germanen nördlich des Römischen Reichs. Lange Zeit versuchten die Römer, ihren Einflussbereich nach Norden auszudehnen. Die Auseinandersetzungen mit den Germanen fanden um 9 n. Chr. ihren Höhepunkt in der Varusschlacht, in der der cheruskische Feldherr Arminius mit germanischen Kämpfern drei römische Legionen unter dem Befehl von Publius Quinctilius Varus vernichtete. Die Schlacht selbst oder ein mit ihr in Verbindung stehendes Kampfereignis fand vermutlich in der Fundregion Kalkriese nördlich von Osnabrück statt. Insbesondere die 1990 in Kalkriese gefundene römische Helmmaske wurde zum Symbol der Varusschlacht im Raum Osnabrück. Mittelalter Bistumsgründung Zur Zeit der Sachsenkriege Karls des Großen wurden erste Bistümer im Sachsenland gegründet, so auch das Bistum Osnabrück an der Hase. 783 besiegte Karl in der Schlacht an der Hase bei Osnabrück den Sachsenherzog Widukind, in der Folge wurden die Sachsen christianisiert und ihr Gebiet fortan durch die Franken beherrscht. Um 785 wurde die erste Kirche am Ort des Bischofssitzes der Osnabrücker Diözese geweiht, sie war eine erste Vorgängerin des heutigen Doms St. Peter. 804 soll Karl der Große auch die Bistumsschule Carolinum gegründet haben, die Urkunde, die dies belegen soll, gilt aber als Fälschung aus dem 11. Jahrhundert. Entstehung der Stadt Nach der Teilung des Fränkischen Reiches durch den Vertrag von Verdun 843 gehörte das Stammesherzogtum Sachsen und damit Osnabrück zum Ostfrankenreich. Der Ortsname wird erstmals 851 als Osnabrugga erwähnt; er bezeichnete einen Übergang über die Hase, das Vorderglied geht wahrscheinlich auf einen früheren Namen des Flusses, rekonstruiert als *Ausana oder *Ausena, zurück. Der Siedlungskern um den Bischofssitz herum wurde mit Wällen und Wassergräben als Domburg ausgebaut, innerhalb derer auch die heutigen Plätze Domhof und Große Domsfreiheit lagen. Trotz der Befestigung wurde Osnabrück um 880, durch Normannen überfallen und die Domburg samt Kirche zerstört. Um 900 wurde der Missionsstützpunkt wieder aufgebaut. Ungefähr zur gleichen Zeit erhielt das Bistum das Marktrecht. Der Markt fand zunächst innerhalb der Domburg statt, da der Platz dort jedoch bald nicht mehr ausreichte, wurde westlich außerhalb der Befestigung auf einer inselartigen Sandkuppe der Marktplatz angelegt. Dort entstand die Vorgängerkirche der heutigen Marienkirche. Damit auch der Marktbereich gegenüber der Umgebung abgegrenzt und vor Angreifern geschützt war, wurde die Stadtbefestigung im 11. Jahrhundert erweitert, sie umfasste dann den Bereich zwischen dem heutigen Straßenzug Krahnstraße–Bierstraße–Lohstraße im Westen und der Hase im Osten. 1011 wurde südlich außerhalb der Stadtmauern die Johanniskirche als Kirche für die dort ansässigen Bauernhöfe gegründet. Nach einem Brand in der Domkirche um 1100, die dadurch stark beschädigt worden war, wurde der Sitz der Osnabrücker Bischöfe in das Schloss Iburg verlegt. Ab dem 12. Jahrhundert baute man den Dom nach und nach bis zu seiner heutigen Größe und Gestaltung aus. Durch das Wachstum der Bevölkerung wurde der Platz innerhalb der Stadtmauern erneut knapp und auch vor der Befestigung siedelten sich Menschen an. Diese organisierten sich in Gruppierungen, aus denen die Laischaften hervorgingen. Der Bereich innerhalb der Stadtbefestigung wurde zu dieser Zeit als Binnenburg, der außerhalb als Butenburg bezeichnet (vgl. niederdeutsch binnen = drinnen, buten = draußen). Im 12. Jahrhundert wurde die Stadtbefestigung erneut vergrößert, auf die Ausmaße des heute als Altstadt bekannten Gebietes innerhalb der Straßen Hasemauer, Bocksmauer, Rolandsmauer und Neuer Graben sowie der Hase. Verleihung des Stadtrechts, Entstehung des Hochstifts 1171 erhielt Osnabrück in einer Urkunde von Friedrich I. „Barbarossa“, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, das Gerichts- und somit auch das Stadtrecht. Als Folge dessen entstand als erstes Rathaus der Stadt der Vorgängerbau des sogenannten Alten Rathauses auf der Südseite des Marktplatzes, an der Stelle der heutigen Stadtbibliothek. Den Gerichten des Bistums Osnabrück, wie z. B. dem Gogericht, das vor dem Dom abgehalten wurde, stand der sächsische Herzog Heinrich der Löwe vor. Möglicherweise geht das Löwenpudeldenkmal vor dem Dom auf diese Gerichte zurück. Nachdem Heinrich dem Löwen die Herrschaft über das Herzogtum Sachsen mit der Gelnhäuser Urkunde von 1180 entzogen worden war, ging die Vogtei und die Gerichtsbarkeit in der Diözese Osnabrück an die Grafen von Tecklenburg. Da dies zu Machtstreitigkeiten zwischen den Tecklenburger Grafen und den Osnabrücker Bischöfen führte, sprach König Heinrich (VII.) 1225 die Gerichtsbarkeit dem Osnabrücker Bischof zu. 1236 trat der Graf von Tecklenburg, nach einer Auseinandersetzung mit dem Erzbistum Köln, auch die Vogtei, also die weltliche Herrschaft über die Diözese Osnabrück, an den Bischof ab. Dadurch entstand das Hochstift Osnabrück, auch Fürstbistum Osnabrück genannt. Das Gebiet des Hochstifts entsprach weitgehend der Ausdehnung des heutigen Osnabrücker Landes, ihm gehörte jedoch noch das Amt Reckenberg als Exklave an. Weitere Entwicklungen des 13. Jahrhunderts Anfang des 13. Jahrhunderts wurde der Bucksturm als Wachturm an der Stadtmauer errichtet. Im Turm war das Städtische Gefängnis untergebracht. Aus dieser Zeit stammt auch das ursprüngliche Heger Tor, eine aus Turm, Tor, Bastion, Zwinger und Durchfahrt bestehende Wehranlage. Für das später an dieser Stelle errichtete Waterloo-Tor hat sich im Volksmund der Name Heger Tor bis heute gehalten. Der Bau der heute gotischen Pfarr- und Marktkirche St. Marien begann ebenfalls im 13. Jahrhundert und war 1430/40 abgeschlossen. Auch die Johanniskirche erhielt einen Neubau, der 1293 geweiht wurde. Um die Kirche herum hatte sich, unabhängig von der Altstadt, ein eigener Ort entwickelt, der folglich Neustadt genannt wurde. Der Ort war ebenfalls durch eine Stadtmauer befestigt, die an jene der Altstadt angrenzte und etwa entlang der heutigen Straßen Schloßwall, Johannistorwall, Petersburger Wall, Pottgraben und Kollegienwall verlief. Um sich gegenseitig vor möglichen Repressalien durch die Bischöfe als Landesherren zu schützen, gründete Osnabrück 1246 mit den anderen westfälischen Städten Coesfeld, Herford, Minden und Münster den Ladbergener Städtebund. 1265 erhielt neben der Alt- auch die Neustadt vom Bischof das Recht, eigene Gerichte abzuhalten, das Marktrecht erhielt sie jedoch nie. Im Jahr 1268 trat Osnabrück dem Werner Städtebund mit Dortmund, Lippstadt, Münster und Soest bei. 1287 wurde in der Neustadt, auf dem heutigen Neumarkt, ein Augustinerkloster angesiedelt. Vereinigung von Alt- und Neustadt Da sich die beiden parallel entstandenen Städte immer weiter annäherten und auch die Neustädter den Markt in der Altstadt nutzen mussten, wurde am 3. August 1306 die Vereinigung beschlossen. Die Befestigung am Neuen Graben, die die beiden Städte trennte, wurde abgerissen und die Verwaltung unter einen gemeinsamen Magistrat gestellt, der im Alten Rathaus tagte und jährlich am ersten Werktag nach Neujahr von den Bürgern gewählt wurde. Das Rechtsverhältnis zwischen Alt- und Neustadt sowie die Befugnisse des Magistrats wurden in der ersten Osnabrücker Stadtverfassung, der Sate, 1348 festgelegt. In ihrer Tradition wird noch heute der Handgiftentag gefeiert. Die Neustadt durfte laut Sate einzelne Verwaltungsaufgaben, wie die niedere Gerichtsbarkeit, den Wegebau und eine eigene Finanzverwaltung, selbstständig durchführen und behielt dafür einen eigenen Rat. Deshalb wurde auch in der Neustadt ein eigenes Rathaus, das Neustädter Rathaus, südlich der Johanniskirche gebaut. Um 1350 wütete in Osnabrück der Schwarze Tod. Da, wie auch andernorts, Juden als Sündenböcke der Epidemie ausgemacht wurden, wurde die jüdische Bevölkerung der Stadt in Pestpogromen dezimiert. Auch die Neuansiedlung in Osnabrück war Juden in der Folgezeit nur eingeschränkt möglich. Landwehr Um die städtische Feldmark, also die Teile des Stadtgebietes, die außerhalb der Stadtbefestigung lagen, vor Feinden, Viehdieben und Räubern zu schützen, wurde zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert eine Landwehr errichtet. Diese lag einige Kilometer vor den Stadtmauern und bildete einen Ring von rund 18 Kilometern Länge. Im Westen, Süden und Osten bestand die Landwehr aus je zwei bis drei parallelen Wällen und Gräben, im Südosten und Norden erfüllten teilweise die Flussläufe der Hase und der Nette die Funktion der Landwehr. An den Stellen, an denen Straßen die Landwehr kreuzten, befanden sich Warttürme, z. B. der Heger Turm (Rheiner Landstraße) und der Wulfter Turm (Sutthauser Straße). Auch die Wasserburg in Eversburg war Teil der Landwehr. Handel im Spätmittelalter Die Handelsherren aus Osnabrück handelten mit Bremen und Hamburg seit dem Ende des 13. Jahrhunderts sowie mit Friesland (über Oldenburg), den Niederlanden (über Nordhorn), Lübeck sowie London. Osnabrücker Kaufleute beteiligten sich auch bei der Gründung des Kontors Peterhof in Nowgorod. Die Beziehungen beruhten zunächst ausschließlich auf dem Tauschhandel und wurden durch die Kaufleute selbst organisiert. Zunehmend wurde der Handel jedoch durch die Städte organisiert, die sich in einzelnen Bündnissen zusammenschlossen. Die westfälischen Städtebünde aus dem 13. Jahrhundert, an denen auch Osnabrück beteiligt war (siehe oben), können als Vorläufer der Städtehanse angesehen werden. Osnabrück schloss sich der Hanse 1412 durch die erstmalige Teilnahme an einem Hansetag an und profitierte von der Mitgliedschaft in der handelspolitischen Großmacht. Osnabrück gehörte als Hauptort (Prinzipalstadt) zum westfälischen Quartier der Hanse. Zu einem bedeutenden Osnabrücker Handelsgut entwickelte sich Leinen. Maße und Qualität aller Leingewebe, die in der Stadt gehandelt werden sollten, mussten ab 1404 durch die Legge geprüft und mit dem Leggestempel in Form des Osnabrücker Rades versehen werden. Die hohe Qualität des Osnabrücker Leinen machten den Leggestempel der Stadt zu einem überregionalen Gütesiegel. Mit dem Osnabrücker Siegel versehenes Leinen erzielte am Markt höhere Preise, sodass auch die Leinenhändler aus anderen Städten ihre Ware bei der Osnabrücker Legge prüfen ließen und das Siegel oft gefälscht wurde. Die Stadt wurde dadurch zu einem international bedeutsamen Handelsort für Leingewebe. Zwischen 1450 und 1452 wurde Osnabrück vorübergehend vom Handel der Hanse ausgeschlossen, da die Stadtvertreter den Hansetagen zuvor mehrmals unentschuldigt ferngeblieben waren. Als der Handel mit den Niederlanden und England nachließ, da diese zunehmend unabhängig von der Hanse agierten, wurden neue Absatzgebiete in Süddeutschland und in Norditalien erschlossen. Bürgeraufstand 1488 Von 1477 bis 1504 war Ertwin Ertman (1430–1505) Bürgermeister der Stadt. In seiner Zeit entstand zwischen 1487 und 1512 das spätgotische Rathaus Osnabrück. Der ab 1482 amtierende Bischof Konrad IV. von Rietberg verstrickte die Stadt in Fehden, was ihn und die Stadtbürger finanziell belastete. Einzelne Bürger unter der Leitung des armen Schneidermeisters Johann Lenethun waren darüber so unzufrieden, dass sie im Geheimen weitere Bürger gegen den Stadtrat und den Bischof aufwiegelten. Am 28. August 1488 eskalierte die Situation, als die Bürger sich bewaffneten und zusammen mit der Stadtwache den Marktplatz besetzten, das Kloster Gertrudenberg plünderten und die Zäune um die bischöflichen Besitztümer abbrannten. Anschließend zwangen sie Bürgermeister Ertman, ihre Forderungen umzusetzen. Dieser trat darüber in Verhandlungen mit dem Bischof, was die Lage im Laufe der nächsten Monate beruhigte. Lenethun versuchte vergeblich, den Aufstand neu anzuzetteln. Der Rat nutzte eine Gelegenheit, ihn zu ergreifen, und ließ ihn am 15. Juni 1489 auf dem Marktplatz durch Enthauptung hinrichten. 1500 bis 1648 Seit der Reichsreform und der Schaffung von Reichskreisen im Jahre 1500 gehörte das Hochstift Osnabrück zum Niederrheinisch-Westfälischen Reichskreis. Erneuter Bürgeraufstand 1525 1525 kam es erneut zu einem Bürgeraufstand, der von den Gilden ausging und sich vor allem gegen das Domkapitel richtete. Die 20 Forderungen, die die Gildemeister aufstellten, waren verschiedenster Natur. Die Bürger mit ihren Anführern Johann von Oberg und Johann Ertman (Sohn von Ertwin Ertman) versammelten sich am 29. Mai vor dem Rathaus. Zwar stand die Stadtwache, anders als noch 1488, auf der Seite des Rates, konnte jedoch nicht die folgenden Plünderungen und Gewalttaten gegen Geistliche verhindern. Erst als der Bischof, Erich von Braunschweig-Grubenhagen, mit schweren Waffen und Söldnern den Aufstand niederschlagen wollte, stoppten die Gewalttaten. Ertman wurde im Bucksturm festgesetzt, während von Oberg aus der Stadt flüchten konnte. Die Stadt musste 6000 Gulden als Strafzahlung entrichten, Ertman wurden 500 Gulden auferlegt. Reformation Nach dem Reichstag zu Worms im Jahre 1521 hielt der Augustinermönch Gerhard Hecker, der den Reformator Martin Luther persönlich kannte, die ersten evangelischen Predigten Westfalens im Kloster am Neumarkt. Kaiser Karl V. sendete 1528 einen Brief nach Osnabrück, in dem er mahnte, der bisherigen (katholischen) Glaubenslehre treu zu bleiben. Der in Osnabrück tätige Reformator Adolf Clarenbach wurde vom Rat aus der Stadt vertrieben und später in Köln inhaftiert und hingerichtet, da er nicht von seinen Ansichten abrücken wollte. Auch der Domkaplan Johannes Pollius musste die Stadt verlassen. Anfang 1529 kam eine Epidemie, der sogenannte Englische Schweiß, nach Osnabrück und forderte viele Opfer. Im April 1530 wurde bei einem Stadtbrand ein großer Teil der Altstadt vernichtet. Etliche Gebäude, die der Brand verschont hatte, wurden im Juli 1530 durch einen heftigen Sturm zerstört. Auch die Obst- und Getreideernte wurde dabei teilweise vernichtet, was hohe Lebensmittelpreise zur Folge hatte. Diese Katastrophen wurden von den Menschen als Gottesstrafen gedeutet; von den einen dafür, dass sich die Protestanten von der alten Glaubenslehre abgewandt haben, von den anderen dafür, dass die Anhänger der alten Lehre an ihren überholten Ansichten festhalten. Ab 1532 predigte Dietrich Buthmann in Osnabrück die evangelische Lehre und konnte einen größeren Anhang hinter sich versammeln. Er verteidigte seine Ansichten öffentlich gegen einen katholischen Geistlichen, der ihm inhaltlich nichts entgegenzusetzen hatte. Die Gunst der Bürger machte Buthmann zum Priester an der Marktkirche St. Marien, und auch an der Katharinen- und Johanniskirche wurden von da an evangelische Prediger beschäftigt. Nach dem Tod von Bischof Erich 1532 wurde Franz von Waldeck zu seinem Nachfolger gewählt, der dem reformatorischen Streben in der Stadt wiederum ein vorübergehendes Ende bereitete und protestantische Prediger aus der Stadt vertrieb. Hecker durfte bleiben, starb jedoch 1536. Der Bischof, der vor seinem Amtsantritt gelobt hatte, die alte Glaubenslehre zu schützen, und noch 1535 die protestantische Täuferherrschaft in Münster gewaltsam beendete, war jedoch kein überzeugter Gegner der Reformation, sondern handelte wahrscheinlich eher aus politischen Motiven. Ab 1542 sympathisierte er mit dem proreformatorischen Schmalkaldischen Bund. Im selben Jahr genehmigte er dem Osnabrücker Rat, die Reformation durchzuführen, und übereignete der Stadt das Augustiner-, Barfüßer- und Dominikanerkloster. Der Rat bat den aus Quakenbrück stammenden Lübecker Superintendenten Hermann Bonnus nach Osnabrück, der im Januar 1543 eintraf und eine erste evangelische Kirchenordnung für die Stadt verfasste. An St. Marien und St. Katharinen wurden nun auch offiziell evangelische Pfarrer angestellt. Johannes Pollius kehrte nach Osnabrück zurück und wurde Stadtsuperintendent. Nachdem Bonnus auch für das Hochstift eine neue Kirchenordnung verfasst hatte, kehrte er nach Lübeck zurück und starb dort 1548. Obwohl die Reformation in Osnabrück vergleichsweise behutsam umgesetzt wurde (es wurden beispielsweise die Beichte und die traditionelle Priesterkleidung beibehalten), gab es auch Kritik aus der Bevölkerung, vor allem an der Auflösung der Klöster und dem Umgang mit den Ordensbrüdern. Nach der Zerschlagung des Schmalkaldischen Bundes 1547 und dem Erlass des Augsburger Interim 1548 durch Karl V. musste die Stadt die Klöster schließlich an den Bischof zurückgeben. Trotz der im Augsburger Religionsfrieden 1555 getroffenen Regelung Cuius regio, eius religio, die es dem Landesherrscher, in diesem Fall einem katholischen Bischof, erlaubte, die Konfession seiner Untertanen festzulegen, konnte sich eine Rückkehr zum alten Glauben in der Osnabrücker Bevölkerung nicht durchsetzen. Katastrophenjahre ab 1575 1575 brach erneut die Pest in Osnabrück aus und tötete innerhalb von zweieinhalb Jahren mehrere tausend Menschen. An die Pest schloss sich eine Pockenepidemie an. Eine starke Missernte im Jahr 1579 löste 1580 eine Hungersnot aus. Diesen Ereignissen fielen rund 75 % der damaligen Stadtbevölkerung zum Opfer, die noch aus weniger als 10.000 Menschen bestanden hatte. Auch in den folgenden Jahrzehnten wütete mehrmals die Pest in der Stadt, so in den Jahren 1597–1599 und 1609. Am 11. März 1613 wurden große Teile der Stadt durch einen Brand zerstört, neben hunderten Häusern auch das Dominikanerkloster, die Marienkirche und die Stadtwaage. Parallel dazu herrschten wirtschaftliche Schwierigkeiten, was auch an dem langsamen Niedergang der Hanse ablesbar ist (1606 wurde der Osnabrücker Johann Domann zum letzten Syndikus der Hanse bestellt). Weil dadurch die Zahl der Armen stieg, kaufte der Stadtrat 1619 den Tecklenburger Hof in der Großen Gildewart und richtete dort ein Armen- und Waisenhaus ein. Hexenverfolgung In der Frühen Neuzeit wurden in Osnabrück vermeintliche Hexen und Zauberer verfolgt, in Prozessen verurteilt, gefoltert und hingerichtet. Da für die Katastrophen der Jahre ab 1575 auch Hexen verantwortlich gemacht wurden, gelten die folgenden Jahre als Schwerpunkte der Hexenverfolgungen in Osnabrück. Allein in der Regierungszeit des Bürgermeisters Hammacher (1565–1588) wurden 163 Frauen als Hexen hingerichtet, die meisten verbrannt. Unter dem Bürgermeister Pelster fanden gegen Ende des Dreißigjährigen Krieges zwischen 1636 und 1639 mehr als 40 Frauen als Hexen den Tod. Insgesamt wurden 276 Frauen und zwei Männer in Hexenprozessen wegen Zauberei hingerichtet. Der Einsatz des evangelischen Pfarrers von St. Marien und Stadtsuperintendenten Gerhard Grave gegen die vom evangelisch dominierten Stadtrat durchgeführten Hexenprozesse hatte seine spätere Vertreibung aus der Stadt zur Folge. Die Hexenverfolgungen endeten im Zuge der aufkommenden Aufklärung. Am 25. September 2012 sprach der Rat der Stadt Osnabrück eine symbolische Rehabilitation der Opfer der Hexenprozesse aus. Dreißigjähriger Krieg Im Vorfeld des Ausbruchs des Dreißigjährigen Krieges wurden Westfalen und das Hochstift Osnabrück bereits durch Kriegshandlungen des Niederländischen Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier beeinträchtigt. So wurden ab 1590 mehrmals Orte des Hochstifts von durchziehenden Truppen überfallen und ausgeplündert, Osnabrück selbst hielt jedoch Stand. Nach Beginn des Dreißigjährigen Krieges rüstete Osnabrück seine Befestigungen weiter auf und stellte eigene Soldaten zur Verteidigung der Stadt ein. In den ersten Kriegsjahren schaffte es Osnabrück vor allem durch Diplomatie und Geldzahlungen, Drohungen und Besatzungen der Kriegsparteien abzuwenden und somit offiziell neutral zu bleiben. Dies hatte jedoch den Nachteil, dass um 1624 ein Ersuchen der Stadt an den Kaiser, den Titel „Freie Reichsstadt“ führen zu dürfen, abgelehnt wurde. Innerhalb der Stadt wuchsen Konflikte des protestantischen Rates und Bürgertums mit dem Domkapitel und dem amtierenden Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg, der auf der Seite der Katholischen Liga stand. Nachdem die katholischen Truppen die protestantischen Dänen unter König Christian IV. stark zurückdrängen konnten, war die Neutralität aufgrund der katholischen Übermacht nicht mehr aufrechtzuerhalten, weshalb sich Osnabrück 1628 kampflos einnehmen ließ. Die Stadt musste anschließend Besatzungstruppen aufnehmen und versorgen, was die Bürger schwer belastete. Der Bischof nutzte die veränderten Machtverhältnisse, um Osnabrück zu rekatholisieren: er ließ die Klöster wiederaufleben und die evangelischen Prediger mussten ihre Posten und die Stadt verlassen. Die evangelische Ratsschule, die im Nachgang der Reformation als Gegenpol zur katholischen Domschule (Carolinum) gegründet worden war, musste schließen. Kinder durften ausschließlich katholisch getauft werden. Da größere Erfolge bei der Rekatholisierung der Stadtbevölkerung allerdings ausblieben, ließ der Bischof südlich der Stadt die Zitadellenfestung Petersburg errichten, um die Bürger besser überwachen zu können. Bei den Ratswahlen Anfang 1629 intervenierte Franz Wilhelm und sorgte durch Strafandrohung für die Wahl eines mehrheitlich katholischen Stadtrates. Die alten Ratsherren mussten, da sie sich weigerten, die Konfession zu wechseln, ebenfalls die Stadt verlassen. Im gleichen Jahr gründete er im vormaligen Augustinerkloster am Neumarkt eine Jesuitenuniversität, die 1632 eröffnet wurde. Mit dem Kriegseintritt der protestantischen Schweden unter Gustav II. Adolf und ihrem Sieg bei Breitenfeld 1631 änderte sich die Kriegslage. Schwedische Truppen unter Befehl von Georg von Braunschweig-Lüneburg besetzten 1633 kurzzeitig das Stift Osnabrück, was die nun offiziell katholische Stadt und ihre Besatzer in den Alarmzustand versetzte. Nach der Schlacht bei Hessisch Oldendorf zog die geschlagene kaiserliche Armee von Graf von Bronckhorst-Gronsfeld nach Osnabrück und verlangte um Einlass, um sich neu gruppieren zu können, der ihr durch den Bischof auch gewährt wurde. Wenig später kam erneut die Schwedische Armee unter Dodo von Knyphausen und begann den Angriff auf die Stadt. Nach rund zweiwöchiger Belagerung, der die Stadtmauern standhielten, stimmten die zahlenmäßig unterlegenen Besatzer Verhandlungen zu. Am 12. September verließ die Führungsriege die Stadt, Teile der Besatzungstruppen zogen sich auf die Petersburg zurück und die Stadt wurde durch die Schweden eingenommen. Die kaiserlichen Soldaten auf der Petersburg wurden noch einige Wochen belagert und beschossen und kapitulierten schließlich, da sie keine Hilfe von außerhalb erhielten. Die Schweden zogen ab, nachdem die Stadt ihre finanziellen Forderungen erbrachte, ließen aber auch eine Besatzung zurück. In der Folgezeit wurden die kirchlichen und politischen Verhältnisse aus der Zeit vor der Rekatholisierung weitgehend wiederhergestellt. Als schwedischer Administrator des Hochstifts wurde Gustav Gustavson eingesetzt, Bischof Franz Wilhelm hatte sich nach Köln abgesetzt. Die Jesuitenuniversität wurde wieder aufgelöst. Die kaiserlichen Truppen konnten bis 1636 das Stift Osnabrück zurückerobern, ließen von einem Versuch der Rückeroberung der Stadt jedoch ab. Abgesehen von der fortwährenden Besatzung blieb Osnabrück für den Rest des Krieges vom Kriegsgeschehen weitgehend unberührt. Westfälischer Friede Wohl aufgrund der vergleichsweise geringen Zerstörungen wurden Münster und Osnabrück 1641 in den Hamburger Präliminarien zu den Kongressorten für Friedensverhandlungen bestimmt. Für den Zeitraum der Verhandlungen wurden die beiden Städte und ein sie verbindender Korridor zu neutralem Gebiet erklärt. Dies führte dazu, dass die schwedische Garnison Osnabrück bis zum Verhandlungsbeginn 1643 verlassen musste. Die Gesandten der katholischen Seite residierten in Münster, die protestantischen in Osnabrück. Die Friedensverhandlungen fanden auch im Osnabrücker Rathaus statt. Die Anwesenheit der Gesandten brachte es unter anderem mit sich, dass in der Stadt erstmals eine Straßenreinigung eingeführt wurde. Ein erneuter Versuch der Erlangung der Reichsunmittelbarkeit scheiterte, stattdessen erreichte man 1647 die Erlaubnis zur Schleifung der Petersburg, die zeitnah umgesetzt wurde. Im August 1648 konnte der Friedensvertrag von Osnabrück (Instrumentum Pacis Osnabrugensis, IPO) verabschiedet werden, der den Friedensschluss zwischen dem deutschen Kaiser und Schweden beinhaltete. Nachdem der Westfälische Friede am 24. Oktober 1648 in Münster unterzeichnet worden war, wurde er einen Tag später von der Osnabrücker Rathaustreppe den Menschen verkündet. 1648 bis 1800 Fürstbischöfe mit wechselnder Konfession Nach dem Friedensschluss von 1648 wurde zur Klärung der kirchlichen und weltlichen Verhältnisse das Jahr 1624 als „Normaljahr“ festgelegt. Da in diesem Jahr das Hochstift Osnabrück weder klar katholisch, noch klar protestantisch war, wurde auf dem Nürnberger Exekutionstag 1650 die sogenannte „Immerwährende Kapitulation“ (Capitulatio Perpetua Osnabrugensis) als Sonderregelung beschlossen. Demnach wechselten sich von nun an katholische und evangelische Fürstbischöfe mit der Herrschaft über das Hochstift ab (alternative Sukzession). Die katholischen Bischöfe wurden dabei wie bisher vom Domkapitel gewählt, die evangelischen Landesherren kamen aus dem Herzogtum Braunschweig-Lüneburg. Die Konfessionszugehörigkeit der Untertanen blieb davon unberührt. Das Hochstift Osnabrück wurde damit der erste konfessionell-paritätische Staat auf dem Gebiet des heutigen Deutschlands. Mit dem Tod Bischof Franz Wilhelms 1661 wurde Ernst August I. von Braunschweig-Lüneburg, jüngster Sohn von Georg von Braunschweig-Lüneburg, zum neuen Fürstbischof. Er residierte zunächst, wie seine Vorgänger, im Iburger Schloss. Da dieses jedoch seinen Ansprüchen an Komfort und Sicherheit nicht gerecht wurde, beschloss er seinen Umzug nach Osnabrück. In der Stadt fand sich ebenfalls kein repräsentatives Gebäude, sodass Ernst August ein Grundstück am Neuen Graben erwarb und dort ab 1667 das Schloss Osnabrück im Stil des Barock als neue Residenz errichten ließ. Noch vor der endgültigen Fertigstellung des Schlosses samt seiner Nebengebäude und seines Gartens verließ Ernst August mit seiner Familie die Stadt 1679 wieder, um die Nachfolge im Fürstentum Calenberg anzutreten. Am 29. Mai 1669 nahm Osnabrück als eine von neun Städten am letzten Hansetag in Lübeck teil, wobei der Städtebund zwar nicht offiziell aufgelöst wurde, danach aber auch nicht mehr in Erscheinung trat. Ernst Augusts katholischer Nachfolger als Fürstbischof, Karl III. Joseph von Lothringen, bewohnte ebenfalls das Osnabrücker Schloss. Er ließ 1714 die erste Chaussee des Hochstifts nach Bad Iburg anlegen (die heutige Bundesstraße 51), schaffte es aber in der kurzen Amtszeit (1698–1715) vor seinem Tod trotz guter Kontakte in seine Geburtsstadt Wien nicht, die Politik der Stadt nachhaltig zugunsten der Katholiken zu prägen. Als zweiter evangelischer Fürstbischof des Hochstifts wurde 1715 Ernst August II. von Hannover, jüngster Sohn Ernst Augusts I., gewählt. Er ließ das Schloss weiter ausbauen und versuchte, nach der Theorie des Merkantilismus, die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt durch den Bau neuer Produktionsstätten zu fördern. 