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https://de.wikipedia.org/wiki/Sussex
Sussex
Sussex [] (altenglisch „Süd-Sachsen“) ist eine Grafschaft im Süden Englands, rund um die Stadt Brighton. Sussex ist eine der 39 traditionellen Grafschaften Englands. Verwaltung Heute ist Sussex verwaltungstechnisch geteilt in die Countys West Sussex (1989 km², Hauptstadt Chichester) und East Sussex (1759 km², Hauptstadt Lewes) sowie in das Gebiet der City Brighton and Hove, die seit 1997 ein selbständiger Stadtkreis (Unitary Authority) ist. Sussex grenzt im Norden an Surrey, im Nordosten an Kent, im Westen an Hampshire und im Süden an den Ärmelkanal. Geschichte Der Name bedeutet Südliches Gebiet der Sachsen (vgl. Essex, Middlesex, Wessex) und ist seit 477 nachweisbar. Das Königreich Sussex war eines der Kleinkönigreiche der Angelsachsen. Im späten 8. Jahrhundert kam Sussex unter die Oberherrschaft des benachbarten Königreiches Wessex, in dem es 823 aufging. Zum gegenüberliegenden normannischen Festland hatte Sussex auch schon vor der Invasion der Normannen von 1066 intensive Beziehungen. Hastings, der Ort der ersten erfolgreichen Schlacht zu Beginn der normannischen Eroberung Englands, liegt in diesem Gebiet. Seit dem Mittelalter gab es den erblichen britischen Adelstitel des Earl of Sussex. Bis 1974 war Sussex eine zeremonielle Grafschaft, seitdem nehmen West Sussex und East Sussex diese Funktion wahr. 2018 ernannte Königin Elisabeth II. ihren Enkel Prinz Harry, anlässlich seiner Hochzeit zum Duke of Sussex. Geographie Das heutige Sussex ist größtenteils flach, mit den Hügelketten der South Downs und des Weald als höchste Erhebungen. Die Flüsse sind kurz und wenig bedeutend. Es liegt langgezogen an der Küste, die auch den größten Wirtschaftsfaktor ausmacht. Neben Brighton sind noch Bognor Regis und Eastbourne bedeutende Seebäder. Im Landesinneren herrschen vor allem Obstbau und Rinderzucht vor. Die größten Städte in Sussex sind Bexhill-on-Sea, Burgess Hill, Brighton, Chichester, Crawley, Eastbourne, East Grinstead, Hastings, Haywards Heath, Horsham, Hove und Worthing. Andere Städte sind Arundel, Battle, Crowborough, Hailsham, Lewes, Midhurst, Petworth und Uckfield. Obgleich Lancing ein Dorf ist, ist es aufgrund seiner hohen Bevölkerung ebenfalls von Bedeutung. Weblinks Sussex Association Einzelnachweise Englische Grafschaft Geographie (South East England)
Q23346
127.360523
25264
https://de.wikipedia.org/wiki/Molekularbiologie
Molekularbiologie
Die Molekularbiologie ist die Beschäftigung mit der Struktur und Funktion biologischer Makromoleküle, befasst sich als solche mit der Struktur, Biosynthese und Funktion von DNA und RNA auf molekularer Ebene und untersucht, wie diese untereinander und mit Proteinen interagieren. Das Forschungsgebiet der Molekularbiologie überlappt dabei immer mehr mit weiteren Feldern der Biologie und Chemie, insbesondere der (molekularen) Genetik und der Biochemie. Die Grenzen zwischen diesen Fachbereichen sind dabei oft fließend. Der Name für dieses Fach wurde bereits in den 1930er Jahren verwendet, jedoch erst 1952 durch den englischen Physiker und Molekularbiologen William Astbury entscheidend geprägt. Arbeitsfelder Wichtige Arbeitsfelder sind die Erforschung der Genexpression und Genregulation auf allen Ebenen (Epigenetik, Transkription, Translation) und die Erforschung der Funktion der Proteine in der Zelle. Insbesondere die Wechselwirkung zwischen DNA und Proteinen in der Zelle sind ein Hauptaugenmerk. Hierdurch soll das Grundverständnis der Prozesse in einer Zelle verbessert werden. Die gewonnenen Daten können wiederum in einer Vielzahl weiterer Felder eingesetzt werden. Zum Beispiel ist es mit Hilfe von molekularbiologischen Daten möglich, Krankheiten besser zu verstehen und die genaue Wirkungsweise und Entwicklung von Medikamenten zu verbessern. Auch die Aufklärung der genetischen Information durch Sequenzierung der DNA und RNA ermöglicht wesentliche Einsichten in die Evolution der Lebewesen. Vielfach werden die aufgrund morphologischer und anhand von Fossilien entwickelten Stammbäume des Systems der Lebewesen durch Sequenzdaten bestätigt oder auch widerlegt. Durch die Gentechnik ist es schließlich möglich, das Erbgut von Organismen zu verändern. So können beispielsweise in Bakterien oder in Nutztieren Hormone und andere körpereigene Substanzen des Menschen, aber auch andere neue Arzneistoffe hergestellt werden (Biotechnologie). Die Gentherapie befasst sich mit der Korrektur krankheitsauslösender genetischer Defekte und schleust über spezielle Methoden korrekte Gensequenzen (Vektoren) unter Austausch der defekten Abschnitte in die DNA ein. Im Bereich der Pflanzenzucht wird die Gentechnik bereits dazu benutzt, Gene für Krankheitsresistenzen oder Abwehrmechanismen gegen Fressfeinde oder konkurrierende Pflanzen einzuschleusen, so dass unter anderem die entsprechenden Stoffe von den Pflanzen selbst gebildet werden. Molekularbiologische Forschungsinstitute im deutschsprachigen Raum sind neben universitären Einrichtungen unter anderen das European Molecular Biology Laboratory, verschiedene Max-Planck-Institute sowie das Deutsche Krebsforschungszentrum. Techniken Molekularbiologische Methoden werden in der modernen biologischen und medizinischen Forschung angewandt, haben aber mittlerweile auch Einzug gehalten in der Kriminalistik und vielen anderen Bereichen des täglichen Lebens. Die Molekularbiologie verwendet dabei eine Vielzahl von biochemischen, mikrobiologischen, genetischen und gentechnischen Verfahren und kombiniert deren Ergebnisse, um einen größeren Kontext zu erhalten. Die Palette der Techniken ist auch hier fließend und erstreckt sich von In-vitro-Technik bis hin zu In-vivo-Untersuchung, wie zum Beispiel PCR, Klonierung, Mutagenese, rekombinante Expression, Hefe-Zwei-Hybrid-System, Zellkultur usw. Siehe auch Bioinformatik Genom Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie Zellbiologie Literatur Bruce Alberts, u. a.: Molekularbiologie der Zelle. 4. Auflage. Wiley-VCH, Weinheim 2003, ISBN 3-527-30492-4. David P. Clark: Molecular Biology: Das Original mit Übersetzungshilfen. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-8274-1696-5. A. Henco: International Biotechnology Economics and Policy. Authors Online. 2007, ISBN 978-0-7552-0293-5. Lily E. Kay: The Molecular Vision of Life: Caltech, the Rockefeller Foundation, and the Rise of the New Biology. Oxford University Press., Reprint 1996, ISBN 0-19-511143-5. Michel Morange: A History of Molecular Biology. MA: Harvard University Press, Cambridge, New Edition 2000, ISBN 0-674-00169-9. Cornel Mülhardt: Der Experimentator: Molekularbiologie/Genomics. 5. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2006, ISBN 3-8274-1714-7. Hans-Jörg Rheinberger: Molekularbiologie. In: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil, Wolfgang Wegner (Hrsg.): Enzyklopädie Medizingeschichte. De Gruyter, Berlin/New York 2005, ISBN 3-11-015714-4, S. 1001 f. Sven P. Thoms: Ursprung des Lebens. Fischer Verlag, Frankfurt 2005, ISBN 3-596-16128-2. Weblinks Gesellschaft für Biochemie und Molekularbiologie Aktuelle Informationen über die Reportergen Forschung (englisch) Einzelnachweise Humangenetik Medizinisches Fachgebiet
Q7202
830.786194
256300
https://de.wikipedia.org/wiki/Dili
Dili
Dili (Tetum Dili, portugiesisch Díli) ist die Hauptstadt und das wirtschaftliche Zentrum Osttimors. Sie ist auch die Hauptstadt der Gemeinde Dili. Name Einer Legende nach soll sich der Ortsname „Dili“ vom Tetum-Wort „ai-dila“ für die Papaya ableiten. Den Namen dieser Frucht hörten die Portugiesen demnach als erstes, als sie 1520 die Bucht von Dili erreichten. Allerdings kann dies nicht stimmen, da zu dieser Zeit in der Region Mambai gesprochen wurde. „Motaél“, das Mambai-Wort für „Flussmündung“, von dem sich der Name des heutigen Stadtteils Motael und des ehemaligen, lokalen Reiches ableiten, ist ein Beleg dafür. Tetum breitete sich erst in Dili aus, als der Ort koloniale Hauptstadt wurde. Außerdem ist die Papaya eine amerikanische Frucht, die erst durch die Europäer nach Südostasien kam. Der Ursprung des Namens „Dili“ scheint vielmehr im Bunak-Wort „zili“ () zu liegen, das die Klippen hinter der Stadt bezeichnet. Dies ist ein Hinweis darauf, dass in der Region noch vor den austronesischen Sprachen Mambai und Tetum wohl eine Papuasprache, wie das Bunak gesprochen wurde. Die Einwohner Dilis werden manchmal Karketu genannt, was sich im Namen des Fußballvereins Karketu Dili wiederfindet. Geographie Dili liegt an der Nordküste der Insel Timor. Die Stadt Dili verteilt sich über mehrere Verwaltungsämter: Cristo Rei (Ost-Dili), Dom Aleixo (West-Dili), Nain Feto (Ost-Dili) und Vera Cruz (Zentral-Dili). Das Verwaltungsamt Metinaro liegt außerhalb der Stadt Dili. Ursprünglich gehörte auch die 23,5 km vor Dili gelegene Insel Atauro noch zu den ländlichen Gebieten der Gemeinde, bildet aber seit dem 1. Januar 2022 eine eigene Gemeinde. 25 der 31 Sucos haben als „urban“ klassifizierte Gebiete. Sieben von ihnen haben auch ländlich geprägte Gebiete. Neben den drei Sucos Metinaro gelten Gricenfor, Dare und Balibar als rein ländliche Sucos. Die historischen Stadtteile (bairos), deren Namen oft in Adressen angegeben werden, finden sich nicht immer in den Namen der Verwaltungseinheiten wieder. Immer wieder werden die alten Stadtteile durch die neuen Verwaltungsgrenzen zerschnitten, wie etwa bei Balide oder Ailele Hun. Oft überschneiden sich auch die Bezeichnungen der Stadtteile, so dass eine klare Abtrennung einzelner Stadtteile schwer ist. Seit November 2015 werden Straßen der Landeshauptstadt kontinuierlich umbenannt, um sie der „nationalen Prägung“ anzugleichen. Begonnen wurde mit 89 Straßen im Stadtzentrum. So wurde aus der Avenida de Portugal ab dem Leuchtturm in Motael die Avenida de Motael und aus der Avenida dos Direitos Humanos (ehemals Avenida Alm. Américo Tomás) die Avenida Nicolau Lobato und die Avenida Marginal. Verwaltung Es gibt keine städtische Verwaltung allein für die Stadt Dili. Die Funktion übernimmt die Administration der Gemeinde Dili, die ebenso für die benachbarten, kleineren Orte zuständig ist. Die Umbenennung des Distrikts Dili in eine Gemeinde erfolgte 2015. Die Administration wird, ebenso wie jene der Verwaltungsämter, von der Landesregierung ernannt. Die Sucos werden von einem gewählten Chefe de Suco und einem gewählten Rat geführt. Der derzeitige Administrator ist Gaspar Soares (Stand Februar 2014). Er wurde von der Landesregierung eingesetzt. Bürgermeister Dilis, die unterhalb des Distriktchefs (Bupati) standen, gab es in der portugiesischen Kolonialzeit und in der indonesischen Besatzungszeit. Das Amt hatte unter den Portugiesen unter anderem César Mousinho inne, unter den Indonesiern José Abílio Osório Soares, Domingos Maria das Dores Soares und Mateus Maia (1996–1999). Einwohner In den als urban definierten Sucos der Stadt Dili leben 95,8 % der Einwohner (etwa 310.600) der Gemeinde Dili. 2015 waren es noch 244.584 Einwohner (Stand 2015). Die Gemeinde Dili hat eine Einwohnerzahl von 324.269 (2022) beinhaltet aber auch ländliche Gebiete, wie zum Beispiel das Verwaltungsamt Metinaro. Dili ist ein Schmelztiegel der verschiedenen Volksgruppen Osttimors. Aus dem ganzen Land kommen vor allem junge Männer nach Dili auf der Suche nach Arbeit. Daher ist der Männeranteil deutlich höher als der Frauenanteil. In der gesamten Gemeinde Dili nahm die Bevölkerung zwischen 2001 und 2004 um 12,58 % zu. Fast 80.000 der Einwohner sind außerhalb Dilis geboren worden. Nur 54 % der Einwohner sind hier geboren worden. 7 % wurden in Baucau geboren, je 5 % in Viqueque und Bobonaro, 4 % in Ermera, der Rest in den anderen Gemeinden oder im Ausland. Die unterschiedliche Herkunft ist nicht unproblematisch. Vor allem Straßenbanden aus den verschiedenen Landesteilen (Loro Munu und Loro Sae) geraten immer wieder aneinander. Höhepunkt waren die Unruhen in Osttimor 2006. Grund sind verschiedene Ressentiments zwischen den Gruppen, aber auch wirtschaftliche Interessen. So gab es einen Konflikt zwischen Bunaks aus Bobonaro und Ermera und Makasaes aus Baucau und Viqueque um die Dominanz auf dem Markt. Geschichte Kolonialzeit Erstmals erreichten die Portugiesen 1520 die Bucht von Dili und errichteten dort kurz darauf einen kleinen Posten. Die kleine Ansiedlung wurde zur Hauptstadt ihrer Besitzungen auf den Kleinen Sundainseln gemacht, nachdem die Portugiesen von den Topasses am 11. August 1769 aus Lifau im Westen der Insel vertrieben worden waren. Am 10. Oktober 1769 begann Gouverneur António José Teles de Meneses mit dem Bau der neuen Hauptstadt. Die Stadtrechte erhielt der Ort im Januar 1864. Portugal war während des Zweiten Weltkrieges neutral. Allerdings befürchteten die Alliierten, dass das militärisch schwache Portugiesisch-Timor von den Japanern als Brücke nach Australien verwendet werden könnte, weswegen Niederländer und Australier 1941 die Kolonie kurzzeitig besetzten. In der Nacht vom 19. auf den 20. Februar 1942 griffen die Japaner mit 20.000 Mann an und besetzten Dili und nach und nach den Rest Timors. Am 26. September 1945 fand die offizielle Zeremonie der Kapitulation der Japaner in Portugiesisch-Timor und der Rückgabe der Macht an Portugal in Dili statt. Nach der Nelkenrevolution 1974 sollte die Kolonie auf die Unabhängigkeit vorbereitet werden, doch als sich eine Dominanz der linksgerichteten FRETILIN abzeichnete, kam es 1975 in Dili zu Straßenkämpfen zwischen ihr und der konservativen UDT. Portugals letzter Gouverneur Mário Lemos Pires floh auf die Dili vorgelagerte Insel Atauro, von wo aus er erfolglos versuchte, zwischen den Parteien zu vermitteln. Die FRETILIN ging aus den Kämpfen als Sieger vor, doch inzwischen hatte Indonesien begonnen, mit als UDT-Anhängern getarnten Truppen nach und nach das Grenzland zu besetzen. Angesichts der Bedrohung hoffte die FRETILIN auf internationale Unterstützung und erklärte daher am 28. November 1975 Osttimor von Portugal unabhängig. Neun Tage später, am 7. Dezember, begannen indonesische Truppen offiziell mit der Invasion des Landes und besetzten Dili. Indonesische Besatzungszeit Unter dem FALINTIL-Chef Xanana Gusmão begann der timoresische Widerstand, mit Guerillataktiken gegen die Besatzer vorzugehen. Am 10. Juni 1980 griffen FALINTIL-Einheiten einen Fernsehsender am Rande der Hauptstadt Dili an. Am 12. November 1991 forderte ein Massaker durch das indonesische Militär nach einer Beerdigung auf dem Friedhof von Santa Cruz (siehe dazu: Santa-Cruz-Massaker) über 200 Todesopfer. 1999 kam es im Umfeld des Unabhängigkeitsreferendums am 30. August zu einer letzten Gewaltwelle unter der indonesischen Besatzungsmacht. Pro-indonesische Milizen zerstörten die Infrastruktur, brannten Häuser nieder und vertrieben Menschen. Am 17. April starben 14 Menschen bei einem Massaker im Haus des Politikers Manuel Carrascalão, in dem zahlreiche Flüchtlinge Schutz gesucht hatten. Nach dem Referendum am 30. August eskalierte die Gewalt nochmals. Als am 4. September das Ergebnis veröffentlicht wurde, das sich für die Unabhängigkeit aussprach, zogen die Milizen plündernd und mordend durch die Stadt. Mehr als 50 % der Häuser wurden beschädigt oder zerstört. Am 20. September 1999 landeten die ersten Einheiten der internationalen Friedenstruppe INTERFET auf dem Flughafen bei Dili. Die Vereinten Nationen übernahmen die Verwaltung des Landes. Am 20. Mai 2002 wurde Dili schließlich Hauptstadt des unabhängigen Staates Osttimor. Unabhängigkeit Einen Tag nach der Verhaftung eines Studenten wurden am 4. Dezember 2002 bei Unruhen in Dili und anderen Orten Osttimors das Haus von Premierminister Marí Alkatiri, Regierungsfahrzeuge und Geschäfte von chinesischen Händlern angezündet. Fünf Demonstranten wurden dabei durch die Polizei erschossen. Ende April bis Oktober 2006 erschütterten die schwersten Unruhen seit der Unabhängigkeit die Hauptstadt und das Land, nachdem 600 Soldaten der Streitkräfte aufgrund von Missständen desertiert waren. Zusätzlich bekämpften sich Jugendbanden aus dem West- und dem Ostteil des Landes. Tausende Häuser wurden niedergebrannt, mindestens 45 Menschen starben. Schließlich musste Premierminister Alkatiri zurücktreten. Auch der Einsatz einer internationalen Interventionstruppe konnte zuerst nicht für Ruhe sorgen. Seit dem 13. September ist eine neue Polizeimission der Vereinten Nationen im Einsatz. Ein Großteil der Einwohner Dilis musste in Flüchtlingslagern und Kirchen Zuflucht suchen. Am 11. Februar 2008 führte der Chef der Rebellen Alfredo Reinado einige seiner Männer nach Dili. Es kam zu einem Feuergefecht im Wohnhaus von Staatspräsident José Ramos-Horta, bei dem Reinado und ein weiterer Rebell ums Leben kamen und der Staatspräsident und einer seiner Leibwächter schwer verletzt wurden. Kurz darauf überfielen Rebellen auch das Wohnhaus und die Wagenkolonne von Premierminister Xanana Gusmão, der aber unverletzt entkommen konnte. Es wurde der Notstand ausgerufen und 1.000 Polizisten und Soldaten durchsuchten die Stadt und nähere Umgebung nach den Tätern. Wichtige Gebäude Regierungspalast Der 1960 fertiggestellte Regierungspalast ist der Sitz des Premierministers von Osttimor und der Regierung. Er orientiert sich in seinem Aussehen an den Gebäuden des Praça do Comércios, dem Hauptplatz in Lissabon. Der Regierungspalast steht nicht weit vom Ufer der Bucht entfernt. Die Straße, die am Palast vorbeiführt, ist das Handelszentrum Dilis. Hinter dem Palast befindet sich das Nationalparlament und das Finanzministerium. Präsidentenpalast Am 2. Juli 2007 wurde der Grundstein für den neuen Präsidentenpalast Osttimors im Westen Dilis gelegt. Das Gebäude wurde von der Volksrepublik China finanziert. Zuvor befand sich hier ein Hubschrauberlandeplatz der Internationalen Stabilisierungskräfte. Das Gebäude trägt den Namen Palast der Hoffnung und wurde im April 2009 fertiggestellt. Die Einweihung erfolgte am 27. August 2009. Der zentrale Bereich des Palastes trägt ein steil ansteigendes, blaues Dach, das dem timoresischen Stil nachempfunden ist. In der Eingangshalle des Palastes findet sich eine Dinosaurierausstellung mit dem Skelett eines Tarbosaurus bataar, eines Verwandten des Tyrannosaurus. Das Skelett wurde in der Mongolei ausgegraben und ist eine Leihgabe der Monash University, als Unterstützung für die Bildung von Schulkindern. Oftmals werden Gäste und neue Botschafter vor dem Dinosaurierskelett begrüßt. Casa Europa Das Gebäude ist die ehemalige Tranqueira (Lagerhaus) der alten portugiesischen Festung Dili aus dem Jahr 1769. Das Lagerhaus selbst wurde im 19. Jahrhundert errichtet. Es diente ab 1895 als Baracke der portugiesischen Infanterie, nach dem Zweiten Weltkrieg der Artillerie und in den 1960ern gehörte es der Companhia de Intendência, dem Quartiermeister. Nach der Invasion übernahm das indonesische Militär das Gebäude. Zwischen 2000 und 2002 wurde das Gebäude renoviert und 2007 der Europäischen Kommission übergeben. Das bis dahin Uma Fukun genannte Gebäude erhielt seinen neuen Namen: Casa Europa („Europahaus“). In der Vertretung der Europäischen Union finden regelmäßig Veranstaltungen statt, wie Ausstellungen und Filmvorführungen. 2008 wurde das gelbe Casa Europa nach einer erneuten Renovierung offiziell eingeweiht. Palácio de Lahane Der Palácio de Lahane war ab 1860 die Residenz des Gouverneurs von Portugiesisch-Timor, anderthalb Kilometer südlich des Stadtzentrums, in den Bergen. Das Gebäude wurde 1999 schwer beschädigt, ist aber inzwischen wieder aufgebaut. Als im Februar 2013 der Präsidentenpalast durch Überflutungen mit Schlamm verunreinigt wurde, diente der Palácio de Lahane als vorübergehendes Büro des Staatspräsidenten. Associação Comercial Chinesa Das ehemalige Gebäude der Associação Comercial da Comunidade Chinesa Timorense ACCCTO in Bidau Lecidere ist eines der letzten Kolonialgebäude aus der Zeit von vor dem Zweiten Weltkrieg. Heute befindet sich in der Villa das Staatssekretariat für Jugend und Sport (). Mercado Municipal Der Mercado Municipal (Stadtmarkt) ist ein weiteres Gebäude aus der portugiesischen Kolonialzeit. Allerdings wird das rot-weiße Bauwerk nicht mehr als Markt verwendet, sondern ist nun ein Gelände für internationale Messen, das Centro de Convenções de Díli (CCD). Liceu Dr. Francisco Machado Die Liceu Dr. Francisco Machado ist eine Sekundärschule nahe dem Nationalparlament. Das Gebäude ist im Kolonialstil gehalten, wurde aber nach seiner Zerstörung 1999 erst 2001 wieder errichtet. Associação Comercial, Agrícola e Industrial de Timor Das Gebäude der Associação Comercial, Agrícola e Industrial de Timor (ACAIT) ist neben dem Gebäude der Banco Nacional Ultramarino ein Beispiel für Moderne Architektur. Finanzministerium Das Gebäude des Finanzministeriums ist mit elf Stockwerken das bisher höchste Gebäude Osttimors. Es wurde 2014 von einer indonesischen Firma fertiggestellt und hat 20.000 Quadratmeter Fläche. Die Baukosten betrugen 22 Millionen US-Dollar. Bis 2020 sollte der 17-stöckige Wohn- und Geschäftskomplex Timor Fortuna Central Plaza mit 60.000 Quadratmeter im Westen Dilis entstehen. Das Projekt von osttimoresischen und chinesischen Investoren soll 70 Millionen US-Dollar kosten. Religiöse Gebäude Dili ist Sitz des Erzbistums Dili. Die wichtigste Kirche Dilis ist die Catedral da Imaculada Conceição (Kathedrale der Unbefleckten Empfängnis) in Vila Verde, die größte Kirche Südostasiens. Der moderne Bau wurde 1988 vom indonesischen Präsidenten Suharto eröffnet und ein Jahr später von Papst Johannes Paul II. geweiht. 2009 wurde sie renoviert. Die 1940 gebaute Kathedrale Sé de Díli wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Die Kirche Santo António de Motael im portugiesischen Stil ist die älteste, bestehende Kirche in Osttimor, auch wenn sie im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und 1955 wieder aufgebaut werden musste. Der erste Bau stammt aus der Zeit um das Jahr 1800. Aus dem Jahr 1939 stammt die Mariä-Empfängnis-Kirche von Balide. Neben den zahlreichen römisch-katholischen Kirchen gibt es auch einige Gotteshäuser anderer christlicher Konfessionen. Im Stadtteil Vila Verde liegt an der Rua da Catedral seit Juni 2016, gegenüber der römisch-katholischen Kathedrale, eine Kirche der Assemblies of God (Igreja Evangélica das Assembleias de Deus em Timor Leste) mit Platz für rund 1000 Gläubige. Nördlich der Kathedrale befindet sich an der Avenida Dom Ricardo da Silva (Suco Motael) die Igreja Hosana der Evangelischen Kirche Osttimors (Igreja Protestante iha Timor Lorosa'e) sie wurde im Oktober 2014 von Premierminister Xanana Gusmão eingeweiht. Im März 2015 wurde an der Rua Mascarenhas Vera Cruz in Caicoli der Neubau der Igreja Ebenezer, des Sitzes der Evangelisch-Presbyterianischen Kirche Osttimors (Igreja Evangélica Presbiteriana de Timor Leste), mit einem weithin sichtbaren Glockenturm eingeweiht. Die Annur-Moschee, Osttimors größte Moschee befindet sich im ehemaligen arabischen Viertel Kampung Alor. Der chinesische Guandi-Tempel liegt in direkter Nachbarschaft zum Regierungspalast im Suco Gricenfor. Die etwa 30 cm hohe Buddhastatue im Tempel wurde 1926 aus China nach Dili gebracht und zunächst in einer Garage verehrt. 1928 wurde mit Genehmigung der portugiesischen Kolonialregierung der heutige Tempel errichtet. Der 1889 gegründete Chinesische Friedhof befindet sich im Westen von Taibesi. Der Pura Girinatha, der bekannteste hinduistische Tempel des Landes liegt nahe dem Markt von Taibesi. Der etwas verlassen wirkende Tempel wurde in der Zeit der indonesischen Besatzung gebaut, wohl für Einwanderer aus Indonesien, denn eine traditionelle hinduistische Bevölkerung gab es nicht in Osttimor und auch heute bezeichnen sich nur etwa 200 Osttimoresen als Hinduisten. Denkmäler Wahrzeichen Dilis ist Cristo Rei (Chritu Rei), die große Jesusstatue, die vom östlichen Ende der Bucht die Stadt überblickt. Daneben gibt es verschiedene Denkmäler, zumeist aus der portugiesischen Kolonialzeit, aber auch aus der Zeit der indonesischen Besatzung und dem unabhängigen Osttimor. Museen Archiv & Museum des timoresischen Widerstands Das Archiv & Museum des timoresischen Widerstands befindet sich im Gebäude des ehemaligen portugiesischen Kolonialgerichts. Erste Teile wurden bereits am 7. Dezember 2005 eröffnet. Es zeigt Fotos, einige Gegenstände, wie Waffen und Ausrüstungsgegenstände und Artikel aus der Zeit der indonesischen Besatzung. Dabei werden sowohl der Kampf der FALINTIL-Guerilla gegen Indonesien, als auch die Massaker der Besatzungsmacht dargestellt. Im Lesesaal kann man über Computer auf das elektronische Archiv kostenlos zugreifen. Arte Moris Kunstschule Mit Arte Moris hat Osttimors erste Künstlervereinigung und Kunstschule für Theater und bildende Kunst ihren Sitz in Dili (Stadtteil Madohi). Sie wurde im Februar 2003 gegründet. Ihr Hauptziel sollte Kunst als ein Baustein im psychologischen und sozialen Wiederaufbau von einem Land, das von Gewalttätigkeit verwüstet worden ist, mit besonderer Betonung auf die Hilfe seiner jungen Bürger. Die Idee zu diesem Projekt hatten die Schweizer Luca und Gabriela Gansser. Die bei Arte Moris entstehende Kunst, Gemälde und Skulpturen, ist vom Stil her sehr breit gefächert, oft aber surrealistisch und zeigt kulturelle Aspekte aus den unterschiedlichen Regionen des Landes. Kunstwerke können hier auch erworben werden. Die Kunstschule hat auch eine Theatergruppe. Xanana Reading Room Die Xanana Reading Room ist eine Mischung aus Museum, Bibliothek und Kulturzentrum. Ursprünglich wurde das Gebäude in den 1960er-Jahren als indonesisches Konsulat gebaut. Neben Büchern finden sich hier Tageszeitungen, Fotos und Filmmaterial. Gefängnis Comarca Das ehemalige Gefängnis Comarca in Balide stammt noch aus der portugiesischen Kolonialzeit. Während der indonesischen Besetzung wurden hier tausende politische Gefangene gefoltert. Die letzten Insassen wurden im September 1999 befreit. Unter der Verwaltung durch die UN wurde das verlassene Gebäude ab Januar 2002 renoviert und ab dem 17. Februar 2003 zum Sitz der Empfangs-, Wahrheits- und Versöhnungskommission (CAVR). 65 Graffiti von osttimoresischen Künstlern erzählen von der Zeit der Besatzung. Die acht Einzelhaftzellen wurden im Originalzustand belassen. Außerdem gibt es eine Bibliothek und ein Dokumentationszentrum. Seit Ende der Arbeit der CAVR führt die Erinnerungsstätte die Vereinigung ehemaliger politischer Gefangener (ASSEPOL). Klima Dilis Klima ist typisch für die Nordküste Osttimors. In der Trockenzeit werden Temperaturen bis über 35 °C erreicht, nachts sinkt das Thermometer auf 20 °C. In der Regenzeit liegt die Temperatur bei etwa 27 °C. Der Jahresdurchschnitt liegt bei 26,7 °C. Regen fällt fast nur in der Regenzeit von Ende November bis April. Dann können die Straßen Dilis durch die Regenmengen schon mal unter Wasser stehen. Die durchschnittliche jährliche Niederschlagsmenge liegt bei 1000 mm. Der Wind weht in Dili im Monatsdurchschnitt am schwächsten im Mai mit 7 km/h und am stärksten im August mit 12 km/h. Klimatabelle Dili Wirtschaft, Infrastruktur und Verkehr Dili ist die wichtigste Hafenstadt Osttimors. Der Hafen liegt im Stadtteil Motael. Fähren verbinden Dili mit der vorgelagerten Insel Atauro und der osttimoresischen Exklave Oe-Cusse Ambeno. Der neue Frachthafen von Dili in der Bucht von Tibar soll um den 30. September 2022 offiziell in Dienst gestellt werden. Der Flughafen Presidente Nicolau Lobato International Airport wird sowohl zivil als auch militärisch genutzt. Er ist nach dem osttimoresischen Premierminister vor der indonesischen Besetzung, späteren Präsidenten und Freiheitskämpfer Nicolau dos Reis Lobato benannt. Busse verbinden die Hauptstadt mit den anderen Orten im Land. Besser ausgebaute Überlandstraßen führen durch Dili entlang der Küste von West nach Ost und nach Süden in das Landesinnere Richtung Aileu. 26,2 % der Haushalte in der Gemeinde Dili (mit der Insel Atauro und den ländlichen Gebieten im Osten und Süden) betreiben Ackerbau, 50,1 % Viehzucht (Stand: 2010). An den Küsten wird gefischt. In Metinaro wird etwas Reis angebaut (1 % aller Haushalte in der Gemeinde Dili), in den Bergen gibt es Obstbäume und in der Stadt haben die Einwohner kleine Küchengärten. Von allen Haushalten in der Gemeinde bauen 15 % Kokosnusspalmen an, 10 % Gemüse, 3 % Kaffee, 17 % Maniok (Produktion 2008: 1.129 t) und ebenso viele Mais (1.885 t). Als Haustiere halten die Menschen hauptsächlich Hühner (69.310 in 34 % der Haushalte) und Schweine (28.571, 36 %). Daneben auch Ziegen (14.486, 10 %), Rinder (3.597, 2 %), Wasserbüffel (1.467, 1 %), Schafe (1.784, 1 %) und Pferde (1.430, 1 %). Mit 48 % arbeiten zudem so viele Timoresen in Dienstleistungsbereichen (zum Beispiel Verwaltung, Hotelgewerbe und Transport) wie in keiner anderen Gemeinde des Landes. Abgesehen über den Landweg von Westtimor aus reisen die meisten Touristen über Dilis Flughafen nach Osttimor ein. Neben den architektonischen und historischen Sehenswürdigkeiten finden sich mehrere Tauchplätze mit Korallenriffen, teils direkt an den Stränden der Stadt. Im Reisezielranking 2018 der US-amerikanischen Nachrichtenagentur USA Today über 193 Länder nahm Dili einen der ersten Plätze ein. Die Versorgung der Bevölkerung erfolgt hauptsächlich über Straßenmärkte und kleine Geschäfte. Der größte Markt ist der Mercado Taibesi. 2011 eröffnete mit dem Timor Plaza, Osttimors erstes Einkaufszentrum. Strom kommt vor allem aus dem östlich gelegenen Kraftwerk Hera. Medien Zwei kommunale Radiosender senden aus Dili: Lorico Lian (FM 100,5 MHz) und Rakambian (FM 99,5 MHz). Außerdem gibt es den englischsprachigen Sender M3 Radio Dili 88.8 FM, den landesweiten öffentlichen Sender Radio Nacional de Timor Leste (RTL), den katholischen Sender Radio Timor Kmanek RTK und den FRETILIN-Sender Radio Maubere (FM 99,9 MHz). Auch die Fernsehsender Osttimors haben alle ihren Sitz in Dili. Bildung Die Nationaluniversität von Timor-Leste UNTL hat zurzeit fünf Fakultäten. Landwirtschaft, Politikwissenschaft, Wirtschaft, Lehramt und Ingenieurwesen. Im Juli 2001 wurden das Nationale Zentrum für wissenschaftliche Forschung (Centro Nacional de Investigação Científica) und das Instituto Nacional de Linguística (Nationale Institut für Linguistik) gegründet. Weitere Universitäten sind die privaten Universidade da Paz (UNPAZ) und Universidade de Díli (UNDIL). Von der Agência Nacional para a Avaliação e Acreditação Académica (ANAAA) als Hochschule akkreditiert sind in Dili außerdem das Institute of Business (IOB), das Dili Institute of Technology (DIT), das Instituto Ciencias Religiosa (ICR), das Instituto Professional de Canossa (IPDC) und das Instituto Superior Cristal (ISC). 2009 wurde mit der Hadahur Music School auch die erste Musikschule des Landes im Stadtteil Becora eröffnet. Weitere Bildungseinrichtungen sind unter anderem die Dili International School (DIS), das Instituto Camões (portugiesische Kulturzentrum) und das Colégio de São José. Sport Im Nationalstadion von Osttimor im Stadtteil Audian finden Spiele der nationalen Ligen statt. Der Großteil der Vereine in der ersten und zweiten Division der Liga Futebol Amadora kommt aus Dili. 2010 und 2011 wurde die Mannschaft von Dili Leste (Dili Ost) Gewinner des damaligen Taça Digicel. Jährlich startet und endet in Dili die Tour de Timor, eines der härtesten Mountainbike-Rennen der Welt. Außerdem findet jährlich der Dili-Marathon statt. Städtepartnerschaften Mit folgenden Städten bestehen Partnerschaften: Barcelona, Spanien Canberra, Australien Coimbra, Portugal (seit 29. November 2002) Darwin, Australien, (seit 18. September 2003) Lissabon, Portugal Okinawa, Japan São Paulo, Brasilien Sydney, Australien Persönlichkeiten aus Dili Fernando Sylvan (1917–1993), Dichter und Autor Guido Valadares (1934–1976), Politiker Maria de Fátima Wadhoomall Gomes (1940–2020), Pastorin Marí Alkatiri (* 1949), Premierminister José Ramos-Horta (* 1949), Friedensnobelpreisträger, Staatspräsident und Premierminister Roque Rodrigues (* 1949), Politiker Paulo de Fátima Martins (* 1950), Polizist und Politiker Tomé Diogo (* 1952), osttimoresisches Mitglied der indonesischen Streitkräfte Estanislau da Silva (* 1952), Politiker Rui Augusto Gomes (* 1958), Politiker, seit 2017 Finanz- und Planungsminister Florentina da Conceição Pereira Martins Smith (* 1958), Politikerin Alberto Carlos (* 1960), Politiker und Diplomat José Manuel Carrascalão (* 1960), Politiker Filomeno Jacob (* 1960), römisch-katholischer Geistlicher, Minister und Hochschullehrer an der Gregoriana Paulino Monteiro Soares Babo (* 1962), Politiker Bendita Moniz Magno (* 1962), Politikerin Manuel Vong (* 1962), Politiker Inês Maria de Almeida (* 1963), Diplomatin José Teixeira (* 1964), Politiker Alberto da Silva Cruz (* 1966), Politiker Milena Pires (* 1966), Politikerin, Programmkoordinatorin von UNIFEM Osttimor Gertrudes Araújo Moniz (* 1967), Politikerin Maria do Céu Sarmento (* 1968), stellvertretende Gesundheitsministerin Fernanda Borges (* 1969), Parteivorsitzende der Partido Unidade Nacional Natalino dos Santos Nascimento (* 1969), Politiker Silverio Pinto Baptista (* 1969), Beamter und Menschenrechtler Sandra Pires (* 1969), portugiesisch-österreichische Sängerin, lebt in Wien Ivo Jorge Valente (* 1969), Politiker Sofia Borges (* 1970), Politikerin, Programmkoordinatorin von UNIFEM Osttimor Ângela Corvelo (* 1970), Politikerin Nélson Martins (* 1970), Mediziner und Politiker; geboren in Vila Verde, einem Ortsteil von Dili Marito Mota (* 1970), Politiker Virgínia Ana Belo (* 1971), Politikerin Eládio António Faculto de Jesus (* 1971), Politiker João Bosco Cárceres (1972–2022), Unabhängigkeitsaktivist und Politiker Martinho de Araújo (* 1973), Gewichtheber António Freitas (* 1973), Beamter Carlos Galambas (* 1973), portugiesischer Handballspieler, -trainer und -manager Maria Angélica Rangel da Cruz dos Reis (* 1973), Betriebswirtin und Politikerin Francisco Dionisio Fernandes (* 1974), Diplomat Cedelizia Faria dos Santos (* 1975), Beamtin und Politikerin Maria Adozinda Pires da Silva (* 1975), Politikerin Maria Angelina Lopes Sarmento (* 1978), Politikerin; geboren in Lahane Oriental, einem Ortsteil von Dili Calisto da Costa (* 1979), Marathonläufer Simplício dos Santos Mendonça (1979–2019), Beamter und Administrator José Virgílio Rodrigues Ferreira (* 1979), Politiker Eusebio de Almeida (* 1985), Fußballspieler Nélia Soares Menezes (* 1986), Politikerin Olegario Boavida (* 1994), Fußballspieler Nataniel Reis (* 1995), Fußballspieler Henrique Cruz (* 1997), Fußballspieler Filomeno (* 1998), Fußballspieler Nélia Martins (* 1998), Mittelstreckenläuferin und Olympiateilnehmerin Rubia Fátima Martins (* 2000), Leichtathletin Manuel Belo (* 2001), Mittelstreckenläufer und Olympiateilnehmer Angela Freitas (* 2001), Langstreckenläuferin und Olympiateilnehmerin Bildergalerie Weblinks Tourism and Travel East Timor (englisch) Einzelnachweise Ort mit Seehafen Hochschul- oder Universitätsstadt Hauptstadt in Asien Ort in Dili (Gemeinde) Gemeindehauptstadt in Osttimor
Q9310
273.331141
1197430
https://de.wikipedia.org/wiki/Hmong-Mien-Sprachen
Hmong-Mien-Sprachen
Die Hmong-Mien- oder Miao-Yao-Sprachen bilden eine kleine Gruppe genetisch verwandter Sprachen, die vor allem in Südchina, aber auch in Nordvietnam, Laos und Thailand gesprochen werden. Dazu gehören etwa 20 Sprachen mit rund 14–15 Millionen Sprechern. Hmong (Miao) und Mien (Yao) bilden die beiden Hauptzweige dieser Sprachfamilie. Eine weitere Sprache – das She oder Ho Nte – könnte einen dritten Zweig darstellen. Bezeichnungen Miao ist die offizielle chinesische Bezeichnung dieser ethnolinguistischen Minorität. Die Vietnamesen benutzen Meo oder Man Meo, ihre Selbstbezeichnung ist jedoch Hmong, das auch zunehmend in der Linguistik Verwendung findet. Analog sieht die Situation bei den Yao aus: Yao ist die offizielle chinesische Bezeichnung, Man die vietnamesische, Mien die Selbstbezeichnung. Ethnische Gruppen Zu den ethnischen Gruppen siehe die Artikel Miao und Yao. Allerdings stimmen ethnische und linguistische Zuordnung nicht überein. So gibt es ethnische Yao, die Miao-Sprachen sprechen (z. B. Bunu und Baheng), oder ethnische Miao, die zu Tai-Kadai- oder chinesischen Sprachen übergegangen sind. In China zählt bei Zuordnungen zu bestimmten Minderheiten in der Regel das Ethnos, nicht die Sprache, so dass entsprechende Minoritätenzahlen selten Aufschluss über Sprecherzahlen geben. Verwandtschaft mit anderen Sprachen Früher wurden die Hmong-Mien-Sprachen von manchen – vor allem chinesischen – Forschern wegen ihres Tonsprachencharakters und der großen Anzahl von chinesischen Lehnwörtern zu den sinotibetischen Sprachen gerechnet. Diese Meinung wird heute nicht mehr vertreten. Dagegen werden die Hmong-Mien-Sprachen von einigen Forschern (z. B. Paul K. Benedict) mit den austroasiatischen, austronesischen, sinotibetischen, japanischen und den Tai-Kadai-Sprachen zu den Makrofamilien „Austrisch“ oder „Ostasiatisch“ zusammengefasst. Stanley Starosta erstellte durch seine Analysen ein Diagramm, welches die Sprachzweige und den ungefähren Verwandtschaftsgrad der Ostasiatischen Sprachfamilie zeigt: Klassifikation der Hmong-Mien-Sprachen Klassifikation nach Kausen Hmong-Mien-Sprachen (Miao-Yao) (21 Sprachen, 6,3 Mio. Sprecher) Hmong (Miao, Meo) (15 Sprachen, 4,6 Mio.; Südchina, auch Thailand, Vietnam, Laos) Xiangxi (West-Hunan) Hmong Xiangxi (Nord-Hmong, Rote Miao) (800 Tsd.) Chuanqiandian (Sichuan-Guizhou-Yunnan) Hmong Njua (Miao Chuanqiandian, West-Hmong) (1,3 Mio.) Hmong Daw (Weiße Miao, Meo Kao) (170 Tsd.) Hmong Huishui (140 Tsd.) Hmong Mashan (90 Tsd.) Hmong Luopohe (Xijia Miao) (40 Tsd.) Hmong Dian (Ta Hua Miao, Flowery Miao) (200 Tsd.) Hmong Guiyang (80 Tsd.) Hmong Chonganjiang (70 Tsd.) Qiandong (Ost-Guizhou) Hmong Qiandong (Ost-Hmong, Schwarze Miao) (1,4 Mio.) Bunu Bunu (Punu, Bunao) (250 Tsd., ethnisch 450 Tsd. YAO) Baheng (Pa Heng, Pa Then) (30 Tsd., ethnisch YAO) Wunai (20 Tsd.) Younuo (10 Tsd.) Jiongnai (Kiang Nai) (1 Tsd.) Mien (Yao) (5 Sprachen, 1,7 Mio. Sprecher; Südchina, Vietnam, Thailand, Laos) Mian-Jin Yao (Iu Mien, Mien) (1,3 Mio.) Kim Mun (Mun, Lantin, Hainan 'Miao') (280 Tsd.) Biao Mien (Biao Mon, Biaoman) (20 Tsd.) Biao-Jiao Biao Jiao Mien (Biao Chao) (40 Tsd.) Zaomin Ba Pai (Yao Min, Zaomin) (60 Tsd.) She She (Huo Nte, Ho Nte) (1 Tsd., ethnisch 630 Tsd.). Die Sprachnamen in Klammern (…) sind alternative Namen. Die dialektale Gliederung der größeren Sprachen findet man mit dem angegebenen Link. Alternative Klassifikation Eine etwas ausführlichere Klassifikation findet sich bei Lewis (2009): In runden Klammern ist die Anzahl der zugehörigen Sprachen, in eckigen der Sprachcode angegeben. Hmong-Mien (38) Hmongic (32) Bunu (4) Bunu, Bu-Nao [bwx] (China) Bunu, Jiongnai [pnu] (China) Bunu, Wunai [bwn] (China) Bunu, Younuo [buh] (China) Chuanqiandian (22) Ge [hmj] (China) Hmong Dô [hmv] (Vietnam) Hmong Don [hmf] (Vietnam) Hmong Njua [hnj] (Laos) Miao, Zentral-Huishui [hmc] (China) Miao, Zentral-Mashan [hmm] (China) Miao, Chuanqiandian Cluster [cqd] (China) Miao, Östliches Huishui [hme] (China) Miao, Horned [hrm] (China) Miao, Large Flowery [hmd] (China) Miao, Luopohe [hml] (China) Miao, Nördliches Guiyang [huj] (China) Miao, Nördliches Huishui [hmi] (China) Miao, Nördliches Mashan [hmp] (China) Miao, Small Flowery [sfm] (China) Miao, Südliches Guiyang [hmy] (China) Miao, Südliches Mashan [hma] (China) Miao, Südwestliches Guiyang [hmg] (China) Miao, Südwestliches Huishui [hmh] (China) Miao, Westliches Mashan [hmw] (China) Miao, Weiße [mww] (China) Sinisiertes Miao [hmz] (China) Pa-hng (1) Pa-Hng [pha] (China) Qiandong (3) Miao, Östliches Qiandong [hmq] (China) Miao, Nördliches Qiandong [hea] (China) Miao, Südliches Qiandong [hms] (China) Xiangxi (2) Miao, Östliches Xiangxi [muq] (China) Miao, Westliches Xiangxi [mmr] (China) Ho Nte (1) She [shx] (China) (unklar) Mienic (5) Biao-Jiao (1) Biao-Jiao Mien [bje] (China) Mian-Jin (3) Biao Mon [bmt] (China) Iu Mien [ium] (China) Kim Mun [mji] (China) Zaomin (1) Dzao Min [bpn] (China) Linguistische Eigenschaften Die Hmong-Mien-Sprachen besitzen wie das Chinesische hauptsächlich monosyllabische Lexeme (einsilbige Wortstämme), daraus transparent gebildete Komposita (zusammengesetzte Wörter) und nur sehr wenige morphologische Affixe (Präfixe oder Suffixe zur Bildung nominaler und verbaler Formen). Grammatische Funktionen werden vor allem durch freie Partikeln ausgedrückt. Das große Phoneminventar besteht aus bis zu 50 Konsonanten (darunter Retroflexe und Uvulare, pränasalisierte, glottalisierte und aspirierte Verschlusslaute) sowie sechs Vokalen. Alle Hmong-Mien-Sprachen sind tonal, sie haben zwischen sieben und zwölf phonemisch relevante Töne. In großem Umfang wurden Wörter aus dem Chinesischen entlehnt. Literatur Paul K. Benedict: Austro-Thai. Language and Culture. HRAF Press, New Haven CT 1975. S. Robert Ramsey: The Languages of China. Princeton University Press, Princeton NJ 1987, ISBN 0-691-06694-9. Einzelnachweise Weblinks Ernst Kausen, Die Klassifikation der Hmong-Mien- oder Miao-Yao-Sprachen. (DOC; 44 kB) Sprachfamilie
Q33322
94.987507
1944
https://de.wikipedia.org/wiki/Getreide
Getreide
Als Getreide (mhd. getregede, eigentlich „das [von der Erde] Getragene“) oder Korn werden einerseits die meist einjährigen Pflanzen der Familie der Süßgräser bezeichnet, die wegen ihrer Körnerfrüchte (Karyopsen) kultiviert werden, andererseits die geernteten Körnerfrüchte. Die Früchte dienen als Grundnahrungsmittel zur menschlichen Ernährung oder als Viehfutter, daneben auch als Rohstoff zur Herstellung von Genussmitteln und technischen Produkten. Getreidekörner bestehen aus dem stärke- und (in geringerem Umfang) auch eiweißhaltigen Mehlkörper, dem fetthaltigen Keimling, der miteinander verwachsenen Samenschale und Fruchtwand sowie der zwischen Mehlkörper und Schale liegenden eiweißhaltigen Aleuronschicht. Das enthaltene Eiweiß einiger Getreidegattungen (Weizen, Roggen, Gerste, Triticale) wird auch als Kleber oder Gluten bezeichnet. Andere Gattungen sind glutenfrei (Mais, Reis, Hirse und Bambussamen). Für die meisten Verwendungen werden die Früchte nach der Reife durch Dreschen von den abgemähten Pflanzen abgetrennt, wobei bei einigen Sorten auch die mit der Schale verwachsenen Deck- und Vorspelzen noch am Korn verbleiben, bei wenigen urtümlichen Sorten auch Hüllspelzen und Bruchstücke der Ährenspindel. Bei den meisten Mehlsorten wird traditionell die Schale durch Mahlen, Schleifen oder andere Verfahren möglichst vollständig entfernt und als Kleie getrennt verwertet, bei Vollkornmehl ist dies nicht der Fall. Um lagerfähige Produkte zu erhalten, muss auch der Keimling entfernt oder hitzebehandelt werden. Er kann zur Gewinnung von Getreidekeimöl genutzt werden. Zum Verzehr werden Getreidefrüchte bzw. ihre Mehlkörper hauptsächlich gemahlen und als Brot gebacken, als Brei gekocht oder zum Beispiel zu Nudeln weiterverarbeitet. Aus Getreidesorten mit geringem Kleberanteil lässt sich Brot nur als Fladenbrot herstellen. Die wichtigsten Getreidepflanzen für die menschliche Ernährung sind Reis, Weizen, Mais, Hirse, Roggen, Hafer und Gerste. Als Viehfutter genutzt werden vor allem Gerste, Hafer, Mais und Triticale. Die Hauptgetreidegattungen Weizen – (Triticum), Hauptgetreide in gemäßigten Zonen. Er ist außerdem die Getreidegattung mit den besten Backeigenschaften. Einkornreihe – diploid Einkorn – (T. monococcum) ist neben Emmer (T. dicoccum) die älteste bekannte Weizenart, die bereits in der Jungsteinzeit kultiviert wurde. Emmerreihe – tetraploid Emmer (T. dicoccum), neben Einkorn die älteste bekannte Weizenart, wurde bereits in der Jungsteinzeit kultiviert. Hartweizen – (T. durum), Verwendung für Teigwaren, Hauptanbaugebiete sind Nordamerika und Südeuropa. Kamut – (T. durum x polonicum), eine natürliche Hybride aus Hartweizen (Triticum durum) und Triticum polonicum. Dinkelreihe – hexaploid Dinkel – (T. spelta), Anbau noch in Belgien, Frankreich, Deutschland (in Schwaben und Franken), Österreich sowie in der Schweiz. Weichweizen – (T. aestivum), für Brot und andere Backwaren. Roggen – (Secale), bedeutsam in kalten Regionen und auf leichten, sauren und sandigen Böden; Brotgetreide und Viehfutter. Gerste – (Hordeum), folgt als weniger anspruchsvolle Frucht im Fruchtwechsel dem Weizen; Viehfutter – Braugerste (Sommergerste) zur Malzherstellung. Hafer – (Avena sativa), auch das „europäische Urgetreide“ genannt, war früher Grundnahrungsmittel in Schottland (Haferflocken, Porridge), heute weltweit auch als Viehfutter verbreitet. Triticale – eine Kreuzung aus Weizen (Triticum aestivum L.) und Roggen (Secale cereale L.). Reis – (Oryza), Hauptgetreide in tropischen Zonen, Grundnahrungsmittel in Asien. Mais – (Zea mays), Grundnahrungsmittel der Völker Nord- und Südamerikas und Afrikas, weltweit als Viehfutter verbreitet. Hirse – ein Sammelbegriff für verschiedene Getreidearten mit kugeligen, kleinkörnigen, meist gelben Körnern aus den Gattungen Sorghum, Panicum, Pennisetum, Eleusine u. a. Die im deutschen Sprachraum als Lebensmittel erhältliche Hirse ist meist Rispenhirse und wird heute vor allem in Nordchina angebaut. Vor der Einführung der Kartoffel war sie ein Grundnahrungsmittel in Mitteleuropa. Die Kolbenhirse wird vornehmlich als Kleintierfutter verwendet. Global wichtig ist Sorghum als Grundnahrungsmittel in Afrika und Zentralindien sowie als Futtermittel, Faserpflanze und zur Zucker- und Biospritproduktion in den USA. Lokal wichtige Grundnahrungsmittel sind Perlhirse (Sahelzone, Steppen Indiens, Pakistan), Fingerhirse (Zentralafrika, Südindien), Teff (Äthiopien), und Foniohirse (Teile Westafrikas). Herkunft Getreide im engeren Sinne sind Zuchtformen von Süßgräsern (Poaceae). Der Ursprung des landwirtschaftlichen Anbaus vieler Getreidegattungen kann nicht mehr ermittelt werden. Getreideanbau und -zucht wurden, im Nahen Osten (Fruchtbarer Halbmond) agrargeschichtlich belegt, bereits vor mehr als 10.000 Jahren praktiziert. Die ersten angebauten Getreidearten waren Einkorn, Emmer und Gerste. In Mitteleuropa und Westeuropa verbreiteten sie sich vor etwa 7.000 Jahren. Wildgetreide wurde schon vor 32.000 Jahren als Nahrungsmittel verwendet. Der Anteil des Getreides an der Ernährung im antiken Griechenland wird auf 70–75 % geschätzt. Aussaat Aussaat- und Erntezeitpunkt hängen stark von den Klimabedingungen und der Höhenlage des Anbaugebietes ab. Es gibt typische Früherntegebiete (zum Beispiel die Niederrheinebene oder das Bauland) und Späterntegebiete (zum Beispiel die Schwäbische Alb). Wintergetreide Das Wintergetreide benötigt nach der Aussaat und der Keimung eine Frostperiode, um dann im Frühjahr schossen (Vernalisation) zu können. Es kann daher schon ab September gesät und dann je nach Getreideart ab Juli des nächsten Jahres geerntet werden. Durch die längere Vegetationszeit und insbesondere die bessere Ausnutzung der Winterfeuchtigkeit und Frühlingswärme liegen die Erträge der Wintergetreidearten weit über denen der Sommerformen, was zur überwiegenden Verbreitung von Wintergetreide führte. Zudem ist eine frühere Ernte möglich. Winterroggen, Winterweizen, Wintergerste und Wintertriticale sind im mitteleuropäischen Raum die bedeutendsten Getreidearten. Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zählte Emmer zu den häufig angebauten Wintergetreiden. Sommergetreide Sommergetreide benötigt im Gegensatz zum „Wintergetreide“ nur etwa ein halbes Jahr, bis es erntereif ist. Es wird ab März gesät und ab Juli geerntet. Saathafer, Mais und Sommergerste sind im mitteleuropäischen Raum die bedeutendsten Arten. Weniger relevant sind Sommerroggen und Sommerweizen. Vor der Verdrängung durch den Mais war Hirse ein wichtiges Sommergetreide. Wachstumsstadien und Ernte Die Wachstumsstadien von Getreidepflanzen sind in der sogenannten BBCH-Skala ausführlich beschrieben. Damit ist eine weitgehend vereinheitlichte Beschreibung der Entwicklungsstadien von Pflanzen nach phänologischen Merkmalen und deren Codierung möglich. Dies macht einen Vergleich möglich. Die Skala unterscheidet 10 Makrostadien (Makrostadium 0 = Keimung bis Makrostadium 9 = Absterben), die weiter unterteilt sind in Mikrostadien, in denen eine genauere Differenzierung beschrieben wird. So werden in der Skala die Reifestufen des Korns unterschieden: (Mikrostadien in Klammern) Milchreife (73–77): aus dem Getreidekorn lässt sich durch Quetschen zwischen Zeigefinger und Daumen eine milchige Flüssigkeit herausdrücken. Während der Milchreife erreicht das noch grüne Korn seine endgültige Größe. Teigreife (83–85): die Substanz, die man noch immer herausdrücken kann, ist nicht mehr flüssig, sondern hat eine deutlich festere Konsistenz. Fingernageleindruck ist noch reversibel. Gelbreife (87): Das Getreidekorn ist hart und lässt sich nicht mehr ausdrücken, aber mit guten Zähnen zerbeißen. Fingernageleindruck ist irreversibel. Vollreife (89): Es erfolgt kein weiteres Wachstum. Das Getreidekorn ist reif. Es kann nur noch schwer mit dem Fingernagel gebrochen werden. Totreife (92): Der Wassergehalt hat soweit abgenommen, dass das Korn nicht mehr mit dem Fingernagel eingedrückt oder gebrochen werden kann. Notreife (nicht offiziell in der BBCH-Skala, entspricht aber etwa 93): Vorzeitiges Abreifen durch widrige Umstände – zum Beispiel durch Trockenstress. Wo normalerweise noch weitere Stärke u. a. eingelagert würden, wird nun stattdessen das Korn zur Abreife gebracht, da die Pflanze ausgeprägten Wassermangel hat. Getreide wird in der Regel im Zustand der Voll- oder der Totreife geerntet. Drusch erfordert Totreife, die auch noch nach der Ernte erreicht wird. Eine Ernte mit Mähdreschern ist jedoch erst bei Totreife möglich. Spielt die Natur einmal nicht mit, kann – wenn gesetzlich erlaubt – mit Sikkanten wie z. B. Glyphosat die Abreife beschleunigt werden. In der Getreidefrucht sind auch im Zustand der Totreife nur Mehlkörper und Schale im biologischen Sinn tot. Sowohl Keimling als auch Aleuronschicht bestehen aus lebenden Zellen und atmen. Dies führt bei ca. 15 % Wassergehalt zu jährlichen Stärkeverlusten zwischen 0,25 % und 2 %. Sorten In Deutschland müssen Getreidesorten vom Bundessortenamt zugelassen werden. Die folgende Anzahl der Getreidesorten war 2022 bei den verschiedenen Getreidegattungen zugelassen. Begrannung Folgende Regeln erleichtern die Unterscheidung der in Mitteleuropa verbreiteten Getreidearten: Weizen hat meistens keine Grannen, es gibt auch begrannte Sorten. Gerste hat meistens sehr lange Grannen, es gibt auch Sorten mit kurzen Grannen; Gerstengrannen sind in der Regel unterschiedlich lang; die Grannen der unteren Körner sind länger, so dass alle Grannen fast wie abgeschnitten auf einer Höhe enden. Roggen hat mittellange Grannen, die in der Regel gleich lang sind. Triticale (eine Kreuzung aus Weizen und Roggen) hat ebenfalls mittellange Grannen, die in der Regel gleich lang sind; die Pflanzenhöhe in einem Triticalebestand ist aber im Vergleich zu einem Roggenbestand wesentlich homogener. Hafer hat keine Grannen, und im Gegensatz zu den vorgenannten Getreidearten wachsen die Körner an einer Rispe und nicht an einer Ähre. Krankheiten Getreide werden überwiegend im Fruchtwechsel mit anderen Arten angebaut. Die Getreidearten sind unterschiedlich anfällig für verschiedene Krankheiten. Bei Massenbefall kam es in der Zeit vor der Errichtung weltweiter Handelsbeziehungen regional immer wieder zu Missernten, Hungersnöten oder zu gesundheitlichen Auswirkungen auf die Bevölkerung. Getreidekrankheiten bewirken heute vor allem wirtschaftliche Schäden. In Mitteleuropa wichtige Krankheiten im Weizen, Roggen, Gerste und Hafer sind: Schwarzbeinigkeit: (Gaeumannomyces graminis) Echter Mehltau der Gräser (Blumeria graminis) Mutterkorn (Claviceps purpurea) Rostkrankheiten (siehe Rostpilze): Schwarzrost des Getreides (Puccinia graminis) Braunrost (Puccinia recondita) Gelbrost (auch Streifenrost genannt) (Puccinia striiformis) Zwergrost der Gerste (Puccinia hordei) Haferkronenrost (Puccinia coronata var. avenae) Blatt- und Spelzenbräune (Septoria nodorum) Blattdürre an Weizen (Septoria tritici) DTR-Blattdürre des Weizens (Drechslera tritici-repentis) Streifenkrankheit der Gerste (Drechslera graminea) Netzfleckenkrankheit der Gerste (Drechslera teres) Sprenkelnekrose der Gerste (Ramularia collo-cygni) Rhynchosporium-Blattfleckenkrankheit der Gerste (Rhynchosporium secalis) Fusariosen: Erreger sind zum Beispiel Fusarium graminearum, Fusarium culmorum, Fusarium avenaceum. Halmbruchkrankheit (Pseudocercosporella herpotrichoides) Schwärzepilze Getreidebrand: Stein- oder Stinkbrand am Weizen (Tilletia caries) Zwergsteinbrand des Weizens (Tilletia controversa) Weizenflugbrand (Ustilago tritici) Roggenstängelbrand (Urocystis occulta) Gerstenflugbrand (Ustilago nuda) Gerstenhartbrand (Ustilago hordei) Haferflugbrand (Ustilago avenae) Pseudogetreide bzw. Pseudozerealien Es gibt Körnerfrüchte, die ähnlich wie Getreide verwendet werden, aber nicht zu den Süßgräsern gehören und damit kein Getreide sind, beispielsweise Buchweizen, Quinoa oder Amarant. Diese werden daher als Pseudogetreide bezeichnet. Verwendung Lebens- und Genussmittel Die Verwendung von Getreide in Lebens- und Genussmitteln ist vielfältig, wie folgende Auflistung zeigt: Getreidemahlerzeugnisse, wie Mehl Dunst Grieß Schrot (siehe aber Schrot und Korn) Grütze Graupen Kleie Getreideflocken Getreidekaffee, auch: Malzkaffee aus Gerste, Roggen, Weizen, Dinkel Getreidekeime, Getreidesprossen Getreidenährmittel Getreidekeimöl Getreidepufferzeugnisse, wie beispielsweise Puffreis, Popcorn Getreidestärke, meist aus Mais, Reis, Weizen gewonnen Malz aus Braugerste und daraus Bier Spirituosen (Kornbrand, Whisky). Futtermittel Getreide stellt weltweit das wichtigste Futtermittel dar. Vor allem an Wiederkäuer wird es überwiegend als Ganzpflanzensilage (GPS), z. B. als Roggen-, Gerste- oder Mais-GPS verfüttert. Nach Angaben der FAO wurden 2008/09 35 % der weltweiten Getreideproduktion von 2,23 Milliarden Tonnen als Futtermittel verwendet. In der Schweiz wurden 2018 auf 143.600 Hektar Getreide angebaut, davon knapp 42 % als Futtermittel (60.000 Hektar). Industrielle Nutzung Die industrielle Nutzung von Getreide umfasst die energetische Nutzung, d. h. die Herstellung von Biokraftstoffen und die direkte Stroh- und Getreideverbrennung sowie die stoffliche Nutzung, für die vor allem die Stärke den relevanten Rohstoff darstellt. Dabei spielen beinahe ausschließlich Weichweizen und Mais eine Rolle als Stärkelieferanten während alle anderen Getreidesorten fast vollständig zur Herstellung von Lebensmitteln oder in Brauereien (Gerste) verwendet werden. Die weltweite Verwendung von Getreide in Biokraftstoffen wird von der FAO mit 125 Millionen Tonnen angegeben. Im Jahr 2009/10 werden geschätzte sechs Prozent des Weltgetreideverbrauchs für Bioethanol verwendet (zu 97 % Mais in den Vereinigten Staaten), 47 % für Nahrung, 35 % für Futtermittel und 12 % für sonstiges (Saatgut, technische Verwendung, Verluste). Im Wirtschaftsjahr 2006/07 wurden von knapp 43 Millionen Tonnen Getreide in Deutschland 9 % für die stoffliche industrielle Nutzung verwendet, 3,5 % für Energie sowie 62 % für Futtermittel, 20 % für Nahrung und 2,3 % für Saatgut. Durchschnittliche Zusammensetzung Die Zusammensetzung von Getreide schwankt naturgemäß, sowohl in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen (Boden, Klima) als auch von der Anbautechnik (Düngung, Pflanzenschutz). Wirtschaftliche Bedeutung Die größten Getreideproduzenten Im Jahr 2021 wurden laut FAO weltweit etwa 3,07 Milliarden Tonnen Getreide (Gerste, Hafer, Hirse (Sorghum und Millet), Mais, Reis, Roggen und Weizen) geerntet. Die weltweit 20 größten Produzenten von Getreide ernteten zusammen 80,1 % der Gesamtmenge, laut FAO, Faostat, 2021. Diese Tabelle enthält zusätzlich die Produktionsmengen Österreichs und der Schweiz: Die Dürre und Hitze in Europa 2018 hat in Dänemark die Getreideernte um 28 % auf 7,2 Millionen Tonnen und in Schweden um 45 % auf 3,25 Millionen Tonnen einbrechen lassen. Brotgetreideernte in Österreich und der Schweiz Laut FAO wurden im Jahr 2021 folgende Brotgetreidemengen in Österreich und der Schweiz geerntet: Pro-Kopf-Verbrauch in Deutschland In Deutschland wurden 2019/20 pro Kopf 84,7 kg Getreideerzeugnisse verbraucht. Selbstversorgungsgrad mit Getreide in Deutschland Der Selbstversorgungsgrad mit Getreide betrug 2019/20 in Deutschland 104 %. Getreidepreis Der Getreidepreis setzt für preisbestimmende Eigenschaften des Getreides festgelegte Basis- oder Standardwerte voraus. Abweichungen von den Standardwerten führen zu entsprechenden Ab- oder Zuschlägen auf den Grundpreis. Folgende preisbestimmende Eigenschaften liegen dem Getreidepreis zugrunde: Hektolitergewicht. Basis- oder Bezugsfeuchte. Diverse preisbestimmende Gütemerkmale. Dies sind beispielsweise: Verunreinigungsgrad, Grad der Keimfähigkeit, Sedimentationswert (bei Weizen), Rohproteinanteil. Die Festlegung der Basiswerte für preisbestimmende Eigenschaften kann erfolgen durch Börsen- oder Handelsusancen, oder auch durch gesetzliche Regelungen wie in den USA mit dem United States Grain Standards Act. Die Preisbildung kann unterschiedlich stattfinden. Im marktwirtschaftlich geregelten Wirtschaftsraum erfolgt die Preisfindung hauptsächlich an Warenterminbörsen. In abgrenzten Wirtschaftsräumen kann ein Staat den Getreidepreis direkt festsetzen oder indirekt durch eine staatliche Abnahmegarantie (= Interventionsaufkäufe). Dabei ist – im Gegensatz zur Preisfindung an Warenterminbörsen – zwischen Ein- und Verkaufspreis zu unterscheiden. Warenterminbörsen ermöglichen den Anbaubetrieben das Getreide bereits vor der Ernte oder dem Anbau zu vermarkten, um dadurch eine Absicherung gegen fallende Preise zu erhalten. Erkauft wird dieser Vorteil für den Anbaubetrieb mit dem Verzicht auf die Gewinnbeteiligung bei steigenden Preisen. Gleichzeitig wird durch das Marktgeschehen an Warenterminbörsen die Marktinformation für alle Marktteilnehmer gleichermaßen transparent und verfügbar. Beim Preis für Getreide ist zu unterscheiden zwischen dem Preis, der an den Warenterminbörsen ermittelt wird und dem Preis, den der Anbaubetrieb tatsächlich erhält, sofern das Getreide den festgelegten Standard- oder Basiswerten entspricht. Die Preisunterschiede ergeben sich durch Fracht- und Manipulationskosten zwischen dem Ort der Preisbildung und dem Ort des Warenübergangs (= Ort der tatsächlichen Nachfrage) sowie aus dem Umstand, inwieweit am Ort der Verfügbarkeit des Getreides das Angebot die Nachfrage über- oder untersteigt. Eine der wichtigsten und größten Warenterminbörsen für Getreide ist die CBOT (Chicago Board of Trade). Für die häufigsten Getreidearten wie Mais oder Weizen wird dort der weltweit beachtete Preis in cents per bushel festgelegt. In Europa gilt als die bedeutendste Warenterminbörse für Getreide die in NYSE Euronext aufgegangene MATIF () in Paris. Getreidehandel Der größte Teil des Getreidehandels wird nach Formverträgen verschiedener Körperschaften abgewickelt. In Deutschland gelten die Einheitsbedingungen im Deutschen Getreidehandel als stillschweigender Bestandteil jedes Getreidehandelsvorgangs. In Österreich werden bevorzugt die Usancen der Börse für landwirtschaftliche Produkte in Wien verwendet und in der Schweiz die Usancen der Schweizer Getreidebörse. Im Überseehandel sind diese Verträge weitgehend bedeutungslos. Dort werden für Getreide bevorzugt die Kontrakte der Grain and Feed Trade Association (GAFTA) und bei Ölsaaten die Kontrakte der Federation of Oils, Seeds and Fats Associations (FOSFA) verwendet. Getreideverarbeitung Trocknung Seit dem Neolithikum wissen die Menschen, dass Getreide für eine dauerhafte, schadensfreie Lagerung getrocknet werden muss. Eine frühe Einrichtung, die für eine Darre gehalten wird, fand sich bei Bab edh-Dhra am Toten Meer. Da Getreide erst ab 14,5 % Feuchte sicher lagerfähig ist, je nach Witterung aber auch mit einer höheren Feuchte gedroschen wird, muss die Feuchte durch Trocknen entzogen werden. Würde die Lagerung zu feucht erfolgen, wäre Pilzbefall die Folge. Getreidetrocknung ist sehr energieaufwändig. Da während der Ernte nicht immer das gesamte angenommene Getreide gleich getrocknet werden kann, werden in vielen Mühlen Getreidepartien vorübergehend auf +7 °C gekühlt, bis sie ebenfalls getrocknet werden können. Für die Vermahlung sind 14 % Feuchte allerdings zu wenig. Da die trockene Schale bei der Vermahlung zu sehr splittern würde und eine Trennung zwischen Kleie und Mehl schwieriger wird, muss das Getreide vor der Vermahlung, in Abhängigkeit von der „Glasigkeit“ des Korns, wieder auf 16–17 % Feuchte „aufgenetzt“ (angefeuchtet) werden. Lagerung Üblich sind heute Silos zur Einlagerung von Getreide, sogenannte Flach- und Hochsilos. Es werden aber auch einfache Lagerhallen (Flachlager) als Zwischenlager verwendet. Die Überwachung und Pflege des Getreides im Lager sind unbedingt erforderlich. Getreide atmet: Das heißt, es findet eine Feuchtigkeitsumverteilung im Getreidekorn statt und zum Teil auch Wasseraustritt – das Getreide „schwitzt“. Dies begünstigt das Wachstum von Mikroorganismen. Zudem sind ca. 40 % einer Siloschüttung Hohlräume. Der Luftzustand dieser Hohlräume bestimmt das „Klima“ der Schüttung. Daher ist eine ständige Überwachung von Feuchtigkeit und Temperatur erforderlich. Zu den Grundregeln der Lagerhaltung gehören die Reinigung des Getreides vor der Einlagerung und von Zeit zu Zeit ein Luftaustausch im Silo. Getreide gilt unter folgenden Bedingungen als lagerfest: Feuchtigkeit unter 14 %, Temperatur unter 20 °C (am günstigsten sind Temperaturen von 5–8 °C). Besatz unter 1 %. Vorratsschutz Vorratsschutz ist die Verhinderung des Befalls durch Vorratsschädlinge, aber auch deren Bekämpfung, wenn Befall eingetreten ist. Die FAO schätzt die weltweiten Lagerverluste durch tierische Schädlinge in Getreidelagern auf ca. 10–30 %, dies entspricht einem jährlichen Verlust von 180 bis 360 Millionen Tonnen Getreide. In Deutschland dürfte die Verlustrate unter einem Prozent liegen, in Entwicklungsländern dagegen sogar häufig über 30 %. Die auftretenden Schäden sind: Fraßschäden: Gesamtmenge nimmt ab; Selektionsfraß: nur Keimlinge oder Nährgewebe werden angefressen Verschmutzung: Kot, Urin, tote Tiere in den Nahrungsmitteln, Spinnfäden, Haare Veränderung an den Inhaltsstoffen: Ranzigwerden, Abnahme des Protein- oder Vitamingehaltes Folgeschäden: Geruchs- und Geschmacksveränderung, Veränderung der Backeigenschaften, Kosten für Beseitigung und Reinigung Die häufigsten Vorratsschädlinge sind: Insekten Käfer: Brotkäfer, Kornkäfer, Reiskäfer, Maiskäfer, Getreideplattkäfer, Mehlkäfer und seine Larve, der „Mehlwurm“ Schmetterlinge: Dörrobstmotte, Getreidemotte, Mehlmotte Milben: Mehlmilbe Nagetiere: Wanderratte, Hausmaus Die Bekämpfung von möglichem Befall geschieht in der Mühle im Wesentlichen durch drei Bekämpfungsarten: Wärmeentwesung: Die ganze Mühle wird abgedichtet und mit Warmluft auf ca. 50–60 °C erwärmt. Die Temperatur muss mindestens ein bis zwei Tage konstant gehalten werden. Dadurch werden alle Insekten in allen Entwicklungsstadien abgetötet. Kälteentwesung: Getreide wird auf Paletten in einen speziellen Container gefahren, in dem es durch flüssigen Stick- oder Sauerstoff schockartig auf −20 bis −30 °C gekühlt wird. Auch dadurch werden alle Entwicklungsstadien von Insekten abgetötet. Chemische Bekämpfung: Verwendung von zugelassenen Gasen (z. B. Sulfurylfluorid), Sprüh- oder Nebelverfahren. Dies darf jedoch nicht von Laien durchgeführt werden. Bisweilen werden auch Wärmeentwesung und chemische Bekämpfung kombiniert, um eine optimale und vollständige Bekämpfung zu erreichen. Die Wärme wirkt als Stressfaktor auf die Insekten und erhöht die Wirksamkeit des Begasungsmittels. Verunreinigungen Auf Getreidefeldern wachsen neben erwünschten Getreidesorten auch andere Pflanzen, die nicht angebaut wurden, aber durch wandernde Samen oder durch Verunreinigungen im Saatgut eingetragen wurden. Es handelt sich meist um Anteile anderer Getreidesorten oder weiterer, nicht essbarer Pflanzen (Unkräuter). Diese können die Qualität des Mehls, den Ertrag oder die Qualität des Saatgutes für die nächste Periode mindern. Der Anteil der Verunreinigungen im Getreide soll deshalb gering gehalten werden. Die meisten Unkräuter, die in Getreidefeldern wachsen, haben Samen, die sich von den Getreidekörnern stark unterscheiden und deshalb technisch entfernt werden können. Heute wird durch Siebungen und Luftstromtransport bereits im Mähdrescher ein Großteil der Verunreinigungen abgetrennt. Saatgut, das in höheren Anteilen mit anderen Getreidesorten verunreinigt ist und für Handel und Verzehr nicht geeignet erscheint, kann immer noch als Futtergetreide ausgesät oder vermischt mit anderen Sorten als Gemengesaat verwendet werden. Soll Futtergetreide noch vor der Reife geerntet und grün verfüttert oder siliert werden, fallen Verunreinigungen durch andere Sorten kaum ins Gewicht. Getreidereinigung In der Getreidemühle wird das angelieferte Getreide vor der Annahme auf Verunreinigungen geprüft. Das vom Landwirt in der Mühle angelieferte Rohmaterial ist in aller Regel kein reines Getreide, sondern mit Unkrautsamen, Steinen, Erdklumpen, Metallteilen, Insekten, Fremdgetreide und vielem mehr verunreinigt. Alle Verunreinigungen zusammen nennt man „Besatz“. Ist der Besatzanteil zu hoch, oder befinden sich gar lebende Schädlinge in der Partie, so wird der Müller deren Abnahme verweigern. Der genaue Besatzanteil kann im Mühlenlabor durch eine „Besatzanalyse“ ermittelt werden. Bevor Getreide in der Mühle eingelagert wird, durchläuft es die sogenannte „Silo- oder Schwarzreinigung“. Man unterscheidet gewöhnlich zwischen „Fremdbesatz (Schwarzbesatz)“ und „Kornbesatz“. Die negativen Einflüsse von Besatz sind vielfältig: Giftigkeit von Unkraut­samen und Mutterkorn Beeinträchtigung von Geruch und Geschmack Erhöhung des Mineralstoffgehaltes Verschlechterung der Backeigenschaften der Mehle Beschädigung von Maschinen, erhöhter Verschleiß Erhöhung des erforderlichen Lagervolumens. Die Reinigung erfolgt stufenweise durch verschiedenste Trennmethoden in folgenden Maschinen: Siebmaschine Dauermagnete Aspirateur (Luftsichter) Steinausleser Trieure Scheuermaschine Farbsortierer Rotationsworfelmaschine. Speisegetreide, das die Mühle verlässt, hat heute einen nie zuvor gekannten Reinheitsgrad. Vermahlung, Siebung Die Zerkleinerung erfolgt heute mit der wichtigsten und verbreitetsten Maschine: dem Walzenstuhl. In den Walzenstühlen sind üblicherweise zwei oder vier Walzenpaare untergebracht, die sich gegenläufig mit unterschiedlicher Umfangsgeschwindigkeit drehen. Sie sind entweder als Riffel- oder Glattwalzen ausgeführt. Das bei einem Walzendurchgang entstehende „Haufwerk“ wird durch den Plansichter und je nach Granulation unterschiedlich weitergeleitet. Alle kleinen Mehlpartikel (< 180 µm) werden sofort als Mehl abgezogen. Das grobe Schrot wird dagegen auf einen weiteren Walzenstuhl geleitet, wo sich der Vorgang wiederholt. Grieße können auf einer Grießputzmaschine gereinigt werden. So können sich noch weitere acht bis zehn Vermahlungen und Siebungen anschließen. Den Durchgang durch einen Walzenstuhl und einen Plansichter nennt man „Passage“. Grad der Vermahlung: 1000–1400 µm: Schrot 300–1000 µm: Grieß 150–300 µm: Dunst <150 µm: Mehl Mischen, Verladen, Absacken Durch das Mischen in Mischmaschinen kann der Müller verschiedene Passagenmehle zu einem Typenmehl zusammenmischen, das der DIN-Norm entspricht. Dabei können auch unterschiedliche Backqualitäten ausgeglichen werden. Die heutigen Mehlsilozellen sind elektronisch durch Füllstandmelder überwacht. Die fertigen Mehle kommen in ein Lose-Verladesystem. Die übliche Form der Auslieferung ist die Silowagen-Befüllung. Bei Großbäckereien und Backfabriken wird das Mehl aus dem Silowagen mit Druckluft in die Mehlsilozellen geblasen. Nur noch Spezialprodukte oder Mehle für kleine Bäckereien werden in Säcke abgepackt. Viele Großmühlen verfügen heute auch über Kleinpackungsanlagen, auf denen 1- bis 5-kg-Packungen abgepackt und für den Einzelhandel fertig palettiert werden. Literatur Meinolf G. Lindhauer, Klaus Lösche, Thomas Miedaner (Hrsg.): Warenkunde Getreide. Inhaltsstoffe, Analytik, Reinigung, Trocknung, Lagerung, Vermarktung, Verarbeitung, Agrimedia, Clenze 2017, ISBN 978-3-86263-003-5. Peter Erling (Hrsg.): Handbuch Mehl- und Schälmüllerei. 4. Auflage, Erling Verlag, Clenze 2019, ISBN 978-3-86263-127-8. Walter Aufhammer: Rohstoff Getreide. 131 Tabellen. Ulmer, Stuttgart 2003, ISBN 3-8001-4194-9. Burghard Kirsch: Fachkunde Müllereitechnologie. Werkstoffkunde. Ein Lehrbuch über die Zusammensetzung, Untersuchung, Bewertung und Verwendung von Getreide und Getreideprodukten. 8. Auflage, Bayerischer Müllerbund, München 2016, ISBN 978-3-9812436-6-6. Hansjörg Küster, Nicolette Waechter (Hrsg.): Korn. Kulturgeschichte des Getreides. Pustet, Salzburg und München 1999, ISBN 3-7025-0404-4. Loren Cordain: Das Getreide. Zweischneidiges Schwert der Menschheit. Novagenics, Arnsberg 2004, ISBN 3-929002-35-3. Thomas Miedaner, Friedrich Longin: Unterschätzte Getreidearten – Einkorn, Emmer, Dinkel & Co. Agrimedia, Clenze 2012, ISBN 978-3-86263-079-0. Hansjörg Küster: Am Anfang war das Korn. Eine andere Geschichte der Menschheit. C. H. Beck, München 2013, ISBN 978-3-406-65217-2. (Inhaltsverzeichnis) (Rezension in: Frankfurter Allgemeine, 8. Dez. 2013) Weblinks Die wichtigsten Getreidesorten im Überblick Getreide in der biologischen Sicherheitsforschung Produktionsstatistik der FAO GMF Mehlreport mit Zahlen von 2008 (PDF-Datei; 205 kB) Einzelnachweise Getreidemühlenwesen
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https://de.wikipedia.org/wiki/Zellwand
Zellwand
Eine Zellwand ist eine aus Polymeren aufgebaute Hülle, die die Zellen von Pflanzen, Bakterien, Pilzen, Algen und manchen Archaeen umgibt. Tiere und Protozoen haben keine Zellwände. Die Zellwand liegt außerhalb der Zellmembran, die ihrerseits das Zellinnere enthält. Sie wird als Abscheidungsprodukt lebender Zellen gebildet. Die Zellwand bietet Struktur und Schutz und wirkt zudem als Filter. Eine Hauptfunktion der Zellwand ist es, als Druckbehälter zu wirken; sie verhindert ein Platzen der Zelle, wenn aufgrund des osmotischen Gradienten Wasser eindringen sollte. Eigenschaften Die Zellwände verschiedener Organismen dienen ähnlichen Zwecken. Die Wand gibt Zellen Starrheit und Festigkeit, was Schutz gegen mechanische Beanspruchung bietet. Vielzelligen Organismen ermöglicht sie es, eine Form aufzubauen und zu erhalten (Morphogenese). Die Zellwand begrenzt auch den Eintritt großer, potentiell toxischer Moleküle. Sie erlaubt des Weiteren, ein osmotisch stabiles Milieu zu erzeugen, da übermäßige Wasseraufnahme aus der Umgebung verhindert wird, was ein Platzen der Zelle zur Folge hätte, und die Zellwand Wasser speichern kann. Zusammensetzung, Eigenschaften und Form der Zellwand können sich während des Zellzyklus ändern und sind abhängig von Wachstumsbedingungen. Festigkeit der Zellwände Die Festigkeit der Zellwände wird oft überschätzt. In den meisten Zellen ist die Zellwand flexibel, sie wird sich eher verbiegen, als eine bestimmte Form zu halten, besitzt dafür aber eine erhebliche Zugfestigkeit. Die Stabilität entsteht aus einem Zusammenspiel zwischen Turgor und Zugfestigkeit der Zellwand. Sobald der Turgor durch Wassermangel (welken) nachlässt, beginnen Blätter und Stängel in unverholzten (nicht lignifizierten) Pflanzen zu hängen. Nach John Howland ist ein guter Vergleich für die Zellwand ein Weidenkorb, in dem ein Ballon aufgeblasen ist (die Plasmamembran), der von innen Druck ausübt (den Turgor). Ein solcher Korb ist sehr fest und widerstandsfähig gegenüber mechanischen Beschädigungen. Pflanzliche Zellwände Pflanzliche Zellwände haben zwei Hauptfunktionen: Sie dienen einerseits der Zelle als formgebendes Element und sorgen für Stabilität. Außerdem hält die Zellwand dem Turgordruck stand, der den Protoplasten mit circa 0,5–1 MPa gegen die Zellwand drückt. Sie umschließen die Zelle komplett und schützen sie. Pflanzliche Zellwände bestehen aus Zellulosefibrillen, die in eine Matrix aus Pektinen, Hemizellulosen, Proteinen und zum Teil auch Lignin eingebunden sind. Durch die Zellwände hindurch sind die einzelnen Zellen über Plasmodesmen verbunden. Die Gesamtheit aller Zellwände und der Zellzwischenräume wird Apoplast genannt und entsteht durch Abgabe von Stoffen aus dem lebenden Teil der Zelle. Aufbau der pflanzlichen Zellwand von außen nach innen: Mittellamelle Primärwand Sekundärwand Tertiärwand Mittellamelle Die Mittellamelle besteht größtenteils aus Pektinen, die in die noch flüssige Zellplatte im Bereich des Phragmoplasten eingelagert werden. Sie hat Gel-Charakter und ist von geringer Ausdehnung. Primärwand Die Primärwand besteht aus Pektinen, Zellulose, Hemizellulose und Proteinen (vor allem aus Glykoproteinen wie Extensine). Nach der Zellteilung wird Zellulose in Form von Mikrofibrillen auf die Mittellamelle aufgelagert und es bildet sich eine Primärwand. Die Fibrillen bilden dabei keine Struktur. Daher ist die Primärwand elastisch, wodurch die Pflanzenzelle nicht in ihrem Wachstum eingeschränkt ist. Im Kollenchymgewebe kommt es zur teilweisen Verdickung der Primärwand. Die Zelle bleibt jedoch nach wie vor lebensfähig. Cellulose ist in der primären (und noch wachsenden) Zellwand mit einem Anteil von 8–14 % vertreten. Sie liegt in Form von Mikrofibrillen vor, die wirr durcheinander angeordnet sind (als Streuungstextur). Diese Fibrillen sind in eine Matrix eingelagert, die hauptsächlich aus Hemicellulose und Pektin besteht. Die häufigste Hemizellulose in der primären Zellwand ist Xyloglucan. Die Hemicellulosestränge sind mit jeweils mehreren Cellulosefibrillen verbunden, sowie die Cellulosefibrillen untereinander, beide jeweils über Wasserstoffbrückenbindungen. Dadurch ergibt sich ein Netzwerk. In dieses sind die restlichen Komponenten als Unterstruktur eingebunden: über Ca2+- und Mg2+-Ionen vernetzte Pektine und über Isodityrosin-Brücken vernetzte Extensine. Die gelartigen Matrixpolymere und die darin eingelagerten, gerüstbildenden Cellulosefibrillen führen zu einem sehr reißfesten und trotzdem plastisch verformbaren Verbundmaterial. Auch durch die Reversibilität der vernetzenden Wasserstoffbrückenbindungen ist ein Umbau des Netzes möglich. Der Aufbau der Zellwände der Gräser (Poales) weicht massiv von dem hier beschriebenen ab, Xyloglucan und Pektin kommen seltener vor und sind teilweise durch Glucuronarabinoxylan, eine Hemizellulose, ersetzt. Sie stehen damit als Typ-II-Zellwand im Gegensatz zur Typ-I-Zellwand, die bei typischen Dikotyledonen vorkommen, sowie den meisten Monokotylen und Gymnospermen. Während des Wachstums erweitert sich die primäre Zellwand nach einer Ansäuerung durch Auxin durch eine Turgor-angetriebene Bewegung der festen Cellulosemikrofibrillen innerhalb der schwächeren Hemizellulose/Pektin-Matrix, katalysiert durch Expansine. Der stabile Endzustand der primären Zellwand wird als Sakkoderm bezeichnet. Sekundärwand Die Sekundärwand wird erst gebildet, wenn die Zelle ihr Wachstum beendet hat. Sie besteht größtenteils aus dichtgepackten Zellulosemikrofibrillen und Hemizellulosen, die in Mineralsubstanzen und vor allem in Lignine eingepackt sind. Dabei werden die Mikrofibrillen parallel zueinander aufgelagert. Mehrere Schichten überkreuzen sich dabei. In der Sekundärwand gibt es Aussparungen (Tüpfel), die die Verbindung zwischen einzelnen Zellen erlauben. Kommt es zur Verholzung der Sekundärwand, so stirbt die Zelle ab (Bildung von Sklerenchym). Sekundäre Zellwände sind typisch für das Xylem. Es gibt auch abdichtende Sekundärwandschichten, z. B. bei Epidermiszellen die Cuticula, die ein Austrocknen der Pflanze verhindern. Sie enthalten Cutin, Wachse, oder im Falle von Kork auch Suberin. Sekundäre Zellwände enthalten eine breite Palette zusätzlicher Verbindungen, die ihre mechanischen Eigenschaften und Durchlässigkeit verändern. So sind die Wände der Korkzellen in der Rinde der Bäume mit Suberin imprägniert, ebenso ist der äußere Teil der primären Zellwand der Pflanzenepidermis in der Regel mit Cutin und Wachs imprägniert und bildet eine Permeabilitätsbarriere. Suberin bildet auch die Permeabilitätsbarriere in primären Wurzeln, bekannt als Casparischer Streifen. Sekundäre Wände – vor allem in Gräsern – können auch mikroskopische Siliciumdioxid-Kristalle enthalten, die die Wand stärken und vor Pflanzenfressern schützen. Die Zellwände einiger Pflanzengewebe funktionieren auch als Lager für Kohlenhydrate, die wieder monomerisiert und aufgenommen werden können, um Stoffwechsel und Wachstum zu unterstützen. Beispielsweise sind die Zellwände des Endosperms in den Samen von Getreide und Gräsern reich an Glucanen und anderen Polysacchariden, die leicht durch Enzyme während der Keimung der Samen zu einfachen Zuckern abgebaut werden können, um den wachsenden Embryo zu ernähren. Cellulose-Mikrofibrillen können hingegen nicht ohne weiteres von den Pflanzen verdaut werden. Die wichtigsten Polymere, aus denen Holz besteht (überwiegend sekundäre Zellwand), sind: Cellulose, 35–50 % Xylan, 20–35 %, eine Hemizellulose Lignin, 10–25 %, ein komplexes Phenolpolymer, das Zwischenräume in der Zellwand zwischen Cellulose, Hemizellulose und Pektin ausfüllt und sie hydrophober und fester macht Tertiärwand Die innerste Schicht wird auch „tertiäre Zellwand“ genannt. Sie ist dünn aber besonders resistent und deckt die Zellwand nach innen ab; sie hat eine warzige Oberfläche und ist reich an Pektinen und Hemizellulosen. Sie unterscheidet sich von der Sekundärwand in Zusammensetzung und Textur. Entstehung der pflanzlichen Zellwand Nur während einer Zellteilung werden neue Zellwände gebildet. Dabei entsteht zuerst in der Äquatorialebene der Phragmoplast und aus diesem die Zellwandplatte. Diese entsteht durch das Zusammenfließen vieler Golgi-Vesikel und bleibt nach der Fertigstellung der Zellwand als Mittellamelle erhalten. Nun werden von beiden Seiten Mikrofibrillen in einer Streuungstextur regellos aufgelagert und bilden so die Primärwände. Die einzelnen Fibrillen sind über Wasserstoffbrücken miteinander verbunden. Da die Zelle noch wächst, kommt es zum Flächenwachstum der Zellwand. Die Dehnungsfähigkeit der Zellwand ist in der Streustruktur der Fibrillen begründet. Durch die Dehnung kommt es zur Wandverdünnung, was mit der Auftragung weiterer Fibrillen ausgeglichen wird. Das Wachstum der Primärwand endet mit der maximalen Ausdehnung der Zelle. Nach dem Flächenwachstum der Zellwand setzt nun das Dickenwachstum ein. Es werden Mikrofibrillen parallel und schichtweise aufgetragen, wobei die Fibrillen anliegender Schichten sich meist kreuzen (Paralleltextur). Die so entstehende Sekundärwand macht den Großteil der Zellwand aus und gibt ihr Stabilität. Sie ist jedoch nicht, wie die Primärwand, dehnungsfähig. Gegen Ende des Wachstums der Zellwand wird eine letzte Schicht, die Abschlusslamelle oder Tertiärwand, aufgetragen. Diese besteht aus Hemicellulose und Protopektin. Chemische Zusammensetzung Am stärksten am Aufbau der pflanzlichen Zellwand beteiligt sind die Kohlenhydrate Cellulose, Hemicellulose und Pektin. Deren Anteile unterscheiden sich zum Teil stark. Diese drei Stoffe sind Fraktionen, sie umfassen also zahlreiche verschiedene Polysaccharide. Im Wesentlichen bestehen sie nur aus sieben verschiedenen, glycosidisch verknüpften Monosacchariden: D-Glucose, D-Galactose, D-Galacturonsäure, L-Rhamnose, L-Fucose, D-Xylose, L-Arabinose. Weitere Stoffe wie Lignin und Suberin können hinzu kommen, einen geringen Teil machen außerdem Polypeptide aus (5–10 %). Die Zellwand besteht also hauptsächlich aus den folgenden Stoffgruppen: Pektin Pektine lassen sich mit relativ milden Medien aus der Zellwand lösen, z. B. mit heißem Wasser und Komplexbildnern oder mit Kaliumchlorat und Salpetersäure (Schulzesches Gemisch) oder nach einer Einwirkung spezifischer Enzyme (Pektinasen). Die cellulosehaltigen Zellwände widerstehen dieser Behandlung, nicht jedoch die pektinhaltige Mittellamelle, sodass sich die Zellen auch voneinander trennen (Mazeration). Chemisch gesehen handelt es sich bei Pektin um eine heterogene Fraktion, nach einer Extraktion kann man unterscheiden zwischen: Homogalacturonanen (1,4-α-D-Galacturonane, Polygalacturonsäure), Rhamnogalacturonanen (verzweigte Mischpolymere aus Galacturonsäure und Rhamnose mit verschiedenen zusätzlichen Zuckerresten), Arabinanen (1,5-α-L-Arabinosylketten) und Galactanen (1,4-β-D-Galactosylketten). Die Carboxygruppen des Pektins sind durch Ca2+ und Mg2+ über Salzbrücken miteinander verknüpft. Einige Carboxygruppen liegen jedoch als Ester mit Methanol vor und können somit keine Salzbrücken mehr bilden. Diese Salzbrücken sind als Bindung relativ reversibel, sodass Pektin elastisch und leicht veränderlich ist. Es wird zwischen Protopektin unterschieden, welches den größten Teil des Mittellamelle ausmacht und hauptsächlich aus Galacturonsäure und Rhamnose besteht sowie Pektin, welches aus hochmethyliertem Galacturonan besteht und in den Zellwänden vieler Früchte in größeren Mengen vorkommt. Hemicellulose Hemicellulosen lassen sich aus der Zellwand durch eine alkalische Behandlung lösen. Ihr Name kommt daher, dass man sie früher fälschlicherweise für ein Zwischenprodukt der Cellulose-Synthese gehalten hat. Hemicellulose macht den Hauptteil der Matrix in der Primärwand aus. Bei Hemicellulosen handelt es sich ebenso wie beim Pektin um ein heterogenes Gemisch verschiedener Polysaccharide, dessen Zusammensetzung stark variieren kann, Hauptbestandteil sind meist Xyloglucane, es kommen aber auch Arabinogalactane und Glucomannane vor. Zusammengesetzt sind sie aus Pentosen wie D-Xylose und L-Arabinose und Hexosen wie D-Glucose, D-Mannose und D-Galactose. Cellulose Cellulose ist ein lineares, unverzweigtes Polymer aus β-D-Glucose-Monomeren. Der Cellulose-Anteil beträgt in Primärwänden ca. 10 % und kann in Sekundärwänden über 90 % betragen. Cellulosemoleküle liegen in parallelen Bündeln vor, den Elementarfibrillen (bzw. Micellarsträngen), die zu Mikrofibrillen geordnet sind, die wiederum zu Makrofibrillen gebündelt sein können. Durch Wasserstoffbrückenbindungen werden die Fibrillen fest zusammen gehalten und können einen hohen Anteil parakristalliner Regionen besitzen. Die Fibrillen besitzen eine hohe Reißfestigkeit, die mit der von Stahl vergleichbar ist. Durch die Parakristallinität sind sie, anders als Matrixmaterial, kaum hydratisiert. In der Primärwand sind die Cellulose-Fibrillen zufällig in der Ebene angeordnet, dies nennt sich Streutextur. In der Sekundärwand hingegen werden die Fibrillen schichtweise aufgetragen, parallel und zur jeweils nächsten Schicht in der Ausrichtung ein wenig gedreht. Dies nennt sich Paralleltextur. Cellulose ist wasserunlöslich und kann somit nicht im Golgi-Apparat synthetisiert werden und durch Vesikel in die Zellwand transportiert werden, wie Pektine, Hemicellulosen und Zellwandproteine. Stattdessen wird Cellulose durch den Enzymkomplex Cellulose-Synthase direkt als Elementarfibrille in die Zellwand synthetisiert. Cellulose-Synthase ist ein Transmembranprotein, das als hexamerer Rosettenkomplex auftritt, meist in Rosettenfeldern. Die für die Synthese nötige Glucose wird in Form von Uridindiphosphoglucose (UDPG) im Cytoplasma geliefert. Die Ausrichtung der Cellulose-Fibrillen, wichtig für Zellwachstum und -differenzierung, erfolgt durch das Cytoskelett, an dem sich die Cellulose-Synthase wie auf Schienen bewegt. Pflanzen selbst können Cellulose nicht abbauen, Pflanzenfresser und manche Pilze jedoch besitzen das dafür nötige Enzym Cellulase. Technisch wird Cellulose durch Schwefelsäure wieder in Glucose aufgespalten (Holzverzuckerung). Zellwandproteine Neben zahlreichen Enzymen, wie z. B. Hydrolasen, Esterasen, Peroxidasen und Transglycosylasen, die am Auf- und Umbau der Zellwand beteiligt sind (besonders in Primärwänden), machen Strukturproteine (1–5 %) den Hauptteil der Zellwandproteine aus. Es wird unterschieden zwischen glycinreichen Proteinen (GRP), prolinreichen Proteinen (PRP), Arabinogalactan-Proteinen (AGP) und hydroxyprolinreichen Glykoproteinen (HRGP). Die hydroxyprolinreichen Glykoproteine (HRGP) sind wohl am weitesten verbreitet und am besten untersucht. Jede Klasse von Glykoproteinen ist durch eine charakteristische, stark repetitive Proteinsequenz definiert. Die meisten sind glykosyliert, enthalten Hydroxyprolin (Hyp) und werden in der Zellwand vernetzt. [5] Der relative Anteil von Kohlenhydraten, sekundären Verbindungen und Proteinen variiert zwischen verschiedenen Pflanzen, Zelltyp und Alter. Durchlässigkeit Die primäre Zellwand der meisten Pflanzenzellen ist semipermeabel und erlaubt den Durchtritt von kleinen Molekülen und Proteinen; durch Gel-Permeations-Chromatographie wurde die maximale Größe auf 30–60 kDa geschätzt. Vor allem Wasser und Kohlendioxid werden in der gesamten Pflanze von Zellwand zu Zellwand durch apoplastischen Transport verteilt. Der pH-Wert ist ein wichtiger Faktor für den Transport von Molekülen durch Zellwände. Bakterielle Zellwände Die bakterielle Zellwand trennt die eigentliche Zelle mit ihrer umgebenden Zellmembran von der Umgebung. Die Zellwand ist einerseits robust genug, um die Zellgeometrie aufrechtzuerhalten, um so als Schutz vor widrigen Umweltbedingungen zu dienen. Andererseits ist sie aber auch flexibel genug, um Zellwachstum, Zellteilung und Transportvorgänge in die Zelle hinein und aus der Zelle heraus nicht zu behindern. Durch die hohe Konzentration löslicher Stoffe im Cytoplasma entsteht in der Zelle ein osmotischer Druck von bis zu 1,5 MPa, welcher von der Zellwand kompensiert werden muss. Außerdem dient die Zellwand dem Schutz vor Phagen und bei pathogenen Bakterien gegen das Immunsystem ihrer Wirte und muss aggressiven Metaboliten konkurrierender Mikroorganismen standhalten. Bakterien können mit der sogenannten Gramfärbung grob nach ihrem Zellwandaufbau klassifiziert werden. Der Farbstoff Gentianaviolett ist bei grampositiven Bakterien aufgrund ihrer vielschichtigen Zellwand nicht auswaschbar, daher erscheinen diese Bakterien blau, wohingegen die gramnegativen Bakterien mit sehr dünner Zellwand aufgrund der Auswaschung des Farbstoffes gar nicht gefärbt sind. Diese können dann mit dem Farbstoff Fuchsin rötlich eingefärbt werden. Grampositive und gramnegative Bakterien unterscheiden sich im Aufbau ihrer Zellwände. Bei grampositiven besteht sie aus vielen Schichten des sogenannten Mureins (Peptidoglycan), in welches (Lipo)teichonsäuren und Proteine eingelagert sind. Bei gramnegativen Bakterien liegt der Zellmembran (innere Membran) nur eine dünne Peptidoglykanschicht auf, auf der eine zweite, äußere Zellmembran aufgelagert ist, die sich in Chemie und Aufbau von der inneren Zellmembran unterscheidet. Diese äußere Membran durchziehen Proteine, wie Porine, und sie weist außen Lipopolysaccharide (LPS) auf, weswegen sie auch als Lipopolysaccharidschicht bezeichnet wird. Das Lipid A der LPS kann als Endotoxin wirken und ist ein Virulenzfaktor pathogener Bakterien. Je nach Spezies werden zusätzliche Proteinschichten (siehe S-Layer bei Archaea), Kapseln oder Schleimschichten ausgebildet. Zellwände bei Pilzen Die Zellwände, die bei manchen Pilzen die Zellen umgeben, bestehen aus Chitin, aus welchem auch das Exoskelett von Insekten aufgebaut ist. Ähnlich wie bei Pflanzen dienen die Zellwände auch hier der Versteifung, damit die Zellen ihre Form halten können. Literatur Andreas Bresinsky, Christian Körner, Joachim W. Kadereit, Gunther Neuhaus, Uwe Sonnewald: Strasburger – Lehrbuch der Botanik. Begründet von E. Strasburger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008 (36. Aufl.) ISBN 978-3827414557 Biologie, Neil A. Campbell/ Jane B. Reece, Spektrum Akademischer Verlag Weblinks www.biologie.uni-hamburg.de Max-Planck-Gesellschaft: Enzyme für Zellwandsynthese sind über Artgrenzen hinweg konserviert, 11. Juli 2011 Einzelnachweise Pflanzenphysiologie Zellorganell
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mezzosopran
Mezzosopran
Als Mezzosopran (Plural die Mezzosoprane, in der Schweiz auch die Mezzosopräne; von „Halbsopran“, ; abgeleitet von italienische mezzo, „mittel“) wird eine Stimmlage von Frauen oder Knaben bezeichnet, die zwischen Alt und Sopran liegt und sich gegenüber dem Sopran durch ein dunkleres Timbre sowie einen etwas tiefer liegenden Stimmumfang unterscheidet, der vom A2 (unter dem mittleren C) bis zum A5 reicht. Im Allgemeinen ist der Umfang der Mezzospranstimme vergleichsweise klein, die Fülle der Töne in der Mittellage besonders charakteristisch ist. So wie der Bariton in zweierlei sehr verschiedenen Timbres auftritt (als Tenor- und als Bassbariton), je nachdem, ob er der einen oder der anderen Stimmgattung näher steht, hat auch der Mezzosopran entweder Sopran- oder Alt-Timbre und sein Umfang dehnt sich entweder mehr nach der Höhe oder mehr nach der Tiefe hin aus. Ein Sänger oder eine Sängerin dieser Stimmlage wird Mezzosopranist bzw. Mezzosopranistin oder einfach „Mezzosopran“ genannt. Mezzos verkörpern meistens Nebenrollen in Opern, wobei Bizet’s Carmen zu den wenigen Ausnahmen zählt. Eine häufige Aufgabe für Mezzosopranistinnen sind so genannte Hosenrollen, also die Darstellung eines (meist jungen) Mannes (siehe nachfolgende Beispiele). Typische Mezzosopran-Partien sind: Georges Bizet, Carmen – Titelrolle (Stimmfach: Lyrischer Mezzosopran) W. A. Mozart, Le nozze di Figaro – Cherubino (Lyrischer Mezzosopran) Giuseppe Verdi, Il trovatore – Azucena (Dramatischer Mezzosopran) Richard Strauss, Der Rosenkavalier – Octavian (Lyrischer Mezzosopran) Richard Strauss, Ariadne auf Naxos – Komponist (Lyrischer Mezzosopran) Engelbert Humperdinck, Hänsel und Gretel – Hänsel (Lyrischer Mezzosopran) Giuseppe Verdi, Aida – Amneris (Dramatischer Mezzosopran) Eine Anzahl bedeutender Mezzosopranistinnen ist auf der Liste berühmter Sängerinnen und Sänger klassischer Musik aufgeführt. Tonhöhen der menschlichen Stimmlagen Einzelnachweise Stimmlage
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bangladesch-Krieg
Bangladesch-Krieg
Der Bangladesch-Krieg (, „Befreiungskrieg“) war ein Krieg zwischen Westpakistan (heute Pakistan) und Ostpakistan (heute Bangladesch) vom 25. März bis zum 16. Dezember 1971, in dem auch Indien auf der Seite Ostpakistans eingriff (Dritter Indisch-Pakistanischer Krieg). Zur Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen begingen die pakistanische Armee und verbündete Milizen den Genozid in Bangladesch. Der Krieg endete mit einem Sieg Ostpakistans und dessen Anerkennung als unabhängiger Staat Bangladesch. Ursachen Gemäß dem Mountbattenplan wurde das britisch-indische Kolonialreich 1947 aufgeteilt und in die Unabhängigkeit entlassen, wobei mit dem vorwiegend laizistischen Indien und dem muslimischen Pakistan zwei Staaten entstanden. Pakistan selbst bestand aus zwei Teilen (Ost- und Westpakistan), die, durch Indien getrennt, geographisch weit voneinander entfernt lagen. Da Westpakistan die Führung der beiden Landesteile beanspruchte, kam es aufgrund kultureller, ökonomischer und politischer Unterschiede bald zu Konflikten mit Ostpakistan. Ostpakistaner (Bengalen) waren, obwohl sie etwa die Hälfte der Gesamtbevölkerung stellten, in der Führungsspitze des Staates und insbesondere auch in der Armeeführung im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung erheblich unterrepräsentiert. Im Jahre 1948 verkündete Muhammad Ali Jinnah, der erste Generalgouverneur von Pakistan, in Dhaka, „Urdu und nur Urdu“ als Staatssprache in beiden Teilen Pakistans einzuführen. Dies rief als Reaktion in Ostpakistan die „Bewegung für die bengalische Sprache“ hervor, die schließlich durchsetzen konnte, dass in der Verfassung Pakistans 1956 zwei Amtssprachen, Urdu und Bengalisch, festgeschrieben wurden. Trotzdem blieb die massive wirtschaftliche und politische Benachteiligung Ostpakistans weiter bestehen. Als zusätzlich dazu aufgrund der Unzufriedenheit in Ostpakistan nach dem verheerenden Zyklon im November 1970 bei den pakistanischen Nationalwahlen im Dezember 1970 und im März 1971 die oppositionelle ostpakistanische Awami-Liga siegte, sah die militärische Zentralregierung in Westpakistan den Fortbestand ihrer Vormachtstellung und die Einheit Pakistans bedroht. Sie weigerte sich, den Sieg der Awami-Liga anzuerkennen und ihr die Regierungsgeschäfte zu übergeben, was die ohnehin bereits vorhandenen sezessionistischen Bestrebungen Ostpakistans verstärkte. Als die Militärregierung Westpakistans im März 1971 die verfassunggebende Versammlung aussetzte, rief die Awami-Liga zum zivilen Ungehorsam auf. Der darauffolgende Generalstreik führte zu einem Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung in ganz Ostpakistan. Kriegsverlauf und Auswirkungen Am 25. März 1971 brach der westpakistanische Militär- und Regierungschef Yahya Khan alle Verhandlungen mit der Awami-Liga ab, verließ Ostpakistan und gab sofort darauf den in Ostpakistan stationierten pakistanischen Einheiten den Einsatzbefehl. Die pakistanischen Einheiten schafften es zwar, am 26. März Mujibur Rahman, den Führer der Awami-Liga, festzunehmen, die restliche Führungsspitze der Awami-Liga rief jedoch noch am selben Tag im indischen Exil den unabhängigen Staat „Bangladesch“ aus. Die Existenz dieses Staates hing jedoch ganz vom militärischen Erfolg der Guerillabewegung ab. Der Name der Widerstandsarmee war Mukti Bahini, die sich auf einen Guerillakrieg gegen die Pakistanis einließ. Indien hatte ein strategisches Interesse an einem unabhängigen Bangladesch, da dadurch in potentiellen weiteren Kriegen mit Pakistan keine Zwei-Fronten-Situation im Osten und Westen Indiens bestand. Aus diesem Grund erfuhr Bangladesch vor allem von Indien Unterstützung, das die ostpakistanischen Guerilla ausbildete und die Grenzen für westpakistanische Versorgungsgüter sperrte. Als der Flüchtlingsstrom auf bis zu zehn Millionen Menschen anschwoll, entschloss sich Indien schließlich auch zu einem direkten Eingreifen. Ab Juni 1971 drangen indische Paramilitärs (Border Security Force) tiefer in ostpakistanisches Territorium vor, um die Guerilla zu unterstützen. Dies führte zu einer weiteren Eskalation des Konfliktes. Am 3. Dezember 1971 bombardierte Pakistan mit seiner Luftwaffe indische Ziele. Daraufhin kam es auch zu offenen Kampfhandlungen an der indisch-westpakistanischen Grenze. Pakistan versenkte mit seinem U-Boot Hangor die indische Fregatte Khukri, die erste Versenkung eines feindlichen Schiffes durch ein U-Boot seit dem Zweiten Weltkrieg. Der Krieg endete in Ostpakistan am 16. Dezember 1971 mit der Kapitulation der westpakistanischen Einheiten und in Westpakistan am 17. Dezember durch einen Waffenstillstand mit Indien. Die pakistanische Militärregierung musste als Folge der Niederlage zurücktreten; ebenso trat auch der zwei Wochen zuvor eingesetzte Ministerpräsident Nurul Amin zurück. Kriegsverbrechen Die Zahl der Todesopfer wird auf mindestens 300.000 bis zu 3 Millionen geschätzt. Es kam zu massenhaften Vergewaltigungen von Bengalinnen und es gab Fälle von Zwangsprostitution. Die Zahl der vergewaltigten Frauen wird auf bis zu 200.000 geschätzt. Es gab völkermordähnliche Massaker an Teilen der Zivilbevölkerung durch die Pakistanische Armee. Noch Jahrzehnte später wurden immer wieder Massengräber entdeckt. Die pakistanische Armee wurde dabei von bengalischen Kollaborateuren, die sich vor allem aus dem islamistischen Umfeld der Jamaat-e-Islami rekrutierten, unterstützt. Diese Islamisten wollten den vermeintlich „islamischen Staat“ Pakistan beibehalten und bekämpften die bengalische Autonomiebewegung, die ideologisch überwiegend säkular und sozialistisch ausgerichtet war. Zu den pro-pakistanischen Milizen gehörten al Badr (, „der Vollmond“) und al Shams (, „die Sonne“) sowie die sogenannten Razakars (, „Freiwillige“). Alle drei waren als Todesschwadronen berüchtigt, die eine Terrorisierung der Zivilbevölkerung mit zahlreichen Morden, Entführungen, Folterungen und Vergewaltigungen zu verantworten hatten. 2013 wurde Delwar Hossain Sayeedi wegen Massenmordes, Vergewaltigung, Brandstiftung, Plünderung und religiöser Verfolgung zum Tode verurteilt. Abdul Quader Molla wurde zuvor zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt, jedoch verschärfte der Oberste Gerichtshof das Urteil später aufgrund von Massenprotesten zu einer Todesstrafe, die am 12. Dezember 2013 vollstreckt wurde. Die ebenfalls 2013 verurteilten Salahuddin Quader Chowdhury und Ali Ahsan Mohammad Mojaheed wurden am 22. November 2015 im Zentralgefängnis der Hauptstadt Dhaka gehängt. Siehe auch Erster Indisch-Pakistanischer Krieg (Erster Kaschmirkrieg) Zweiter Indisch-Pakistanischer Krieg (Zweiter Kaschmirkrieg) Kargil-Krieg (Vierter Indisch-Pakistanischer Krieg) Literatur Tahmima Anam: Zeit der Verheißungen. Roman. Insel Verlag, Berlin 2010, ISBN 978-3-458-17464-6. Anna Greshake: Praktiken der Zugehörigkeit im Flüchtlingscamp. Die urdusprachige Minderheit in Bangladesch – der lange Schatten der indischen Teilung, in: Zeithistorische Forschungen 15 (2018), S. 474–497. Weblinks Einzelnachweise Krieg (20. Jahrhundert) Unabhängigkeitskrieg Südasiatische Geschichte Geschichte Bangladeschs Militärgeschichte (Pakistan) Indische Militärgeschichte Krieg (Asien) Konflikt 1971 Politik 1971
Q371394
111.455676
251416
https://de.wikipedia.org/wiki/Jilin
Jilin
Jilin (), deutsche Transkription der chinesischen Post Kirin, ist eine Provinz in der Mandschurei, dem Nordosten der Volksrepublik China. Außerdem gibt es eine gleichnamige Stadt in dieser Provinz, die östlich von Changchun liegt. Geographie Angrenzende Provinzen: Heilongjiang, Liaoning, Innere Mongolei Angrenzende Staaten: Nordkorea, Russland Die geographischen Besonderheiten Jilins werden in einem chinesischen Spruch mit yi shan san shui ( dt. ein Gebirge – drei Flüsse) umrissen. Der Berg ist das Changbai-Gebirge im Südosten. Die drei Flüsse sind der Grenzfluss Yalu Jiang, der Songhua Jiang und der Liao He. In Jilin herrscht ein nördlich kontinentales durch den Monsun bestimmtes Klima, mit langen kalten Wintern und kurzen warmen Sommern. Die durchschnittliche Temperatur im Januar schwankt zwischen −20 und −14 °C. Der mittlere Regenfall beträgt 350 bis 1000 mm. Administrativ ist Jilin in acht bezirksfreie Städte und einen Autonomen Bezirk untergliedert (Stand: Zensus 2020): Stadt Changchun (), 24.629 km², 9.066.906 Einwohner; Stadt Jilin (), 27.120 km², 3.623.713 Einwohner; Stadt Siping (), 10.022 km², 1.814.733 Einwohner; Stadt Liaoyuan (), 5.140 km², 996.903 Einwohner; Stadt Tonghua (), 15.608 km², 1.812.114 Einwohner; Stadt Baishan (), 17.474 km², 972.248 Einwohner; Stadt Songyuan (), 21.089 km², 2.252.994 Einwohner; Stadt Baicheng (), 17.474 km², 972.248 Einwohner; Autonomer Bezirk Yanbian der Koreaner (), 43.508 km², 1.982.464 Einwohner. Größte Städte Die zehn größten Städte der Provinz mit Einwohnerzahlen der eigentlichen städtischen Siedlung auf dem Stand der Volkszählung 2010 sind die folgenden: Geschichte Das Gebiet des heutigen Jilin gehört in früheren Zeiten zu den Reichen Goguryeo und Balhae. Mit der Pekinger Konvention von 1860 wurde der nordöstliche Teil des Gebietes an das Russische Zarenreich abgetreten und Teil der Provinz Primorje. Nach dem Russisch-Japanischen Krieg 1905 musste Russland die Mandschurei räumen. 1932 wurde die Provinz der japanischen Marionettenregierung von Mandschukuo zugeschlagen. Im Zweiten Weltkrieg hatte die Kaiserlich Japanische Armee Truppen in Jilin. Die Einheit 731, eine geheime Einrichtung der Kwantung-Armee, hatte hier ihren Sitz. Sie nahm hier Experimente an lebenden Menschen vor und tötete auf diese Weise mehrere Tausend Menschen. Bei Kriegsende 1945 wurden bei der Zerstörung der Produktionsstätten durch die japanische Armee mit Pest infizierte Ratten freigelassen, die in der Provinz und auch in Heilongjiang eine Epidemie mit über 20.000 Todesopfern auslösten. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Provinz durch die Rote Armee im Rahmen der sowjetischen Invasion der Mandschurei erobert. Die Sowjetunion übergab dieses Gebiet später der Kommunistischen Partei Chinas, die von hier aus zur Eroberung ganz Chinas im Chinesischen Bürgerkrieg aufbrach. Demographie und Autonomie Etwa 91 % der Bevölkerung sind Han-Chinesen. Obwohl der Anteil der Koreaner 4 % der Bevölkerung der Provinz ausmacht, umfassen ihr autonomer Bezirk und der autonome Kreis Changbai (in der Stadt Baishan) knapp ein Viertel (24,6 %) der gesamten Fläche der Provinz Jilin. Auch der Anteil der Mandschu liegt bei 4 %, ihr autonomer Kreis Yitong (Siping) macht jedoch nur 1,3 % der Provinzfläche aus. Der Anteil der Mongolen liegt bei 0,6 %, ihr autonomer Kreis Vorderer Gorlos (Songyuan) macht 2,7 % der Provinzfläche aus, da er erheblich dünner besiedelt ist. Die Provinz Jilin war die erste chinesische Provinz, in der Frauen eine künstliche Befruchtung erlaubt wurde. Bevölkerungsentwicklung Bevölkerungsentwicklung der Provinz seit dem Jahre 1954. Wirtschaft In der Provinzhauptstadt Changchun wurde in den 1950er Jahren mit Hilfe der Sowjetunion das Erste Automobilwerk gebaut, das über dreißig Jahre lang den Lastwagentyp Jiefang (= Befreiung) mit 95 PS produzierte, ohne dass irgendeine Änderung vorgenommen wurde. Den ersten Modellwechsel gab es im Jahr 1987, der Viertonner wurde zum Fünftonner mit stärkerem Motor aufgerüstet. Der Bedeutung dieses Werkes tragen auch westliche Konzerne Rechnung: Volkswagen lässt hier den Golf IV sowie den Jetta zusammenbauen, für Daimler-Chrysler werden verschiedene Mercedes-Modelle montiert. Seit 1958 wurde hier auch der klassische Funktionärswagen „Rote Fahne“ (Hongqi) gebaut. Tourismus Das 220.000 Hektar große Naturschutzgebiet des Changbai-Gebirges, das größte Schutzgebiet Chinas, erstreckt sich 250 Kilometer an der Grenze zu Korea. Es wurde in das internationale Naturschutzprogramm der UNESCO aufgenommen. Die Felsen des Changbai schimmern weiß, wovon sich der Name ableitet (immer weiß). Einer der Gipfel ist der 2.155 Meter hohe Baitoushan Weißkopf-Berg, ein erloschener Vulkan. Auf dessen Spitze breitet sich der bekannte, 9,2 km² große Himmelssee aus, ein über 300 Meter tiefer Krater, der bei einem Vulkanausbruch im Jahr 1702 entstand und sich mit Wasser füllte. Weblinks Einzelnachweise Provinz (China) Verwaltungseinheit als Namensgeber für einen Asteroiden
Q45208
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https://de.wikipedia.org/wiki/Wochentag
Wochentag
Als Wochentag bezeichnet man einen Tag der Woche, der in wiederkehrender Benennung und gleichbleibender Reihenfolge das gesamte Jahr des bürgerlichen Kalenders über vorkommt, und zwar im deutschen Sprachraum den Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag beziehungsweise Sonnabend und Sonntag. Benennung der Wochentage Die sieben Tage der babylonischen Woche wurden nach den mit bloßem Auge sichtbaren Planeten des geozentrischen Weltbilds benannt (Sonne, Mond, Mars, Merkur, Jupiter, Venus, Saturn), die zum Zeitpunkt der Benennung selbst als Götter angesehen wurden. Als die Germanen diese Namen im 4. Jahrhundert kennenlernten, benannten sie diese nach den Namen der den römischen Göttern ungefähr entsprechenden germanischen Gottheiten um. Im Zuge der Christianisierung wurde zu einem späteren Zeitpunkt versucht, diese heidnischen Namen wieder zurückzudrängen, was aber im deutschsprachigen Raum nur beim Mittwoch und Samstag gelang. Deutsche Wochentagsnamen Die Wochentagsnamen im Deutschen gehen auf die germanischen Bezeichnungen der Wochentage zurück. Die Namen der Wochentage sind Lehnübersetzungen aus dem Lateinischen, wobei für die römischen Götter die germanischen Entsprechungen eingesetzt wurden (Wodan für Mercurius, Thor für Jupiter usw.). Die lateinischen Bezeichnungen gehen ihrerseits auf die ursprünglichen babylonischen Götternamen zurück: Bei der Christianisierung des (althoch-)deutschen Sprachraums waren die Missionare darum bemüht, möglichst Wochentagsnamen durchzusetzen, die nicht an heidnische (römische oder germanische) Götter erinnerten. Das wird einerseits an Mittwoch deutlich, wo mit der Bezeichnung des Tages im Wochenablauf der eigentlich zu erwartende Name Wotan (vgl. engl. Wednesday) umgangen wurde. Das andere Beispiel ist die Benennung des Tages vor Sonntag: Das aus dem Lateinischen (Saturni dies) entlehnte Satertag dehnt sich zwar bis ins Englische aus (Saturday), wird aber im deutschen Sprachraum mehr und mehr durch zwei andere Begriffe verdrängt – einen neutralen Sonnabend und einen christlich geprägten Samstag. Satertag/Saterdag erhält sich nur im Niederdeutschen Raum und heute auch da nur noch in der Mundart. Sonnabend ist der in Nordostdeutschland gebräuchliche Name und bezeichnet den ganzen Tag vor dem Sonntag (wie auch Heiligabend im Nordosten den ganzen Tag vor dem ersten Weihnachtstag bedeutet). Der Samstag ist sprachgeschichtlich aus der Bezeichnung für den Sabbat hervorgegangen. Dieser Ausdruck verbreitete sich unter lautlicher Abwandlung vom Orient aus über Griechenland, die Donau aufwärts, in den romanischen Sprachraum (französisch samedi, italienisch sabato) und in die deutschen Bistümer Mainz und Trier. Mittlerweile wandert diese Bezeichnung weiter nach Norden und scheint den „Sonnabend“ allmählich zu verdrängen. Namensgeber für den Dienstag ist in manchen Dialekten der griechische Kriegsgott Ares. Der „Arestag“ wird dann je nach Gegend z. B. zu Ertag, Irta o. ä. Der Donnerstag war früher der fünfte Tag der Woche, und so erklärt sich das mancherorts noch vorhandene „Pfinsda“ o. ä. Namen von Tagen in der Sieben-Tage-Woche Die folgende Tabelle liefert einen Überblick über die Namen der Wochentage in einigen europäischen und asiatischen Sprachen. Im Portugiesischen werden die Wochentage außer Samstag und Sonntag durchgezählt, wobei der Montag der zweite und der Freitag der sechste Tag ist. Das bedeutet, dass der Samstag (Sabbat) als siebter Wochentag gerechnet wird. Ebenso ist es in Japan (siehe Japanische Zeitrechnung, Wochentage). In China werden die Wochentage von Montag (1) bis Samstag (6) durchgezählt und entsprechend benannt, der Sonntag ist jedoch nicht der Tag sieben, sondern der „Himmelstag“. Zählung der Wochentage Bis Ende 1975 war der Sonntag in der Bundesrepublik Deutschland der erste Wochentag gemäß der mittelalterlichen Wochentagszählung. Diese Regelung wurde durch die inzwischen nicht mehr gültige DIN 1355-1 abgelöst, die den Montag zum ersten Wochentag machte. In der DDR trat eine vergleichbare Änderung bereits 1969 in Kraft. Auch die heute gültige ISO 8601 bestimmt den Montag zum ersten Tag der Woche. Der Sonntag ist auch heute noch in England, Nordamerika und vielen anderen Teilen der Welt der erste Wochentag, entsprechend der jüdischen und christlichen Zählung. Seit 1978 ist auf Beschluss der UNO der Montag international der erste Tag der Woche, der Sonntag wird zusammen mit dem Samstag zum Wochenende gerechnet. Die Tage Montag bis Samstag gelten als Werktage, der Sonntag als besonders geschützter Ruhetag. Symbole für die Wochentage Seit dem Mittelalter wurden die in Astronomie und Astrologie üblichen Planetensymbole auch für die Wochentage verwendet. Für die Werktage findet sich dies in Kirchenbüchern bis ins 18. Jahrhundert. Für den Sonntag wurde dort allerdings nicht das Sonnensymbol, sondern „Dom.“ oder „dies dominica“ verwendet. Die Planetennamen entsprechen hierbei den römischen Wochentagen. Berechnung Zur Berechnung des Wochentages für ein gegebenes Datum gibt es verschiedene Verfahren. Diese sind in eigenen Hauptartikeln dargestellt: Doomsdaymethode Gaußsche Wochentagsformel Sonntagsbuchstabe Wochentagsberechnung Zellers Kongruenz Wochentagsamnesie, Feiertage Durch Arbeit, Schule, Einkaufen, Verkehr(en), Informations- und Unterhaltungsmedien, Kirchenbesuch und andere an einen bestimmten Tag der Woche gebundene Termine leben Menschen in einem Wochenrhythmus. Längere Urlaube, Aufenthalt in den Bergen oder einem Gefängnis, Arbeitslosigkeit, aber auch Zeiten eines Corona-Lockdowns erschweren Personen das spontane Erinnern des aktuellen Wochentags – die sogenannte Wochentagsamnesie nimmt zu. Umgekehrt hilft die Angabe des Wochentags zu einem numerischen Tagesdatum, sich einen nicht allzu fern liegenden Termin, etwa einer Veranstaltung, einzuprägen. Feiertage, die oft an numerisch festen Tagen liegen, strukturieren mitunter einzelne Wochen durch Unterbrechen der Werktagsreihe. „Auf welchen (Wochen-)Tag fällt der Nationalfeiertag?“ Literatur Tomislav Talanga: Deutsche Wochentagsnamen. In: Zagreber Germanistische Beiträge. Nr. 9, 2000, , S. 141–157, (online). Weblinks Identifikation eines Wochentages zu einem bestimmten Datum Wochentagsberechnung im Kopf Ausführliche Anleitung zur Berechnung der Wochentage im Kopf Alternative, PDF Anmerkungen Wikipedia:Artikel mit Video
Q41825
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https://de.wikipedia.org/wiki/Furcht
Furcht
Furcht (< althochdeutsch for(a)hta < gotisch faurhtei) ist das Gefühl einer Bedrohung. Sie bezeichnet die Reaktion der Psyche auf eine gegenwärtige oder vorausgeahnte Gefahr. Siegbert Warwitz unterscheidet die konkrete Furcht (lateinisch timor) von dem Begriff der abstrakten, diffusen Angst, sowie von Panik oder Phobie. Furcht verfüge über einen innerweltlich erfassbaren Gegenstand, sei meist rational begründbar und auf ein Konkretum gerichtet, das als reale Bedrohung wahrgenommen werde. Sie werde deshalb auch als „Realangst“ bezeichnet. Angst hingegen sei ein ungerichteter Gefühlszustand, der als Gestimmtheit die Welterschließung im Ganzen betreffe. Je nach Grad der Abstraktheit oder Konkretheit des zugrundeliegenden Vorstellungskomplexes seien Übergänge zwischen Angst und Furcht möglich. Begriffe wie Ehrfurcht oder Gottesfurcht betonen die Achtung (den Respekt) vor einer bestimmten Übermacht. Im psychologischen und biologischen Sinne ist die Furcht eines Lebewesens vor einem Objekt (Lebewesen, Gegenstand oder Situation) dessen (emotionale) Reaktion auf das Wissen oder die Vermutung, dass von dem Objekt eine Gefahr ausgeht. Die Furcht ist somit lebensnotwendig, da sie dazu motiviert, gegen die Bedrohung Abwehrmaßnahmen zu ergreifen (z. B. erhöhte Wachsamkeit), ihr zu entgehen oder ihr entgegenzutreten ("Fight or flight"). Zitat Vergil lässt Laokoon in der Aeneis die Trojaner vor den Griechen mit den Worten warnen:Timeo Danaos et dona ferentes – nach Schiller: „Die Griechen fürchte ich, und doppelt, wenn sie schenken.“ (Gemeint ist das Trojanische Pferd.) Siehe auch Angst Furchtappell Phobos (Mythologie) Sorge Literatur Andreas Dorschel, Furcht und Angst, in: Il cannochiale. rivista di studi filosofici. 1993, Nr. 3, S. 53–72. Siegbert A. Warwitz: Die Funktion von Angst und Furcht. In: Ders.: Sinnsuche im Wagnis. Leben in wachsenden Ringen. Erklärungsmodelle für grenzüberschreitendes Verhalten. 3., erweiterte Auflage. Verlag Schneider. Baltmannsweiler 2021. ISBN 978-3-8340-1620-1, S. 32–39. Weblinks Einzelnachweise Allgemeine Psychologie Konfliktforschung Furcht
Q44619
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https://de.wikipedia.org/wiki/Bissau
Bissau
Bissau [] ist die Hauptstadt des westafrikanischen Staates Guinea-Bissau. Im Jahr 2007 hatte Bissau rund 410.000 Einwohner. Die Stadt ist administratives, politisches und wirtschaftliches Zentrum des Landes. Sie verfügt über den einzigen internationalen Flughafen und Tiefseehafen des Landes. Administrativ bildet die Stadt den Autonomen Sektor Bissau, der an die Verwaltungsregionen Oio und Biombo grenzt. Geographie Die Küste Guineas ist insgesamt stark gegliedert – zahlreiche Ästuare reichen bis tief ins Landesinnere. Aufgrund des großen Tidenhubes ist praktisch die gesamte Küstenzone mit Mangrovenwäldern bedeckt. So ist auch Bissau von Flussläufen und sumpfigen Mangrovengebieten umgeben, die es de facto zu einer Insel machen. Die Stadt liegt am nördlichen Ufer des Rio Geba, der hier in einem rund 10 km breiten Ästuar in den Atlantischen Ozean mündet. Der Küste vor Bissau vorgelagert liegen die Inseln des Bissagos-Archipels. Wirtschaft und Infrastruktur Wirtschaft Da die Stadt das Handelszentrum des Landes ist, wird über Bissau fast der gesamte Import (Nahrungsmittel und Konsumgüter) und Export (Cashewnüsse und Harthölzer) abgewickelt. Im ehemaligen portugiesischen Stadtzentrum (Praça) liegen vor allem die Ministerien, Banken, Restaurants, Hotels und Verwaltungseinrichtungen, während der private Handel auf dem an der Stadtautobahn liegenden Bandim-Markt und in angrenzenden Vierteln abgewickelt wird. Der Staat und die Hilfsorganisationen sind die größten Arbeitgeber. Ein Großteil der Bevölkerung verdient seinen Lebensunterhalt jedoch im Kleinhandel. Wichtigste Handelsplätze sind die über 25 lokalen Stadtmärkte in den jeweiligen Wohnvierteln. Infrastruktur Die ohnehin schon schwache Infrastruktur wurde im Bürgerkrieg von 1998/99 weiter zerstört. Asphaltiert sind nur die wichtigen Verbindungs- und Ausfallstraßen sowie die Straßen im Stadtzentrum. Strom- und Wasserversorgung Die öffentliche Strom- und Wasserversorgung beschränkt sich ebenfalls auf das Stadtzentrum und funktioniert auch dort nur sporadisch. Größere Geschäfte und Hotels organisieren die Versorgung privat. So liegt Bissau als eine der letzten Hauptstädte weltweit nachts fast vollständig im Dunkeln. Städtebau Die meisten öffentlichen Gebäude sind in einem schlechten Zustand, aber auch in der sonstigen Altstadt verfallen viele Gebäude zusehends. Verkehr Der Nahverkehr in Bissau liegt in privater Hand. Es verkehren fast ausschließlich Sammeltaxis, hier Toka-Tokas genannt. Die Sammeltaxis zirkulieren frei durch die Stadt, während der Toka-Toka-Verkehr auf festgelegten Routen zwischen den Randbezirken und dem Stadtzentrum verkehrt. Im Fernverkehr sind von Bissau aus alle Regionen des Landes erreichbar. Derzeit gibt es zwei Busbahnhöfe in Bissau. Der zentrale Busbahnhof befindet sich an der Stadtautobahn in der Nähe der Nationalbank. Von dort gibt es Verbindungen in fast alle Landesteile sowie internationale Verbindungen nach Gambia und in den Senegal. Der Verkehr mit der Region Biombo wird über einen separaten Busbahnhof im Bairro Belém abgewickelt. Der internationale Flughafen Osvaldo Vieira International liegt etwa 9 km vom Stadtzentrum am nordwestlichen Stadtrand. Planmäßig gibt es Verbindungen nach Casablanca, Dakar und Lissabon. Vom Hafen im Stadtzentrum gibt es regelmäßige Verbindungen zum Bissagos-Archipel, die größtenteils mit Pirogen abgewickelt werden. Geschichte Frühzeit und Gründung bis 1753 Portugiesische Seefahrer und Händler erreichten ab 1446 die obere Guineaküste und errichteten dort zahlreiche Handelsstützpunkte. Die Anfänge Bissaus gehen in das 16. Jahrhundert zurück – ein genaues Gründungsdatum ist allerdings nicht bekannt. Das erste schriftliche Zeugnis stammt wohl aus dem Jahre 1594, das sich nicht auf den Ort bezieht, sondern auf eine ethnische Gruppe, die sich als „Bisãos“ (Pepel) bezeichneten. Die Stadtentwicklung lässt sich in fünf Phasen teilen: Seit dem 16. Jahrhundert ließen sich portugiesische/kapverdische Händler in Bissau nieder. Sie standen von Beginn an in Konflikt mit der lokalen Pepel-Bevölkerung, mit der es zu ständigen Kriegen kam. Die Motive der Ansiedlung waren meist ökonomischer Natur. Es wurde mit Sklaven, Elfenbein und Bienenwachs gehandelt. Die sogenannten Lançados (illegale portugiesische Händler) und Grumeten (christianisierte Afrikaner; eigentl. ) untergruben erfolgreich das Handelsmonopol der portugiesischen Krone. Die Verleihung des Kapitanatstatuts 1692 kann als eigentliche Geburtsstunde Bissaus angesehen werden, da die Stadt ab diesem Zeitpunkt auch offiziell mit Portugal verbunden war. 1696 wurde mit dem Bau eines Forts begonnen, welches jedoch schon 1707 auf Anordnung aus Portugal wieder zerstört wurde. Der Ort wurde von offizieller Seite verlassen. In der Folgezeit dominierten die Franzosen, die auch mehrfach versuchten ein Fort zu errichten, den Ort. Konsolidierung von 1753 bis 1913/15 1753 begannen die Portugiesen erneut mit dem Bau eines Forts, das erst 1775 fertiggestellt werden konnte. Bis in die 1850er Jahre dominierte der Sklavenhandel den Ort. 1852 wurde Bissau zum Hauptort des Distriktes Guinea, verlor diese Position aber 1879 an das auf der gleichnamigen Insel liegende Bolama, das zur Hauptstadt der neu geschaffenen Provinz Portugiesisch-Guinea wurde. Bissau war auch Anfang des 20. Jahrhunderts nur ein kleiner Ort, der lediglich aus einem Fort, angrenzender ummauerter Kaufmannssiedlung, Hafen und ein paar Verwaltungsgebäuden bestand. Erst nach der Niederschlagung des letzten Widerstandes der lokalen Bevölkerung 1913/15 begann der Ort in stärkerem Maße zu wachsen. Erste Expansionszeit von 1913/15–1941 In den 1920er Jahren entstanden, nachdem ein erster Urbanisationsplan erstellt worden war, Teile des heutigen Zentrums. Das Dorf der Grumeten wurde an der Peripherie wieder aufgebaut. Nachdem Anfang des 20. Jahrhunderts die Deutschen den Handel in der Hand hatten, übernahmen diesen nun wieder französische Handelshäuser. Portugal gelang es erst in den 1930er Jahren das eigene Handelsmonopol durchzusetzen. Ab 1936 wurde mit den Vorbereitungen zur Übertragung der Hauptstadt nach Bissau begonnen. Zweite Expansionszeit von 1941–1974 Am 19. Dezember 1941 wurde die Hauptstadt von Bolama nach Bissau verlegt. In der Folge wurden weitere Verwaltungs- und Wirtschaftsgebäude errichtet. 1953 wurde die erste Straße in Bissau asphaltiert. Das europäische Stadtzentrum entstand in seiner heutigen Ausdehnung. Ab Ende der 1950er Jahre kam es noch einmal zu einer Modernisierung und einem Ausbau der Infrastruktur allgemein. Die Bevölkerungszahl Bissaus stieg von rund 18.000 im Jahr 1950 auf rund 70.000 im Jahr 1970, da nach Ausbruch des Befreiungskampfes 1963 viele Menschen Zuflucht in der Stadt suchten. Bissau wurde während des Befreiungskrieges zweimal, 1968 und 1971 direkt angegriffen. Dritte Expansionszeit von 1974 bis heute Am 24. September 1973 erklärte die guineische Unabhängigkeitsbewegung PAIGC Guinea-Bissau mit der Hauptstadt Madina do Boé einseitig für unabhängig. Nach der Anerkennung durch Portugal am 10. September 1974 wurde die Hauptstadt wieder nach Bissau verlegt. In der Folge entwickelte sich die Stadt zum politischen und ökonomischen Zentrum des Landes. Die verfehlte Entwicklungspolitik der PAIGC, die in den 1970er Jahren eine Industrialisierung wollte und das Landesinnere weitgehend vernachlässigte, trug zum weiteren starken Bevölkerungswachstum der Stadt bei, die diesem städteplanerisch nicht hinterher kommen konnte. Die Mehrzahl der Aktivitäten von Regierung und Hilfsorganisationen beschränkte sich auf Bissau. Dennoch kam es nie zu der Durchführung eines Urbanisierungsplanes. Die Stadt wuchs und wächst entlang der Ausfallstraßen. 1990 wurde die Bevölkerungszahl auf rund 200.000 geschätzt. Während des Bürgerkrieges von 1998/99 kam es zu schweren Beschädigungen an der ohnehin schon schwachen Infrastruktur – die Frontlinie verlief ausgerechnet durch die einzige Industriezone der Stadt. Ein Großteil der Bevölkerung verließ während des Krieges die Stadt und suchte Zuflucht bei Familienangehörigen auf dem Land. Religion Die Bevölkerung Bissaus ist religiös gemischt. Da hier der Anteil an Personen, die von der portugiesischen Kultur geprägt sind, besonders hoch ist, gibt es eine starke Minderheit von Katholiken. Die Stadt ist Sitz des Bistums Bissau. Zahlenmäßig überwiegen jedoch die Muslime, die meist Angehörige islamisierter Ethnien des Landes sind, zu denen in jüngerer Zeit Zuwanderer aus den Nachbarländern kommen. Ein schwer bestimmbarer Teil der Bevölkerung bekennt sich zu traditionellen afrikanischen Religionen. Der Protestantismus ist in Form von Pfingstkirchen präsent, die ihren Ursprung zum Teil in Brasilien haben. Sport Fußball ist der populärste Sport im Land. Bissau beherbergt die beiden erfolgreichsten Klubs der ersten Liga, dem Campeonato Nacional da Guiné-Bissau: den Rekordmeister Sporting Clube de Bissau, ein Filialverein des portugiesischen Klubs Sporting Lissabon, und den kaum weniger erfolgreichen Sport Bissau e Benfica, ein Filialverein des portugiesischen Benfica Lissabon. Weitere Hauptstadtvereine sind Mavegro FC, FC Cuntum, der dreifache Meister União Bissau, der Militärklub Estrela Negra de Bissau, der auch kulturell und sozial stark engagierte Ajuda Sport de Bissau, und Sport Portos de Bissau, die Werkself des Hafens von Bissau. Die Klubs tragen ihre Heimspiele meistens in einem der beiden Hauptstadien der Stadt aus, dem Nationalstadion Estádio 24 de Setembro oder dem Estádio Lino Correia. Der Amílcar-Cabral-Cup, ein westafrikanisches Nationenturnier, fand 1979, 1988 und 2007 in Bissau statt. Klimatabelle Städtepartnerschaften : Dakar : Águeda (seit 1995) : Lissabon (seit 1983) : Moura (seit 1997) : Rio Maior (Kooperationsabkommen seit 2015) : Sintra (seit 1997) Söhne und Töchter der Stadt Luís Cabral (1931–2009), erster Präsident Guinea-Bissaus Henrique Medina Carreira (1930–2017), portugiesischer Politiker und Jurist, Finanzminister 1976–1978 João Bernardo Vieira (1939–2009), langjähriger Präsident Guinea-Bissaus Hilia Barber (* 1944), Diplomatin und Politikerin Veríssimo Correia Seabra (1947–2004), kurzzeitiger Staatschef 2003 José Carlos Schwarz (1949–1977), Musiker, Lyriker und Diplomat Zinha Vaz (* 1952), Frauenaktivistin und Politikerin Julio Herbert Lopes (1954–2019), kapverdischer Diplomat und Politiker Nuno Severiano Teixeira (* 1957), portugiesischer Politiker, mehrmaliger Minister Adão da Silva (* 1957), Fußballspieler Malam Djassi (* 1958), Diplomat Antonieta Rosa Gomes (* 1959), Politikerin Fátima Djarra Sani (* 1968), Frauenrechtlerin Helena Ferro de Gouveia (* 1971), portugiesische Journalistin, Dozentin und Autorin Nélson Gama (* 1972), portugiesischer Fußballspieler Daniel Kenedy (* 1974), Fußballspieler Almami Moreira (* 1978), portugiesischer Fußballspieler Dionísio Mendes Fernandes (* 1981), Fußballspieler Sufrim Lopes (* 1981), Fußballspieler Joacine Katar Moreira (* 1982), portugiesische Politikerin Inzaghi Donígio (* 1985), Fußballspieler Yannick Djaló (* 1986), Fußballspieler Ivanildo Soares Cassamá (* 1986), Fußballspieler Zezinando Odelfrides Gomes Correia (* 1987), guinea-bissauisch-portugiesischer Fußballspieler Éderzito António Macedo Lopes (* 1987), Fußballspieler Leocísio Sami (* 1988), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Holder da Silva (* 1988), olympischer Leichtathlet Amido Baldé (* 1991), Fußballspieler Esmaël Gonçalves (* 1991), portugiesischer Fußballspieler Danilo Pereira (* 1991), Fußballspieler Aladje (* 1993), portugiesischer Fußballspieler Agostinho Cá (* 1993), Fußballspieler, portugiesischer Nationalspieler Toni Silva (* 1993), guinea-bissauisch-portugiesischer Fußballspieler Armindo Tué Na Bangna, Bruma (* 1994), Fußballspieler, portugiesischer Nationalspieler Edgar Ié (* 1994), Fußballspieler, portugiesischer U21-Nationalspieler Nadjack (* 1994), guinea-bissauisch-portugiesischer Fußballspieler Romário Baldé (* 1996), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Alfa Semedo (* 1997), Fußballspieler Hélder Baldé (* 1998), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Madiu Bari (* 1998), portugiesischer Fußballspieler Fali Candé (* 1998), guinea-bissauisch-portugiesischer Fußballspieler Toni Gomes (* 1998), Fußballspieler José Gomes (* 1999), portugiesischer Fußballspieler Toti Gomes (* 1999), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Domingos Quina (* 1999), portugiesischer Fußballspieler Romário Baró (* 2000), portugiesischer Fußballspieler Papu Mendes (* 2000), guinea-bissauisch-portugiesischer Fußballspieler Umaro Embaló (* 2001), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Zicky Té (* 2001), portugiesischer Futsalspieler Ansu Fati (* 2002), spanischer Fußballspieler Famana Quizera (* 2002), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Joelson Fernandes (* 2003), portugiesischer Fußballspieler Herculano Nabian (* 2004), portugiesisch-guinea-bissauischer Fußballspieler Roger Fernandes (* 2005), portugiesischer Fußballspieler Literatur Josef Ernst Kasper: Bissau. Existenzsichernde Strategien in einer westafrikanischen Stadt. Peter Lang, Bern 1995, ISBN 3-906752-02-X. Weblinks Einzelnachweise Hauptstadt in Afrika Guinea-bissauischer Sektor Ort in Guinea-Bissau Ort in Afrika Ort mit Seehafen