1727 gab er den Bau eines Lustschlosses vor den Toren der Stadt in Auftrag, das den Namen Augustenburg tragen sollte. Hieran erinnert die heutige Augustenburger Straße im Stadtteil Weststadt. Am 22. Juni 1727 starb der amtierende britische König Georg I., der Bruder von Ernst August II., auf der Reise von England nach Hannover im Osnabrücker Schloss. Nachfolger von Ernst August II. wurde 1728 Clemens August von Bayern, der gleichzeitig Erzbischof von Köln war und viele weitere Hochstifte regierte. Da er hauptsächlich in Bonn residierte, bildete Ferdinand von Kerssenbrock seinen Vertreter vor Ort, der auf der Eversburg wohnte. Ende 1715 erhielt der Organist, Kapellmeister und Komponist Paul Ignaz Liechtenauer eine Anstellung am Dom zu Osnabrück, die er bis zu seinem Tod 1756 behielt. Siebenjähriger Krieg In Clemens Augusts Amtszeit fiel der Beginn des Siebenjährigen Krieges. Im Verlauf des Krieges musste Osnabrück mehrmals Truppen beider Kriegsparteien beherbergen und bewirten sowie hohe Geldzahlungen leisten und hatte unter Plünderungen der Soldaten zu leiden, was mit der Zeit zu hoher Verschuldung und Verarmung der Stadt und ihrer Bewohner führte. Als nachteilig für die Stadt stellte sich dabei die Tatsache heraus, dass ein katholischer Fürstbischof eine nach wie vor mehrheitlich evangelisch geprägte Bevölkerung regierte, weshalb beide Kriegsparteien sie als feindlich betrachteten. Außerdem hätte sich die Stadtbevölkerung deutlich schlechter gegen Angriffe und Belagerungen zur Wehr setzen können als noch im Dreißigjährigen Krieg, da die Stadtbefestigung nach dem Friedensschluss von 1648 nicht mehr gepflegt worden und teils verfallen war. Die Stadttore wurden deshalb bei heranziehenden Truppen nicht mehr geschlossen und die Stadt konnte stets kampflos besetzt werden. Im Vorfeld der Schlacht bei Minden sammelte im Juli 1759 Herzog Ferdinand von Braunschweig-Wolfenbüttel, Oberbefehlshaber der alliierten hannoverschen, britischen und preußischen Truppen, seine Verbände in und um Osnabrück. Erst nach dem Tod Clemens Augusts im Februar 1761 stand Osnabrück offiziell auf der Seite der Alliierten, wurde danach bis zum Kriegsende 1763 aber noch dreimal von französischen Truppen überfallen. Die Verdienste Justus Mösers Zum Nachfolger Clemens Augusts und damit zum letzten Fürstbischof von Osnabrück wurde im Februar 1764 der erst sechs Monate alte Friedrich August, Herzog von York und Albany, zweiter Sohn des britischen Königs Georg III., gewählt. Da ein so junges Kind freilich noch keine Amtsgeschäfte führen kann, beauftragte Georg III. zwei Mitglieder der Adelsgeschlechter Von Lenthe und Von dem Bussche mit der Vertretung seines Sohnes und stellte ihnen den erfahrenen Osnabrücker Juristen Justus Möser (1720–1794) zur Seite. Da sich die beiden Geheimräte mit der Regierung des Hochstifts nichts auskannten, führte de facto Möser die meisten Amtsgeschäfte. Trotz seiner guten Kontakte zum englischen Hof wurde Möser die Regierung jedoch nicht offiziell übertragen, da er nicht adelig war. Neben verschiedenen Ämtern betätigte sich Möser als Historiker und Schriftsteller und veröffentlichte 1768 die Osnabrückische Geschichte, eine erste Abfassung über die Geschichte und Rechtsbeschaffenheit der Stadt und des Hochstifts. Außerdem gab er ab 1766 die Osnabrückischen Intelligenz-Blätter heraus, eine wöchentlich erscheinende Zeitung mit behördlichen und privaten Anzeigen sowie einem von Möser selbst verfassten Aufsatzteil, in dem er u. a. Regionales über Wirtschaft, Politik, Kultur und das Alltagsleben der damaligen Menschen schrieb. Zu den Lesern zählte Johann Wolfgang von Goethe. Eine Sammlung der Aufsätze erschien 1774 unter dem Namen Patriotische Phantasien. 1783 übernahm offiziell Friedrich August die Regierung des Hochstifts, setzte jedoch einen Geheimen Rat zur Führung der Amtsgeschäfte ein, dem Möser als Geheimer Justizrat angehörte. In diese Zeit fällt der Bau der Fürstbischöflichen Kanzlei neben dem Dom als Regierungsgebäude. Der Leinenhandel der Stadt, der seit dem Beginn der Frühen Neuzeit unter nachlassender Qualität und schlechter Wirtschaftslage gelitten hatte, lebte aufgrund einer Verschärfung der Leggeregeln und der Erschließung der neu gegründeten Vereinigten Staaten als neuem Absatzmarkt wieder auf. Dabei wurde sich auch an Empfehlungen aus Mösers Aufsätzen orientiert. Der wirtschaftliche Aufschwung, der auch andere Wirtschaftsbereiche umfasste, bescherte der Stadt zum Ende des 18. Jahrhunderts bescheidenen Reichtum. Indirekt profitierte man dabei im Rahmen des sogenannten „Dreieckshandels“ vom atlantischen Sklavenhandel. 1800 bis 1945 Mit der Säkularisation kirchlicher Besitztümer durch den Reichsdeputationshauptschluss von 1803 und dem Übergang des Hochstifts zum Fürstentum Osnabrück kam auch die Stadt an das Kurfürstentum Hannover, wurde jedoch 1803 von französischen Truppen besetzt. Im Jahr 1805 wurde das letzte Mal städtisches Kupferkleingeld (1 Heller, 1-, 1½-, 2- und 3-Pfennigstücke) geprägt. 1806 gehörte Osnabrück für kurze Zeit zu Preußen. 1807 kam die Stadt an das vom französischen Kaiser Napoleon I. (Bonaparte) geschaffene Königreich Westphalen und am 10. Dezember 1810 zum Kaiserreich Frankreich. Als eines von vier Hanseatischen Departements war Osnabrück von 1811 bis 1813 der Sitz des Departement der Oberen Ems, in dem alle vorher trennenden Landesgrenzen aufgehoben wurden und das bis ca. 30 km nach Süden sowie bis über 50 km nach Norden, Westen und Osten reichte. Nach der Abdankung Napoleon Bonapartes im Frühjahr 1814 fiel der überwiegende Teil des Ober-Ems-Departements an das im Zuge des Wiener Kongresses im Oktober 1814 geschaffene Königreich Hannover. Etwa 400 Osnabrücker Soldaten nahmen am 18. Juni 1815 an der Schlacht bei Waterloo teil, die Napoleons Herrschaft der Hundert Tage beendete. Zu Ehren dieser Krieger stiftete Gerhard Friedrich von Gülich das 1817 errichtete Waterloo-Tor am Heger Tor, ein Triumphtor mit der Inschrift: „Den Osnabrückischen Kriegern die bei Waterloo den 18. Juni 1815 deutschen Muth bewiesen widmet dieses Denkmal G. F. v. Gülich D.R.D.“ (sic). 1843 wurde das sogenannte Festungsgebot aufgehoben, das es zuvor verboten hatte, außerhalb der Osnabrücker Stadtbefestigung Gebäude zu errichten. Die Stadtmauern als Mittel zur Verteidigung gegenüber Angreifern waren aufgrund der Entwicklung moderner Feuerwaffen nutzlos geworden und wurden geschleift. Im Zuge des Bevölkerungswachstums und der Industrialisierung führte dies in den kommenden Jahrzehnten zu einer starken räumlichen Ausdehnung der Stadt in alle Richtungen. Entlang der ehemaligen Befestigung wurde ein Boulevard angelegt, die heute als Wallring bezeichnete Ringstraße um die Innenstadt. Von den Stadtmauern sind lediglich Reste vorhanden, darunter mehrere Wehrtürme und der Herrenteichswall. Mit der Eröffnung der Hannoversche Westbahn am 21. November 1855 in Richtung Hannover und am 19. Juni 1856 in Richtung Rheine wurde Osnabrück an das Netz der Eisenbahn angeschlossen. An dieser Bahnstrecke lag mit dem Hannoverschen Bahnhof der erste Personen- und Güterbahnhof der Stadt, welcher als Baudenkmal noch heute erhalten ist. Mit der Inbetriebnahme der Hamburg-Venloer Bahn am 1. September in Richtung Münster und am 15. Mai 1873 in Richtung Hemelingen wurde mit dem Bremer Bahnhof am Klushügel ein weiterer Bahnhof eingerichtet. Der Abstand der Bahnhöfe untereinander verkomplizierte den Umstieg, sowie der Bau der Oldenburger Südbahn und des Haller Willem brachten die beiden Bahnhöfe an ihre Kapazitätsgrenzen. 1895 wurde durch Kaiser Wilhelm II. der neue Centralbahnhof als Turmbahnhof am Kreuzungspunkt der Bahnstrecken eingeweiht. 1860 wurde die Osnabrücker Aktien-Bierbrauerei am Westerberg gegründet, die bis 1987 Getränke produzierte und 1992 abgerissen wurde. Anfang der 1870er Jahre nahm das Osnabrücker Stahlwerk seinen Betrieb auf, welches bis 1989 existierte. Als Folge des Deutschen Krieges 1866 ging das Königreich Hannover und damit auch Osnabrück in der preußischen Provinz Hannover auf. Von 1880 bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches 1918 erhielt Osnabrück Repräsentation im Preußischen Herrenhaus durch den jeweiligen Oberbürgermeister. Als erstes öffentliches Badehaus in Osnabrück wurde 1883 das Pottgrabenbad eröffnet. Nach der Schließung des Schwimmbads in 1998 wurde es zur Diskothek Alando umgebaut. Die Stadt wurde 1885 zu einem Stadtkreis sowie zum Sitz des neu gegründeten Regierungsbezirks Osnabrück und ist bis heute Kreisstadt des ebenfalls 1885 geschaffenen Landkreises Osnabrück. Aus den beiden Freizeitmannschaften Antipodia Osnabrück und Minerva Osnabrück wurde am 17. April 1899 der FC 1899 Osnabrück gegründet, aus dem später der VfL Osnabrück hervorging, welcher der größte und bedeutendste Sportverein für die gesamte Region ist. Im selben Jahr wurde das Vereinshaus am Kollegienwall eröffnet, das heute auch als Alte Stadthalle bekannt ist und im Zweiten Weltkrieg vollständig zerstört wurde. 1905 wurde die Osnabrücker Synagoge in der Rolandstraße gebaut. 1906 nahm die Straßenbahn mit anfangs zwei Linien ihren Betrieb auf. 1916 lief das erste Schiff vom Mittellandkanal kommend über den Stichkanal Osnabrück in den neu gebauten Stadthafen ein, damit war Osnabrück auch an das Wasserstraßennetz angeschlossen. 1930 richtete Osnabrück den 22. Niedersachsentag des Niedersächsischen Heimatbundes aus. Der Kaufmann Herbert Eklöh eröffnete am Jürgensort 6/8 in der Osnabrücker Innenstadt im Jahr 1938 den ersten SB-Supermarkt in Deutschland. Nationalsozialismus Eine Ortsgruppe der NSDAP bestand schon seit Mitte der 1920er Jahre. Den ersten Sitz im Stadtrat konnte sie 1928 mit Otto Marxer besetzten. Von 1932 bis 1945 war die Partei in der Villa Schlikker am Heger-Tor-Wall ansässig. Das Gebäude war der NSDAP von dem vorherigen Besitzer zur Verfügung gestellt worden. Offiziell hieß das Gebäude zu dieser Zeit „Adolf-Hitler-Haus“, wurde im Volksmund jedoch „Braunes Haus“ genannt. Nach der Machtergreifung der NSDAP im Januar 1933 hielt auch in Osnabrück vermehrt der Nationalsozialismus Einzug, was mit einer antijüdischen Haltung einherging und zur Verfolgung der Osnabrücker Juden führte. Am Abend der Landtagswahl in Preußen am 5. März 1933 wurde durch die Nationalsozialisten auf dem Neumarkt eine Verbrennung von Flaggen durchgeführt. Die verbrannten Flaggen, welche aus dem Schinkel und Sonnenhügel hergeholt wurden, stammten von der demokratischen Linken und galten als Symbole der Weimarer Republik. Am 11. März besetzte die Osnabrücker SS kurzzeitig das Gewerkschaftshaus am Kollegienwall. Bei der Besetzung wurde eine Tafel mit der Beschriftung „SS–Heim“ über dem Eingang angebracht. Kurz darauf wurde das Gebäude der Polizei übergeben, jedoch einige Tage später erneut durch die SS besetzt, als SPD-Mitglieder die Hakenkreuzfahne auf dem Dach entfernten und in die Hase warfen. Am 2. Mai 1933 wurde, wie auch an anderen Orten im Deutschen Reich, das Gewerkschaftshaus endgültig besetzt und die Gewerkschaftsfunktionäre in Schutzhaft genommen. Auch die Osnabrücker Sozialdemokratin Alwine Wellmann wurde verhaftet. Einer der anwesenden SS-Männer war der spätere Kriegsverbrecher Gustav Sorge. Der Chefredakteur der sozialdemokratisch geprägten Osnabrücker Tageszeitung Freie Presse, Josef Burgdorf, wurde am 1. April 1933 durch die SA verhaftet, misshandelt und mit Schlägen und Tritten durch die Große Straße getrieben. Während dieses Spießrutenlaufs musste er ein Schild mit der Aufschrift: „Ich bin Ilex“ tragen. Unter dem Pseudonym Ilex (Stechpalme) hatte er vor der Machtergreifung Zeitungsartikel veröffentlicht, welche gegen die NSDAP gerichtet waren. Das 1910 in der Osnabrücker Innenstadt (Große Straße 34) eröffnete Kaufhaus Alsberg war in der Bevölkerung sehr geschätzt – auch für die Mode der Goldenen Zwanziger Jahre. Da die Inhaber Juden waren, wurde es 1935 zwangsweise verkauft und seitdem als Modehaus Lengermann und Trieschmann betrieben. In der Zeit davor wurden alle Kunden, die noch zum Einkauf kamen, fotografiert und in einer Vitrine öffentlich angeprangert. Auch andere Osnabrücker Geschäfte mussten im Rahmen der Arisierung geschlossen oder verkauft werden. Die lokale Abteilung der Geheimen Staatspolizei war im Osnabrücker Schloss ansässig. Im sogenannten Gestapokeller unter dem Schloss wurden Personen inhaftiert und teilweise gefoltert. Während der Novemberpogrome 1938 wurde die Synagoge in der Rolandstraße in Brand gesetzt und noch am selben Tag der Abriss verfügt. Die Juden der Stadt mussten ab 1941 den gelben Judenstern tragen. Am 13. Dezember 1941 fand die erste Deportation von Osnabrücker Juden statt, in der 34 Juden aus der Stadt und 477 weitere aus der Region nach Riga geschafft wurden. Vorher waren sie in der Turnhalle der Pottgrabenschule zusammengetrieben und am Güterbahnhof in Waggons verladen wurden. Die zweite Deportation wurde im Juli 1942 ins KZ Theresienstadt durchgeführt. Die Dritte und letzte der Osnabrücker Deportationen erfolgte am 1. März 1943 direkt ins KZ Auschwitz-Birkenau. Mit diesem Transport wurde auch das letzte Judenhaus in der Kommenderiestraße aufgelöst. Zweiter Weltkrieg Während des Zweiten Weltkrieges verursachten die 79 Luftangriffe auf Osnabrück schwere Schäden. Osnabrück war dabei ein „beliebtes“ Ziel britischer Bomberverbände, da es von Großbritannien aus schnell zu erreichen war und zudem auf der Rückflugroute von weiter im Landesinneren gelegenen Zielen lag. Das Stadtgebiet wurde zu mehr als 65 Prozent zerstört; die mittelalterliche Altstadt war mit 94 Prozent am stärksten betroffen. Einige der Luftschutzbunker, die in jenen Tagen angelegt wurden, stehen bis heute. Von mehreren über das Stadtgebiet verteilten Flakstellungen aus wurde versucht, die feindlichen Bomberverbände abzuwehren, die Stellungen befanden sich z. B. auf dem Westerberg und in der Gartlage. Der erste Angriff mit Sprengbomben erfolgte am 23. Juni 1940 auf das Klöckner-Stahlwerk im Fledder. Während zunächst hauptsächlich militärische und industrielle Ziele wie Fabriken und der Hauptbahnhof angegriffen wurden, wurde das Bombardement ab 1942 im Rahmen der Area Bombing Directive zunehmend auch auf die Wohngebiete ausgedehnt. Der Palmsonntag am 25. März 1945 ging als Qualmarum (abgeleitet von Palmarum) in die Geschichte der Stadt ein, als die 4. und 8. britischen Bombergruppe am Vormittag den 79. und letzten Luftangriff auf die Stadt flogen. Bei diesem Luftangriff, der zu den schwersten auf die Stadt geflogenen zählt, wurden 178 Personen getötet. Kriegsende 1945 Letzte unter Befehl stehende Verbände der Wehrmacht hatten sich bis zum 3. April in Richtung Belm abgesetzt. Auch die Führungsriege der örtlichen NSDAP, darunter der Oberbürgermeister Erich Gaertner, NSDAP-Kreisleiter Fritz Wehmeier und der vorherige Kreisleiter Wilhelm Münzer, verließ fluchtartig die Stadt und überließ sie ihrem Schicksal. Am Stadtrand ermordete einer der drei die Bäuerin Anna Daumeyer, welche bezichtigt wurde, eine weiße Flagge gehisst zu haben. Dieses Endphaseverbrechen wurde nie geahndet. In Eile aufgestellte Volkssturmverbände und die Polizei, welche zur Verteidigung der Stadt herangezogen werden sollten, lösten sich durch Flucht der Volkssturmmänner auf oder wurden nach Hause geschickt. Die Magazine des Heeresverpflegungsamtes am Hafen und die verlassenen Kasernen wurden von Osnabrückern und Zwangsarbeitern geplündert. Bei der Plünderung einer Schnapsfabrik soll sich eine Explosion mit rund 30 Todesopfern ereignet haben. Viele Menschen suchten in Erwartung von Kämpfen um die Stadt einen der zahlreichen Luftschutzbunker auf, die hier zum letzten Mal genutzt wurden. Am Morgen des 4. April 1945 besetzten britische und kanadische Truppen Osnabrück. Der Einmarsch der alliierten Soldaten erfolgte aus Richtung Westen und verlief weitgehend kampflos, nur einzelne deutsche Heckenschützen beschossen sie. Schon ab dem 2. April hatten einige alliierte Verbände die Stadt nördlich umfahren. Briten und Kanadier machten rund 450 Kriegsgefangene. In den folgenden Tagen durchsuchten sie die Wohnungen der Stadtbewohner, beschlagnahmten Waffen und bestimmte Gebrauchsgegenstände wie Fotoapparate. Räumpanzer schufen Schneisen durch die Schuttberge, damit nachrückende Kräfte die Stadt durchqueren konnten. Um weitere Plünderungen unter den Zivilpersonen und den Displaced Persons zu verhindern, wurde eine nächtliche Ausgangssperre verhängt. Seit 1945 Besatzungszeit und Britische Garnison Nach der Kapitulation sah der Bakker-Schut-Plan eine Annexion der Stadt durch die Niederlande vor; diese unterblieb jedoch aufgrund des Widerstandes der Besatzungsmächte USA und Großbritanniens. Unmittelbar nach Kriegsende wurden Besatzungstruppen der Britischen Rheinarmee in Osnabrück stationiert. In den Folgejahren wurde der Standort der Garnison Osnabrück immer weiter ausgebaut. Zwischenzeitlich beherbergte Osnabrück die größte britische Garnison außerhalb des Vereinigten Königreiches – Britische Soldaten und ihre Familienangehörigen gehörten für die Osnabrücker jahrzehntelang zum gewohnten Stadtbild. Am 19. Juni 1989 und 28. Juni 1996 kam es zu Terroranschlägen der irischen Untergrundorganisation IRA auf die britischen Quebec Barracks im Osnabrücker Stadtteil Eversburg, bei denen erheblicher Sachschaden entstand. 2005 beschloss das britische Verteidigungsministerium im Zuge von Umstrukturierungsmaßnahmen die vollständige Auflösung der Osnabrücker Garnison. Der Abzug wurde in den Folgejahren schrittweise umgesetzt. Am 31. März 2009 verließ der letzte britische Standortkommandeur, Colonel Mark Cuthbert-Brown, Osnabrück. Wiederaufbau und jüngere Vergangenheit Nach Kriegsende wurden große Teile der zerstörten Altstadt wiederaufgebaut. Zum 300. Jahrestag der Verkündung des Westfälischen Friedens wurde 1948 das zerstörte Rathaus am historischen Marktplatz wiedereröffnet. Das wiederaufgebaute Stadttheater am Domhof wurde 1950 eingeweiht. Der 33. Niedersachsentag des Niedersächsischen Heimatbundes fand 1951 in Osnabrück statt. Zehntausende Menschen zogen aus diesem Anlass durch die Innenstadt. Osnabrück richtete auch 1962 den Niedersachsentag aus. 1954 wurde die Mehrzweckhalle Halle Gartlage eröffnet, die bis heute ein bedeutender Veranstaltungsort der Stadt ist. Wie in ganz Deutschland setzte in Osnabrück in der Nachkriegszeit die Massenmotorisierung ein. Schon vor der Fertigstellung der Autobahnen führten mit der Bundesstraße 51 und der Bundesstraße 68 zwei wichtige Nord-Süd-Verbindungen durch Osnabrück. Durch die Massenmotorisierung wurde der Autoverkehr maßgebend für die Stadtplanung. Um die Stadt autogerecht zu gestalten, erfolgten viele Neubauten von im Krieg zerstörten Gebäuden außerhalb der historischen Altstadt nicht in den ursprünglichen Grundstücksgrenzen oder bestehende Gebäude wurden abgerissen, sodass breitere Straßenquerschnitte ermöglicht wurden. Beispiele hierfür sind die Dielingerstraße und der Straßenzug Neuer Graben–Neumarkt–Wittekindstraße. Das Konzept autogerechte Stadt wirkte noch lange nach, beispielsweise wurde im Jahr 1991 eine Industriehalle am Petersburger Wall abgerissen, um dort eine Straße verbreitern zu können. Im April 1959 wurde der Flugplatz in der Atterheide eröffnet. Im Mai 1959 eröffnete in einem vorherigen Café an der Herrenteichsstraße direkt am Haarmannsbrunnen der Ocambo-Club, die erste Diskothek der Stadt und eine der ersten in Deutschland. Osnabrück stellte 1960 den Betrieb seiner Straßenbahn ein. Das Osnabrücker O-Bus-Netz wurde 1968 eingestellt. Der Öffentliche Personennahverkehr wurde gänzlich auf den Stadtbus-Verkehr mit Dieselomnibussen umgestellt. Am 5. Mai 1968 (Europatag) erfolgte die Verleihung der Ehrenfahne des Europarates an die Stadt Osnabrück. Am 14. November 1968 erhielt die Stadt durch die Freigabe der Bundesautobahn 1 Anschluss an das Bundesautobahnnetz. Die Fachhochschule Osnabrück wurde 1971 gegründet und erhielt 2010 die Bezeichnung Hochschule Osnabrück. Ab 1972 begann die Einrichtung der Fußgängerzone in der Innenstadt. Die Universität Osnabrück nahm 1974 den Lehrbetrieb auf und hat ihren Sitz im Osnabrücker Schloss. 1977 verlor Osnabrück bei einer Gebietsreform seinen Status als Sitz einer Bezirksregierung, als der Regierungsbezirk Weser-Ems mit Sitz in Oldenburg geschaffen wurde. In Osnabrück verblieb lediglich eine Außenstelle der Bezirksregierung. Zum 1. Januar 2005 wurden alle Regierungsbezirke des Landes Niedersachsen aufgehoben und durch Regierungsvertretungen der Landesregierung ersetzt, die wiederum 2014 in Ämter für regionale Landesentwicklung umgewandelt wurden. 1979 wurde die neue Stadthalle Osnabrück, heute OsnabrückHalle, im Schlossgarten eröffnet. 1980 feierten die Stadt und das Bistum ihr 1200-jähriges Bestehen. Im selben Jahr schloss sich Osnabrück dem Städtebund Neue Hanse an. Am 16. November 1980 besuchte Papst Johannes Paul II. Osnabrück und zelebrierte im Sportstadion an der Illoshöhe vor 140.000 Menschen einen Gottesdienst. 1990 wurde Osnabrück erneut vom Europarat ausgezeichnet, dieses Mal mit der Ehrenplakette. Die 1990 gegründete Deutsche Bundesstiftung Umwelt hat ihren Sitz in Osnabrück und bezog 1995 ihren neuen Verwaltungsbau An der Bornau. Das vom Architekten Daniel Libeskind entworfene Felix-Nussbaum-Haus eröffnete 1998. Das Museum enthält über 180 Werke von Felix Nussbaum und ist damit die umfassendste Sammlung des Osnabrücker Künstlers. Die 350-Jahr-Feier von 1998 anlässlich der Verkündung des Westfälischen Friedens führte zahlreiche Monarchen und Staatsoberhäupter zum Besuch in die Stadt. Osnabrück feierte 1999 den 100. Geburtstag des Künstlers Friedrich Vordemberge-Gildewart mit zwei Ausstellungen. 2000 wurde Osnabrück externer Standort der Weltausstellung Expo 2000. Seit April 2002 ist das Steinwerk Ledenhof Sitz der Deutschen Stiftung Friedensforschung. Ab dem 25. November 2005 wurde Osnabrück und die umliegenden Regionen mehrere Tage vom Münsterländer Schneechaos heimgesucht, wobei es in der Stadt zu extremem Schneefall und teilweiser Unterbrechung der Stromversorgung kam. 2006 war Osnabrück Gastgeber des 26. Hansetages der Neuzeit. Im Jahr 2008 war Osnabrück Ausrichter des 97. Deutschen Katholikentages, zu dem mehrere zehntausend Gläubige die Stadt besuchten. Seit 2015 ist das Rathaus Osnabrück als eine der Stätten des Westfälischen Friedens mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet. Vom 30. Mai bis 2. Juni 2019 fand in Osnabrück das 6. Deutsche Musikfest statt. Eingemeindungen Folgende Gemeinden wurden nach Osnabrück eingemeindet: 1914: Schinkel 1940: Haste 1970: Sutthausen 1972 (1. Juli): Atter, Darum, Gretesch, Hellern, Lüstringen, Nahne, Pye und Voxtrup Durch seine Tallage und die geographische Nähe zu Nordrhein-Westfalen wurden in Osnabrück vergleichsweise wenige Orte eingemeindet. So wurden beispielsweise die Gemeinden Belm (hinter dem Schinkelberg), Wallenhorst, Büren (inzwischen in die Gemeinde Lotte eingemeindet), Hasbergen und Georgsmarienhütte nicht eingemeindet. Die nördlich gelegenen Orte Hollage, Lechtingen und Rulle wurden (statt von Osnabrück) von Wallenhorst eingemeindet. Einwohnerentwicklung Osnabrück zählte im 11. Jahrhundert rund 1.500 und im 13. Jahrhundert rund 3.000 Einwohner. Mitte des 16. Jahrhunderts hatte die Stadt ca. 7.000 Einwohner. 1575 starben etwa 75 Prozent der Einwohner Osnabrücks an der Pest. Wegen der folgenden Epidemien, Feuersbrünste, Hungersnöte und Kriege dauerte es über 200 Jahre, bis wieder die Bevölkerungszahl vor Ausbruch der Pest von 1575 erreicht wurde. Mit der Industrialisierung verfünffachte sich die Einwohnerzahl von über 10.000 im Jahre 1817 auf mehr als 50.000 im Jahre 1900. Großen Einfluss darauf hatte der Bau der beiden über Osnabrück führenden Eisenbahnstrecken zwischen Löhne und Rheine (1855) bzw. Münster und Bremen (1873), der viele Arbeitskräfte schaffte. Die Bevölkerung verdoppelte sich bis Ende 1939 auf über 100.000, wodurch Osnabrück in diesem Jahr erstmals zur Großstadt wurde. Nachdem die Bevölkerungszahlen gegen Ende des Zweiten Weltkriegs zurückgingen, wurde Osnabrück 1948 wieder Großstadt und hat diesen Status bis heute ununterbrochen beibehalten. Durch Eingemeindungen wurde Ende 1972 die Marke von 150.000 Einwohnern überschritten, unter die Osnabrück seitdem nicht mehr gefallen ist. 1995 erreichte die Einwohnerzahl mit 168.618 ihren historischen Höchststand. Am 31. Dezember 2006 betrug die Amtliche Einwohnerzahl für Osnabrück nach Fortschreibung des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik (seit 2014: LSN) 164.020 und war auch 2010 nahezu auf dieser Höhe. Beim Zensus 2011 wurde nur die Zahl von 154.513 festgestellt. Bis 2015 stieg die Einwohnerzahl auf 162.403, Ende 2019 lag sie bei 165.251 Einwohnern. Religion Christentum Osnabrück wurde 804 Sitz eines Bistums. Das zuständige Archidiakonat war die Dompropstei. Seit 1521 wurden in Osnabrück lutherische Predigten gehalten. Nachdem 1543 in der Stadt Osnabrück die Reformation nach lutherischem Bekenntnis eingeführt worden war, verblieben den Katholiken der Dom St. Peter und die Kirche St. Johann, während den Lutheranern St. Katharinen und St. Marien als Pfarrkirchen dienten. Zusätzlich zu Teilen des Stadtgebietes gehörten zu jedem der vier Kirchspiele Bauerschaften außerhalb der Stadtgrenzen. Zum Domkirchspiel zählten Haste und Schinkel, zu St. Johann gehörten Düstrup, Harderberg (bis auf den zu St. Marien zählenden Erbkötterhof Buddemeyer), Hettlich, Hickingen, Holzhausen, Malbergen, Nahne und Voxtrup. Zu St. Katharinen gehörig waren Hörne (bis auf den zu St. Marien zählenden Vollerbenhof Meyer zu Hörne), Ohrbeck und Westrup, während St. Marien die Einwohner der Bauerschaften Atter, Gaste, Hasbergen und Hellern angehörten. Diese Kirchspielseinteilung blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bestehen. Der Dom bildete das Herz des Hochstifts Osnabrück, das bis 1803 ein Geistliches Territorium innerhalb des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation blieb. Die katholischen Bewohner unterstanden dem Hochstift, für die protestantischen Bewohner übte der Rat der Stadt die Kirchenverwaltung aus, indem er ein Konsistorium einrichtete. 1803 kam das Hochstift Osnabrück an Hannover, anschließend an Frankreich und 1813 zum Königreich Hannover. Dieses bildete 1815 für die protestantische Kirchenverwaltung insgesamt fünf Konsistorialbezirke, darunter ein lutherisches Konsistorium in Osnabrück und ein paritätisch (lutherisch und reformiert) besetztes Konsistorium in Aurich. Die Konsistorialbezirke wurden in Superintendenturen beziehungsweise Kirchenkreise eingeteilt. Osnabrück wurde Sitz eines Kirchenkreises. 1903 wurde der Konsistorialbezirk Osnabrück aufgelöst, als alle lutherischen Gemeinden der inzwischen zu Preußen gehörigen Provinz Hannover dem Landeskonsistorium in Hannover (Evangelisch-Lutherische Landeskirche Hannovers) unterstellt wurden. Osnabrück wurde später jedoch wieder Sitz eines Sprengels, der sich ebenfalls in Kirchenkreise gliedert. Heute gehören die ev.-lutherischen Gemeinden der Stadt, sofern es sich nicht um Freikirchen handelt, zu den Kirchenkreisen Osnabrück (Innenstadt und die meisten Stadtteile) oder Kirchenkreis Melle-Georgsmarienhütte im Stadtteil Osnabrück-Sutthausen innerhalb des Sprengels Osnabrück der Landeskirche Hannovers. Eine reformierte Bewegung ist in Osnabrück seit 1788 nachweisbar. Die Gläubigen waren der benachbarten Grafschaft Tecklenburg angeschlossen. Die vermehrte Zuwanderung reformierter Gemeindeglieder im 19. Jahrhundert führte 1889 zur Gründung einer reformierten Gemeinde in Osnabrück, die dem Konsistorium in Aurich unterstand. Die Gemeinde konnte 1893 die Bergkirche bauen. Sie war der erste Kirchenbau Osnabrücks nach der Reformation. 