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Ereignisse Politik und Weltgeschehen Osmanisches Reich / Florenz Bernardo Bandini Baroncelli, einer der Hauptattentäter der Pazzi-Verschwörung gegen die Medici und mutmaßlicher Mörder Giuliano di Piero de’ Medicis, dem im Vorjahr die Flucht in das Osmanische Reich gelungen ist, wird auf Befehl von Sultan Mehmed II. im Frühjahr in Konstantinopel verhaftet. Ende des Jahres erreicht Lorenzo de’ Medici durch Verhandlungen mit der Hohen Pforte seine Auslieferung nach Florenz. Bandini wird nach Florenz zurückgeführt, am 28. Dezember zum Tode verurteilt und am folgenden Tag im Palazzo del Bargello durch den Strang hingerichtet. Ost-, Mittel- und Südosteuropa Die Republik Venedig unter dem im Vorjahr neu gewählten Dogen Giovanni Mocenigo schließt am 24. Januar Frieden mit dem Osmanischen Reich unter Sultan Mehmed II. und muss auf die Argolis, Negroponte, Skutari und Lemnos verzichten sowie darüber hinaus jedes Jahr 10.000 Golddukaten Tribut zahlen. Zu Beginn der Herrschaft von Matthias Corvinus erringen die ungarischen Feldherren Pál Kinizsi und István Báthory am 13. Oktober einen bedeutenden Sieg über die Türken in der Schlacht auf dem Brodfeld. Die Osmanen unter Ali Kodscha werden vernichtend geschlagen. Die Niederlage der Osmanen führt dazu, dass diese für längere Zeit Süd-Ungarn und Siebenbürgen nicht mehr angreifen. Mit dem Frieden von Olmütz legen Matthias Corvinus und Wladislaw von Polen den zehn Jahre andauernden Böhmisch-Ungarischen Konflikt bei. Corvinus verzichtet auf weitere Ansprüche in Böhmen, behält aber die böhmischen Nebenländer Mähren, Schlesien, Ober- und Niederlausitz sowie den Titel als König von Böhmen. Die böhmischen Herrschaftsansprüche desjenigen, der als Erster sterben sollte, sollen an den jeweils anderen fallen. Mit dieser Bestimmung wird die staatsrechtliche Einheit der Böhmischen Krone gewahrt, auch wenn es momentan zwei Könige gibt. Heiliges Römisches Reich 27. Juni: Mit dem Tod von Philipp I., dessen beide Söhne schon vor ihm gestorben sind, stirbt das Geschlecht der Katzenelnbogen in männlicher Linie aus. Die Grafschaft Katzenelnbogen inklusive der gleichnamigen Hauptstadt und der Stadt Darmstadt fällt an Landgraf Heinrich III. von Hessen, der mit Anna von Katzenelnbogen verheiratet ist. Aufgrund dieses Erbes erhält er den Beinamen „der Reiche“. Darmstadt sinkt für einige Zeit von einer bedeutenden Nebenresidenz zum Status einer Provinzstadt hinab. West- und Südwesteuropa Herzog Maximilian I. von Burgund aus dem Hause Habsburg besiegt am 17. August mit seinem Heer die Franzosen unter Philippe de Crèvecœur in der Schlacht bei Guinegate. König Ludwig XI. wollte seinem Reich weiteren burgundischen Besitz einverleiben. Der am 4. September im kastilischen Toledo unterzeichnete Vertrag von Alcáçovas beendet den kastilischen Erbfolgekrieg zwischen Kastilien und Portugal. Der portugiesische König Alfons V. erklärt seinen Verzicht aller Ansprüche auf den kastilischen Thron, dafür wird die portugiesische Oberhoheit über alle Gewässer und Ländereien südlich von Kap Bojador bekräftigt. Lediglich die Kanarischen Inseln werden Kastilien zugesprochen. Asien Das vietnamesische Reich Annam greift das benachbarte Lan Xang und schlägt es vernichtend, wobei der Thronfolger von Lan Xang Kone Keo ums Leben kommt. König Sai Tia Kaphut dankt daraufhin zugunsten seines ältesten verbliebenen Sohnes Suvanna Ban Lang ab, der eine Armee um sich sammelt und die Invasoren aus der Hauptstadt Luang Prabang vertreibt. Urkundliche Ersterwähnungen Furna wird erstmals urkundlich erwähnt. Wissenschaft und Technik 1. Juni: Die Universität Kopenhagen wird von König Christian I. errichtet. Erste urkundliche Erwähnung der Schwabacher Lateinschule Kultur und Gesellschaft 10. Juli: Der Stadtrat von Leipzig beschließt, zu eren der stadt und allen bürgern zu nutz und frommen Stadtpfeifer einzustellen. Die ersten Leipziger Stadtpfeifer sind Hans Nagel und seine zwei Söhne. Sie haben die Musik in den Kirchen mitzugestalten, regelmäßig am Rathaus zu blasen und zu Festlichkeiten aufzuspielen. Die Stadtpfeifer müssen vor Amtsantritt eine Prüfung ablegen und einen Eid leisten. Giovanni Dario, Sekretär des Senats der Republik Venedig, gibt bei dem bekannten Architekten Pietro Lombardo den Bau eines Palazzos im Sestiere (Viertel) von Dorsoduro, direkt am Canal Grande am Beginn des Rio delle Torreselle in Auftrag. Der Palazzo Dario wird im Jahr 1487 fertiggestellt. Der Korpus des Gebäudes wird im typischen Stil der italienischen Gotik errichtet, während die Fassade die Renaissance repräsentiert. Geboren 10. Januar: Johannes Cochläus, deutscher Humanist († 1552) 12. März: Giuliano di Lorenzo de’ Medici, Herzog von Nemours († 1516) 13. März: Lazarus Spengler, Ratsherr und Förderer der Reformation in Nürnberg († 1534) 20. März: Ippolito I. d’Este, Erzbischof von Gran, Mailand und Capua († 1520) 25. März: Wassili III., Großfürst von Moskau († 1533) 29. März: Reinhard von Leiningen-Westerburg, katholischer Geistlicher und Domdekan in Köln († 1540) 3. Mai: Heinrich V., Herzog von Mecklenburg-Schwerin († 1552) 5. Mai: Amar Das, Guru der Sikhs († 1574) 15. Juni: Lisa del Giocondo, Florentiner Bürgersfrau, vermutlich Modell für die Mona Lisa († 1542) 15. Juni: Veit Werner von Zimmern, deutscher Adeliger († 1499) 16. Juni: Bogdan III., Woiwode des Fürstentums Moldau († 1517) August: Katherine of York, englische Adelige und Mitglied des Hauses York († 1527) 17. September: Celio Calcagnini, italienischer Humanist († 1541) 6. November: Johanna von Kastilien, Königin von Kastilien, León und Aragón († 1555) 6. November: Philipp I., Markgraf von Baden († 1533) Leandro Alberti, italienischer Dominikaner und Historiker († um 1552) um 1479: Peter Henlein, deutscher Schlosser und angeblich Erfinder der tragbaren Uhr († 1542) Gestorben Januar bis Juli 18. Januar: Ludwig IX., Herzog von Bayern-Landshut (* 1417) 19. Januar: Johann II., König von Aragón, Sardinien und Navarra (* 1397 oder 1398) 12. Februar: Eleonore, Königin von Navarra (* 1425) zw. 14. und 25. Februar: Antonello da Messina, italienischer Maler (* um 1429/1430) 27. März: Jorge Manrique, kastilischer Dichter (* um 1440) 2. April: Berardo Eroli, Bischof von Spoleto und Kardinalbischof von Sabina (* 1409) 12. April: Bernhard Darsow, Ratsherr der Hansestadt Lübeck 13. April: Niklas von Wyle, deutscher Schriftsteller und Übersetzer (* um 1410) 21. April: Hans von Waltheim, Patrizier aus Halle (Saale), Reisender und Pilger (* 1422) 27. Juni: Philipp I., Graf von Katzenelnbogen (* 1402) 12. Juli: Silvester Stodewescher, Erzbischof von Riga August bis Dezember Anfang August: Adrian I. von Bubenberg, bernischer Schultheiß und Kommandant in der Schlacht bei Murten (* 1434) 3. August: Giacopo Antonio Venier, Kardinal der katholischen Kirche, Bischof von Syrakus, León und Cuenca (* 1422) 7. August: Wilhelm II., Graf und Herr zu Castell (* 1415) 2. September: Ulrich von Nußdorf, Fürstbischof von Passau 10. September: Jacopo Ammannati Piccolomini, italienischer Gelehrter und Kardinal der katholischen Kirche (* 1422) 23. September: Lucrezia d’Alagno, italienische Adelige, Mätresse von König Alfons V. von Aragón (* um 1430) 30. September: Margarethe von Savoyen, Königin von Sizilien, Pfalzgräfin und Gräfin von Württemberg (* 1420) 14. Oktober: Margarete von Bayern, Markgräfin von Mantua (* 1442) 6. November: James Hamilton, 1. Lord Hamilton, schottischer Adeliger (* um 1415) nach dem 19. Dezember: Nicole, Gräfin von Penthièvre (* vor 1434) 29. Dezember: Bernardo Bandini Baroncelli, italienischer Bankier und Attentäter (* 1420) Genaues Todesdatum unbekannt Petrus Mitte von Caprariis, französischer Präzeptor des Antoniter-Ordens Hans Strigel der Jüngere, Memminger Maler (* 1450) Gestorben um 1479 Luciano Laurana, dalmatinisch-italienischer Architekt und Baumeister (* um 1420) Weblinks
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Ereignisse Politik und Weltgeschehen Europa 7. Februar: Landgraf Friedrich IV. von Hessen-Homburg stirbt im Alter von 26 Jahren. Sein Sohn Friedrich V. ist zu diesem Zeitpunkt gerade drei Jahre alt. Ludwig VIII. von Hessen-Darmstadt versucht neuerlich, die Herrschaft über die Landgrafschaft zu erringen und übernimmt gemeinsam mit Friedrichs Mutter Ulrike Luise zu Solms-Braunfels die Regentschaft für den Unmündigen. 5. April: Der schwedische König Friedrich aus dem Haus Hessen, gleichzeitig Landgraf von Hessen-Kassel, stirbt, ohne einen legitimen Erben zu hinterlassen. In Schweden folgt ihm darauf Adolf Friedrich, der durch seinen Onkel Friedrich IV. von Schleswig-Holstein-Gottorf, dem Schwager Karls XII., mit dem schwedischen Königshaus verbunden ist, auf den Thron nach. Er wird am 26. November zum König gekrönt. In Hessen-Kassel wird Friedrichs Bruder Wilhelm VIII., der schon bisher die Regierungsgeschäfte geführt hat, neuer Landgraf. 22. Oktober: Nach dem Tod von Wilhelm IV. wird sein dreijähriger Sohn Wilhelm V. Fürst von Oranien und Nassau sowie Erbstatthalter der Niederlande unter der Vormundschaft seiner Mutter Anna von Großbritannien. 16. Dezember: Der elfjährige Leopold III. Friedrich Franz wird nach dem Tod seines Vaters Leopold II. Maximilian Fürst von Anhalt-Dessau unter der Vormundschaft seines Onkels Dietrich. Asien 23. Januar: Lobsang Trashi und weitere tibetische Aufständische des Vorjahres werden von der chinesischen Justiz durch Zerstückelung hingerichtet, ihre Köpfe aufgespießt und öffentlich zur Schau gestellt. Das Kaiserreich China besetzt als Reaktion auf den Aufstand die Hauptstadt Lhasa und erzwingt vom tibetischen Dalai Lama Kelsang Gyatsho die Unterzeichnung eines Protektoratsvertrages. 31. August: Der zweite Karnataka-Krieg zwischen dem Königreich Großbritannien und Frankreich in Indien beginnt, nachdem der französische Generalgouverneur Joseph François Dupleix sich mit einheimischen Herrschern verbündet hat, um Unruhen und Aufstände gegen die britische Herrschaft zu schüren. Englische Truppen unter Sir Robert Clive erobern die Festung Arcot westlich von Madras. Während des Konflikts befinden sich die Mutterländer offiziell im Frieden. Die kämpfenden Truppen unterstehen formell ausschließlich der British East India Company und der Französischen Ostindien-Kompanie. Wirtschaft 9. Januar: Die Lübeckischen Anzeigen werden angekündigt und erscheinen in der Folge jeden Samstag. 24. Mai: Friedrich der Große gründet die Königlich Preußische Asiatische Compagnie in Emden nach Canton und China. Das Interesse an den ausgegebenen Aktien ist groß. Einer der Großaktionäre ist das Bank- und Handelshaus Splitgerber & Daum in Berlin. Der Schusswaffenhersteller J. P. Sauer & Sohn wird in Suhl gegründet. Die Oxford-Burcot Commission zur Verwaltung der Themse wird durch die Thames Navigation Commission ersetzt. Wissenschaft und Technik Ausbildung 14. Dezember: In Wiener Neustadt wird im Auftrag von Erzherzogin Maria Theresia die Theresianische Militärakademie unter dem Kommandanten Leopold Joseph von Daun gegründet. In Paris wird die École militaire gegründet, deren Hauptgebäude allerdings erst Jahrzehnte später erbaut werden. Das Schullehrer-Seminar zu Hannover wird gegründet. Naturwissenschaften Dem schwedischen Chemiker Axel Frederic Cronstedt gelingt die reine Darstellung des Elements Nickel. Der französische Mönch und Astronom Nicolas-Louis de Lacaille entdeckt von seinem Beobachtungspunkt am Kap der Guten Hoffnung aus unter anderem den Emissionsnebel 30 Doradus, den Kugelsternhaufen 47 Tucanae und zahlreiche Offene Sternhaufen wie das später so genannte Herschels Schmuckkästchen, sowie IC 2602, NGC 2516, NGC 5662, NGC 6025 und NGC 6124. Die meisten Objekte charakterisiert er jedoch irrtümlich als Sterne. Sonstiges In Frankreich wird der erste Band der Encyclopédie ou Dictionnaire raisonné des sciences, des arts et des métiers fertiggestellt und erscheint im Januar des folgenden Jahres. Das von Denis Diderot und Jean le Rond d’Alembert herausgegebene Werk wird zum Sprachrohr der Aufklärung. Die Akademie der Wissenschaften zu Göttingen wird gegründet. Kultur Bildende Kunst Der englische Grafiker William Hogarth fertigt die sozialkritischen Kupferstiche Beer Street, Gin Lane sowie Four Stages of Cruelty. Literatur Thomas Gray verfasst die Elegy Written in a Country Church-yard. Es ist bis heute eines der populärsten und am häufigsten zitierten Gedichte der englischen Sprache. Richard Owen Cambridge verfasst das epische Spottgedicht The Scribleriad auf den Scriblerus Club. Musik und Theater 9. Februar: Die Uraufführung der Oper Ifigenia in Aulide von Niccolò Jommelli findet am Teatro Apollo in Rom statt. 1. März: Das Oratorium The Choice of Hercules von Georg Friedrich Händel hat seine Uraufführung am Londoner Covent Garden Theatre statt. Weil das Werk für eine abendfüllende Unterhaltung nicht geeignet und das Oratorium Alexander's Feast mit anderthalb Stunden relativ kurz ist, spielt Händel The Choice of Hercules als dritten Akt für Alexander's Feast. 27. Oktober: Das Libretto Il re pastore von Pietro Metastasio wird in der Vertonung von Giuseppe Bonno im Gartentheater von Schloss Schönbrunn bei Wien erstmals aufgeführt. Eine weitere Vertonung von einem unbekannten Komponisten wird noch im gleichen Jahr in Hamburg zur Aufführung gebracht. Ein Jahr nach dem Tod Johann Sebastian Bachs erscheint sein unvollendetes Werk Die Kunst der Fuge. Der italienische Komponist und Violinist Francesco Geminiani veröffentlicht das Lehrbuch The Art of Playing the Violin. Gesellschaft 11. März: John Hill verfasst die weltweit erste Kolumne in der Zeitung London Adviser and Literary Gazette unter seinem Pseudonym The Inspector. 15. März: In Portugal erlässt König Joseph I. eine Verordnung gegen das Anbringen von Stierhörnern an den Häusern von gehörnten Ehemännern. 24. April: In Endingen am Kaiserstuhl wird Anna Schnidenwind nach einem der letzten Hexenprozesse in Europa nach vorheriger Erdrosselung auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Sie wurde für den verheerenden Brand Wyhls am 7. März verantwortlich gemacht, den sie wohl beim Räuchern ausgelöst hat. Das Feuer hat einen Großteil der Ortschaft zerstört. 29. August: Im Keller des Heidelberger Schlosses wird die vierte Version des Großen Fasses, das größte Weinfass der Welt fertiggestellt. Es kann 221.726 Liter Wein aufnehmen. England stellt das seit dem 13. Jahrhundert praktizierte Jahresende vom 24. März auf den 31. Dezember um. Benjamin Franklin und Thomas Bond gründen in Philadelphia in der Province of Pennsylvania das Pennsylvania Hospital, das älteste Krankenhaus auf dem Gebiet der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika. In Landsberg am Lech ist erstmals das Ruethenfest nachweisbar. Religion 18. Mai: Papst Benedikt XIV. veröffentlicht die päpstliche Bulle Providas romanorum, in der er sich wie seine Vorgänger gegen die Freimaurerei richtet, und allen katholischen Christen den Umgang mit Freimaurern verbietet. 6. Juni: Mit der päpstlichen Bulle Incuncta nobis wird das Patriarchat von Aquileia endgültig aufgelöst und wird auf das Erzbistum Udine und das Erzbistum Görz aufgeteilt. 18. November: Jean-Martin de Prades verteidigt seine theologische Dissertation an der Sorbonne. Seine Thesen führen zu einem Skandal an der theologischen Fakultät. Das Pomesanische Konsistorium der lutherischen Kirche in Preußen wird aufgelöst. Katastrophen 11. September: Schwere Sturmflut an der Nordsee richtet vor allem im Bereich der Elbe große Schäden an. Allein in Hamburg werden 3000 Häuser überflutet. Geboren Erstes Halbjahr 1. Januar: Benjamin Williams, US-amerikanischer Politiker († 1814) 12. Januar: Ferdinand IV., König von Neapel und Sizilien († 1825) 14. Januar: Corona Schröter, deutsche Sängerin und Schauspielerin († 1802) 14. Januar: Franz von Zeiller, österreichischer Jurist und Rektor der Universität Wien († 1828) 18. Januar: Ferdinand Kauer, österreichischer Komponist und Dirigent († 1831) 20. Januar: Ferdinand, Herzog von Parma, Piacenza und Guastalla († 1802) 23. Januar: Jakob Michael Reinhold Lenz, deutscher Schriftsteller († 1792) 28. Januar: Georg Heinrich Sieveking, Hamburger Unternehmer und Aufklärer († 1799) 28. Januar: Georg Adolf Suckow, sächsischer Naturwissenschaftler († 1813) 29. Januar: Joseph Bradley Varnum, US-amerikanischer Politiker († 1821) 15. Februar: Johann Heinrich Wilhelm Tischbein, hessischer Maler († 1829) 20. Februar: Stanisław Szczęsny Potocki, polnischer Magnat, Organisator der Konföderation von Targowica († 1805) 20. Februar: Johann Heinrich Voß, deutscher Dichter und Übersetzer berühmter Klassiker († 1826) 22. Februar: Heinrich XV. Reuß zu Greiz, österreichischer Feldmarschall († 1825) 23. Februar: Henry Dearborn, US-amerikanischer Arzt, Politiker und Offizier († 1829) 2. März: Thomas Blaikie, schottischer Gartenarchitekt († 1838) 2. März: Carl Christian Friedrich Langheld, deutscher Jurist und Amtmann († 1823) 3. März: Pierre Prévost, französisch-schweizerischer Philosoph und Physiker († 1839) 5. März: Jan Křtitel Kuchař, tschechischer Komponist († 1829) 16. März: James Madison, US-amerikanischer Politiker, 4. Präsident der USA († 1836) 17. März: Andreas Dahl, schwedischer Botaniker († 1789) 19. März: Maria Josepha, Prinzessin von Österreich, Ungarn, Böhmen und der Toskana († 1767) 1. April: Joseph Lange, deutscher Schauspieler, Maler, Komponist und Schriftsteller († 1831) 3. April: Lorenz Karsten, deutscher Ökonom, Agrarwissenschaftler und Hochschullehrer († 1829) 3. April: Jean-Baptiste Lemoyne, französischer Komponist († 1796) 15. April: Friedrich August Wiedeburg, deutscher Pädagoge und Philologe († 1815) 23. April: Gilbert Elliot-Murray-Kynynmound, 1. Earl of Minto, britischer Politiker und Diplomat († 1814) 1. Mai: Archibald Hamilton Rowan, irischer Nationalist († 1834) 6. Mai: François Rodolphe de Weiss, Schweizer Politiker, Schriftsteller und Offizier († 1818) 7. Mai: Isabelle de Montolieu, Schweizer Schriftstellerin († 1832) 9. Mai: Jakob Friedrich von Abel, deutscher Philosoph († 1829) 11. Mai: Ralph Earl, US-amerikanischer Maler († 1801) 11. Mai: Ferdinand Otto Vollrath Lawätz, deutsch-dänischer Jurist, Gutsbesitzer, Autor und Beamter († 1840) 23. Mai: Claude-François Achard, französischer Romanist und Provenzalist († 1809) 24. Mai: Karl Emanuel IV., König von Sardinien-Piemont und Herzog von Savoyen († 1819) 10. Juni: Peleg Arnold, US-amerikanischer Jurist und Politiker († 1820) 27. Juni: Johann Heinrich Voigt, deutscher Mathematiker, Astronom und Physiker († 1823) Zweites Halbjahr 5. Juli: Carl Gottlob Heinrich Arndt, deutscher Geistlicher und Dompropst († 1830) 12. Juli: Henri-David Chaillet, Schweizer evangelischer Geistlicher († 1823) 22. Juli: Caroline Mathilde von Großbritannien, Königin von Dänemark und Norwegen († 1775) 23. Juli: Karl Gottlob Anton, deutscher Jurist, Politiker und Historiker († 1818) 28. Juli: Carl Anton von Arnstedt, preußischer Gutsherr und Beamter († 1822) 30. Juli: Hermann, Fürst von Hohenzollern-Hechingen († 1810) 30. Juli: Maria Anna Mozart, genannt Nannerl, Salzburger Pianistin, Schwester von Wolfgang Amadeus Mozart († 1829) 6. August: Karl Ludwig Nitzsch, deutscher Theologe († 1831) 7. August: Wilhelmine von Preußen, Erbstatthalterin der Niederlande († 1820) 19. August: Samuel Prescott, Patriot im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg († 1777) 26. August: Manuel Abad y Queipo, spanischer Kirchenrechtler († 1825) 28. August: Ernst Julius Walch, deutscher evangelischer Geistlicher und Pädagoge († 1825) 1. September: Emanuel Schikaneder, bayerischer Schauspieler, Regisseur und Theaterdirektor († 1812) 5. September: John Shore, 1. Baron Teignmouth, britischer Politiker, Generalgouverneur von Fort William († 1834) 10. September: Bartolomeo Campagnoli, italienischer Violinist, Komponist und Dirigent († 1827) 16. September: Ernst Friedrich Hector Falcke, Bürgermeister von Hannover († 1809) 16. September: Johann Joseph Kausch, schlesischer Mediziner und Schriftsteller († 1825) 26. September: Cornelis Willem de Rhoer, niederländischer Historiker, Rhetoriker, Philologe und Rechtswissenschaftler († 1821) 30. September: Johann Georg Bach, deutscher Organist und Advokat († 1797) 11. Oktober: Jean-Henri Voulland, französischer Politiker († 1801) 16. Oktober: Friederike Luise von Hessen-Darmstadt, Königin von Preußen († 1805) 20. Oktober: Urs Glutz von Blotzheim, Schweizer Offizier und Politiker († 1816) 21. Oktober: Johann Andreas Goll, deutscher Orgelbauer († 1823) 22. Oktober: Johanna Henriette de Bombelles, Landgräfin von Hessen-Rotenburg († 1822) 22. Oktober: Nathanael Gottfried Leske, deutscher Naturforscher und Geologe († 1786) 22. Oktober: Karl Friedrich Zepernick, deutscher Rechtswissenschaftler und Richter († 1839) 24. Oktober: Georg Scholl, deutsch-österreichischer Gärtner († 1831) 30. Oktober: Richard Brinsley Sheridan, irischer Dramatiker und Politiker († 1816) 17. November: Johann Michael Sailer, katholischer Theologe und Bischof von Regensburg († 1832) 1. Dezember: Charles-Philippe Ronsin, französischer Politiker († 1794) 8. Dezember: Heinrich Friedrich Füger, deutscher Maler († 1818) 9. Dezember: Maria Luise von Bourbon-Parma, Königin von Spanien († 1819) 10. Dezember: George Shaw, englischer Botaniker, Zoologe († 1813) 11. Dezember: Christian Konrad Wilhelm von Dohm, preußischer Diplomat und aufklärerischer Schriftsteller († 1820) 18. Dezember: George Wyndham, 3. Earl of Egremont, britischer Peer und Mäzen († 1837) 21. Dezember: Konrad Wilhelm Ledderhose, deutscher Jurist († 1812) 25. Dezember: George Gordon, britischer Politiker († 1793) 26. Dezember: Klemens Maria Hofbauer, österreichischer Prediger, Mitglied des Ordens der Redemptoristen († 1820) 31. Dezember: Johann Baptist von Lampi, italienischer Porträtmaler († 1830) Genaues Geburtsdatum unbekannt Carl Gottlieb Albrecht, deutscher Beamter († 1819) Georg Anreith, deutscher Baumeister († 1823) Dmytro Bortnjanskyj, ukrainischer Komponist († 1825) Jan Hataš, böhmischer Komponist († 1784) Geboren um 1751 Mai, polynesischer Weltreisender († 1780) Gestorben Januar bis April 17. Januar: Tomaso Albinoni, italienischer Komponist und Violinist (* 1671) 23. Januar: Lobsang Trashi, tibetischer Haushofmeister und Aufständischer gegen die chinesische Herrschaft 29. Januar: Jacob van Schuppen, Hofmaler am kaiserlichen Hof in Wien (* 1670) 3. Februar: Ōoka Tadasuke, japanischer Beamter (* 1677) 7. Februar: Friedrich IV., Landgraf von Hessen-Homburg (* 1724) 8. Februar: Nicola Salvi, italienischer Architekt (* 1697) 9. Februar: Henri François d’Aguesseau, französischer Politiker, Kanzler von Frankreich (* 1668) 10. Februar: Quirin Weber, deutscher Orgelbauer (* 1693) 11. Februar: Lukas Fattet, Schweizer Unternehmer und Pietist (* 1692) 11. Februar: Johann Christian Feige, deutscher Bildhauer und Bildschnitzer (* 1689) 18. Februar: Giuseppe Matteo Alberti, italienischer Komponist und Violinist (* 1685) 24. Februar: Christian Gottlieb Schwarz, deutscher Philologe und Hochschullehrer (* 1675) 25. Februar: Georg Caspar Schürmann, deutscher Komponist (* 1672 oder 1673) 27. Februar: Johann Christoph Richter, Leipziger Rats- und Handelsherr (* 1689) 21. März: Johann Heinrich Zedler, schlesischer Buchhändler und Verleger in Leipzig (* 1706) 24. März: Johann Pálffy, kaiserlicher Feldmarschall und Palatin von Ungarn (* 1664) 31. März: Friedrich Ludwig von Hannover, Prince of Wales (* 1707) 5. April: Friedrich I., König von Schweden und Landgraf von Hessen-Kassel (* 1676) 9. April: Luise Sophie von Hanau, Gräfin von Nassau-Ottweiler (* 1662) 12. April: Sigismund von Kollonitz, Titularbischof von Scutari, Bischof von Waitzen und Fürsterzbischof von Wien (* 1677) 20. April: Gisela Agnes von Anhalt-Köthen, Fürstin von Anhalt-Dessau (* 1722) 22. April: Francis Scott, 2. Duke of Buccleuch, schottischer Adliger (* 1695) 23. April: Jacques I., Fürst von Monaco (* 1689) 24. April: Charles Calvert, 5. Baron Baltimore, Lord Proprietor der Kolonie Maryland (* 1699) 24. April: Anna Schnidenwind, Breisgauer Bäuerin, Opfer der Hexenverfolgung (* 1688) 27. April: Johann Wilhelm von Berger, deutscher Philosoph, Rhetoriker und Historiker (* 1672) 30. April: Cajetan Gerstlacher, bayerischer Augustiner-Chorherr (* 1698) 30. April: Peter von Lacy, russischer Generalfeldmarschall (* 1678) Mai bis August 2. Mai: Maria Maddalena Musi, genannt „la Mignatta“, italienische Opernsängerin (Sopran) (* 1669) 9. Mai: Christian Ludwig Hermann, deutscher Baumeister und Architekt (* 1687/88) 10. Mai: Johann Beyer, Tischler und Astronom in Hamburg (* 1673) 11. Mai: Johann Christian Kundmann, deutscher Mediziner, Numismatiker, Sammler und Buchautor (* 1684) 14. Mai: Henry Theodore Reinhold, deutscher Opernsänger 19. Mai: Józef Potocki, polnisches Mitglied der Szlachta und Großhetman der polnischen Krone (* 1673) 20. Mai: Domènech Terradellas, spanischer Opernkomponist (* 1711) 27. Mai: Johan III. de Witt, niederländischer Patrizier, Präsident der Rechenkammer der österreichischen Niederlande (* 1694) 1. Juni: Theodor Crüger, deutscher lutherischer Theologe und Historiker (* 1694) 6. Juni: Christlieb von Clausberg, deutscher Mathematiker (* 1689) 9. Juni: John Machin, englischer Astronom und Mathematiker (* 1680) 10. Juni: Hieronymus Cristani von Rall, Salzburger Hofkanzler (* 1692/93) 15. Juni: Michael Adolf Siebenhaar, deutscher Zeichner und Maler (* 1691) 20. Juni: Johann Baptist Ferolski, Kurmainzer Architekt und Festungsbaumeister 2. Juli: François Robichon de la Guérinière, französischer Reitmeister, Erfinder der modernen Reitkunst (* 1688) 4. Juli: Jürgen Matthias von der Hude, deutscher Maler (* 1690) 11. Juli: Auguste Dorothea von Braunschweig-Wolfenbüttel, Gräfin von Schwarzburg-Sondershausen und Kunstsammlerin (* 1666) 12. Juli: Tokugawa Yoshimune, japanischer Shōgun (* 1684) 22. Juli: Johann Melchior Kraft, deutscher lutherischer Theologe (* 1673) 25. Juli: Johann Friedrich Lampe, deutsch-britischer Komponist und Fagottist (* 1703) 27. Juli: Lucas von Spreckelsen, deutscher Jurist, Ratsherr und Bürgermeister von Hamburg (* 1691) 31. Juli: Benigna Marie Reuß zu Ebersdorf, deutsche Gräfin und Kirchenlieddichterin (* 1695) 25. August: Christian Friedrich Rolle, deutscher Komponist und Organist (* 1681) 30. August: Christopher Polhem, schwedischer Wissenschaftler und Erfinder (* 1661) September bis Dezember 4. September: Jacques Philippe d’Orville, niederländischer Altphilologe (* 1696) 14. September: Johann Matthias Florin, deutscher Hochschullehrer (* 1680) 14. September: Johann Michael Hoppenhaupt, deutscher Bildhauer und Baumeister (* 1685) 18. September: Johann Andreas Hommel, Memminger Maler (* 1677) 18. September: Leopoldo Retti, italienischer Architekt (* 1704) 19. September: Franz Xaver Forchner, schwäbischer Maler (* 1717) 2. Oktober: Pierre du Mage, französischer Organist und Komponist (* 1674) 16. Oktober: Christine Charlotte zu Solms-Braunfels, Prinzessin von Hessen-Homburg (* 1690) 22. Oktober: Wilhelm IV., Fürst von Oranien und Nassau und Erbstatthalter der Vereinigten Provinzen der Niederlande (* 1711) 25. Oktober: Namiki Sōsuke, japanischer Schriftsteller (* 1695) 26. Oktober: Philip Doddridge, englischer Dissenter sowie Erzieher und Hymnendichter (* 1702) 26. Oktober: Gion Nankai, japanischer Maler, Dichter und Konfuzianist (* 1676) 27. Oktober: Johann Georg Dominikus Grasmair, Tiroler Maler (* 1691) 11. November: Julien Offray de La Mettrie, französischer Arzt und Philosoph (* 1709) 15. November: Benedikt Gambs, süddeutscher Maler (* um 1703) 16. November: George Graham, englischer Uhrmacher (* 1673) 18. November: Abraham Vater, preußischer Mediziner und Philosoph (* 1684) 30. November: Jean-Philippe de Chéseaux, Schweizer Astronom (* 1718) 12. Dezember: Henry St. John, 1. Viscount Bolingbroke, britischer Politiker und Philosoph (* 1678) 16. Dezember: Leopold II. Maximilian, Fürst von Anhalt-Dessau und preußischer General (* 1700) 16. Dezember: Johann Christian Schöttgen, deutscher Pädagoge, Historiker und Lexikograph (* 1687) 18. Dezember: Kilian Ignaz Dientzenhofer, böhmischer Baumeister (* 1689) 19. Dezember: Balthasar Gerhard Hanneken, deutscher evangelisch-lutherischer Geistlicher, Hauptpastor am Lübecker Dom und Senior (* 1678) 19. Dezember: Louise von Großbritannien, Irland und Hannover, Königin von Dänemark und Norwegen (* 1724) 22. Dezember: Johann Tobias Augustynowicz, Erzbischof von Lemberg (* 1664) 26. Dezember: Girolamo Nicolò Laurenti, italienischer Violinist und Komponist (* 1678) 28. Dezember: Erich Philipp Ploennies, deutscher Mathematiker, Baumeister und Kartograph (* 1672) Genaues Todesdatum unbekannt Richard Cassels, deutsch-irischer Architekt (* 1690) Manuel Correia de Lacerda, Gouverneur von Portugiesisch-Timor (* 1679) Johann Benedikt Ettl, Augsburger Baumeister und Architekt (* 1678) Louise Julie de Mailly-Nesle, französische Adelige und Mätresse Ludwigs XV. (* 1710) Claudius Innocentius du Paquier, Begründer der Wiener Porzellanmanufaktur (* 1679) Giovanni Reali, venezianischer Violinist, Komponist und Kapellmeister (* 1681) Jan Władysław Suchodolec, polnischer Baumeister, Geodät und Kartograf in preußischem Dienst (* 1687) Weblinks Österreichische Zeitungen des Jahres 1751 in AustriaN Newspaper Online (ANNO) der Österreichischen Nationalbibliothek
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Beachsoccer
Beachsoccer oder Strandfußball ist eine Abwandlung des Fußballspiels. Diese Sportart wird, wie Beachvolleyball, auf Sand oder auf einem Strand ausgetragen. Der Weltverband Beach Soccer Worldwide (BSWW) organisiert zahlreiche Turniere, etwa die zweijährliche Beachsoccer-Weltmeisterschaft, die seit 2005 unter dem Dach des Weltfußballverbandes FIFA durchgeführt wird. Seit den 1990ern gibt es kontinentale Profiligen, in denen auch schon bekannte ehemalige Profifußballer mitspielten, unter anderem Eric Cantona oder die brasilianischen Nationalspieler Romário, Júnior und Zico. Geschichte Die Sportart entstand in den Küstenregionen Brasiliens gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Anfangs waren es europäische Seeleute, die auf ihren Landgängen im Sand Fußball spielten. Der Fußball am Strand war und ist in Brasilien fester Bestandteil der Freizeitgestaltung. An selbiger Stelle fanden 1957 die ersten offiziellen Beachsoccer-Turniere statt. Seitdem werden dort auch regelmäßig professionelle Turniere durchgeführt, die mit der Premiere der inoffiziellen Weltmeisterschaft 1995 einen zwischenzeitlichen Höhepunkt hatte. Von der Copacabana hat sich Beachsoccer anfangs nur auf die USA, dann aber sehr schnell auf die restliche Welt ausgedehnt. Federführend war dabei unter anderem die von Giancarlo Signorini 1992 gegründete „Beach Soccer Company“, die das Konzept für die Veranstaltungen entwickelte und die „Pro Beach Soccer Series“ ins Leben rief. Noch im gleichen Jahr fand am Will Rogers Beach in Los Angeles ein Probeturnier statt, das erheblichen Zuspruch bei den Zuschauern fand. Dieser Erfolg veranlasste Signorini, auch andernorts ähnliche Events durchführen zu lassen. In Miami, Florida wurde 1993 ein international besetztes Turnier veranstaltet, bei dem 6.000 Zuschauer kamen und das zusätzlich das amerikanische Fernsehpublikum begeisterte. 1995 begann die weltweite Vermarktung von Beachsoccer, in dem parallel zur Fußballweltmeisterschaft ein Turnier in Los Angeles durchgeführt wurde. Schon zwei Jahre später entwickelte sich die Beachsoccerszene rund um den Globus, so wurde u. a. in Frankreich, England, Spanien, Deutschland, Belgien sowie Malaysia und Argentinien gespielt. Mit der Gründung der „European Pro BeachSoccer League“ 1998 hatte Beachsoccer den Durchbruch in Europa geschafft. Verantwortlich für die Organisation der Weltmeisterschaften, aber auch für die Austragung der europäischen Beachsoccer-Turniere ist die Vereinigung „Beach Soccer Worldwide“ (BSWW), die aus der „Beach Soccer Company“ und der „Octagon Koch Tavares“ entstand. Mit Anerkennung durch die FIFA veranstaltet die BSWW Spielserien in mehr als 60 Ländern. Der größte Erfolg für die BSWW war zu dem Zeitpunkt auch schon abzusehen. Im Mai 2005 wurde unter der Schirmherrschaft der FIFA die erste „FIFA Beachsoccer-Fußball-Weltmeisterschaft“ am Strand der Copacabana in Rio de Janeiro ausgetragen. Regeln Das Spiel wird von zwei Mannschaften mit je fünf Spielern (4 Feldspieler + 1 Torwart) bestritten. Weiterhin gibt es drei bis maximal fünf Ergänzungsspieler. Die Spieler dürfen keine Ausrüstung tragen, die andere Spieler verletzen könnte. Die Kleidung besteht aus einer Hose und einem Trikot. Gespielt wird barfuß auf der Sandfläche – lediglich elastische Fuß- oder Knöchelbandagen sind gestattet. Das Spiel besteht aus drei Perioden mit jeweils zwölf Spielminuten. Nach jeder Spielperiode wird die Seite gewechselt. Sollte das Spiel unentschieden sein, folgt eine Verlängerung mit einer Dauer von drei Minuten. Wenn die Verlängerung ebenfalls unentschieden endet, gibt es ein Penaltyschießen. Um das Spiel schnell zu halten, gibt es eine 4-Sekunden-Regel für die Ausführung von Standardsituationen (Ecken, Einwurf, Einkick, Freistoß, Abwurf, Ballkontrolle im eigenen Strafraum). Diese vier Sekunden werden von den Schiedsrichtern offen angezeigt (Ausnahme: Freistöße). Bei einem Freistoß darf keine Mauer gebildet werden; d. h. beim Ausführen des Freistoßes darf sich zwischen dem Tor und dem ruhenden Ball kein Spieler der gegnerischen Mannschaft befinden. Der gefoulte Spieler muss den Freistoß/Strafstoß selber ausführen. Der Torwart darf einen Ball mit der Hand aufnehmen, auch wenn er vom eigenen Spieler zurückgespielt wurde. Dies darf er aber nur einmal pro Ballbesitz seiner Mannschaft. Er darf den Ball erst dann wieder mit der Hand aufnehmen, wenn ein gegnerischer Spieler den Ball berührt hat. Wird der Ball in der Halle an die Decke gespielt, erhält die andere Mannschaft einen Einwurf/Einkick an der Stelle, die der Deckenberührung am nächsten liegt. Beim Anstoß müssen alle Spieler der gegnerischen Mannschaft mindestens 5 Meter Abstand vom Ball halten. Bei einem Fallrückzieher darf der ausführende Spieler nicht von einem Abwehrspieler angegangen werden. Internationale Meisterschaften (Übersicht) Beachsoccer-Weltmeisterschaft – (alle zwei Jahre) CAF Beach Soccer Championship – Afrikanische Beachsoccer-Meisterschaft CONCACAF Beach Soccer Championship – Beachsoccer-Meisterschaft von Nord-, Mittelamerika und der Karibik COSAFA Beach Soccer Championship – Meisterschaft des südlichen Afrika Euro-Beachsoccer-Cup – Europameisterschaft (jährlich im Mai) OFC Beachsoccer Championship – Beachsoccer-Meisterschaft von Ozeanien Euro-Beachsoccer-League (EBSL) – Europäische Beachsoccer-Profiliga (jährlich Juli–August) European-Beachsoccer-Championship – Beachsoccer-Amateurturnier (jährlich im Mai, Juni, September und Oktober) Mundialito de Futebol de Praia (BSWW) – internationales Länderturnier (jährlich im Frühsommer) Mundialito de Clubes (BSWW) – internationales Profi-Vereinsturnier Nationale Meisterschaften Deutschland Bis zum Jahre 2013 trug der Deutsche Fußball-Bund (DFB) keine eigenen Meisterschaften aus. Aus diesem Grund wurde 2001 der Deutsche Beach Soccer Verband e. V. (DBSV) gegründet. Ab 2002 organisierte der DBSV das German Beach Soccer Masters. Auf regionalen Turnieren konnten sich die besten Teams für das Finalturnier qualifizieren. 2018 löste sich der DBSV e. V. auf. Ab der Saison 2013 wurde mit der German Beach Soccer League erstmals ein vom DFB genehmigter Ligabetrieb auf Bundesebene durchgeführt, der 2018 durch die vom DFB organisierte Deutsche Beachsoccer-Liga ersetzt wurde. Darüber hinaus trägt der Deutsche Fußball-Bund seit 2013 jährlich den DFB-Beachsoccer-Cup bzw. ab 2015 die Deutsche Beachsoccer-Meisterschaft in Rostock-Warnemünde aus, bei der die vier bestplatzierten Teams der Deutschen Beachsoccer-Liga im Final-Four-Turnier den Deutschen Meister ermitteln. Nachdem 2013 noch der Sieger der German Beach Soccer League und der Sieger des DFB-Beachsoccer-Cups in einem Entscheidungsspiel den Teilnehmer für den Euro Winners Cup, der Champions League des Strandfußballs, ermittelt haben, ist seit der Saison 2014 der Sieger der Deutschen Beachsoccer-Meisterschaft (bis 2014 DFB-Beachsoccer-Cup) automatisch für den Euro Winners Cup qualifiziert. Die Deutsche Beachsoccer-Meisterschaft ist somit der ranghöchste Titel, der im deutschen Beachsoccer vergeben wird. Durch die guten Leistungen auf internationaler Klub-Ebene steht Deutschland seit 2019 ein zweiter Startplatz für den Euro Winners Cup zu. Auch im Schiedsrichterwesen wird eine Professionalisierung vorangetrieben: Torsten Günther aus dem Fußballverband Mittelrhein ist seit dem Jahr 2014 als erster internationaler Beachsoccer Schiedsrichter für den DFB auf der FIFA-Liste aktiv. Mit Malte Gerhardt (seit 2018) und Annett Unterbeck (seit 2020) dürfen zwei weitere Unparteiische internationale Spiele leiten. Männer Deutsche Beachsoccer-Liga (bis 2017 German Beach Soccer League) Sieger 2013: Rostocker Robben Sieger 2014: Rostocker Robben Sieger 2015: Ibbenbürener BSC Sieger 2016: Ibbenbürener BSC Sieger 2017: Rostocker Robben Sieger 2018: Rostocker Robben Sieger 2019: Rostocker Robben Sieger 2020: Ibbenbürener BSC Deutsche Beachsoccer-Meisterschaft (bis 2014 DFB-Beachsoccer-Cup) Sieger 2013: Beach Soccer Team Chemnitz Sieger 2014: Beach Soccer Team Chemnitz Sieger 2015: Rostocker Robben Sieger 2016: Ibbenbürener BSC Sieger 2017: Rostocker Robben Sieger 2018: Rostocker Robben Sieger 2019: Rostocker Robben Sieger 2020: Ibbenbürener BSC Sieger 2021: Beach Royals Düsseldorf Sieger 2022: Beach Royals Düsseldorf Sieger 2023: Rostocker Robben Beachsoccer-Supercup Sieger 2013: Rostocker Robben (erste und letzte Austragung) German Beach Soccer Masters des DBSV e. V. Sieger 2002: BSC Turbine Köln e. V. (Finalturnier Velten) Sieger 2003: BSC Turbine Köln e. V. (Finalturnier Gelsenkirchen) Sieger 2004: Dreamcatcher Braunschweig (Finalturnier Kiel) Sieger 2005: Uniao Brasil München e. V. (Finalturnier Neuss) Sieger 2006: Uniao Brasil München e. V. (Finalturnier Krefeld) Sieger 2007: Uniao Brasil München e. V. (Finalturnier Hilden) Sieger 2008: Uniao Brasil München e. V. (Finalturnier Wadgassen) Sieger 2009: Lords of the Ball Ibbenbüren (Finalturnier Köln) Sieger 2010: BSC Rio de Cologne (Finalturnier Köln) Sieger 2011: Das Wunder von Bernd Chemnitz (Finalturnier Bosen) Sieger 2012: 1. BSC Extase Hartfuss Saar e. V. (Finalturnier Bosen) Sieger 2013: Ghana Traunwalchen (Finalturnier Saarlouis) Sieger 2014: Sandy's Balls Traunreut (Finalturnier Saarlouis) Champions Trophy des DBSV e. V. 2013: einmalig ausgetragene Champions Trophy mit den sechs besten Teams der DBSV Serie: BSC Rio de Cologne e. V. The Danger Ibbenbüren e. V. Wuppertaler SV e. V. Dreamteam Hilden e. V. 1. BSC Extase Hartfuss Saar e. V. MSC Concordia Bohnental e. V. Frauen Sieger 2008: Pritzwalk Bulls e. V. (Finalturnier Wadgassen) Sieger 2009: SRS Pro Sportler (Finalturnier Köln) Sieger 2010: SRS Pro Sportler (Finalturnier Köln) Sieger 2011: Chemnitzer FC (Finalturnier Bosen) Sieger 2012: Biddy United Trier (Finalturnier Bosen) Sieger 2013: FC Ergolding (Finalturnier Saarlouis) Österreich Beachsoccer-Masters Sieger 2000: Gasthof Lippiwirt Sieger 2001: Weißes Ballett Sieger 2002: Flaschenclub Sieger 2003: USZ Lippiwirt Sieger 2004: Stella Rossa tipp3 Sieger 2005: Ankick Team Schweiz Die Swiss Beach Soccer League wurde am 10. April 2006 in Bern gegründet und startete mit zehn Teams aus der ganzen Schweiz in die erste Saison. Während sechs Wochenenden wurde um Siege und Punkte gekämpft und der erste Schweizermeister am Finalwochenende im Zürcher Hauptbahnhof gekürt. Die Liga wurde ins Leben gerufen, weil viele Beachsoccer-Vereine den Wunsch geäußert haben, Beachsoccer auf einem höheren und seriöseren Niveau spielen zu wollen. Seit 2011 gibt es die Suzuki Swiss Beach Soccer League. Diese ist Plattform für die besten Beach Soccer-Vereine und -Spieler der Schweiz. Die 9–12 Events umfassende Meisterschaft findet im Zeitraum Mai–September in der ganzen Schweiz statt. Im ersten Jahr wurde die SBSL ausschließlich für Männer durchgeführt. Seit 2014 wird die Liga auch für Frauen Woman-League, bei den Männern in zwei Stärkeklassen Premier-League und Challenge-League sowie den Nachwuchs U-17-League umgesetzt. Männer Meisterschaft Meister 2006: BSC Scorpions Basel Meister 2007: BSC Scorpions Basel Meister 2008: BSC Scorpions Basel Meister 2009: BSC Havana Shots Aargau Meister 2010: BSC Scorpions Basel Meister 2011: BSC Scorpions Basel Meister 2012: Grasshopper-Club Zürich Meister 2013: Sable Dancers Bern Meister 2014: Sable Dancers Bern Meister 2015: Chargers Baselland Meister 2016: Chargers Baselland Schweizer Cup Cupsieger 2008: BSC Scorpions Basel Cupsieger 2009: BSC Scorpions Basel Cupsieger 2010: BSC Chargers Baselland Cupsieger 2011: BSC Havana Shots Aargau Cupsieger 2012: BSC Chargers Baselland Cupsieger 2013: Sable Dancers Bern Cupsieger 2014: Grasshopper-Club Zürich Cupsieger 2015: BSC Chargers Baselland Frauen Meisterschaft Meister 2009: BSC Wildcats Freiamt Meister 2010: BSC Wildcats Freiamt Meister 2011: BSC Havana Shots Aargau Meister 2012: BSC Havana Shots Aargau Meister 2013: Beachkings Emmen Weblinks Website der German Beach Soccer League Website des Beachsoccer Germany E.V. Website des Deutschen Beachsoccer-Verbands Website der Swiss Beach Soccer GmbH Einzelnachweise Torspiel Fußballvariante Soccer
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https://de.wikipedia.org/wiki/%C5%81%C3%B3d%C5%BA
Łódź
Łódź , , Lodz oder Lodsch (1940–1945 Litzmannstadt), im Zentrum von Polen rund 130 km südwestlich von Warschau gelegen, ist mit über 670.000 Einwohnern nach Warschau, Krakau und Breslau die viertgrößte Stadt des Landes. Die Hauptstadt der Woiwodschaft Łódź ist Sitz der Universität Łódź sowie der Staatlichen Hochschule für Film, Fernsehen und Theater. Für die Wirtschaft des Landes bilden die ansässigen Unternehmen der Textilindustrie sowie der Unterhaltungs- und Elektronikbranche einen Schwerpunkt. Geographie Geographische Lage Die Stadt liegt auf einer Höhe von 162 m (beim Nertal) und steigt von Südwesten nach Nordosten leicht an. Der höchste Punkt liegt auf 278 m ü. d. M. beim ehemaligen Dorf Stare Moskule. Durch Łódź fließen 18 Flüsse und Bäche: Ner, Łódka und ihr Zufluss Bałutka, Dobrzynka, Gadka, Jasień und ihr Zufluss Karolewka, Olechówka und ihr Zufluss Augustówka, Jasieniec, Bzura, Łagiewniczanka, Sokołówka und ihr Zufluss Brzoza, Aniołówka, Wrząca Woda, Zimna Woda und Miazga. Die Gewässer sind alle nicht groß und fließen im Stadtzentrum im Allgemeinen unterirdisch durch Kanalsysteme. Insgesamt sind 1,29 km² der Stadtfläche von Wasserflächen bedeckt. Stadtgliederung Łódź besteht aus fünf Stadtteilen; Bałuty (mit acht Stadtvierteln), Górna (mit acht Stadtvierteln), Polesie (mit acht Stadtvierteln), Śródmieście (mit zwei Stadtvierteln) und Widzew (mit zehn Stadtvierteln). Die 36 Stadtviertel sind die kleinsten Verwaltungseinheiten; jedes wird durch einen Rat des Stadtviertels (rada osiedla) und einen Vorstand des Stadtviertels (zarząd osiedla) vertreten (Wahl alle drei Jahre). Die Aufsicht über die Repräsentanten der Stadtviertel haben Stadtparlament und Stadtpräsident. Nachbargemeinden An die Stadt grenzen die Städte und Gemeinden: Aleksandrów Łódzki, Konstantynów Łódzki, Andrespol, Nowosolna, Brójce, Pabianice, Ksawerów, Rzgów, Stryków und Zgierz. Klima Łódź liegt in der gemäßigten Klimazone, in der Übergangszone vom durch den Atlantischen Ozean beeinflussten maritimen Klima zum Kontinentalklima. Die kältesten Monate sind der Januar und Februar mit durchschnittlichen Temperaturen von −3 °C bis −12 °C, der wärmste Monat ist im Allgemeinen der Juli mit durchschnittlichen Temperaturen von 17,5 °C bis 21 °C. Die durchschnittliche Jahrestemperatur lag zwischen 1970 und 2000 bei 8,0 °C, zwischen 2001 und 2005 bei 8,5 °C. Die jährliche Niederschlagsmenge liegt zwischen 550 und 600 mm. Geschichte Mittelalter und frühe Neuzeit Seinen Ursprung hatte Łódź als kleine Siedlung an einem Fluss, der nach der Stadt Łódka heißt. Dieser Fluss verläuft unterhalb der Stadt. Erstmals urkundlich erwähnt wurde der Ort 1332 als Łodzia. 1423 wurde durch Władysław II. Jagiełło das Stadtrecht nach Magdeburger Recht verliehen. Im 17. Jahrhundert erlebte die Entwicklung des Ortes eine gewisse Stagnation, die durch einen Brand 1661 und den Ausbruch der Pest noch weiter verstärkt wurde. Mit dem Bau der katholischen St.-Joseph-Kirche 1665 erhielt die Stadt ihren ersten Sakralbau. Teilungszeit bis Ende des Ersten Weltkriegs Mit der zweiten Teilung Polens 1793 kam die Stadt zu Preußen. Um 1800 lebten nur 190 Menschen hier. Nach dem Frieden von Tilsit 1807 wurde der Ort Teil des Herzogtums Warschau und 1815 in Kongresspolen integriert, sodass die Stadt dem russischen Zaren unterstand. Dies und die nachfolgenden Veränderungen legten für Łódź den Grundstein für seinen wirtschaftlichen Aufschwung. Neue Baugebiete im Süden des Ortes zogen 1823 die ersten deutschen Tuchmacher an, die zumeist im Westen Deutschlands sowie in Sachsen, Böhmen und Schlesien angeworben wurden und später auch aus der preußischen Provinz Posen stammten. Die deutschen Weber, Spinner und Färber, die bald die Bevölkerungsmehrheit bildeten, übten zu Beginn ihr Handwerk traditionell in Heimarbeit aus. Im Zuge der Industrialisierung wurde Łódź der wichtigste Standort der Textilindustrie in Kongresspolen. Die Stadt galt allgemein als Manchester Polens. Die Einwohnerzahl stieg von unter 1000 auf mehrere Hunderttausend. Die erste Textilfabrik errichtete 1826 Christian Friedrich Wendisch. Die Tuchmacherinnung wurde 1825 als erste Innung der Stadt gegründet. Der Novemberaufstand von 1830/31 bremste Łódźs Aufschwung. Nach den Kämpfen ging der Aufschwung allerdings weiter und so errichtete Louis Geyer (auch Ludwik Geyer) 1836 eine Textilfabrik, die sogenannte Weiße Fabrik. 1848 wurde Juden erstmals erlaubt, sich in der neu errichteten Fabrikstadt niederzulassen. 1854 nahm Carl Scheibler seine erste Maschinenfabrik in Betrieb und ein Jahr später errichtete er eine moderne Spinnerei hier. Bei einem Weberaufstand am 20. April 1861 wurden einige Fabriken beschädigt. 1865 erhielt die Stadt den wirtschaftlich wichtigen Anschluss an das Schienennetz. Die Freiwillige Feuerwehr Łódź bildete sich im Jahr 1876. Mit dem Bau der ersten Synagoge in Łódź wurde 1882 begonnen. Zwei Jahre später wurde die russisch-orthodoxe Alexander-Newski-Kathedrale eingeweiht. 1892 kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen der Einwohner mit dem russischen Militär, wobei am 23. Juni 164 Menschen starben. Der größte jüdische Friedhof Europas wurde im selben Jahr auf einer von Izrael Poznański gestifteten Fläche angelegt. Der 1896 angelegte Doły-Friedhof ist der größte städtische Friedhof. 1897 lebten 314.000 Menschen in Łódź, 40 % davon waren Deutsche. 1899 eröffnete hier Polens erstes Kino, das Iluzjon. 1904 gab es 546 Fabriken in der Stadt, die 70.000 Arbeiter beschäftigten, vor allem in der Textilindustrie. Weit verbreitet war das Arbeiterelend in Łódź. Die Kinder- und Säuglingssterblichkeit lag zeitweise bei 70 %, unter anderem weil es in der Stadt lange keine Kanalisation gab. Um 1900 waren immer noch 80 % der Łódźer Analphabeten. Während des Ersten Weltkrieges wurde die Stadt Łódź zum Kampfgebiet. Die Schlacht um Łódź endete unentschieden, jedoch mussten die russischen Armeen die Stadt am 6. Dezember 1914 den Deutschen überlassen. Der Krieg bedeutete für die Stadt einen schweren wirtschaftlichen Schlag. Zum einen brach der wichtige russische Markt weg, zum anderen demontierten die Besatzer große Teile der Fabriken ohne Rücksicht auf die überwiegend deutschen Besitzer. Zwischenkriegszeit In der nach Ende des Weltkrieges 1918 neu gegründeten Zweiten Polnischen Republik begann auch in Łódź der mühevolle Wiederaufbau der Industrie. 1931 waren ca. neun Prozent der Łódźer deutschsprachig. Das Verhältnis von Juden und Deutschen war durch die sprachliche Nähe begünstigt. 1930 gab es sogar einen Deutsch-Jüdischen Wahlblock. Trotzdem war der Antisemitismus in Łódź unter Deutschen wie Polen weit verbreitet. Zweiter Weltkrieg Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges traf die Stadt auf ihrem wirtschaftlichen Nachkriegshoch. Beim Überfall auf Polen marschierte die Wehrmacht am 9. September 1939 kampflos ein. In dieser Zeit entstand im Verband des Deutschen Reiches der neue Reichsgau Posen, später Wartheland. In diesen wurde am 9. November 1939 das Industriegebiet um Łódź eingegliedert. Die Stadt selbst bildete einen deutschen Stadtkreis im Regierungsbezirk Kalisch. Von den Deutschen der Stadt bislang stets Lodz geschrieben, hieß sie nach dem Anschluss der Region an das Deutsche Reich zunächst offiziell Lodsch. Der deutsche Regierungspräsident in Kalisch verlegte seinen Sitz zum 1. April 1940 nach Lodsch. Gleichzeitig traten umfangreiche Eingemeindungen in Kraft. Die Stadt Ruda Pabianicka und die umliegenden Landgemeinden Brus (deutsch: Bruss), Chojny und Radogoszcz (deutsch: Radegast), die bereits seit dem 1. Januar 1940 vorläufig unter die Verwaltung des Oberbürgermeisters in Lodsch gestellt waren, wurden formell nach Lodsch eingegliedert. Am 8. Februar 1940 wurde das Ghetto Łódź, eines der größten im „Dritten Reich“, errichtet. Die dort eingesperrten Juden mussten Zwangsarbeit leisten und wurden später zum größten Teil deportiert und in Konzentrationslagern ermordet. Nur etwa 900 Menschen wurden beim Einmarsch der Roten Armee noch lebend gefunden. Neben dem Ghetto bestand ab 1942 ein Jugendkonzentrationslager, in dem Kinder schon ab einem Alter von zwei Jahren eingesperrt waren. Mindestens 500 Kinder starben hier. 1940 kam es zu 692 NS-Krankenmorden an Patienten der Anstalt Kochanowka. Am 11. April 1940 wurde Łódź von den deutschen Besatzungsbehörden zu Ehren des deutschen Generals Karl Litzmann (1850–1936), dessen 3. Garde-Infanterie-Division in der Schlacht um Łódź Ende 1914 siegreich gekämpft hatte, in Litzmannstadt umbenannt. Zum 15. Februar 1941 änderte sich die Bezeichnung des Regierungsbezirkes Kalisch in Litzmannstadt. Nachkriegszeit und Volksrepublik Polen Am 19. Januar 1945 erreichten sowjetische Truppen die Stadt. Da die Wirtschaftsstruktur der Stadt vergleichsweise intakt geblieben, Warschau aber zerstört war, wurde Łódź zu einer der wichtigsten Städte im Polen der Nachkriegszeit. Bis 1948 fungierte es als Regierungssitz; eine vorübergehend erwogene dauerhafte Verlegung der Hauptstadt hierher wurde zugunsten des Wiederaufbaus von Warschau aufgegeben. 1945/1946 fanden viele Streiks statt, die Arbeiter fühlten sich verraten. Dass Juden in Leitungsfunktionen überproportional vertreten waren, verstärkte den vorhandenen Antisemitismus enorm. Dies wurde von den Juden als Pogromatmosphäre empfunden und veranlasste viele von ihnen zur Auswanderung (siehe auch: Geschichte der Juden in Polen). 1948 wurde die später berühmte Filmhochschule Łódź gegründet, die Absolventen wie Roman Polański und Andrzej Wajda hervorbrachte. Jan Moll nahm im Krankenhaus der Stadt 1969 die erste Herztransplantation Polens vor. Die offizielle Propaganda der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (PVAP) pries Łódź als Musterstadt der Arbeiterbewegung. In Wirklichkeit waren die Arbeitsbedingungen namentlich in den Textilfabriken miserabel, die Maschinen wurden kaum modernisiert, und es kam immer wieder zu schweren Arbeitsunfällen. Als Wajda 1974 seinen unter den Textilbaronen des 19. Jahrhunderts spielenden Film Das gelobte Land drehte, mussten keine aufwändigen Kulissen hergestellt werden: Einige der Maschinen von damals waren noch in Betrieb. Immer wieder kam es zu Arbeitsniederlegungen in den Textilfabriken. Ein Streik im Februar 1971 zwang die neue PVAP-Führung unter Edward Gierek zu Zugeständnissen; es war der erste erfolgreiche Streik in der Geschichte der Volksrepublik Polen. Gegenwart Łódź erlebte in den ersten zehn Jahren nach 1989 einen wirtschaftlichen Abstieg. Es herrschte hohe Arbeitslosigkeit, und manche der einstigen Prachtbauten waren dem Verfall überlassen. Eine Verwaltungsreform verkleinerte 1999 die Anzahl der Woiwodschaften auf 16 und vergrößerte die Woiwodschaft Łódź auf 18.219 km². 2002 eröffnete mit der Galeria Łódzka ein modernes Einkaufszentrum unweit des bisherigen Central. Jüngst wandelte sich die Stadt deutlich: Fabrikgebäude wurden zu Veranstaltungsorten, Museen und Einkaufszentren umfunktioniert, und jährlich findet die Parada Wolności (vergleichbar der Loveparade) auf der Piotrkowska-Straße statt, dem längsten Boulevard Europas. Hier soll es laut offiziellen Angaben die höchste Dichte an Bars und Klubs in Europa geben, die sich oft in kleinen Hinterhöfen versteckt halten. Ebenso versuchen die Stadtverwaltung und viele kleine Organisationen das besondere Flair der einst multikulturellen Stadt wiederzubeleben. Um an das einst friedliche Zusammenleben von Juden, Russen, Polen und Deutschen zu erinnern, findet jedes Jahr das Festival der vier Kulturen statt. Die ehemalige Poznański-Textilfabrik wurde 2006 als „Manufaktura“ eröffnet, größtes Einkaufs- und Erlebniszentrum Polens. Die alten Fabrikhallen wurden aufwendig restauriert und um einen neuen Gebäudetrakt erweitert. Namensherkunft Łódź bedeutet „Boot“. Die Herkunft des Namens ist umstritten. Die Annahme, der Name der Stadt komme von dem kleinen Fluss Łódka („[kleines] Boot“), ist nicht gesichert. Möglicherweise leitet sich der Name von dem slawischen Vornamen Włodzisław oder vom altpolnischen Begriff Łozina für Weidenbaum her. Wappen Das Wappen zeigt ein goldfarbenes Holzboot mit einem Ruder auf rotem Grund. Aus heraldischer Sicht ist es ein redendes Wappen, da es den Stadtnamen bildlich wiedergibt; wobei die zugrundeliegende Deutung – wie bei anderen sprechenden Wappen – nicht mit der eigentlichen Namensherkunft übereinzustimmen braucht. Die erste nachgewiesene Darstellung eines Bootes im Wappen ist auf einem Stadtsiegel von 1535 bewahrt. Dieses dürfte bereits seit Mitte des 15. Jahrhunderts in Gebrauch gewesen sein. Das Wappen wurde fast unverändert bis 1817 weitergeführt. Später gab es zahlreiche Abwandlungen, unter anderem um das Wappen dem russischen Muster anzupassen. Von den zahlreichen Vorschlägen, die für die Stadt bedeutsame Textilindustrie im Wappen zu berücksichtigen, wurde keiner realisiert. Das heutige Wappen wurde am 5. Juni 1936 eingeführt, allerdings zeigte das offizielle Wappen während der deutschen Besatzung (1941–1945) ein goldenes Hakenkreuz auf dunkelblauem Grund. Der Wahlspruch des Wappens lautet: Ex navicula navis, lateinisch für: Aus einem Boot ein Schiff. Bevölkerungsentwicklung 1790 lebten in Łódź 190 Menschen. 50 Jahre später waren es 20.150 und etwa weitere 50 Jahre später, 1894, waren es 168.513. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hatte die Stadt 672.000 Einwohner, 1945 nach dem Ende des Krieges noch 302.000. Die größte Bevölkerungszahl wurde 1988 mit 854.300 Einwohnern erreicht. Am 31. Dezember 2004 hatte die Stadt 774.000 Einwohner. Davon waren 421.000 Frauen und 353.000 Männer. Die Bevölkerung nimmt jährlich um 0,58 % ab; durch Zuwanderung wird die Verringerung der Einwohnerzahl auf 0,15 % abgeschwächt. Im Jahr 2007 lag die Bevölkerungszahl bei 753.200 und im Jahr 2008 bei 747.200. Politik Die Stadt bildet einen Stadtkreis. Die Exekutive wird von einem Stadtpräsidenten (Prezydent Miasta), von 2002 bis 2014 Jerzy Kropiwnicki, gebildet, welcher von vier Vizepräsidenten unterstützt wird. Die Legislative liegt beim Rat der Stadt (Rada Miasta), welcher 2002 bis 2006 aus 43 Mitgliedern bestand und seither 40 Abgeordnete umfasst. Kommunalwahlen finden alle vier Jahre statt, zuletzt 2018. In einem Referendum am 17. Januar 2010 wurde Jerzy Kropiwnicki als Stadtpräsident vorzeitig abberufen. Seit Dezember 2010 ist Hanna Zdanowska Präsidentin der Stadt. Die aktuelle Wahl zur Stadtpräsidentin 2018 führte zu folgendem Ergebnis: Hanna Zdanowska (Platforma Obywatelska) 70,2 % der Stimmen Waldemar Buda (Prawo i Sprawiedliwość) 23,7 % der Stimmen Übrige 6,1 % der Stimmen Damit wurde Zdanowska bereits im ersten Wahlgang mit deutlicher Mehrheit im Amt bestätigt. Die gleichzeitig durchgeführte Wahl zum Stadtrat brachte folgendes Ergebnis: Wahlkomitee Hanna Zdanowska 62,1 % der Stimmen, 32 Sitze Prawo i Sprawiedliwość (PiS) 24,5 % der Stimmen, 8 Sitze Kukiz’15 4,4 % der Stimmen, kein Sitz Wahlkomitee JA! 2,6 % der Stimmen, kein Sitz Wahlkomitee Freiheit für Muremzałdzie 2,1 % der Stimmen, kein Sitz Übrige 4,3 % der Stimmen, kein Sitz Städtepartnerschaften Łódź unterhält Städtepartnerschaften mit den folgenden Orten: Weiterhin unterhält die Stadt seit 2010 freundschaftliche Beziehungen zu Los Angeles, USA. Kultur und Sehenswürdigkeiten Łódź hat eine vielfältige Kulturlandschaft. Neben den verschiedenen Theatern, Kinos, Museen, Galerien ist die Filmhochschule einer der wichtigsten Einflussfaktoren des kulturellen Lebens der Stadt. Filmindustrie In der Stadt werden die meisten Filme Polens produziert, weshalb sie gelegentlich HollyŁódź (sprich Hollywudsch) genannt wird. Die Spielfilmproduktionsfirma von Łódź, die inzwischen Insolvenz angemeldet hat, produzierte in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die meisten Spielfilme Polens. Die Bildungsfilmproduktionsfirma produziert Dokumentar- und Schulfilme. Der Film Usłyszcie mój krzyk, der dort von Maciej Drygas produziert wurde, erhielt 1991 den Europäischen Filmpreis für den Dokumentarfilm des Jahres. Das Studio Se-ma-for ist für Animationsfilme bekannt und produziert unter anderem die Kinderserien Miś Uszatek, Colargol, Zaczarowany ołówek und Kot Filemon. Zwei Produktionen gewannen bisher einen Oscar: Zbigniew Rybczyńskis Kurzfilm Tango 1982 und 2008 die britisch/polnische Koproduktion Peter und der Wolf. Theater Łódź hat eine vielfältige Theaterlandschaft mit über 20 Bühnen. Das Opernhaus Teatr Wielki (Großes Theater) hat Platz für 1.300 Zuschauer und ist eines der größten Theater Europas. Seit der Eröffnung am 19. Januar 1967 fanden hier etwa 240 Premieren statt, zahlreiche davon Uraufführungen. Berühmte Sänger wie Victoria de los Angeles, Fedora Barbieri, Andrea Bocelli und Nicolai Gedda, Dirigenten wie Henryk Czyż, Antoni Wicherek und Wojciech Michniewski waren Gäste des Hauses. International bekannte Regisseure wie Adam Hanuszkiewicz und Maciej Prus wirkten im Teatr Wielki in Łódź. Museen Das Museum der Kinematographie in Łódź am Plac Zwycięstwa 1 befindet sich in einem ehemaligen Palast von Scheibler. Im Museum befinden sich verschiedene historische Fotoapparate, unterschiedliche historische Bildbetrachtungs- und -vorführapparate und Filmposter vor allem von polnischen Filmen, zum Teil aus den 1920er und 1930er Jahren. Das Museum eröffnete 1986. Das Zentrale Textilmuseum (Centralne Muzeum Włókiennictwa) befindet sich in der Piotrkowska 282, in der sogenannten Weißen Fabrik von Louis Geyer. Es enthält alle Aspekte der Textilproduktion bis zu den Produkten. Die Ausstellungsfläche umfasst etwa 5.000 m². Das Museum ist in mehrere Abteilungen unterteilt: für Wandteppiche, industrielle Textilien, Volkstextilien, Mode, Technik, Ausstellungsorganisation, Bücherei und Archiv und den Bildungsbereich. Letzterer hat die Aufgabe, vor allem Kindern und Jugendlichen die Entwicklung der Textilindustrie insbesondere in Łódź näherzubringen. Die Anfänge des Museums liegen im Jahr 1952, als Krystyna Kondratiukowa eine Sammlung im Kunstmuseum begann. Auf Grund der schnell anwachsenden Größe wurde es 1960 als eigenständiges „Museum der Textilgeschichte“ und 1975 als Zentrales Textilmuseum mit Kondratiukowa als Direktorin geführt. Das Museum für Archäologie und Ethnografie befindet sich am Plac Wolności 14 und verfügt über etwa 218.000 Exponate. Die Sammlung begann bereits mit der Wiedererlangung der Unabhängigkeit Polens 1918, allerdings zu diesem Zeitpunkt noch unter dem Dach eines allumfassenden Stadtmuseums. Nach ständiger Erweiterung der Sammlung wurde am 1. Januar 1931 das Museum für Ethnografie gegründet; erster Direktor wurde Jan Manugiewicz. 1932 bis 1934 gab das Museum die Wiadomości Ludoznawcze (Volkskundliche Nachrichten) heraus. Exponate aus Afrika, Asien sowie Südamerika vergrößerten die Sammlung, welche bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1460 Teile umfasste; weiterhin gab es durch die Sammlung in unterschiedlichen Städten 9600 weitere Exponate. Nach Ende des Krieges waren die Exponate zum Teil im Museum für Ethnografie und zum anderen im Prähistorischen Museum untergebracht. Am 1. Januar 1956 wurden dann beide Sammlungen in einem Museum zusammengeführt. Das Historische Museum der Stadt befindet sich in der Ogrodowa-Straße 15, dem ehemaligen Palast der Poznańskis. Es zeigt die Geschichte der Stadt in verschiedenen Dauerausstellungen, welche durch weitere befristete Ausstellungen ergänzt werden. Dauerausstellungen zeigen unter anderem das Zusammenleben der drei Kulturkreise Juden, Polen und Deutsche, das Leben Izrael Poznańskis und das Schaffen der Künstler der Stadt. Das Museum für Sport und Touristik ist eine Zweigstelle des Historischen Museums und befindet sich in der Ks.-Skorupka-Str. 21. Das Museum wurde 1982 eröffnet und enthält Sammlungen von olympischen Medaillen, Abzeichen und Pokalen. Die Dauerausstellung des Museums ist die Geschichte des Sports und des Tourismus in Łódź. Das Kunstmuseum Muzeum Sztuki w Łodzi befindet sich an der Ulica Więckowskiego 36. Es beinhaltet Sammlungen moderner Kunst, polnischer Kunst vom 17. bis 19. Jahrhundert und Handarbeiten. Die moderne Kunst stellt dabei den wichtigsten und wertvollsten Teil dar, welcher bereits seit 1929 gesammelt wurde und nun aus über 10.000 Exponaten besteht. Die erste öffentliche Ausstellung fand am 15. Februar 1931 statt und bestand damals aus 111 Kunstwerken. Die Residenz Księży Młyn (Pfaffenmühle) befindet sich in der Przędzalniana-Straße 72, dem ehemaligen Palast Edward Herbsts, und gehört zum Kunstmuseum. Das Museum besteht aus dem Wohnhaus, einem Wintergarten und kleineren Gebäuden, in welchen das Leben der ehemaligen Fabrikbesitzer gezeigt wird. Zu sehen sind unter anderem Ball-, Speise- und Gästeraum, das Ankleide- sowie das Jagdzimmer. Das Gebäude wurde 1875 im Stil der Neorenaissance errichtet. Das Kunstmuseum erhielt 1976 das Gelände, es konnte allerdings erst 1990 nach Renovierung als Museum eröffnet werden. Im selben Jahr wurde die Residenz durch die Europa-Nostra-Vereinigung für Kulturgüter ausgezeichnet. Das Museum der Unabhängigkeitstradition (Muzeum Tradycji Niepodległościowych) liegt in der Gdańska-Str. 13 sowie in der Zgierska-Str. 147, widmet sich dem Widerstandskampf der Polen und besitzt etwa 45.000 Exponate. Als Dauerausstellung wird die Geschichte des politischen Gefängnisses Łodzinskaja Tiurma, welches 1885 eröffnet und 1954 geschlossen wurde, beleuchtet. Die zweite Dauerausstellung zeigt den Widerstandskampf der Polen während des Zweiten Weltkrieges. Weitere befristete Ausstellungen beleuchten bestimmte Zeitepochen genauer. Eröffnet wurde das Museum 1958. Das Museum für künstlerische Bücher (Muzeum Książki Artystycznej) befindet sich in der Tymieniecki-Str. 24. Im Museum gibt es eine Dauerausstellung von Büchern der Correspondance des Arts Künstler. Diese Künstler veröffentlichten 1980 die ersten Bücher und eröffneten am 1. Oktober 1993 dann das Museum in der Villa von Henryk Grohmann. Errichtet wurde die Villa 1892 nach Plänen von Majewski im Stil der Renaissance. Gegenwärtig ist das Museum auf Grund mangelnder Unterstützung durch die Stadt und entsprechender finanzieller Probleme von der Schließung bedroht. Musik Der Gesamtpolnische Violinwettbewerb Irena Dubiska wurde 2003 erstmals durchgeführt. Gründer des Wettbewerbs war Przemysław Kulikiewicz. Musik wird von Klassik bis zur Gegenwart gespielt. Der Wettbewerb fand 2003 und 2004 statt. Das Akademische Kulturzentrum (Akademicki Ośrodek Kultury) organisiert Jazzkonzerte, sowohl von professionellen Musikern als auch von Studenten. Das Kulturzentrum der Jugend (Centrum Kultury Młodych) bietet die Möglichkeit, das Spielen auf Instrumenten zu erlernen. Zugleich wird viel Wert auf eine umfassende Musikausbildung gelegt, also sowohl auf historische Kenntnisse als auch auf die Diktion beim Gesang. Das Kulturzentrum „Karolew“ konzentriert sich besonders auf die Musikausbildung von Kindern zwischen 6 und 15 Jahren. Die Artur-Rubinstein-Philharmonie (Filharmonia Łódzka im. Artura Rubinsteina) wurde bereits 1915 gegründet und erhielt 1984 ihren heutigen Namen. Seit dem 10. Dezember 2004 befindet sich die Philharmonie in einem modernen Gebäude in der Narutowicz-Straße. Seit 1969 verfügt die Philharmonie neben ihrem Orchester über einen 60 Mann starken Chor. Das Orchester und der Chor traten schon in fast allen europäischen Ländern, den USA und dem Fernen Osten auf und sind öfters für die Produktionen der Filmhochschule Łódź aktiv. Bauwerke Die zentrale Ulica Piotrkowska (Petrikauer Straße) mit Sternen der berühmten Absolventen der Filmhochschule (ähnlich dem Walk of Fame in Hollywood) ist 4900 m lang und verläuft zwischen dem Plac Wolności (Freiheitsplatz) und dem Plac Niepodległości (Unabhängigkeitsplatz). Ein Teil der Straße ist für den allgemeinen Straßenverkehr gesperrt, wodurch neben Fußgängern zahlreiche Fahrradrikschas den Verkehr in der Straße bestimmen. Neben verschiedenen Geschäften finden sich hier Restaurants und Kneipen. Der Honorarkonsul der Bundesrepublik Deutschland hat seinen Sitz in der Piotrkowska 111. Ursprünglich war die Straße die Verbindung von Piotrków Trybunalski Richtung Zgierz und wurde 1823 als Straße für den geplanten Industriestadtteil angelegt. In der Folgezeit entstanden entlang der Straße verschiedene Wohnhäuser und Fabriken. Noch immer sind beispielsweise die Weiße Fabrik, verschiedene Bankhäuser und unter anderem die Villen von Heinzel, Schweikert und Scheibler zu sehen. Der Palast von Maksymilian Goldfeder befindet sich in der Piotrkowska 77, ist Sitz des studentischen Kulturzentrums und beherbergt einen Irish Pub. Das Gebäude wurde 1889 bis 1892 vom Stadtarchitekten Hilary Majewski (1838–1892) im Neorenaissancestil errichtet. Das Bankgebäude in der Piotrkowska 74 stammt aus dem 19. Jahrhundert. Das Gebäude des Architekten Hilary Majewski wurde im Auftrag von Richard und Gustav Geyer errichtet und wurde später der Sitz der Aktiengesellschaft L. Geyer. Das Wohnhaus von Karl Wilhelm Scheibler wurde 1882 nach Plänen von Hilary Majewski errichtet. Der Palast von Robert Biedermann in der Kiliński-Straße 2 wurde 1878 errichtet. Das Grand Hotel befindet sich in der Mitte der Piotrkowska-Straße und wurde wie das Wohnhaus Scheiblers von Majewski entworfen. Zuvor befand sich an dieser Stelle die Textilfabrik von Ludwig Meyer. 1911 wurden umfangreiche Umbauten vorgenommen. In den 1930er Jahren wurde der Garten, welcher sich hinter dem Gebäude befand, geschlossen. Der Palast von Maurycy Poznański in der Więckowski-Straße 36 wurde 1896 im Stil der Neorenaissance errichtet. Der neobarocke Palast von Izrael Poznański nach Entwurf von Hilary Majewski von 1898 befindet sich in der Ogrodowa und wird gegenwärtig vom Historischen Museum der Stadt genutzt. Das anschließende Gelände mit den historistischen Backsteinbauten der Textilfabrik Poznańskis bildet seit der Rekonstruktion von 2002 bis 2006 das Einkaufs-, Kultur-, Gastronomie und Unterhaltungszentrum Manufaktura. Das Gebäude des 2009 eröffneten Andel Hotels, das sich im Areal des Manufaktura-Komplexes befindet, wurde mit einem Sonderpreis bei den 2010 MIPIM Awards in Cannes ausgezeichnet. Der Palast von Karol Poznański wurde 1904 errichtet. Der Palast in der Gdańska 32 ist wie der von Maurycy ein Bauwerk der Neorenaissance. Der Sitz der Stadtverwaltung im ehemaligen Heinzel-Palais wurde 1882 errichtet. Den Bau leitete Otto Gehlig, der nach Plänen von Majewski arbeitete. Auf dem Dach des Gebäudes befindet sich eine Figur, welche Freiheit, Handel und Industrie symbolisiert. Die hölzerne Kirche in Łagiewniki wurde 1675 errichtet, kurz nachdem eine Seuche in dem damals noch selbständigen Dorf gewütet hatte. Nach einer Sage beteten die Einwohner den heiligen Antonius an. Nach einem Traum, in welchem dem Eigentümer des Dorfes der Heilige erschienen war, ließ dieser eine Kapelle errichten und die Seuche wurde gebannt. Einige Jahre später wurde an der Stelle eine größere Kirche errichtet und die Kapelle etwas weiter entfernt wieder aufgebaut. Der Jüdische Friedhof zählt mit seinen etwa 0,4 km² zu den größten der Welt und ist der größte jüdische Friedhof Europas. Er wurde 1882 eröffnet, nachdem Izrael Poznański die Fläche erworben und dafür zur Verfügung gestellt hatte. Es befinden sich 160.000 bis 180.000 erhaltene Grabmale dort, wobei das Poznański-Mausoleum das größte ist. Auf einem Teil des Friedhofs sind etwa 43.000 Opfer des Ghettos Litzmannstadt beerdigt. Der Evangelische Friedhof befindet sich im Bereich der Srebrzyńska- und der Ogrodowa-Straße. Seit seiner Einweihung 1855 wurden Persönlichkeiten der Stadt wie Louis Geyer, Ludwig Grohmann und Karl Wilhelm Scheibler dort beigesetzt. Sakralbauten Römisch-katholische Kirchenbauten Die St.-Joseph-Kirche in der ul. Ogrodowej 22, ein 1765 erbauter und 1837 erweiterter Holzbau, ist das älteste erhaltene Kirchengebäude in Łódź. Die Stanislaus-Kostka-Kathedrale wurde von 1901 bis 1912 im neugotischen Stil erbaut und 1922 mit der Bildung der Diözese Łódź zur Kathedrale erhoben. Die Heilig-Geist-Kirche, bis Ende des Zweiten Weltkriegs die evangelische St.-Trinitatis-Kirche bzw. Dreifaltigkeitskirche, wurde von 1826 bis 1828 errichtet und befindet sich in der Piotrkowska 2/4 am Plac Wolności. 1889 erfolgte ein Umbau nach einem Entwurf von Otto Gehlig im Stil der Neorenaissance. Die Orgel stammt von der Firma Schlag & Söhne aus Schweidnitz. Die Kirche der Erhöhung des Heiligen Kreuzes in der Henryka Sienkiewicza 38 wurde von 1860 bis 1875 im neuromanischen Stil erbaut. Die Kirche der Himmelfahrt der Jungfrau Maria am Plac Kościelny wurde von 1888 bis 1897 im neugotischen Stil errichtet Die Garnisonskirche St. Georg an der sw. Jerzego 9 wurde 1895/1896 als orthodoxe Alexej-Kirche für das russische Militär erbaut. Nach Übernahme durch die katholische Kirche nach dem Ersten Weltkrieg wurden die ursprünglich vorhandenen Zwiebeltürme beseitigt, Die St.-Anna-Kirche an der al. Śmigłego-Rydza 24/26 wurde 1904/1905 im neuromanischen Stil errichtet. Die Kirche des Heiligen Adalberts (Wojciech) an der Ecke Rzgowskiej/sw. Wojciecha wurde von 1902 bis 1924 im neugotischen Stil erbaut. Die Kirche der Unbefleckten Empfängnis an der Maria Sklodowska Curie 22 wurde von 1907 bis 1909 im neugotischen Stil errichtet. Die Kirche des Heiligen Kasimir an der Niciarniana 7 wurde von 1925 bis 1936 im neoklassizistischen Stil errichtet Die Jesuitenkirche in der Sienkiewicza 60 wurde als evangelische St.-Johannes-Kirche von 1880 bis 1884 im neuromanischen Stil erbaut. Die Kirche der Verklärung an der Ecke Rzgowska/Władysława Broniewskiego wurde von 1923 bis 1925 im sachlichen Stil erbaut. Die Kirche Unserer Lieben Frau in der Łąkowej 40/42 wurde von 1926 bis 1938 im neuklassizistischen Stil erbaut Die Kirche der Heiligen Theresa in der Dr. Stefana Kopcińskiego 1/3 wurde von 1950 bis 1963 im modernistischen Stil errichtet. Altkatholische Kirchenbauten Die Kirche des heiligen Franz von Assisi (Franziskuskirche) der Altkatholischen Kirche der Mariaviten in der Franciszkańska 27 wurde 1907 im neugotischen Stil erbaut Die Kirche der Heiligen Familie in der ul. Bolesław Limanowski 60 wurde 1925 für die Baptistengemeinde im neubarocken Stil errichtet und 1949 von der Polnisch-katholischen Kirche übernommen Protestantische Kirchenbauten Die St.-Matthäus-Kirche (św. Mateusz) der Evangelisch-Augsburgischen Kirche in Polen an der Piotrkowska 283 wurde von 1909 bis 1928 mit Bauunterbrechung in der Zeit des Ersten Weltkriegs in Zusammenarbeit des Łódźer Architekten Johannes Wende mit dem Berliner Architekten Franz Schwechten im neuromanischen Stil errichtet. Sie ist einer der größten Sakralbauten der Stadt mit der größten Orgel Polens, erbaut 1928 von der Firma Rieger Orgelbau in Jägerndorf. Die 26 Meter hohe Kuppel der Kirche hat einen Durchmesser von 17 m, der Kirchturm ist 80 Meter hoch. Die für die ehemalige Gemeinde der Mährischen Brüder von 1911 bis 1913 im neubarocken Stil erbaute Kirche an der Stefana Żeromskiego 56 ist nach zwischenzeitlichem Gebrauch durch die katholische Kirche seit Beginn der 1990er Jahre ungenutzt. Die evangelisch-reformierte Kirche in der Radwańska 37 wurde von 1928 bis 1932 im neoklassizistischen Stil errichtet. Die Baptistenkirche befindet sich an der Nawrot 27. Orthodoxe Kirchenbauten Die St.-Alexander-Newski-Kathedrale in der Jana Kilińskiego 56 unweit des Bahnhofs Fabryczna wurde 1884 für die russische Bevölkerung von Łódź nach Entwurf des Stadtarchitekten Hilary Majewski im neobyzantinischen Stil errichtet. Seit 1948 ist sie die Kathedrale der polnisch-orthodoxen Diözese Łódź-Posen. Die 1898 eingeweihte St.-Olga-Kirche befindet sich in der Grzegorza Piramowicza 12 Synagogen Die Reicher-Synagoge in der Ulica Rewolucji 1905 roku 28 ist neben der 1998 neu eingeweihten Synagoge im Haus der Jüdischen Gemeinde in der Pomorska 18 die einzige in Łodz. Sie wurde von 1895 bis 1902 erbaut und ist die letzte erhaltene von ursprünglich mehr als 250 Synagogen in der Stadt, die 1939/1940 von den deutschen Besatzern zerstört worden sind, darunter der Großen Synagoge. Parks Die Stadt verfügt über 23,78 km² Waldfläche. Die ältesten Parks sind der Piłsudski-, der Poniatowski-, der Źródliska-, der Mickiewicz-Park sowie der Park des 3. Mai. Der jüngste ist der Park Ocalałych, welcher 2004 zum 60. Jahrestag der Auflösung des Ghettos Litzmannstadt eingeweiht wurde. Der Zoo verfügt über eine Fläche von 16,4 Hektar. Unter anderem finden sich hier Wisente, Kängurus, Antilopen, Löwen, Quastenstachler sowie Fische und viele mehr. Gegründet wurde er 1938 und besaß damals eine Fläche von 8,9 Hektar. 1950 erfolgte die Erweiterung des Geländes auf 16,4 Hektar. Für 2019 ist der Baubeginn des Orientariums geplant, das einmal etwa die Hälfte des Zooareals umfassen und viele Vertreter der im Wasser wie auch an Land lebenden Tierwelt Süd- und Südostasiens beherbergen wird. Der Botanische Garten im Stadtteil Polesie erstreckt sich über eine Fläche von 0,64 km², auf welcher etwa 3500 Pflanzen zu finden sind. Ursprünglich legte Professor Jan Muszyński einen Garten von 1,3 Hektar für Heilkräuter an; dieser dehnte sich dann auf etwa sechs Hektar aus. Später wurde der Garten erweitert und am 20. Juli 1973 in seiner heutigen Größe Besuchern zugänglich gemacht. Regelmäßige Veranstaltungen In Łódź gibt es eine Vielzahl von regelmäßigen Veranstaltungen für Theater-, Film- und Musikliebhaber. Regelmäßige Veranstaltungen sind unter anderen: Das Internationale Filmkunstfestival Camerimage fand von 1993 bis 1999 in Toruń und ab 2000 bis 2009 in Łódź statt. Es ist das weltweit größte Treffen der Kameramänner. Es gibt Filmvorführungen und Seminare und es werden Preise vergeben. Das Internationale Festival der Fotografie Fotofestiwal Łódź findet seit 2002 statt. Hier können sich Photographen und Interessierte über die neusten Entwicklungen in der Fotografie informieren. Es gibt zahlreiche Ausstellungen und Vorführungen, Treffen und Seminare rund um Fotos. Das Festival des Dialoges der vier Kulturen belebt die kulturelle Verständigung in der Stadt, welche in der Vergangenheit der Stadt ein wichtiger Baustein des Aufbaus war. Die vier Kulturen, die die Stadt aufbauten, sind Deutsche, Polen, Juden und Russen. Das Programm des Festivals ist reichhaltig; es gibt Veranstaltungen von Pop, Folk, Jazz, Oper, Klassik, Theater und Filme. Das Internationale Festival der Naturfilme „Włodzimierz Puchalski“ ist ein Filmfestival rund um Naturfilme. Projekte, Konzerte, wissenschaftliche Diskussionen, Ökologieseminare und Ausstellungen bilden das Programm. Das Entdecker-Festival ist ein Festival für Kletterer, Extremsportler und Reisende der ganzen Welt. Es findet seit 1999 statt. Das Theaterfestival Łódzkie Spotkania Teatralne ist ein Festival des alternativen Theaters. Es findet seit 1964 jährlich statt und ist damit das älteste der Stadt. Das Internationale Comicfestival findet seit 1991 statt und ist das größte seiner Art in Mittel- und Osteuropa. Sport 233 Sportvereine sind in Łódź aktiv, in denen etwa 60 Sportarten betrieben werden. Bekannt sind die Fußballklubs Łódzki Klub Sportowy und Widzew Łódź, welche beide bereits in der Ekstraklasa spielten. Der Leichtathletikverein Rudzki KS Łódź und der Verein Społem Łódź, bei welchem Radsport und Bogenschießen betrieben werden kann, sind bekannt. Letzterer gehört zu den wichtigen Radsportvereinen Polens. Der Jugendsportklub Trójka ist im Jugendsport erfolgreich und seine Mitglieder konnten vielfältig Medaillen in nationalen Wettbewerben erringen. Wirtschaft und Infrastruktur 1997 wurde in der Woiwodschaft Łódź eine Sonderwirtschaftszone (Łódzka Specjalna Strefa Ekonomiczna) mit einer Gesamtfläche von 383,45 ha eingerichtet, zu der neun Bereiche im Süden der Stadt Łódź mit 96,01 ha gehören. Investoren erhielten bis 2017 spezielle Konditionen für ihre Investments und können Subventionen erhalten. Das flächenmäßig größte Gebiet ist dabei der Komplex Nowy Józefów-Srebna mit 41,87 ha. In dem Gebiet befindet sich der Flughafen und unter anderem ist Gillette Poland International hier angesiedelt. Zweitgrößter Bereich ist der Komplex Centrum mit 13,1 Hektar im Zentrum der Stadt. Die Stadt Łódź wurde durch Standard & Poor’s am 28. Oktober 2005 bewertet. Dabei wurde für die Vergabe von langfristigen Fremdwährungsanleihen die Note BBB- (investitionswürdig) vergeben. Die Prognose für die wirtschaftliche Entwicklung wurde von stabil auf positiv angehoben. Am 28. August 2006 erfolgte ein erneutes Rating, dabei wurde die Note auf BBB angehoben mit der Prognose stabil. Ende 2009 betrug das durchschnittliche monatliche Bruttogehalt in Unternehmen 3.002 Złoty und lag damit unter dem anderer Großstädte. Haupterzeugnisse der Stadt Łódź sind Keramikfliesen (70 % der polnischen Produktion), Strumpfwirkereiprodukte (65 %), Braunkohle (60 %), Bauglas (50 %), Baupappe (45 %), Baumwollgewebe (40 %), elektrische Energie (20 %) und Textilprodukte (16 %). Durch das reiche Braunkohlevorkommen konnte sich die Stromerzeugung gut entwickeln. Ansässige Unternehmen Die Wirtschaft Łódźs war in der Vergangenheit vor allem auf die Textilindustrie ausgelegt. Zu den größten Unternehmen in diesem Zweig gehören Lenora, Wólczanka, WI-MA und das Instytut Włókiennictwa. Die Belchatow AG erzeugt über 20 % der polnischen elektrischen Energie. Zu den großen Investoren in der Stadt gehören Konzerne wie The Gillette Company, die BSH Bosch und Siemens Hausgeräte, Philips, Indesit, Rossmann, Dell, ABB, Coko-Werk und andere. Viele der Unternehmen haben sich in der Sonderwirtschaftszone Łódź angesiedelt. Seit etwa 2015 hat sich die Kreativwirtschaft stark entwickelt. Messewirtschaft Wichtigste Wirtschaftsmesse ist die Messe des Baugewerbes INTERBUD. Zu nennen sind ferner die INTERTELECOM, eine internationale Telekommunikationsmesse, die INTERFLOWER Messe für Landschaftsarchitektur, Gartenbau und Blumenzucht, die INTERFLAT, eine internationale Messe für Innenausstattung und Bauindustrie sowie die Zentraleuropäische Dentalmesse CEDE. Die Hotel-, Tagungs- und Veranstaltungsbranche nutzt zahlreiche revitalisierte Industrieflächen. Verkehr Flughafen Der internationale Flughafen Łódź-Lublinek (Port Lotniczy Łódź im. Władysława Reymonta) liegt sechs Kilometer südwestlich der Innenstadt. Eisenbahn Die beiden wichtigsten Bahnhöfe sind der Kopfbahnhof Łódź Fabryczna und der Durchgangsbahnhof Łódź Kaliska. Vom Bahnhof Łódź Fabryczna fuhren Züge in Richtung Warschau. Er wurde im Oktober 2011 geschlossen und danach bis Ende 2016 zu einem unterirdischen Bahnhof ausgebaut. Während der Umbauzeit endeten die meisten Züge außerhalb der Innenstadt im Bahnhof Łódź Widzew. Die Tunnelstrecke beginnt in der Nähe dieses Bahnhofs und endet zurzeit (2019) noch im Bahnhof Fabryczna. Im Endausbau wird dieser zum Durchgangsbahnhof und die Tunnelstrecke trifft zwischen Łódź Zabieniec und Łódź Kaliska wieder auf die bestehende Eisenbahnstrecke an der Oberfläche. Vom Durchgangsbahnhof Łódź Kaliska fahren Züge in Nord-Süd-Richtung über Kutno nach Bydgoszcz und Posen sowie über Częstochowa nach Katowice und Krakau und Richtung Westen über Kalisz nach Breslau. Weiterhin gibt es im Südwesten der Stadt einen modernen Güterbahnhof. Der Bahnhof hat eine Lagerkapazität von 53.000 m² und es können täglich etwa 2000 Waggons abgefertigt werden. Im Personenverkehr gibt es Planungen, eine zentrale Hochgeschwindigkeitsstrecke von Warschau über Łódź zu bauen, die sich westlich von Łódź gabeln und nach Posen und Breslau führen soll (Projekt Y). Mit dieser hätte Łódź, als drittgrößte Stadt Polens mit zentraler Lage, auch eine zentrale Position im Eisenbahnnetz. Straßenverkehr Die Stadt hat direkten Anschluss an die Europastraßen E30 von Berlin nach Moskau, E67 von Tallinn nach Prag und E75 von Vardø nach Athen. Nördlich der Stadt liegt der Autobahnknoten Łódź-Północ, der die Nord-Süd-Autobahn A1 von Danzig über Katowice nach Tschechien mit der Ost-West-Verbindung Autobahn A2 von Frankfurt (Oder) über Warschau nach Minsk verbinden wird. Zusätzlich soll Łódź in den nächsten Jahren von einem Autobahnring umschlossen werden, damit der Fernverkehr außerhalb des Stadtgebiets bleibt. Täglich erreichen viele im internationalen Linienverkehr fahrende Busse die Stadt. Diese halten im Allgemeinen am Busbahnhof Dworzec Centralny (Zentralbahnhof) direkt vor dem Bahnhof Fabryczna. Ein zweiter Busbahnhof ist der Dworzec Autobusowy Północny (Busbahnhof Nord). Öffentlicher Personennahverkehr Die Stadt betreibt mit ihrem Verkehrsbetrieb MPK (Miejskie Przedsiębiorstwo Komunikacyjne Łódź) 22 Straßenbahnlinien (1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 9A, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 15A, 16, 16A, 41, 43, 46) und 66 Buslinien. Die Linien 9, 16, 41, 43 und 46 sind Überlandstraßenbahnlinien, die Łódź mit benachbarten Städten verbinden. Es werden mittlerweile verstärkt moderne Straßenbahnwagen der Typen Cityrunner und Pesa 122N eingesetzt, es gibt aber noch Modelle des Typs Konstal 805Na; außerdem wurden gebrauchte Duewag-Wagen verschiedener Baureihen aus Deutschland übernommen. Neben den zahlreichen städtischen Buslinien der MPK gibt es einzelne kostenlose Buslinien, deren Fahrten von Einkaufszentren finanziert werden. Das Straßennetz bedeckt 9,6 % und das Schienennetz 2,4 % der Stadtfläche. Eine der längsten Straße in Łódź, die Piotrkowska, ist eine Fußgängerzone und die größte Einkaufsstraße der Stadt. Sie darf nur von Taxis und Lieferfahrzeugen befahren werden. Für Fußgänger gibt es die Möglichkeit, Fahrradrikschas zu benutzen. Medien Fernsehen Der öffentlich-rechtliche Fernsehsender „TVP“ hat ein Regionalstudio in der Stadt, wo das regionale Programm „TVP Łódź“, das auf TVP Info im Regionalfenster ausgestrahlt wird, für die Woiwodschaft zusammengestellt wird. Ein weiteres Regionalstudio hat der Privatsender „TVN“, allerdings ohne einen eigenen Regionalsender zu betreiben. Der in Łódź ansässige Kabelnetzbetreiber „Toya“ betreibt ein eigenes Fernsehprogramm, das über sein Kabelnetz erreichbar ist. Radio „Radio Łódź“ ist ein Sender für die Stadt und die Woiwodschaft Łódź. Der Sender hat ein Regionalstudio in Kutno und in Piotrków Trybunalski. Bereits 1930 sendete der erste Radiosender aus der Stadt auf Mittelwelle. Ein Jahr später wurde das bisher gesamtpolnische Programm um lokale Inhalte erweitert, allerdings wurde es erst zwei Jahre später offiziell genehmigt. 1937 zog der Sender in die ul. Narutowicza 130, wo er immer noch den Sitz hat. Sein Programm ist über 99,2 MHz oder über das Internet zu empfangen. „Radio Pogoda“ ist ein regionaler Radiosender, der erst seit dem 1. April 2005 besteht und in der Traugutt-Str. 25 seinen Sitz hat. Er sendet auf 89,6 MHz und sendet über seine Website. „Radio ESKA“ ist ein polnischer Radiosender, welcher jeweils Regionalprogramme sendet. Das Studio in Łódź befindet sich in der Piłsudski-Str. 7. Radio Eska sendet aktuelle Chartmusik, die auf 99,8 MHz zu empfangen ist. „Radio Parada“ spielt Pop-, Disko- und Rockmusik und bietet Regionalnachrichten. Das Studio des Senders, der in der Piłsudski-Str. 141 sitzt, ist auf 70,1 MHz und 93,5 MHz zu erreichen. „Radio Vox FM Łódź“ strahlt sein Programm in Łódź auf 100,4 MHz aus. Das Studio des Senders befindet sich in der Ks.-Skorupka-Str. 7. „Radio Żak“ (Żak ist ein altpolnisches Wort für Student) ist ein Studentenradio, das zum ersten Mal bereits am 18. Mai 1959 sendete. Damals wurde das Programm im III. Studentenwohnheim Łódźs der Polytechnischen Hochschule produziert, wo noch die Redaktion ihren Sitz hat. Der Sender ist auf 88,8 MHz oder über das Internet zu empfangen. „Radio Złote Przeboje“ hat sein Łódźer Studio in der Sienkiewicz-Str. 72 und ist auf 101,3 MHz zu empfangen. Der Sender „RMF FM“ ist ein Radiosender mit einem Programm für ganz Polen und ist in Łódź auf 93,5 MHz oder über seine Website zu empfangen. „Radio Zet“ ist ebenfalls ein Radiosender, der ein Programm für ganz Polen ausstrahlt. In Łódź ist er auf 90,10 MHz oder über das Internet zu hören. Zeitungen Łódź verfügt über eine Lokalausgabe der zwei größten Tageszeitungen Polens, der „Gazeta Wyborcza“ und „Rzeczpospolita“ sowie der Zeitungen „Echo miasta“ und „Metro“. Der „Dziennik Łódzki“ ist eine weitere Tageszeitung der Stadt. Die Zeitung „Express Ilustrowany“ bezeichnet sich selbst als größte Tageszeitung der Stadt. Die Redaktion sitzt in der ks.-I.-Skorupka-Straße 17/19 und berichtet hauptsächlich über populäre aktuelle Themen. Öffentliche Einrichtungen Als Hauptstadt der Woiwodschaft ist die Stadt Sitz verschiedener öffentlicher Behörden. Im Woiwodschaftsamt auf der Piotrkowska ist Helena Pietraszkiewicz Woiwodin (2006). Weiterhin haben die Woiwodschaftsämter von Polizei, Veterinäramt und Amt für Denkmalschutz ihren Sitz in Łódź. Die Feuerwehrkommandanturen der Stadt und der Woiwodschaft befinden sich in der Wólczańska-Straße und hatten 2005 27.473 Einsätze zu koordinieren, davon allein 8.409 in Łódź. Angeschlossen an die Kommandanturen ist ein Schulungszentrum zur Aus- und Weiterbildung. Das Staatsarchiv in Łódź hat seine Wurzeln im Jahr 1926. Das Archiv findet sich am Platz Wolności 1 sowie in zwei weiteren Gebäuden in der Stadt. Weiterhin befinden sich zwei Außenstellen in Sieradz und Pabianice. Direktor des Archivs ist Piotr Zawilski. Das Zollamt in der Lodowa-Str. 97 beschäftigte 2005 716 Mitarbeiter. Während dieses Jahres wurden Waren im Wert von 1.113.000 Złoty beschlagnahmt. Bereits am 15. August 1945 begann die Errichtung einer Verwaltungsstruktur für den Zollbereich. 1947 arbeiteten im Zollamt 35 Personen. Einige Staaten sind in der Stadt durch Honorarkonsuln vertreten. Dazu gehören Dänemark, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Lettland, Österreich und Ungarn. Bildung Łódź verfügt über 23 Hochschulen, wovon sechs staatlich und 17 privat betrieben werden. Die bedeutendste davon ist die Staatliche Hochschule für Film, Fernsehen und Theater Łódź. Sie hat bedeutende Regisseure wie Roman Polański, Krzysztof Kieślowski oder Andrzej Wajda hervorgebracht. Da sie alle Filmberufe ausbildet, kommen Studenten aus der ganzen Welt an diese Schule. Vor allem die hier ausgebildeten Kameraleute genießen einen international hervorragenden Ruf. Aber auch die Absolventen der Regieabteilung sind international erfolgreich. Jeder bekannte polnische Regisseur hat die Filmhochschule besucht. Zu den ersten Studenten an der Filmschule zählen Andrzej Munk, Andrzej Wajda und Janusz Morgenstern, die Ende der 1950er als Regisseure berühmt wurden. Auf der Piotrkowska-Straße kann man, wie auf dem Walk of Fame in Hollywood, Sterne der berühmten Absolventen der Filmhochschule finden. Die Universität Łódź wird von über 40.000 Studenten an elf Fachbereichen besucht. Weitere öffentliche Hochschulen sind die Medizinische und die Polytechnische Universität, die Musik- und die Kunstakademie. Privat sind unter anderem die Wirtschaftsschule der Salesianer Don Boscos, die Management-, die Verwaltungs-, die humanistisch-wirtschaftliche, die Marketing- und Businesshochschule sowie die Informatik- und die Pädagogikhochschule. Weiterhin verfügt die Stadt über 423 Schulen mit etwa 115.000 Schülern, die von 10.000 Lehrern betreut werden (2004). Davon sind 93 Grundschulen (poln. szkoła podstawowa), welche von 41.590 Schülern besucht werden, 48 Mittelschulen (poln. gimnazjum) mit 24.000 Schülern und 45 Gymnasien (poln. liceum) mit etwa 20.000 Schülern. Weiterhin gibt es 31 Berufsschulen mit ca. 14.000 Schülern. Persönlichkeiten In Łódź sind zahlreiche bekannte Persönlichkeiten geboren, darunter der Lyriker Julian Tuwim, der Pianist Arthur Rubinstein, der Textilunternehmer Izrael Poznański, der Filmregisseur Jan Machulski und Jan Karski, Offizier und Kurier der Polnischen Heimatarmee. Die Ehrenbürgerschaft als besondere Anerkennung der Stadt wurde zahlreichen bekannten Personen verliehen. Dazu gehören Papst Johannes Paul II., Marek Edelman, ein Kommandeur des Aufstands im Warschauer Ghetto, und die Filmregisseure Roman Polański und Andrzej Wajda. Es waren weitere Persönlichkeiten mit der Stadt verbunden, so der Nobelpreisträger für Literatur (1924) Władysław Reymont, zahlreiche Absolventen und Professoren der Universitäten, wie der Filmhochschule Łódź, aber auch Industrielle, wie Karl Wilhelm Scheibler und Louis Geyer, und Roman Cycowski, Bariton der Comedian Harmonists, der bis 1920 in der Stadt lebte. Literatur Hans-Jürgen Bömelburg: Lodz: Geschichte einer multikulturellen Industriestadt im 20. Jahrhundert. Brill Schöningh, Paderborn 502, ISBN 9783506793805. Marek Budziarek, Leszek Skrzydlo, Marek Szukalak: Unsere Stadt Lodz. (Übersetzung von Łódź nasze miasto). Łódź 2000, ISBN 83-87522-34-1. Tanja Elm, Gert Limberg: Łódź. Eine Stadt zwischen Mythos und Realität. blickfett-Verlag, Fürth 2004, ISBN 3-00-014379-3. Otto Heike: Leben im deutsch-polnischen Spannungsfeld: Erinnerungen und Einsichten eines deutschen Journalisten aus Lodz. Hobbing, Essen 1989, ISBN 3-920460-51-0. Jürgen Hensel (Hrsg.): Polen, Deutsche und Juden in Lodz 1820–1939: eine schwierige Nachbarschaft. fibre, Osnabrück 1999 (Einzelveröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Warschau; 1), ISBN 3-929759-41-1. Oskar Kossmann: Lodz. Eine historisch-geographische Analyse. Holzner, Würzburg 1966 (Marburger Ostforschungen; 25). Peter E. Nasarski (Hrsg.): Lodz – „gelobtes Land“. Von deutscher Tuchmachersiedlung zur Textilmetropole im Osten. Westkreuz-Verlag, Berlin/ Bonn 1988, ISBN 3-922131-63-8. Krystyna Radziszewska, Jörg Riecke: Deutsche Spuren in Lodz. In: Spiegel der Forschung. Bd. 17 (2000), Heft 1, S. 48–57 (Digitalisat). Jörg Roesler: Lodz – Die Industriestadt als Schmelztiegel der Ethnien? Probleme des Zusammenlebens von Polen, Juden und Deutschen im „polnischen Manchester“ (1865–1945). In: Jahrbuch für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung (2006), Heft 2. Arthur Schmidt: Die St. Trinitatiskirche, evangelische Mutter-Gemeinde in Lodz. (= Schriftenreihe der Heimatkreisgemeinschaft der Deutschen aus dem Lodzer Industriegebiet. Heft 9). Mönchengladbach um 1985, . Mieczysław Tomala: Deutschland – meine Leidenschaft, Hass zerstört – Versöhnung heilt. Lebenserinnerungen im polnisch-deutschen Verhältnis, Elipsa, Warschau 2012, ISBN 978-83-7151-082-3. Weblinks Offizielle Website der Stadt (pl, en) Deutschsprachige Publikationen über Łódź / im Bibliotheks- und Bibliographieportal / Herder-Institut (Marburg) Einzelnachweise Hauptstadt einer Woiwodschaft Ort der Woiwodschaft Łódź Sonderwirtschaftszone Ehemalige Hauptstadt (Polen) Hochschul- oder Universitätsstadt in Polen Krankenmorde im Nationalsozialismus
Q580
301.890024
898187
https://de.wikipedia.org/wiki/Programmierwerkzeug
Programmierwerkzeug
Programmierwerkzeuge sind Computerprogramme, die Softwareentwickler bei ihren Tätigkeiten der Programmierung von Computerprogrammen unterstützen. Solche Werkzeuge werden in der IT-Entwicklungsumgebung bereitgestellt und zum Beispiel für folgende Zwecke benutzt: zur Erstellung und Änderung des Quelltexts von Programmen: Texteditoren zum Design von grafischen Benutzeroberflächen (Bildschirm- oder Report-Layouts): Spezielle GUI-Editoren zur Übersetzung des Quelltextes in ausführbare Maschinensprache: Compiler, Assembler zum Testen und zur Fehlersuche: Testwerkzeuge, Debugger zur Speicherung und Verwaltung von Programmen und Programm-Dokumenten: Versionsverwaltungssysteme Neben diesen spezialisierten Werkzeugen zur Programmherstellung im engeren Sinn werden für vor- und nachgelagerte Tätigkeiten des Softwareentwicklungsprozesses weitere Werkzeuge eingesetzt, zum Beispiel zur Datenmodellierung, für das Projektmanagement, zur Dokumentationsverwaltung und viele andere. Werkzeuge, die mehrere dieser Disziplinen unterstützen, sind integrierte Entwicklungsumgebungen (kurz IDE). Siehe auch Toolkit Weblinks
Q1077784
90.933172
3805
https://de.wikipedia.org/wiki/Oberfl%C3%A4chenspannung
Oberflächenspannung
Die Oberflächenspannung (Symbol: , ersatzweise ) ist die infolge von Molekularkräften auftretende Erscheinung bei Flüssigkeiten, ihre Oberfläche klein zu halten. Die Oberfläche einer Flüssigkeit verhält sich ähnlich einer gespannten, elastischen Folie. Dieser Effekt ist zum Beispiel die Ursache dafür, dass Wasser Tropfen bildet, und trägt dazu bei, dass einige Insekten über das Wasser laufen können oder eine Rasierklinge auf Wasser „schwimmt“. Die Oberflächenspannung ist also eine Grenzflächenspannung, die zwischen Flüssigkeiten und Gasphasen auftritt. Gemessen wird sie in der SI-Einheit N/m. Bedeutung Die Oberflächenspannung ist eine ziehende Kraft, die an der Oberfläche einer Flüssigkeit lokalisiert ist und ihre Wirkungsrichtung ist parallel zur Flüssigkeitsoberfläche. Demnach steht eine Flüssigkeitsoberfläche stets unter Spannung. Eine Flüssigkeitsoberfläche kann somit mit einer leicht gespannten dünnen Folie verglichen werden, bloß dass die Spannung nicht von der Dehnung abhängt. Die Oberflächenspannung verleiht einer Flüssigkeitsoberfläche spezielle Eigenschaften. So können nichtbenetzte Objekte von einer Wasseroberfläche getragen werden, solange ihr Gewicht nicht ausreicht, um die Oberflächenspannung zu überwinden. Anschaulich wird dies, wenn man beispielsweise eine Büroklammer – aus fettigem Eisendraht – auf eine Wasseroberfläche legt. Sie wird nicht oder nur teilweise benetzt, sinkt etwas unter den Wasserspiegel, nimmt dabei aber die Oberfläche mit, dellt sie ein. Die Oberflächenspannung greift mit vertikalen Kraftkomponenten an der Büroklammer an und trägt diese. Dieser Effekt wird auch von Lebewesen wie dem Wasserläufer ausgenutzt, um auf einer Wasseroberfläche laufen zu können. Die Oberflächenspannung ist die Ursache dafür, dass Flüssigkeiten kugelförmige Gestalt annehmen, wenn keine anderen Kräfte auf sie wirken. Ein Beispiel dafür sind Flüssigkeitstropfen in der Schwerelosigkeit einer Raumstation. Nach Quecksilber als Spitzenreiter unter den Reinstoffen hat Wasser eine besonders hohe Oberflächenspannung. Diese sinkt mit steigender Temperatur deutlich und kann durch Hinzufügen schon geringer Mengen oberflächenaktiver Stoffe (Detergentien) deutlich reduziert werden. Ein praktisches Beispiel sind besonders kleine Wassertröpfchen. Zur Erklärung denke man sich eine Flüssigkeit, deren Gestalt nicht kugelförmig ist. Die Oberflächenspannung greift parallel zur Flüssigkeitsoberfläche an und gleicht lokal abweichende Krümmungen aus. Wenn andere Kräfte auf einen Flüssigkeitstropfen wirken, so weicht dessen Gestalt von der kugelförmigen ab. Ein Beispiel dafür sind Regentropfen von mehr als 1 mm Durchmesser und Flüssigkeitstropfen auf einer Festkörperoberfläche, wo zusätzlich anziehende Kräfte zwischen Festkörper und Flüssigkeit wirken (Adhäsion). Je höher die Adhäsion zwischen Festkörper und Flüssigkeit ist, desto mehr weicht die Form des Tropfens von der kugelförmigen ab: er wird flacher oder es bildet sich ein durchgehender Flüssigkeitsfilm, der die Festkörperoberfläche benetzt. Ein anderes Beispiel für die Wirkung der Oberflächenspannung ist die sechseckige Form von Wabenzellen der Honigbienen. Die Zellen werden zuerst rund aus Bienenwachs gebaut. Das Material gibt aber durch die im Bienenstock herrschenden Temperaturen nach (fließt) und bildet dabei plane Grenzflächen (Minimalflächen) zwischen den einzelnen Zellen. Physikalischer Hintergrund Es gibt zwei Definitionen der Oberflächenspannung, die konsistent sind. Einerseits die mechanische Definition, nach der die Oberflächenspannung eine Kraft pro Länge ist, und die thermodynamische, wonach die Oberflächenspannung eine Energie pro Fläche ist. Mechanische Definition Die mechanische Definition lässt sich anhand eines Bügels mit der Breite erklären, in dem ein Flüssigkeitsfilm eingespannt ist. Wenn der Flüssigkeitsfilm durch eine Kraft parallel zur Oberfläche und senkrecht zu um auseinandergezogen wird, so wird am Film die Arbeit verrichtet und die Oberfläche wächst um (Faktor 2 wegen Vorder- und Rückseite des Films). Die Oberflächenspannung ist das Verhältnis . Demnach handelt es sich bei der Oberflächenspannung um eine Kraft pro Länge, die parallel zur Flüssigkeitsoberfläche gerichtet ist. Die Richtigkeit der Vorstellung der Oberflächenspannung als Kraft parallel zur Oberfläche zeigt sich in zahlreichen Messmethoden und Effekten wie der Bügelmethode, der Kapillarität oder dem Kontaktwinkel. Thermodynamische Definition Die thermodynamische Vorstellung der Oberflächenspannung als Energie pro Fläche rührt von dem Bild her, dass an der Flüssigkeitsoberfläche die Symmetrie der Flüssigkeitsmoleküle gestört ist. Das Fehlen von Flüssigkeitsmolekülen vertikal zur Flüssigkeitsoberfläche und die somit „fehlende“ Bindungsenergie muss durch eine positive Energie kompensiert werden. Um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu vergrößern benötigt man Energie, wobei die Oberflächenspannung definiert ist als Energie die man benötigt um die Flüssigkeitsoberfläche um eine Einheitsfläche zu vergrößern. Somit folgt , womit die Analogie der Vorstellung „fehlender Bindungsenergie“ zur mechanischen Definition gezeigt ist. Diese anschauliche Interpretation ist jedoch noch nicht ausreichend um die Oberflächenspannung thermodynamisch zu definieren. Um dies zu tun geht man von der Änderung der freien Enthalpie bei konstanter Temperatur und konstantem Druck aus, welche durch Gleichung (1) beschrieben wird, wobei die Enthalpie, die Temperatur und die Entropie kennzeichnet. Man kann diese Gleichung umschreiben, indem man die Definition der Enthalpie einsetzt und berücksichtigt, dass gilt. Für die Änderung der inneren Energie wird eingesetzt, wobei für die verrichtete Arbeit steht. Für die Wärmemenge gilt . Daraus folgt: Der Ausdruck für die Arbeit kann in einen Term für die Volumenarbeit und nicht expansive Arbeit zerlegt werden. Bei konstanter Temperatur und konstantem Druck entspricht die Änderung der freien Enthalpie der nicht expansiven Arbeit. Dieser Ausdruck kann nun in Verbindung mit der Oberflächenspannung gebracht werden. Sofern nur Arbeit aufgewendet wird um die Oberfläche einer Flüssigkeit zu vergrößern so entspricht diese dem Ausdruck . Da nun die Oberflächenspannung als Arbeit pro Einheitsfläche definiert ist muss noch die Oberfläche der Flüssigkeit berücksichtigt werden. Somit folgt: Die Oberflächenspannung ist somit thermodynamisch als partielle Ableitung der freien Enthalpie nach der Oberfläche bei konstanter Temperatur und konstantem Druck definiert. Molekulare Theorie zur Oberflächenspannung Die Vorstellung der fehlenden Flüssigkeitsmoleküle an der Oberfläche verleitet intuitiv zu der Annahme, dass die Oberflächenspannung eine Kraft vertikal zur Flüssigkeitsoberfläche sei. Dies stimmt jedoch nicht mit der mechanischen Definition der Oberflächenspannung überein. Um die mechanische Definition hierbei in Einklang mit der thermodynamischen zu bringen muss man berücksichtigen, dass innerhalb einer Flüssigkeit sowohl anziehende als auch abstoßende Kräfte auf ein Molekül wirken. Während in einem Festkörper lokal entweder anziehende oder abstoßende Kräfte wirken, da sich die Teilchen an fixierten Plätzen befinden, so sind in einer Flüssigkeit die Moleküle beweglich. Die Abstände zwischen den Flüssigkeitsmolekülen können sich verändern und somit können auf ein Flüssigkeitsteilchen abstoßende und auch anziehende Kräfte wirken. Dieser Sachverhalt kann auch in einem Lennard-Jones-Potential veranschaulicht werden. Dieses beschreibt allgemein das Potential zwischen zwei ungeladenen Teilchen in Abhängigkeit von deren Distanz. Geraten die Teilchen bei kurzen Distanzen in Kontakt, so stoßen sie sich ab, während sie sich bei größeren Distanzen anziehen. Während in einem Festkörper der Abstand zwischen zwei Teilchen fixiert ist, kann sich dieser in einer Flüssigkeit aufgrund der thermischen Bewegung ändern, was anziehende und auch abstoßende Kräfte auf ein Flüssigkeitsmolekül ermöglicht. Im Bild rechts ist eine schematische Darstellung eines Lennard-Jones-Potentials abgebildet, das die Kräfte zwischen Flüssigkeitsmolekülen erklärt. Haben die Flüssigkeitsmoleküle Kontakt, so stoßen sie sich ab (oranger Bereich), während sie sich bei großen Distanzen anziehen (blauer Bereich). In einer Flüssigkeit ändern sich die Abstände zwischen den Teilchen ständig aufgrund der Wärmebewegung, was durch den schwarzen Doppelpfeil in der Abbildung dargestellt ist. Somit können auf ein Flüssigkeitsmolekül sowohl anziehende als auch abstoßende Kräfte wirken. Man kann die abstoßenden Kräfte als Kontaktkräfte interpretieren. Aufgrund dessen kann deren Wirkung im Raum als richtungsunabhängig, also isotrop angesehen werden. Die anziehenden Kräfte innerhalb einer Flüssigkeit wirken bei weiteren Entfernungen, sind bedingt durch die Struktur der Moleküle und können als richtungsabhängig im Raum, also anisotrop angesehen werden. An der Phasengrenzfläche zwischen Flüssigkeit und Gasphase ändert sich die Dichte der Flüssigkeit sprunghaft im Bereich weniger Moleküllängen, bis sie konstant auf dem Wert des Flüssigkeitsinneren bleibt. Dies bewirkt, dass auch die abstoßenden Kräfte in der Flüssigkeit sprunghaft an der Oberfläche größer werden, bis sie den konstanten Wert des Flüssigkeitsinneren erreichen, wobei dieser Anstieg in alle Raumrichtungen gleich groß ist aufgrund der isotropen Natur der abstoßenden Kräfte. Zur weiteren Erklärung dient das Bild rechts, in dem die Kräfte auf ein Flüssigkeitsmolekül an der Oberfläche und im Inneren veranschaulicht sind. An der Flüssigkeitsoberfläche ist die Symmetrie gestört, das heißt, die Moleküle dort haben in vertikaler Richtung keine benachbarten Moleküle. Somit wirken in vertikaler Richtung nur von unten abstoßende Kräfte (grauer Pfeil) auf die Moleküle. Um das Kräftegleichgewicht zu wahren, werden die abstoßenden Kräfte in vertikaler Richtung durch anziehende Kräfte (oranger Pfeil) ausgeglichen. In horizontaler Richtung, also parallel zur Oberfläche ist dies nicht notwendig, da die Symmetrie nicht gestört ist. Das heißt, dass in horizontaler Richtung von allen Seiten abstoßende Kräfte auf die Flüssigkeitsmoleküle an der Oberfläche wirken. Zusätzlich zu den abstoßenden Kräften wirken auch anziehende Kräfte in horizontaler Richtung. Diese sind jedoch nicht notwendig um das Kräftegleichgewicht zu wahren und können daher und aufgrund ihrer anisotropen Natur in ihrem Betrag größer sein als die abstoßenden Kräfte. Das bedeutet, dass an der Flüssigkeitsoberfläche in horizontaler Richtung die anziehenden Kräfte auf die Flüssigkeitsmoleküle größer sind als die abstoßenden Kräfte. Im Flüssigkeitsinneren sind die anziehenden und abstoßenden Kräfte auf ein Molekül gleich groß. Um die Oberflächenspannung nun als Kraft parallel zur Oberfläche weiter zu verstehen, ist es anschaulich, die Flüssigkeit in zwei Hälften zu teilen, wie es im Bild rechts abgebildet ist. Dort sieht man eine gepunktete und eine nicht gepunktete Hälfte, wobei diese lediglich zur Markierung der beiden Teile dienen. Man betrachtet die Kräfte, die von dem nicht gepunkteten Teil auf den gepunkteten Teil der Flüssigkeit ausgeübt werden. a.) Erst legt man die Trennlinie zwischen den Flüssigkeitshälften parallel zur Flüssigkeitsoberfläche. In Richtung des Flüssigkeitsinneren nimmt die Dichte zu, daher werden auch die abstoßenden Kräfte (grau) auf den gepunkteten Teil größer. Diese werden durch anziehende Kräfte (orange) ausgeglichen. b.) Legt man nun die Trennlinie zwischen den Hälften in vertikaler Richtung, so kann man wiederum die abstoßenden Kräfte, die auf den gepunkteten Teil wirken, einzeichnen. Diese sind aufgrund ihrer isotropen Natur in ihrem Betrag gleich groß wie in vertikaler Richtung. Die anziehenden Kräfte auf den gepunkteten Teil sind jedoch nicht isotroper Natur und können in ihrem Betrag größer sein als die abstoßenden Kräfte. Man erkennt auch, dass sich dieser Unterschied verkleinert je weiter man ins Flüssigkeitsinnere fortschreitet. Bereits nach ein paar Moleküllängen gleichen sich anziehende und abstoßende Kräfte in horizontaler Richtung aus, da die Dichte in Richtung des Flüssigkeitsinneren zunimmt. c.) Der nicht gepunktete Teil der Flüssigkeit übt eine anziehende Kraft auf den gepunkteten Teil aus, die in Richtung des Flüssigkeitsinneren abnimmt. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich im Bereich weniger Moleküllängen die Dichte an der Flüssigkeitsoberfläche (rote Kurve im Bild rechts) ändert, bis sie den konstanten Wert des Flüssigkeitsinneren erreicht. Dies hat zur Folge, dass an der Flüssigkeitsoberfläche eine ziehende Kraft in horizontaler Richtung wirkt. Die blaue Kurve im Bild rechts beschreibt die Differenz zwischen anziehender und abstoßender Kraft, die von dem nicht gepunkteten Teil der Flüssigkeit auf den gepunkteten Teil in horizontaler Richtung ausgeübt wird. Sie entspricht der Oberflächenspannung und ist im Bereich weniger Moleküldurchmesser an der Oberfläche lokalisiert. Abhängigkeiten Für Wasser gilt ausgehend von dem Wert bei 20 °C und der gewünschten Temperatur T die folgende Näherungsgleichung (vgl. Eötvössche Regel): (in SI-Einheit: N/m) In einem Flüssigkeitstropfen herrscht aufgrund der Oberflächenspannung ein erhöhter Druck, ebenso wie im Inneren einer Seifenblase. Die Druckerhöhung im Flüssigkeitstropfen wird durch die Young-Laplace-Gleichung beschrieben. Bei Bildung von Flüssigkeitspartikeln an Kondensationskernen tritt der Krümmungseffekt auf. Es zeigt sich dabei, dass über den gekrümmten Oberflächen der entstehenden Flüssigkeitstropfen ein höherer Sättigungsdampfdruck auftritt als im Vergleich zu einer ebenen Wasseroberfläche. Grenzflächenaktive Substanzen wie Tenside setzen die Oberflächenspannung herab. Ihr Effekt kann durch einen der Oberflächenspannung entgegengesetzten Lateraldruck beschrieben werden. ist kein Druck, sondern hat dieselbe Einheit wie die Oberflächenspannung. Die angrenzende Luftschicht ist vom Dampf der Flüssigkeit gesättigt. Das Eindringen anderer Dämpfe von außen kann die Oberflächenspannung erheblich verändern. Die Oberflächenspannung ist temperaturabhängig und nimmt im Allgemeinen mit steigender Temperatur ab. Am kritischen Punkt ist sie gleich null. Die Temperaturabhängigkeit wird durch die Eötvössche Regel beschrieben; die oben bereits angegebene Gleichung ist ein für Wasser geltender Spezialfall dieser Regel. Werte Wasser hat also eine vergleichsweise hohe Oberflächenspannung (siehe auch Drucktabellen Wasser in WikiBooks). Messung Man kann die Oberflächenspannung zum Beispiel mit Hilfe der Ring- (von Lecomte De Noüy), Platten- (von Wilhelmy) oder Bügel-Methode (von Lenard), mit einem Tensiometer oder durch den Kapillareffekt messen. Auch kann man über eine optische Auswertung den liegenden oder hängenden Tropfen vermessen und so die Oberflächenspannung der Flüssigkeit ermitteln. Bügelmethode Bei der Bügelmethode (auch als Abreißmethode bekannt) wird ein Bügel mit einem darin eingelöteten extrem dünnen Draht (meist aus Platin) in die Flüssigkeit gehängt, sodass dieser gerade in die Flüssigkeit eintaucht und von dieser benetzt wird. Mit einer Präzisionsfederwaage wird dann die Zugkraft am Bügel nach und nach erhöht. Der Draht wird dann aus der Flüssigkeit gezogen und zieht einen Flüssigkeitsfilm mit. An einem bestimmten Punkt reißt dieser Film ab. Durch das Ziehen am Bügel wird Arbeit gegen die Oberflächenspannung verrichtet. Aus der maximal möglichen Zugkraft am Bügel, bevor der Flüssigkeitsfilm abreißt, den Abmessungen des Bügels und der Dichte der Flüssigkeit kann dann die Oberflächenspannung berechnet werden. Bei Flüssigkeiten wie Ethanol und Drahtlängen von 2–3 cm bei einem Radius von 0,1 mm liegt der Erwartungswert für die Masse im zwei- bis dreistelligen Milligramm-Bereich. Es sind also sehr präzise Waagen nötig. Bei einer Messunsicherheit der Waage von 5 mg und einer Vermessung des Drahtes auf 1 µm genau beträgt der größte Fehler des Endergebnisses bereits 8 bis 12 %. Messung mit dem Kapillareffekt Bei dieser Messmethode macht man sich den Kapillareffekt zunutze, also, dass Flüssigkeiten in dünnen Röhren nach oben steigen. Man benötigt ein Gefäß (etwa eine Küvette) und eine möglichst dünne Kapillare. Diese wird dann einfach in die Flüssigkeit gestellt und die Steighöhe wird gemessen. Da die Flüssigkeit theoretisch unendlich lange braucht, um ihren Endstand zu erreichen, zieht man die Flüssigkeit zunächst in der Kapillare (etwa mit einer Spritze) nach oben und lässt sie anschließend wieder absinken. Die Oberflächenspannung kann dann direkt aus der Steighöhe abgelesen werden, wenn die Dichte der Flüssigkeit und der Kapillarradius bekannt sind. Da dessen Messung recht schwierig ist, nimmt man Einmalmikropipetten und misst deren Länge. Da das Volumen bekannt ist, lässt sich so der Innenradius berechnen. Wasser erreicht in Kapillaren mit einem Radius von 0,2 mm Steighöhen von bis zu 7 cm. Für die möglichst exakte Messung der Steighöhe eignet sich beispielsweise ein Kathetometer. Ist die Dichte der Flüssigkeit genau bekannt und kann man die Steighöhe auf 0,1 mm genau ablesen, liegt der Fehler im unteren einstelligen Prozentbereich. Weitere Methoden Du-Noüy-Ringmethode: klassische Methode zur Messung der Grenzflächenspannung und Oberflächenspannung. Unkritisch auch bei schwierigen Benetzungsverhältnissen. Gemessen wird die Kraft einer vom Ring hochgezogenen Flüssigkeitslamelle. Wilhelmy-Plattenmethode: Universalmethode, speziell geeignet für Oberflächenspannungsmessungen über einen längeren Zeitbereich. Gemessen wird die Kraft, die sich durch die Benetzung der senkrecht aufgehängten Platte ergibt. Kontaktwinkelmessung: Gibt auch Aufschluss über die Benetzbarkeit eines Stoffes. Über die Youngsche Gleichung lässt sich aus dem Cosinus des Kontaktwinkels die Oberflächenspannung berechnen. Spinning-Drop-Methode: zur Bestimmung von Grenzflächenspannungen. Besonders geeignet für niedrige bis extrem niedrige Messbereiche. Gemessen wird der Durchmesser eines rotierenden Tropfens in der schweren Phase. Pendant-Drop-Methode: geeignet für Grenz- und Oberflächenspannungsmessungen. Messmöglichkeiten auch bei extremen Drücken und Temperaturen. Optische Erfassung der Tropfengeometrie. Größe der Tropfen, die von einer Kapillare abtropfen, ist proportional zur Oberflächenspannung. Sessile-Drop-Methode: Bestimmung von Grenz- und Oberflächenspannungen aus dem Profil eines auf einem Substrat ruhenden Tropfens. In der Vergangenheit beliebte Methode zur Messung an flüssigen Metallen und Legierungen, da die Messung unter hohen Temperaturen und/oder extremen Drücken mit dieser Methode verhältnismäßig leicht zu realisieren ist. Blasendruck-Methode: geeignet zur messtechnischen Erfassung der dynamischen Oberflächenspannung (Messung in Abhängigkeit vom Oberflächenalter). Gängige Messverfahren sind das Maximaldruckverfahren und das Differenzdruckverfahren. Tropfen-Volumen-Methode: überlegene Methode zur dynamischen Messung von Grenzflächenspannungen. Gemessen wird die Tropfenanzahl, in die sich ein vorgegebenes Flüssigkeitsvolumen teilt. Prüftinten-Methode: ein in der Industrie (z. B. bei der Verklebung von Selbstklebefolien) auf Kunststoffen angewandter Test. Auf die zu prüfende Oberfläche wird mittels Pinsel eine gefärbte Flüssigkeit („Tinte“) mit definierter Oberflächenspannung aufgetragen. Wenn die Oberfläche von der Tinte benetzt wird (d. h. der Pinselstrich bleibt für > 3 Sekunden bestehen ohne sich zusammenzuziehen), ist die Oberflächenspannung der geprüften Oberfläche gleich oder größer als die der Prüftinte. Zieht sich der Pinselstrich dagegen binnen 3 Sekunden zusammen, ist die Oberflächenspannung der geprüften Oberfläche kleiner als die der Prüftinte. Expanding/Oscillating-Drop-Methode (EDM/ODM): Methode zur Erfassung der oberflächenrheologischen Eigenschaften von Flüssigkeiten. Beschrieben wird die Abhängigkeit der Oberflächenspannung vom Grad und von der Geschwindigkeit der Flächenausdehnung eines Tropfens, der entweder schnell ausgedehnt wird und dann stillsteht (EDM) oder einer sinoidal oszillierenden Schwingung unterliegt (ODM). Mit Hilfe dieser Messtechnik kann die Schaumstabilität und die Emulsionsstabilität beschrieben werden. Methode mit einem Gemisch aus Ethylenglycolmonoethylether und Formamid. Beide Flüssigkeiten werden in einem bestimmten Verhältnis miteinander vermischt. Dadurch erhält man einen definierten Dyn-Wert zur Oberflächenspannungsbestimmung. Hergestellt wird das Gemisch mittels eines Tensiometers. Stalagmometer-Methode beruht auch auf der Tropfenform. Historisches Der Begriff der Oberflächenspannung wurde erstmals 1629 von Niccolò Cabeo verwendet und 1751 von Johann Andreas von Segner klarer gefasst. Zur Theorie wurde 1805 von Thomas Young, 1806 von Pierre-Simon Laplace, 1830 von Siméon Denis Poisson (siehe auch Young-Laplace-Gleichung, Youngsche Gleichung) und 1842 bis 1868 von Joseph Plateau Wertvolles beigetragen. Siehe auch Dortmunder Datenbank und DETHERM: Sammlung experimentell bestimmter Oberflächenspannungen DIPPR 801: Parameter für die Berechnung von Oberflächenspannungen (zumeist per Polynom) Literatur Cyril Isenberg: The Science of Soap Films and Soap Bubbles. Tieto, Clevedon 1978, ISBN 0-905028-02-3. Weblinks Oberflächenspannung von Flüssigkeiten und Messmethoden Oberflächenspannung: Hintergrund, technische Bedeutung, Messmethoden Prozessmessgröße Oberflächenspannung Thermodynamik Einzelnachweise Strömungsmechanik Oberflächenphysik Stoffeigenschaft
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vitruv
Vitruv
Vitruv (Marcus Vitruvius Pollio) war ein römischer Architekt, Ingenieur und Architekturtheoretiker. Er lebte im 1. Jahrhundert v. Chr. Leben Über das Leben Vitruvs gibt es nur spärliche Angaben. Weder die genauen Lebensdaten noch sein vollständiger Name sind gesichert. Einig ist man sich über das nomen Vitruvius (auch nur „Vitruv“); dagegen ist das praenomen Marcus ebenso fraglich wie das cognomen Pollio, das ausschließlich von Marcus Cetius Faventinus erwähnt wird. Die meisten biografischen Daten sind Vitruvs eigenem Werk entnommen und somit recht verlässlich. Er wurde wahrscheinlich um 80–70 v. Chr. als freier römischer Bürger in Kampanien geboren. Als junger Mann genoss er nach eigenen Angaben eine Architektenausbildung, die zur damaligen Zeit auch das Ingenieurwesen umfasste. Im Bürgerkrieg war er unter Gaius Iulius Caesar für den Bau von Kriegsmaschinen verantwortlich und zog mit diesem auch nach Spanien, Gallien und Britannien. Nach Caesars Ermordung im Jahr 44 v. Chr. übernahm er die gleiche Funktion auch im Heer von Kaiser Augustus und wurde um 33 v. Chr. aus dem Heeresdienst entlassen. Danach arbeitete er als Architekt und als Ingenieur am Bau des Wassernetzes in Rom, wo er ein neues System der Wasserverteilung einführte. Zu seinen Errungenschaften als Architekt gehörten der Bau der Basilika von Fanum Fortunae, dem heutigen Fano. Er beschrieb auch Töne als eine Bewegung der Luft, erkannte bereits die Wellennatur des Schalls und verglich dessen Ausbreitung mit der von Wasserwellen. Im Alter verlegte er sich auf das Schreiben und profitierte dabei von einer Pension, die ihm Augustus zugestanden hatte, um seine finanzielle Unabhängigkeit zu garantieren. Zwischen 33 und 22 v. Chr. entstand dann sein Werk, Zehn Bücher über Architektur (Originaltitel: De architectura libri decem). Über das Todesdatum Vitruvs gibt es keinerlei Angaben, was darauf schließen lässt, dass er zu Lebzeiten nur geringe Popularität genoss. Wahrscheinlich starb er etwa um das Jahr 15 v. Chr. Werk Die Zehn Bücher über Architektur sind das einzige erhaltene antike Werk über Architektur und nach Vitruvs eigenen Angaben auch das erste lateinische Werk überhaupt, das eine umfassende Darstellung der Architektur sowie des damaligen Kenntnisstandes des Bauingenieurwesens zum Ziel hatte. Die Bücher sind dem Kaiser Augustus als Dank für dessen Förderung gewidmet. Sie weisen den Charakter eines Lehrbuchs mit literarischen Anklängen auf und gehören somit eher dem Sach- als dem Fachbuchgenre an. Die älteste bekannte Abschrift stammt aus dem 9. Jahrhundert. Insgesamt sind über 80 Handschriften der Zehn Bücher über Architektur erhalten. Weitere Schriften Vitruvs sind nicht bekannt. Entstehungszeit Die einzigen Anhaltspunkte für eine Datierung liefert ebenfalls das Werk selbst. Anhand der Angaben zu einzelnen römischen Bauwerken lässt sich der Beginn der Abfassung in die Zeit ab 33 v. Chr. datieren, während die Schlussredaktion frühestens in die zwanziger Jahre fällt. Aufbau Das Werk umfasst zehn Bücher, die jeweils ein Vorwort mit einer direkten Ansprache an den Kaiser oder einer anekdotenhaften Einführung in das Thema enthalten. Der Aufbau gliedert sich wie folgt: Buch 1: Ausbildung des Architekten und architektonische Grundbegriffe; Das Anlegen von Städten Buch 2: Baumaterialien Bücher 3 und 4: Tempelbau Buch 5: Öffentliche Gebäude Buch 6: Privatgebäude Buch 7: Der Innenausbau der Privatgebäude; Farbenkunde Buch 8: Wasserversorgung Buch 9: Astronomie und Uhrenbau Buch 10: Maschinenbau Inhalt Die Bücher 1 bis 7 widmen sich der Tätigkeit des Architekten, während die Bücher 8 bis 10 mehr dem heutigen Ingenieurwesen zuzurechnen sind. Diese Felder bildeten in der Antike eine Einheit. Im englischen Sprachraum ist noch heute der an die römischen Ursprünge angelehnte Begriff Civil Engineer für den Bauingenieur, im Gegensatz zum nicht-zivilen, d. h. militärischen Ingenieurwesen, in Verwendung. Ähnlich besteht auch in Österreich der Beruf des Ziviltechnikers. Im Deutschen haben die Begriffe Architekt und Ingenieur oft überlappende Bedeutungsfelder. Ausbildung des Architekten Im ersten Kapitel des ersten Buches legt Vitruv offen, dass das Wissen des Architekten sich aus „fabrica“ (Handwerk) und „ratiocinatio“ (geistiger Arbeit) speise, die es ihm ermögliche, über alle anderen Handwerkskünste zu urteilen. In der Renaissance ermutigte diese Zweiteilung die Architekten dazu, sich aus den mittelalterlichen Zunft- und Bauhüttentraditionen zu lösen und die personelle Trennung von praktischer Ausführung und theoretischer Planerstellung einzuführen. Besonders deutlich trat das bei Leon Battista Alberti zutage, der nur noch Pläne und Modelle verfertigte und die Realisierung der Gebäude erfahrenen Bauleitern überließ. Für die theoretische Ausbildung des Architekten orientiert Vitruv sich an der Schulung in den artes liberales. Damit überträgt er Ciceros Forderung nach umfassender Bildung des Redners (Rhetorik) auf sein eigenes Fachgebiet, die ihrerseits auf die von den Griechen vertretene Notwendigkeit einer umfassenden Bildung (ἐγκύκλιος παιδεία, „enkyklios paideia“) zurückgeht. Der entsprechende Terminus findet sich in seinem Werk in der Übersetzung encyclios disciplina wieder. Vitruv rechnet zehn Wissensgebiete zu den Fachgebieten, in denen ein Architekt zum Nutzen seiner architektonischen Tätigkeit bewandert sein sollte: 1. Schriftkunde, 2. Zeichnen, 3. Geometrie, 4. Arithmetik, 5. Geschichte, 6. Philosophie, 7. Musik, 8. Medizin, 9. Jura und 10. Astronomie. Unter anderem erklärt er in seinem Werk Lehrsätze von Platon und Pythagoras und beschreibt, wie Archimedes das nach ihm benannte Prinzip fand und zu welchen Ergebnissen Eratosthenes und Archytas von Tarent bei Erdvermessungen kamen. Nur wer in allen diesen Fächern bewandert ist, erreicht nach seiner Meinung die höchste Stufe der Architektur, den „summum templum architecturae“. Aus einer falschen Übersetzung und Interpretation dieser Aussage wurde unter anderem das Primat der Architektur über die Gattungen der bildenden Kunst abgeleitet, das vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert kanonische Wirkung haben sollte. Prinzipien der Architektur Im zweiten und dritten Kapitel des ersten Buches legt Vitruv verschiedene Kategorien der Architekturtheorie fest, die als Grundbegriffe einerseits das architektonische Entwerfen bestimmen sollten, andererseits als Kriterien zur Beurteilung der fertigen Gebäude dienen sollten. Die drei Hauptanforderungen an die Architektur sind nach Vitruv: Firmitas (Festigkeit), Utilitas (Nützlichkeit) und Venustas (Schönheit). Dabei muss allen drei Kategorien gleichermaßen und gleichwertig Rechnung getragen werden. Darüber hinaus definiert Vitruv sechs Grundbegriffe des Faches Architektur: „ordinatio“, „dispositio“, „eurythmia“, „symmetria“, „decor“ und „distributio“. „Ordinatio“, „eurythmia“ und „symmetria“ beziehen sich dabei auf die Proportionierung des Gebäudes. „Ordinatio“ steht für die „Maßordnung“, also die passende maßliche Einteilung der Glieder eines Bauwerks, „eurythmia“ für das anmutige Aussehen und das maßgerechte Erscheinungsbild in der Zusammenfügung der Bauglieder und „symmetria“ für den Einklang der einzelnen, auf einen Modul bezogenen Elemente untereinander. Im ersten Kapitel des 3. Buches, in dem Vitruv die idealisierten Maßverhältnisse des menschlichen Körpers, die Zurückführung seiner Abmessungen auf geometrische Grundformen wie Quadrat und Kreis sowie die modularen Grundlagen der Zahlensysteme erläutert, werden diese Aussagen zur Proportionierung noch weiter vertieft. „Dispositio“ bezieht sich auf die Konzeption oder Disposition des Gebäudes und die dazu notwendigen Baupläne, die er mit Grundriss, Schnitt und perspektivischer Ansicht („ichnographia“, „orthographia“ und „scaenographia“) festlegt. „Decor“ bezieht sich auf das fehlerfreie Erscheinungsbild eines Gebäudes entsprechend den Regeln der anerkannten Konventionen. Als Beispiele nennt Vitruv unter anderem die korrekte Zuordnung von Säulenarten (dorisch, ionisch, korinthisch) zu bestimmten Gottheiten beim Tempelbau, die Koordination von außen und innen, von stilistischen Teilelementen zum Gesamtstil, von Räumen zu Himmelsrichtungen etc. „Distributio“ meint einerseits die angemessene Verteilung der Baumaterialien und der Ausgaben für den Bau, zum anderen die dem jeweiligen Status der Bewohner angemessene Bauweise. Ein weiteres Bauprinzip Vitruvs, das für die Errichtung von Tempeln gilt, ist das Prinzip der Ostung. Vitruv bestand darauf, dass das Götterbild im Tempel in Richtung Westen schaut, so dass diejenigen, die Opfer darbringen, nicht nur zum Götterbild hin, sondern auch in Richtung Osten opfern. Zudem sollen die Altäre, und damit der ganze Tempel, in Richtung Osten ausgerichtet werden (De architectura, 4,5 und 4,9). Falls die Gegebenheiten dies nicht erlauben, kann auch der Eingang des Tempels nach Osten gelegt werden. Säulenordnungen Auf der ausführlichen Beschreibung der dorischen, ionischen und korinthischen Säule und ihrer Proportionen und Schmuckelemente entwickelt sich in der Renaissance das System der Säulenordnungen, ein kanonisches System von Formen und Proportionen bei Säulen, für die er Proportionen aus dem Grundmaß des Moduls (der Radius an der Basis einer Säule) ableitet, nach dem die Maße aller anderen Bauteile bestimmt werden. Vitruv verbindet die verschiedenen Ordnungen auch mit bestimmten Bauaufgaben. So verbindet er mit der dorischen Ordnung einen wehrhaften und ernsten, mit der ionischen einen weiblichen und kultivierten und mit der korinthischen einen zarten und schlanken Ausdruck. Er verwendet allerdings den Begriff des „genus, genera“ (Art) der Säulen und nicht etwa „ordo, ordinis“ (Ordnungen), wie sie erst die Architekturtheoretiker der Renaissance formuliert haben. Wiederaufgegriffen wurde diese Methode des Moduls in der Renaissance und im 20. Jahrhundert. Quellen Die Zehn Bücher über Architektur bieten nach aktuellem Forschungsstand die älteste, alle Bau- und Technikgattungen umfassende Behandlung der antiken Technik (Zeitmessung, Baumaschinen, Wasserräder, Kriegsmaschinen), Architektur und Raumgestaltung. Zuvor dürfte es lediglich knappe Kompendien sowie Abhandlungen zu Einzelfragen gegeben haben. Vitruv konnte dank seiner langjährigen Tätigkeit aus einem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Daneben benutzte er zahllose griechische Quellen, die uns durch einen im Vorwort des 7. Buches aufgeführten Katalog bekannt sind. In seinen Ausführungen über Tempelbau stützte er sich vor allem auf die Schriften des Architekten Hermogenes, das Kapitel über Astronomie geht wohl auf den Lehrdichter Aratos von Soloi zurück. Unter den römischen Autoren ist als Quelle vor allem Varro mit seinen Abhandlungen zur Baugeschichte zu nennen. Stil Die Sprache gilt gemeinhin als umständlich und wenig flüssig. Kennzeichen sind altertümliche Formen, Überfülle des Ausdrucks, grammatische Eigenheiten und gelegentliche Rückgriffe auf die Umgangssprache. Rezeption Abgesehen von vereinzelten Erwähnungen, so bei Frontinus, Faventinus und Plinius dem Älteren, hat Vitruvs Schaffen in der antiken Literatur nur ein geringes Echo hervorgerufen. Dies könnte an der Orientierung Vitruvs an der griechischen Architektur liegen, durch die Aussagen zu den neuen römischen Entwicklungen in Bauwesen (Amphitheater, Gewölbetechnik, Pfeiler- und Bogen-Konstruktionen) fehlten, vielleicht auch an der spröden Sprache, so dass eine größere Popularität des Autors in der Antike ausblieb. Möglicherweise wird das Werk von den Architekten der Kaiserzeit als Handbuch genutzt worden sein, doch sind die Beschreibungen des Vitruv, insbesondere in den Details, selten archäologisch nachzuweisen. Der Text war während der Spätantike und des Mittelalters bekannt. Es existieren ca. 80 mittelalterliche Manuskripte, darunter ein angelsächsischer Text und ein karolingischer Text um 800, den Einhard kannte. Kopien gab es unter anderem in St. Gallen, Cluny, Canterbury und Oxford. Größere Bekanntheit erlangte Vitruv erst in späterer Zeit, besonders in der Renaissance. Eine neue Stilrichtung der Architektur, die sich die Antike zum Vorbild nahm, griff auf Vitruv zurück, um die Grundlagen der römischen Architektur zu lernen. Nun suchte man in den Klosterbibliotheken nach den seltenen Vitruv-Handschriften, wie unter anderem der Humanist Poggio Bracciolini, der im Jahr 1416 eine Vitruv-Handschrift in der St. Galler Klosterbibliothek fand. Gedruckt wurde das Buch zum ersten Mal von Giovanni Sulpicio ca. 1486 in Rom herausgegeben. Da Vitruvs Werk nicht illustriert war, wurde es für die Rezeption in der Renaissance nötig, neben seinen (teils schwer verständlichen) theoretischen Erläuterungen auch die antiken Werke der Architektur zu betrachten, um die Anweisungen aus den 10 Büchern umsetzen zu können. Gleichzeitig wichen die erhaltenen antiken Gebäude vielfach von den Angaben Vitruvs ab, auch seine Verbindung zwischen Säulenordnungen und Tempeln für spezielle Göttinnen und Götter ist kaum nachweisbar. Dies schuf den modernen Architekten einen erheblichen Interpretationsspielraum, der es ermöglichte, über die Antikenkopie hinauszugehen. Im Jahre 1511 erschien eine weitere Ausgabe von Fra Giovanni Giocondi da Verona in Venedig, 1521 der erste (illustrierte) Druck einer italienischen Ausgabe von Cesare Cesariano. Obwohl Italienisch lange Zeit die führende Sprache der europäischen Architekturtheorie blieb, folgten rasch Übersetzungen in andere Sprachen. Die erste deutsche Übersetzung veröffentlichte Walther Hermann Ryff 1548. Er gab um dieselbe Zeit auch einen Kommentar heraus. Seit dem 15. Jahrhundert beeinflusste Vitruv eine Vielzahl, wenn nicht im Grunde alle europäischen Architekturtraktate und die europäische Architekturtheorie bis weit in das 19. Jahrhundert hinein. 1452 veröffentlichte Alberti sein „de re aedificatoria“, das in Aufbau und theoretischer Setzung an Vitruv anschloss. Noch im 18. Jahrhundert griff François de Cuvilliés den Titel für sein Lehrbuch Vitruve Bavarois auf. Der englische Architekt William Newton (1735–1790) verfasste eine englische Übersetzung und einen französischsprachigen Kommentar zu Vitruv der im Jahr 1780 erschien; dies war die erste wissenschaftliche Auseinandersetzung mit „De architectura“. Dieser Druck ist mit zahlreichen ganzseitigen Stichen versehen. Eines der nur zwei bekannten Exemplare in deutschen Bibliotheken wird im Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München aufbewahrt; das andere befindet sich in der Stadtbibliothek Mainz und ist Teil der Rarasammlung. Eine zentrale Passage in Vitruvs Abhandlung stellt die Theorie des wohlgeformten Menschen (homo bene figuratus) vor. Anhand geometrischer Formen werden die Proportionen des Menschen zueinander beschrieben. Dies inspirierte mehrere Künstler der Renaissance zu Skizzen, darunter der Nürnberger Albrecht Dürer, Mariano di Jacopo Taccola, Pellegrino Prisciani und Francesco di Giorgio Martini. Die berühmteste Illustration stammt von Leonardo da Vinci und erlangte unter dem Namen „Vitruvianischer Mensch“ Berühmtheit. Mit dieser Zeichnung belegte Leonardo die These Vitruvs, der aufrecht stehende Mensch füge sich sowohl in die geometrische Form des Quadrates wie des Kreises ein. Die Methode des Moduls, die von Vitruv grundgelegt wurde, wurde im 20. Jahrhundert etwa als Modulor wieder aufgenommen, einem Maßsystem des Architekten Le Corbusier, das auf dem Goldenen Schnitt basiert. Einer der bedeutendsten deutschen Vitruv-Sammler war der Architekt Bodo Ebhardt. Ebhard besaß eine umfangreiche Sammlung von Vitruv-Ausgaben, deren kommentierten Katalog er 1919 publizierte. Zur eigenständigen Rezeption des Wortes „Modul“ siehe auch Modell. Der Mondkrater Vitruvius und der Mons Vitruvius sind nach Vitruv benannt. Ausgaben Für Digitalisate zahlreicher anderer Ausgaben siehe unter Weblinks. Claude Perrault: Abregé des dix livres de Vitruve. Paris 1673. Blondel: Regles Des Cinq Ordres d'Architecture. Nouvellement Revues, Corrigées et Reduites De Grand En Petit Par Monsieur Blondel, Architecte Du Roy En 1752, Avec Plusieurs Augmentations De Michel-Ange Bonaroti, Vitruve, Scamoisi, d'Avilert, Mansart et D'autres, Paris, 1752. August Rode (Übers.): Vitruv. Baukunst. 2 Bände. Fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Göschen, Leipzig 1796. Edition und Bildauswahl Beat Wyss. Einführung Georg Germann. Birkhäuser, Basel 1987 Franz Reber (Übers.): Vitruv. Zehn Bücher über Architektur. De Architectura libri decem. Übersetzt und durch Anmerkungen und Zeichnungen erläutert von Franz Reber. Krais & Hoffmann, Stuttgart 1865 Digitalisat (Nachdruck marixverlag, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-86539-212-1). Valentin Rose, Hermann Müller-Strübing (Hrsg.): Vitruvii de architectura libri decem / ad antiquissimos codices nunc primum ediderunt. Teubner, Leipzig 1867 (). Hermann Nohl: Index Vitruvianus. Leipzig 1876 (vollständiger Index der Wörter im Text Vitruvs). Fritz Krohn (Hrsg.): Vitruvii De architectura libri decem. Teubner, Leipzig 1912. Frank Granger (Übers. u. Hrsg.): On architecture. Edited from the Harleian ms. 2767. Loeb classical library. 2 Bände Heinemann, London 1931 () Curt Fensterbusch (Hrsg.): Vitruvii De architectura libri decem / Zehn Bücher über die Architektur. Lateinisch und deutsch. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Curt Fensterbusch. WBG, Darmstadt 1964, 6. Auflage ebenda 2008, ISBN 978-3-534-21964-3. Ingrid D. Rowland (Übers.), Thomas Noble Howe: Vitruvius. Ten Books on Architecture. Cambridge University Press, Cambridge 1999, ISBN 0-521-00292-3 (englische Übersetzung). Literatur nach Autoren / Herausgebern alphabetisch geordnet Michael von Albrecht: Geschichte der römischen Literatur von Andronicus bis Boethius und ihr Fortwirken. Band 1. 3., verbesserte und erweiterte Auflage. Walter de Gruyter, Berlin 2012, ISBN 978-3-11-026525-5, S. 740–746. Barry Baldwin: The Date, Identity, and Career of Vitruvius. In: Latomus. Band 49, 1990, S. 425–434. Louis Celebat: Rhétorique et architecture dans le «De Architectvra» de Vitruve. In: École française de Rome u. a. (Hrsg.): Le projet de Vitruve. Objet, destinataires et réception du De architectura. Actes du colloque international de Rome (26–27 mars 1993) (= Publications de l’École française de Rome. Band 192). Ecole française de Rome, Rom 1994, S. 31–46 (online). Erwin Emmerling, Stefanie Correll, Andreas Grüner u. a. (Hrsg.): Firmitas et Splendor. Vitruv und die Techniken des Wanddekors (= Studien aus dem Lehrstuhl für Restaurierung, Technische Universität München, Fakultät für Architektur). München 2014, ISBN 978-3-935643-62-7 (online). Bodo Ebhardt: Die zehn Bücher der Architektur des Vitruv und ihre Herausgeber seit 1484. Mit einem Verzeichnis der vorhandenen Ausgaben und Erläuterungen nach der Sammlung solcher im Besitz des Verfassers. Burgverlag, Berlin o. J. (1918/19, Reprint u. a. 1962, 2018). Günther Fischer: Vitruv Neu oder Was ist Architektur? (= Bauwelt-Fundamente. Band 141). Birkhäuser, Basel 2009, ISBN 978-3-7643-8805-8. Hans-Joachim Fritz: Vitruv. Architekturtheorie und Machtpolitik in der römischen Antike. (= Oktogon. Band 15). Lit, Münster 1995, ISBN 3-8258-2541-8. Germann Georg: Einführung in die Geschichte der Architekturtheorie. 3. Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1993 (umfassend zur Geschichte des Vitruvianismus). Henner von Hesberg: Vitruvius. In: Wolfram Ax (Hrsg.): Lateinische Lehrer Europas. Fünfzehn Portraits von Varro bis Erasmus von Rotterdam. Böhlau-Verlag, Köln 2005, ISBN 3-412-14505-X, S. 23–43. Julian Jachmann: Die Architekturbücher des Walter Hermann Ryff. Vitruvrezeption im Kontext mathematischer Wissenschaften (= Cultural and Interdisciplinary Studies in Art. Band 1). Ibidem-Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-89821-584-9. Heiner Knell: Vitruvs Architekturtheorie. Eine Einführung. 3., aktualisierte Auflage. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2008, ISBN 3-534-21959-7. Herbert Koch: Vom Nachleben des Vitruv. Verlag für Kunst und Wissenschaft, Baden-Baden 1951. Alste Horn-Oncken: Über das Schickliche. Studien zur Geschichte der Architekturtheorie. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1967. Stefan Schuler: Vitruv im Mittelalter. Die Rezeption von „De architectura“ von der Antike bis in die frühe Neuzeit (= Pictura et poesis. Band 12). Böhlau, Köln 1999, ISBN 3-412-09998-8. Zugleich: Dissertation Universität Münster 1996. Thomas Gordon Smith: Vitruvius on Architecture. The Monacelli Press, New York 2003. Hans-Ullrich Wöhler: Vitruv. In: Gerhard Banse, Siegfried Wollgast (Hrsg.): Biographien bedeutender Techniker. Verlag Volk und Wissen, Berlin 1983, S. 25–29. Hartmut Wulfram: Literarische Vitruvrezeption in Leon Battista Albertis „De re aedificatoria“ (= Beiträge zur Altertumskunde. Band 155). Saur, München 2001, ISBN 3-598-77704-3. Zugleich Dissertation Georg-August-Universität Göttingen 2000. Frank Zöllner: Vitruvs Proportionsfigur. Quellenkritische Studien zur Kunstliteratur im 15. u. 16. Jahrhundert (= Manuskripte für Kunstwissenschaft in der Wernerschen Verlagsgesellschaft. Band 14). Wernersche Verlagsgesellschaft, Worms 1987, ISBN 978-3-88462-913-0. Weblinks Lateinischer Text mit englischer Übersetzung auf LacusCurtius Vitruv Biografie (englisch) (Shockwave-Applet) Digitalisate von 15 Ausgaben Vitruvs (1511–1800) der Universitätsbibliothek Heidelberg Digitalisate von 73 Ausgaben Vitruvs (1497–1909) der Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln, Schweiz Website Architectura (Centre d’études supérieures de la Renaissance, Tours) Webseite ScienceDirect (Lateinischer Text mit Downloadmöglichkeit als PDF-Dateien) Anmerkungen Architekturtheoretiker Ästhetiker Literatur der Antike Literatur (Latein) Ingenieur, Erfinder, Konstrukteur Kunsttheorie Poliorketiker Architekt der römischen Architektur Universalgelehrter Person als Namensgeber für einen Mondkrater Römer Geboren im 1. Jahrhundert v. Chr. Gestorben im 1. Jahrhundert v. Chr. Mann
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https://de.wikipedia.org/wiki/Oratorium
Oratorium
Oratorium (kirchenlat. oratorium „Bethaus“, von lat. orare „beten“) nennt man in der musikalischen Formenlehre die dramatische, mehrteilige Vertonung einer zumeist geistlichen Handlung, verteilt auf mehrere Personen, Chor und Orchester. Es ist eine erzählend-dramatische (also mit Handlungselementen durchsetzte) Komposition. Der Begriff Oratorium leitet sich vom italienischen „oratorio“ beziehungsweise vom lateinischen „oratorium“ ab, das ursprünglich einen Gebetssaal bezeichnete. Dies deutet auf die Anfänge der Gattung hin, die sich aus nicht-liturgischen musikalischen Andachten im römischen Oratorium entwickelte und ihren Namen von ihrem Entstehungs- und Aufführungsort übernahm. Im Unterschied zum Italienischen und zum Deutschen wird in anderen Sprachen zwischen dem Gebetssaal und der musikalischen Gattung begrifflich unterschieden: der Gebetssaal heißt beispielsweise auf Englisch „oratory“, auf Französisch „oratoire“, die musikalische Gattung hingegen in beiden Sprachen „oratorio“. Abgrenzung zur Oper Das Oratorium wird im Gegensatz zur Oper ausschließlich konzertant aufgeführt, die Handlung findet also nur in den Texten und in der Musik statt. Ein weiterer grundlegender Unterschied zwischen Oper und Oratorium besteht darin, dass die Oper zum großen Teil weltliche Stoffe zum Inhalt hat, während sich das Oratorium mehr auf geistliche Geschichten konzentriert. Oratorien werden traditionell in kirchlicher Umgebung aufgeführt. In der kirchlichen Fastenzeit wurden in der Regel keine Opern gegeben; in dieser Zeit fand das Oratorium verstärktes öffentliches Interesse. Oratorium und Oper haben sich immer gegenseitig beeinflusst, zum Beispiel in der Einführung der Da-capo-Arie. Form Das frühe Oratorium ist generell zweiteilig, woran sich seine musikalische Herkunft ablesen lässt: In den Andachten Philipp Neris diente die Musik als „Rahmen“ für die Predigt, die zwischen den beiden Teilen erfolgte. Die gesamte Aufführungsdauer liegt bei etwa 40–50 Minuten, die Textlänge bei etwa 350–450 Zeilen. Der Text ist poetisch geformt, häufig gereimt (mit wechselnder Silbenzahl und Reimstellung). Waren bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts erzählende Textpartien, vorgetragen von einem Solisten, dem „Testo“ (von lat. testis=Zeuge), Standard, so setzt sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts eine dramatische Form des Oratoriums, ohne epische Textanteile, durch. Damit ist die Grundlage gelegt für den jahrhundertewährenden Streit, ob das Oratorium eher als epische, als dramatische oder vielleicht sogar als lyrische Gattung anzusehen sei. Die Zahl der Interlocutori, der singenden Personen, beträgt üblicherweise drei bis fünf, wobei die Fünfstimmigkeit (SSATB) ein Charakteristikum des italienischen Madrigals, eines der Vorläufer des Oratoriums, ist. Personengruppen, Volksmengen, Turba-Chöre finden sich in frühen Oratorien, im Laufe des 17. Jahrhunderts jedoch immer seltener. Stattdessen schließen sich die Stimmen für betrachtende oder kommentierende Passagen eher zu Ensembles zusammen. Musikalisch etabliert sich im Oratorium wie in der Oper die Abfolge aus Rezitativen und Arien, die die ursprüngliche kontinuierliche musikalische Gestaltung ablöst. Entscheidend ist die paarige Anordnung: Jeder Arie geht ein Rezitativ in gleicher Besetzung voraus. Die so entstehenden Sinneinheiten entsprechen im weiteren Sinne der Szeneneinteilung in der Oper. Das deutsche protestantische Oratorium legt einen Bibeltext, in der Regel die Passionsgeschichte (oft in Evangelienharmonie) zugrunde. Die nach ihrem Verfasser Barthold Heinrich Brockes benannte Brockes-Passion blieb dabei für lange Zeit prägend: Den Handlungsleitfaden liefert im Oratorium der Erzähler (Historicus, Testo oder Evangelist). Er stellt die Rahmenhandlung in Rezitativen dem Publikum vor. Worte Jesu und anderer handelnder Personen sind üblicherweise rezitativisch oder als monodische Ariosi mit Streicherbegleitung vertont. Als Beispiel ein kurzer Ausschnitt aus Johann Sebastian Bachs Johannespassion: Dazu treten weitere Texte, die vom Chor und den Solisten dargeboten werden, wie madrigalische Dichtungen und geistliche Lyrik, die das Geschehen reflektieren und kommentieren, sowie Choralstrophen. Die lyrischen Textteile werden überwiegend als Da-capo-Arien für Solisten oder Gesangsensembles umgesetzt. Der Chor hat eine dreifache Aufgabe: Er übernimmt die wörtliche Rede von Menschenmengen („Turbaechöre“), als Chorarien vertonte madrigalische Texte sowie – quasi als Stellvertreter der Gemeinde – die Choräle. Aus dieser textlichen Aufteilung ergibt sich eine spezielle Dramaturgie, die sogenannte Drei-Ebenen-Dramaturgie, die als charakteristisch für das Oratorium gelten darf: Zum epischen Erzählerbericht (1) treten individuelle Gefühlsäußerungen in den Arien (2), sowie kollektive Reflexionen der gläubigen Gemeinde in den Chorälen (3). Auch wenn sich das Oratorium phasenweise immer wieder an der Oper orientiert hat und dramatischer gestalteten Entwürfen aufgeschlossen war (bis hin zu einzelnen szenischen Oratorien), wirkt dieser Gestaltungstypus bis in die heutige Zeit nach. Die Stoffe für ein Oratorium stammen meistens aus dem Alten oder dem Neuen Testament, der Hagiographie und der christlichen Allegorik. Selbst Figuren der Mythologie (so bei Hans Werner Henze) oder der Weltgeschichte (Martin Luther oder Dietrich Bonhoeffer) sind im Oratorium darstellbar. Geschichte Vorläufer des Oratoriums und Entstehung Den Rahmen für die Entstehung des Oratoriums als Gattung bildete das Trienter Konzil 1545–1563, das die Verwendung von Musik im Gottesdienst eng begrenzte. (Diese Bestimmungen wurden noch 1917 bestätigt und erst mit der kirchenmusikalischen Neubestimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils 1962–1965 aufgehoben). Zugelassen wurden nur Orgelspiel und Gesang, sofern sie nicht „ausschweifend“ und „zum eitlen Ohrenschmaus“ komponiert sind und die Textverständlichkeit gewahrt bleibt. Als Gegenbewegung zum Trienter Konzil blühten zahlreiche katholische Reformbewegungen auf, die das kirchliche Leben im 16. Jahrhundert prägten, darunter die Kongregation vom Oratorium des heiligen Philipp Neri. In den Gebetsräumen dieser Ordensgemeinschaft, dem sogenannten Oratorium, fanden geistliche Andachten in der Volkssprache (also italienisch) statt, als Ergänzung zu den Gottesdiensten, die in der liturgischen Sprache Latein abgehalten wurden. In den Andachten wechselten sich Gebete, kleinere Predigten und Musikstücke ab. Von besonderer Bedeutung für die musikalische Gestaltung waren die Lauden, mehrstimmige Lobgesänge auf Texte der traditionellen italienischen volkstümlichen geistlichen Lyrik. Im Jahr 1600 kam ein Werk auf einen Text des Laudendichters Agostino Manni zur szenischen und musikalischen Aufführung, die Rappresentatione di Anima, et di Corpo von Emilio de’ Cavalieri (1550–1602). Er schreieb im damals modernen Stil (anders als die formal einfach gehaltenen Lauden) und wechselte Solo- mit Ensemble- und Chorgesang. Dabei traten zahlreiche allegorische und biblische Personen auf, wie Intellekt, Rat, Schutzengel, Welt, Verdammte Seelen in der Hölle, Glückliche Seelen im Himmel. Dies bedeutete gegenüber den Lauden eine erhebliche Verlebendigung und Intensivierung des Textes. Nachdem dieses Werk von der Musikforschung längere Zeit als Oratorium betrachtet wurde, gilt es heute als die erste geistliche Oper. Als weitere Vorläufer des Oratoriums gelten die italienischen geistlichen Madrigale in Dialogform, die im 17. Jahrhundert im neuen, konzertierenden Stil entstanden. Ein wichtiger Vertreter ist Claudio Monteverdi, beispielsweise mit Werken aus der Sammlung Selva morale e spirituale. Ungefähr gleichzeitig mit der Bewegung des hl. Philippo Neri entstand die Congregatio del Santissimo Crocifisso, eine Gemeinschaft von Gläubigen der römischen Oberschicht. Ihre geistlichen Übungen wurden – vielleicht nach dem Vorbild der philippinischen Bewegung – musikalisch aufgelockert, jedoch überwiegend in lateinischer Sprache gestaltet. Besonders reich musikalisch bedacht wurden die Freitage der Fastenzeit sowie Gründonnerstag und Karfreitag. Die Congregatio del Crocifisso hatte viel Geld und engagierte für die Aufführungen gerne Berühmtheiten wie Giovanni Pierluigi da Palestrina oder Emilio de’ Cavalieri. Aufgeführt wurden überwiegend lateinische A-cappella-Motetten, wobei hier dialogische Formen bevorzugt wurden. Anders als bei den italienischen geistlichen Madrigalen handelt es sich bei den Texten jedoch in der Regel um Ausschnitte, „Verdichtungen“ des lateinischen Bibeltextes (Vulgata). Damit wurden bis in die Mitte des 17. Jahrhunderts die Grundlagen für die Herausbildung des italienischen und des lateinischen Oratoriums gelegt. 17. und 18. Jahrhundert: Frühphase Um 1640 sind erste musikalische Werke bezeugt, die die Bezeichnung Oratorium tragen. Die erste Verwendung des Begriffs für ein musikalisches Werk findet sich bei dem römischen Komponisten und Schriftsteller Pietro Della Valle, der in einem Brief im Dezember 1640 von einer Aufführung eines Oratoriums für Mariä Lichtmess berichtet, die im Haus des Komponisten stattfand. Andere Werke aus dieser Zeit, die diesem Oratorium ähneln, tragen jedoch häufig noch die Bezeichnung „Dialogo“ oder „Cantata“; die Grenze zwischen diesen Gattungen ist nicht scharf gezogen. Italien Zu den ersten bekannten italienischen Oratorien gehören Giacomo Carissimis „Daniele“ und ein „Oratorio della Santissima Vergine“ (wahrscheinlich vor 1642 entstanden), ein Auferstehungsoratorium „Oratorio per il giorno di Resurrezione“ von Marco Marazzoli (nach 1636) sowie etliche Werke von Luigi Rossi. Lateinische Oratorien sind etwas später nachgewiesen, ebenfalls von Carissimi sowie von Francesco Foggia und Bonifazio Graziani. Recht bald weckt das Oratorium das Interesse kirchlicher und weltlicher Würdenträger und etabliert sich schnell als repräsentative musikalische Gattung in allen damaligen musikalischen Zentren Italiens: Rom, Bologna, Modena, Florenz, Venedig, Neapel. Vor allem das in der Gestaltung freiere italienische Oratorium findet Verbreitung; das lateinische ist seltener. Bedeutende italienische Oratorienkomponisten des 17. Jahrhunderts sind Marco Marazzoli, Domenico Mazzocchi, Pietro Della Valle, Luigi Rossi, Giacomo Carissimi, Francesco Foggia, Alessandro Stradella, Alessandro Scarlatti, Vincenzo de Grandis, Giovanni Carlo Maria Clari, Antonio Caldara, Carlo Francesco Pollaiolo, Tommaso Pagano, Donato Ricchezza und andere. Wien Mitte des 17. Jahrhunderts gelangt das Oratorium nach Wien: durch zwei Venezianer, die wichtige musikalische Funktionen am Hof bekleideten, Giovanni Priuli (um 1580–1629) und Giovanni Valentini (1582/1583–1644). In der Folgezeit etablierte sich der spezielle Typ des „Oratorio al Sepolcro del Venerdì Santo“, das in der musikwissenschaftlichen Literatur als „Wiener Sepolcro“ bekannt ist. Die Oratorien aus dem Wien des 17. Jahrhunderts tragen deshalb selten die Bezeichnung „Oratorio“, sondern heißen häufiger Rappresentazione sacra al Sepolcro, Azione sacra oder Componimento sacro al Sepolcro. Charakteristisch für das Wiener Sepolcro ist die szenische Darstellung und zugleich die Einteiligkeit. Sepolcro ist aufführungspraktisch eine musikdramatische Inszenierung vor dem Heiligen Grab; sie ist die einzige musikalische Gattung, die autochthon auf dem Boden der kaiserlichen Hofmusikkapelle in Wien entstanden ist und zwischen etwa 1640 und 1705 am Karfreitag oder Gründonnerstag auch nur dort gepflegt wurde. Als Komponisten diese Sepolcro traten zahlreiche Wiener Hofkapellmeister und Opernkomponisten hervor: im 17. Jahrhundert Giovanni Felice Sances, Antonio Draghi und Giovanni Battista Pederzuoli, im 18. Jahrhundert Marc’Antonio Ziani, Johann Joseph Fux, Antonio Caldara und Francesco Bartolomeo Conti. Kaiser Leopold I. hat mehrere Oratorien komponiert. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts treten Georg Christoph Wagenseil, Carl Ditters von Dittersdorf, Antonio Salieri und Joseph Haydn mit italienischen Oratorien hervor. Die wichtigsten Librettisten des Oratoriums in Wien sind im 17. Jahrhundert der Hofdichter Nicolò Minato als Hauptlibrettist des Sepolcro, im 18. Jahrhundert Pietro Metastasio und Apostolo Zeno. Mit dem Tod Kaiser Karls VI. erlischt die Linie Habsburg in Österreich, und damit endet die glanzvolle Zeit des Wiener Hofes. Mit den musikalischen Aktivitäten kommt die Oratorienproduktion weitgehend zum Erliegen. Frankreich In Frankreich bewirkten die Hugenottenkriege und der Absolutismus eine nahezu ein Jahrhundert andauernde musikalische Stagnation, die in besonderem Maße die Kirchenmusik betraf. Dies führte dazu, dass die italienische Oper in Frankreich nicht wirklich Fuß fasste und dass sich das Oratorium nicht etablierte. Eine eigenständige französische Oper entstand. Marc-Antoine Charpentier (um 1643–1704) komponierte über 30 'Oratorios' und 'Histoires sacrées', darunter auch einige lateinische Oratorien. Damit war er eine zeit-untypische Ausnahme; diese Werke beeinflussten die weitere musikgeschichtliche Entwicklung kaum. Barock Italien Nach wie vor stellt im 18. Jahrhundert Italien eines der wichtigsten Oratorienzentren dar. Stilistisch machen sich der Übergang vom Generalbasszeitalter zur Wiener Klassik sowie der Siegeszug der neapolitanischen Oper bemerkbar. Letzterer führte dazu, dass die für das Oratorium typische Da-capo-Arie immer häufiger durch andere ariose Formen (wie die Cavatine, Rondo) ersetzt wird. Auch Anzahl und Umfang von Chören, Ensembles und Instrumentalstücken werden größer. Insgesamt zeigt sich jedoch das Oratorium stilistisch konservativer als die Oper; weder finden charakteristische Elemente der Opera buffa Eingang noch die typische motivisch-thematische Arbeitsweise der Klassik. Der überwiegende Teil der überlieferten Werke ist italienisch; lateinische Oratorien machen nur noch eine geringe Zahl aus. Einen maßgeblichen Anteil an der Entwicklung des italienischen Oratoriums im 18. Jahrhundert haben die sieben Oratorienlibretti Pietro Metastasios, die zwischen 1730 und 1740 entstanden und in den folgenden Jahrzehnten unzählige Male vertont wurden. Sie zeichnen sich aus durch den konsequenten Wechsel zwischen Rezitativ und Arie, wobei die Rezitative in hohem Maße erzählende, reflektierende und moralisierende Passagen enthalten; ein „testo“ als zentrale Erzählinstanz existiert jedoch nicht. Die meisten Oratorienkomponisten dieser Zeit sind die bei großen kirchlichen Institutionen angestellte Kapellmeister. Zu den bedeutendsten zählen Niccolò Jommelli, Giovanni Battista Casali und Pietro Maria Crispi in Rom, Giovanni Battista Martini in Bologna, Baldassare Galuppi in Venedig und Domenico Cimarosa in Neapel. Von Giulio Cesare Arresti, der am Übergang vom 17. zum 18. Jahrhundert wirkte, sind drei Oratorien überliefert: „Der Garten Gethsemane“ – L'orto di Getsemani (Bologna, 1661), „Der Abschied Jesu von Maria“ – Licenza di Gesù da Maria (Bologna, 1661) und „Die Hochzeit Rebekkas“ – Lo sposalizio di Rebecca (Bologna, 1675). Es gab allerdings von ihm noch ein viertes Oratorium, das verschollen ist: „Die Enthauptung des heiligen Johannes“ – La decollazione di S Giovanni (Bologna, 1708). Das norddeutsche, protestantische Oratorium Eine gegenüber Italien eigenständige Entwicklung machte das deutsche, evangelisch geprägte Oratorium. Zu den Vorläufern gehören responsoriale Passionsvertonungen sowie Historien, die sich im 17. Jahrhundert zunehmend nicht mehr auf die Vertonung des Bibeltext beschränkten, sondern textliche und musikalische Einschübe enthielten; auch die Dialoge und kleinen geistlichen Konzerte beispielsweise von Heinrich Schütz spielten eine Rolle. Zu den wichtigsten Vorläufern des deutschen protestantischen Oratoriums gehören die Kompositionen, die Dietrich Buxtehude für seine Lübecker Abendmusiken schrieb. An fünf Sonntagen im Jahr führte er nach der Nachmittagspredigt eine fünfteilige, inhaltlich zusammenhängende geistliche Komposition auf. Der Text ist aus wörtlichen und paraphrasierten Bibelstellen sowie geistlichen Gedichten und Choralstrophen zusammengesetzt; die musikalische Anlage lässt Anleihen an das italienische Oratorium erkennen. Als erstes deutsches Oratorium gilt „Der blutige und sterbende Jesus“, vertont von Reinhard Keiser und mit einem Libretto von Christian Friedrich Hunold. Die Uraufführung fand 1704 in Hamburg statt. Die Komposition, deren Text überdauerte, war lange verschollen. Die Leipziger Musikwissenschaftlerin Christine Blanken fand 2007 die Noten in der Staatsbibliothek Berlin. 2010 wurde das wiedergefundene Oratorium in Hunolds Geburtsort Wandersleben erstmals wiederaufgeführt. Gegenüber den responsorialen Passionsvertonungen ist neu, dass der zugrundeliegende Bibeltext nicht wörtlich übernommen, sondern vollständig in Versen nacherzählt ist. Die freie Behandlung des Bibeltextes zog die Kritik der Hamburger Kirchenobrigkeit auf sich, der die vitale Hamburger Oper ein Dorn im Auge war. Weder die Oratorien Keisers noch die Matthesons und Telemanns wurden in Kirchen aufgeführt. Damit verlor das Oratorium seine gottesdienstliche Bindung und entwickelte sich von einer kirchenmusikalischen zu einer konzertanten Gattung. Von Keisers weiteren Oratorien ist musikgeschichtlich vor allem das Passionsoratorium Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Heiland (1712) von Bedeutung. Textgrundlage ist hierbei eine Passionsdichtung aus der Hand des jungen Barthold Heinrich Brockes. Die sogenannte Brockes-Passion wurde in der Folgezeit von zahlreichen bedeutenden Komponisten vertont (Georg Friedrich Händel 1716, Johann Mattheson 1718, Georg Philipp Telemann 1722) und verhalf damit dem Oratorium endgültig in Deutschland zum Durchbruch. Die Stoffauswahl des deutschen barocken Oratoriums beschränkt sich weitgehend auf Passion und Weihnachten. Von Johann Mattheson (dessen Manuskripte nach dem Zweiten Weltkrieg als Beutekunst nach Jerewan kamen und deshalb erst in den letzten Jahren nach und nach wieder zugänglich wurden) sind nur wenige Oratorien bekannt, die nicht die Passionsgeschichte behandeln, wie „Der gegen seine Brüder barmherzige Joseph“ von 1727; auch Georg Philipp Telemann schrieb nahezu ausschließlich Passionsoratorien. Dafür bringen Telemann und seine Textdichter allegorische Figuren in das Geschehen des Oratoriums ein und beschränken sich nicht auf das biblische Personal. Außerhalb Hamburgs sind bis 1760 nur wenige Oratorien bekannt. Passionsoratorien sind vor allem von Carl Heinrich Graun in Dresden, Gottfried Heinrich Stölzel in Gotha und Christian Friedrich Rolle in Magdeburg überliefert; kleinere Zentren der Oratorienpflege bildeten zeitweilig Danzig, Schwerin-Ludwigslust, Berlin und Leipzig. Den Höhepunkt und Abschluss des deutschen protestantischen Passionsoratoriums stellen die Passionen Johann Sebastian Bachs dar (Johannes-Passion BWV 245, 1724; Matthäus-Passion BWV 244, 1727/29 (Frühfassung) bzw. 1736 (endgültige Fassung); Markus-Passion BWV 247, 1731). Bach hatte sich intensiv mit der Hamburger Oratorientradition beschäftigt, was zahlreiche von ihm geleitete Aufführungen von Passionen Reinhard Keisers belegen. Musikalisch wie textlich finden sich in seinen Passionen Anleihen bei Keiser und Telemann, werden von ihm jedoch mit eigenem Ausdruck gefüllt. Anders als bei Brockes dienen Bach die madrigalischen und Choraltexte nicht mehr als Einstimmung auf den Bibeltext, sondern als theologische Deutung; sie wenden sich nicht an einen zu bekehrenden Hörer, sondern an den fromm gebildeten, traditionsbewussten Christen. Die übrigen Oratorien Bachs – Weihnachtsoratorium BWV 248, Osteroratorium BWV 249, Himmelfahrtsoratorium BWV 11 – heben sich von den Passionen deutlich ab und stehen eher mit seinem Kantatenschaffen in Verbindung. Tatsächlich wurden sie alle ursprünglich als Kantaten komponiert und erst nachträglich bzw. bei Überarbeitungen von Bach als „Oratorium“ betitelt. Ähnlich wie in Bachs übrigen Kantaten steht in diesen Werken weniger der Bibeltext als vielmehr der verwendete Choral im Mittelpunkt. Zu den bekanntesten noch häufig aufgeführten Oratorien zählen die Oratorien Bachs sowie der Messiah von Händel, dessen weitere Oratorien (Belshazzar, Judas Maccabaeus, Solomon) deutlich weniger präsent sind. Biblische Themen behandeln auch die Oratorien Die Israeliten in der Wüste und Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu des Bachsohns Carl Philipp Emanuel Bach. Katholische Oratorienzentren im deutschen Sprachraum Steht im 16. und 17. Jahrhundert Dresden für eine wichtige Stätte evangelischer Kirchenmusik, die mit den Namen Johann Walter, Heinrich Schütz und anderen eng verbunden ist, so ändert sich dies im 18. Jahrhundert mit der Konversion des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. zum Katholizismus. Dresden wird in dieser Zeit nicht nur architektonisch, sondern auch musikalisch Hochburg des italienischen Barocks in Deutschland. Am Heiligen Grab, das in den 1720er Jahren nach Wiener Vorbild in der Dresdner Hofkirche errichtet wurde, wurden jährlich am Karsamstag, zeitweise am Karfreitag, Passionsmusiken und Oratorien aufgeführt. Auf diese Weise wird das italienische Oratorium als Fortsetzung des Wiener Sepolcro in Deutschland heimisch. Die wichtigsten Dresdner Oratorienkomponisten sind Johann David Heinichen, Jan Dismas Zelenka, Johann Adolf Hasse und Johann Gottlieb Naumann. Daneben liegen die wichtigsten Entstehungsstätten katholisch geprägter deutschsprachiger Oratorien vor allem auf österreichisch-habsburgischem Gebiet. Die wichtigsten Komponisten sind hier Gregor Joseph Werner als Kapellmeister in Eisenstadt, Johann Georg Albrechtsberger, Organist am Stift Melk sowie in Salzburg Leopold Mozart und Johann Ernst Eberlin. Wolfgang Amadeus Mozart, Johann Michael Haydn und Anton Cajetan Adlgasser haben Beiträge zum katholischen Oratorium geleistet (Mitwirkung an der Komposition des Oratoriums „Die Schuldigkeit des ersten Gebots“). In Wien beginnt sich seit den 1770er Jahren das deutschsprachige anstelle des italienischen Oratoriums durchzusetzen, bleibt jedoch insgesamt zahlenmäßig gering. Das entstehende kulturelle Umfeld mit der bürgerlichen Tonkünstler-Societät und dem unermüdlichen Einsatz des Barons Gottfried van Swieten für die Werke Johann Sebastian Bachs, Georg Friedrich Händels und Carl Philipp Emanuel Bachs bilden jedoch die Entstehungsgrundlage für die großen Oratorien Joseph Haydns (Die Schöpfung, Die Jahreszeiten) an der Schwelle zum 19. Jahrhundert. In Würzburg, aber zuletzt auch in Kassel, wirkte Fortunato Chelleri, der das zweiteilige Oratorium Beatæ Mariæ Virginis schuf (Würzburg, 1723). England Das englische Oratorium wird im 18. Jahrhundert wie auch die Musikgeschichte des Landes allgemein von der Person Georg Friedrich Händels geprägt und dominiert. Aufgrund der Distanzierung der englischen Kirche vom Katholizismus gibt es vor Händel kein Oratorium in England. Erst die Phase religiöser Toleranz unter König Georg II. schuf die gesellschaftlichen Voraussetzungen für den Erfolg der Oratorien Händels. Händel selbst komponierte in jungen Jahren zwei italienische Oratorien (Il trionfo del Tempo e del Disinganno, 1707; La Resurrezione, 1708) und ein Passionsoratorium nach Barthold Heinrich Brockes; diese Werke treten aber hinter seinem englischen Oratorienschaffen quantitativ wie qualitativ deutlich zurück. Das erste Mal verwendet Händel die Gattungsbezeichnung „Oratorio“ für ein englisches Werk im Jahr 1732, als er seine beiden Bühnenwerke Acis and Galatea und Esther (beide wahrscheinlich 1718 entstanden) bearbeitet und konzertant aufführt. Zu diesem Zeitpunkt hat Händel bereits 20 Jahre als Opernkomponist in London hinter sich. Dennoch stellen seine Oratorien nicht einfach die Fortsetzung seines Opernwerks dar, sondern weisen erhebliche Unterschiede auf. Neben der Verwendung der englischen Sprache betrifft dies vor allem die Art des Gesangs, der nicht mehr auf die italienischen Stimmvirtuosen ausgelegt ist, wie es in den Opern der Fall ist. Stattdessen entwickelt Händel einen speziellen englischen oratorientypischen Tonfall und weist in vielen Oratorien dem Chor eine erhebliche Rolle zu, die am deutlichsten in Messiah und Israel in Egypt zum Tragen kommt. Eine Besonderheit des händelschen Oratoriums, das es von den Werken auf dem Festland unterscheidet, ist seine Dreiteiligkeit. Diese ist tatsächlich dem Einfluss der Oper, die grundsätzlich aus drei Akten bestand, geschuldet. Die Sujets entstammen mehrheitlich dem Alten Testament, welches im englischen Puritanismus überaus beliebt war. So finden sich in Händels Schaffen u. a. die Oratorien Deborah, Saul, Joseph and his Brethren, Joshua, Solomon oder Jephtha. Dabei griffen Händels Textdichter jedoch häufig nicht direkt auf die Bibel zurück, sondern auf literarische Bearbeitungen: für Samson beispielsweise bearbeitete der Librettist Newburgh Hamilton das biblische Drama „Samson Agonistes“ von John Milton. Der Erfolg des Oratoriums in England hängt nicht zuletzt mit dem zunehmenden Selbstbewusstsein der erstarkenden bürgerlichen Mittelschicht zusammen. Diese wandte sich von der als aristokratisch empfundenen italienischen Oper ab und dem Oratorium, das nicht als kirchliche, sondern als zwar geistliche, aber doch theatralisch-konzertante Gattung angesehen wird, zu. In der Nachfolge Händels entstehen überall in England große Musikfeste, die nicht nur für die Pflege seines Werkes, sondern auch für die weitere Entwicklung des Oratoriums eine wichtige Rolle spielten. Daran beteiligt waren große Chorgemeinschaften, in denen sich das Bürgertum versammelte und seinen kulturellen Anspruch gesellschaftlich verdeutlichte. Schon Mitte des 18. Jahrhunderts gehörten Händels Oratorien zum festen Repertoire der Musikfeste in englischen Städten; eine besondere Rolle spielten die Aufführungen des „Messiah“, die – nach dem Vorbild der von Händel selbst organisierten und geleiteten Aufführungen – meist karitativen Zwecken dienten. Die Dominanz Händels und seiner Werke bewirkte, dass über Jahrzehnte nur wenige Oratorien anderer Komponisten (zum Beispiel John Stanley und John Christopher Smith) entstanden. In diesen Werken lässt sich ein mehr oder weniger deutlicher Einfluss Händels ausmachen, so dass sie Randerscheinungen blieben. Vorklassik und Klassik Während Bachs Passionen die barocke Oratorientradition mit einem letzten Höhepunkt abschließen, zeigt sich in einem anderen beliebten Werk der damaligen Zeit ein Oratorientypus, der in der Folgezeit vorherrschend werden sollte: in Carl Heinrich Grauns Vertonung eines Passionslibrettos von Karl Wilhelm Ramler, „Der Tod Jesu“ (1755; später ebenfalls vertont von Georg Philipp Telemann und von Joseph Martin Kraus). Später folgen zwei weitere Oratorienlibretti Ramlers: „Die Hirten bei der Krippe zu Bethlehem“ (1758; vertont u. a. von Johann Friedrich Agricola) und „Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ (1760; vertont u. a. von Georg Philipp Telemann und Carl Philipp Emanuel Bach). Literarhistorisch und ästhetisch gehören diese Oratorien in den Umkreis der (vorklassischen) Empfindsamkeit, auch wenn sich – anders als kurze Zeit später bei Georg Friedrich Händels „Messias“ – direkte Einflüsse Klopstocks nicht finden. Grauns „Tod Jesu“ hatte bei seinem Erscheinen überaus großen Erfolg und wurde häufig aufgeführt; in Berlin sogar fast jährlich bis 1858 und noch einmal von 1866 bis 1884. Textlich wie musikalisch markiert Grauns Werk einen neuen Oratorienstil. Die Unmittelbarkeit des biblischen Geschehens wird von Betrachtung und Reflexion des Bibeltextes abgelöst. Dies zeigt sich nicht zuletzt daran, dass wörtliche Rede handelnder Personen nicht mehr durch einzelne Solisten besetzt, sondern in die Erzählung als Zitat eingebunden wird. Die Betrachtung ist durch die Anschauungen der protestantischen theologischen Aufklärung geprägt, die Jesus als vorbildlichen Weisen ansieht und aus seinem Handeln einen tugendhaften Lebenswandel ableitet, der zur „Unsterblichkeit der Seele“ führen soll. Musikalisch nehmen galante, „vorklassische“ Stilelemente überhand: kontrastreiche Dynamik, symmetrische Melodik und eine Vorliebe für Terz- und Sextparallelen. Zum Zeitalter der Klassik und der entsprechenden Tonsprache leitet Die Schöpfung von Joseph Haydn hinüber, die ein großartiger Erfolg für den Komponisten wurde. Das Oratorium in der Wiener Klassik wird bestimmt von den wenigen Oratorien Joseph Haydns (Die Schöpfung, Die Jahreszeiten) und Ludwig van Beethovens (Passionsoratorium Christus am Ölberge). Alle drei stellen individuelle Auseinandersetzungen mit der Gattungstradition dar, die jedoch ohne direkte Nachfolger blieben. Bei Haydn ist vor allem die Bedeutung des Chores, die sich so bis dahin allenfalls bei Händel findet, sowie die Aufhebung der Kopplung von Rezitativ und nachfolgender Arie auffällig. Beethoven betritt mit der musikalischen Gestaltung der Christusfigur neue Wege: Christus erscheint als nahezu opernhaft agierende Person, wenig entrückt, sondern sehr handfest. Dies hat Beethoven, trotz des unmittelbaren Erfolgs seines Oratoriums, starke Kritik eingebracht. Das bekannteste weltliche Oratorium dürfte Die Jahreszeiten von Joseph Haydn sein. Am Übergang zur Romantik entstand 1810 das ernste Oratorium Die vier letzten Dinge von Joseph Leopold Eybler. Felix Mendelssohn Bartholdys Elias und Paulus hingegen leiten eindeutig die Epoche des romantischen Oratoriums ein. Gleichfalls an diesem Übergang zur Romantik stehen die Werke von Ferdinand Ries, der zwei geistliche Oratorien schuf: Der Sieg des Glaubens, Oratorium in zwei Abteilungen für Soli, Chor und Orchester op. 157 (1829) und Die Könige in Israel, Oratorium in zwei Abteilungen für Soli, Chor und Orchester op. 186 (1836/37). Romantik Deutscher Sprachraum Aufgrund der Napoleonischen Kriege stagniert das kulturelle Leben in Europa zu Beginn des 19. Jahrhunderts. In der Folgezeit entwickelt sich Deutschland zum führenden kulturellen Zentrum der Oratorienpflege. Ausgehend von den Werken der Wiener Klassik vollzieht das Oratorium im 19. Jahrhundert endgültig den Schritt aus dem kirchlichen Raum in die Welt des bürgerlichen Konzertwesens. Die ohnehin schon schwach gewordene konfessionelle Bindung schwindet damit völlig, ebenso wie sich regionale Ausprägungen zunehmend verwischen. Das Oratorium wird als geistliches Gegenstück zur Sinfonie angesehen, was seine „Verweltlichung“ ebenso fördert wie die Restaurationsbestrebungen innerhalb der Kirchenmusik, die sich auf Palestrina und das A-cappella-Ideal berufen. In dem Maße, wie die Bedeutung der Höfe und kirchlichen Zentren für die Oratorienpflege schwand, nahm die Bedeutung der großen Musikfeste und der bürgerlichen Musikvereinigungen und Singakademien zu. Die bedeutendsten sind die Tonkünstler-Societät in Wien, die Musikalische Akademie in München und die Sing-Akademie zu Berlin. Um den Vorlieben dieser Konzerte, in denen häufig Dilettanten und Profis gemeinsam musizierten, entgegenzukommen, steigt der Anteil und die Differenzierung der Chöre in den Oratorien des 19. Jahrhunderts weiter an. Friedrich Schneider, dessen Oratorien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den beliebtesten zählten, besetzt diverse Nummern mit unterschiedlich besetzten Ensembles, die er dem großen Chor entnimmt – ein Konzept, das sich auch bei Felix Mendelssohn Bartholdy findet. Händels Chöre hatten dabei großen Einfluss auf die Gestaltung der Chorpartien. Zu den wichtigsten Oratorienkomponisten des 19. Jahrhunderts zählen: Friedrich Schneider (Das Weltgericht, 1819; Gethsemane und Golgatha, 1838), Carl Loewe (Gutenberg, 1837; Das Sühnopfer des neuen Bundes, 1847), Franz Schubert (Lazarus, 1820), Felix Mendelssohn Bartholdy (Paulus, 1836; Elias, 1846; Christus, 1847), Robert Schumann (Das Paradies und die Peri, 1843; Der Rose Pilgerfahrt, 1851, sowie die der Gattung zumindest nahestehenden Szenen aus Goethes Faust, 1853), Franz Liszt (Die Legende von der heiligen Elisabeth, 1865; Christus, 1873), Louis Spohr (Die letzten Dinge, 1826; Des Heilands letzte Stunden, 1835), Friedrich Kiel (Christus, 1870). Biblische Stoffe, gerade des Alten Testaments, spielten während des gesamten 19. Jahrhunderts eine große Rolle: Franz Lachner stellte die Figur des Moses in den Mittelpunkt eines Oratoriums (op. 45, 1833). Carl Reinecke steuerte mit Belsazar (op. 73) ein Oratorium nach dem biblischen Buch Daniel bei, dessen Uraufführung 1885 im Leipziger Gewandhaus breite Beachtung fand. Noch im Geist der deutschen Romantik, aber schon im 20. Jahrhundert, ist Georg Schumann mit seinem biblischen Oratorium Ruth (op. 50, 1908) angesiedelt. Ferdinand von Hiller behandelt in einem Oratorium den bibelgeschichtlichen Akt des Untergangs von Jerusalem. Das Werk heißt Die Zerstörung Jerusalems. Albert Becker schuf 1890 ein Kirchenoratorium „Selig aus Gnade“ op. 61. Im Umkreis der Sing-Akademie zu Berlin entstanden ebenfalls Oratorien. Der Leiter der Akademie, Eduard Grell, schuf das Oratorium Die Israeliten in der Wüste, der Sänger und Musikwissenschaftler Heinrich Bellermann schrieb Christus der Erretter. Von Georg Valentin Röder stammen die beiden Oratorien Caecilia oder Die Feier der Tonkunst (Text: Christoph von Schmid) und Messiade (Text: Karl Wilhelm Ramler), die Premiere war 1822. Diese Werke fallen in die Frühphase des Cäcilianismus, einer kirchenmusikalischen Restaurationsbewegung. Max Bruch, stark in der Tradition Felix Mendelssohns stehend, schuf neben dem geistlichen Oratorium Moses (1893/94) mehrere weltliche Oratorien, darunter den seinerzeit sehr erfolgreichen Odysseus (1872) und Die Glocke nach Friedrich Schiller (1879). Als Gipfel der Oratorienkomposition der deutschen Romantik kann die Tetralogie Christus von Felix Draeseke gelten. Wie das gleichnamige Liszt-Werk zeigt sie Parallelen zu Richard Wagner, diesmal allerdings zum Ring des Nibelungen. Mit Luise Adolpha Le Beaus Ruth (1882) und Hadumoth (1893) finden sich zwei Werke einer weiblichen Künstlerin im Kanon romantischer Oratorien. Frankreich Aufgrund des französischen Zentralismus spielt sich das musikalische Leben Frankreichs überwiegend in Paris ab. Aufgrund der übermächtigen Wirkung der Oper im öffentlichen kulturellen Leben tritt als einziger Oratorienkomponist in der ersten Jahrhunderthälfte Jean-François Le Sueur in Erscheinung. Er verwendet den Begriff Oratorium in sehr individueller, unsystematischer Weise. Seine Werke, nicht nur die gattungsgeschichtlich einzigartigen „Krönungsoratorien“, repräsentieren die zu diesem Zeitpunkt bereits fast verstummte katholisch-italienische Oratorientradition. Sie stehen in der Gattungsgeschichte isoliert dar und sind ohne Einfluss auf spätere Komponisten, selbst auf seinen Schüler Hector Berlioz, geblieben. Doch auch das übrige europäische Oratorium findet in Frankreich kaum Anklang; einzig Beethovens Christus am Ölberge findet Eingang ins Konzertrepertoire. Im weiteren Verlauf des 19. Jahrhunderts finden sich Oratorien an den Grenzen zu großen symphonischen Gattungen. Wenige Komponisten verwenden noch eindeutige Gattungszuweisungen, zumal die kirchliche Bindung denkbar gering ist. Gleichberechtigt mit großen Konzertoratorien erscheinen als „Symphonie dramatique“ oder „Mystère“ bezeichnete Werke; Erstere eher mit weltlichem, Letztere mit geistlichem Text. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts entstehen in Frankreich Konzertgesellschaften nach dem Vorbild der Singakademien und setzt eine Rezeption klassischer und zeitgenössischer Vorbilder ein. Dies führt zu einer Belebung des französischen Oratorienschaffens, das einen besonderen Schwerpunkt bei der Behandlung der Weihnachtsgeschichte erkennen lässt. Die wichtigsten Komponisten und Werke: Hector Berlioz (La damnation de Faust, 1846; L’enfance du Christ, 1854), Félicien David (Moise au Sinai, 1846; Eden, 1848), Charles Gounod (Tobie, 1854; Les sept paroles de Notre Seigneur Jésus-Christ sur la croix, 1855; La rédemption, 1882; Mors et vita, 1885; Saint Francois d'Assise, 1891), Camille Saint-Saëns (Oratorio de Noël, 1858; Le Déluge, 1876; La Terre Promise, 1913), César Franck (Ruth, 1846; Rédemption, 1874; Les béatitudes, 1879), Jules Massenet (Marie-Magdeleine, 1873; Ève, 1875; La Vierge, 1880; La Terre Promise, 1900), Gabriel Pierné (La nuit de Noël, 1895; La croisade des enfants, 1902; Les enfants à Bethléem, 1907) und Henri Rabaud (Job, 1900). Im 20. Jahrhundert greift in Frankreich neben Olivier Messiaen (La transfiguration de Notre-Seigneur Jésus-Christ) unter anderem Jeanne Marie-Madeleine Demessieux mit dem Oratorium Chanson de Roland für Chor, Mezzosopran und Orchester die Gattung neu auf (komponiert 1951–1956, bislang unveröffentlicht). Belgien Ein reiches Oratorienschaffen legte im 19. Jahrhundert Peter Benoit vor mit den vier Werken: Lucifer (1865), Die Schelde (De Schelde, 1868), Der Krieg (De Oorlog, 1873) und zuletzt 1889 Der Rhein (De Rijn). Auf geistlichem Gebiet ist Edgar Tinel mit einem Oratorium Franciscus (op. 36, 1890) zu nennen, dem zwei Jahre später, 1892, Paul Gilson mit dem Dramatischen Oratorium Francesca da Rimini nach einer Vorlage von Dante folgte. England Da England nicht unmittelbar von den Napoleonischen Kriegen betroffen war, findet sich hier eine für diese Zeit einzigartige kulturelle Kontinuität, die bewirkte, dass das Oratorium bis zur Jahrhundertwende als Inbegriff des Erhabenen eine besondere Wertschätzung erfuhr. Wie in Deutschland spielten für die Oratorienpflege die großen Musikfeste (Three Choirs Festival in Worcester, Gloucester und Hereford, und das Musikfest in Birmingham) sowie die von Laien getragenen Choral Societies eine wichtige Rolle. Die Oratorienproduktion ist in der ersten Hälfte des Jahrhunderts vom übermächtigen Vorbild Georg Friedrich Händels, vor allem seines Messiah, geprägt. Ab der Jahrhundertmitte dienen Felix Mendelssohn Bartholdys Elias sowie die erst spät wiederaufgeführten Passionen Johann Sebastian Bachs als nahezu ebenso wirkungsmächtige Vorbilder. Erst im letzten Drittel des Jahrhunderts öffnet sich England einem zunehmenden gegenseitigen musikalischen Austausch von Einflüssen mit anderen Ländern, was zuvor durch die einzigartige konfessionelle Homogenität und religiöses Gattungsbewusstsein gebremst worden war. Eigene, neue Wege gehen erst die Komponisten der New English School, die nach einer Erneuerung der nationalen Tonsprache streben. Die wichtigsten Komponisten und Werke: William Crotch komponierte drei Oratorien: Den Stoff The Captivity of Judah vertonte er zweimal, und 1812 schrieb er mit Palestine das erste englische Oratorium seit mehr als vierzig Jahren. Weiter sind zu nennen George Frederick Perry (Hezekiah), George Alexander Macfarren, Arthur Sullivan (The Prodigal Son, The Light of the World, The Martyr of Antioch), Alexander Mackenzie (The Rose of Sharon, Bethlehem), Charles Villiers Stanford (The Three Holy Children, Eden), Hubert Parry (Judith, Job, King Saul), Edward Elgar (The Light of Life, The Dream of Gerontius, The Apostles, The Kingdom), Charles Edward Horsley (Gideon, David, Joseph), Henry David Leslie (Judith, Immanuel), John Stainer (Gideon, The Daughter of Jairus, St. Mary Magdalan, The Crucifixion). Italien Giuseppe Martucci schuf 1881 das biblische Oratorium Samuel. Lorenzo Perosi schuf 1898 das biblische Oratorium La risurrezione di Cristo. Schweden Friedrich Haeffner wurde in Schweden bekannt durch sein Oratorium Försonaren på Golgatha („Der Erlöser auf Golgatha“), ein Werk, das 1809 entstand. Andreas Hallén wurde bekannt durch sein Ett juloratorium (1904). Polen Feliks Nowowiejski wurde bekannt durch sein Oratorium Quo vadis nach Henryk Sienkiewicz Roman (1903). 20. Jahrhundert Beginn des Jahrhunderts Das 20. Jahrhundert kennt eine Vielzahl von Oratorienformen. Eine generelle Richtlinie ist nicht festzustellen, stattdessen zeichnen sich viele verschiedene Lösungen ab. Arthur Honegger schloss 1921 sein Oratorium Le Roi David ab, Igor Strawinsky entwickelte mit Oedipus Rex (1927) eine Zwischenform von Oper und Oratorium – das Werk kann, muss aber nicht, zwingend szenisch aufgeführt werden. Arnold Schönberg steuerte mit Die Jakobsleiter (1917–1922, unvollendet) seinen Beitrag zur Gattung bei. Gerhard von Keußler vollendete zwischen 1917 und 1924 seine drei geistlichen Oratorien Jesus aus Nazareth, Die Mutter und Zebaoth, denen 1926 noch ein weltliches, In jungen Tagen, folgte. Hermann Suters bedeutendstes Werk ist sein 1923 entstandenes spätromantische Oratorium Le Laudi di San Francesco d’Assisi, das 1924 in Basel zur Aufführung gelangte. Paul Hindemith brachte 1931 sein Oratorium Das Unaufhörliche zur Uraufführung. Die geprägte Untergattung Weihnachtsoratorium taucht in dieser Zeit mit einem Werk von Richard Wetz im 20. Jahrhundert auf: Ein Weihnachtsoratorium auf alt-deutsche Gedichte op. 53 ist dessen umfangreichstes chorsinfonisches Werk, entstanden zwischen 1927 und 1929. Der Titel Weihnachtsoratorium taucht als Opus 17 (1930/31) auch bei einem Werk des nachmaligen Thomaskantors Kurt Thomas auf. Später folgt bei ihm das Oratorium Saat und Ernte (op. 36). Werner Egk schuf während seiner Zeit beim Bayerischen Rundfunk 1931 sein Oratorium Furchtlosigkeit und Wohlwollen für Tenor, gemischten Chor und Orchester. Der große Kalender aus dem Jahre 1932/33 ist ein weltliches Oratorium in vier Teilen für Sopran- und Bariton-Solo, gemischten Chor, Kinderchor, Orchester und Orgel von Hermann Reutter, dessen Schaffen als „entartet“ galt, obwohl er ein frühes NSDAP-Mitglied gewesen ist. Vom israelischen Komponisten Paul Ben-Haim stammt das Oratorium Yoram (1933). In Österreich schuf Franz Schmidt ebenfalls einen wichtigen Beitrag zur Gattung, der seit den 2000er Jahren wieder neu zur Aufführung gebracht wurde: Das Buch mit sieben Siegeln für Soli, Chor und Orchester, Text nach der Offenbarung des heiligen Johannes (komponiert zwischen 1935 und 1937; Uraufführung in Wien, 1938). Gleichfalls 1938 zur Aufführung kam Arthur Honeggers Oratorium Jeanne d’Arc au bûcher. Sodann gehört Michael Tippetts A Child of Our Time (1939–1941) zu den bekannten Oratorien der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Für Frankreich wichtig wurde das Oratorium Jeanne d'Arc à Orléans von Tony Aubin aus dem Jahr 1942. In Frankreich gilt Georges Dandelots Oratorium Pax aus dem Jahr 1935 als dessen Hauptwerk. Darin verarbeitet er vor allem Erlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg, die das Werk prägen. Igor Markevitch, der französische Komponist mit ukrainischer Herkunft, thematisierte das verlorene Paradies in seinem Oratorium Le Paradis Perdu, ein Werk aus den Jahren 1934 und 1935 mit einer Textgrundlage von John Milton. Zeit des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkrieges Zum Teil während der Zeit des Nationalsozialismus entstanden in München die Oratorien von Joseph Haas. Seine vier wichtigsten Werke der Gattung tragen die Titel: Die heilige Elisabet, Das Lebensbuch Gottes, Das Jahr im Lied und Die Seligen, die allerdings in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts bislang selten zur Wiederaufführung gelangten. Paul Höffer, der 1936 im Rahmen der olympischen Sommerspiele in Berlin eine Goldmedaille für ein Chorwerk überreicht bekommen hat, schrieb 1944 im Auftrag von Joseph Goebbels das Oratorium Mysterium der Liebe. In der Schweiz schuf Willy Burkhard die Oratorien Das Gesicht Jesajas (1933–1935) und Das Jahr (1940–1941). Von Frank Martin stammt das bekannte Oratorium In terra pax (1944), das während des Zweiten Weltkriegs entstand und anlässlich dessen Ende veröffentlicht wurde. Dieses teilweise doppelchörige Werk hat sowohl einen französischen als auch einen deutschen originalen Text und enthält 12-tönige Passagen, die in Oratorien bis dato kaum eine Rolle spielten, von Martin aber auch bereits im 1942 uraufgeführten Le vin herbé eingesetzt wurden. Weitere Oratorien waren Golgotha (1949), Le Mystère de la Nativité (1959) sowie sein Requiem (1972). In Österreich wurde 1938 das Oratorium Das Buch mit sieben Siegeln des Komponisten Franz Schmidt uraufgeführt. Schmidt vertonte akopalyptische Texte aus der Offenbarung des Johannes. Unter dem Eindruck des Weltkrieges entstand 1946 Karl Schiskes Hauptwerk, das Oratorium Vom Tode opus 25, seinem Bruder Hubert gewidmet, der 1944 bei Riga gefallen war. Es wurde 1948 unter Karl Böhm im Wiener Konzerthaus uraufgeführt. Nachkriegszeit und zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts Nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte ein Neuanfang in dieser Gattung mit Johannes Driesslers reichem oratorischem Schaffen. Zu nennen sind hier die größeren Werke: Dein Reich komme, op. 11 (1947/1948, Uraufführung 1950), De profundis, Op. 22 (1952), Der Lebendige, Op. 40. (1954–1956), Oratorien, die zum Teil opulent besetzt sind (Vokalsolisten, Kammerchor und großer Chor, Holzbläser, Blechbläser, Klavier, Schlagwerk) und Wege einer neuen Klangsprache in dieser Gattung suchen. Alexandre Tansman schuf 1950 Isaïe le prophète, ein Oratorium für Chor und Orchester. Gustav Adolf Schlemm führte im gleichen Jahr sein Oratorium Media in vita für Chor, Sopran, Alt, Bass-Soli und großes Orchester auf. Heinz Wunderlichs Hauptwerk ist das szenische Osteroratorium Maranatha – Unser Herr kommt. Das Werk entstand 1953 und stellt die biblischen Ereignisse zwischen dem Ostermorgen und Christi Himmelfahrt dar. In ähnlicher Richtung setzte Heinrich Vogel sich mit Christus auseinander: Christus Triumphator entstand als Oratorium 1960; allerdings ist dies ein Oratorium, das mehr durch seine Sprechchöre Wirkung erzielt. Auch Kurt Fiebig schuf 1954 ein Osteroratorium als Großform. Grundlage ist das letzte Kapitel des Lukas-Evangeliums für Solisten und drei Chöre a cappella. Das Jahr, ein Oratorium nach einer Dichtung von Emil Hecker, schuf Hans Friedrich Micheelsen. Günter Bialas vertonte 1961 Im Anfang – Schöpfungsgeschichte nach Martin Buber für drei Echostimmen, Chor und Orchester. Klaus Huber arbeitete zwischen 1959 und 1964 am Oratorium Soliloquia für Soli, zwei Chöre und großes Orchester. Grundlage bildeten dabei Texte von Aurelius Augustinus. Theophil Laitenberger stellt Bezüge zur biblische Prophetengestalt Jeremia her: Zeit des Jeremia (1972), ein groß besetztes Oratorium für Bariton, großen und kleinen Chor, Flöten, Klarinette, Fagott, Trompete, Pauke, Streicher und Orgel. Max Baumann gestaltete das Thema Auferstehung (op. 94, 1980) in einem groß angelegten Oratorium mit Texten aus der Heiligen Schrift (für Sopran, Bariton, Bass, Sprecher, Sprecherin, Sprechchor, Chor und großes Orchester). Der Komponist Giselher Klebe schrieb im Auftrage des Rheinischen Merkurs und der Stadt Bonn ein Weihnachtsoratorium, in dessen Mittelpunkt der Text Die Kunde von Bethlehem von Heinrich Böll steht. Das siebzigminütige Werk für Mezzosopran, Bariton, Sprecher, gemischter Chor und großes Orchester wurde 1989 im Rahmen der 2000-Jahr-Feier der Stadt Bonn in der Bonner Beethovenhalle uraufgeführt. Im weltlichen Bereich gab es ebenfalls einen interessanten Neubeginn: Paul Dessau komponierte 1943 bis 1947 gemeinsam mit dem Dramatiker Bertolt Brecht sein großes Oratorium Deutsches Miserere für gemischten Chor, Kinderchor, Soli, großes Orchester, Orgel und Trautonium, welches aber erst am 20. September 1966 im Rahmen der Tage zeitgenössischer Musik und des Internationalen Musikwissenschaftlichen Kongresses der Gesellschaft für Musikforschung in Leipzig unter der Leitung von Herbert Kegel uraufgeführt wurde. Unter dem Regime von Josef Stalin schrieb Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch 1949 das Oratorium: Das Lied von den Wäldern (op. 81), Sergei Sergejewitsch Prokofjew 1950 das Oratorium: Auf Friedenswacht (op. 124). Mit der Gattung Oratorium setzte sich der Österreicher Johann Nepomuk David auseinander. Er schuf 1957 das Ezzolied, ein Oratorium für Soli, Chor und Orchester (op. 51). In der ihm eigenen Tonsprache schrieb Hans Werner Henze das Oratorium Das Floß der Medusa (Fertigstellung 1968), das die Gattung endgültig aus dem Raum der Kirche hinausführte. Ähnliches gilt für das Schaffen von Milko Kelemen, insbesondere für sein Oratorium Salut au Monde, das wegen seiner Schwierigkeit und seiner großen Besetzung weltweit erst dreimal (Stand 2005) aufgeführt wurde. Wolfgang Rihm schuf 1984 das Oratorium Dies für vier Singstimmen, zwei Sprecher, Kinderchor, Sprechchor, gemischten Chor, Orgel und Orchester. Die Texte stammen dabei aus dem Graduale und der Vulgata sowie von Leonardo da Vinci. Es wurde 1986 in Wien uraufgeführt. Helmut Bieler schuf das Oratorium Der Ackermann aus Böhmen mit einem Libretto von Dietrich W. Hübsch (nach dem gleichnamigen Werk des Johannes von Tepl) für Sprecherin, 2 Sprecher, Alt, Bariton, Orgel, Synthesizer, Percussion und Tonband (1977, revidiert 1982). Die Uraufführung war 1977 in Bad Hersfeld. Jürg Baur komponierte 1996 sein Oratorium Perché nach Gedichten von Giuseppe Ungaretti. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts schrieb Oskar Gottlieb Blarr zwei Oratorien über Jesus: Jesus – Geburt. Weihnachtsoratorium (1988/1991) und das Oster-Oratorium (1996). Violeta Dinescu hat ein Pfingstoratorium für fünf Solisten, gemischten Chor und Kammerorchester geschaffen (1993). Bertold Hummel schuf mit seinem Hauptwerk Der Schrein der Märtyrer (1989) ein großdimensioniertes Oratorium, das mit Evangelientexten, irischen und lateinischen Gebeten den ursprünglichen Sinn der Genrebezeichnung zu erfüllen vermag. International viel beachtet wurde Tom Johnsons Bonhoeffer-Oratorium (1998), das zahlreiche europäische und amerikanische Aufführungen erlebte. Dem abendfüllenden Werk ging zeitlich das kleinere Oratorium Trinity (1978) voraus, das den Schöpfer, den Gottessohn und den Heiligen Geist thematisiert. Steve Reich entdeckte einerseits seine jüdischen Wurzeln wieder, andererseits öffnete er sich zahlreichen neuen Mitteln einer neuen Tonsprache am Ende des 20. Jahrhunderts. Davon zeugt The Cave, multimedia oratorio in three parts, das 1990 bis 1993 entstand und große Verbreitung fand. Heinz Martin Lonquich schuf zwei Oratorien Das Schweigen des Johann von Nepomuk (1991) und Auf dem Rand der Mauer (1993). Ein Weihnachtsoratorium (1995–1996) mit Textgrundlage von Dietrich Mendt schuf Matthias Drude; daneben das Kammeroratorium Von den Mühen der Heimkehr, das nach Motiven des Alten Testaments (Buch Esra) Bezug auf die deutsche Wiedervereinigung nimmt. Seine Uraufführung war 2000 in Halle (Saale) aus Anlass des 10. Jahrestages der Deutschen Einheit. Im Bereich der geistlichen Popularmusik machte sich der Liedermacher und Kantor Siegfried Fietz mit der Schaffung von Oratorien (und ihrer Einspielung) einen Namen. Zu erwähnen sind sein Paulusoratorium, Petrusoratorium, Johannesoratorium und sein Lutheroratorium. Die Bewahrung der Erde vor ihrer Zerstörung durch den Menschen ist Gegenstand eines Oratoriums von Georg Reuter, das dieser am Ende des Jahrhunderts komponierte: Lied für die Erde (1994) und eines Oratoriums von Krzysztof Meyer: Schöpfung (1999). Deutsche Demokratische Republik Wichtig für die Musikgeschichte der DDR wurde das große politische Oratorium von Günter Kochan: Das Friedensfest oder die Teilhabe. Oratorium für Sopran, Tenor, Bass und zwei Orchester (1978). Der Komponist Paul Kurzbach schuf ein Jahr vor der Wende das Oratorium Der blaue Planet (1988). Schweiz In Weiterführung der Tradition der schweizerischen Oratorienkomposition seit Volkmar Andreae, Hans Huber, Hermann Suter und Arthur Honegger schrieben Albert Jenny (Dem Unbekannten Gott (1956), Das Lied von der Schöpfung (1960) und Der grosse Kreis (1973)) sowie Hermann Haller (Hiob (1974) für Sopran, Bariton, gemischten Chor, Orgel und Orchester) Oratorien. Italien In Italien gab es Komponisten, die Beiträge zur Gattung beisteuerten. Carlo Pedini schuf 1993 als Auftragswerk der RAI das Oratorium Il Mistero Jacopone, das in Turin vom Symphonieorchester der RAI unter Karl Martin uraufgeführt wurde. Estland Ein Weihnachtsoratorium (Jõuluoratoorium) schuf 1992 der Komponist Urmas Sisask. Eine Johannespassion in lateinischer Sprache unter dem Namen Passio Domini nostri Jesu Christi secundum Joannem für Soli, gemischten Chor, Instrumentalquartett und Orgel schuf 1982 der international bekannte Komponist Arvo Pärt. Israel Karel Salmon schuf das Oratorium Shir Hatekuma (englisch: The Song of Affirmation). Der hebräischen Textbearbeitung von Avigdor Hameiri liegt ein Text von Moshe Yakov Ben Gabriel zugrunde. 21. Jahrhundert Deutschland Für die Weiterentwicklung der Gattung Oratorium seit den 2000er Jahren ist Hans Georg Bertram zu nennen. Sein Hioboratorium (2001) und sein Schöpfungsoratorium (2005) verbinden die alte Gattung mit der Moderne und ihren neuen Mitteln. Ebenfalls an der Jahrhundertschwelle findet sich John Coolidge Adams mit seinem El Niño – A Nativity Oratorio (1999–2000). Hanno Haag schrieb Franziskus, ein Oratorium für Sopran, Sprecher, dreistimmigen Chor, Flöte, Horn, Streicher und Schlagzeug, opus 62 (2001). Wolfgang Pasquay komponierte ein Friedensoratorium. Oratorium gegen den Krieg nach Worten von Erasmus von Rotterdam und Bertolt Brecht (zunächst unter dem Titel Erasmus-Oratorium; vollständige Fassung 2003). Im Bereich der geistlichen Popularmusik bezeichnete Gregor Linßen sein Oratorium „Die Spur von morgen“ (1998) als NGL-Oratorium, weil es aus der Fülle der musikalischen Wurzeln des Genres NGL (Neues Geistliches Lied) schöpft. Zusammen mit den Oratorien „ADAM“ (2002) und „Petrus und der Hahn“ (2007) bildet es die Oratorien-Trilogie „Rede und Antwort“. Der katholische Kantor und Komponist Thomas Gabriel machte sich mit der Schaffung von Oratorien (und ihrer Einspielung) einen Namen. Zu erwähnen sind seine Oratorien Emmaus (2002), Bonifazius (2004) und Kreuzweg (2006). Auf evangelischer Seite ist Klaus Heizmann zu nennen. Seine Oratorien sind Israel Schalom (1988), Jerusalem Schalom (1994), Das Licht leuchtet in der Finsternis (1998), Aus der Finsternis ins Licht (2007), David-Oratorium (2010). Ende und Anfang ist der Titel eines Bonhoeffer-Oratoriums für Sopran, Tenor, Bass, Violine, Klavier, Orgel, Blechbläser und Schlagwerke, das der Tübinger Kantor und Komponist Gerhard Kaufmann geschrieben hat. Es entstand anlässlich des runden Geburtstages von Dietrich Bonhoeffer im Jahre 2006 und steht in einer Auseinandersetzung mit den Ereignissen des sogenannten Dritten Reiches. Gleichzeitig stellt das Werk auch Fragen an die Gegenwart, schon im Eingangschor: „Wer hält stand?“ Matthias Nagel schuf 2002 ebenfalls ein Oratorium über Dietrich Bonhoeffer, das er als Liedoratorium bezeichnete. Ein großes oratorisches Werk legte Wolfram Graf vor: Auferstanden. Ein Oster-Mysterien-Oratorium (op. 166; 2006–2008) für zwei Sprecher, Soli, Chor, Kinderchor, Orgel und Orchester. Das Libretto stellte Wolfram Graf nach Texten aus dem Alten und Neuen Testament, apokryphen Zusätzen zum Buch Esra sowie von Wladimir Solowjow, Fjodor Dostojewski, Christian Morgenstern, Dante Alighieri, Hans Scholl, Dietrich Bonhoeffer selbst zusammen. Matthias Drude komponierte Für Deine Ehre habe ich gekämpft, gelitten – Stationen der Passion Jesu (2000), das Schöpfungsoratorium Alles was atmet, lobe den Herrn (2003/04), das Osteroratorium Auf – er – stehen (2009/10) und das Pfingstoratorium Vom Geist der Vielfalt (2013/14), alle nach Texten von Hartwig Drude, sowie das Passionsoratorium Wir können mit dir unser Leben wagen (2014/15) nach einem Text von Detlev Block. Das Schöpfungsoratoriums Mit allen Augen, welches die Schöpfungsgeschichte mit der Naturzerstörung konfrontiert, schuf die Münsteraner Kantorin und Komponistin Jutta Bitsch (* 1969). Es wurde 2014 in Münster uraufgeführt. Im Auftrag des Bistums Limburg schrieb Helmut Schlegel 2016 den Text für das Oratorium „Laudato si’ / Ein franziskanisches Magnificat“ mit Musik von Peter Reulein. 2016 entstand als Auftragswerk der Stiftskirchengemeinde Landau in der Pfalz das Passionsoratorium Jerusalem op. 90 von Gunther Martin Göttsche. Es beruht ausschließlich auf Bibeltexten in der Übersetzung Martin Luthers, nimmt formal die Tradition der oratorischen Passionen auf, geht aber in einer gemäßigt modernen Tonsprache eigene Wege. Ein weltliches Oratorium komponierte Lothar Graap im Jahr 2000 zu einem Text von Arnim Juhre ein Oratorium zum Reichstagsbrand 1933 mit dem Titel Eines Tages müssen wir die Wahrheit sagen. Moritz Eggert schrieb 2005 auf Texte von Michael Klaus ein Fußballoratorium mit dem Titel Die Tiefe des Raumes zur Fußballweltmeisterschaft 2006. Esther Hilsberg komponierte im Jahr 2005 das chorsymphonische Oratorium „Dantes Inferno und der Weg ins Paradies“ nach Dante Alighieri „Divina Commedia“, welches im Konzerthaus am Gendarmenmarkt Berlin uraufgeführt wurde. Mit dem „Weihnachtsoratorium“ folgte im Jahr 2010 ein weiteres Oratorium von Esther Hilsberg, welche ebenfalls im Konzerthaus am Gendarmenmarkt uraufgeführt wurde. Es erzählt nicht nur die altbekannte Weihnachtsgeschichte, sondern legt einen besonderen Wert auf die Emotionen der Figuren wie Herodes, Josef oder Maria und lässt den Zuhörer damit die Weihnachtsgeschichte ganz neu erleben. Belgien Pierre Bartholomée schuf 2001 das Ludas Sapiente Oratorium (nach einem Libretto von Nicolas Blanmont). England Paul McCartney hat zwei Oratorien geschrieben, Paul McCartney’s Liverpool Oratorio (1991) und Ecce Cor Meum (2006). Phil Minton schuf das Chor-Oratorium Songs from a Prison Diary, das auf Texten Ho Chi Minhs beruht. Estland Arvo Pärt schuf 2009 das Oratorium Adams Lament für vierstimmigen gemischten Chor und Streichorchester. Das Klagelied Adams entstand als Auftragswerk im Namen der Kulturhauptstädte Istanbul und Tallinn und wurde anlässlich einer Ehrung Arvo Pärts für sein Lebenswerk durch den türkischen Staatspräsidenten Abdullah Gül und den estnischen Präsidenten Toomas Hendrik Ilves in der Hagia Eirene in Istanbul im Juni 2010 uraufgeführt. Israel Lior Navoks Werk And the Trains Kept Coming... ist ein Oratorium aus dem Jahre 2007 für Tenor, Bass-Bariton, Knabensopran, Chor und Orchester und setzt sich mit dem Thema des Holocaust auseinander. Österreich In Österreich trat Lorenz Maierhofer hervor mit biblischen Oratorien; unter anderem schuf er IM ANFANG WAR DAS WORT / IN THE BEGINNING WAS THE WORD, ein Oratorium nach dem Prolog zum Johannes-Evangelium für gemischten Chor, Sopran- und Bariton-Solo, Solo-Violine, Orgel und Streicher; er gab das Werk in deutscher und englischer Sprache heraus. Die Erstaufführung war 2009 in Graz. Zur Aufführung eines Engels-Oratoriums – de sanctis Angelis für großen Chor, Solisten, Blechbläser, Schlagwerk, Orgel, Synthesizer, Contrabass nach Texten von Rainer Maria Rilke, Friedrich Nietzsche und Bibel im Jahr 2005 kam es beim Festakt der Republik Österreich zum 50-jährigen Jubiläum des Staatsvertrages. Schöpfer des Werkes ist der österreichische Komponist Franz Xaver Frenzel. Ein Litanies – Oratorium nach Texten von Franz von Assisi und Teilhard de Chardin für Alt, Tenor und Bariton, gemischten Chor und großes Orchester schuf der Feldkircher Musikpädagoge und Hochschullehrer Bruno Oberhammer. Ebenfalls in Österreich wirkt Klemens Vereno mit reichem Oratorienschaffen. Zu nennen ist sein Werk Jetzt fangen wir zum Singen an, ein Oratorium zum Salzburger Adventsingen des Jahres 2006. Am 7. Oktober 2011 wurde in der Pfarrkirche Brixen-Milland, Brixen, Genesis – Oratorium für Sopran, Bariton, vier-bis achtstimmigen Chor, 2 Hörner, Streicher und Schlagzeug von Franz Baur uraufgeführt. Der Komponist verwendet Texte aus dem Alten Testament (bzw. dem Tanach), stellt aber zunächst an den Beginn die Erzählung von der Entstehung der Welt aus dem Evangelium nach Johannes; der Komponist folgt dem siebenteiligen Erzählablauf der Genesis. Den Bibeltext hat Baur mit Texten von Empedokles, Melchior Vulpius, Michael Schirmer, Joachim Neander, Jesaja und Heinrich von Kleist kommentierend ergänzt. Der Komponist, der „immer schon ein Faible für Oratorien“ hatte, interessierte sich für „die großen oratorischen Werke […] von Johann Sebastian Bach, Georg Philipp Telemann, Dietrich Buxtehude, Joseph Haydn und Felix Mendelssohn“ nicht so sehr aus religiösen Gründen, sondern „wegen der musikalischen Möglichkeiten einer ‚Oper ohne Szene‘, in der Text und Musik im Vordergrund stehen.“ Baur verwendet keine einheitliche Kompositionstechnik. Jeder Tag seines Oratoriums ist „von einer [sic] oder mehreren speziellen Techniken geprägt. So entsteht ein großer Stilpluralismus, der zum Beispiel Aleatorik, Klangflächen und Zwölftontechnik beinhaltet.“ Am 11. Dezember 2011 fand in der Pfarrkirche Niederkappel die Uraufführung des Weihnachtsoratoriums – „Das Wort ward Fleisch – Die Geburt Christi“ op. 11 von Michael Stenov statt. Vom gleichen Komponisten stammt das Osteroratorium – „Auferstehung“ op. 73, das am 10. Mai 2018 in der Pfarrkirche St. Peter in Linz/Spallerhof uraufgeführt wurde. Schweden Am 18. Dezember 1998 fand in Stockholms Berwaldhalle die Uraufführung von Dante Anarca Oratorium für Sopran, Alt, Tenor, Bass, gemischten Chor und Orchester statt. Anders Eliasson verwendete für die 84-minütige Komposition als Grundlage das Prosagedicht Dante Anarca e i suoi sei maestri (Dante Anarca und seine sieben Lehrmeister) des italienischen Gelehrten und Dichters Giacomo Oreglia. Schweiz Thomas Fortmann schuf ein Franziskanisches Oratorium (1981/82–2005). 2016 komponierten Elia Rediger und William Britelle das Bühnenprojekt LSD-Oratorium mit dem Titel Oh Albert zur Aufführung mit der Basel Sinfonietta, thematisiert wird die Droge LSD des Entdeckers Albert Hofmann. Amerika Richard Einhorn schuf 2008 das Oratorium The Origin, ein Werk, das von Charles Darwins Leben und Werk inspiriert wurde. 2012 war die europäische Erstaufführung in Bremen. Weitere Formen Abendmusiken Die ab Mitte des 17. Jahrhunderts von den Organisten der Lübecker Marienkirche (Tunder, Buxtehude) für die gleichnamige Konzertveranstaltungsreihe komponierten Abendmusiken werden als Untergattung den Oratorien zugerechnet. Ab etwa 1960 lassen sich neue Formen des Oratoriums beobachten. Kinderoratorium Hinter dem Begriff „Kinderoratorium“ verbirgt sich ein oratorisches Werk, das entweder von Kinderchören aufgeführt werden kann oder einen kindergerechten Inhalt bietet. Hier greift die oben bereits angedeutete Unterscheidung zwischen „Singspiel für Kinder“ (szenisch) und „Kinderoratorium“ (konzertant). Davon zu unterscheiden ist der Begriff „Kindermusical“ (siehe entsprechende Erläuterungen zu diesem Begriff unter Musical). Beispiele: Paul Burkhard: Kinder-Oratorium Zäller Wienacht, 1960; große Verbreitung in der Schweiz Holger Hantke: Die Weihnachtsgeschichte für Kinder. Oratorium für Soli, Kinderchor, Blockflötenquartett, Querflöte, Streichquartett und obligate Orgel, 1999 Chris Seidler: Kinderoratorium 7 Himmel (interreligiöses Werk) Oratorische Passion und Passionsoratorium Speziell im Blick auf das Leiden Jesu und im Zuge der musikalischen Umsetzung des Passionsberichtes der vier Evangelien des Neuen Testaments bildete sich die Untergattung Oratorische Passion und später dann das Passionsoratorium. Geistliches Drama Unter einem Geistlichen Drama („dramma sacro“) versteht man ein Oratorium mit Bühnenbild. Ein Beispiel dafür ist Johann Simon Mayrs zweiaktige Atalia. Sie wurde während der Fastenzeit 1822 am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt und zählt wie Rossinis Ciro in Babilonia (1812) und Mosè in Egitto (1818) oder Donizettis Il diluvio universale (1830) zum Typus der „Fastenoper“. Die italienischen Opernhäuser blieben damals während der Passionszeit geschlossen oder mussten sich auf biblische Themen beschränken. Die Meinungen, ob diese Werke eher als Opern oder als Oratorien zu bezeichnen sind, divergieren. Szenisches Oratorium und Opern-Oratorium Im Grenzbereich zwischen Oper und Oratorium ist das Szenische Oratorium als Untergattung angesiedelt. Hier sind Alfred Koerppen mit dem szenischen Oratorium Der Turmbau zu Babel für vier Soli, Männerchor und großes Orchester (1951) und auch Wolfgang Schoor mit dem Werk Ein Denkmal für Dascha (Text: Paul Wiens) für zwei Soli, zwei gemischte Chöre und großes Orchester (1958/60) zu nennen. Cesar Bresgen schrieb 1951 das Oratorium Visiones amantis (Der Wolkensteiner – Ludus tragicus in sechs Bildern nach Dichtungen und Weisen des Oswald von Wolkenstein für Solostimmen, Sprecher, gemischten Chor und Orchester). Halb-szenisch wurde es 1952 aufgeführt, die szenische Uraufführung war 1971. Es kommt aber auch vor, dass ein Oratorium nachträglich durch zurückhaltende Regie in Szene gesetzt wird (durch Kulisse, Geste, Kostüme), ohne dass der Komponist das intendiert hat. Oratorische Szenen schuf Georg Katzer mit seinem Werk Medea in Korinth nach einem Libretto von Christa Wolf im Jahre 2002. Opern-Oratorium in zwei Teilen nennt sich eine Gattung bei Darius Milhaud. Dessen Werk Saint-Louis roi de France von 1970 befindet sich dabei ebenfalls auf dem Grad zwischen Oper und Oratorium. Die Uraufführung war am 18. März 1972 in Rom; szenisch erfolgte sie am 14. April 1972 in Rio de Janeiro (Theatro Municipal). Christiane Michel-Ostertun schuf 2016 im Vorfeld des Reformationsjubiläums ein Werk zu Martin Luther: Martin Luther - Oratorium für szenische oder konzertante Aufführung für 4 Solisten, 1 bis 3 Chöre, Kammerorchester, Posaunenchor mit Jungbläsern, Blockflötenensemble und Orgel. Ballettoratorium Bereits 1932 kombinierte Józef Koffler den Tanz und das Oratorium und komponierte ein Ballett-Oratorium für Tänzer, Sopran und Bariton solo, Chor und Orchester (op. 15). Dieter Schnebel schuf 1992 bis 1994 ein Werk für diese spezielle Gattung mit dem Titel Totentanz. Dieses Ballettoratorium ist konzipiert für zwei Sprecher, Sopran, Bass, Chor, Orchester und Live-Elektronik. Volksoratorium Der Ausdruck Volksoratorium bezeichnet ein Oratorium für und über das Volk. Pop-Oratorium Ein Oratorium mit dieser Gattungsbezeichnung zeigt an, dass es explizit zum Musikstil der Popularmusik gerechnet werden möchte. Beispiele: Peter Maffay (Musik), Michael Kunze (Text) unter Verwendung einer Idee von Novalis mit Liesbeth List (Solistin) und weiteren Mitwirkenden: Die Blaue Blume. Ein Pop-Oratorium, 1972 Johannes Nitsch, Helmut Jost: Ewigkeit fällt in die Zeit – Ein Pop-Oratorium zur Christusgeschichte, 1989 Gerhard Schnitter Weihnachts-POPratorium – Licht im Dunkel 1996. In ähnliche Richtung geht Schnitters sogenanntes 'WeihnachtsCHoratorium' mit dem Titel Das Weihnachtswunder, 2009 Helmut Hoeft (Musik) und Wolfgang Fietkau (Text): Unterwegs: Haltestelle Gegenwart – Vom Seiltanz zwischen Engeln und Quälgeistern. Ein Pop-Oratorium, 2001 Michael Benedict Bender: King Dave. Pop-Oratorium (ohne Jahresangabe). Klaus Heizmann: Israel Schalom Oratorium, 1988 und DAVID-Oratorium – König – Sänger und Poet, 2009 Gerd Schuller (Musik) und Sarah Hucek (Text): Paulus Auftragskomposition der Katholischen Jugend Steiermark im Paulusjahr 2008/2009 Den Schritt ins Gigantische schaffte das Pop-Oratorium Die 10 Gebote von Dieter Falk und Michael Kunze, das teilweise als Musical dargeboten wurde. 9.000 Zuschauer in der vollbesetzten Dortmunder Westfalenhalle verfolgten im Januar 2010 die Uraufführung. Laut Veranstalter waren 2700 Mitwirkende vor und hinter der Bühne beteiligt. Kleiner dimensioniert ist das Pop-Oratorium Ich bin – Jesus in Wort und Wundern der Neuapostolischen Kirche von Sigi Hänger und Christoph Oellig, dessen Libretto Jürgen Deppert und das Textbuch samt Rahmenhandlung Benjamin Stoll schuf. Bei der Premiere am 1. Juni 2013 in der Dortmunder Westfalenhalle und bei der Aufführung am 14. Juni in der O2 World Hamburg wirkten mehr als 1.500 jugendliche Sänger im Chor, das Jugend-Sinfonieorchester der Neuapostolischen Kirche Nordrhein-Westfalen sowie weitere Musiker und Darsteller mit. Verschiedene Stilrichtungen von Rock über Blues bis hin zu Balladen und Gospel kommen zum Tragen. Rock-Oratorium Dieser Oratorienstil arbeitet mit der Tonsprache und den Mitteln der Rockmusik. Beispiele: Hans-Jörg Böckeler: Credo. Rockoratorium nach dem „Kevelaerer Kredo“ von Wilhelm Willms (1991) Thomas Gabriel: Daniel Imants Kalniņš: Kā jūra, kā zeme, kā debess (lettisch, deutsche Übersetzung: Wie das Meer, wie die Erde, wie der Himmel) ab 1984. Tobias Seyb, Richard Geppert: Moses (1985) Gamma Skupinsky: E=mc². Guntram Pauli u. a.: Rock Requiem Schmetterlinge (Band): Proletenpassion Siehe auch Historie (Musik) – eine Gattung, die musikgeschichtlich das Oratorium vorbereitet Passionsoratorium Formen der Kirchenmusik Liste von Kirchenmusikkomponisten Oratorienchor Portal:Kirchenmusik Forschungsgeschichte Arnold Schering habilitierte sich 1907 an der Universität Leipzig mit der Schrift Die Anfänge des Oratoriums, die er 1911 in erweiterter Form unter dem Titel Geschichte des Oratoriums publizierte. Diese erste systematische Darstellung der Gattung bildete die Grundlage für alle weiteren musikgeschichtlichen Darstellungen des Themas im 20. Jahrhundert. Günther Massenkeil promovierte 1952 in Mainz mit einer Arbeit über Giacomo Carissimi (Die oratorische Kunst in den lateinischen Historien und Oratorien G. Carissimis). Literatur (chronologisch) Arnold Schering: Geschichte des Oratoriums (= Kleine Handbücher der Musikgeschichte nach Gattungen. Band 13). Breitkopf & Härtel, Leipzig 1911. Hermann Kretzschmar: Führer durch den Concertsaal, II.Abt II.Theil, Oratorien und weltliche Chorwerke. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1890;. (Ausgabe letzter Hand: 4. Auflage 1920) Erich Reimer: Oratorium. In: Handwörterbuch der musikalischen Terminologie. Bd. 4, hrsg. von Hans Heinrich Eggebrecht und Albrecht Riethmüller, Schriftleitung Markus Bandur, Steiner, Stuttgart 1972 (Digitalisat). Werner Oehlmann, Alexander Wagner: Chormusik und Oratorienführer. Reclam-Verlag, Stuttgart 1976. (Neuausgabe: 1999, ISBN 3-15-010450-5) Howard E. Smither: A History of the Oratorio. 4 Bände. University of North Carolina Press, Chapel Hill 1977–2000. Vol. 1: The Oratorio in the Baroque Era: Italy, Vienna, Paris. ISBN 0-8078-1274-9. Vol. 2: The Oratorio in the Baroque Era: Protestant Germany and England. ISBN 0-8078-1294-3. Vol. 3: The Oratorio in the Classical Era. Vol. 4: The Ooratorio in the Nineteenth and Twentieth Centuries. ISBN 0-8078-2511-5. Günther Massenkeil: Oratorium und Passion (= Handbuch der musikalischen Gattungen. Band 10). 2 Bände. Laaber, Laaber 1998/99, ISBN 3-89007-133-3 (Band 1), ISBN 3-89007-481-2 (Band 2). Imanuel Geiss: Geschichte im Oratorium. Von der Schöpfung zur Apokalypse. Eine historische Handreichung für die Chorarbeit. Hochschule Bremen, Musikforum. Herausgegeben von Ronald Mönch und Joshard Daus, Talpa, Berlin 1999, ISBN 3-933689-02-3 und ISBN 3-933689-03-1. Silke Leopold, Ullrich Scheideler (Hrsg.): Oratorienführer. Metzler, Stuttgart 2000, ISBN 3-476-00977-7. Howard E. Smither: Oratorio. In: New Grove Dictionary of Music and Musicians. 2. Ausgabe. 2001. Cäcilie Kowald: Das deutschsprachige Oratorienlibretto 1945–2000. Berlin 2007, (Dissertation TU Berlin 2007, Volltext online PDF, 1,19 MB, mit einem Verzeichnis deutschsprachiger Oratorien 1945–2007). Einzelnachweise Gattung der Chormusik
Q85477
91.234399
94101
https://de.wikipedia.org/wiki/Hochgeschwindigkeitsverkehr
Hochgeschwindigkeitsverkehr
Bei der Eisenbahn bezeichnet Hochgeschwindigkeitsverkehr den fahrplanmäßigen Zugverkehr mit Spitzengeschwindigkeiten oberhalb einer Schwelle von 200 km/h. Nach verschiedenen Angaben der Europäischen Kommission muss ein Hochgeschwindigkeitszug auf Ausbaustrecken über 200 km/h fahren können, auf Neubaustrecken über 250 km/h. Laut den Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität des Hochgeschwindigkeitsbahnsystems sollten Hochgeschwindigkeitszüge auf Ausbaustrecken „rund“ 200 km/h erreichen können, mindestens 250 km/h auf Neubaustrecken des Hochgeschwindigkeitsverkehrs sowie „in geeigneten Fällen“ eine Geschwindigkeit von über 300 km/h. Grundlagen Für den Hochgeschwindigkeitsverkehr von Schienenfahrzeugen müssen alle Komponenten des Systems Eisenbahn an die höheren Anforderungen angepasst werden. Neben dem Hochgeschwindigkeitszug wird eine spezielle Schnellfahrstrecke und ein entsprechend leistungsfähiges Zugleit- und Sicherungssystem benötigt. Hochgeschwindigkeitszug Fahrzeuge für den Hochgeschwindigkeitsverkehr werden überwiegend elektrisch angetrieben. Diesel- oder Gasturbinen-Triebfahrzeuge wurden zwar des Öfteren erprobt, bilden aber die große Ausnahme. Gründe dafür sind neben dem höheren Treibstoff-Verbrauch (die Ölpreiskrise von 1973 beendete mehrere derartige Ansätze im Versuchsstadium) auch das ungünstigere Masse-Leistungs-Verhältnis, da zumindest Dieselmotoren (zumal bei Verwendung dieselelektrischer Traktion) ceteris paribus schwerer als vergleichbare Elektromotoren sind und der mitgeführte Treibstoff zusätzliche Masse bedeutet. Aus ähnlichen Gründen erreichen batterieelektrische Züge üblicherweise keine Geschwindigkeiten über 160 km/h. Die Abgase von Diesel- oder Gasturbinenzügen stellen auch ein Problem in langen Tunnels und unterirdischen Bahnhöfen dar, welches in vielen Fällen durch die Elektrifizierung gelöst wurde, sodass diese Teile des Streckennetzes im Regelbetrieb nur mit elektrischer Traktion befahren werden. Um hohe Geschwindigkeiten zu erreichen, wird eine große Antriebsleistung (nahe 10.000 kW) installiert und der Zug gleichzeitig so leicht wie möglich gebaut (Leichtbau). Die für ihre Masse äußerst stark motorisierten Züge sind so auch in der Lage, wesentlich größere Steigungen zu überwinden als herkömmliche Züge. Reine Schnellfahrstrecken können so freier trassiert werden, was Baukosten einzusparen hilft. Hochgeschwindigkeitszüge erreichen fahrplanmäßig Geschwindigkeiten von bis zu 380 km/h, bei Versuchsfahrten auch 575 km/h (TGV-Versuchszug V150) und 603 km/h (JR-Maglev-Versuchszug im April 2015). Schnellfahrstrecke Als Schnellfahrstrecke (SFS) wird im Eisenbahnverkehr eine Eisenbahnstrecke bezeichnet, auf der Fahrgeschwindigkeiten von wenigstens 200 km/h möglich sind. Manche internationale Definitionen sehen größere zu erreichende Geschwindigkeiten vor. Neben einer entsprechenden Trassierung, die den hohen Belastungen standhalten muss, dürfen Schnellfahrstrecken keine höhengleichen Bahnübergänge enthalten, und falls Vorbeifahrten am Bahnsteig mit Geschwindigkeiten über 200 km/h erfolgen, müssen Reisendensicherungsanlagen vorgesehen sein. Auch an die Oberleitung werden besondere Ansprüche gestellt: So werden Fahrdrähte aus einer speziellen Legierung benutzt, die den elektrischen Kontakt verbessert sowie den Funkenflug vermeidet. Zugbeeinflussung Bei den im Hochgeschwindigkeitsverkehr langen Betriebs- (etwa 7000 m) und Schnellbremswegen (über 3000 m) ist das traditionelle Signalsystem mit den Streckenblocks zur Zugdeckung nicht mehr tauglich, da damit die Blockabstände und Durchrutschwege immens lang sein müssten. Dies steht auch der vom Fahrplan geforderten kurzen Zugfolge entgegen. Hochgeschwindigkeitszüge werden daher nicht mehr auf der Strecke punktuell durch feste Eisenbahnsignale mit Aufforderungen zum Halten oder Langsamfahren gesteuert, sondern durch ständigen Funkkontakt. Üblicherweise werden hierzu Linienleiter entlang der Strecke benutzt, die auf eine Zugantenne einwirken, und eine Verbindung zwischen dem Zug und einer Leitstelle errichtet. Übertragen werden beispielsweise Ort und Art von bevorstehenden Geschwindigkeitsänderungen, wie („in 10 km anhalten“; „in 2400 m auf 230 km/h abbremsen“). Die Position der Zugantenne am Linienleiter dient der Zugortung. Auch dabei gibt es heute generell noch feste Blockabschnitte. Als Nebeneffekt verhindert die linienförmige Zugbeeinflussung abrupte Bremsmanöver und das für die Fahrgäste unangenehme Halten in stark überhöhten Kurven. Grenzen des Hochgeschwindigkeitsverkehrs Im Wesentlichen begrenzen die folgenden Faktoren die Anhebung der Höchstgeschwindigkeit: Laufruhe Haftung Rad/Schiene Luftwiderstand Leistungsübertragung Lärmentwicklung Wirtschaftlichkeit Betriebskoordination Laufruhe In den 1950er Jahren konnten Geschwindigkeiten jenseits von 200 km/h ohne bleibende Schäden am Fahrweg oder einer Gefährdung der sicheren Führung des Fahrzeugs nicht bewältigt werden. Heutzutage sind wesentlich höhere Geschwindigkeiten laufwerktechnisch problemlos beherrschbar. Neben Versuchen auf Rollenprüfständen zeigt dies auch die Rekordfahrt des TGV jenseits von 550 km/h im April 2007. Haftung Rad/Schiene Im niedrigen Geschwindigkeitsbereich ist (zumindest bei allachsgetriebenen Fahrzeugen) die maximal erreichbare Beschleunigung auch bei ungünstigen Witterungsbedingungen nicht durch den Haftwert zwischen Rad und Schiene begrenzt, sondern allein durch den Fahrkomfort. Bei hohen Geschwindigkeiten ist der Fahrwiderstand jedoch so hoch, dass die Haftreibung zu gering sein kann, um eine ausreichend starke Zugkraft auf die Schiene übertragen zu können. Daher werden bei Hochgeschwindigkeitszügen viele Achsen angetrieben, also ein Triebkopf- oder Triebzugkonzept verwendet. Ein Antrieb beispielsweise mittels Linearmotor wäre von dieser Beschränkung nicht betroffen und ist auch beim Rad-Schiene-System zum Beispiel bei Achterbahnen (so genannte „Launched Coaster“) Stand der Technik. Luftwiderstand Die genauen Zusammenhänge, die einen Einfluss auf den Haftwert bei ungünstigen Witterungsbedingungen haben, sind schlecht fassbar, und der Fahrwiderstand – bei höheren Geschwindigkeiten insbesondere der (quadratisch mit der Geschwindigkeit zunehmende) Luftwiderstand – hat entscheidenden Einfluss auf die erreichbare Geschwindigkeit. Trotzdem erscheint eine Geschwindigkeit von zumindest bis zu 400 km/h auch in einem alltäglichen Betrieb bei unterschiedlichsten Wetterbedingungen ohne wesentliche Verbesserung heutiger Konstruktionen möglich. Leistungsübertragung Die für einen Hochgeschwindigkeitsverkehr notwendige hohe Motorleistung wird heute ausschließlich von Elektromotoren aufgebracht. Zwar wäre im Prinzip auch ein Gasturbinenantrieb möglich, jedoch wurde dieser unter anderem aufgrund der extremen Lärmentwicklung und des geringen Wirkungsgrades insbesondere bei Teillast nicht weiter verfolgt und scheint auch in Zukunft keine Alternative zu sein. Die Grenzen des Elektroantriebs liegen weniger in der Leistungsfähigkeit der Elektromotoren, sondern in der Leistungsübertragung über die Oberleitung. Die eine Grenze stellt die mechanische Belastbarkeit der Oberleitung dar, die andere der maximale Strom, der über den Stromabnehmer von der Oberleitung übertragen werden kann. Derzeit ist der Oberleitungsbau so weit fortgeschritten, dass Geschwindigkeiten von bis zu 350 km/h im Regelbetrieb hinsichtlich der mechanischen Belastung bei entsprechender Oberleitung unproblematisch erscheinen; eine weitere Anhebung dieser Grenze ist künftig zu erwarten. Was die Leistungsaufnahme betrifft, scheint die Grenze, wohl auch aus wirtschaftlichen Gründen wie die Kosten für den Strom und den Aufwand für Unterwerke, bei etwa 15–20 MW zu liegen. Durch eine immer leichtere Bauweise und einen immer geringeren Luftwiderstand konnte der Energiebedarf der Fahrzeuge immer weiter gesenkt werden. Lärmentwicklung Im Geschwindigkeitsbereich oberhalb von 250 km/h wird die Schallemission eines Fahrzeugs im Wesentlichen durch das aerodynamische Geräusch bestimmt, wobei die Schallleistung mit der fünften Potenz der Geschwindigkeit zunimmt. Dies bedeutet, dass beispielsweise bei einer Geschwindigkeitserhöhung von 300 km/h auf 400 km/h der Mittelungspegel um 6 dB zunimmt (Als Faustregel gilt: Ein Unterschied von 10 dB wird als Lautstärkeverdopplung wahrgenommen). Da Hochgeschwindigkeitszüge auch durch dichtbesiedelte Gebiete fahren, stellt die Lärmentwicklung der Fahrzeuge einen Faktor für die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem jeweiligen Streckenabschnitt dar. Daher erweist sich eine schalltechnische Optimierung von Fahrzeug und Fahrweg gegebenenfalls als direkt nutzbar. Wirtschaftlichkeit Zwar sind Hochgeschwindigkeitsverkehre immer auch Prestigeobjekte, die für die technische Leistungsfähigkeit des jeweiligen Landes stehen, doch lässt sich ohne ein gewisses Maß an Wirtschaftlichkeit ein solches Projekt nicht realisieren. Hochgeschwindigkeitsverkehre erzielen ihre Wirtschaftlichkeit dadurch, dass die höheren Fahrzeugkosten, der höhere Aufwand für den Bau und die regelmäßige Wartung des Fahrwegs und der höhere Energiebedarf durch einen geringeren Fahrzeug- und Personalbedarf infolge kürzerer Reisezeiten kompensiert werden. Zudem können durch die kürzere Reisezeit und die Attraktivität der Fahrzeuge teilweise erhebliche Zuwächse bei den Reisendenzahlen verzeichnet werden. So stiegen die Reisendenzahlen im Fernverkehr auf der Tōkaido-Strecke Tokio–Osaka nach Einführung des Shinkansens innerhalb von nur fünf Jahren auf das Vierfache, und durch die Einführung des TGV auf der Relation Paris–Lyon konnte innerhalb von zwei Jahren eine Verdopplung der Reisendenzahlen erreicht werden. Die wesentlichen Faktoren für die Reisezeit sind: die Höchstgeschwindigkeit die Halteabstände die Beschleunigungsfähigkeit der Fahrzeuge die Haltezeiten Langsamfahrstellen und anteilige Streckenabschnitte die regulär nicht für Höchstgeschwindigkeit zugelassen sind Während insbesondere im städtischen Nahverkehr mit kurzen Halteabständen vor allem die Haltezeiten und die Beschleunigungsfähigkeit der Fahrzeuge entscheidend ist, werden im Hochgeschwindigkeitsverkehr die kurzen Reisezeiten vor allem durch eine durchgehend hohe Geschwindigkeit und große Halteabstände erreicht. Bei sehr hohen Geschwindigkeiten (ab etwa 250 km/h) nimmt allerdings die Bedeutung der Beschleunigungs- und Verzögerungsfähigkeit der Fahrzeuge zu, wenn eine dichte Zugfolge (3 Minuten) möglich sein soll. Die Grenzen der Wirtschaftlichkeit liegen dort, wo durch eine weitere Anhebung der Höchstgeschwindigkeit keine relevanten Fahrzeitverkürzungen erreicht werden können, die in einem vernünftigen Verhältnis zu den erhöhten Kosten stehen. Die wesentlichen Faktoren sind hier heute einerseits der Wartungsaufwand für den Fahrweg und andererseits die Entfernung zwischen den Großstädten, welche sinnvoll mit einer Hochgeschwindigkeitsstrecke verbunden werden können. Somit liegt die Höchstgeschwindigkeit von Hochgeschwindigkeitsverkehren derzeit vor allem aus wirtschaftlichen Gründen bei etwa 300 km/h. Züge sind – auch bei hoher Geschwindigkeit – deutlich energieeffizienter pro Sitzplatzkilometer als Bus, Auto oder Flugzeug (Siemens Velaro D laut Hersteller rund 0,3 Liter Benzinäquivalent pro 100 Sitzplatz-km vs rund 2 Liter pro 100 Sitzplatzkilometer laut Werbung der Fluggesellschaften für den Airbus A330 neo) Welche Rolle der Energieverbrauch auf die Wirtschaftlichkeit hat, hängt nicht zuletzt auch vom Strompreis ab und ob dieser mit Steuern und Abgaben belastet oder im Gegensatz sogar subventioniert ist. Historisch waren es daher zumeist Länder mit reichlich verfügbarer Wasserkraft, welche die Elektrifizierung der Eisenbahn besonders voran getrieben haben. Auch der französische TGV (welcher sich in der Entwicklungsphase gegen Konkurrenz der fossil getriebenen Aérotrain und TGV 001 durchsetzen musste) wird gelegentlich mit der Kernenergie in Frankreich in Verbindung gesetzt, welche seinerzeit auch mit dem Ziel niedriger Endverbraucher-Strompreise forciert wurde. Betriebskoordination Wesentlich für den Nutzen eines Hochgeschwindigkeitsverkehrs ist auch die zeitliche Abstimmung im Taktfahrplan an Knotenpunkten. Bei einer Evaluierung des Höchstgeschwindigkeitsverkehrs mit über 200 km/h in der Schweiz wurde festgestellt, dass 200 km/h für die NBS Bern–Olten am wirtschaftlichsten seien. Höhere Geschwindigkeiten als 250 km/h brächten zwar Fahrzeitersparungen von etlichen Minuten, würden sich aber nicht lohnen, da die zeitlichen Knotenpunkte im Taktverkehr nicht mehr aufgingen, womit längere Wartezeiten auf Bahnhöfen auf Anschlusszüge nötig wären und die Reisezeit etwa gleich bliebe – bei höheren Kosten. Wenn Hochgeschwindigkeitsverkehr zusammen mit Verkehren geringerer Geschwindigkeit (z. B. Güterverkehr) auf gemeinsam genutzten Strecken abgewickelt wird, muss ein Abgleich der Geschwindigkeit mit Rücksicht auf die langsameren Züge auf der gleichen Strecke erfolgen. Dies kann punktuell je nach Lage oder durch die Fahrplangestaltung erfolgen. In Deutschland verfolgt die Deutsche Bahn jedoch eine Strategie der weitgehenden Entkopplung von Hochgeschwindigkeitsverkehr von langsameren Verkehren (die so genannte „Netz 21“-Strategie), um die Vorteile von HGV-Zügen wie etwa dem ICE auszuspielen. Die Leistungsfähigkeit einer HGV-Strecke wird so gegenüber einer gemischt genutzten Strecke deutlich erhöht. Wenn bereits beim Bau einer HGV-Strecke, wie z. B. der Schnellfahrstrecke Köln–Rhein/Main auf die Befahrbarkeit mit schweren Güterzügen verzichtet wird, lassen sich auch durch eine steilere Gradiente Kosten sparen. Dies entspricht Konzepten, die in Frankreich und Japan bereits seit Beginn des Hochgeschwindigkeitsverkehrs üblich sind. So ist in Japan durch die unterschiedliche Spurweite (1435 mm HGV gegenüber 1067 mm konventionell und Güterverkehr) ein Verkehr der Shinkansen-Züge auf dem Güternetz (und umgekehrt) gar nicht möglich. In Frankreich wiederum sind die Hochgeschwindigkeitsstrecken ausschließlich den TGV vorbehalten. Nur dort, wo der TGV im „alten“ Netz unterwegs ist, um Städte abseits der LGV (lignes a grande vitesse, Hochgeschwindigkeitsstrecken) anzubinden, teilt er sich Strecken mit dem Güterverkehr. Gleichermaßen getrennt ist das Netz auch in Spanien, auch hier durch unterschiedliche Spurweiten. Mischverkehr in größerem Ausmaße herrscht jedoch in Großbritannien, wo High Speed 1 auch für Güterzüge ausgelegt ist, oder auch in der Schweiz wo selbst Hochgeschwindigkeitsstrecken wie der Gotthard-Basistunnel (vmax 250 km/h) auch dem Güterverkehr dienen. Abgesehen vom TGV La Poste hat es trotz vielfältiger Diskussionen und Vorschläge bisher keinen nennenswerten HGV im Güterverkehr gegeben. Dies liegt unter anderem daran, dass bestehende Güterzüge nicht auf entsprechende Geschwindigkeit ausgelegt sind und aufgrund deutlich höheren Leistungsgewichts steilere Trassen nicht oder kaum befahren können. Geschichte Bereits im Jahre 1873 gab es in den Vereinigten Staaten Überlegungen zur Einführung eines – nach damaligen Maßstäben – Hochgeschwindigkeitsverkehrs: Schnellfahrversuche mit Elektrolokomotiven hatten schon vor dem Ersten Weltkrieg gezeigt, dass Geschwindigkeiten nahe oder sogar über 200 km/h zu bewältigen sind – und dies zu einer Zeit, da die schnellsten fahrplanmäßigen Züge selten mit über 100 km/h unterwegs waren. Die Marke von 200 km/h wurde erstmals im Oktober 1903 von einem Drehstrom-Versuchstriebwagen der Firma Siemens auf der Versuchsstrecke Marienfelde–Zossen übertroffen und einige Tage später von einem Versuchstriebwagen der AEG knapp überboten. Einen ersten planmäßigen Schnellverkehr gab es in Deutschland der 1930er Jahre mit Fernschnelltriebwagen (z. B. mit dem Dieselzug Fliegender Hamburger) und dampfbetriebenen Stromlinien-Schnellzügen. Das Zugnetz bestand vor allem aus Strecken von Berlin ausgehend, um Geschäfts- und Dienstreisenden die Tagesreise zur Hauptstadt ohne Übernachtung zu ermöglichen. Zum Mutterland des modernen Hochgeschwindigkeitsverkehrs wurde jedoch Japan, wo in den 1960er Jahren die Shinkansen-Züge auf eigens neu gebauten Hochgeschwindigkeitstrassen in engem Takt zu verkehren begannen. Deren Bau war indes bedingt durch die kaum hochgeschwindigkeitstauglichen dort vorhandenen Schmalspurstrecken in Kapspur. Erste Ideen zu einem Hochgeschwindigkeitsnetz in Japan kamen in den 1940er Jahren aufgrund des Krieges nicht zustande und zwanzig Jahre später musste ein Kredit der Weltbank aufgenommen werden um die Finanzierung zu stemmen. Daraus resultierte auch zunächst eine Begrenzung der Geschwindigkeit auf „nur“ 210 km/h, welche von den Kreditgebern zur Bedingung gemacht worden war. Der Name „Shinkansen“, welcher ursprünglich die Strecke (wörtlich „neue Stammstrecke“) und erst später metonymisch die Züge bezeichnete deutet auch darauf hin, dass es im dicht besiedelten Japan – ähnlich wie später in Deutschland – beim Bau der Neubaustrecken auch um Erhöhung der Kapazität durch Entlastung der vielbefahrenen Hauptstrecken ging. Als weltweit zweite Hochgeschwindigkeitsstrecke wurde die italienische Direttissima, die Florenz mit Rom auf einer Länge von 254 km verbindet, eröffnet. Der erste Teilabschnitt, zwischen Rom und Città della Pieve (138 km) wurde am 24. Februar 1977 eröffnet. Bereits vor dem Zweiten Weltkrieg wurden in Italien Elektrotriebzüge eingesetzt, die fahrplanmäßig 160 km/h erreichten. Ab 1969 wurde auf der Verbindung Rom–Neapel offiziell der Hochgeschwindigkeitsverkehr mit Zügen aufgenommen, die fahrplanmäßig mit 180 km/h verkehrten. In Polen wurde die Bahnstrecke Grodzisk Mazowiecki–Zawiercie zwar bereits in den 1970er Jahren für 250 km/h Entwurfsgeschwindigkeit trassiert, jedoch gab es damals im gesamten Ostblock keine Züge, die zu derlei Geschwindigkeiten in der Lage gewesen wären. Noch heute (Stand 2023) erreichen Züge auf dieser Strecke fahrplanmäßig „nur“ 200 km/h, was sich jedoch künftig ändern soll. Der Start des TGV 1981 wurde zum Aufbruch in eine neue Ära. Zu diesem Zeitpunkt war auch in Deutschland, wo es bereits seit 1971 planmäßige Intercity-Züge mit 200 km/h Spitzengeschwindigkeit gab, die erste echte Schnellfahrstrecke Hannover–Würzburg im Bau. 1991 nahm der ICE den Betrieb auf. In Spanien begann das Zeitalter der Hochgeschwindigkeitszüge AVE 1992 mit der Strecke Madrid–Sevilla. Bis heute wurde das HGV-Netz in Spanien (ähnlich wie im selben Zeitraum die U-Bahn Madrid) sehr schnell ausgebaut und ist heute nach Streckenlänge das größte Europas und zweitgrößte der Welt. Obwohl China erst 2008 erstmals Hochgeschwindigkeitszüge im Rad-Schiene-System in den kommerziellen Betrieb nahm, ist China heute (2023) mit über 40'000 km das Land mit dem bei weitem größten Netzwerk und plant nach wie vor den weiteren Ausbau. Heute fahren dutzende verschiedener Typen von Hochgeschwindigkeitszügen auf der ganzen Welt auf Zehntausenden von Kilometern an Schnellfahrstrecken. Die Zeichen stehen auch über 50 Jahre nach Beginn der Geschichte der schnellen Züge immer noch auf fast ungebremster Expansion; in fast allen entwickelten und zahlreichen Schwellenländern gibt es zurzeit Streckenneubauten, -ausbauten oder Planungen dafür. Länder wie Japan, Frankreich, China und in gewissem Ausmaß auch Deutschland nutzen dabei Projekte im Ausland als Mittel der Soft Power aber auch zum Generieren von Absatzmärkten, so wurde der Siemens Velaro in mehrere Länder exportiert und die LGV Tanger–Kenitra unter tätiger Mithilfe des französischen Staates gebaut und finanziert und setzt weitestgehend auf französische TGV-Technik. Das Eurotrain-Konsortium aus ICE und TGV musste sich hingegen in Taiwan der japanischen Konkurrenz geschlagen geben und wurde in der Folge aufgelöst. Weiterentwicklungen Die Zukunft des Hochgeschwindigkeitsverkehrs ist geprägt durch einen Boom von Neu- und Ausbaustrecken einerseits, andererseits gibt es Bestrebungen, bestehende Strecken schneller befahren zu können, ohne diese zu erneuern. Hier können konstruktive Änderungen der Züge wie Drehgestelle mit Losradsätzen mit innen liegender Federung, aktiv geregelte Stromabnehmer, aktiv gelenkte Drehgestelle, aktiv gesteuerte Schlingerdämpfer und die Neigetechnik höhere Geschwindigkeiten erlauben. Die ausschließliche Erhöhung der Höchstgeschwindigkeit ist jedoch nicht immer zielführend. Für Deutschland sind beispielsweise Halteabstände von etwa 75 Kilometern typisch. Hieraus ergibt sich ein entsprechendes Passagieraufkommen, welches den ökonomischen Betrieb ermöglicht. Der Mehraufwand für höhere Geschwindigkeiten steht hingegen in keinem Verhältnis zum Zeitgewinn. Bei größeren Halteabständen würde sich das Passagieraufkommen wiederum entsprechend verringern und die Nutzkosten steigern. Neben dem konventionellen radgeführten Schienenfahrzeugen wurden auch in verschiedenen Ländern Magnetschwebebahn-Systeme als weiteres spurgeführtes Hochgeschwindigkeitssystem entwickelt. Beispiele hierfür sind der Transrapid und der JR-Maglev. Siehe auch Studiengesellschaft für Elektrische Schnellbahnen (1899–1904) Studie über ein Hochleistungsschnellverkehrssystem (1971) HGV-Anschluss-Gesetz zur Anbindung der Schweiz an das deutsche und französische HGV-Netz Liste der Geschwindigkeitsweltrekorde für Schienenfahrzeuge Literatur Carsten Preuß: 100 Jahre Tempo 200. Geschwindigkeitsweltrekord von 1903. In: Lok Magazin. Nr. 263/Jahrgang 42/2003. GeraNova Zeitschriftenverlag GmbH München, , S. 84–91. Weblinks Michael Kröger: Hochgeschwindigkeitszüge – Die Entdeckung der Langsamkeit, Spiegel Online, 25. September 2014 Emil Nefzger: Die besseren ICEs, Spiegel Online, 11. März 2020 Einzelnachweise Anmerkungen Bahnbetrieb
Q211382
126.489664
112904
https://de.wikipedia.org/wiki/L%C3%A4n
Län
Län (schwedisch) ist die Bezeichnung für eine Provinz in Schweden. Die Organe der Provinz nehmen staatliche Verwaltungsaufgaben auf regionaler Ebene wahr (ausgenommen Finanz-, Gerichts- und Militärverwaltung). Derzeit gibt es 21 Provinzen. Nicht zu diesen Organen gehören die Provinziallandtage (schwed. landsting), die als sogenannte sekundäre Kommunen Aufgaben im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung wahrnehmen und daher unabhängig von der staatlichen Verwaltung sind, auch wenn deren Gebietsgrenzen meist mit denen der Provinzen übereinstimmen. Geschichte Im Gefolge der politischen Reformen Gustavs II. Adolf wurde 1634 auch die politisch-administrative Einteilung des Landes erneuert, und es wurden Provinzen (schwed. län) geschaffen, die von einem Statthalter (schwed. landshövding) verwaltet wurden. Größere Veränderungen geschahen 1810, als Finnland an Russland abgetreten wurde, und die heutigen Provinzen in Norrland geschaffen wurden, und in den 1990er Jahren, als die zwei heutigen Provinzen Skåne län (1997 durch Vereinigung der Provinzen Malmöhus län und Kristianstads län) und Västra Götalands län (1998 durch Vereinigung der Provinzen Göteborgs och Bohus län, Älvsborgs län und Skaraborgs län) entstanden. Organisation An der Spitze der Provinzialverwaltung steht der Regierungspräsident (schwed. landshövding), der von der Regierung für eine Amtszeit von sechs Jahren ernannt wird. Der Regierungspräsident ist Vorsitzender der Provinzialregierung (schwed. länsstyrelse), die seit den 1970er Jahren von den Provinziallandtagen gewählt wird. Die innere Organisation der Provinzialregierung und deren Ämter ist nun ihnen selbst überlassen, so dass kein einheitliches Modell vorliegt. Aufgaben Die Provinzialregierungen haben zwei zentrale Aufgaben: Sie sind einerseits Vertreter der Staatsmacht in ihrer Region, andererseits sollen sie die regionalen Interessen der Provinz vertreten. Die Verwaltungsaufgaben decken ein breites Spektrum ab, von Zivilverteidigung über Raumplanung, Verkehrswesen, Landwirtschaft und Fischerei, Tierschutz bis zu Umweltschutz, Kultur u. a. Außerdem sind die Provinzialregierungen für das Polizeiwesen und für Wahlen verantwortlich. Liste Anmerkung: Der Buchstabe entspricht dem zweiten Teil des ISO-3166-2-Codes der Provinz. Siehe auch ISO 3166-2:SE Landskap (Schweden) Politisches System Schwedens Wappen der schwedischen Provinzen Weblinks Einzelnachweise Verwaltungsgliederung Schwedens Schweden, Lan NUTS-3-Ebene
Q200547
690.068089
58311
https://de.wikipedia.org/wiki/Delaware
Delaware