1926 entstand die Friedenskirche und in den 1960er Jahren wurden drei weitere reformierte Kirchen gebaut, die Gnadenkirche (1960), die Atterkirche (1962) und die Erlöserkirche (1966). Im Zuge einer Gemeindereform wurden die drei letztgenannten Kirchen im Dezember 2007 an die Evangelische Stiftung verkauft. Die Friedenskirche fungiert seitdem als Jugendkirche, während die Bergkirche für den sonstigen Gemeindealltag genutzt wird. Die reformierte Gemeinde Osnabrück gehört heute zum Synodalverband Emsland/Osnabrück, dem VII. Synodalverband innerhalb der Evangelisch-reformierten Kirche. Da der Dom und die ehemalige Stiftskirche St. Johann auch nach der Reformation katholisch geblieben sind und Osnabrück bis 1803 Hauptstadt des Hochstifts Osnabrück war, lebten in der Stadt stets auch Katholiken. Ihr Anteil betrug etwa ein Drittel. Das um 780 errichtete Bistum Osnabrück war in den Wirren der Reformation stark verkleinert worden. 1824, nach Auflösung des Hochstifts Osnabrück, wurde die Stadt 1824 Sitz des neu umschriebenen Bistums Osnabrück. Dieses umfasste danach den Westteil des damaligen Königreichs Hannover mit dem Emsland, der Grafschaft Bentheim und Ostfriesland. 1841 erhielt es die Jurisdiktion der Nordischen Mission Skandinaviens und 1868 der Norddeutschen Mission mit Bremen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg. Formell wurden die deutschen Gebiete 1929 dem Bistum Osnabrück angegliedert. Es war damit das flächengrößte Bistum Deutschlands. Bis 1995 gehörte es zur Kirchenprovinz Köln, dann wurde es dem neuen Erzbistum Hamburg zugeordnet. Die Pfarreien und Gemeindeverbünde der Stadt Osnabrück gehören heute zum Dekanat Osnabrück-Stadt. Dieses umfasst auch die Gemeinde (Hasbergen), die nicht zur Stadt Osnabrück gehört. Zum Brauchtum der Osnabrücker Katholiken gehört seit 1852 die Telgter Wallfahrt, die nach ihrer Teilnehmerzahl die zweitgrößte in Deutschland ist. Die 1899 vollendete Herz-Jesu-Kirche war der erste Neubau einer römisch-katholischen Kirche nach der Reformation. Am 16. November 1980 besuchte Papst Johannes Paul II. Osnabrück. Vom 21. bis 25. Mai 2008 fand in Osnabrück der 97. Deutsche Katholikentag mit 60.000 Teilnehmern statt. Bereits 1901 hatte der 48. Deutsche Katholikentag in Osnabrück stattgefunden. Freikirchen in Osnabrück. Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde (Baptisten) – Die Anfänge der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde gehen auf das Jahr 1928 zurück. Zur eigentlichen Gemeindegründung kam es allerdings erst 1948. Dabei spielte der Flüchtlingszustrom aus den ehemals deutschen Ostgebieten eine große Rolle. Heute hat die Gemeinde 280 getaufte Mitglieder (ohne Kinder und Freundeskreis), darunter v. a. Vietnamesen, Sinti und Russlanddeutsche. Der Gottesdienst wird synchron in vietnamesisch und russisch übersetzt. Derzeitiger Gemeindepastor ist Heiko Reinecke. Die Gemeinde besitzt eine Zweiggemeinde in Diepholz. Andreas-Gemeinde Osnabrück (Mülheimer Verband) – Die Andreas-Gemeinde bestand vor 1997 unter dem Namen Christliche Gemeinschaft Osnabrück. Die ersten Anfänge reichen in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg zurück; die Gemeinde feierte ihre Gottesdienste zunächst einige Jahrzehnte als Hausversammlung, seit den 1950er Jahren in eigenen Gemeinderäumen. Die Gemeindearbeit intensivierte sich und wuchs seit der Einstellung eines hauptamtlichen pastoralen Mitarbeiters im Jahr 1984. Zu ihrem Umzug in den Hauswörmannsweg 90 gab sich die Christliche Gemeinschaft Osnabrück den Namen Andreas-Gemeinde. 2006 gründete sie eine Tochtergemeinde in Ibbenbüren (Thomas-Gemeinde). Die Andreas-Gemeinde hat derzeit etwa 140 erwachsene Mitglieder. Christus-Centrum Osnabrück der Freien Christengemeinde (Pfingstgemeinde des BfP) Lebensquelle – Die 2001 in Schinkel gegründete Pfingstgemeinde (BfP) feiert ihre Gottesdienste seit 2003 in einer ausgebauten Fabrikhalle und gründete vier weitere Ortsgemeinden in der Region. Lokale Bekanntheit erreichte sie Ende 2012 durch die Kontroverse um den Grundstückskauf am alten Güterbahnhof für ein neues Gemeindezentrum, durch den sich die lokale Kulturszene bedroht sieht, darunter mehrere Künstlerateliers, das Theater am Güterbahnhof und Vertreter eines Homosexuellenverbands. Selbständige Evangelisch-Lutherische Kirche (SELK) Siebenten-Tags-Adventisten Evangelisch-methodistische Kirche (EmK) Freie evangelische Gemeinde – Die 2015 gegründete Gemeinde gehört zum Bund Freier evangelischer Gemeinden in Deutschland und feiert ihre Gottesdienste in der reformierten Friedenskirche. Freikirche FIT-Gemeinde fürs Leben Freikirche homezone Serbisch-orthodoxe Gemeinde des Heiligen Georgius Russisch-orthodoxe Gemeinde Griechisch-orthodoxe Gemeinde von Antiochien (Rum-Orthodox) der Heiligen Mutter Gottes Maria Altkatholische Kirche Die meisten christlichen Kirchen arbeiten in der ACKOS (Arbeitsgemeinschaft der christl. Kirchen in Osnabrück) zusammen und gestalten Themengespräche zu Glaubensfragen und den alljährlichen großen ökumenischen Gottesdienst zum Osnabrücker Friedenstag am 25. Oktober. Zur 350-Jahr-Feier des Westfälischen Friedens veranstalteten die Kirchen einen Ökumenischen Kirchentag, der auch überregional Beachtung fand. Außerdem sind in Osnabrück die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage (Mormonen), die Neuapostolische Kirche, die Apostolische Gemeinschaft, die katholisch-apostolische Gemeinde und die Zeugen Jehovas vertreten. Bahaitum Seit 1972 leben Bahá'í Gläubige in Osnabrück und treffen sich regelmäßig bei sich zu Hause zu Andachten, interreligiösen Versammlungen sowie zu den Bahá'í Feiertagen. Die Bahá'í Gemeinde is Mitglied im Runden Tisch der Religionen und im Religions for Peace in Osnabrück. Buddhismus Buddhisten haben im Buddhistischen Zentrum der Karma Kagyü-Linie eine Anlaufstelle (tibetischer Buddhismus). Für Praktiker des Zen gibt es das Zen-Dôjô (Soto-Tradition) oder auch den Zen-Kreis Osnabrück (Rinzai-Tradition). Die Gruppe 'Weg der Achtsamkeit’ praktiziert den Buddhismus nach Thich Nhât Hanh. Islam Die meisten Muslime sind türkischer Herkunft; auch Araber und Kurden bilden einen beträchtlichen Teil. Die 2011 erbaute Basharat-Moschee (bascharat = Gutes Omen) der Ahmadiyya Muslim Jamaat war der erste muslimische Sakralbau in Osnabrück. Mittlerweile bestehen in der Stadt 12 weitere Moscheen und Gebetsräume. Judentum Die Alte Synagoge wurde 1906 fertiggestellt. Die Synagoge war in der so genannten Reichspogromnacht am 9. November 1938 in Brand gesteckt worden; ihren Abriss verfügte Oberbürgermeister Erich Gaertner am selben Tag. Der im 19. Jahrhundert angelegte jüdische Friedhof wurde schon im Oktober 1927 von Schülern geschändet. Im November 1938 wurden mehrere jüdische Geschäfte geplündert, Wohnungen jüdischer Familien verwüstet und der jüdische Friedhof geschändet. Schon Anfang 1938 wurden so genannte Judenhäuser errichtet. Am 12. Dezember 1941 verließ der erste Deportationszug mit 190 noch verbliebenen Juden die Stadt. Kurz vor der Plünderung umfasste die jüdische Gemeinde Osnabrück etwa 500 Mitglieder, darunter die Familie von Felix Nussbaum. Nach dem Zweiten Weltkrieg lebten noch fünf Juden in Osnabrück. 1969 wurde die neue Synagoge in der Weststadt eröffnet. Bis 1991 hatten etwa 90 Juden ihren Wohnsitz in Osnabrück. Nach dem Zuzug von Kontingentflüchtlingen aus den Staaten der ehemaligen Sowjetunion umfasste die jüdische Gemeinde 2005 etwa 1544 Mitglieder. Am Anbau des 1893 bis 1896 errichteten Gebäudes der früheren Bezirksregierung Osnabrück befinden sich seit 1978 Gedenktafeln zur Erinnerung an die Alte Synagoge und deren Zerstörung. Hier wurden jedes Jahr am 9. November zum Gedenken an die Reichspogromnacht Kränze niedergelegt und das Kaddisch gebetet. 1986 wurde der jüdische Friedhof erneut geschändet. 2004 wurde neben dem früheren Standort der Alten Synagoge auf den Grundmauern der jüdischen Schule ein neues Mahnmal errichtet. Der Abschnitt der Rolandstraße, an dem die Synagoge stand, trägt heute den Namen Alte Synagogenstraße. Konfessionsstatistik Seit der Reformation überwog in der Stadt Osnabrück das lutherische Bekenntnis. Im Jahre 1812 waren gut 60 Prozent der Einwohner lutherisch, während knapp 40 Prozent dem katholischen Glauben angehörten. Abgesehen von der Neustadt, in der die Katholiken über eine hauchdünne Mehrheit verfügten, waren alle anderen Teile der Innenstadt mehrheitlich lutherisch: Am Ende des 19. Jahrhunderts waren knapp zwei Drittel der Stadtbevölkerung evangelisch, während etwas mehr als ein Drittel katholisch war. Seitdem wuchs der Anteil der Katholiken bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs auf knapp 38 Prozent an, während der der Protestanten auf etwa 56 Prozent sank. Infolge der umfangreichen Eingemeindungen von 1970/1972 sowie bedingt durch die demographischen Veränderungen seit dem Zweiten Weltkrieg waren im Jahr 2011 58.430 Einwohner Osnabrücks katholisch (38,3 %), 51.800 evangelisch (34,0 %) und 2.980 orthodox (2,0 %). 5.740 Einwohner (3,8 %) gehörten einer sonstigen und 32.310 (21,2 %) keiner öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft an. Nach einer Berechnung aus den Zensuszahlen für die Personen mit Migrationshintergrund lag der Bevölkerungsanteil der Muslime in Osnabrück 2011 bei 5,3 Prozent (rund 8.200 Personen). Nach der städtischen Statistik waren 2015 33,4 % der Einwohner Osnabrücks katholisch und 30,8 % evangelisch. 35,8 % gehörten keiner der beiden großen christlichen Konfessionen an. Zum 31. Dezember 2018 gehören 48.341 (28,6 %) Personen zur evangelischen Konfession und 53.275 (31,5 %) zur katholischen. 67.226 (40,0 %) haben keine Angaben gemacht oder gehören zu sonstigen Religionsgemeinschaften. Politik Geschichte An der Spitze der Stadt Osnabrück stand schon seit dem 14. Jahrhundert ein Rat, der sich aus einem Alten Rat und einem sitzenden Rat aufteilte. Dem Rat stand ein Bürgermeister vor. Gegenüber dem Bischof konnte sich die Stadt schon sehr früh verschiedene Freiheiten erwerben, doch reichte es nie zur vollständigen Reichsfreiheit. Nach vorübergehender Zugehörigkeit zu Frankreich, in der die Mairieverfassung galt, standen in hannoverischer Zeit ein Verwaltungs- und ein Justizbürgermeister an der Spitze der Stadt. 1851 wurde die hannoversche Städteordnung eingeführt. Danach gab es einen Bürgermeister, der meist den Titel Oberbürgermeister erhielt. Während der Zeit des Nationalsozialismus wurde dieser von der NSDAP eingesetzt, es blieb allerdings Erich Gaertner. Seit 1946 wird der Oberbürgermeister nach den jeweiligen Regeln des niedersächsischen Kommunalrechts gewählt – zunächst ehrenamtlich nach dem Modell der zweigleisigen Norddeutschen Ratsverfassung, seit 1997 eingleisig als hauptamtliche Verwaltungsspitze (vgl. dazu ausführlich: Eingleisigkeit, Gemeindeordnungen in Deutschland). Als erster hauptamtlicher Oberbürgermeister amtierte von 1997 bis 2006 der SPD-Politiker Hans-Jürgen Fip, der zuvor schon sechs Jahre als ehrenamtlicher Oberbürgermeister tätig gewesen war. Seit der Kommunalwahl 2006 war Boris Pistorius, ebenfalls SPD, Oberbürgermeister. Am 19. Februar 2013 wurde Pistorius als neuer niedersächsischer Innenminister vereidigt. Bei der Neuwahl am 22. September 2013 erreichte kein Kandidat die absolute Mehrheit. Zur Stichwahl am 6. Oktober 2013 kandidierten Birgit Bornemann (SPD) aus Osnabrück und Wolfgang Griesert (CDU) aus Krefeld. Griesert gewann die Wahl mit 54,85 % der abgegebenen Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 41,77 %. Nachdem Griesert zur Wahl 2021 nicht mehr angetreten war, wurde in einer Stichwahl am 26. September 2021 die CDU-Politikerin Katharina Pötter zur Nachfolgerin gewählt. Ihr Amt trat sie am 1. November an. Im Jahr 2019 wurde der erste kommunale Bürgerentscheid in Osnabrück durchgeführt. Eine Initiative hatte sich für die Neugründung einer kommunalen Wohnungsbaugesellschaft in Osnabrück eingesetzt und im Rahmen eines Bürgerbegehrens rund 13.500 Unterschriften gesammelt. Dadurch wurde ein Bürgerentscheid zu diesem Thema erwirkt, der am 26. Mai, dem Wahltag der Europawahl 2019, durchgeführt wurde. Von den 74.802 Abstimmenden (56,6 % Beteiligung) stimmten 76,44 % für „Ja“ und 23,56 % für „Nein“, womit das Anliegen Erfolg hatte. Die Gründung der Gesellschaft unter dem Namen Wohnen in Osnabrück GmbH (WiO) wurde am 7. Juli 2020 schließlich einstimmig vom Rat bestätigt und am 8. Juli 2020 durchgeführt. Rat Seit 2001 besteht der Rat der Stadt Osnabrück aus 50 Mitgliedern. Stimmberechtigt ist außerdem die oder der hauptamtliche und gesondert gewählte Oberbürgermeister(in). → Ergebnisse der Kommunalwahlen in Osnabrück Bürgermeister 1477–1504: Ertwin Ertman 1647–1656: Gerhard Schepeler Justizbürgermeister von Osnabrück 1814–1852 1814–1833: August Eberhard Stüve 1833–1841: Arnold Heinrich Kemper 1841–1852: Wilhelm Stüve Verwaltungsbürgermeister von Osnabrück 1814–1848 1814–1830: Christian Franz Thorbecke 1830–1832: Ludwig Wiethoff 1833–1848: Johann Carl Bertram Stüve Bürgermeister beziehungsweise Oberbürgermeister von Osnabrück seit 1852 1852–1864: Johann Carl Bertram Stüve (liberal), Bürgermeister 1865–1869: Johannes von Miquel (bis 1867 DFP, dann NLP), Bürgermeister, ab 1869 Oberbürgermeister 1870–1876: Johann Werner Detering (linksliberal), Oberbürgermeister (vertretungsweise) 1876–1880: Johannes von Miquel (NLP), Oberbürgermeister 1880–1888: Heinrich Brüning (NLP), Oberbürgermeister 1888–1897: Bernhard Dietrich Friedrich Möllmann (parteilos), Bürgermeister, ab 1892 Oberbürgermeister 1898–1901: Karl Westerkamp, Bürgermeister (parteilos), ab 1899 Oberbürgermeister 1901–1927: Julius Rißmüller, Bürgermeister (parteilos), ab 1904 Oberbürgermeister 1927–1945: Erich Gaertner (DVP bis 1933, dann parteilos, ab 1937 NSDAP), Oberbürgermeister 1945: Johannes Petermann (CDU), amtierender Oberbürgermeister 1945: Wilhelm Rosenbrock, amtierender Oberbürgermeister 1945–1946: Willi Vollbrecht, amtierender Oberbürgermeister 1946: Adolf Kreft (CDU), Oberbürgermeister 1946–1948: Heinrich Herlitzius (SPD), Oberbürgermeister 1948–1949: Adolf Kreft (CDU), Oberbürgermeister 1949–1951: Heinrich Herlitzius (SPD), Oberbürgermeister 1951–1952: Friedrich Janssen (CDU), Oberbürgermeister 1952–1956: Heinrich Buddenberg (DP), Oberbürgermeister 1956–1959: Hellmut Drescher (SPD), Oberbürgermeister 1959–1972: Willi Kelch (SPD), Oberbürgermeister 1972–1981: Ernst Weber (SPD), Oberbürgermeister 1981–1985: Carl Möller (CDU), Oberbürgermeister 1985–1991: Ursula Flick (CDU), Oberbürgermeisterin 1991–2006: Hans-Jürgen Fip (SPD), Oberbürgermeister 2006–2013: Boris Pistorius (SPD), Oberbürgermeister 2013–2021: Wolfgang Griesert (CDU), Oberbürgermeister seit 2021: Katharina Pötter (CDU), Oberbürgermeisterin Oberstadtdirektoren von Osnabrück 1945–1997 (zweigleisige Kommunalverfassung) 1946–1953: Willi Vollbrecht 1953–1960: Walter Wegner 1960–1972: Joachim Fischer 1972–1983: Raimund Wimmer 1983–1995: Dierk Meyer-Pries 1995–1997: Jörg Haverkämper (nach seinem Rücktritt führte bis zum Amtsantritt des ersten hauptamtlichen Oberbürgermeisters Fip vorübergehend Stadtdirektor Karl-Josef Leyendecker die Amtsgeschäfte) Wappen Das Wappen der Stadt Osnabrück zeigt in Silber ein sechsspeichiges stehendes schwarzes Rad. Die Stadtflagge ist weiß mit schwarzen Randstreifen, belegt mit dem Rad. Die Stadtfarben sind Schwarz und Silber. Das Rad als Münzzeichen des Hochstifts Osnabrück ist schon seit dem 13. Jahrhundert in den Siegeln nachzuweisen, im Laufe der Geschichte wurde es in unterschiedlichen Formen abgebildet: Anfangs hatte es acht Speichen und war rot; seit 1496 ist es in schwarzer Farbe überliefert. Eine weitere Darstellung zeigt ein sechsspeichiges 'bewegtes’ Rad, das zwei Speichen parallel zum Boden abbildet (waagerecht, im Gegensatz zum stehenden Rad, bei dem zwei Speichen eine vertikale Linie bilden), das vom weltlichen Handel wie der Leinenherstellung zu Zeiten der mittelalterlichen Hanse benutzt wurde. Später wurde es erneut auch rot dargestellt. Das Rad des Bistums ist heute rot, das der Stadt schwarz, jeweils auf Silbergrund. Das Rad wird als Teil des Wagens Gottes (currus Dei) gedeutet, ein Zeichen der Kirche und des Evangeliums im Laufe der Zeit. Im 13. Jahrhundert war im Wappen neben dem Rad auch der Heilige Petrus als Patron des Domes abgebildet. Später wurde nur noch das Rad gezeigt. Städtepartnerschaften Osnabrück unterhält Städtepartnerschaften und -freundschaften mit mehreren Städten. Als einmalig in Deutschland gilt der wechselseitige Austausch von offiziellen Städtebotschaftern mit den ausländischen Partnerstädten. Junge Frauen und Männer arbeiten für ein Jahr in der Stadtverwaltung der Partnerstadt. Dabei erledigen sie Aufgaben, die im Rahmen der jeweiligen Städtepartnerschaft anfallen. Städtepartnerschaften Haarlem (Niederlande), seit 1961 Angers (Frankreich), seit 1964 Derby (Vereinigtes Königreich), seit 1976 Greifswald (Deutschland), seit 1988 Twer (Russland), seit 1991 (ruht seit 2022 aufgrund des russischen Überfalls auf die Ukraine) Çanakkale (Türkei), seit 2004 Vila Real (Portugal), seit 2005 Städtefreundschaften Gmünd in Kärnten (Österreich), seit 1971 Evansville (Vereinigte Staaten), seit 1991 Gwangmyeong (Republik Korea), seit 1997 Hefei (Volksrepublik China), seit 2006 Klimaschutz Seit 2012 verfügt Osnabrück über einen Masterplan 100 % Klimaschutz, der darlegen soll, wie bis 2050 die CO2-Emissionen in der Stadt um 95 % und der Energieverbrauch um 50 % reduziert werden können (Bezugsjahr 1990). Die Stadt erhielt dafür als sogenannte Masterplan-Kommune Fördermittel vom Bund. Dabei kooperiert Osnabrück im Rahmen einer „Masterplan-Region“ mit den Landkreisen Osnabrück und Steinfurt sowie der Stadt Rheine. Ein symbolischer Klimanotstand, wie in vielen anderen Gemeinden 2019 geschehen, wurde in Osnabrück bisher nicht ausgerufen. Im November 2019 wurde jedoch die Mitteilungsvorlage VO/2019/4559 beschlossen, nach der der Rat Auswirkungen auf das Klima bei relevanten Entscheidungen stärker berücksichtigen wird. Dabei sollen Lösungen bevorzugt werden, die sich positiv auf den Klimaschutz auswirken. Nachdem im Jahr 2021 ein Bürgerbündnis mehr als 4200 Unterschriften für einen Einwohnerantrag gesammelt hatte, musste sich der Stadtrat mit der Frage befassen, wie die Stadt bis 2030 Klimaneutralität erreichen kann. In seiner Sitzung am 15. März 2022 wurde eine entsprechende Vorlage beschlossen, laut derer „der Rat Klimaneutralität soweit wie möglich bis 2030 an[strebt]“. Demnach soll die Stadtverwaltung bis 2030 und die städtischen Tochtergesellschaften bis 2035 klimaneutral werden. Die Klimaneutralität der gesamten Stadt muss bis spätestens 2040 erreicht sein. Mit der Vorlage wurde die Verwaltung beauftragt, einen Aktionsplan zu erarbeiten, der konkrete Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele anführt. Zur Finanzierung sollen Fördergelder beantragt werden. Kultur und Sehenswürdigkeiten Bauwerke Das Osnabrücker Rathaus ist das Wahrzeichen der Stadt. Es wurde 1512 nach 25-jähriger Bauzeit im spätgotischen Stil fertiggestellt. In diesem Rathaus wurde 1648, neben dem Münsteraner Rathaus, der Westfälische Friede ausgehandelt. Im Friedenssaal hängen heute 42 Porträtgemälde von den Herrschern sowie europäischen Gesandten aus jener Zeit. In der Schatzkammer ist eine Nachbildung der Friedensurkunde von 1648 zu sehen. Das Osnabrücker Schloss im Barockstil stammt aus der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Es war die Residenz des protestantischen Fürstbischofs Ernst August I. von Braunschweig-Lüneburg und seiner Frau Sophie von der Pfalz. Das Schloss wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf die Außenmauern zerstört und nach Kriegsende wieder aufgebaut. Es diente ab 1953 als Pädagogische Hochschule und ist seit 1974 Sitz der Universität Osnabrück. Der südlich gelegene Schlosspark ist Versailles nachempfunden und wurde zwischen 1966 und 1969 wieder hergestellt. Der Bucksturm wurde Anfang des 13. Jahrhunderts als Wachturm an der Stadtmauer errichtet. Im Mittelalter war im Turm das Städtische Gefängnis untergebracht. Zusätzlich kam während der Hexenverfolgung im 16. und 17. Jahrhundert die Funktion einer Folterkammer hinzu. Das heutige Heger Tor erinnert in seinem Erscheinungsbild an eine Wehranlage. Die ursprüngliche Wehranlage, bestehend aus Turm, Tor, Bastion, Zwinger und Durchfahrt, wurde um 1815 weitgehend abgerissen. An dieser Stelle wurde 1817 das Waterloo-Tor errichtet, also zwei Jahre nach dem weitestgehenden Abriss der eigentlichen Wehranlagen. Es erinnert an die Osnabrücker Krieger der King’s German Legion, die in der Schlacht bei Waterloo kämpften. Gestiftet wurde das Tor durch Gerhard Friedrich von Gülich, der Johann Christian Sieckmann mit dem Entwurf des Tores beauftragte. Es trägt die Inschrift „Den Osnabrückischen Kriegern, die bei Waterloo den 18. Juni 1815 deutschen Muth bewiesen, widmet dieses Denkmal G. F. v. Gülich D.R.D.R.“. Auf dem Tor befindet sich eine Aussichtsplattform, von der aus man über die Dächer der Altstadt blickt. Die Plattform ist über Rampen und Treppen zu erreichen. Der Platz um das Waterloo-Tor wird heute dennoch als Heger Tor bezeichnet, da es den Eingang aus der Altstadt in die Heger Laischaft bezeichnet. Die Kirche St. Marien war im Gegensatz zum Dom die Kirche der Bürger. Aufgrund von Bestattungen, die um 800 stattfanden, wird davon ausgegangen, dass sich an heutiger Stelle bereits ein Vorgängerbau aus Holz befand. Dies ist jedoch nicht belegt. Im 10./11. Jahrhundert entstand ein einschiffiger Saalbau mit Turm, der bereits im 13. Jahrhundert um die beiden Seitenschiffe erweitert wurde. In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts kamen Chor und Chorgewölbe dazu. Seit dem 13. Jahrhundert wurde sie im Stil einer gotischen Hallenkirche umgebaut. Auch heute noch ist dieses Aussehen prägend für den Osnabrücker Marktplatz, da die Kirche eine architektonische Einheit mit dem Rathaus und der Stadtwaage bildet. Im Innern befinden sich unter anderem das Triumphkreuz aus dem 13. Jahrhundert und der Hauptaltar, der von 1510 bis 1515 in Antwerpen gefertigt wurde. Im Chorumgang sind Grabsteine in den Boden eingelassen, auch der Grabstein von Justus Möser, einem bedeutenden Osnabrücker Staatsmann und Juristen. Den 79 Meter hohen Turm kann man über 190 Stufen besteigen und erhält einen Blick über Osnabrück. Die im Zweiten Weltkrieg völlig zerstörte kupferne Turmspitze wurde Anfang der 1960er-Jahre wieder aufgebaut. Der Dom St. Peter wurde 785 an der heutigen Stelle geweiht. Der heutige Bau entstand von 1218 bis 1277. Die Kathedralkirche wurde im spätromanischen Stil erbaut. Ursprünglich verfügte der Dom über Zwillingstürme, jedoch wurde der Nordwestturm im 15. Jahrhundert durch einen dickeren gotischen Turm ersetzt. Im Innern finden sich unter anderem ein bronzenes Taufbecken von 1225 und ein großes Triumphkreuz, entstanden gegen Ende des 12. Jahrhunderts. Es zählt mit seiner Höhe von fast sechs Metern und dem Korpus von 3,80 Meter Länge zu den größten seiner Art in Europa. In Domnähe lebte von 1210 bis 1233 der aus Groningen stammende Einsiedler und später heiliggesprochene Reiner von Osnabrück. Vor dem Dom steht das Standbild des Löwenpudels. Zu den im Mittelalter gegründeten Klöstern gehören das Kloster Gertrudenberg sowie das Dominikanerkloster zum heiligen Kreuz. Sie wurden 1803 im Zuge des Reichsdeputationshauptschlusses aufgehoben und die bis heute erhaltenen Gebäude anderen Zwecken zugeführt. Die Bauzeit des Pernickelturmes ist unbekannt. Er wird in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts erstmals erwähnt und diente als Wachturm und zum Schutz der Pernickelmühle, wie man an den Schießscharten erkennen kann. Der Turm wird seit dem 19. Jahrhundert als Wohngebäude genutzt, weshalb sein Inneres nicht mehr dem Ursprung entspricht. Die Pernickelmühle wurde 1891 zerstört und kurz darauf am anderen Ufer der Hase wiederaufgebaut. Ein weiterer Turm der historischen Stadtbefestigung ist der Anfang des 16. Jahrhunderts errichtete Bürgergehorsam. Die Bauepoche des Klassizismus wurde mit der 1785 mit der Fertigstellung der Fürstbischöflichen Kanzlei begonnen. Bauwerke des Klassizismus sind auch das Wohn- und Geschäftshaus Haus Tenge sowie das Gebäude Große Straße 43. Kirchen Gertrudenkirche des ehemaligen Klosters Gertrudenberg Kirchen Dom St. Peter (Osnabrück), siehe oben Marienkirche Katharinenkirche Lutherkirche Melanchthonkirche St. Joseph St. Johann Bürgerbrunnen Romanische Steinwerke Dielinger Straße, Bierstraße und Ledenhof Krahnstraße 4, ältestes Fachwerkdielenhaus der Stadt Ehemalige Bauwerke in Osnabrück sind die Festung Petersburg sowie das Alte Rathaus, das 1836 abgerissen wurde. Kunst im öffentlichen Raum Eines der bekanntesten Denkmäler Osnabrücks ist der Haarmannsbrunnen am Herrenteichswall. Der Stahlwerksdirektor und Senator August Haarmann stiftete 1909 den Brunnen, um dem Bergmannsberuf ein Denkmal zu setzen. Die Brunnenanlage mit der leicht überlebensgroßen Bronzeskulptur eines Bergarbeiters wird in Osnabrück häufig fälschlich mit dem Grubenunglück am Piesberg von 1893 in Zusammenhang gebracht, bei dem mehrere Bergleute bei einem Wassereinbruch während des Steinkohlenabbaus am Piesberg ums Leben kamen. Das Ebert-Erzberger-Rathenau-Mahnmal am Herrenteichswall erinnert an die drei bedeutenden Politiker der Weimarer Republik. Die abstrakt gestaltete Denkmalskulptur symbolisiert die Demokratie und ist wahrscheinlich das einzige Denkmal in Deutschland, das diese drei Persönlichkeiten würdigt. 1928, bei der Errichtung des Denkmals, kam es zu Protesten der politischen Rechten, und bereits am 15. Mai 1933 wurde die Skulptur von SA-Mitgliedern entfernt. Erst Anfang der 1980er Jahre wurde sie durch die Stadt wieder aufgebaut. Eine Inschriftenrolle, die ein mutiger Bürger beim Abriss des Denkmals heimlich sicherte, wurde bei der Wiederherstellung in die Skulptur integriert. Das Ehrenmal auf dem Straßburger Platz nach dem Entwurf des Stadtbaumeisters Emil Hackländer (1830–1902) ist dem Gedächtnis der Gefallenen des Deutsch-Französischen Kriegs 1870/1871 aus dem Fürstentum Osnabrück gewidmet. Es wurde 1880 auf dem Neumarkt errichtet und 1928 auf den Straßburger Platz im Stadtteil Westerberg versetzt. Die allegorische Germania-Skulptur wurde im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. Mit der Skulptur „Die schützende Torsion“ nach einem Entwurf von Schülerinnen des Ratsgymnasiums setzt es nun der deutsch-französischen Freundschaft ein Denkmal. Grünflächen und Naherholung Grünflächen und Parks Der Schlossgarten wurde im 17. Jahrhundert angelegt und maßgeblich von Sophie von der Pfalz gestaltet. Heute stellt er einen beliebten Treffpunkt in der Innenstadt dar. Der älteste öffentliche Park der Stadt Osnabrück ist der Bürgerpark auf dem Gertrudenberg nordöstlich der Altstadt mit einem wertvollen alten Baumbestand. Durch die Beschilderung der Bäume hat der Bürgerpark den Charakter eines Arboretums. Seit 1984 betreibt die Universität Osnabrück in einem alten Steinbruch auf dem Westerberg den 5,6 ha großen Botanischen Garten Osnabrück. Im Südwesten des Stadtteils Eversburg bzw. an der Grenze zwischen Atter und Westerberg befindet sich ein großes Naherholungsgebiet mit dem Rubbenbruchsee. Der ehemalige Zechenstandort Piesberg wird seit der Stilllegung der dortigen Mülldeponie in 2005 schrittweise zu einem Kultur- und Landschaftspark ausgebaut. Entlang der Fließgewässer Hase, Nette und Düte befinden sich Grünflächen, die zur Naherholung genutzt werden. Am Flusslauf der Hase besteht innerhalb der Stadtgrenzen ein System von Uferwegen für den Fuß- und Radverkehr. An der Hase in der Innenstadt liegt außerdem der Herrenteichswall, ein erhaltenes Teilstück der historischen Stadtmauer, mit einer denkmalgeschützten Winterlinden-Allee. Zoologischer Garten Im Stadtteil Schölerberg befindet sich der Zoo Osnabrück. Dieser wurde 1936 als Heimattiergarten eröffnet und ist mittlerweile an Fläche und Besucherzahlen der größte Zoo in Niedersachsen. Angelegt ist der Zoo im Waldgebiet am gleichnamigen Berg Schölerberg. Durch intensive Bau- und Sanierungsarbeiten in den letzten Jahren wurde der Zoo durch Höhenwege und neue Tiergelände barrierefrei und tierfreundlich umgestaltet. Die Besucherzahl bewegt sich seit einigen Jahren bei knapp über einer Million Besuchern im Jahr. Historische Friedhöfe Historische Friedhöfe sind der Johannisfriedhof und der Hasefriedhof. Beide Friedhöfe entstanden 1808 und wurden damals aus hygienischen Gründen außerhalb der Stadt angesiedelt; der Hasefriedhof vor dem Hasetor und der Johannisfriedhof an der Iburger Straße. Ein Erlass von König Jérôme Bonaparte verbot ab 1808 innerstädtische Bestattungen. Ein Rundgang über die ältesten Abteilungen zeigt, dass es sich bei den Bestattungen überwiegend um Mitglieder reicher, alteingesessener Familien handelt, die entlang der Mauern bestattet wurden. Im Innenbereich fanden die gesellschaftlich schlechter Gestellten ihre letzte Ruhe. Ein für das frühe 19. Jahrhundert typisches Symbol zeigt die älteste Pforte des Hasefriedhofs: zwei kindliche Gestalten auf den Torpfeilern, Genien als Sinnbild von Tod und Schlaf. Des Weiteren hervorzuheben ist die florale Ausgestaltung der Steine – als tiefgründiges Symbol, beispielsweise Mohnkapseln als Sinnbild für den ewigen Schlaf, Wein als Blut Christi. Die letzte Beerdigung fand 1995 statt. Sowohl der Hase- wie auch der Großteil des Johannisfriedhofs wurden mittlerweile als Friedhöfe entwidmet und stehen als Grünflächen zur Verfügung. Die historischen Gräber und Anlagen stehen weiterhin unter Denkmalschutz und sollen erhalten werden. Naturdenkmäler Theater Osnabrück verfügt über mehrere Theater. Das Theater Osnabrück hat die Sparten Musiktheater, Schauspiel, Tanztheater und Theater für Kinder und Jugendliche. Hauptspielstätte ist das Theater am Domhof, daneben existiert das kleinere emma-theater an der Lotter Straße. Die Probebühne ist Osnabrücks erstes Amateurtheater mit eigener Spielstätte in der Komtureikirche Das erste unordentliche Zimmertheater befindet sich in einem Innenhof in der Lohstraße Das Figurentheater Osnabrück befindet sich in der „Alten Fuhrhalterei“ in der Altstadt. Der Theaterverein Ostsensibles führt englischsprachiges Theater auf. Die Theaterpädagogische Werkstatt bietet Präventionsprogramme für Kinder und Jugendliche an. Orchester Osnabrücker Symphonieorchester Chöre Bach-Chor Osnabrück e. V. Carolinum cantat Frauenchor Viva la Musica e. V. Johannis-Chor e. V. Marienkantorei Osnabrück Original Osnabrücker Windjammer-Shantychor Osnabrücker Domchor Osnabrücker Jugendchor e. V. Vokalconsort Osnabrück e. V. Musikclubs Alando Palais Bastard Club Blue Note Brücks Hyde Park Kleine Freiheit Kubik Club Neo Club Rosenhof Sonnendeck Virage Discothek Gleis 3 (ehem. Works) Aiconi Bar & Club (ehem. Carls) Darknet Club Der von 1959 bis 1969 bestehende Ocambo-Club gilt als erste deutsche Diskothek. Kulturzentren Lagerhalle Osnabrück Selbstverwaltetes Zentrum SubstAnZ an der Frankenstraße OsnabrückHalle (ehemals „Stadthalle Osnabrück“) Freiraum Petersburg e. V., auch als Kulturschutzgebiet bekannt, betreibt ein freies Kulturzentrum am ehemaligen Güterbahnhof. Mittlerweile verfügt der Verein auch über Räumlichkeiten auf dem Gelände der ehemaligen Winkelhausen-Kaserne am Hafen. Neben der oben genannten Kulturstätten gibt es in Osnabrück mehrere städtische Jugend- und Gemeinschaftszentren in verschiedenen Stadtteilen, darunter das Haus der Jugend in der Innenstadt, die Gemeinschaftszentren am Ziegenbrink und an der Lerchenstraße, die Jugendzentren Ostbunker und Westwerk sowie das Heinz-Fitschen-Haus. Museen Zum Museumsquartier Osnabrück (MQ4) am Heger-Tor-Wall/Lotter Straße gehören: Felix-Nussbaum-Haus Kulturgeschichtliches Museum Osnabrück Villa Schlikker Akzisehaus Weitere: Domschatzkammer im Diözesanmuseum Erich Maria Remarque-Friedenszentrum Kunsthalle Osnabrück Museum am Schölerberg: Natur und Umwelt, Planetarium Museum Industriekultur am Piesberg Museum für feldspurige Industriebahnen Osnabrück-Piesberg e. V. Kinos Cinema Arthouse – Multiplex-Kino mit fünf Leinwänden Hall of Fame Osnabrück (ehemals Cinestar-Filmpalast und UFA-Palast) – Multiplex-Kino mit sieben Leinwänden Filmtheater Hasetor – Filmkunst- und Programmkino mit einer Leinwand Filmvorführungen finden regelmäßig auch im Kino in der Lagerhalle sowie durch die Initiative Uni-Film in einem Hörsaal der Universität statt. Stolpersteine Im Dezember 2006 beschloss der Rat der Stadt Osnabrück, die Idee des Kölner Künstlers Gunter Demnig zu übernehmen, Stolpersteine zu verlegen. Sie sollen an die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur erinnern und werden vor deren ehemaligen Wohn- oder Arbeitsstätten verlegt. Dieses Projekt wird seit dem 15. November 2007 umgesetzt und bis zum November 2017 wurden bislang 284 Stolpersteine verlegt. Regelmäßige Veranstaltungen Januar: Handgiftentag Februar: Osnabrücker Mahlzeit, das Grünkohlessen der Herren des Verkehrsvereins Osnabrück (seit 1954) Samstag vor Rosenmontag: Ossensamstag (großer Karnevalsumzug mit etwa 100.000 Besuchern). Vor Ostern: Frühjahrsjahrmarkt an der Halle Gartlage Vor Ostern: Osnabrücker Kammermusiktage April: European Media Art Festival April–Mai: Osnabrück-Börse und Großtauschtag für Briefmarken und Münzen (OsnabrückHalle) Mai: Maiwoche und Hasestraßenfest in der Innenstadt Mai: Gay in May – lesbisch-schwule Kulturtage Mai und September: jeweils an einem der ersten Wochenenden großer Nachtflohmarkt (Samstagabend bis Sonntagnachmittag) in der Innenstadt Sommer: Kulturnächte, Osnabrücker Volks-, Schützen- und Heimatfest Juni: Afrika-Festival (alle zwei Jahre) Ende Juni, Anfang Juli: Internationales Motorrad-Grasbahnrennen auf der Nahner Waldbahn in Osnabrück-Nahne Juli: Johannisstraßenfest Juni–August: Osnabrücker Sommer in der Stadt – Städtisches Sommerkulturprogramm August: immer am ersten Samstag: Die Goldenen Säge – Das Osnabrücker Straßenmusikfest August: Das Schlossgarten Open Air (zweitägiges Musikfestival mit nationalen Größen der Pop- und Rockmusik) findet seit 2015 jährlich an einem Augustwochenende im Schlossgarten statt. Ende August: Weinfest Ende August/Anfang September: Lichterfest an der Hase seit 2007 alle zwei Jahre Anfang September: Theaterfestival des ersten unordentlichen Zimmertheaters September: Morgenland Festival Osnabrück September: Jobmesse Osnabrück (jährlich seit 2004) September: Immobilienmesse Osnabrück (jährlich) September: Bergfest am Piesberg (Piesberger Gesellschaftshaus, Museum für feldspurige Industriebahnen Osnabrück-Piesberg e. V., Museum für Industriekultur) und Osnabrück unter Dampf am Zechenbahnhof Piesberg (Dampflokfest der Osnabrücker Dampflokfreunde e. V.), jährlich im Wechsel September–Oktober: inter.kult – Wochen der Kulturen alle zwei Jahre Oktober: Unabhängiges FilmFest Osnabrück Oktober: Steckenpferdreiten und Klingendes Rathaus (Friedensfest und Brauchtum) Ende Oktober/Anfang November: Herbstjahrmarkt an der Halle Gartlage November: Osnabrücker Kabarettfestival November: Festival des Neuen Japanischen Films, alle zwei Jahre Dezember: Weihnachtsmarkt und Illumination vieler Häuser der Altstadt Dezember: Osnabrück-Börse und Großtauschtag für Briefmarken und Münzen (OsnabrückHalle) Osnabrücker Friedensgespräche mehrmals im Jahr Landschaftsverband Osnabrücker Land Um kulturelle Belange kümmert sich unter anderem der Landschaftsverband Osnabrücker Land, ein eingetragener Verein unter Trägerschaft des Landkreises und der kreisfreien Stadt Osnabrück. Wirtschaft Im Jahre 2016 erbrachte Osnabrück ein Bruttoinlandsprodukt von 7,955 Milliarden € und belegte damit Platz 45 in der Rangliste der deutschen Städte nach Wirtschaftsleistung. Das BIP pro Kopf lag im selben Jahr bei 48.732 € (Niedersachsen: 34.812 €, Deutschland 38.180 €). In der Stadt gab es 2016 ca. 126.500 erwerbstätige Personen. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2018 bei 6,4 % und damit über dem Niedersächsischen Durchschnitt von 5,0 %. Osnabrück ist Oberzentrum für das südwestliche Niedersachsen und Teile des angrenzenden Westfalen. Viele Menschen aus den Umlandgemeinden arbeiten in der Stadt und nutzen sie als Einkaufs- und Erlebniszentrum. Die Osnabrücker Wirtschaft ist seit dem Beginn der Industriellen Revolution in Deutschland vor allem industriell geprägt. Durch die günstige Verkehrslage im Schnittpunkt wichtiger europäischer Straßen-, Schienen- und Wasserwege entwickelten sich in Osnabrück aber auch ein sehr starkes Transportgewerbe und zahlreiche Dienstleistungsunternehmen, die überregionale Bekanntheit erlangten. Im Zukunftsatlas 2016 belegte die kreisfreie Stadt Osnabrück Platz 140 von 402 Landkreisen, Kommunalverbänden und kreisfreien Städten in Deutschland und zählt damit zu den Orten mit „Zukunftschancen“. In der Ausgabe von 2019 lag sie auf Platz 63 von 401. Stahl- und Metallindustrie Vor allem die Ansiedlungen des Eisen- und Stahlwerks zu Osnabrück im Jahr 1868 und der Georgsmarienhütte südlich der Stadt im selben Zeitraum haben das Bild Osnabrücks als Stahlstandort über Jahrzehnte geprägt. Nach dem im Zuge der Stahlkrise erfolgten Niedergang des Osnabrücker Stahlwerks im Jahr 1989 besteht noch die Georgsmarienhütte als Edelbaustahlproduzent weiter. Nördlich der Innenstadt in der Gartlage siedelte sich 1873 die Draht- und Stiftfabrik Witte und Kämper an, welche 1890 in Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerke AG (OKD) umfirmiert wurde. Heute trägt das Werk den Namen KME SE und ist ein Hersteller von Produkten aus Kupfer und Kupferlegierungen. Der Bereich KME Special Products wurde im Jahr 2022 ausgegliedert und 2023 in cunova umbenannt. Papierindustrie Die Stadt und das Umland von Osnabrück sind einer der deutschen Schwerpunkte der Papierherstellung und -verarbeitung. Schon vor Jahrhunderten siedelten sich Papiermühlen an der Hase und ihren Nebenflüssen an, aus denen sich die Papierfabriken Kämmerer im Hafen sowie die Felix Schoeller Gruppe in Gretesch entwickelten. Das Papierwerk Kämmerer wurde 1976 vom finnischen Unternehmen Ahlstrom übernommen. Seit 2016 firmiert es wieder unter dem Namen Kämmerer. Im Umland von Osnabrück sind zudem große Papierverarbeiter wie die Tapetenfabrik Rasch und der Haushaltswarenhersteller Duni in Bramsche, oder Fislage in Hörstel ansässig. Automobilindustrie Durch das ehemalige Unternehmen Karmann ist Osnabrück als Herstellungsort zahlreicher Cabriomodelle bekannt. Nach der Insolvenz im Jahr 2009 wurden große Teile des Unternehmens als Volkswagen Osnabrück in den VW-Konzern eingegliedert. Neben der Komplettfertigung von VW-Modellreihen übernahm das Werk in den letzten Jahren vermehrt einzelne Produktionsschritte wie Lackierung oder Endmontage für verschiedene VW-Konzernmarken. Teilweise unabhängig, teilweise in Abhängigkeit zum VW-Werk existiert in und um Osnabrück zudem eine erhebliche Zulieferindustrie sowie auf Automobillogistik, Fahrzeugbau, Automobilhandel und Fahrzeugteilehandel spezialisierte Unternehmen. Konversion In den letzten Jahren wurden viele ursprünglich industriell oder militärisch genutzte Flächen in Osnabrück in einen Konversionsprozess überführt. Dadurch wurde zwar einerseits die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt gefährdet, da die vorherigen Nutzer der Flächen teils erhebliche Wirtschaftsfaktoren darstellten. Andererseits verspricht die Konversion dieser Gebiete lukrative Entwicklungsmöglichkeiten, da sie als stadtnahe Wohn- oder Gewerbegebiete genutzt werden können. Die Bundeswehr verfügte über mehrere Standorte in Osnabrück, die allesamt bis 1997 aufgegeben worden sind (siehe Liste ehemaliger Bundeswehr-Liegenschaften#O). Nachnutzungen der Bundeswehr-Kasernen finden sich z. B. im Stadtteil Westerberg (Erweiterung der Universität und Hochschule Osnabrück) und im Stadtteil Kalkhügel (Wohngebiet und Behördenzentrum). Durch den Abzug der britischen Truppen und die Schließung der Garnison Osnabrück bis ins Jahr 2009 wurden weitere Kasernenflächen frei. Teilweise befinden sie sich gerade in einem Konversionsprozess (z. B. Kaserne am Limberg in Dodesheide und Kaserne an der Landwehrstraße in Atter, größtes Neubaugebiet Osnabrücks seit dem Zweiten Weltkrieg) oder dieser Prozess ist bereits weitgehend abgeschlossen wie beim heutigen Wissenschaftspark im Stadtteil Westerberg. Ein Beispiel für ein industrielles Konversionsgebiet in Osnabrück ist das Gelände des 1989 geschlossenen Klöckner-Stahlwerks im Stadtteil Fledder (heute stadtnahes Gewerbegebiet „Hasepark“). Auf dem Gelände des unmittelbar südlich davon gelegenen ehemaligen Güterbahnhofs mit Ringlokschuppen ist nach jahrelangem Stillstand die Entwicklung eines neuen Stadtviertels geplant. Pendler Die Stadt Osnabrück hat sehr starke Pendlerverflechtungen mit den Umlandgemeinden. Es gab 2012 bei den sozialversicherungspflichtig Beschäftigten insgesamt 51.270 Einpendler nach Osnabrück, die überwiegend aus dem Landkreis Osnabrück (in Niedersachsen) und aus dem Kreis Steinfurt (in Nordrhein-Westfalen) kommen. Außerdem gibt es 20.194 Auspendler, die aus Osnabrück vor allem in den Landkreis Osnabrück und in den Kreis Steinfurt (sowie in die Stadt Münster) zur Arbeit fahren. Die stärksten Pendlerverflechtungen gibt es zwischen Georgsmarienhütte und Osnabrück (4.470 Einpendler aus Georgsmarienhütte nach Osnabrück und 2.181 Auspendler aus Osnabrück nach Georgsmarienhütte) sowie zwischen Wallenhorst und Osnabrück (4.432 Einpendler aus Wallenhorst nach Osnabrück und 1.107 Auspendler aus Osnabrück nach Wallenhorst). Mehr als je 2.000 Einpendler kommen nach Osnabrück aus Belm, Bissendorf, Bramsche, Lotte; mehr als je 1.000 Einpendler kommen nach Osnabrück aus Hagen a.T.W., Hasbergen, Ibbenbüren, Melle, Ostercappeln, Westerkappeln. Unternehmen Zu den bedeutendsten Unternehmen mit ihren Hauptsitzen in Osnabrück zählen in alphabetischer Reihenfolge: Auto Weller Bohnenkamp Coppenrath & Wiese, Backwarenhersteller DIOSNA Dierks & Söhne, Anlagenhersteller Felix Schoeller Gruppe Froneri Ice Cream Deutschland, Speiseeisproduzent Hellmann Worldwide Logistics Heilpädagogische Hilfe Osnabrück Heinrich Fip GmbH & Co. KG, Mineralölvertriebsunternehmen Reno, Schuhhandel Kämmerer, Papierhersteller KiKxxl Kinderhospital Osnabrück Klinikum Osnabrück KME SE und cunova Koch International, Spedition Köster Bauunternehmen Lengermann und Trieschmann, Modehaus Leysieffer, Chocolaterie Marienhospital Osnabrück Meyer & Meyer, Spedition NordWestBahn NOZ Medien Paracelsus-Kliniken Piepenbrock Unternehmensgruppe Q1 Energie AG, Tankstellen Sievert, Bauwesen Sparkasse Osnabrück Stadtwerke Osnabrück Titgemeyer (GTO) Produktion, Großhandel für Nutzfahrzeuge Volkswagen Osnabrück WM SE, Großhändler für PKW/ NKW Ersatzteile und Zubehör Daneben gibt es im Einzugsgebiet Osnabrücks weitere bedeutende Unternehmen. Medien Tageszeitungen In Osnabrück erscheint die Neue Osnabrücker Zeitung. Sie ging 1967 aus der Fusion des 1884 gegründeten Osnabrücker Tageblatts und der Neuen Tagespost hervor. Osnabrück ist damit ein Einzeitungskreis. Onlinemedien Das Onlineportal Hasepost erscheint seit 2013 und berichtet überwiegend über lokale Nachrichten. Das Vorgängerprojekt Loewenpudel.de war das erste regionale Onlineportal in Osnabrück und startete 1996. Wochen- und Monatspresse Wöchentlich (zunächst mittwochs und sonntags, mittlerweile mittwochs und samstags) erscheint das Anzeigenblatt Osnabrücker Nachrichten. Bis Januar 2014 erschien sonntags zudem das Anzeigenblatt Osnabrücker Sonntagszeitung. Monatlich erscheint die Stadtillustrierte Stadtblatt, die auch halbjährlich den Gastronomie- und Restaurantführer Stadtblatt-live sowie das Studierendenmagazin Stadtblatt Campus zum Start von Sommer- und Wintersemester herausgibt. Außerdem erscheinen der Insider Osnabrück, der Eulenspiegel, das Mosquito Magazin sowie die Straßenzeitung Abseits. Seit 2012 erscheint das Magazin Osnabrücker Wissen als Medienprojekt der Hochschule Osnabrück. Rundfunk Die Lokalradiosender in Osnabrück sind Radio Osnabrück und osradio 104,8. Bei Letzterem handelt es sich um einen Bürgerrundfunk, in dem jeder Sendungen veröffentlichen kann. Darüber hinaus gab es bis Ende 2018 regionale Studios der Radiosender ffn, Hitradio Antenne und Radio 21, diese sind seit 2019 nicht mehr vorhanden. Ferner ist die Stadt Sitz eines Regionalstudios des NDR, das Beiträge für die Hörfunkwellen und das Fernsehprogramm produziert. Ausgestrahlt werden diese Sendungen vom Rundfunksender Schleptruper Egge in Bramsche. Der Sendebetrieb des lokalen Fernsehsenders OS1.TV wurde zum Jahresende 2015 eingestellt. Telekommunikation Der einzige Fernmeldeturm in Osnabrück ist der Schinkelturm, ein 1977 fertiggestellter Fernmeldeturm der DFMG, auf dem sich diverse Sender befinden. Etwa 5 Kilometer nördlich von Osnabrück befindet sich der Rundfunksender Schleptruper Egge des Norddeutschen Rundfunks auf dem Gebiet der Stadt Bramsche und etwa 10 Kilometer südlich von Osnabrück der Fernmeldeturm Grafensundern der DFMG auf dem Gebiet der Gemeinde Hagen a.T.W. Ein ehemaliger Rundfunksender in Osnabrück war der Sender Osnabrück-Ziegenbrink. Verkehr In Osnabrück schneiden sich wichtige europäische Verkehrsachsen für den Straßen- und Schienenverkehr, weshalb der Stadt eine bedeutende Rolle als Umstiegsort für Reisende und Umschlagort für Güter zukommt. Modal Split Der Modal Split beschreibt die Anteile bei der Auswahl der Verkehrsmittel für den Personenverkehr in der Stadt Osnabrück. Kraftverkehr Autobahnen Durch Osnabrück führen mehrere Autobahnen: Im Nordwesten die A 1 „Hansalinie“ Puttgarden–Saarbrücken, im Süden die A 30 Bad Oeynhausen–Bad Bentheim und im Osten die A 33 Osnabrück–Bad Wünnenberg. Die A 30 kreuzt im Südwesten, im Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück die A 1 und im Südosten, im Autobahnkreuz Osnabrück-Süd die A 33. Auf den Autobahnen rund um Osnabrück werden momentan mehrere Bauprojekte durchgeführt oder sind geplant. Im Stadtteil Atter wird das bedeutende Verkehrsbauwerk Dütebrücke, über das die Autobahn 1 den Fluss Düte und die Bahnstrecke Löhne–Rheine überquert, bis 2021 neu gebaut. Außerdem wird das Autobahnkreuz Lotte/Osnabrück umgebaut und erneuert. Die Bundesautobahn 30 soll nach dem Bundesverkehrswegeplan 2030 zwischen dem Lotter Kreuz und dem Autobahnkreuz Osnabrück-Süd von vier auf sechs Fahrstreifen ausgebaut werden, um die Kapazität in diesem Abschnitt zu erhöhen. Die Bundesautobahn 33, bei der 2019 der südliche Lückenschluss zwischen Halle (Westf.) und Borgholzhausen erfolgt ist, soll laut Bundesverkehrswegeplan in den nächsten Jahren bis zur Bundesautobahn 1 verlängert werden, um auch die nördliche Lücke im Autobahnnetz zu schließen. Bei Wallenhorst soll ein neues Autobahndreieck entstehen, dadurch wäre der Osnabrücker Autobahnring vollendet. Die Planungshoheit für die niedersächsischen Autobahnabschnitte im Bereich Osnabrück lag bis 2020 bei der Niedersächsischen Landesbehörde für Straßenbau und Verkehr – Geschäftsbereich Osnabrück, ging jedoch am 1. Januar 2021 an die Autobahngesellschaft des Bundes – Niederlassung Westfalen, Außenstelle Osnabrück über. Anschlussstellen der Autobahnen in Osnabrück Anschlussstellen der Autobahnen der Autobahn im Stadtgebiet und Nahbereich um Osnabrück mit Nummer: Bundesautobahn 1 Osnabrück-Nord (70) Osnabrück-Hafen (71) Kreuz Lotte/Osnabrück (72) Bundesautobahn 30 Kreuz Lotte/Osnabrück (14) Hasbergen-Gaste (15) Osnabrück-Hellern (16) Osnabrück-Sutthausen (17) Osnabrück-Nahne (18) Kreuz Osnabrück-Süd (19) Natbergen (20) Bundesautobahn 33 Osnabrück-Widukindland (6) Osnabrück-Lüstringen (7) Osnabrück-Fledder (8) Kreuz Osnabrück-Süd (9) Harderberg (10) Bundesstraßen Durch die Stadt führen die Bundesstraßen B 68, B 51 und die B 65. Die Bundesstraße 68, welche über den westlichen Osnabrücker Wallring und den Rosenplatz verläuft, bildet hier eine starke Unfallquelle und soll mit Fertigstellung der Bundesautobahn 33 Nord auf eine Landesstraße zurückgestuft werden, um den Lkw-Verkehr durch die Stadt zu verringern. An der nördlichen Stadtgrenze zur Nachbargemeinde Belm wurde eine Ortsumfahrung der Bundesstraßen 51 und 65 um den Ortskern angelegt. Diese Bundesstraßen gehen dort in die Bundesautobahn 33 über. Weitere Straßen und Straßennetz Innerhalb des Stadtringes (Wall, siehe oben und Innenstadt) sind einige Bereiche als Fußgängerzone ausgewiesen. Der Neumarkt ist ein zentraler Verkehrsknotenpunkt, da hier der Straßenzug Große Straße / Johannisstraße als zentrale Einkaufsstraße Osnabrücks eine große Hauptstraße kreuzt und die Stadtbusse den Platz als Zentrale Umstiegshaltestelle anfahren. Das Straßennetz in Osnabrück umfasst ca. 820 km, wovon 760 km durch die Stadt unterhalten werden. 31 km umfassen Bundesautobahnen, 12 km Bundesstraßen, Landesstraßen 15 km und Kreisstraßen 65 km. Radverkehr An den meisten Hauptverkehrsstraßen Osnabrücks existieren Radfahrstreifen auf Fahrbahnniveau oder Radwege auf Höhe des Gehweges. Sie sind jedoch insbesondere an Engstellen oft schmal und führen zwischen den Autospuren hindurch oder direkt an parkenden Autos vorbei, was eine hohe Gefahr für Konflikte mit dem fahrenden und ruhenden Kfz-Verkehr birgt. An mehreren Kreuzungen, wie beispielsweise der Ecke Johannistorwall/Kommenderiestraße, gab es in den vergangenen Jahren vermehrt zum Teil tödlich verlaufende Abbiegeunfälle. Auch als Reaktion auf die häufigen Unfälle sind jedoch seit einigen Jahren Verbesserungen des Radwegenetzes an Straßen erkennbar. So wurden insbesondere im Innenstadtbereich vielerorts indirekte Linksabbiegespuren für Radfahrer angelegt und durch Markierungen wird ermöglicht, dass sich Radfahrer beim Warten an Kreuzungen vor dem Kfz-Verkehr positionieren können. Die oben genannte Kreuzung wurde mittlerweile so umgebaut, dass Konflikte beim Abbiegen nicht mehr auftreten können. An zentralen Punkten werden Radabstellanlagen gebaut, in der Erdgeschossebene des Parkhauses am Hauptbahnhof wurde am 1. April 2023 eine neue Radstation eröffnet. Mit rund 2300 überdachten Fahrradstellplätzen ist diese zum Zeitpunkt der Eröffnung das zweitgrößte Fahrradparkhaus in Deutschland nach der Anlage im benachbarten Münster. Außerdem wurden Modellprojekte wie ein geschützter Radfahrstreifen (protected bike lane) am Heger-Tor-Wall und die Radschnellwegverbindung nach Belm verwirklicht. Der nationale und europäische Radfernweg D7 / EV3 „Pilgerroute“ quert Osnabrück von Norden nach Süden. Schienenverkehr Für die Zugverbindungen von und nach Osnabrück im Fern- und Nahverkehr, siehe Osnabrück ist Bahnknoten mit einem Hauptbahnhof. Dieser besteht aus einem Personenbahnhof in der seltenen Bauform eines Turmbahnhofes sowie einem Rangierbahnhof. Im Hauptbahnhof kreuzen sich die Bahnstrecken Ruhrgebiet–Hamburg und Löhne–Rheine (Teilstrecke der Magistrale Hannover–Amsterdam). Außerdem zweigen in Osnabrück zwei Nebenstrecken ab: Der Haller Willem in Richtung Südosten nach Bielefeld und die Bahnstrecke Osnabrück–Oldenburg in Richtung Norden. Von letzterer zweigt in Hesepe die Bahnstrecke Hesepe–Delmenhorst ab. Ferner gibt es die Tecklenburger Nordbahn (Osnabrück–Mettingen–Recke–Rheine) mit Güter- und Museumszügen, für die im Nahverkehrsplan SPNV Westfalen-Lippe aufgrund einer guten Wirtschaftlichkeit die Wiederinbetriebnahme als moderne Regionalbahn von Osnabrück nach Recke im 30-Minuten-Takt vorgesehen ist. Der Hauptbahnhof ist seit 2000 Heimatbahnhof der NordWestBahn. Weitere Personenbahnhöfe im Stadtgebiet sind Osnabrück Altstadt (bis Ende 2009 Osnabrück Hasetor) mit Zugverkehr in Richtung Bramsche, Oldenburg, Wilhelmshaven, Vechta, Bremen, Rheine, Bad Bentheim, Bünde, Bielefeld, Hannover und Braunschweig sowie Osnabrück-Sutthausen mit Zugverkehr in Richtung Halle (Westf) – Bielefeld. Die Bahnhöfe Osnabrück-Eversburg, Osnabrück-Lüstringen und Osnabrück West (Hannoverscher Bahnhof) werden nicht mehr bedient. Der Verein Osnabrücker Dampflokfreunde e. V. bietet Museumsbahnfahrten vom Piesberg (Zechenbahnhof) aus an. Die Fahrten in Richtung Osnabrück Hbf erfolgen entweder über die Strecke Löhne–Rheine (via Hp. Altstadt) oder über die Hafenbahn (via Hp. „Ostbahnhof“ Höhe Römereschstraße). Die Stadt Osnabrück ließ 1996 eine Machbarkeitsstudie von der Verkehrsconsult Karlsruhe erstellen mit dem Titel „Stadtbahn für die Region Osnabrück“, worin aufgezeigt wird, wie aus den Bahnstrecken innerstädtische Streckenausfädelungen nach dem Karlsruher Modell als Stadtbahn betrieben werden können. Nach der Stadt ist ein Intercity-Express benannt. In Osnabrück wurde 1906 die innerstädtische Straßenbahn mit zwei Linien eröffnet. In den 1920er Jahren kam eine dritte Linie hinzu. Die Osnabrücker Straßenbahn wurde bis 1960 betrieben. Zwischen der Sutthauser Straße und der Iburger Straße ist der Bau eines zusätzlichen Haltepunktes Osnabrück Rosenplatz für den Haller Willem geplant. Im Zuge einer möglichen Reaktivierung der Tecklenburger Nordbahn ist der Neubau eines Haltepunktes an der Buswende Eversburg-Büren angedacht. Busverkehr Den Straßenpersonennahverkehr im Stadtbereich bedienen heute neun Stadtbus-Grundlinien und 5 Metrobuslinien der Stadtwerke Osnabrück AG und eng damit verknüpft Regionalbusse der Weser-Ems Bus GmbH und weiterer Unternehmen. Bis in die 1960er Jahre war das Bild durch andere Verkehrsträger geprägt: Von 1906 bis 1960 verkehrten Straßenbahnen. 