Delaware ist ein Bundesstaat an der Ostküste der Vereinigten Staaten von Amerika. Flüsse und Wälder prägen die Landschaft, die Zentralen großer internationaler Unternehmen dagegen das wirtschaftliche Bild des zweitkleinsten Bundesstaates der USA. Letztere resultieren aus der besonders günstigen Versteuerung von Holdinggesellschaften und sind zum Teil reine Briefkastenadressen. Der Bundesstaat trägt den offiziellen Beinamen The First State (Erster Staat), da Delaware 1787 als erster Staat der Dreizehn Kolonien die Verfassung der USA ratifizierte. In Delaware gibt es nur drei Countys, so wenige wie in keinem anderen US-Bundesstaat. Geographie Der Staat hat eine Gesamtfläche von 6.447 km², wovon 1.387 km² auf Gewässer entfallen. Damit ist Delaware nach Rhode Island flächenmäßig der zweitkleinste US-Bundesstaat. Die Mehrheit der Fläche Delawares liegt auf der atlantischen Küstenebene. Der Staat grenzt im Norden an Pennsylvania, wobei der größte Teil dieser Grenze einen exakten Kreisbogen bildet. Die Ostgrenze zu New Jersey bilden der Fluss Delaware sowie der Atlantische Ozean; im Westen und Süden liegt der Staat Maryland. Die größte Stadt ist Wilmington, und die Hauptstadt ist Dover. Einer der größten amerikanischen Luftwaffenstützpunkte, Dover Air Force Base, liegt in der Nähe von Dover. Gliederung Klima Delaware hat ganzjährig ein moderates Klima mit durchschnittlichen Temperaturen im Bereich von 0 bis 24 °C und statistisch 208 Sonnentagen. Die Jahreszeiten sind klar voneinander abgegrenzt, allerdings wird das Klima vom Atlantik beeinflusst und ist ganzjährig gemäßigt bis feucht. Im Sommer kann es bis zu 32 °C warm werden; im Winter fällt bisweilen Schnee – die Temperaturen können bis auf −5 °C absinken. Bevölkerung Delaware hat 853.476 Einwohner (Stand: U.S. Census 2006), davon sind 72,1 % Weiße, 20,7 % Afroamerikaner, 6,3 % Hispanics oder Latinos, 2,9 % Asiatische Amerikaner und 0,3 % Indianer. Alters- und Geschlechterstruktur Die Altersstruktur von Delaware setzt sich folgendermaßen zusammen: bis 18 Jahre: 203.736 (23,9 %) 18 bis 64 Jahre: 535.186 (62,7 %) ab 65 Jahre: 114.554 (13,4 %) Das Medianalter beträgt 37,5 Jahre. 48,5 % der Bevölkerung sind männlich und 51,5 % weiblich. Abstammung Im Jahr 2014 waren 16,0 % der Einwohner irischer Abstammung und stellen damit nach den Afroamerikanern die zweitgrößte Gruppe. Es folgen die Gruppen der Deutsch- (13,5 %), Italienisch- (10,2 %), Englisch- (9,3 %) und Polnischstämmigen (4,5 %). Die Lenni Lenape sind eine Indianer-Minderheit, die von Europäern auch Delawaren genannt werden. Sie waren während der Entstehungszeit der Vereinigten Staaten sehr einflussreich. Religionen Die erste schwarze Kirche der Vereinigten Staaten wurde in Delaware durch den früheren Sklaven Peter Spencer 1813 als „Union Church of Africans“ gegründet. Die heutige Verteilung der Religionsgemeinschaften stellt sich gemäß einer Studie folgendermaßen dar: Methodisten – 20 % Baptisten – 19 % Katholiken – 9 % Lutheraner – 4 % Presbyterianer – 3 % Pfingstkirchen – 3 % Episkopale/Anglikaner – 2 % Adventisten – 2 % Churches of Christ – 1 % sonstige Christen – 3 % Muslime – 2 % Juden – 1 % andere Religionen – 5 % keine Religion – 17 % keine Angabe – 9 % Größte Städte Geschichte Ureinwohner Vor der europäischen Besiedlung lebten Lenape (auch als Lenni Lenape bekannt), Susquehanna und andere Stämme in diesem Gebiet. Niederländischer Handelsposten / Neuschweden (1609–1664) Bereits die Spanier und Portugiesen gelangten im 16. Jahrhundert an die Küsten des heutigen Delaware. Aber auch spätere Entdecker erreichten – wie zum Beispiel 1609 Henry Hudson, der bis zum Delaware River fuhr – die Küsten, ohne dort nachweislich anzulanden. Die ersten europäischen Siedler kamen 1631 als Handelsgesellschaft organisiert unter Führung des Kapitäns David Pietersen de Vries in das Gebiet. Sie errichteten einen niederländischen Handelsposten mit dem Namen „Zwaanendael“ (oder „Swaanendael“, das heutige Lewes). 1632 kehrte Kapitän de Vries zurück und musste feststellen, dass in der Zwischenzeit alle Siedler von Indianern getötet und die Siedlung niedergebrannt worden war. Im März 1638 erreichte eine schwedische Expedition, bestehend aus den Schiffen Kalmar Nyckel (Schlüssel von Kalmar) und Fågel Grip (Vogel Greif), unter Führung von Peter Minuit die Küste des heutigen Delaware. Die Siedler, die um den 29. März landeten, errichteten das Fort Christina (benannt nach der damaligen schwedischen Königin Christina I.). Fort Christina, das heutige Wilmington, wurde damit die erste dauerhafte europäische Siedlung Delawares. Der wichtigste schwedische Gouverneur war vermutlich Oberst Johan Printz, der die Kolonie von 1643 bis 1653 regierte. Dessen Nachfolger eroberte kurz nach seiner Ankunft im Jahre 1654 den niederländischen Handelsstützpunkt Fort Casimir, der 1651 an der Stelle der heutigen Stadt New Castle errichtet worden war. Als die schwedische Kolonie für die Niederländer zum Handelskonkurrenten wurde, entschied Petrus Stuyvesant, der Gouverneur der Kolonie Nieuw Nederland, die Schweden zu vertreiben und die Kolonie Neu-Amstel zu errichten. 1655 erreichte er mit seiner Flotte die Küste. Er bezwang die schwedischen Kräfte und unterstellte das ganze Gebiet seiner Befehlsgewalt. Die Niederländer bauten das zerstörte Fort Casimir wieder auf. Das Fort wurde schnell zu einer zentralen Siedlung und konnte schon bald nicht mehr alle Menschen aufnehmen. Daraufhin wurde die Stadt Neu-Amstel errichtet, das heutige New Castle. Englische Kolonie (1664–1776) Der Name „Delaware“ entstammt dem Titel des zweiten Gouverneurs der Kolonie von Virginia, Sir Thomas West, Lord De La Warr und dem nach ihm benannten Fluss Delaware River. 1664 eroberten die Engländer die Kolonie und fügten sie ihrer eigenen Kolonie New York hinzu. 1681 vergab König Karl II. die Provinz Pennsylvania an William Penn. Die dort bald darauf eintreffenden Agenten Penns berichteten diesem, dass die Provinz keinen Zugang zur Küste mehr hätte, würde es zu Feindlichkeiten mit den Kolonien kommen, die an beiden Seiten des Delaware River und der Bay lagen. Penn reichte daraufhin beim Königshaus ein Gesuch ein, ihm auch jenes Land auf der Westseite des Delaware River und der Bay zu übereignen, das unterhalb seiner Provinz lag. Dieser Bitte wurde im März 1682 durch James, den Duke of York (und späteren Jakob II.), entsprochen. Penn erhielt das Land der heutigen Countys New Castle, St. Jones und Deale. Nach seiner Ankunft in Amerika, am 27. Oktober 1682 in New Castle, erfolgte die Übergabe des zugesprochenen Landes an Penn durch Agenten des Duke of York. Bei dieser Gelegenheit leisteten die Kolonisten dieser Ländereien auch einen Treueschwur auf Penn. 1683 wurden die drei „unteren Bezirke“ entsprechend Penns berühmtem „Frame of Covernment“ an Pennsylvania angeschlossen. Gleichzeitig wurde St. Jones in Kent und Deale in Sussex umbenannt. 1704 bekamen die „drei kleineren Bezirke“ ein eigenes Parlament und 1710 einen eigenen Verwaltungsrat. Bundesstaat (seit 1776) Die Mason-Dixon-Linie, erschaffen durch die Engländer Charles Mason und Jeremiah Dixon zwischen 1763 und 1767, um die Grenze zwischen Pennsylvania und Maryland festzulegen, stellt heute die Grenze zwischen Delaware/Pennsylvania und Maryland/West Virginia dar. Viele der ehemals 80 Grenzsteine aus Kalkstein sind noch erhalten. 1776, zwei Monate nach Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung, schlossen sich die drei Countys zum Staat Delaware zusammen und trennten sich vollständig von Pennsylvania. Delaware sagte sich als eine der dreizehn Kolonien von den britischen Machthabern los und schloss sich der Amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung an. Die militärischen Konflikte während der Kolonialzeit hatten gut organisierte und geführte Milizen hervorgebracht und die bereits zu Anfang des Unabhängigkeitskrieges 3000 Freiwillige zählenden Truppen Delawares beteiligten sich an einer großen Zahl der bekannten Schlachten, wobei nur die Schlacht von Cooch's Bridge, die am 3. September 1777 in der Nähe von Newark stattfand, auf dem Boden von Delaware ausgetragen wurde. 1777 wurde Dover an Stelle von New Castle Hauptstadt von Delaware. Am 7. Dezember 1787 ratifizierte Delaware während einer Zeremonie in Dover als erste der 13 Kolonien die neue amerikanische Verfassung. Obgleich Delaware ein sklavenhaltender Staat war, stand der Bundesstaat während des Sezessionskrieges auf Seiten der Nordstaaten, nachdem eine Abstimmung zum Austritt aus der Union am 3. Januar 1861 nicht die erforderliche Mehrheit fand. Acht Monate nach dem Ende des Bürgerkrieges verweigerte Delaware am 18. Februar 1866 die Zustimmung zum 13. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten. Erst am 12. Februar 1901 stimmte Delaware durch Ratifikation des neuen Artikels der Abschaffung der Sklaverei zu. In Delaware kann man heute noch die erste „schwarze“ Kirche besichtigen, die vor der Aufhebung der Sklaverei von Sklaven gegründet wurde. 1967 gehörte Delaware zu den letzten US-Bundesstaaten, die durch den obersten Gerichtshof dazu gezwungen wurden, das Verbot der Mischehe aufzugeben. Politik Delawares vierte und derzeit gültige Verfassung wurde 1897 angenommen und sieht legislative, exekutive und judikative Körperschaften vor. Die Legislative besteht aus einem Repräsentantenhaus mit 41 Mitgliedern und einem Senat mit 21 Mitgliedern. Oberhaupt der Exekutive ist der Gouverneur von Delaware und für die Judikative ist eine Hierarchie von Gerichten mit dem Höchstgericht des Staates an der Spitze vorgesehen. Die politische Ausrichtung Delawares war bis zur Präsidentschaftswahl 2000 stets schwer zu fassen, da der Staat zuvor am häufigsten von allen Staaten für den am Ende siegreichen Kandidaten gestimmt hatte. Doch in den letzten Jahren wird der Vorsprung der Demokraten in dem wohlhabenden kleinen Staat, der 2004 noch als Swing State eingestuft war, immer deutlicher. Gouverneur John Charles Carney, Jr. ist ebenso Demokrat, sowie seine Lieutenant Governor (Vizegouverneurin) die ebenfalls seit 2017 amtierende Demokratin Bethany Hall-Long und wie auch alle drei Vertreter im 117. Kongress: die Senatoren Christopher Andrew Coons und Thomas Richard Carper sowie die Abgeordnete im Repräsentantenhaus, Lisa Blunt Rochester. Im Electoral College stellt Delaware seit 1789 kontinuierlich drei Wahlmänner. Gouverneure Liste der Gouverneure von Delaware Liste der Vizegouverneure von Delaware Kongress Mitglieder im 117. Kongress Liste der US-Senatoren aus Delaware Liste der Mitglieder des US-Repräsentantenhauses aus Delaware Todesstrafe Relativ gesehen hatte Delaware mit einer Bevölkerung von 897.934 Einwohnern (Stand 2010) und 16 vollstreckten Todesurteilen (Stand Dezember 2015) 1,78 Menschen pro 100.000 Einwohnern hinrichten lassen. Dies ist der höchste Wert nach Oklahoma mit 2,99 Hinrichtungen pro 100.000 Einwohner und Texas mit 2,11. Seit 2012 erfolgten keine Hinrichtungen mehr, 2016 wurde die Todesstrafe vom Delaware Supreme Court für ungültig erklärt und ist damit seither faktisch abgeschafft, die verbliebenen Insassen in den Todeszellen bleiben nun lebenslang in Haft. Anzahl der Hinrichtungen pro Jahr: Kultur und Sehenswürdigkeiten Parks Bis 2013 war Delaware der einzige US-Bundesstaat, der keine Nationalparks, Naturschutzgebiete oder Gedenkstätten des Bundes auf seinem Gebiet hatte. Am 25. März 2013 widmete Präsident Barack Obama den First State National Historical Park als National Historical Park zum Gedenken an die Rolle des Bundesstaates in der Kolonialzeit und der Ratifizierung der Verfassung der Vereinigten Staaten durch Delaware als erstem Staat. Naturdenkmäler Der National Park Service (NPS) weist für Delaware zwei National Historic Trails aus, die beide durch mehrere Bundesstaaten verlaufen: Captain John Smith Chesapeake National Historic Trail Washington-Rochambeau Revolutionary Route National Historic Trail Kulturdenkmäler Der NPS führt in Delaware 14 National Historic Landmarks sowie 409 Bauwerke und Stätten, die im National Register of Historic Places eingetragen sind (Stand 30. September 2017). Wirtschaft und Infrastruktur Allgemeines Delaware ist bereits seit Jahren der wirtschaftlich erfolgreichste Bundesstaat der USA. Das reale Bruttoinlandsprodukt pro Kopf (engl. per capita GDP) – der wichtigste Wohlstandsindikator – lag im Jahre 2016 bei USD 73.931 (nationaler Durchschnitt der 50 US-Bundesstaaten: USD 57.118; nationaler Rangplatz: 3). Die Arbeitslosenquote lag im November 2017 bei 4,7 % (Landesdurchschnitt: 4,1 %). Mit 83.382 USD im Jahre 2017 hatte Delaware das höchste mittlere Haushaltseinkommen unter allen Bundesstaaten. An landwirtschaftlichen Produkten erzeugt Delaware vor allem Geflügel, Sojabohnen, Molkereiprodukte, Mais, Kartoffeln, Pilze, Erbsen, Gerste, Gurken und Weizen. Es gibt eine Fischindustrie, die vorwiegend auf Krebsen und Muscheln fundiert, eine bedeutende chemische Industrie, sowie Lebensmittel- und papierverarbeitende Betriebe. Kanada ist für Delaware der wichtigste Export-Markt. Delaware als Steueroase Der amerikanische Bundesstaat Delaware ist bekannt für seine Briefkastenfirmen, vor allem in Wilmington, und gilt als Steueroase der USA. Der ganze Bundesstaat Delaware hat nach Angaben des US-Zensus knapp eine Million Einwohner, aber etwas mehr als eine Million hier gemeldete Unternehmen. Die Regierung des Bundesstaates meldet in werbender Absicht, dass 65 Prozent der im Börsenindex Fortune 500 notierten Unternehmen ihren rechtlichen Sitz in Delaware haben, in der Regel aber nicht ihre Firmenzentrale. Ein Grund für diese ungewöhnliche wirtschaftliche Stärke Delawares liegt darin, dass das Gesellschaftsrecht in Delaware als das liberalste des Landes gilt, was dazu führt, dass fast alle großen Unternehmen der USA in Delaware registriert sind. Infolge des Delaware-Effekts ist Delaware bekannt als Sitz von ca. 620.000 Briefkastengesellschaften, darunter zahlreichen großen Konzernen. Laut der Steuerrechtsgruppe Tax Justice Network („Netzwerk für Steuergerechtigkeit“) führt Delaware die Liste der weltweit beliebtesten Steueroasen an (verglichen wurden Gesetze, Rechtsprechung und Einlagenzufluss). Neben extrem niedrigen Steuern ist es möglich, anonym Unternehmen zu gründen. Zur Unternehmensgründung ist auch kein Grundkapital erforderlich, und es reicht ein Vorstand aus einer Person. Weitere Vorteile für Unternehmen sind, dass Vorstandssitzungen nicht in Delaware stattfinden müssen und dass es keine Publizitätspflicht gibt. Über ein Drittel der Briefkastengesellschaften befinden sich in einem einzigen einstöckigen Gebäude, dem Corporation Trust Center. Ein weiterer Vorteil von Delaware für die Unternehmensgründung ist die Tatsache, dass, anders als in den meisten übrigen Bundesländern, Unternehmensfälle vor dem sogenannten „Chancery Court“ verhandelt werden, einem Gericht mit Berufsrichtern und ohne Geschworene. Dadurch werden die Fälle weniger nach Sympathie als nach gesetzlichen Gesichtspunkten und Beweislage entschieden. Außerdem hat Delaware als ältester US-Bundesstaat und auch durch die Vielzahl an Firmen für viele mögliche Rechtsfälle bereits Präzedenzfälle und Justiz-Historie, und außerdem eine sehr weit gehende Gesetzgebung für Gesellschaftsrecht. Diese Punkte verringern das Prozessrisiko für Firmen erheblich und machen den Ausgang von Gerichtsverfahren vorhersagbarer. Verkehr Straßen Delaware hat ein gut ausgebautes Straßensystem, siehe Liste der State-, U.S.- und Interstate-Highways in Delaware. Eisenbahn Im Jahre 2007 umfasste das Streckennetz der Eisenbahn knapp 400 Kilometer. Das größte Streckennetz besitzt die Norfolk Southern Railway, welches das gesamte Staatsgebiet erschließt. Weitere Bahngesellschaften in Delaware sind die CSX Transportation, die Maryland and Delaware Railroad, Conrail und die Wilmington & Western Railway. Im Norden durchquert die Hochgeschwindigkeitsstrecke des Nordostkorridor den Bundesstaat. Amtrak bietet in Wilmington einen Halt für den Acela Express. Daneben halten weitere sieben Züge an diesem Bahnhof. 2008 betrug das Passagieraufkommen 731.539 Personen. Regionalverkehr wird auf der Relation Philadelphia–Wilmington–Newark im Auftrag von SEPTA und der Delaware Transit Corporation angeboten. Bildung Die bekanntesten Hochschulen in Delaware sind die University of Delaware und die Delaware State University. Staatssymbole und Beinamen Staatsvogel: Blaue Henne Staatsblume: Pfirsichblüte Staatsbaum: Amerikanische Stechpalme Beinamen: Der erste Staat (engl. The First State), Diamantenstaat (engl. The Diamond State), Das kleine Wunder (The Small Wonder) Literatur John A. Munroe: History of Delaware. Fünfte Auflage. University of Delaware, Newark 2006, ISBN 0-87413-947-3. Patricia K. Kummer: Delaware. Überarbeitete und aktualisierte Auflage. Capstone, Mankato 2003, ISBN 0-7368-1232-6. Carol E. Hoffecker: Delaware: The First State. Middle Atlantic, Moorestown 1988, ISBN 0-9705804-0-1. Siehe auch National Register of Historic Places in Delaware Weblinks Offizielle Website Einzelnachweise Bundesstaat der Vereinigten Staaten
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https://de.wikipedia.org/wiki/Webdesign
Webdesign
Webdesign (auch Webgestaltung) umfasst als Disziplin des Mediendesigns die visuelle, funktionale und strukturelle Gestaltung von Websites für das Internet. Die technische Implementierung von Websites wird dagegen als Webentwicklung bezeichnet. Geschichte des Webdesigns Webdesign ist, dem Medium entsprechend, eine relativ junge Disziplin. Als Kombination aus klassischem Grafikdesign und anderen Bereichen wie dem Interaction Design oder dem Motion-Design prägt es heute das Erscheinungsbild von Webseiten im Internet. Der Start des Web und des Webdesigns 1989: Während der Arbeiten an CERN hatte Tim Berners-Lee vor, ein globales Hypertext-Projekt zu schaffen, das später als das World Wide Web bekannt wurde. 1991 bis 1993: Das World Wide Web wurde geboren. Anfänglich konnten nur Textseiten mit Hilfe eines einfachen Linien-Webbrowsers ausgelesen werden. 1993: Marc Andreessen und Eric Bina erschufen den Webbrowser Mosaic. Zu dieser Zeit gab es vielfache Browser, deren Mehrheit jedoch auf Unix basierte. Diese Unix-Browser erschwerten aber das Lesen eines Textes. Auch gab es keine einheitlichen, grafischen Designelemente wie Bilder oder Töne. 1994: Das World Wide Web Consortium (W3C) wurde geschaffen, um das volle Potential des World Wide Web zu nutzen. Ebenso wurden allgemeine Protokolle entwickelt, die zum Fortbestand des W3C führten und dessen Zwischenfunktionsfähigkeit sichern. Durch diese Entwicklung jedoch wurden weitere Organisationen davon abgehalten, neue Browser und Programmiersprachen zu entwickeln, die das World Wide Web als Ganzes verändern hätten können. 1994: Andreessen gründet eine Kommunikationshandelsgesellschaft. Diese wurde später bekannt als Netscape Communications und entwickelte den Browser Netscape Navigator. Netscape schuf seine eigenen HTML-Elemente ohne Rücksicht auf den traditionellen Standardprozess. Zum Beispiel beinhaltete Netscape 1.1 eigene HTML-Programmierungen, um selbstständig Hintergrundfarben zu ändern und Texte auf Webseiten zu formatieren. 1996 bis 1999: Die sogenannten „Browser-Kriege“ beginnen. Im Zuge dieser Browser-Kriege begannen Microsoft und Netscape um die jeweilige Browser-Überlegenheit zu kämpfen. Während dieser Zeit wurden viele neue Technologien entwickelt, wie z. B. Formatvorlagen, JavaScript und das dynamische HTML. Im Allgemeinen führte diese Browser-Konkurrenz zu vielen positiven Entwicklungen und half ebenso dem Webdesign, sich mit schnellen Schritten zu entwickeln. Entwicklung des Webdesigns 1996 veröffentlichte Microsoft seinen ersten wettbewerbsfähigen Browser, der über eigene Eigenschaften und Elemente verfügte. Das war auch der erste Browser, welcher Formatvorlagen unterstützte, die zu dieser Zeit nicht gern gesehen waren. Man begriff sehr schnell das Potenzial der HTML-Programmierung, um damit komplexe Mehrsäulenlayouts zu schaffen, die sonst nicht möglich waren. In dieser Zeit hatten Design und gute Ästhetik den Vortritt, weswegen nur sehr wenig Aufmerksamkeit auf Schematik und Webzugänglichkeit gelegt wurde. HTML-Seiten wurden durch ihre Designoptionen noch mehr mit früheren Versionen des HTML beschränkt. Um komplizierte Designs zu schaffen, mussten viele Webentwerfer komplizierte Tabellenstrukturen verwenden. Teilweise sogar eigene GIF-Bilder verwenden, um leere Tabellenzellen daran zu hindern zusammenzubrechen. Auch wurde von W3C CSS im Dezember 1996 eingeführt, um Präsentation und Layouts zu unterstützen. Das erlaubte dem HTML-Code, schematisch zu sein und verbesserte die Webzugänglichkeit. Ebenso wurde Flash (ursprünglich bekannt als FutureSplash) entwickelt. Anfänglich bestand ein sehr einfaches Layout, das nur grundlegende Werkzeuge beinhaltete, aber es ermöglichte den Webentwerfern, HTML zu übertreffen. Mittlerweile ist Flash sehr fortgeschritten und ermöglicht es dem Anwender komplette Seiten zu entwickeln. Ende der ersten Browserkriege 1998 veröffentlichte Netscape seinen Netscape Communicator Code unter einer Open-Source-Lizenz, so dass sich nun tausende von Entwicklern bei der Verbesserung der Software beteiligen konnten. Netscape beschloss jedoch diese Veröffentlichung zu stoppen, um die Entwicklung des Open-Source-Browsers zu koordinieren und um eine vollständige Applikationsplattform zu erweitern. Es wurde das Web Standards Project gebildet. Dieses förderte die Entwicklung von Browsern auf HTML- und CSS-Standards durch die Schaffung von Acid1, Acid2 und Acid3. 2000 war ein großes Jahr für Microsoft. Der Internet Explorer für Mac OS Classic wurde freigegeben. Es war der erste Browser der vollständig HTML 4.01 und CSS 1 unterstützte. Der Internet Explorer setzte eine neue Messlatte in Bezug auf die Einhaltung von Standards. Er unterstützte als erster Browser das PNG-Format. Während dieser Zeit wurde Netscape verkauft und gab offiziell die Führung in den Browser-Kriegen an Microsoft ab. Das 21. Jahrhundert Seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts begann sich die Nutzung des Web mehr und mehr in das Leben der Menschen zu integrieren. Auch die Technologie veränderte sich. Es gab signifikante Veränderungen in der Art, wie Menschen das Web nutzten, auf dieses zugriffen und wie Seiten ausgelegt wurden. Die modernen Browser Das moderne Browser-Zeitalter leitete das Ende der Browser-Kriege ein. Neue Open Source Browser kommen auf den Markt, was bedeutet, dass sie zu schnelleren Entwicklungszyklen neigen und mehr Standards unterstützen als je zuvor. Die neuen Standards Das W3C hat neue Standards für HTML (HTML5) und CSS (CSS3), sowie neue JavaScript API freigegeben. Während jedoch der Begriff HTML5 nur verwendet wird, um die neue Version von HTML zu bezeichnen, bezieht sich JavaScript-API auf die Gesamtheit von HTML5, CSS3 und JavaScript. HTML5 hat im Oktober 2014 HTML4 als offizielle Kernsprache des Internets abgelöst. Der neue Webstandard ist ein Gemeinschaftsprojekt der Web Hypertext Application Technology Working Group (WHATWG) und des W3C. Die Veröffentlichung der neuen Auszeichnungssprache für das World Wide Web war ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu einem zeitgenössischen und standardisierten Webdesign. Modernes Webdesign beinhaltet heute zumeist die Möglichkeit der Interaktion zwischen Website und Nutzer sowie die Einbindung von Multimedia-Inhalten. Moderne Websites weisen daher häufig integrierte Social Media Plugins, interaktive Kontaktformulare und audiovisuelle Inhalte auf. Zudem sind sie oft für mobile Endgeräte optimiert. Mithilfe von HTML5 lassen sich diese Funktionalitäten nativ, also ohne die Einbindung zusätzlicher Software realisieren. Der Einsatz von HTML5 bringt zudem Vorteile beim Auffinden von Websites durch Suchmaschinen. So zeichnet beispielsweise Google Webseiten dann als „mobile-friendly“ aus, wenn sie die Einbindung externer Software vermeiden. Diese Mobiltauglichkeit hat wiederum Auswirkungen auf die Platzierung einer Website in den Suchergebnissen, wenn die Suche von einem mobilen Endgerät aus durchgeführt wird. Die Programmierung von HTML5-Websites erfordert wie auch frühere Versionen dieser Auszeichnungssprache den Umgang mit sogenannten HTML-Tags. Diese geben dem Browser Informationen über den Aufbau und die Struktur einer Website. Zu den bereits bestehenden Tags und Attributen sind mit Einzug von HTML5 neue hinzugekommen. Ältere Tags werden teilweise nicht mehr unterstützt. Neben HTML5 ist CSS3 ein weiterer wichtiger Standard im modernen Webdesign. Als Stylesheet-Sprache wird CSS3 dafür eingesetzt, die grafische Gestaltung von Websites zu bestimmen. Dabei erweitert CSS3 die Funktionsvielfalt ihrer Vorgängersprache CSS2.1. So sind nun Neuheiten wie abgerundete Ecken oder Schatten möglich. Bestimmte Effekte bringen zudem kürzere Ladezeiten mit sich, weil den Browsern die Abfrage von externen Grafiken erspart bleibt. Die Umsetzung von Übergängen („transition“) und Animationen („animation“) eröffnet Möglichkeiten, die vorher nur JavaScript vorbehalten waren und nun nativ realisierbar sind. Zudem ergänzt CSS3 die klassischen RGB-Farben um Transparenz. Gestaltung Die visuelle Wahrnehmung von Webauftritten im Internet ist grundsätzlich abhängig von den allgemeinen Gesetzmäßigkeiten der visuellen Kommunikation. Der Prozess der Informationsaufnahme durch den Benutzer/Besucher wird wesentlich durch die grafische Gestaltung der Website beeinflusst. Neben dem professionellen Transport von Information und Corporate Identity geht es bei der Gestaltung von Websites um die Benutzerfreundlichkeit (). Die angebotenen Inhalte sollen im Sinne der Barrierefreiheit möglichst vielen Menschen zugänglich sein. Das beinhaltet sowohl die Unterstützung verschiedener Webbrowser und z. B. mobiler Endgeräte (Smartphones, Tablets usw.), das Angebot von Alternativen zu Medieninhalten und die Unterstützung von Benutzern mit speziellen Eingabemethoden. Die praktische Umsetzung dieser Prinzipien kann oft höheren technischen und gestalterischen Aufwand erforderlich machen. Es gilt die Verordnung zur Schaffung barrierefreier Informationstechnik nach dem Behindertengleichstellungsgesetz sowie internationale Richtlinien (z. B. die WCAG oder Design für Alle). Ein wichtiger Aspekt beim Webdesign ist eine korrekte Textauszeichnung und Kenntnisse in Webtypografie. Aufgrund der zurzeit noch wesentlich geringeren Auflösungen von Bildschirmen gegenüber Printmedien werden oft spezielle, auf die Anzeige am Bildschirm optimierte Schriften eingesetzt. Während Webseiten für die Browser-Generationen 4 (Netscape 4 und Internet Explorer 4) noch sehr unterschiedlich geschrieben wurden und Browserweichen erforderlich waren, kann der Webentwickler in den aktuellen Versionen (Mozilla Firefox, Internet Explorer, Opera, Konqueror usw.) eine mehr oder weniger weitgehende Unterstützung der Standards des W3C erwarten. Durch progressive Verbesserung kann eine Seite mit erweiterten Funktionen ausgestattet werden, ohne Kompatibilität zu verlieren, da Webbrowser nur benötigte Teile laden müssen. Dabei wird soweit möglich mittels HTML das Grundgerüst der Seite aufgebaut, mittels CSS gestaltet, und weitere Funktionen über JavaScript implementiert. Client- und serverseitige Entwicklung Es wird bei der Entwicklung von Websites im Allgemeinen zwischen Inhalt und Form unterschieden. Texte, Bilder und andere Inhalte werden mithilfe der Markup-Sprache HTML ausgezeichnet. Die grafische Gestaltung wird in Form eines Stylesheets festgelegt. Erweiterte Funktionalität und Interaktivität werden durch den Einsatz zusätzlicher Technologien erreicht. Hierbei wird zwischen serverseitigen Skriptsprachen wie PHP, Python, Perl, ASP.NET, ColdFusion oder JavaServer Pages und weitgehend clientseitigen Erweiterungen wie Flash, Silverlight, Java und JavaScript unterschieden. Es besteht die Möglichkeit, client- und serverseitige Technologien zu kombinieren, beispielsweise PHP und Flash, um die Vorteile beider nutzen zu können. Clientseitige Technologien tragen stets das Risiko, vom Endgerät nicht unterstützt zu werden. So können benötigte Plug-ins nicht vorhanden oder Technologien aus Sicherheitsgründen abgeschaltet sein. Tendenzen und Trends Vor allem quelloffene und freie Technologien, die sowohl vom W3C als auch von der WHATWG überwacht und freigegeben werden, kommen verstärkt zum Einsatz. Modernes Responsive Webdesign berücksichtigt aktuelle Endgeräte schon im Designprozess und damit die stetig steigende Zahl der Nutzer von Tablets oder Smartphones. Webdesign und Printlayout Die Unterschiede im Gestaltungsprozess zwischen Webdesign und Printdesign werden mit den verfügbaren Technologien größer. So sind Animationen im Webdesign ein neues Gestaltungsmittel, das im Printdesign nicht vorkommt. Größter Unterschied zwischen Print und Web ist sicher die Diversität der Anzeigegeräte. Während im Printbereich mit absoluten Einheiten (z. B. metrischen Einheiten) und einem klar definierten Papierformat gearbeitet wird, ist im Webdesign die Größe und Beschaffenheit des Ausgabemediums nicht bekannt. Entsprechend stehen im Web neben absoluten auch relative Maßeinheiten zur Verfügung. Von vielen Webdesignern wird gefordert, ausschließlich relative Angaben zu verwenden, um der Diversität der Endgeräte Rechnung zu tragen. In der Praxis können dabei jedoch, zum Beispiel auf Grund verschiedener Interpretation von Maßeinheiten, Probleme entstehen, die die Verwendung von absoluten Einheiten wie Pixeln nötig machen. Als weiteres Problem erweist sich die Farbdarstellung, das Erscheinungsbild von Farbabbildungen – die Farbtreue – ist sowohl vom Monitor-Gamma als auch dem verwendeten Farbraum abhängig. Zudem weisen die verschiedenen Panel-Arten der heute gebräuchlichen TFT-Monitore stark variierende Farbqualitäten auf. Gute Monitore liegen meist in hohen Preisklassen und sind deshalb nicht sehr weit verbreitet, ein Umstand, der bei CRT-Monitoren noch nicht so stark zum Tragen kam. Siehe auch Benutzerfreundlichkeit (Usability) Barrierefreies Internet (Accessibility) Internetagentur Universal Design Webdesign-Layouttyp Literatur Weblinks Webprojekte planen im SELFHTML-Wiki Einzelnachweise Interaktionsdesign World Wide Web Web-Entwicklung
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https://de.wikipedia.org/wiki/Amtsenthebungsverfahren
Amtsenthebungsverfahren
Ein Amtsenthebungsverfahren () kann in bestimmten Rechtsordnungen ergehen, wenn ein Amtsträger gegen seine Aufgaben verstoßen oder eine Straftat begangen hat. Das Amtsenthebungsverfahren stellt einen traditionellen Bestandteil des präsidentiellen Regierungssystems dar, in dem es keine Wahl und Abwahl der Exekutivmitglieder durch das Parlament gibt. Deutschland Nach des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland kann eine Präsidentenanklage gegen den Bundespräsidenten beim Bundesverfassungsgericht „wegen vorsätzlicher Verletzung des Grundgesetzes oder eines anderen Bundesgesetzes“ erhoben werden. Zur Klage berechtigt sind ausschließlich Bundestag oder Bundesrat, die Entscheidung hierzu muss jeweils mit einer Zweidrittelmehrheit erfolgen. Stellt das Bundesverfassungsgericht eine solche Gesetzesverletzung fest, kann es den Bundespräsidenten für des Amtes verlustig erklären. Durch einstweilige Anordnung kann es zudem nach der Erhebung der Anklage bestimmen, dass er an der Ausübung seines Amtes verhindert ist. Bislang ist es in der Geschichte der Bundesrepublik noch nie zu einer Präsidentenanklage gekommen. Gegen den Bundeskanzler gibt es kein Amtsenthebungsverfahren an sich. Der Bundestag kann allerdings nach des Grundgesetzes durch ein konstruktives Misstrauensvotum ohne Gründe einen neuen Bundeskanzler bestimmen, was bisher einmal erfolgreich durchgeführt wurde. In diesem Fall endet auch das Amt der Bundesminister. Sie sind auf Ersuchen des Bundespräsidenten verpflichtet, die Geschäfte bis zur Ernennung ihrer Nachfolger weiterzuführen ( GG). Österreich Das österreichische Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) sieht in Abs. 6 vor, dass der Bundespräsident durch Volksabstimmung abgesetzt werden kann. Die Volksabstimmung ist durchzuführen, wenn die Bundesversammlung es verlangt. Die Bundesversammlung ist zu diesem Zweck vom Bundeskanzler einzuberufen, wenn der Nationalrat einen solchen Antrag beschlossen hat. Zum Beschluss des Nationalrates ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und eine Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich. Durch einen derartigen Beschluss des Nationalrates ist der Bundespräsident an der ferneren Ausübung seines Amtes verhindert. Die Ablehnung der Absetzung durch die Volksabstimmung gilt als neue Wahl des Bundespräsidenten und hat die Auflösung und Neuwahl des Nationalrates zur Folge. Auch in diesem Fall darf die gesamte Funktionsperiode des Bundespräsidenten nicht mehr als zwölf Jahre dauern. Gegen den Bundespräsidenten und die anderen höchsten Verwaltungsorgane, wie Bundeskanzler, Bundesminister, Landeshauptmann und Landesrat kann gemäß B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof als Staatsgerichtshof die sogenannte Ministeranklage erhoben werden. Das verurteilende Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes hat auf Verlust des Amtes, unter besonders erschwerenden Umständen auch auf zeitlichen Verlust der politischen Rechte (wie das passive Wahlrecht), zu lauten; bei geringfügigen Rechtsverletzungen kann sich der Verfassungsgerichtshof auf die Feststellung beschränken, dass eine Rechtsverletzung vorliegt. Schweiz In der Schweiz existieren für Bundesrat und Mitglieder des Parlaments keine in der Bundesverfassung festgelegten Amtsenthebungsverfahren. Es kommt jedoch vor, dass Bundesräte bei schweren Vorwürfen freiwillig zurücktreten (z. B. im Fall Elisabeth Kopp). Die Vereinigte Bundesversammlung kann die Amtsunfähigkeit von amtierenden Bundesräten nach Abs. 3 Parlamentsgesetz unter folgenden Voraussetzungen feststellen: Eine Amtsenthebung von Bundesrichtern ist einzig aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung wegen eines Verbrechens oder Vergehens möglich. Es handelt sich dabei um eine Nebenstrafe, welche vom Strafrichter ausgesprochen wird. Die Strafverfolgung bedarf einer Ermächtigung der zuständigen Kommissionen der eidgenössischen Räte ( Verantwortlichkeitsgesetz, siehe auch Politische Immunität (Schweiz)) In einigen Kantonen (z. B. Bern) kann hingegen mit einer Unterschriftensammlung eine Volksabstimmung über die vorgezogene Neuwahl der Kantonsregierung und/oder des Kantonsparlaments gefordert werden ( Berner Kantonsverfassung). Die Möglichkeit, die Regierung durch ein Misstrauensvotum aus dem Amt zu entheben, existiert nur im Kanton Jura. Vereinigte Staaten Beschreibung Eine Anklage wegen Amtsvergehens () ist ein in der Verfassung der Vereinigten Staaten (Artikel I, Abschnitt 3) vorgesehenes Verfahren zur Amtsenthebung des Präsidenten sowie anderer Amtsträger, zum Beispiel der Richter des Supreme Court und der Bundesrichter, wenn diese sich der „high crimes and misdemeanors“ (etwa: „Hohe Verbrechen und Vergehen“) schuldig gemacht haben. Aus der Begriffsgeschichte und aus den Debatten der Verfassungsväter geht hervor, dass mit „high crimes“ nicht etwa „schwere Verbrechen“ gemeint sind, sondern solche, die eine Person nur kraft ihres Amtes begehen kann. Ein normaler Bürger kann kein „high crime“ begehen, da er mangels präsidialer oder bundesrichterlicher Befugnisse nicht dazu in der Lage ist. Unter „misdemeanors“ können verschiedentliche Dinge gemeint sein. Nach Edmund Randolph solle eine Amtsenthebung schon bei „Fehlverhalten“ () möglich sein, nach Charles Cotesworth Pinckney soll eine Amtsenthebung auch erfolgen, wenn jemand „das Vertrauen der Bevölkerung missbraucht“ (). Wichtig ist im Weiteren, dass das Impeachment-Verfahren ein politisches ist, in dem die üblichen juristischen Regeln nicht gelten – eine Ansicht, die der Supreme Court 1993 im Fall Nixon v. United States bestätigt hatte. Der Amtsträger muss keine konkrete gesetzliche Vorschrift verletzt haben, damit ein Verfahren eingeleitet werden kann, und für eine erfolgreiche Amtsenthebung muss auch keine Schuld im (straf-)rechtlichen Sinne nachgewiesen werden. So wurde im Jahre 1804 John Pickering, ein für New Hampshire zuständiger Bundesrichter, wegen chronischer Trunkenheit aus dem Amt entfernt. Laut dem 25. Zusatzartikel und dem 1. Abschnitt des 2. Artikels der Verfassung der Vereinigten Staaten wird das Amt des Präsidenten im Falle einer Amtsenthebung auf den Vizepräsidenten übertragen. Wird das Amt des Vizepräsidenten frei – durch eine Amtsenthebung oder aus einem beliebigen anderen Grund – wird gemäß Abschnitt 2 des 25. Verfassungszusatzes der Präsident einen Ersatz vorschlagen. Sowohl der Senat wie auch das Repräsentantenhaus müssen dem Vorschlag zustimmen, damit ein neuer Vizepräsident sein Amt aufnehmen kann. Falls dies nicht gelingt, bleibt das Amt des Vizepräsidenten bis zur nächsten regulären Präsidentenwahl frei. Die Nachfolge des Präsidenten der Vereinigten Staaten regelt dabei nur die Nachfolge des Präsidenten, aber nicht jene der anderen Regierungsmitglieder. Wird ein Präsident noch während seiner Amtszeit des Amtes enthoben, verliert dieser nach dem „Former Presidents Act“ seine Ansprüche auf die im Gesetz festgelegten Privilegien wie Pensionsbezüge, staatliche Krankenversicherung, Personenschutz oder Reisebudgets. Allerdings ist der lebenslange Schutz des Präsidenten, dessen Ehepartner und Kinder zusätzlich durch den 2013 eingeführten „Former Presidents Protection Act“ geregelt, in welchem Amtsenthebungen nicht berücksichtigt sind. Ein Präzedenzfall bezüglich des Personenschutzes steht aus. Auch die Bundesstaaten kennen Amtsenthebungen, wobei dort aber andere Standards und Vorgehensweisen gelten. Verfahren Das Repräsentantenhaus trifft mit einfacher Mehrheit die Entscheidung über die Einleitung des Verfahrens. Damit gilt der Präsident als impeached, seine Regierungsfähigkeit ist hierdurch jedoch nicht eingeschränkt. Daraufhin finden im Senat Anhörungen statt. Wird in diesem Verfahren der Präsident angeklagt, führt der Oberste Richter den Vorsitz. In anderen Fällen gibt es keine Vorgabe in der Verfassung, so dass der Vizepräsident regulär in seiner Funktion als Präsident des Senats das Verfahren leiten kann. Für den Fall eines Verfahrens gegen den Vizepräsidenten gibt es keine explizite Vorschrift in der Verfassung. Ob der Vizepräsident einem Amtsenthebungsverfahren gegen sich selbst vorsitzen kann, ist umstritten. Bisher gibt es keinen Präzedenzfall. Jede Seite hat das Recht, Zeugen zu vernehmen und Kreuzverhöre durchzuführen. Danach finden geheime Unterredungen statt. Für einen Schuldspruch ist eine Zweidrittelmehrheit des Senates erforderlich. Die angeklagte Person kann danach entweder ihres Amtes enthoben werden oder es wird ihr die Bekleidung eines öffentlichen Amtes untersagt. Es ist also ein zweistufiges Verfahren, bei dem zunächst über die Frage der Schuld und dann über die tatsächliche Amtsenthebung entschieden wird. Eine von Repräsentantenhaus und Senat ordnungsgemäß beschlossene Amtsenthebung ist gemäß höchstrichterlicher Rechtsprechung juristisch nicht anfechtbar (vgl. Nixon v. United States). Geschichte Bisher wurden insgesamt fünf Amtsenthebungsverfahren gegen vier Präsidenten eingeleitet. In vier Fällen wurde es tatsächlich durchgeführt, ohne dass es jedoch zu einer Verurteilung kam. In einem Fall kam es nach dem Rücktritt des Präsidenten nicht mehr zum Verfahren vor dem Senat. 1868 gegen Andrew Johnson wegen Missachtung der Rechte des Kongresses. Am 2. März 1868 verabschiedete das Repräsentantenhaus die entsprechende Resolution, und am 9. April 1868 begann der Prozess im Senat, der am 26. Mai 1868 mit einem Freispruch endete, da zwar eine Mehrheit von 35 Senatoren für die Amtsenthebung waren, jedoch angesichts 19 Gegenstimmen die erforderliche Zweidrittelmehrheit um eine Stimme verfehlt wurde. Johnson wurde vorgeworfen, den Tenure of Office Act verletzt zu haben, indem er Lorenzo Thomas ohne Zustimmung des Senats zum Kriegsminister ernannt hatte. Historiker begründen das Zögern einiger Senatoren, für eine Amtsenthebung Johnsons zu votieren, vor allem mit der signifikanten verfassungsrechtlichen Bedeutung, da im Falle einer Absetzung ein Präzedenzfall gesetzt worden wäre. Aus dem Freispruch wurden restriktive Rechtsmaßstäbe abgeleitet, womit das Impeachment künftig als rein politische Waffe gegen den Präsidenten ausfiel. 1974 gegen Richard Nixon wegen Behinderung der Justiz in der Watergate-Affäre. Dem eingeleiteten Amtsenthebungsverfahren und einer Anklageerhebung kam der Präsident durch seinen Rücktritt zuvor. Im Repräsentantenhaus hatte sich die zur Anklage notwendige einfache Mehrheit abgezeichnet und auch im Senat war mit der erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu rechnen. Nach Nixons Rücktritt wurde, wie von der Verfassung vorgesehen, der bisherige Vizepräsident, Gerald Ford, als Präsident vereidigt. 1998 gegen Bill Clinton wegen Meineids und Behinderung der Justiz im Zuge der Lewinsky-Affäre. Der Meineidvorwurf wurde mit 55 zu 45 Stimmen zurückgewiesen, jener der Behinderung der Justiz mit 50 zu 50 Stimmen. Alle Senatoren der Demokratischen Partei unterstützten dabei den Präsidenten ihrer eigenen Partei. Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump Bereits am 12. Juli 2017 hatte der demokratische Kongressabgeordnete Brad Sherman ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Donald Trump wegen dessen Rolle in der Russland-Affäre und der Vorgänge rund um die Entlassung des FBI-Chefs James Comey beantragt, die nach seiner Ansicht eine „Behinderung der Justiz“ darstellten. 2019 kam ein Amtsenthebungsverfahren wegen Machtmissbrauchs in der Ukraine-Affäre und Behinderung des Kongresses zustande. Die demokratische Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, sprach sich erst im September 2019 für ein Amtsenthebungsverfahren aus, zu dem der Kongress seit dem 24. dieses Monats Untersuchungen durchführte. Am 18. Dezember 2019 stimmte das Repräsentantenhaus mit 230 Ja-Stimmen zu 197 Nein-Stimmen bei einer Enthaltung für die Anklageerhebung und leitete damit das Verfahren ein. Mindestens drei demokratische Abgeordnete waren von der Parteilinie abgewichen und hatten gegen ein Verfahren gestimmt. Am 5. Februar 2020 wurde Donald Trump im mehrheitlich republikanisch besetzten Senat freigesprochen. 2021 kam innerhalb sehr kurzer Zeit erneut ein Amtsenthebungsverfahren gegen Donald Trump zustande: wegen Anstiftung zum Aufstand (gegen die Vereinigten Staaten). Am 11. Januar 2021, nur wenige Tage vor Ende seiner Amtszeit, wurde ein zweites Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten eingeleitet. Direkter Anlass war neben der Nichtanerkennung des Ergebnisses der Präsidentschaftswahl insbesondere auch eine Rede, die in Washington, D.C. zum Angriff auf den im Kapitol zur Auszählung der Stimmen der Präsidentschaftswahl tagenden Kongress und der Erstürmung des Gebäudes durch seine Anhänger geführt hatte, bei der es mehrere Tote gegeben hatte. Der Zeitpunkt wurde als direkter Angriff auf das demokratische Wahlverfahren verstanden (Absicht, den Auszählprozess zu unterbinden, um die Bestätigung der Wahl Joe Bidens zu verhindern) und u. a. auch mit Verstoß gegen Sektion 3 des 14. Verfassungszusatzes begründet. Trump ist damit der erste US-Präsident, gegen den zweimal ein solches Verfahren eröffnet wurde. Am 13. Januar 2021 stimmte das Repräsentantenhaus mit 232 (alle Demokraten sowie zehn Republikaner) gegen 197 Stimmen für die Anklageerhebung. US-Bundesstaaten Auch in den Bundesstaaten der USA können Amtsträger mittels eines Impeachments ihres Amtes enthoben werden. Darunter fallen beispielsweise Gouverneure, Vizegouverneure, andere Regierungsmitglieder oder Richter an den bundesstaatlichen Gerichten. Insbesondere Amtsenthebungsverfahren gegen Gouverneure, den höchsten Amtsträgern eines Bundesstaates, sind oft auch international von hohem medialem Interesse. Für ein Impeachment müssen wie auch auf Bundesebene die Unterhäuser der Bundesstaatsparlamente einen Beschluss zur Anklage fassen, während die Oberhäuser (Staatssenate) mit einer Zweidrittelmehrheit Schuld oder Unschuld feststellen. Wie beim Präsidenten können Mandatsträger in den Bundesstaaten nur aufgrund rechtlicher Verfehlungen des Amtes enthoben werden und nicht aus politischen Gründen. Auch hat das Impeachment nur die Entfernung aus dem Amt zur Folge. Eine strafrechtliche Verfolgung und Verurteilung kann nur durch die zuständigen Gerichte erfolgen. Ein bekanntes Beispiel für ein Amtsenthebungsverfahren ist Rod Blagojevich, der im Januar 2009 als Gouverneur von Illinois durch die State Legislature aus dem Amt entfernt wurde. Er hatte versucht, den durch die Wahl Barack Obamas zum Präsidenten frei gewordenen Senatssitz zu „verkaufen“. Der Fall hatte auch international große Beachtung gefunden. Vereinigtes Königreich Auch im Vereinigten Königreich gibt es das Impeachment als Amtsenthebungsverfahren: Es ist eine auf Antrag des englischen, später britischen Unterhauses vor dem Oberhaus verhandelte Anklage gegen hohe Staatsbeamte wegen schwerer Pflichtverletzungen, z. B. wegen Hochverrats. Das erste dokumentierte Verfahren fand 1376 gegen William Latimer statt. Insgesamt gab es weniger als 70 dieser Anklagen, hauptsächlich im 14. sowie im 17. und 18. Jahrhundert, rund ein Viertel davon zwischen 1640 und 1642. Das Impeachment war seinerzeit die einzige Möglichkeit für das Unterhaus, sich eines hohen, von der Krone ernannten Staatsbeamten zu entledigen. Letztmals 1806 gegen Henry Dundas angestrengt, gilt es als veraltet, da es für das Parlament mittlerweile zahlreiche andere Möglichkeiten gibt, die Regierung zu kontrollieren. Mehrere Ansätze, das Verfahren offiziell abzuschaffen, scheiterten jedoch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Im September 2019 brachte es die Fraktionsvorsitzende von Plaid Cymru, Liz Saville Roberts, erneut ins Gespräch. Vorausgegangen waren Ankündigungen von Premierminister Boris Johnson, ein vom Parlament verabschiedetes Gesetz zur Verhinderung eines EU-Austritts ohne Abkommen ignorieren zu wollen. Litauen Hinsichtlich der eröffneten Amtsenthebungsverfahren gehört Litauen zu den Rekordmeister-Ländern. Amtsenthebungsverfahren wurden gegen Inhaber verschiedener Ämter durchgeführt: 2004 wurde ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Staatspräsidenten Rolandas Paksas eingeleitet. Er wurde als erster europäischer Staatschef der neueren Zeit auf diesem Weg des Amtes enthoben. Zwischen 1990 und 2018 wurden Amtsenthebungsverfahren gegen acht Parlamentarier des Seimas eingeleitet. Drei Parlamentarier wurden auf diesem Weg des Amtes enthoben: 1999 Audrius Butkevičius, 2010 Linas Karalius und 2014 Neringa Venckienė. Erfolglos war das Amtsenthebungsverfahren im Jahr 2010 gegen den Parlamentarier Aleksandr Sacharuk. 2016 wurde gegen den Parlamentarier und ehemaligen Parlament-Vizepräsidenten Vytautas Gapšys ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet, da er wegen betrügerischer Buchführung verurteilt wurde. Das Verfassungsgericht Litauens bewertete jedoch die Handlungen von Gapšys bis zum Amtseid eines Seimas-Mitglieds nicht, die Amtsenthebung stagnierte, und Gapšys trat selbst später zurück. 2017 wurde gegen die Parlamentarier Mindaugas Bastys und Kęstutis Pūkas ein Amtsenthebungsverfahren eingeleitet. Pūkas gab sein Mandat zurück, womit das Verfahren aufgehoben wurde. Brasilien Die erste Verfassung des Kaiserreichs Brasilien, ratifiziert am 25. März 1824, sah kein eigenes Amtsenthebungsverfahren vor, jedoch konnten bei Verstoß gegen Artikel 133 Strafverfahren eingeleitet werden bei Verrat, Bestechung oder Erpressung, für Machtmissbrauch, mangelnde Einhaltung der Gesetze, Handeln gegen Freiheit, Sicherheit oder das Eigentum von Bürgern, das gegen das Gemeinwohl gerichtet war. Die republikanische Verfassung von 1891, der Ersten Republik, orientierte sich an dem amerikanischen Verfassungsvorbild und ermöglichte in Artikel 29 und 53 Amtsenthebungsverfahren und Strafverfolgung gegen Staatspräsidenten und Minister. Dies wurde in den weiteren Verfassungen weitergeführt. 1950 wurde das Lei 1.079/50 verabschiedet, dieses Gesetz vom 10. April 1950 regelte Art und Vorgehen bei Amtsvergehen. Die Brasilianische Verfassung von 1988 regelt in den Artikeln 51, 52 und 85 die Zuständigkeiten der Abgeordnetenkammer und des Senats. Der Mechanismus einer Amtsenthebung erfolgt in fünf Schritten. Seit Bestehen der Republik wurden insgesamt 10 Amtsenthebungsverfahren gegen Staatspräsidenten angestrengt oder versucht, lediglich zwei Verfahren wurden vollständig und erfolgreich abgewickelt: gegen Floriano Peixoto (1894, abgelöst), Campos Sales und Hermes Rodrigues da Fonseca, nach 1945 gegen Getúlio Vargas (erfolglos), im Kampf um die Nachfolge Vargas unter Missachtung des Gesetzes Nr. 1.079/50 gegen Carlos Coimbra da Luz und João Café Filho 1955, Fernando Collor de Mello (1992, erfolgreich), Luiz Inácio Lula da Silva (Versuch erfolglos), Dilma Rousseff (2015/16, erfolgreich) und Michel Temer (2016, Versuch erfolglos). Katholisches Kirchenrecht Die Amtsenthebung (amotio) ist eine Form der Amtsbeendigung im kanonischen Recht. Sie wird gegen den Willen des Amtsinhabers durchgeführt, ist aber im Gegensatz zur Absetzung nicht als Strafmaßnahme gedacht. Siehe auch Amtsenthebung Literatur Charles L. Black Jr.: Impeachment: A Handbook. Yale University Press, New Haven 2018, ISBN 978-0-300-23826-6. Allan Lichtman: The Case for Impeachment. Dey Street Books, 2017 ISBN 978-0-06-269682-3. Weblinks Jan Frel, An Abuse of Power (AlterNet, 3. Januar 2006) Einzelnachweise Verfassungsrecht Politisches Instrument
Q480498
105.301034
139376
https://de.wikipedia.org/wiki/Dendrologie
Dendrologie
Die Dendrologie ( ‚Baum‘ und -logie) ist die Lehre von den Bäumen und Gehölzen (Gehölzkunde). Sie beschäftigt sich als Teilgebiet der Botanik mit verholzenden Pflanzen, insbesondere Bäumen, Sträuchern und verschiedenen Kletterpflanzen. Klassifikation Die Dendrologie lässt sich unter Botanik einordnen und grob in die Gebiete verholzende Pflanzen, Sträucher und Kletterpflanzen einteilen. Da die verholzenden Pflanzen auf sehr verschiedene Taxa (Untergruppen) verteilt sind und andererseits in einzelnen Gattungen verholzende neben nicht verholzenden Pflanzen bestehen, ist der Nutzen einer strengen dendrologischen Klassifikation beschränkt. Der Schwerpunkt liegt bei Pflanzen zur Holznutzung einerseits und bei der Nutzung als Zierpflanze in Parks und Gärten. Daher ist Dendrologie als Wissenschaft im Wesentlichen nur in forstwissenschaftlichen und gartenbaulichen Einrichtungen vertreten. Als Begründer der Dendrologie gilt der griechische Philosoph und Naturforscher Theophrastos von Eresos. Siehe auch Deutsche Dendrologische Gesellschaft Dendrochronologie Dendrometrie Literatur Weblinks Website der Deutschen Dendrologischen Gesellschaft e. V. Website der Schweizerischen Dendrologischen Gesellschaft Forschungslabor Dendroarchäologie der Universität Köln Deutsches Baumarchiv Einzelnachweise
Q192658
199.877356
209995
https://de.wikipedia.org/wiki/Norrland
Norrland
Norrland ist der nördlichste der heutigen drei schwedischen Landesteile (landsdelar) Götaland, Norrland und Svealand. Es umfasst die neun historischen Provinzen, auch „Landschaften“ (schwed. landskap) genannt, Lappland, Norrbotten, Västerbotten, Ångermanland, Medelpad, Gästrikland, Hälsingland, Härjedalen und Jämtland. Norrland macht mit einer Fläche von 261.292 km² etwa 59 Prozent der schwedischen Gesamtfläche aus. Mit 1.116.000 Einwohnern oder nur 12,8 Prozent der Gesamtbevölkerung ist das Gebiet dünn besiedelt. Im heutigen Schweden ist die Einteilung nach Landesteilen von marginalem Interesse. Es wird hauptsächlich in der Meteorologie und in zusammenfassender Statistik verwandt, wobei Norrland aufgrund der Fläche oft in Övre Norrland (Norrbottens län und Västerbottens län) sowie Nedre Norrland (Jämtlands län, Västernorrlands län und Gävleborgs län) eingeteilt wird. Als NUTS-1-Region Norra Sverige (SE3) sieht man den Begriff „Nordschweden“ etwas umfassender. Geschichte Norrland wurde alsbald nach dem Abschmelzen des Inlandeises vor ungefähr 10.000 Jahren besiedelt. In der jüngeren Steinzeit entwickelte sich dort die „Schieferkultur“. In der Bronzezeit kam es zur Entwicklung protosamischer Traditionen. Aus der vorchristlichen Zeit ist kaum etwas bekannt. Aus den Ortsnamen ist zu entnehmen, dass Frey und Freyja sowie Thor hier Kultstätten hatten. Auch Odin und Ull sind vertreten. Die Ortsnamen auf -hov, -vi, -vall, -åker und andere Endungen deuten auf vorchristliche Kultstätten hin. Einige davon scheinen dabei überörtliche Bedeutung gehabt zu haben. Ein Zeugnis der Christianisierung ist der sogenannte Frösöstein, ein Runenstein zum Gedenken an einen Brückenbau. Dort heißt es: „Östman Gudfastson ließ diesen Stein errichten und baute diese Brücke, und er christianisierte Jämtland.“ Er wird auf die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts datiert. Wie diese Christianisierung vonstattenging, lässt sich nicht mehr ermitteln. Als König Sverre 1178 mit seinen Birkebeinern in einem Kriegszug gegen Trøndelag durch das südliche Norrland zog, war dies nach der Sverres-Saga bereits christianisiert. Dem stehen andere Schriftzeugnisse entgegen, die für die Zeit zwischen 1220 und 1240 bemerken, dass in Ström, (nördliches Jämtland) niemand das Vaterunser konnte. Und aus einem Schreiben des Erzbischofs Petrus aus dem Ende des 12. Jahrhunderts geht hervor, dass die Bekehrung erst kürzlich erfolgt sei. Aus dieser widersprüchlichen Quellenlage wird geschlossen, dass sich im südlichen und mittleren Norrland das Christentum im 10., 11. und 12. Jahrhundert allmählich ausgebreitet hat, dass aber von einer organisierten Gemeindebildung erst im 13. Jahrhundert gesprochen werden kann. Die vorherrschende Meinung geht davon aus, dass die Christianisierung von Norwegen und England ausgegangen sei. Andere schließen aus der Tatsache, dass der Frösöstein ein schwedischer und nicht ein norwegischer Runenstein ist und seine Ornamentik der aus dem Mälargebiet gleicht und Jämtland kirchenorganisatorisch von vornherein zum Erzbistum Uppsala gehörte, obgleich es damals politisch noch zu Norwegen gehörte, dass die Christianisierung eher von Südschweden ausging. Es wird auch erwogen, dass die Alternative der Zeit nicht gerecht wird, weil Jämtland zu dieser Zeit weitestgehend selbständig und Einflüssen von Westen, Süden und möglicherweise auch von Osten ausgesetzt war. Erst 1435 taucht der Begriff „Norrland“ in der gereimten sogenannten „Karlschronik“ aus der Unionszeit auf. Norrlands historische Südgrenze im heutigen Schweden ist Ödmården, ein großes Waldgebiet zwischen Gästrikland und Hälsingland. Gästrikland gehörte früher zu Svealand und wird erst in den letzten Jahrhunderten zu Norrland gezählt. Bis 1809 gehörte der nördliche Teil des heutigen Finnland ebenfalls zu Norrland, dieser wurde damals an Russland abgetreten. Die Grenze zwischen dem damaligen Österland und Norrland bildete der Fluss Oulujoki (schwedisch Ule älv), der bei der Stadt Oulu (schwedisch Uleåborg) in den bottnischen Meerbusen mündet. Wirtschaft Norrland ist besonders wegen seiner Natur bekannt. Hier finden sich enorme Wälder, große Flüsse und noch unberührte Wildnis. Im 19. Jahrhundert wurde es daher zur Quelle für Schwedens wichtige Holz- und Papiermasseindustrie. Die norrländischen Flüsse werden bis auf vier Ausnahmen zur Gewinnung von Wasserkraft genutzt und erzeugen ungefähr 40 Prozent des gesamten schwedischen Energiebedarfs. Norrland ist außerordentlich reich an Bodenschätzen, die für die Entwicklung der schwedischen Industrie von enormer Bedeutung waren. In den Bergwerken wird Eisenerz zur Erzeugung von Stahl, aber auch Gold, Silber und weitere Metalle gefördert. Natur Der mit 2.104 Metern höchste Berg Schwedens, Kebnekaise, liegt in Lappland in Nordnorrland. Die Südgrenze Norrlands fällt grob mit dem limes norrlandicus zusammen, der einen tiefgreifenden Übergang in der Vegetationsstruktur beschreibt. Das Landesinnere besteht zu großen Teilen aus Wald- und Fjälllandschaften. Die nördlichsten Flüsse (von Norden): Torne älv, Kalixälven, Lule älv, Piteälven, Skellefte älv, Ume älv. Literatur Stefan Brink: När norrlänningen bytte religion. In: Helgonet i Nidaros. Olavskult och Kristnande i Norden. o. O. (1997). S. 240–252. Siehe auch Norrlands Literaturpreis Sápmi Weblinks Einzelnachweise Region in Schweden Historische Landschaft oder Region in Europa Kulturraum in Europa
Q203505
84.111325
5906846
https://de.wikipedia.org/wiki/2021
2021
Das Jahr 2021 war weiterhin von der Corona-Pandemie geprägt, welche weitere Einschränkungen im öffentlichen Leben mit sich brachte. Auch politisch war es ein sehr turbulentes Jahr. In Deutschland endete 2021 nach 16 Jahren die Kanzlerschaft von Angela Merkel, sie war zur Bundestagswahl nicht mehr angetreten. Ereignisse Politik und Weltgeschehen D-A-CH 1. Januar: Beginn der neuen Haushaltsperiode des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021 bis 2027 der Europäischen Union 1. Januar: Das Bundesamt für Auswärtige Angelegenheiten wird eröffnet. 1. Januar: Guy Parmelin wird Bundespräsident der Schweiz. 5. Januar: Die Bund-Länder-Konferenz beschließt, den Lockdown gegen die seit Herbst grassierende Welle der COVID-19-Pandemie in Deutschland bis Ende Januar zu verlängern und die geltenden Einschränkungen teilweise zu verschärfen. 8. Januar: Jessica Rosenthal wird neue Bundesvorsitzende der Jusos. 9. Januar: Die österreichische Bundesministerin für Arbeit, Familie und Jugend Christine Aschbacher gibt nach Plagiatsvorwürfen ihren Rücktritt bekannt. 16. Januar: Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet wird auf dem digitalen Parteitag der CDU zum neuen Vorsitzenden gewählt. 19. Januar: Die Ministerpräsidentenkonferenz und die Bundeskanzlerin Angela Merkel einigen sich auf eine weitere Verlängerung des Lockdowns bis zum 14. Februar, teilweise werden schärfere Einschränkungen beschlossen. Am 10. Februar erfolgt eine erneute Verlängerung bis 7. März. 9. Februar: Auf der Bundesautobahn 2 sitzen bei Bielefeld hunderte Fahrer nach extremen Schneefällen bis zu 16 Stunden bei −10 Grad in ihren Fahrzeugen fest. 14. März: Landtagswahl in Rheinland-Pfalz und Landtagswahl in Baden-Württemberg. Die bisherigen Regierungskoalitionen unter den Ministerpräsidenten Malu Dreyer (SPD; Rheinland-Pfalz) und Winfried Kretschmann (Grüne; Baden-Württemberg) werden mehrheitlich wiedergewählt. Am gleichen Tag finden die Kommunalwahlen in Hessen statt. 20. April: Nach einem einwöchigen offenen Machtkampf wird Armin Laschet durch ein Votum des CDU-Bundesvorstands Kanzlerkandidat der Union für die Bundestagswahl 2021 und sticht Markus Söder aus. Bereits am 19. April stellten die Grünen mit Annalena Baerbock erstmals eine eigene Kanzlerkandidatin auf. 6. Juni: Landtagswahl in Sachsen-Anhalt. 3. Juli: Wattestäbchen, Besteck, Teller, Trinkhalme, Rührstäbchen und Luftballonstäbe aus Kunststoff sowie To-go-Getränkebecher, Fast-Food-Verpackungen und Wegwerf-Essenbehälter aus expandiertem Polystyrol (bekannt als Styropor) sind in Deutschland nicht mehr erlaubt. 26. September: Bundestagswahl 2021, Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, Kommunalwahlen in Niedersachsen und Landtagswahl in Oberösterreich 11. Oktober: Nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz zwei Tage zuvor wird Alexander Schallenberg als neuer österreichischer Bundeskanzler angelobt. 8. Dezember: Olaf Scholz (SPD) wird mit seinem Kabinett als neuer deutscher Bundeskanzler vereidigt. Zuvor war die SPD bei der Bundestagswahl stärkste Fraktion geworden und hatte mit Grünen und der FDP die erste Ampelkoalition auf Bundesebene gebildet. 31. Dezember: Die deutschen Kernkraftwerke Brokdorf (Schleswig-Holstein), Grohnde (Niedersachsen) und Gundremmingen C (in Bayern) werden abgeschaltet (Atomausstieg). Andere Staaten Europa 1. Januar: Portugal übernimmt im 1. Halbjahr 2021 die Ratspräsidentschaft in der EU. 1. Januar: EU-Austritt des Vereinigten Königreichs: Großbritannien ist nicht mehr Teil des EU-Binnenmarktes und der Zollunion. Das britische Überseegebiet Gibraltar tritt dem Schengen-Raum bei. 4. Januar: Ein Londoner Gericht entscheidet, dass Julian Assange nicht an die USA ausgeliefert wird. 13. Januar: Die italienische Regierungskoalition von Ministerpräsident Giuseppe Conte verliert nach dem Rückzug des Koalitionspartners Italia Viva ihre Mehrheit. 13. Januar: In Lamezia Terme beginnt der Rinascita-Scott-Prozess gegen die Mafia-Organisation ’Ndrangheta. 13. Januar: Jüri Ratas tritt von seinem Amt als Ministerpräsident der Republik Estland zurück. 15. Januar: Das niederländische Kabinett unter der Leitung von Ministerpräsident Mark Rutte tritt wegen einer Affäre um Kinderbeihilfen (Toeslagenaffaire) zurück. 23. Januar: Bei Protesten in Russland in Reaktion auf die Verhaftung von Oppositionsführer Alexei Nawalny kommt es zu tausenden Festnahmen. 14. Februar: Lëvizja Vetëvendosje! unter Albin Kurti gewinnt die Parlamentswahl im Kosovo. 17. März: Parlamentswahl in den Niederlanden. Die bisher regierende VVD unter Ministerpräsident Mark Rutte wird erneut stärkste Kraft. 25. April: Parlamentswahl in Albanien 6. Mai: Parlamentswahl in Schottland und Wales 23. Mai: Der Ryanair-Flug 4978 wird kurz vor dem Einflug in den litauischen Luftraum durch belarussische Behörden unter Vorspiegelung einer angeblichen Bombendrohung nach Minsk umgeleitet. Nach der Landung werden der an Bord befindliche regimekritische belarussische Blogger Raman Pratassewitsch, Mitgründer und ehemaliger Chefredakteur des Oppositionellen-Netzwerks Nexta, und seine russische Lebensgefährtin Sofia Sapega festgenommen. 30. Mai: Parlamentswahl in der Republik Zypern 2021 15. Juni: der von Premierminister Boris Johnson angekündigte Tag der Freiheit (21. Juni) wird um vier Wochen verschoben, weil die ansteckendere COVID-19-Mutation Delta-Variante B.1.617.2 die bisherige Mutation B.1.1.7 verdrängt hat. 16. Juni: Gipfeltreffen von US-Präsident Joe Biden und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in Genf. 20. Juni: Parlamentswahl in Armenien 2021 1. Juli: Slowenien übernimmt im 2. Halbjahr 2021 die Ratspräsidentschaft in der EU. Juli: Hochwasser in West- und Mitteleuropa 2021. Juli: Die Migrationskrise an der Grenze zwischen Belarus und der Europäischen Union beginnt. 28. August: Der ehemalige griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras und der nordmazedonische Ministerpräsident Zoran Zaev erhalten für die Beilegung des Namensstreites um Mazedonien den Internationalen Preis des Westfälischen Friedens. 13. September: Parlamentswahl in Norwegen 2021 17.–19. September: Parlamentswahl in Russland 2021 25. September: Parlamentswahl in Island 2021 8./9. Oktober: Abgeordnetenhauswahl in Tschechien 2021 Amerika 5. Januar: Im US-Bundesstaat Georgia setzen sich die beiden Demokraten Jon Ossoff und Raphael Warnock in Stichwahlen um die zwei offenen Sitze im US-Senat gegen die amtierenden republikanischen Senatoren durch. Sie erringen damit eine demokratische Mehrheit im Senat. 6. Januar: Tausende Anhänger des amtierenden Präsidenten Donald Trump versuchen nach seiner Rede, durch einen Sturm auf das US-Kapitol (Besetzung des Parlamentsgebäudes), die offizielle Bestätigung des Wahlergebnisses vom 3. November 2020 gewaltsam zu verhindern. 13. Januar: Gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten Donald Trump wird zum zweiten Mal ein Amtsenthebungsverfahren beschlossen. 20. Januar: Joe Biden (Demokratische Partei) wird als 46. Präsident der Vereinigten Staaten ins Amt eingeführt. Kamala Harris übernimmt als erste Frau die Vizepräsidentschaft. 13. Februar: Das zweite Amtsenthebungsverfahren nennt D. Trump als Täter, verfehlt jedoch die Zweidrittelmehrheit im Senat und endet deshalb formal mit einem Freispruch. 6. April: Parlamentswahl in Grönland 2021 25. Mai: Costa Rica wird der 38. Mitgliedstaat der OECD. 16. Juni: das US-Repräsentantenhaus votiert mit 415 gegen 14 Stimmen dafür, einen neuen US-weiten Jahrestag zum Gedenken an das Ende der Sklaverei (Juneteenth 19. Juni) einzuführen. Der US-Senat hatte am 15. Juni einstimmig dafür gestimmt. 7. Juli: Der haitianische Staatspräsident Jovenel Moïse wird ermordet. 20. September: Kanadische Unterhauswahl 2021 30. November: Barbados verlässt die Britische Krone und wird Republik. Asien 4. Januar: Saudi-Arabien hebt seine Blockade gegen Katar auf. Damit endet die seit 2017 bestehende Katar-Krise. 6. Januar: In Hongkong werden mehr als 50 prodemokratische Aktivisten festgenommen. 10. Januar: Bei der Parlamentswahl in Kasachstan gewinnt die Regierungspartei Nur Otan mit 71,09 Prozent der Stimmen. 10. Januar: Bei der vorgezogenen Präsidentschaftswahl in Kirgisistan gewinnt der Oppositionelle Sadyr Dschaparow mit circa 79 % der abgegebenen Stimmen. Beim ersten Wahlgang des Verfassungsreferendums stimmten 81 Prozent der Wähler für die Wiedereinführung des Präsidialsystems. 1. Februar: In Myanmar kommt es unter General Min Aung Hlaing zu einem Militärputsch, in dessen Folge die myanmesische Regierung verhaftet und über das Land ein einjähriger Ausnahmezustand verhängt wird. 23. März: Parlamentswahl in Israel 2021 Mai: Der Israel-Gaza-Konflikt ist die schwerste Auseinandersetzung der beiden Seiten seit Jahren. Mindestens 248 Palästinenser und 12 Israelis sterben; mehrere tausend Menschen werden verletzt und mehrere zehntausend Palästinenser zur Flucht gezwungen. 30. Juli: Ein mutmaßlicher Drohnenangriff trifft den Öltanker Mercer Street bei Oman. Siehe auch Zwischenfall im Arabischen Meer 2021. 15. August: Die Taliban nehmen die afghanische Hauptstadt Kabul ein. Siehe auch Vormarsch der Taliban in Afghanistan 2021. 31. Oktober: Bei der Shūgiin-Wahl 2021 in Japan verteidigt die Regierungskoalition unter Führung der Liberaldemokratischen Partie ihre Mehrheit. Afrika 1. Januar: Die Afrikanische Freihandelszone startet. 2. Januar: In Niger kommen bei den Terroranschlägen von Tchioma Bangou und Zaroumbey Darey mehr als 100 Menschen ums Leben. 5. September: Der Oberst Mamady Doumbouya erklärt die Regierung von Guinea für abgelöst. Berichten zufolge wurde Präsident Alpha Condé in Gewahrsam genommen. International 11. Januar: Beim UN-Klimagipfel One Planet Summit erklären 50 Staaten, darunter auch Deutschland, bis zum Jahr 2030 gemeinsam 30 Prozent ihrer Land- und Meeresflächen unter Schutz zu stellen. Für fast zwölf Milliarden Euro sollen Bäume in der Sahelzone gepflanzt werden. 22. Januar: Der von Österreich mitinitiierte, von Deutschland und der Schweiz nicht unterzeichnete UN-Atomwaffenverbotsvertrag tritt in Kraft. 11. Juni: G7-Gipfel in St Ives 2021 30./31. Oktober: G20-Gipfel in Rom 2021 31. Oktober bis 13. November 2021: UN-Klimakonferenz in Glasgow 2021. Unter anderem unterzeichneten die Repräsentanten von 100 Staaten eine Absichtserklärung, die globale Entwaldung bis zum Jahr 2030 zu stoppen. Wetter und Katastrophen Siehe auch: Temperaturanomalien im Jahr 2021 9. Januar: Der Sriwijaya-Air-Flug 182 von Jakarta nach Pontianak in Indonesien mit 50 Passagieren und 12 Crew-Mitgliedern verschwindet vom Radar. Später werden Wrackteile und der Flugschreiber der Boeing 737-500 in der Javasee entdeckt. 16. Januar: Auf der indonesischen Insel Sulawesi ereignet sich ein Erdbeben der Stärke 6,2, bei dem mehr als 90 Menschen ums Leben kommen. 13. – 17. Februar: Ein ausgedehnter Wintersturm trifft große Teile der Vereinigten Staaten, Nordmexiko und Teile von Kanada. Er verursacht insbesondere in Texas tagelang währende Stromausfälle und Störungen der Wasserversorgung. Februar: Ölpest an Israels Stränden 30. März: Bei einem Großbrand in der Schweinezuchtanlage Alt Tellin in Mecklenburg-Vorpommern sterben etwa 50.000 Tiere. 18. April: Brandkatastrophe am Tafelberg 28. Juni: In Lytton (Kanada) werden bei der Hitzewelle in Nordamerika 2021 49,6 °C gemessen, womit der kanadische Rekordwert von 1937 (45 °C) um fast 5 Grad Celsius übertroffen wurde. 6. Juli: Ein Passagierflugzeug kollidiert nahe Palana in Russland bei schlechten Sichtbedingungen mit einer Klippe. Es gibt keine Überlebenden. 15. – 16. Juli: Aufgrund starker Regenfälle kommt es in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg sowie in Belgien, den Niederlanden und der Schweiz zu großflächigen Überschwemmungen. In zahlreichen Ortschaften wurden durch die Wassermassen Häuser und öffentliche Gebäude beschädigt und/oder zerstört. Das Stromnetz brach vielerorts vollständig zusammen. Die Zahl der Todesopfer in Deutschland beläuft sich auf über 180. Ab 17. Juli 2021 kommt es in der zentralchinesischen Provinz Henan zu schweren Unwettern und in der Folge zu einer Hochwasserkatastrophe, bei der mindestens 380 Menschen sterben. Juli: Der Monat ist weltweit der heißeste seit Beginn der Aufzeichnungen. Juli: Die Hitzewelle und Waldbrände in Südeuropa und der Türkei und die Waldbrände in Kalifornien 2021 halten bis August an. 19. September: Der Vulkanausbruch auf La Palma beginnt. 4. Dezember: Bei einem Ausbruch des Vulkans Semeru auf der Insel Java sterben mehr als 20 Menschen. 68 werden verletzt und 27 weitere werden noch vermisst. 10. Dezember: Tornados im Mittleren Westen der Vereinigten Staaten verursachen mehr als 75 Tote. Anschläge Liste von Terroranschlägen im Jahr 2021 Liste von Sprengstoffanschlägen im Jahr 2021 Wirtschaft 7. Januar: Nach einem Kurshöhenflug an der Börse überholte Tesla-Chef Elon Musk den bisherigen Rekordhalter Jeff Bezos und wurde so zum reichsten Menschen der Welt. Sein Vermögen liegt laut Forbes bei 182,9 Milliarden Dollar (Stand: 15. Januar 2021). 10. Januar: Wegen des Lockdowns im Zuge der Coronavirus-Pandemie haben die Adler Modemärkte einen Insolvenzantrag gestellt. 16. Januar: Aus der Fusion der Autokonzerne Fiat Chrysler Automobiles aus Italien und der Groupe PSA aus Frankreich geht der Autokonzern Stellantis hervor. 23. März: Wegen des Schiffes Ever Given, das im Sueskanal auf Grund lief und diesen für sechs Tage blockierte, fand ein Rückstau von über 300 Schiffen statt. Das führte zu einem Transportausfall von mehreren Milliarden Euro. 11.–15. Oktober: Welt-Kongress für Intelligente Transport-Systeme in Hamburg Religion 6. / 7. Januar: orthodoxe Weihnachten 2. April: Karfreitag 4. April: Ostern 11. April: orthodoxe Ostern 26. Mai: Vesakh 13. Mai: Christi Himmelfahrt 23. Mai: Pfingsten 3. Juni: Fronleichnam 20. Juli: Islamisches Opferfest 15. August: Mariä Himmelfahrt 16. September: Jom Kippur 5782 3. Oktober: Tag der offenen Moschee 31. Oktober: Gedenktag der Reformation 1. November: Allerheiligen 4. November: Diwali 17. November: Buß- und Bettag 29. November – 6. Dezember: Chanukka 25. Dezember: Weihnachten Wissenschaft und Technik 7. April: Ergebnisse des Muon g-2-Experiments zu subatomaren Myonen stellen das Standardmodell der Physik infrage. 12. April: Das erste 3D-gedruckte Haus aus einer Ton-Mixtur wird fertiggestellt. Solche Gebäude könnten billig sein, nur wenig schnell-erlernbare manuelle Arbeit erfordern, die Kohlenstoffemissionen des Bauwesens, welche fast 40 % aller energiebedingten Kohlenstoffemissionen ausmachen, insbesondere von Beton, reduzieren und Ökogemeinschaften, sowie die Bereitstellung von Wohnungen für Flüchtlinge nahe ihrer Heimat statt in entfernten Ländern ermöglichen. 2. August: Ein Prototyp eines Wellenenergiekonverters mit einem Wirkungsgrad, doppelt so hoch wie bei vergleichbaren experimentellen Maschinen, wird vorgestellt. 27. Oktober: Eine Potenzialanalyse zeigt, dass „Atmospheric Water Harvesting“-Geräte einer Milliarde Menschen Zugang zu sauberem Wasser verschaffen könnten, wobei derartige off-the-grid-Wassergewinnung in manchen Fällen „Bemühungen um den Aufbau einer dauerhaften leitungsgebundenen Infrastruktur untergraben kann“. 19. November: Das erste autonome Frachtschiff, Yara Birkeland, startet in Norwegen. Es wird vollständig elektrisch angetrieben. 9. Dezember: Eine erste Studie liefert einen Überblick, wie moderne Analyseverfahren, wie Massenspektrometrie, zur Untersuchung gewisser anomaler Materialien eingesetzt wurden. Die Isotopenverhältnisse und die elementare Zusammensetzung des Materials, das in Folge eines sonderbaren Ereignisses gefunden wurde, würden eine natürliche Entstehung höchst unwahrswcheinlich machen. Eventuelle Zwecke und der Ursprung des Materials sind laut Bewertung der Studie ungeklärt. 16. Dezember: Die Entwicklung von „smarten“ Dächern und Fenstern wird bekanntgegeben: sie kühlen oder wärmen je nach Temperatur und ohne Stromverbrauch, was die Energieeffizienz von Gebäuden erhöhen könnte. 30. Dezember: Chinas EAST-Tokamak hält 120 Millionen °C heißes Plasma für 17 Minuten aufrecht. Für Fusionsenergie werden unter anderem über 150 Millionen °C benötigt. Astronomie, Kosmologie und Raumfahrt 8. Januar: Die Entdeckung des ältesten Quasars wird bekanntgegeben. Das Alter und die Masse des SMBHs stellt gegenwärtige Theorien infrage. 8. Januar: Nachrichtenagenturen berichten, dass Wissenschaftler mit der Raumsonde Juno FM-Radioemissionen vom Jupiter-Mond Ganymed entdeckt haben. Den Berichten zufolge ähneln diese sowohl WiFi-Signalen, als auch den seit langem bekannten Radioemissionen des Jupiters und wurden von Elektronen an den Magnetfeldlinien des großen Mondes verursacht. Ein Verständnis der Emissionen kann für die Suche nach ETI und die Analyse von Exoplaneten und Radiosignalen relevant sein. 13. Januar: Die Ermittlung eines weiteren Mechanismus zur Energiegewinnung – mit hoher Effizienz – durch rotierende schwarze Löcher wird bekanntgegeben, was etwa für die SETI relevant sein könnte. 17. Januar: Die LauncherOne-Rakete des privaten Raumfahrtunternehmens Virgin Orbit bringt erstmals erfolgreich Satelliten ins All. 25. Januar: Astronomen melden die Entdeckung und Analyse von TOI-178, einem sternbasierten System, in dem sich mindestens 5 von 6 Exoplaneten in einer seltenen Kette von Orbitalresonanzen und variierenden Zusammensetzungen befinden, die mit heutigen Theorien nur schwer vereinbar ist. Sie zeigen, dass bereits kleine störende Einflüsse die fragile Bahnkonfiguration chaotisch werden lassen würden, weswegen nach eigenartigen Eigenschaften oder Mechanismen des Systems gesucht wird. 9. Februar: Wissenschaftler berichten, dass man mit bestehender oder bald verfügbarer Technologie extraterrestrische Zivilisationen über Luftverschmutzung aus Stickstoffdioxid finden könnte. Auf der Erde wird NO2 vor allem durch die Nutzung menschlicher Technologien wie Verbrennungsmotoren emittiert – ausreichend hohe Werte – wie die der Erde – könnten daher eine „Technosignatur“ einer Zivilisation sein. 10. Februar: Astronomen berichten, dass das hypothetische Objekt mit der Masse eines Planeten im äußeren Bereich des Sonnensystems, „Planet 9“, möglicherweise gar nicht existiert. Mittels Simulationen und teleskopischen Daten zeigen sie, dass astronomische Körper, die sich scheinbar gruppieren, als ob ein solches Objekt sie beeinflusst, durch eine Stichprobenverzerrung erklärt werden können – dass „wir nur Dinge finden, wo wir suchen“. Februar: Raumsonden der Vereinigten Arabischen Emirate, Chinas und der USA landen auf dem Mars. Die Raumsonde der Vereinigten Arabischen Emirate wird in einer Umlaufbahn um den Planeten bleiben, Chinas Lander soll im Mai landen und die US-Raumsonde landete in einem Krater, der womöglich einst Wasser beinhaltete. Letztere enthält eine teil-autonome Drohne, sowie einen Rover „Perseverance“, der u. a. die ersten geplanten Marsproben für eine spätere Bergung vorbereiten soll. 1. März: Eine Übersichtsarbeit klassifiziert Technosignaturen. 8. März: Wissenschaftler schlagen eine „Mondarche“ vor, um die DNA und andere biologische Reproduktionsstrukturen von 6,7 Millionen dokumentierten Lebensformen der Erde zu konservieren. 9. März: Physiker berichten, dass, nach ihrem theoretischen Modell, durchquerbare mikroskopische Wurmlöcher möglich sein könnten und keine exotische Materie benötigen. 9. März: Ein deutscher Physiker beschreibt eine Möglichkeit für Warp-Antriebe, die nur aus bekannter, konventioneller positiver Energie gespeist werden. 16. März: Eine Theorie für einen natürlichen Ursprung von ʻOumuamua schlägt vor, dass es ein Fragment aus Stickstoffeis eines Exoplaneten ähnlich dem Pluto sein könnte und vor 0,5 Mrd. Jahren durch einen Einschlag ausgestoßen wurde. 23. März: In Medienberichten wird der erste umfassende öffentliche Bericht – durch das Pentagon – über UFO-Ereignisse, die von US-Behörden aggregiert wurden, für Juni angekündigt. 26. März: Die NASA gibt bekannt, dass eine Kollision mit Asteroid Apophis für die nächsten 100 Jahre ausgeschlossen werden kann. 13. April: Erste Veröffentlichung von Wegen zur Suche nach ETI-Quantenkommunikation. 19. April: Auf dem Mars wird mit der semiautonomen solarbetriebenen Hubschrauberdrohne Ingenuity der NASA der erste motorisierte Flug auf einem anderen Planeten in der Geschichte der Menschheit durchgeführt. 19. April: Eine Gruppe von Wissenschaftlern, die 2020 die Entdeckung eines wahrscheinlichen Indikators für Leben, Monophosphan, in der Venusatmosphäre berichtete, veröffentlicht einen Preprint, in dem sie nun auch größtenteils die ursprüngliche Entdeckung – für ALMA in einer Konzentration von ~7 ppb – wiederherstellt. Die Erklärung der Beobachtungen durch Schwefeldioxid kritischer Forschung wird als inkonsistent mit den verfügbaren Daten aufgezeigt. 20. April: Der Mars-Rover Perseverance wandelt mit MOXIE erstmals auf dem Mars Kohlendioxid zu Sauerstoff um. 20. April: Eine Studie der NASA erklärt, dass Warp-Antriebe, die das Tempo der Zeit innerhalb des Raumschiffs steuern und nur mit positiver Energie betrieben werden, möglich sein könnten. Sie liefert zudem ein weiteres Argument, weshalb überlichtschnelle Warp-Antriebe unmöglich sein müssten und ordnet die Warp-Raumzeiten der Studie aus dem März einer „neuen Klasse“ zu. 29. April: Das erste Kernmodul der chinesischen Raumstation Tiangong wird in den Orbit (LEO) gesetzt. 11. Mai: Die erste Messung der Dichte von Material im interstellaren Raum durch Raumsonde Voyager 1 wird veröffentlicht. Wissenschaftler veröffentlichen zudem Töne von Vibrationen interstellaren Plasmas. 14. Mai: Chinas Rover der Zhurong-Mission landet auf dem Mars. 7. Juni: Astronomen berichten, dass Saturnmond Enceladus große Mengen Methan ausstößt. Die ermittelten Mengen deuten auf mikrobielles Leben in seinem Ozean unter dem Eis hin, könnten jedoch auch durch noch unbekannte Methanquellen erklärt werden. 17. Juni: Die erste, dreiköpfige Besatzung wird zur chinesischen Raumstation Tiangong geschickt. Bislang besteht die Station aus dem ersten Kernmodul Tianhe. 19. Juni: Ein neuentdeckter Komet, C/2014 UN271, könnte der bisher größte bekannte Komet sein und wird 2031 der Erde so nahe kommen wie der Saturn. 23. Juni: Astronomen identifizieren 1.715 Sternsysteme innerhalb von 326 Lichtjahren, die seit den Anfängen der menschlichen Zivilisation vor etwa 5.000 Jahren jemals eine Position hatten, von der aus man die Erde als einen Exoplaneten, der das Sonnenlicht abdunkelt, entdecken könnte. 15. Juli: Der Einschlagskörper, der das Aussterben der Dinosaurier verursachte, war wahrscheinlich eine spezielle Art Asteroid des äußeren Hauptgürtels. 20. Juli: Eine Studie schlussfolgert, dass hohe Raten aktiven Plume-Vulkanismus die im September 2020 berichteten hohen Monophosphankonzentrationen auf der Venus erklären könnten. Vulkanismus wurde als Erklärung zuvor als unplausibel abgelehnt. Weitere Studien und Messungen könnten ihn als mögliche Quelle – und Alternative zu Organismen – bestätigen oder widerlegen. 26. Juli: Start des, von Top-Astronom Avi Loeb geleiteten, „Galileo Project“, welches mit Teleskoptechnologie transparent nach Beweisen für außerirdisches Leben oder deren Technologie – wie Alien UFOs/UAP – auf oder in der Nähe der Erde suchen soll. 10. August: Eine Studie auf Basis neuer Daten durch OSIRIS-REx berechnet eine Wahrscheinlichkeit von 1:1750 für einen Einschlag des Asteroiden (101955) Bennu bis 2300. 22. August: Astronomen geben die, auf den bis dato vorhandenen spärlichen Daten, wahrscheinliche Umlaufbahn und Masse (~6 Erden) des potenziellen „Planet 9“ bekannt. 2. September: Wissenschaftler geben die Entdeckung seltsamer Radiowellen aus der Nähe des galaktischen Zentrums bekannt. 20. September: Forscher zeigen, dass vor ~3600 Jahren ein in der Luft zerberstender Meteorit, ähnlich dem des Tunguska-Ereignises, die antike Stadt Tall el-Hammam in Jordanien zerstört hat. 27. September: Forscher erklären, dass erdähnliche Phototrophie in Zonen der Venuswolken möglich ist. 16. Oktober: Die Raumsonde Lucy startet zur Erforschung von Asteroiden um den Jupiter. 25. Oktober: In zwei Studien berichten Astronomen, dass 15 Signale zwischen 2019 und 2020, die 'BLC1' ähneln und nicht aus der Nähe von Proxima Centauri stammen, darauf hindeuten, dass BLC1 keine Technosignatur oder Radiosignal von Außerirdischen war und stattdessen wahrscheinlich auf eine Funkstörung zurückzuführen ist. 17. November: Wissenschaftler fordern in einer Studie neue Maßnahmen für planetare Biosicherheit, um die Kontamination außerirdischer Körper sowie „rückwärtige“ Kontamination mit fremden Mikroben zu verhindern. 24. November: Start der Raumsonde DART, mit der man lernen möchte wie Asteroiden abgelenkt werden können. 4. Dezember: Die totale Sonnenfinsternis ist vor allem über der Antarktis und Teilen des Südpazifiks sichtbar. 25. Dezember: Das James-Webb-Weltraumteleskop wird nach jahrelangen Verzögerungen mit einer Ariane-5-Trägerrakete in seine Umlaufbahn gebracht. Es ist das leistungsstärkste und komplexeste Weltraumteleskop der Erde. 28. Dezember: Wissenschaftler berichten, dass die Produktion von Ammoniak in den Wolken der Venus, möglicherweise durch Leben, die Umgebung dort weniger sauer und für Leben geeignet machen könnte, wobei dieses Atmosphärenmodell besser zu den Beobachtungen passt als frühere Modelle. Umweltwissenschaften 4. Januar: Medien berichten, dass Ingenieure weltweit eine negative Schaltsekunde und andere mögliche Maßnahmen diskutieren, da die Erde 2020 anfing sich nach stetiger Verlangsamung schneller zu drehen. 6. Januar: In der ersten systematischen Übersichtsarbeit der wissenschaftlichen Forschung rund um den globalen Abfall und dessen Management und Auswirkungen auf Menschen liefern Forscher Einschätzungen, Vorschläge für Korrekturmaßnahmen, technische Lösungen und Anfragen für weitere Forschung. Laut der Studie werden ein Viertel der Siedlungsabfälle nicht eingesammelt und ein Viertel schlecht verwaltet – etwa in offenen und unkontrollierten Feuern verbrannt. Sie erklären, dass es an solider Forschung dazu mangelt. 13. Januar: Eine Gruppe aus 17 hochrangigen Ökologen veröffentlicht einen 'Perspektiven'-Beitrag, der Forschungen und Daten überprüft, die darauf hindeuten, dass die Umweltbedingungen „weitaus gefährlicher werden, als derzeit angenommen“. Sie mahnen, dass ein „Optimismus-Bias“ weit verbreitet ist und deduzieren, dass grundlegender Wandel erforderlich ist. Das weitgehend statische Dokument der kleinen Gruppe, das von einer wissenschaftlichen Fachzeitschrift veröffentlicht wurde, listet einige solcher Veränderungen in Form kurzer, vager Beschreibungen auf. 22. Januar: Die „erste langfristige Bewertung des globalen Bienensterbens“, welche GBIF-Daten über mehr als einem Jahrhundert analysiert, stellt fest, dass die Anzahl der Bienenarten nach den 1990er Jahren steil abgenommen hat und zwischen 2006 und 2015 um ein Viertel im Vergleich zu vor 1990 geschrumpft ist. 25. Januar: Eine wissenschaftliche Übersichtsarbeit stellt fest, dass sich der globale Eisverlust mit einer Rekordrate beschleunigt, die den Worst-Case-Szenarien des IPCC entspricht. Der Bericht verwendet erstmals Satellitendaten zur Vermessung des globalen Eisverlustes und zeigt, dass der Verlust um 57 Prozent von 0,8 Billionen Tonnen pro Jahr in den 1990er Jahren auf 1,3 Billionen Tonnen im Jahr 2017 anstieg. 9. Februar: Eine Studie schlussfolgert, dass die Rate der globalen Emissionsminderung um mindestens 80 % über die unverbindlichen „Nationally Determined Contributions“-Ziele (NDCs) hinaus erhöht werden muss, damit das obere Ziel von maximal 2 °C Erderwärmung bis 2100 des Übereinkommens von Paris wahrscheinlich erreicht wird. Die Wahrscheinlichkeit dazu schätzen sie bei aktuellen Trends auf 5 %. 9. Februar: Eine Studie, die ein Modell mit erhöhter räumlicher Auflösung und aktualisierten Daten zur Wirkung verschiedener Konzentrationen verwendet, kommt zu dem Schluss, dass 2018 etwa 8,7 Millionen – oder etwa ein fünftel – aller Todesfälle auf Luftverschmutzung durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückzuführen sind. 15. Februar: Forscher berichten den Fund von sessilen Lebensformen auf einem Felsen 872 m unter dem Eis der Antarktis, 1,2 km unter der Oberfläche. Dazu scheinen Schwämme und Bakterienmatten zu gehören. Wie Nährstoffe von weit entfernten Orten, an denen Photosynthese möglich ist, und die Lebensformen dorthin gelangen konnten ist noch unbekannt. 18. Februar: Wissenschaftler berichten, dass die kurze globale geomagnetische Umkehrung des Erdmagnetfeldes (Polaritätsexkursion) vor ~42.000 Jahren in Kombination mit Perioden geringer Sonnenaktivität große Aussterbeereignisse und Umweltveränderungen verursachte. Das Laschamp-Ereignis könnte zum Aussterben der Neandertaler und zum Auftreten von Höhlenmalerei zu dieser Zeit beigetragen haben. Für ~700 Jahre waren Polarlichter weltweit – nicht nur an den Polen – sichtbar und schädliche Strahlung erhöht. 25. Februar: Wissenschaftler berichten, dass die Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation, zu der auch der Golfstrom gehört, so schwach ist, wie seit etwa 1.000 Jahren nicht mehr. 3. März: Die Entdeckung von Mitochondrien-ähnlichen endosymbiontischen Bakterien, A. ciliaticola, die deren Wirts-Protisten ermöglichen, Nitrat statt Sauerstoff zu atmen, wird bekanntgegeben. 8. März: Eine neue Datenbank zeigt die Verantwortung der Nahrungsmittelsysteme für ein Drittel (34 %) der anthropogenen Treibhausgasemissionen auf. 11. März: Ergebnisse einer wissenschaftlichen Synthese deuten darauf hin, dass – bezüglich der globalen Erwärmung – das Amazonasbecken, einschließlich dem Amazonas-Regenwald, gegenwärtig mehr Treibhausgase ausstößt als es absorbiert. 17. März: Wissenschaftler entwickeln ein Planungsframework und schlussfolgern, dass global koordinierter Meeresschutz „fast doppelt so effizient sein würde wie unkoordinierte, nationale Planung“. Zudem setze Grundschleppnetzfischerei so viel CO2 frei wie der gesamte Flugverkehr vor der COVID-19-Pandemie. 2. April: Eine Studie zeigt, dass das Einschlagsereignis, das das Massenaussterben der Dinosaurier verursachte, neotropische Regenwälder wie Amazonia entstehen ließ. Es ersetzte, innerhalb einer ~6 Millionen Jahre dauernden Erholungsphase hin zu vorheriger Pflanzen-Biodiversität, die Artenzusammensetzung und Struktur dortiger Wälder. 7. April: Die NOAA berichtet den größten aufgezeichneten Anstieg der Methanemissionen im Jahr 2020. 23. April: Wissenschaftler berichten, dass von ~39 Millionen untersuchten Grundwasserbrunnen 6–20 % ein hohes Risiko haben, trocken zu laufen, wenn der Grundwasserspiegel wenige Meter sinkt oder – wie in vielen Gebieten und möglicherweise bei mehr als der Hälfte der großen Grundwasserleiter – weiterhin drastisch gesenkt wird. 4. Mai: Eine Nutz-Kosten-Analyse schneller Minderung von Methanemissionen wird veröffentlicht. Ein am 6. Mai veröffentlichter Bericht der UN untersucht ebenfalls die Vorteile und Kosten derartiger rapider Handlung innerhalb der kommenden Jahre. 6. Mai: Forscher berichten, dass Chinas CO2-Emissionen 2019 erstmals die aller OECD-Länder zusammen übertrafen. Die Emissionen des Landes waren 2021-Q1 um 9 % höher als vor der COVID-19-Pandemie im Jahr 2019. Die CO2-Emissionen aus fossilen Brennstoffen und der Zementproduktion stiegen im Vergleich zu 2020 um fast 15 %. 11. Mai: Landnutzungsänderungen seit 1960 betreffen 17 % der Landfläche. Wenn mehrmalige Änderungen berücksichtigt werden, sind es 32 %. 30. Juni: Eine Studie schließt eine vulkanische Ursache für das Klimawandelereignis der Jüngeren Dryaszeit aus. 1. Juli: Wissenschaftler berichten, dass ~9,4 % der weltweiten Todesfälle zwischen 2000 und 2019 – ~5 Millionen jährlich – auf extreme Temperaturen zurückzuführen sind, wobei kältebedingte Todesfälle den größten Anteil ausmachen und abnehmen und hitzebedingte Todesfälle ~0,91 % ausmachen und zunehmen. 2. Juli: Die erste wissenschaftliche Übersichtsarbeit zur globalen Plastikverschmutzung im Allgemeinen kommt zu dem Schluss, dass die rationale Antwort auf die „globale Bedrohung“ darin bestehen würde, den Konsum neuen Plastiks zu reduzieren und das Abfallmanagement international zu koordinieren. Der Export von Kunststoffabfällen, der nicht zu einem besseren Recycling führt, solle verboten werden. 19. Juli: Forscher veröffentlichen eine Studie, für die sie 217 Analysen von Produkten und Dienstleistungen auf dem Markt durchsahen und bestehende Alternativen zu herkömmlichen Lebensmitteln, Reisen und Einrichtungsgegenständen analysierten. Die Studie, die weder Logik des Eigennutzes noch ärmere Länder berücksichtigte, kommt zu dem Schluss, dass die Treibhausgasemissionen der Schweden um bis zu 38 % gesenkt werden könnten, wenn die Verbraucher die Gesamtausgaben stattdessen für nachhaltige Alternativen in diesen Bereichen ausgeben würden. 26. Juli: Eine Studie erklärt, dass das Auftreten rekordhoher wochenlanger Hitzeextreme von der Erwärmungsrate und nicht vom Grad der globalen Erwärmung abhängt. 5. August: Eine Studie findet mögliche Frühwarnsignale für einen nahenden Kollaps des AMOC-Netzwerks aus Strömungen im Atlantischen Ozean. Der IPCC hielt es für unwahrscheinlich, dass dies vor dem Jahr 2100 geschieht. 9. August: Der IPCC der UN veröffentlicht den ersten Teil seines Sechsten Sachstandsberichts, der den aktuellen Stand der physikalischen Wissenschaften zum Klimawandel auf Grundlage von über 14.000 Arbeiten zusammenfasst. 16. August: Forscher kommen zu dem Schluss, dass persönliche Emissionsgenehmigungen (PCAs) eine Komponente zur Eindämmung des Klimawandels sein könnten. Sie sind der Ansicht, dass die wirtschaftliche Erholung von COVID-19 und neue technische Kapazitäten ein günstiges Zeitfenster für erste Testläufe in geeigneten Ländern eröffnet haben. PCAs umfassen – etwa monetäre – Credit-Feedbacks und sinkende Mengen an standardmäßig erlaubten Emissionen pro Kopf. 16. August: Eine Übersichtsarbeit zeigt regional aufgefächerte Faktoren und Risiken, die mit dem weltweiten Insektensterben verbunden sind. Globale Regulierungen könnten Drücke durch Pestizide und Landmanagement reduzieren. 31. August: Eine Studie zeigt, dass dem Paläozän/Eozän-Temperaturmaximum vor ~56 Millionen Jahren Vulkanismus vorausging und dass erdgeschichtliche Daten zu dem Ereignis auf die Existenz von klimatischen Kipppunkten im Erdsystem hindeuten. 2. September: Eine Studie zeigt, dass Luftverschmutzung auch unterhalb der WHO-Richtwerte mit deutlich erhöhter Sterblichkeit verbunden ist. Am 22. September passt die WHO, erstmals seit 2005, ihre Richtlinien an. 3. September: Atmosphärenwissenschaftler zeigen, dass Veränderungen der sich erwärmenden Arktis häufiger zu extremem kaltem Wetter in Teilen Asiens und Nordamerikas führen können. Diese Veränderungen führten auch zu der nordamerikanischen Kältewelle im Februar 2021. 8. September: Eine Studie ermittelt die regionalen und globale Mengen förderbarer fossiler Brennstoffen, die für das Erreichen von Klimazielen vor Förderung gesichert werden müssen. 8. September: Eine Studie zeigt, dass die Erde weniger Licht reflektiert – eine Abschwächung der Albedo um ~0,5 % über zwei Jahrzehnte könnte sowohl durch den Klimawandel mitverursacht worden sein als auch die globale Erwärmung signifikant verstärken. 10. September: 43 Fachwissenschaftler veröffentlichen das erste wissenschaftliche Framework, das eine standardisierte Bewertung und Verbesserung der Schutzniveaus von Meeresschutzgebieten ermöglicht. 15. September: Wissenschaftler bestätigen, dass die australischen Waldbrände 2019/20 eine große Planktonblüte verursacht haben. Dieser Feedbackeffekt erhöhte die Menge an CO2, die der Ozean absorbierte. Diese Menge (152±83,5 Mio. Tonnen) ist jedoch nur ein kleiner Anteil der, laut einer am selben Tag veröffentlichten Studie, ~715 Millionen Tonnen CO2, die durch die klimawandelverstärkten Brände freigesetzt wurden. 24. September: Die Projektion von Auswirkungen von Treibhausgasemissionen nur bis zum Jahr 2100 wird als zu kurzsichtig erklärt. Neue Projektionen für (RCP-)Szenarien des Klimawandels bis zum Jahr 2500 werden veröffentlicht. 26. September: Eine Studie zeigt, dass die 2020 geborene Generation unter derzeitigen Klima-Pledges voraussichtlich 2–7 Mal so viele Hitzewellen erleben wird als die 1960er Generation. 27. September: Start des Umweltüberwachungssatelliten Landsat 9. 11. Oktober: Mithilfe von Simulationen prognostizieren Wissenschaftler die Auswirkungen der drohenden Ölpest durch den FSO Safer auf die öffentliche Gesundheit und dessen Umwelt. Der Öltanker verfällt seit 2015 vor der Küste von Jemen. 12. Oktober: Wissenschaftler berichten, dass sich die Belastung von Extremhitze (WBGT > 30 °C) in ~13.000 Städten zwischen 1983 und 2016 verdreifacht hat. Ohne Berücksichtigung des dortigen Bevölkerungswachstums stieg sie um etwa 50 %. Städtische Gebiete sind oft deutlich wärmer als die umliegenden ländlichen Gebiete. 2. November: Eine Studie zeigt, dass der derzeitige Handel und Konsum der 19 Länder in den G20 PM2.5 Luftverschmutzung verursacht, die jährlich zwei Millionen vorzeitige Todesfälle verursacht. Das Durchschnittsalter zum Todeszeitpunkt liegt dabei bei 67 Jahren. 19. November: Ein Bericht der INPE auf Basis von Satellitendaten erklärt, dass die Entwaldung des Amazonas-Regenwalds gegenüber 2020 um 22 % zugenommen hat und auf dem höchsten Stand seit 2006 ist. Es wurden 13.235 km² entwaldet – eine Fläche größer als Katar. 16. Dezember: Eine Studie mit deutschlandweiten Daten zeigt, dass Insektenproben aus Naturschutzgebieten mit durchschnittlich etwa 16 Pestiziden kontaminiert sind. Die Forscher schlagen Pufferzonen um diese Regionen vor. Wirtschafts-, Verhaltens- und Organisationswissenschaften 11. Mai: Wissenschaftler berichten, dass 'Degrowth'-Szenarien in den 1,5 °C-Szenarien des IPCC vernachlässigt wurden. In solchen Szenarien nimmt das 'Wirtschaftswachstum' entweder ab oder entwickelt sich auf eine Weise, die kontemporäre Wirtschaftsmetriken – wie das aktuelle BIP – nicht als 'Wachstum' definieren. Degrowth könne „viele Schlüsselrisiken für Machbarkeit und Nachhaltigkeit“ minimieren. Hauptprobleme sind dabei die Machbarkeit mit heutigen Entscheidungsmechanismen der Politik sowie globalisierte Verlagerungseffekte. 29. Juni: Forscher untersuchen sozioökonomische Faktoren für Bedürfnisbefriedigung bei niedrigem Energieverbrauch und zeigen, dass der öffentliche Sektor bei diesem Doppelziel eine bessere Leistung als aktuelle Formen des Wirtschaftswachstums aufweist. 28. Juli: In einem Update zu dem World Scientists' Warning to Humanity warnen Wissenschaftler, dass es Belege gibt, dass sich kritische Elemente des Erdsystems dem Kipppunkt nähern oder ihn bereits überschritten haben, und berichten, dass 1990 Jurisdiktionen formal den Klimanotstand erklärt haben, 18 von 31 „planetarischen Vitalwerten“ aktuell Rekordwerte haben, häufige Updates zur Notlage erforderlich sind, die „Green Recovery“ von der COVID-19-Pandemie unzureichend ist und grundlegende Systemänderungen erforderlich sind, die über Politik hinausgehen. 18. August: Eine Studie zeigt, dass die globale Regulierung Montrealer Protokoll, welche zur Eindämmung von ozonabbauenden Stoffen geschaffen wurde, auch den Klimawandel erheblich abgemildert hat. 16. Oktober: Eine Studie von Scientists for Future kommt zu dem Schluss, dass die Kernspaltungsenergie nicht zu einer effektiven Eindämmung des Klimawandels beitragen kann, da sie „zu gefährlich, zu teuer und zu langsam verfügbar“ ist und den sozioökonomischen Wandel hin zu Nachhaltigkeit behindert. 27. Oktober: Forscher veröffentlichen ein Framework für „Policy-Reihenschaltung“ – speziell für Richtlinien zum vollständigen Stoppen und Verhindern von Entwaldung. Die Studie stützt sich auf Daten über politische Maßnahmen und freiwillige Initiativen, die bereits umgesetzt werden. 28. Oktober: Ein offener Brief von knapp 300 Wissenschaftlern bittet die WTO darum, schädliche und zunehmende Fischereisubventionen abzuschaffen. 4. November: Eine Studie trägt zur Entflechtung der aktuellen geopolitisch-wirtschaftlichen Auswirkungen und Anreize einer raschen Energiewende bei. Die großen Energieimporteure China, Indien, Japan und die EU können demnach primär deren Tempo bestimmen und ausbleibende Umstellung wird für Nationen zunehmend unstrategisch – eine Umkehr des Trittbrettfahrerproblems. 14. November: Eine Zeitzuteilungs-Studie schätzt, dass im Jahr 2020 über 130 Millionen Stunden Forscherzeit für Peer-Reviews aufgewendet wurden. 21. November: Aufgrund ausbleibender rascher Veränderungen weit verbreiteter Praktiken oder Bildungssysteme, sowie heutiges Wirtschaften revidiert Sri Lanka das Importverbot für Pestizide und scheitert damit mit seinen Ambitionen, Ökolandwirtschafts-Nation zu werden. 25. November: Forscher berichten auf Basis von 604 systematisch ausgewerteten Studien, dass sich die nachfrageseitigen Optionen des Klimaschutzes weitgehend positiv auf 18 Komponenten des Wohlbefindens auswirken. 8. Dezember: Angewandte Verhaltenswissenschaftler demonstrieren eine erste „Megastudie“ und untersuchen, innerhalb nur einer Studie mit gut vergleichbaren Ergebnissen, die Wirksamkeit von 54 Maßnahmen zur Erhöhung von Fitnessstudio-Besuchen, welche von separaten Teams entwickelt wurden – etwa Belohnung mit einlösbaren digitalen Punkten. Biowissenschaften, Chemie und Paläontologie 27. Januar: Forscher entwickeln ein Verfahren, transparentes Holz leichter und stärker als Glas herzustellen, bei dem wesentlich geringere Mengen an Chemikalien und Energie benötigt werden als bei den bisher verwendeten Methoden. Das dünne Holz wurde mit dem Verfahren „solar-assisted chemical brushing“ hergestellt und könnte für berührungsempfindliche Oberflächen, Solarzellen und energieeffiziente Gebäude verwendet werden. 2. März: Eine Studie mit Daten zu 0,5 Mio. Menschen der UK Biobank zeigt, dass hoher Fleischkonsum mit höheren Risiken für weit verbreitete Krankheiten, inklusive Diabetes und koronarer Herzkrankheit, verbunden ist. 8. März: Wissenschaftler geben bekannt, dass einige Meeresschnecken, einige E. marginata, ihren ganzen, parasitierten, Körper abwerfen und regenerieren können. Ihr Kopf überlebt dabei mittels Algenzellen-basierter Photosynthese. 13. April: Wissenschaftler berichten die Entdeckung einer eine Milliarde Jahre alten Lebensform, B. brasieri, die zeigt, dass die Evolution von differenzierter Vielzelligkeit – aus mehreren Zellen verschiedener Typen zu bestehen, wie es in Linien der Tiere der Fall ist – bereits vor diesem Zeitpunkt stattfand und das möglicherweise hauptsächlich in Süßwasserseen, und nicht im Ozean, geschah. 1. Mai: Eine Metaanalyse von klinischen Studien schlussfolgert, dass eine Senkung des Blutdrucks bei normalen Blutdruckbereichen eine effektive Präventionsmaßnahme gegen Herz-Kreislauf-Erkrankungen ist. 25. Mai: Wissenschaftler berichten, dass die intrinsische maximale menschliche Lebensspanne laut Blutmarkern 120–150 Jahre beträgt. 7. Juni: Biologen berichten, dass sie Bdelloide Rädertierchen, die für ~24.000 Jahre in sibirischem Permafrost eingefroren waren, wieder zum Leben erwecken konnten. Wissenschaftler interessieren sich unter anderem für die Mechanismen, die ihr Überleben ermöglichen. 15. Juni: Forscher erbringen Beweise, dass viele Kosmetika schädliche PFAS enthalten. 8. Juli: Wissenschaftler berichten, dass in der Vergangenheit – mit wenig Bedeutung für künftige Evolution – niedrigere Temperaturen mit größeren Körpergrößen von Homo-Arten assoziiert waren und dass langfristige Niederschlagsschwankungen mit der Gehirngröße korreliert waren. 10. Juli: Wissenschaftler berichten, dass sie, außerhalb der Chromosomen einer Archaeenart, unbekannte lange lineare DNA-Strukturen entdeckt haben, die Gene von Organismen, auf die sie treffen, integrieren. Die sogenannten „Borgs“ erweitern wahrscheinlich die biologischen Funktionen der Wirtsarchaeen, wie deren Proteinproduktion, sowie deren Fähigkeit das Treibhausgas Methan zu oxidieren. 14. Juli: Bericht des Fundes des frühesten mikro-fossilen Lebens, das vor ~3,42 Milliarden Jahren in einem hydrothermalen Adersystem unter dem Meeresboden lebte. 16. Juli: Eine Studie kommt zu dem Schluss, dass nur 1,5–7 % der „Regionen“ des menschlichen Genoms den modernen Menschen ausmachen und ihn von archaischen Homo-Arten unterscheidet. Die Studie fand zudem zwei Bursts von Änderungen die spezifisch für den modernen Menschen sind. 20. Juli: Eine Übersichtsarbeit deutet an, dass, mit Ausnahme von Geflügelfleisch, 50 Gramm pro Tag unverarbeitetes rotes oder verarbeitetes Fleisch Risikofaktoren für Herzkrankheiten sind und das Risiko pro 50 Gramm um ca. 9 % und 18 % erhöhen. 13. September: Reviews bestätigen, dass Ernährungseinschränkungen – v. a. Intervallfasten und Kalorienrestriktion – bei gesunden Erwachsenen wahrscheinlich zu Lebenserweiterung – Verlängerung der Gesundheits- und Lebensspanne – führen. Sie beschreiben die gesundheitlichen Auswirkungen und die molekularen Mechanismen solcher Phasen. 18. Oktober: Eine Studie zeigt, wie Immunität bei Säugetieren epigenetisch vererbt wird. 20. Oktober: Eine genetische Analyse zeigt, dass die heutigen domestizierten Pferde von der unteren Wolga-Don-Region in Russland abstammen. Die dortigen Populationen verdrängten ab vor ca. 4.200 Jahren rasch fast alle lokalen Populationen und verbreiteten sich zusammen mit materieller Kultur wie Sintaschta Streitwagen auf Rädern. 16. November: Mit einer Studie wird der zweite Fall einer Person bekanntgegeben, deren Immunsystem das HIV offenbar selbstständig, ohne Therapie, beseitigt hat. 22. November: Eine Studie zeigt, dass Aspirin scheinbar mit erhöhtem (um 26 %) Risiko für Herzversagen bei Menschen mit mindestens einem kardiovaskulären Risikofaktor assoziiert ist. Biotechnologie und Neurowissenschaften 12. Februar: Eine Studie zeigt, dass eine Mutation von NOVA1 großen Einfluss auf die Neuroentwicklung hat, indem sie die archaische Genvariante der Neandertaler und Denisova-Menschen mittels CRISPR Gen Editing in Gehirn-Organoiden einsetzen. In einer späteren Studie konnten die Unterschiede in der Morphologie der Organoide zwischen dem modernen Menschen und der archaischen NOVA1-Variante nicht repliziert werden, was möglicherweise auf vermutete unerwünschte Nebenwirkungen des CRISPR-Editings in der ursprünglichen Studie zurückzuführen ist. 18. Februar: Teams aus Kognitionswissenschaftlern berichten, dass sie bidirektionale Kommunikation mit Menschen während diese luzid träumen – sich also während des Traums bewusst sind zu träumen – herstellen konnten. Die Personen konnten dabei mittels Augenbewegungen oder Zuckungen der Gesichtsmuskeln Fragen wie etwa Rechenaufgaben beantworten. 10. März: Forscher beschreiben eine CRISPR-dCas9 Epigenom-Editierungsmethode für eine neuartige Schmerztherapie, die in Mäusen verschiedene chronische Schmerzen lindern konnte. 24. März: Eine Studie mit zerebralen Organoiden zeigt auf, dass Gene – oder Genexpression – insbesondere ZEB2, für eine verzögerte Formveränderung der frühen Gehirnzellen das – im Vergleich zu anderen Affen – relativ große menschliche Vorderhirn verursachen. 9. April: Wissenschaftler zeigen, dass die Frontallappen der Gehirne früher Homo aus Afrika und einer Fundstelle in Georgien eine Menschenaffen-ähnliche Struktur für viel länger beibehielten als bisher angenommen – bis vor etwa 1,5 Millionen Jahren. Das zeigt, dass die Homo-Linie nicht nur evolvierte (~2,5 Mya), sondern sich auch erstmals außerhalb Afrikas ausbreitete und den aufrechten Gang entwickelte, bevor die Reorganisation des Gehirns stattfand. 9. April: DARPA-finanzierte Wissenschaftler stellen ein Werkzeug für reversibles, vererbbares Epigenom-Editing vor. 15. April: Erstmals wird die Erzeugung umstrittener Mensch-Affe-Hybrid-Embryonen bekanntgegeben – einige überlebten für 19 Tage und erreichten damit den Status von Embryos. Die Forschung ist mit signifikanten Möglichkeiten- und Notwendigkeit-verbundenen ethischen Problemen verbunden. 23. April: Ergebnisse zeigen, dass ein Malariaimpfstoff der Universität von Oxford bei saisonaler Verabreichung nach einem Jahr eine Wirksamkeit 77 % entwickeln kann – und damit erstmals mehr als das Ziel von 75 % der WHO. 1. Mai: Eine Studie zeigt, dass 5 Jahre frühzeitiger kognitiv und sprachlich stimulierender Betreuung, die wenige Wochen nach der Geburt begann, bei Männern mit niedrigem Sozialstatus bis zum mittleren Lebensalter zu signifikanten Veränderungen der Gehirnstruktur führte. MRT-Scans der Teilnehmer des randomisierten Abecedarian Early Intervention Projects zeigten große Unterschiede in Volumina von Gehirnregionen und Gesamtgehirn. 4. Mai: Gerontologen identifizieren neue genetische Signaturen für menschliche Langlebigkeit in Genomen von über 105 Jahre alten Personen. 12. Mai: Wissenschaftler demonstrieren ein neuartiges Brain-Computer-Interface, das neuronale Signale für Handschrift dekodiert. Der neue Ansatz ermöglicht eine Kommunikations-Ausgabe, die mehr als doppelt so schnell ist wie der bisherige Geschwindigkeitsrekord. 12. Mai: Eine Studie mit UK Biobank MRT-Daten von über 25.000 Personen mit einem Alter von 54,9±7,4 Jahren schlussfolgert, dass Alkohol dem Gehirn selbst bei geringem und moderatem Konsum schadet. 17. Mai: Die größte genomweite Assoziationsstudie der mitochondrialen DNA – welche von den Müttern vererbt wird – identifiziert mit Daten der UK Biobank 260 neue Assoziationen mit Phänotypen wie Lebenserwartung und Risiken für Krankheiten wie Typ-2-Diabetes. 19. Mai: Forscher zeigen, dass der Cholesterinspiegel bei Affen durch CRISPR-Gen-Editing um 60 % gesenkt werden kann. 24. Mai: Forscher stellen das Sehvermögen eines Patienten mit Retinitis pigmentosa teilweise wieder her, indem sie Viren in seine Augen injizieren, die Gene einfügen, die die Produktion eines lichtsensitiven Proteins bewirken. Diese Leuchtalgen-Proteine wurden daraufhin durch eine konstruierte Brille mit Licht stimuliert. Die Brille wandelt visuelle Informationen der Umgebung mit einer eingebauten Kamera in Lichtsignale um. 30. Mai: Die detaillierteste 3D-Karte des menschlichen Gehirns wird veröffentlicht. Für die interaktive Karte eines 1 mm³-großen millionstel eines Gehirns wurden 1,4 Petabytes Mikroskopiedaten generiert. 10. Juni: Eine Studie berichtet, dass Denguefieber-Inzidenzen um 77 % reduziert werden konnten, indem Stechmücken mit Bakterien infiziert wurden. 10. Juni: Forscher demonstrieren eine neue Alternative zu Plastik. Das auf Pflanzenproteinen basierende, biologisch abbaubare Verpackungsmaterial basiert auf Forschung zu Spinnenseide, die für ihre Stärke bekannt ist und dem Material ähnelt. 11. Juni: Biologen berichten, dass DNA-Polymerasen auch RNA-Abschnitte in die DNA schreiben können. Zuvor nahm man lange an, dass sie nur DNA zu DNA oder RNA kopieren. 26. Juni: Die erste, kleine klinische Studie intravenöser CRISPR-Genbearbeitung im Menschen wird mit erfolgversprechenden Ergebnissen beendet. 29. Juni: Eine Studie zeigt, dass Solarenergie-getriebene Produktion von mikrobieller Nahrung mittels Luft viel weniger Land verbraucht als landwirtschaftlicher Anbau etwa von Soja. 22. Juli: Forscher veröffentlichen über 350.000 3D-Modelle gefalteter Proteine, die mit der KI AlphaFold vorhergesagt wurden. Darunter sind 98,5 % der ~20.000 Proteine des menschlichen Körpers. Etwa ein Drittel der Vorhersagen hat eine hohe Wahrscheinlichkeit akkurat zu sein, wodurch der Datensatz etwa für Arzneimitteldesign und Bioforschung nützlich sein könnte. 26. Juli: Wissenschaftler berichten das erste vollständige 3D-Modell eines Affengehirns auf Neuronenebene fertiggestellt zu haben. Das Gehirn wurde dafür innerhalb von 100 Stunden gescannt. 29. Juli: Forscher berichten die Entdeckung einer Darmmikrobiom-Komponente für die Langlebigkeit von ≥100-Jährigen. 9. August: Neurowissenschaftler zeigen, dass die Transplantation der fäkalen Mikrobiota von jungen Spendermäusen die Gehirne alter Mäuse deutlich verjüngen kann. 13. August: Eine Studie zeigt, dass Probiotika Korallenriffen helfen könnten, den Klimawandel zu überleben. 17. August: Eine Studie zeigt menschliche Hirnorganoide die intrinsisch optische Sensoren entwickelt haben. 20. August: Eine Studie bestätigt, dass das Hormon Irisin neurobiologische Vorteile von Sport für das Gehirn überträgt. 24. August: Forscher stellen eine Bioprinting-Methode zur Herstellung von steakähnlichem kultiviertem Fleisch vor. Das Fleisch besteht aus drei Arten von Rinderzellfasern und hat eine Struktur, die der von ursprünglichem Fleisch ähnelt. 23. September: Medien berichten, dass die ersten synthetischen Kaffeeprodukte von Unternehmen hergestellt wurden. Diese Produkte, deren behördliche Zulassung noch aussteht, haben einen geringeren Bedarf an Wasser und Arbeit und verursachen keine Abholzung und weniger Treibhausgasemissionen. 23. September: Die erste Synthese von Stärke, dem Haupt-Kohlenhydrat der menschlichen Ernährung und Bestandteil vieler Produkte, wird mit einer Studie bekanntgegeben. Mit dieser Entwicklung könnten Treibhausgasemissionen, Land-, Pestizid- und Wasserverbrauch reduziert werden. 24. September: Die ersten CRISPR-editierten Lebensmittel erreichen in Japan den öffentlichen Handel: Tomaten mit fünffach erhöhtem Gehalt an GABA, welches möglicherweise leicht beruhigend wirken könnte. 28. September: Forscher entwickeln Software maschinellen Lernens für genomikbasierte Früherkennung von Viren mit hohem Risiko. Sie könnte genutzt werden, künftige Pandemien durch Viren, die von Tieren auf den Menschen übergehen, zu verhindern. 6. Oktober: Die WHO genehmigt den ersten Malariaimpfstoff – das antiparasitäre RTS,S. 6. Oktober: In 17 Studien schließen Neurowissenschaftler die erste Phase eines großangelegten Projekts ab und veröffentlichen den ersten Atlas des primären motorischen Kortex der Maus mit dessen Zelltypen. 7. Oktober: Mit Hirnorganoiden, die aus Stammzellen gezüchtet wurden, zeigen Wissenschaftler experimentell, wie die nichtkodierende und häufig als bedeutungslos betrachtete „Junk-DNA“ (98 % der DNA) auch signifikante Unterschiede zwischen Menschen und Schimpansen verursacht. 15. Oktober: Der erste Metabolom-Atlas des alternden Mäusegehirns wird online veröffentlicht. 21. Oktober: Die erste erfolgreiche Xenotransplantation einer, gentechnisch veränderten, Schweineniere in einen hirntoten Menschen wird bekanntgegeben. Damit das Immunsystem die Niere nicht sofort als körperfremd abstößt, wurde auch eine Thymusdrüse des Schweins transplantiert. 8. November: Wissenschaftler zeigen, dass sich das Gehirn an die Immunaktivität gegen eine frühere Infektion „erinnern“ kann. Die Reaktivierung von Gehirnzellen kann eine spezifische entzündliche Immunantwort des Körpers hervorrufen oder formen. 11. November: Bionanoingenieure entwickeln eine neuartige Therapie, durch die durch Rückenmarksverletzung gelähmte Mäusen wieder laufen können – ein injiziertes Gel aus Nanofaser-Matrizen. Die Fasern enthalten Moleküle, die konstruiert wurden zu wackeln. Sie verbinden sich mit den Rezeptoren der Zellen und lösen so im Inneren der Zellen Reparatursignale aus. 17. November: Die Genome von 200.000 Teilnehmern der UK Biobank, verknüpft mit anonymisierten medizinischen Informationen, werden online verfügbar gemacht. 17. November: Ein Impfstoff für ein rasches Einsetzen von Erythemen (juckender Rötung) schützt Meerschweinchen vor Lyme-Borreliose durch Zecken. 29. November: Forscher berichten, dass die, weniger als 1 mm großen, krabbelnden Xenobots aus Froschzellen sich jetzt auch, in Zelllösungen, reproduzieren können. 3. Dezember: Wissenschaftler demonstrieren gezüchtete menschliche Gehirnzellen, die eine zielgerichtete Aufgabe mit Leistungswerten ausführen können: die elektrophysiologisch stimulierten Zellen lernten Pong zu spielen, was sie laut Berichten schneller lernten als KI-Maschinen, wobei deren Fähigkeitslevel niedriger war als bei KI und beim Menschen, jedoch besser als bei Mäuseneuronen, was das zum ersten empirischen Nachweis für Unterschiede in der Informationsverarbeitungskapazität zwischen Neuronen verschiedener Spezies macht. Die Neuronen wurden in ein digitales System integriert. 9. Dezember: Die Entwicklung der „Twin Prime Editing“-Methode wird bekanntgegeben. Mit dieser Technologie können mit Prime Editing nun auch große DNA-Sequenzen, wie ganze Gene, bearbeitet werden. 9. Dezember: Tests zeigen vielversprechende Ergebnisse eines mRNA-Impfstoffs gegen HIV. 10. Dezember: Ein Test zeigt vielversprechende Ergebnisse eines Impfstoffs zur Entfernung von seneszente Zellen, eine wichtige Komponente des Alterns. 30. Dezember: Forscher entwickeln DNA-basierte „Nanoantennen“, die sich an Proteine anhängen und ein Fluoreszenzsignal erzeugen können, wenn diese ihre biologischen Funktionen ausführen – wenn sie ihre Formen verändern. 30. Dezember: Die ersten CRISPR-gen-editierten Meerestiere und das zweite Set von CRISPR-Lebensmitteln erreichen in Japan den öffentlichen Markt: zwei Fische, von denen eine Art durch eine Störung von Leptin, das den Appetit kontrolliert, auf die doppelte Größe natürlicher Exemplare anwächst, und eine weitere, die aufgrund von deaktiviertem Myostatin, das das Muskelwachstum hemmt, zur 1,2-fachen Größe anwächst. Psychologie 7. April: Eine Studie zeigt, dass in der menschlichen Psychologie individuelle Problemlöser dazu tendieren, subtraktive Lösungselemente zu übersehen. 19. Juli: Forscher berichten, dass bewaldete städtische Grünflächen die kognitive Entwicklung von Jugendlichen und ihr Risiko für psychische Probleme verbessern können. 20. Juli: Eine Studie zeigt, dass Einsamkeit in gegenwärtigen Schulen und Depressionen bei 15–16-Jährigen nach 2012 weltweit konsistent und deutlich angestiegen sind und das etwa mit gegenwärtiger Smartphone- und Internet-Nutzung verbunden ist. Archäologie und Anthropologie 8. Januar: Archäologen berichten, dass die afrikanische Kulturphase, die als Middle Stone Age bezeichnet wird und von der man annimmt, dass sie von vor ~300.000 bis vor 30.000 Jahren andauerte, an einigen Orten bis vor ~11 ka andauerte, was etwa die erhebliche zeiträumliche kulturelle Variabilität der menschlichen Evolution und Kulturgeschichte verdeutlicht. 20. Januar: Archäologen berichten die Entdeckung und Analyse des möglicherweise frühesten bekannten eindeutigen menschlichen Gebrauchs von Symbolen – ein ~120.000 Jahre alter Knochen, in den sechs Linien eingraviert wurden. 7. April: Antike Genome belegen häufige Kreuzungen zwischen Neandertalern und ersten Europäern. 25. Juni: Chinesische Archäologen berichten die Entdeckung eines Schädels einer unbekannten Spezies von Frühmenschen, die sie „Drachenmensch“ nennen. Der ungewöhnlich große Schädel wurde erstmals 1933 entdeckt, ist über 146.000 Jahre alt und deutet auf eine enge Verwandtschaft mit Homo sapiens hin. 25. Juni: Die erste umfassende Analyse eines Nesher Ramla Homo deutet an, dass diese zu einer unbekannten Homo-Gruppe gehören könnte, die sich mit Neandertalern vermischte. 16. Juli: Eine Studie zeigt, dass Cannabis sativa erstmals vor ~12.000 Jahren im frühen Neolithikum in Ostasien domestiziert wurde. 10. September: Die Entdeckung der möglicherweise ältesten Kunst wird bekanntgegeben. Vor ∼200.000 Jahren haben Kinder wahrscheinlich absichtlich eine Serie aus Hand- und Fußabdrücken in Schlamm platziert. Die Funde deuten zudem darauf hin, dass Hominine zu dieser Zeit auf dem hohen tibetischen Plateau lebten. 11. Oktober: Wissenschaftler berichten eine verbesserte Datierung der frühesten homininen-artigen Fußabdrücke in Kreta: sie sind ~6,05 Millionen Jahre alt. Die Fußspuren von Trachilos wurden 2017 erstmals datiert, wurden außerhalb Afrikas gefunden und zeugen vom aufrechten Gang – aber nicht notwendigerweise von vormenschlichen Affen. 22. Oktober: Forscher untermauern eine Hypothese, nach der eine Abnahme der Gehirngröße in den letzten 3.000 Jahren durch Externalisierung von Wissen und Gruppen-Entscheidungsfindung verursacht wurde. Das Aufkommen sozialer Systeme mit verteilter Kognition und Informationsaustausch – etwa mittels Schrift – könnte eine Hauptursache sein. Computing und Elektronik 6. Januar: Chinesische Forscher erklären, das weltweit größte Netzwerk aus Quantenkommunikationsnetzwerken aufgebaut zu haben. Sie integrierten über 700 Lichtleiter und zwei Satellitenverbindungen, um es Nodes mit Entfernungen von bis zu 4.600 km zu ermöglichen, Quantenschlüssel auszutauschen. 5. Februar: Forscher berichten die Entwicklung erster Logikgatter für verteilte Quantencomputer. 19. Februar: Der Philosoph Thomas Metzinger fordert ein globales Moratorium für jegliche Forschung, die das Entstehen von künstlichem Bewusstsein auf „post-biotischen Trägersystemen“ anstrebt oder wissentlich riskiert. 3. März: Forscher demonstrieren einen teilautonomen bionischen „Soft Robot“, der dem Druck an der tiefsten Stelle des Ozeans im Marianengraben standhält. 6. April: Eine Studie stellt fest, dass die Kohlenstoffemissionen durch Bitcoin-Mining in China rapide zugenommen haben und dabei sind, die gesamten jährlichen Kohlenstoffemissionen von europäischen Ländern wie Italien zu übertreffen. Der Algorithmus Proof-of-Work der Software stellt sicher, dass eine Liste – oder „Block“ – letzter Überweisungen unverfälscht ist, indem sein einziger Zweck darin besteht, viel Energie und Rechenleistung zu benötigen. 12. April: Designs und Design-Regel für den Weltrekord eines verbreiteten Typs von Silizium-Solarzellen von einem Wirkungsgrad von 26,0 % – mit etwas zusätzlichem Potenzial – werden veröffentlicht. 6. Mai: Forscher veröffentlichen die erste tiefgreifende Studie über Web-Browser Tab-UIs seit über einer Dekade. 14. Mai: Archivisten starten eine Rettungsaktion zur Erhaltung der größten öffentlichen Bibliothek für wissenschaftliche Artikel der Menschheit – die Webseite Sci-Hub. Aufgrund eines erhöhten rechtlichen Drucks organisierten sie sich auf einer Reddit-Webseite, um die Bibliothek – oder ihre Inhalte – mithilfe der BitTorrent-Technologie dezentral und unzensierbar zu machen. 8. Juni: Ein Japanisches Unternehmen vollbringt Quantenkommunikation über Glasfasern mit einer Länge von mehr als 600 km. 17. Juni: Forscher präsentieren den weltweit ersten kompakten Quantencomputer, welcher Qualitätsstandards erfüllt und in zwei Serverschränke passt. 7. Juli: Ein programmierbarer Quantensimulator mit 256 Qubits wird vorgestellt. 18. Juli: Forscher und Journalisten berichten den Fund der privat vertriebenen Spyware „Pegasus“ eines Unternehmens, welches iOS- und Android-Smartphones infizieren kann – oft ohne dass der Nutzer dafür interagieren muss – um Daten zu exfiltrieren oder jederzeit etwa Kamera, GPS und Mikrofon zu nutzen. 31. Juli: Einer der ersten Küchenroboter für programmierbare Essenszubereitung wird vorgestellt. 9. August: Eine IT-Forscherin berichtet, dass solare Superstürme weltweite monatelange Internetausfälle verursachen würden. Sie beschreibt die Robustheit der derzeitigen Internet-Infrastruktur und mögliche Maßnahmen wie Meshnetze und neue Protokolle. 23. September: Nachdem die Europäische Kommission zwei Folgenabschätzungsstudien und eine Technologieanalyse in Auftrag gegeben hat, schlägt sie die Umsetzung einer Standardisierung – für Versionen von USB-C – von Ladegeräten für Smartphones vor. So könnte die Interoperabilität von Geräten, die Konvergenz und der Komfort für Verbraucher erhöht und Ressourcenbedarf, Redundanz und Elektroschrott verringert werden. 6. Oktober: Eine Analyse des Datenverkehrs von Varianten des Android-Betriebssystems auf verbreiteten Smartphones belegt eine umfangreiche Datenerfassung und -versand, was – da es den Standardeinstellungen entspricht und bei Benutzung dieser Software nicht abschaltbar ist – die Privatsphäre, Kontrolle und Sicherheit der Nutzer beeinträchtigen kann. 11. Oktober: Das Pilotprojekt des ersten selbstfahrenden konventionellen Zugs beginnt in Hamburg. 13. Dezember: Forscher entwickeln eine offene Datenbank und Analysewerkzeug für Perowskit-Solarzellen, die über 15.000 Studien systematisch integriert. Speziell enthält sie strukturierte Geräte-Daten dieser neuen Solarzellen, welche billig, dünn und effizient sind – etwa zu deren Materialzusammensetzung. 26. Dezember: Ein KDE/Kirigami-basiertes drittes konvergentes Shell und UI-Framework für GNU/Linux auf verschiedenen Geräten, insbesondere Smartphones, wird herausgegeben. Metawissenschaft und gesamtwissenschaftliche Entwicklungen 21. Mai: Eine Studie zeigt, dass Aufsätze in großen wissenschaftlichen Fachzeitschriften mit nicht replizierbaren Ergebnissen mehr zitiert werden als reproduzierbare, fehlerfreiere Wissenschaft. 26. Mai: Mehr Wissenschaftler beginnen damit, ernsthaft über UFOs und deren Erforschung zu diskutieren, nachdem US-Medien in Antizipation eines Pentagon-Berichts seriöse Nachrichten zu diesem Thema veröffentlichten. 4. Oktober: Metawissenschaftler berichten auf Basis einer Zitationsanalyse, dass „Strukturen, die disruptive Wissenschaft fördern und Aufmerksamkeit auf neue Ideen lenken“, wichtig sind, da in wachsenden wissenschaftlichen Feldern die Zitationsströme eine Konzentration bereits gut zitierter Arbeiten aufzeigen, was möglicherweise kanonischen Fortschritt verlangsamt und hemmt. 7. Dezember: Ein Forschungsprojekt zeigt, dass von 193 Experimenten aus 53 Top-Papers über Krebs aus den Jahren 2010–2012, nur 50 Experimente repliziert werden konnten. Zudem waren die Effektgrößen dieses Bruchteils im Durchschnitt 85 % kleiner als die der ursprünglichen Ergebnisse. Kultur und Gesellschaft 14. Januar: Das erste, nie veröffentlichte Umschlagbild des Tim-und-Struppi-Comics Der Blaue Lotos des Zeichners Hergé erzielt bei einer Versteigerung in Paris einen Rekordwert von 3,2 Millionen Euro. 15. Januar: Die US-Waffenlobby National Rifle Association of America meldet Konkurs an, um sich der Strafverfolgung zu entziehen. 17. Januar: Der deutsche Regisseur Wim Wenders wird auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis mit dem Ehrenpreis ausgezeichnet. Der Spielfilm Borga von York-Fabian Raabe erhiält am 23. Januar den Hauptpreis als bester Film. 20. Januar: Die Internationale Grüne Woche Berlin findet aufgrund der COVID-19-Pandemie zum ersten Mal nur als digitales Event statt. Am 12. Februar beginnt mit dem Chinesischen Neujahrsfest das Jahr des Metall-Büffels. 25. April: Zum zweiten Mal in der Geschichte der Oscarverleihung gewinnt mit Chloé Zhao eine Filmemacherin den Regiepreis. Ihr Werk Nomadland wird außerdem als bester Film und für die beste weibliche Hauptrolle ausgezeichnet. April bis Oktober: Die Bundesgartenschau findet in Erfurt statt. Mai: 65. Eurovision Song Contest in Rotterdam, Niederlande 17. Juli: Zum zweiten Mal in der Geschichte des Filmfestivals von Cannes gewinnt mit Julia Ducournau (Titane) eine Filmemacherin den Hauptpreis Goldene Palme. Sport 3. Januar: Gerwyn Price aus Wales gewinnt die PDC World Darts Championship. 6. Januar: Kamil Stoch aus Polen gewinnt die 69. Vierschanzentournee. 13.–31. Januar: Handball-Weltmeisterschaft der Männer in Ägypten; Dänemark gewinnt im Endspiel gegen Schweden. 15. Januar: Das Landgericht München II verurteilt den deutschen Sportmediziner Mark Schmidt wegen Blutdopings von Winter- und Radsportlern zu mehr als vier Jahren Haft. 18. Januar: Die Internationale Eishockey-Föderation entzieht Co-Gastgeber Belarus aus Sicherheitsgründen die Eishockey-Weltmeisterschaft der Herren 2021. Das Turnier findet allein in Riga, Lettland, statt. 7. Februar: Die Tampa Bay Buccaneers gewinnen mit 31:9 im heimischen Raymond James Stadium den Super Bowl LV gegen die Kansas City Chiefs. 9.–21. Februar: 46. Alpine Skiweltmeisterschaften in Cortina d’Ampezzo, Italien 11.–21. Februar: 52. Biathlon-Weltmeisterschaften in Pokljuka, Slowenien 11. Februar: Der FC Bayern München gewinnt mit 1:0 die FIFA-Klub-Weltmeisterschaft 2020 gegen die UANL Tigres. 23. Februar–7. März: 53. Nordische Skiweltmeisterschaften in Oberstdorf, Deutschland 26. März–12. Dezember: 72. Formel 1 Weltmeisterschaft 21. Mai–6. Juni: 84. Eishockeyweltmeisterschaft der Herren in Riga, Lettland; Kanada besiegt im Finale Titelverteidiger Finnland. 