1949 wurde die erste Linie des Oberleitungsbus Osnabrück in Betrieb genommen; das Obusnetz ersetzte bis 1968 die stillgelegte Straßenbahn. Anschließend wurden die dieselbetriebenen Busse zum einzigen Verkehrsträger im Stadtgebiet. Wichtigster zentraler Umsteigeknoten neben dem Hauptbahnhof ist der Neumarkt. Es gibt bisher keinen Verkehrsverbund mit SPNV-Integration; mit Busfahrscheinen der Verkehrsgemeinschaft Osnabrück (VOS) können daher keine Züge benutzt werden. Ausnahme ist die Bahnlinie Haller Willem nach Bielefeld, hier gilt ein besonderer VOS-Plus-Tarif. In Richtung Münsterland und Tecklenburger Land wird der Westfalentarif angewendet – diese Bahnfahrkarten sind auch im Stadtbusnetz Osnabrück gültig. Des Weiteren gibt es für die Eisenbahnstrecken in Osnabrück seit 2013 zusätzlich den Niedersachsentarif. Das zugehörige Niedersachsen-Ticket gilt im Nahverkehr in Stadt und Landkreis Osnabrück. Überregionale Reisebusse halten neben dem Hauptbahnhof, in der Eisenbahnstraße. Hier fahren vor allem Linien nach Polen, Ländern im ehemaligen Jugoslawien oder auch der ehemaligen Sowjetunion. Ein weiteres Ziel ist Berlin, welches mehrmals täglich angesteuert wird. Seit der Liberalisierung des Fernbusverkehrs in Deutschland im Jahr 2013 bestehen auch Fernbuslinien zu anderen Zielen innerhalb Deutschlands. Wanderwege Osnabrück ist Start- bzw. Zielpunkt mehrerer Fernwanderwege, die vom Wiehengebirgsverband Weser-Ems betreut werden, und zwar des 229 km langen Handelswegs, bestehend aus dem Töddenweg in Deutschland und dem Marskramerpad in den Niederlanden (nach Deventer), des 208 km langen Hünenwegs (nach Papenburg), des 107 km langen Pickerwegs (nach Wildeshausen) und des 90 km langen Wittekindswegs (nach Porta Westfalica). Luftverkehr In Osnabrück befindet sich der Flugplatz Osnabrück-Atterheide. Als nächster Verkehrsflughafen befindet sich der Flughafen Münster/Osnabrück in Greven. Einstmals existierte in der Netter Heide (Stadtteil Hafen) der erste Osnabrücker Flugplatz. Dieser 1911 eingerichtete Flugplatz musste 1934 der neuen Winkelhausenkaserne weichen. Nur der 1914 errichtete Hangar blieb als Relikt des Flugplatzes bestehen. Dieser Hangar ist der älteste noch erhaltene Hangar in Deutschland. Flughafen Münster/Osnabrück (FMO) Der nächste Verkehrsflughafen, ca. 30 km entfernt, ist der Flughafen Münster/Osnabrück. Mehrmals täglich gibt es Verbindungen zu den innerdeutschen Flughäfen Frankfurt, München und Stuttgart. Innerhalb Europas werden Ziele rund um das Mittelmeer, die Kanaren, die Türkei und Ägypten von diversen Fluggesellschaften angeboten. Vom Flughafen erreicht man Osnabrück über die Autobahnen A 1 und A 30. Es gibt eine regelmäßig verkehrende Expressbuslinie der RVM, den X15, der bis zu 19× am Tag die Stadt mit dem Flughafen verbindet. Flugplatz Osnabrück-Atterheide Im westlichen Stadtteil Atter befindet sich der als Verkehrslandeplatz klassifizierte Flugplatz Osnabrück-Atterheide. Es gibt einen hauptamtlich Beauftragten für Luftaufsicht. Der Flugplatz kann ganzjährig von Flugzeugen bis 5,7 t Gesamtgewicht angeflogen werden und wird in hohem Maße von Geschäftsreisenden genutzt. Rundflüge sind hier ganzjährig möglich. Schiffsverkehr Die wichtigen Schifffahrtskanäle Mittellandkanal und Dortmund-Ems-Kanal verlaufen in der Nähe, aufgrund der Topografie des Osnabrücker Raumes jedoch nicht durch die Stadt. Zur Anbindung Osnabrücks wurde der 13 Kilometer lange Stichkanal Osnabrück gebaut, der den Osnabrücker Binnenhafen im Stadtteil Hafen mit dem Mittellandkanal verbindet. Der Stichkanal weist derzeit einen Ausbau auf, der ein Befahren mit Schiffen knapp unterhalb der Größe von Europaschiffen ermöglicht. Um auch größeren Schiffen eine Anlaufstelle im Raum Osnabrück zu bieten, soll die direkt am Mittellandkanal gelegene Umschlagstelle Bohmte im Bohmter Ortsteil Herringhausen ausgebaut werden. Öffentliche Einrichtungen In Osnabrück haben folgende Einrichtungen und Institutionen ihren Sitz: Deutsche Bundesstiftung Umwelt Deutsche Stiftung Friedensforschung Stiftung Zentrale Stelle Verpackungsregister terre des hommes Deutschland HelpAge Deutschland Handwerkskammer Osnabrück-Emsland – Kammerbezirk: Kreisfreie Stadt Osnabrück sowie Landkreise Emsland, Grafschaft Bentheim und Osnabrück Hauptzollamt Osnabrück Industrie- und Handelskammer (IHK) Osnabrück-Emsland-Grafschaft Bentheim – Kammerbezirk: Kreisfreie Stadt Osnabrück sowie Landkreise Osnabrück, Grafschaft Bentheim und Emsland mit Ausnahme der Stadt Papenburg Amtsgericht Osnabrück, Landgericht Osnabrück und Staatsanwaltschaft Osnabrück Polizei Niedersachsen – Polizeidirektion Osnabrück Regionales Landesamt für Schule und Bildung Osnabrück Filiale der Deutschen Bundesbank Skywarn Deutschland Bibliotheken und Archive Niedersächsisches Landesarchiv (Abteilung Osnabrück) mit Dienstbibliothek und Bibliothek des Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück e. V. (Historischer Verein) Diözesanbibliothek und Diözesanarchiv des Bistums Osnabrück Universitätsbibliothek Osnabrück mit sechs Standorten Bibliothek der Hochschule Osnabrück mit Hauptstandort am Westerberg und Teilbibliotheken im Stadtteil Haste und in Lingen (Ems) Stadtbibliothek Osnabrück Bibliothek der Deutschen Bundesstiftung Umwelt Bildung Hochschulen Die Universität Osnabrück mit Sitz im Osnabrücker Schloss wurde 1974 gegründet. Sie ging aus einer seit 1953 in Osnabrück bestehenden Pädagogischen Hochschule hervor. Größere Standorte in Osnabrück sind die Innenstadt und der Westerberg. Die Hochschule Osnabrück, gegründet 1971, entstand durch die Zusammenlegung mehrerer Einrichtungen. Zu ihnen gehörten die Höhere Landbauschule, die Höhere Gartenbauschule und die Staatliche Ingenieurschule. 2005 ging die ebenfalls 1971 aus einer Höheren Fachschule für Sozialpädagogik gegründete Katholische Fachhochschule Norddeutschland Osnabrück und Vechta in der Fachhochschule Osnabrück auf, als sich die Bistümer Osnabrück und Münster aus der Trägerstiftung zurückgezogen haben. Die Standorte in Osnabrück sind der Campus Westerberg, der Caprivi-Campus und der Campus Haste. Darüber hinaus gibt es eine Außenstelle in Lingen (Ems). Berufsbildende Schulen Liste ist nicht abschließend Die Franz-von-Assisi-Schule ist eine Fachschule für Sozialpädagogik und wurde 1921 als Wilhelmstift gegründet. Berufsbildende Schulen des Landkreises Osnabrück, Brinkstraße Berufsbildende Schulen des Landkreises Osnabrück in Osnabrück-Haste Berufsschulzentrum am Westerberg Berufsbildende Schulen der Stadt Osnabrück am Schölerberg Berufsbildende Schulen der Stadt Osnabrück am Pottgraben Allgemeinbildende Schulen Liste ist nicht abschließend Das Gymnasium Carolinum wurde angeblich 804 von Karl dem Großen gegründet. Es ist eine der am längsten bestehenden Schulen Deutschlands. In direkter Nachbarschaft befindet sich die Ursulaschule, die wie die Angelaschule früher ein von Ursulinen geleitetes Mädchengymnasium war. Heute sind beide Schulen vom Bistum geführte staatlich anerkannte koedukative Gymnasien. Das 1595 eingeweihte staatliche Ratsgymnasium Osnabrück ist die älteste nicht geistliche Schule der Stadt. Das Gymnasium „In der Wüste“ war 2000 Expo-Schule. Das 1965 zunächst als 4. Jungengymnasium gegründete Graf-Stauffenberg-Gymnasium liegt am Kalkhügel. Es bietet bilingualen Unterricht. Die Gesamtschule Schinkel, eine UNESCO-Projekt-Schule, ist eine der größten Osnabrücker Schulen. Sie gehörte zu den ersten Gesamt- und Ganztagsschulen in Niedersachsen. Das Schulzentrum Sonnenhügel mit der Ganztags- und Europaschule Ernst-Moritz-Arndt-Gymnasium, der Wittekind-Realschule und der Hauptschule Felix-Nussbaum-Schule. Ein Schulzentrum in Eversburg wurde 2010 in die Integrierte Gesamtschule Osnabrück umgewandelt. Zu den Privatschulen zählen eine Montessorischule und die Freie Waldorfschule Evinghausen mit dem Einzugsgebiet Osnabrücks. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde vom Magistrat der Stadt eine zweiklassige Vorschule und eine zweiklassige Hauptschule mit getrennten Geschlechtern in der Stadtmitte errichtet, die zusammen eine vierstufige Bürgerschule bildete. 1833 zog die Bürgerschule in ein neu errichtetes Schulgebäude an die Hakenstraße Nr. 10, dem ehemaligen Wohnhaus von Justus Möser. Sie erhielt 1927 den Namen Möser-Mittelschule – heute: Möser-Realschule am Westerberg. Domschule Osnabrück, Oberschule in kirchlicher Trägerschaft. Die Thomas-Morus-Schule Osnabrück, benannt nach dem englischen Juristen und Staatsmann Thomas Morus, ist eine Oberschule in direkter Nachbarschaft zur Angelaschule. Die katholische Oberschule wurde 1977 vom damaligen Bischof Dr. Helmut Hermann Wittler eingeweiht. ehemalige Schulen: Von 1961 bis 1990 bestand in der Ameldungstraße das als Mädchengymnasium mit Frauenoberschule gegründete Käthe-Kollwitz-Gymnasium. Grundschule Johannisschule, heute befindet sich am selben Standort die Grundschule Drei-Religionen-Schule. Gefahrenabwehr Feuerwehr Die Feuerwehr der Stadt Osnabrück besteht aus zwei Berufsfeuerwehrwachen sowie sieben Freiwilligen Ortsfeuerwehren. Neben den primären Aufgaben wie abwehrendem Brandschutz und technischer Hilfeleistung hat jede Ortsfeuerwehr noch verschiedene Sonderaufgaben. Neben den städtischen Feuerwehren gibt es noch drei Werkfeuerwehren in Industriebetrieben. Berufsfeuerwehr Wache 1 (Stadtteil Westerberg) Wache 2 (Stadtteil Gretesch) Freiwillige Feuerwehren 3 – Stadtmitte 4 – Eversburg 5 – Haste 6 – Schinkel 7 – Voxtrup 8 – Sutthausen 9 – Neustadt Werkfeuerwehren WF Volkswagen Osnabrück WF KME Osnabrück WF Felix Schoeller Osnabrück Rettungsdienst Der Rettungsdienst im Stadtgebiet wird von der Berufsfeuerwehr, den Hilfsdiensten Arbeiter-Samariter-Bund, Malteser Hilfsdienst und Johanniter Unfallhilfe sowie einem Privatunternehmen von jeweils eigenen Rettungswachen aus durchgeführt. Im Bereich Wasserrettung ist eine DLRG-Ortsgruppe aktiv. Katastrophenschutz Einheiten des Katastrophenschutzes stellen in Osnabrück der Arbeiter-Samariter-Bund, das Deutsche Rote Kreuz, die Malteser und die Johanniter. Darüber hinaus besteht ein Ortsverband des Technischen Hilfswerks. Außerdem hat der Verein @fire Internationaler Katastrophenschutz Deutschland seinen Sitz in Osnabrück. Für den Kulturgutschutz der Osnabrücker Museen und Archive in Katastrophenlagen hat sich 2017 der Notfallverbund Osnabrück gegründet, an dem insgesamt 11 Kultureinrichtungen der Stadt Osnabrück, des Bistums Osnabrück und des Landes Niedersachsen beteiligt sind. Gesundheitswesen Als Krankenhaus der Maximalversorgung besteht das städtische Klinikum Osnabrück mit dem Hauptstandort am Finkenhügel im Stadtteil Westerberg. Unter Trägerschaft der Niels-Stensen-Kliniken existieren das Marienhospital Osnabrück (MHO), Lehrkrankenhaus der Medizinischen Hochschule Hannover, in der Innenstadt mit Zweitstandort am Westerberg sowie das Franziskus-Hospital Harderberg in Georgsmarienhütte, an der Stadtgrenze zu Osnabrück. Als Krankenhaus der allgemeinen Pädiatrie wurde das Christliche Kinderhospital Osnabrück (CKO) im Jahr 2011 neu gegründet und an das Marienhospital angegliedert. Das schon seit 1872 bestehende Kinderhospital Osnabrück am Schölerberg ist seit der Ausgliederung des CKO eine reine Kinder- und Jugendpsychiatrie. Das psychiatrische Landeskrankenhaus Osnabrück mit Klinikstandorten am Gertrudenberg und an der Knollstraße firmiert seit 2007 unter dem Namen Ameos Klinikum Osnabrück. Außerdem hat der Klinikkonzern Paracelsus-Kliniken Deutschland seinen Sitz in Osnabrück. Ehemalige Krankenhäuser Das Stadtkrankenhaus als Vorgänger des heutigen Klinikums befand sich ab 1865 im Stüvehaus an der Bergstraße. 1931 wurde es nur wenige Meter entfernt in einem Neubau am Natruper-Tor-Wall untergebracht, ehe es 1991 an den Finkenhügel verlegt wurde. Das Stüvehaus beherbergt heute die Volkshochschule Osnabrück und der Bau am Natruper-Tor-Wall ist jetzt das Stadthaus I der Stadtverwaltung. Das ehemalige Bundeswehrkrankenhaus Osnabrück liegt am Natruper Holz im Stadtteil Eversburg. Es entstand aus einem Lazarett der Wehrmacht und wurde 1994 vom Klinikum übernommen. Heute wird das Gebäude als Erstaufnahmeeinrichtung genutzt. Die Frauenklinik befand sich von 1925 bis 1991 an der Gabelung des Lieneschwegs/Caprivistraße im Stadtteil Westerberg. In der im Volksmund als „Kap der guten Hoffnung“ betitelten Klinik war auch die Hebammenlehranstalt untergebracht. 1991 wurde die Frauenklinik im neu gebauten Klinikum Osnabrück integriert. Im Gebäude ist heute das Institut für Musik der Hochschule Osnabrück untergebracht. Sport Sportvereine Liste ist nicht abschließend BSG Osnabrück Judo Crocodiles Osnabrück Osnabrücker Ruder-Verein (ORV) Osnabrücker Sportclub (OSC) Osnabrücker Spielverein 16 Osnabrücker Turnerbund (OTB) SV Eintracht 08 Osnabrück SV Rasensport DJK Osnabrück („Raspo“) SSC Dodesheide TSG Burg Gretesch TSV Osnabrück TuS Haste 01 VfL Osnabrück Sportstätten In nahezu jedem Stadtteil von Osnabrück gibt es Sporthallen und Sportanlagen für Rasensport, Ballsport und Leichtathletik, die von den ansässigen Sportvereinen genutzt werden. Größtes und wichtigstes Fußballstadion in Osnabrück ist die 16.100 Zuschauer fassende Bremer Brücke, in welcher die Profimannschaft des VfL Osnabrück ihre Heimspiele austrägt. Trainingsgelände des VfL Osnabrück und Zentrum des Schulsports und der Leichtathletik in Osnabrück ist der Sportpark Illoshöhe im Stadtteil Weststadt. Eine bedeutende Sporthalle ist die Schlosswallhalle im Stadtteil Wüste. Für den Schwimmsport stehen die drei öffentlichen Schwimmbäder Nettebad, Moskaubad und Schinkelbad der Stadtwerke Osnabrück zur Verfügung. Als natürliches Badegewässer dient der Attersee. Rudersport kann auf dem Stichkanal Osnabrück betrieben werden, hierfür befinden sich Bootshäuser im Stadtteil Eversburg. Im Stadtteil Sonnenhügel gibt es eine Eissporthalle und eine Indoor-Elektro-Kartbahn. Auf der Nahner Waldbahn finden regelmäßig Grasbahnrennen statt. Einen Golfplatz gibt es in Osnabrück nicht, die nächsten liegen in Lotte (Westfalen) und Bissendorf Kulinarisches Wochenmärkte Regelmäßig finden in den Stadtteilen Schinkel, Sonnenhügel und Schölerberg sowie auf dem Ledenhof und an der Johanniskirche Wochenmärkte statt. Besondere Tradition hat der Wochenmarkt auf der Großen Domsfreiheit. Regionale Spezialitäten Die Küche im Raum Osnabrück ist vor allem von der niedersächsischen und der westfälischen Küche beeinflusst. Beispiele für typische Gerichte in der Region sind: Ramanken Der Ramankeneintopf gehört zweifellos zu den Osnabrücker Spezialitäten – was genau sich dahinter verbirgt ist aber umstritten. Einige Osnabrücker gehen davon aus, dass „Ramanke“ im lokalen Idiom ein Synonym für „Steckrübe“ ist. Demnach wäre der Ramankeneintopf ein Steckrübeneintopf. Als der Osnabrücker Kabarettist Kalla Wefel aber 2017 ein lokales Wörterbuch veröffentlichte und darin „Ramankeneintopf“ mit „Steckrübeneintopf“ übersetzte, gab es zahlreiche Proteste von Lesern der Neuen Osnabrücker Zeitung. In ihren teilweise seit Generationen überlieferten Familienrezepten hätten Steckrüben nichts im Ramankeneintopf verloren oder seien bestenfalls eine optionale Ingredienz. Als Hauptzutat seien vielmehr Birnen anzusehen – oder auch Bohnen. Sowohl Wefel als auch die Lokalzeitung forschten daraufhin weiter nach. Mit dem Ergebnis, dass es kein allgemeingültiges Rezept für den Osnabrücker (oder auch Hasberger) Ramankeneintopf gibt, da es sich um ein „Quer durch den Garten-Gericht“ handelt, ein „Osnabrücker Allerlei“, für das es viele verschiedene Varianten gibt – mit Steckrüben, Kochbirnen oder Bohnen als Haupt- und vielen weiteren Lebensmitteln als Nebenzutaten, darunter Rindfleisch, Kartoffeln, Erbsen, Möhren, Lauch und Sellerie. Grünkohl ist ein traditionelles Winteressen. Alle Jahre wieder ist in der Zeit von November bis Februar in Osnabrück Grünkohlzeit. Das frühere Grundnahrungsmittel der armen Leute ist heute eine Delikatesse – vor allem in Kombination mit seinen Fleischbeilagen. Um dem Kohl seine besondere Würze zu verleihen, wird ihm beim Kochen unter anderem die beliebte Kohlwurst beigegeben. Man kann den Kohl aber durchaus auch vegetarisch zubereiten. Serviert wird Grünkohl im Osnabrücker Raum in der Regel mit Kasseler, Kohlwurst, Pinkel, frischer grober Bratwurst und Bratkartoffeln. Wurstebrot ist ein typisches Essen aus dem Osnabrücker Raum. Die Wurst besteht aus Blut, Roggenschrot, fettem Speck, Schweinefleisch, Mehl und Gewürzen. Sie wird in Scheiben geschnitten, mit Schmalz oder Butter gebraten und mit Brot serviert. Auch das Wurstebrot ist ein traditionelles Winteressen. Ehedem wurde dieses Produkt im Herbst zur Schlachtezeit hergestellt. Stopsel ist ein typisches Wintergericht in der Region. Bestandteile dieses Gerichts sind Schweinefleisch (u. a. gekochter Schweinekopf und Schweinepfötchen), Brühe und Grütze. Das herzhafte Stopsel wird entweder in der Pfanne angebraten und mit Brot serviert oder gekocht, mit Worcester-Sauce abgeschmeckt und mit Kartoffeln und Rote Bete verzehrt. Stopsel ist sehr gehaltvoll und wurde wie auch das Wurstebrot zur Schlachtezeit im Herbst hergestellt. Pumpernickel wird in Osnabrück und Umgebung häufig als Schwarzbrot bezeichnet. Diese Brotsorte soll schon um 1450 während einer Hungersnot auf Geheiß der Stadtherren auf Kosten des Stadtsäckels als Brot für die armen Leute gebacken worden sein, das bonum paniculum – gutes kleines Brot – genannt wurde. Aus diesem bonum paniculum machte dann angeblich das Volk, weil es kein Latein verstand, zuerst Bompernickel und später Pumpernickel. Heute noch gibt es in Osnabrück den alten Pernickelturm, hier soll der große Backofen gestanden haben, in dem das bonum paniculum für die Armen gebacken wurde. Springbrötchen haben ihren Namen von der aufgesprungenen Gebäckoberfläche. Es ist eine Brötchenspezialität aus dem Raum Osnabrück und wird auch nur hier angeboten. Die aufgesprungene Oberfläche entsteht durch verschiedene Streichen, die auf den fertigen Teig aufgetragen werden. Die Fettstreiche enthält dazu noch das Lockerungsmittel ABC-Trieb (Hirschhornsalz), das dem Brötchen einen leicht laugigen Geschmack verleiht. Hedeweggen (niederdeutsch für heiße Wecken, die gleichwohl in der Regel kalt verzehrt werden) sind ein dem Rosinenbrötchen ähnliches Gebäck. Es enthält aber einen etwas höheren Fettanteil und neben den Rosinen auch noch Zitronat. Es wird in Osnabrück gerne zu Tee und Kaffee gereicht und ist vor allem in der Karnevalszeit beliebt. Nach Osnabrück ist außerdem eine Apfelsorte benannt, die Osnabrücker Renette. Spitzengastronomie Osnabrück gehörte von 2011 bis 2018 zu den wenigen deutschen Städten mit einem Restaurant mit der Höchstwertung von drei Sternen im Restaurantführer Guide Michelin: Der Unternehmer Jürgen Großmann hatte das Osnabrücker Restaurant „la vie“ gekauft, es in das historische Gebäude Haus Tenge verlegt und 2006 den vorher in Dortmund tätigen Spitzenkoch Thomas Bühner nach Osnabrück geholt. Bereits ein Jahr später erhielt das „la vie“ zwei Sterne, 2011 folgte der dritte Stern. 2018 wurde das Restaurant überraschend aus wirtschaftlichen Gründen geschlossen. Im Guide Michelin 2020 ist das 2018 eröffnete Restaurant „Kesselhaus“ erstmals mit einem Stern ausgezeichnet worden. Küchenchef Randy de Jong hatte bis zur Schließung zur Küchenbrigade des „la vie“ gehört und wurde von der „Kesselhaus“-Inhaberin, der langjährigen „la vie“-Servicechefin Thayarni Garthoff für die Neueröffnung engagiert. Im Guide Michelin 2022 wurde außerdem das Osnabrücker Restaurant „Friedrich“ unter Küchenchef Lars Keiling mit einem Stern ausgezeichnet. Sprache Ostwestfälische Dialekte, Ossenbrügger Platt, sind die ursprüngliche Sprache Osnabrücks. In der inneren Stadt wird dieses aber schon seit Jahrzehnten nicht mehr gesprochen, auch in den eingemeindeten Dörfern spricht es nur noch eine Minderheit der älteren Bevölkerung. Das Hochdeutsche in lokaler Ausprägung hat sich als Umgangssprache vollständig durchgesetzt. Die heutige Osnabrücker Umgangssprache weicht von der hochdeutschen Aussprache nur sehr wenig ab. Verkürzungen Gekennzeichnet ist die hochsprachliche Osnabrücker Umgangssprache vor allem durch eine Verkürzung der Endsilben, z. B.: „Ich komm gleich“, „Wir fahrn nach Ibo(r)ch“ oder „ha(h)m“ (haben). Auch tritt das Phänomen auf, dass in der Umgangssprache Adverbien zu Adjektiven verwandelt werden können: So zum Beispiel für „zue Türen“, „auffe Fenster“ oder „appe Beine“. Lenisierung Sehr häufig ist auch noch die binnendeutsche Konsonantenschwächung der Plosivlaute bzw. Fortes g und t zu ch und d, wenn diese stimmlos sind (kenntlich etwa an Wörtern wie Iburg → Iburch, Krieg → Kriech, Leute → Leude, bitte → bidde für t → d), sowie die Verschmelzung (Kontraktion) von st bzw. sd zwischen zwei Vokalen zu einem scharfen ss (hast du → hassu, musst du → mussu, ist das → issas) dort, wo etwa das Berlinerische den zweiten Vokal zu einem kurzen e macht (hast du → haste, musst du → musste), was mit der generellen Weglassung von t bei Wörtern wie nicht → nich, ist → is zusammenhängt. Ähnlich verschmelzen auch habe ich → habbich und haben wir → hamma. Aussterben des s-pitzen S-teins Das ursprüngliche Niederdeutsche in Osnabrück kannte kein anlautendes sch vor Konsonanten und hatte stattdessen ein scharfes s. Nur noch sehr vereinzelt kann ein scharfes s bei st oder sp beobachtet werden. Persönlichkeiten mit den Söhnen und den Töchtern der Stadt sowie den Ehrenbürgern Ehrungen und Auszeichnungen Die Stadt Osnabrück vergibt mehrere Auszeichnungen an verdiente Bürger der Stadt und andere Persönlichkeiten. Osnabrücker Jugendmedaille, alle zwei Jahre verliehene Auszeichnung des Osnabrücker Jugendparlaments Justus-Möser-Medaille Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis Fritz-Wolf-Nachwuchsförderpreis für Karikaturisten und Cartoon Yilmaz-Akyürek-Preis für Integration Elisabeth-Siegel-Preis Friedensfilmpreis der Stadt Osnabrück KidCourage-Preis, Projekt der Bürgerstiftung Osnabrück unter dem Motto Stark für andere Deutscher Nachhaltigkeitspreis Am 14. Oktober 2019 erhielt Osnabrück den Deutschen Nachhaltigkeitspreis für Städte und Gemeinden 2020 in der Kategorie „Großstadt“. Sonstiges Um 2010 ist die Stadt mit einem Umstand in den Blickpunkt der Medien gekommen, der ein gewisses Alleinstellungsmerkmal ausmacht. Es wird über eine Siebenschläfer-Plage berichtet. Ob nun Plage oder nicht, Osnabrück hat wohl als einzige deutsche Stadt einen Siebenschläfer-Fänger, der die störenden Tiere einfängt und sie weit außerhalb der Stadt wieder aussetzt. Nach einer Umfrage des Magazins Stern aus dem Jahr 2003, leben in Osnabrück die zufriedensten Deutschen. Osnabrück hat als einzige Stadt der Bundesrepublik bisher sowohl ein Staatsoberhaupt (Bundespräsident) als auch einen Regierungschef (Bundeskanzler) hervorgebracht: Christian Wulff und Olaf Scholz sind beide in Osnabrück geboren (s. Persönlichkeiten der Stadt Osnabrück). Neben Osnabrück existieren einige namensverwandte Ortschaften: Im Nordosten des US-Bundesstaats North Dakota befindet sich die kleine Stadt Osnabrock, in Ohio die Gemeinde Osnaburg, in Schottland das Dorf Osnaburgh sowie im Pazifischen Ozean die Insel Mehetia, die bei der Entdeckung durch die Europäer 1767 den Namen Osnaburgh erhielt. Darüber hinaus existierte in Kanada in der Provinz Ontario bis 1998 die Gemeinde Osnabruck, bis diese in der neu gegründeten Gemeinde South Stormont aufging. Ebenfalls in Ontario liegt die Mishkeegogamang Ojibway Nation des Indianervolks Anishinabe, die vormals als Osnaburgh bekannt gewesen war. Unter dem Namen Osnaburgs war in den angelsächsischen Ländern im 18. und 19. Jahrhundert eine grob gewebte Arbeitskleidung weit verbreitet, deren Ursprung vermutlich in der Osnabrücker Textilherstellung zu suchen ist. Im Großelendtal in Österreich liegt auf 2032 Meter Höhe die Osnabrücker Hütte, eine Alpenvereinshütte der Sektion Osnabrück des Deutschen Alpenvereins Schlagzeilen machte 2006 der Trauerschwan „Petra“, der sich in Münster in ein Tretboot in Form eines übergroßen Schwans verliebte. Das weibliche Tier wich seinem „Artgenossen“ auf dem Aasee den ganzen Sommer nicht von der Seite, im November wurden beide in den Allwetterzoo Münster umgesiedelt. Neben deutschen Medien wie Spiegel und Stern berichteten unter anderem Fernsehteams aus den USA, Japan, Indien und aus der arabischen Welt. Ende 2009 verschwand Petra für eine gewisse Zeit, bis sie im Frühjahr 2013 in Osnabrück mit „neuer Liebe“ wiederentdeckt wurde, wo sie noch immer lebt. 2017 veröffentlichte die Hamburger Punk-Rock-Band Montreal das Musikvideo Osnabrück, dessen Filmszenen jedoch allesamt in Münster gedreht wurden. Für die Friedensstadt Osnabrück entstanden zwei zeitgenössische Kompositionen: Frieden braucht ein Update, 2019 von Studierenden des Fachbereichs Musikpädagogik der Universität Osnabrück getextet und komponiert und die Motette Gib Frieden, Gott, zu unsrer Zeit, 2020 von Ludger Stühlmeyer. Literatur chronologisch aufsteigend geordnet Friedrich Philippi: Zur Verfassungsgeschichte der westfälischen Bischofsstädte – mit urkundlichen Beilagen. Osnabrück 1894. Hermann Rothert: Geschichte der Stadt Osnabrück im Mittelalter: 2. Faksimiledruck der Ausgabe 1937–1938. 2. Auflage. Wenner Verlag, 2007, ISBN 978-3-87898-394-1. Erich Keyser: Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte Band III Nordwestdeutschland, 1. Teilband Niedersachsen/Bremen – Im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft der historischen Kommissionen und mit Unterstützung des Deutschen Städtetages, des Deutschen Städtebundes und des Deutschen Gemeindetages. Stuttgart 1952. Roswitha Poppe: Osnabrück (Deutsche Lande - Deutsche Kunst). München/Berlin 1972 Karl Baedeker: Osnabrück - Stadtführer. Freiburg 1977 Gisela Wilbertz: Hexenprozesse und Zauberglaube im Hochstift Osnabrück. In: Osnabrücker Mitteilungen. 84, 1978, S. 33–50. Karl Georg Kaster: Osnabrück. 1200 Jahre Fortschritt und Bewahrung. Nürnberg 1980. Christian Kämmerer: Baudenkmale in Niedersachsen, Stadt Osnabrück 32. 1986, ISBN 978-3-8271-8250-0. Peter Junk, Martina Sellmer: Stationen auf dem Weg nach Auschwitz. Entrechtung, Vertreibung, Vernichtung. Juden in Osnabrück 1900–1945. Ein Gedenkbuch. Rasch, Bramsche 1989, ISBN 3-922469-36-1. Landschaftsverband Osnabrück (Hrsg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte der Region Osnabrück. Bearb. von Rainer Hehemann. Rasch, Bramsche 1990, ISBN 3-922469-49-3. Ludwig Hoffmeyer: Chronik der Stadt Osnabrück. 6. Auflage. Osnabrück 1995. Edgar Schroeder: Osnabrück im 19. Jahrhundert. Droste, Düsseldorf 1995, ISBN 3-7700-1039-6. Günter Wegmann: Das Kriegsende zwischen Ems und Weser 1945. 2. erweiterte Auflage, H. Th. Wenner, Osnabrück 2000, ISBN 3-87898-367-0. Christiane Segers-Glocke (Hrsg.): Der Hasefriedhof in Osnabrück. Niedersächsisches Landesamt für Denkmalpflege, 2000. Heinz Jürgen Stebel: Die Osnabrücker Hexenprozesse. 3. Auflage. Wenner, Osnabrück 2003. Wido Spratte: Im Anflug auf Osnabrück. Die Bombenangriffe 1940–1945. Osnabrück 2004. Andreas O’Brien, Holger Raddatz: Die verbunkerte Stadt. Luftschutzanlagen in Osnabrück und Umkreis. 2009, ISBN 978-3-8370-7545-8. Stefan Kröger: Das Osnabrück Lexikon. Ein unterhaltsames Nachschlagewerk für Stadt und Land. Osnabrück 2004. Stefan Kröger: Osnabrück – Eine illustrierte Geschichte der Stadt. Osnabrück 2005. Gerd Steinwascher (Hrsg.): Geschichte der Stadt Osnabrück. Osnabrück 2006. Oliver Falkenberg, Linda Sundmaeker, Torsten Krüger: Osnabrück – Ein Porträt (deutsch/englisch/französisch/niederländisch). Edition Temmen, Bremen 2008, ISBN 978-3-86108-966-7. Bettina Meckel: Osnabrück und Umfeld. Wenner, Osnabrück 2010, ISBN 978-3-87898-417-7. Hauke Haubrock, Andreas O’Brien: Der Luftschutzstollen am Kalkhügel – Ein ehemaliger Luftschutzbunker in Osnabrück. Books on Demand, Norderstedt 2012, ISBN 978-3-8448-1154-4. Hermann Kuhl, Jörg Frenzel: Architekturführer Osnabrück. Berlin 2014, ISBN 978-3-86922-278-3. Thorsten Hesse: Topografie des Terrors – Nationalsozialismus in Osnabrück. Rasch Verlag, Bramsche 2015, ISBN 978-3-89946-240-1. Tobias Romberg (Hrsg.): Osnabrück wegweisend – Mehr als 80 Straßen, Wege und Plätze: Porträts und Geschichte(n). Anno-Verlag, Ahlen 2016, ISBN 978-3-939256-38-0. Klaus Niehr, Melanie Ulz und Antje Busch-Sperveslage (Hrsg.): Osnabrück. ein Führer zur Architektur und zu den Denkmälern der Stadt. Petersberg 2018. Sven Jürgensen: Osnabrück: Rathaus, Erich Maria Remarque-Friedenszentrum und Felix-Nussbaum-Haus. Kunstverlag Josef Fink, Lindenberg im Allgäu, 1. Auflage 2023, ISBN 978-3-95976-449-0. Weitere Informationen auf der Website des Verlags. Nele Bösel-Hielscher: Der Osnabrücker Rat im Mittelalter. Entstehung, Entwicklung, Kompetenzen (Osnabrücker Geschichtsquellen und Forschungen, Bd. 57), Verlag für Regionalgeschichte UG, Soest, 2023. ISBN 978-3-7395-1502-1. Weblinks Portal:Osnabrücker Land – Das Wikipedia-Portal zum Einstieg in weitere Artikel Offizieller Internetauftritt der Stadt Osnabrück Literatur zu Osnabrück in der Niedersächsischen Bibliographie Osnabrück auf stadtpanoramen.de Georg Braun: Abbildung der Stadt 1572 in Civitates orbis terrarum Untergrund Osnabrück – Forschungsgemeinschaft zur Dokumentation von Luftschutzbunkern aus dem Zweiten Weltkrieg in Osnabrück und dem Osnabrücker Land Einzelnachweise Ort in Niedersachsen Kreisfreie Stadt in Niedersachsen Kreisstadt in Niedersachsen Ort mit Binnenhafen Hansestadt Deutsche Universitätsstadt Masterplan-Kommune Ehemaliger Residenzort in Niedersachsen
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https://de.wikipedia.org/wiki/Orientierungslauf
Orientierungslauf
Orientierungslauf, meist kurz OL genannt, ist eine Laufsportart. Im Gelände werden mehrere Kontrollpunkte festgelegt, die mit Hilfe von Landkarte und Kompass gefunden werden müssen. Dabei wählt der Läufer die für ihn optimale Route selbst. OL erfordert dadurch neben körperlicher Fitness auch ein hohes Maß an geistiger Leistung. Der Orientierungslauf entwickelte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Skandinavien, wo er inzwischen Volkssport ist. Orientierungslauf wird heute weltweit betrieben. Der internationale Orientierungslaufsport ist in der International Orienteering Federation (IOF) mit zurzeit 76 Mitgliedsländern (Stand: März 2020) organisiert. Der Orientierungslauf zählt zu den vom Internationalen Olympischen Komitee (IOC) anerkannten Sportarten, wurde bislang jedoch noch nicht bei Olympischen Spielen ausgetragen. Neben dem klassischen Orientierungslauf gibt es zahlreiche Varianten des Sports, so etwa das Mountainbike-Orienteering (in der Schweiz Bike-OL) und den Ski-Orientierungslauf. Da die meisten Spielarten des Orientierungslaufs in naturnahen Gebieten stattfinden, werden die ökologischen Auswirkungen von Wettkämpfen auch kontrovers diskutiert. Grundlagen Das grundsätzliche Ziel des Orientierungslaufs ist das schnellstmögliche Ablaufen von Kontrollpunkten im Gelände in einer festgelegten Reihenfolge. Die Wahl der Laufroute zwischen den einzelnen Kontrollpunkten, die Posten genannt werden, ist dem Läufer dabei im Allgemeinen völlig freigestellt. Als Hilfsmittel zum Finden der bestmöglichen Laufstrecke stehen jedem Sportler ausschließlich Karte und Kompass zur Verfügung, andere technische Hilfsmittel sind untersagt. Orientierungsläufe werden meist in naturnahem Gelände ausgetragen, vor allem im Wald, jedoch eignen sich auch verhältnismäßig gut erschlossene Gebiete wie Parks für den Sport. Da zu großen Teilen auch abseits von Wegen gelaufen wird, ist der Orientierungslauf als Zuschauersport meist nur wenig attraktiv. Praktische Durchführung Vor dem Start stehen dem Orientierungsläufer neben der allgemeinen Geländebeschaffenheit meist nur wenige Informationen zur Verfügung, insbesondere die Streckenlänge (gemessen in Luftlinie) und die zu absolvierenden Höhenmeter (Mindeststeigung auf einer angenommenen Optimalroute). Darüber hinaus sind ihm Anzahl und Beschreibung der Kontrollposten sowie eventuell zu absolvierende Pflichtstrecken bekannt. Die Karte wird dem Sportler üblicherweise erst unmittelbar vor dem Start ausgehändigt. Darauf aufgedruckt finden sich die anzulaufenden Posten in der vorgegebenen Reihenfolge, die sogenannte Bahn. Das Absolvieren der Posten in der vorgeschriebenen Reihenfolge wird durch mitgeführte Postenkontrollsysteme, heute meist elektronische Geräte, überprüft. Ein grundsätzliches Problem beim Orientierungslauf ist, so weit wie möglich gleiche Voraussetzungen für alle Teilnehmer zu gewährleisten. Insbesondere gilt es, ein einfaches Nachlaufen zu verhindern und so dafür zu sorgen, dass alle Läufer sich selbständig orientieren. Aus diesem Grund gibt es beim OL zumeist keinen Massenstart. Vielmehr starten die Konkurrenten einzeln in Abständen von zwei bis fünf Minuten, sodass jeder Läufer möglichst auf sich allein gestellt ist. Darüber hinaus werden bei OL-Veranstaltungen eine große Anzahl verschiedener Bahnen für einzelne Kategorien (Geschlechts-, Alters- und Leistungsklassen) angeboten. Dadurch ist die Teilnehmerzahl pro Kategorie nicht zu hoch, die Teilnehmer werden im Gelände stärker verteilt und der Nutzen eines Hinterherlaufens wird weiter verringert. An großen Orientierungslauf-Veranstaltungen können so mehrere Tausend Sportler in unterschiedlichen Alters- und Leistungsklassen mit adäquaten Streckenlängen teilnehmen. Um gleiche Voraussetzungen für alle Teilnehmer zu schaffen, werden für Wettkämpfe nur lange Zeit nicht mehr belaufene Gebiete und neue Karten verwendet. Das Betreten des Laufgebietes vor dem Wettkampf ist untersagt. Die Länge der zu absolvierenden Bahnen kann je nach Wettkampf sehr unterschiedlich sein. Bei offiziellen Weltcuprennen und Titelkämpfen nach der Norm der International Orienteering Federation (IOF) werden die Bahnlängen beispielsweise so gewählt, dass die Siegerzeiten zwischen 12 und 15 Minuten im Sprint und bis zu 100 Minuten in der Disziplin Langdistanz liegen; es gibt aber auch wesentlich längere Orientierungsläufe. Die konkreten, in einer bestimmten Zeit zurückgelegten Strecken und Steigungen können dabei je nach Geländebeschaffenheit und Schwierigkeit der Orientierungsaufgaben stark variieren. Beispielsweise liegt die Streckenlänge (Luftlinie) in der Langdistanz bei den Herren üblicherweise bei etwa 10 bis 15 Kilometern. Ausrüstung Orientierungslaufkarte Die Karte ist das wichtigste Hilfsmittel für den Orientierungslauf. Heute werden zumeist speziell angefertigte OL-Karten verwendet, die sich von herkömmlichen topografischen Karten durch ihre höhere Detailgenauigkeit unterscheiden. Sie stellen daher das Gelände in besonders großem Maßstab dar, gemäß IOF-Reglement 1:10.000 oder 1:15.000, bei Sprints auch bis zu 1:4.000. Die Äquidistanz, also der vertikale Abstand zwischen zwei Höhenlinien, beträgt meist fünf Meter, in besonders flachem Terrain auch zweieinhalb. OL-Karten sind besonders genau, so werden auch sehr kleine Objekte dargestellt, beispielsweise Felsen in der Größe von einem Meter. Neben Genauigkeit und Lesbarkeit ist die Darstellung der Belaufbarkeit des Geländes besonders wichtig. Die von der IOF vorgegebenen Signaturen unterscheiden sich daher teilweise stark von handelsüblichen topografischen Karten. So wird etwa Wald durch weiße Farbe dargestellt, Grüntöne bezeichnen hingegen unterschiedlich schwer durchdringliches Dickicht. Auf der Karte rot aufgedruckt finden sich die zurückzulegende Bahn (Start, Posten und Ziel, in zu laufender Reihenfolge durch Luftlinie verbunden) und zusätzliche wettbewerbsbezogene Informationen wie Verpflegungs- und Sanitätsposten und etwaige Sperrgebiete oder Pflichtstrecken. Kompass Nach der Karte ist der Kompass die wichtigste Orientierungshilfe. Üblicherweise werden für den Orientierungslauf spezielle OL-Kompasse verwendet, die sich durch einfache und schnelle Handhabung auszeichnen. Der Kompass dient einerseits zum Einnorden, also zum richtigen Ausrichten der Karte, und andererseits zum Anpeilen des gesuchten Punktes. Diese Technik wird besonders dann angewandt, wenn das Gelände sehr wenig strukturiert ist und wenige auf der Karte erkennbare Anhaltspunkte bietet. Allerdings kann auch extrem stark strukturiertes und detailreiches Gelände mit einer unüberschaubaren Menge an Information ein Grund für verstärkten Einsatz des Kompasses sein. Am häufigsten ist eine Kombination von Karten- und Kompassorientierung. Mit der zunehmenden Genauigkeit des Kartenmaterials seit den Anfängen des Orientierungslaufs hat der Kompass gegenüber der Karte tendenziell an Bedeutung verloren. Postenbeschreibung Die meist bereits vor dem Start ausgegebene Postenbeschreibung ist ein kleines Stück Papier, das in Form normierter Symbole zusätzliche Informationen zu den angelaufenen Posten enthält. Die Postenbeschreibung soll die eindeutige Identifikation des Postens ermöglichen und beinhaltet daher neben einer Kontrollnummer auch eine Beschreibung des genauen Standorts des Postens im Postenraum sowie etwaige Zusatzinformationen (z. B. Verpflegungsposten). Darüber hinaus sind auch allgemeine Informationen wie Bahnlänge, zu absolvierende Höhenmeter oder Länge von Pflichtstrecken angegeben. Postenkontrollsystem Postenkontrollsysteme müssen mitgeführt werden, um das Absolvieren der Kontrollposten nachzuweisen. Während lange Zeit Kontrollkarten verwendet wurden, die mittels am Posten angebrachter Lochzangen mit individuellen Mustern markiert werden mussten, überwiegen heute elektronische Systeme (SportIdent, EMIT). Dabei wird ein vom Läufer getragener Chip am Postenstandort elektronisch markiert. Kleidung und Schuhwerk Viele Läufer laufen mit speziell für den Orientierungslauf gefertigten OL-Schuhen. Hierbei handelt es sich um leichte und feste Schuhe mit harten Sohlen, häufig mit kurzen Stahlspikes („Dobb-Spikes“), um die Rutschfestigkeit zu erhöhen. Es gibt niedrige Modelle und solche, die bis über den Knöchel reichen. Zusätzlich zu den Schuhen werden häufig Gamaschen oder verstärkte Strümpfe verwendet, die die Schienbeine vor Verletzungen durch Bodenvegetation schützen sollen. Die Bekleidung ist relativ nebensächlich, soll jedoch reißfest und wasserdurchlässig sein. Spezielle OL-Anzüge sind meist aus Polyamid oder ähnlichen Materialien gefertigt, die gut vor Verletzungen durch Brennnesseln, Dornen oder Ästen schützen. Wettkampfformen, Varianten und verwandte Sportarten Vom Einzelwettkampf abgesehen sind im Orientierungslauf hauptsächlich der Staffelorientierungslauf und der Mannschaftsorientierungslauf von Bedeutung. Beim Staffellauf bewältigt eine Staffel, die meist aus drei bis fünf, aber auch mehr Läufern besteht, verschiedene Strecken nacheinander. Im Gegensatz zum Einzellauf werden solche Wettkämpfe meist mit Massenstart ausgetragen, da das Problem des Nachlaufens hier durch unterschiedliche Reihung der von den einzelnen Läufern zurückzulegenden Teilstrecken umgangen werden kann. Beim Mannschaftslauf besteht eine Mannschaft meist aus drei bis vier Läufern. Diese starten gemeinsam, teilen sich dann jedoch auf, um die erforderlichen Posten ohne festgelegte Reihenfolge abzulaufen. Hierbei kann es von allen Teammitgliedern anzulaufende Pflichtposten geben, aber auch solche, die nur von einem Teilnehmer erreicht werden müssen. Da nur die Einlaufzeit des letzten Läufers einer Mannschaft über die Platzierung entscheidet, hat die Mannschaftsstrategie beim Aufteilen der Aufgaben eine besondere Bedeutung. Daneben gibt es zahlreiche Varianten des Orientierungslaufs, die hauptsächlich als Trainingsmethoden, jedoch nur selten als Wettkampfformat Anwendung finden. Hierzu zählen beispielsweise Läufe mit „reduzierten Karten“, also etwa Karten, die keine Wege enthalten, die nur aus den Höhenlinien bestehen („Höhenlinien-OL“), oder bei denen nur ein schmaler Streifen entlang der Luftlinie („Korridor-OL“) oder kleine Gebiete rund um die Posten sichtbar sind („Fenster-OL“). Eine extreme Form reduzierter Karte ist der „Kompass-Blindflug“, bei dem die Karte bis auf die Lage der Posten keine Information enthält und bei dem man sich ausschließlich mit dem Kompass orientieren muss. Beim „Gedächtnis-OL“ steht dem Läufer nur an den Postenstandorten ein kleiner Kartenausschnitt, der bis zum jeweils nächsten Posten reicht, zur Verfügung, sodass er sich den gesamten Weg einprägen muss. Der Nacht-OL, bei dem mit Taschen- oder Stirnlampe in der Dunkelheit gelaufen wird, gilt als orientierungstechnisch besonders anspruchsvoll. In manchen Ländern werden auch Meisterschaften dieser Spezialform ausgetragen. Der Score-OL, bei dem in einer vorgegebenen Zeit möglichst viele Posten (oft unterschiedlicher Wertigkeit) in beliebiger Reihenfolge „gesammelt“ werden müssen, wird in Europa häufig als Trainingsform betrieben, in Australien hingegen ist er in seiner extremen Form, dem bis zu 24 Stunden dauernden Rogaining, auch als Wettkampf beliebt. In Europa hingegen werden extrem lange Orientierungsläufe meist in der konventionellen Form mit festgelegter Postenreihenfolge ausgetragen. Solche Wettkämpfe, die häufig im Hochgebirge stattfinden, erstrecken sich manchmal über mehrere Tage, wobei Übernachtungsausrüstung im Rucksack mitgeführt werden muss. Meist läuft man hier nicht einzeln, sondern zu zweit oder in Teams. Eine weitere Besonderheit sind Orientierungsläufe im Stadtgebiet. Bekanntestes Beispiel ist der jährlich stattfindende Stadt-OL in den Gassen von Venedig. In ähnlicher Form finden im militärischen Bereich Orientierungsmärsche als Teil der Gefechtsausbildung statt. Orientierungssport kann auch mit Hilfe anderer Fortbewegungsmittel ausgeübt werden. Vom IOF organisiert werden der traditionsreiche Ski-OL, das seit den 1980er Jahren an Bedeutung gewinnende Mountainbike-Orienteering und das Trail Orienteering, eine Variante des Orientierungslaufs, die auch von Sportlern mit Behinderungen ausgeübt werden kann. Orientierungssport kann aber in entsprechender Umgebung etwa auch per Boot betrieben werden, bekannt sind auch Wettkämpfe im Orientierungstauchen und Orientierungsreiten. Beim Sporttrampen bewegen sich die Teilnehmer per Anhalter zwischen den Posten, meist in einer beliebigen Reihenfolge. Der Haik ist eine aus der schwedischen Pfadfinderbewegung kommende Art des Orientierungslaufes. Eine mit dem Orientierungslauf verwandte Sportart mit Fokus auf technischer Unterstützung ist das Amateurfunkpeilen, bei dem die Posten mit Funksendern ausgestattet sind. Das Foxoring ist eine Variante des Amateurfunkpeilens mit stärkerer Betonung der Orientierungslaufkomponente. Auf der Orientierung mit Hilfe von Satellitennavigationssystemen basiert das Geocaching, bei dem der Wettkampfaspekt eine untergeordnete Rolle spielt. Orientierungslauf aus sportwissenschaftlicher Sicht Physische Faktoren Sportwissenschaftler charakterisieren den Orientierungslauf als Langstreckenlauf mit Mikropausen, also kurzen Unterbrechungen, die durch das Markieren der Posten und Laufpausen zum Zweck des Orientierens entstehen. Insofern ähnelt der OL einem Intervalllauf. Der Zeitanteil dieser Unterbrechungen ist je nach Niveau, Geländebeschaffenheit und Schwierigkeit der Orientierungsanforderungen sehr unterschiedlich. Er kann bei Hobbyläufern 10 % der Gesamtlaufzeit betragen, bei Spitzenläufern und in leicht belaufbarem Gelände jedoch deutlich weniger. Eliteläufer können selbst in weglosem Gelände auch Kartenlesen und Orientieren zum Großteil ohne Stehenbleiben bewältigen. Die für Orientierungsaufgaben aufgewendete Zeit kann sich beim Auftreten von Fehlern drastisch erhöhen. Vom Langstreckenlauf auf Laufbahn oder Straße unterscheidet sich der Orientierungslauf deutlich durch die Anforderungen, die wechselnde Bodenbeschaffenheit und unterschiedliches, teilweise schwer belaufbares oder steiles Gelände an den Läufer stellen. Laufen auf weichem Untergrund (Moos, Sumpf, Sand) erfordert einen im Vergleich zu Wegen deutlich höheren Energieaufwand. Ein durchgehender Laufrhythmus ist beim Laufen im Wald kaum aufrechtzuerhalten. So müssen beispielsweise häufig Hindernisse übersprungen werden, Orientierungspausen eingelegt oder das Tempo dem Gelände angepasst werden. Die Puls- und Laktatwerte von Orientierungsläufern erreichen daher ein höheres Niveau und schwanken in verschiedenen Wettkampfabschnitten und unterschiedlichen Geländetypen stärker als bei anderen Ausdauersportarten. Insofern werden beim Orientierungslauf besonders Muskelkraft (Kraftausdauer und Schnellkraft), Beweglichkeit und Koordination stärker beansprucht. Die Verteilung der einzelnen Konditionsfaktoren wird in Abhängigkeit von Laufgelände und Strecke mit etwa 70 % Ausdauer, 15 % Kraftausdauer, 10 % Schnellkraft und 5 % Koordination angenommen. Kennzeichnend für den Laufstil beim OL sind hohes Anheben der Knie, häufige schnelle Richtungswechsel und unregelmäßige Änderungen von Schrittfrequenz und -länge. Die Bedeutung der Lauftechnik im Vergleich zu konditionellen Faktoren ist gegenüber dem Straßenlauf deutlich höher. Im Allgemeinen wird beim Orientierungslauf im aeroben Bereich gelaufen, Spitzensportler erreichen jedoch zeitweilig auch anaerobe Belastungen. Laufzeiten und Geschwindigkeit beim Orientierungslauf sind daher kaum mit anderen Sportarten vergleichbar. So benötigen selbst gute Läufer 5 bis 6 Minuten pro Kilometer in offenem Waldgelände, in dichtem Dickicht kann diese Zahl auf über 25 Minuten pro Kilometer ansteigen, bzw. die Geschwindigkeit auf unter 20 % des im Wald erreichten Tempos absinken. Darüber hinaus ist zu beachten, dass beim OL die real zurückgelegte Strecke um bis zu 40 % länger als die angegebene, auf der Luftlinie zwischen den einzelnen Posten beruhende Bahnlänge sein kann. Außerdem müssen die zurückzulegenden Höhenmeter berücksichtigt werden. Steigungen von bis 4 % der Laufstrecke sind beim Orientierungslauf üblich. In steilem Gelände sind bis zu 7 % möglich; auch hier muss jedoch bedacht werden, dass die tatsächlich zurückgelegten Höhenmeter deutlich über den auf einer hypothetischen Idealroute angenommenen liegen können. Psychische Faktoren Der Orientierungslauf ist ein Sport, der neben körperlichen in hohem Maß auch geistige Anforderungen stellt. Zusätzlich zur mit anderen Laufsportarten vergleichbaren Wettkampftaktik sind das richtige und schnelle Kartenlesen und die Routenplanung von entscheidender Bedeutung. Wichtig sind hier kognitive Leistungen wie das schnelle Erkennen und Umsetzen der Karteninformation in einer mentalen Repräsentation, das Erkennen möglicher Laufrouten und das Entscheiden für eine optimale Route. Dazu gehört auch eine gute strategische Planung des jeweiligen Vorgehens, so etwa das Anwenden adäquater Orientierungstechniken in unterschiedlichen Phasen der Annäherung an den Posten (z. B. Untergliederung in Teilabschnitte, unterschiedliche Investition in Exaktheit in Phasen der „Grob“- und „Feinorientierung“). Eine gute Gedächtnisleistung ist wichtig, um die Häufigkeit von Unterbrechungen oder Verlangsamungen zum Zweck des Orientierens gering zu halten. Während des Laufens werden Karte und Gelände häufig miteinander verglichen, um sich der jeweiligen eigenen Position sicher zu sein. Besonders herausfordernd ist das Wiederfinden der eigenen Position auf der Karte, wenn der Läufer aufgrund von Diskrepanzen feststellt, dass diese nicht der bislang angenommenen entspricht. Besonders bedeutsam ist beim Orientierungslauf ein hohes Maß an Konzentration, die auch unter körperlicher Belastung über lange Zeit aufrechterhalten werden muss. Die Aufmerksamkeit muss dabei im Zuge des Abgleichens von Karte und Gelände abwechselnd auf die Karte und die Natur gerichtet werden und in manchen Momenten eine hohe Intensität erreichen, während langer Laufstrecken in leichtem Gelände kann sie dagegen auf ein deutlich niedrigeres Niveau zurückgehen. Orientierungs- und Laufleistung stehen beim OL in einer engen Wechselbeziehung: Orientierungsfehler haben längere Laufstrecken zur Folge, und Ermüdung führt im Gegenzug zu einem erhöhten Auftreten von Orientierungsfehlern. Ein Laufen an der körperlichen Belastungsgrenze kann daher in manchen Situationen kontraproduktiv sein. Die situationsadäquate Wahl der Laufgeschwindigkeit ist somit ebenso von Bedeutung wie das Abwägen von Alternativen bezüglich verschiedener Orientierungstechniken und Routen, um ein Gleichgewicht zwischen Orientierungsarbeit und läuferischen Faktoren halten zu können. Insofern gibt es häufig keine objektive Idealroute, vielmehr muss jeder Läufer versuchen, die für ihn in der jeweiligen Verfassung optimale Routenwahl zu treffen. Verletzungsrisiko Die weitaus meisten Verletzungen beim Orientierungslauf betreffen die unteren Extremitäten. Insgesamt ereignen sich über 90 % aller OL-Verletzungen im Bereich unterhalb des Knies. Hierbei stehen Verstauchungen (nahezu ein Drittel aller Verletzungen), Schürfwunden (etwa ein Viertel), Bänderverletzungen, Knochenbrüche und Prellungen im Vordergrund. Besonders häufig ist das Sprunggelenk betroffen. Muskelzerrungen treten meist im Bereich des Oberschenkels auf. Gründe für Verletzungen im Zuge des OL sind in erster Linie Überlastung, Umknicken und Stürze. Unfälle passieren häufig in schwierigem Gelände, etwa steinigem, steilem und an Fallholz reichem Terrain sowie bei schlechtem Wetter. Zur Prävention von Bänderrissen verwenden Orientierungsläufer häufig Tapeverbände. Als Schutz gegen Schienbeinverletzungen werden verstärkte Strümpfe oder Gamaschen getragen. Da bei Stürzen in der Natur Wunden oft stark verschmutzen, besteht die Gefahr einer Tetanusinfektion oder einer Sepsis. Auch Fälle von Hepatitis-B-Infektionen durch die beim OL häufigen Kratz- und Schürfwunden sind bekannt. Zeckenbisse können in manchen Regionen die Gefahr einer Frühsommer-Meningoenzephalitis oder anderer Infektionskrankheiten (z. B. Borreliose) mit sich bringen. In manchen Gebieten können Schlangenbisse eine Gefahr darstellen. Orientierungslauf und Umwelt Der Orientierungslauf und seine Auswirkungen führen zuweilen zu Konflikten mit den Interessen des Naturschutzes sowie mit anderen Waldnutzern wie Jägern, Förstern, Waldbesitzern und Bauern. Um die Belastungen für die Umwelt und Konflikte mit anderen Interessengruppen möglichst zu reduzieren, sind heute insbesondere bei größeren Veranstaltungen umfangreiche Planungsmaßnahmen zur Minimierung von Schäden üblich. So werden etwa bei der Bahnlegung Ruhezonen für das Wild eingeplant, die den Tieren Zuflucht bieten sollen. Insbesondere zur Setzzeit ist verstärkte Rücksichtnahme auf die Tierwelt nötig. Besonders schützenswerte Zonen können auch als Sperrgebiet für die Läufer gekennzeichnet werden. Felder müssen oft auf vorgegebenen gemähten Pflichtstrecken durchquert werden, um Schäden für die Vegetation zu vermeiden. Große Wettkämpfe mit vielen Teilnehmern sollen in einem Gebiet nur in größeren zeitlichen Abständen (mehrere Jahre) stattfinden, um der Vegetation Gelegenheit zur Regeneration zu geben. Die Verwendung von Schuhen mit Spikes kann in bestimmten Regionen eingeschränkt oder verboten sein. Regelungen und Empfehlungen zu Umweltbelangen werden von der Umweltkommission des IOF erarbeitet. Dauerhafte Schäden für die Natur aufgrund des Laufens im Wald treten bei Beachtung der entsprechenden Richtlinien in der Regel nicht auf. Dennoch unterliegt der Orientierungslauf heute in vielen Ländern unter Hinweis auf mögliche Beeinträchtigungen der Natur zunehmend strengen Reglementierungen. Das Erhalten von Genehmigungen zur Austragung großer Läufe wird generell schwieriger. Spitzensport Herausragende OL-Athleten kamen in der Geschichte des Sports vorwiegend aus den skandinavischen Ländern Schweden, Norwegen und Finnland, so z. B. der siebenfache Weltmeister Øyvin Thon aus Norwegen, der schwedische Doppelweltmeister Jörgen Mårtensson, die schwedische Doppelweltmeisterin Ulla Lindkvist oder die schwedische Dreifach-Weltmeisterin Annichen Kringstad. Bekannte nicht-skandinavische Athleten sind Thierry Gueorgiou aus Frankreich sowie der vielfache Weltmeister Daniel Hubmann und die 23-fache Rekordweltmeisterin Simone Niggli, beide aus der Schweiz. Die wichtigsten Wettkämpfe des Jahres sind die Orientierungslauf-Weltmeisterschaften (kurz WOC). Ab 1966 wurde die WOC alle zwei Jahre ausgetragen, seit 2003 findet sie jährlich statt. Bei Weltmeisterschaften gibt es seit 2001 drei Streckenlängen (Sprint, Mitteldistanz, Lang), davor wurde nur je ein Weltmeister bei den Herren bzw. Damen gekürt. Der traditionelle Staffellauf wird von vielen Nationen (vor allem den skandinavischen Ländern) als wichtigster Wettkampf der Weltmeisterschaften angesehen. Es werden auch Studentenweltmeisterschaften (WUOC) und Heeres-Weltmeisterschaften (CISM) veranstaltet. Neben den Weltmeisterschaften werden auch die Orientierungslauf-Europameisterschaften (EOC) ausgetragen, bei denen oft stärkere Konkurrenz herrschen als bei Weltmeisterschaften, da mehrere Läufer der Topnationen startberechtigt sind. Über das ganze Jahr findet der Orientierungslauf-Weltcup statt, dessen Endwertung sich am Jahresende durch die Ergebnisse der einzelnen World-Ranking-Events zusammensetzt. Da Orientierungslauf noch nicht in das Programm der Olympischen Spiele aufgenommen wurde, sind die World Games die bedeutendste Multisportveranstaltung, bei der Orientierungsläufe ausgetragen werden. Für Nachwuchs-Orientierungsläufer sind die wichtigsten internationalen Bewerbe die Junioren-Weltmeisterschaften (JWOC), die Jugend-Europameisterschaften (EYOC) und der Junioren-Europacup (JEC). Populär ist auch die Park World Tour (kurz PWT), bei der Sprint-Orientierungsläufe in Stadtnähe, insbesondere Parkgelände, ausgetragen werden. Dadurch soll der ansonsten für Publikum schwer zu beobachtende Sport auch für Live-Zuschauer und Fernsehübertragungen attraktiver werden. Eine weitere Innovation, um dem Manko der geringen Publikumswirksamkeit zu begegnen, sind elektronische Systeme, die das Verfolgen der Läufer auf einer Karte über einen Monitor in Echtzeit ermöglichen. Breitensport Orientierungslauf gilt als eine Sportart mit vergleichsweise niedrigen Zuschauer- und hohen Teilnehmerzahlen. Die finanziellen Ressourcen des äußerst organisationsintensiven Sports sind begrenzt, was unter anderem auf die geringe Medientauglichkeit und Werbewirksamkeit des Laufens im natürlichen Gelände zurückzuführen ist. Andererseits bieten Orientierungsläufe Teilnehmern aller Altersstufen Wettkampfmöglichkeiten. Durch das verbreitete System, bei Wettkämpfen die Läufer nach Alters- und Leistungsklassen einzuteilen und adäquate Streckenlängen anzubieten, wird OL als besonders familientaugliche Sportart angesehen. Bei Großveranstaltungen werden Strecken für Altersklassen zwischen 10 und 95 Jahren angeboten. Besonders beliebt sind Mehrtages-Läufe mit drei bis sechs Etappen, an denen häufig mehrere Tausend Sportler teilnehmen. Bis heute ist Orientierungslauf vor allem in den skandinavischen Ländern populär, wo OL als Volkssport gilt. Hier wird Orientierungslauf an Schulen unterrichtet und finden auch die größten Orientierungslaufveranstaltungen statt. Die höchsten Teilnehmerzahlen weist meist der jährlich stattfindende schwedische Fünf-Tage-Lauf O-Ringen auf, bei dem bis zu 25.000 Läufer an den Start gehen. Ebenfalls in Skandinavien werden die größten Staffelläufe ausgetragen, so etwa die schwedische Tiomila und die finnische Jukola, wo meist über 10.000 Teilnehmer starten. In Mitteleuropa gilt die Schweiz als bedeutendes Zentrum des Orientierungslaufs. Die dreifache Wahl von Simone Niggli zur Schweizer Sportlerin des Jahres (2003, 2005 und 2007) zeigt die Popularität des OL. In einigen Kantonen gehört der Orientierungslauf zum schulischen Sportangebot. In Deutschland und Österreich hingegen ist der Orientierungslauf weitaus weniger verbreitet. Außerhalb von Europa ist der OL vor allem in Australien, Neuseeland und Brasilien populär. Die Anzahl der weltweiten Orientierungsläufer ist nicht genau bekannt, jedenfalls handelt es sich um mehrere Hunderttausende Sportler. Geschichte Johann Christoph Friedrich GutsMuths schlug bereits 1817 in seinem Turnbuch für die Söhne des Vaterlandes Orientierungsübungen als Teil der wehrsportlichen Erziehung der Jugend vor, fand mit dieser Idee aber kaum Gehör. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts kam es zu verschiedenen Ansätzen, Orientierung und Sport miteinander zu verbinden, die ebenfalls im militärischen Umfeld gründeten. Sogenannte „Spähungsübungen“, wie sie zur Mitte des 19. Jahrhunderts in Nordeuropa praktiziert wurden, wurden zunehmend auch mit sportlichem Hintergrund betrieben und umfassten in unterschiedlichem Ausmaß auch Orientierungsaufgaben. In Skandinavien, insbesondere in Norwegen, wurden im späten 19. Jahrhundert Karten beim militärischen Skilanglauftraining verwendet. Diese frühen Formen des Orientierungslaufs fanden also zu einem großen Teil im Winter statt. Als Trainingsform für den Ski-Orientierungslauf wurde jedoch, ausgehend von Schweden, zunehmend auch der sogenannte „Fuß-OL“ praktiziert. Die ersten öffentlichen Wettkämpfe sind aus dem Jahr 1897 aus Norwegen bekannt. Am 13. Mai 1897 soll bei Bergen ein Lauf ausgetragen worden sein. Der erste näher bekannte Lauf fand am 31. Oktober 1897 in der Nähe von Oslo statt: Acht Läufer gingen auf eine 10,5 Kilometer lange Strecke mit drei gesetzten Posten, wobei der Sieger die Strecke in der Zeit von 1:41:07 h zurücklegte. Der Maßstab der Karte betrug 1:30.000 und die Äquidistanz 20 Meter. Daneben florierte auch der Ski-OL: 1900 fand in Schweden der erste Staffelbewerb statt, bereits 1910 wurden Schwedische Meisterschaften ausgerichtet. Obwohl sich der Sport bereits zu dieser Zeit von seinem militärischen Umfeld zu lösen begann, wird heute meist Major Ernst Killander, ein schwedischer Pfadfinderfunktionär, als Erfinder des zivilen Orientierungslaufsports gesehen. Er erkannte ab 1913 ein abnehmendes Interesse der Jugend für Leichtathletik und versuchte durch das Verlegen des Laufens in die Natur und die zusätzlichen Orientierungsaufgaben das Training vielfältiger zu gestalten. Die ersten kleineren Rennen waren ein großer Erfolg und so wurde am 25. März 1919 der erste größere Wettkampf mit 155, nach anderen Quellen 220 Teilnehmern durchgeführt. Ein Denkmal etwa 15 Kilometer südlich von Stockholm kennzeichnet den Veranstaltungsort dieses Laufs als Geburtsstätte des Orientierungslaufs. Bereits 1922 fanden in Schweden die ersten lokalen Meisterschaften statt. Orientierungslauf entwickelte sich rasch zum Volkssport. 1928 wurde mit dem schwedischen SK Gothia der erste Orientierungslaufverein gegründet, 1932 fand zwischen Norwegen und Schweden der erste internationale Wettkampf statt. Den Läufern standen zu dieser Zeit nur sehr ungenaue Karten in kleinem Maßstab zur Verfügung, weshalb die frühen Orientierungsläufe eher läuferisch anspruchsvoll waren. In den 1930er Jahren verbesserte sich die Qualität der Kompasse und der schwedischen Karten stark und die orientierungstechnische Komponente gewann zusehends an Bedeutung. 1937 fanden in Schweden und Norwegen die ersten nationalen Meisterschaften statt. 1938 wurde mit dem Svenska Orienteringforbundet (SOFT) die erste nationale OL-Vereinigung gegründet. Der von Mitgliedern der Pfadfinderbewegung dominierte SOFT stand zu dieser Zeit im Gegensatz zum Skiverband, der unabhängig davon Wettkämpfe im Ski-OL ausrichtete. Der Orientierungslauf erfuhr große Unterstützung von der schwedischen Regierung und wurde bald zum Pflichtfach an schwedischen Schulen erklärt, wo er bis heute gelehrt wird. Ab etwa 1930 wurde der OL auch in Finnland populär. In Mitteleuropa waren die Schweiz und Ungarn, wo seit den 1930er Jahren erste Läufe ausgetragen wurden, unter den Vorreitern, kurz darauf folgte auch Dänemark. In der Schweiz erfuhr der OL während des Zweiten Weltkriegs einen großen Aufschwung, wobei hier wieder der Gedanke der körperlichen Ertüchtigung im Zuge des Vorunterrichts in den Vordergrund zu treten begann und der Orientierungslauf als Teil der militärischen Ausbildung aufgefasst wurde. Auch die Nationalsozialisten in Deutschland förderten den Orientierungslauf. Die schleppende Verbreitung des Sports in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg wird auf die Assoziation des OL mit diesem paramilitärischen Hintergrund zurückgeführt. Seit 1963 werden die Deutschen Orientierungslauf-Meisterschaften durchgeführt. 1946 wurde mit dem die skandinavischen Länder umfassenden NORD (Nordisk Orienteringsrat) die erste Internationale OL-Vereinigung gegründet. Im selben Jahr fand der erste Orientierungslauf in den USA statt. Auch in Mittel- und Osteuropa kam es in der folgenden Zeit zu einer Popularisierung; so wurde der Orientierungslauf in der Tschechoslowakei, der DDR, Bulgarien und Jugoslawien eingeführt. Des Weiteren waren die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg von einer Professionalisierung insbesondere im Bereich der Karten geprägt, so wurde 1948 in Norwegen erstmals eine vollständig nur für OL-Zwecke erstellte Karte verwendet, die erste farbige Karte folgte 1950. 1959 fand in Schweden die vom NORD veranstaltete Internationale Orientierungssport-Konferenz statt, an der neben den skandinavischen Ländern auch Österreich, Bulgarien, die Tschechoslowakei, die BRD, die DDR, Jugoslawien, die Schweiz und Ungarn teilnahmen. Diese Konferenz war ein wichtiges Signal für die weitere internationale Verbreitung des Orientierungslaufs. Am 21. Mai 1961 gründete sich in Kopenhagen die International Orienteering Federation (IOF), der zu diesem Zeitpunkt Verbände aus Schweden, Finnland, Norwegen, Dänemark, Bulgarien, der Tschechoslowakei, der BRD, der DDR, der Schweiz und Ungarn angehörten. 1962 richtete die IOF im norwegischen Løten die erste Europameisterschaften aus, 1966 folgten die erste Weltmeisterschaften im finnischen Fiskars. Auch der Beginn der internationalen Standardisierung der OL-Karten 1966 fällt in diese Zeit. In den 1960er Jahren begann auch die Geschichte der großen mehrtägigen OL-Veranstaltungen. 1965 wurde der erste O-Ringen abgehalten, ein seither jährlich in Schweden stattfindender Wettkampf, der in den folgenden Jahrzehnten bis zu einer Größe von 25.000 Teilnehmern anwuchs. Bis 1969 hatte die IOF bereits 16 Mitgliedsländer, mit Japan und Kanada waren erstmals auch außereuropäische Nationen vertreten. 1977 beschloss das Internationale Olympische Komitee (IOC) die Anerkennung des Orientierungslaufs. Im Jahr darauf legte die IOF die offiziellen Postenbeschreibungssignaturen fest. 1983 wurde zum ersten Mal ein noch inoffizieller Weltcup ausgetragen, der erste offizielle IOF-Orientierungslauf-Weltcup folgte 1986. 1994 kam zum ersten Mal ein elektronisches Postenkontrollsystem bei einem Weltcuprennen zum Einsatz, in den folgenden Jahren setzte sich die elektronische Kontrolle auch im Breitensport durch. Ein Jahr später wurde mit dem Beginn der Park World Tour versucht, den Orientierungslauf näher an die Städte heranzubringen und so neue Publikumsschichten zu erschließen. Weitere während der 1990er Jahre eingeführte bedeutende Wettkampfserien waren die 1990 ins Leben gerufenen Junioren-Weltmeisterschaften (JWOC) und die Senioren-Weltmeisterschaften (WMOC), die 1996 in Spanien erstmals ausgetragen wurden. Derzeit (Juli 2020) hat die IOF 76 Mitgliedsnationen. Während in Europa, Amerika und Ostasien kaum noch Staaten fehlen, sind bisher eher wenige Mitgliedsnationen in Afrika und der arabischen Welt zu finden. Literatur Wilfred Holloway, Jörg Mumme: Orientierungslauf: Ausdauersport für Freizeit und Gesundheit. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1987. Erich Krauß: Orientierungslauf. Sportverlag Berlin 1980. Stefan Cornaz, Herbert Hartmann: Orientierungslaufen (OL) als Freizeitsport in Schule und Verein. Eine didaktische und methodische Einführung. Verlag Karl Hofmann, Schorndorf 1978. Stefan Cornaz, Roland Hirter: Orientierungslaufen. Jogging mit Köpfchen. Hallwag Verlag, Bern 1981. LASPO (Hrsg.) Daschiel, Döhler, Roche, Zangerl: Orientierungslauf für die Schule. Auer Verlag, Augsburg, ISBN 978-3-403-06932-4 Weblinks Orientierungslauf-Verbände Internationaler OL-Verband (IOF) Deutsches Orientierungslauf-Portal Österreichischer Fachverband für Orientierungslauf (ÖFOL) Schweizerischer OL-Verband Schwedischer OL-Verband Wissenswertes World of O – News, Läufer und Kartenarchiv, WoO-TV Schweizer OL-Lexikon beim Internet Archive Orientierungslauf-Wiki Einzelnachweise Natursportart
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zement
Zement
Zement (über älteres Cement und cementum wohl gebildet aus lateinisch „Bruchstein“, „Stein“, „Baustein“, von caedere „brechen“) ist ein anorganischer und nichtmetallischer Baustoff. Er ist feingemahlen und zählt daher zu den Schüttgütern. Aufgrund seiner Eigenschaften wird er zum Anfertigen von Bauteilen und Bauwerken verwendet. Innerhalb der Baustoffe zählt Zement zu den Bindemitteln. Er erhärtet durch die chemische Reaktion mit Wasser (Hydratation) und bleibt danach fest. Zur Herstellung von Baustoffen wie Mörtel und Beton werden dem Zementpulver sogenanntes Zugabewasser (früher „Anmachwasser“) und andere Stoffe als Zuschlagstoffe beigemengt. Aufgrund der weltweiten Verfügbarkeit der Rohstoffe sowie der Festigkeit und Dauerhaftigkeit von Beton ist Zement weltweit eines der wichtigsten Bindemittel. Mit einer Weltproduktion von 4,1 Milliarden Tonnen im Jahr 2017 ist Zement der meistverwendete Werkstoff. Zement wird in Zementwerken produziert. Zu seiner Herstellung werden die natürlichen Rohstoffe Kalkstein und Ton verwendet, die häufig als natürliches Gemisch vorliegen und dann als Mergel bezeichnet werden. Falls nötig, werden als Korrekturmaterialien auch Quarzsand und eisenoxidhaltige Stoffe für eine bessere Sinterung beigemischt. Die Rohstoffe werden zu Rohmehl gemahlen und anschließend auf etwa 1.450 °C erhitzt, bis sie an den Korngrenzen teilweise miteinander verschmelzen (Sintern) und der sogenannte Zementklinker entsteht. Das Material, mit nun kugelförmiger Struktur, wird abgekühlt und zum Endprodukt Zement gemahlen. Um Zementsorten mit bestimmten Eigenschaften zu erhalten, können vor dem Mahlen Hüttensand, Flugasche, Kalkstein und Gips in unterschiedlicher Dosierung und Mahlfeinheit zugegeben werden. Als problematisch gilt mittlerweile der Einfluss der Zementproduktion auf das Klima. Die Zementindustrie gehört zu den Hauptverursachern von Kohlenstoffdioxid, das mit die globale Erwärmung bewirkt. Anhand der weltweiten jährlichen Produktion ergibt sich durch das Freisetzen des im Kalk (Calciumcarbonat) gebundenen Kohlenstoffdioxids ein Ausstoß von mindestens drei Milliarden Tonnen CO2, oder etwa 6 bis 8 % des jährlichen CO2-Ausstoßes, was dem Drei- bis Vierfachen der Größenordnung des gesamten Luftverkehrs entspricht. Geschichte Das deutsche Wort Zement geht auf die lateinische Bezeichnung opus caementicium zurück. Beim opus caementicium, das den Römern bereits vor über 2000 Jahren bekannt war, handelte es sich allerdings nicht um Zement in der heutigen Bedeutung, sondern um ein betonartiges Mauerwerk. Es kann als Vorläufer des heutigen Betons angesehen werden und bestand aus gebranntem Kalkstein als Bindemittel sowie Steinen, Sand und Puzzolanen als Zuschlag. Da das opus caementitium widerstandsfähig gegen Wasser war, wurde es zum Bau von Wasserleitungen und Hafenmolen verwendet, aber auch für Fundamente und für Bauwerke wie das Kolosseum und das Pantheon. Später wurden mit cementum, cimentum, cäment und cement Zuschlagstoffe wie vulkanische Asche, Puzzolane und Ziegelmehl bezeichnet, die man dem gebrannten Kalk zusetzte, um ein hydraulisches Bindemittel (Hydraulkalk, Wasserkalk) zu erhalten. Die Bedeutung des Tongehalts für die hydraulischen Eigenschaften des Zements (Romanzement) wurde von dem Engländer John Smeaton (1724–1792) entdeckt. Seit damals steht Zement nicht mehr für den Zuschlagstoff, sondern das Bindemittel. Der Franzose Louis-Joseph Vicat (1786–1861) legte mit der Wiederentdeckung des „römischen Zements“ und der Erfindung des künstlichen hydraulischen Kalks die Grundlagen für die Entwicklung von Zement und Kalkmörtel. Als eigentlicher Erfinder des Portlandzements gilt der Engländer Joseph Aspdin (1778–1855). 1824 erhielt er das Patent An Improvement in the Mode of Producing an Artificial Stone; in der Patentschrift benutzte er den Ausdruck „Portland cement“. Die Bezeichnung lehnte sich an den Portland-Stein an, einen Kalkstein, der auf der Halbinsel Portland an der englischen Kanalküste als Werkstein abgebaut wurde und den aus Portlandzement gefertigten Kunstprodukten farblich ähnlich war. Dieser „Portland cement“ war noch kein Zement im heutigen Sinne, sondern künstlicher Romanzement: Die Bedeutung des Sinterns hat anscheinend als erster Isaac Charles Johnson (1811–1911) im Jahr 1844 erkannt und mit seinem verbesserten Verfahren den „echten“, überbrannten Portlandzement in das Baugewerbe eingeführt, wo er aufgrund seiner überlegenen Härte den Romanzement schnell verdrängte. 1838 wurde von dem Ulmer Apotheker Gustav Ernst Leube und seinen Brüdern in Ulm das erste deutsche Zementwerk gegründet. Der erste deutsche Portlandzement nach englischem Vorbild wurde in Uetersen produziert. Die Grundlage für die Herstellung des Portlandzements in Deutschland legte Hermann Bleibtreu (1821–1881), der auch zwei Zementwerke in Züllchow bei Stettin (1855) und in Oberkassel bei Bonn errichtete. Entscheidenden Einfluss auf die weitere Entwicklung hatte Wilhelm Michaëlis (1840–1911). In seinem 1868 erschienenen Buch mit dem Titel Die hydraulischen Mörtel machte er als Erster genaue Angaben über die günstigste Zusammensetzung des Rohstoffgemischs. Zu den ältesten bestehenden Bauwerken, die in Portland-Zement ausgeführt wurden, zählt die ab 1871 durch die Berliner Cement AG errichtete Alte Schmiede in der Spittastraße 40 in Berlin-Lichtenberg. 1877 schlossen sich sämtliche 23 bestehenden deutschen Portlandzementfabrikanten zum Verein Deutscher Portland-Cement-Fabrikanten zusammen, um „alle für die Zementindustrie wichtigen technischen und wissenschaftlichen Fragen in gemeinschaftlicher Arbeit zu klären“. Zusammen mit der 1876 vom Deutschen Verein für Fabrikation von Ziegeln, Tonwaren, Kalk- und Zement in Angriff genommenen Ausarbeitung eines einheitlichen Prüfverfahrens und der Aufstellung von Vorschriften für die an die Qualität des Zements zu stellenden Anforderungen und in Verbindung mit den Architektenvereinen, dem Berliner Baumarkt und der Ziegelindustrie wurden 1878 die ersten preußischen Normen zur Prüfung von Portlandzement herausgegeben, die sogleich für alle staatlichen Bauten vorgeschrieben wurden. 1917 wurde der Deutsche Zement-Bund in Berlin gegründet. Herstellungsprozess Der Ausgangsstoff für Zement wird aus überwiegend natürlichen Rohstoffen im Trockenverfahren gemahlen und gemischt, anschließend in einem kontinuierlichen Prozess in Drehrohröfen gebrannt, gekühlt und erneut gemahlen. Typische Durchsätze der Drehrohröfen sind 3.000 bis 10.000 Tonnen Klinker pro Tag. Vorgänger des Trockenverfahrens beim Mahlen der Rohstoffe waren Nass- und Halbnassverfahren, bei denen die Rohstoffe im nassen Zustand vermahlen und gemischt wurden. Wegen des hohen Energieaufwands beim anschließenden Trocknen sind diese Verfahren heute jedoch in der Regel nicht mehr konkurrenzfähig. Die Rohstoffe sind Kalkstein (Calciumcarbonat als Quelle für Calciumoxid), Ton (für Siliciumdioxid und Aluminiumoxid), Sand (für Siliciumdioxid) und Eisenerz (Eisen(III)-oxid). Durch die Zumahlung von Zusatzstoffen wie z. B. Hüttensand, Puzzolan oder Flugasche können Zemente mit verschiedenen chemischen und physikalischen Eigenschaften hergestellt werden. Gips oder Anhydrit wird dem Endprodukt zugesetzt. Die Rohstoffe werden in Steinbrüchen oder Tagebauen abgebaut, in Brechern vorzerkleinert und in das Zementwerk befördert. In einer Vertikalmühle oder Rohmühle werden alle Rohstoffe zusammen vermahlen und gleichzeitig getrocknet. Das dabei entstehende Rohmehl wird dann in einem Drehrohrofen bei Temperaturen von ca. 1.400–1.450 °C zu sogenanntem Zementklinker gebrannt. Beim Brennen wird das im Kalk gebundene Kohlendioxid freigesetzt. Nach Kühlen auf eine Temperatur von unter 200 °C werden die graubraunen Granalien anschließend in einer Kugelmühle zusammen mit Gips zum fertigen Produkt, dem Zement, vermahlen. Einteilung und Eigenschaften Durch die Zumahlung von Stoffen wie Hüttensand, Puzzolan, Flugasche oder Kalkstein erhält man Zemente mit besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften. So beispielsweise: Zement mit niedriger Hydratationsgeschwindigkeit und niedriger Hydratationswärme: LH Zement mit hohem Sulfatwiderstand: SR, Zement mit niedrigem wirksamen Alkaligehalt: NA Außer der chemischen und mineralogischen Zusammensetzung ist auch die Feinheit eines Zements ausschlaggebend für seine Eigenschaften. Grundsätzlich kann gesagt werden, dass ein Zement, der feiner ist, auch eine höhere Festigkeit entwickelt. Die spezifische Oberfläche (auch als Blaine bezeichnet) dient als Maß für die Feinheit und liegt normalerweise zwischen 2.500 und 5.000 cm²/g. Die lose Schüttdichte von pulverförmigem Zement liegt bei 0,9 bis 1,2 kg/dm³. Diese erhöht sich durch Einrütteln auf 1,6 bis 1,9 kg/dm³. Abgebundener Zement ist mit einer Dichte von rund 3 kg/dm³ deutlich kompakter. Arten, Festigkeit und Verwendung nach EN 197 und DIN 1164 Die Festigkeit von Zementen wird in Europa durch die Europäische Norm EN 197 geregelt. Es wird zwischen drei verschiedenen Festigkeitsklassen unterschieden, mit Normfestigkeiten von 32,5, 42,5 und 52,5 N/mm² nach 28 Tagen Erhärtung. In Abhängigkeit von der Anfangsfestigkeit eines Zements wird dieser zudem innerhalb einer Festigkeitsklasse als langsam- (L), normal- (N) oder schnellerhärtend (R, von engl. rapid) bezeichnet. Um Verwechslungen insbesondere auf der Baustelle vorzubeugen, sind den Zementen in Deutschland Kennfarben beim Papier der Zementsäcke und dem Aufdruck zugeordnet. Die Zuordnung erfolgt in der DIN 1164. Die europäische Norm verzichtet auf solche Kennzeichnungen. Die EN 197-1 klassifiziert neben der Festigkeit Zemente auch nach ihrer Zusammensetzung. Fünf verschiedene Arten werden in der Norm definiert: CEM I – Portlandzement CEM II – Portlandkompositzement CEM III – Hochofenzement CEM IV – Puzzolanzement CEM V – Kompositzement Zusätzlich werden im Allgemeinen 27 Normalzementarten über die prozentualen Gewichtsanteile der Ausgangsstoffe definiert. Sonstige Zemente werden Sonderzemente genannt. Eine Beschreibungsvorschrift regelt die Bezeichnung dieser Zemente, für die in der Norm keine genaue Zusammensetzung definiert wird. Neben der EN 197-1 benennt in Deutschland die DIN 1164 die vorgesehenen Anwendungsbereiche der einzelnen Zementarten. Abhängig von den erwarteten Umwelteinflüssen und Einbausituationen definiert die DIN 1164 „Expositionsklassen“ und benennt die jeweils geeigneten Zementarten (z. B. eignen sich hüttensandhaltige Zemente zur Herstellung von Unterwasserbeton). Portlandzement Portlandzement wird hergestellt durch die Vermahlung von Zementklinker und Kalk bzw. Anhydrit. Er besteht chemisch gesehen aus ca. 58 bis 66 % Calciumoxid (CaO), 18 bis 26 % Siliciumdioxid (SiO2), 4 bis 10 % Aluminiumoxid (Al2O3) und 2 bis 5 % Eisenoxid (Fe2O3). Ab einem Anteil von 36 % Hüttensand wird der Zement als Hochofenzement bezeichnet. In der Zahnmedizin wird eine modifizierte Form des Portlandzements unter dem Namen Mineral Trioxid Aggregat (MTA) zum retrograden Verschluss von Wurzelkanälen oder zur Perforationsdeckung verwendet. Sonder- und Kompositzemente Im Kompositzement wird ein Anteil des Zementklinkers durch Stoffe mit puzzolanischen Eigenschaften ersetzt. Neben dem natürlichen Trassgestein wurden bislang vorwiegend Nebenprodukte aus industriellen Brenn-Prozessen verwendet, in erster Linie Hüttensand und Flugasche. In Zukunft wird calcinierter Ton (gebrannter Ton) eine größere Rolle spielen, der unter anderem beim Abriss von Altbauten in Form von gebrannten Ziegeln anfällt. Trasszement Trasszement wird unter Beimischung des natürlichen Puzzolans Trass hergestellt und ergibt einen wasserdichteren Mörtel als Portlandzement. Er wird zum Vermauern von Natursteinen genutzt, da er weniger Ausblühungen zeigt. Tonerdezement Ähnlich Portlandzement, aber hoher Aluminiumanteil. Dadurch bildet sich beim Aushärten wenig Calciumhydroxid, das für ein alkalisches Milieu sorgt und den Bewehrungsstahl vor Korrosion schützt. In Deutschland daher nicht für tragende Strukturen zugelassen. Schnellzement Schnell aushärtender Zement, meist Mischung aus Portland- und Tonerdezement Spritzzement Spritzzemente oder Spritzbindemittel sind schnell erstarrende Bindemittel, die auch ohne Zugabe von Erstarrungsbeschleunigern bei der Herstellung von Spritzbeton eine rasche Festigkeitsentwicklung gewährleisten. Bei der Herstellung des Zements wird auf die Zumahlung von Rohgips zum Klinker verzichtet, der für die gemeinhin bei Zement erwünschte Abbindezeitverzögerung sorgt. Robert Keller aus Vils in Tirol setzte 1983 erstmals solchen Zement zur Herstellung von Spritzbeton ein, der inzwischen auch in Österreich und Deutschland im Tunnelbau eingesetzt wird. Faserzement Weißzement Zement ist meist ein graues Pulver. Daneben wird auch als Dyckerhoff-Weiß bezeichneter Weißzement hergestellt, der ebenso wie Weißkalkhydrat zugleich als Pigment und als Bindemittel dient. Weißzemente werden aus sehr eisenarmen Rohstoffen hergestellt (Fe2O3-Gehalt < 0,1 %) und hauptsächlich für Terrazzo, Sichtbeton und durchgefärbten (Edel-)Putz eingesetzt. Weißzement eignet sich nicht nur für hellfarbige Zubereitungen, sondern lässt sich mit Farbpigmenten leichter einfärben als gewöhnlicher grauer Portlandzement, so dass er zur Herstellung von Zementfliesen und Terrazzoplatten genutzt wird. Spezialzemente Thurament ist ein spezieller Zement aus Hochofenschlacke bzw. Hüttensand mit einem Anteil Gips, der in Thüringen hergestellt wird. Celitement ist ein Spezialzement, der im Gegensatz zu herkömmlichem Zement eine wesentlich günstigere Stoff- und Energiebilanz aufweist. Ähnlich robust und fest wie herkömmlicher Zement wird Celitement bei unter 300 °C hergestellt; in einer Pilotanlage werden die Hauptkomponenten Calciumoxid und Siliziumdioxid bei etwa 200 °C und einem Absolutdruck von mindestens 10 bar unter gespanntem Dampf im Autoklaven zu Calciumhydrosilikaten hydrolysiert (Hydrothermalsynthese). Im nachgelagerten Prozessschritt erfolgt während der Mahlung in z. B. einer Kugelschwingmühle die Trennung der SiOH-Wasserstoffbrückenbindungen, um das Calciumhydrosilikat wieder hydraulisch zu aktivieren. Celitement benötigt in seiner Herstellung weniger Kalk als herkömmlicher Zement: Das Verhältnis CaO/SiO2 ist mit 0,5–2 geringer als das von Portlandzement mit ca. 2,8. Dies bringt erhebliche ökologische und ökonomische Vorteile: Energieverbrauch und Kohlenstoffdioxidausstoß reduzieren sich gegenüber der Herstellung von Portlandzement um die Hälfte. Zusammensetzung Beim Brennprozess im Drehrohrofen bilden sich nach dem Calcinieren des Kalks (CaCO3) zu Calciumoxid, bei dem CO2 freigesetzt wird, durch teilweises Sintern aus diesen Hauptbestandteilen Mineralien, die für die besonderen Eigenschaften von Zement von entscheidender Bedeutung sind. Die wichtigsten dieser Verbindungen sind: Tricalciumsilikat (Alit), bauchemisch kurz C3S (allgemeine chemische Formel 3 CaO · SiO2) Dicalciumsilikat (Belit), kurz C2S (2 CaO · SiO2) Tricalciumaluminat, kurz C3A (3 CaO · Al2O3) Tetracalciumaluminatferrit, kurz C4AF bzw. C4(A,F) (4 CaO · Al2O3 · Fe2O3) und C2(A,F). Beim Aushärten von Zement mit Wasser (Hydratation) wachsen einerseits Calciumsilicathydrat-Fasern, kurz CSH oder C3S2H3 (3 CaO · 2 SiO2 · 3 H2O), und andererseits bildet sich Portlandit, kurz CH (Ca(OH)2), der dem Endprodukt eine hohe Alkalität mit einem pH-Wert von 12–14 verleiht. Hydratation und Festigkeitsentwicklung Zement ist, im Gegensatz zu (Luft-)Kalkmörtel, ein hydraulisches Bindemittel. Als hydraulisch werden Stoffe angesehen, die sowohl an der Luft als auch unter Wasser erhärten und auch beständig sind. Er erhärtet nicht wie Luftkalk unter Aufnahme von Kohlenstoffdioxid aus der Luft, sondern reagiert mit Wasser unter Bildung unlöslicher, stabiler Verbindungen. Diese Verbindungen, die Calciumsilikathydrate, bilden feine nadelförmige Kristalle aus, welche sich untereinander verzahnen und so zur hohen Festigkeit eines Zementmörtels oder Betons führen. Nebenreaktionen der Hydratation sind beispielsweise Alkali-Kieselsäure-Reaktion. Durch Volumenzunahme kann sie zu einem Aufbrechen von Beton führen. Puzzolanische Reaktion. Sie bewirkt eine Zunahme der Festigkeit innerhalb mehrerer Monate unter Bildung von weiterem Calciumsilikathydrat sowie gegebenenfalls Calciumaluminathydraten, Hydrogranaten, Strätlingit oder Ettringit-Phasen. Bildung von Wollastonit (Calciumsilicat). Das Erstarren und Erhärten des Zements beruht auf der Bildung wasserhaltiger Verbindungen, die bei der Reaktion zwischen den Zementbestandteilen und dem Zugabewasser entstehen. Im Allgemeinen wird Zement in verhältnismäßig wasserarmen, plastischen Gemischen mit Wasserzementwerten zwischen etwa 0,3 und 0,6 verwendet. Die Reaktion wird als Hydratation, die Reaktionsprodukte werden als Hydrate oder Hydratphasen bezeichnet. Eine Folge der unmittelbar einsetzenden Reaktionen ist ein Ansteifen des Zementleims, das anfangs noch sehr gering ist, sich aber mit der Zeit verstärkt. Erreicht das Ansteifen des Zementleims ein bestimmtes Maß, so spricht man vom Beginn des Erstarrens. Die zeitlich anschließende weitere Verfestigung des Zementleims gilt als Erstarren, die danach fortschreitende Verfestigung wird Erhärten genannt. Ursache des Ansteifens, Erstarrens und Erhärtens ist die Bildung eines mehr oder weniger starren Gefüges aus Hydratationsprodukten, das den wassergefüllten Zwischenraum zwischen den Feststoffpartikeln des Zementleims, Mörtels oder Betons ausfüllt. Der zeitliche Verlauf, nicht jedoch die Art der Hydratationsprodukte, hängt daher in sehr starkem Maß von der Größe des Zwischenraums ab, d. h. vom Wasserzementwert. Die festigkeitsbildenden Hydratationsprodukte sind bei den silicatischen Zementen in erster Linie Calciumsilicathydrate und beim Tonerdezement Calciumaluminathydrate. Weitere Hydratationsprodukte sind Calciumhydroxid, Calciumferrithydrate, sulfathaltige Hydrate und verwandte Verbindungen wie Hydrogranat und Gehlenithydrat. Silicatische Zemente bestehen zu über 70 % aus Calciumsilicaten oder silicatischen Bestandteilen. Daher kommt der Hydratation dieser Verbindungen und den Eigenschaften der dabei entstehenden Calciumsilicathydrate besondere Bedeutung zu. Da die Calciumsilicathydrate CaO-ärmer als die Calciumsilicate des Zementklinkers sind, bildet