29. Mai: Jason Dupasquier wird zusammen mit Ayumu Sasaki und Jeremy Alcoba in der Moto3-Weltmeisterschaft in einen schweren Sturz verwickelt. Dupasquier verstirbt am 30. Mai aufgrund der schweren Verletzungen. 11. Juni–11. Juli: 16. Fußball-Europameisterschaft der Männer 23. Juni: Neuseeland gewinnt das Finale der ersten ICC World Test Championship gegen Indien mit acht Wickets. 3. Juli–7. August: Tour der British and Irish Lions nach Südafrika 2021 11. Juli: Italien gewinnt die UEFA Fußball-Europameisterschaft im Londoner Wembley-Stadion mit einem 3:2 im Elfmeterschießen gegen England. 23. Juli–8. August: Spiele der XXXII. Olympiade in Tokio XVI. Sommer-Paralympics in Tokio 26. September: Frankfurt Galaxy gewinnt in Düsseldorf die erste Meisterschaft der European League of Football 14. November: Im Finale des T20 World Cups im Dubai International Cricket Stadium besiegt Australien Neuseeland mit acht Wickets und sichert sich damit den ersten Weltmeisterschaftstitel in diesem Cricket-Format. 12. Dezember: Max Verstappen gewinnt mit einem Überholmanöver in der letzten Runde des Großen Preises von Abu Dhabi gegen seinen direkten Konkurrenten Lewis Hamilton zum ersten Mal die Formel-1-Weltmeisterschaft. Er ist damit gleichzeitig der erste niederländische Formel-1-Weltmeister. Wissenschaftspreise Nobelpreise Die Bekanntgaben der Nobelpreisträger des Jahres 2021 fanden vom 4. bis zum 11. Oktober statt. Die Auszeichnungen konnten am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, wegen der COVID-19-Pandemie nicht persönlich übergeben werden. Physiologie oder Medizin: David Julius und Ardem Patapoutian Physik: Klaus Hasselmann, Syukuro Manabe und Giorgio Parisi Chemie: Benjamin List und David MacMillan Literatur: Abdulrazak Gurnah Frieden: Maria Ressa und Dmitri Muratow Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften: David Card, Joshua Angrist und Guido Imbens Turing Award Jack Dongarra, für Beiträge zu numerischen Algorithmen und Bibliotheken, die bei Hochleistungs-Computersoftware zu einer ebenso exponentiellen Verbesserung führte, wie bei der Hardware. Gedenktage 5. Januar: 100. Geburtstag des Schweizer Schriftstellers, Dramatikers und Malers Friedrich Dürrenmatt 16. Februar: 200. Geburtstag des deutschen Afrikaforschers Heinrich Barth 19. März: 300. Todestag des italienischen Papstes Clemens XI. 28. März: 100. Geburtstag von Herschel Grynszpan (Widerstandskämpfer) 31. März: 400. Todestag des Königs von Spaniens Philipp III. und (als Philipp II.) von Portugal 9. April: 200. Geburtstag des französischen Dichter der Moderne Charles Baudelaire 16. April: 100. Geburtstag des Schriftstellers, Schauspielers und Regisseurs Peter Ustinov 20. April: 200. Todestag des deutschen Physikers und Chemikers Franz Carl Achard 27. April: 100. Geburtstag des deutschen Schauspielers und Fernsehmoderators Hans-Joachim Kulenkampff 27. April: 500. Todestag des portugiesischen Seefahrers Ferdinand Magellan 5. Mai: 200. Todestag des französischen Kaisers Napoleon Bonaparte 5. Mai: 100. Geburtstag des US-amerikanischen Physikers Arthur L. Schawlow, Friedensnobelpreisträger 10. Mai: 500. Todestag des deutschen Humanisten und Autors Sebastian Brant 21. Mai: 100. Geburtstag des sowjetischen Atomwissenschaftlers Andrei Dmitrijewitsch Sacharow, Friedensnobelpreisträger 12. Mai: 100. Geburtstag des deutschen Künstlers Joseph Beuys 6. Juli: 100. Geburtstag der US-amerikanischen Schauspielerin und First Lady Nancy Reagan 11. Juli: 100. Geburtstag der deutschen Schauspielerin Ilse Werner 31. August: 200. Geburtstag des deutschen Physiologen und Physikers Hermann von Helmholtz 26. Mai: 600. Todestag des Sultan des Osmanischen Reiches Mehmed I. 8. Juni: 500. Todestag des Kaisers von China aus der Ming-Dynastie Zhengde 6. August: 800. Todestag des katholischen Heiligen Dominikus und Gründer des Predigerordens 19. August: 100. Geburtstag vom US-amerikanischen Drehbuchautor und Fernseh- und Filmproduzenten Gene Roddenberry 12. September: 100. Geburtstag des polnischen Philosophen, Essayist und Science-Fiction-Autors Stanisław Lem 14. September: 700. Todestag des italienischen Dichters und Philosophen Dante Alighieri 13. Oktober: 200. Geburtstag des deutschen Arztes, Pathologen und Politikers Rudolf Virchow 11. November: 200. Geburtstag des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski 1. Dezember: 500 Todestag des italienischen Papstes Leo X. 12. Dezember: 200. Geburtstag des französischen Schriftstellers Gustave Flaubert 13. Dezember: 500. Todestag des portugiesischen Königs Manuel I. Jahrestage 3. Januar: 500. Gedenktag der Exkommunikation von Martin Luthers durch Papst Leo X. (Reichstag zu Worms (1521)) 15. Januar: 20. Geburtstag der Wikipedia 18. Januar: 150. Jahrestag der Deutschen Reichsgründung 11. März: 10. Jahrestag der Nuklearkatastrophe von Fukushima Juli: 150. Jahrestag der Einführung der japanischen Währung Yen 22. Juli: 10. Jahrestag der Anschläge in Norwegen 2011 23. August: 75. Jahrestag der Gründung der Länder Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein 30. August: 75. Jahrestag der Gründung des Landes Rheinland-Pfalz September: 800. Jahresgedenktag des Ende des Kreuzzuges von Damiette in Ägypten 10. September: 300. Jahresgedenktages des Frieden von Nystad (Ende des Großen Nordischen Krieges) 11. September: 20. Jahrestag der Terroranschläge am 11. September 2001 21 September: 100. Jahrestag der Explosion des Oppauer Stickstoffwerkes 1. November: 75. Jahrestag der Gründung des Landes Niedersachsen Coronavirus 2021 blieb zu Beginn weiter stark von der im Vorjahr ausgebrochenen COVID-19-Pandemie geprägt. Anfang Januar gab es weltweit über 80 Millionen bestätigte Infektionsfälle, rund 1,8 Millionen Menschen waren im Zusammenhang mit einer COVID-19-Erkrankung gestorben. Zahlreiche Staaten weltweit, darunter auch Deutschland, konnten nach Zulassung neuentwickelter Impfstoffe zum Jahreswechsel mit Schutzimpfungen gegen die Krankheit beginnen. Während die Impfkampagnen mit unterschiedlichem Erfolg anliefen, kam es in den ersten Monaten des Jahres in Europa zu einer heftigen dritten Verbreitungswelle von COVID-19, darunter vor allem in Tschechien, Polen und Ungarn. Kulturelle Referenzen Im Jahr 2021 angesiedelt sind die Filme Vernetzt – Johnny Mnemonic, It’s All About Love und Moonfall (Film). Die Handlung des Romans Träumen Androiden von elektrischen Schafen? von Philip K. Dick spielt im Jahr 2021. Das Buch wurde später unter dem Namen Blade Runner verfilmt. Auch der Roman Duplik Jonas 7 spielt im Jahr 2021. Geboren 4. Juni: Lilibet Mountbatten-Windsor Gestorben Januar 1. Januar: Floyd Little, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1942) 2. Januar: Paul Westphal, US-amerikanischer Basketballspieler und -trainer (* 1950) 3. Januar: Renate Lasker-Harpprecht, deutsche Holocaustüberlebende, Autorin und Journalistin (* 1924) 3. Januar: Gerry Marsden, britischer Sänger und Musiker (* 1942) 4. Januar: Tanya Roberts, US-amerikanische Schauspielerin (* 1955) 4. Januar: Martinus J. G. Veltman, niederländischer Physiker und Nobelpreisträger (* 1931) 4. Januar: Karl-Heinz Vosgerau, deutscher Schauspieler (* 1927) 5. Januar: Arnim Basche, deutscher Sportjournalist und Moderator (* 1934) 7. Januar: Michael Apted, britischer Regisseur von Spiel- und Dokumentarfilmen (* 1941) 7. Januar: Thomas Gumpert, deutscher Schauspieler (* 1952) 7. Januar: Marion Ramsey, US-amerikanische Schauspielerin (* 1947) 10. Januar: Peter Blond, britischer Unternehmer und Autorennfahrer (* 1929) 13. Januar: Siegfried Fischbacher, deutsch-amerikanischer Zauberkünstler (* 1939) 13. Januar: Bernd Kannenberg, deutscher Leichtathlet und Olympiasieger (* 1942) 21. Januar: Cecilia Mangini, italienische Regisseurin, Drehbuchautorin und Fotografin (* 1927) 22. Januar: Hank Aaron, US-amerikanischer Baseballspieler (* 1934) 23. Januar: Hal Holbrook, US-amerikanischer Schauspieler und Autor (* 1925) 23. Januar: Larry King, US-amerikanischer Journalist (* 1933) 24. Januar: Arik Brauer, österreichischer Künstler (* 1929) 26. Januar: Sergei Eduardowitsch Prichodko, russischer Politiker und Diplomat (* 1957) 27. Januar: Cloris Leachman, US-amerikanische Schauspielerin (* 1926) 28. Januar: Paul J. Crutzen, niederländischer Meteorologe und Nobelpreisträger (* 1933) 28. Januar: Cicely Tyson, US-amerikanische Schauspielerin (* 1924) 30. Januar: Wilhelm Knabe, deutscher Politiker und Forstwissenschaftler (* 1923) Februar 2. Februar: Edward Babiuch, polnischer Politiker (* 1927) 2. Februar: Millie Hughes-Fulford, US-amerikanische Biochemikerin und Astronautin (* 1945) 2. Februar: Bettina Schön, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin (* 1926) 5. Februar: Christopher Plummer, kanadischer Schauspieler (* 1929) 6. Februar: George P. Shultz, US-amerikanischer Politiker (* 1920) 8. Februar: Jean-Claude Carrière, französischer Drehbuchautor und Schriftsteller (* 1931) 8. Februar: Mary Wilson, US-amerikanische Sängerin (* 1944) 9. Februar: Chick Corea, US-amerikanischer Musiker (* 1941) 10. Februar: Larry Flynt, US-amerikanischer Verleger, Publizist und Autor (* 1942) 10. Februar: Heinz Schuster-Šewc, sorbischer Slawist und Hochschulprofessor (* 1927) 13. Februar: John Harris, britischer Autorennfahrer (* 1938) 14. Februar: Carlos Menem, argentinischer Politiker, Präsident von 1989 bis 1999 (* 1930) 14. Februar: Doug Mountjoy, walisischer Snookerspieler (* 1942) 16. Februar: Bernard Lown, US-amerikanischer Kardiologe und Nobelpreisträger (* 1921) 17. Februar: Gene Summers, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker (* 1939) 24. Februar: Philippe Jaccottet, Schweizer Autor (* 1925) 24. Februar: Alan Robert Murray, US-amerikanischer Tontechniker (* 1954) 24. Februar: Joseph N’singa Udjuu Ongwabeki Untubu, kongolesischer Politiker (* 1934) 25. Februar: Dieter Michael Feineis, deutscher römisch-katholischer Geistlicher und Kirchenhistoriker (* 1945) 26. Februar: Hannu Mikkola, finnischer Rallyefahrer (* 1942) 26. Februar: Michael Somare, papua-neuguineischer Politiker (* 1936) März 2. März: Chris Barber, britischer Posaunist, Kontrabassist, Sänger und Jazz-Bandleader (* 1930) 2. März: Bunny Wailer, jamaikanischer Reggae-Musiker (* 1947) 5. März: Claus-Wilhelm Canaris, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1937) 6. März: Katja Behrens, deutsche Schriftstellerin (* 1942) 9. März: James Levine, US-amerikanischer Dirigent und Pianist (* 1943) 9. März: John Polkinghorne, britischer Teilchenphysiker, anglikanischer Pfarrer und Autor (* 1930) 10. März: Hamed Bakayoko, ivorischer Politiker (* 1965) 11. März: Ray Campi, US-amerikanischer Rockabilly-Sänger und Kontrabassspieler (* 1934) 11. März: Peter Patzak, österreichischer Filmregisseur (* 1945) 12. März: Goodwill Zwelithini kaBhekuzulu, südafrikanischer Zulukönig (* 1948) 13. März: Marvelous Marvin Hagler, US-amerikanischer Boxer (* 1954) 13. März: Murray Walker, britischer Reporter und TV-Kommentator (* 1923) 16. März: Sabine Schmitz, deutsche Autorennfahrerin und Fernsehmoderatorin (* 1969) 17. März: John Magufuli, Präsident von Tansania (* 1959) 18. März: Michael Stolleis, deutscher Jurist und Rechtshistoriker (* 1941) 21. März: Nawal El Saadawi, ägyptische Schriftstellerin und Menschenrechtlerin (* 1931) 22. März: Elgin Baylor, US-amerikanischer Basketballspieler (* 1934) 23. März: George Segal, US-amerikanischer Schauspieler (* 1934) 25. März: Uta Ranke-Heinemann, deutsche Theologin und Autorin (* 1927) 25. März: Bertrand Tavernier, französischer Filmregisseur (* 1941) 28. März: Didier Ratsiraka, madagassischer Politiker (* 1936) 29. März: Robert Opron, französischer Architekt und Automobildesigner (* 1932) 31. März: Kamal al-Ganzuri, ägyptischer Politiker (* 1933) 31. März: Günter Pappenheim, deutscher Widerstandskämpfer und Politiker (* 1925) April 1. April: Isamu Akasaki, japanischer Ingenieurwissenschaftler und Nobelpreisträger (* 1929) 1. April: Hugo Portisch, österreichischer Journalist (* 1927) 3. April: Christian Wiyghan Tumi, kamerunischer Geistlicher (* 1930) 4. April: Robert Mundell, kanadischer Volkswirt und Nobelpreisträger (* 1932) 6. April: Hans Küng, Schweizer Theologe (* 1928) 7. April: Edwin Kelm, bessarabiendeutscher Bauunternehmer (* 1928) 8. April: Jovan Divjak, bosnischer General (* 1937) 8. April: Ismael Ivo, brasilianischer Tänzer und Choreograf (* 1955) 9. April: DMX, US-amerikanischer Rapper und Schauspieler (* 1970) 9. April: Philip, Duke of Edinburgh, britischer Prinzgemahl (* 1921) 13. April: Walter Prior, österreichischer Politiker (* 1947) 14. April: Yıldırım Akbulut, türkischer Politiker (* 1935) 14. April: Bernard L. Madoff, US-amerikanischer Börsenmakler und Anlagebetrüger (* 1938) 16. April: Horst Richter, deutscher Ökonom (* 1931) 16. April: Charles Geschke, US-amerikanischer Softwareentwickler und Unternehmer (* 1939) 16. April: Barry Mason, britischer Songschreiber (* 1935) 16. April: Helen McCrory, britische Schauspielerin (* 1968) 17. April: Paul Helminger, luxemburgischer Politiker (* 1940) 18. April: Anna Justice, deutsche Filmregisseurin und Drehbuchautorin (* 1962) 19. April: Walter Mondale, US-amerikanischer Politiker (* 1928) 19. April: Jim Steinman, US-amerikanischer Rock- und Musical-Komponist und Musikproduzent (* 1947) 20. April: Idriss Déby, Präsident des Tschad (* 1952) 20. April: Willi Herren, deutscher Entertainer, Schauspieler und Schlagersänger (* 1975) 21. April: Thomas Fritsch, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1944) 23. April: Milva, italienische Sängerin und Schauspielerin (* 1939) 24. April: Christa Ludwig, deutsche Opern- und Konzertsängerin (* 1928) 26. April: Tamara Press, sowjetische Kugelstoßerin und Diskuswerferin (* 1937) 28. April: Michael Collins, US-amerikanischer Astronaut (* 1930) 28. April: El Risitas, spanischer Komiker und Schauspieler (* 1956) Mai 1. Mai: Olympia Dukakis, US-amerikanische Schauspielerin (* 1931) 1. Mai: Helen Free, US-amerikanische Chemikerin (* 1923) 2. Mai: Carlos Romero Barceló, puerto-ricanischer Politiker (* 1932) 4. Mai: Jan Hahn, deutscher Radio- und Fernsehmoderator und Schauspieler (* 1973) 4. Mai: Nick Kamen, britischer Sänger (* 1962) 8. Mai: Helmut Jahn, deutscher Architekt (* 1940) 9. Mai: Karl-Günther von Hase, deutscher Offizier, Diplomat und Intendant (* 1917) 11. Mai: Norman Lloyd, US-amerikanischer Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent (* 1914) 12. Mai: Peter Kimmel, deutscher Jurist (* 1938) 18. Mai: Franco Battiato, italienischer Komponist, Maler und Regisseur (* 1945) 19. Mai: Lee Evans, US-amerikanischer Leichtathlet (* 1947) 21. Mai: Roman Kent, polnisch-US-amerikanischer Holocaust-Überlebender (* 1929) 23. Mai: Eric Carle, deutsch-US-amerikanischer Kinderbuchautor (* 1929) 23. Mai: Max Mosley, britischer Sportfunktionär (* 1940) 25. Mai: John Warner, US-amerikanischer Politiker (* 1927) 26. Mai: Tarcisio Burgnich, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1939) 27. Mai: Poul Schlüter, dänischer Politiker (* 1929) 30. Mai: Jason Dupasquier, Schweizer Motorradrennfahrer (* 2001) Juni 1. Juni: Amadeus von Savoyen, italienischer Unternehmer (* 1943) 2. Juni: Fritz Hollenbeck, deutscher Schauspieler (* 1929) 3. Juni: Anerood Jugnauth, mauritischer Politiker (* 1930) 4. Juni: Richard R. Ernst, Schweizer Chemiker und Nobelpreisträger (* 1933) 4. Juni: Friederike Mayröcker, österreichische Schriftstellerin (* 1924) 6. Juni: Ei-ichi Negishi, japanischer Chemiker und Nobelpreisträger (* 1935) 7. Juni: Ali Akbar Mohtaschami, iranisch-schiitischer Kleriker, Gründer der Hisbollah (* 1947) 7. Juni: Horst Pillau, deutscher Dramatiker, Romancier, Hörspiel- und Drehbuchautor (* 1932) 9. Juni: Gottfried Böhm, deutscher Architekt (* 1920) 9. Juni: Philipp Mickenbecker, deutscher YouTuber (* 1997) 9. Juni: Libuše Šafránková, tschechische Schauspielerin (* 1953) 11. Juni: Jürgen Liminski, deutscher Journalist und Publizist (* 1950) 11. Juni: Lucinda Riley, nordirische Schriftstellerin (* 1965) 13. Juni: Ned Beatty, US-amerikanischer Schauspieler (* 1937) 14. Juni: Enrique Bolaños Geyer, nicaraguanischer Präsident (* 1928) 14. Juni: Gustava Mösler, deutsche Journalistin (* 1920) 17. Juni: Kenneth Kaunda, sambischer Präsident (* 1924) 23. Juni: John McAfee, britisch-US-amerikanischer Programmierer (* 1945) 24. Juni: Benigno Aquino III., philippinischer Präsident (* 1960) 25. Juni: Wes Madiko, kamerunischer Sänger (* 1964) 29. Juni: John Lawton, britischer Rocksänger (* 1946) 29. Juni: Donald Rumsfeld, US-amerikanischer Politiker (* 1932) Juli 2. Juli: Bill Ramsey, US-amerikanisch-deutscher Jazz- und Schlagersänger (* 1931) 4. Juli: Richard Lewontin, US-amerikanischer Evolutionsbiologe und Genetiker (* 1929) 5. Juli: Raffaella Carrà, italienische Schauspielerin und Sängerin (* 1943) 5. Juli: Richard Donner, US-amerikanischer Regisseur und Schauspieler (* 1930) 6. Juli: Patrick John, dominicanischer Politiker (* 1938) 7. Juli: Ahmad Dschibril, palästinensischer Politiker (* 1938) 7. Juli: Jovenel Moïse, haitianischer Präsident (* 1968) 7. Juli: Carlos Reutemann, argentinischer Automobilrennfahrer (* 1942) 9. Juli: Gian Franco Kasper, Schweizer Sportfunktionär (* 1944) 9. Juli: Dschihan as-Sadat, ägyptische First Lady und Bürgerrechtlerin (* 1933) 10. Juli: Esther Bejarano, deutsche Holocaust-Überlebende, Antifaschistin und Sängerin (* 1924) 14. Juli: Mamnoon Hussain, pakistanischer Geschäftsmann und Politiker (* 1940) 14. Juli: Kurt Westergaard, dänischer Karikaturist (* 1935) 15. Juli: Peter R. de Vries, niederländischer Journalist (* 1956) 15. Juli: William F. Nolan, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1928) 17. Juli: Graham Vick, britischer Opernregisseur (* 1953) 20. Juli: Christoph Demke, deutscher Theologe und Bischof (* 1935) 21. Juli: Hartwig Steusloff, deutscher Informatiker und Hochschullehrer (* 1937) 23. Juli: Alfred Biolek, deutscher Fernsehunterhaltungskünstler, Talkmaster, Jurist, Kochbuchautor und Fernsehproduzent (* 1934) 23. Juli: Toshihide Masukawa, japanischer Physiker und Nobelpreisträger (* 1940) 23. Juli: Steven Weinberg, US-amerikanischer Physiker und Nobelpreisträger (* 1933) 24. Juli: Herbert Köfer, deutscher Schauspieler, Moderator, Hörspiel- und Synchronsprecher (* 1921) 25. Juli: Otelo Saraiva de Carvalho, portugiesischer Offizier (* 1936) 26. Juli: Joey Jordison, US-amerikanischer Schlagzeuger (* 1975) 27. Juli: Dusty Hill, US-amerikanischer Bluesrockmusiker (* 1949) August 5. August: Jewhen Martschuk, ukrainischer Politiker (* 1941) 9. August: Joey Ambrose, US-amerikanischer Saxophonist (* 1934) 9. August: Sergei Adamowitsch Kowaljow, sowjetischer bzw. russischer Menschenrechtler (* 1930) 12. August: Kurt Biedenkopf, deutscher Politiker (* 1930) 14. August: Carlos Correia, guinea-bissauischer Politiker (* 1933) 15. August: Abdelhamid Brahimi, algerischer Politiker (* 1936) 15. August: Gerd Müller, deutscher Fußballspieler (* 1945) 19. August: Wolfgang Scholz, deutscher Feuerwehrmann (* 1932) 21. August: Don Everly, US-amerikanischer Sänger und Gitarrist (* 1937) 24. August: Kyle Anderson, australischer Dartspieler (* 1987) 24. August: Hissène Habré, tschadischer Politiker (* 1942) 24. August: Charlie Watts, britischer Schlagzeuger (* 1941) 25. August: Muhsin Ahmad al-Aini, jemenitischer Politiker und Diplomat (* 1932) 25. August: Ludger Stratmann, deutscher Arzt und Kabarettist (* 1948) 27. August: Edmond Henri Fischer, schweizerisch-US-amerikanischer Biochemiker und Nobelpreisträger (* 1920) 27. August: Heide Keller, deutsche Schauspielerin und Drehbuchautorin (* 1939) 27. August: Wolf-Dieter Poschmann, deutscher Sportmoderator (* 1951) 29. August: Ed Asner, US-amerikanischer Schauspieler (* 1929) 29. August: Lee Scratch Perry, jamaikanischer Musikproduzent und Musiker (* 1936) 29. August: Jacques Rogge, belgischer Sportfunktionär und Chirurg (* 1942) 30. August: Maggie Mae, deutsche Schlagersängerin und Schauspielerin (* 1960) September 2. September: Mikis Theodorakis, griechischer Komponist, Schriftsteller und Politiker (* 1925) 4. September: Ludwig Haas, deutscher Schauspieler (* 1933) 4. September: Jörg Schlaich, deutscher Bauingenieur (* 1934) 5. September: Sarah Harding, britische Sängerin und Model (* 1981) 6. September: Jean-Paul Belmondo, französischer Film- und Theaterschauspieler (* 1933) 10. September: Charles Konan Banny, ivorischer Politiker (* 1942) 10. September: Yacef Saadi, algerischer Widerstandskämpfer (* 1928) 10. September: Jorge Sampaio, portugiesischer Politiker (* 1939) 13. September: Antony Hewish, britischer Radioastronom und Nobelpreisträger (* 1924) 13. September: Borisav Jović, serbischer bzw. jugoslawischer Politiker (* 1928) 14. September: Norm MacDonald, kanadischer Schauspieler und Drehbuchautor (* 1959) 14. September: Jurij Sjedych, sowjetischer bzw. ukrainischer Leichtathlet (* 1955) 17. September: Abd al-Aziz Bouteflika, algerischer Politiker (* 1937) 18. September: Wilfried Dziallas, deutscher Schauspieler, Hörspielsprecher und Regisseur (* 1944) 20. September: Sarah Dash, US-amerikanische Soulsängerin (* 1945) 21. September: Gerold Reutter, deutscher Architekt und Maler (* 1924) 21. September: Mohammed Hussein Tantawi, ägyptischer Militär und Politiker (* 1935) 22. September: Abdelkader Bensalah, algerischer Politiker (* 1941) 26. September: Alan Lancaster, britischer Rockmusiker (* 1949) 27. September: Heinz Lieven, deutscher Schauspieler (* 1928) 28. September: Barry Ryan, britischer Sänger (* 1948) Oktober 3. Oktober: Bernard Tapie, französischer Unternehmer, Politiker und Schauspieler (* 1943) 5. Oktober: Jürgen Goslar, deutscher Schauspieler, Regisseur und Synchronsprecher (* 1927) 7. Oktober: Rainer Holzschuh, deutscher Journalist (* 1944) 9. Oktober: Abolhassan Banisadr, iranischer Präsident (* 1933) 10. Oktober: Abdul Kadir Khan, pakistanischer Ingenieur (* 1936) 12. Oktober: Raúl Baduel, venezolanischer Politiker und Militär (* 1955) 15. Oktober: Reinhold Roth, deutscher Motorradrennfahrer (* 1953) 15. Oktober: Gerd Ruge, deutscher Journalist (* 1928) 18. Oktober: Edita Gruberová, slowakische Opernsängerin (* 1946) 18. Oktober: William Lucking, US-amerikanischer Film- und Theaterschauspieler (* 1941) 18. Oktober: Colin Powell, US-amerikanischer Politiker und Außenminister der Vereinigten Staaten (* 1937) 21. Oktober: Bernard Haitink, niederländischer Dirigent (* 1929) 24. Oktober: Werner Sonntag, deutscher Journalist, Buchautor und Langstreckenläufer (* 1926) 24. Oktober: Erna de Vries, deutsche Holocaustüberlebende (* 1923) 24. Oktober: Ruth Zacharias, deutsche Pastorin und Leiterin des Taubblindendienstes der EKD (* 1940) 26. Oktober: Roh Tae-woo, südkoreanischer General und Politiker (* 1932) 27. Oktober: Bettina Gaus, deutsche Journalistin (* 1956) 27. Oktober: Bernd Nickel, deutscher Fußballspieler (* 1949) 27. Oktober: Paul Smart, britischer Motorradrennfahrer (* 1943) 30. Oktober: Holger Obermann, deutscher Fußballtorhüter und Fernsehreporter (* 1936) 31. Oktober: Doğan Akhanlı, deutscher Schriftsteller (* 1957) November 1. November: Aaron T. Beck, US-amerikanischer Psychiater und Psychotherapeut (* 1921) 2. November: Raimund Krone, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1946) 4. November: Tamara Trampe, deutsche Filmemacherin (* 1942) 4. November: Roger Zatkoff, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1931) 6. November: Walter Niklaus, deutscher Schauspieler, Hörspiel- und Synchronsprecher (* 1925) 6. November: Cissé Mariam Kaïdama Sidibé, malische Politikerin (* 1948) 11. November: Frederik Willem de Klerk, südafrikanischer Politiker und Friedensnobelpreisträger (* 1936) 12. November: Matthew Festing, britischer Großmeister des Malteserordens (* 1949) 12. November: Paul Gludovatz, österreichischer Fußballtrainer (* 1946) 17. November: Christine Laszar, deutsche Schauspielerin (* 1931) 18. November: Ardeschir Zahedi, iranischer Diplomat und Politiker (* 1928) 20. November: Ted Herold, deutscher Sänger (* 1942) 21. November: Kostas Papanastasiou, griechischer Schauspieler (* 1937) 22. November: Noah Gordon, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1926) 22. November: Volker Lechtenbrink, deutscher Schauspieler, Synchronsprecher und Regisseur (* 1944) 22. November: Marie Versini, französische Schauspielerin (* 1940) 23. November: Chun Doo-hwan, südkoreanischer Politiker (* 1931) 26. November: Stephen Sondheim, US-amerikanischer Musicalkomponist- und Texter (* 1930) 28. November: Norodom Ranariddh, kambodschanischer Politiker (* 1944) 28. November: Frank Williams, britischer Unternehmer und ehemaliger Formel-1-Teamchef (* 1942) 29. November: Arlene Dahl, US-amerikanische Schauspielerin (* 1925) 29. November: C.J. Hunter, US-amerikanischer Kugelstoßer (* 1968) 30. November: Trude Unruh, deutsche Politikerin (* 1925) Dezember 3. Dezember: Lamine Diack, senegalesischer Sportfunktionär (* 1933) 3. Dezember: Horst Eckel, deutscher Fußballspieler (* 1932) 3. Dezember: Mirco Nontschew, deutscher Komiker (* 1969) 5. Dezember: Bob Dole, US-amerikanischer Politiker, Senator und Präsidentschaftskandidat der Republikanischen Partei (* 1923) 5. Dezember: Roland Dressel, deutscher Kameramann (* 1932) 5. Dezember: John Miles, britischer Musiker (* 1949) 6. Dezember: Kåre Willoch, norwegischer Politiker (* 1928) 8. Dezember: Rémy Pochauvin, französischer Autorennfahrer (* 1961) 9. Dezember: Lina Wertmüller, italienische Filmemacherin (* 1928) 10. Dezember: Günther Rühle, deutscher Theaterkritiker und -intendant (* 1924) 10. Dezember: Michael Nesmith, US-amerikanischer Musiker und Schauspieler (* 1942) 10. Dezember: Christl Wiemer, deutsche Animationsfilmerin (* 1929) 11. Dezember: Manuel Santana, spanischer Tennisspieler (* 1938) 17. Dezember: Klaus Wagenbach, deutscher Verleger und Autor (* 1930) 18. Dezember: Richard Rogers, britischer Architekt (* 1933) 19. Dezember: Sepp Forcher, österreichischer Radio- und Fernsehmoderator (* 1930) 19. Dezember: Robert Grubbs, US-amerikanischer Chemiker und Nobelpreisträger (* 1942) 23. Dezember: Georg Aigner, deutscher Ingenieur und Politiker (* 1934) 23. Dezember: Joan Didion, US-amerikanische Schriftstellerin (* 1934) 25. Dezember: Jean-Marc Vallée, kanadischer Regisseur, Drehbuchautor, Filmeditor, Schauspieler und Filmproduzent (* 1963) 26. Dezember: Karolos Papoulias, griechischer Politiker (* 1929) 26. Dezember: Desmond Tutu, südafrikanischer anglikanischer Geistlicher und Friedensnobelpreisträger (* 1931) 26. Dezember: Edward O. Wilson, US-amerikanischer Entomologe und Biologe (* 1929) 28. Dezember: John Madden, US-amerikanischer American-Football-Spieler, -Trainer und -Kommentator (* 1936) 28. Dezember: Sabine Weiss, schweizerisch-französische Fotografin (* 1924) 30. Dezember: Ponkie, deutsche Journalistin und Filmkritikerin (* 1926) 31. Dezember: Betty White, US-amerikanische Schauspielerin, Komikerin, Synchronsprecherin und Moderatorin (* 1922) Galerie der Verstorbenen (Die Jahreszahlen beziehen sich auf das Aufnahmejahr) Weblinks Einzelnachweise
Q49628
2,162.909119
1575630
https://de.wikipedia.org/wiki/Xiaoshuo
Xiaoshuo
Xiaoshuo () bezeichnet eine Prosa-Literaturform der chinesischen Literatur. Diese Literaturform, die im Allgemeinen von westlichen Literaturwissenschaftlern „chinesische Novelle“ genannt wird, entstand aus der mündlichen Erzähltradition und genoss im Gegensatz zur Poesie oder dem kunstvollen Essay im alten China kein hohes Ansehen, da sie in verschriftlichter Umgangssprache und nicht in klassischem Chinesisch verfasst wurde. Es war mit dieser Kleinen Erzählung kein Ruhm, kein Amt zu gewinnen. Diese ursprünglich abwertende Bezeichnung Xiaoshuo wurde im Lauf der Zeit dann zur Gattungsbezeichnung für erzählende Prosa und Roman im Allgemeinen, wird allerdings in Büchern wie Die goldene Truhe (Wolfgang Bauer und Herbert Franke) auch ganz speziell für kurze, einprägsame Erzählungen verwendet, die am ehesten dem westlichen Verständnis von Novellen entsprechen. Zudem wird unterschieden zwischen schriftsprachlichen (siehe beispielsweise die Sammlung Jingu qiguan) und umgangssprachlichen (Tang-Zeit, 7.–9. Jahrhundert) Erzählungen, die erst im 12. und 13. Jahrhundert zur schriftlichen Form fanden. Dieser Tradition entstammt auch die Gattungsbezeichnung für den modernen Roman, der im Chinesischen ebenfalls als Xiaoshuo bekannt ist. Siehe auch: Mündliche Überlieferung, Roman (China) Literatur Mündliche Überlieferung Literatur (Chinesisch) Xiaoshuo
Q59126
124.076102
334544
https://de.wikipedia.org/wiki/Tschernihiw
Tschernihiw
Tschernihiw ( ; ; ) ist eine Großstadt am Ufer der Desna in der Ukraine und Hauptstadt der Oblast Tschernihiw sowie des Rajons Tschernihiw mit etwa 285.000 Einwohnern (2021). Die Stadt ist durch das dort befindliche Operative Armeekommando Nord ein bedeutender Standort der ukrainischen Armee. Verwaltungsgliederung Verwaltungstechnisch gliedert sich die Stadtgemeinde in die beiden Stadtrajone Desna mit den Stadtteilen Dytynez (Дитинець), Tretjak (Третяк), Peredhoroddja (Передгороддя), Okolnyj hrad (Окольний град), Bobrowyzja (Бобровиця), Pjat Kutiw ploschtscha (П'ять Кутів площа) und Jaliwschtschyna (Ялівщина) Nowosawod mit den Stadtteilen Tretjak (Третяк), Tschortoryjiwskyj Jary (Чорториївські Яри), Schawynka (Жавинка), Sabariwka (Забарівка), Sachidne (Західне), Koty (Коти), Liskowyzja (Лісковиця), Massany (Масани), Podussiwka Nowa (Подусівка Нова) und Podussiwka Stara (Подусівка Стара) Geschichte Tschernihiw (frühere Bezeichnungen: Tschernigow oder Tschernigau) ist eine der ältesten und bedeutendsten Städte der Kiewer Rus. Sie war das Zentrum des ostslawischen Stammes der Sewerjanen. Bei der Ersterwähnung im Jahre 907 wurde die Stadt bei einer Aufzählung gleich nach Kiew genannt. Tschernihiw war vom 11. bis zum 13. Jahrhundert Hauptstadt des Fürstentums Tschernigow, das 1239 von den Mongolen geplündert wurde. Spuren jener Zeit finden sich im schwarzen Grab. Ab 1370 gehörte die Stadt zum Großfürstentum Litauen, seit 1503 zum Großfürstentum Moskau. 17. bis 19. Jahrhundert Im polnisch-russischen Krieg wurde Tschernihiw 1611 von polnischen Truppen fast vollständig zerstört. Durch den Vertrag von Deulino wurde die Stadt 1618 vom Zarentum Russland an den polnisch-litauischen Staatsverband abgetreten. 1623 erhielt Tschernihiw das Stadtrecht nach Magdeburger Recht. 1635 wurde die Woiwodschaft Czernihów gebildet. Durch den Chmelnyzkyj-Aufstand von 1648 kam die Stadt unter die Kontrolle der Saporoger Kosaken, welche sich 1654 im Vertrag von Perejaslaw dem russischen Zaren unterstellten. 1667 wurde im Vertrag von Andrussowo die Zugehörigkeit zu Russland besiegelt. 1781 wurden in der Stadt 705 Bürgerhäuser, 4 Ziegelbrennereien, 12 Kirchen und 4 Klöster gezählt. 1786 wurden 3 Klöster geschlossen. 1802 wurde die Stadt Hauptstadt des Gouvernements Tschernigow. 1895 wurden in der Stadt, die noch größtenteils aus Holzhäusern bestand, auf den wichtigsten Straßen die Gasbeleuchtung durch elektrische Laternen ersetzt. Die erste gesamtrussische Volkszählung 1897 ergab für die Stadt 17.716 Einwohner. 20. Jahrhundert Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Tschernihiw u. a. mehrere Banken, 15 Hotels bzw. Gastwirtschaften, 2 Krankenhäuser, eine Post, ein Telegraphenamt und verschiedene Fach- und weiterbildende Schulen. Wurden 1900 noch 428 Geschäfte gezählt, waren es 1910 schon 734. Mit der Februarrevolution 1917 begann eine zunehmende Ukrainisierung in Medien und Verwaltung der Stadt. Am 1. Februar 1918 übernahm die Sowjet-Macht die Kontrolle über Tschernihiw. Am 12. März 1918 standen bereits deutsche und österreichische Truppen in der Stadt. Am 12. Januar 1919 wurde die Stadt wieder von der Roten Armee eingenommen. 1925 wurde das Gouvernement aufgelöst und durch eine Kreisverwaltung ersetzt. 1926 waren von den 35.200 Einwohnern 57 % Ukrainer, 20 % Russen und 10 % Juden. Seit 1932 ist Tschernihiw die Hauptstadt der Oblast Tschernihiw. Im Zweiten Weltkrieg nahm die deutsche Wehrmacht die Stadt nach fast zweiwöchigen Kämpfen am 9. September 1941 ein. Die Rote Armee eroberte die Stadt am 21. September 1943 im Rahmen ihrer Tschernigow-Poltawa-Operation zurück. Später bestand in der Stadt das Kriegsgefangenenlager 177 (Tschernigow) für deutsche Kriegsgefangene. Am 15. Mai 1976 verunglückte in Ortsnähe eine Antonow An-24 der Aeroflot auf dem Binnenflug 1802. Invasion Russlands 2022 Beim russischen Überfall auf die Ukraine 2022 griffen die Streitkräfte Russlands am 25. Februar Tschernihiw an. Es gelang ihnen nicht, die Stadt einzunehmen. Daraufhin begannen die Russen, sie zu belagern. Am 3. März kam es zu einer heftigen Bombardierung eines Wohnquartiers in Tschernihiw, bei der 47 Zivilisten ihr Leben verloren. Weitere 50 Menschen starben am 16. März ebenfalls durch Luftschläge und den Beschuss einer Warteschlange von Zivilisten für Brot. Nach diesen Angriffen wurde auch das Spital beschossen. Am 31. März erlangte eine ukrainische Panzerbrigade die Herrschaft über die Fernstraße M 01 von Kiew nach Tschernihiw und beendete damit faktisch die russische Blockade der Stadt. Am 4. April vermeldete der Gouverneur der Oblast Tschernihiw den vollendeten Abzug der Streitkräfte Russlands aus dem Umfeld der Stadt. Schon am 24. März hatte die Regierung der Oblast die Zahl der zivilen Opfer in Tschernihiw durch Angriffe der russischen Streitkräfte auf 200 Personen geschätzt. Bürgermeister Wladislaw Atraschenko hatte etwa zeitgleich berichtet, dass wegen der Belagerung und der Bombardierung der entsprechenden Werke weder Strom noch Heizung noch Trinkwasser vorhanden seien und dass die medizinische Versorgung zusammengebrochen sei, dies seit etwa 10. März. Die Einwohnerzahl soll sich bis Ende März mehr als halbiert haben. Im Rückblick auf die russische Belagerung meldeten ukrainische Behörden, dass etwa 700 Personen aus Tschernihiw ihr Leben verloren hatten. Rund 70 % der Infrastruktur der Stadt wurden zerstört. Auch die Kirche St. Theodosius der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche Moskauer Patriarchats wurde zerstört, die St.-Katharina-Kathedrale der Eparchie Tschernihiw der Orthodoxen Kirche der Ukraine wurde beschädigt. Starke Schäden erlitten außerdem das Tschernihiw-Museum für ukrainische Altertümer sowie das Tschernihiw-Stadion. Im August 2023 bombardierte die Russische Armee das Stadtzentrum, es kam zu mehreren Todesopfern sowie zu Schäden am Theater und am Gebäude der Polytechnischen Universität. Sehenswürdigkeiten Zahlreiche Bauten aus der Zeit der Kiewer Rus und der Zeit der Eroberung dieser Teile der Ukraine durch russische Großfürstentümer seit dem hohen Mittelalter (in der Forschung oft als altrussisch bezeichnet) sind erhalten geblieben: Christi-Verklärungs-Kathedrale (Spasso-Preobraschenski sobor, um 1036), erste Kathedrale der Kiewer Rus Boris-und-Gleb-Kathedrale (Borissoglebski sobor, 12. Jahrhundert) Mariä-Entschlafens-Kathedrale (Uspenski sobor, Mitte des 12. Jahrhunderts) im Jelezki-Kloster Pjatniza-Kirche (Pjatnizkaja zerkow, zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts) Eliaskirche (Illinskaja zerkow, 12. Jahrhundert) Es sind auch mehrere Bauten aus dem 17. bis 18. Jahrhundert (ukrainisches Barock) und dem 19. Jahrhundert (Klassizismus) vorhanden, darunter: Dreifaltigkeitskloster (zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts) Kollegium (1702) Katharinenkirche (1715) In der Stadt befinden sich zahlreiche Denkmäler für historische Persönlichkeiten, darunter Iwan Masepa, Bohdan Chmelnyzkyj und Taras Schewtschenko. Wappen Beschreibung: Im silbernen Feld ein einköpfiger schwarzer, goldgekrönter, rotgezungter und so geäugter und goldbewehrter Adler, in der linken Klaue ein großes, schräg über ihm liegendes goldenes Kreuz haltend. Die vom heiligen Großfürsten Michael von Tschernigow abstammenden Fürsten führten den Tschernigow’schen Adler. Einwohnerentwicklung Entwicklung der Einwohnerzahl: 1897: 27.716 1913: 35.850 1926: 35.200 1934: 68.600 1939: 69.000 2004: 302.097 2021: 285.234 Infrastruktur Flugverkehr In den 1980er Jahren wurde der Flughafen aus der Stadt heraus nach Schestowyzja verlegt. Mit dem Ende der Sowjetunion verlor der Flughafen seine Bedeutung als militärische Flugschule. Ein nennenswerter Flugverkehr findet heute nicht mehr statt. Eisenbahn Der Bahnhof Tschernihiw wurde als regionaler Knoten der russischen Südwestbahnen mit Verbindungen nach Nischyn (Anschluss an die Strecke Moskau-Kiew), Gomel und Owrutsch angelegt. Die erste Bahnanbindung erfolgte 1981 von Nischyn aus mit einer 81 km (76 Werst) langen Schmalspurbahn. Nach Umspurung und Erweiterung der Strecke nach Gomel erhielt der Bahnhof 1928 seine aktuelle Lage. Das Bahnhofsgebäude wurde 1950 nach Plänen von I. Granatkin von deutschen und ungarischen Kriegsgefangenen errichtet. Bahnhof und Strecken gehören heute zur Regionalgesellschaft Piwdenno-Sachidna Salisnyzja der Ukrainischen Eisenbahn. Die Strecke nach Owrutsch wird seit dem Unglück in Tschernobyl nur noch bis Janow an der belarussischen Grenze betrieben. 2006 wurde ein Umschlag von 84.737 Güterwagen und 4,5 Mio. Passagieren erreicht. Hafen Tschernihiw besitzt einen Binnenhafen an der Desna. 2006 wurden 356.200 Tonnen Fracht umgeschlagen und 22.100 Passagiere befördert. Öffentlicher Nahverkehr Die Hauptlast des Nahverkehrs trägt das 1964 eröffnete O-Busnetz mit 9 Linien sowie 46 Buslinien. Das O-Busnetz hat (2012) eine Länge von 53 km (104,6 km Fahrdraht). Partnerstädte Tschernihiw unterhält Partnerschaften zu folgenden Städten: Aachen, Deutschland Gabrowo, Bulgarien Homel, Belarus Hradec Králové, Tschechische Republik Memmingen, Deutschland Petach Tikwa, Israel Prilep, Nordmazedonien Ogre, Lettland Tarnobrzeg, Polen Söhne und Töchter der Stadt Sonstiges Seit Juni 2004 trägt das Schiff Tschernihiw der ukrainischen Marine den Namen der Stadt. Galerie Literatur Sergej Udowik: Die Ukraine. Historische Orte. Wakler-Verlag Kiew 2010, ISBN 978-966-543-102-2; S. 6–12 Weblinks Einzelnachweise Ort in der Oblast Tschernihiw Hochschul- oder Universitätsstadt in der Ukraine Hauptstadt einer Oblast in der Ukraine Ort an der Desna Ersterwähnung 907
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https://de.wikipedia.org/wiki/1637
1637
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Der Krieg in Europa 6. Februar: In Chur wird der gegen die französische Anwesenheit in Graubünden gerichtete Kettenbund geschlossen. 21. Februar: Der Kettenbund unter der Führung von Jörg Jenatsch zieht vor die Rohanschanze. Die Franzosen unter Henri II. de Rohan müssen am 26. Februar kapitulieren und ziehen am 5. Mai aus den Drei Bünden ab. 15. Februar: Nach dem Tod von Kaiser Ferdinand II. folgt ihm sein Sohn Ferdinand III. auf den Thron. 28. Juni: Die seit 1632 französisch besetzte Festung Ehrenbreitstein bei Koblenz ergibt sich nach einjähriger Belagerung den kaiserlich-bayerischen Truppen unter Johann von Werth. 10. Oktober: Die Stadt Breda ergibt sich im Achtzigjährigen Krieg nach elf Wochen Belagerung den Truppen des Statthalters der Vereinigten Niederlande Friedrich Heinrich von Oranien. Weitere Ereignisse in Europa 10. März: Der Greifenherzog Bogislaw XIV. stirbt und hinterlässt keine eigenen Nachkommen. Hinsichtlich anderer Linien und Abkömmlinge aus dem Greifengeschlecht wurde keine Erbfolgeregelung von den Bündnispartnern und Ständen akzeptiert. Damit endete die Herrschaft der Greifen in Pommern und auch die staatliche Selbständigkeit Pommerns. Unter Großmeister Jean de Lascaris-Castellar beginnt der Bau der sogenannten Lascaris Towers zur Befestigung der Insel Malta. Einer der ersten Türme die fertiggestellt werden, ist der Għajn Tuffieħa Tower. Der Pequot-Krieg in Neuengland 1. Mai: Die englische Kolonie Connecticut erklärt den Offensivkrieg gegen den indigenen Stamm der Pequot. Der Pequot-Krieg beginnt. 26. Mai: Captain John Mason umstellt mit 90 englischen Kolonisten und mehreren Hundert indianischen Verbündeten ein befestigtes Pequot-Dorf am Mystic River und steckt es in Brand. Beim Mystic Massaker kommen rund 700 Menschen ums Leben. Mitte Juni: Nach einer Niederlage gegen die englischen Kolonisten flieht der Pequot-Sachem Sassacus zum verbündeten Stamm der Mohawk. Diese fürchten jedoch die Vergeltung der Engländer, töten Sassacus und schicken seinen Kopf nach Hartford. 28. Juli: Mit der Tötung der letzten großen Gruppe von fliehenden Pequot endet eine der ersten bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den indianischen Ureinwohnern Neuenglands und den britischen Kolonisten. Der Stamm der Pequot ist damit nahezu komplett ausgelöscht. Weitere Ereignisse in Nordamerika Der puritanische Pastor John Davenport führt eine Schar von Religionsflüchtlingen im Frühjahr 1637 von den Niederlanden über England nach Amerika. Die Gruppe kommt am 26. Juni an Bord der Hector in Boston an, entscheidet sich aber, ihre eigene Kolonie zu errichten, da ihr die Massachusetts Bay Colony in ihren religiösen Bräuchen zu nachlässig scheint. Im selben Herbst gerät Theophilus Eaton, einer der Gefolgsleute Davenports, auf der Suche nach einem geeigneten Ort im Süden an das nördliche Ufer des Long Island Sound. An der Mündung des Quinnipiac River kauft er von den dortigen Indianern Land, wo die Gruppe im folgenden Jahr die New Haven Colony gründet. Afrika 24. August: Die Schlacht um Elmina beginnt. Die angreifenden Niederländer erhalten dabei Unterstützung aus dem unabhängigen Staat Elmina gegen die Portugiesen bei der Eroberung der Stadt. 29. August: Die Niederländer erlangen nach mehrtägiger Kanonade das portugiesische Fort São Jorge da Mina in Elmina an der Goldküste durch Kapitulation ihrer Besatzung. Die Festung zählt heute zum ghanaischen Weltkulturerbe. Asien 17. Dezember: Der Shimabara-Aufstand japanischer Bauern gegen das Tokugawa-Shōgunat beginnt. Die Rebellion wird getragen von etwa 23.000 Bauern und herrenlosen Samurai (Rōnin), einschließlich vieler Frauen und findet in der Umgebung der Stadt Shimabara auf der Shimabara-Halbinsel in der Provinz Hizen und den nahegelegenen Amakusa-Inseln unter Führung von Amakusa Shirō statt. Beide Gebiete sind zuvor unter dem vorherigen christlichen Daimyo Konishi Yukinaga von den Jesuiten missioniert worden. Der Aufstand ist jedoch nicht religiös begründet, sondern richtet sich gegen die übermäßige Steuerlast. 27. Dezember: Im Shimabara-Aufstand besiegen rebellierende japanische Bauern ein Heer von 3.000 Samurai. Die rund 200 Überlebenden ziehen sich nach Nagasaki zurück, und der Gouverneur bittet das Shōgunat um Verstärkung, die Anfang des folgenden Jahres eintrifft. Wirtschaft 3. Februar: Bei einer Tulpenversteigerung in Haarlem können zur Zeit der Tulpenmanie die erwarteten Preise nicht mehr erzielt werden. Ein Preisverfall setzt in der Folge ein, die Spekulationsblase platzt. 5. Februar: Das Ende der großen Tulpenmanie in Holland führt zum ersten großen Börsenabsturz der Wirtschaftsgeschichte. Noch Jahre nach dem Crash sind die Folgen in Form einer wirtschaftlichen Rezession zu spüren. 14. Februar: Die schwedische Bergbehörde Bergsstaten wird gegründet. Die japanische Reisweinbrauerei Gekkeikan wird gegründet. Wissenschaft und Technik 8. Juni: René Descartes veröffentlicht Discours de la méthode (Abhandlung über die Methode des richtigen Vernunftgebrauchs) mit den Abhandlungen über die Geometrie, die Dioptrik und die Meteore. Kultur und Gesellschaft Februar/März: In Paris kommt es zum literarischen Streit Querelle du Cid zwischen Jean Mairet und Georges de Scudéry sowie Pierre Corneille, in dem die beiden ersteren Plagiatsvorwürfe bezüglich Corneilles im Vorjahr erschienenen Stücks Le Cid erheben. In Venedig wird das weltweit erste öffentliche Opernhaus, das Teatro San Cassiano, eröffnet. Andreas Gryphius verfasst das Sonett Es ist alles eitel. Aus Frankreich sind erstmals Regeln für das Stichkartenspiel Tarock überliefert. Religion Buddhismus Das Dratshang-Kloster in Tibet wird gegründet. Der Bau des Punakha-Dzong im heutigen Bhutan beginnt. Christentum Im Geistlichen Psälterlein in Köln wird das vermutlich von Friedrich Spee verfasste Weihnachtslied Zu Bethlehem geboren veröffentlicht. Historische Karten und Ansichten Geboren Geburtsdatum gesichert 14. Januar: Jakob Breyne, Danziger Kaufmann und Botaniker († 1697) 21. Januar: Anton Hülse, deutscher Architekt des Barocks († 1712) 10. Februar: Henriette Catharina von Oranien-Nassau, Fürstin von Anhalt-Dessau († 1708) 12. Februar: Jan Swammerdam, niederländischer Naturforscher, Begründer der Präformationslehre († 1680) 26. Februar: Hieronymus Bauhin, Schweizer Arzt französischer Herkunft († 1667) 5. März: Jan van der Heyden, niederländischer Maler und Erfinder († 1712) 12. März: Anne Hyde, die erste Frau James Stuarts, des Herzogs von York, des späteren Königs von England und Schottland († 1671) 15. März: Johann Andreas Hochstetter, lutherischer Theologe, Professor an der Eberhard Karls Universität Tübingen († 1720) 13. Mai: Eremya Çelebi Kömürciyan, armenischer Dichter, Drucker, Historiker, Pädagoge, Musiker, Miniaturist und Übersetzer († 1695) 5. Juni: Philipp Ludwig Hanneken, deutscher lutherischer Theologe († 1706) 10. Juni: Jacques Marquette, französischer Mönch und Entdecker des Mississippi River († 1675) 22. Juni: Christian II., Pfalzgraf und Herzog von Pfalz-Zweibrücken-Birkenfeld († 1717) 22. Juni: Joseph Werner, Schweizer Maler († 1710) 24. Juni: Johann Arnold Friderici, deutscher Mediziner und Botaniker († 1672) 8. Juli: Johann Georg Ebeling, deutscher Komponist († 1676) 14. Juli: Ferdinand Bonaventura I. von Harrach, österreichischer Diplomat, und Staatsmann († 1706) 1. August: Juliane Elisabeth von Waldeck, deutsche Gräfin, Wohltäterin der Armen und Waisen († 1707) 17. August: Johann Gerhard Arnold, deutscher Historiker, Konsistorialrat und Gymnasialrektor († 1717) 19. August: Æmilie Juliane von Barby-Mühlingen, Reichsgräfin von Schwarzburg-Rudolstadt, Dichterin geistlicher Lieder († 1706) 27. August: Charles Calvert, 3. Baron Baltimore, Lord Proprietor der englischen Kolonie Maryland († 1715) 1. September: Nicolas de Catinat, französischer General, Marschall von Frankreich († 1712) 29. September: Joachim Ernst von Grumbkow, kurbrandenburgischer Politiker († 1690) 26. November: Antonio Carneo, venezianischer Barockmaler († 1692) 6. Dezember: Edmund Andros, englischer Kolonialgouverneur († 1714) 16. Dezember: William Neile, englischer Mathematiker († 1670) 24. Dezember: Wolfgang Gundling, deutscher, protestantischer Prediger, Diakon und Kapitelsdekan und Kirchenschriftsteller († 1689) Genaues Geburtsdatum unbekannt vor dem 19. April: Mateo Cerezo der Jüngere , spanischer Maler († 1666) Anna Maria Martinozzi, eine der Mazarinetten und Fürstin von Conti († 1672) Geboren um 1637 Dieterich Buxtehude, deutscher Organist und Komponist († 1707) Gestorben Erstes Halbjahr 3. Februar: Gervase Markham, englischer Schriftsteller und Übersetzer (* um 1568) 15. Februar: Stefano Bernardi, italienischer Komponist und Musiktheoretiker (* 1577) 15. Februar: Ferdinand II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches (* 1578) 16. Februar: Henry Gellibrand, englischer Astronom (* 1597) 24. Februar: Dominicus Arumaeus, deutscher Rechtsgelehrter (* 1579) 10. März: Bogislaw XIV., letzter Herzog von Pommern (* 1580) 12. März: Anders Christensen Arrebo, dänischer Geistlicher und Schriftsteller (* 1587) 19. März: Peter Pázmány, ungarischer Philosoph und Theologe (* 1570) 10. April: Jakob Müller, deutscher Mediziner und Mathematiker (* 1594) 16. April: Johannes V. Dressel, Abt des Zisterzienserklosters in Ebrach 19. Mai: Isaac Beeckman, holländischer Universalgelehrter, insbesondere Mathematiker, Physiker, Arzt und Naturphilosoph (* 1588) 28. Mai: Anton Matthäus, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1564) 29. Mai: Jiří Třanovský, slowakischer Hymnendichter und Komponist (* 1592) 31. Mai: Jodok Hösli, Schweizer Abt (* um 1592) 28. Juni: Andreas Siegel, deutscher frühkapitalistischer Unternehmer (* 1569) Zweites Halbjahr 1. Juli: Christoph von Dohna, deutscher Politiker und Gelehrter zur Zeit des Dreißigjährigen Krieges (* 1583) 21. Juli: Daniel Sennert, deutscher Arzt (* 1572) 28. Juli: Johann Christoph von Westerstetten, Bischof von Eichstätt, Gegenreformator und Hexenverfolger (* 1563) 30. Juli: Jacob Collaert, Freibeuter aus Dünkirchen (* 1584) 6. August: Ben Jonson, englischer Bühnenautor und Dichter (* 1572) 11. August: Albrecht Manuel, Schultheiss von Bern (* 1560) 14. August: Nikolaus Elerdt, deutscher lutherischer Theologe und Liederdichter (* 1586) 17. August: Johann Gerhard, deutscher lutherischer Theologe (* 1582) 20. August: Anton Varus, deutscher Logiker und Mediziner (* 1557) 4. September: Erasmus Schmidt, deutscher Philologe und Mathematiker (* 1570) 8. September: Robert Fludd, englischer Philosoph und Theosoph (* 1574) 21. September: Wilhelm V., Landgraf von Hessen-Kassel (* 1602) 22. September: Carlo I. Gonzaga, Herzog von Nevers und Rethel (* 1580) 2. Oktober: Angelo Sala, Arzt, Wissenschaftler und Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft (* 1576) 5. Oktober: Daniel Cramer, deutscher lutherischer Theologe; Chronist und Autor (* 1568) 7. Oktober: Viktor Amadeus I., Herzog von Savoyen (* 1587) 9. Oktober: Friedrich von Schilling, deutscher Gelehrter (* 1584) 17. Oktober: Erasmus Sartorius, deutscher Komponist, Organist, Musikschriftsteller und Poet (* 1577) 18. Oktober: Foppe van Aitzema, Braunschweiger Jurist und Politiker (* um 1580) 18. Oktober: Peter Heinrich von Stralendorf, Reichsvizekanzler des Heiligen Römischen Reiches (* 1580) 21. Oktober: Laurens Reael, niederländischer Admiral und Generalgouverneur der niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) in Südostasien (* 1583) 27. Oktober: Ludwig Heidenreich von Callenberg, deutscher Hofbeamter und Offizier 3. November: Bartholomäus Battus, deutscher evangelischer Theologe (* 1571) 23. November: Carlos Coloma de Saa, spanischer Militärkommandant, Diplomat und Autor (* 1567) 26. November: Andries de Witt, amtierender Ratspensionär von Holland (* 1573) 4. Dezember: Hartger Henot, Kölner Domherr, Jurist und Doktor beider Rechte (* 1571) 31. Dezember: Christian, Graf von Waldeck (* 1585) Weblinks
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https://de.wikipedia.org/wiki/Afrika-Cup
Afrika-Cup
Der Afrika-Cup (offiziell und ; deutschsprachige FIFA-Bezeichnung Afrikanischer Nationen-Pokal, im deutschen Sprachraum seltener auch (Fußball-)Afrikameisterschaft) ist ein vom afrikanischen Fußballverband CAF organisiertes Fußballturnier, bei dem die afrikanischen Fußballnationalverbände ihren kontinentalen Meister ermitteln. Der Senegal ist aktueller Titelträger des Afrika-Cups. Zu unterscheiden ist der Africa Cup of Nations von der Afrikanischen Nationenmeisterschaft (African Nations Championship), einem Turnier in dem nur Spieler spielberechtigt sind, die in den nationalen Meisterschaften ihrer Heimatländer spielen. 1957 wurde der Afrika-Cup ins Leben gerufen. Seit 1968 findet die Endrunde alle zwei Jahre statt. Im Jahr 2010 beschloss die CAF mit Wirkung ab 2013 den Afrika-Cup in ungeraden Jahren auszutragen, damit dieser nicht mit Welt- und Europameisterschaften in ein Jahr fällt. Bei der ersten Austragung 1957 gab es lediglich drei Teilnehmer: Ägypten, den Sudan und Äthiopien; Südafrika wollte zwar teilnehmen, wurde jedoch aufgrund der Politik der Apartheid ausgeschlossen. Seitdem wuchs das Turnier kontinuierlich, so dass eine Qualifikationsrunde notwendig wurde. Im Jahr 2019 nahmen erstmals 24 Mannschaften am Afrika-Cup teil. Seitdem gilt folgender Modus: die Teams spielen eine Vorrunde in sechs Gruppen mit jeweils vier Mannschaften. Die beiden besten Mannschaften jeder Gruppe und die besten vier Gruppendritten erreichen die Finalrunde, die – mit dem Achtelfinale beginnend – im K.-o.-System ausgetragen wird. Die erfolgreichste Nation bei den bisherigen Auflagen des Afrika-Cups ist Ägypten, das sich insgesamt siebenmal den Titel sichern konnte und dabei 2006, 2008 und 2010 drei Turniere in Folge gewann. Kamerun mit fünf und Ghana mit vier Titeln folgen auf dem zweiten und dritten Platz. Erstteilnahmen Bis einschließlich des Afrika-Cups 1974 gab es immer mindestens eine Fußballnationalmannschaft, die zum ersten Mal an einer Afrika-Cup-Endrunde teilnahm. Nachfolgend eine Liste der 45 Erstteilnehmer, jeweils mit den damals gültigen Flaggen und Namen. Zusätzlich sind vier Länder in Klammern aufgeführt, die erstmals nur unter neuem Namen bei einem Afrika-Cup teilnahmen. Insgesamt sind in der Confédération Africaine de Football (CAF) 56 nationale Fußballverbände vertreten. Fett geschriebene Mannschaften wurden bei ihrer ersten Teilnahme Afrikameister. Kursiv geschriebene Mannschaften waren bei ihrer ersten Teilnahme Ausrichter. Mannschaften in Klammern nahmen unter einem anderen Namen zum ersten Mal teil. Die Turniere im Überblick Ranglisten 1957 und 1959 nahmen nur drei Mannschaften teil. Teilnahmen und Endrundenplatzierungen Erklärung: Endrundenteilnahme (332) 1 2 3 4 = Platzierung V = Aus im Viertelfinale A = Aus im Achtelfinale E = Aus in der Vorrunde Qualifikation (639) seit 1962 • = nicht qualifiziert / Rückzug oder Disqualifikation während der Qualifikation •• = nach erfolgreicher Qualifikation bzw. als automatisch qualifizierter Titelverteidiger auf Endrundenteilnahme verzichtet d = disqualifiziert Rückzug (84) - = Zur Qualifikation nicht angetreten / vor dem ersten Spiel ausgeschlossen Nicht teilgenommen leeres Feld Ewige Endrundentabelle Stand: 5. Februar 2017 Rekorde Mannschaften/Länder Häufigster Ausrichter: (5): 1959, 1974, 1986, 2006, 2019 (4): 1963, 1978, 2000 (zusammen mit Nigeria), 2008 Meiste Finalteilnahmen: (9): 1963, 1965, 1968, 1970, 1978, 1982, 1992, 2010, 2015 (9): 1957, 1959, 1962, 1986, 1998, 2006, 2008, 2010, 2017 Meiste Dritte Plätze: (7) 1976, 1978, 1992, 2002, 2004, 2006, 2010 Meiste Endrundenteilnahmen: (23) Am häufigsten in der Qualifikation gescheitert: (23) Meiste Spiele: (96) Meiste Siege: (54 und 4 Siege im Elfmeterschießen), (53 und 1 Sieg im Elfmeterschießen) Meiste Tore: (159, ohne Tore im Elfmeterschießen) Höchste Siege: Elfenbeinküste – Äthiopien (1970) und Guinea – Botswana (2012) jeweils 6:1 Meiste Tore in einem Spiel: 9: Vereinigte Arabische Republik – Nigeria 6:3 (1963) Längste Siegesserie: (10 Siege, 2008 bis 2010) Längste Serie ohne Niederlage: (24 Spiele, 2004 bis 2017, letzte Niederlage vor der Serie: 29. Januar 2004 1:2 gegen Algerien, erste Niederlage nach der Serie 1:2 gegen Kamerun am 5. Februar 2017 im Finale; aber 2012, 2013 und 2015 nicht qualifiziert) Meiste Spiele ohne Gegentor: (40 Spiele) Meiste Unentschieden: und je 24 Meiste Elfmeterschießen: (8, davon 5 gewonnen), (7, davon 5 gewonnen) Spieler und Trainer Afrikameister als Spieler und Trainer: Mahmoud El-Gohary (): 1959, 1998 Stephen Keshi (): 1994, 2013 Spieler Meiste Teilnahmen eines Spielers: Rigobert Song () (8): 1996, 1998, 2000, 2002, 2004, 2006, 2008, 2010 Meiste Spiele eines Spielers: Rigobert Song (): (36 Spiele bei 8 Turnieren) Meiste Finalteilnahmen eines Spielers: Ahmed Hassan (): 1998, 2006, 2008, 2010 Essam El-Hadary (): 2006, 2008, 2010, 2017 Meiste Tore eines Spielers: Samuel Eto’o (): 18 Tore bei 6 Turnieren (2000–2010) Meiste Tore eines Spielers in einem Turnier: Mulumba Ndaye (): 9 Tore (1974) Meiste Tore eines Spielers in einem Spiel: Laurent Pokou (): 5 Tore im Spiel gegen Äthiopien (Endstand 6:1) (1970) Schnellstes Tor: Ayman Mansour (): Nach 23 Sekunden 1994 beim Gruppenspiel gegen Gabun (Endstand 4:0) Jüngster Spieler: Chiva Star Nzighou (): 16 Jahre, 2 Monate und 30 Tage (2000) Ältester Spieler: Essam El-Hadary (): 44 Jahre und 21 Tage (Finale 2017) Trainer Meiste Siege als Trainer: Charles Gyamfi (): 1963, 1965 und 1982 Hassan Shehata (): 2006, 2008 und 2010 Erster Trainer, der mit zwei Mannschaften Sieger wurde: Hervé Renard () mit Sambia (2012) und der Elfenbeinküste (2015) – beide im Elfmeterschießen, 2012 gegen die Elfenbeinküste. Wettbewerb Der Afrika-Cup wurde von allen Kontinentalmeisterschaften am häufigsten im Elfmeterschießen entschieden. Bei acht von 31 Turnieren (25,8 %) gab es ein Endspiel mit Elfmeterschießen, davon die Hälfte mit der Elfenbeinküste. Werden nur die Turniere seit Einführung des Elfmeterschießens berücksichtigt, sind es acht von 23 (34,8 %). Von den letzten zehn Turnieren wurden fünf durch Elfmeterschießen entschieden. Die Trophäen In der Geschichte des Wettbewerbs wurden bisher drei verschiedene Trophäen den jeweiligen Siegern überreicht. Die ersten beiden Trophäen durfte der siegreiche Verband nach dem dritten Titelgewinn jeweils dauerhaft in Besitz nehmen. Danach begann die Zählweise für alle Verbände von neuem. Die erste Trophäe war die „Abdel Aziz Abdallah Salem Trophy“, benannt nach dem ersten Präsidenten der CAF, dem Ägypter Abdel Aziz Abdallah Salem. Ghana erhielt diese silberne Trophäe nach seinem dritten Titelgewinn 1978. Die ebenfalls silberne „Trophy of African Unity“ oder „African Unity Cup“ wurde ab 1980 vergeben und ging im Jahr 2000 nach dessen dritten Titelgewinn an Kamerun. Der Pokal wurde vom Höchsten Rat für Sport Afrikas der CAF vor dem Turnier 1980 übergeben und zeichnete sich durch einen langen silbernen Zylinder mit den Konturen des afrikanischen Kontinents und den olympischen Ringen sowie langen Griffen in Dreiecksform aus. Seit 2001 wird ein dritter, nunmehr goldener Pokal („African Cup of Nations“) vergeben, der in Italien entworfen und gefertigt wurde. Laut Reglement des Afrika-Cups geht dieser dritte Pokal aber nicht wie bisher in den dauerhaften Besitz eines dreimaligen Siegers über. Er ist Eigentum der CAF und wird als Siegertrophäe bei den kommenden Turnieren vergeben werden. Die Gewinner des Afrika-Pokals erhalten eine Replik. Ägypten erhielt als besondere Auszeichnung für den dritten Gewinn dieses Pokals 2010 eine Kopie in Originalgröße. Varia Siehe auch Liste der Torschützenkönige des Afrika-Cups Literatur Literatur zu Fußball in Afrika auf der internet library sub-saharan Africa (englisch) Weblinks Offizielle Website des Afrikanischen Fußballverbandes (englisch) Einzelnachweise Erstveranstaltung 1957 Afrikameisterschaft Fußballwettbewerb für Nationalmannschaften
Q83145
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vigo
Vigo
Vigo (galicisch und spanisch []) ist eine Hafen- und Industriestadt mit Einwohnern (Stand ) in der Provinz Pontevedra in der autonomen Region Galicien (Galicia) im Nordwesten Spaniens. Die an der Ría de Vigo gelegene Universitätsstadt ist die größte Stadt Galiciens. Geographie Lage Vigo liegt im Süden der nach der Stadt benannten etwa 35 Kilometer langen Ría de Vigo, die zu den Rías Baixas zählt, am Atlantischen Ozean. Die Stadt erstreckt sich an den Hängen des Monte del Castro rund um einen Naturhafen. Im Nordosten grenzt die Stadt an Redondela, im Osten an Mos, im Süden an O Porriño und Gondomar und im Südwesten an Nigrán. Klima Geschichte Vigo wurde von den Römern gegründet (Vicus). Die spätere mittelalterliche Siedlung befand sich am Fuße des Berges O Castro und schloss das heutige Altstadtviertel Berbés mit ein. Ende des 10. Jahrhunderts fiel Maurenherrscher Almansor über die Stadt her, und erst im Jahr 1170 konnte Fernando II. (reg. 1157–1188) Vigo neu besiedeln. Ständige Raubzüge der Normannen und die Pest im 14. Jahrhundert, bei der fast die gesamte Bevölkerung starb, setzten den Viguesen stark zu. Nachdem Karl V. die Stadt 1529 mit Privilegien ausgestattet hatte, blühte Vigo vor allem durch den Südamerika-Handel auf. Sir Francis Drake ließ die unbefestigte Stadt 1589 im Zuge der Gegenarmada gründlich zerstören. Im Jahr 1619 plünderten türkische Piraten in der Ría de Vigo, danach bekam Vigo seine Stadtmauern. 1702 endete die Seeschlacht bei Vigo im Spanischen Erbfolgekrieg zwischen einer spanisch-französischen Goldarmada und englisch-niederländischen Geschwadern mit einem Raubzug der siegreichen Engländer durch Vigo. Napoleons Truppen marschierten 1808 in der Stadt ein, nach drei Monaten französischer Besatzung wurden sie von den Viguesen wieder vertrieben. Um 1840 lebten nur noch 5500 Menschen in Vigo. Bereits 1853 erschien der Faro de Vigo, die älteste Zeitung Spaniens. Im Zweiten Weltkrieg war Vigo einer der Stützpunkte der deutschen U-Bootwaffe in Spanien. Zwar hatte Spanien sich für neutral erklärt, doch nicht zuletzt durch die deutsche Unterstützung im Spanischen Bürgerkrieg war die Franco-Diktatur dem NS-Staat gegenüber lange Zeit positiv eingestellt und duldete in der Zeit von 1940 bis 1942 die Verletzung der Neutralität. Die Versorgungsstützpunkte waren in der Regel Handelsschiffe. Im Buch und im Film „Das Boot“ wurde dieser Sachverhalt aufgenommen. Nach der Transición wurde Vigo neben Madrid zu einem der Zentren der Movida, des kulturellen Aufbruchs nach dem Ende der Franco-Diktatur. Im Jahre 1980 versenkte die Tierschutzorganisation Sea Shepherd im Hafen von Vigo die Walfangschiffe Isba I und Isba II. Bevölkerungsentwicklung Quelle: – grafische Aufarbeitung für Wikipedia Wirtschaft und Verkehr Vigo orientiert sich traditionell stark am Atlantischen Ozean; die Stadt verfügt über einen der größten natürlichen Häfen Spaniens und ist Standort der größten Fischereiflotte des Landes. Der Hafen von Vigo hat bei der Versorgung mit Meeresprodukten für den menschlichen Verzehr die weltweit größte Bedeutung. Vigo ist Sitz der Europäischen Fischereiaufsichtsagentur. In Vigo befindet sich darüber hinaus ein Werk des französischen Automobilherstellers Groupe PSA (Peugeot-Citroën), in dem die Modelle C4 Picasso und Berlingo hergestellt werden. Verkehr Vigo ist Endpunkt der Eisenbahnlinie Monforte–Ourense–Vigo. Im Zuge des Anschlusses von Vigo an das spanische Hochgeschwindigkeitsnetz wurde der Hauptbahnhof Vigo-Urzáiz von 2011 bis 2015 zeitweise stillgelegt und der neue Bahnhof Vigo-Guixar errichtet. Dieser sollte nach ursprünglichen Planungen wieder aufgelassen werden, ist aber heute der wichtigste Fernverkehrshalt in Vigo. Es gibt Bestrebungen, die beiden Kopfbahnhöfe mit einem Tunnel miteinander zu verbinden, sodass Züge der Linie A Coruña–Lissabon ohne Kopfmachen in Vigo-Urzáiz halten könnten. Es bestehen Zugverbindungen innerhalb Galiciens, nach Barcelona, Valencia, Madrid und Bilbao sowie mit dem Celta ins portugiesische Porto. An das spanische Fernstraßennetz ist Vigo durch die Autopista AP-9 angeschlossen, die östlich an der Stadt vorbeiführt. Von der Abfahrt Vigo bis ins Zentrum führt die Autopista AP-9V. Des Weiteren besteht über die Autovía A-52 eine Verbindung nach Ourense. Die Stadt ist über den in neun Kilometer Entfernung auf dem Gebiet der Nachbargemeinde Redondela liegenden Flughafen Vigo per Flugzeug erreichbar. Die Fluggesellschaften Iberia, Air Europa und Air France verbinden den internationalen Flughafen von Vigo-Peinador mit Direktflügen (mehrmals täglich) nach Barcelona, Bilbao, Madrid, Paris, (einmal täglich, mehrmals wöchentlich oder wöchentlich) Alicante, Gran Canaria, Málaga, Palma, Sevilla und Teneriffa, seit Sommer 2008 auch nach London. Von Vigo aus führen Fährverbindungen nach Cangas und Moaña auf der gegenüberliegenden Seite der Ría de Vigo sowie zu den Illas Cíes. Bildung Vigo ist Standort einer technisch ausgerichteten Universität, an der mehr als 20.000 Studenten eingeschrieben sind. Sport Im Fußball gibt es mit Celta Vigo eine in der Primera División (höchste spanische Liga) spielende Profimannschaft, die mehrfach an der Europa League bzw. dem UEFA-Pokal teilnahm und in der UEFA Champions League 2003/04 das Achtelfinale erreichte. Zudem spielt der Coruxo FC in der drittklassigen Segunda División B. Der Handballverein SD Octavio spielte mehrfach in der höchsten spanischen Handballliga. Kultur und Sehenswürdigkeiten Von den drei Illas Cíes (der Ría de Vigo vorgelagerte Inseln) sind nur die Illa do Norte und die sich südlich anschließende Illa do Faro mit der Fähre zu erreichen; für die kleinere Illa do Sur benötigt man ein eigenes Boot. Der 433 Hektar große Archipel ist ein beliebtes Naherholungsgebiet mit Stränden und Naturschutzgebiet, wo man nistende Möwen, Kormorane und Fischreiher beobachten kann. Der Strand Playa de Rodas der Illa do Norte wurde von der britischen Tageszeitung The Guardian zum schönsten Strand der Welt gewählt. die Altstadt mit der Kirche Santa Maria, das alte Fischerviertel Berbés und der Hafen Vigo besitzt den einzigen Zoo Galiciens, er liegt auf einem 240 m hohen Berg, ist etwa 45.000 m² groß und beherbergt rund 600 Tiere (Löwen, Pumas, Schwarzbären, Bisons und Reptilien). die Rande-Brücke an einer Verengung der Ria O Castro, die alte Festung von Vigo die Playa de Samil, der größte Strand der Stadt die Einkaufsstraßen Príncipe, Urzáiz und Gran Vía In den eingemeindeten Vororten Bembrive und Castrelos steht jeweils eine sehenswerte romanische Kirche. Im Parque de Castrelos befindet sich das Stadtmuseum (Museo Quiñones de León). Die Punkband Siniestro total stammt aus Vigo. Städtepartnerschaften Vigo unterhält Städtepartnerschaften mit Buenos Aires (Argentinien) Caracas (Venezuela) Las Palmas de Gran Canaria (Spanien) Lorient (Frankreich) Narsaq (Grönland) Porto (Portugal) Qingdao (China) Söhne und Töchter der Stadt Casimiro Marcó del Pont (1777–1819), Soldat und von 1815 bis 1818 letzter Gouverneur von Chile Domingo García y Vásquez (1859–1912), Maler Leopoldo Eijo y Garay (1878–1963), Bischof Urania Mella Serrano (1899–1945), Politikerin Cesáreo González (1903–1968), Filmproduzent Antonio Rodríguez Lesende (1905–1979), argentinischer Tangosänger Carlos Muñoz (1919–2005), Schauspieler Manolo Fábregas (1921–1996), Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent Pahiño (1923–2012), Fußballspieler Luis Barboo (1927–2001), Schauspieler Santiago Torres Bernárdez (* 1929), Jurist Armando González (1931–2022), Steuermann im Rudern Concepcion Picciotto (1935–2016), Friedensaktivistin Julián Ríos (* 1941), Schriftsteller Javier Álvarez (* 1943), Leichtathlet Fernando Zunzunegui (1943–2014), Fußballspieler Luisa Fernandez (* 1961), Sängerin Begoña Vila (* 1963), Astrophysikerin Julio Luis Martínez Martínez (* 1964), Moraltheologe Alejandro Gómez (1967–2021), Leichtathlet Iván Ferreiro (* 1970), Sänger Pedro Alonso (* 1971), Schauspieler Carlos Núñez (* 1971), Celtic-Folk-Musiker Domingo Villar (1971–2022), Schriftsteller Jacinto Rey (* 1972), Schriftsteller Quique Álvarez (* 1975), Fußballspieler Ramón Souto (* 1976), Komponist Begoña Fernández (* 1980), Handballspielerin Lucía Martínez (* 1982), Schlagzeugerin Borja Oubiña (* 1982), Fußballspieler Roi Sánchez (* 1984), Handballtrainer Yago Vázquez (* 1984), Jazzmusiker Roberto Lago (* 1985), Fußballspieler Xisela Aranda (* 1986), Squashspielerin Jonathan Pereira Rodríguez (* 1987), Fußballspieler Iago Falque (* 1990), Fußballspieler Diego Mariño (* 1990), Fußballspieler Pedro Rodríguez Álvarez (* 1990), spanisch-ungarischer Handballspieler Jonatan Giráldez Costas (* 1991), spanischer Fußballtrainer Nicolás Rodríguez (* 1991), Segler Jonny Otto (* 1994), Fußballspieler Santi Mina (* 1995), Fußballspieler Guille Bueno (* 2002), Fußballspieler Stefan Bajčetić (* 2004), spanisch-serbischer Fußballspieler Literatur Weblinks Informationen zur Stadt Website des Großraums Vigo Fotos der Stadt und Umgebung (spanisch und englisch) Einzelnachweise Ort in Galicien Ort mit Seehafen Hochschul- oder Universitätsstadt in Spanien Stadt in Spanien
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https://de.wikipedia.org/wiki/1630
1630
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Der Krieg in Europa 3. Juli: Kaiser Ferdinand II. eröffnet den Regensburger Kurfürstentag. Von diesem verspricht er sich Hilfe der Reichsstände gegen die Generalstaaten, gegen Frankreich im Mantuanischen Erbfolgekrieg und gegen die Bedrohung durch König Gustav II. Adolf von Schweden, der die protestantische Seite im Dreißigjährigen Krieg stützen will. Außerdem möchte er die Wahl seines Sohnes Ferdinand zum deutschen König durchsetzen. Die katholischen Kurfürsten sind bei der Eröffnung persönlich anwesend, während Sachsen und Brandenburg sich durch Gesandte vertreten lassen. 6. Juli: Der schwedische König Gustav II. Adolf greift in den Dreißigjährigen Krieg ein und landet mit einer Streitmacht von 13.000 Mann in Pommern. 18. Juli: Kaiserliche Truppen unter Johann von Aldringen und Matthias Gallas erobern im Mantuanischen Erbfolgekrieg Mantua und plündern die Stadt aus. 20. Juli: Der schwedische König Gustav II. Adolf zieht in Stettin ein. Ein Teil der Truppe wird einquartiert und kümmert sich um die Befestigung der Stadt. 13. August: Kaiser Ferdinand II. beschließt auf Druck der Reichsstände, auch der katholischen, auf dem Regensburger Kurfürstentag die Entlassung Wallensteins als kaiserlichen Oberbefehlshaber. Sein Nachfolger wird Johann T’Serclaes von Tilly. 6. September: Wallenstein empfängt in Memmingen die Entlassungsurkunde. 13. Oktober: Für den Mantuanischen Erbfolgekrieg wird in Regensburg ein Friedensvertrag ausgehandelt, der von Frankreich allerdings nicht ratifiziert wird. 15. November: Mit dem Frieden von Madrid endet der Englisch-Spanische Krieg. November: Der Reichstag in Regensburg endet mit einer vollständigen Niederlage des Kaisers. Trotz der Bedrohung durch Schweden muss das kaiserliche Heer nach der Entlassung Wallensteins verkleinert werden, und die Kurfürsten verweigern die Wahl seines Sohnes Ferdinand zum König. Weitere Ereignisse in Europa 11. November: Am Journée des Dupes wird die religiöse Partei in Frankreich unter Königinmutter Maria de’ Medici und Jean-Baptiste Gaston de Bourbon, duc d’Orléans von König Ludwig XIII. entmachtet. Kardinal Richelieu, der sich mit diesem Erfolg am Gipfel seiner Macht befindet, geht in der Folge gnadenlos gegen seine Gegner im Staat vor und bereitet damit die Hochblüte des Absolutismus vor. Die Gemeinde Oberhoff wird erstmals urkundlich erwähnt. Amerikanische Kolonien 16. Februar: Niederländische Truppen unter Admiral Loneq erobern im Niederländisch-Portugiesischen Krieg die brasilianische Stadt Olinda und legen damit den Grundstein für die Kolonie Niederländisch-Brasilien. Die Niederländer erobern in der Folge auch Pernambuco. 17. September: Der erste Gouverneur der Massachusetts Bay Colony, John Winthrop, fasst die beiden nordamerikanischen Siedlungen Trimountaine und Shawmut im Nordosten der heutigen USA, die von Puritanern wenige Monate zuvor besiedelt waren, zum Ort namens Boston zusammen und gründet damit die Stadt. Im gleichen Jahr wird auch der King’s Chapel Burying Ground, der erste Friedhof der Stadt, eingeweiht. Im Dezember wird im Norden der Stadt eine weitere Siedlung namens Cambridge gegründet. Wirtschaft um 1630: Die Waldglashütte unter dem Hilsborn wird errichtet. Wissenschaft und Technik Galileo Galilei vollendet den Dialogo di Galileo Galilei sopra i due Massimi Sistemi del Mondo Tolemaico e Copernicano (Dialog über die zwei wichtigsten Weltsysteme, das Ptolemäische und das Kopernikanische). In diesem Buch erklärt Galilei unter anderem sein Relativitätsprinzip und seinen Vorschlag zur Bestimmung der Lichtgeschwindigkeit. Willem Blaeu erstellt die erste Karte der Molukken. Francesco Stelluti, Mitglied der Accademia dei Lincei, veröffentlicht erstmals eine Zeichnung, die mit Hilfe eines Lichtmikroskops angefertigt worden ist. Kultur Andries Both: Säuberung bei Kerzenlicht Judith Leyster: Das Tric-Trac-Spiel und Lustige Gesellschaft Pieter Claesz: Vanitas-Stillleben Erste Erwähnung einer Allongeperücke Religion 22. Oktober: Der venezianische Doge Nicolò Contarini gelobt der Jungfrau Maria den Bau einer Kirche, wenn die seit einem Jahr in Venedig wütende Pest aufhöre. Als kurz darauf die Seuche endet, wird sein Versprechen eingelöst und die Kirche Santa Maria della Salute errichtet. Die erste Auflage der katholischen Bibelübersetzung von Caspar Ulenberg erscheint. Der englische Puritaner und Gouverneur der Massachusetts Bay Colony, John Winthrop hält die Predigt A Model of Christian Charity, in der er erstmals die Trope City upon a Hill verwendet. Katastrophen Einer Pestwelle in Venedig fällt bis 1631 ein Drittel der Bevölkerung zum Opfer. Diese Pest gilt als Beginn des Niedergangs der Republik Venedig. Am 22. Oktober gelobt der Doge Nicolò Contarini der Jungfrau Maria den Bau einer Kirche, wenn die seit einem Jahr in Venedig wütende Pest aufhöre. Auch in anderen Regionen Europas gibt es Ausbrüche der Pest, unter anderem in Montelupo Fiorentino und Chur. Natur und Umwelt Die Schmorsdorfer Linde wird erstmals schriftlich erwähnt. Historische Ansichten und Karten Geboren Geburtsdatum gesichert 7. Januar: Johann Melchior Hardmeyer, Schweizer Buchdrucker, Lehrer und Dichter († 1700) 16. Januar: Har Rai, siebter Guru des Sikhismus († 1661) 25. Januar: Ludwig VI., Landgraf von Hessen-Darmstadt († 1678) 6. Februar: Lucas van de Poll, niederländischer Rechtswissenschaftler († 1713) 13. März: Gottlieb Amadeus von Windisch-Graetz, kaiserlich-habsburgischer Diplomat und Reichsvizekanzler († 1695) 28. März: Silvestro Valier, 109. Doge von Venedig († 1700) 16. April: Lambert van Haven, dänischer Generalbaumeister, Architekt, Maler und Inspektor der königlichen Kunstsammlungen († 1695) 30. April: Ernst Gottlieb von Börstel, kurbrandenburgischer Kriegsrat und Gouverneur von Magdeburg († 1687) 25. Mai: Leopold Wilhelm von Königsegg-Rothenfels, Reichsvizekanzler des Heiligen Römischen Reiches († 1694) 29. Mai: Karl II., König von England, Schottland und Irland († 1685) 8. Juni: Wolf Caspar von Klengel, Architekt und Baumeister aus Sachsen († 1691) 21. Juni: Samuel Oppenheimer, Wiener Hoffaktor und Diplomat († 1703) 14. August: Claes Tott, schwedischer Feldherr und Staatsmann († 1674) 22. August: Guy Aldonce de Durfort, duc de Lorges, Marschall von Frankreich († 1702) 12. September: Jacob Köck, österreichischer Orgelbauer († 1673) 17. September: Ranuccio II. Farnese, Herzog von Parma und Piacenza († 1694) 27. September: Michael Willmann, deutscher Maler († 1706) 7. Oktober: Sophie Hedwig von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg, Prinzessin aus der älteren Linie Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg († 1652) 14. Oktober: Sophie von der Pfalz, auch bekannt als Sophie von Hannover, Herzogin von Braunschweig-Lüneburg, Kurfürstin von Hannover, Erbprinzessin von Großbritannien, Stammmutter des heutigen Königshauses von Großbritannien und (Nord-)Irland († 1714) 28. November: Sigismund Franz, Landesfürst von Tirol († 1665) 2. Dezember: Abraham Siegel, deutscher frühkapitalistischer Unternehmer († 1682) 28. Dezember: Ludolf Bakhuizen, niederländischer Maler († 1708) Genaues Geburtsdatum unbekannt William Bruce, schottischer Architekt und Politiker († 1710) Josiah Child, englischer Kaufmann und Gouverneur der Ost-Indien-Kompagnie († 1699) George Gernert, der Jüngere Exulantenführer u. Gerichtsprimus in Rochlitz a.d. Iser († vor 1693) Martin Kugler, österreichischer Steinmetzmeister und Bildhauer († 1682) Ernst Sonnemann, deutscher evangelischer Pastor und Kirchenlieddichter († 1670) Lucy Walter, Mätresse des englischen Königs Karl II. († 1658) Gestorben Todesdatum gesichert 16. Januar: Christina Plum, Opfer der Hexenverfolgung in Köln (* 1604/05) 21. Januar: Lucia Reichmann, Opfer der Hexenverfolgung in Laasphe (* um 1564) 26. Januar: Henry Briggs, englischer Mathematiker und Astronom (* um 1561) 11. Februar: Hans Hummel, fränkischer Orgelbauer 16. Februar: Dominicus a Jesu Maria, spanischer Karmelit (* 1559) 26. Februar: William Brade, dänischer Komponist (* 1560) 10. April: William Herbert, 3. Earl of Pembroke, englischer Adliger (* 1580) 17. April: Christian I., Fürst von Anhalt-Bernburg und Statthalter der Oberpfalz (* 1568) 4. Mai: Christine Teipel, Opfer der Hexenverfolgung in Oberkirchen im Sauerland (* 1621) 9. Mai: Théodore Agrippa, französischer Adeliger und Militär (* 1552) 12. Mai: Cornelius Paulinus Swanenburg, niederländischer Rechtswissenschaftler (* 1574) 17. Mai: Dorothea Flock, Opfer der Hexenverfolgung im Bistum Bamberg (* 1608) 24. Juni: William Compton, 1. Earl of Northampton, englischer Peer (* um 1568) 30. Juni: Oda Nobukatsu, japanischer Samurai (* 1558) 4. Juli: Alessandro Vitali, italienischer Maler (* um 1580) 19. Juli: Daniele Crespi, italienischer Maler (* 1597) 26. Juli: Karl Emanuel I., Herzog von Savoyen (* 1562) 5. August: Ferrante II. Gonzaga, Herzog von Guastalla und Herzog von Amalfi (* 1563) 5. August: Antonio Tempesta, italienischer Maler (* um 1555) 18. September: Melchior Khlesl, Kardinal der katholischen Kirche, Bischof von Wien und Wiener Neustadt sowie Kanzler des Heiligen Römischen Reichs (* 1552) 24. September: Karl Günther, Graf von Schwarzburg-Rudolstadt, Graf von Hohnstein, Herr von Rudolstadt, Leutenberg, Blankenburg, Sondershausen und Arnstadt (* 1576) 25. September: Ambrosio Spinola, spanischer Heerführer, Ritter, spanischer Grande, Fürst und Herzog (* 1569) 6. Oktober: Diego Fernández de Córdoba, spanischer Kolonialbeamter, Vizekönig von Neuspanien und Peru (* 1578) 18. Oktober: Volkert Overlander, Amsterdamer Bürgermeister (* 1570) 19. Oktober: Johann Jakob von Bronckhorst-Batenburg, kaiserlicher Feldherr im Dreißigjährigen Krieg (* 1582) 8. November: Heinrich von Krage, deutscher Domherr (* um 1580) 15. November: Johannes Kepler, deutscher Mathematiker, Astronom und Optiker (* 1571) 18. November: Rambold XIII. von Collalto, General unter Kaiser Ferdinand II. (* 1575) 29. November: Johann Hermann Schein, deutscher Komponist (* 1586) 30. Dezember: Matthias Martinius, deutscher Theologe (* 1572) Genaues Todesdatum unbekannt Aleixo de Abreu, portugiesischer Arzt (* 1568) Andrianjaka, König von Madagaskar (* vor 1610) Abu al-Hasan, Miniaturmaler im Mogulreich (* 1589) Giovanni Francesco Anerio, italienischer Kapellmeister und Komponist (* 1567) Allen Apsley, englischer Händler (* 1567) Fede Galizia, italienische Malerin (* 1578) Weblinks
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https://de.wikipedia.org/wiki/Mehrparteiensystem
Mehrparteiensystem
Ein Mehrparteiensystem ist (in der Regel im Gegensatz zu einem Einparteiensystem) ein politisches System, in dem zumindest potenziell mehrere Parteien die Politik dieses Staates, insbesondere durch Regierungsbeteiligung, lenken können. Damit erhöht sich die Chance, den politischen Willen des Volkes durch verschiedene Parteien oder aber durch verschiedene Fraktionen und Verbände innerhalb einer Partei zu artikulieren. Abgrenzung zum Einparteiensystem Der Begriff der Partei setzt ursprünglich voraus, dass es in einem Land mehrere Parteien gibt, die miteinander im Wettbewerb bei Wahlen stehen. In einem Einparteienstaat hingegen ist nur eine einzige Partei erlaubt, wie in der Sowjetunion oder dem Dritten Reich. Manche Diktaturen wie die DDR oder die Tschechoslowakei ließen zwar mehrere Parteien zu, doch hatte nur eine Partei tatsächliche Macht. Von einem „De-facto-Einparteiensystem“ spricht man daher, wenn ein System aus mehreren Parteien nur zum Schein gebildet wird: Eine der Parteien dominiert folglich das Parteiensystem so stark, dass die anderen Parteien keinen funktionierenden Parteienwettbewerb entfachen können. Beispielsweise spielten in der DDR die „Blockparteien“ im sogenannten „sozialistischen Mehrparteiensystem“ neben der bestimmenden SED keine wesentliche Rolle. In einer pluralistischen Demokratie sind mehrere Parteien zugelassen oder dürfen sich frei gründen und betätigen. Trotzdem kann es dazu kommen, dass eine der Parteien so stark ist, dass die übrigen nur eine unbedeutende Rolle (eventuell auf lokaler Ebene) spielen. Ein Beispiel für ein solches Hegemonisches Parteiensystem ist Südafrika mit dem ANC als Hegemon (Vorherrscher). Unterschiedliche Mehrparteiensysteme Giovanni Sartori nennt neben dem Einparteiensystem und dem Hegemonischen System noch folgende Typen: Dominantes Parteisystem Zweiparteiensystem Gemäßigter Pluralismus, mit fünf bis sechs relevanten Parteien Polarisierter Pluralismus Extreme Atomisierung Für die Bundesrepublik Deutschland von 1961 bis 1983 wurde unter anderem der Begriff „Zweieinhalbparteiensystem“ verwendet, bezogen auf die zwei großen Parteien CDU/CSU und der SPD einerseits und die kleine FDP andererseits. Welcher Gruppe man eine konkrete Parteienlandschaft in einem Staat zuweist, kann vom Zeitpunkt abhängen, aber auch davon, ob man alle beispielsweise in Parlamenten vertretene berücksichtigt oder nur die an Regierungen beteiligten. So gilt zwar Großbritannien traditionell als Zweiparteiensystem, doch stellten immer wesentlich mehr Parteien Parlamentsabgeordnete. Frankreich kennt umgekehrt eine Vielzahl von Neu- und Umgründungen, doch durch die Präsidentschaftswahlen kommt es in der Regel zu einer klaren Zweiteilung nach Links und Rechts. Es stellt sich die Frage, inwieweit man Parteien idealerweise unter dem Blickpunkt einer Zweiteilung sehen soll, wie Maurice Duverger, oder ob nach Klaus von Beyme sich eine Art von Fünfparteiensystem aufdrängt. Bei dem Wort Partei ist in diesen Überlegungen nicht immer nur an eine konkrete Partei, sondern auch an eine politische Richtung oder ein politisches Lager zu denken. Pluralismus-Theorien erklären die Vielfalt der Parteien teilweise mit Sozialen Milieus. Nach einer von Maurice Duverger formulierten Idee (Duvergers Gesetz) führt ein Mehrheitswahlsystem notwendigerweise zu einem Zweiparteiensystem. Ein Verhältniswahlsystem hingegen fördere eine Vielzahl von Parteien. Da es im letzteren System in der Regel einfacher ist, auch als kleine Partei Mandate zu erringen, hört sich die Idee plausibel an. Die Untersuchung der Wirklichkeit zeigt aber, dass mehrere Faktoren die Parteienlandschaft beeinflussen, vor allem die Zahl und Art von Konfliktlinien in der Gesellschaft, wie Angestellte/Unternehmer, Katholiken/Protestanten, Stadt/Land. Berechnung der Parteien Nach Giovanni Sartori (1976) werden nur „relevante Parteien“ zur Zählung herangezogen. Als relevant gelten dabei Parteien, die: für die Bildung von Regierungskoalitionen erforderlich sind „oder“ auf andere Weise ein „Erpressungspotenzial“ auf den Parteienwettbewerb freisetzen können, beispielsweise indem sie die Parteienlandschaft polarisieren. Nach Laakso und Taagepera (1979) wird die „effektive Anzahl der Parteien“ gemäß der bei Wahlen erhaltenen Stimmenzahl mittels folgender Formel berechnet:: Dabei ist n die Anzahl aller Parteien und pi ihr relativer Stimmenanteil (als Bruchteil von 1). Die Berechnungsmethode ist jedoch in Wahlsystemen mit Sperrklauseln (wie der Fünf-Prozent-Klausel in Deutschland) problematisch, da auch Parteien, die an dieser Hürde scheitern, in die Berechnung mit einfließen. Hier kommt eine Berechnung anhand der errungenen Mandate in Frage. Siehe auch Parteiensystem Parteienstaat Weblinks Einzelnachweise Demokratie Parteiensystem
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https://de.wikipedia.org/wiki/Krankenversicherung
Krankenversicherung
Eine Krankenversicherung (KV) ist die Absicherung gegen die mit einer Erkrankung oder Verletzung verbundenen wirtschaftlichen Risiken. Die Krankenkasse erstattet den Versicherten voll oder teilweise die Kosten für die Behandlung bei Erkrankungen, bei Mutterschaft und meist auch nach Unfällen. In den meisten Ländern in denen kein staatliches oder ein duales Gesundheitssystem besteht, gibt es die Möglichkeit, sich alternativ oder ergänzend für den Krankheits- oder Pflegefall abzusichern. Hier gibt es oft Modelle, die auch als Mittel des sozialen Ausgleichs nach öffentlichem Recht als Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) organisiert sind und zumeist die gesamte oder den größeren Teil der Bevölkerung umfassen aber auch mit den Angeboten privatrechtlicher Versicherungen (PKV) ersetzt oder ergänzt werden können. Ausgestaltung Die Krankenversicherung ist Teil des Gesundheitssystems und in vielen Ländern auch des Sozialversicherungs­wesens. Die Mitgliedschaft in einer Krankenkasse oder der Vertrag mit einer Krankenversicherung ist entweder gesetzlich verpflichtend (Pflichtversicherung) oder freiwillig abschließbar (Individualversicherung). In vielen Staaten bestehen gesetzliche und private Krankenversicherungen nebeneinander, die Funktion der privaten Krankenversicherer ist dabei deutlich verschieden. Die private Krankenversicherung kann drei unterschiedliche Funktionen haben: substitutiv: Ein Teil der Bevölkerung kann die private Krankenversicherung als Vollversicherung wählen, oder hat keinen Zugang zum gesetzlichen Krankenversicherungsschutz – diese substitutive Funktion gibt es nur in Deutschland und in den USA komplementär: Leistungen, die im öffentlichen System nicht oder nicht vollständig abgedeckt sind, können privat versichert werden – diese Funktion hat die private Krankenversicherung in allen entwickelten Industrieländern (einschließlich Deutschland und den USA) parallel: Der Einzelne trägt durch die Zahlung von Beiträgen oder Steuern zur Finanzierung des allgemeinen Krankenversicherungsschutzes bei und kann parallel dazu durch die Zahlung privater Krankenversicherungsprämien ein Anrecht auf bevorzugte Behandlung erwerben – üblich vor allem in vorwiegend steuerfinanzierten Gesundheitssystemen mit Kapazitätsproblemen, wie etwa in Großbritannien und Kanada. Nur in Deutschland ist die private Krankenversicherung substitutiv zu einer allgemeinen gesetzlichen Krankenversicherung. In den USA – dem einzigen weiteren Land, in dem die private Krankenversicherung substitutive Funktion hat – haben nur Bedürftige, und insbesondere Bedürftige mit Kindern, unter Umständen Zugang zu einer steuerfinanzierten Grundversorgung. In den Niederlanden bestand bis 2005 ein Nebeneinander von gesetzlicher und privater Krankenversicherung ähnlich wie in Deutschland, wobei allerdings alle Erwerbstätigen mit einem Einkommen oberhalb einer Berechtigungsgrenze aus der sozialen Krankenversicherung ausscheiden und auf private Krankenvollversicherung zurückgreifen mussten; die zwei Systeme wurden 2006 durch die Krankenversicherungsreform in ein einziges System integriert. Nur in Deutschland muss der Einzelne sich entscheiden zwischen einer Krankenversicherung, in der jeder solidarisch einen Beitrag zahlt (Solidarprinzip in der GKV) und einer Krankenversicherung, in der sich jeder gegen sein eigenes Risiko versichert (Äquivalenzprinzip in der PKV, siehe auch: Solidaritätsprinzip vs. Äquivalenzprinzip). In einigen Ländern kommen neben finanziellen Leistungen auch Sachleistungen hinzu. Ob Folgekosten von Unfällen durch die Krankenversicherung oder stattdessen durch eine spezielle Unfallversicherung übernommen werden, ist ebenfalls länderspezifisch. Die Krankenversicherungsprämie ist vom gewählten Leistungsangebot oder vom Einkommen des Versicherten abhängig. Europäische Union Seit dem 28. Dezember 2009 gilt in der EU eine Richtlinie über die gegenseitige Anerkennung von Dienstleistern im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), damit auch ausländischer Krankenversicherer. Das Bundesjustizministerium präzisierte 2011, was hierzulande zur Erfüllung der gesetzlich geforderten Pflicht zum Abschluss einer Krankenversicherung genügt. Es sei ausreichend, dass das Unternehmen in Deutschland zum Geschäftsbetrieb zugelassen ist. Somit darf man sich auch bei ausländischen Gesellschaften versichern, sobald diese Mindeststandards einhalten, also ambulante und stationäre Behandlung abdecken und maximal 5000 Euro Selbstbehalt pro Jahr fordern. Deutschland Eine Absicherung im Krankheitsfall zu haben, ist in Deutschland für alle Einwohner gesetzlich vorgeschrieben. Der Großteil hat die Pflicht, sich bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung durch einkommensabhängigen Beitrag zu versichern. Der Rest ist versicherungsfrei in Bezug auf die vorgenannte Sozialversicherung, benötigt aber trotzdem die gesetzlich vorgeschriebene Absicherung im Krankheitsfall, entweder per privater Krankenversicherung mit risikoabhängiger Versicherungsprämie oder freiwilliger gesetzlicher Krankenversicherung. Frankreich Seit 2016 wurde die französische Zusatzversicherung mutuelle santé individuelle, die bis dato die als securité sociale bezeichnete Grundversicherung ergänzt hatte, durch die mutuelle entreprise (betriebliche Krankenversicherung) abgelöst. Diese neu geschaffene Pflichtversicherung teilt die Kosten der Versicherung zwischen dem Arbeitgeber und Arbeitnehmer paritätisch auf, um die Kosten auf Seiten des Arbeitnehmers zu senken. Die neue Versicherung ist für jeden französischen Arbeitnehmer und Staatsbürger verpflichtend. Jeder französische Arbeitgeber ist gesetzlich verpflichtet, eine Krankenzusatzversicherung anzubieten. Diese Änderungen wurden bislang von vielen Unternehmen nicht nur als Pflicht, sondern auch als Anerkennung für die Arbeit der Arbeitnehmer angenommen; andere Stimmen befürchten jedoch, dass diese Änderung später zu einer schleichenden Auflösung der Grundversicherung (securité sociale) führen könnte. Niederlande Wie auch in der Schweiz ist ein Leistungskatalog gesetzlich vorgegeben, und Personen müssen dieses Risiko bei einer der anerkannten privaten Versicherungsgesellschaften absichern. Versicherungsgesellschaften müssen jede Person zur angegebenen Kondition aufnehmen. Österreich In Österreich sind nahezu 100 Prozent der Menschen verpflichtet, sich in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern, die vollständig und sozial von Körperschaften des öffentlichen Rechts, den Krankenkassen durchgeführt wird. Die Sozialversicherung ist nach Berufsklassen organisiert. Es gibt Sonderregelungen für Arbeitslose, Pensionisten und Kinder. Die Krankenversicherungsprämie ist einkommensabhängig. Freiwillige Zusatzleistungen können als Zusatzpolizze abgesichert werden (Private Zusatzversicherung). Schweiz Eine Absicherung im Krankheitsfall zu haben, ist in der Schweiz für alle Einwohner gesetzlich vorgeschrieben. Die Versicherungspflicht besteht für alle im Rahmen der gesetzlich vorgegebenen Mindestleistungen der obligatorischen Krankenpflegeversicherung und ist nicht zu verwechseln mit einer Pflegeversicherung. Dabei besteht eine Selbstbeteiligung pro Jahr, die aus einem festen Jahresbetrag (Franchise, mind. 300 Schweizer Franken) und 10 Prozent der die Franchise übersteigenden Kosten (Selbstbehalt, max. 700 Franken) zusammengesetzt ist. Angeboten wird die soziale Krankenversicherung von Krankenkassen und von privaten Versicherungsunternehmen. Die Versicherungsprämie ist nicht einkommensabhängig und wird vom Arbeitgeber nicht bezuschusst, Geringverdiener erhalten jedoch einen Zuschuss des jeweiligen Kantons, die sogenannte Prämienverbilligung. Prämienverbilligungen des Vorjahrs müssen auch bei der jährlichen Steuererklärung angegeben werden. Die Prämienhöhe kann von den Versicherern frei festgelegt werden, gilt dann aber als Einheitsprämie für alle Versicherten derselben Altersgruppe (Kinder, junge Erwachsene und Erwachsene) und Prämienregion. Zu dieser Einheitsprämie muss die soziale Krankenversicherung jeder Person angeboten werden (Kontrahierungszwang). Freiwillige Zusatzleistungen können als Zusatzpolice abgesichert werden (Privatversicherung). Russische Föderation Die medizinische Grundversorgung in Russland ist laut Verfassung kostenlos. Die Beiträge der Krankenversicherung zahlt der Arbeitgeber (5,1 Prozent des Gehalts), für die nichtarbeitende Bevölkerung kommt der Staat auf. Das kostenlose Gesundheitssystem ist ein Überbleibsel der sozialen Absicherung, das noch aus Sowjetzeiten stammt. Obligatorische Krankenversicherung Die obligatorische Krankenversicherung (CMI) ist eine Art der obligatorischen Sozialversicherung, d. h. ein System rechtlicher, wirtschaftlicher und organisatorischer Maßnahmen, das vom Staat eingerichtet wurde und darauf abzielt, dem Versicherten im Versicherungsfall kostenlose medizinische Hilfe auf Kosten der obligatorischen Krankenversicherung im Rahmen des territorialen Programms der obligatorischen Krankenversicherung und in den durch das Bundesgesetz festgelegten Fällen im Rahmen des Grundprogramms der obligatorischen Krankenversicherung zu gewährleisten. Grundprogramm der obligatorischen Krankenpflegeversicherung Im Rahmen des Grundprogramms der obligatorischen Krankenversicherung werden die medizinische und sanitäre Grundversorgung, einschließlich der präventiven Versorgung, sowie die medizinische Notfallversorgung (mit Ausnahme der spezialisierten (Sanitäts-)Notfallversorgung) gewährleistet. Die Gliedstaaten der Russischen Föderation garantieren darüber hinaus eine zusätzliche kostenlose medizinische Versorgung. In St. Petersburg beispielsweise bietet das MHI-Programm ambulante und stationäre Versorgung in Gesundheitseinrichtungen für Infektions- und Parasitenkrankheiten (mit Ausnahme von sexuell übertragbaren Krankheiten, Tuberkulose und erworbenem Immundefektsyndrom), Neubildungen, Krankheiten des endokrinen Systems, Ernährungs- und Stoffwechselstörungen, Krankheiten des Nervensystems, Krankheiten des Blutes, der blutbildenden Organe und bestimmte Störungen des Immunsystems, Krankheiten des Auges und seines Apparates, Krankheiten des Ohres und des Mastoids, Krankheiten des Kreislaufsystems, Krankheiten des Atmungssystems, Krankheiten des Verdauungssystems, Krankheiten des Urogenitalsystems, Krankheiten der Haut und des Unterhautgewebes, Krankheiten des Muskel-Skelett-Systems und des Bindegewebes, Erkrankungen der Zähne und der Mundhöhle, Schwangerschaft, Geburt und die Zeit nach der Geburt, einschließlich Fehlgeburten, Verletzungen, Vergiftungen und bestimmte andere Folgen äußerer Ursachen, angeborene Anomalien (Fehlbildungen), Missbildungen und Chromosomenstörungen bei Erwachsenen. Das MHI-Programm sieht auch Maßnahmen zur Krankheitsvorbeugung vor, einschließlich der Überwachung gesunder Kinder in der Apotheke. Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland Vereinigte Staaten von Amerika Weblinks Einzelnachweise Versicherungsrecht Sozialrecht
Q334911
124.264302
43685
https://de.wikipedia.org/wiki/Jargon
Jargon
Als Jargon [ oder ] (französisch jargon, eigentlich und ursprünglich wohl wortmalend = unverständliches Gemurmel, auch: Vogelgezwitscher) – auch Slang [ oder ] (englisch, Herkunft ungeklärt) – wird eine nicht standardisierte Sprachvarietät, eine Sondersprache oder ein nicht standardisierter Wortschatz bezeichnet, der in einer beruflich, gesellschaftlich, politisch oder kulturell abgegrenzten Menschengruppe, einem bestimmten sozialen Milieu oder einer Subkultur („Szene“) verwendet wird. Herkunft Jargon bezeichnet einen (nicht allgemein verständlichen) sondersprachlichen Wortschatz bestimmter sozialer Schichten oder Berufsgruppen. Die Bezeichnung wurde im 18. Jahrhundert aus der französischen Sprache ins Deutsche übernommen. Das französische jargon bedeutete ursprünglich „Kauderwelsch“, „unverständliches Gemurmel“ und gehört zu einer Gruppe von Wörtern onomatopoetischen Ursprungs, die ein gurgelndes, schmatzendes Geräusch bezeichnen (vgl. französisch gargote „billiges Restaurant“, „Kneipe“; von französisch gargoter „schlürfend und schmatzend fressen und saufen“) Dieses Wort ist im Französischen seit etwa 1270 belegt und leitet sich von einer Wurzel *garg- ab, die die Gurgel (den Rachen, Schlund) bzw. deren Leistung bezeichnet: Sprachlaute. Der Begriff Slang wurde für eine „nachlässige Umgangssprache“ in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts von englisch slang „Berufs-“, „Sondersprache“, „familiäre, lässige und zu Neuerungen neigende Sprechweise“ übernommen. Zunächst bezog er sich nur auf die englische Sprache (insbesondere in London), dann auch auf das amerikanische Englisch und im 20. Jahrhundert wurde er auch auf deutsche Formen der Umgangssprache bezogen. Als Terminus der Sprachwissenschaft stellt er eine Bezeichnung für „Sondersprache“ oder „Soziolekt“ dar. Im Jahre 1893 fand das Wort erstmals Eingang in den Rechtschreibduden. Bedeutung und Abgrenzung Der Jargon ist als Umgangssprache eine Sondersprache (Soziolekt), die der (häufig vereinfachten) Kommunikation innerhalb der Anwendergruppe sowie der Abgrenzung nach außen und somit der Identitätsbildung dienen kann. Als Berufs- und Spezialistensprache wird sie auch Fachjargon genannt. Der Fachjargon beschreibt die spezielle Berufswelt treffend und konkret, ist jedoch nicht standardisiert. Er darf deshalb nicht mit einer standardisierten Fachsprache verwechselt werden. Der Fachjargon ist aber effizient und klar: er vermag zu differenzieren und zu pointieren. Der Szenejargon zieht Gruppengrenzen, indem er eine Art „Sprachkomplizenschaft“ herstellt. Durch die Anwendung eines speziellen Jargons, beispielsweise der Jugendsprache, die sich von der Sprache der Älteren abgrenzt, entsteht eine eigene Identität. Die Sprecher als Schöpfer und Besitzer ihrer Sprache üben damit gleichsam eine Macht in der Gemeinschaft aus, die zwischen Zugehörigen und Fremden unterscheidet. Die Gruppe schafft Ausdrücke, die eine besondere Wirklichkeitserfahrung widerspiegeln. Der Jargon gliedert diese in die Identität und die Kultur der Gruppe ein. Man unterscheidet unter anderem: Gruppensprachen (Soziolekt): Computerspieler-Jargon, Drogenjargon, Gefängnissprache, Graffiti-Jargon, Hip-Hop-Jargon, Jugendsprache, Netzjargon, Rotwelsch, Sprache Kanaans, Schülersprache, Studentensprache, Argot (ursprünglich Bettler- und Gaunersprache des mittelalterlichen Frankreich) Berufssprachen: Bergmannssprache, Druckersprache, Jägersprache, Juristendeutsch, Seemannssprache, Soldatensprache, Verwaltungssprache, Laborjargon Fachsprachen: Verwaltungssprache, Sportsprache, Wissenschaftssprache, Sprache von Computerexperten. Bildungsjargon Ein Jargon kann von anderen Sprachvariationen, wie Vulgärsprache oder Register, dadurch abgegrenzt werden, dass diese Variationen keine typische Sprache einer bestimmten Gruppe ist. Manchmal entwickelt sich aus einem Jargon eine Pidginsprache. In den Neurowissenschaften wird als Jargon ebenfalls eine für Außenstehende unverständliche Sprachproduktion verstanden, d. h. bestimmte Wörter werden durch andere ersetzt, ohne dass deren Bedeutung klar wird (siehe auch Paraphasie). Siehe auch salopp Literatur Kirsten Nabrings: Sprachliche Varietäten. Narr, Tübingen 1981, ISBN 3-87808-147-2, S. 172 f.: Abschnitt „Jargon“. Bernhard Schmid: American Slang Amerikanisch Deutsch, Vito von Eichborn Verlag, Frankfurt/Main 1993, ISBN 3-8218-0431-9. Peter Wippermann (Hrsg.): Duden. Wörterbuch der Szenesprachen. Herausgegeben von Trendbüro. Duden, Mannheim u. a. 2000, ISBN 3-411-70951-0. Peter Wendling: Slang-Register. Hochdeutsch – Umgangsdeutsch. Würzwörter vom Feinsten. Helix-Verlag, München 1994, ISBN 3-927930-18-0. Weblinks Einzelnachweise Soziolekt Umgangssprache Soziolinguistik
Q17951
156.404173
80382
https://de.wikipedia.org/wiki/Existentialismus
Existentialismus
Mit Existentialismus (auch Existenzialismus) wird im allgemeinen Sinne die überwiegend französische philosophische Strömung der Existenzphilosophie bezeichnet. Ihre Hauptvertreter sind Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, Albert Camus und in einer christlichen Sonderform Gabriel Marcel, dem Peter Wust nahe stand. Des Weiteren ist der Begriff des „Existentialismus“ im Gebrauch als Bezeichnung für eine allgemeine Geisteshaltung, die den Menschen als Existenz im Sinne der Existenzphilosophie auffasst. („Der Mensch ist seine Existenz.“) Philosophie Eine der bekanntesten existentialistischen Äußerungen, die jedoch sinngemäß schon bei Schelling nachgewiesen werden kann, ist die Aussage Sartres „Die Existenz geht der Essenz (dem Wesen) voraus“ aus dem 1946 veröffentlichten Essay Der Existentialismus ist ein Humanismus. Somit ist der Existentialismus eine Gegenposition zum Essentialismus. Hier wird thematisch an die Wesens­bestimmung (Essenz) des Menschen in der Philosophie angeknüpft. Durch die Bestimmung des Menschen als biologisches Wesen, als Vernunft­wesen, als göttliches Wesen etc. erhält der Mensch vor seiner Existenz zunächst schon eine Bedeutung, eben biologisch, vernünftig, gottähnlich. Der Existentialismus kritisiert diese der Existenz vorgängige Sinnbestimmung und setzt ihr die Existenz entgegen: Der Mensch ist als Mensch nicht zu erfassen, wenn nicht je von seiner eigenen individuellen Existenz ausgegangen wird. Jede Wesensbestimmung enthält, so die Kritik durch den Existentialismus, immer schon einen Theorieaspekt, der sich nicht aus einer unmittelbaren Erfahrung der Existenz speist, sondern in der Existenz „nachrangig“ gebildet wird. Hieraus erklärt sich auch die Fokussierung des Existentialismus auf die Themen Angst, Tod, Freiheit, Verantwortung und Handeln als elementar menschliche Erfahrungen. Der Mensch versteht sich selbst nur im Erleben seiner selbst. Demnach bezieht sich der Existentialismus nicht mehr auf eine göttliche oder kosmologische Ordnung, sondern entwickelt seine Theorie vom Einzelnen aus. Dadurch wird eine religiöse Grundhaltung nicht abgelehnt (auch wenn dies häufig durch die Schriften Sartres intendiert wird), sondern der Glaube wird vielmehr selbst zum existentiellen Erleben. In Begriffen wie Geworfenheit, Selbstentwurf, Freiheit und Selbstbestimmung zeigt sich die Zentrierung des Existentialismus auf das Problem der Befreiung des Menschen zu seinen eigenen Möglichkeiten hin. Die Notwendigkeit dieser Möglichkeit zu sein zeigt sich in den Erfahrungen von Absurdität, Ekel, Angst, Sorge, Tod und Langeweile und zeigt eindrucksvoll auf, dass gerade dieses subjektive Empfinden das Leben des Menschen bestimmt, Objektivitätsansprüche vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen verblassen. Grundpositionen des Existentialismus Jean-Paul Sartre Das philosophische Hauptwerk Sartres Das Sein und das Nichts (L’être et le néant, 1943) gilt als theoretisches Fundament des Existentialismus. Hier zeigt Sartre auf, dass sich das menschliche Sein (Für-Sich) von dem anderen Sein, den Dingen, Tieren, Sachen etc. (An-sich) durch seinen Bezug zum Nichts unterscheidet. Der Mensch ist ein Sein, „das nicht das ist, was es ist, und das das ist, was es nicht ist“. Als einziges Wesen, das verneinen könne, das einen Bezug zu dem Noch-Nicht oder Nicht-Mehr habe, das lügen könne, also das sagen, was nicht sei, habe der Mensch damit auch die Bürde der Freiheit und damit auch die Verantwortung. Das Hauptwerk zeigt in Analysen menschlicher Situationen, wie sich die Freiheit in allen Bezügen des Seins des Menschen aufdrängt, der Mensch vor dieser Verantwortung flieht und wie der konkrete Bezug zum Anderen ihm erst diese Verantwortung und Freiheit aufzeigt. Das Vorurteil, dass es sich bei dem Existentialismus sartrescher Prägung um einen egoistischen Individualismus handelt, kann so nicht aufrechterhalten werden. Im Gegenteil: In seinen Analysen kommt Sartre zu dem Schluss, dass menschliches Leben niemals als vereinzeltes Leben verstanden werden könne. Damit argumentiert er gegen den Solipsismus. Methodisch geht Sartre phänomenologisch vor, indem er die oben genannten Existentiale wie Freiheit, Furcht, Angst, Liebe, Scham als Zeugen für die Freiheit des Menschen befragt. Durch diese Analysen gelangt er schließlich auch zu dem Anderen als mir gegenübertretende Freiheit und zeigt auf, dass unsere Freiheit und Verantwortung eine ontologische Entsprechung hat. Somit kann Sartre zwar keine moralischen Forderungen stellen, bejaht aber solche grundsätzlich, wenngleich sie auch von überindividuellen Bezügen abgelöst werden müssen und ihre eigentliche Entsprechung in der Verantwortlichkeit jedes Einzelnen finden. Nun findet sich aber gerade hier häufig der Einwand, warum Menschen denn dann unmoralisch handeln bzw. ihre Verantwortung nicht wahrnehmen, wenn wir doch frei sind. Der Mensch hat nach Sartre einen Bezug zum Nichts eben dadurch, dass er in seiner eigenen Seinsstruktur selber Nichts ist, d. h. der oben zitierte Satz bringt zum Ausdruck, dass wir selbst immer wieder vor der Verantwortung fliehen können: Sartre nennt diese ontologische Struktur des Menschen „mauvaise foi“, die Unaufrichtigkeit oder Selbstlüge. Er beschreibt, wie wir in der Selbstlüge zugleich Lügner und Belogener in einer Person sind, und zeigt auf, warum dieses offensichtlich logisch Widersinnige nachzuvollziehen ist: Da wir offensichtlich nicht eindeutig zu bestimmen sind, wie die Analyse der mauvaise foi nahelegt, tätigen wir immer wieder einen sog. Entwurf. In seinen literarischen Werken wird dies – Entwurf und Änderung eines Grundentwurfes – immer wieder zum Thema gemacht. Albert Camus Albert Camus ist der zweite wichtige große Vertreter des französischen Existentialismus. In seinem 1942 erschienenen Buch Der Mythos des Sisyphos (Le mythe de Sisyphe) entwickelt Camus die Philosophie des Absurden. Sich selbst nicht als Existentialisten begreifend und mehr in der Tradition der französischen Moralisten stehend, fasst er aber in ähnlicher Weise wie Sartre die Welt auf als nicht von sich aus sinnhaft, weil durch den Menschen erst Sinn erhaltend. Jedoch teilt Camus nicht die für den Existentialismus typische Grundannahme, dass die Existenz der Essenz vorausgeht: Das philosophische Fragen kulminiert für Camus in der für ihn einzig wichtigen Frage, der nach dem Suizid. Der Suizid ist hier als Lösung, Loslösung von einer sinnlosen Welt gedacht: Warum leben, wenn doch alles sinnlos ist? Allerdings wird der Suizid von Camus abgelehnt; sich umbringen hieße dem Absurden erliegen. Mit dem Bewusstsein, dass alles absurd ist, weiterleben, dem Absurden so ins Auge sehen ist für Camus die anzustrebende Revolte gegen das Absurde. Wenn wir weder Vertrauen in einen Gott noch in unsere Vernunft setzen können – was bleibt dann als Sicherheit? Nichts! Für den modernen Menschen gibt es diese Sicherheit nicht. Hier liegt auch seine Ablehnung des Existentialismus als System: Ein System suggeriert eine Ordnung, die Camus so nicht sah. Damit treibt er die Überlegungen des Existentialismus auf die Spitze. Seine Antwort liegt in der ständigen Revolte des Menschen. Indem der Mensch das absurde Verhältnis von Mensch und Welt anerkennt, akzeptiert er sich als ein Wesen, das frei ist. Im Mythos des Sisyphos wird dies exemplarisch an dem besagten Mythos erläutert. Indem Sisyphos seine Strafe erträgt, annimmt, sich aber nicht von der Bürde der ewigen Qual erschüttern lässt, sondern die Götter verlacht, zeigt er die Größe des modernen Menschen, der sein absurdes Schicksal bewusst lebt. Die Idee der Revolte gegen das Absurde wird in dem Essay Der Mensch in der Revolte weiter ausgeführt. Seine philosophischen Gedanken finden sich auch in seinen literarischen Werken wieder. Immer wieder legen die Personen die Haltung des gegen die sinnlose Welt revoltierenden Menschen dar, so z. B. im Gespräch Meursaults mit dem Anstaltsgeistlichen und seinen anschließenden Gedankengängen in Der Fremde. Diese Haltung wird auch im Kampf des Dr. Rieux gegen die Pest im gleichnamigen Roman deutlich. Simone de Beauvoir Simone de Beauvoirs bedeutendster Beitrag zum Existenzialismus findet sich in ihrem Werk Das andere Geschlecht, in dem sie die Situation von Frauen aus einem existentialistischen Blickwinkel analysiert. De Beauvoir erklärt darin: „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es.“ Davon ausgehend, dass es keine weibliche „Essenz“ gibt, untersucht Simone de Beauvoir, wie die Frau als „das Andere“ konstruiert wird, das „zur Immanenz verdammt“ ist. Existentialismus als Popkultur In den 50er-Jahren entstand in der Pariser Existentialistenszene in den Cafés von Saint-Germain-des-Prés das Klischeebild des melancholischen, meist schwarz gekleideten jungen Existentialisten, der zwischen Jazzkeller, Café und Universität verkehrte. Kritik am Existentialismus Der Existentialismus hat, da er sich unter anderem als politisch engagiert verstand, viel Kritik aus allen gesellschaftlichen Bereichen erhalten, insbesondere durch die katholische Kirche, aber auch durch Politiker verschiedener Parteien und ebenso durch Vertreter anderer philosophischer Richtungen. Die philosophische Kritik richtet sich meist gegen einen verabsolutierenden Begriff der Existenz und eine zu geringe Differenzierung menschlicher Lebensformen, eine zu starke Polarisierung und schließlich eine Verfestigung der Dichotomie von Subjekt und Objekt. Heidegger und Merleau-Ponty verwahren sich gegen die Ausprägung der Philosophie Sartres, um bei allen Gemeinsamkeiten die Unterschiede zu betonen. Werke (Auswahl) Jean-Paul Sartre: La nausée (Der Ekel) L’être et le néant (Das Sein und das Nichts) Les chemins de la liberté (Die Wege der Freiheit) Huis clos (Geschlossene Gesellschaft) Morts sans sépulture (Tote ohne Begräbnis) Albert Camus: Le Mythe de Sisyphe (Der Mythos des Sisyphos) L’Homme révolté (Der Mensch in der Revolte) L’Étranger (Der Fremde) La Peste (Die Pest) Le Malentendu (Das Missverständnis) La Chute (Der Fall) Caligula Simone de Beauvoir: L’Invitée (Sie kam und blieb) Pyrrhus et Cinéas (1944) (Pyrrhus und Cinéas) Pour une morale de l’ambiguïté (1947) (Für eine Moral der Doppelsinnigkeit) Le Deuxième Sexe (1949) (Das andere Geschlecht) Zitate Jean-Paul Sartre Existieren, das ist dasein, ganz einfach; die Existierenden erscheinen, lassen sich antreffen, aber man kann sie nicht ableiten Denn die dialektische Totalisierung muss die Handlungen, die Leidenschaften, die Arbeit und die Bedürfnisse ebenso wie die ökonomischen Kategorien umfassen, sie muss gleichzeitig den Handelnden wie das Ereignis in den historischen Komplex einordnen, ihn im Verhältnis zur Richtung des Werdens definieren und genauestens den Sinn der Gegenwart bestimmen. Wenn die Existenz dem Wesen vorausgeht, das heißt, wenn die Tatsache, dass wir existieren, uns (nicht) von der Notwendigkeit entlastet, uns unser Wesen erst durch unser Handeln zu schaffen, dann sind wir damit, solange wir leben, zur Freiheit verurteilt… Das „Paradoxe unserer historischen Situation“ bestehe darin, dass „unsere Freiheit heute […] lediglich der freie Entschluss, die Freiheit zu erkämpfen“, sei. Der Marxismus wird zu einer unmenschlichen Anthropologie degenerieren, wenn er nicht den Menschen als seine Grundlage reintegriert … es gibt keine Auswege zu wählen. Ein Ausweg, der wird erfunden Nicht die „Härte einer Situation und die von ihr auferlegten Leiden“ sind Motive dafür, dass man sich einen anderen Zustand der Dinge denkt, bei dem es aller Welt besser ginge; im Gegenteil, von dem Tag an, da man sich einen anderen Zustand denken kann, fällt ein neues Licht auf unsere Mühsale und Leiden und entscheiden wir, dass sie unerträglich sind. Albert Camus Für „die zärtliche Gleichgültigkeit der Welt“ (französisch: „la tendre indifférence du monde“) öffnet sich der Protagonist am Ende des Romans „Der Fremde“, als er sich in der Todeszelle kurz vor der Hinrichtung befindet. Simone de Beauvoir „Man kommt nicht als Frau zur Welt, man wird es. Keine biologische, psychische oder ökonomische Bestimmung legt die Gestalt fest, die der weibliche Mensch in der Gesellschaft annimmt.“ Siehe auch Sinn des Lebens Maurice Blondel Simone Weil Literatur Nicola Abbagnano: Philosophie des menschlichen Konflikts. Eine Einführung in den Existentialismus. Rowohlt, Hamburg 1957. Sarah Bakewell: Das Café der Existenzialisten: Freiheit, Sein und Aprikosencocktails. Deutsch von Rita Seuß. C. H. Beck, München 2016. ISBN 978-3-406-69764-7 Cornelia Blasberg u. Franz-Josef Deiters (Hrsg.): Denken/Schreiben (in) der Krise – Existentialismus und Literatur. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2004. ISBN 3-86110-379-6 Arthur C. Danto: Jean-Paul Sartre. Steidl, Göttingen 1997, ISBN 3-88243-172-5. Helmut Fahrenbach: Kierkegaards existenzdialektische Ethik, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1968. Helmut Fahrenbach: Existenzphilosophie und Ethik, Vittorio Klostermann, Frankfurt a. M. 1970. Thomas R. Flynn: Existenzialismus. Eine kurze Einführung. Aus dem Amerik. von Erik M. Vogt, Turia + Kant, Wien 2008, ISBN 978-3-85132-488-4 Haim Gordon (Hrsg.): Dictionary of existentialism. Fitzroy Dearborn, London u. a. 1999, ISBN 1-57958-167-6 Helene Harth; Volker Roloff (Hrsg.): Literarische Diskurse des Existentialismus. Stauffenburg, Tübingen 1986, ISBN 3-923721-55-2 Alexander Lohner: Der Tod im Existentialismus. Eine Analyse der fundamentaltheologischen, philosophischen und ethischen Implikationen, Schöningh, Paderborn 1997, ISBN 3-506-75245-6 (Digitalisat BSB München) Wilhelm Antonius Maria Luijpen: Existentielle Phänomenologie. Eine Einführung. Manz, München 1971, ISBN 3-7863-0135-2 William L. McBride (Hrsg.): Sartre and existentialism. Philosophy, politics, ethics, the psyche, literature, and aesthetics. Bisher 8 Bde. Garland, New York, NY u. a. 1997ff. Leo Pollmann: Sartre und Camus. Literatur der Existenz. Kohlhammer, Stuttgart u. a. 1967. Hans-Martin Schönherr-Mann: Sartre. Philosophie als Lebensform. Beck, München 2005, ISBN 3-406-51138-4 Robert C. Solomon (Hrsg.): Existentialism. 2. Auflage, Oxford University Press, New York u. a. 2005, ISBN 0-19-517463-1 (Sammlung von Quellentexten) Josef Speck (Hrsg.): Philosophie der Gegenwart V – Grundprobleme der großen Philosophen, (Jaspers, Heidegger, Sartre, Camus, Wust, Marcel), Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992, ISBN 3-525-03309-5 Rainer Thurnher, Wolfgang Röd, Heinrich Schmidinger: Geschichte der Philosophie Bd. 13: Die Philosophie des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts 3: Lebensphilosophie und Existenzphilosophie, C.H. Beck, München 2008, ISBN 978-3-406-49275-4 Urs Thurnherr, Anton Hügli (Hrsg.): Lexikon Existentialismus / Existenzphilosophie, WBG, Darmstadt 2007. Yves Trottier, Marc Imbeault: Limites de la violence, Les Presses de l’Université Laval, Québec 2006. Weiland, René: Philosophie der Lebensführung. Ethisches Denken zwischen Existenzphilosophie und Konstruktivismus. transcript, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-8376-3632-1. Weblinks Online-Lernarchiv Existentialismus beim Hessischen Bildungsserver Einzelnachweise Existenzphilosophie
Q38066
283.522569
6643
https://de.wikipedia.org/wiki/1629
1629
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Europa 18. Januar: Der schwedische Reichstag billigt einen Kriegseintritt des von König Gustav II. Adolf regierten Landes im Dreißigjährigen Krieg gegen die Heere des Kaisers Ferdinand II. in Deutschland. Der Schwedische Krieg beginnt mit der Landung der Schweden im folgenden Jahr. 6. März: Kaiser Ferdinand II. erlässt das Restitutionsedikt, in dem die protestantischen Stände dazu verpflichtet werden, alle seit 1552 eingezogenen katholischen Gebiete wieder herauszugeben. 22. Mai: Der Lübecker Frieden bewirkt das Ausscheiden Dänemarks als Kriegspartei. Der Dänisch-Niedersächsische Krieg endet. 27. Juni: In der Schlacht bei Stuhm verlieren die Schweden gegen polnische und kaiserliche Truppen. 28. Juni: Das Gnadenedikt von Alès beendet nach der völligen militärischen Niederlage der Hugenotten im Vorjahr die Hugenottenkriege in Frankreich. 25. September: Der Vertrag von Altmark zwischen Polen-Litauen und Schweden beendet die seit 1600 dauernden Polnisch-Schwedischen Kriege. Polen erkennt Schweden im Besitz von Livland und Teilen Preußens an. Friedrich Heinrich von Oranien erobert im Achtzigjährigen Krieg die Stadt ’s-Hertogenbosch für die Niederlande. Kurfürst Philipp Christoph von Sötern (Kurtrier) verlegt seine Residenz von Trier in das neuerbaute Schloss Philippsburg in Ehrenbreitstein bei Koblenz. Amerikanische Kolonien 4. März: Durch eine Charta des englischen Königs Charles I. wird die Massachusetts Bay Colony gegründet. Erster Gouverneur wird John Winthrop. 19. Juli: Drei Monate nach der Unterzeichnung eines Friedensvertrages zwischen England und Frankreich erobern mit einer Schiffsflotte angelangte Engländer unter der Führung des Abenteurers David Kirke den von Franzosen besiedelten Ort Québec in Neufrankreich. Mit Ausnahme der Familie des ersten Siedlers Louis Hébert verlassen alle französischen Einwohner die Siedlung. Asien 19. Januar: Der persische Herrscher Abbas I. stirbt. Sein Enkel Safi I. wird Nachfolger als Schah der Safawiden im Iran. Spanische Konquistadoren gründen Fort Santo Domingo auf Taiwan. Wirtschaft 8. Mai: In Lübeck wird eine Sklavenkasse eingerichtet, die lübische Seeleute aus den Fängen nordafrikanischer Piraten freikaufen soll. Kultur Bildende Kunst Die niederländische Malerin Judith Leyster, eine der wenigen Malerinnen des Goldenen Zeitalters, malt ihre ersten signierten Bilder: Der lustige Zecher und Serenade. Das erste Gemälde der Gießener Professorengalerie entsteht in Marburg. Musik und Theater Das Musikkollegium Winterthur wird gegründet. Der französische Schauspieler und Theaterdirektor Montdory lässt sich mit seiner Theatertruppe in Paris nieder und gründet dort das Théâtre du Marais. Der Architekt Christoph Gumpp der Jüngere funktioniert im Auftrag von Erzherzog Leopold eines der Innsbrucker Ballspielhäuser zu einem Comedihaus um, dem heutigen Tiroler Landestheater Innsbruck. Religion Am 28. Juni erlässt Kardinal Richelieu als Folge der Eroberung von La Rochelle im Vorjahr das gegen die Hugenotten gerichtete Gnadenedikt von Alès. Darin werden alle zuvor im Edikt von Nantes zugestandenen Sicherheitsplätze aufgehoben. Die Armeen der Protestanten werden aufgelöst und ihre Festungsanlagen geschleift. Nationale Kirchenzusammenkünfte der Hugenotten können nur noch mit Zustimmung des Königs stattfinden. Die politische Niederlage der Hugenotten wird jedoch nicht für Zwangsbekehrungen genutzt, die Existenz von Protestanten auf französischen Boden wird vorläufig weiter geduldet. In Japan werden erstmals Fumien (Tretbilder) eingesetzt, um Anhänger der verbotenen Religion des Christentums zu entlarven. Wer verdächtigt wird, der christlichen Religion anzugehören, muss diese Bilder öffentlich mit Füßen treten. Katastrophen 4. Juni: Das Segelschiff Batavia der Niederländischen Ostindien-Kompanie läuft auf ein Riff des Houtman-Abrolhos-Archipels vor der Westküste Australiens. Etwa zwanzig Menschen sterben, die meisten Besatzungsmitglieder und Passagiere können sich auf kleine Inseln retten. In der Folge werden 125 Menschen unter der einsetzenden Terrorherrschaft des Jeronimus Cornelisz und seiner Spießgesellen getötet. In der Republik Venedig beginnt eine Pestepidemie. Etwa ein Drittel der Bevölkerung fällt der Seuche bis zu deren Ende 1630 zum Opfer. Geboren Erstes Halbjahr 2. Januar: Christian Scriver, deutscher Theologe des 17. Jh. und Kirchenliederdichter († 1693) 6. Januar: Vincenzo Amato, italienischer Komponist († 1670) 23. Januar: Adolf von Nassau-Schaumburg, Begründer der kurzlebigen Line Nassau-Schaumburg († 1676) 26. Januar: Johann Georg Crocius, deutscher reformierter Theologe († 1674) 1. Februar: Thomas Bromley, englischer Mystiker († 1691) 4. Februar: Sibylla Ursula von Braunschweig-Wolfenbüttel, Herzogin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Glücksburg († 1671) 25. Februar: Franz Erdmann, Herzog von Sachsen-Lauenburg und kaiserlicher Generalfeldmarschall († 1666) 8. März: János Kájoni, rumänischer Komponist († 1687) 29. März: Alexei I., Zar von Russland († 1676) 1. April: Jean-Henri d’Anglebert, französischer Komponist, Cembalist und Organist († 1691) 5. April: Giovanni Battista Ruoppolo, italienischer Maler († 1693) 7. April: Juan José de Austria, spanischer Heerführer und Staatsmann († 1679) 14. April: Christiaan Huygens, niederländischer Mathematiker, Physiker und Astronom († 1695) 23. April: Jan Commelin, niederländischer Pflanzenhändler und Botaniker († 1692) 18. Mai: Christoph Carl von Boxberg, sächsischer Bergrat († 1699) 23. Mai: Wilhelm VI., Landgraf von Hessen-Kassel († 1663) 9. Juni: Nicolaus von Gersdorf, sächsischer Jurist und Diplomat († 1702) Zweites Halbjahr 27. Juli: Ludovica Cristina von Savoyen, Prinzessin aus dem Haus Savoyen († 1692) 27. Juli: Johannes Spengler, Bürgermeister von St. Gallen († 1700) 5. August: Charles Colbert, französischer Diplomat und Außenminister († 1696) 12. August: Isabella Clara von Österreich, Herzogin von Mantua († 1685) 17. August: Jan III. Sobieski, polnischer König († 1696) 26. August: Johann Christoph Falckner, deutscher Rechtswissenschaftler († 1681) 31. August: Anna Margarete, Prinzessin von Hessen-Homburg und Herzogin von Schleswig-Holstein-Sonderburg-Wiesenburg († 1686) 4. September: Lorenzo Pasinelli, italienischer Maler († 1700) 9. September: Cornelis Tromp, niederländischer Marineoffizier († 1691) 23. September: David Klöcker Ehrenstrahl, schwedischer Maler († 1698) 2. Oktober: François de Créquy, Marquis de Marines, Marschall von Frankreich († 1687) 11. Oktober: Adolf Johann I., schwedischer Reichsmarschall, Herzog von Stegeborg und Pfalz-Kleeburg († 1689) 11. Oktober: Armand de Bourbon, Fürst von Conti († 1666) 29. Oktober: Agnes Block, niederländische Mennonitin, Mäzenin und Sammlerin († 1704) 31. Oktober: Carlo III. Gonzaga, Herzog von Mantua, Nevers und Rethel († 1665) 17. November: Giovanni Pietro Tencalla, Tessiner Architekt des Barock († 1702) 20. November: Ernst August, Kurfürst von Hannover († 1698) 2. Dezember: Wilhelm Egon von Fürstenberg-Heiligenberg, Bischof von Straßburg und kurkölnischer Premierminister († 1704) 11. Dezember: Johann Helfrich Dexbach, deutscher Rechtswissenschaftler († 1682) 16. Dezember: Ahasverus Fritsch, deutscher Jurist und Kirchenlieddichter († 1701) 16. Dezember: Melchor Liñán y Cisneros, spanischer Bischof und Kolonialbeamter, Vizekönig von Peru († 1708) 19. Dezember: Tomáš Pešina z Čechorodu, tschechischer Historiker und Schriftsteller († 1680) Genaues Geburtsdatum unbekannt Johann Michael Nicolai, deutscher Violinist und Komponist († 1685) Toda Mosui, japanischer Dichter († 1706) Henry Somerset, 1. Duke of Beaufort, englischer Peer († 1700) Cornelis Visscher, niederländischer Kupferstecher († 1662) Gestorben Todesdatum gesichert 19. Januar: Abbas I., persischer Herrscher aus der Dynastie der Safawiden (* 1571) 27. Januar: Hieronymus Praetorius, deutscher Organist und Komponist (* 1560) 30. Januar: Carlo Maderno, italienischer Baumeister und Bruder von Stefano Maderna (* 1556) 11. Februar: Kaspar von Teutleben, deutscher Dichter und Hofmeister (* 1576) 13. März: Basilius Besler, deutscher Arzt, Botaniker und Verleger (* 1561) 26. März: Agnes, Prinzessin von Brandenburg, Herzogin von Pommern und Herzogin von Sachsen-Lauenburg (* 1584) 27. März: George Carew, 1. Earl of Totnes, englischer Militär und Politiker (* 1555) 27. März: Baldassare Maggi, Tessiner Architekt und Baumeister (* 1550) 17. April: Caterina de’ Medici, Herzogin von Mantua und Montferrat (* 1593) 4. Mai: Thomas Weinrich, deutscher lutherischer Theologe (* 1588) 5. Mai: Szymon Szymonowic, polnischer Dichter und Dramatiker (* 1558) 14. Mai: Jean Gordon, schottische Adelige (* 1546) 18. Juni: Piet Pieterszoon Heyn, holländischer Freibeuter (* 1577) 21. Juni: Szymon Zimorowic, polnischer Dichter (* um 1609) 6. Juli: Georg Friedrich von Greiffenclau zu Vollrads, Erzbischof und Kurfürst von Mainz (* 1573) 6. August: Margarete Diepolt, Opfer der Hexenverfolgung im Kurfürstentum Mainz 14. August: Georg Balthasar, böhmischer Märtyrer (Geburtsjahr unbekannt) 21. August: Camillo Procaccini, italienischer Maler (* 1561) 28. August: Christoph Crinesius, deutscher Orientalist, Linguist und Philologe (* 1584) 29. August: Charlotte Catherine de La Trémoille, Fürstin von Condé (* 1568) 10. September: Martin Blochwitz, deutscher Mediziner (* 1602) 11. September: Adam Graf von Herberstorff, bayerischer Statthalter von Oberösterreich (* 1585) 21. September: Jan Pieterszoon Coen, Generalgouverneur der niederländischen Ostindien-Kompanie (VOC) in Südostasien (* 1587) 2. Oktober: Antonio Cifra, italienischer Komponist (* 1584) 2. Oktober: Pierre de Bérulle, französischer Theologe und Kardinal (* 1575) 3. Oktober: Paolo Agostini, italienischer Organist, Kapellmeister und Komponist (* 1583) 4. Oktober: Bernardo Castello, italienischer Maler, Freskant und Zeichner (* 1557/59) 1. November: Hendrick ter Brugghen, niederländischer Maler (* 1588) 9. November: Kaspar Kellermann, Opfer der Hexenverfolgungen in Sundern (* um 1600) 15. November: Gábor Bethlen, Fürst von Siebenbürgen (* 1580) 16. November: Bartholomäus Reusner, deutscher Rechtswissenschaftler (* 1565) 25. November: Hieronymus Praetorius, deutscher Komponist und Organist (* 1614) 23. Dezember: Giovanni I. Cornaro, 96. Doge von Venedig (* 1551) 24. Dezember: Elisabeth Sophie von Brandenburg, Fürstin von Radziwiłł und Herzogin von Sachsen-Lauenburg (* 1589) Genaues Todesdatum unbekannt Oktober: Edwin Sandys, englischer Politiker (* 1561) Antonio Maria Viani, italienischer Maler (* 1555 – 1560) Weblinks
Q6847
162.813038
23151
https://de.wikipedia.org/wiki/Baustil
Baustil
Unter Baustil (auch Architekturstil) versteht man vor allem in der Kunstgeschichte einen regional oder international bedeutsamen Stil in der Architektur und im Bauwesen. Grundlage bildet die für einen Architekten, eine Architektenschule oder eine historische Epoche oder Region typische Formensprache. Vor allem in den Architekturwissenschaften (Architekturtheorie, Baugeschichte, historische Bauforschung und Denkmalpflege) wird das Konzept des Epochenstils immer mehr hinterfragt. Man spricht in diesen Disziplinen heute in der Regel von Bauepochen, historischen Bautypologien oder historischen Bauformen und nutzt den Stilbegriff nur noch für die bewusste Übernahme von vergangenen oder exotischen Bauformen, selten auch zur Unterscheidung der verschiedenen Architekturströmungen des 20. und 21. Jahrhunderts. Die wichtigste Einteilung von Baustilen bzw. Bauepochen erfolgt nach zeitlichen Abschnitten im Kontext gewisser Räume und Kulturen. Diese ist eng bis lose verwandt mit anderen Stilrichtungen innerhalb der Design- und Kunstgeschichte, eng zum Beispiel den Möbelstilen, weniger eng mit denen der Malerei und Bildhauerei. In die Innenarchitektur und Ornamentik spielen auch die Stile der Kleidermode hinein. Architekturstile sind aufgrund des Umfangs des Werkes naturgemäß langsam veränderlich, folgen kaum schnelllebigen Moden, und finden ihre breite Anwendung oft erst ein bis zwei Generationen nach analogen Entwicklungen in anderen Kunstsparten, oder breiten sich entsprechend langsam aus. Auch überlappen sich aufeinanderfolgende Stile durchwegs über Jahrzehnte. Übersicht wesentlicher Stile Siehe auch: Geschichte der Architektur – Überblick über die wichtigsten Stile der Baugeschichte Antike Griechische Architektur Römische Architektur Frühchristliche Architektur Mittelalter Vorromanik (5. bis ins 11. Jahrhundert) Romanik (1000–1235) Gotik (1140–1520) Scheldegotik Neuzeit Renaissance (1510–1620) Manierismus Barock/Rokoko (1575–1720)/(1720–1780) Chinoiserie / Chinesischer Stil während der Barockzeit Klassizismus (1770–1840) 19. Jahrhundert Historismus (1830–1910): In der Phase des Historismus herrscht ein Stilpluralismus. In der Zeit des Historismus werden gleichzeitig unterschiedliche an frühere Architektur-Epochen angelehnte Baustile oder Baustile aus anderen Weltregionen angewandt (teilweise als Eklektizismus auch vermischt): Unter anderem ... Neugotik Neoromanik Neorenaissance Neobarock Maurischer Stil Schweizer Stil Jugendstil (1890–1910) 20. Jahrhundert Art déco Heimatschutzarchitektur Moderne: Ähnlich wie im Historismus treten innerhalb der Architektur der Moderne diverse Strömungen parallel auf. Da sich die Väter der Moderne vehement abgrenzten vom Historismus und dessen rein dekorativen und fassaden-haftigen Stilpluralismus, ist es im Bezug auf die Moderne problematisch von Stilen zu sprechen. Es handelt sich eher um Architektur-Richtungen oder Strömungen mit unterschiedlichen Konzepten, d. h. um Architekturhaltungen. Allerdings teilt man die Epoche der Moderne in der Architektur auch zeitlich in Abschnitte ein. Phasen der Moderne: Wegbereiter der Moderne, vor dem Ersten Weltkrieg Klassische Moderne, zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg Nachkriegsmoderne, nach dem Zweiten Weltkrieg Strömungen der Moderne: Organisches Bauen Neues Bauen Expressionismus Amsterdamer Schule De Stijl Funktionalismus Bauhaus Neue Sachlichkeit Konstruktivismus Sozialistischer Klassizismus Rationalismo Minimalismus High-Tech-Architektur Internationaler Stil Brutalismus Strukturalismus Kritischer Regionalismus Neoklassizismus Postmoderne (nach 1959) Dekonstruktivismus (nach 1983) Regionale und lokale Baustile (Auswahl) Zakopane-Stil (oder Witkiewicz-Stil) eine Architekturrichtung ab den 1890er Jahren, inspiriert von der regionalen Baukunst der polnischen Hochlandregion bei Zakopane. Neubergischer Stil Bergisches Land, Anfang des 20. Jahrhunderts: Eine Heimatschutzarchitektur, die auf die Tradition des Bergischen Hauses zurückgriff. Magdeburger Moderne Das Wirken von Bruno Taut, Albin Müller und anderen zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Magdeburg. Literatur Weblinks Einzelbelege
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175.858274
3996
https://de.wikipedia.org/wiki/Politikwissenschaft
Politikwissenschaft
Politikwissenschaft – auch Politische Wissenschaft, Wissenschaft von der Politik, Wissenschaftliche Politik oder Politologie – ist als Integrationswissenschaft ein Teil der modernen Sozialwissenschaften und beschäftigt sich mit dem wissenschaftlichen Lehren und Erforschen politischer Prozesse, Strukturen und Inhalte sowie den politischen Erscheinungen und Handlungen des menschlichen Zusammenlebens. Die Politikwissenschaft zählt von ihrer Entwicklung als Wissenschaftsdisziplin im weiteren Sinne auch zu den Staatswissenschaften. Mit Nachbardisziplinen wie der Soziologie, der Rechtswissenschaft, der Geschichtswissenschaft, den Wirtschaftswissenschaften und der Psychologie erschloss sie sich inzwischen einen interdisziplinär angelegten Untersuchungsgegenstand, der über den Staat und seine Institutionen als Forschungsgegenstand hinausreicht. Das Fach wird in verschiedene Teilbereiche untergliedert. Grundlegend ist die Differenzierung zwischen den Bereichen Politische Theorie (einschließlich Politische Philosophie und Ideengeschichte), Vergleichende Politikwissenschaft (früher Vergleichende Regierungslehre oder Vergleichende Analyse politischer Systeme) und Internationale Beziehungen (einschließlich Internationale Politik). Im Fall eines breiter angelegten Lehrangebots, wie es an manchen Universitäten betrieben wird, werden beispielsweise zusätzlich die Teildisziplinen System- bzw. Regierungslehre, Politische Soziologie, Politische Ökonomie, Politische Methodenlehre, Verwaltungswissenschaft, öffentliches Recht und Politikfeldanalyse oder in jüngerer Zeit Geschlechterforschung unterschieden. Ein Wissenschaftler auf dem Gebiet der Politikwissenschaft wird als Politikwissenschaftler oder Politologe bezeichnet. Gegenstand der Forschung Die Politikwissenschaft befasst sich mit dem gesellschaftlichen Zusammenleben der Menschen und untersucht, wie dieses Zusammenleben geregelt ist und geregelt werden kann. Ihr Gegenstandsbereich reicht demnach grundsätzlich über eine Beschäftigung mit der Tagespolitik hinaus. Ihr Untersuchungsinteresse erfordert die Analyse von grundlegenden Prinzipien, Zusammenhängen und von Ursache- und Wirkungsmechanismen des menschlichen Zusammenlebens in seinen unterschiedlichen Formen. Dabei berücksichtigt sie u. a. institutionelle, prozedurale, sachlich-materielle und politisch-kulturelle Gesichtspunkte. Ein besonderes Augenmerk richtet die moderne Politikwissenschaft auf die Frage, wie staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure agieren, wie politische Entscheidungsprozesse ablaufen, wie Machtverhältnisse entstehen und auf gesellschaftliche Strukturen einwirken. Schon in der Antike beschäftigte sich die politische Philosophie und Staatsphilosophie (s. a. Chanakya) nahezu normativ-ontologisch mit der Frage, wie das Zusammenleben der Menschen am besten gestaltet werden könne. Dies lässt sich bis zu den altgriechischen Philosophen – vor allem auf Platon (Politeia – Der Staat) und Aristoteles – zurückführen und ist bis heute Gegenstand der philosophischen und ideengeschichtlichen Politischen Theorie. Als normative Wissenschaft wurde die Politikwissenschaft auch nach ihrer Gründung als akademische Disziplin in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 verstanden und konzipiert („Demokratiewissenschaft“). Die deutsche Tradition policeywissenschaftlicher und kameralwissenschaftlicher Forschung war vom 19. bis 20. Jahrhundert abgebrochen. Im Verbund mit der Rechtswissenschaft entstand die Politikwissenschaft zunächst als Teil der Staatswissenschaften, zu denen sie auch heute noch gezählt werden kann, obwohl der Staat und seine Funktionen nicht mehr ihr ausschließliches Untersuchungsobjekt ist. Ausgehend von der Entwicklung des Faches in den Vereinigten Staaten wurde die Politikwissenschaft seit den 1960er Jahren methodisch stärker vom Aufkommen des Behavioralismus sowie von den sozialwissenschaftlich orientierten empirisch-analytischen Methoden beeinflusst. Damit einher ging eine zunehmende Orientierung des Faches hin zu positivistischen Fragestellungen. Ziel der modernen empirischen Politikwissenschaft ist es, aus der Beschäftigung der Gesellschaft und ihren Strukturen Zusammenhänge zu bestimmen, die das Zusammenleben von Menschen erklären und beschreiben. Dieser Zweig des Faches ist stark methodisch geprägt und arbeitet sowohl quantitativ als auch qualitativ. Eine abschließende Wertung der Untersuchungsergebnisse muss hierbei entfallen. Damit orientiert sich dieser prominente Zweig des Faches analytisch und methodisch an den Naturwissenschaften und wird im Allgemeinen nach wie vor wesentlich durch US-amerikanische Entwicklungen und Innovationen geprägt. Dies betrifft vor allem die analytische Stringenz (Einsatz mathematischer Modelle, die sogenannte Theorie der rationalen Entscheidung) sowie methodische Rigorosität (Einsatz statistischer Verfahren). Etwas anders stellt sich das Fach im Bereich der modernen theoretischen bzw. normativen Politikwissenschaft dar, der größtenteils mit dem eher geisteswissenschaftlich orientierten Teilfach der Politischen Theorie zusammenfällt: In Anknüpfung an die lange normative Tradition der Politischen Wissenschaft, werden hier gesellschaftliche Werthaltungen auf ihren normativen Gehalt hin analysiert und vor dem Hintergrund ideen- und philosophiegeschichtlicher Kontexte diskutiert und bewertet. Dabei bedient man sich beispielsweise der Methode der analytisch-hermeneutischen Textinterpretation oder anderer qualitativer Verfahren. Die Beschäftigung mit Werturteilen steht dementsprechend mitunter im Zentrum der Politischen Theorie als Teilfach der Politikwissenschaft. Im Besonderen gilt dies für die Politische Philosophie als betont normativer politischer Theorie. Name und Begriff Das wissenschaftliche Fach Politik wird im deutschsprachigen Raum seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zumeist unter der Bezeichnung Politikwissenschaft gelehrt. Gleichwohl gab es schon vorher Ansätze, eine solche Disziplin im Deutschen Reich zu etablieren. Eine übliche Bezeichnung des Studiengangs lautete Staatswissenschaft(en). 1920 wurde die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP) in Berlin gegründet, die Vorläuferin des heutigen Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin. An der DHfP lehrten jedoch hauptsächlich Wissenschaftler anderer Disziplinen, da es zum damaligen Zeitpunkt eine Politikwissenschaft im engeren Sinne in Deutschland noch nicht gab –, im Unterschied zu den USA. Politikwissenschaft wurde in den 1920/30er Jahren und auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg als Demokratie- und Integrationswissenschaft interpretiert, die Inhalte und Methoden anderer, verwandter Wissenschaften aufnahm. Heute hat die Begriffsbestimmung Politikwissenschaft die –, an die angelsächsische angelehnte Bezeichnung political science –, frühere Fachbezeichnung Politische Wissenschaft abgelöst. Ebenso außer Gebrauch gekommen sind Wissenschaft von der Politik oder Wissenschaftliche Politik, wie sie mit der Einrichtung von Lehrstühlen an Universitäten seit Beginn der 1950er Jahre noch verbreitet waren. Die Bezeichnung Politikwissenschaft wird heute bevorzugt, weil sie den Gegenstand des wissenschaftlichen Bemühens, die Erforschung der Politik und ihrer Prozesse begrifflich verständlicher macht. Dieser Wissenschaftsbegriff des Faches ist inzwischen an den Universitäten allgemein eingeführt. Politikwissenschaft wird nicht aus politischen Motiven betrieben und dient auch nicht konkret politischen Zwecken. Basierend auf dem Prinzip der Wertfreiheit, unterscheidet sie strikt zwischen theoretischer Politikwissenschaft und der realen Politik. Ein Politiker macht Politik, ein Politikwissenschaftler setzt sich wissenschaftlich mit politischen Fragen auseinander. Bei Instituts- oder Seminar-Bezeichnungen einiger traditioneller Universitäten, darunter solchen, die das Fach 'Politik' in den Nachkriegsjahren als erste einführten, existieren dennoch weiterhin die klassischen Fachbezeichnungen Politische Wissenschaft, Wissenschaft von der Politik oder Wissenschaftliche Politik. Die Bezeichnung Politologie, die am Berliner Otto-Suhr-Institut in den Fünfziger Jahren von Hochschullehrern geprägt wurde, ist ebenfalls und besonders für Studienabsolventen gebräuchlich. Die genannten Begriffe sind weitgehend synonym zu verstehen. Wenn in der Bundesrepublik und im weiteren deutschsprachigen Raum überhaupt noch an unterschiedlichen Bezeichnungen für den denselben Wissenschaftsgegenstand festgehalten wird, hat das vornehmlich kulturelle und wissenschaftsgeschichtliche Gründe. Eine Herleitung aus dem Altgriechischen (epistéme politiké) stellt der Begriff Politologie dar, in Anlehnung an die moderne Soziologie. Allerdings entstand dieser Terminus ohne Rücksichtnahme auf das Griechische; eigentlich müsste er Politikologie lauten. Geschichte der Politikwissenschaft Lange Zeit fand wissenschaftliches Nachdenken über Politik und ihre Ordnung im Rahmen akademischer Philosophie, insbesondere in der Tradition des politischen Aristotelismus, statt. Im Diskurs der frühneuzeitlichen Reichspublizistik, mit seinem Abwägen von Staatsrecht einerseits und politischer Wirklichkeit im Blick auf das Alte Reich andererseits, kann eine Wurzel deutscher Politikwissenschaft gesehen werden. Bereits im 18. Jahrhundert lehrte Joseph von Sonnenfels an der Universität Wien „Politische Wissenschaften“. Im 19. Jahrhundert etablierten sich an den Universitäten des deutschen Sprachraums Fächer wie die Kameralwissenschaft und die Policeywissenschaft. Dabei führte die damalige politische Wissenschaft Ansätze fort, die schon seit der frühen Neuzeit von Rechtswissenschaftlern, Politischen Philosophen, Theologen und von Historikern begründet worden sind. Eine eigene Disziplin entwickelte sich in Deutschland aber erst nach dem Zweiten Weltkrieg unter US-amerikanischem Einfluss. Anknüpfen ließ sich dabei an Aktivitäten der Deutschen Hochschule für Politik, die in der Frühphase der Weimarer Republik 1920 in Berlin gegründet worden war und bis zu ihrer Eingliederung in die Berliner Universität 1940 bestand. Politikwissenschaft wurde damals im Wesentlichen als Demokratiewissenschaft verstanden. Nach dem Zweiten Weltkrieg stand ihr Selbstverständnis als Demokratiewissenschaft und damit als Wissenschaft von der Funktionsweise der Demokratie erneut im Zentrum. Mit ihrer Hilfe sollten insbesondere Mittler wie Lehrer und Journalisten befähigt werden, den demokratischen Gedanken zu vermitteln und demokratisches Denken in der Bevölkerung zu verankern. Daher beschäftigte sich die frühe nachkriegsdeutsche Politikwissenschaft hauptsächlich mit der Analyse, der Funktionsweise und dem formellen Interagieren von Institutionen wie etwa den Parteien, den Gewerkschaften, dem Parlament oder der Bundesregierung. Heute bezeichnet man diesen Gegenstandsbereich als Polity. Mit dem politischen und wirtschaftlichen Erfolg der Bundesrepublik Deutschland rückte die Erforschung der eigentlichen politischen Prozesse in den Vordergrund: Man versuchte zu verstehen, was innerhalb der Institutionen selbst passiert und welche Funktionen sie jeweils im Gesamtsystem erfüllten, anstatt zu beschreiben, welche Aufgaben sie formal haben. Dabei traten insbesondere die Verbände in den Mittelpunkt des Interesses, die – obwohl nicht gesetzlich verankert – gleichwohl einen wichtigen Anteil am politischen Prozess haben. Man versuchte also, die tatsächlichen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse (Politics) zu analysieren und zu verstehen. In der bundesdeutschen Entwicklung der Politikwissenschaft bildeten sich in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit der Kölner Schule, der Freiburger Schule sowie der Marburger Schule sogenannte Schulen der Politikwissenschaft heraus, die jeweils ein spezifisches Verständnis des universitären Faches besaßen und vertraten. Teildisziplinen Ebenso wie ihr Forschungsfeld, die Politik, ist auch die Politikwissenschaft bestrebt, ihre Betrachtungen zu spezialisieren, etwa auf einzelne Politiksektoren wie z. B. die Gesundheitspolitik. Hierbei ist Fachkompetenz zur Analyse der tatsächlichen Probleme erforderlich. Diese neuere Teildisziplin der Politikwissenschaft, die sich mit Sachproblemen einzelner Politikbereiche auseinandersetzt, wird Policy-Forschung oder auch Politikfeldforschung genannt. Diese spielt für die Politikberatung eine zunehmende Rolle, mit Hilfe derer sich politische Entscheidungsträger an wissenschaftlich fundierter Beratung orientieren oder eine politische Entscheidung treffen und absichern wollen. Die Grenzen der Wissenschaftlichkeit solcher Beratungen sind jedoch oft unklar – vielfach sind es „Gefälligkeitsgutachten“, also interessengeleitete Gutachten, die zu einem vom Auftraggeber gewünschten Ergebnis kommen. Die Paradigmen der Integrationswissenschaft und der Demokratiewissenschaft werden daher heute zunehmend durch die Auffächerung der Disziplin Politikwissenschaft in die Teildisziplinen Polity, Politics und Policy ersetzt. Eine weitere, auch für die Lehrstuhlbezeichnungen gebräuchliche Unterteilung der Politikwissenschaft in Teildisziplinen ist die Unterteilung in Politisches System (bezogen auf einzelne Staaten, beispielsweise Deutschland; früher: Regierungslehre), Politische Theorie, Politikgeschichte, Internationale Politik oder Internationale Beziehungen, European Studies oder Europäische Politik, Vergleichende Politikwissenschaft oder Komparatistik (früher: Vergleichende Regierungslehre, auch Vergleichende Analyse politischer Systeme). Zu den wichtigsten Gegenständen der Politikwissenschaft gehören die Strukturprobleme der Demokratie, politische Parteien und soziale Bewegungen, Internationale Beziehungen, Friedens- und Konfliktforschung, Staatsinterventionismus und Wirtschaft, Politische Bewusstseinsformen und Haltungen, öffentliche Meinung, Massenmedien und Wahlverhalten. Studium Absolventen politikwissenschaftlicher Studiengänge sind jenseits der wissenschaftlichen Tätigkeit von Politikwissenschaftlern in vielen Berufsfeldern zu finden. Klassisch sind dabei vor allem die Politische Bildung, als Unterrichtsfach im Lehramt, in der Publizistik und in den Medien, in Parteien und Parlamenten, in Verbänden sowie auch in der öffentlichen Verwaltung und in internationalen Organisationen und zudem in der Wirtschaft. Die individuellen Berufslaufbahnen orientieren sich dabei neben der Absolvierung des politikwissenschaftlichen Studiums auch an Zusatzqualifikationen wie Sprachkenntnissen oder anschließenden weiteren fachlichen Qualifikationen. Deutschland An fast jeder größeren deutschen Universität kann man Politikwissenschaft entweder als Haupt- oder Nebenfach studieren. Vereinzelt bieten kleinere Universitäten aus Ressourcenmangel Politikwissenschaft nur als Nebenfach an. Während früher oftmals Diplom- und einige wenige Magisterstudiengänge mit politikwissenschaftlichem Schwerpunkt existierten, werden infolge des Bologna-Prozesses heutzutage für Studienanfänger fast ausschließlich Bachelor- und Masterstudiengänge angeboten. Viele Studiengänge sind interdisziplinär ausgerichtet und verbinden Inhalte verschiedener Sozialwissenschaften mit politikwissenschaftlichen Kernthemen, was dem früheren Magisterstudium ähnelt. Das Staatsexamen für das Lehramt befähigt zur Ausübung des Lehrerberufs – das korrespondierende Unterrichtsfach Politische Bildung firmiert in den meisten Bundesländern unter verschiedenen Bezeichnungen: Gemeinschaftskunde, Sozialkunde, Gesellschaftslehre, Politik- und Sozialwissenschaft, Politik und Wirtschaft etc. In der Nachkriegszeit wurden in Deutschland zahlreiche Institute für Politikwissenschaft gegründet. Auch einzelne Lehrstühle und Professuren können an manchen Universitäten existieren. Die Hochschule für Politik München bietet als eigenständiges Institut an der Technischen Universität München nach wie vor einen Diplom-Studiengang an. Sie bietet die Möglichkeit eines Studiums mit freier Wahl bei Vorlesungszeiten in den Abendstunden und (nach bestandener Aufnahmeprüfung) einer Immatrikulation auch ohne allgemeine Hochschulzugangsberechtigung. Das älteste Institut für Politikwissenschaft in Deutschland befindet sich an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Es wurde 1952 mit der Berufung Theodor Eschenburgs auf einen Lehrstuhl für Wissenschaftliche Politik begründet. Das Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft ist ein Institut der Freien Universität Berlin. Es ist Teil des Fachbereichs Politik- und Sozialwissenschaften und die größte politikwissenschaftliche Einrichtung in Deutschland. 1956 wurde hier auf Vorschlag von Eugen Fischer-Baling der Grad des Diplom-Politologen eingeführt. Das Geschwister-Scholl-Institut ist das politikwissenschaftliche Institut an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Als eine Einrichtung des Instituts für Politikwissenschaft der Universität Duisburg-Essen wurde 2006 die NRW School of Governance unter der Leitung von Karl-Rudolf Korte ins Leben gerufen. In der DDR wurde offiziell eine Politikwissenschaft als bürgerliche Ideologie und Revisionismus abgelehnt. Insbesondere die Leiterin der Parteihochschule der SED, Hanna Wolf, lehnte eine marxistische Politikwissenschaft ebenso ab, wie die sich Anfang der 1960er Jahre in der DDR (Leipziger Universität) etablierende Disziplin „Wissenschaftlicher Sozialismus“. Das „vernichtende“ Argument war: „An der Leninschule in Moskau gab es das nicht.“ Tatsächlich begannen Anfang der 1970er Jahre unter der Überschrift Wissenschaftlicher Sozialismus und inspiriert von dem Leipziger Professor Günther Großer, zaghafte Versuche, eine marxistische Politikwissenschaft zu etablieren. Es entstand die sogenannte Leipziger Schule, zu der neben Günter Großer auch die Leipziger Wissenschaftler Rolf Reißig, Frank Berg und Robert Weiß gehörten. Insbesondere seit deren Wirken an der Akademie für Gesellschaftswissenschaften, begann eine verstärkte Profilierung der Disziplin als Politikwissenschaft in Gestalt klassischer Politikfeldforschung (Menschenrechte Frank Berg) Anwendung von Systemtheorien in Gestalt einer komparativen Sozialismusforschung (Robert Weiß). Folgerichtig waren die Mitarbeiter des Instituts „Wissenschaftlicher Sozialismus“ (Leitung Rolf Reißig) der Akademie für Gesellschaftswissenschaften am aktivsten beteiligt an einer innerparteilichen Opposition im Herbst 1989. Anfang 1990 wurde das Institut „Wissenschaftlicher Sozialismus“ in Institut für Politikwissenschaft umbenannt. Neben der Leipziger Schule existierte aufgrund eines Beschlusses des Sekretariats des ZK der SED vom 18. Dezember 1974 an der Akademie der Wissenschaften der DDR ein „Nationalkomitee für politische Wissenschaften der DDR“. Das zentral vom Parteiapparat der SED gesteuerte Komitee wurde 1975 Kollektivmitglied der International Political Science Association (IPSA). Der Vorsitzende des Komitees, der Ostberliner Jurist Karl-Heinz Röder, wurde 1985 in Paris zum Mitglied des Exekutivkomitees der IPSA gewählt, die Wiederwahl erfolgte 1988 in Washington, D.C. Österreich Als intellektueller Vater der Politikwissenschaft in Österreich gilt der österreichisch-US-amerikanische Historiker Ernst Florian Winter. 1938 musste er mit seinem Vater Ernst Karl Winter aus politischen Gründen in die Vereinigten Staaten emigrieren. Auf Einladung der Minister Drimmel und Klaus kehrte er 1960 nach Studien an der University of Michigan und Columbia University und Gastprofessuren an der Fletcher School of Law and Diplomacy, Princeton University, Georgetown University und Indiana University erneut nach Österreich zurück, um auch hier die Studienrichtung der Politikwissenschaft zu etablieren. 1964 wurde er von Bruno Kreisky zum Gründungsdirektor der Diplomatischen Akademie Wien bestellt. Ab 1967 war er im Institut für Höhere Studien in Wien tätig. Ein Studium der Politikwissenschaft in Österreich ist als Teil des Bologna-Systems in ein Bachelor- und Masterstudium unterteilt. Danach ist die Promotion möglich. Neben dem wissenschaftlichen Abschluss eines Diplomstudiums ist auch ein Lehramtsabschluss möglich, bei dem Politikwissenschaft innerhalb des Lehrfachs Geschichte-Sozialkunde-Politische Bildung studiert wird. Politikwissenschaft wird in Österreich an den Universitäten Innsbruck, Salzburg und Wien angeboten. In Innsbruck wurde mit 1. Januar 2005 sogar eine eigene Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie eingerichtet. Dort gibt es seit dem Wintersemester 2007/08 auch die Bachelorstudien Politikwissenschaft und Soziologie. (Abschluss jeweils mit Bachelor of Arts). Im Wintersemester 2008/09 wurden die beiden Masterstudiengänge „Europäische Politik und Gesellschaft“ und „Soziale und Politische Theorie“ eingerichtet. Seit dem Wintersemester 2018/19 kann das Fach Politikwissenschaft im Doktoratsstudium der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Linz studiert werden. Schweiz Auch in der Schweiz lässt sich Politikwissenschaft an fast allen großen Universitäten studieren, namentlich in Zürich, Basel, Bern, Genf, Lausanne, Luzern und St. Gallen. St. Gallen bietet einen interdisziplinären Studiengang an, der Politikwissenschaft mit Volkswirtschaftslehre, öffentlicher Betriebswirtschaft und Recht kombiniert. In Genf kann zwischen einem interdisziplinären Lehrgang internationale Beziehungen, bestehend aus Politikwissenschaft, Recht, Geschichte und Volkswirtschaft und dem klassischen Lehrgang der Politikwissenschaft gewählt werden. In Bern kann die Politikwissenschaft mit der Soziologie und Kommunikations- und Medienwissenschaften studiert werden. Der neu entstandene Studiengang heißt „Sozialwissenschaften“. Die Universität Zürich bietet seit 2006 gemeinsam mit der ETH Zürich neben dem klassischen Studium der Politikwissenschaft auch einen spezialisierten, stark wissenschaftlich orientierten Masterstudiengang an, den MA CIS. Das CIS (Center for Comparative and International Studies) ist ein politikwissenschaftliches Forschungsinstitut. Es wurde 1997 gebildet aus dem Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich und den politikwissenschaftlichen Lehrstühlen der ETH Zürich. Ungleiche Verbreitung der Politikwissenschaft rund um den Globus Nach Ansicht des österreichischen Politikwissenschaftlers Arno Tausch zeigen Daten aus dem OCLC World Cat über das weltweite Publikationsaufkommen der letzten 5 Jahre im Bereich der Politikwissenschaft, dass es nach wie vor eine Dominanz der englischen Sprache in der Politikwissenschaft gibt. Unter dem Schlagwort „Political Science“ wurden im Zeitraum von 2016 bis 2021 nicht weniger als 505365 neue Titel in allen Sprachen registriert, wobei 69 % auf Englisch, 4,2 % auf Deutsch, 1,8 % auf Schwedisch und Französisch, 1,7 % auf Arabisch und 1,3 % auf Spanisch veröffentlicht wurden. Laut Tauschs Studie erreichte in den letzten 5 Jahren nur eine kleine Spitzengruppe von 4,1 % der englischsprachigen Publikationen > 500 Bibliotheken und eine ebenso respektable Gruppe von 17,5 % der politikwissenschaftlichen Buchproduktion 50 - 499 Bibliotheken. Ebenso erstaunlich sind die vorliegenden Daten über die immer noch bestehende Konzentration der Wissensproduktion. Länder mit nur 5,4 % der Weltbevölkerung beherbergen die Publikation von 70,1 % der in Scopus indizierten politikwissenschaftlichen Zeitschriften unserer Welt. Die Bibliotheken der BRICS-Länder Brasilien, Russland, Indien und China mit mehr als 40 % der Weltbevölkerung haben nur Zugang zu einem winzigen Bruchteil von jeweils weniger als 1 % der 474974 im OCLC Worldcat verzeichneten Werke mit dem Wort „Politikwissenschaft“ im Titel. Von den 16705 Zeitschriftenpublikationen mit dem Stichwort „Politikwissenschaft“ erschienen nicht weniger als 11254 auf Englisch, während 772 Zeitschriften auf Deutsch, 711 auf Französisch und 471 auf Chinesisch erschienen. Die Analyse der geografischen Verteilung des weltweiten Bibliotheksbestands der American Political Science Review, der offiziellen Zeitschrift des weltweit renommiertesten politikwissenschaftlichen Berufsverbands, enthüllte laut der erwähnten Studie zudem wahrhaft schockierende Details über die, wie Tausch es nannte, begrenzte globale Verbreitung und geringe Sichtbarkeit politikwissenschaftlichen Wissens heute. Die Zeitschrift ist derzeit in 1797 Bibliotheken rund um den Globus verfügbar, aber von diesen Exemplaren haben nur 16 Bibliotheken in Lateinamerika, 7 Bibliotheken in Afrika südlich der Sahara, 6 Bibliotheken in Innerasien (< 3600 km von Ulaanbaatar, Mongolei entfernt) und 7 Bibliotheken in Südasien ein Abonnement der Zeitschrift. Die untersuchten Bibliothekssysteme in Albanien, Algerien, Bahamas, Bhutan, Bulgarien, Kolumbien, Costa Rica, Kuba, Zypern, Estland, Georgien, Griechenland, Iran, Kasachstan, Kosovo, Litauen, Malta, Mexiko, Moldawien, Montenegro, Namibia, Nordmazedonien, Oman, Panama, Peru, Rumänien, Slowakische Republik, Tunesien, Ukraine, Uruguay, Vatikan und Venezuela hatten jeweils weniger als 100 englischsprachige Titel zum Thema „Politikwissenschaft“. Besondere Studienformen in Deutschland Die Universität Konstanz und die Universität Potsdam bieten interdisziplinäre politikwissenschaftliche Studiengänge mit verwaltungswissenschaftlichen Inhalten und besonderem Fokus auf der sozialwissenschaftlichen Methodenlehre an. Die Universität Erfurt und die Universität Passau bieten unter dem Namen Staatswissenschaften einen Studiengang, in dem Politikwissenschaft interdisziplinär mit Bezügen zu Nachbardisziplinen wie Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften studiert werden kann. Ähnliche staatswissenschaftliche Programme existieren auch an der Leuphana Universität Lüneburg und mit starkem verwaltungspraktischen Bezug an der NRW School of Governance. Die Zeppelin Universität Friedrichshafen bietet die interdisziplinär ausgerichteten 4-jährigen Bachelor- und 2-jährigen Masterstudiengänge „Politics, Administration & International Relations“ an, die Vertiefungen in „Managing Global Challenges & International Relations“, „Political Behavior & Decision Making“ und „Public Management & Policy, Regulation & E-Government“ ermöglichen. Zudem beinhaltet der Studiengang einen hohen Anteil an wirtschafts-, rechts- und kommunikationswissenschaftlichen Inhalten sowie Projektseminare auf Grundlage des forschenden Lernens. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit im 4-jährigen Bachelorstudium SPE| Sociology, Politics & Economy einen Fokus auf folgende politische Felder zu setzen: Politische Ökonomie, Politische Philosophie, Demokratie- & Staatstheorien oder Europäische Integration. An der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg kann Politikwissenschaft im Bachelor- und Masterstudiengang mit verschiedenen Schwerpunkten, teilweise unter Einbindung benachbarter Fächer, studiert werden. So bietet die Erlanger Universität u. a. die Schwerpunkte „Menschenrechte und Menschenrechtspolitik“ (als Teilfach vertreten durch einen eigenen Lehrstuhl), Öffentliches Recht (in Kooperation mit dem Fachbereich Rechtswissenschaft) oder „Außereuropäische Regionen“ (etwa Lateinamerika betreffend) an. Ein Masterstudiengang mit dem Schwerpunkt Politische Theorie ist in Vorbereitung. Umgekehrt kann Politikwissenschaft auch als Schwerpunkt im regionalwissenschaftlichen Masterstudiengang Nahoststudien gewählt werden. Eine Einbeziehung des Öffentlichen Rechts ist auch an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg möglich. Die FernUniversität in Hagen bietet ein Fernstudium der Politikwissenschaft an, das den Bachelorstudiengang Politikwissenschaft, Verwaltungswissenschaft, Soziologie (bis 2008: Politik- und Organisation, danach: Politik- und Verwaltungswissenschaft) und den Masterstudiengang Politikwissenschaft - Regieren und Partizipation (bis 2019: Governance) umfasst. Es ist auch möglich, an der Helmut-Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr im Diplomstudiengang Politikwissenschaft zu studieren. Voraussetzung hierfür ist eine Verpflichtung in der Offizierslaufbahn zum Soldat auf Zeit für mindestens 13 Jahre. Unter bestimmten Umständen ist auch das Studium als Zivilist ohne eine Verpflichtung bei der Bundeswehr möglich. Eine Besonderheit ist die Organisation des Studienablaufs in Trimestern statt in Semestern. Man studiert somit im Jahr drei Trimester anstatt zweier Semester. Der Arbeits- und Lernaufwand für ein Trimester entspricht dabei dem eines Semesters. Dadurch sind weniger Studienjahre bis zum Abschluss erforderlich und der Diplomstudiengang kann schon nach drei Jahren abgeschlossen werden. Neuerdings bieten vereinzelt auch Universitäten Bachelor- oder Masterstudiengänge in Kooperation an. Die TU Darmstadt kooperiert beispielsweise mit den Universitäten Mainz und Frankfurt am Main und bietet damit Studierenden der Politikwissenschaft neben dem Masterstudiengang in Darmstadt (Governance und Public Policy) zwei weitere Studiengänge im Rahmen der Politikwissenschaft in Kooperation an. Berufssituation in Deutschland An den Universitäten, Hochschulen und später Fachhochschulen entstand nach dem Zweiten Weltkrieg ein großer Bedarf an Lehrpersonal, weswegen die Politikwissenschaft eine attraktive Karrierechance für viele politikwissenschaftlich interessierte Wissenschaftler aus den Nachbardisziplinen darstellte. Heute wird eine wissenschaftliche Karriere an Universitäten oder bei Forschungseinrichtungen nur etwa von jedem fünften Studierenden der Politikwissenschaft angestrebt. Die erfolgreiche Einbindung in den wissenschaftlichen Arbeitsmarkt ist dabei von unterschiedlichen Faktoren wie dem Alter zum Zeitpunkt der Promotion, dem Engagement des Betreuers, der breiten fachlichen und thematischen Ausrichtung der Ausbildung und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen wie beispielsweise einem Generationenwechsel auf der Ebene der Professuren oder gesellschaftlichen Diskursen über die Bedeutung der Politikwissenschaft und der damit einhergehenden staatlichen Förderung der politikwissenschaftlichen Lehre und Forschung abhängig. In diesem Sinne unterliegt auch der politikwissenschaftliche Arbeitsmarkt gewissen Konjunkturen und weist somit momentan einen hohen Konkurrenzdruck auf. Frauen sind von diesen Aspekten auf eine sehr spezifische Art und Weise betroffen. Die Zahl der bei Parteien, Parlamenten, Verbänden oder Nichtregierungsorganisationen tatsächlich im politischen Sektor beschäftigten Politikwissenschaftlern liegt mit ca. 15 % nur unwesentlich unter der Zahl für die Wissenschaft. Ein großer Anteil von Studienabsolventen des Faches Politikwissenschaft ist in unterschiedlichen Bereichen der Medien beschäftigt. Rund ein Fünftel ist in der freien Wirtschaft (insbesondere in den Bereichen Consulting und Public Relations) tätig, lediglich ein Zehntel in der öffentlichen Verwaltung. In diesem Bereich sehen sich Politologen in Deutschland ebenso wie Vertreter anderer staatswissenschaftlicher Disziplinen wie Verwaltungswissenschaftlern, Soziologen und Volkswirten durch das faktische „Juristenmonopol“ im höheren Dienst der öffentlichen Verwaltung in ihren Karrierechancen beschränkt. Fachverbände und -gesellschaften Mehrere Fachverbände und wissenschaftliche Gesellschaften widmen sich der Förderung des Faches und der Vertretung seiner Anliegen in der Öffentlichkeit oder der Intensivierung der interuniversitären Zusammenarbeit: Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW), größter deutscher Fachverband mit mehreren Untergliederungen Deutsche Gesellschaft für Politikwissenschaft (DGfP) Deutsche Gesellschaft zur Erforschung des Politischen Denkens (DGEPD), vor allem für den Bereich der Politischen Theorie Österreichische Gesellschaft für Politikwissenschaft (ÖGPW) Schweizerische Vereinigung für politische Wissenschaft (SVPW) Ferner existiert mit der International Political Science Association (IPSA) auch ein internationaler Fachverband für Politikwissenschaftler. Die International Association for Political Science Students vertritt die Belange der Studierenden. Siehe auch Außenpolitikforschung Liste von Politikwissenschaftlern Allgemeine Staatslehre Femina Politica (Zeitschrift für feministische Politikwissenschaft) Literatur Bibliografien, Datenbanken und Fachportale Mehrere fachspezifische Bibliografien und bibliografische Datenbanken verzeichnen politikwissenschaftliche Veröffentlichungen und helfen bei der systematischen Erschließung relevanter Literatur: Pollux ist das Fachportal des Fachinformationsdienstes Politikwissenschaft, das von der Staats- und Universitätsbibliothek Bremen und von GESIS betrieben wird. Der Fachinformationsdienst wird von der DFG gefördert. Die Annotierte Bibliografie der Politikwissenschaft erfasste und annotierte zwischen 1996 und 2015/16 sämtliche politikwissenschaftliche Monografien, Sammelbände und online-Dissertationen, die im deutschsprachigen Raum erscheinen. IREON Portal: Internationale Beziehungen und Länderkunde erschließt deutsch- und fremdsprachige Aufsätze aus verschiedenen Quellen, in der Regel ohne Abstract. Mit einem mehrsprachigen politikwissenschaftlichen Thesaurus. International Bibliography of the Social Sciences (IBSS) erfasst politikwissenschaftliche Monografien, Artikel, Aufsätze und Rezensionen aus über 100 Ländern. WiSo ist eine Fachbibliographie und Volltextdatenbank für die Wirtschafts- und Sozialwissenschaften des Anbieters Genios. Geschichte Sammelbände Klaus von Beyme (Hrsg.): Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Entwicklungsprobleme einer Disziplin. In: Politische Vierteljahresschrift. Sonderheft 17. VS, Opladen 1986, ISBN 3-531-11830-7. Gerhard Göhler, Bodo Zeuner (Hrsg.): Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft. Nomos, Baden-Baden 1991, ISBN 3-7890-2268-3. Wilhelm Bleek, Hans J. Lietzmann (Hrsg.): Schulen in der deutschen Politikwissenschaft. 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Nomos, Baden-Baden 2015, ISBN 978-3-8487-1074-4. (Politikwissenschaftliche Rezension) Monographien und Aufsätze zum Fach M. Rainer Lepsius: Denkschrift zur Lage der Soziologie und der Politischen Wissenschaft. Im Auftrage der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Steiner, Wiesbaden 1961, . Hans Kastendiek: Die Entwicklung der westdeutschen Politikwissenschaft. Campus, Frankfurt am Main 1977, ISBN 3-593-32212-9. Hans-Joachim Arndt: Die Besiegten von 1945. Versuch einer Politologie für Deutsche samt Würdigung der Politikwissenschaft in der Bundesrepublik Deutschland. Duncker & Humblot, Berlin 1978, ISBN 3-428-04238-7. Hans Maier: Politische Wissenschaft in Deutschland. Lehre und Wirkung. 2. Auflage. Piper, München 1985, ISBN 3-492-02620-6. Arno Mohr: Politikwissenschaft als Alternative. Stationen einer wissenschaftlichen Disziplin auf dem Wege zu ihrer Selbständigkeit in der Bundesrepublik Deutschland 1945–1965. Brockmeyer, Bochum 1988, ISBN 3-88339-651-6. 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Internationale Politik, Entwicklungspolitik, Friedensforschung Anja Jetschke: Internationale Beziehungen : eine Einführung. Narr Francke Attempto, Tübingen 2017, ISBN 978-3-8233-6744-4. Jürgen Hartmann: Einführung in die Internationalen Beziehungen. 2. Auflage. VS Verlag, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-531-16689-6. Manfred Knapp, Gert Krell (Hrsg.): Einführung in die internationale Politik. Studienbuch. 4. Auflage. Oldenbourg, München/Wien 2004, ISBN 3-486-25968-7. Gert Krell: Weltbilder und Weltordnung. Einführung in die Theorie der Internationalen Beziehungen. 3. Auflage. Nomos, Baden-Baden 2004, ISBN 3-8329-0966-4. Franz Nuscheler: Lern- und Arbeitsbuch Entwicklungspolitik. 5. Auflage. Bonn 2004, ISBN 3-8012-0350-6. Franz Nuscheler: Entwicklungspolitik. Hrsg. von der Bundeszentrale für politische Bildung. Bonn 2005, ISBN 3-89331-609-4. Johan Galtung: Frieden mit friedlichen Mitteln. Friede und Konflikt, Entwicklung und Kultur. 2. Auflage. Münster 2007, ISBN 978-3-89688-305-6. 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Q36442
892.341153
2706
https://de.wikipedia.org/wiki/Kreuzzug
Kreuzzug
Die Kreuzzüge waren von der lateinischen Kirche sanktionierte, strategisch, religiös und wirtschaftlich motivierte Kriege zwischen 1095/99 und dem 13. Jahrhundert. In diesem engeren Sinne bezeichnet der Begriff die Orientkreuzzüge, die sich gegen die muslimischen Staaten im Nahen Osten richteten. Im 13. Jahrhundert wurde der Begriff für Kreuzzüge (wie peregrinatio) auch auf andere militärische Aktionen ausgeweitet, deren Ziel nicht das Heilige Land war (crux cismarina). In diesem erweiterten Sinne werden auch die Feldzüge gegen nicht christianisierte Völker wie Wenden, Finnen, Balten und Esten, gegen Ketzer wie die Albigenser, Hussiten und gegen die Ostkirche dazu gezählt. Vereinzelt haben Päpste sogar zu Kreuzzügen gegen christliche politische Gegner aufgerufen. Nachdem ein Kreuzfahrerheer 1099 Jerusalem erobert hatte, wurden in der Levante insgesamt vier Kreuzfahrerstaaten gegründet. Infolge ihrer Bedrohung durch die muslimischen Anrainerstaaten wurden weitere Kreuzzüge durchgeführt, denen meistens kaum ein Erfolg beschieden war. Das Königreich Jerusalem erlitt 1187 in der Schlacht bei Hattin eine schwere Niederlage, auch Jerusalem ging wieder verloren. Mit Akkon fiel 1291 die letzte Kreuzfahrerfestung in Outremer. Der Begriff „Kreuzzug“ geht zurück auf die Befestigung eines Kreuzzeichens an der Kleidung derer, die den Kreuzfahrereid ablegten. In den zeitgenössischen Quellen waren hingegen andere Bezeichnungen verbreitet, vor allem expeditio, iter und peregrinatio (wie sich Teilnehmer oft auch als peregrini bezeichneten und damit das Motiv einer bewaffneten Pilgerfahrt betonten). Der französische Begriff croisade stammt aus dem 15. Jahrhundert (okzitanisch crozada um 1213), die deutsche Übersetzung „Kreuzzug“ ist modern. Vorbemerkungen Allgemeines Seit dem 7. Jahrhundert fand die islamische Expansion statt: Die militärische, teilweise mit Übergriffen verbundene Unterwerfung und Besiedlung christlicher Gebiete durch arabisch-muslimische Eroberer im Nahen Osten, in Nordafrika, Italien (Eroberung Sardiniens, der Einfall in Rom und die Zerstörung der Basilika St. Peter durch die Aghlabiden im Jahre 846) sowie (bis zur Rückeroberung im Rahmen der Reconquista) der Einfall in Spanien und Portugal. Seit 638 stand Jerusalem unter muslimischer Herrschaft. Von christlicher Seite wurde die Eroberung des Heiligen Landes und die Zurückdrängung der Sarazenen als Rückeroberung und als ein Akt der Verteidigung des Christentums betrachtet, welcher durch offiziellen Beistand und die Unterstützung der Kirche bekräftigt und angeführt wurde. Ein weiteres Motiv war die Wiederherstellung des ungehinderten Zugangs der christlichen Pilger zu den heiligen Stätten, der durch muslimische Übergriffe auf die in den levantinischen Häfen ankommenden Pilger unmöglich gemacht wurde. Davon berichtet der Chronist al-Azimi aus Aleppo, der diese Übergriffe auch als den Grund für den ersten Kreuzzug angibt. Dem Ersten Kreuzzug war ein Hilferuf des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos um militärische Unterstützung gegen die Seldschuken vorausgegangen. Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. die Christen auf der Synode von Clermont zum Kreuzzug in das „Heilige Land“ auf. Urban II. forderte, die dort ansässigen Muslime zu vertreiben und in Jerusalem die den Christen heiligen Stätten in Besitz zu nehmen. Mehr als acht Jahrzehnte waren vergangen, nachdem es in der Regierungszeit des fatimidischen Kalifen al-Hakim zu Repressalien gegenüber der lokalen christlichen Bevölkerung, zur Zerstörung von Kirchen und Klöstern sowie schließlich 1009 zur Zerstörung der Grabeskirche gekommen war, eines der größten Heiligtümer des Christentums. Die Kreuzzüge wurden nach kurzer Zeit auch zur Verwirklichung rein weltlicher Machtinteressen instrumentalisiert, insbesondere solcher, die gegen das Byzantinische Reich gerichtet waren. Schon bald wurde der Begriff Kreuzzug nicht nur auf Kriege gegen Muslime, sondern auch gegen von der römischen Kirche zu „Ketzern“ deklarierte Menschen (siehe Albigenser) ausgeweitet. Dieser Umstand gab dem Papsttum eine starke politische und militärische Waffe in die Hand. Trotzdem darf der religiöse Aspekt, besonders bei den Kreuzzügen in den Osten, nicht unterschätzt werden. So waren nach der Einnahme Jerusalems im Jahre 1099 die Gefallenen als Märtyrer gefeiert worden. Oft lagen die Interessen der kriegsführenden Parteien und die der kämpfenden Truppen weit auseinander. Die beiderseitigen Machthaber verfolgten unter anderem machtpolitische Interessen. Die Kreuzfahrer selbst glaubten zumeist an einen ehrenvollen, ja heiligen Kampf für Kirche und Gott. Dies hinderte sie allerdings nicht daran, oft so brutal gegen die Zivilbevölkerung vorzugehen, dass dies bis heute den betroffenen Völkern im Gedächtnis geblieben ist. Schon vor dem Aufruf zum Kreuzzug zur Befreiung Jerusalems hatte die Kirche damit begonnen, Kriegszüge zu unterstützen. So wurden im Rahmen der Eroberung Englands durch Wilhelm den Eroberer 1066 geweihte Fahnen an den Kriegsherren übersandt, die ihn und sein Heer im Kampf stärken sollten. Auf den geweihten Fahnen war unter anderem auch der Erzengel Michael abgebildet, der Schutzpatron des römisch-deutschen Reiches und später Deutschlands. Auch der aragonesisch-französische Zug gegen das maurische Barbastro in Spanien im Jahr 1063, den Papst Alexander II. unterstützte, sowie die Kämpfe gegen die Araber auf Sizilien 1059, standen unter päpstlicher Patronage und sind als Vorläufer der Kreuzzüge anzusehen. Diese gelten im Allgemeinen als die ersten historischen Ereignisse, an welchen die katholische Kirche beginnt, Kriegszüge dogmatisch zu stärken und zu rechtfertigen. Grundlage des Kreuzzugsaufrufs Ein Kreuzzug war zugleich Bußgang und Kriegszug, der nach Auffassung der (nicht orthodoxen, katholisch christlichen) Zeitgenossen direkt von Gott durch das Wort des Papstes verkündet wurde. Die Teilnehmer legten ein rechtsverbindliches Gelübde ab, ähnlich wie bei einer Pilgerfahrt. Als Folge der göttlichen und päpstlichen Verkündung waren die Kreuzzüge sehr populär. Dies erklärt auch die große Teilnehmerzahl. Die offiziell verkündeten Kreuzzüge (darunter fallen beispielsweise nicht die Abwehrkämpfe der Kreuzfahrerstaaten in Outremer) wurden als Angelegenheit der gesamten abendländisch-katholischen Christenheit begriffen. Die Kreuzfahrerheere bestanden daher in der Regel aus „Rittern“ aus ganz Europa. Grundlage für die Kreuzzüge war aus christlicher Sicht der Gedanke des „gerechten Krieges“ (lat. bellum iustum), wie er von Augustinus von Hippo vertreten worden war. Dies bedeutete später, dass der „gottgefällige Krieg“ nur von einer rechtmäßigen Autorität verkündet werden konnte (wie dem Papst). Es musste ein gerechter Kriegsgrund vorliegen (wie die ungerechte Behandlung von Gläubigen), und der Krieg musste für gute Absichten (wie die göttliche Liebe) geführt werden. Zeitgenössische Kritik an den Kreuzzügen Nach dem katastrophalen Ausgang des Zweiten Kreuzzugs mehrten sich Stimmen von Theologen, die sich gegen die Idee bewaffneter Kreuzzüge wandten. Dazu zählen in Deutschland der Würzburger Annalist des Zweiten Kreuzzugs und der Theologe Gerhoch von Reichersberg sowie der Verfasser des Schauspiels Ludus de Antichristo, in Frankreich der Abt von Cluny Petrus Venerabilis in seinen späteren Schriften, der englische Zisterzienser Isaak von Stella (später Abt in Frankreich), Walter Map (ein Höfling König Heinrichs II. von England) und der Engländer Radulphus Niger. Sie beriefen sich u. a. auf , demzufolge durch das Schwert sterben solle, wer das Schwert zieht, aber auch auf , wo prophezeit wird, dass der wiederkehrende Messias als König der Könige die Feinde des Christentums mit dem Hauch seines Mundes – also nur mit Gottes Wort – vernichten werde. Um 1200 traten auch die Kanonisten, Kirchenrechtler wie Alanus Anglicus, dafür ein, die Muslime zu tolerieren. Besonders ab Ende des 13. Jahrhunderts mussten die Päpste die Ablässe für das Anhören von Kreuzzugspredigten deutlich erhöhen, was ebenfalls als Indiz für die abnehmende Begeisterung der nicht-nahöstlichen Kreuzzüge zu deuten ist. Im frühen 14. Jahrhundert riefen einige Päpste sogar zu Kreuzzügen gegen politische Gegner auf, so Ende 1321 gegen Mailand. Kritik der neueren Kirchenhistoriker an den Kreuzzügen Im 20. Jahrhundert haben sich trotz der Aufbrüche der ökumenischen Bewegung und des Zweiten Vatikanischen Konzils relativ wenige Vertreter der Kirchengeschichte in kritischer Weise mit den Kreuzzügen befasst. Auf evangelischer Seite ist z. B. Jonathan Riley-Smith zu nennen, der u. a. das lange vorherrschende kirchliche Verständnis der Kreuzzüge als heiligem Krieg zur Wiedererlangung angeblich legitimer christlicher Besitzrechte einer Kritik unterzog. Auf katholischer Seite hat z. B. Arnold Angenendt im Kontext seiner Kritik die Kreuzzüge als schwere Hypothek bezeichnet, die sich die Kirche aufgeladen hat, indem die Päpste die Kreuzzüge nicht nur als heilige Kriege gut geheißen, sondern sie sogar initiiert haben. Kontroversen in der Geschichtswissenschaft In Bezug auf die Kreuzzüge sind mehrere Punkte in der modernen Forschung umstritten, so etwa hinsichtlich des Ausmaßes der Akzeptanz der Kreuzzugsidee in späterer Zeit. Eine Einigung wird durch unterschiedliche historische „Schulen“ erschwert. Manche Historiker (wie Hans Eberhard Mayer) sehen lediglich die Orientkreuzzüge als die ‚eigentlichen‘ Kreuzzüge an. Demgegenüber herrscht im anglo-amerikanischen Sprachraum gelegentlich die Tendenz vor, den Begriff inhaltlich und auch zeitlich weiter zu fassen (besonders einflussreich: Jonathan Riley-Smith, Norman Housley). Dabei werden auch einige Militäraktionen der Frühen Neuzeit noch den Kreuzzügen hinzugerechnet. Von Riley-Smith und seinen Schülern wird diese Sichtweise als „pluralistisch“ bezeichnet; ihnen zufolge stieß der Kreuzzugsgedanke noch im Spätmittelalter auf Begeisterung. Kritiker halten dieser Schule entgegen, Quellen zu ignorieren, die belegen, dass die Kreuzzugsidee im Spätmittelalter deutlich an Anziehungskraft einbüßte. Eine Einigung konnte bisher nicht erzielt werden. In der Geschichtswissenschaft der letzten Jahrzehnte werden in zunehmendem Maße Geschichte und Struktur der Kreuzfahrerstaaten berücksichtigt, so dass das Augenmerk nicht mehr allein der chronologischen Abfolge und den historischen Begebenheiten der Kreuzzüge gilt. Motive der Kreuzritter und Situation vor den Kreuzzügen Die Motivation der Kreuzfahrer speiste sich keineswegs allein aus religiösem Eifer; vielmehr gab es auch andere Ursachen für ihr Handeln, die sich zudem im Laufe der Zeit änderten. Die einzelnen Beweggründe waren: Religiöse Motive Aufbauend auf den Kreuzzugsaufruf Papst Urbans II. auf der Synode von Clermont im Jahr 1095 (begleitet von dem Zuruf „Deus lo vult“ – Gott will es) waren viele Kreuzfahrer überzeugt, durch die Vertreibung der Muslime aus dem Heiligen Land Gottes Willen zu erfüllen und die Erlassung all ihrer Sünden zu erreichen (Ablass, Gnadenschatz). Dies muss vor dem Hintergrund christlicher Berichte und Gerüchte über Gräueltaten der islamischen Machthaber gegen die christliche Bevölkerung des Heiligen Landes gesehen werden und der Verwüstung christlicher Stätten, beispielsweise der Grabeskirche 1009 in Jerusalem. Auch der aus Aleppo stammende moslemische Chronist al-Azimi berichtet von moslemischen Übergriffen auf Pilger, wodurch der Zugang zu den heiligen Stätten verunmöglicht wurde. Auch der Prediger Peter der Einsiedler war auf einer früheren Pilgerfahrt nach Jerusalem von den Türken misshandelt und zur Umkehr gezwungen worden. In Konkurrenz mit wirtschaftlichen Interessen traten die religiösen Motive im Laufe der Zeit teilweise in den Hintergrund – besonders deutlich wird das bei der Eroberung und Plünderung der christlichen Stadt Konstantinopel im Vierten Kreuzzug. Bezüglich der Kreuzzüge in den Orient verschwanden sie jedoch nie ganz, sie hatten auch großen Einfluss auf die christliche Bevölkerung in Europa. Verhältnis zum Islam Ein wesentliches außenpolitisches Problem für die christliche Welt stellte der Islam dar, der in seinem Streben westwärts zunächst in der Mitte des 7. Jahrhunderts das christliche Byzantinische Reich angriff. Ostrom/Byzanz verlor die seit dem monophysitischen Schisma in religiösem Gegensatz zu den griechischen und lateinischen Reichsgebieten stehenden Provinzen Syrien und Ägypten binnen weniger Jahre an die Araber, die dort vielleicht von Teilen der Bevölkerung als Befreier begrüßt wurden (was in der Forschung umstritten ist); es behauptete jedoch weiterhin das griechisch geprägte Kleinasien. Das westliche Nordafrika leistete bis zum Ende des 7. Jahrhunderts gegen die Araber Widerstand, während das spanische Westgotenreich um 700 binnen weniger Monate unter dem Arabersturm zusammenbrach, so dass die Araber im Westen erst durch das Fränkische Reich aufgehalten und zurückgedrängt wurden. Nachdem das Byzantinische Reich 751 von den Langobarden aus Mittelitalien verdrängt worden war (Fall des Exarchats von Ravenna), war es Anfang des 8. Jahrhunderts hauptsächlich auf das orthodoxe Kernland Kleinasien, die Küsten des Balkans und Süditaliens begrenzt. In der Folgezeit fand das Reich im 9. und 10. Jahrhundert zu einem modus vivendi mit den Arabern, der sogar in militärische Bündnisse mit einzelnen arabischen Staaten mündete. Dem militärischen Wiederaufstieg um das Jahr 1000 folgte ein innerer Niedergang. Mit dem islamischen Turkvolk der Seldschuken betrat gleichzeitig eine neue, expansive Macht die politische Bühne des Nahen Ostens, die sich auf Kosten der Araber und Byzantiner ausdehnte. Dies führte 1071 für die Byzantiner zur militärischen Katastrophe in der Schlacht von Manzikert gegen die Seldschuken, die den Beginn der türkischen Landnahme in Anatolien markiert. Kleinasien überließ der byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos wegen der Abwehr der normannischen Invasion von Epiros und Makedonien (mit dem Ziel der Eroberung von Konstantinopel) schließlich 1085 gegen einen Lehenseid bis auf wenige Stützpunkte vollständig den Seldschuken, um nicht zwischen zwei Gegnern aufgerieben zu werden. Nach dem Sieg über die Normannen bat Alexios den Papst um Unterstützung zur Rückeroberung des kleinasiatischen Reichsgebiets, das inzwischen in mehrere türkische Emirate zersplittert war, die die byzantinische Diplomatie gegeneinander ausspielte. Der große militärische Aufwand aller christlichen Mächte der damaligen Zeit ist damit zu erklären, dass der Islam als eine große Gefahr – nicht allein für das Byzantinische Reich – gesehen wurde. Schließlich grenzte das islamisch-arabische Machtgebiet an den Pyrenäen an Frankreich, zudem waren fast alle Mittelmeerinseln und Teile Süditaliens zeitweise von Arabern erobert worden. Letztere wurden auch nach Rückeroberung immer wieder von ihnen angegriffen. Das byzantinische Sizilien wurde ab 827 von den Arabern erobert, dann von den Normannen, bis es 1194 an Heinrich VI. fiel, wodurch das Reich der Staufer ebenfalls direkt an den islamischen Machtbereich grenzte. Verhältnis zur Orthodoxie Das morgenländische Schisma von 1054 belastete von Beginn der Kreuzzüge an das Verhältnis zwischen orthodoxen und katholischen Christen. Ein weiterer Aspekt ist das politische Verhältnis der beiden führenden Mächte der katholischen bzw. orthodoxen Staatenwelt. Die Eigenbezeichnung des deutschen wie des byzantinischen Kaiserreiches war „Römisches Reich“, und der jeweilige Kaiser leitete daraus einen Führungsanspruch über die gesamte christliche Staatenwelt ab. Byzanz betrieb im 12. Jahrhundert eine expansive Westpolitik. Dynastische Heiraten mit dem ungarischen und deutschen Herrscherhaus, aber auch militärische Interventionen in Italien mit dem Ziel, auch die (west)römische Kaiserkrone zu erringen, waren eine Grundkonstante der Außenpolitik der byzantinischen Komnenendynastie. Um den Einfluss Venedigs im Byzantinischen Reich zurückzudrängen, verfolgte man in Konstantinopel in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine scharfe anti-venezianische Politik. Dies blieb in Westeuropa natürlich nicht ohne Reaktion. Die Kreuzzüge richteten sich daher zunehmend nicht nur gegen den Islam, sondern zugleich immer mehr gegen das orthodoxe, griechisch geprägte Byzanz. Dennoch blieb der religiös motivierte Kreuzzugsgedanke auch in der Folgezeit eine immer wiederkehrende Komponente der europäischen Politik, wenn in der Forschung auch manchmal betont wird, dass die Kreuzzugsidee ab dem 13. Jahrhundert an Kraft einbüßte (siehe oben den Abschnitt Kontroversen in der Geschichtswissenschaft). Insgesamt darf man wohl ihre Bedeutung im Spätmittelalter nicht mehr allzu hoch ansetzen. So wurde zwar im Jahr 1453 eine Militärexpedition erwogen, um Konstantinopel gegen Sultan Mehmed II. zu verteidigen. Doch startete diese halbherzige Expedition reichlich spät, nämlich erst im April 1453. Der Sultan hatte aber schon im Frühjahr 1452 mit den baulichen Vorbereitungen für eine mögliche Belagerung begonnen und machte daraus keinerlei Geheimnis. Ob man die konzertierte militärische Hilfe christlicher Mächte, wie z. B. des Heiligen Römischen Reiches und Polens, bei der Verteidigung Wiens 1683 gegen die Türken in die Kreuzzugstradition stellen darf, ist fraglich. 1528 kam es nämlich zu einem wenige Jahrzehnte zuvor noch unvorstellbaren Ereignis: Frankreich und das Osmanische Reich schlossen ein Bündnis gegen das Habsburgerreich. Spätestens mit der Integration des muslimischen Staates in das Bündnissystem der christlichen Mächte endete der vereinigende Anspruch der katholischen Kreuzzugsidee in der europäischen Politik. Gesellschaftliche Faktoren in Europa Der abendländische Adel erhoffte sich durch die Eroberung neue Besitztümer. Das traf vor allem auf die jüngeren Söhne des Adels zu, die nicht erbberechtigt waren und nun die Chance sahen, doch noch über ein eigenes Gebiet herrschen zu können. Dies war ebenso ein Ziel der Kirche, da der Gottesfrieden immer wieder durch Konflikte gestört wurde, in denen es in erster Linie um Gebietsstreitigkeiten ging. So boten die Kreuzzüge auch eine willkommene Beschäftigung für die überzähligen Söhne, die nicht im Kloster oder im Klerus untergebracht werden konnten oder wollten. Große Teile der Landbevölkerung sahen im Kreuzzug eine Fluchtmöglichkeit vor den harten und oft sehr ungerechten Lebensumständen in der Heimat – zumal der Papst ein Ende der Leibeigenschaft in Aussicht gestellt hatte für jeden, der das Kreuz nehmen und ins heilige Land mitziehen würde. Den Kreuzrittern schlossen sich im Tross die Nichtkombattanten an: Frauen, Kleriker, Alte und Arme. Auch Verbrecher und Gesetzlose folgten den Aufrufen, weil sie sich durch ihr Kreuzzugsgelübde der Strafverfolgung entziehen konnten und sich ein neues Leben oder Beute erhofften. Wirtschaftspolitische Motive Wirtschaftlich profitierten auch die italienischen Seerepubliken (Genua, Pisa, Venedig und andere) vom Handel mit dem Orient. So wurde kurzzeitig überlegt, einen Kreuzzug zur Sicherung der Gewürzstraße durchzuführen. Die Idee wurde allerdings recht bald wieder fallen gelassen. Das Papsttum versprach sich von der Kontrolle über das Heilige Land eine massive Stärkung seiner Machtposition. Letztlich haben die Päpste wohl auch auf die Wiedervereinigung mit der bzw. auf die Kontrolle über die Ostkirche gehofft. Daneben dominierten mit Beginn des Vierten Kreuzzuges auch wirtschaftliche Interessen. Das beste Beispiel für dieses Motiv ist wohl der Vierte Kreuzzug selbst, der von der Handelsmetropole Venedig nach Konstantinopel umgeleitet wurde und in der Plünderung durch das Kreuzfahrerheer mit Abtransport der Beute nach Venedig mündete, um den Handelskonkurrenten auszuschalten. Hier zeigt sich die vollständige Pervertierung des ursprünglich religiösen Kreuzzugsgedankens einerseits, andererseits auch ein Grund für die immer geringere Wirkung der Kreuzzüge in der Verteidigung des oströmischen Reiches. Die Finanzierung der Kreuzzüge in den einzelnen Bistümern erfolgte über den Kreuzzugszehnten. Zu diesem Zweck wurden Amtsbücher wie der Liber decimationis angelegt. Weitere Faktoren Der britische Historiker Robert Bartlett sieht die Kreuzzüge in einem größeren, gesamteuropäischen Zusammenhang: Im 11. Jahrhundert setzt ein starkes Bevölkerungswachstum ein, bedingt durch günstige klimatische Umstände und neue Entwicklungen in der Landwirtschaftstechnik. Der Bevölkerungsüberschuss führt zu einer Expansion in die Peripherien Europas: Iberische Halbinsel, Irland, Germania Slavica, Baltikum und eben auch ins Heilige Land. Überblick: Begriff und zeitlicher Rahmen Im engeren Sinne versteht man unter Kreuzzügen allgemein nur die Orientkreuzzüge, also gegen die muslimischen Staaten des nahen Ostens gerichtete Kreuzzüge (siehe jedoch oben den Abschnitt „Forschungsprobleme“). Daneben bzw. danach gab es folgende Arten von Kreuzzügen: gegen „Heiden“ (Wenden, Finnen, Balten), gegen die Ostkirche (eher en passant, die Gebiete der Ostkirche waren nie offizielles Ziel eines Kreuzzugs), gegen Ketzer bzw. zu Ketzern erklärte Aufständische (Katharer (Albigenser); Stedinger; Hussiten), gegen politische Gegner des Papsttums (gegen Ghibellinen, gegen König Manfred von Sizilien sowie ebenfalls in Sizilien im Aragonesischen Kreuzzug gegen Peter III. von Aragón) Der Kreuzzug in seiner ursprünglichen Wortbedeutung hatte ausschließlich die Befreiung der Ostkirche zum Ziel und wurde auch passagia generalia genannt. Aus dieser entwickelte sich die passagia particularia, die sich gegen jeden anderen Ort wenden konnte. Das Symbol des Kreuzes, das an der Kleidung der Kreuzfahrer befestigt wurde, ist bereits im ersten Kreuzzug präsent. Die Gesta Francorum (um 1100) beginnt mit dem Zitat des Jesuswortes aus Lukas 9:23 („Wer mir folgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich täglich und folge mir nach“) und erwähnt das aufgenähte Kreuzzeichen (Franci audientes talia protinus in dextra crucem suere scapula, dicentes sese Christi unanimiter sequi uestigia „als die Franken dies hörten, nähten sie sofort das Kreuz auf ihre rechte Schulter und sagten, sie folgten einmütig den Spuren Christi“). Der Begriff cruce signatus („mit dem Kreuz gekennzeichnet“ oder „bekreuzigt“) nahm im 12. Jahrhundert die Sonderbedeutung „das Kreuz nehmen; den Kreuzfahrereid ablegen“ an. Die Kreuzzüge selbst wurden bis zum Ende des 12. Jahrhunderts lediglich als „bewaffnete Pilgerfahrt“, „bewaffnete Wallfahrt“ bezeichnet: In den zeitgenössischen lateinischen Quellen wurde der Kreuzzug ganz überwiegend umschrieben als expeditio, iter in terram sanctam (Reise ins Heilige Land) oder peregrinatio (Wallfahrt). Der volkssprachliche Begriff crozada „Kreuzzug“ wurde im frühen 13. Jahrhundert geprägt. „Propagandisten“ des Kreuzzuggedankens wie Caesarius von Heisterbach verwendeten um 1230 die Begriffe crux transmarina für Orientkreuzzüge und crux cismarina für die Eröffnung einer „zweiten Front“ gegen Ketzer im Innern des christlichen Abendlands. Diese „internen“ (interius) Kreuzzüge waren v. a. der Katharer- oder auch Albigenserkreuzzug, der in Okzitanien (Südfrankreich) stattfand, aber auch der Feldzug der Deutschordensritter ins Baltikum 1225. Die Hussitenkriege wurden auch als Kreuzzug bezeichnet. Diverse spätere als Kreuzzüge bezeichnete Feldzüge im Orient, gegen Türken oder Mongolen, erstreckten sich bis ins 15. Jahrhundert. Ein bleibendes Erbe der Kreuzzüge waren die Ritterorden, ursprünglich militarisierte Mönchsorden. Klassische Zählweise der Kreuzzüge In der Geschichtswissenschaft werden insgesamt sieben Kreuzzüge (Orientkreuzzüge) als offizielle Kreuzzüge unterschieden, wenn auch weitere kriegerische Handlungen unter dem Namen ‚Kreuzzug‘ stattfanden. Die Zählung ist in der Fachliteratur nicht ganz einheitlich, da manche Kreuzzüge nicht einhellig als eigenständige Kreuzzüge gewertet werden. Zeitleiste Erster Kreuzzug: 1096–1099, Ziel: Jerusalem Volkskreuzzug: 1096, Ziel: Jerusalem Deutscher Kreuzzug von 1096, Ziel: eigentlich Jerusalem Kreuzzug von 1101: Ziel: Jerusalem Kreuzzug Sigurds von Norwegen: 1108–1111, Ziel: Jerusalem/Sidon Venezianischer Kreuzzug: 1122–1124: Tyrus Zweiter Kreuzzug: 1147–1149, Ziel: eigentlich Edessa, letztlich Damaskus Wendenkreuzzug: 1147, Ziel: Germania Slavica Dritter Kreuzzug: 1189–1192, Ziel: Jerusalem Kreuzzug Heinrichs VI.: 1197–1198, Ziel: Jerusalem Vierter Kreuzzug: 1202–1204, Ziel: eigentlich Ägypten/Jerusalem, letztlich Konstantinopel Kinderkreuzzug: 1212, Ziel: Jerusalem Albigenserkreuzzug: 1209–1229, Ziel: Okzitanien Fünfter Kreuzzug: Kreuzzug von Damiette: 1217–1221, Ziel: eigentlich Jerusalem, letztlich Ägypten Kreuzzug Friedrichs II.: 1228–1229, Ziel: Jerusalem Kreuzzug Theobalds IV. von Champagne: 1239–1240, Ziel: Askalon/Damaskus Kreuzzug Richards von Cornwall: 1240–1241, Ziel: Askalon/Jerusalem Sechster Kreuzzug: 1248–1254, Ziel: Ägypten/Jerusalem Hirtenkreuzzug von 1251: Ziel: eigentlich Ägypten Siebter Kreuzzug: 1270, Ziel: Tunis/Jerusalem Kreuzzug des Prinzen Eduard: 1270–1272, Ziel: Akkon/Jerusalem Aragonesischer Kreuzzug: 1284–1285, Ziel: Girona Hirtenkreuzzug von 1320: Ziel: eigentlich Andalusien Kreuzzug gegen Smyrna: 1343–1347, Ziel: türkische Fürstentümer an der kleinasiatischen Küste, Eindämmung der Piraterie Kreuzzug gegen Alexandria: 1365, Ziel: Ägypten Kreuzzug gegen Mahdia: 1390, Ziel: Eindämmung der Piraterie Kreuzzug von Nikopolis: 1396, Ziel: Eindämmung des osmanischen Vordringens in Europa Auch die schwedischen Eroberungsfeldzüge gegen die Heiden in Finnland im 13. Jahrhundert werden als Kreuzzüge bezeichnet. Im 14. Jahrhundert wurden über 50 Kreuzzüge gegen die damals heidnischen Prußen und Litauer geführt. Diese vom Deutschen Orden organisierten Feldzüge bezeichnete man auch als „Preußenfahrten“ oder „Litauerreisen“. Das 15. Jahrhundert weist vier Kreuzzüge gegen die Hussiten auf. Von 1443 bis 1444 fand ein meist als „letzter Kreuzzug“ eingestufter Feldzug gegen das Osmanische Reich statt, der in der Schlacht bei Warna scheiterte. Geschichte Eine detailliertere Beschreibung der Geschichte ist in den separaten Artikeln zu den einzelnen Kreuzzügen enthalten. Erster Kreuzzug und Entstehung der Kreuzfahrerstaaten Aufgrund der Bedrängung des Byzantinischen Reiches durch die muslimischen Seldschuken infolge der byzantinischen Niederlage in der Schlacht von Mantzikert 1071 hatte der byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos im Westen um Hilfe angefragt. Papst Urban II. hatte 1095 dann auch auf der Synode von Clermont zum ersten Kreuzzug aufgerufen, um die heiligen Stätten der Christenheit zu befreien. Allerdings war Jerusalem zum Zeitpunkt des „Kreuzzugaufrufs“ im Jahr 1095 vorübergehend im Besitz der Seldschuken (1071–1098), die christliche Pilger weitgehend ungestört gewähren ließen. Eine religiöse Begeisterung wurde in Westeuropa hervorgerufen, die teilweise erschreckende Züge annahm: So wurden im Rheinland mehrere jüdische Gemeinden von Christen regelrecht vernichtet, und sogar einfache Leute machten sich mit Peter dem Einsiedler auf ins Heilige Land (so genannter Volkskreuzzug) – sie sollten es jedoch nie erreichen. Als die verschiedenen Kreuzfahrerheere Ende 1096 die byzantinische Hauptstadt Konstantinopel erreichten, traten weitere Probleme auf: Obwohl die Byzantiner einen Kreuzzug keineswegs herbeigewünscht hatten (sie hatten vielmehr auf Söldner aus Europa gehofft) und den Kreuzfahrern auch nicht ganz grundlos misstrauten – manche von ihnen, wie die unteritalienischen Normannen, hatten zuvor schon gegen Byzanz gekämpft –, unterstützte Alexios sie zunächst, zumal sie ihm einen Treueeid schworen und die Kreuzfahrer ebenfalls auf den Kaiser angewiesen waren. Im Frühjahr 1097 machte sich das Heer auf den Weg, und bald schon stellten sich erste Erfolge ein, wie die Eroberung von Nikaia, das vertragsgemäß den Byzantinern überlassen wurde. Nach schweren Kämpfen, unter anderem bei der Einnahme Antiochias, endete dieser Kreuzzug mit der Eroberung Jerusalems im Juli 1099, bei der es zu blutigen Massakern an den verbliebenen Bewohnern kam – ungeachtet der Religionszugehörigkeit. Allerdings wurden die Opferzahlen bei der Eroberung Jerusalems in der Vergangenheit sowohl von moslemischer als auch christlicher Seite stark übertrieben. Gestützt von einer hebräischen Quelle ging Thomas Asbridge 2010 nur von etwas über 3.000 Opfern aus; zum gleichen Ergebnis kam auch bereits Benjamin Kedar im Jahr 2004. Es folgte die Entstehung der Kreuzfahrerstaaten. Byzanz hatte zwar Teile Kleinasiens zurückgewonnen, stand der Errichtung von Staaten im Heiligen Land, die von Byzanz unabhängig waren, jedoch mit Misstrauen gegenüber, was bald schon zu Kämpfen mit dem Fürstentum Antiochia führte. Situation der Kreuzfahrerstaaten und Zweiter, Dritter und Vierter Kreuzzug Die so genannten Kreuzfahrerstaaten erwiesen sich jedoch auf die Dauer dem moslemischen Druck nicht gewachsen: Die meisten Adligen waren schon kurz nach dem Fall Jerusalems wieder abgereist; zurück blieb keineswegs nur die Elite. Einerseits waren die feudal organisierten Kreuzfahrerstaaten aufgrund der geringen katholisch-christlichen Bevölkerungsanzahl (wo die Mehrheit der Bevölkerung christlich war, war sie nicht katholisch, wie etwa in Syrien) auf Nachschub aus Europa angewiesen, was diesen Staaten einen gewissen „kolonialen“ Charakter verlieh. Andererseits kam es zu einem durchaus bemerkenswerten Wandel im Verhältnis zwischen Christen und Moslems: Fortan lebten sie meistens durchaus friedlich miteinander. Den Moslems wurde eine weitgehend freie Religionsausübung gestattet, und es wurde ihnen eine eigene Gerichtsbarkeit zugestanden. Auch gegenüber den anderen christlichen Konfessionen verhielten sich die katholischen „Franken“ (so wurden die Kreuzritter vor allem in arabischen Quellen genannt) durchaus tolerant. Diese Entwicklung war ebenfalls eine direkte Konsequenz der zu geringen Zahl zurückgebliebener Kreuzfahrer, die sonst den eroberten Raum nicht zu kontrollieren vermocht hätten – was aber ohnehin nur in gewissen Grenzen möglich war. Auch die Juden hatten in den Kreuzfahrerstaaten eine wesentlich bessere Stellung als in Europa und wurden in Outremer, wieder anders als in Europa, nach der Eroberung Jerusalems auch nie das Opfer von Pogromen. Auch wenn es den Kreuzfahrern teils sogar gelang, die verfeindeten muslimischen Reiche, die sie umgaben, gegeneinander auszuspielen (die Fatimiden in Ägypten waren den Seldschuken beispielsweise feindlich gesinnt), so war die militärische Situation doch immer äußerst schwierig. Der letztendlich erfolglose Zweite Kreuzzug (1147–1149) hatte bereits das Ziel, die bedrängten Kreuzfahrerstaaten (nach dem Fall der Grafschaft Edessa) zu entlasten. Nach der Schlacht bei Hattin 1187, in der faktisch das gesamte militärische Aufgebot des Königreichs Jerusalem geschlagen worden war, fiel sogar Jerusalem wieder in muslimische Hände. Die nachfolgenden Kreuzzüge, die diese Entwicklung umkehren sollten, hatten wenig Erfolg, teils aufgrund unzureichender Planung oder strategischer Fehler, teils aufgrund der Uneinigkeit bei der Führung des Oberkommandos. Lediglich im Dritten Kreuzzug konnten Teile Outremers entlang der Küste zurückerobert werden. Allerdings waren aufgrund der extremen Bedingungen weitab von Europa die Opfer unter den Kreuzfahrern hoch, allein unter der adligen Elite, für die konkrete Zahlen vorliegen, starben ein Patriarch, sechs Erzbischöfe und zwölf Bischöfe, 40 Grafen und 500 weitere namhafte Edelleute. Der Vierte Kreuzzug endete gar 1204 mit der Eroberung und Plünderung Konstantinopels, der damals größten christlichen Stadt der Welt, durch Kreuzritter, die mit einem Teil der gemachten Beute die Verschiffung des Kreuzfahrerheers durch die Flotte Venedigs „bezahlten“. Der Papst, der sich angesichts der Gräueltaten der Kreuzfahrer überdies darüber im Klaren war, dass damit eine Kirchenunion mit der Orthodoxie praktisch unmöglich wurde, verurteilte diese Aktion auf das Schärfste, was praktisch jedoch folgenlos blieb. Kriegsfolgen und weitere Kreuzzüge im Mittelalter Die Republik Venedig hatte somit ihren größten Konkurrenten im Orienthandel dauerhaft geschwächt, der Nimbus der Kreuzzüge nahm damit freilich dauerhaft Schaden, zumal in diesem Zusammenhang das Byzantinische Reich von einer intakten Großmacht zu einer (nach der Rückeroberung Konstantinopels 1261) Regionalmacht degradiert wurde. Außerdem wurde das Verhältnis der orthodoxen Völker zu Westeuropa für Jahrhunderte schwer belastet. Die Kreuzzüge hatten damit endgültig ihr ursprüngliches Motiv, die Rückeroberung des Heiligen Landes, verloren. Allerdings verlor man dieses Ziel nie ganz aus den Augen, auch wenn alle weiteren Versuche – vom diplomatischen Erfolg des Stauferkaisers Friedrich II. während des Fünften (bzw. nach anderer Zählung Sechsten) Kreuzzugs abgesehen – keinen Erfolg hatten oder sogar in militärischen Katastrophen endeten. Der Albigenserkreuzzug (1209–1229) – wie andere, ähnlich geartete Unternehmen gegen Christen – trug mit dazu bei, dass die Kreuzzüge oft nur als eine politische Waffe des Papsttums begriffen wurden. Der Krieg gegen die Katharer etwa diente dem König von Frankreich dazu, seine Macht in Okzitanien zu festigen und am Mittelmeer Fuß zu fassen. Sogar Feldzüge gegen die Ghibellinen (Anhänger des Kaisers) in Italien wurden noch zu Kreuzzügen erklärt. Demgegenüber trugen die „Kreuzzüge“ der Reconquista auf der iberischen Halbinsel bereits de facto nationale Züge. Die Kreuzzüge in das Baltikum, die vor allem der Missionierung dienten und von den teilnehmenden Adligen auch als „gesellschaftliches Ereignis“ begriffen wurden, gingen noch bis ins 14. Jahrhundert weiter. Die letzten Kreuzzüge in Europa waren die gegen die Hussiten in den Jahren von 1419 bis 1434. Nach der Hinrichtung des Prager Theologen Jan Hus auf dem Konzil von Konstanz 1415 kam es im Königreich Böhmen zum Aufstand seiner Anhänger. Gegen sie rief Papst Martin V. fünf Mal zum Kreuzzug auf, aber die Heere des römisch-deutschen Königs Sigismund und anderer katholischer Herrscher wurden von den Bauernarmeen der Taboriten, des radikalen Flügels der Hussiten, mehrfach vernichtend geschlagen. Am Ende der Hussitenkriege siegte 1434 der gemäßigte Flügel der Utraquisten. Ihnen gelang es als erster Religionsgemeinschaft seit der Antike – und fast 100 Jahre vor der Reformation Luthers – in einem westeuropäischen Land eine von der katholischen Lehre abweichende, anerkannte Kirche zu etablieren. Die Kreuzzüge in die Levante endeten 1291 mit dem Fall Akkons. Die späten Kreuzzüge gegen die islamische Welt, die sich nun gegen das nach Europa vordringende Osmanische Reich richteten, endeten schließlich gegen Ende des 14. / Mitte des 15. Jahrhunderts. Als die beiden letzten Kreuzzüge gegen Muslime gelten die des ungarischen und späteren römisch-deutschen Königs Sigismund (s. o.) und des polnischen Königs Władysław III. Beide endeten mit Niederlagen in der Schlacht bei Nikopolis 1396 und in der Schlacht bei Warna 1444. Kreuzzüge außerhalb des Mittelalters Bereits der Perserkrieg des oströmischen Kaisers Herakleios im 7. Jahrhundert trug in gewisser Weise Charakterzüge eines christlichen Religionskrieges, wobei der Kaiser später zum herausragenden Vorbild eines christlichen Kämpfers stilisiert wurde: so wurde beispielsweise das Geschichtswerk des Wilhelm von Tyrus in der altfranzösischen Übersetzung unter dem Titel Livre d’Eracles veröffentlicht. Auch nach dem Ende des Mittelalters wurden immer wieder Militäraktionen als „Kreuzzüge“ deklariert (so der Versuch einer Invasion Englands durch den katholischen König von Spanien, Philipp II., und auch die Schlacht von Lepanto wurde von einer so genannten „Kreuzzugsliga“ geführt). Auch Portugals König Sebastian sah seinen Feldzug nach Marokko als Auftakt für einen neuen Kreuzzug und fiel 1578. Das Papsttum unternahm noch im 17. Jahrhundert ähnliche Anläufe, denen aber bestenfalls nur vorübergehende Erfolge beschieden waren. Nachwirkungen Der Begriff „Kreuzzug“ beschränkt sich nicht nur auf die historischen Kreuzzüge, sondern wird heute auch im übertragenen Sinne gebraucht. Allgemeine Begriffsverwendung „Kreuzzug“ wird im Deutschen wie im Englischen auch als Synonym für eine gesellschaftliche Anstrengung oder organisierte Kampagne verwendet, die der Durchsetzung bestimmter Ziele dienen soll. Es wird beispielsweise von „Kreuzzügen“ gegen die weltweite Kinderarmut oder gegen Krankheiten und Seuchen gesprochen. In politischen Debatten wird der Begriff nicht selten polemisch eingesetzt, um ein Vorgehen der Gegenseite als weitaus überzogen zu brandmarken, beispielsweise wenn in einem verbalen Schlagabtausch von einem „Kreuzzug gegen die Internet-Infrastruktur“ die Rede ist. Politische Verwendung des Begriffs Die NS-Propaganda bezeichnete den deutschen Eroberungskrieg gegen die Sowjetunion als „Kreuzzug Europas gegen den Bolschewismus“. In den USA wurde die Beteiligung an der Befreiung Europas von der Herrschaft des Nationalsozialismus häufig mit dem Begriff „Kreuzzug“ assoziiert. So gab etwa der US-Oberbefehlshaber und spätere US-Präsident Dwight D. Eisenhower seinem Kriegstagebuch den Titel Crusade in Europe. Im 20. Jahrhundert bezeichnete der evangelikale Massenprediger Billy Graham seine Großveranstaltungen, auch zur Truppenbetreuung im Vietnamkrieg, als „Crusades“, engl. für Kreuzzüge. Der US-Präsident George W. Bush bezeichnete den zweiten Irakkrieg wiederholt als „Kreuzzug gegen Terroristen“. Auf Drängen seiner Berater verzichtete Bush jedoch schnell wieder auf diesen Begriff, vornehmlich wegen seiner historisch-inhaltlichen Bedeutung. Umgekehrt werden die westlichen Staaten, insbesondere so weit sie sich an der Eroberung und Besatzung des Irak beteiligen, in arabischen Ländern häufig als „Kreuzritter“ oder „Kreuzzügler“ bezeichnet, denen der gesammelte Widerstand der Muslime zu gelten habe. Der italienische Reformenminister Roberto Calderoli aus der rechten Regierungspartei Lega Nord rief als Reaktion auf die Proteste in der islamischen Welt im Karikaturenstreit den Papst dazu auf, sich an die Spitze eines „neuen Kreuzzugs“ gegen die Muslime zu stellen. Im Juli 2006 veröffentlichte Al-Qaida eine Videobotschaft mit dem Titel „Der Zionisten-Kreuzritter-Krieg gegen Libanon und die Palästinenser“, in der gegen die angebliche „Kreuzfahrer-Allianz“ westlicher Staaten mit Israel polemisiert wird. Die Gründe, weshalb Al-Qaida offenbar wirkungsvoll zum Kampf gegen die „Kreuzritter“ aufrufen kann, hat Amin Maalouf diskutiert; er zieht Parallelen zu den Vorgängen bei der Eroberung der Stadt Maarat an-Numan 1098. Ganz allgemein werden in Teilen der muslimischen Welt Kreuzzug und Kreuzritter als Ausdrücke verwendet, die aggressives Auftreten des Westens gegenüber dem Islam kennzeichnen sollen. („Türkische Regierung verurteilt ‚Kreuzzugmentalität‘ des Papstes.“) Rezeption im islamischen Raum Über Jahrhunderte war die Geschichte der Kreuzzüge in der kollektiven Erinnerung im islamischen Raum kaum präsent. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts kamen erste Anzeichen von Interesse an den Kreuzzügen auf. Um 1865 erschien in der Übersetzung französischer Geschichtsbücher erstmals der Begriff al-hurub al-Salabiyya (die „Kreuz-Kriege“) für jene Ereignisse, die man davor als die Kriege der Ifranji (Franken) bezeichnet hatte. Es kam zu einem langsam gesteigerten Interesse, wobei erst die Gründung Israels im Jahr 1948 von Asbridge als Umschlagpunkt einer stark intensivierten Auseinandersetzung mit den Kreuzzügen identifiziert wird. In der Folge kam es auch verstärkt zur Instrumentalisierung der Kreuzzüge und einzelner islamischer Persönlichkeiten, insbesondere Saladins, durch nahöstliche Despoten wie Hafiz al-Assad und Saddam Hussein. Dabei berufen sich heute die Anhänger zweier diametral entgegengesetzter muslimischer Ideologien auf die Geschichte der Kreuzzüge: sowohl der arabische Nationalismus als auch der Islamismus versuchen in manipulativer Annäherung an die Vergangenheit diese Epoche für ihre Ziele zu nutzen. In der Geistlichen Anleitung, mit der sich die Attentätern des 11. Septembers auf ihre Anschläge vorbereiteten, werden als Feinde die „Kreuzfahrer“, also die westliche Welt, neben den Juden und arabischen Regierungen, die mit dem Westen kooperieren, genannt. Literatur Bibliografien Siehe auch die umfassende Bibliografie in: Kenneth M. Setton (Hrsg.): A History of the crusades., Bd. 6 (s. u.). Hans Eberhard Mayer: Bibliographie zur Geschichte der Kreuzzüge. 2. Auflage, Verlag Hahn, Hannover 1965. Online-Bibliografie von Prof. Paul Halsall Lexika Alan V. Murray (Hrsg.): The Crusades. An Encyclopedia. 4 Bde., ABC-CLIO, Santa Barbara/Calif. u. a. 2006, ISBN 1-57607-862-0.(Fachwissenschaftliche Enzyklopädie, berücksichtigt die Forschungsliteratur bis etwa 2005.) Einführungen Felix Hinz: Die Kreuzzüge (Kompaktwissen Geschichte). Reclam-Verlag, Stuttgart 2017, ISBN 978-3-15-017092-2. Nikolas Jaspert: Die Kreuzzüge. 7., bibliografisch aktualisierte Auflage. wbg Academic, Darmstadt 2020, ISBN 978-3-534-27223-5. Hans Eberhard Mayer: Geschichte der Kreuzzüge. 10., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2005, ISBN 3-17-018679-5. (Standardwerk) Jonathan Phillips: Heiliger Krieg. Eine neue Geschichte der Kreuzzüge. (Originaltitel: Holy Warriors. A Modern History of the Crusades), Deutsche Verlagsanstalt, München 2011, ISBN 978-3-421-04283-5. Christine Dernbecher: Deum et virum suum diligens. Zur Rolle der Frau im Umfeld der Kreuzzüge. (= Saarländische Schriftenreihe zur Frauenforschung 16), Röhrig 2003, ISBN 978-3-86110-342-4. Jonathan Riley-Smith: Wozu heilige Kriege? Anlässe und Motive der Kreuzzüge (Originaltitel: What were the crusades). Wagenbach-Verlag, Berlin 2003, ISBN 3-8031-2480-8.(knappe Einführung) Peter Thorau: Die Kreuzzüge. Beck Wissen, München 2008, ISBN 978-3-406-56287-7. (Knapp gehaltene Einführung) Christopher Tyermann: Die Kreuzzüge. Eine kleine Einführung. (engl. 2006) Reclam, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-15-017058-8. (sehr kurze Einführung) Darstellungen Thomas Asbridge: Die Kreuzzüge. 2. Auflage. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011, ISBN 978-3-608-94648-2. Michel Balard u. a. (Hrsg.): Dei gesta per Francos. Études sur les croisades dédiées à Jean Richard. Crusade Studies in Honour of Jean Richard. Ashgate Books, Aldershot 2001, ISBN 0-7546-0407-1. D. Buschinger (Hrsg.): La Croisade. Realités et Fictions. Akten des Kolloquiums von März 1987 in Amiens (= Göppinger Arbeiten zur Germanistik. Band 503). Kümmerle Verlag, Göppingen 1989, ISBN 3-87452-740-9. Franco Cardini, Antonio Musarra: Die große Geschichte der Kreuzzüge. Von den Soldaten Christi bis zum Dschihad. wbg Theiss, Darmstadt 2022. ISBN 978-3-8062-4419-9. Carl Erdmann: Die Entstehung des Kreuzzuggedankens (Habilitationsschrift, Universität Berlin 1932). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1980, ISBN 3-534-00199-0 (unveränderter Nachdruck der Ausgabe Stuttgart 1955). Francesco Gabrieli: Die Kreuzzüge aus arabischer Sicht („Storici arabi delle crociate“). (zuerst 1973) Bechtermünz-Verlag, Augsburg 2000, ISBN 3-8289-0371-1. Alfred Haverkamp (Hrsg.): Juden und Christen zur Zeit der Kreuzzüge. J.Thorbecke-Verlag, Stuttgart 1999, ISBN 3-7995-6647-3. (Aufsatzsammlung) Carole Hillenbrand: The Crusades. Islamic Perspectives. University Press, Edinburgh 1999, ISBN 0-7486-0630-0. Peter M. Holt: The Age of the Crusades. The Near East from the Eleventh Century to 1517. Longman, London 1997, ISBN 0-582-49303-X. Norman Housley: The Later Crusades, 1274–1580. 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(Originaltitel: The Crusades: A History; umfassende aktuelle Darstellung der Kreuzzüge im erweiterten Sinne, also auch solcher, die nicht das Heilige Land bzw. Muslime als Ziel hatten.) Jonathan Riley-Smith (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Kreuzzüge. Campus Verlag, Berlin-New York 1999. ND Parkland-Verlag, Köln 2004. ISBN 3-89340-068-0.Originaltitel: The Oxford Illustrated History of the Crusades, Oxford 1995. (Illustrierte Einführung mit Beiträgen von mehreren Historikern.) Jonathan Riley-Smith (Hrsg.): Grosser Bildatlas der Kreuzzüge. Sechs Jahrhunderte abendländischer Kultur- und Glaubensgeschichte. Herder, Freiburg/B. 1992, ISBN 3-7632-4038-1. Steven Runciman: Geschichte der Kreuzzüge. Dtv, München 42003, ISBN 3-423-30175-9Originaltitel: The History of the Crusades. (Teils romantisierendes Standardwerk, das den Forschungsstand bis zu den 1950er Jahren berücksichtigt.) Kenneth M. Setton (Hrsg.): A History of the Crusades. 6 Bände, University of Wisconsin Press, Madison 1969–1989. Gilt als Standardwerk zu allen Aspekten der Kreuzzüge. A History of the Crusades, bei libtext.library.wisc.edu, A History of the Crusades, bei digicoll.library.wisc.edu Emmanuel Sivan: L’Islam et la Croisade. Idéologie et propagande dans les réactions musulmanes aux Croisades. Librairie d’Amerique et d’Orient, Paris 1968. Rodney Stark: Gottes Krieger – Die Kreuzzüge in neuer Sicht. Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2013, ISBN 3-942989-28-X.(Darstellung eines Religionssoziologen, der die Kreuzzüge eher als Reaktion auf die vorherige islamische Expansion erklärt und das religiöse Element der Kreuzzüge stärker gewichtet.) Philipp A. Sutner, Stephan Köhler, Andreas Obenaus (Hg.): Gott will es. Der Erste Kreuzzug – Akteure und Aspekte. Mandelbaum, Wien 2016, ISBN 978-3-85476-496-0. Christopher Tyerman: God’s war. A new history of the crusades. Penguin Books, London 2007, ISBN 978-0-14-026980-2. Christopher Tyerman: The Invention of the Crusades. Macmillan, London 1998, ISBN 0-333-66901-0. Hans Wollschläger: Die bewaffneten Wallfahrten gen Jerusalem. Geschichte der Kreuzzüge. Göttingen 2003. (2. erw. Aufl. Göttingen 2006, ISBN 3-89244-659-8). Weblinks Laiou/Mottahedeh (Hgg.): The Crusades from the Perspective of Byzantium and the Muslim World, bei Dumbarton Oaks, mit Link zur Internetpublikation Internet Medieval Sourcebook, bei fordham.edu, Internetquellenverweise (englisch) Anmerkungen !Kreuzzug Kriegsart Byzantinische Geschichte Christlich-islamische Beziehungen
Q12546
675.291388
10361
https://de.wikipedia.org/wiki/Gabun
Gabun
Gabun [] () ist ein Staat in Zentralafrika. Im Norden grenzt er an Kamerun und Äquatorialguinea sowie im Osten an die Republik Kongo. Seine Westküste liegt am Golf von Guinea. Durch das Land verläuft der Äquator. In dem zu großen Teilen von Regenwald bedeckten Land herrscht ein tropisches Klima. Die Hauptstadt des rund zwei Millionen Einwohner zählenden Landes ist Libreville. Neben verschiedenen Bantu-Sprachen sprechen die meisten Einwohner der ehemaligen französischen Kolonie Französisch. Die Öleinnahmen des Landes finanzieren einen großen Teil des Staatsbudgets. Seit 1967 wird das Land von der Familie Bongo regiert und gilt vielen internationalen Beobachtern als Diktatur. Nach 42 Jahren übernahm der heutige Präsident Ali-Ben Bongo Ondimba 2009 nach einer umstrittenen Wahl die Herrschaft von seinem Vater Omar Bongo. Am 29. August 2023 wurde Bongo nach den Präsidentschaftswahlen, die am 26. August stattgefunden hatten, neuerlich zum Sieger erklärt. Kurz darauf erklärte eine Gruppe hochrangiger Offiziere, sie habe die Macht im Land übernommen und die Regierung von Präsident Bongo sei gestürzt. Brice Clotaire Oligui Nguema, Kommandeur der gabunischen Republikanischen Garde, wurde zum Interim-Präsidenten ausgerufen. Seit 2022 ist Gabun Mitglied des Commonwealth of Nations. Geographie Gabun liegt an der westlichen Atlantikküste Zentralafrikas, von wo aus es sich in östliche Richtung bis kurz vor das Kongobecken erstreckt. Die Küstenlänge beträgt 885 km. Das westliche Küstentiefland steigt nach etwa 200 Kilometern stufenförmig bis zur Niederguineaschwelle im Osten an. Der höchste Berg Gabuns ist bisher nicht festgelegt. Es existieren verschiedene (fehlerhafte) Angaben, die bis zu 500 Höhenmeter voneinander abweichen. Die höchsten Erhebungen im Nordosten und Süden reichen bis knapp über 1000 m ü. d. M. Mehr als 70 Prozent der Landfläche sind von tropischem Regenwald bedeckt. Die Landesfläche von Gabun beträgt ungefähr Dreiviertel der von Deutschland. In einigen Regionen Gabuns findet sich sehr altes Gestein, das bis auf das Proterozoikum (rund 2 Milliarden Jahre vor heute) datiert werden kann. In den entsprechenden Formationen wurden unter anderem Gabonionta, mögliche frühe Formen mehrzelligen Lebens, und insgesamt 17 natürliche Kernreaktoren gefunden, deren bekanntester der Naturreaktor Oklo ist. Hydrologie Der größte Teil des Küstenstaats entwässert über den Ogooué (ca. 1200 km), in den Golf von Guinea. Etwa ¾ des Landes werden durch sein Einzugsgebiet entwässert. Dabei beschreibt die Einzugsgebietsgrenze zum Kongo ein großes Stück der Ostgrenze des Landes. Sein größter Nebenfluss ist der Ivindo, dessen Einzugsgebiet sich bis nach Kamerun und in die Republik Kongo erstreckt. Teile des Nordens und nördliche Westen fließt über den Ntem, den Muni und zahlreiche Küstenflüsse ab. Der südliche Westen entwässert ebenfalls über Küstenflüsse und den Nyanga. Flora und Fauna In der Region Gabuns ist eine hohe biologische Vielfalt zu finden. Nach Schätzungen leben 64.000 Elefanten, 25.000 Gorillas und 35.000 Schimpansen in Gabun. 680 Vogelarten wurden nachgewiesen sowie 320 Arten von Orchideen. Seltene und teilweise endemische Arten sind Flachlandgorillas, Mandrille, Waldelefanten, Bongo-Antilopen und Buntkopf-Felshüpfer. Die Landschaften Gabuns reichen von Savanne und Küste bis zu dichtem tropischem Regenwald. Natürlicherweise dominieren dichte Regenwälder. Vor allem im Bereich des Batéké-Plateaus findet man auch Feuchtsavannen. 2002 wies die Regierung rund 10 % der Landfläche als Nationalparks aus, was weltweit zu den höchsten Flächenanteilen gehört. Die 13 Nationalparks werden von der National Agency for National Parks verwaltet und betreut. Touristisch am bekanntesten sind das Schutzgebiet Lopé-Okanda, aber auch der Ivindo Nationalpark oder der Loango-Nationalpark. Zu den auffälligsten Großtierarten Gabuns zählen vor allem waldbewohnende Arten wie Waldelefant, Rotbüffel, Leopard, Flachlandgorilla, Schimpanse und Mandrill. Bevölkerung Gabun gehört zu den am dünnsten besiedelten Ländern Afrikas. Es hat etwa drei Viertel der Fläche Deutschlands, aber nur knapp doppelt so viele Einwohner wie Köln. 90 % der Bevölkerung lebt in und um die drei größten Städte: Libreville mit ca. 700.000, Port-Gentil mit ca. 140.000 und Franceville mit ca. 110.000 Einwohnern. Die Landesmitte und der Norden sind weitgehend menschenleer. Der jährliche Bevölkerungszuwachs betrug 2019 2,5 Prozent. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 3,9. Seit dem Höchststand von 5,7 im Jahr 1983 ist der Wert kontinuierlich gesunken. Die Lebenserwartung der Einwohner Gabuns ab der Geburt lag 2020 bei 66,7 Jahren (Frauen: 68,9, Männer: 64,6). Die Direction Générale de la Statistique ist die staatliche Statistikbehörde in Gabun. Volksgruppen Auf dem Staatsgebiet Gabuns leben etwa 40 verschiedene Völker bzw. ethnische Gruppen; die Mehrheit der Bevölkerung sind Angehörige von Bantu-Völkern. Davon sind die mit Abstand größte und politisch einflussreichste Volksgruppe die Mpongwe-Fang, die etwa ein Drittel der Gabuner stellen (Mpongwe 31 %, Fang 7 %). Kleinere Gruppen sind die Mbete (15,5 %), die Bapunu (15 %, mit der Sprache Punu), die Tsabatis (14 %), die Batazis (9,5 %) und die Bateke (4 %). Außerdem gibt es 1,5 % Pygmäen – die im Nordosten und Süden lebenden Ureinwohner – sowie ungefähr 60.000 Franzosen (meist in den Städten). Ausländer – viele davon Angestellte eines multinationalen Erdölkonzerns – spielen eine große Rolle im Bildungswesen und in der Wirtschaft. Im Jahre 2017 waren 13,8 % der Bevölkerung im Ausland geboren. Sprachen Die Amtssprache Französisch wird von rund 80 Prozent der Gesamtbevölkerung beherrscht, wobei es ein Drittel der Einwohner der Hauptstadt Libreville als Muttersprache spricht. Im Alltag werden überwiegend Bantusprachen gesprochen. Die wichtigste Bantusprache ist das Fang, daneben haben auch das Mbere, das Punu, das Teke und das Njebi Bedeutung. Insgesamt werden 42 Sprachen und Idiome gesprochen. Religionen Etwa 65 Prozent der Einwohner bezeichnen sich als Christen (rund 60 % als Katholiken und ca. 5 % als Anhänger verschiedener protestantischer Kirchen). Viele von ihnen pflegen weiterhin bestimmte Formen afrikanischer Religiosität. Ein großer Teil der übrigen Bevölkerung hängt zumeist den traditionellen Volksreligionen, vor allem dem Bwiti, an. Eine Minderheit von rund 12 % bekennt sich zum Islam, darunter Präsident Bongo und zahlreiche Ausländer. Bildungswesen Es besteht offiziell eine zehnjährige allgemeine Schulpflicht. Etwa die Hälfte der Schulen des Landes Gabun sind in konfessioneller oder privater Trägerschaft. Die Analphabetenquote beträgt allerdings weiterhin etwa 29 %. Gesundheitswesen Die Kindersterblichkeit lag 2019 bei 34 pro 1000 Geburten und die Müttersterblichkeit bei 291 pro 100.000 Geburten (Stand 2017). 86 % der Geburten können medizinisch betreut werden (Stand 2008). Die AIDS-Quote wird je nach Quelle auf zwischen 8,0 % und 5,9 % geschätzt (siehe auch: HIV/AIDS in Afrika). Die medizinische Versorgung ist oft unzureichend. 2015 waren 7 % der Bevölkerung unterernährt, was eine der niedrigsten Quoten in Afrika ist. Lambaréné in Gabun beherbergt das von Albert Schweitzer begründete und bis zu seinem Tod 1965 von ihm geleitete Urwaldkrankenhaus. Geschichte Europäischer Einfluss Der Name Gabun leitet sich aus dem portugiesischen Wort „Gabão“ ab und bedeutet „Umhang“. Als im 15. Jahrhundert portugiesische Seefahrer die Küste des Landes erreichten, gaben sie der Mündung des Flusses Komo wegen dessen eigentümlicher Form den Namen Gabão. Nach der Besiedlung des Gebietes erlangten die französischen Siedler 1839 eine erste Hoheit über das Gebiet. 1888 wurde Gabun Teil von Französisch-Kongo und 1910 als selbständiger Teil von Französisch-Äquatorialafrika wieder ausgegliedert. Am 8. bis 12. November 1940, als campagne du Gabon bzw. bataille de Libreville bezeichnet, erfolgte die Einnahme von Gabuns Hafen durch Forces françaises libres (FFL) unter De Gaulle und britischen Verbänden. Der bis dahin von Vichy-treuen Truppen gehaltene und nun strategisch bedeutsame Hafen fiel damit an die Alliierten. Die loi-cadre Defferre wurde 1956 unter französischer Verwaltung eingeführt und damit das allgemeine aktive und passive Frauenwahlrecht. Als Französisch-Äquatorialafrika 1958 aufgelöst wurde, erlangte Gabun als Gabunische Republik die Autonomie. Unabhängigkeit und Diktatur Omar Bongos Am 17. August 1960 erlangte Gabun die Unabhängigkeit von Frankreich unter Präsident Léon M’ba, dem 1967 nach dessen Tod Omar Bongo nachfolgte. Das Frauenwahlrecht wurde bei der Unabhängigkeit bestätigt. Die Gründung der Parti Démocratique Gabonais (PDG) erfolgte am 12. März 1968. Mit dieser Einheitspartei regierte Omar Bongo das Land lange Zeit diktatorisch. Gabun führte in den 1990er Jahren ein Mehrparteiensystem ein und verabschiedete eine neue Verfassung, die eine Reform der Regierungsorganisationen und transparentere Wahlen ermöglichte. Die geringzahlige Bevölkerung, die enormen Rohstoffvorkommen und Hilfe von außen ermöglichten Gabun sich im Laufe der Zeit zu einem florierenden Staat in Afrika zu entwickeln. Staatspräsident Omar Bongo war der am längsten herrschende Staatschef in Afrika; er starb am 8. Juni 2009 in Barcelona an Herzstillstand. Seit dem Machtwechsel 2009 Die Senatspräsidentin Rose Francine Rogombé wurde zur Übergangspräsidentin gewählt mit dem Auftrag, innerhalb von 45 Tagen Neuwahlen zu organisieren. Am 30. August 2009 gewann der Verteidigungsminister Ali-Ben Bongo Ondimba die Wahlen und wurde damit Nachfolger seines Vaters als Staatspräsident. Er erreichte mit 140.000 Stimmen 41,73 % der abgegebenen Stimmen bei 800.000 Wahlberechtigten. Auf den früheren Innenminister André Mba Obamé und auf einen weiteren Oppositionskandidaten entfielen je etwa 87.000 Stimmen. Am Wahltag kam es in der Hafenstadt Port-Gentil, einer Hochburg der Opposition, lokal zu Krawallen durch Anhänger des unterlegenen Kandidaten, in die etwa 600 Personen, vorwiegend männliche Jugendliche, verwickelt waren. Es wurden ein Polizeiposten und ein Gefängnis gestürmt und 300 Gefangene befreit. Die Gelegenheit wurde genutzt, um zahlreiche Geschäfte, vorwiegend die von libanesischen Immigranten, zu plündern. Die von den unterlegenen Kandidaten verlangte Neuauszählung der Stimmen ergab keine Veränderung des Wahlergebnisses. Daher wird das Ergebnis von diesen noch immer nicht anerkannt. Da aber sowohl europäische als auch Wahlbeobachter der Afrikanischen Union die Rechtmäßigkeit und Richtigkeit dieser Wahlen bestätigt haben, kam es am 17. Oktober 2009 zur Amtseinführung Ali Bongos. Bei der Präsidentschaftswahl 2016 wurde Bongo knapp mit 49,8 Prozent gegenüber 48,23 Prozent für Jean Ping im Amt bestätigt. Bei der Auszählung der Stimmen lag Ping in fast allen Provinzen vorne. Nachdem sich die Auszählung dann verzögerte, gewann Bongo schließlich in seiner Heimatprovinz Haut-Ogooué angeblich 95,46 % der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von angeblich 99,93 % und erreichte schließlich mit nur 5.500 Stimmen den Wahlsieg. Von Oktober 2018 bis Februar 2019 hielt sich Bongo wegen einer Krankheit im Ausland auf. Nach einem Putschversuch „zur Wiederherstellung der Demokratie“ durch Offiziere der Streitkräfte Gabuns am 7. Januar 2019 kehrte Bongo zurück und ernannte ein neues Kabinett. Am 30. August 2023 wurde bekannt, dass es kurz nach der umstrittenen Parlaments- und Präsidentschaftswahl vom 27. August zu einem Putsch des Militärs gekommen ist. Eine Gruppe hochrangiger Offiziere erklärte das „Ende des derzeitigen Regimes“. Die Gruppe aus Vertretern der Gendarmerie, der Republikanischen Garde und anderen Teilen der Staatsorgane erklärte, sie hätten die Macht übernommen und Ali Bongo abgesetzt. Politik Politisches System Nach der Verfassung vom 28. März 1991 ist Gabun eine präsidiale Republik mit einem Mehrparteiensystem. Der Präsident ist Staatsoberhaupt und Oberbefehlshaber der Streitkräfte und wird für 7 Jahre vom Volk direkt gewählt und kann nach einer Verfassungsänderung von 2003 unbegrenzt wiedergewählt werden. Vollziehendes Organ ist die Regierung unter Vorsitz des Premierministers (wird vom Präsidenten ernannt). Der Präsident übt gemeinsam mit ihm und dem Regierungskabinett, das dem Präsidenten verantwortlich ist, die Exekutivgewalt aus. Die Legislative hingegen liegt beim Zweikammerparlament, das aus dem Senat (mit 91 Mitgliedern, die von den Regional- und Gemeinderäten auf 6 Jahre gewählt werden) und der Nationalversammlung besteht. Die Nationalversammlung hat 120 Abgeordnete, die für 5 Jahre gewählt werden. Das aktuelle Rechtssystem umfasst rechtsgeschichtliche Elemente mit Ursprüngen in der französischen Kolonialzeit sowie im traditionellen Stammesrecht. Einflussreichste Parteien: Parti Démocratique Gabonais (PDG) Parti Gabonais du Progrès (PGP) Rassemblement National des Bûcherons (RNB) Die letzten Wahlen fanden am 26. August 2023 statt. Präsident Ali Bongo kandidierte für eine dritte Amtszeit. Die Opposition einigte sich auf Albert Ondo Ossa als Einheitskandidaten. Für Präsidentschafts- und Parlamentswahlen gab es nur einen Stimmzettel, auf dem ein Stimmensplitting nicht möglich war. Am Tag danach wurde das Internet gesperrt und eine Ausgangssperre verhängt. Laut Wahlkommission gewann Bongo die Wahl mit 64,3 %. Politische Indizes Menschenrechte In Gabun arbeiten viele Kinder, die von Menschenhändlern aus ihrer Heimat verschleppt wurden, vor allem Mädchen von 8 bis 15 Jahren aus Togo, Benin und Nigeria. Die Gefängnisse sind überfüllt und die Haftbedingungen sehr hart. Lebensmittel, hygienische Bedingungen und Belüftung sind mangelhaft. Medizinische Versorgung ist so gut wie nicht vorhanden. Selbstzensur werde in der Presse häufig unternommen, da es nach den Angaben der international tätigen Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen im Land sehr häufig zu Polizeigewalt gegen Journalisten kommt. In Gabun entwickelt sich zunehmend eine Zivilgesellschaft. Federführend war unter anderem das Engagement des Aktivisten Marc Ona, welcher 2009 den Goldman Environmental Prize erhielt. Homosexualität ist in Gabun seit 2020 legal. Vorher warnte jedoch noch das Auswärtige Amt der Bundesrepublik: „Offen vorgetragene Bekenntnisse zur Homosexualität“ werden von größeren Bevölkerungsteilen als „Verstoß gegen die guten Sitten“ betrachtet und würden nicht verstanden. Außenpolitik 2010/11 war das Land über einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen in New York und Genf und bei der UNESCO in Paris vertreten. 2022/23 ist Gabun erneut nichtständiges Mitglied des Sicherheitsrates. Weiterhin wurden in der nichtafrikanischen Welt Botschaften in Frankreich, Großbritannien, Italien, USA, Russland, Belgien (Brüssel), Brasilien, Kanada, Saudi-Arabien, China, Libanon, Südkorea und Japan eingerichtet. Gabun ist bei der Bundesrepublik Deutschland in Berlin durch die außerordentliche und bevollmächtigte Botschafterin, Marianne Odette Bibalou Bounda, akkreditiert. Deutschland wiederum hat in der Hauptstadt Libreville eine Botschaft eingerichtet, die zugleich für São Tomé und Príncipe zuständig ist, jedoch nicht für Rechts- und Konsularaufgaben. Außerordentlicher und bevollmächtigter Botschafter ist Pascal Richter. Gabun ist Mitglied der International Cocoa Organization und des Commonwealth of Nations. Militär Die Streitkräfte Gabuns gliedern sich in Armee, Luftwaffe und Marine und verfügen über 5000 Mann. Gabun gab 2017 knapp 2,1 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 299 Millionen US-Dollar für seine Streitkräfte aus. Verwaltung Der Staat gliedert sich in neun Provinzen, diese wiederum in 37 Departements. Daten 1993, 2003, und 2013 basierend auf Zensus, 2020 auf Projektion. Der staatliche Statistische Dienst ist die Direction Générale de la Statistique mit Sitz in der Hauptstadt Libreville. Wirtschaft und Verkehr Reiche Naturschätze begünstigen die wirtschaftliche Entwicklung Gabuns. Das Bruttoinlandsprodukt betrug 2016 19.056 Dollar (KKP) je Einwohner, was vergleichbar mit dem Einkommensniveau von Argentinien war. Gabun ist somit eines der reichsten Länder Subsahara-Afrikas. Dennoch leben etwa 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Auch wenn Gabun gemäß Human Development Index im letzten Jahrzehnt im Bereich mittlerer bis hoher menschlicher Entwicklung lag, lebt etwa ein Drittel der Bevölkerung in extremer Armut. Über 90 % des Bruttoinlandsprodukts wird von nur 10 % der Bevölkerung verbraucht. Die Arbeitslosenquote wird 2015 mit 28 % angegeben und liegt damit sehr hoch. Die meisten Beschäftigungsverhältnisse sind informeller Natur und Unterbeschäftigung ist weit verbreitet. Die wichtigsten Handelspartner sind die Vereinigten Staaten, die Volksrepublik China und Frankreich. Es sind nach Angaben des Präsidenten Ali Bongo konkrete Projekte zum Ausbau des öffentlichen Verkehrswesens, des überregionalen Straßennetzes und zur nachhaltigen Landwirtschaft vorhanden und teilweise bereits in Ausführung. Gabun ist in die regional-staatliche Wirtschafts- und Währungsorganisation CEMAC eingebunden, zu der neben Gabun auch Kamerun, Äquatorialguinea, die Republik Kongo, der Tschad und die Zentralafrikanische Republik zählen. Die CEMAC ist damit ein rund 55 Millionen Menschen umfassender Wirtschaftsraum. Gabun ist über den CFA-Franc BEAC mit einem festen Wechselkurs an den Euro gebunden. Im Global Competitiveness Index, der die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes misst, belegte Gabun Platz 108 von 138 Ländern (Stand 2016–17). Im Index für wirtschaftliche Freiheit belegte Gabun 2017 Platz 103 von 180 Ländern. Kennzahlen Alle BIP-Werte sind in US-Dollar (Kaufkraftparität) angegeben. Bodenschätze Gabun ist einer der rohstoffreichsten Staaten Afrikas, mit erheblichen Erdölreserven vor der Küste. Dementsprechend zählen zu seinen Hauptexportgütern Rohöl und Erdölprodukte, auf die zirka 82 Prozent seiner Export­einnahmen entfallen. Im Landesinneren werden Mangan, Uran, Eisenerze und Gold gefördert. Mangan ist nach Erdöl und Holz das drittwichtigste Exportgut. Die ehemals großen Uranvorräte bei Franceville (u. a. Lagerstätte um Oklo) sind weitestgehend erschöpft. Die vorhandenen Einnahmen aus Rohstoffverkäufen sollen verstärkt für die Verbesserung der nationalen Infrastruktur verwendet werden. Landwirtschaft Weiterhin gehört Gabun zu den größten Tropenholz-Exportländern Afrikas – der ausgedehnte Waldbestand ermöglicht die extensive Nutzung zahlreicher Hölzer. Etwa zwei Drittel der Landesfläche sind noch von tropischem Regenwald bedeckt; für das Edelholz Okoumé hat Gabun das Weltmonopol. Die nationale Gesetzgebung verlangt allerdings eine nachhaltige Bewirtschaftung des Waldes und der Export unbehandelter Hölzer unterliegt Restriktionen. Elf Prozent des Staatsgebietes sind bereits als Reservate ausgewiesen und werden mit Unterstützung Frankreichs, der EU und neuerdings auch der USA betreut. Exportiert werden außerdem Kaffee, Kakao, Kautschuk (zur Gummiherstellung), Palmöl, Zucker und Erdnüsse. Es werden etwa 25.000 Tonnen Zucker produziert, von denen der größte Teil im Land selbst verbleibt. Der Anbau von Grundnahrungsmitteln dient vor allem dem Eigenbedarf im Land, kann diesen jedoch nicht vollständig decken. Industrie, Energie Gabuns Industrie besteht zum größten Teil aus Holz- und Papierindustrie sowie Textil- und Nahrungsmittelindustrie. Drei agrarindustrielle Betriebe wurden bereits privatisiert. Einen Teil der Energie bezieht das Land durch die Wasserkraft, hauptsächlich im Süden des Landes. 1997 wurde der gabunische Wasser- und Stromversorger SEEG in private Hand übergeben. Staatshaushalt Der Staatshaushalt umfasste 2016 Ausgaben von umgerechnet 3,464 Mrd. US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 2,917 Mrd. US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 3,8 % des BIP. Die nationale Staatsverschuldung betrug 2016 62,0 % des BIP. 2006 betrug der Anteil der Staatsausgaben (in % des BIP) folgender Bereiche: Gesundheit: 4,5 % Bildung: 3,8 % (2000) Militär: 3,4 % (2005) Münzen Seit 2012 gibt Gabun jährlich die Sammler- und Anlagemünze Silberunze Afrikanischer Springbock zum Nennwert von 1000 Francs CFA heraus. Verkehr Die einzige Eisenbahnstrecke des Landes verbindet den Hafen Owendo und die Hauptstadt Libreville an der Atlantikküste mit der Stadt Franceville im östlichen Landesinneren. Das gesamte Straßennetz umfasste 2007 etwa 9170 km, wovon 1097 km asphaltiert sind. Die Straßen werden drei Kategorien zugeordnet, nämlich Nationalstraßen, Regionalstraßen und Lokalstraßen. Kultur Medien Bei der Rangliste der Pressefreiheit 2017, welche von Reporter ohne Grenzen herausgegeben wird, belegte Gabun Platz 108 von 180 Ländern. Bei der Situation der Pressefreiheit im Land gibt es laut der Nichtregierungsorganisation „erkennbare Probleme“. In Gabun befindet sich der Standort des ältesten panafrikanischen Rundfunksenders – Africa Radio, ehemals: Radio Africa No. 1. Der Sender ist auch für die Infrastruktur des Landes von großer Bedeutung, er ermöglicht den Schulbetrieb, unterstützt die Verwaltung der durch Regenwälder und schlechte Straßenverbindungen oft über Monate unzugänglichen Gebiete. Das Internet wurde 2016 von 10,3 % der Bevölkerung genutzt. Sport Die beliebtesten Sportarten in Gabun sind Basketball und Fußball. Gabun trug 2012 (gemeinsam mit Äquatorialguinea) und 2017 die Fußball-Afrikameisterschaft aus. Eine der bekanntesten Personen Gabuns ist der Fußballspieler Pierre-Emerick Aubameyang, der zurzeit bei Olympique Marseille unter Vertrag steht. Gabun nimmt seit 1972 an den Olympischen Spielen teil. Der einzige olympische Medaillenträger aus Gabun ist Anthony Obame, der bei den Olympischen Sommerspielen 2012 in London Silber im Taekwondo gewann. Schnitzkunst Einige Kulturen Gabuns sind bekannt für ihre Schnitzkunst, besonders die Fang, die Kota, die Punu und die Tsogo. Aus dem Gebiet der Kota im Osten des Landes stammt ein spezieller Typ von Reliquiarfiguren, die den Urahn des jeweiligen Klans versinnbildlichen; sie bestehen zumeist aus einem Holzkern, aus dem ein ovales Gesicht, teilweise ohne Mund, skulptiert und dann mit Folie und Lamellen aus Edelmetallen (meist Kupferfolie) beschlagen wird. Über dem Kopf befindet sich oft ein mondsichelförmiger Aufsatz, der Hals ruht auf einem hochkant gestellten Rechteck. Diese Reliquiarfiguren waren Vorbilder für den Maler Pablo Picasso. Er bediente sich des Öfteren dieser Figuren für seine Werke. So malte er 1907 eine Reihe von Variationen dieses Motivs. Weblinks Landeseigene Links Présidence de la République Gabonaise. Präsidentenamt der Republik Gabun, auf www.presidence.ga (französisch) Assemblée Nationale de la République Gabonaise. Parlament der Republik Gabun, auf www.assemblee-nationale.ga (französisch) Symboles nationaux. Nationalsymbole der Republik Gabun, auf www.presidence.ga (französisch) Journal Officiel de la République Gabonaise. Amtsblatt der Republik Gabun (französisch) Botschaft Gabun Webpräsenz von Gabun in Deutschland Landesprofil bei Ministerien deutschsprachiger Staaten Auswärtiges Amt (D): Gabun. auf www.auswaertiges-amt.de. Bundesministerium für europäische und internationale Angelegenheiten (A): Länderspezifische Reiseinformation: Gabun (Gabunische Republik). auf www.bmeia.gv.at. Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (CH): Gabun. auf www.eda.admin.ch. Internationale Links United Nations: United Nations Statistics Division. Gabon. Auf www.data.un.org (englisch). The World Bank: Countries. Gabon. Auf www.worldbank.org (englisch). US-Government: CIA World Fact Book. Gabon. Auf www.cia.gov (englisch). WHO: Gabon. Auf www.afro.who.int (englisch). UNHCR: Gabon. Auf www.unhcr.org (englisch). Minority Rights Group International: Gabon. Auf www.minorityrights.org (englisch). UNCTAD: Catalogue of Diversification Opportunities 2022. Gabon. Auf www.unctad.org (PDF, englisch). Weitere Links Gabon country profile. Auf BBC News (englisch) Statistiken über Gabun von Tilasto Einzelnachweise Staat in Afrika Mitgliedstaat des Commonwealth of Nations Mitgliedstaat der Vereinten Nationen
Q1000
1,925.166982
19654
https://de.wikipedia.org/wiki/Visayas-See
Visayas-See
Die Visayas-See ist ein kleines Teilmeer des Pazifiks und befindet sich in der Mitte der Visayas-Inseln, welche den zentralen Teil der Philippinen bilden. Der Mittelpunkt der Visayas-See liegt ungefähr bei 11,5 Grad nördlicher Breite und 123,3 Grad östlicher Länge. Sie ist im Nordwesten über den Jintotolo-Kanal mit der Sibuyan-See verbunden, im Nordosten mit der Samar-See, im Südosten mit der Camotes-See, über die Tanon-Straße im Südwesten mit der Mindanaosee (Bohol-See) und über die Guimaras-Straße im Südwesten mit dem Golf von Panay. Die Visayas-See ist von folgenden Inseln umgeben: Panay im Westen, Negros und Cebu im Süden, Leyte im Osten und Masbate im Norden. Im westlichen Teil der Visayas-See liegen im Nordosten vor der Insel Panay, der Bancal-Bucht vorgelagert, der kleine Inselarchipel der Gigantes-Inseln und die Inseln Binuluangan, Calagnaan und Sicogon. Am Eingang zur Guimaras-Straße liegt die Insel Pan de Azucar, auf der sich der hohe Mount Manaphaga erhebt und eine markante Landmarke bildet. Sie bildet im Norden, an der Küste von Masbate, den Golf von Asid, in dem die Inseln Chico-, Naro- und Peña liegen. Im Süden der Visayas-See liegen Bantayan-, Kinatarkan-, Hilantagaan-, sowie Carnaza- und Malapascua Island vor der Nordspitze von Cebu und vor dem Nordkap von Leyte liegt Higatangan Island. Im Süden des Meeres liegt das Meeresschutzgebiet Sagay Marine Reserve, auf einer Fläche von 325 km². Weblinks Meerenge in den Philippinen Meerenge (Australasiatisches Mittelmeer) Meerenge in Asien
Q474708
152.429034
71552
https://de.wikipedia.org/wiki/Tiermedizin
Tiermedizin