sich bei der Hydratation des Portlandzements außerdem Calciumhydroxid. Alle Zemente enthalten als wesentliche Bestandteile auch Aluminium- und Eisenoxide sowie Sulfate, daher bilden sich auch Calciumaluminathydrate, Calciumferrithydrate und sulfathaltige Verbindungen sowie auch komplexere Hydratationsprodukte. Der pH-Wert der Porenlösung nimmt vergleichsweise hohe Werte an und ist für die meisten Hydratationsreaktionen von besonderer Bedeutung. Kurz nach dem Kontakt mit Wasser setzt eine kurze, intensive Hydratation ein (Prä-Induktionsperiode), Calciumsulfate gehen teilweise und Alkalisulfate nahezu vollständig in Lösung. Aus der Reaktion von Calcium- und Sulfat-Ionen mit Tricalciumaluminat bilden sich auf den Oberflächen der Klinkerpartikel kurze, hexagonal säulenförmige Ettringitkristalle. Daneben kommt es, ausgehend vom Tricalciumsilicat, zur Bildung von ersten Calciumsilicathydraten (CSH) in kolloidaler Form. Durch die Bildung einer dünnen Lage von Hydratationsprodukten auf den Klinkerpartikeln verebbt diese erste Hydratationsperiode, und die Ruheperiode oder Induktionsperiode beginnt, während der praktisch keine weitere Hydratation stattfindet. Die ersten Hydratationsprodukte sind noch zu klein, um den Raum zwischen den Zementpartikeln zu überbrücken und ein festes Gefüge aufzubauen. Damit bleiben die Zementpartikel noch gegeneinander beweglich – das bedeutet, die Konsistenz des Zementleims ist nur wenig steifer geworden. Das Erstarren des Zementleims beginnt nach etwa ein bis drei Stunden, wenn sich erste, noch sehr feine Calciumsilicathydratkristalle auf den Klinkerpartikeln bilden. Nach Abschluss der Ruheperiode setzt erneut eine intensive Hydratation der Klinkerphasen ein. Diese dritte Periode (Beschleunigungsperiode) beginnt nach etwa vier Stunden und endet nach 12 bis 24 Stunden. Dabei baut sich ein Grundgefüge auf, bestehend aus CSH-Faserbüscheln bzw. CSH-Blattstrukturen, plattigem Calciumhydroxid und in die Länge wachsenden Ettringitkristallen. Durch die größeren Kristalle werden die Räume zwischen den Zementpartikeln überbrückt. Im weiteren Hydratationsverlauf nimmt die Verfestigung stetig zu, jedoch mit reduzierter Hydratationsrate. Das Gefüge verdichtet sich dabei und die Poren werden zunehmend ausgefüllt. Die chemischen Reaktionen der Klinkerphasen mit dem Anmachwasser lassen sich als chemische Reaktionsgleichung darstellen: C3S: C2S: C3A: C4AF: Die Hydratationsprodukte bilden sich nicht gleichzeitig, sondern entsprechend ihrer Reaktionsfähigkeit mit unterschiedlicher Geschwindigkeit und nach unterschiedlicher Dauer. Der Übergang von Erstarren zum Erhärten erfolgt „fließend“. Umwelt- und Klimaschutz Emissionen Bis in die 1960er Jahre galten Zementwerke als „Dreckschleudern“, die eine große Menge an Staub und Abgasen in die Umwelt leiteten. Obwohl Zementwerke immer noch viermal so viel CO2 freisetzen wie der weltweite Flugverkehr zusammen, verbesserte sich der Umweltschutz bei der Zementherstellung danach deutlich, indem modernere Filteranlagen die Staubemission ebenso drastisch senkten wie die Weiterentwicklung der Drehrohröfen und der Feuerungstechnologie den Energieverbrauch und den Ausstoß schädlicher Abgase wie Schwefeldioxid (SO2), Kohlenstoffdioxid (CO2) und Stickoxiden (NOx). Letztere werden durch sogenannte „SNCR-Verfahren“ (Selektive nichtkatalytische Reduktion) aus den Abgasen entfernt. Ein sich mit zunehmendem Treibhauseffekt verschärfendes Problem ist allerdings der hohe Ausstoß von Kohlendioxid. Die Zementindustrie gehört zu den Hauptemittenten von Treibhausgasen, die die globale Erwärmung bewirken. Weltweit werden jährlich 4,1 Milliarden Tonnen Zement hergestellt, der im Mittel etwa 60 % CaO enthält. Damit ergibt sich durch das Freisetzen des im Kalk gebundenen Kohlendioxids, selbst bei optimaler Prozessführung, ein Ausstoß von mindestens drei Milliarden Tonnen CO2 oder etwa 6 bis 8 % des jährlichen CO2-Ausstoßes. Wäre die globale Zementindustrie ein Land, so wäre sie der drittgrößte Emittent weltweit – nach der Volksrepublik China und den Vereinigten Staaten. Um die Vorgaben des Pariser Klimaabkommens zu erfüllen, müssten die jährlichen Emissionen der Zementindustrie bis zum Jahr 2030 um mindestens 16 Prozent sinken. Dementsprechend werden Überlegungen angestellt, Zement mit umweltverträglicheren Methoden herzustellen. Es gibt Ansätze für neue Herstellungsprozesse, die deutlich weniger CO2 freisetzen. Zur Einsparung fossiler Brennstoffe wie Kohle, Erdgas und Erdöl werden zum Teil sogenannte Sekundär- oder Ersatzbrennstoffe eingesetzt. Diese alternativen flüssigen und festen Brennstoffe wie Altöl oder Lösemittel, wie auch aufbereiteter Haus- und Gewerbemüll, Autoreifen, Klärschlamm, Tiermehl, Altholz oder andere Biomassen werden im Drehrohrofen aufgrund der oxidierenden Bedingungen und extrem hohen Temperaturen (Flammentemperatur > 2.000 °C) ohne die Entstehung zusätzlicher schädlicher Abgase verbrannt. Die Emissionen unterliegen den Standards der EU-Mit-Verbrennungsrichtlinie 76/2000EC, über deren Einhaltung die genehmigenden Behörden elektronisch wachen. In der Schweiz beträgt der Anteil dieser alternativen Brennstoffe mehr als 50 %. In ganz Westeuropa ist man ebenfalls bestrebt, den Anteil sogenannter Sekundärbrennstoffe im Zementwerk bis in die Größenordnung von ca. 70 % zu bringen. Dabei wird diese Entsorgungsmöglichkeit durch die Mitverbrennung, auch in Schwellenländern, als probates Mittel genutzt, kostengünstig fehlende Entsorgungsinfrastrukturen zu entwickeln und eine nachhaltige landeseigene Entsorgung unter hohen Umweltschutzstandards zu gewährleisten. Seit über 30 Jahren werden ganze Pkw- und Lkw-Altreifen (ohne voriges Schreddern) im Ofeneinlauf des Drehrohrofens thermisch und – wegen der Eisenkarkasse – stofflich genutzt. Eine befürchtete Emission von Dioxinen oder Furanen konnte bis heute wissenschaftlich nicht belegt werden, da der hohe basische Calciumanteil, die Abgasatmosphäre sowie die dafür ungünstigen Temperaturbedingungen im geschlossenen System die sogenannte De-novo-Synthese verhindern. Energie- und Rohstoffverbrauch Die Herstellung von Zementklinker erfordert einen großen Energieeinsatz. Ein gewisser Anteil des Zementklinkers lässt sich durch Zumahlstoffe mit puzzolanischen Eigenschaften ersetzen. Das Ergebnis sind sogenannte Kompositzemente. Bislang wurden häufig Hüttensand und Flugasche eingesetzt, bei denen es sich um Rest- und Abfallstoffe aus anderen Industriezweigen handelt, deren Verfügbarkeit aber rückläufig ist. Kalzinierter Ton wird in Zukunft voraussichtlich zum wichtigsten Kompositmaterial (auch SCM, supplementary cementitious material) zur Herstellung von Kompositzement. Tonminerale sind weltweit fast uneingeschränkt verfügbar. Die Verwendbarkeit hängt von den genauen Inhaltsstoffen und der Reinheit des Tons ab, der überwiegend aus Kaolinit, Illit und Montmorillonit besteht. Die Wärmeenergiebilanz des Herstellungsprozesses von Zementklinker hat sich durch die Nutzung von Abwärme aus dem Drehrohrofen, beispielsweise zur Mahltrocknung und zum Vorwärmen des Rohmehls, verbessert. Die Gewinnung der Rohstoffe für die Zementherstellung führte in manchen Regionen zur Vertreibung der indigenen Bevölkerung, zum Verlust ihrer Lebensgrundlage und zur Zerstörung der natürlichen Landschaften. Schwermetall-Belastung Besonderes Augenmerk wird auf die Emission von flüchtigen Spurenelementen und Schwermetallen, wie Quecksilber, Cadmium oder Thallium gelegt, während alle schwer- und nicht flüchtigen Spurenelemente durch den frisch entsäuerten Kalkstein adsorptiv gebunden werden (Prinzip der Trockensorption). In Zementen enthaltene lösliche Chromate können eine Allergie, die so genannte Maurerkrätze auslösen, wobei der hohe basische pH-Wert der wässrigen Lösung die Reizung der Haut verstärkt. Vorsichtsmaßnahmen bei der Verarbeitung Unter Einfluss von Wasser entsteht im Zement eine Lauge mit hohem pH-Wert von bis zu 13, die zu schweren Verätzungen und Nekrosen an Haut oder Augen führen kann (Zementbrand). Da die Symptome oft erst nach Stunden auftreten, wird die Gefahr oft zu spät erkannt. Daher sollten bei der Verarbeitung von Zement Brille und Handschuhe getragen werden. Sollten bei der Verarbeitung von Zement Kleidung oder Handschuhe durch die Zementlauge durchnässt werden, sollten diese gewechselt werden. Wirtschaftliche Aspekte Zementindustrie in Deutschland Die Zementindustrie in Deutschland gliedert sich in 22 Unternehmen, die zusammen 55 Zementwerke betreiben. Mit ca. 7.900 Mitarbeitern haben die deutschen Zementwerke im Jahr 2014 rund 32 Millionen Tonnen Zement hergestellt und dabei einen Umsatz von rund 2,5 Milliarden Euro erzielt. 1,2 Millionen Tonnen Zement wurden 2014, vorwiegend aus den europäischen Nachbarländern, importiert. Gleichzeitig exportierten die deutschen Hersteller rund 6,1 Millionen Tonnen Zement. Die Investitionsquote der Hersteller lag bei rund 6,5 Prozent. Zementindustrie in der Schweiz In der Schweiz werden jährlich rund 5 Millionen Tonnen Zement verbraucht. 2019 wurde der Bedarf zu 86 Prozent durch die sechs schweizerischen Zementwerke und zu 14 Prozent durch Importe gedeckt. Verbraucher Den größten Bedarf an Zement hat die Volksrepublik China. Dort werden ungefähr 45 % der weltweiten Produktion verbaut. In den Jahren 2012–2014 wurde dieselbe Menge Zement verbaut wie im gesamten 20. Jahrhundert in den USA. Nicht nur der Bauboom Chinas, sondern auch die Bauqualität spielen hier eine Rolle, da oft binnen einiger weniger Jahrzehnte Gebäude als baufällig gelten. Der Jahresverbrauch an Zement ist so eine wichtige Kenngröße zur Intensität wie auch der Art der Bautätigkeit in einer Region. In Ländern wie Indonesien werden nur ca. 15 bis 20 kg pro Einwohner jährlich benötigt; in Ländern wie Singapur oder den arabischen Ländern kann der Verbrauch mehr als 2.000 kg pro Einwohner im Jahr betragen. Der Verbrauch in Deutschland beträgt etwa 350 kg pro Einwohner im Jahr, der der Schweiz ist etwa doppelt so hoch. Produzenten Siehe auch Puzzolanische Reaktion Zementation (Geologie) Literatur Friedrich W. Locher: Zement: Grundlagen der Herstellung und Verwendung. Verlag Bau + Technik, Düsseldorf 2000, ISBN 3-7640-0400-2. Verein Deutscher Zementwerke: Zement-Taschenbuch 2002, 50. Ausgabe. Verlag Bau + Technik, Düsseldorf 2002, ISBN 3-7640-0427-4. Wilhelm Scholz, Wolfram Hiese: Baustoffkenntnis. Werner Verlag, Köln 2007, ISBN 978-3-8041-5227-4. Georges Spicher, Hugo Marfurt, Nicolas Stoll: Ohne Zement geht nichts. Geschichte der schweizerischen Zementindustrie. NZZ Libro, Zürich 2013, ISBN 978-3-03823-835-5. Weblinks Zementmerkblatt B1: Zemente und ihre Herstellung (PDF-Datei; 309 kB) Zement-Taschenbuch, 50. Auflage 2002 (PDF-Datei; 7,3 MB) Initiative für Nachhaltigkeit in der deutschen Zementindustrie Virtuelle Zementfabrik Deutsches Zementmuseum in Hemmoor an der Oste Die Entwicklung des deutschen Cementes, Der Architekt, 1895 Verbände Verein Deutscher Zementwerke e.V. Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie Verband der Schweizerischen Cementindustrie VDZ – Darstellung der Geschichte Einzelnachweise Baustoff Bindemittel für Feststoffe Mineralogie
Q45190
289.636987
128940
https://de.wikipedia.org/wiki/Brunnen
Brunnen
Ein Brunnen ist ein Bauwerk zur Wassergewinnung aus einem Grundwasserleiter. Zur Förderung aus dem Grundwasser kommen verschiedene Pumpenarten zum Einsatz, früher Handpumpen, heute meist elektrische Tauch- und Saugpumpen. Ebenso sind andere mechanische Einrichtungen wie Brunneneimer oder Wasserkünste zur Wasserförderung verbreitet. Eine besondere Form sind artesische Brunnen, bei denen der Brunnen in einen gespannten Grundwasserleiter abgeteuft ist, so dass keine Einrichtungen zur Wasserförderung benötigt werden. Dasselbe gilt für Quellfassungen und Wasserleitungen und andere Brunnen, die durch natürlichen oder künstlichen Wasserdruck in der Zuleitung gespeist sind. Dieser permanent verfügbare Wasserdruck wird auch für Springbrunnen genutzt. Geschichte Trinkwasser ist die Voraussetzung für das menschliche Überleben. Durch die Menschheitsgeschichte wurden zeitweilige Lager und Siedlungen in der Nähe von Wasserstellen wie Quellen, Flüssen und Süßwasserseen errichtet. Vom mesolithischen Wohnplatz Friesack in Brandenburg sind drei Gruben bekannt, die von Jägern und Sammlern zur Gewinnung von Trinkwasser angelegt wurden (Wasserlöcher). Auf diese Funktion deuten Schöpfgefäße aus einem Schildkrötenpanzer und aus Birkenrinde, die auf den Grubensohlen entdeckt worden sind. Brunnen sind im Mittelmeerraum seit etwa 8000 v. Chr. nachgewiesen, wie in Atlit-Yam (Israel) oder Kissonerga-Mylouthkia und Shillourocambous auf Zypern, wo sie im massiven Sandstein abgeteuft wurden. Aus dem präkeramischen Neolithikum (ca. 7000 v. Chr.) gibt es drei Brunnen in Atlit Yam (Israel). In Mitteleuropa sind Holzbrunnen seit der frühen Starčevo-Kultur (etwa 6000 v. Chr.) bekannt, von einem Fundplatz bei Slavonski Brod in Kroatien. Eine Reihe von Zeugnissen des Bandkeramischen Brunnenbaus belegt die Verbreitung dieser Art der Wasserversorgung seit der ersten bäuerlichen Besiedlung Mitteleuropas. Der früheste bandkeramische Brunnen ist in einer Siedlung der ältesten Bandkeramik von Mohelnice (Mähren) nachgewiesen. Von den Bohlen liegen Dendrodaten vor, die auf die Jahre 5540 bis 5460 v. Chr. hinweisen. Neben der ersten Phase des Brunnens von Plaußig werden Eythra zwei (im Tagebau Zwenkau), Brodau und Dresden-Cotta ins 53. vorchristliche Jahrhundert (zwischen 5300 und 5200 v. Chr.) datiert. Eine Ballung von datierten Brunnen gibt es um 5100 v. Chr., wie im Falle von Erkelenz-Kückhoven, Eythra 1 und dem Brunnen von Altscherbitz. Der 2007 entdeckte Brunnen von Niederröblingen (Landkreis Mansfeld-Südharz) fügt sich in diesen Brunnenhorizont der jüngeren Bandkeramik ein. Europas tiefster steinzeitlicher Brunnen (über 15 m tief) (etwa 5100 v. Chr.) wurde bei Merzenich-Morschenich entdeckt und im Block geborgen. Aus der Schnurkeramik sind Brunnen mit einer Auskleidung aus Flechtwerk bekannt. Sprichwörter Kategorien von Brunnen Grundsätzlich wird der Oberbegriff Brunnen im deutschen Sprachgebrauch für alle Arten von Bauwerken verwendet, welche an eine künstliche oder natürliche Wasserversorgung angeschlossen sind (bzw. bei stillgelegten Brunnen angeschlossen waren). Dabei werden die Arten von Brunnen je nach Betrachtungsweise nach der Art ihrer Errichtung (Brunnentyp) sowie in Konstruktion (Bauweise) und als auch nach ihrer Funktion (Nutzung) unterschieden. Themenbezogen können Brunnen auch in symbolische Gruppen kategorisiert werden, wie nach Material, Motiv oder räumlicher Zuordnung. Eine Sonderform von Brunnen sind Wasserspiele – eine meist kombinierte Art von Springbrunnen, Wasserspeiern und Kaskaden, welche in ihrer Darstellung über die Definition eines Einzelbrunnens hinaus gehen. Unterscheidung nach Brunnentyp Die Brunnentypen unterscheiden sich bei dieser Betrachtung nach ihrer Art der Errichtung des Brunnens. Die Regeln dafür sind in Deutschland und Österreich in der jeweiligen Trinkwasserverordnung festgelegt und werden je nach Brunnentyp landesspezifisch unterschiedlich überwacht. Bezeichnet wird der Oberbegriff auch als Wasserfassung (Brunnenfassung) Hausbrunnen - werden meist auf Privatgrundstücken errichtet Beispiel: Heideborn Hausbrunnen in der Oberlausitz Bohrbrunnen - durch verrohrte oder unverrohrte Flachbohrung errichtet Quellfassung - künstlich angelegte Einfassung einer Wasserquelle, auch Brunnenstuben Ziehbrunnen - historischer Brunnentyp, wo mit Hilfe der Konstruktion Wasser an die Oberfläche befördert wird Rammbrunnen - meist in der Landwirtschaft verwendeter Typ (auch als Schlagbrunnen bezeichnet), Errichtung durch Schlagen eines Rohres in die wasserführende Bodenschicht Unterscheidung nach Konstruktion (Bauweise) Unterscheidung nach Funktion (Nutzung) Unterscheidung nach Themenbezogen können Brunnen auch in symbolische Gruppen eingeordnet werden: Material: Art des Brunnenbaumaterials Motiv: Themen-Brunnen Standort: Brunnen-Listen Zuordnung nach Ort Zuordnung nach Staat Brunnen zur Wassergewinnung und als Nutzbrunnen Ziehbrunnen Unter einem Tiefbrunnen (oder Ziehbrunnen) versteht man eine meist senkrechte vom Menschen geschaffene Öffnung im Erdreich oder im Gestein, die entweder klein und verrohrt oder aber groß und durch die natürliche Festigkeit des Umgebungsmaterials erhalten sein kann (begehbare Brunnen). Im Norddeutschen nannte man gegrabene Brunnen früher auch Sodbrunnen oder lediglich Sod, im Rheinland war der Begriff „Pütz“ (von franz. puits) gebräuchlich. Aus modernen engen Bohrungen wird das Wasser durch technische Hilfsmittel (Winde oder Pumpe, z. B. Schwengelpumpe) nach oben gefördert. Ziehbrunnen sind seit dem frühen Neolithikum nachgewiesen (Zypern) als urtümliche Schächte, die im Erdreich durch Holzkonstruktionen (Holzkastenbrunnen) stabilisiert wurden. Solche Schöpfeinrichtungen dienen zur Erleichterung der Wasserbeschaffung, insbesondere beim Tränken von Viehherden. Bekanntes Beispiel sind die Brunnen der Puszta, die es so im gesamten Steppengürtel Eurasiens und anderswo gibt. Neben dem Einsatz der Hebelwirkung über den Schwingbaum, an dem Gegengewichte die Arbeit erleichtern, sind Räder, Seile und Zugtiere (Büffel, Esel, Kamele) im Einsatz. Dagegen sind die in Mitteleuropa gebräuchlichen Ziehvorrichtungen weniger effektiv: Dabei wurde ein Zugseil auf einem verhältnismäßig kleinen Rundholz aufgewickelt oder über eine Umlenkrolle gezogen, die an einem zweischläfrigen Galgen aufgehängt war („Galgenbrunnen“). Der Gemeindeziehbrunnen war auf dem Flachlande vor der Gründung von Feuerwehren und dem Anlegen von Löschwasserteichen häufig einer der wenigen Möglichkeiten der Wasserentnahme für eine Brandbekämpfung. Am Brunnen mussten große Eimer mit Ziehkette vorgehalten werden. Quellbrunnen Quellfassungen sind oft unmittelbar oder in näherer Umgebung mit einem Brunnenbau erschlossen. Selbst wenn sie als Wasserschloss für die Einspeisung in die Druckleitung ausgebaut sind, kann das Überwasser noch einen Brunnen befüllen. Bei überdachtem Ausbau spricht man auch von einem Brunnenhaus. Im weiteren Sinne quellgespeist sind auch die großen Wasserleitungsversorgungen der bergnahen Städte, die seit den antiken Hochkulturen über die römischen Fernleitungen mit ihren Aquädukten bis heute üblich sind. Eine der bedeutendsten solchen Anlagen, die noch in Betrieb sind, sind die Wiener Hochquellwasserleitungen. Artesischer Brunnen Ein artesischer Brunnen ist ein Brunnen, aus dem Grundwasser durch Überdruck aufsteigt. Qanate Eine besondere Brunnenform stellen die vor allem im Iran, in Afghanistan und im westlichen Teil Pakistans verbreiteten Qanate dar, bei denen es sich um unterirdisch verlaufende horizontale Wassersammelstollen mit oft hunderten vertikalen Zugangsschächten handelt; sie dienen überwiegend der Bewässerung kilometerweit entfernter Felder. Qanate kann man in fast allen Ländern am Persischen Golf sowie in Afghanistan, Pakistan, Syrien, am Rande der Taklamakan und im gesamten Maghreb sowie auf den Kanarischen Inseln finden. Daher gibt es viele verschiedene Bezeichnungen für sie: Auf Persisch heißen sie Kariz bzw. Karez (). In Oman werden sie Faladsch genannt, im Maghreb lautet ihr Name Foggara, was so viel wie „unterirdischer Stollen“ bedeutet. In Marokko sind auch die Bezeichnungen Rhetara, Khettara oder Hattara gebräuchlich. Stufenbrunnen Auf dem gesamten Indischen Subkontinent, vor allem in den Bundesstaaten Gujarat, Rajasthan und Uttar Pradesh, spielten Stufenbrunnen (vavs, baolis) eine große Rolle bei der öffentlichen Wasserversorgung. Streng genommen handelt es sich um eine Kombination eines Brunnens mit einer Zisterne: Ein runder Brunnenschacht wurde bis auf das Grundwasserniveau hinuntergeführt; eine seitliche Treppe, die in der Monsunzeit auf unterschiedlichen Niveaus von Regenwasser bedeckt war, führte zum Wasser hinunter, wodurch das Wasserholen erheblich erleichtert wurde (siehe auch Rani Ki Vav, Chand Baori). Brunnenbau Zierbrunnen Brunnen waren bis zur Einführung des Leitungswassers als öffentliche Orte der Wasserversorgung Treffpunkt für Menschen und insbesondere für Wäscherinnen. In vielen Ländern haben sie nach wie vor diese soziale Funktion. Viele historische Brunnenanlagen stehen heute unter Denkmalschutz und gelten zum Teil als Sehenswürdigkeit. Dadurch sind Brunnenanlagen auch weiterhin ein Anziehungspunkt im öffentlichen Raum. Brunnen wurden als Symbole der Macht oder des Einflusses des Erbauers seit der Renaissance oft prunkvoll ausgestaltet, so wurde etwa der Trevi-Brunnen in Rom als Stiftung von Papst Nikolaus V., anlässlich der Restaurierung des Aquädukts Aqua Virgo, erbaut. Mit dem Aufkommen von Wasserleitungen, die das Nutzwasser direkt in die Haushalte brachte, verschwanden die Entnahme- und Waschbrunnen im öffentlichen Raum. Sie wurden in vielen Dörfern und Städten durch mehr oder weniger künstlerisch gestaltete Brunnenanlagen ersetzt. Sie können dann oft die Komplexität von Wasserspielen erreichen: Bestandteile solcher Wasserspiele sind auch Fontänen, Kaskaden und Becken. Das Wasser kühlt durch die Verdunstung im Sommer und trägt somit zur Verbesserung des Kleinklimas bei. Im orientalischen Raum sind Innenbrunnen ein wichtiger Bestandteil von Palästen, da sie die Innenraumtemperatur absenken. Zierbrunnenanlagen haben eine Umwälzpumpe; es wird daher nur das verdunstete Wasser ersetzt. Derartige Brunnen sollten vor Beginn der ersten Nachtfröste entleert werden. Brauchtum In Oberfranken, besonders in der Fränkischen Schweiz, gibt es den Brauch, Osterbrunnen zur Feier des Osterfestes zu schmücken. Im schwäbischen Raum gibt es in manchen Städten den Brauch des jährlichen, so genannten Geldbeutelwaschens im Brunnen. In manchen Städten werden zur Fasnacht Leute in einen Brunnen geworfen. Münzen, die in einen Brunnen geworfen werden, sollen zu Lebensglück oder einer Rückkehr an den Brunnen führen, so speziell beim Trevi-Brunnen in Rom. An der Popperöder Quelle in Mühlhausen/Thüringen wird alljährlich von Grundschulkindern ein Brunnenfest gefeiert. Dabei werden Blumensträuße in den Brunnen geworfen, Brunnentänze ausgeführt und Brunnenlieder gesungen. In Endingen am Kaiserstuhl findet jedes Jahr zur Fastnacht ein besonderes Spektakel statt. Am Schmutzigen Donnerstag wird feierlich der Jokili aus dem Rathausbrunnen gehoben. Erst jetzt beginnt die eigentliche Fastnachtszeit. Am Abend vor Aschermittwoch wird der Jokili wieder nach Abschluss einer „Trauerrede“ im Brunnen versenkt, wo er bis zum Schmutzigen Donnerstag im darauffolgenden Jahr bleibt. Brunnen als Wappensymbol Wegen ihrer Bedeutung für das Leben und Überleben der Menschen finden sich Brunnen auch in Ortswappen. Siehe auch Brunnen als Motiv (Brunnen in Überlieferung und Literatur) Wasserspiele Brunnenregenerierung Der römische Brunnen Teilsäule Literatur Nach Erscheinungsjahr geordnet Hermann Spindler: Der Brunnen im Recht. Würzburg 1938. Gerold Weber: Brunnen und Wasserkünste in Frankreich im Zeitalter von Louis XIV. Mit einem typengeschichtlichen Überblick über die französischen Brunnen ab 1500 (= Grüne Reihe 8). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1985, ISBN 978-3-88462-038-0 Albert Baur: Brunnen. Quellen des Lebens und der Freude. Technik, Geschichte, Geschichten. Oldenbourg, München 1989, ISBN 3-486-26409-5 Landschaftsverband Rheinland, Rheinisches Amt für Bodendenkmalpflege (Hrsg.): Brunnen der Jungsteinzeit. Internationales Symposium in Erkelenz, 27. bis 29. Oktober 1997. Materialien zur Denkmalpflege im Rheinland 11. Habelt, Bonn 1998. Jan Klápště (Hrsg.): Water Management in Medieval Rural Economy. Ruralia V Konferenz, Prag 2005. Hermann Bischofberger: Brunnen, Brunnengemeinschaft. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller, Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte. Bd. 1, 2. Auflage. Schmidt, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4, S. 692–694. Dorothee Rippmann, Wolfgang Schmid, Katharina Simon-Muhscheid (Hrsg.): »zum Allgemeinen statt Nutzen«. Brunnen in der europäischen Stadtgeschichte. Kliomedia, Trier 2008, ISBN 978-3-89890-116-1. Rengert Elburg: Weihwasser oder Brauchwasser? Einige Gedanken zur Funktion bandkeramischer Brunnen. In: Archäologische Informationen. 34/1, 2011, 25–37. doi:10.11588/ai.2011.0.10154 Saskia Hunsicker: Holzbrunnenkonstruktionen des frühen und hohen Mittelalters: Funktionsweisen und Bedeutung am Beispiel von Süddeutschland und dem Elsass. Diplomica-Verlag, Hamburg 2014, ISBN 978-3-8428-9519-5. Weblinks Wasserversorgung in der Antike Quellen und Brunnen im Fichtelgebirge München und seine Brunnen Einzelnachweise Bauform (Wasserbau)
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vestland
Vestland
Vestland ist eine norwegische Provinz (Fylke), die zum 1. Januar 2020 aus dem Zusammenschluss der Provinzen Hordaland und Sogn og Fjordane ohne die Kommune Hornindal entstand. Grundlage war ein Beschluss des Storting vom 8. Juni 2017, der im Zuge einer Regionalreform eine Reduzierung auf elf Fylke vorsah. Sitz der Fylkeskommune ist Bergen, Sitz des Statsforvalters Hermansverk. Im Parlament (Fylkesting) der Provinz sitzen 65 Abgeordnete. Verwaltungssprache ist Nynorsk. Geografie Vestland grenzt im Norden an Møre og Romsdal, im Osten an Innlandet und Viken, im Südosten an Vestfold og Telemark und im Süden an Rogaland. Die Provinz ist das zentrale Gebiet des Landesteils Vestlandet. Vestlands Küste ist durch Fjorde stark gegliedert. Die größten sind der Sognefjord, der Hardangerfjord und der Nordfjord. Das Skandinavische Gebirge prägt die gesamte Provinz, insbesondere mit Jotunheimen und der Hardangervidda. Höchster Berg ist der Store Skagastølstind mit Mit dem Jostedalsbreen, Folgefonna und dem Hardangerjøkul liegen große Festlandsgletscher in Vestland. Entlang der Küste verläuft die Europastraße 39. Wichtigste West-Ost-Straßenverbindung ist die Europastraße 16 von Bergen nach Oslo, die in weiten Strecken parallel zur Bergensbanen verläuft. Touristisch bedeutsam ist die Flåmsbana. Wichtigster Flughafen ist der Flughafen Bergen, nächstgrößter der Flughafen Florø. Politik Die erste Fylkestingswahl für die neu entstandene Provinz fand am 9. September 2019 statt. Es waren 494.675 Personen wahlberechtigt. Verwaltungsgliederung Vestland ist in 43 Kommunen gegliedert. Neun Kommunen entstanden zum selben Zeitpunkt wie die Provinz durch die Zusammenlegung von Altgemeinden: Alver (aus Lindås, Meland und Radøy) Bjørnafjorden (aus Fusa und Os) Høyanger (aus Høyanger und dem Ort Nessane der Kommune Balestrand) Kinn (aus Flora und Vågsøy ohne Bryggja) Sogndal (aus Balestrand ohne Nessane, Leikanger und Sogndal) Stad (aus Eid, Selje und dem Ort Bryggja der Kommune Vågsøy) Sunnfjord (aus Førde, Gaular, Jølster und Naustdal) Ullensvang (aus Jondal, Odda und Ullensvang) Voss (aus Granvin und Voss) Øygarden (aus Fjell, Sund und Øygarden). Wappen Das Wappen von Vestland zeigt silberne, versetzte Berge auf blauem Grund, der die Fjorde symbolisiert. Die Motive Berg und Fjord wurden zuvor von den Bewohnern der neuen Provinz am häufigsten vorgeschlagen. Weblinks Offizielle Website von Vestland Nachweise Norwegisches Fylke Gegründet 2020
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