Die Tiermedizin, Tierheilkunde oder Veterinärmedizin (vom französischen Wort vétérinaire), bis ins 20. Jahrhundert auch Tierarznei oder Tierarzneikunde und früher auch Mulomedizin genannt, beschäftigt sich mit den Krankheiten und Verletzungen von Tieren, mit dem Tierschutz und begleitender Forschung, aber auch mit Lebensmitteln tierischer Herkunft und verwandten Themen. Gerade Letzteres ist im Rahmen eines stetig steigenden Verbraucherschutzes von großer Bedeutung, obliegt doch die Kontrolle von Lebensmitteln tierischer Herkunft sowohl in der Erzeugung als auch in der Verarbeitung den Veterinärbehörden. Geschichte Global Der erste überlieferte Tielheilkundige war Urlugaledinna, der 2200 v. Chr. im sumerischen Lagaš in Mesopotamien lebte. Der ägyptische Papyrus von Kahun von 1900 v. Chr. ist eines der ersten Dokumente, das Tierheilkunde belegt. Der buddhistische König Aśoka hatte gemäß Iwan Bloch bereits im 3. Jahrhundert v. Chr. Krankenhäuser für Menschen und Tiere eingerichtet. In den Edikten des Ashoka (3. Jahrhundert v. Chr.) steht: Die Darstellung des Asklepios auf einer provinzialrömischen Münze aus Parium in Mysien z.Zt des römischen Kaisers Alexander Severus auf der er den Huf eines Stiers untersucht, deutet darauf hin, dass Asklepios nicht nur als human-, sondern auch als veterinärmedizinisch tätiger Heilgott angesehen wurde. Daneben galt auch Herkules als Schutzgott der Tierherden und ihrer Gesundheit. Das umfangreichste tierärztliche Werk des Altertums stellten die kurz Mulomedicina („Mulomedizin“) oder Ars veterinaria genannten vier Bücher Artis veterinariae sive mulo-medicinae libri quatuor des Publius Vegetius Renatus aus dem 4. Jahrhundert dar. Im 5. oder 6. Jahrhundert erschien die Zusammenstellung antiker Schriften zur Pferdeheilkunde, die Hippiatrica. Im Mittelalter war das um 1250 verfasste sechsteiligen Handbuch der Pferdeheilkunde Hippiatria des Jordanus Ruffus, dem Oberhofmarschall Friedrichs II., verbreitet und wurde seit dem 13. Jahrhundert auch in verschiedene Sprachen übersetzt. Deutscher Sprachraum Vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit sind auch im deutschsprachigen Raum tierheilkundliche Texte bezeugt. Eine der am weiträumigsten verbreiteten und vom 13. bis zum 18. Jahrhundert in viele Sprachen übersetzten, pferdeheilkundlichen Schriften war das sogenannte Rossarzneibuch des Meister Albrant, der unter anderem in Neapel als Marstaller Kaiser Friedrichs II. wirkte. Man unterschied zum Teil Rossärzte und Viehärzte. Die älteste veterinärmedizinische Hochschule im deutschen Sprachraum ist die 1765 als Lehrschule zur Heilung der Viehkrankheiten gegründete Veterinärmedizinische Universität Wien. Auf dem Gebiet der heutigen Bundesrepublik Deutschland geht die akademische Ausbildung in der Veterinärmedizin ins Jahr 1771 zurück und hat ihre Wurzeln an der Universität Göttingen. Zu dieser Zeit erhielt der Göttinger Universalgelehrte Johann Christian Polycarp Erxleben die Genehmigung, das Vieharzney-Institut an der Universität zu gründen. Das heutige Tierärztliche Institut der Georg-August-Universität Göttingen ist somit die älteste und erste universitäre Bildungsstätte für Veterinärmedizin in Deutschland, an der allerdings heute kein Studium der Tiermedizin mehr möglich ist. Die älteste, noch bestehende, eigenständige tiermedizinische Hochschule in Deutschland ist die 1778 unter der Regentschaft von Georg III. als Roßarzney-Schule gegründete Tierärztliche Hochschule Hannover (seit 2003 Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover). Der Anatom Henryk Kadyi (1851–1912) setzte um 1900 im Österreichischen Lemberg ein Reifezeugnis und ein vierjähriges Studium der Tiermedizin als Voraussetzungen für die Zulassung von Tierärzten durch. Studium in Deutschland Die Ausbildung zum Tierarzt ist durch die Verordnung zur Approbation von Tierärztinnen und Tierärzten (TAppV) staatlich geregelt. Das Studium der Tiermedizin ist in Deutschland an der Tierärztlichen Hochschule Hannover, in Berlin (Freie Universität Berlin), Gießen (Justus-Liebig-Universität), Leipzig (Universität Leipzig) und München (Ludwig-Maximilians-Universität) möglich. In der Republik Österreich ist das Studium nur in Wien, in der Schweiz an den Universitäten Bern und Zürich möglich. Es gliedert sich in die Abschnitte Vorphysikum, Physikum und klinischer Abschnitt. Es endet mit dem Abschlussexamen und der Approbation als Tierarzt. Je nach Universität erfolgt die Ausbildung in zwei Varianten. Bei der klassischen Methode wird nach Fächern gelehrt (Chirurgie, Innere Medizin, Theriogenologie etc.), bei der nordamerikanischen Methode wird nach Tierarten unterschieden und innerhalb dieser dann alle Fächer zusammen gelehrt (Klinik für Wiederkäuer, Pferde, kleine Haustiere usw.). In Leipzig wird eine Mischform praktiziert, bei der Nutztiere sowie Kleintiere und Vögel fächerspezifisch behandelt werden. Anschließend folgen gegebenenfalls eine Dissertation mit dem Erwerb des akademischen Grades Doctor medicinae veterinariae (Dr. med. vet.), eine zusätzliche tierärztliche Prüfung im Rahmen einer Qualifikation als Fachtierarzt für öffentliches Veterinärwesen (sog. Kreisexamen) oder eine Weiterbildung als Fachtierarzt. Europaweit ist in jüngerer Zeit nach amerikanischem Vorbild ein standardisierter Weiterbildungsgang zum Diplomate of the European College für viele Fachrichtungen entstanden (z. B. Diplomate of the European College of Veterinary Surgery, Dipl. ECVS). Dieser wird durch das European Board of Veterinary Specialisation koordiniert. Ähnlich wie in der Humanmedizin gibt es unter Tierärzten diverse Spezialisierungen im Rahmen der postgradualen Weiterbildung zum Fachtierarzt. Dabei gibt es sowohl disziplinabhängige Fachtierärzte (z. B. Chirurgie, Pathologie, Innere Medizin), tierartenbezogene Spezialisierungen (z. B. Kleintiere, Pferde, Rinder, Schweine, Geflügel) und neben den eigentlichen Fachtierärzten Gebietsbezeichnungen (z. B. Augenheilkunde, Akupunktur) (→ Liste medizinischer Fachgebiete). In der Landwirtschaft spielt die Veterinärmedizin eine große Rolle. Hier geht es unter anderem um den Tierseuchenschutz, so dass auch die Tötung von Tierherden bei Infektionen (MKS, BSE u. ä.) und der Schutz des Menschen vor Tierkrankheiten (Zoonosen wie Tollwut u. ä.) in den Bereich der Veterinärmediziner fallen. Während bei „Luxustieren“ wie Pferden sowie kleinen Haus- und Heimtieren wie Hunden, Katzen oder Meerschweinchen eine der Humanmedizin vergleichbare Versorgung möglich ist, unterliegt die medizinische Betreuung landwirtschaftlicher Nutztiere hauptsächlich den Aspekten der Wirtschaftlichkeit. Ein weiterer Schwerpunkt der Veterinärmedizin ist die Sicherung der Lebensmittelhygiene. Zu diesem Zweck wird beispielsweise die Schlachttier- und Fleischuntersuchung durch Tierärzte bzw. unter ihrer Aufsicht durchgeführt. Dazu gehört die Kontrolle von Tiertransporten und der Hygiene in Lebensmittelbetrieben wie z. B. in Schlachthöfen. Die Lebensmittelkunde ist ein wesentlicher Bestandteil der tierärztlichen Ausbildung. Die einstige Männerdomäne ist mehr und mehr zu einem Beruf für Frauen geworden. An manchen Hochschulen stieg die Prozentzahl der Studentinnen der Veterinärmedizin auf über 90 %; im bundesdeutschen Durchschnitt betrugen die Zahlen bei den Studienanfängern: 1974 24 %, 1980 50 %, 1990 74 %, 2001 87 %. In den letzten Jahren gab es in der veterinärmedizinischen Ausbildung einen „shift from teaching to learning“, bei dem Curricula zunehmend mit dem Ziel adaptiert wurden, die Studierenden mit relevanten Kompetenzen auszustatten (kompetenz-orientierte Lehre). Außerdem gibt es Bemühungen, Inhalte und Kompetenzen nicht mehr vordergründig nach Disziplinen, sondern umfassend nach thematischen Blöcken (z. B. Herz-Kreislauf-System, Bewegungsapparat) zu gliedern. Weiters wird von einer zunehmenden Anzahl von veterinärmedizinischen Hochschulen die Wichtigkeit von institutionalisertem, systematisch gegebenem, qualitativ hochwertigem Lehrenden-Feedback an Studierende erkannt, um den Erwerb von klinischen Kompetenzen effizienter und effektiver zu gestalten. Studium in der Schweiz Seit dem Jahrgang mit Studienbeginn 2007 gilt an allen Universitäten das Bologna System, bei welchem nach dem dritten Jahr der Bachelor of Veterinary Medicine (B Vet Med) verliehen wird. In den sich anschließenden zwei Jahren des Masterstudiums muss eine Masterarbeit geschrieben werden, und nach bestandenen Abschlussprüfungen erhält man den Titel Master of Veterinary Medicine (M Vet Med). Die Eidgenössische Schlussprüfung (Eidgenössisches Diplom des jeweiligen Faches) legen dann alle Studiengänge nach dem Masterstudium ab, der Master ist die Zulassungsvoraussetzung. Nach dem Masterstudium kann in einem weiteren Jahr der Doktortitel (Dr. med. vet.) durch Vorlegen einer Doktorarbeit erworben werden. Das Studium wird in Bern und Zürich angeboten (gemeinsame Fakultät Vetsuisse) und unterliegt einem Numerus clausus. Berufsorganisationen Außer den gesetzlich festgelegten Organen der beruflichen Selbstverwaltung (Körperschaften öffentlichen Rechtes), den 17 Landestierärztekammern (es gibt in NRW zwei Kammern) kümmern sich noch die freien Berufsverbände um die Interessen des Berufsstandes. Während in den Landestierärztekammern alle Tierärzte Zwangsmitglieder sind, ist die Mitgliedschaft in den Berufsverbänden freiwillig. Entsprechend können die Verbände freier agieren und argumentieren. Die älteste Organisation ist die Deutsche Veterinärmedizinische Gesellschaft (DVG), gegründet 1949 und 1951 ins Vereinsregister eingetragen. Ziele der DVG sind die Förderung von Forschung, Lehre und Wissenschaft in der Veterinärmedizin, die Nachwuchsförderung, Fortbildungen und wissenschaftliche Kongresse und die Verwaltung mehrerer Stiftungen zur Förderung der Wissenschaft. Sie ist eine Dachorganisation von 36 Fachgruppen, die die Rolle der veterinärmedizinischen Fachgesellschaften in Deutschland einnehmen (z. B. Deutsche Gesellschaft für Kleintiermedizin DGK-DVG, Fachgruppe Pferdekrankheiten, Fachgruppe Tierschutzrecht, FG Zootiere, Wildtiere und exotische Heimtiere ZWE, FG Physiologie und Biochemie etc.) und sechs Ausschüssen (z. B. Desinfektionsmittelausschuss der DVG oder Arbeitskreis Veterinärmedizinische Infektionsdiagnostik AVID). Die DVG prüft und listet seit 1970 Desinfektionsmittel für die Tierhaltung und den Lebensmittelbereich. Diese Liste ist für alle behördlichen Desinfektionsmaßnahmen verbindlich. 1953 wurde der BpT e. V., damals Bundesverband der praktischen Tierärzte, heute Bundesverband der praktizierenden Tierärzte, gegründet. Der BpT hat einen Bundesverband und 16 Landesverbände und ist der Lobbyverband der praktizierenden Tierärzte. Er kümmert sich neben seinen umfangreichen berufspolitischen Aufgaben um die Fortbildung durch ein großes Veranstaltungsangebot. Er ist Tarifpartner bei den Verhandlungen der Tarifverträge für Tiermedizinische Fachangestellte. 1954 schlossen sich die Landestierärztekammern zur Deutschen Tierärzteschaft e. V. zusammen. Diese nannte sich Ende der 1990er Jahre in Bundestierärztekammer e. V. (BTK) um. Die BTK ist keine Körperschaft öffentlichen Rechtes, sondern ein Verein. Durch die Zwangsmitgliedschaft in den Landestierärztekammern ist jeder Berufsangehörige Mitglied der BTK. Diese versteht sich somit als bundesweiter Gesamtverband aller Tierärzte und kümmert sich um die berufspolitischen Belange. Für Behörden und Politik ist sie der erste Ansprechpartner im Berufsstand. Während früher die Rolle als Gesamtorganisation eindeutig war, da auch die übrigen veterinärmedizinischen Verbände gleichberechtigtes Mitglied der BTK werden konnten, hat sich dies relativiert, seit rechtliche Bedenken (BTK als Verband aus Körperschaften öffentlichen Rechtes) zu einer Abschaffung der gleichberechtigten Mitgliedschaft führte. Die BTK führt im Auftrag der Landestierärztekammern, die gemäß gesetzlichem Auftrag (Heilberufegesetze der Länder) für die Fortbildung Sorge tragen müssen, über die Tochterorganisation ATF – Akademie für tierärztliche Fortbildung, seit 1974 Fort- und Weiterbildungsveranstaltungen durch. Die BTK gibt das Deutsche Tierärzteblatt heraus. Der Bundesverband der beamteten Tierärzte e. V. (BbT) vertritt die berufspolitischen Belange der Tierärzte, die als Beamte oder im öffentlich bestellten Auftrag arbeiten. Neben diesen vier großen Verbänden gibt es in der Veterinärmedizin eine umfangreiche Zahl an kleineren Vereinen. Siehe auch Liste bekannter Historiker der Tiermedizin NOVICE Ältere tierheilkundliche Werke Georg Friedrich Sick: Unterricht fuer den Landwirth so wie fuer jeden Pferde- und Viehbesitzer zur Abwendung und Heilung der in Kriegszeiten eben so gewöhnlich als häufig vorkommenden Vieh-Krankheiten und ansteckenden Vieh-Seuchen. Berlin 1807; Neudruck, mit einer Nachbemerkung von Dieter Lösch, Leipzig 1990. Georg Friedrich Sick: Über die Natur der Rinderpest und die Gefahren, mit welchen ganz Deutschland von dieser verheerenden Pestseuche im Laufe des gegenwärtigen Krieges bedrohet wird […]. Berlin 1813. Joh. Nicol. Rohlwes: Allgemeines Vieh-Arzneibuch oder Unterricht, wie der Landmann Pferde, Rindvieh, Schafe, Schweine, Ziegen und Hunde aufziehen, warten und füttern, und deren Krankheiten erkennen und heilen soll. 17. Aufl. (anastatischer Nachdruck) Reutlingen 1879. Publius Vegetius Renatus: Artis veterinariae sive mulo-medicinae libri quatuor. [Original: 4. Jahrhundert] Mit einem Vorwort von Graf Hermann von Neuenahr. Johan Faber, Basel 1528. Literatur Angela von den Driesch: Geschichte der Tiermedizin. 5000 Jahre Tierheilkunde. Callwey, München 1989, ISBN 3-7667-0934-8. Gerhard Eis: Deutsche Heilmittel für Haustiere aus dem Jahre 1321. In: Deutsche tierärztliche Wochenschrift. Band 65, 1958, S. 115–116. Reinhard Froehner: Kulturgeschichte der Tierheilkunde. 3 Bände. Konstanz 1954–1968. Cynthia M. Kahn (Hrsg.): The Merck veterinary manual, 10th ed., John Wiley, Whitehouse Station, N.J.: Merck, Chichester, 2010, ISBN 978-0-911910-93-3. Emmanuel Leclainche: Histoire illustrée de la médicine vétérinaire, presentée par Gaston Ramon. 2 Bände. Paris 1955. Emmanuel Leclainche: Die Tierheilkunde in der Antike. In: Richard Toellner (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Medizin. Band 5. Andreas Verlagsbuchhandlung, Salzburg 1990, S. 523–571. Emmanuel Leclainche: Die Veterinärmedizin vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In: Richard Toellner (Hrsg.): Illustrierte Geschichte der Medizin. Sonderauflage in sechs Bänden. Salzburg 1986, Band 3, S. 1723–1773. Weblinks Einzelnachweise Medizinisches Fachgebiet
Q170201
320.286853
73226
https://de.wikipedia.org/wiki/Kant%C5%8D
Kantō
Kantō (jap. , -chihō) ist eine Region Japans auf der größten Insel Honshū. Der Name bedeutet wörtlich „östlich der Sperre“ und kommt daher, dass die Region östlich (, tō) einer Grenzstation (, sekisho, die On-Lesung des ersten Zeichens ist kan) liegt; er bezog sich im Shogunat der alten frühen Neuzeit auf die Zollsperre Hakone. Die Grenzstationen, auf die sich Kantō und Kansai im um einiges älteren Altertum ursprünglich bezogen, lagen aber näher an Japans kaiserlichen Hauptstädten in Westjapan (siehe Kansai). Der Norden Kantōs mit den Präfekturen Gunma, Tochigi und Ibaraki ist ähnlich ländlich geprägt wie die Region Tōhoku. Die Präfekturen Tokio, Saitama, Kanagawa und Chiba sind dagegen hauptsächlich vom Ballungsraum Tokio geprägt. Geografisch besteht die Region hauptsächlich aus der Kantō-Ebene (, Kantō-heiya) – der flächengrößten Ebene Japans –, im Norden und Westen aus dem Kantō-Bergland (, Kantō-sanchi), im Nordosten aus Ausläufern des Abukuma-Berglandes (, Abukuma-sanchi) und im Südosten aus der Bōsō-Halbinsel. Am 1. September 1923 zerstörte das Große Kantō-Erdbeben mit einer Magnitude von 7,9 die Stadt Yokohama und Teile des angrenzenden Tokio. Über 140.000 Menschen starben und mehr als 1,9 Millionen wurden obdachlos. Sehenswürdigkeiten Wichtigstes Reiseziel in Kantō ist zweifelsohne die japanische Hauptstadt Tokio. Zusammen mit Japans zweitgrößter Stadt Yokohama und Kawasaki bildet die Millionenstadt die größte Metropolregion der Welt mit über 36 Millionen Bewohnern. Neben den pulsierenden Metropolen locken Zeugnisse der japanischen Kultur und Geschichte wie der alte Regierungssitz Kamakura im Südwesten und die Grabanlagen des Tokugawa Ieyasu in Nikkō (UNESCO-Welterbe) im Norden. Herrliche Landschaften bieten die bergige Tama-Region im Westen, im westlichen Chiba locken Pazifikstrände. Präfekturen Die Region besteht in der in diesem Artikel verwendeten Definition aus sieben Präfekturen, die zusammen 32.423,90 km² umfassen (ungefähr die Größe Nordrhein-Westfalens) und 42,4 Mio. Einwohner zählen bei einer durchschnittlichen Bevölkerungsdichte von 1309 Einwohner/km² (Stand: 1. Juni 2010): / Tokio Zusammen mit der Region Kōshin’etsu (=Kō[shū]+Shin[shū]+[Hinteres] Etsu[shū]≈Yamanashi+Nagano+Niigata) bildet Kantō die Region Groß-Kantō (, kōiki-kantō-ken). Andere Kombinationen sind Kantō-Kōshin oder Kantō-Kōshin’etsu (so z. B. als NHK-Senderegion). Andere Definitionen Die genannte Definition von Kantō ist eine verbreitete geographische, aber bei weitem nicht die einzige. Verschiedene Behörden, Sport- oder Wirtschaftsverbände, Unternehmen, Medien etc. verwenden andere Regionaleinteilungen. Einige Beispiele für andere Definitionen von Kantō: Polizeiregion Kantō bei der Polizeibehörde der Nationalregierung: Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama, Chiba, Kanagawa, Niigata, Yamanashi, Nagano, Shizuoka (Die Präfekturpolizei von Tokio gehört zu keiner Polizeiregion, für sie existiert ein eigenes Verbindungsbüro) Regionalentwicklungsamt Kantō beim MLIT: Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama, Chiba, Tokio, Kanagawa, Yamanashi sowie teilweise (Wasserwege) Nagano und Shizuoka Amt Kantō für Wirtschaft und Industrie beim Ministerium für Wirtschaft und Industrie (engl. METI): Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama, Chiba, Tokio, Kanagawa, Niigata, Yamanashi, Nagano, Shizuoka Landwirtschaftsamt Kantō beim Landwirtschafts- und Fischereiministerium: Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama, Chiba, Tokio, Kanagawa, Yamanashi, Nagano, Shizuoka Fortsaufsichtsamt Kantō bei der Forstbehörde des Landwirtschafts- und Fischereiministeriums: Fukushima, Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama, Chiba, Tokio, Kanagawa, Niigata, Yamanashi, Shizuoka Region Kantō im Oberschul-Baseball: Gunma, Tochigi, Ibaraki, Kanagawa, Saitama, Chiba, Yamanashi, Tokio (bei der Kōshien-Qualifikation separat) Regionalliga Kantō im Fußball: Chiba, Gunma, Ibaraki, Kanagawa, Saitama, Tochigi, Tokio, Yamanashi Wahlkreise bei der Verhältniswahl zum Abgeordnetenhaus (Unterhaus des Nationalparlaments) Nord-Kantō: Ibaraki, Tochigi, Gunma, Saitama Tokio: Tokio Süd-Kantō: Chiba, Kanagawa, Yamanashi Weblinks Einzelnachweise Region in Asien Region in Japan
Q132480
360.383475
6405
https://de.wikipedia.org/wiki/1540er
1540er
Ereignisse Die Dürre in Mitteleuropa im Jahr 1540 war eine Klimakatastrophe, bei der es in weiten Gebieten Europas elf Monate lang kaum geregnet hatte. Die Temperaturen sollen fünf bis sieben Grad über dem Mittel des 20. Jahrhunderts gelegen haben. Die Dürre wird als die schlimmste des zweiten Jahrtausends beschrieben. Francisco Vásquez de Coronado und Hernando de Soto führen umfangreiche Expeditionen durch Nordamerika durch. 1540 bis 1542: Gonzalo-Pizarro-Expedition unter der Leitung von Gonzalo Pizarro, erste Durchquerung von Südamerika von Peru zum Amazonasdelta seitens der Weißen. 1543: Begründung des heliozentrischen Weltbildes durch den Druck des Buches De revolutionibus orbium coelestium, des astronomisch-mathematischen Hauptwerkes von Nikolaus Kopernikus. Weblinks
Q48158
88.236525
7548064
https://de.wikipedia.org/wiki/Ynet
Ynet
Ynet ist eine hebräischsprachige Nachrichten und Content-Website in Israel, die von Jedi’ot Acharonot betrieben wird und im Juni 2000 geschaffen wurde. Seit 2004 gibt es auch Ynetnews eine englischsprachige Nachrichten- und Content-Website in Israel. Laut Alexa Internet zählt Ynet zu den top 1300 Websites der Welt und zu den top 10 Websites in Israel. Einzelnachweise Weblinks Israel News – Ynet (hebr.), Israel News – Ynetnews (en.) Medien (Israel) Onlinemagazin
Q2738307
261.279735
73283
https://de.wikipedia.org/wiki/Ural
Ural
Der Ural (, ; auch Uralgebirge genannt) ist ein bis 1895 m hohes und rund 2200 km langes Gebirge, das sich in Nord-Süd-Richtung durch den mittleren Westen Russlands erstreckt und einen Teil der asiatisch-europäischen Grenze darstellt. Geographie Lage Das Uralgebirge, das Hochgebirgs- und Mittelgebirgscharakter aufweist, befindet sich zwischen der Osteuropäischen Ebene im Westen und dem Westsibirischen Tiefland im Osten. Es erstreckt sich aus Richtung Norden von der Südküste der Karasee, die ein Teil des Nordpolarmeers ist, anfangs nach Südwesten, biegt nach rund 500 km in Richtung Süden, erreicht bei Jekaterinburg seine größte Breite und endet am Ural­knie zwischen Orenburg und Orsk an der kasachischen Nordgrenze. Das nördliche Drittel des Urals verläuft etwa parallel zum Ob, einem großen sibirischen Strom, der sich rund 100 km vor seiner Mündung in den Obbusen des Nordpolarmeers dem Uralgebirge bei Labytnangi auf nur zirka 50 km nähert. Der Ural durchzieht drei Klimazonen und ist trotz knapp 2400 km Länge mit durchschnittlich etwa 50 km Breite sehr schmal. Er ist Quellgebiet vieler Flüsse (siehe unten), zum Beispiel des Flusses Ural. Umgebung des Ural An das nördliche Ende des Uralgebirges schließt sich in Richtung Nordwesten das Pai-Choi-Gebirge an, das bis zur schmalen Jugorstraße reicht, an deren nördlicher Seite sich die Waigatsch-Insel erstreckt. Nördlich dieser Insel befindet sich die Karastraße, an die sich die Doppelinsel Nowaja Semlja anschließt. Waigatsch und Nowaja Semlja können als die nördlichen Fortsetzungen des Urals und Pai-Choi-Gebirges angesehen werden. Als die südliche Fortsetzung des Uralgebirges kann das in Kasachstan gelegene Mugodschar-Gebirge, das sich etwas südlich des zuvor genannten Uralknies bei Orsk anschließt, betrachtet werden. Weiter südlich befindet sich die Kasachensteppe, an die sich die Aralo-Kaspische Niederung mit Aralsee und Kaspischem Meer anschließen. Innereurasische Grenze Seit Wassili Nikititsch Tatischtschew bildet das Ural-Gebirge zusammen mit dem Ural-Fluss einen Großteil des Grenzverlaufs zwischen Europa und Asien. Die „beiden Urale“ teilen somit den Großkontinent Eurasien in zwei ungleich große Kontinente (Fläche 10,2 bzw. 44,5 Millionen km²). Untergliederung Das knapp 2400 km lange Uralgebirge wird in fünf Teile bzw. direkt ineinander übergehende Gebirgszüge untergliedert, dies sind von Süd nach Nord betrachtet: Berge Im mittleren Norden des Urals befindet sich der mit 1895 m höchste Gipfel des Gebirges, die Narodnaja. 169 km südlich des Polarkreises stellt der dortige Teil des Uralgebirges nicht nur klimatisch betrachtet ein Hochgebirge dar. Eine Auswahl von Bergen (von Norden nach Süden sortiert) im Überblick: Flüsse Die wichtigsten im Ural entspringenden Flüsse sind: In Richtung Europa entspringen bzw. fließen: Im Norden des Urals: die zur Petschora fließende Ussa und deren Zuflüsse Im Westen des Urals: einige Quellflüsse der zur Wolga fließenden Kama die nach Südwesten fließende Ufa, Tschussowaja, Koswa, Sylwa die nach Süd, West, Nord fließende Belaja, die bei Ufa das Wasser der Ufa aufnimmt Im Süden des Urals: der zur Ufa fließende Jurjusan die nach Südwesten zum Ural fließende Sakmara (~ 500 km) In Richtung Asien entspringen bzw. fließen: Im Nordosten des Urals: einige direkte, kurze Nebenflüsse des Obs Im Osten des Urals die über die angrenzenden Sümpfe stark mäandrierend abfließenden Flüsse: die nach Nordosten zum Ob fließende Nördliche Soswa (Sewernaja Soswa) die in östliche Richtungen zum Irtysch fließende Loswa und Soswa im Gebiet von Jekaterinburg: die in östliche Richtungen zum Tobol fließende Isset, Tagil, Tawda, Tura und Ui Der eurasische Fluss: im Südosten und Süden des Urals: der nach Süden fließende Ural, der auf der Innereurasischen Grenze verläuft; einer seiner Quellflüsse bildet einen Stausee mit dem Namen Energetik Weitere große Flüsse im Umkreis des Urals sind: Emba und Tobol. Ortschaften Zu den Städten und größeren Ortschaften am bzw. im Ural gehören: Im Westen (europäische Seite): Norden bis Mitte: Workuta, Inta, Petschora Südwest: Solikamsk, Beresniki, Perm, Slatoust, Ufa, Salawat Im Osten (asiatische Seite): Mitte: Serow, Nischni Tagil, Jekaterinburg (bis 1991 Swerdlowsk), Kamensk-Uralski Südosten: Tscheljabinsk, Miass, Magnitogorsk Im Süden: Orenburg und Orsk (beide am Ural-Fluss). Bergbau und Industrie Im mittleren und südlichen Ural wird eine Reihe von Erzen abgebaut, unter anderem Eisen (beachte den Namen Magnitogorsk) und das Edelmetall Platin. Auch Halb- und Edelsteine werden gewonnen. Zudem fanden sich hier reiche Malachit-Vorkommen, für die der Ural sehr bekannt war. Dieses Mineral wurde außerdem in den umliegenden Städten zu hochwertigem Schmuck weiterverarbeitet, der dank seiner hohen Qualität ebenfalls einen entsprechenden Bekanntheitsgrad besitzt. Der Ural wies neben Zaire, Provinz Shaba (früher Katanga) die weltweit häufigsten und reinsten Vorkommen an Malachit auf. Wie in Mitteleuropa (siehe o. a. Genese und Zechstein) gibt es große Lagerstätten von Mineralsalzen inklusive sehr großer Kalisalzlagerstätten im westlichen Vorland (Solikamsk), und durch das warme Klima während der Gebirgsbildungen auch Kohle, Erdöl und Erdgas. Der Erzreichtum hat ferner zur Entwicklung einiger großer Zentren der Schwerindustrie geführt, wofür beispielsweise die Namen Perm, Jekaterinburg und Magnitogorsk stehen. Diese Standorte der Schwerindustrie kämpfen seit den 1990er Jahren, dem Ende der Sowjetunion, teilweise mit wirtschaftlichen Problemen. Das im Jahr 1939 gegründete und bis heute Motorräder und Motorradgespanne produzierende Irbitski Motozikletny Sawod in Irbit (Swerdlowsk) sowie das für seine Militär-LKW bekannte Uralski Awtomobilny Sawod in Miass (Tscheljabinsk) wurden nach dem Uralgebiet benannt. Erdgeschichte Die Geschichte des Ural reicht bis ins frühe Paläozoikum (Kambrium; etwa 540 Millionen Jahre vor heute) zurück. Seinerzeit öffneten sich zwischen den „Urkontinenten“ Sibiria und Fennosarmatia (europäischer Kraton, Teile des heutigen Nord- und Osteuropa) Ozeanbecken, in denen über Jahrmillionen hinweg Sedimente abgelagert wurden, die sich nachfolgend zu Sedimentgesteinen verfestigten und dann gefaltet wurden (siehe dazu auch Chanty-Mansi-Ozean). Die letzte und bedeutendste Faltungsphase im Perm (ab etwa 290 Millionen Jahre vor heute) steht im Zusammenhang mit der finalen Phase der Bildung des Superkontinentes Pangaea, d. h. mit der Kollision Sibirias und des Kleinkontinentes Kasachstania mit dem Ostrand des bereits im Pangaea-Verband befindlichen europäischen Kratons. Bisweilen wird diese letzte Faltung des Ural, wie auch einige spätpermisch-frühtriassische Gebirgsbildungen in Ostasien, zur Variszischen Gebirgsbildung gerechnet, im Zuge derer unter anderem auch die jüngsten Faltungen in den Appalachen und im französischen Zentralmassiv stattfanden. Jedoch wird die Bezeichnung „variszisch“ (oder „herzynisch“) meist nur für spätpaläozoische Faltungen im heutigen Nordatlantikraum angewendet und die letzte Faltung im Uralgebiet wird als Ural-Orogenese bezeichnet. Verschiedene Formen von Magmatismus, die sich schon vor der Ural-Orogenese in und auf der heutigen Ural-Kruste ereigneten, sind verantwortlich für den Erzreichtum der Region. Das heutige Uralgebirge, also die heutige Bergkette, entstand erst im Laufe der letzten wenigen Millionen Jahre ab dem Pliozän durch die Heraushebung der alten, gefalteten Gesteine aus dem Untergrund. Ursächlich für die Hebung waren wahrscheinlich die plattentektonischen Vorgänge am Südrand Eurasiens (Alpidische Gebirgsbildung). Siehe auch Uralische Sprachen Literatur W. W. Ez, D. J. Gaft, B. I. Kusnesow: Morfologija i uslowija obrasowanija geolomorfnoj skladtschatosti na primere: Zilairskogo sinklinerija Južnogo Urala. Nauka, Moskau 1965 (russisch). Weblinks Gliederung der Ural-Kette, auf welcome-ural.ru (englisch) Einzelnachweise Gebirge in Asien Gebirge in Europa Gebirge in Russland Biosphärenreservat in Europa Biosphärenreservat in Asien
Q35600
382.28063
105
https://de.wikipedia.org/wiki/Anthropologie
Anthropologie
Anthropologie (im 16. Jahrhundert als anthropologia gebildet aus , und -logie: Menschenkunde, Lehre vom Menschen) ist die Wissenschaft vom Menschen. Sie wird im deutschen Sprachraum und in vielen europäischen Ländern vor allem als Naturwissenschaft verstanden. Die naturwissenschaftliche oder Physische Anthropologie betrachtet den Menschen im Anschluss an die Evolutionstheorie von Charles Darwin als biologisches Wesen. Dieser naturalistischen Betrachtung des Menschen, die sich beispielsweise mit der Konstitution (früher auch mit der Rassenlehre und Humangenetik) und der Abstammung des Menschen befasst, stehen verschiedene andere Ansätze gegenüber, beispielsweise die philosophische Anthropologie. Hier wird der Mensch nicht nur als Objekt, sondern auch als Subjekt wissenschaftlich untersucht. Dabei geht es unter anderem um qualitative Eigenschaften wie die Personalität, die Entscheidungsfreiheit und die Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Im englischen Sprachraum wird auch die Ethnologie als Kultur- beziehungsweise Sozialanthropologie als Teil der Anthropologie verstanden und ist mit der physischen Anthropologie häufig auch in gemeinsamen Fakultäten oder Instituten vereinigt. In der deutschen Wissenschaftspolitik ist die Anthropologie als Kleines Fach eingestuft. Geschichte der Anthropologie Die Bezeichnung Anthropologie geht zurück auf den deutschen Philosophen, Arzt und Theologen Magnus Hundt (1449–1519), der das 1501 erschienene Werk „Antropologium de hominis dignitate, natura, et proprietatibus, de elementis, partibus et membris humani corporis“ (Anthropologie über Würde, Wesen und Eigenschaften des Menschen, über die Elemente, Teile und Glieder des menschlichen Körpers) schrieb. Zu den ersten Dozenten für das Fach gehörte der Anatom und Physiologe Heinrich Palmatius Leveling, der die Anthropologie 1799 an der Ingolstädter Universität als Vorlesung anbot. Ein Lehrstuhl für „Allgemeine Naturgeschichte und Anthropologie“ wurde 1826 in München eingerichtet. Friedrich Nasse gab von 1823 bis 1826 in Leipzig die aus der Zeitschrift für psychische Ärzte hervorgegangene Zeitschrift für die Anthropologie heraus. Auf den ersten eigenständigen Lehrstuhl Deutschlands für (physische) Anthropologie wurde am 1. August 1886 Johannes Ranke berufen, dem 1917 der Schweizer Rudolf Martin (1864–1925) folgte, der 1918 Direktor des Anthropologischen Instituts und der Anthropologisch-Prähistorischen Staatssammlung wurde. Martin war 1900 zum Extraordinarius und 1905 zum Ordinarius für Anthropologie an der Universität Zürich ernannt worden. Naturwissenschaftlicher Ansatz Biologische Anthropologie Die biologische Anthropologie ist mit ihren Teilgebieten Primatologie, Evolutionstheorie, Paläoanthropologie, Bevölkerungsbiologie, Industrieanthropologie, Genetik, Sportanthropologie, Wachstum (Auxologie), Konstitution und Forensik ein Fachbereich der Humanbiologie. Ihr Ziel ist die Beschreibung, Ursachenanalyse und evolutionsbiologische Interpretation der Verschiedenheit biologischer Merkmale der Hominiden (Familie der Primaten, die fossile und rezente Menschen einschließt). Ihre Methoden sind sowohl beschreibend als auch analytisch. Institutionen im deutschsprachigen Raum gibt es an Universitäten und an Museen in Tübingen, Kiel, Hamburg, Berlin, Göttingen, Jena, Gießen, Mainz, Ulm, Freiburg im Breisgau, München, Zürich und Wien. Meist ist dort die Bezeichnung nur „Anthropologie“, Zusätze wie „biologisch“ wurden in jüngerer Zeit notwendig, weil der konkurrierende US-amerikanische Begriff der auch hier bekannt ist. Forensische Anthropologie Die forensische Anthropologie ist eine der drei gerichtlichen Wissenschaften vom Menschen, neben der Rechtsmedizin und der forensischen Zahnmedizin. Gebiete der forensischen Anthropologie: Identifizierung nach Bildern. Die meisten bearbeiteten Fälle betreffen Ordnungswidrigkeiten im Verkehr, also Schnellfahrer und Rotmissachter, die spektakulären Fälle betreffen Bankräuber oder auch zeitgeschichtliche Personen. Identifizierung von Skeletten und teilskelettierten Leichen, auch in Massengräbern Altersdiagnose, insbesondere bei jungen Straftätern Abstammungsgutachten Zwillingsdiagnose Die forensische Anthropologie dient mit den Mitteln der Anthropologie bei der Aufklärung von Verbrechen. Forensische Anthropologen haben vor allem mit der Identifikation von Bankräubern, Schnellfahrern etc. zu tun, aber auch häufig mit stark verwesten oder vollständig skelettierten Leichen. Nicht selten sind sie die letzte Hoffnung zur Aufklärung eines Verbrechens. In Deutschland gibt es eine starke institutionelle Dominanz der Rechtsmedizin, aber gerade das verhindert manchmal den Zugang zu der eigenständigen Kompetenz der Anthropologie. Geisteswissenschaftlicher Ansatz Sozialanthropologie Die Sozialanthropologie gilt als Wissenschaft der kulturellen und sozialen Vielfalt – oder allgemeiner als „Wissenschaft vom Menschen in der Gesellschaft“. Sie analysiert die soziale Organisation des Menschen. Im deutschen Sprachraum war der Begriff „Sozialanthropologie“ eine seit den 1960er Jahren gebrauchte Bezeichnung für die britische oder die französische , wurde dann aber zugunsten der Fachbezeichnung „Ethnosoziologie“ aufgegeben (Fachbereich der Ethnologie). In den letzten Jahren ist jedoch eine Renaissance des Anthropologie-Begriffs zu beobachten, die einer durch Transnationalisierungs- und Globalisierungs­prozesse veränderten Forschungslandschaft Rechnung tragen möchte. Kulturanthropologie Die Kulturanthropologie ist eine empirisch gestützte Wissenschaft von der Kultur (im Sinne von „menschliche Kultur“). Sie entwickelte sich im 20. Jahrhundert aus der Volkskunde, hat ihren Schwerpunkt im Gegensatz zu dieser aber in interkulturellen, ethnologischen und soziologischen Themen und Modellen. Unter den anthropologischen Fachrichtungen nimmt die Kulturanthropologie eine Mittelposition zwischen den biologisch und den philosophisch orientierten Richtungen ein; sie ist in ihrem Themenspektrum am weitesten gefasst. Im deutschen Sprachraum hat sich bisher keine genauere Definition des Forschungsgegenstandes durchgesetzt. In den USA dagegen bezeichnet cultural anthropology die Ethnologie (Völkerkunde). Im Deutschen wird die ungenaue englische Bezeichnung anthropology teils falsch mit „Anthropologie“ übersetzt, während eigentlich die Ethnologie gemeint ist. Rechtsanthropologie Die Rechtsanthropologie bildet eine eigenständige Unterform der Kulturanthropologie. Sie untersucht Inhalt und Funktionsweisen rechtlicher Strukturen des Menschen unterschiedlicher kultureller Traditionen von Stämmen und Völkern (siehe auch Rechtsethnologie). Zudem bezeichnet dieser Begriff eine rechtswissenschaftliche Forschungsrichtung, die sich den naturalen Grundkonstanten von Gesetzgebung und Rechtsprechung verschrieben hat. Dabei beschäftigt sich die Rechtsanthropologie vorwiegend mit dem (westlich-demokratischen) „Menschenbild der Verfassung“, das demgegenüber vom im Willen freien und eigenverantwortlich handelnden Menschen ausgeht. Dafür wählt sie zumeist einen pragmatisch-dualen Ansatz. Der Begriff Kultur, gelegentlich auch der politischere Begriff der Zivilisation, beschreibt dann die sozial-reale Welt, in der der Mensch beide Sichtweisen vereint. Philosophische Anthropologie Die philosophische Anthropologie ist die Disziplin der Philosophie, die sich mit dem Wesen des Menschen befasst. Die moderne philosophische Anthropologie ist eine sehr junge philosophische Fachrichtung, die erst im frühen 20. Jahrhundert als Reaktion auf den Verlust von Weltorientierung entstand. Mit Ausnahme von René Descartes, der bereits Mitte des 17. Jahrhunderts in seinen Meditationen über die erste Philosophie (1641) gewisse Zweifel am mittelalterlich-christlichen Weltbild hegt und Position zu Verhältnis von Körper und Seele bezieht. Er vermittelt ein neues philosophisches Gedankengut wie: „Das Denken (=Bewusstsein ) ist es; es allein kann von mir nicht abgetrennt werden; ich bin; ich existiere - das ist gewiss […] Demnach bin ich genau genommen ein denkendes Ding, d. h. Geist bzw. Seele bzw. Verstand […]“ Historische Anthropologie Historische Anthropologie bezeichnet einerseits die anthropologische Forschung in der Geschichtswissenschaft, andererseits eine transdisziplinäre Forschungsrichtung, die die historische Veränderlichkeit von Grundphänomenen des menschlichen Daseins untersucht. Dabei bezieht sie die Geschichtlichkeit ihrer Blickrichtungen und methodischen Herangehensweisen sowie die Geschichtlichkeit ihres Gegenstandes, also das Erscheinungsbild des Menschen in den unterschiedenen Epochen, aufeinander. Theologische Anthropologie Die theologische Anthropologie als Teilbereich der Systematischen Theologie deutet den Menschen aus christlich-theologischer Sicht. Dabei beschäftigt sie sich besonders mit dem Wesen des Menschen und der Bestimmung des Menschen vor Gott. Im Unterschied dazu untersucht die Religionsethnologie als Fachgebiet der Ethnologie (Völkerkunde) die Religionen bei den weltweit rund 1300 ethnischen Gruppen und indigenen Völkern, in Abgrenzung zur Religionssoziologie vor allem bei (ehemals) schriftlosen Kulturen. Industrieanthropologie Die Industrieanthropologie ist ein Fachbereich der Anthropologie und untersucht die Gebrauchstauglichkeit und Benutzerfreundlichkeit von Industrieprodukten, Bedienelementen, Software, Arbeitsplätzen, Arbeitsprozessen oder Fahrständen. Medienanthropologie Die Medienanthropologie (auch Anthropologie der Medien oder Anthropologie des Medialen) ist ein junges, interdisziplinäres Forschungsgebiet zwischen Medienwissenschaft und Anthropologie. In der Medienanthropologie werden die Produktion und Nutzung von Medien sowie deren Effekte zumeist mit kulturwissenschaftlichen und ethnografischen Methoden erforscht. Medienanthropologische Forschung wird zudem oft im Zusammenhang mit Medienpädagogik diskutiert. „Medienanthropologisch verstanden sind Menschen Wesen, die sich in Medienpraktiken und -techniken artikulieren, wahrnehmen und wahrnehmbar machen, weil sie etwas darstellen und sich ihnen etwas darstellt.“ Andere Ansätze und Mischformen Anthropologie in den Sozialwissenschaften In den Sozialwissenschaften ist die Vorstellung weit verbreitet, dass der Mensch seinem Wesen nach in seinen Antrieben und Bedürfnissen unbestimmt ist, weshalb erst in Vergesellschaftungsprozessen eine Orientierung und Stabilisierung des Verhaltens und Antriebslebens entstehen kann. Dieses Menschenbild bildet die allgemeine anthropologische Voraussetzung für die Analyse von sozialen Prozessen, so etwa bei Karl Marx, Max Weber, George Herbert Mead oder Talcott Parsons. Darüber hinaus gibt es in den Sozialwissenschaften zwei klassische Menschenbilder, die als analytische und idealtypische Modelle fungieren: der homo oeconomicus der Wirtschaftswissenschaften und der homo sociologicus der Soziologie. Eine „realistische“ Variante des individualistischen homo oeconomicus ist das RREEMM-Modell des Menschen, allerdings wird in der sozialwissenschaftlichen Theoriebildung wegen Operationalisierungsproblemen auch weiterhin überwiegend auf die einfacheren Modelle zurückgegriffen. Ausgehend von der Einbeziehung amerikanischer Sozialforscher in den Vietnamkrieg (Project Camelot) wurde im Rahmen der Critical Anthropology ab 1970 eine „reflexive Anthropologie“ entwickelt (Bob Scholte 1970). Die Grundannahme der reflexiven Anthropologie besteht darin, dass sozialwissenschaftliche Aussagen nur dann einer Kritik standhalten, wenn sie die soziale und kulturelle Einbettung des Forschers und der Forschung mit bedenken (reflektieren). Gemäß dem Erkenntnisinteresse jeder Anthropologie („erkenne dich selbst“: gnothi seauton) ist auf diesem Weg eine Unterscheidung möglich zwischen einer Sozialforschung als Informationsgewinnung über andere Menschen („Ausspähen“, vergleiche Informationelle Selbstbestimmung) oder als Beitrag zur Selbsterkenntnis des Forschers und seiner Auftraggeber. Bedeutende Ansätze zu einer reflexiven Anthropologie wurden von Michel Foucault und Pierre Bourdieu vorgelegt. Das Konzept der reflexiven Anthropologie von Gesa Lindemann schließt sich im Gegensatz dazu an die historisch-reflexive Richtung innerhalb der deutschsprachigen „philosophischen Anthropologie“ (Helmuth Plessner) an. Allgemeine Aussagen der philosophischen Anthropologie werden nicht als sozialtheoretisches Fundament begriffen, sondern zum Gegenstand der Beobachtung gemacht. Bei diesem Ansatz geht es um die Bearbeitung der Frage, wie in Gesellschaften der Kreis sozialer Personen begrenzt wird und welche Funktion der Anthropologie in der Moderne zukommt. Psychologische Anthropologie In dem verwendeten Schema kann die Psychologie des Menschen nicht gut untergebracht werden, denn die Psychologie vereint geisteswissenschaftliche, biologische, verhaltens- und sozialwissenschaftliche Konzepte und Methoden. Als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen einschließlich der biologischen bzw. neurowissenschaftlichen Grundlagen ist die Psychologie von vornherein interdisziplinär ausgerichtet. Wegen dieses umfassenden Blicks auf den Menschen kann die empirische Psychologie in ein besonderes Spannungsverhältnis zur Philosophischen Anthropologie geraten, die ebenfalls einen umfassenden theoretischen Ansatz hat, jedoch die empirischen Humanwissenschaften kaum noch zu integrieren vermag. Wichtige Themen der Psychologischen Anthropologie sind u. a. das Menschenbild, die Persönlichkeitstheorien, die Grundlagen von Motiven, Emotionen in der Neurobiologie und Psychophysiologie, die Beiträge der Kognitionswissenschaft, Sozialpsychologie und Kulturpsychologie, alle Bereiche der Angewandten Psychologie und so weiter. Auch Psychoanalyse und Psychosomatik galten als anthropologische Disziplinen. Evolutionäre Anthropologie Evolutionäre Anthropologie wird vor allem vom gleichnamigen Institut betrieben. "Das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie erforscht die Geschichte der Menschheit mittels vergleichender Analysen von Genen, Kulturen, kognitiven Fähigkeiten, Sprachen und sozialen Systemen vergangener und gegenwärtiger menschlicher Populationen sowie Gruppen dem Menschen nahe verwandter Primaten. Die Zusammenführung dieser Forschungsgebiete führt zu neuen Einsichten in die Geschichte, die Vielfalt und die Fähigkeiten der menschlichen Spezies. Das Institut vereint Wissenschaftler verschiedenster Disziplinen, die sich von einem interdisziplinären Ansatz her mit der Evolution des Menschen beschäftigen.". Michael Tomasello hat unter anderem "Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral" und das Werk "Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese" verfasst. Pädagogische Anthropologie Die pädagogische Anthropologie ist der Teilbereich der Pädagogik, der sich mit dem Ertrag anthropologischer Fragen, den Zugangsweisen und den Ergebnissen innerhalb der Pädagogik befasst. Grob lassen sich hier zwei Richtungen unterscheiden: Die Realanthropologie widmet sich der empirischen Betrachtung der Wirklichkeit des Menschen unter dem Fokus, der sich aus der Pädagogik ergibt. Die Sinnanthropologie fragt nach dem Sinn und den Zielen menschlichen Handelns, die in den pädagogischen Kontext eingearbeitet werden. Die Sinnanthropologie weist so besondere Bezüge zur Bildungstheorie auf, indem sie aus einem je spezifischen Menschenbild Bildungsansprüche ableitet. Sie weist innerhalb der verschiedenen Anthropologien eine besondere Nähe zur philosophischen und theologischen Anthropologie auf. Die Realanthropologie steht besonders der biologischen, daneben auch der philosophischen Anthropologie nahe. Die Einteilung setzte sich in den 1960er Jahren fort in der Unterscheidung zwischen integrativen und philosophischen Ansätzen. Die „integrativen“ Ansätze versuchen vor allem, anthropologische Erkenntnisse verschiedener Teildisziplinen (insbesondere der Biologie, der Soziobiologie und so weiter) für pädagogische Fragen nutzbar zu machen. Vertreter dieses Ansatzes sind unter anderem Heinrich Roth und Annette Scheunpflug. Der „philosophische“ Ansatz hat sich in verschiedenen Richtungen ausdifferenziert. So besteht Otto Friedrich Bollnows Ansatz darin, anthropologische Fragen (beispielsweise nach dem Wesen des Menschen und seiner Bestimmung) für pädagogische Zusammenhänge nutzbar zu machen. Ähnlich wie andere Autoren orientierte er sich in seinen Arbeiten aber auch an der Phänomenologie. Er versuchte also nicht, aus der Philosophie (oder etwa der Biologie) ein Menschenbild zu gewinnen und es pädagogisch auszuwerten, sondern widmete sich dem pädagogischen Handeln und darin auftretenden Phänomenen wie Krise oder Begegnung unmittelbar, um sie als Bestimmungsgrößen des Menschen zu reflektieren. Der Mensch kommt bei diesen Untersuchungen im Hinblick auf Erziehung in drei Rollen vor: als Erziehender, als Zögling und als Erzieher. In der neueren pädagogischen Anthropologie wird zum einen der integrative Ansatz fortgeführt (beispielsweise auch in der Betrachtung neuerer humanmedizinischer Ergebnisse für Pädagogik). Die philosophische Anthropologie wird heute verstärkt als historische pädagogische Anthropologie fortgesetzt, indem reflektiert wird, dass anthropologische Kenntnisse sowohl auf bestimmte Menschen in bestimmten Epochen bezogen als auch aus einer je spezifischen historischen Position heraus gewonnen werden und deshalb keine überzeitlich allgemeine Gültigkeit beanspruchen können. Kybernetische Anthropologie Kybernetische Anthropologie bezeichnet den Versuch der begrifflichen Kopplung von Anthropologie und Kybernetik mit dem Vorhaben, den Gegensatz zwischen Natur- und Geisteswissenschaften zu überwinden. Die Cyberanthropologie ist ein neueres Fachgebiet der Ethnologie (Völkerkunde) oder Sozialanthropologie und untersucht transnational zusammengesetzte Online-Gemeinschaften unter Berücksichtigung kybernetischer Perspektiven. Medizinische Anthropologie Die im 16. Jahrhundert aufgekommene medizinische Anthropologie beschäftigt sich mit der Wechselwirkung von Kultur und Medizin. Anthropologie als Oberbegriff und Dachwissenschaft Manchmal wird „Anthropologie“ als Oberbegriff für mehrere der oben genannten Einzel- und Humanwissenschaften aufgefasst. Insbesondere in den USA gibt es dementsprechende Bestrebungen, biologische Anthropologie, Kulturanthropologie, Ethnolinguistik und Archäologie unter einem Dach zu vereinen (sog. „Vier-Felder-Anthropologie“). Diese weit verbreitete Auffassung leitet sich von dem Tatbestand her, dass Anthropologie – im Gegensatz und oft in Konkurrenz zur Theologie – Selbsterkenntnis des Menschen als Mensch ist, gemäß der delphischen Maxime Gnothi seauton, „erkenne dich selbst“. In diesem Sinne geben Detlev Ganten, Volker Gerhardt, Jan-Christoph Heilinger und Julian Nida-Rümelin die umfangreiche Buchreihe "Interdisziplinäre Anthropologie" mit derzeit 19 Bänden heraus. Die Systematische Anthropologie, ein 1977 veröffentlichtes Werk der deutschen Ethnologen Wolfgang Rudolph und Peter Tschohl, bringt anthropologisch grundlegende Erkenntnisse in einen integrierten Zusammenhang. Mit Hilfe eines eigenen Begriffssystems wird ein gesamtanthropologisches Modell entwickelt, das die Grenzen und Überschneidungen von Disziplinen wie Ethnologie, Biologie, Humangenetik, Psychologie, Soziologie, Philosophie, Geschichte theoretisch auflöst (vergl. zu diesem Ansatz: Interdisziplinarität). „Ziel der Untersuchung ist eine wissenschaftliche Theorie, die dasjenige abdeckt, was systematisch sinnvoll zu einem „Mensch“ genannten Untersuchungsgegenstand gerechnet werden kann, und die damit nicht von einer einzelnen Fachrichtung beherrscht wird.“ Die Untersuchung erschließt ausgehend von allgemeinen Bedingungen der Gesamtwirklichkeit die besonderen Bedingungen des biotischen und humanen Bereichs. Dafür wurde eine global orientierte Auswahl an Studien ausgewertet und die daraus entwickelte interdisziplinäre Systematik theoretisch konsequent ausformuliert. So lautet ein zentrales Untersuchungsergebnis in Kurzform: „Anthropologie ist zu explizieren als Theorie der Klassenexistenz ‚Menschliche Existenz‘ ME. Sie hat damit den vorverständlichen Gegenstandsbereich Mensch als Existenzklasse M aufzufassen und systematisch darzulegen.“ Gegenstand ist die menschliche Existenz als empirisch beschreibbare Tatsache. Die Theorie transportierte einen damals fortschrittlichen, humanen und weit gefassten Kulturbegriff. Wegen technokratisch anmutender Formulierung wurde sie aber nur in der ethnologisch und soziologisch orientierten Fachwelt rezipiert. Gerüst und Inhalt der Theorie müssten heute aktualisiert werden, bieten jedoch „eine Basis für Einzeluntersuchungen von beliebigen Ausschnitten des Gegenstandsbereichs Mensch“. Die praktische Relevanz und damit die Rezeption der "systematischen Anthropologie" von Rudolph und Tschohl waren bereits bei Erscheinen des Werks 1977 äußerst begrenzt. Kritiker wiesen darauf hin, dass die positivistische Begriffssystematik völlig abgehoben von den aktuellen Diskussionen in den Sozialwissenschaften entwickelt worden war. Ihr theoretischer Wert lag in der Einübung einer hierarchisch vernetzten Nomenklatur, die zwar als Ausgangspunkt für empirische Untersuchungen hätte dienen können, wenn sie allgemeine Akzeptanz gefunden hätte, aber über die Wirklichkeit menschlicher Lebensverhältnisse nicht viel mehr aussagte als ein systematisch geordneter Katalog der europäischen wissenschaftlichen Terminologie in den Humanwissenschaften. Ungeklärt blieb auch die Frage, wie die Begriffssystematik von Rudolph und Tschohl in andere Sprach- und Kultursysteme hätte übertragen werden können. Fruchtbarere Ansätze wie das Konzept der reflexiven Anthropologie (vergl. dazu Pierre Bourdieu) und Ethnomethodologie wurden dagegen aus dem anthropologischen Lehrbetrieb verdrängt. Die Basis-Theorie der Anthropologie ist ebenfalls Orientierungswissen, das Zusammenhänge zwischen den Disziplinen und Schulen der Humanwissenschaften aufzeigt. Ein Bezugsrahmen ergibt aus den vier Grundfragen der biologischen Forschung (nach Nikolaas Tinbergen): Verursachungen (= Ursache-Wirkungs-Beziehungen bei den Funktionsabläufen), Ontogenese, Anpassungswert, Phylogenese. Diese vier Aspekte sind jeweils auf verschiedenen Bezugsebenen zu berücksichtigen (vergleiche Nicolai Hartmann), beispielsweise Zelle, Organ, Individuum, Gruppe: Dem tabellarischen Orientierungsrahmen aus Grundfragen und Bezugsebenen lassen sich alle anthropologischen Fragestellungen (siehe PDF-Übersichtstabelle, Absatz A), ihre Ergebnisse (siehe Tabelle, Absatz B) und Spezialgebiete zuordnen (siehe Tabelle, Absatz C); er ist Grundlage für eine Strukturierung der Ergebnisse. Mit Hilfe der Basistheorie kann die anthropologische Forschung in Theorie und Empirie vorangetrieben und fundiertes sowie spekulatives Wissen besser auseinandergehalten werden (betrifft z. B. den Schulenstreit in der Psychotherapie). Literatur Allgemein Detlev Ganten, Volker Gerhardt, Jan-Christoph Heilinger, Julian Nida-Rümelin (Herausgeber): Humanprojekt. Interdisziplinäre Anthropologie, derzeit 19 Bände, De Gruyter, Berlin ISSN=1868-8144. Axel W. Bauer: Was ist der Mensch? Antwortversuche der medizinischen Anthropologie. In: Fachprosaforschung – Grenzüberschreitungen. Band 8/9, 2012/2013, ISBN 978-3-86888-077-9, S. 437–453. Der blaue reiter. Journal für Philosophie. Themenheft: Grenzpunkt Mensch. Nr. 4, 1996. Verlag der blaue Reiter, ISBN 978-3-9804005-3-4. Joachim Bauer: Prinzip Menschlichkeit. Warum wir von Natur aus kooperieren. Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, ISBN 3-455-50017-X. Eike Bohlken, Christian Thies (Hrsg.): Handbuch Anthropologie. Der Mensch zwischen Natur, Kultur und Technik. Metzler, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-476-02228-8. Martin Buber: Ich und Du. Insel, Leipzig 1923; Reclam, Stuttgart 1995, ISBN 3-15-009342-2. Zeno Bucher: Die Abstammung des Menschen als naturphilosophisches Problem. Koenigshausen & Neumann, Würzburg 1992, ISBN 3-88479-721-2. Werner Fuchs u. a. (Hrsg.): Lexikon zur Soziologie. Westdeutscher Verlag, Opladen 1978, 1995, ISBN 3-531-11417-4. Hans-Georg Gadamer, Paul Vogler (Hrsg.): Neue Anthropologie. Thieme, Stuttgart und dtv, München 1972–1975 (Band 1 und 2: Biologische Anthropologie. Band 3: Sozialanthropologie. Band 4: Kulturanthropologie. Band 5: Psychologische Anthropologie. Band 6 und 7: Philosophische Anthropologie). Gisela Grupe u. a.: Anthropologie. Ein einführendes Lehrbuch. Springer, Berlin 2005, ISBN 3-540-21159-4. Marvin Harris: Menschen. DTV, München 1996, ISBN 3-423-30530-4. Winfried Henke, Hartmut Rothe: Menschwerdung. Fischer, Frankfurt 2003, ISBN 3-596-15554-1. Uwe Hoßfeld: Geschichte der biologischen Anthropologie in Deutschland. Von den Anfängen bis in die Nachkriegszeit. Steiner, Stuttgart 2005, ISBN 3-515-08563-7. Holger Jebens, Karl-Heinz Kohl (Hrsg.): The End of Anthropology? Sean Kingston, Wantage 2011, ISBN 978-1-907774-28-7 (englisch; deutsche Professoren; ausführliche Fachbesprechung: doi:10.1080/00664677.2014.899201). Rainer Knußmann (Hrsg.): Anthropologie. Handbuch der vergleichenden Biologie des Menschen. Bd. 1/I, 1/II. 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Michael Tomasello: Eine Naturgeschichte der menschlichen Moral, Suhrkamp Verlag, Berlin, 2014, ISBN 978-3-518-58695-2 Michael Tomasello: Mensch werden. Eine Theorie der Ontogenese. 3. Aufl., Suhrkamp Verlag, Berlin, 2020, ISBN 978-3-518-58750-8. Ferdinand Tönnies: Schriften und Rezensionen zur Anthropologie, hg. von Rolf Fechner. Profil, München und Wien 2009, ISBN 978-3-89019-656-5. Christoph Wulf: Anthropologie. Geschichte, Kultur, Philosophie. Rowohlt, Reinbek 2004, ISBN 3-499-55664-2. Geschichte Bernd Herrmann (Hrsg.): Mensch und Umwelt im Mittelalter. Stuttgart 1986; 3. [anastatische] Auflage ebenda 1987. Gérard Leclerc: Anthropologie und Kolonialismus. Übersetzung von Hanns Zischler. Hanser Anthropologie. Carl Hanser Verlag, München 1973. Wilhelm Emil Mühlmann: Geschichte der Anthropologie. 4. Auflage. Aula, Wiesbaden 1986, ISBN 3-89104-413-5. H. Glenn Penny, Matti Bunzl (Hrsg.): Worldly Provincialism. German Anthropology in the Age of Empire. Ann Arbor 2003. 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Studien und Texte zur empirischen Anthropologie der Literatur. Mentis, Paderborn 2004, ISBN 3-89785-451-1. Weblinks Staatslexikon der Görres-Gesellschaft: Anthropologie (philosophisch, theologisch und pädagogisch) Gesellschaft für Anthropologie Einzelnachweise Wissenschaftliches Fachgebiet !Anthropologie Evolution Rechtsmedizin Allgemeine Pädagogik
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https://de.wikipedia.org/wiki/Rhodium
Rhodium
Rhodium ist ein chemisches Element mit dem Elementsymbol Rh und der Ordnungszahl 45. Es ist ein silberweißes, hartes, unreaktives Übergangsmetall. Im Periodensystem zählt es zusammen mit Cobalt, Iridium und Meitnerium zur 9. Gruppe oder Cobaltgruppe. Rhodium besitzt große Ähnlichkeit mit anderen Platinmetallen wie Platin oder Palladium. Dies betrifft beispielsweise die für Edelmetalle charakteristische geringe Reaktivität und eine hohe katalytische Aktivität. Rhodium wird daher, oft in Form von Legierungen, vorwiegend als Katalysator eingesetzt. Als wichtiger Bestandteil von Fahrzeugkatalysatoren wird es zur Reduktion von Stickoxiden eingesetzt. Auch in industriellen Prozessen zur Herstellung einiger chemischer Grundstoffe wie dem Ostwald-Verfahren zur Salpetersäure-Produktion werden Rhodiumkatalysatoren genutzt. Da das Metall in der Natur sehr selten vorkommt und gleichzeitig eine breite Anwendung findet, zählt es zu den teuersten Metallen überhaupt. Im menschlichen Körper kommt Rhodium normalerweise nicht vor, eine biologische Bedeutung ist nicht bekannt. Geschichte Rhodium wurde 1803 von William Hyde Wollaston in einem aus Südamerika stammenden Rohplatinerz entdeckt. Im gleichen Erz wurden von Wollaston und Smithson Tennant drei weitere Platinmetalle, Palladium, Iridium und Osmium, entdeckt. Dazu lösten sie das Erz zunächst in Königswasser. Es bildete sich eine lösliche Fraktion und ein schwarzer Rückstand, in dem Tennant Osmium und Iridium fand. Wollaston fällte aus der Königswasserlösung Rhodium und einige weitere Bestandteile mit Zinkpulver. Nach der Abtrennung von Kupfer und Blei mit verdünnter Salpetersäure, erneutem Lösen in Königswasser und Zugabe von Natriumchlorid bildete sich Na3[RhCl6] · n H2O, das beim Verdunsten der Flüssigkeit als rosarotes Salz zurückblieb. Aus diesem konnte Wollaston durch Extraktion mit Ethanol und Reduktion mit Zink das elementare Rhodium gewinnen. Der Name wurde von Wollaston nach dem griechischen gewählt, da viele Rhodiumverbindungen diese Farbe zeigen. Die erste Anwendung des neuen Metalls waren ab 1820 Spitzen von Schreibfedern, für die Rhodium-Zinn-Legierungen eingesetzt wurden. Diese wurden später jedoch durch härtere Osmium-Iridium-Legierungen abgelöst. Vorkommen Rhodium ist nach Rhenium zusammen mit Ruthenium und Iridium eines der seltensten nicht radioaktiven Metalle in der kontinentalen Erdkruste. Sein Anteil beträgt nur 1 ppb. Rhodium kommt in der Natur gediegen vor und ist daher als eigenständiges Mineral anerkannt. Fundorte sind unter anderem die Typlokalität Stillwater in Montana und Goodnews Bay in Alaska. Rhodium ist unter anderem mit anderen Platinmetallen und Gold vergesellschaftet. Neben dem elementaren Rhodium sind auch einige Rhodiumminerale wie Bowieit, Genkinit oder Miassit bekannt. Diese sind jedoch wie das elementare Rhodium sehr selten und spielen für die Gewinnung keine Rolle. Die wichtigsten Vorkommen des Elements liegen in sulfidischen Nickel-Kupfer-Erzen, die vor allem in Südafrika, Sudbury (Kanada) und Sibirien vorkommen. Auch in mexikanischen Goldlagerstätten kommt Rhodium in nennenswerter Menge vor. Rhodium fällt zusammen mit den anderen Platinmetallen beim Verarbeiten dieser Erze an und muss anschließend von diesen getrennt werden. Gewinnung und Darstellung Die Gewinnung von Rhodium ist wie die der anderen Platinmetalle sehr aufwändig. Dies liegt vor allem an der Ähnlichkeit und geringen Reaktivität der Platinmetalle, wodurch sie sich schwer trennen lassen. Ausgangsstoff für die Gewinnung von Rhodium ist Anodenschlamm, der bei der Kupfer- und Nickelproduktion als Nebenprodukt bei der Elektrolyse anfällt. Dieser wird zunächst in Königswasser gelöst. Dabei gehen Gold, Platin und Palladium in Lösung, während Ruthenium, Osmium, Rhodium und Iridium sowie Silber als Silberchlorid ungelöst zurückbleiben. Das Silberchlorid wird durch Erhitzen mit Bleicarbonat und Salpetersäure in lösliches Silbernitrat umgewandelt und so abgetrennt. Um das Rhodium von den anderen Elementen abzutrennen, wird der Rückstand mit Natriumhydrogensulfat geschmolzen. Dabei bildet sich wasserlösliches Rhodium(III)-sulfat Rh2(SO4)3, das mit Wasser ausgelaugt werden kann. Das gelöste Rhodium wird zunächst mit Natriumhydroxid als Rhodiumhydroxid Rh(OH)3 gefällt. Die folgenden Reaktionsschritte sind das Lösen in Salzsäure als H3[RhCl6] und die Fällung mit Natriumnitrit und Ammoniumchlorid als (NH4)3[Rh(NO2)6]. Um elementares Rhodium zu erhalten, wird aus dem Rückstand durch Digerieren mit Salzsäure der lösliche (NH4)3[RhCl6]-Komplex gebildet. Nachdem das Wasser durch Verdampfen entfernt wurde, kann das Rhodium mithilfe von Wasserstoff zum Metallpulver reduziert werden. Reaktion von Ammoniumhexachlororhodat mit Wasserstoff zu Rhodium Rhodiumisotope entstehen als Nebenprodukte bei der Kernspaltung von 235U und können aus abgebrannten Brennelementen extrahiert werden. Aufgrund der Radioaktivität gibt es jedoch noch keine kommerzielle Anwendung des so erhaltenen Rhodiums. Rhodium wird nur in geringem Umfang gewonnen, 2005 betrug die Produktion 23,5 Tonnen. 83,2 % der Gesamtproduktion fanden in Südafrika statt. Das zweitgrößte Produktionsland war Russland (11,9 %), gefolgt von Kanada und Simbabwe. Eigenschaften Physikalische Eigenschaften Rhodium ist ein silberweißes, hoch schmelzendes, hartes Edelmetall. Es ist härter als Gold oder Platin, ist jedoch zäh und dehnbar und lässt sich durch Hämmern bearbeiten. In den meisten Eigenschaften ist es mit den anderen Platinmetallen vergleichbar. So liegt der Schmelzpunkt des Rhodiums von 1966 °C zwischen demjenigen von Platin (1772 °C) und Ruthenium (2334 °C). Die Dichte des Elements von 12,41 g/cm3 ist vergleichbar mit denen der benachbarten Elemente Ruthenium und Palladium. Rhodium besitzt die höchste Wärme- und elektrische Leitfähigkeit aller Platinmetalle. Unterhalb von 0,9 Kelvin wird Rhodium zum Supraleiter. Rhodium kristallisiert wie Cobalt und Iridium in einer kubisch-dichtesten Kugelpackung (Kupfer-Typ) in der mit dem Gitterparameter a = 380,4 pm sowie vier Formeleinheiten pro Elementarzelle. Chemische Eigenschaften Als typisches Edelmetall ist Rhodium sehr reaktionsträge. Nach Iridium ist es das am wenigsten reaktive Platinmetall. Es reagiert mit Sauerstoff und Chlor erst bei Temperaturen von 600 bis 700 °C zu Rhodium(III)-oxid beziehungsweise Rhodium(III)-chlorid. Auch mit dem reaktivsten Halogen Fluor reagiert es nur in der Hitze zu Rhodium(VI)-fluorid. Von Mineralsäuren wird das Metall nicht angegriffen. Eine Ausnahme ist feinstverteiltes Rhodium, das sich sehr langsam in Königswasser und konzentrierter Schwefelsäure löst. Das Metall reagiert mit einigen Salzschmelzen und lässt sich so aufschließen. Salze, die dies vermögen, sind Natriumhydrogensulfat, Kaliumdisulfat, Cyanide und Natriumcarbonat. Sauerstoff löst sich in flüssigem Rhodium (>2000 °C). Beim Erkalten der Schmelze wird er unter Spratzen wieder abgegeben. Eine Reaktion erfolgt nicht, da die Oxide oberhalb von ~1100 °C instabil sind. Isotope Es sind insgesamt 33 Isotope sowie weitere 20 Kernisomere des Rhodiums bekannt. Natürliches Rhodium besteht zu 100 % aus dem Isotop 103Rh, das Element ist somit eines von 22 Reinelementen. Die langlebigsten künstlichen Isotope sind 101Rh, das mit einer Halbwertszeit von 3,3 Jahren unter Elektroneneinfang zu 101Ru zerfällt, sowie 102mRh, das mit einer Halbwertszeit von 3,742 Jahren überwiegend unter Aussendung von Positronen zu 102Ru zerfällt. Zu einem geringen Teil geht der metastabile Kern auch unter Isomerieübergang in 102Rh über. Eine Anwendung als Tracer hat der mit einer Halbwertszeit von 35,88 Stunden kurzlebige Kern 105Rh gefunden. → Liste der Rhodium-Isotope Verwendung Wie andere Platinmetalle wirkt Rhodium in vielen Prozessen katalytisch. Sowohl das Metall als auch seine Verbindungen und Legierungen mit anderen Platinmetallen werden daher dementsprechend eingesetzt. Daneben existieren weitere rhodiumspezifische Anwendungsmöglichkeiten; die Verwendung ist jedoch durch den hohen Preis begrenzt. Die wichtigsten Anwendungsbereiche des Rhodiums sind Fahrzeugkatalysatoren. Es dient darin als Katalysator zur Reduktion von Stickstoffmonoxid zu elementarem Stickstoff. Würde stattdessen Platin oder Palladium eingesetzt, entstünden verstärkt Ammoniak und Distickstoffmonoxid. Ein Teil des Rhodiums wird in Katalysatoren zur Salpetersäureherstellung verwendet. Im sogenannten Ostwald-Verfahren werden zur katalytischen Ammoniakverbrennung zu Stickstoffmonoxid Netze eingesetzt, die aus einer Platin-Rhodiumlegierung mit etwa 10 % Rhodium bestehen. Durch den Einsatz von Rhodium erhöht sich die Haltbarkeit und Ausbeute im Vergleich zu reinem Platin. Auch im Andrussow-Verfahren zur Blausäure-Herstellung wird eine Rhodium-Platin-Legierung als Katalysator eingesetzt. Metallisches Rhodium kann als Beschichtung eingesetzt werden. Mit Rhodium beschichtete Flächen besitzen ein hohes Reflexionsvermögen und sind daher als hochwertige Spiegel geeignet. Gleichzeitig sind diese Beschichtungen sehr hart und chemisch stabil. Auch als Überzug für Schmuck, Brillengestelle oder Uhren wird Rhodium verwendet. Es verhindert das Anlaufen des verwendeten Metalls. Dies ist vor allem bei Schmuck aus Silber oder Weißgold wichtig. Der Vorgang des Überziehens wird Rhodinieren genannt. Weitere mögliche Anwendungen sind hochbeanspruchte Laborgeräte, Heizspiralen oder Thermoelemente, die aus Platin-Rhodium-Legierungen gefertigt werden. Seit Edelmetalle wieder international in den Fokus von Finanzanlegern gekommen sind, gibt es auch physische Rhodium-Anlageprodukte. Aufgrund des späteren Einsatzes in der Industrie nach dem Rückkauf wird Rhodium meist in Pulverform angeboten. Seit 2012 ist Anlage-Rhodium auch in Barren-Form erhältlich. Rhodiumpreis Die Internationale Wertpapierkennnummer (ISIN) im Börsenhandel lautet XY0101622766. Da der Verbrauch durch erhöhte Nachfrage in der Schmuckindustrie gestiegen ist und 2005 mit 25,3 Tonnen über der Produktion lag, ist der Preis stark gestiegen. So lag der Rhodiumpreis 2003 noch bei etwa 475 US-Dollar (entsprach 2003 etwa 420 €) pro Feinunze (etwa 31,1 Gramm), im Juni 2008 zählte es mit einem Preis von über 9700 US-Dollar (etwa 6230 Euro) pro Feinunze zu den teuersten Metallen überhaupt, fiel danach jedoch schnell auf einen Preis von unter 1000 Dollar im Dezember 2008. Im Februar 2021 lag der Preis bei 23.650 Dollar pro Feinunze. Im Oktober 2022 lag der Rhodiumpreis bei circa. 14.200 Dollar pro Feinunze. Sicherheitshinweise Kompaktes Rhodium ist auf Grund der geringen Reaktivität ungefährlich, als feinverteiltes Pulver dagegen ist es leicht entzündlich und brennbar. Da brennendes Rhodium mit Wasser reagiert, dürfen zur Löschung nur Metallbrandlöscher (Klasse D) eingesetzt werden. Wegen einiger Hinweise auf eine karzinogene Wirkung werden Rhodium und seine Verbindungen von der MAK-Kommission als karzinogen, Kategorie 3 eingeordnet. Wie andere Schwermetallionen sind gelöste Rhodiumionen in hohen Konzentrationen toxisch. In einer Untersuchung mit Lungenepithelzellen wurde ein LC50-Wert von 1,2 mmol · l−1 für Rhodium(III)-ionen ermittelt. Verbindungen Rhodium bildet Verbindungen in den Oxidationsstufen von −I bis +VI. Die stabilste Stufe ist +III, höhere kommen vor allem in Verbindungen mit Fluor, niedrigere in Komplexen mit Liganden wie Kohlenstoffmonoxid, Cyanid oder Phosphanen vor. Einige Rhodium-Verbindungen, beispielsweise Rhodium(II)-carboxykomplexe, werden untersucht, ob sie sich zur Behandlung von Krebs eignen. Die Verbindungen sind dabei, wie die des Platins auch, sehr oft nierentoxisch. Komplexe Einige Rhodiumkomplexe werden in technisch wichtigen Synthesen organischer Chemikalien als Katalysator eingesetzt. Dazu zählt der Wilkinson-Katalysator, ein quadratisch-planarer Rhodiumkomplex mit drei Triphenylphosphan- (PPh3) und einem Chlorid-Liganden. Eine Reaktion, die dieser Komplex katalysiert, ist die Hydrierung von Alkenen mit Wasserstoff. Es ist auch möglich, die Liganden durch chirale Gruppen zu ersetzen und so eine asymmetrische Hydrierung zu erreichen. Dies wird unter anderem für die Synthese der Aminosäure L-DOPA genutzt. Eine weitere wichtige Reaktion, bei der der Wilkinson-Katalysator eingesetzt wird, ist die Hydroformylierung. Dabei werden aus Alkenen, Kohlenstoffmonoxid und Wasserstoff Aldehyde dargestellt. Ein weiterer Rhodiumkomplex wird zur Herstellung von Essigsäure eingesetzt. Im Monsanto-Prozess wird cis-[Rh(CO)2I2]−, ein quadratisch-planarer Komplex mit zwei Kohlenstoffmonoxid- und zwei Iodid-Liganden, eingesetzt. Halogenverbindungen Mit den Halogenen Fluor, Chlor, Brom und Iod sind eine Reihe Verbindungen bekannt. Während Chlor, Brom und Iod nur Verbindungen in der Oxidationsstufe +III bilden, sind die Fluoride Rhodium(IV)-fluorid, Rhodium(V)-fluorid und Rhodium(VI)-fluorid bekannt. Die wichtigste Rhodium-Halogenverbindung ist Rhodium(III)-chlorid, die als Katalysator bei Reduktionen, Polymerisationen oder Isomerisierungen eingesetzt werden kann. Weitere Verbindungen Es sind insgesamt drei Rhodiumoxide, Rhodium(III)-oxid Rh2O3, Rhodium(IV)-oxid RhO2 und Rhodium(VI)-oxid RhO3 bekannt. Letzteres ist allerdings nur in der Gasphase zwischen 850 °C und 1050 °C stabil. Rhodium(III)-oxid entsteht in wasserfreier Form durch Verbrennung aus den Elementen bei 600 °C. Erhitzt man dieses unter erhöhtem Sauerstoffdruck weiter, entsteht Rhodium(IV)-oxid. Rhodium(III)-sulfat Rh2(SO4)3 ist ein Zwischenprodukt bei der Rhodiumproduktion. Daneben wird es als Rohstoff für die galvanische Beschichtung von Oberflächen, beispielsweise bei Schmuckwaren, verwendet. Rhodium(II)-acetat wird in der Organischen Chemie als Katalysator verwendet. Es bildet mit Diazoverbindungen, die eine benachbarte Carbonylgruppe besitzen, Carbene. Aus den Carbenen können unter anderem Cyclopropane dargestellt werden. Auch für die Gewinnung von Yliden und für Insertionsreaktionen können Rhodium-Carbene eingesetzt werden. Literatur William Hyde Wollaston: On a New Metal, Found in Crude Platina. In: Phil. Trans. R. Soc. Lond. 94, 1. Januar 1804, S. 419–430; doi:10.1098/rstl.1804.0019 (Volltext) William Hyde Wollaston: On the Discovery of Palladium; With Observations on Other Substances Found with Platina. In: Phil. Trans. R. Soc. Lond. 95, 1. Januar 1805, S. 316–330; doi:10.1098/rstl.1805.0024 (Volltext) Weblinks Mineralienatlas:Rhodium (Wiki) Einzelnachweise Katalysator Anerkanntes Mineral Kubisches Kristallsystem Elemente (Mineralklasse) Elektrotechnischer Werkstoff
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tageszeitung
Tageszeitung
Eine Tageszeitung ist nach internationaler Definition ein mindestens viermal wöchentlich, heute meist täglich von Montag bis Samstag erscheinendes Druckerzeugnis, das eine umfassende Berichterstattung bietet und sich an ein allgemeines Publikum richtet. Tageszeitungen werden nach ihrem Verbreitungsgebiet als Regionalzeitungen und überregionale Zeitungen unterschieden. Eine Sonderform der Tageszeitung ist die Boulevardzeitung. Fast alle Tageszeitungen in Deutschland erscheinen mittlerweile als Morgenausgabe, das heißt, die Zustellung im Abonnement und zu den Einzelhändlern erfolgt in den frühen Morgenstunden des Erscheinungstages. Geschichte Als Vorläufer der Tageszeitung können die im antiken Rom vom Konsul Gaius Julius Caesar 59 v. Chr. eingeführten, bis mindestens 235 n. Chr. wohl nicht immer täglich erschienen Nachrichtenbulletins Acta diurna gelten. Die erste Tageszeitung der Neuzeit erschien am 1. Juli 1650 in Leipzig: Zwei Jahre nach Ende des Dreißigjährigen Krieges wandelte der Leipziger Drucker und Buchhändler Timotheus Ritzsch seine bereits seit 1643 viermal in der Woche erschienene „Wöchentliche Zeitung“ in eine Tageszeitung um. Die neue Einkommende Zeitungen erschien ab 1650 sechsmal pro Woche. Jede Ausgabe bestand aus vier Seiten im Format von etwa 13,5 mal 17 Zentimetern. Die Auflage betrug etwa 200 Exemplare. Gesetzt waren die Einkommenden Zeitungen in Metall-Lettern, gedruckt wurden sie von Hand auf einer hölzernen Druckerpresse. Aufgaben und Merkmale einer Tageszeitung Vier Merkmale charakterisieren eine Zeitung: 1. die Publizität, das heißt die allgemeine Zugänglichkeit der Publikation. 2. die Aktualität, die Veröffentlichung der Nachricht sollte möglichst zeitnah zum dazugehörigen Ereignis stehen. 3. die Zeitung muss regelmäßig erscheinen (Periodizität). 4. die Universalität, die redaktionelle und damit inhaltliche Vielfalt der Zeitung. Eine Tageszeitung muss mindestens viermal pro Woche erscheinen, anderenfalls wird sie als Wochenzeitung bezeichnet. Eine Tageszeitung hat die Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren, die Ereignisse zu kommentieren und zu analysieren. Sie ist somit sehr wichtig für die tägliche Informationsverbreitung und damit auch für die Meinungsbildung in der Gesellschaft. Die fünf wichtigsten und klassischen Ressorts einer Tageszeitung sind Politik, Wirtschaft, Kultur, Lokales und Sport; dazu kommen heute oft noch die Wissenschaft, Reise, Unterhaltung und Weiteres. Eine Zeitung besteht aus einzelnen gefalteten Papierlagen, die nicht zusammengeheftet sind. Diese Lagen werden auch Bücher genannt. Bei Tageszeitungen befindet sich immer im ersten Buch die Politik, im zweiten zumeist die Wirtschaft; dann folgen die Kultur und der Sport. Eine Tageszeitung besteht aus zwei Teilen, dem redaktionellen Teil und dem Anzeigenteil. Beide müssen sich in der Gestaltung deutlich voneinander unterscheiden. Früher gab es nahezu ausschließlich Vollredaktionen, die alle Beiträge für ihre Publikation selbst schrieben und erstellten. Heute geht, vor allem bei Lokal- und Regionalzeitungen, hauptsächlich aus Kostengründen der Trend zu Mantelredaktionen. Mit Leserbriefen, heute häufig auch in Form eines E-Mail- oder Blog-Kommentars, kann die Leserschaft ihre Meinung äußern. Für die Zeitung bedeutet der Leserbrief ein Feedback und stärkt die Leser-Blatt-Bindung. Heute leisten Zeitungsverlage noch weitere Dienstleistungen für ihre Leser, sie organisieren beispielsweise Veranstaltungen oder Reisen, außerdem sponsern sie oft kulturelle Ereignisse. Die Tageszeitung wird häufig erst in der Nacht gedruckt und dann gleich ausgeliefert: circa 80 % der verkauften Auflage einer Tageszeitung werden zwischen 5 Uhr und 11 Uhr morgens verkauft oder an die Abonnenten ausgeliefert. Hierfür muss es ein funktionierendes Vertriebssystem geben (Pressevertrieb). Tageszeitungen werden entweder im Handel, den sogenannte Pressegrossisten beliefern, oder durch das Abonnement (ca. 50 %) verkauft. Kaufzeitungen dagegen, wie lange Zeit die Bild-Zeitung, werden nur im Einzelverkauf vertrieben. Die verkaufte Auflage von Tageszeitungen ging in den letzten Jahren kontinuierlich zurück, vor allem im Einzelverkauf. Überregionale Zeitungen werden oftmals aus beruflichen Gründen auch am Arbeitsplatz gelesen und sprechen eine gehobene Zielgruppe an. Regionalzeitungen sollen dagegen eine breitere Bevölkerungsschicht ansprechen. Häufig werden auch sowohl eine regionale als auch eine überregionale Tageszeitung gelesen, wobei auch manche überregionale Tageszeitungen Lokalausgaben haben. Eine Allensbach-Umfrage von 2002 zum Thema „Vertrauen in Medien“ ergab, dass das Fernsehen in Deutschland bei 32 % der Befragten eine höhere Glaubwürdigkeit genießt als Zeitungen, zu denen 19 % größeres Vertrauen haben. Der Tageszeitungsmarkt in verschiedenen Ländern Tageszeitungen in Deutschland 2004 waren 299 von insgesamt 443 deutschen Kreisen (Landkreise und Städte) sogenannte Einzeitungskreise, die nur durch eine tägliche Lokal- oder Regionalzeitung versorgt wurden. Viele dieser Titel kooperieren eng mit anderen und sind mit ihnen teilidentisch. Alle Zeitungen, die mit einem gemeinsamen Mantel erscheinen, werden auch als „Publizistische Einheit“ bezeichnet. 2006 gab es 137 solcher Einheiten in Deutschland, die angesichts der vielfältigen Kooperationen als beste statistische Näherung für Zeitungshauptredaktionen und damit als Maß für die publizistische Vielfalt angesehen werden. Die Zahl der wirtschaftlich unabhängigen, miteinander im Wettbewerb stehenden Einheiten ist wesentlich geringer, da insbesondere den wenigen großen Zeitungsverlagen viele Zeitungen und publizistische Einheiten gehören. 2009 gab es in Deutschland 351 Tageszeitungstitel mit einer täglichen Gesamtauflage von 25,31 Millionen, davon 334 lokale oder regionale Tageszeitungen (Auflage: 14,85 Millionen). Laut der 8. Stichtagssammlung der deutschen Tagespresse, welche Walter Schütz im Auftrag der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover durchführte, gab es 2012 333 gesellschaftsrechtlich selbstständige Zeitungsverlage in Deutschland. Diese 333 Zeitungen wurden von 130 Vollredaktionen betreut und geben 1.527 verschiedene Lokalausgaben heraus. Von 2002 bis 2012 fiel die Gesamtauflage der deutschen Tageszeitungen von 27,49 auf 21,13 Millionen Stück (einschließlich ePaper-Verkäufe). Überregionale Tageszeitungen Als erste überregionale und durch das gesamte 19. Jahrhundert hindurch unangefochten führende Tageszeitung deutscher Sprache galt die Kölnische Zeitung. Nur wenige deutsche Tageszeitungen gelten als überregionale Zeitungen, die bundesweit wahrgenommen werden. Die Definition dieser überregionalen Zeitungen ist schwierig, weil es bis heute nicht gelungen ist, exakte Kriterien zu finden. Die meisten der als überregional geltenden Tageszeitungen verkaufen nach wie vor mehr als die Hälfte ihrer Auflage in ihrem Regionalgebiet, in dem sie Lokalredaktionen unterhalten, und sind damit zugleich Regionalzeitungen. Die sinnvollste Abgrenzung von reinen Regionalzeitungen gelingt über das Kriterium der bundesweiten Verfügbarkeit im Einzelverkauf in Kiosken und Supermärkten sowie über die bundesweite Wahrnehmung und meinungsbildende Funktion der Hauptredaktionen. Die so anerkannten Zeitungen beinhalten – mit Ausnahme der Boulevardzeitung Bild – einen quantitativ und qualitativ deutlich überdurchschnittlichen Politik-, Feuilleton- und Wirtschaftsteil. Da das Gewicht bei der gesellschaftlichen Meinungsbildung von der Größe, Ausstattung und Kompetenz der Redaktion abhängt, ist es zwischen den Zeitungen unterschiedlich. Außerdem ändert es sich im Lauf der Zeit, sodass eine Liste nicht als dauerhaft gelten kann. Die bundesweit verbreiteten Tageszeitungen Deutschlands ab einer Auflage von 20.000 Exemplaren sind: *Boulevard **mit Wirtschaftsschwerpunkt Die überregionalen Zeitungen werden häufig in das politische Spektrum Deutschlands eingeordnet: So gelten die Süddeutsche Zeitung als linksliberal, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) als konservativ-liberal, die Welt als konservativ und die tageszeitung (taz) als links-alternativ. An der Grenze zwischen überregionaler Tageszeitung und Regionalzeitung mit überregionalem Anspruch steht der Berliner Tagesspiegel, der sich als „Zeitung für Berlin und Deutschland“ bezeichnet. Ebenfalls deutschlandweit erscheint die Börsen-Zeitung in Frankfurt am Main mit Wirtschaftsschwerpunkt. Krise der Tageszeitungen Im Jahre 2013 wurde die Krise, in der sich fast alle Tageszeitungen Deutschlands befinden, durch die Insolvenz der Frankfurter Rundschau und die Einstellung der Financial Times Deutschland unübersehbar. Tageszeitungen in anderen Ländern haben ähnliche Probleme. Als Gründe werden unter anderen genannt: Sinkende Einnahmen aus dem Anzeigengeschäft. Sie betrugen im Jahre 2012 nur noch rund 40 % der Gesamteinnahmen und waren auch davor schon stetig gefallen. Demgegenüber stiegen die Vertriebseinnahmen, die jahrzehntelang lediglich eine untergeordnete Rolle spielten, im Trend anteilig auf 52,8 % aller Einnahmen. Aus einer seit Jahren rückläufigen Auflage resultieren sinkende Vertriebseinnahmen (sofern die Preise nicht erhöht wurden). Die Auflage sank im Schnitt um 2 % pro Jahr (im 2. Quartal 2012 gegenüber dem Vorjahresquartal um 2,4 %). Einem täglichen Verkauf im Jahr 2012 von etwa 18,4 Millionen Exemplaren standen 1991 noch über 27,3 Millionen gegenüber. Da der erzielbare Anzeigenpreis von der Auflage abhängt, führt eine sinkende Auflage langfristig zu sinkenden Anzeigenerlösen. Sogenannte elektronische Zeitungen können den Einnahmerückgang nicht auffangen. Die deutschen Tageszeitungen leiden vor allem an sinkenden Anzeigenerlösen. Die offiziellen Statistiken des BDZV zeigen, dass seit 2007 die Einnahmen kontinuierlich sinken. Trotz sinkender Auflagen haben die Tageszeitungen ihre Einnahmen aus dem Verkauf von Abonnements und Einzelausgaben seit 2002 in jedem Jahr steigern können. Doch dies gleicht die Werbeverluste nicht aus; der Gesamtumsatz deutscher Tageszeitungen ist von 10,23 Milliarden Euro im Jahr 2000 auf 7,7 Milliarden Euro im Jahr 2012 gesunken – ein Minus von fast einem Viertel des Gesamtumsatzes. Die Verluste im Werbemarkt werden größer, nach einem Rückgang um 8,93 % im Jahr 2012 verloren Tageszeitungen 2013 noch einmal 9,37 % des Werbeumsatzes im Vergleich zum Vorjahr. Siehe auch: Zeitung Tageszeitungen in der Schweiz Aufgrund der Sprachverhältnisse kann man in der Schweiz zwischen französisch-, italienisch- und deutschsprachigen Zeitungen unterscheiden. Die Neue Zürcher Zeitung gilt als eine liberal-konservative Zeitung, der Tages-Anzeiger als linksliberal. In der Romandie ist Le Temps eine überregionale Zeitung. Die am meisten gelesenen Tageszeitungen der Westschweiz sind das Boulevardblatt Le Matin, gefolgt von 24 heures (mit Kopfblatt Tribune de Genève). Die auflagenstärksten Tageszeitungen sind die Boulevardzeitungen. Die Pendlerzeitung 20 Minuten ist hier die auflagenstärkste Zeitung, dicht gefolgt von den Boulevardzeitungen Blick in der deutschen und Le Matin in der welschen Schweiz. Nebst dem am Morgen erscheinenden Gratisblatt 20 Minuten (respektive 20 minutes in der Westschweiz) von Tamedia wird abends an öffentlichen Plätzen und Bahnhöfen Blick am Abend von Ringier verteilt. Die großen Tageszeitungen in den Regionen, meist mit lokalen Kopfblättern sind: Aargauer Zeitung, Basler Zeitung, Berner Zeitung, Der Bund (Bern), Luzerner Zeitung, St. Galler Tagblatt und die Südostschweiz (Chur). Tageszeitungen in Österreich Die überregionalen, großformatigen Tageszeitungen Österreichs sind Der Standard, Die Presse, der Kurier, die Salzburger Nachrichten und die Wiener Zeitung. Letztere – gegründet 1703 – ist die älteste noch immer erscheinende Tageszeitung weltweit. Das mit Abstand auflagenstärkste Blatt ist die kleinformatige Kronen Zeitung (bis 2000 „Neue Kronen Zeitung“), gefolgt von der Kleinen Zeitung. Am 1. September 2006 kam die 17. österreichische Tageszeitung mit dem Namen Österreich und einer Startauflage von 250.000 Stück (an Wochenenden bis zu 600.000 Stück) auf den Markt. Herausgeber ist der österreichische Journalist und Medienmacher Wolfgang Fellner. Am 5. Juni 2006 wurden die Vorarlberger Nachrichten als „Newspaper of the Year 06“ ausgezeichnet. Großformatige Bundesländerzeitungen sind die Tiroler Tageszeitung, Vorarlberger Nachrichten und die Oberösterreichischen Nachrichten. Tageszeitungen in Dänemark Die überregionalen Qualitätstageszeitungen in Dänemark sind Berlingske Tidende, Politiken und die Morgenavisen Jyllands-Posten. Von geringerer Auflage und Bedeutung sind Børsen, Dagbladet Information und Kristeligt Dagblad. Des Weiteren gibt es die boulevardorientierten Ekstra Bladet sowie B.T. Tageszeitungen in Frankreich Die größten französischen Tageszeitungen unterscheiden sich deutlich in ihrer politischen Grundhaltung. Die auflagenstärksten Blätter sind Le Figaro (2014: 325.459 Exemplare) und Le Monde (2014: 298.529 Exemplare, davon 21.526 im Ausland). Im Ausland ist Le Monde die meistgelesene französische Tageszeitung. Le Figaro ist traditionell konservativ und gehört zur Groupe Dassault, einem Industrie-, Rüstungs- und Medienunternehmen, dem über 70 Zeitungen angehören. Le Monde ist linksliberal und gehörte bis Juni 2010 mehrheitlich den Redakteuren. Mittlerweile gehört sie Pierre Bergé, der der französischen Linken nahesteht. Sie ist die einzige französische Tageszeitung, die am späten Nachmittag erscheint. Le Parisien / Aujourd’hui en France (2014: 233.751 Exemplare) ist dem Boulevard zuzuordnenden. Sie wird ausschließlich in Frankreich vertrieben und hat in den letzten Jahren stark an Reichweite verloren (−16,6 % von 2012 auf 2014). Daneben existieren mit der linksliberalen Libération (2014: 100.600 Exemplare), der konservativ-katholischen La Croix (2014: 104.000 Exemplare) und der kommunistischen L’Humanité (2014: 43.700 Exemplare) drei weitere Tageszeitungen. Eine bedeutende Zeitung mit dem Schwerpunkt Wirtschaft ist Les Échos (2014: 128.196 Exemplare). Die Sport-Tageszeitung L’Équipe erscheint täglich und erreichte 2013 eine Auflage von rund 251.639 Exemplaren. Tageszeitungen in Luxemburg Die größten Tageszeitungen in Luxemburg sind das Luxemburger Wort, das Tageblatt. Zeitung fir Lëtzebuerg und das Lëtzebuerger Journal. Von geringerer Auflage und Bedeutung sind die Zeitung vum Lëtzebuerger Vollek und Le Quotidien. Tageszeitungen in den Niederlanden Die auflagenstärksten bezahlten Tageszeitungen der Niederlande sind De Telegraaf, das AD, de Volkskrant und das NRC Handelsblad. In Westdeutschland sind diese niederländischen Zeitungen in der Regel tagesaktuell im Zeitschriftenhandel zu finden. Seit 1999 erscheinen auch landesweite Gratiszeitungen mit redaktionellem Inhalt, die sich schnell zu einer ernsthaften Konkurrenz zu den Bezahlzeitungen entwickelten. Tageszeitungen in Großbritannien Die Presselandschaft im Vereinigten Königreich ist aufgeteilt in die ernsteren Blätter der „Quality Press“ auf der einen, und die Popular Press, die sich vor allem mit Prominenten und menschlichen Schicksalen beschäftigt, auf der anderen Seite. Die vier großen seriösen Tageszeitungen sind der Daily Telegraph (konservativ), The Times (konservativ-rechts), The Guardian (links und sozialliberal) sowie (seit 2016 nur noch digital) The Independent (links-liberal). Alle vier unterhalten auch Sonntagszeitungen. Weiterhin existiert mit der Financial Times eine Zeitung mit Wirtschaftsschwerpunkt. Allgemein positionieren sich britische Zeitungen in erheblich stärkerem Maße politisch als dies in Deutschland der Fall ist und geben regelmäßig auch Wahlempfehlungen ab. Beispielhaft für die Vielzahl an Erzeugnissen der Boulevardpresse sind The Sun, die Daily Mail, der Daily Mirror und der Daily Star zu nennen. Sie alle haben eine (teilweise deutlich) höhere Auflage als die auflagenstärkste Tageszeitung der „Quality Press“, der Daily Telegraph. Grundsätzlich sind die Auflagen aller britischen Zeitungen in den letzten Jahren stark rückläufig, besonders die Zeitungen der „Quality Press“, verlieren jedoch immens Leser und Abonnenten. The Independent stellte zum 26. März 2016 seine Printausgabe ein und erscheint seitdem nur noch in digitaler Form. Zeitungsantiquariate Ältere Zeitungen für Museen, Archive, Film- und Fernsehaufnahmen und als Geschenk (Zeitung vom Tag der Geburt, der Hochzeit oder zum Jubiläum) bieten spezialisierte Zeitungsantiquariate an. Siehe auch Liste deutscher Zeitungen Liste auflagenstärkster Zeitungen Liste von Zeitungen Literatur Elisabeth Noelle-Neumann, Winfried Schulz, Jürgen Wilke (Hrsg.): Fischer Lexikon. Publizistik Massenkommunikation. Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-596-12260-0. Werner Faulstich (Hrsg.): Grundwissen Medien. Fink, München 1994, ISBN 3-7705-2918-9. Zeitungen 2006. Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger, Berlin 2006, ISBN 3-939705-00-4. Urszula Dolder, Vera Zahn: Zeitungs-Verbreitungsatlas 2019/20 – Verbreitungsgebiete und verbreitungsanalytische Daten der Tageszeitungen. ZMG Zeitungsmarktfoschung Gesellschaft (Hrsg.), Frankfurt am Main 2018, ISBN 978-3-922537-59-5. Weblinks Aktuelle Titelblätter von Tageszeitungen weltweit. Newseum Reportage über den Weg einer Zeitung von der Druckerei zum Leser auf taz.de Einzelnachweise
Q1110794
364.637555
5380476
https://de.wikipedia.org/wiki/Suriyakati-Kalender
Suriyakati-Kalender
Der Suriyakati-Kalender (Thai: patithin suriyakhati thai, auch: Thailändischer Sonnenkalender) ist das derzeit in Thailand gebräuchliche Kalendersystem. Er basiert auf dem weltweit meistverwendeten gregorianischen Kalender, verwendet aber zur Zählung der Jahre die buddhistische Zeitrechnung (BE). Damit sind die Jahreszahlen um 543 größer als in der christlichen Zeitrechnung. Eingeführt wurde der Kalender von König Chulalongkorn (Rama V.) im Jahr 1888, wobei damals der Neujahrstag noch auf den 1. April des jeweiligen Jahres fiel. 1941 (2484 BE) wurde der Neujahrstag dann durch den damaligen thailändischen Premierminister Phibul Songkhram auf den 1. Januar verlegt, sodass das Jahr 2483 BE nur neun Monate lang war. Vor der Einführung des Suriyakati-Kalenders war das in Thailand offizielle Kalendersystem der thailändische Mondkalender, der immer noch zur Bestimmung der buddhistischen Feiertage verwendet wird. Kalender in Thailand enthalten heute aus Bequemlichkeitsgründen beide Kalendersysteme. Die Jahreszahl nach der buddhistischen Zeitrechnung wird dabei in thailändischen Ziffern geschrieben, während die gregorianische Jahreszahl sowohl in arabischen als auch in chinesischen Ziffern aufgeführt wird. Siehe auch Liste der Kalendersysteme Gregorianischer und julianischer Kalender Kultur (Thailand)
Q1130398
447.92307
16585
https://de.wikipedia.org/wiki/Transistor
Transistor
Ein Transistor ist ein elektronisches Halbleiter-Bauelement zum Steuern oder Verstärken meistens niedriger elektrischer Spannungen und Ströme. Er ist der weitaus wichtigste „aktive“ Bestandteil elektronischer Schaltungen, der beispielsweise in der Nachrichtentechnik, der Leistungselektronik und in Computersystemen eingesetzt wird. Besondere Bedeutung haben Transistoren – zumeist als Ein/Aus-Schalter – in integrierten Schaltkreisen, was die weit verbreitete Mikroelektronik ermöglicht. Die Bezeichnung „Transistor“ ist ein Kofferwort des englischen , was in der Funktion einem durch eine angelegte elektrische Spannung oder einen elektrischen Strom steuerbaren elektrischen Widerstand entspricht. Die Wirkungsweise ähnelt der einer entsprechenden Elektronenröhre, nämlich der Triode. Geschichte Die ersten Patente auf das Prinzip des Transistors meldete Julius Edgar Lilienfeld im Jahr 1925 an. Lilienfeld beschreibt in seiner Arbeit ein elektronisches Bauelement, das Eigenschaften einer Elektronenröhre aufweist und im weitesten Sinne mit dem heute als Feldeffekttransistor (FET) bezeichneten Bauelement vergleichbar ist. Zu dieser Zeit war es technisch noch nicht möglich, Feldeffekttransistoren praktisch zu realisieren. Im Jahr 1934 ließ der Physiker Oskar Heil den Aufbau eines Feldeffekttransistors patentieren, bei dem es sich um einen Halbleiter-FET mit isoliertem Gate handelt. Die ersten praktisch realisierten Sperrschicht-Feldeffekttransistoren JFETs mit einem p-n-Übergang (positiv-negativ) und einem Gate als Steuerelektrode gehen auf Herbert F. Mataré, Heinrich Welker sowie parallel dazu William Shockley und Walter H. Brattain aus dem Jahr 1945 zurück. Der Feldeffekttransistor wurde somit historisch vor dem Bipolartransistor realisiert, konnte sich damals aber noch nicht praktisch durchsetzen. Damals wurden diese Bauelemente noch nicht als Transistor bezeichnet; den Begriff „Transistor“ prägte John R. Pierce im Jahr 1948. Ab 1942 experimentierte Herbert Mataré bei Telefunken mit dem von ihm als Duodiode (Doppelspitzendiode) bezeichneten Bauelement im Rahmen der Entwicklung eines Detektors für Doppler-Funkmess-Systeme. Die von Mataré dazu aufgebauten Duodioden waren Punktkontakt-Dioden auf Halbleiterbasis mit zwei sehr nahe beieinanderstehenden Metallkontakten auf dem Halbleitersubstrat. Mataré experimentierte dabei mit polykristallinem Silizium (kurz: Polysilizium), das er von Karl Seiler aus dem Telefunken-Labor in Breslau bezog, und mit Germanium, das er von einem Forschungsteam der Luftwaffe bei München (in dem auch Heinrich Welker mitwirkte) erhielt. Bei den Experimenten mit Germanium entdeckte er Effekte, die sich nicht als zwei unabhängig arbeitende Dioden erklären ließen: Die Spannung an der einen Diode konnte den Strom durch die andere Diode beeinflussen. Diese Beobachtung bildete die Grundidee für die späteren Spitzentransistoren, eine frühe Bauform des Bipolartransistors. In den Bell Laboratories in den Vereinigten Staaten entwickelte die Gruppe um John Bardeen, William Shockley und Walter Brattain den ersten funktionierenden Bipolartransistor in Form eines Spitzentransistors, der am 23. Dezember 1947 erstmals firmenintern präsentiert werden konnte. Für die Erfindung des Bipolartransistors erhielten John Bardeen, William Shockley und Walter Brattain 1956 den Nobelpreis für Physik. Da Shockley mit seinem Team einen Bipolartransistor realisiert hatte, der nicht auf dem Funktionsprinzip eines Feldeffekttransistors basiert, finden sich in dem US-Patent auch keine Referenzen auf die theoretischen Vorarbeiten von Lilienfeld und Heil aus den 1920er Jahren. Unabhängig von den Arbeiten in den USA entwickelten die beiden Wissenschaftler Herbert Mataré und Heinrich Welker in Frankreich ebenfalls einen funktionsfähigen Bipolartransistor. Sie waren einige Monate später erfolgreich und meldeten dafür am 13. August 1948 in Paris ein Patent an. Am 18. Mai 1949 wurde diese Entwicklung unter dem Kunstwort „Transistron“ der Öffentlichkeit vorgestellt, der neue Begriff „Transistron“ fand aber in Folge keine wesentliche Verbreitung. In den Folgejahren folgten weitere technologische Verbesserungen. So gelang der Gruppe um Gordon Teal, Morgan Sparks und William Shockley bei den Bell Labs im Jahr 1951 die Herstellung eines Flächentransistors, der aus nur einem Kristall besteht. Bis dahin waren Bipolartransistoren als Spitzentransistoren aufgebaut. In den 1950er-Jahren gab es einen Wettlauf zwischen der Elektronenröhre und den damals üblichen Bipolartransistoren, in dem die Chancen des Bipolartransistors wegen der vergleichsweise niedrigen Transitfrequenzen häufig eher skeptisch beurteilt wurden. Die geringe Größe, der geringe Energiebedarf und später die zunehmenden Transitfrequenzen der Transistoren führten jedoch dazu, dass in den 1960er Jahren die Elektronenröhren als Signalverstärker auf fast allen technischen Gebieten abgelöst wurden. Sperrschicht-Feldeffekttransistoren spielten im praktischen Einsatz, im Gegensatz zu den ersten Bipolartransistoren, in den 1950er bis in die späten 1960er Jahre noch kaum eine Rolle, obwohl deren theoretische Grundlagen länger bekannt waren. Feldeffekttransistoren ließen sich mit den damaligen Kenntnissen nicht wirtschaftlich fertigen und waren wegen der Durchschlagsgefahr des Gates durch unbeabsichtigte elektrostatische Entladung umständlich zu handhaben. Zur Lösung der bei bipolaren Transistoren auftretenden Probleme wie Leistungsbedarf und Anforderungen für integrierte Schaltungen beschäftigten sich Entwickler ab etwa 1955 eingehender mit den Halbleiteroberflächen und fanden Fertigungsverfahren wie die Planartechnik, die die Feldeffekttransistoren im Folgejahrzehnt zur Serienreife brachten. Im Jahre 1959 entwickelte Martin M. Atalla und Dawon Kahng, damals beide bei den Bell Labs angestellt, den ersten Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor (MOSFET) der miniaturisiert und in Massenproduktion hergestellt werden kann und die Grundlage der CMOS-Technik darstellt. Der MOSFET ermöglicht dank seiner Skalierbarkeit, geringer Leistung und hoher Dichte die Entwicklung von hochintegrierten Schaltungen von weit über einigen tausend MOSFETs. Die ersten handelsüblichen Bipolartransistoren wurden aus dem Halbleitermaterial Germanium hergestellt und ähnlich wie Elektronenröhren in winzige Glasröhrchen eingeschmolzen. Die verschiedenen dotierten Zonen entstanden mit einem zentralen Germaniumplättchen, in das von beiden Seiten „Indiumpillen“ anlegiert waren. Letztere drangen damit tief in das Grundmaterial ein, in der Mitte blieb aber eine Basisstrecke gewünschter Dicke frei. Im Jahr 1954 kamen Bipolartransistoren aus Silizium auf den Markt (Gordon Teal bei Texas Instruments und Morris Tanenbaum an den Bell Labs). Dieses Grundmaterial war einfacher verfügbar und preisgünstiger. Seit den späten 1960er Jahren kamen großteils Metall- oder Kunststoffgehäuse zur Anwendung. Einsatzbereiche lagen zunächst in der analogen Schaltungstechnik wie den damals aufkommenden Transistorradios. Das Basismaterial Germanium wurde in Folge verstärkt durch das technisch vorteilhaftere Silizium ersetzt, das einen größeren Arbeitstemperaturbereich bei wesentlich geringeren Restströmen abdeckte und durch die Siliziumdioxid-Passivierung langzeitstabiler in den elektrischen Kennwerten gegenüber Germanium ist. Der erste auf Galliumarsenid basierende Feldeffekttransistor, der sogenannte MESFET, wurde 1966 von Carver Mead entwickelt. Dünnschichttransistoren (engl. , abgekürzt TFT) wurden bereits 1962 von Paul K. Weimer entwickelt, konnten aber erst rund 30 Jahre später im Bereich heute üblicher farbiger TFT-Displays einen Anwendungsbereich finden. Werden alle Transistoren in sämtlichen bislang hergestellten Schaltkreisen wie Arbeitsspeicher, Prozessoren usw. zusammengezählt, ist der Transistor inzwischen diejenige technische Funktionseinheit, die von der Menschheit in den höchsten Gesamtstückzahlen produziert wurde und wird. Moderne integrierte Schaltungen, wie die in Personal Computern eingesetzten Mikroprozessoren, bestehen aus vielen Millionen bis Milliarden Transistoren, so besitzt die 2022 veröffentlichte Grafikkarte RTX 4090 76,3 Milliarden Transistoren. Typen Es gibt zwei wichtige Gruppen von Transistoren, nämlich Bipolartransistoren und Feldeffekttransistoren (FET), die sich durch die Art der Ansteuerung voneinander unterscheiden. Eine Liste mit einer groben Einordnung bzw. Gruppierung der Transistoren sowie weiteren Transistorenvarianten findet sich unter Liste elektrischer Bauelemente. Bipolartransistor Bei bipolaren Transistoren tragen sowohl bewegliche negative Ladungsträger, die Elektronen, als auch positive Ladungsträger, sogenannte Defektelektronen, zur Funktion bzw. zum Ladungstransport bei. Defektelektronen, auch als Löcher bezeichnet, sind unbesetzte Zustände im Valenzband, die sich durch Generation und Rekombination von Elektronen im Kristall bewegen. Zu den bipolaren Transistoren gehören unter anderem der IGBT und der HJBT. Der wichtigste Vertreter ist jedoch der Bipolartransistor (engl.: , BJT). Der Bipolartransistor wird durch einen elektrischen Strom angesteuert. Die Anschlüsse werden mit Basis, Emitter, Kollektor bezeichnet (im Schaltbild abgekürzt durch die Buchstaben B, E, C). Ein kleiner Steuerstrom auf der Basis-Emitter-Strecke führt zu Veränderungen der Raumladungszonen im Innern des Bipolartransistors und kann dadurch einen großen Strom auf der Kollektor-Emitter-Strecke steuern. Je nach Dotierungsfolge im Aufbau unterscheidet man zwischen npn- (negativ-positiv-negativ) und pnp-Transistoren (positiv-negativ-positiv). Dotierung bedeutet in diesem Zusammenhang das Einbringen von Fremdatomen bei dem Herstellungsprozess in eine Schicht des hochreinen Halbleitermaterials, um die Kristallstruktur zu verändern. Bipolartransistoren sind grundsätzlich immer selbstsperrend: Ohne Ansteuerung mittels eines kleinen Stromes durch die Basis-Emitter-Strecke sperrt der Transistor auf der Kollektor-Emitter-Strecke. Im Schaltsymbol ist der Anschluss Emitter (E) in beiden Fällen mit einem kleinen Pfeil versehen: Bei einem npn-Transistor zeigt dieser vom Bauelement weg, beim pnp-Transistor weist er zu dem Bauelement hin. Der Pfeil beschreibt die technische Stromrichtung (Bewegung gedachter positiver Ladungsträger) am Emitter. In frühen Jahren wurde in Schaltplänen bei den damals oft eingesetzten diskreten Transistoren zur Kennzeichnung des Transistorgehäuses ein Kreis um das jeweilige Symbol gezeichnet. Die Kreissymbole sind durch den heutigen vorherrschenden Einsatz integrierter Schaltungen unüblich geworden. Die Verknüpfung zweier Bipolartransistoren mit Vor- und Hauptverstärkung zu einer Einheit wird als Darlington-Transistor oder als Darlington-Schaltung bezeichnet. Durch diese Verschaltung kann eine deutlich höhere Stromverstärkung erreicht werden als mit einem einzelnen Transistor. Weitere Details zu den Besonderheiten und Ansteuerungen finden sich in dem eigenen Artikel über Bipolartransistoren und in der mathematischen Beschreibung des Bipolartransistors. Einfache Schaltungsbeispiele finden sich in dem Artikel über Transistorgrundschaltungen und bei den Ersatzschaltungen des Bipolartransistors. Feldeffekttransistor Feldeffekttransistoren, abgekürzt FET, oder auch als unipolare Transistoren bezeichnet, werden durch eine Spannung gesteuert. Besonders für FETs ist ein sehr hoher Eingangswiderstand im statischen Betrieb und die daher fast leistungslose Ansteuerung typisch. Die drei Anschlüsse werden als Gate (dt. Tor, Gatter), das ist der Steueranschluss, Drain (dt. Senke, Abfluss) und Source (dt. Quelle, Zufluss) bezeichnet. Bei MOSFETs (Metalloxidschicht) kommt noch ein weiterer Anschluss, das Bulk oder Body (dt. Substrat), hinzu, das meist mit dem Source-Anschluss verbunden wird. Der Widerstand und somit der Strom der Drain-Source-Strecke wird durch die Spannung zwischen Gate und Source und das dadurch entstehende elektrische Feld gesteuert. Die Steuerung ist im statischen Fall fast stromlos. Der gesteuerte Strom im Drain-Source-Kanal kann, im Gegensatz zum Kollektorstrom von Bipolartransistoren, in beiden Richtungen fließen. Die Klasse der Feldeffekttransistoren unterteilt sich in Sperrschicht-FETs (JFETs) und in die FETs, die mit einem durch einen Isolator getrennten Gate (MISFET, MOSFET) versehen sind. Unterschieden wird bei Feldeffekttransistoren darüber hinaus je nach Dotierung des Halbleiters zwischen n- und p-FETs, die sich bei den MOSFETs weiter in selbstleitende und selbstsperrende Typen aufteilen. Bei den Unipolartransistoren ist immer nur eine Ladungsträgerart, negativ geladene Elektronen oder positiv geladene Defektelektronen, am Ladungsträgertransport durch den Transistor beteiligt. Sperrschicht-Feldeffekttransistor Bei Sperrschicht-FETs (engl. , JFET) wird die elektrisch isolierende Schicht zum Gate durch eine in Sperrrichtung betriebene Diode und deren unterschiedlich große Raumladungszone gebildet. Sperrschicht-FETs sind in der Grundform immer selbstleitende Transistoren: Ohne Spannung am Gate sind sie zwischen Source und Drain leitend. Durch das Anlegen einer Gate-Spannung geeigneter Polarität wird die Leitfähigkeit zwischen Source und Drain reduziert. Es gibt allerdings auch spezielle Varianten, die ohne Gate-Spannung keinen Source-Drain-Strom aufweisen (selbstsperrende JFET, engl. ). Auch JFETs gibt es in zwei Arten: n-Kanal und p-Kanal. Im Schaltsymbol wird bei einem n-Kanal der Pfeil zu dem Transistor gezeichnet und auf dem Gate-Anschluss eingezeichnet, wie in nebenstehender Abbildung dargestellt. Beim p-Kanal-Typ ist die Pfeilrichtung umgekehrt. Sperrschicht-FETs finden wegen der etwas komplizierteren Ansteuerung nur in speziellen Anwendungen, wie beispielsweise Mikrofonverstärkern, Anwendung. Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor Der Überbegriff MISFET leitet sich von der englischen Bezeichnung (Metall-Isolator-Halbleiter-Feldeffekttransistor) ab. Sie stellen die andere große Gruppe, die Feldeffekttransistoren mit einem durch einen Isolator getrennten Gate (engl.: , IGFET), dar. Aus historischen Gründen wird statt MISFET oder IGFET meist die Bezeichnung MOSFET synonym verwendet. MOSFET steht für englisch (Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor) und geht auf die Ursprünge der Halbleitertechnik zurück; damals wurde als Gate-Material Aluminium und als Isolator Siliziumdioxid verwendet. Wie der Name schon andeutet, wird ein MOSFET vor allem durch den Aufbau des Gate-Schichtstapels definiert. Dabei ist ein „metallisches“ Gate durch ein Oxid (Isolator) vom stromführenden Kanal (Halbleiter) zwischen Source und Drain elektrisch isoliert. Mit Technologiestand im Jahr 2008 wurde vornehmlich hochdotiertes Polysilizium als Gate-Material eingesetzt, womit die Bezeichnung MISFET bzw. MOSFET nicht korrekt ist. In Verbindung mit dem Substratmaterial Silizium bietet sich Siliziumdioxid als Isolationsmaterial an, da es sich technologisch einfach in den Herstellungsprozess integrieren lässt und gute elektrische Eigenschaften aufweist. Eine Ausnahme stellt die High-k+Metal-Gate-Technik dar, bei der ein metallisches Gate in Verbindung mit High-k-Materialien aus Metalloxiden eingesetzt wird. Ein Vorteil der MOSFET-Technik ist, dass durch den Einsatz eines Isolators im Betrieb keine Raumladungszone als Trennschicht, wie beim Sperrschicht-FET mit entsprechender Ansteuerungspolarität, gebildet werden muss. Der Gate-Anschluss kann somit in bestimmten Bereichen mit sowohl positiven als auch negativen Spannungen gegen den Source-Anschluss beaufschlagt werden. Je nach Dotierung des Grundmaterials lassen sich sowohl n- als auch p-Kanal-MOSFETs herstellen. Diese können auch in Form selbstleitender oder selbstsperrender Typen im Rahmen der Herstellungsprozesse konfiguriert werden. Die Schaltsymbole umfassen damit vier mögliche Variationen wie in nebenstehender Abbildung dargestellt. Dabei ist erkennbar, dass die selbstleitenden MOSFETs, auch als Verarmungstyp bezeichnet, eine durchgezogene Linie zwischen den Anschlüssen Drain und Source aufweisen. Diese Linie ist bei den selbstsperrenden Typen, auch als Anreicherungstyp bezeichnet, unterbrochen. Der Pfeil wird bei diesen Transistoren am Bulk-Anschluss eingezeichnet und bei einem n-Kanal-Typ zu dem Transistorsymbol orientiert, bei einem p-Kanal vom Transistor weg gezeichnet. Der Bulk-Anschluss ist oft fest mit dem Source-Anschluss direkt am Halbleiter verbunden. Wegen der größeren Vielfalt und der leichteren elektrischen Steuerbarkeit sind MOSFETs die heute mit großem Abstand am meisten produzierten Transistoren. Möglich wurde dies vor allem durch die CMOS-Technologie, bei der n- und p-MOSFETs kombiniert werden. Erst der Einsatz dieser Technologie erlaubte die Realisierung hochkomplexer, integrierter Schaltungen mit einer deutlich reduzierten Leistungsaufnahme, die mit anderen Transistortypen nicht möglich wäre. Spezielle Transistortypen Neben den Transistorgrundtypen gibt es einige weitere Varianten für spezielle Anwendungsbereiche wie den Bipolartransistor mit isolierter Gateelektrode, abgekürzt IGBT. Diese Transistoren finden seit Ende der 1990er Jahre vor allem in der Leistungselektronik Anwendung und stellen eine Kombination aus MOS- und Bipolartechnologie in einem gemeinsamen Gehäuse dar. Da diese Leistungstransistoren Sperrspannungen bis zu 6 kV aufweisen und Ströme bis zu 3 kA schalten können, ersetzen sie in der Leistungselektronik zunehmend Thyristoren. Fototransistoren sind optisch empfindliche bipolare Transistoren, wie sie unter anderem in Optokopplern Verwendung finden. Die Steuerung dieser Transistoren erfolgt nicht durch einen kleinen Basis-Emitter-Strom – mitunter wird der Basisanschluss auch weggelassen –, sondern ausschließlich durch den Einfall von Licht (beispielsweise angewendet in Lichtschranken). Licht hat in der Raumladungszone des p-n-Überganges des Bipolartransistors eine ähnliche Wirkung wie der Basisstrom, der normalerweise an der Basis(B), auf engl. Gate(G), geschaltet wird. Deswegen sollten herkömmliche Transistoren, bei denen dieser Effekt unerwünscht ist, in einem lichtundurchlässigen Gehäuse untergebracht sein. Ein heute kaum noch verwendeter Transistor ist der Unijunctiontransistor, abgekürzt UJT. Er ähnelt in seiner Funktion eher Thyristoren bzw. den Diacs, wird historisch aber zu den Transistoren gezählt. Seine Funktion, beispielsweise in Sägezahngeneratoren, wird heute großteils durch integrierte Schaltungen realisiert. In manchen Flüssigkristallbildschirmen, den meist farbfähigen TFT-Displays, kommen pro Pixel im aktiven Bildbereich bis zu drei Dünnschichttransistoren (engl. , TFT) zu Anwendung. Diese Feldeffekttransistoren sind praktisch durchsichtig. Sie werden zur Ansteuerung der einzelnen Pixel verwendet und ermöglichen im Vergleich zu den transistorlosen, farbfähigen LC-Displays einen höheren Kontrast. Je nach Größe des TFT-Display können pro Bildschirm bis zu einigen Millionen Dünnfilmtransistoren eingesetzt werden. In elektrisch programmierbaren Festwertspeichern wie EPROMs und EEPROMs finden spezielle MOSFET mit einem sogenannten Floating Gate als primäres Speicherelement Anwendung. Durch die im Floating Gate gespeicherte elektrische Ladung ist der Transistor permanent ein- bzw. ausgeschaltet und kann den Informationsgehalt eines Bits speichern. Das Beschreiben, und bei einigen Typen auch das Löschen, wird mittels des quantenmechanischen Tunneleffektes ermöglicht. In integrierten Schaltungen werden weitere spezielle Formen wie der Multiemitter-Transistor eingesetzt, der bei Logikgattern in der Transistor-Transistor-Logik die eigentliche logische Verknüpfung der Eingangssignale durchführt. Bauformen Im Laufe der Geschichte der Mikroelektronik wurde – im Hinblick auf den funktionalen inneren Aufbau – eine Vielzahl von Transistorbauformen entwickelt, die sich vor allem in der Herstellung der pn-Übergänge und der Anordnung der dotierten Bereiche unterscheiden. Der erste praktisch realisierte Transistor war 1947 der Spitzentransistor. Darauf folgten zahlreiche Versuche, die Herstellung einfacher und somit auch günstiger zu machen. Wichtige Bauformen bipolarer Einzel-Transistoren sind: der gezogene Transistor, der Legierungstransistor, der Drifttransistor, der Diffusionstransistor, der diffundiert-legierte Mesatransistor, der Epitaxialtransistor und der Overlay-Transistor. Die wohl wichtigste Bauform ist jedoch der 1960 von Jean Hoerni entwickelte Planartransistor, der sowohl einen wirksamen Schutz des sensiblen pn-Übergangs als auch eine parallele Massenfertigung auf einem Substrat (Wafer) erlaubte – was die Entwicklung von integrierten Schaltkreisen (ICs) wesentlich beeinflusste. Für u. a. Differenzverstärker ist es wichtig, dass deren beide Eingangstransistoren möglichst isotherm betrieben werden. Unter anderem dafür werden Doppeltransistoren hergestellt, zwei Transistoren in einem Gehäuse. Auf dem nebenstehenden Bild deutlich erkennbar sind die einzelnen Transistoren auf einem kleinen Messingplättchen, die wiederum auf einem keramischen und elektrisch isolierenden Bock liegen. Moderne Typen in SO-Gehäusen basieren teilweise auf zwei Transistoren auf einem Die, auch gibt es integrierte Transistorarrays (z. B. CA 3086) oder vollkommen integrierte Differenzverstärker in Form von Operationsverstärkern und Komparatoren. Die erst später praktisch realisierten Feldeffekttransistoren können in ähnlich vielen Bauformen realisiert werden. Die wichtigsten Formen sind der planare Metall-Oxid-Halbleiter-Feldeffekttransistor, der Nanodrahttransistor sowie der FinFET. Ging es in der Anfangsphase der Mikroelektronik noch darum, überhaupt funktionsfähige Transistoren mit guten elektrischen Eigenschaften herzustellen, so wurden später zunehmend Bauformen für spezielle Anwendungen und Anforderungen entwickelt, beispielsweise Hochfrequenz-, Leistungs- und Hochspannungstransistoren. Diese Unterteilung gilt sowohl für Bipolar- als auch für Feldeffekttransistoren. Für einige Anwendungen wurden auch spezielle Transistortypen entwickelt, die typische Eigenschaften der beiden Haupttypen vereinen, z. B. der Bipolartransistor mit isolierter Gate-Elektrode (IGBT). Werkstoffe Bipolare Transistoren wurden in der Anfangszeit aus dem Halbleiter Germanium gefertigt, während heute überwiegend der Halbleiter Silizium sowohl bei Feldeffekttransistoren als auch Bipolartransistoren verwendet wird. Der schrittweise Ersatz des Germaniums durch Silizium im Laufe der 1960er und 1970er Jahre geschah unter anderem aus folgenden Gründen (vgl. Thermische Oxidation von Silizium): Silizium besitzt ein stabiles, nichtleitendes Oxid (Siliziumdioxid), hingegen ist Germaniumoxid wasserlöslich, was unter anderem die Reinigung komplizierter macht. Siliziumdioxid eignet sich zur Oberflächenpassivierung der Halbleiter, wodurch die Umgebung (Verschmutzungen, Oberflächenladungen usw.) die elektrischen Eigenschaften der Bauelemente deutlich weniger beeinflussten und somit reproduzierbarer wurden. Mit der thermischen Oxidation von Silizium existierte ein einfacher Herstellungsprozess von Siliziumdioxid auf einkristallinem Silizium. Die dabei entstehende Silizium-Siliziumdioxid-Grenzfläche zeigt eine geringe Anzahl an Grenzflächenladungen, was unter anderem die praktische Umsetzung von Feldeffekttransistoren mit isoliertem Gate ermöglichte. Silizium ist genauso wie Germanium ein Elementhalbleiter. Bei Silizium ist die Gewinnung und Handhabung einfacher als bei Germanium. Für Spezialanwendungen werden weitere Materialien eingesetzt. So besitzen einige Verbindungshalbleiter wie das giftige Galliumarsenid bessere Eigenschaften für hochfrequente Anwendungen, sind aber teurer zu fertigen und benötigen andere Fertigungseinrichtungen. Um diese praktischen Nachteile des Galliumarsenids zu umgehen, existieren verschiedene Halbleiterkombinationen wie Siliziumgermanium, die für höhere Frequenzen verwendbar sind. Für Hochtemperaturanwendungen kommen für die Herstellung von Transistoren spezielle Halbleitermaterialien wie Siliziumcarbid (SiC) zur Anwendung. Diese Transistoren können beispielsweise direkt an einem Verbrennungsmotor bei Temperaturen bis zu 600 °C eingesetzt werden. Bei siliziumbasierenden Halbleitern liegt die maximale Betriebstemperatur im Bereich von 150 °C. Anwendungsbereiche Transistoren werden heutzutage in nahezu allen elektronischen Schaltungen verwendet. Der Einsatz als einzelnes (diskretes) Bauelement spielt dabei eine nebensächliche Rolle. Sogar in der Leistungselektronik werden zunehmend mehrere Transistoren auf einem Substrat gefertigt; dies geschieht hauptsächlich aus Kostengründen. Eine ältere Typisierung von Transistoren erfolgte nach den Einsatzgebieten: Kleinsignaltransistoren – einfache, ungekühlte Transistoren für analoge NF-Technik für Leistungen bis ca. 1 W Leistungstransistoren – robuste, kühlbare Transistoren für Leistungen oberhalb 1 W Hochfrequenztransistoren – Transistoren für Frequenzen oberhalb 100 kHz, bei Frequenzen jenseits der 100 MHz wird auch die äußere Gestaltung beispielsweise in Streifenleitertechnik ausgeführt Schalttransistoren – Transistoren mit günstigem Verhältnis von Durchlass- zu Sperrstrom, bei denen die Kennlinie nicht besonders linear zu sein braucht, in Varianten für kleine und für große Leistungen. Bipolare Transistoren im Kleinleistungsbereich mit integrierten Vorschaltwiderständen werden auch als Digitaltransistor bezeichnet. Differenziert wird inzwischen noch mehr nach dem Anwendungsgebiet. Die Maßstäbe haben sich ebenfalls verschoben, die Grenze von 100 kHz für HF-Transistoren würde heute ca. um den Faktor 1000 höher angesetzt werden. Digitale Schaltungstechnik Ausgehend von der Zahl der gefertigten Bauelemente ist das Hauptanwendungsgebiet der Transistoren in der Digitaltechnik der Einsatz in integrierten Schaltungen, wie beispielsweise RAM-Speichern, Flash-Speichern, Mikrocontrollern, Mikroprozessoren und Logikgattern. Dabei befinden sich in hochintegrierten Schaltungen über eine Milliarde Transistoren auf einem Substrat, das meistens aus Silizium besteht und eine Fläche von einigen Quadratmillimetern aufweist. Der im Jahr 2009 noch exponentielle Anstieg der Transistorenanzahl pro Fläche in integrierten Schaltkreisen wird auch als Mooresches Gesetz bezeichnet. Jeder dieser Transistoren wird dabei als eine Art elektronischer Schalter eingesetzt, um einen Teilstrom in der Schaltung ein- oder auszuschalten. Mit dieser immer höheren Transistoranzahl je Chip wird dessen Speicherkapazität größer oder seine Funktionsvielfalt, indem bei modernen Mikroprozessoren beispielsweise immer mehr Aktivitäten in mehreren Prozessorkernen parallel abgearbeitet werden können. Alles dies steigert in erster Linie die Arbeitsgeschwindigkeit; weil die einzelnen Transistoren innerhalb der Chips dabei aber auch immer kleiner werden, sinkt auch deren jeweiliger Energieverbrauch, so dass die Chips insgesamt auch immer energiesparender (bezogen auf die Arbeitsleistung) werden. Die Größe der Transistoren (Gate-Länge) bei hochintegrierten Chips beträgt im Jahr 2009 oft nur noch wenige Nanometer. So beträgt beispielsweise die Gate-Länge der Prozessoren, die in der sogenannten 45-nm-Technik gefertigt wurden, nur rund 21 nm; Die 45 nm bei der 45-nm-Technik beziehen sich auf die Größe der kleinsten lithographisch fertigbaren Struktur, die sogenannte , was in der Regel der unterste Metallkontakt mit den Drain-Source-Gebieten ist. Die Halbleiterunternehmen treiben diese Verkleinerung voran; so stellte Intel im Dezember 2009 die neuen 32-nm-Testchips vor. Neben dem Bereich der Mikroprozessoren und Speicher sind an der Spitze der immer kleineren Strukturgrößen auch Grafikprozessoren und Field Programmable Gate Arrays (FPGAs). In nachfolgender Tabelle ist beispielhaft die Anzahl der auf einigen verschiedenen Mikrochips eingesetzten Transistoren und Technologieknoten angegeben: Analoge Schaltungstechnik In der analogen Schaltungstechnik finden sowohl Bipolartransistoren als auch Feldeffekttransistoren in Schaltungen wie dem Operationsverstärker, Signalgeneratoren oder als hochgenaue Referenzspannungsquelle Anwendung. Als Schnittstelle zu digitalen Anwendungen fungieren Analog-Digital-Umsetzer und Digital-Analog-Umsetzer. Die Schaltungen sind dabei im Umfang wesentlich kleiner. Die Anzahl der Transistoren pro Chip bewegen sich im Bereich von einigen 100 bis zu einigen 10.000 Transistoren. In Transistorschaltungen zur Signalverarbeitung wie Vorverstärker ist das Rauschen eine wesentliche Störgröße. Es spielt dabei vor allem das thermische Rauschen, das Schrotrauschen sowie das 1/f-Rauschen eine Rolle. Bei dem MOS-Feldeffekttransistor ist das 1/f-Rauschen bereits unter ca. 1 MHz besonders groß. Das unterschiedliche Rauschverhalten bestimmt ebenfalls die möglichen Einsatzbereiche der Transistortypen, beispielsweise in Niederfrequenzverstärkern oder in speziellen rauscharmen Hochfrequenzumsetzern. In der analogen Schaltungstechnik werden auch heute noch diskrete Transistoren unterschiedlichen Typs eingesetzt und mit anderen elektronischen Bauelementen auf Leiterplatten verbunden, so es für diese Anforderungen noch keine fertigen integrierten Schaltungen bzw. Schaltungsteile gibt. Ein weiterer Einsatzbereich für den Einsatz diskreter Transistorschaltungen liegt im qualitativ höheren Segment der Audiotechnik. Leistungselektronik Transistoren werden in unterschiedlichen Bereichen der Leistungselektronik eingesetzt. Im Bereich von Leistungsverstärkern finden sie sich in Endstufen. Im Bereich der geregelten Stromversorgungen wie bei Schaltnetzteilen finden Leistungs-MOSFETs oder IGBTs Anwendung – sie werden dort als Wechselrichter und synchroner Gleichrichter verwendet. IGBT und Leistungs-MOSFETs dringen zunehmend in Bereiche vor, die bisher größeren Thyristoren vorbehalten waren, bspw. in Wechselrichtern oder Motorsteuerungen. Der Vorteil der Leistungstransistoren gegenüber Thyristoren ist die Möglichkeit, Transistoren jederzeit ein- oder ausschalten zu können. Herkömmliche Thyristoren können zwar jederzeit eingeschaltet (gezündet) werden, aber nicht bzw. nur mit zusätzlichem Schaltungsaufwand wieder ausgeschaltet werden. Ein Umstand, der vor allem bei Gleichspannungsanwendungen von Nachteil ist. Aufgrund der in der Leistungselektronik auftretenden Verlustleistungen kommen meist größere Transistorgehäuse wie TO-220 oder TO-3 zur Anwendung, die zusätzlich eine gute thermische Verbindung zu Kühlkörpern ermöglichen. Gehäuse und Aussehen Transistoren haben normalerweise drei Anschlüsse, die als Drähte, Stifte, Bleche typisch nur an einer Seite des Gehäuses parallel herausgeführt werden. Die Lötflächen an SMD-Gehäusen liegen jedoch zumindest an zwei Seiten der Kontur. Insbesondere bei Leistungstransistoren, die fest mit einer Kühlfläche verschraubt werden, kommt es vor, dass der zu verschraubende Metallteil auch einen der drei Transitorenpole elektrisch herausführt, sodass nur zwei (weitere) Pole als Stifte o. Ä. zu finden sind. Kommen hingegen vier Drähte aus dem Gehäuse, kann einer die Funktion „S“ Schirm/Abschirmung haben. Enthält ein Gehäuse mehrere Transistoren, können – vgl. Darlingtontransistor – entsprechend viele Kontakte herausführen. Es gibt individuell ausgesuchte Paare von Exemplaren mit möglichst ähnlichen Eigenschaften zum Einbau in entsprechend anspruchsvolle Schaltungen. Zudem gibt es sogenannte Komplementär-Paare (Typen) mit ähnlichen Eigenschaften, jedoch vertauschter Polarität, also ein npn- und ein pnp-Typ. Der im Inneren unter Umständen filigrane Aufbau des Bauteils wird von einem vergleichsweise robusten Gehäuse gehaltert und zugleich umschlossen. Aufgaben des Gehäuses und der Zuleitungen im Allgemeinen: Möglichst dichtes Abschließen: Gasdicht gegen Zutritt von Sauerstoff und anderen chemisch-physikalischen Reagentien, um eine möglichst inerte und saubere Umgebung für die hochreinen Halbleitersubstanzen zu schaffen. Halbleiter können auch mit Isolierschichten beschichtet sein. Lichtdicht Abschirmen gegen ionisierende Strahlung (besonders bedeutsam bei Höhenflug, Raumfahrt, radioaktiv heißer Umgebung) Elektrische und magnetische (Wechsel-)felder Geringer Wärmeflusswiderstand für die im Halbleiter (und seinen Zuleitungen) im Betrieb produzierte Wärme hin zum Kühlkörper als Wärmesenke. Gehäuse sind typisch mit Silikon-Wärmeleitpaste gefüllt. Seitliche Ableitung von über die elektrischen Kontakte während eines Lötvorgangs ankommende Wärme. Kleine Germaniumtransistoren sind mitunter mit dünnen Anschlussdrähten aus Eisen ausgestattet, die Wärme – aber auch elektrischen Strom – schlechter leiten als Kupfer. Durchleitung elektrischer Ströme unter geringem Spannungsabfall und geringer Wärmeerzeugung (Joulsche Wärme). Im Sonderfall des Fototransistors als Sensor soll Licht in den Halbleiter selbst eindringen können. Materialien der Gehäuseschale: Glas, geblasen, schwarz lackiert Alublech, tiefgezogen Bleche aus Kupferwerkstoffen (dünne Kuppel über dicker, gelochter Platte), galvanisiert, verlötet oder verschweißt Duroplast Einbettung der Kontakte: Glas Klebstoff Duroplast Keramik Literatur Alfred Kirpal: Die Entwicklung der Transistorelektronik. Aspekte einer militärischen und zivilen Technik. In: Technikgeschichte. Band 59, Heft, 1992, S. 353–369. Weblinks Einzelnachweise Kofferwort Technikgeschichte (20. Jahrhundert)
Q5339
250.285603
1866
https://de.wikipedia.org/wiki/Gibraltar
Gibraltar
Gibraltar (deutsch [ɡiˈbʁaltaʁ], [], []) ist ein britisches Überseegebiet an der Südspitze der Iberischen Halbinsel. Es steht nach dem spanischen Erbfolgekrieg seit 1704 unter der Souveränität des Königreichs Großbritannien bzw. des Vereinigten Königreichs und wurde 1713 von Spanien offiziell im Frieden von Utrecht abgetreten, wird jedoch seitdem von Spanien beansprucht. Geographie Gibraltar ist eine Halbinsel, die die Bucht von Algeciras östlich begrenzt, und liegt an der Nordseite der Straße von Gibraltar, an der Europa und Afrika sich am nächsten sind. Das Territorium umfasst eine Landfläche von 6,5 km², wobei die Grenze zwischen Gibraltar und Spanien nur 1,2 Kilometer lang ist. Auf der spanischen Seite der Grenze liegt die Stadt La Línea de la Concepción. Die von Gibraltar beanspruchte Meeresfläche reicht bis zu drei Seemeilen vor die Küste. Geologie Gibraltar besteht aus einem flachen, größtenteils sandigen Gebiet und dem Felsen von Gibraltar. Der an der Ostseite spektakulär steil aus dem Meer aufragende Kalksteinfelsen (engl. Upper Rock, span. Peñón) fällt schon von weitem über der Bucht von Algeciras ins Auge. Er ist von Nord nach Süd etwa 4 Kilometer lang und bis zu 1,2 Kilometer breit. Die Spitze des Felsens erreicht eine Höhe von 426 m. Er besteht hauptsächlich aus dem im Jura gebildeten Kalkstein und ist damit älter als die benachbarten südspanischen Felsen. Der flache Teil Gibraltars konnte durch Landgewinnung etwas vergrößert werden. Das Material stammt zum großen Teil aus dem Inneren des Felsens, wo es beim Bau der insgesamt etwa 50 Kilometer Tunnel anfiel. Neben den künstlichen Hohlräumen besitzt der Felsen eine ganze Reihe von natürlich entstandenen Höhlen. Klima Das Wetter in Gibraltar wird wesentlich durch den Levante (Ostwind) und den Poniente (Westwind) bestimmt. Diese lokalen Winde entstehen durch das Atlas-Gebirge im Süden und die Sierra Nevada im Norden. Boden und Flächennutzung Gibraltar gliedert sich in das Naturschutzgebiet Upper Rock, das Stadtgebiet, die Ostseite und den zu Gibraltar gehörenden Teil des Mittelmeeres, insbesondere der Bucht von Gibraltar. Das Naturschutzgebiet wurde am 1. April 1993 gegründet und ist gegen Gebühr zu besichtigen. Die Stadt Gibraltar erstreckt sich auf dem schmalen Streifen der Westseite, auf der der Felsen flacher zum Meer abfällt. Während die Westseite stark bevölkert ist, leben auf der Ostseite nur wenige Menschen in den beiden Dörfern Catalan Bay und Sandy Bay. Im Norden der Halbinsel befinden sich an der Grenze zu Spanien der Flughafen, einige militärische Einrichtungen und ein Friedhof für Gefallene aus den Weltkriegen. Im Nordwesten ist ein modernes, mit Hochhäusern bebautes Viertel entstanden, in dem auch eine Marina und Terminals für Fähren gebaut wurden. Südlich davon findet sich am Ufer der Militärhafen und ein Industriegebiet, in dem zum Beispiel einige Trockendocks vorzufinden sind. Das touristische Zentrum im Westen ist die Main Street und die umliegenden Straßen und Plätze, die teilweise autofrei sind. Da es keine natürlichen Süßwasservorkommen gibt, wurde lange Zeit Regenwasser aufgefangen und, wo möglich, Salzwasser verwendet. So entstand beispielsweise 1908 ein 130.000 m² großes Auffangbecken für Regenwasser auf der Ostseite der Halbinsel, das allerdings inzwischen abgebaut wurde. Heute wird das benötigte Süßwasser durch Meerwasserentsalzung produziert. Fauna und Flora Neben dem Naturschutzgebiet Upper Rock ist auch das gesamte Meeresgebiet von Gibraltar seit dem 1. Januar 1996 unter Schutz gestellt. Gibraltar ist der einzige Ort in Europa, an dem Affen (Tierart: Berberaffe oder Magot, Macaca silvanus) freilebend vorkommen. Deswegen nennt man Gibraltar auch den „Affenfelsen“. Die Affen werden zwar allgemein als freilebend bezeichnet, führen aber eher eine Existenz nach Art eines Lebens im Wildpark, bei dem sie regelmäßig von Menschen gefüttert werden. Sehenswürdigkeiten Der Fels von Gibraltar mit dessen Aussichtspunkten Die Berberaffen: Die Herkunft dieser Tiere ist nicht genau geklärt, wahrscheinlich wurden sie irgendwann aus Marokko von Menschen eingeführt. Allerdings waren Berberaffen früher auch in Süd- und Mitteleuropa heimisch, die Affen von Gibraltar könnten also auch von europäischen Vorfahren abstammen. Eine Legende besagt, dass die britische Herrschaft in Gibraltar beendet sei, sobald der letzte Affe den Felsen verlassen hätte. Hintergrund dieser Legende ist eine Geschichte aus der Zeit der Belagerung Gibraltars von 1779 bis 1783 (während des Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges): Damals sollen die Engländer von den Tieren vor einem Nachtangriff der Spanier und Franzosen gewarnt worden sein. Der britische Premierminister Winston Churchill ließ Berberaffen aus Marokko importieren, um den vermutlich wegen Inzucht kränkelnden Affenstamm wieder zu stärken, und hatte damit Erfolg. Die Tropfsteinhöhle St. Michael’s Cave Die Gorham-Höhle mit Neandertaler-Funden. Die in den Felsen geschlagenen Verteidigungsanlagen der Belagerung von 1779 bis 1783 (Great Siege Tunnels) Die Tunnelanlage und Geschützstellungen aus dem Zweiten Weltkrieg. Die „Main Street“ zum Einkauf weitgehend steuerfreien Alkohols und preisgünstiger Tabakwaren; an der Straße die römisch-katholische Kathedrale von Gibraltar Im Süden der Stadt liegt der kleine Trafalgar-Friedhof An der Südspitze des Felsens, dem Europa Point – die Südspitze der iberischen Halbinsel befindet sich allerdings nicht hier, sondern rund 25 km südwestlich (→ Punta de Tarifa) –, stehen der 1841 eröffnete Leuchtturm von Gibraltar (Gibraltar Trinity Lighthouse) und das Heiligtum Unserer Lieben Frau von Europa. In den 1990er-Jahren wurde hier die Ibrahim-al-Ibrahim-Moschee, eine der größten Moscheen in einem nichtislamischen Land, errichtet. Vier orthodoxe Synagogen, davon eine mit Glocke. das Gibraltar North Mole Lighthouse Demografie Gibraltar ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde. 32.577 Personen wohnen in Gibraltar. Die Bevölkerungsdichte beträgt 5012 Einwohner pro Quadratkilometer (2012), die unbesiedelten Gebiete von Upper Rock mitgerechnet. Mittels Landgewinnung wird versucht, der Platznot Herr zu werden. Überalterung ist seit den 1990er-Jahren ein immer größer werdendes Problem. Die Lebenserwartung der Bewohner liegt bei 78,5 Jahren für Männer, und 83,3 Jahren für Frauen. Die Geburtenrate liegt bei jährlich 10,67 Geburten pro 1000 Einwohner. Auf eine Frau kommen im Schnitt 1,65 Neugeborene. Die Kindersterblichkeit liegt bei 0,483 %. Das Bevölkerungswachstum ist mit 0,11 % pro Jahr sehr niedrig. Bevölkerungsentwicklung Ethnien Die meisten Einwohner Gibraltars sind britischer, spanischer, italienischer oder portugiesischer Herkunft. Alle Gibraltarer haben einen britischen Pass. Die Ausländerbehörde stellt Einwanderern zusätzlich zu ihrer alten Staatsbürgerschaft einen britischen Pass für Gibraltar aus. Gemäß einer Analyse der Familiennamen im Wählerregister von 1995 waren 27 % britischer, 26 % spanischer (meist andalusischer, jedoch 2 % menorquinischer), 19 % italienischer, 11 % portugiesischer, 8 % maltesischer, 3 % israelischer Herkunft. Weitere 4 % kamen aus anderen Staaten, während bei 2 % die Herkunft nicht eruierbar war. Religion Der Großteil der Bevölkerung ist mit über 78 Prozent katholisch. Das Gebiet Gibraltars bildet das Bistum Gibraltar; als Nationalheiligtümer werden die Kathedrale St. Mary the Crowned und das Heiligtum Unserer Lieben Frau von Europa angesehen. An zweiter Stelle folgt konfessionell die Anglikanische Kirche mit rund sieben Prozent der Bevölkerung. Die Cathedral of the Holy Trinity ist Bischofskirche der Diözese in Europa der Church of England für ganz Kontinentaleuropa. Für die vier Prozent Muslime steht mit der Ibrahim-al-Ibrahim-Moschee eine der größten Moscheen Europas als Versammlungsraum zur Verfügung. Weiter wohnen in Gibraltar auch Angehörige weiterer christlicher Konfessionen (3 %), Juden (2 %), Hindus (2 %) und Anhänger mehrerer anderer Religionen. Sprachen Einzige Amtssprache Gibraltars ist Englisch, die meisten Einwohner sprechen daneben auch Spanisch. Obgleich nur Englisch offiziellen Charakter besitzt, sind viele Verkehrs-, Straßen- und Hinweisschilder zusätzlich in spanischer Sprache beschriftet. Darüber hinaus sprechen viele Einwohner als Umgangssprache Llanito, einen Dialekt, der größtenteils auf andalusischem Spanisch basiert, jedoch auch einige Elemente des Englischen und verschiedener südeuropäischer Sprachen enthält. Geschichte Natürliche Höhlen im Felsen von Gibraltar gelten als die letzten Rückzugsgebiete der Neandertaler in Europa. Gesicherte Spuren weisen auf eine Besiedlung der Gorham-Höhle noch vor etwa 28.000 Jahren hin. Im Altertum galt Gibraltar als eine der Säulen des Herakles. Karthagische und römische Spuren in Gibraltar (lat. Mons Calpe) sind nicht bekannt. Den Römern folgten die Westgoten, die sich der Iberischen Halbinsel bemächtigten. 711 wurde Gibraltar von den muslimischen Arabern und Berbern eingenommen. Der Name Gibraltar stammt aus dem Arabischen ( Dschabal Ṭāriq, „Berg des Tarik“), nach Tāriq ibn Ziyād, einem maurischen Feldherrn, der die strategische Bedeutung Gibraltars für die Eroberung Spaniens erkannte. Um etwa 1160 entstand eine erste Festung in Gibraltar, die in den kommenden Jahrhunderten ausgebaut wurde und heute als Moorish Castle bekannt ist. Die Muslime beherrschten Gibraltar bis zur Reconquista 1462 (von 1309 bis 1333 erstmals kastilisch durch Ferdinand IV.). Am 25. April 1607 fand während des Achtzigjährigen Krieges die Schlacht bei Gibraltar statt. Dabei überraschte eine niederländische Flotte eine in der Bucht von Gibraltar ankernde spanische Flotte und vernichtete sie. Nachdem die spanischen Habsburger die Vorherrschaft in Europa am Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 verloren hatten, kämpften Niederländer und Engländer um die Kontrolle der Ozeane. Dies war die Zeit der vier Englisch-Niederländischen Seekriege, die in der Zeit zwischen 1652 und 1784 stattfanden. So wurde beispielsweise der Zweite Englisch-Niederländische Seekrieg dadurch ausgelöst, dass ein niederländischer Geleitzug im Dezember 1664 in der Straße von Gibraltar von den Engländern überfallen wurde. Zwischen diesen Auseinandersetzungen kam es immer wieder zu Friedensschlüssen und gemeinsamen Aktionen gegen Dritte. Eine dieser gemeinsamen Aktionen war die Eroberung Gibraltars am 4. August 1704 durch Prinz Georg von Hessen-Darmstadt im Spanischen Erbfolgekrieg an Bord der englisch-holländischen Flotte unter Admiral Sir George Rooke. Die spanische Besatzung wurde dabei in Abwandlung militärischer Taktik nicht im Morgengrauen, sondern während der Siesta am Nachmittag überrascht. Die anschließende Belagerung Gibraltars durch Spanien blieb erfolglos. 1713 wurde das Gebiet im Vertrag von Utrecht formell den Briten zugesprochen und ist seit 1830 britische Kronkolonie. Während des Englisch-Spanischen Krieges von 1727–1729 belagerten Truppen von Philipp V. vergeblich Gibraltar. Zwischen 1779 und 1783 versuchten spanische und französische Truppen erneut, die Festung zu erobern (Great Siege). In dieser Zeit wurden die ersten Tunnel, die sogenannten Great Siege Tunnels, gegraben. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Zivilbevölkerung Gibraltars nach Madeira umgesiedelt. In dieser Zeit wurde der Felsen in eine unterirdische Festung für bis zu 15.000 Soldaten umgewandelt. Die Tunnel, die sogenannten World War II Tunnels, können heute in Teilen besichtigt werden. Ziel dieser Befestigung war es, einem möglichen Angriff der deutschen Wehrmacht begegnen zu können. Diese hatte mit einem ersten Operationsentwurf vom 20. August 1940 die Eroberung des Stützpunktes geplant. Das Unternehmen Felix wurde jedoch nie durchgeführt, da Spanien neutral blieb. Bei einem Vergeltungsschlag für die britische Operation Catapult in Mers-el-Kébir bombardierten Luftstreitkräfte des restfranzösischen Vichy-Regimes Gibraltar am 5. Juli 1940. Vor Beginn der anglo-amerikanischen Invasion Französisch-Nordafrikas, der Operation Torch, schlug der US-amerikanische General Dwight D. Eisenhower sein Hauptquartier am 5. November 1942 in Gibraltar auf. Drei Tage später begann die Invasion Marokkos mit 300.000 Soldaten. Letzten Endes blieb Gibraltar der einzige Teil des nichtneutralen westeuropäischen Festlands, der zu keiner Zeit von NS-Deutschland oder seinen Verbündeten besetzt war. Vor Gibraltar kam der Premierminister der polnischen Exilregierung, General Władysław Sikorski, bei einem Flugunfall am 4. Juli 1943 ums Leben. Die Straße von Gibraltar, die das Mittelmeer mit dem Atlantik verbindet, ist für das Militär von großer Bedeutung. Das Vereinigte Königreich unterhält in Gibraltar einen Flottenstützpunkt. Seit langem kommt es zu Spannungen zwischen dem Vereinigten Königreich und Spanien, weil Spanien die Hoheit über Gibraltar wiedererlangen möchte. Die Grenze nach Spanien war von 1969 bis 1985 geschlossen. Seit 1946 steht das Territorium auf der UN-Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung. Bei einem Referendum am 7. November 2002 (Wahlbeteiligung: fast 90 %) stimmten 99 % der Abstimmenden für einen Verbleib unter britischer Herrschaft. Nur 187 Bewohner waren für eine geteilte Souveränität. Am 18. September 2006 schlossen der Außenminister Spaniens und der Europaminister des Vereinigten Königreichs sowie der Chief Minister of Gibraltar Peter Caruana in Córdoba einen Vertrag zur Zusammenarbeit. Darin wird festgelegt, dass ein neues Terminal für den Flughafen Gibraltar gebaut wird, sodass der Flughafen auch von spanischer Seite aus genutzt werden kann. Außenminister Spaniens war damals Miguel Ángel Moratinos (Kabinett Zapatero I), Europaminister des Vereinigten Königreichs war Geoff Hoon (Kabinett Blair III). Ab dem 16. Dezember 2006 gab es (zum ersten Mal seit Jahrzehnten) einen Linienflug von Spanien nach Gibraltar (Näheres hier). Außerdem wurden Regelungen über das Telefonnetz, die Entschädigung von spanischen Arbeitern, die nach der Schließung der Grenze 1969 ihre Arbeit verloren hatten, und eine Erleichterung der Grenzkontrollen auf der Landseite getroffen. Weiterhin soll eine Dépendance des Instituto Cervantes in Gibraltar eröffnet werden. Am 21. Juli 2009 kam Außenminister Moratinos als erster Vertreter der spanischen Regierung seit Beginn der britischen Souveränität über Gibraltar zu einem offiziellen Besuch nach Gibraltar. Politik Verhältnis zum Vereinigten Königreich Gibraltar ist ein Überseeterritorium des Vereinigten Königreichs. Es hat eine eigene Regierung, die die Aufgaben der Selbstverwaltung erfüllt. Sie umfasst alle Bereiche außer Verteidigung, Außenpolitik und innere Sicherheit, die vom Vereinigten Königreich übernommen werden. Staatsoberhaupt ist der britische König; er wird in Gibraltar durch einen Gouverneur repräsentiert. Der Gouverneur ist gleichzeitig der Oberbefehlshaber der Armee und der Polizei. Der amtierende Gouverneur David Steel wurde im Juni 2020 ernannt. Im November 2006 stimmten über 60 Prozent der gibraltarischen Bevölkerung für eine neue Verfassung, die größere Eigenständigkeit vorsieht, insbesondere im Justizwesen. Verhältnis zu Spanien Seit 1704, als die Englische Krone die Herrschaft über die Halbinsel erlangte und im Vertrag von Utrecht 1713 zugesichert bekam, versucht Spanien, die britische Kolonie zurückzuerlangen. Im 18. Jahrhundert wurde dies mit militärischen Mitteln versucht, nämlich in den drei Belagerungen von 1704, 1727 und 1779–1783, allesamt erfolglos. Im 19. Jahrhundert waren weitere militärische Aktionen gegen Großbritannien infolge seiner weltweiten politischen und militärischen Dominanz aussichtslos und unterblieben daher. Obwohl Spanien in den Abkommen von Cartagena (1907) die britische Herrschaft anerkannt und bestätigt hatte, unternahm in den 1950er Jahren der spanische Diktator Francisco Franco neue Versuche, Gibraltar zu annektieren, wobei er auch den Exilpräsidenten Spaniens, Claudio Sánchez Albornoz, auf seiner Seite hatte. Seither fanden mehrere Verhandlungsrunden statt, die aber zu keiner abschließenden Lösung führten. In zwei Volksabstimmungen, in denen Gibraltar über einen Wechsel zu Spanien entschied, wurden die Vorschläge überaus deutlich verworfen: Am 10. September 1967 mit 12.138 zu 44 Stimmen und am 7. November 2002 mit 17.900 zu 187 Stimmen. 2002 war nur über eine gemeinsame britisch-spanische Ausübung der Souveränitätsrechte über Gibraltar abgestimmt worden. Durch verschiedene Repressionen hatte sich Spanien bei den Einwohnern Gibraltars unbeliebt gemacht, darunter die jahrelange komplette Schließung der Grenze (vom 9. Juni 1969 bis zum 4. Februar 1985), auch danach gab es oft lange Wartezeiten am Grenzübergang, Beschränkungen beim Zugang zu Telekommunikationsmitteln oder Versuche, Gibraltars Bevölkerung von der Teilnahme an internationalen Sportanlässen auszuschließen. Zwischen 2009 und 2011 gab es auch kleinere Grenzzwischenfälle in den Hoheitsgewässern. Spanien war zwar zunächst von den Vereinten Nationen in dem Bestreben, die Souveränität über Gibraltar zu erlangen, unterstützt worden, da Gibraltar offiziell noch eine aufzulösende Kolonie ist, nach diesen Abstimmungen stellte Jim Murphy, britischer Minister, aber klar, dass das Vereinigte Königreich nichts ohne die explizite Zustimmung der Gibraltarer tun würde. Außerdem sei der rechtliche Status Gibraltars umstritten und somit auch sein Status als Kolonie. Inzwischen sieht die UNO Gibraltar als ein rein bilaterales Problem zwischen Großbritannien und Spanien an und überlässt es diesen Staaten, eine Lösung zu finden. Trotz der verbesserten Zusammenarbeit zwischen Spanien und dem britischen Überseegebiet herrscht bis in die heutige Zeit Uneinigkeit über die jeweiligen Hoheitsrechte vor der Küste Gibraltars. Spanien erkennt nur eine kleine Zone rund um den Hafen als britisch an und beruft sich dabei auf den Vertrag von Utrecht, das Vereinigte Königreich hingegen beansprucht unter Berufung auf dieselbe Urkunde eine Drei-Meilen-Zone, was wiederholt zu Zusammenstößen zwischen der spanischen Guardia Civil und britischen Patrouillenbooten führte. Am 18. November 2009 beobachtete die Guardia Civil, wie ein Schnellboot der britischen Marine sieben Seemeilen südlich von Gibraltar Schießübungen auf eine Boje mit der spanischen Flagge durchführte; der britische Botschafter Giles Paxman entschuldigte sich wenig später für „mangelndes Urteilsvermögen und fehlende Sensibilität“ der Schiffsbesatzung. Am 7. Dezember 2009 fuhr ein Boot der Guardia Civil bei der Verfolgung mutmaßlicher Drogenschmuggler bis in den Hafen von Gibraltar. Die spanischen Sicherheitskräfte machten dort zwar die zwei Insassen des flüchtenden Schnellbootes dingfest, wurden aber ihrerseits von der Gibraltar Squadron festgenommen. Der spanische Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba entschuldigte sich wenig später bei Gibraltars Chief Minister Peter Caruana für das „nicht korrekte Verhalten“ seiner Beamten. Diese wurden noch am selben Tag wieder auf freien Fuß gesetzt. Ende Juli 2013 ließ die Regierung von Gibraltar 70 je drei Tonnen schwere eisenbewehrte Betonklötze im Meer versenken. Fischer protestierten gegen die Klötze. Premierminister David Cameron bat etwa drei Wochen später in einem Telefongespräch mit EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso „dringend“ um die Entsendung von EU-Beobachtern an die Grenze. Juristisch umstritten ist auch der Verlauf der Landgrenze. De facto bildet der 1909 von Großbritannien errichtete Zaun, der etwa 800 Meter nördlich des Nordhangs des Felsens von Gibraltar verläuft, die Grenze. Dieser Grenzverlauf wird offiziell von Spanien nicht anerkannt, da nach dem Vertrag von Utrecht nur „die Stadt und die Burg von Gibraltar nebst dem zugehörigen Hafen und den zugehörigen Verteidigungsanlagen und Befestigungen“ abgetreten wurden. Das umstrittene Gebiet wird heute zum größten Teil vom Flughafen von Gibraltar eingenommen. Anders als die Frage der Küstengewässer hat die Landgrenze jedoch in den letzten Jahrzehnten keinen Anlass von tatsächlichen Auseinandersetzungen gegeben. Spanischerseits wird die De-facto-Grenze jedoch nicht als „Grenze“, sondern als la verja („der Zaun“) bezeichnet. Im November 2018 drohte die spanische Regierung damit, den EU-Gipfel am 25. November 2018 zu boykottieren. Grund war die Sorge Spaniens, man würde durch die Unterzeichnung des Brexit-Abkommens die Grenzen des Vereinigten Königreichs in ihrem derzeitigen Verlauf festschreiben. Da die spanische Regierung weiterhin auf ihren Gebietsanspruch insistiert, wollte diese es unbedingt vermeiden, einen Anspruch des Vereinigten Königreichs durch das Abkommen zu festigen. Nach diplomatischen Verhandlungen wurde der Vertrag am 24. November 2018 dahingehend konkretisiert, dass das Brexit-Abkommen keinerlei Verpflichtungen hinsichtlich des Geltungsbereichs schaffe. Die künftigen Abkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich müssten nicht zwingend für die im Austrittsabkommen genannten Gebiete gelten. Spanien gab infolgedessen die Bedenken gegen das Abkommen auf. Politisches System Die Bevölkerung Gibraltars wählt das siebzehnköpfige Gibraltar Parliament. Jeder Wähler hat zehn Stimmen. Eine Einteilung in Wahlkreise gibt es nicht. Da eine Personenwahl stattfindet, ist die Vertretung der Parteien nicht notwendigerweise proportional. Derzeit sind drei Parteien im Parlament vertreten. Der von einer Mehrheit unterstützte Kandidat wird vom Gouverneur zum Regierungschef (Chief Minister) ernannt. Außer diesem besteht die Exekutive noch aus dem Finanz- und dem Justizminister. Bei den Parlamentswahlen am 8. Dezember 2011 erhielt die Gibraltar Socialist Labour Party (GSLP) sieben Mandate, die Gibraltar Social Democrats (GSD) des früheren Chief Minister Peter Caruana trotz erheblich höherer Stimmenzahl ebenso nur sieben Sitze. Die Liberal Party of Gibraltar (Libs) ist mit drei Sitzen vertreten und bildet mit der GSLP eine Koalition, sodass die GSD derzeit in der Opposition ist. Die GSLP stellt mit Fabian Picardo den Chief Minister. Alle Parteien sind für Gibraltars Selbstregierung. Sowohl GSD als auch GSLP weigern sich, Vereinbarungen mit Spanien zu treffen, wobei die GSLP traditionell radikaler ist. Bis 2006 trug das Gremium den Namen House of Assembly. Die Namensänderung im Zuge der neuen Verfassung sollte auch das höhere Maß an Selbständigkeit ausdrücken, da House of Assembly ein wiederholt verwendeter Name in britischen Kolonien war. Es hatte auch 17 Mitglieder, aber nur 15 wurden von der Bevölkerung gewählt. Jeder Wähler hatte acht Stimmen, was oft dazu führte, dass die Parteien acht Kandidaten aufstellten mit der Bitte, alle zu wählen. Hierdurch erhielt die stärkste Fraktion in der Regel acht Sitze, die unterlegene Partei sieben Sitze. Verhältnis zur EU Im Gegensatz zu allen anderen Britischen Überseegebieten war Gibraltar bis zum 31. Januar 2020 mit dem Vereinigten Königreich Mitglied der Europäischen Union. Aus Sicht der Europäischen Union sind die Einwohner nicht Staatsangehörige des Vereinigten Königreichs (EuGH C-145/04, 2006). Es gibt einige spezielle Regelungen: Gibraltar ist den freien Warenverkehr betreffend nicht Teil des EU-Binnenmarktes. Das Schengenrecht wird seit dem 1. Januar 2021 angewendet. Die EU-Bestimmungen zur Mehrwertsteuer finden in Gibraltar keine Anwendung. Gibraltar nimmt nicht an der Gemeinsamen Agrarpolitik und der Fischereipolitik teil. Im Jahr 2003 erhielten die Bewohner Gibraltars durch den European Parliament (Representation) Act 2003 das Wahlrecht für das Europäische Parlament, obwohl die Bürger keine Unionsbürger im Sinne des Art. 20 AEUV waren. Dies begründete der EuGH mit der engen Verbindung von Gibraltar zum Vereinigten Königreich. Bei den Europawahlen gehörte Gibraltar zum Europawahl-Wahlkreis South West England, der sieben Vertreter stellte (er bestand aus der Region South West England und Gibraltar). Bei der Europawahl 2004 nutzten 57,5 % der Wahlberechtigten Gibraltars ihr damaliges neues Recht. Damit lag die Wahlbeteiligung 18,6 Prozentpunkte über dem britischen Durchschnitt. Brexit Beim Referendum über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union 2016 stimmten 95,9 % für den Verbleib in der Europäischen Union (19.322 Stimmen), 4,1 % für den Brexit (823 Stimmen) – bei einer Wahlbeteiligung von 83,5 %. Gibraltar war damit der Stimmbezirk mit dem höchsten Stimmanteil für einen Verbleib in der EU. Mitte 2014 schlug José Manuel García-Margallo, damals Außenminister Spaniens im Kabinett Rajoy I, „eine britisch-spanische Ko-Souveränität“ für die Halbinsel vor. Dieser Status solle für einen begrenzten Zeitraum gelten, bis das britische Gebiet an Spanien zurückgegeben werde. In dieser Übergangszeit könnten die Einwohner Gibraltars britische Staatsbürger bleiben und eine besondere Steuerregelung erhalten. Die Idee einer geteilten Souveränität wurde bereits bei Verhandlungen zwischen London und Madrid in den Jahren 2001 und 2002 geprüft. Bei einem Referendum wurde sie von den Bürgern Gibraltars aber abgelehnt. Joseph García, stellvertretender Chefminister Gibraltars, gab an, die Position Gibraltars bezüglich Spaniens habe sich auch nach dem EU-Referendum nicht geändert. Man sehe sich als Briten; die Zukunft Gibraltars liege aber in der EU. Im langfristigen Handels- und Kooperationsabkommen, das die langfristigen Beziehungen zur EU regeln soll, wurde Gibraltar aufgrund seiner besonderen Situation ausgeklammert. Ende 2020, kurz vor dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus dem Europäischen Binnenmarkt, einigten sich Spanien und das Vereinigte Königreich jedoch überraschend darauf, dass Gibraltar zum 1. Januar 2021 dem Schengen-Raum beitritt. Die EU-Außengrenze wird sich dadurch an die Häfen und den internationalen Flughafen Gibraltars verlagern. Spanien ist für die Kontrolle der Außengrenze von Gibraltar verantwortlich. Wirtschaft Die Wirtschaft Gibraltars wird vor allem vom Tourismus bestimmt. 2017 zählte man 7,7 Mio. Ankünfte. Neben vielen Tagestouristen übernachten auch immer mehr Touristen in den zahlreichen Hotels. Daneben tragen das Offshore-Finanzwesen sowie Schiffbau und Schiffsreparatur mit jeweils etwa 25 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. An vierter Stelle steht der Telekommunikationsbereich, der zu etwa 10 Prozent am BIP beteiligt ist. Einen immer größeren Teil der Wirtschaft stellt die wachsende Zahl in Gibraltar angesiedelter internationaler Anbieter von Online-Sportwetten sowie -Casinos dar. Im Haushaltsjahr 2011/2012 betrug das Bruttoinlandsprodukt 1.169,37 Mio. £, das entsprach Mitte 2012 etwa 1,837 Mrd. US$. Im Staatshaushalt wurden seit 2004 regelmäßig Überschüsse erwirtschaftet, die jeweils zwischen 1,1 % und 4,1 % des BIP betrugen. So standen im Haushaltsjahr 2011/2012 Einnahmen von 454,6 Mio. £ lediglich Ausgaben von 420,3 Mio. £ gegenüber, was einem Haushaltsüberschuss von 2,93 % des BIP entsprach. Das Gibraltar-Pfund ist formal eine eigene Währung, ist aber in einem Verhältnis von 1:1 fest an das britische Pfund gebunden. Deswegen wird auch oft mit britischen Pfund bezahlt und weniger mit dem Euro. In einer Rangliste der wichtigsten Finanzzentren weltweit belegte Gibraltar den 66. Platz (Stand: 2018). Postwesen Für Postdienstleistungen war in Gibraltar ab 1886 das „Gibraltar Post Office“ zuständig. Im Jahre 2005 wurde ihm von der britischen Königin Elisabeth II. der Titel „Royal“ verliehen, sodass das Postwesen in Gibraltar nun in der Hand des „Royal Gibraltar Post Office“ liegt. Damit ist die Postgesellschaft von Gibraltar das einzige Postunternehmen außerhalb des britischen Mutterlandes, dem der Titel „Royal“ zuerkannt wurde. Das Royal Gibraltar Post Office gibt eigene Briefmarken heraus, deren Nominalwerte in Gibraltar-Pfund (GIP) ausgewiesen werden. Aufgrund der geographischen Limitierung sind die Briefmarken des „Royal Gibraltar Post Office“ bei Touristen und Sammlern sehr beliebt. Die Briefmarken weisen häufig das Motiv der britischen Königin Elisabeth II. auf. Postsendungen von Gibraltar in das Ausland (Ausnahme Spanien) werden zunächst nach London geflogen und von dort aus in ihre Bestimmungsstaaten weitertransportiert. Postsendungen für Spanien werden hingegen an der Landesgrenze der spanischen Post übergeben. Die gleiche Vorgehensweise gilt ebenfalls in umgekehrter Richtung für Postsendungen aus dem Ausland nach Gibraltar. Das Hauptpostamt ist in der Main-Street 104 zu finden. Verkehr Gibraltar verfügt über einen eigenen Flughafen, den Flughafen Gibraltar. Es handelte sich bis zum 31. März 2023 um den weltweit einzigen Flughafen, dessen Landebahn eine (vierspurige) Straße höhengleich kreuzte. Seither wird der Straßenverkehr im Kingsway Tunnel unter der Start- bzw. Landebahn geführt. Gibraltar ist ein sehr bedeutender Nachschubplatz für Schiffsdiesel im Mittelmeer. Im Jahre 2005 liefen 6662 hochseetaugliche Schiffe den Hafen an, 90 % von ihnen zum Tanken. In Gibraltar verkehren insgesamt neun Buslinien (Linien 1 bis 4 und 7 bis 9, betrieben durch die Gibraltar Bus Company, sowie die Linien 5 und 10, betrieben durch Calypso Transport). Die Beförderung auf den Linien der Gibraltar Bus Company ist kostenfrei für Inhaber bestimmter Ausweise, andere zahlen 2,50 Gibraltar-Pfund bzw. 3,30 Euro für ein Tagesticket. Auf den Linien von Calypso Transport kostet ein Tagesticket 6 Gibraltar-Pfund bzw. 9 Euro, Einzelfahrten kosten 1,40 Gibraltar-Pfund bzw. 2,10 Euro. In Gibraltar gilt wegen der geringen Größe und seiner Nähe zu Spanien seit dem Jahr 1929 der Rechtsverkehr. Von der Innenstadt zum Felsen (Upper Rock) gibt es eine regelmäßig verkehrende Seilbahn mit einer Zwischenstation. Die Winston Churchill Avenue ist die einzige Verbindung nach Spanien. Kultur Die gibraltarische Kultur ist stark beeinflusst durch die britische, die spanische und auch die marokkanische Kultur. Musikbands aus Gibraltar sind zum Beispiel Breed 77, The SoulMates und No Direction. Nationalfeiertag Der gibraltarische Nationalfeiertag ist der 10. September. Er erinnert damit an das Referendum am 10. September 1967, bei dem sich eine überwältigende Mehrheit der Bürger für einen Verbleib bei Großbritannien entschied. Viele Häuser werden mit der Flagge Gibraltars und rot-weißen Luftballons verziert. Von 1992 bis 2015 wurde an diesem Tag für jeden Bürger ein Ballon „in die Luft entlassen“, dieses Ritual ist 2016 wegen Naturschutzbedenken verboten worden. Bekannte Gibraltarer Henry Francis Cary (1772–1844), britischer Schriftsteller und Übersetzer Michael George Bowen (1930–2019), römisch-katholischer Erzbischof von Southwark Charles Caruana (1932–2010), römisch-katholischer Bischof von Gibraltar Albert Hammond (* 1944), Singer-Songwriter und Musikproduzent John Galliano (* 1960), britischer Modedesigner Karel Mark Chichon (* 1971), Dirigent Ava Addams (* 1979), Pornodarstellerin Misha Verollet (* 1981), Schriftsteller Kaiane Aldorino (* 1986), Miss World 2009 Maroua Kharbouch (* 1990), Schönheitskönigin Sport Die Fußballnationalmannschaft von Gibraltar existiert seit 1895 und belegte unter anderem beim FIFI Wild Cup den dritten Platz. Es wird jährlich eine nationale Meisterschaft ausgespielt. Gibraltar hat ein eigenes Fußballstadion, in dem sämtliche Ligaspiele sowie Länderspiele ausgetragen werden. Am 8. Dezember 2006 wurde der Fußballverband von Gibraltar vorläufig als UEFA-Mitglied aufgenommen. Eine definitive Abstimmung erfolgte am 26. Januar 2007 in Düsseldorf – dort wurde der Antrag Gibraltars zur UEFA-Mitgliedschaft abgelehnt. Nach einem Urteil des Internationalen Sportgerichtshofs CAS vom August 2011 musste die Entscheidung revidiert und Gibraltar ab 1. Oktober 2012 erneut als vorläufiges Mitglied aufgenommen werden. Daraufhin wurde Gibraltar als eigenständiger Nationalverband bei den Auslosungen zur EM der U-17, der U-19 und zum UEFA Futsal Cup berücksichtigt. Die endgültige Aufnahme wurde im Rahmen des 37. UEFA-Kongresses am 24. Mai 2013 in London beschlossen. Per Exekutiv-Entscheid ist auch als Vollmitglied ein Aufeinandertreffen von Mannschaften aus Spanien und Gibraltar in Gruppenspielen nicht zulässig. Am 19. November 2013 bestritt die Nationalmannschaft im portugiesischen Faro ihr erstes offizielles Länderspiel gegen ein anderes UEFA-Mitglied. Die Partie gegen die Slowakei endete 0:0. Die Qualifikation zur Fußball-Europameisterschaft 2016 war das erste Turnier, bei dem Gibraltar um die Teilnahme spielte. Das erste Spiel gegen Deutschland fand am 14. November 2014 in Nürnberg statt und endete 4:0 für Deutschland. Ähnlich der Entwicklung zur UEFA-Aufnahme Gibraltars hatte die CAS über die Aufnahme Gibraltars bei der FIFA zu entscheiden. Vor allem Spanien wehrte sich, wie ehedem bei der Aufnahme in die UEFA, gegen eine Mitgliedschaft Gibraltars. Zugleich wurde argumentiert, dass Gibraltar kein in sich freies Land wäre und damit die Voraussetzungen für eine Aufnahme in die FIFA nicht erfüllt wären. Die CAS urteilte, dass die FIFA baldmöglichst alle Voraussetzungen zu schaffen hätte, Gibraltar als Vollmitglied aufnehmen zu können. Gibraltar wurde 2016 in die FIFA aufgenommen. Auch in anderen Sportarten kämpfen die Nationalmannschaften Gibraltars um internationale Anerkennung. Rugby und Cricket haben sich auf Grund der Historie Gibraltars etabliert. Im Cricket wird am europäischen Wettbewerb teilgenommen. Special Olympics Gibraltar wurde 1985 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs vom Landkreis München mit den Gemeinden Oberhaching und Taufkirchen betreut. Medien Die Gibraltar Broadcasting Corporation (GBC) betreibt einen eigenen Radio- und Fernsehsender für Gibraltar. Die örtliche Variante des britischen Soldatensenders British Forces Broadcasting Service ist sowohl online als auch über Eutelsat 10A zu empfangen. Außerdem gibt es verschiedene Tageszeitungen in englischer und spanischer Sprache. Die wichtigsten gibraltarischen Tageszeitungen sind der Gibraltar Chronicle und Panorama. Seit 1995 existiert die länderspezifische Top-Level-Domain .gi. Städtepartnerschaften Gibraltar unterhält derzeit zwei Städtepartnerschaften: Ballymena, Vereinigtes Königreich (seit 2006) Funchal, Portugal (seit 2009) Literatur Roy und Lesley Adkins: Gibraltar. The greatest siege in British history. Penguin, New York 2019, ISBN 978-0-7352-2164-2. Tito Benady: Reiseführer von Gibraltar. 3. Auflage, Gibraltar Books, Grendon, Northants 1991, ISBN 0-948466-19-7. Gundolf Fahl: Die Gibraltarfrage – Entwicklung und Rechtslage. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Vol. 30 Nr. 2/3. Beck, München 1970, (online; PDF; 5,1 MB). Peter Gold: Gibraltar. British oder Spanish? Routledge, London 2005 (Routledge advances in European Politics, Band 19), ISBN 0-415-34795-5. Chris Grocott/Gareth Stockey: Gibraltar. A modern history. University of Wales Press, Cardiff 2012, ISBN 978-0-7083-2481-3. Dieter Haller: Gelebte Grenze Gibraltar. Transnationalismus, Lokalität und Identität in kulturanthropologischer Perspektive. Deutscher Universitäts-Verlag, Wiesbaden 2000, ISBN 3-8244-4407-0 (Zugleich Habilitationsschrift an der Universität Frankfurt (Oder) 1999). Johannes Kramer: English and Spanish in Gibraltar. Buske, Hamburg 1986, ISBN 3-87118-815-8. Andrea Neidig: Englisch und Spanisch im Kontakt – Das Yanito in Gibraltar. Eine soziolinguistische Untersuchung (= Kölner Arbeiten zu Sprache und Kultur. Bd. 1). Herrmann, Gießen 2008, ISBN 978-3-937983-14-1. Weblinks Website der Regierung Gibraltars (englisch) Sammlung von Gesetzestexten Gibraltars (englisch) Website des Fremdenverkehrsamtes von Gibraltar (englisch) Ausführlicher Bericht über Gibraltars Geschichte und seine Affen ZeitZeichen: 04.08.1704 – Besetzung von Gibraltar Lukas Grasberger: Die Straße von Gibraltar - Nadelöhr der Weltgeschichte Bayern 2 Radiowissen. Ausstrahlung am 13. August 2018. (Podcast) Einzelnachweise Umstrittenes Territorium Abhängiges Gebiet (Vereinigtes Königreich) Halbinsel (Europa) Küstenregion des Mittelmeeres Halbinsel (Mittelmeer) Halbinsel (Atlantischer Ozean) Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung Ort in den Britischen Überseegebieten Küste in Europa
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https://de.wikipedia.org/wiki/Erfahrung
Erfahrung
Als Erfahrung bezeichnet man die durch Wahrnehmung und Lernen erworbenen Kenntnisse und Verhaltensweisen oder im Sinne von „Lebenserfahrung“ die Gesamtheit aller Erlebnisse, die eine Person jemals hatte, einschließlich ihrer Verarbeitung. Allgemeines Nach Jürgen Mittelstraß ist mit Erfahrung gewöhnlich „die erworbene Fähigkeit sicherer Orientierung [und] das Vertrautsein mit bestimmten Handlungs- und Sachzusammenhängen ohne Rekurs auf ein hiervon unabhängiges theoretisches Wissen“ z. B. wissenschaftlicher Art gemeint: wegen der bei jedem Erleben stets mitlaufenden, zum größten Teil automatischen und dabei psychologisch gesehen assoziativen sowie zumindest nachträglichen bewussten geistigen (gedanklichen oder kognitiven) Verarbeitung und darauf beruhendem Wissen und Können einer Person mitsamt dazugehörigen Ansichten, Überzeugungen und Prinzipien evtl. bis hin zu ihrer individuellen, selbst gewählten und bestimmten Lebensführung und ihrem Lebensstil sowie sonstigen Verhaltensweisen, die sich in Reaktion auf die eigenen Erlebnisse aufgrund nicht weiter reflektierter bloßer Lernvorgänge mit der Zeit als Gewohnheiten herausgebildet haben. In der Wissenschaft spricht man anstelle von gewöhnlich eher persönlich gemeinter Erfahrung von „Empirie“. Denn für wissenschaftliche Aussagen ist gefordert, dass sie auf der Grundlage systematischer und intersubjektiv bestätigter Beobachtungen zustande kommen, wozu beispielsweise methodische streng kontrollierte Messungen oder Experimente gehören können. Wissenschaften auf einer derartigen methodisch geordneten Grundlage werden zur Unterscheidung von individuell zufälligem oder persönlichem Erfahrungswissen mit dem Anspruch auf höhere Verlässlichkeit Erfahrungswissenschaften oder Empirische Wissenschaften genannt. Nach Oswald Schwemmer unterliegen alle Erfahrungswissenschaften demselben wissenschaftlichen Erklärungsmodell, auch die von ihm Kultur-, gewöhnlich aber Geisteswissenschaften genannten Wissenschaftsdisziplinen, in denen lediglich die Begründungspflichten komplexer sind als in Naturwissenschaften. Diese gelten weithin zwar als Paradebeispiele für Erfahrungswissenschaften, doch gehört jede auf dokumentierten Fakten beruhende Forschung etwa historischer Art – angefangen von der Kosmologie über die Evolutionstheorie und Archäologie, die Etymologie und Sprachwissenschaft bis hin zur Geschichtswissenschaft – zu den Erfahrungswissenschaften. (Religionswissenschaft unterscheidet sich deswegen in ihrer erfahrungswissenschaftlichen Grundlage von Theologie). Begriffsbestimmungen Erfahrung war ursprünglich vor allem ein philosophischer und religiös-affektiver Begriff, der im Mittelalter zusätzlich eine naturwissenschaftliche Bedeutung erhielt. Der Schriftsteller William Saroyan schrieb einmal: „Erfahrung ist die Summe der begangenen Fehler, dividiert durch die eigene Dummheit.“ Im Alltag bezeichnet allgemein Lebenserfahrung das im Laufe eines Lebens gewonnene erprobte und bewährte Wissen. Berufserfahrung bedeutet, jemand übte lange eine bestimmte berufliche Tätigkeit aus, legte sich – mit vielen verschiedenen Situationen konfrontiert, die gemeistert werden mussten – ein breitgefächertes Wissen zu. Unter Erfahrungsaustausch versteht man meistens das gegenseitige Lernen. Positive/gute und negative/schlechte Erfahrungen stehen überwiegend für die hinterlassene Wirkung von in der Vergangenheit Erlebtem, das man nachträglich für sein Leben interpretiert und bewertet. Man spricht auch von religiösen Erfahrungen (→ Transzendentale Erfahrung!) als der Begegnung des Menschen im weitesten Sinne mit dem Transzendenten und den weiterhin in Form von Kontemplationen erlebten Eindrücken, wie zum Beispiel von der mystischen Erfahrung. In der Pädagogik unterscheidet man zwischen Primärerfahrung und Sekundärerfahrung. Primärerfahrungen sind unmittelbare Erfahrungen, die in direktem Kontakt mit Mitmenschen oder mit einem Objekt gemacht werden. Erfahrungen, die man aus der Wahrnehmung anderer übernimmt, sind Sekundärerfahrungen. Hierzu zählen beispielsweise Erfahrungen, die durch Massenmedien vermittelt werden. In der Entwicklungspsychologie ist Erfahrung das im Gehirn gespeicherte Ereignis, ohne welches Lernprozesse und die menschliche Gesamtentwicklung nicht denkbar (oder möglich) sind. Das Gegenteil der mit Ereignissen verbundenen Situation ist die Monotonie, von der in der Regel keine förderlichen Wirkungen (für Lernprozesse) ausgehen. Monotonie be- oder verhindert Entwicklungsfortschritt (beim Menschen, bei Säugetieren). Insofern ist Erfahrung die Grundvoraussetzung für entwicklungspsychologischen Fortschritt. Allgemein unterscheidet man eine innere Erfahrung von äußerer Erfahrung. Äußere Erfahrung bezieht sich auf das Erleben von „äußeren“, d. h. in der Umgebung stattfindenden Ereignissen, während innere Erfahrungen sich vollständig im Bereich der Vorstellung, des Denkens oder Fühlens abspielen können (→ Selbsterfahrung). Unmittelbarkeit und Vermittlung von Erfahrung In der Erkenntnistheorie stehen eine Reihe dem Begriff der Erfahrung verwandter oder zum Teil häufiger verwendeter Begriffe zur Verfügung. So kann Erfahrung an Phänomenen wie Wissen, Fähigkeiten, Überzeugungen und Meinungen oder auch an der Herausbildung individueller wie kultureller Weltbilder maßgeblich beteiligt sein. Der Erfahrungsbegriff betont dabei im Unterschied zu anderen möglichen Formen des Wissens, dass dieses durch unmittelbares, persönliches Erleben zustande gekommen ist. Erfahrung ist immer nur auf ein bestimmtes Subjekt beziehbar, das allerdings im Grenzfall auch die gesamte Menschheit sein kann. Wissen, Kenntnisse und Fähigkeiten können sowohl auf eigener Erfahrung wie auch auf der Erfahrung Anderer beruhen, die ihre Erfahrungen durch Erzählungen, Berichte, Unterricht oder auch Massenmedien weitergeben. Sie sind dann für den Empfänger des Wissens keine Erfahrungen im engeren Sinne mehr, sondern „bloßes, abstraktes Wissen“. Jede selbst und unmittelbar gewonnene Erkenntnis einer Person dagegen ist von einer in Erlebnisprozessen vor sich gehenden Ausbildung von Emotionen, Motivationen und Willens­entscheidungen begleitet. Erscheinen andere Erkenntnisformen gleichsam „entsubjektiviert“, „wertfrei“ – etwa bestimmte Theorien, Wissenssysteme, Kenntnisse –, so ist dies bei der Erfahrung niemals der Fall. Erfahrung und Empirie in der Wissenschaft Die Ebene der Erfahrung spielt in der Wissenschaft eine zentrale Rolle. Insbesondere Naturwissenschaften, aber auch Geisteswissenschaften beziehen sich zur Legitimation ihrer Aussagen auf erfahrbare, sinnliche, manchmal auch messbare Größen, im Unterschied etwa zur Philosophie. In der Wissenschaft ist jedoch der Begriff Empirie üblicher, um die erfahrungsbasierte Produktion von Wissen zu bezeichnen. Hierzu gehört vor allem die wissenschaftliche Methode, das streng kontrollierte Beobachten und Messen der Untersuchungsgegenstände oder ihr kontrolliertes Neu-Arrangement im Experiment. „Empirisch“ oder „erfahrungsbasiert“ ist eine Wissenschaft dann, wenn ihre Ergebnisse durch Dritte und deren eigene Erfahrung jederzeit nachprüfbar und verifizier- oder falsifizierbar sind. Während sich eine ganze Reihe von Wissenschaften als Empirische Wissenschaften und damit als erfahrungsbasiert verstehen, spielt der Begriff der Erfahrung explizit nur in einigen philosophisch-weltanschaulichen Strömungen, insbesondere im Pragmatismus, etwa bei Wilhelm Dilthey oder John Dewey, eine zentrale Rolle. Philosophische Ansätze Verallgemeinernd lässt sich feststellen, dass der Begriff der Erfahrung in der Philosophie nicht eindeutig verwendet wird. Er lässt sowohl materialistische wie auch idealistische Schlussfolgerungen zu und bedarf in konkreten Verwendungszusammenhängen einer eindeutigen wissenschaftlichen und philosophischen Präzisierung. Gerade die Vieldeutigkeit des Erfahrungsbegriffs ist eine der Ursachen sowohl für die vielen divergierenden Definitionen als auch für die zahlreichen philosophiegeschichtlichen Verwendungs- und Deutungsweisen. Philosophiegeschichtlich verläuft die Diskussion der Erfahrungsproblematik weitgehend parallel zu der der Erkenntnisproblematik. Rudolf Eisler unterscheidet drei Traditionslinien: „Der Empirismus wertet die Erfahrung als einzige Quelle der Erkenntnis, der Rationalismus schreibt dem Denken überempirische Erkenntniskraft zu, der Kriticismus betont in verschiedener Weise die Notwendigkeit des Zusammenwirkens von Erfahrung und Denken.“ In Anlehnung an Immanuel Kant kann man erstere auch als aposteriorische, die zweite als apriorische, die dritte als dualistische Traditionslinien bezeichnen. Neuzeitliche Philosophie Obwohl man diese Sichtweise auf die Betrachtungen antiker und mittelalterlicher Philosophie ausdehnen kann, sollen hier nur einige philosophische Ansätze der neueren Zeit erwähnt werden. Empirische Ansätze setzen Erfahrung mit Wahrnehmung mehr oder weniger gleich und betrachten sie in der Regel als zentrale Kategorie ihrer philosophischen Systeme. Francis Bacon betonte zuerst, mit Blick auf die Entstehung der modernen Wissenschaften, den Wert der methodisch geleiteten Erfahrung gegenüber der Alltagserfahrung. Thomas Hobbes betrachtete die sinnliche Wahrnehmung als Quelle der Ideen, aus der alles Wissen stammt, und trennt strikt die Empfindung vom Denken ab. John Locke nimmt an, dass alles Wissen aus äußerer oder innerer Erfahrung stamme, der Geist lediglich die Verbindung, Trennung und Generalisation des Erfahrenen diene und die Seele eine tabula rasa sei: Nichts sei im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war. George Berkeley und David Hume nutzten die Anschauungen Lockes zur Ableitung ihrer empiristischen Systeme. Gottfried Wilhelm Leibniz erweitert diese Ansicht: Es ist nichts im Verstand, was nicht zuvor in den Sinnen war – außer dem Intellekt selbst. Er deutet damit bereits auf dualistische und sogar dialektische Möglichkeiten hin. Rationalistische Ansätze, insbesondere die des klassischen objektiven Idealismus, sehen die Erfahrung den a priori (entweder eingeborenen oder gedanklich) vorerarbeiteten Ideen und Gedanken nachgeordnet. René Descartes und Spinoza sehen in der Vernunft die primäre Erkenntnisquelle, obwohl sie die Tatsache des Erfahrungsmachens durchaus akzeptieren. Besonders Descartes’ Gedanke von den „eingeborenen Ideen“ (Ideae innatae) wirkt prägend bis in die Neuzeit (zum Beispiel bei Noam Chomsky). Fichte betrachtet das System unserer Vorstellungen als Erfahrung. Nach Hegel ist die Erfahrung von den Bestimmungen des reinen Denkens unabhängig. Schelling lässt neben der gewöhnlichen Erfahrung als Gewissheit, die wir von äußeren Dingen und deren Beschaffenheit durch die Sinne erhalten, auch offenbartes Übersinnliches und Göttliches als „höhere“ Empirie gelten. Arthur Schopenhauer betrachtet Erfahrung als all das, was im empirischen Bewusstsein vorkommen kann. Viele Neukantianer stehen ebenfalls eher auf rationalistischen Positionen, so Otto Liebmann, Hermann Cohen und Paul Natorp. Immanuel Kant sowie der Positivismus Wichtigster Ursprung „dualistischer“ Ansätze ist das völlig neue Erfahrungsverständnis, das Immanuel Kant in die Philosophie einführte. Kant verwendete den Begriff erstens in außerordentlich breitem, die Erkenntnis im weitesten Sinne umfassenden Verständnis. Erfahrung bezeichnet für ihn sowohl den Gegenstand als auch die Methode der Erkenntnis, den denkgesetzlichen Zusammenhang aller Funktionen der Erkenntnis: Produkt der Sinne und des Verstandes. In dem Ganzen aller möglichen Erfahrung liegen all unsere Erkenntnisse. Zweitens differenziert und strukturiert er aber diesen Erfahrungsbegriff tiefgründig. Einerseits ist ihm Erfahrung die Erkenntnis der Objekte durch Wahrnehmungen, eine Synthesis der Wahrnehmungen, bedeutet somit einen stets fortschreitenden Erkenntnisprozess und liefert empirische, objektiv gültige Erkenntnisresultate. Dies ist aber nichts weniger als ein empiristischer Zugang. Denn andererseits stellt er klar fest, dass der Verstand durch seine Begriffe (das heißt der Kategorien) selbst Urheber der Erfahrung ist, dass die Verstandesgrundsätze, als synthetische Erkenntnisse a priori, die Erfahrung antizipieren. Drittens wird damit Erfahrung in das Wechselspiel der Apriori und Aposteriori eingefügt und eine bis heute gültige Frage gestellt: Inwieweit wird die sinnliche Wahrnehmung und die kognitive Verarbeitung des Wahrgenommenen durch bereits vorhandene – phylogenetisch oder ontogenetisch oder gesellschaftlich erworbene – Mechanismen determiniert, die von den Rezeptorkonfigurationen und den Möglichkeiten und Grenzen der neuralen Selbstorganisation bis zu den gesellschaftlich vorgegebenen Erkenntnissen, Einstellungen und Wertungen reichen? Der Positivismus so unterschiedlicher Denker wie John Stuart Mill, Auguste Comte, Karl Eugen Dühring, Richard Avenarius, Joseph Petzold, Ernst Mach und vieler anderer knüpft an den klassischen Empirismus an und versucht auf unterschiedliche Weise wiederum die (verabsolutierte, reine) Erfahrung zur Quelle allen wahren Wissens zu bestimmen. Zur Aufgabe der Klärung der inneren Erfahrung Als Aufgabe bleibt unter anderem zu klären, einen erweiterten Zugang zur inneren Erfahrung zu finden, dies also nicht nur im Sinne der relativen Apriori. So wird im Rahmen der Selbstorganisationstheorie, insbesondere hier die Autopoiesis­theorie von Humberto Maturana, auf die Entstehung von geistig Neuem ohne jeglichen Anstoß von außen hingewiesen. Soziologischer Ansatz: Erfahrung nach Oskar Negt Der marxistische Soziologe Oskar Negt benutzte Anfang der 1960er Jahre einen Begriff der Erfahrung, der unter anderem für die Gewerkschaftliche Bildungsarbeit zentral wurde. Er entwickelte seine Position in Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen von 1964 und in dem mit Alexander Kluge verfassten Buch Öffentlichkeit und Erfahrung von 1972. Erfahrungen sind nach Negt einerseits spezifische Produktionsformen der Verarbeitung von Realität, andererseits aktive Reaktionen auf diese Realität. Obschon Erfahrungen individuell „durch die Köpfe von einzelnen Menschen hindurch“ gehen müssen, sind sie „Momente einer durch Begriffe und durch Sprache vermittelten schöpferischen Auseinandersetzung mit der Realität, mit der Gesellschaft“. Für die Arbeiterbildung heißt dies, dass diese an den kollektiven Erfahrungen der Arbeiter ansetzen müsse. Eine Bildungsarbeit, die von kollektiven Erfahrungen ausgehe, laufe weniger Gefahr, Halbbildung zu vermitteln. Bis heute spricht man in der Gewerkschaftlichen Bildungsarbeit vom „Erfahrungsansatz“. Lebenserfahrung bei Richtern Die persönliche Lebenserfahrung ist die Grundlage der Beweiswürdigung bei Richtern. Diese müssen drei wesentliche Voraussetzungen für ihr Richteramt mitbringen, nämlich außer Lebenserfahrung auch Subsumtion und logisches Denkvermögen. Lebenserfahrung spiegelt Einsichten der Richter, die verallgemeinernd aus der Beobachtung von Einzelfällen gewonnen wurden. Sie kann sich so verdichten, dass ihre Beachtung schlechthin zwingend ist. „Erfahrungssätze sind die aufgrund allgemeiner Lebenserfahrung oder wissenschaftlicher Erkenntnisse gewonnenen Regeln, die keine Ausnahme zulassen und eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit zum Inhalt haben“. Die Anwendung der Lebenserfahrung ist eine Aufgabe tatrichterlicher Würdigung, die keiner Rechtskontrolle des Revisionsgerichts unterliegt. Allerdings bedürfen offenkundig erfahrungswidrige Tatsachenfeststellungen kraft Lebenserfahrung der Überprüfung im Revisionsverfahren. Literatur John Dewey: Kunst als Erfahrung. Übersetzung aus dem Englischen von Christa Velten, Gerhard vom Hofe und Dieter Sulzer. Suhrkamp, Frankfurt am Main 2021, ISBN 978-3-518-28303-5. Oskar Negt, Alexander Kluge: Öffentlichkeit und Erfahrung. Zur Organisationsanalyse von bürgerlicher und proletarischer Öffentlichkeit. 1. Auflage. Steidl, Göttingen 2016, ISBN 978-3-86930-879-1. Rolf Oerter, Leo Montada (Hrsg.): Entwicklungspsychologie. Beltz PVU, Weinheim / Basel / Berlin 1982: 1. Auflage; 2002: 5. Auflage, ISBN 3-621-27479-0. Hans Wißmann, Eilert Herms, Ulrich Köpf, Joachim Track, Dietrich Zilleßen: Erfahrung I. Religionsgeschichtlich II. Philosophisch III. Theologiegeschichtlich III/1. Mittelalter und Reformationszeit III/2. Neuzeit IV. Systematisch-theologisch V. Religionspädagogisch. In: Theologische Realenzyklopädie. 10, 1982, S. 83–141 (umfassender Überblick mit weiterer Literatur). Dietmar Mieth: Moral und Erfahrung. Band 2, 1999, ISBN 3-451-27187-7 sowie ISBN 3-451-26212-6. Video Manfred Spitzer: Erfahrung, BR-alpha-Reihe „Geist und Gehirn“, Folge 12 (ca. 15 Minuten). Weblinks Einzelnachweise Erkenntnistheorie Allgemeine Psychologie Allgemeine Pädagogik
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vektorraum
Vektorraum
Ein Vektorraum oder linearer Raum ist eine algebraische Struktur, die in vielen Teilgebieten der Mathematik verwendet wird. Vektorräume bilden den zentralen Untersuchungsgegenstand der linearen Algebra. Die Elemente eines Vektorraums heißen Vektoren. Sie können addiert oder mit Skalaren (Zahlen) multipliziert werden, das Ergebnis ist wieder ein Vektor desselben Vektorraums. Entstanden ist der Begriff, indem diese Eigenschaften ausgehend von Vektoren des euklidischen Raumes abstrahiert wurden, sodass sie dann auf abstraktere Objekte wie Funktionen oder Matrizen übertragbar sind. Die Skalare, mit denen man einen Vektor multiplizieren kann, stammen aus einem Körper. Deswegen ist ein Vektorraum immer ein Vektorraum über einem bestimmten Körper. Sehr oft handelt es sich dabei um den Körper der reellen Zahlen oder den Körper der komplexen Zahlen. Man spricht dann von einem reellen Vektorraum bzw. einem komplexen Vektorraum. Eine Basis eines Vektorraums ist eine Menge von Vektoren, die es erlaubt, jeden Vektor durch eindeutige Koordinaten darzustellen. Die Anzahl der Basisvektoren in einer Basis wird Dimension des Vektorraums genannt. Sie ist unabhängig von der Wahl der Basis und kann auch unendlich sein. Die strukturellen Eigenschaften eines Vektorraums sind eindeutig durch den Körper, über dem er definiert ist, und seine Dimension bestimmt. Eine Basis ermöglicht es, Rechnungen mit Vektoren über deren Koordinaten statt mit den Vektoren selbst auszuführen, was manche Anwendungen erleichtert. Definition Es seien eine Menge, ein Körper, eine innere zweistellige Verknüpfung, genannt Vektoraddition, und eine äußere zweistellige Verknüpfung, genannt Skalarmultiplikation. Man nennt dann einen Vektorraum über dem Körper oder kurz -Vektorraum, wenn für alle und die folgenden Eigenschaften gelten: Vektoraddition: V1: (Assoziativgesetz) V2: Existenz eines neutralen Elements mit V3: Existenz eines zu inversen Elements mit V4: (Kommutativgesetz) Skalarmultiplikation: S1: S2: S3: S4: für das Einselement des Skalarkörpers Anmerkungen Die Axiome V1, V2 und V3 der Vektoraddition besagen, dass eine Gruppe bildet, und Axiom V4, dass diese abelsch ist. Ihr neutrales Element heißt Nullvektor. Ein Körper ist eine abelsche Gruppe mit neutralem Element (Nullelement) und einer zweiten inneren zweistelligen Verknüpfung sodass auch eine abelsche Gruppe ist und die Distributivgesetze gelten. Wichtige Beispiele für Körper sind die reellen Zahlen und die komplexen Zahlen . Die Axiome S1 und S2 der Skalarmultiplikation werden ebenfalls als Distributivgesetze bezeichnet, Axiom S3 auch als Assoziativgesetz. Dabei ist jedoch zu beachten, dass bei Axiom S2 die Pluszeichen zwei verschiedene Additionen (links die in und rechts jene in ) bezeichnen und dass bei Axiom S3 die Skalarmultiplikation assoziativ mit der Multiplikation in ist. Die Axiome S1 und S2 garantieren für die Skalarmultiplikation die Linksverträglichkeit mit der Vektoraddition und die Rechtsverträglichkeit mit der Körper- und der Vektoraddition. Axiome S3 und S4 stellen zudem sicher, dass die multiplikative Gruppe des Körpers auf operiert. In diesem Artikel werden im Folgenden, wie in der Mathematik üblich, sowohl die Addition im Körper als auch die Addition im Vektorraum mit demselben Zeichen bezeichnet, obwohl es sich um unterschiedliche Verknüpfungen handelt. Für wird geschrieben. Genauso werden sowohl die Multiplikation im Körper als auch die skalare Multiplikation zwischen Körperelement und Vektorraumelement mit bezeichnet. Bei beiden Multiplikationen ist es auch üblich, den Malpunkt wegzulassen. Dadurch, dass in Vektorräumen die oben genannten Axiome gelten, besteht in der Praxis keine Gefahr, die beiden Additionen oder die beiden Multiplikationen zu verwechseln. Darüber hinaus kann man an den zu addierenden bzw. zu multiplizierenden Elementen die Verknüpfung unterscheiden. Die Verwendung der gleichen Symbole macht die Vektorraumaxiome besonders suggestiv. Zum Beispiel schreibt sich Axiom S1 als und Axiom S3 als . Mit den beiden Trägermengen und sind Vektorräume Beispiele für heterogene Algebren. Einen Vektorraum über dem Körper der komplexen bzw. reellen Zahlen bezeichnet man als komplexen bzw. reellen Vektorraum. Erste Eigenschaften Für alle und gelten folgende Aussagen: . . Die Gleichung ist für alle eindeutig lösbar; die Lösung ist . Beispiele Euklidische Ebene Ein anschaulicher Vektorraum ist die zweidimensionale euklidische Ebene (in rechtwinkligen kartesischen Koordinatensystemen) mit den Pfeilklassen (Verschiebungen oder Translationen) als Vektoren und den reellen Zahlen als Skalaren. ist die Verschiebung um 2 Einheiten nach rechts und 3 Einheiten nach oben, die Verschiebung um 3 Einheiten nach rechts und 5 Einheiten nach unten. Die Summe zweier Verschiebungen ist wieder eine Verschiebung, und zwar diejenige Verschiebung, die man erhält, indem man die beiden Verschiebungen nacheinander ausführt: , d. h. die Verschiebung um 5 Einheiten nach rechts und 2 Einheiten nach unten. Der Nullvektor entspricht der Verschiebung, die alle Punkte an ihrem Platz belässt, d. h. der identischen Abbildung. Durch die Streckung der Verschiebung mit einem Skalar aus der Menge der reellen Zahlen erhalten wir das Dreifache der Verschiebung: . Alles zu diesem Beispiel Gesagte gilt auch in der reellen affinen Ebene. Koordinatenraum Ist ein Körper und eine natürliche Zahl, so bildet das -fache kartesische Produkt die Menge aller -Tupel mit Einträgen in , einen Vektorraum über . Die Addition und die skalare Multiplikation werden komponentenweise definiert; für , setzt man und Häufig werden die -Tupel auch als Spaltenvektoren notiert, das heißt, ihre Einträge werden untereinander geschrieben. Die Vektorräume bilden gewissermaßen die Standardbeispiele für endlichdimensionale Vektorräume. Jeder -dimensionale -Vektorraum ist isomorph zum Vektorraum . Mit Hilfe einer Basis kann jedes Element eines Vektorraums eindeutig durch ein Element des als Koordinatentupel dargestellt werden. Funktionenräume Grundsätzliches und Definition Ist ein Körper, ein -Vektorraum und eine beliebige Menge, so kann auf der Menge aller Funktionen eine Addition und eine skalare Multiplikation punktweise definiert werden: Für und sind die Funktionen und definiert durch für alle und für alle . Mit dieser Addition und dieser skalaren Multiplikation ist ein -Vektorraum. Insbesondere gilt dies für , wenn also als Zielraum der Körper selbst gewählt wird. Weitere Beispiele für Vektorräume erhält man als Untervektorräume dieser Funktionenräume. In vielen Anwendungen ist , der Körper der reellen Zahlen, oder , der Körper der komplexen Zahlen, und ist eine Teilmenge von , , oder . Beispiele sind etwa der Vektorraum aller Funktionen von nach und die Unterräume aller stetigen Funktionen und aller -mal stetig differenzierbaren Funktionen von nach . Raum der linearen Funktionen Ein einfaches Beispiel für einen Funktionenraum ist der zweidimensionale Raum der reellen linearen Funktionen, das heißt der Funktionen der Form mit reellen Zahlen und . Dies sind diejenigen Funktionen, deren Graph eine Gerade ist. Die Menge dieser Funktionen ist ein Untervektorraum des Raums aller reellen Funktionen, denn die Summe zweier linearer Funktionen ist wieder linear, und ein Vielfaches einer linearen Funktion ist auch eine lineare Funktion. Zum Beispiel ist die Summe der beiden linearen Funktionen und mit , die Funktion mit . Das 3-Fache der linearen Funktion ist die lineare Funktion mit . Polynomräume Die Menge der Polynome mit Koeffizienten aus einem Körper bildet mit der üblichen Addition und der üblichen Multiplikation mit einem Körperelement einen unendlichdimensionalen Vektorraum. Die Menge der Monome ist eine Basis dieses Vektorraums. Die Menge der Polynome, deren Grad durch ein nach oben beschränkt ist, bildet einen Untervektorraum der Dimension . Beispielsweise bildet die Menge aller Polynome vom Grad kleiner gleich 4, also aller Polynome der Form , einen 5-dimensionalen Vektorraum mit der Basis . Bei unendlichen Körpern kann man die (abstrakten) Polynome mit den zugehörigen Polynomfunktionen identifizieren. Bei dieser Betrachtungsweise entsprechen die Polynomräume Unterräumen des Raums aller Funktionen von nach . Zum Beispiel entspricht der Raum aller reellen Polynome vom Grad dem Raum der linearen Funktionen. Körpererweiterungen Ist ein Oberkörper von , so ist mit seiner Addition und der eingeschränkten Multiplikation als skalare Multiplikation ein -Vektorraum. Die nachzuweisenden Regeln ergeben sich unmittelbar aus den Körperaxiomen für . Diese Beobachtung spielt eine wichtige Rolle in der Körpertheorie. Beispielsweise ist auf diese Weise ein zweidimensionaler -Vektorraum; eine Basis ist . Ebenso ist ein unendlichdimensionaler -Vektorraum, bei dem eine Basis jedoch nicht konkret angegeben werden kann. Lineare Abbildungen Lineare Abbildungen sind die Abbildungen zwischen zwei Vektorräumen, die die Struktur des Vektorraums erhalten. Sie sind die Homomorphismen zwischen Vektorräumen im Sinne der universellen Algebra. Eine Funktion zwischen zwei Vektorräumen und über demselben Körper heißt genau dann linear, wenn für alle und alle erfüllt sind. Das heißt, ist kompatibel mit den Strukturen, die den Vektorraum konstituieren: der Addition und der Skalarmultiplikation. Zwei Vektorräume heißen isomorph, wenn es eine lineare Abbildung zwischen ihnen gibt, die bijektiv ist, also eine Umkehrfunktion besitzt. Diese Umkehrfunktion ist dann automatisch ebenfalls linear. Isomorphe Vektorräume unterscheiden sich nicht bezüglich ihrer Struktur als Vektorraum. Basis eines Vektorraums Für endlich viele und bezeichnet man die Summe als Linearkombination der Vektoren . Dabei ist selbst wieder ein Vektor aus dem Vektorraum . Ist eine Teilmenge von , so wird die Menge aller Linearkombinationen von Vektoren aus die lineare Hülle von genannt. Sie ist ein Untervektorraum von , und zwar der kleinste Untervektorraum, der enthält. Eine Teilmenge eines Vektorraums heißt linear abhängig, wenn sich der Nullvektor auf nicht-triviale Weise als eine Linearkombination von Vektoren ausdrücken lässt. „Nicht-trivial“ bedeutet, dass mindestens ein Skalar (ein Koeffizient der Linearkombination) von null verschieden ist. Andernfalls heißt linear unabhängig. Eine Teilmenge eines Vektorraums ist eine Basis von , wenn linear unabhängig ist und die lineare Hülle von der ganze Vektorraum ist. Unter Voraussetzung des Auswahlaxioms lässt sich mit dem Lemma von Zorn beweisen, dass jeder Vektorraum eine Basis hat (er ist frei), wobei diese Aussage im Rahmen von Zermelo-Fraenkel äquivalent zum Auswahlaxiom ist. Dies hat weitreichende Konsequenzen für die Struktur eines jeden Vektorraums: Zunächst einmal lässt sich zeigen, dass je zwei Basen eines Vektorraums dieselbe Kardinalität haben, sodass die Kardinalität einer beliebigen Basis eines Vektorraums eine eindeutige Kardinalzahl ist, die man als Dimension des Vektorraums bezeichnet. Zwei Vektorräume über demselben Körper sind nun genau dann isomorph, wenn sie dieselbe Dimension haben, denn aufgrund der Gleichmächtigkeit zweier Basen von zwei Vektorräumen existiert eine Bijektion zwischen ihnen. Diese lässt sich zu einer bijektiven linearen Abbildung, also einem Isomorphismus der beiden Vektorräume, fortsetzen. Ebenso lässt sich zeigen, dass beliebige lineare Abbildungen durch die Bilder von Elementen einer Basis festgelegt sind. Dies ermöglicht die Darstellung jedweder linearer Abbildungen zwischen endlichdimensionalen Vektorräumen als Matrix. Dies lässt sich auf unendlichdimensionale Vektorräume übertragen, wobei jedoch sichergestellt werden muss, dass jede verallgemeinerte „Spalte“ nur endlich viele von null verschiedene Einträge enthält, damit jeder Basisvektor auf eine Linearkombinationen von Basisvektoren im Zielraum abgebildet wird. Mittels des Basisbegriffs hat sich das Problem, ein Skelett in der Kategorie aller Vektorräume über einem gegebenen Körper zu finden, darauf reduziert, ein Skelett in der Kategorie der Mengen zu finden, das durch die Klasse der Kardinalzahlen gegeben ist. Jeder -dimensionale Vektorraum lässt sich auch als die -fache direkte Summe des zugrunde liegenden Körpers auffassen. Die direkten Summen eines Körpers bilden also ein Skelett der Kategorie der Vektorräume über ihm. Die Linearfaktoren der Darstellung eines Vektors in den Basisvektoren heißen Koordinaten des Vektors bezüglich der Basis und sind Elemente des zugrunde liegenden Körpers. Erst durch Einführung einer Basis werden jedem Vektor seine Koordinaten bezüglich der gewählten Basis zugeordnet. Dadurch wird das Rechnen erleichtert, insbesondere wenn man statt Vektoren in „abstrakten“ Vektorräumen ihre zugeordneten „anschaulichen“ Koordinatenvektoren verwenden kann. Untervektorraum Ein Untervektorraum (auch linearer Unterraum) ist eine Teilmenge eines Vektorraums, die selbst wieder ein Vektorraum über demselben Körper ist. Dabei werden die Vektorraumoperationen auf den Untervektorraum vererbt. Ist ein Vektorraum über einem Körper , so bildet eine Teilmenge genau dann einen Untervektorraum, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind: Für alle gilt Für alle und gilt Die Menge muss also abgeschlossen bezüglich der Vektoraddition und der Skalarmultiplikation sein. Jeder Vektorraum enthält zwei triviale Untervektorräume, nämlich zum einen sich selbst, zum anderen den Nullvektorraum , der nur aus dem Nullvektor besteht. Da selbst ein Vektorraum ist, impliziert dies insbesondere die notwendige Bedingung, dass den Nullvektor enthalten muss. Jeder Unterraum ist Bild eines anderen Vektorraums unter einer linearen Abbildung in den Raum und Kern einer linearen Abbildung in einen anderen Vektorraum. Aus einem Vektorraum und einem Untervektorraum kann man durch Bildung von Äquivalenzklassen einen weiteren Vektorraum, den Quotientenraum oder Faktorraum, bilden, was maßgeblich mit der Eigenschaft eines Unterraums zusammenhängt, ein Kern zu sein, siehe auch Homomorphiesatz. Verknüpfung von Vektorräumen Zwei oder mehrere Vektorräume können auf verschiedene Weisen miteinander verknüpft werden, sodass ein neuer Vektorraum entsteht. Direkte Summe Die direkte Summe zweier Vektorräume über dem gleichen Körper besteht aus allen geordneten Paaren von Vektoren, von denen die erste Komponente aus dem ersten Raum und die zweite Komponente aus dem zweiten Raum stammt: Auf dieser Menge von Paaren wird dann die Vektoraddition und die Skalarmultiplikation komponentenweise definiert, wodurch wiederum ein Vektorraum entsteht. Die Dimension von ist dann gleich der Summe der Dimensionen von und . Häufig werden die Elemente von statt als Paar auch als Summe geschrieben. Die direkte Summe kann auch auf die Summe endlich vieler und sogar unendlich vieler Vektorräume verallgemeinert werden, wobei im letzteren Fall nur endlich viele Komponenten ungleich dem Nullvektor sein dürfen. Direktes Produkt Das direkte Produkt zweier Vektorräume über dem gleichen Körper besteht, wie die direkte Summe, aus allen geordneten Paaren von Vektoren der Form . Die Vektoraddition und die Skalarmultiplikation werden wieder komponentenweise definiert und die Dimension von ist wieder gleich der Summe der Dimensionen von und . Bei dem direkten Produkt unendlich vieler Vektorräume dürfen jedoch auch unendlich viele Komponenten ungleich dem Nullvektor sein, wodurch es sich in diesem Fall von der direkten Summe unterscheidet. Tensorprodukt Das Tensorprodukt zweier Vektorräume über dem gleichen Körper wird durch notiert. Die Elemente des Tensorproduktraums haben dabei die bilineare Darstellung , wobei Skalare sind, eine Basis von ist und eine Basis von ist. Ist oder unendlichdimensional, dürfen hierbei wieder nur endlich viele Summanden ungleich null sein. Die Dimension von ist dann gleich dem Produkt der Dimensionen von und . Auch das Tensorprodukt kann auf mehrere Vektorräume verallgemeinert werden. Vektorräume mit zusätzlicher Struktur In vielen Anwendungsbereichen in der Mathematik, etwa der Geometrie oder Analysis, ist die Struktur eines Vektorraums nicht ausreichend, etwa erlauben Vektorräume an sich keine Grenzwertprozesse, und man betrachtet daher Vektorräume mit bestimmten zusätzlich auf ihnen definierten Strukturen, die mit der Vektorraumstruktur in gewissem Sinn kompatibel sind. Beispiele: Euklidischer Vektorraum Als euklidischer Vektorraum wird (meist) ein reeller Vektorraum mit Skalarprodukt bezeichnet. Er ist ein Spezialfall eines Prähilbertraums (siehe dort für abweichende Nomenklatur). Normierter Raum Ein normierter Raum ist ein Vektorraum, in dem Vektoren eine Länge (Norm) besitzen. Diese ist eine nichtnegative reelle Zahl und erfüllt die Dreiecksungleichung. Prähilbertraum Ein Prähilbertraum ist ein reeller oder komplexer Vektorraum, auf dem ein inneres Produkt (Skalarprodukt bzw. positiv definite hermitesche Form) definiert ist. In einem solchen Raum kann man Begriffe wie Länge und Winkel definieren. Topologischer Vektorraum Ein topologischer Vektorraum über einem topologischen Körper ist ein topologischer Raum mit einer kompatiblen -Vektorraumstruktur, d. h., die Vektorraumoperationen und sind stetig. Unitärer Vektorraum Als unitärer Vektorraum wird (meist) ein komplexer Vektorraum mit positiv definiter hermitescher Form („Skalarprodukt“) bezeichnet. Er ist ein Spezialfall des Prähilbertraums. Bei all diesen Beispielen handelt es sich um topologische Vektorräume. In topologischen Vektorräumen sind die analytischen Konzepte der Konvergenz, der gleichmäßigen Konvergenz und der Vollständigkeit anwendbar. Ein vollständiger normierter Vektorraum heißt Banachraum, ein vollständiger Prähilbertraum heißt Hilbertraum. Verallgemeinerungen Wenn man an Stelle eines Körpers einen kommutativen Ring zugrunde legt, erhält man einen Modul. Moduln sind eine gemeinsame Verallgemeinerung der Begriffe „abelsche Gruppe“ (für den Ring der ganzen Zahlen) und „Vektorraum“ (für Körper). Einige Autoren verzichten in der Definition von Körpern auf das Kommutativgesetz der Multiplikation und nennen Moduln über Schiefkörpern ebenfalls Vektorräume. Folgt man dieser Vorgehensweise, so müssen -Linksvektorräume und -Rechtsvektorräume unterschieden werden, da ein Schiefkörper nicht kommutativ ist. Die Situation ist vergleichbar mit der von Links- und Rechtsmoduln über einem (im Allgemeinen) nicht-kommutativen Ring. Die oben gegebene Definition des Vektorraums ergibt dabei einen -Linksvektorraum, da die Skalare im Produkt auf der linken Seite stehen. -Rechtsvektorräume werden analog mit der spiegelbildlich erklärten Skalarmultiplikation definiert. Viele fundamentale Ergebnisse gelten völlig analog auch für Vektorräume über Schiefkörpern, etwa die Existenz einer Basis. Wenn man an Stelle eines Körpers einen Halbkörper zugrunde legt, erhält man einen Halbvektorraum. Eine andere Verallgemeinerung von Vektorräumen sind Vektorbündel; sie bestehen aus je einem Vektorraum für jeden Punkt eines topologischen Basisraums. Historische Anmerkung Bartel Leendert van der Waerden merkt an, dass seines Wissens der Begriff „n-dimensionaler Vektorraum“ zum ersten Mal von Hermann Günther Graßmann in seinem Buch „Die lineale Ausdehnungslehre“ von 1844 explizit definiert wurde. Implizit gearbeitet wird mit dem Strukturbegriff in diversen Zusammenhängen natürlich schon wesentlich früher. Literatur Gerd Fischer: Lineare Algebra. Vieweg-Verlag, ISBN 3-528-03217-0. R. Hartwig: Syntax, Semantik, Spezifikation - Grundlagen der Informatik. WS 2009/2010. Weblinks Vektorraumtheorie (E-Learning-Angebot mit Übungsaufgaben). Einzelnachweise Lineare Algebra
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https://de.wikipedia.org/wiki/Emergenz
Emergenz
Emergenz ( „Auftauchen“, „Herauskommen“, „Emporsteigen“) bezeichnet die Möglichkeit der Herausbildung von neuen Eigenschaften (Systemeigenschaften) oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente. Dabei lassen sich die emergenten Eigenschaften des Systems nicht – oder jedenfalls nicht offensichtlich – auf Eigenschaften der Elemente zurückführen, die diese isoliert aufweisen. So wird in der Philosophie des Geistes von einigen Philosophen die Meinung vertreten, dass das Bewusstsein eine emergente Eigenschaft des Gehirns sei. Emergente Phänomene werden jedoch auch in der Physik, Chemie, Biologie, Mathematik, Psychologie oder Soziologie beschrieben. Synonyme sind Übersummativität und Fulguration. Analog zur Emergenz spricht man bei der Eliminierung von Eigenschaften von Submergenz. Überlegungen zur Emergenz stammen vor allem aus den Diskussionen zur Systemtheorie und werden sowohl in den Naturwissenschaften als auch in der Philosophie und den Sozialwissenschaften verfolgt. Wie die Systemtheorie vertritt der Emergenzbegriff einen umfassenden Erklärungsanspruch, der emergente Selbstorganisation als durchgängiges Prinzip der materiellen Welt und der Welt des Geistes versteht. Das Phänomen der emergenten Selbstorganisation wird als Autopoiesis bezeichnet. Etymologie, Geschichte Das Wort Emergenz ist abgeleitet vom lateinischen Verb emergere; dieses bedeutet transitiv „auftauchen lassen“, intransitiv „auftauchen, entstehen“. Zum ersten Mal verwendet hat es George Henry Lewes im Zusammenhang mit der Erklärung von Bewusstsein. Als eine philosophische Kategorie herausgebildet haben den Begriff sodann die englischen Philosophen Samuel Alexander und Conwy Lloyd Morgan in ihrer Theorie einer Emergent Evolution. Schwache und starke Emergenz Emergenz ist grundsätzlich in einer schwachen und einer starken Form denkbar. Die schwache Form der Emergenz entspricht einer nur vorläufigen Nichterklärbarkeit emergenter Systeme auf der Grundlage der Beschreibung ihrer Elemente. Dagegen nehmen einige Philosophen und Naturwissenschaftler wie die Nobelpreisträger für Physik Philip Warren Anderson und Robert B. Laughlin, der Biologe Stuart Kauffman oder der Physiker Peter Kopietz bei der starken Form von Emergenz ihre prinzipielle Nichterklärbarkeit an. Eine ähnliche Position der grundsätzlichen Unvollständigkeit der Erklärung komplexer Systeme wird seit den 1960er Jahren in der Diskussion über den Laplaceschen Dämon vertreten. Damit im Zusammenhang steht auch die von Donald Davidson in der Philosophie des Geistes entwickelte Vorstellung der „abwärtsgerichteten“ Kausalität von geistigen auf physikalische Prozesse. Gegner der These von der starken Emergenz argumentieren, dass viele ehedem als emergent erklärte Eigenschaften des menschlichen Bewusstseins sich durch die Kenntnis der Eigenschaften der Bestandteile des Gehirns (z. B. der Nervenzellen und der Synapsen) erklären ließen. Allerdings ist selbst bei vergleichsweise einfachen physikalischen Phänomenen wie Wetterereignissen die vollständige Erklärung von Makrophänomenen auf der Ebene von Elementarteilchen praktisch so fernliegend, dass der Unterschied zwischen schwacher und starker Emergenz aktuell wenig Relevanz hat. Emergenz als disziplinübergreifendes Konzept Das Phänomen der Emergenz wird oft als Argument gegen einen reduktionistischen naturwissenschaftlichen Atomismus angeführt. Emergenztheoretiker bestreiten damit, dass eine vollständige Beschreibung der Welt allein aufgrund der Kenntnis der Elementarteilchen und allgemeiner physikalischer Gesetze prinzipiell möglich sei (vgl. Laplacescher Dämon). Die Anerkennung emergenter Phänomene muss allerdings nicht zu einem Verzicht auf wissenschaftliche Erklärungen führen. Vielmehr zeigen die Entwicklungen in der Systemtheorie und der Chaosforschung, dass emergenzverwandte Phänomene wie Selbstorganisation und ihre Entstehungsbedingungen durchaus systematischen und objektiv nachvollziehbaren Erklärungen zugänglich sind. Allerdings tritt an die Stelle der Einheit der Wissenschaft aufgrund einer hierarchischen Ableitung aus universalen Gesetzen ein transdisziplinärer Dialog, dessen Ziel es ist, analoge Strukturen komplexer Systeme auf unterschiedlichen Emergenzebenen zu vergleichen. Die Emergenz entsteht in den meisten Fällen auf Basis der spontanen Selbstorganisation. Das Konzept der emergenten Selbstorganisation kann man folgendermaßen beschreiben: Mehrere, viele oder sehr viele Elemente verbinden sich auf der Basis ihrer Wechselwirkungen, die meist nur zwischen den nächsten Nachbarn wirken, spontan zu Systemen mit bestimmten neuen Strukturen, Eigenschaften und Fähigkeiten. Der Grund dafür sind Rückkopplungen in den emergenten Prozessen und als deren Folge nichtlineare Abläufe und die Komplexität der Systeme. Es gibt viele unterschiedliche Arten der emergenten Selbstorganisation in der unbelebten und der belebten Welt. Bezogen auf den Energiehaushalt können emergente Prozesse sowohl im thermischen Gleichgewicht verlaufen, d. h. ohne Energieaustausch mit der Umgebung, als auch unter Abgabe (exotherm) oder Aufnahme von Energie (endotherm). Beispiele für die Selbstorganisation im thermischen Gleichgewicht sind die Entstehung der ferromagnetischen Ordnung und die Supraleitung. Beispiele für die Entstehung von mehr Ordnung ohne die Zufuhr von Energie sind die Bildung der leichteren Atomkerne (bis zum Nickel), die Entstehung der Atome aus Kernen und Elektronen, die Entwicklung der Sterne, die Wechsel der Aggregatzustände (kondensieren, erstarren) und exotherme chemische Reaktionen. Beispiele für die Entstehung von mehr Komplexität und Ordnung, die Energie von außen benötigt, sind die Bildung der schweren Atomkerne jenseits vom Nickel, Konvektionsmuster in erhitzten Flüssigkeiten, der Laser, endotherme chemische Reaktionen, und vor allem die Entstehung und Entwicklung des Lebens, die Evolution, die geistigen Prozesse im Gehirn und die Entwicklung der menschlichen Gesellschaft. Diese Prozesse sind nur weit entfernt vom thermischen Gleichgewicht und unter Zufuhr von Energie und/oder Materie möglich. Die spontane Selbstorganisation ist in erster Linie ein zeitlicher Vorgang, ein Prozess, führt aber meist auch zu einer dauerhaften Struktur des dadurch entstandenen Systems. Es gibt Prozesse der Selbstorganisation, die so schnell verlaufen, dass für den Beobachter nur das Ergebnis, die geänderte Struktur, sichtbar wird. Dazu gehören beispielsweise viele exotherme chemische Reaktionen. Bei anderen Vorgängen kann für einen Beobachter der zeitliche Verlauf im Vordergrund stehen, beispielsweise bei der Entwicklung des Lebens. Selbstorganisierte Systeme sind in der Regel selbst wieder Elemente der Selbstorganisation und können weitere übergeordnete Systeme bilden. Dadurch ergibt sich schließlich eine Hierarchie von selbstorganisierten Systemen, aus der unsere Welt aufgebaut ist. Auf diese Weise verursachen die emergenten Prozesse selbstorganisiert die zunehmende Komplexität in der Entwicklung der Welt, sowohl in der unbelebten Natur als auch in der belebten Natur und in der Gesellschaft. Die emergente Selbstorganisation verbindet als durchgängiges Prinzip die materielle Welt mit der Welt des Geistes. Allgemeine Eigenschaften von Emergenzen Irreduzibilität Manche emergente Eigenschaften können dann bei einer reduktionistischen Betrachtungsweise nicht entdeckt werden, wenn sie erst im Zusammenwirken mit anderen Subsystemen auftreten. (Im Beispiel des Wolfes kann Sozialverhalten erst dann untersucht werden, wenn die Gemeinschaft der Mitglieder eines Wolfsrudels beobachtet wird.) Es ist in manchen Fällen möglich, bestimmte Elemente oder Wirkzusammenhänge zu ändern oder gar zu eliminieren, ohne dass sich bestimmte emergente Eigenschaften des Systems verändern, während andere sich sehr wohl ändern können. Beispiel: Die Fahrtüchtigkeit eines Autofahrers hängt nicht von der Farbe der Sitzbezüge ab, wohl aber von der Innenraumtemperatur bei Sonneneinstrahlung. Ob also bestimmte Elemente oder Wirkzusammenhänge reduzibel sind, hängt davon ab, wie essentiell oder bedeutend sie für die Ausbildung der emergenten Eigenschaft sind. Systeme, die aus repetitiven Einheiten zusammengesetzt sind, sind numerisch reduzierbar: Man kann die Anzahl der Elemente bis zu einer Grenzzahl von Einheiten verringern, ohne dass emergente Eigenschaften verloren gehen. Dies ist vor allem bei chemischen Stoffen und ihren spezifischen Eigenschaften der Fall. Beispiel: Wasser ist bei Zimmertemperatur flüssig, ein einzelnes Wassermolekül ist es nicht. Diese Eigenschaft ist daher emergent, weil sie sich erst aus dem Zusammenspiel vieler Wassermoleküle ergibt. Nach dem gleichen Denkmuster ist ein Baum kein Wald. Viele Eigenschaften eines Waldes lassen sich in den Eigenschaften eines einzelnen Baumes nicht wiederfinden. Es existiert für jedes System eine Mindestanzahl von interagierenden Bausteinen, die für die Entwicklung einer emergenten Eigenschaft notwendig ist. Unvorhersagbarkeit Wird ein neues Subsystem in ein bestehendes System integriert, also mit den anderen Systemelementen durch Wirkbeziehungen verknüpft, kann das System neue emergente Eigenschaften aufweisen, die nicht vorhersehbar waren. So definiert der Evolutionsbiologe Ernst Mayr: „Emergenz ist in Systemen das Auftreten von Merkmalen auf höheren Organisationsebenen, die nicht aufgrund bekannter Komponenten niedrigerer Ebenen hätten vorhergesagt werden können.“ Gründe hierfür: Das System ist bereits so komplex, dass es ohne Reduktion nicht untersuchbar oder simulierbar ist. Es entstehen zwischen den Systemelementen neue Verbindungen, Wirkbeziehungen und Prozesse, die nicht implementiert (vorgeplant) waren. Die Kopplungen oder Wirkbeziehungen zwischen allen Elementen werden durch die Integration des neuen Elementes verändert. Kontextbedingungen Die Kontextbedingungen emergenter Systeme stimmen weitgehend mit den Eigenschaften selbstorganisierter Systeme überein. Eine wichtige Rolle spielt dabei Selbstverstärkung durch positive Rückkopplungs­prozesse auf der Basis von Selbstreferenz oder zirkulärer Kausalität. Ein einfaches Beispiel ist die Entstehung von Rippelmarken auf einer Sandfläche, die von Luft oder Wasser überströmt ist. Durch wechselseitige Verstärkung von zunächst minimalen Unterschieden in der Oberflächenstruktur und Turbulenzen in der Strömung kommt es zur Herausbildung von Mustern. Geschichte der Emergenztheorie Anfänge in Philosophie und Psychologie Emergenz bezeichnet in Philosophie und Psychologie das Phänomen, dass sich bestimmte Eigenschaften eines Ganzen nicht aus seinen Teilen erklären lassen. Ein früher Vorläufer der Theorie von emergenten Eigenschaften eines Systems findet sich in der Metaphysik des Aristoteles: Vereinfacht wird das entsprechende Zitat in dem populären Ausdruck „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile“ wiedergegeben (siehe Holismus und Gestaltpsychologie). Als weitere Vorstufen der Emergenztheorie können auch pantheistische Vorstellungen etwa bei Giordano Bruno und Baruch de Spinoza angesehen werden. Ihnen zufolge basiert die natürliche Ordnung weder auf einem personalen, intelligenten Wesen, noch kann sie auf isolierte materielle Elemente reduziert werden. Diese Gedanken wurden in der Philosophie des deutschen Idealismus und zum Teil im Marxismus aufgegriffen und in einer „dialektischen Naturphilosophie“ weiterentwickelt. Protagonisten sind etwa Hegel, Schelling und Friedrich Engels. Bekannt wurde die emergenztheoretische Relevanz der dialektischen Philosophen vor allem durch die politische Formel vom revolutionären Umschlag von Quantität in Qualität. Aber auch in der liberalen angelsächsischen Tradition finden sich emergenztheoretische Vorstellungen. So schrieb John Stuart Mill über die Emergenz neuer Eigenschaften in chemischen Reaktionen. Zusammen mit dem britischen Philosophen Samuel Alexander entwickelte Conwy Lloyd Morgan die sogenannte Emergenz-Theorie, welche die Bewusstseinsbildung als ein evolutionäres Phänomen ansieht, das sich biologisch nicht hinreichend erklären lässt. Neben Morgan und Alexander ist C. D. Broad ein Vertreter der „Emergenzphilosophie“. Die Emergenztheorie spielt in der neuzeitlichen Ontologie, bei der Erklärung des Bewusstseins, des Ich und des subjektiven Geistes eine bedeutende Rolle. Vor allem in der Philosophie des Geistes kam es seit den 1970er Jahren zu einer Renaissance des Emergenzbegriffes. Prozesstheorie Norbert Elias’ Der Soziologe und Humanwissenschaftler Norbert Elias geht im Rahmen seines Prozessmodells der Großen Evolution auf den Mechanismus ein, durch den bei Evolutionssprüngen Neues entsteht: die Integration bzw. Kombination bestehender Phänomene und die Funktionsteilung zwischen ihnen. Dabei füllt Elias die in der Literatur häufig vorkommende, aber oft relativ abstrakte Behauptung mit Leben: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Durch die Verbindung relativ einfacher Einheiten entstehen zusammengesetzte, komplexere Einheiten, deren Teile in gegenseitiger Abhängigkeit voneinander stehen, so dass kein Teil entfernt werden kann, ohne mehr oder weniger gravierende Folgen für die ganze Einheit und ihre Teileinheiten zu haben, im Extremfall den Zerfall beider in einfachere Einheiten zu verursachen. Diese Integration und Funktionsteilung, die gegenseitige Abhängigkeit und Komplexität ist im physikalisch-chemischen Bereich noch relativ locker, die „nächstniedere[n] Teileinheiten [sind] noch nicht funktionsteilig aneinander gebunden, so daß die Synthese reversibel ist, ohne daß diese Teileinheiten ihre Eigenschaften ändern“. Elias spricht hier vom „reversiblen Integrationstyp“ und nennt als Beispiele Kleinmoleküle. Die Intensität der Integration und der Funktionsteilung steigt im Bereich der biologischen Evolution stark an. Hier entstehen „komplexere Gebilde, deren nächstniedere Teileinheiten funktionsteilig aneinander gebunden sind – die Struktur dieser Teileinheiten ist demgemäß auf ein Funktionieren im Rahmen einer bestimmten zusammengesetzten Einheit höherer Ordnung abgestimmt; die Teile verlieren in diesem Fall ihre Eigenstruktur, wenn die Einheit höherer Ordnung, die sie miteinander bilden, zerfällt“. Elias spricht hier vom „irreversiblen Integrationstyp“ und nennt als Beispiel einzellige Lebewesen. Integration und Funktionsteilung erreichen den bisher höchsten Stand im Bereich der sozio-kulturellen Evolution der Menschen. Hier ist eine weitere wissenschaftstheoretische Debatte der Sozialwissenschaften angesiedelt, die über das Verhältnis von „Individuum und Gesellschaft“. Insbesondere hier verweist Elias darauf, dass jeweils sowohl das Einzelne als auch ein Ganzes, zu dem es gehört, angemessen begrifflich repräsentiert werden müssen. Es dürfen weder die Ganzheiten auf die Einzelteile reduziert noch die Einzelteile aus dem Bild des Ganzen gedanklich entfernt werden, weil erst die komplexen Wechselwirkungen und gegenseitigen Abhängigkeiten der Einzelteile das Ganze bilden. Ontologische Betrachtungsweise Die ontologische Analyse des Emergenzbegriffs zeigt, dass erst die Einbettung emergenter Eigenschaften in bestimmte Emergenzebenen oder -schichten die dauerhafte Emergenz neuer Strukturen ermöglicht. Umgekehrt gesagt: Das singuläre Auftreten irgendeines Neuen als Gegenstand, Eigenschaft oder Strukturelement wäre nur eine irrelevante Variation im Gegebenen, die ohnehin ständig und überall auftritt. Die sich daraus ergebenden ontologischen Fragen lauten beispielsweise: Was ist eine Emergenzebene? Wie verfestigen sich zunächst einzelne Variationen des Gegebenen Schritt für Schritt zu emergenten Eigenschaften und Gegenständen? Wie kann man das Verhältnis verschiedener Emergenzschichten zueinander beschreiben? Der ontologische Ansatz zur Erforschung der Emergenz ist somit holistischer Natur, d. h., er sieht das Ganze eines Strukturausschnitts der Welt als den eigentlichen Träger von Emergenz. Die Frage nach der Natur einer Emergenzebene und dem Verhältnis mehrerer Emergenzebenen zueinander führt damit zu der noch allgemeineren Frage, was man im ontologischen Sinne überhaupt unter einer Struktur zu verstehen hat. Setzt man voraus, dass Emergenz ein bestimmter Typ von etwas Geschehendem, mithin ein Prozess ist, so fällt die Emergenztheorie in den Bereich der allgemeinen Prozessphilosophie. Daraus folgt, dass allgemeine Prozessbedingungen, d. h. solche, die für jeden erdenklichen Prozess gelten, auch für emergente Prozesse gelten müssen. Emergenz als strukturelles Phänomen kann somit als eine Ausdifferenzierung vorangehender Prozessbedingungen verstanden werden. Das Verhältnis verschiedener Emergenzebenen lässt sich in fast allen Fällen, z. B. dem Verhältnis der anorganischen zur organischen Natur, als eine Schichtung darstellen. So folgt in einer möglichen Ebenenhierarchie die makrophysikalische Struktur aus der unter ihr fortbestehenden quantenphysikalischen Ebene. An die makrophysikalische Ebene schließt sich wiederum die organische bzw. biologische an, an diese die kognitive und soziale etc. Damit die jeweils nachfolgende oder höhere Schicht nicht in eine materielle und strukturelle Inkonsistenz zu allen ihren vorangehenden, d. h. ihren Trägerebenen gerät, muss sie alle Prozessbedingungen und damit Existenzvoraussetzungen der Trägerebenen auch für ihre spezifischen Gegenstände und deren Eigenschaften erfüllen und darüber hinaus diesen Bedingungen noch weitere hinzufügen. Dieser Vorgang wird als Binnendifferenzierung von Prozessstrukturen bezeichnet. Grundsätzlich ist die Möglichkeit der immer weiteren Binnendifferenzierung weder logisch noch materiell (z. B. physikalisch oder biologisch) eingeschränkt. Das wiederum bedeutet, dass sich die Emergenz des Weltganzen in einem grundsätzlich offenen Entwicklungshorizont abspielt: Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass die ontologische Weiterentwicklung des Kosmos insgesamt und speziell auch auf der Erde an irgendeine inhärente Grenze stößt. Systemtheoretische Betrachtungsweise Emergenz ist eine kennzeichnende Eigenschaft von hierarchisch strukturierten Systemen. Solche Systeme haben auf der Makroebene Eigenschaften, die auf der einfacheren Organisationsebene, der Mikroebene, nicht vorhanden sind. Sie entstehen durch synergetische Wechselwirkungen zwischen den Elementen auf der Mikroebene. Theorie komplexer Systeme Die Theorie komplexer Systeme baut auf systemtheoretischen und chaostheoretischen Erkenntnissen zur Emergenz auf. Beispiele Biologie Emergenztheorien in der Biologie wollen einen nicht-reduktionistischen Physikalismus begründen. Organismen stellen demnach ein solches hierarchisches System dar: Sie bestehen aus Organen, diese aus Zellen, diese wiederum aus Organellen und diese sind wiederum aus Makromolekülen zusammengesetzt. Ein Proteinmolekül besitzt Eigenschaften, die keines der Atome aufweist, aus welchen es zusammengesetzt ist. Die isolierte Betrachtung eines männlichen Wolfes (zum Beispiel unter den Aspekten der Autökologie, Physiologie oder Anatomie) führt zur Erklärung vieler Strukturen, ihrer Funktionen und Verhaltensweisen. Die Bedeutung der Geschlechtsorgane ergibt sich aber erst dann, wenn auch der Zusammenhang zu den Weibchen erkannt wird. Damit werden aber Männchen und Weibchen als Elemente eines übergeordneten Systems, der Fortpflanzungsgemeinschaft, betrachtet. Für den Einzeller Chlamydomonas ist die Fähigkeit zur Photosynthese keine emergente Eigenschaft, da sie aus der Photosynthesefähigkeit bestimmter Teile, der Chloroplasten, resultiert. Räumliches Sehen mit zwei Augen (deren Sichtfeld sich nennenswert überschneidet; stereoskopisches Sehen oder Binokularsehen) ist mit nur einem Auge so nicht möglich. Eine australische Bienenart konstruiert spiralige und konzentrische Wabenstrukturen ohne Kommunikation. Die komplexen Muster ergeben sich allein aus Selbstorganisation sowie einfachen mathematischen Grundregeln und sind damit das Ergebnis eines Emergenz-Phänomens, entstanden „aus der Summe vieler einfacher Einzelschritte“. Neurologie Ein häufig verwendetes Beispiel stammt aus der Neurologie: Das Gehirn besteht aus sehr vielen, oberflächlich gesehen ähnlichen Elementen, den Nervenzellen, und weiteren Zellen, deren Funktion teilweise noch wenig erforscht ist. Aus dem Zusammenspiel dieser Bausteine emergieren Aktivitätsmuster, die die eigentliche Gehirntätigkeit ausmachen, vgl. Situationskreis. Douglas R. Hofstadter schildert, wie vergleichbare Systeme von Symbolen auf ganz verschiedenen Systemen kooperierender einfacherer Elemente sichtbar werden, so Intelligenzleistungen von Ameisenhaufen, Bienenschwärmen und menschlichen Hirnen, und zwar so, dass in den Ameisen, Bienen oder Neuronen nichts von den Symbolen auffindbar ist. Soziologie Seit Émile Durkheim, der die Soziologie mit Argumenten der Emergenztheorie als eigenständige Wissenschaft begründet hat, spielt die Vorstellung emergenter Phänomene in der Soziologie eine wichtige Rolle. Wichtige Exponenten soziologischer Emergenzkonzepte waren daneben Talcott Parsons und Niklas Luhmann und, wie oben bereits erwähnt, Norbert Elias. Bei Luhmann findet sich eine innovative Fassung des Emergenzbegriffs, bei dem das Verhältnis vom Ganzen und seinen Teilen im Theoriedesign durch die Differenz zwischen System und Umwelt ersetzt wird. So ist nach Luhmann die Gesellschaft emergent gegenüber den Individuen (im Sinne des psychischen Bewusstseins), die in seiner Theorie in der Umwelt der Gesellschaft ihren Platz finden. Größe, Form/Gestalt, Richtung, Geschwindigkeit und Wellenbewegungen in Schwärmen sind emergent gegenüber dem Individuum, z. B. Fisch oder Vogel. Diese Änderungen oder Bewegungen laufen z. T. schneller ab, als es das Reaktionsvermögen des einzelnen Fisches oder Vogels isoliert zulassen würde. Menschenmengen oder -massen können emergentes Verhalten bzw. Eigenschaften an den Tag legen, z. B. bei Großveranstaltungen oder (Monumental-)Paraden in Stadien, wo farbige Kostüme oder Flaggen es möglich machen, Muster, Bilder, ja ganze Bildergeschichten zu erzählen. Auch die La Ola kommt in einem Stadion rundum am besten zur Geltung. In ihren Fortbewegungen entlang der Infrastruktur (an Bahnhöfen, Bahnsteigen, Flughäfen, Rolltreppen, Wartezonen, Autobahnbaustellen, Haltestellen) zeigen sie umgekehrtes Strömungsverhalten (bei Engstellen: erhöhter Druck und verringerte Geschwindigkeit) oder Herdenverhalten – ein anderes bei Stau- und Stoßzeiten als bei Panik und als bei geringem Menschenaufkommen (siehe auch Massenpsychologie, Gruppendynamik). Demonstrationen, Truppenbewegungen, die einem Einsatzplan folgen, oder Wanderbewegungen (auch Völkerwanderungen in großem Maßstab) bergen je nach Situationsentwicklung Eigendynamik. Genau genommen bilden systemtheoretisch gesehen schon zwei in einer Beziehung stehende Personen ein neues System mit neuen Eigenschaften. Zum Beispiel verhält sich ein (Ehe–)Paar anders als die beiden Einzelpersonen. Ähnliches gilt für alle Gruppen mit spezifischen Kriterien für ihren Zusammenhalt. Denken und Kommunikation Menschliche Gedanken (Ideen, Konzepte, Theorien) besitzen Emergenzeigenschaften gegenüber den neurologischen Prozessen und psychischen Akten, aus denen sie entstehen. Ebenso sind Emergenzeffekte bei der Kommunikation von Gedankeninhalten zu erkennen, denn die Eigenschaften von Informationen lassen sich nicht linear aus den zugrunde liegenden grammatikalischen Strukturen (Buchstabe, Wort, Syntax) ableiten. Zwar ist Kommunikation auf Medien wie Papier und Tinte angewiesen, aber aus der physikalischen oder chemischen Beschaffenheit von Tinte und Papier lässt sich nichts über den Inhalt der damit geschriebenen Texte ableiten. Die evolutionäre, multiplikative Wirkung solcher kommunizierten Gedankeninhalte versucht die Theorie der Memetik, eine Erweiterung der darwinschen Theorie der natürlichen Selektion bezogen auf den Bereich der Kultur, zu beschreiben. Die Grundeinheit eines kommunikationsfähigen Gedankens ist hierin das Mem, welches sich erst im Fühl- und Denkvermögen eines Individuums und dann durch Kommunikation und Austausch mit anderen Memen weiterentwickelt bzw. verändert. Eine zunehmende „Evolutionsgeschwindigkeit“ der Meme ist nach dieser Theorie durch die Entwicklung der neuen Medien entstanden. Spezialfall: Unterricht Die Lernergruppe kann nach dem Modell des Gehirns konstituiert werden: Die Lerner werden metaphorisch als „Neurone“ definiert, die themenbezogen interagieren und Informationen zu Wissen umformen. Dazu müssen die Lerner über eine Reihe von kommunikativen Fähigkeiten (Reflexe) verfügen, die im Klassenraumdiskurs durch den Lehrer systematisch aufgebaut werden. Die gruppenspezifischen Fähigkeiten und Haltungen, die notwendig sind, um Wissen gemeinsam zu konstruieren (z. B. Bereitschaft und Fähigkeit, rasch zu interagieren), sind emergente Eigenschaften der Lernergruppe (vgl. u. a. Lernen durch Lehren, insbesondere Martin/Oebel 2007). Neue Medien In Zusammenhang mit den Neuen Medien wie dem Internet wird ebenfalls von Emergenz gesprochen. Das Internet lässt neue Effekte entstehen, die man als emergent bezeichnen kann. Durch weitere Vernetzung werden diese Effekte verstärkt. Beispiele sind Netzkunst, Smart Mobs, Online-Spiele, Internetforen, Wikis und Grid-Computing. Auch in den zeitgenössischen technikzentrierten und kybernetisch-systemtheoretisch orientierten Medientheorien der Medienwissenschaften bildet die Emergenz einen Schlüsselbegriff, der meist als Selbstentfaltung gelesen werden kann. Dabei sind Formulierungen wie „Seit Medienenvironments aus sich selbst emergieren …“ zu finden. Auch Friedrich Kittler und Michael Giesecke (in Der Buchdruck in der frühen Neuzeit) verwenden den Begriff. Am radikalsten ist vielleicht die These von George Dyson, der in seinem Buch Darwin among the Machines voraussagt, dass im Internet eine Art künstliche kollektiver Intelligenz emergieren wird. Penelope Sweetser und Peta Wyeth beschäftigen sich in ihren Publikationen (z. B.: „Emergence in Games“ und „GameFlow: a model for evaluating player enjoyment in games“) mit der Erzeugung von Emergenz in Computerspielen. Sie benutzen dabei verschiedene Programmierungstechniken und Algorithmen der Fuzzy Logic, komplexer Systeme, künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens. Wirtschafts- und Sozialsysteme In der Betriebswirtschaftslehre wird der Begriff Emergenz in Verbindung mit nicht-intendierten Effekten durch z. B. Handlungen des Managements großer Unternehmen (als eine Form von komplexen Systemen) verwendet. In der Volkswirtschaftslehre ist umstritten, ob das emergente Resultat des Handelns vieler individueller ökonomischer Akteure auf lange Sicht zu effizienten Gleichgewichtszuständen im Sinne von Adam Smiths unsichtbarer Hand des Marktes führt, oder zu einer Abfolge von kurzfristig destruktiven Innovationsschüben (Schumpeters Schöpferische Zerstörung). Daron Acemoglu und James A. Robinson haben festgestellt, dass es bei den Wirtschafts- und Sozialordnungen eine große Bandbreite gibt, die von inklusiven bis zu extraktiven Systemen reicht. Inklusive Systeme zeichnen sich aus durch eine breite aktive Beteiligung der Bürger in Wirtschaft und Politik, die Förderung der Ausbildung, der Wissenschaft und der unternehmerischer Initiative, die persönliche Freiheit bei der Wahl der Ausbildung und der Berufswahl, ein breit verteiltes Wissen der Bürger, die Existenz von persönlichem Eigentum usw. Hinzu kommt ein allgemein verbindliches Rechtssystem und eine zentrale Institution, die Ordnung und Recht gewährleistet, eine Vielfalt im wirtschaftlichen Wettbewerb ohne Beschränkung des Zugangs zu den Märkten usw. Alle Menschen haben dadurch einen Anreiz, für sich selbst und die Gesellschaft etwas zu tun, weil sie wissen, dass sie unmittelbar oder mittelbar selbst davon profitieren. Inklusive Systeme sind symbiotische Systeme. Bei extraktiven Systemen konzentriert sich Macht, Reichtum und Wissen auf eine kleine selbsternannte Elite, die i. d. R. nicht besonders gut qualifiziert ist, denn sie ist meist durch Geburtsrecht oder Parteibuch an die Spitze gekommen. Sie wird auch nicht kontrolliert, denn es gibt keine Gewaltenteilung; Legislative, Jurisprudenz und Exekutive sind in der Hand der Elite. Die Bürger werden mehr oder weniger als Sklaven des Systems erzogen und behandelt, es gibt kein oder nur ein sehr geringes Privateigentum, der Zugang zum Beruf wird z. B. durch Zünfte beschränkt, unternehmerische Initiativen unterdrückt, Märkte monopolisiert usw. Dadurch fehlt in einem extraktiven System für die allermeisten Menschen der persönliche Anreiz und die Motivation, mehr als das allernotwendigste zu tun. Allgemeine Bildung, Fortschritt und Innovation wird von der Elite unterdrückt, weil dadurch ihre Macht gefährdet werden könnte. Wegen der großen sozialen Unterschiede zwischen den vielen ganz Armen und den wenigen ganz Reichen sind extraktive Sozialordnungen sehr viel konfliktträchtiger als inklusive. Sie sind deshalb weniger stabil, und ihre Aufrechterhaltung erfordert einen großen militärischen und finanziellen Aufwand. Extraktive Eliten sind – naturwissenschaftlich gesehen – Schmarotzer. Einseitige Ideologien wirken in der Gesellschaft als Ordnungsparameter und beeinträchtigen die emergente Selbstorganisation und den Pluralismus, und als Folge mittel- und langfristig die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit der Gesellschaft. Sie schränken das dynamische Gleichgewicht zwischen den Antagonisten einseitig ein und zwingen dadurch die gesellschaftlichen Prozesse in instabile Bereiche weit weg von den Attraktoren. Ein Beispiel für eine ausgewogene dynamische Struktur einer Gesellschaft ist Hayeks „Erweiterte Ordnung des menschlichen Zusammenwirkens“ die den bewussten Entwurf von Rahmenbedingungen mit einem möglichst großen Anteil von spontanen selbstorganisierten Prozesse verbindet. Physik Insbesondere in der Physik finden sich Beispiele für die Emergenz von Merkmalen, da die Eigenschaften der gesamten makroskopischen Welt emergente Eigenschaften sind. Eine Ansammlung weniger Eisenatome hat keine Eigenschaft, die nennenswert über die Summe der Eigenschaften der Einzelatome hinausginge. Sind es aber einige Millionen, bilden sich spontan kristalline Strukturen und unterhalb der Curie-Temperatur ferromagnetische Bereiche, Weiss-Bezirke; diese emergente Eigenschaft beobachtet man bei Zimmertemperatur nur bei Eisen, Kobalt und Nickel. Ein einfacher Haufen von Eisenatomen, also ein Eisenklotz, hat schon solche neuen Eigenschaften, zum Beispiel seine Temperatur oder seine Festigkeit. Diese Eigenschaften hat das einzelne Eisenatom nicht. Wie viele von ihnen man auf einem Haufen braucht, um eine physikalische Messgröße wie „Temperatur“ definieren zu können, ist unklar; man spricht vom Haufen-Paradoxon. Ebenso hat ein einzelnes Schwefelatom keine gelbe Farbe, sondern überhaupt keine. In einem einfachen Fall betrachtet man etwa die Eigenschaften eines Gases und die Eigenschaften der Moleküle, aus denen jenes Gas besteht. Während das Gas über Eigenschaften wie etwa „Temperatur“ oder „Druck“ verfügt, ist dies für keines der konstituierenden Moleküle der Fall. (Ein einzelnes Molekül hat weder eine „Temperatur“ noch einen „Druck“.) Die genannten Attribute sind emergent, da sie nicht Kennzeichen der Bestandteile sind, die das Gesamtsystem „Gas“ bilden. Dies gilt darüber hinaus für die gesamte Thermodynamik. Auch solche Phänomene wie etwa der Paramagnetismus, das Gefrieren von Wasser zu Eis, Supraleitfähigkeit, die Eigenschaften schwerer Sterne, das Wetter, das Spektrum eines schwarzen Strahlers (z. B. das Sonnenlicht) und selbst die vertikale Verteilung von Luftmolekülen in der Erdatmosphäre sind emergente Eigenschaften. Das Forschungsgebiet, welches die makroskopische Welt auf mikroskopischer Ebene untersucht und begründet, ist die statistische Physik. Ein dynamisches Beispiel ist die Bildung von Strudeln in Flüssigkeiten oder Gasen (Windhose/Tornado in Luft), die nicht einmal aus denselben Einzelelementen bestehen, die in einen Strudel hineingeraten und ihn wieder verlassen, während der Strudel bestehen bleibt. Die Emergenz spielt auch eine herausragende Bedeutung in der Clusterphysik, weil hier die Eigenschaften des Festkörpers evolutionär oder spontan durch die Vergrößerung der Atomanzahl bei Atomaggregaten (Cluster) entstehen. Im Bereich der Elektronik stelle man sich eine Spule und einen Kondensator in Parallel- oder Serienschaltung vor. Die Eigenschaften des resultierenden Schwingkreises lassen sich dann aus denen der Bauelemente berechnen. Insofern ist der Schwingkreis im Modell der Bauelemente reduktionistisch berechenbar. Die Berechnung seiner Eigenschaften auf Basis der Atome oder gar Elementarteilchen ist jedoch nicht möglich. Andererseits hat der Schwingkreis emergente Funktionen, nämlich die Schwingungsmodi, die seine Bauelemente nicht haben. Fazit: Emergenz und Reduktionismus sind bei diesem Beispiel nicht im Widerspruch zueinander. Der Nobelpreisträger (1998) Robert B. Laughlin versteht unter Emergenz ein physikalisches Ordnungsprinzip und erachtet sogar die Schwerkraft sowie Raum und Zeit als nicht fundamental, sondern bei großen Längenskalen als emergent. Mathematik Vor allem in der Mathematik lassen sich emergente Phänomene leicht veranschaulichen: Conways Spiel des Lebens ist ein System vieler kleiner Zellen, die entweder lebendig oder tot sein können. Sehr einfache Regeln geben für jede einzelne Zelle an, wie diese mit der Zeit ihren Zustand (lebendig/tot) ändert. Das gesamte System kann dabei – je nach Anfangskonfiguration – ein außerordentlich komplexes, geordnetes und erstaunliches Verhalten aufweisen, das nicht darauf schließen lässt, dass die Einzelkomponenten (die Zellen) sehr primitiven Regeln gehorchen. Ein weiteres erstaunliches emergentes Verhalten zeigt Langtons Ameise. Software Im Bereich der Softwareentwicklung werden emergente Softwaresysteme als Softwaresysteme beschrieben, die dynamisch und flexibel eine Vielzahl von Komponenten unterschiedlicher Hersteller – v. a. im Bereich Unternehmenssoftware – kombinieren können. Auf veränderte Anforderungen im Markt und im Geschäftsumfeld können solche Systeme daher schnell reagieren. Die emergente Eigenschaft solcher Softwaresysteme liegt darin, dass durch die Kombination der verschiedenen Komponenten neue, nicht im Voraus geplante Services entstehen können, die mehr als die Summe der Teile der einzelnen Komponenten sind. Aus technologischer Sicht stehen emergente Softwaresysteme in der Tradition von Serviceorientierter Architektur. Die Erforschung emergenter Softwaresysteme ist ein Kernthema im Software-Cluster, einem Verbund aus deutschen Software-Unternehmen und Forschungseinrichtungen. Kritik Konrad Lorenz hat die Bezeichnung Emergenz kritisiert, da seine deutsche Bedeutung (Auftauchen) suggeriere, etwas bereits Existentes, lediglich bislang Verborgenes komme zum Vorschein. Er hat stattdessen den Begriff Fulguration vorgeschlagen. Die Idee der Emergenz von Émile Durkheim wurde in der Philosophie kritisiert, indem u. a. dessen ontologische Auffassung bestritten wurde. Während Durkheims Kritiker in dessen Werk die Auffassung einer Gesellschaft als eigenständigem „Wesen“ mit einer eigenen Form von „Bewusstsein“ – in Gestalt von „kollektiven Repräsentationen“ oder eines „Kollektivbewusstseins“ – erkennen, negieren reduktionistische Ansätze Formen des Bewusstseins, die über individuelle Psychen hinausgehen. Aus einer reduktionistischen Perspektive gibt es keinen ontologischen Unterschied zwischen den Individuen und der Gesellschaft. Die Wissenschaftstheoretiker Mario Bunge und Martin Mahner wenden sich gegen Definitionen wie z. B. die des Evolutionsbiologen Ernst Mayr, der Emergenz als Eigenschaft sieht, die nicht aus Kenntnis der Eigenschaften der Teile vorhergesagt oder erklärt werden kann. Sie begründen dies damit, dass Emergenz etwas mit der realen Welt zu tun habe und nicht mit dem Wissen über sie. Der Begriff der Emergenz sei ein ontologischer und kein erkenntnistheoretischer. Die inflationäre Verwendung des Begriffs Emergenz steht auch in der Kritik, da viele Effekte als emergent beschrieben werden, obwohl die angeblich neuen Eigenschaften des Gesamtsystems auch aus ihren Einzelteilen erklärbar wären. Die Beschreibung einer Eigenschaft als emergent ist demnach oft nur eine Entschuldigung für mangelnde Einsicht oder Intelligenz des Betrachters, der die komplexen Zusammenhänge in einem System nicht versteht und vereinfachend als emergent bezeichnet. So fragt sich Bruce Gibb in einem Aufsatz für Nature Chemistry, ob sich die typische Spiralform eines Tornados oder dessen Zerstörungskraft mit dem Wissen über die Wärmekapazität des Wassers, die Corioliskraft und die Flüssigkeitsdynamik erklären lassen. Sein pointiertes Fazit lautet, dass man einen Tornado ohne das Verständnis dieser Hintergründe nur allzu leicht als emergente Eigenschaft abtun kann. Zitate Philip Warren Anderson: Original: Von ihm stammt die Kurzfassung des Phänomens der Emergenz: More Is Different Murray Gell-Mann: Original: Robert B. Laughlin: Siehe auch Emergenesis Autopoiesis Literatur Mario Bunge, Martin Mahner: Über die Natur der Dinge. Materialismus und Wissenschaft. Hirzel, Stuttgart 2004, ISBN 3-7776-1321-5. Philip Clayton: Emergenz und Bewusstsein. Evolutionärer Prozess und die Grenzen des Naturalismus. Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2008, ISBN 978-3-525-56985-6. Günter Dedié: Die Kraft der Naturgesetze - Emergenz und kollektive Fähigkeiten durch spontane Selbstorganisation, von den Elementarteilchen bis zur menschlichen Gesellschaft. tredition, Hamburg 2014. ISBN 978-3-8495-7901-2. Jens Greve, Annette Schnabel (Hrsg.): Emergenz. Zur Analyse und Erklärung komplexer Strukturen. Suhrkamp Verlag, Berlin 2011, ISBN 978-3-518-29517-5. Jochen Fromm: The Emergence of Complexity. Kassel University Press, Kassel 2004, ISBN 3-89958-069-9. John H. 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Q215772
135.331783
1240
https://de.wikipedia.org/wiki/Esperanto
Esperanto
Esperanto ist die am weitesten verbreitete Plansprache. Ihre heute noch gültigen Grundlagen wurden als internationale Sprache 1887 von dem Augenarzt Ludwik Lejzer Zamenhof veröffentlicht, dessen Pseudonym Doktoro Esperanto („Doktor Hoffender“) zum Namen der Sprache wurde. Esperanto besitzt in keinem Land der Welt den Status einer Amtssprache. Das linguistische Sammelwerk Ethnologue stellt institutionellen Gebrauch von Esperanto und eine Sprachgemeinschaft von mehr als einer Million Sprechern (inkl. Zweitsprachler) fest. Polen und Kroatien haben Esperanto 2014 bzw. 2019 als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Die Ungarische Akademie der Wissenschaften hat 2004 bestätigt, dass Esperanto eine lebende Fremdsprache ist. In Ungarn haben zwischen 2001 und 2009 etwa 39.000 Personen eine staatlich anerkannte Esperanto-Sprachprüfung abgelegt; das sind etwa 0,4 % der Bevölkerung. China veröffentlicht seit 2001 täglich Nachrichten sowie weiterhin seit längerem eine Internet-Zeitschrift in Esperanto. China Radio International (CRI) veröffentlicht auf seiner Website Textnachrichten und Videos in Esperanto (die Radiosendungen wurden 2021 eingestellt). In der chinesischen Stadt Zaozhuang in der Provinz Shandong eröffnete 2013 ein Esperanto-Museum mit 680 Quadratmetern Ausstellungsfläche, das für 3 Mio. Yuan erbaut worden war. China unterstützt in Zusammenarbeit mit der UNESCO seit 2017 die Herausgabe der Zeitschrift Unesco-Courier in Esperanto. Der Vatikan hat 1990 liturgische Texte in Esperanto für Messen zugelassen. Das Esperanto-PEN-Zentrum ist seit 1993 Mitglied in PEN International. Die Österreichische Nationalbibliothek in Wien beherbergt eine Plansprachensammlung und ein Esperantomuseum. Die Esperanto-Wikipedia hatte im Juni 2021 etwa 300.000 Artikel; nach der Größe steht diese Wikipedia-Ausgabe damit auf Platz 36 und bietet leicht mehr Artikel als etwa die hebräische, armenische, bulgarische oder dänische Version. Bei Twitter gehörte Esperanto in jedem Jahr von 2009 bis 2019 zu den Top-30-Sprachen. Geschichte Hintergründe zur Entstehung Der Esperanto-Gründer Ludwik Lejzer Zamenhof wuchs in der heute polnischen, damals zum Russischen Reich gehörenden Stadt Bjelostock auf. Auf Grund der ethnisch diversen Bevölkerung von Polen, Litauern, Deutschen und vor allem Juden, bildeten sich ghetto-artige Strukturen. Oft gab es körperliche Auseinandersetzungen und Pogrome. Schon zu seiner Schulzeit kam Zamenhof der idealistische Gedanke, dass eine neutrale Sprache notwendig sei, um Ethnozentrismus und Ghettobildung zu verhindern, und letztlich auch ein Schlüssel zum Weltfrieden wäre. Der Begriff Homaranismo beschreibt seine Lehre von der Verbrüderung der Menschheit. Die drei Ziele 1887 veröffentlichte Zamenhof in Warschau eine Broschüre mit den Grundlagen der Sprache. In seinem von seiner Frau Klara Zamenhof finanzierten Unua Libro („Erstes Buch“) formulierte er zugleich drei Ziele für seine Sprache: „Die Sprache muss sehr leicht sein, so dass sie jeder sozusagen spielend erlernen kann.“ „Jeder, der diese Sprache erlernt hat, muss sie sofort zum Verkehr mit anderen Nationalitäten benutzen können, ganz abgesehen davon, in wie fern diese Sprache von der Welt anerkannt wird, ob sie viele, wenige oder gar keine Anhänger hat, d. h. dass die Sprache gleich von Vorne herein, in Folge ihres besonderen Baues, als Mittel zum internationalen Verkehr dienen kann.“ „Ein Mittel zu finden, die Gleichgültigkeit der Welt zu überwinden, und dieselbe zu ermuntern, sofort und ‚en masse‘ von dieser Sprache, als von einer lebenden Sprache, Gebrauch zu machen, nicht aber nur mit einem Schlüssel dazu in der Hand, oder nur im äussersten Nothfalle.“ Das erste Ziel soll u. a. durch folgende Mittel erreicht werden: Die Schreibweise ist phonematisch. Jeder Buchstabe hat nur eine Aussprache. Es gibt kein grammatikalisches Geschlecht (Nicht so wie im Deutschen: Der Löffel, die Gabel, das Messer). Es gibt nur eine Deklination. Es gibt nur eine Konjugation. Die Sprache ist agglutinierend, d. h. alle Wortstämme bleiben bei Konjugation und Deklination unverändert. Es gibt nur sehr wenige grammatische Regeln und diese gelten ohne Ausnahmen. Die erste Ausgabe des Unua Libro, in Russisch, umfasst 40 Seiten im Format A5. Der Grammatik-Teil darin enthält 16 Regeln auf sechs Seiten. Entwicklung bis 1914 1889 folgte eine Adressenliste mit den ersten Anhängern, außerdem wurde die auf Esperanto in Nürnberg herausgegebene Zeitschrift La Esperantisto gegründet. 1898 gründete Louis de Beaufront eine französische Esperanto-Gesellschaft, aus der später der erste Esperanto-Landesverband wurde. Marie Hankel übersetzte die von Zamenhof verfasste Dichtung „La Espero“. In der Vertonung des Barons Félicien Menu de Ménil aus Paris avancierte diese zur internationalen bei allen größeren Festlichkeiten der Esperantisten in allen Ländern gesungenen Hymne. 1908 wurde der Esperanto-Weltbund gegründet. Bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges gab es Verbände oder zumindest Ortsgruppen auf allen Kontinenten. Von 1914 bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs Im November 1920 veröffentlichte die Vossische Zeitung eine Idee aus der Zeitung L’Avenir, wie sich Esperanto schnell als Weltsprache etablieren könnte. In dem Hinweis heißt es: Die Nordische Rundfunk AG begann am 5. Oktober 1924, jeden Montag um 18.00 Uhr Nachrichten in Esperanto unter dem Titel auszustrahlen. Andererseits kam es zwischen den beiden Weltkriegen in mehr als einem Dutzend Ländern zu Behinderungen. Im nationalsozialistischen Deutschland wurden neben vielen anderen auch Plansprachenvereinigungen verboten. Unter Josef Stalins Herrschaft in der Sowjetunion gab es kein öffentlich bekannt gemachtes Verbot, jedoch wurden bereits mit Beginn der Großen Säuberung neben vielen anderen Gruppen auch führende Esperanto-Sprecher verhaftet und deportiert. Der Geheimdienst NKWD listete zunächst u. a. „alle Menschen mit Auslandskontakten“ auf. Ein Befehl von 1940 aus Litauen listet „Esperantisten“ neben Briefmarkensammlern unter den zu registrierenden Personengruppen. Tausende Esperantosprecher wurden verhaftet und in Lager gesperrt; Rytkov schätzte, dass unter den 1,5 Millionen Verhafteten auch 30.000 sowjetische Esperanto-Sprecher waren, von denen einige Dutzend erschossen wurden; Tausende starben später in Lagern. Nach dem Zweiten Weltkrieg Während des Kalten Krieges dauerte es längere Zeit, bis in den osteuropäischen Staaten Esperanto-Verbände gegründet werden konnten. Eine Ausnahme bildete Jugoslawien, wo bereits 1953 ein Esperanto-Weltkongress stattfand. 1958 fand der Kongress in Mainz, in Deutschland statt, 1959 in Warschau. Seit 1959 gibt es auch den Versuch, mit dem Stelo eine völkerverbindende Komplementärwährung einzuführen, die bis heute verwendet wird und im Jahr 2022 zum Kurs von etwa 1 € = 4 steloj getauscht werden kann. Es war der erste Weltkongress in einem Land des Ostblocks. Nach und nach entwickelten sich Kontakte und Zusammenarbeit zwischen den Landesverbänden in Ost und West. In den 1960er Jahren wurden zwei Spielfilme in Esperanto gedreht, Angoroj (Frankreich, 1964) und Inkubo (USA, 1966). 1980 durfte der chinesische Landesverband dem Esperanto-Weltbund beitreten. Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der Landesverbände im Weltbund stetig an. 1948 hatte der Weltbund 19 Landesverbände, 1971 bereits 34, 1989 waren es 47 und 2013 insgesamt 71. Die Anzahl der Menschen, die diesen Verbänden angehören, wuchs jedoch nicht in gleichem Maße und sank auch wieder. 2016 befand sie sich auf dem niedrigsten Stand seit 1947. Demgegenüber gibt es eine zunehmende Anzahl von Gruppen im Internet (z. B. soziale Netze und Mitarbeiter an Projekten wie Wikipedia, Sprachkurse, Wörterbücher und Programme). 1948 wurde in Amsterdam ein internationaler Eisenbahner-Esperanto-Bund gegründet. 1953 fand in Deutschland der erste Esperanto-Kongress nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankfurt am Main statt. Sprachbau Die Wörter bestehen überwiegend aus unveränderlichen Wortelementen, die aneinandergefügt werden. So wird beispielsweise die Mehrzahl der Substantive und Adjektive und der Pronomen durch das Anhängen eines -j gebildet: domo ,Haus‘, domoj ,Häuser‘, der Objektfall durch das Anhängen eines weiteren -n: domojn‚ Häuser (Akk. Plural)‘. Der Wortstamm wird nicht verändert, wie es oft im Deutschen vorkommt. Das hier sichtbare agglutinierende Prinzip ist beispielsweise auch aus dem Finnischen, Ungarischen und Türkischen bekannt. Zamenhof strebte einen regelmäßigen Sprachbau an, um den Lernaufwand zu minimieren, insbesondere in der Morphologie und bei der Wortbildung. Für die Deklination von Substantiven und die Konjugation von Verben gibt es jeweils nur ein Schema. Auch das in vielen Sprachen unregelmäßige Verb „sein“ wird im Esperanto nach demselben Schema konjugiert wie alle anderen Verben: Zur besseren Erkennbarkeit haben einige Wortarten bestimmte Endungen. -o beispielsweise ist die Endung für Substantive: domo ,Haus‘; -a ist die Endung für Adjektive: doma ,häuslich‘ usw. Auch einige Wörter, die weder Substantive noch Adjektive sind, enden auf -o oder -a, sodass der Endvokal allein zur Wortartbestimmung nicht ausreicht. Viele Esperanto-Wörter entstammen dem Latein oder romanischen Sprachen. Ein guter Teil von ihnen findet sich auch in anderen Sprachen (vgl. Esperanto muro, deutsch Mauer, polnisch mur, niederländisch muur aus lateinisch murus; französisch: mur, italienisch/portugiesisch/spanisch: muro). Ein ziemlich großer Anteil kommt aber auch aus germanischen Sprachen, vor allem dem Deutschen und Englischen (je nach Textkorpus wird dieser Anteil auf fünf bis zwanzig Prozent geschätzt). Dazu gibt es eine Reihe von Wörtern aus slawischen Sprachen, besonders dem Polnischen und dem Russischen (etwa Esperanto kolbaso, polnisch kiełbasa, russisch колбаса́, deutsch Wurst). Außerdem wurden ein paar Wörter aus dem Griechischen entlehnt (Esperanto kaj, griechisch και). Die Auswahl derjenigen Sprache, aus der Zamenhof ein Wort nahm, bestimmte er nach Zweckmäßigkeit, zunächst danach, welches Wort den meisten bekannt sein könnte, dann oft, um Verwechslungen zu vermeiden. Allerdings gibt es auch falsche Freunde, wie in anderen Sprachpaaren (Esperanto regalo bedeutet Bewirtung, vgl. französisch régaler, bewirten; ein Regal wird in Esperanto als bretaro übersetzt, wörtlich Bretteransammlung). Einige Wörter sind in mehreren indogermanischen Sprachen bekannt, zum Beispiel Esperanto religio ‚Religion‘: englisch religion, französisch religion, polnisch religia; Esperanto lampo ‚Lampe‘: englisch lamp, französisch lampe, polnisch lampa usw. Teilweise existieren im Esperanto bewusste Mischformen, zum Beispiel ĝardeno ‚Garten‘: Die Schreibung ähnelt englisch garden, die Aussprache ähnelt französisch jardin. Die Schreibweise ist phonematisch, das heißt, dass jedem Schriftzeichen nur ein Phonem (Sprachlaut) und jedem Phonem nur ein Schriftzeichen zugeordnet ist. Sie verwendet Buchstaben des lateinischen Alphabets, ergänzt durch Überzeichen (diakritische Zeichen). Beispielsweise entspricht ŝ dem deutschen sch und ĉ dem tsch (z. B. in ŝako ‚Schach‘ und Ĉeĉenio ‚Tschetschenien‘). (Siehe auch Esperanto-Rechtschreibung.) Sprachbeispiel Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, Artikel 1: Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren. Sie sind mit Vernunft und Gewissen begabt und sollen einander im Geist der Brüderlichkeit begegnen. Forschung Die Esperantologie ist derjenige Teil der Sprachwissenschaft, der sich mit Esperanto befasst. Jährlich erscheinen einige hundert wissenschaftliche Artikel zu Esperanto und anderen geplanten Sprachen. So stellte der Wirtschaftswissenschaftler François Grin die Hypothese auf, es könnten durch die Verwendung von Esperanto 25 Millionen Euro jährlich gespart werden. In Deutschland gibt es die „Gesellschaft für Interlinguistik“, deren etwa 65 Mitglieder sich der Erforschung des Esperanto und anderer geplanter sowie internationaler Sprachen und ihrer Verwendung widmen. Organisationen Der mit etwa 15.000 Mitgliedern größte weltweite Dachverband ist der Esperanto-Weltbund mit Sitz in Rotterdam. Ihm obliegt die Ausrichtung und Organisation des jährlich stattfindenden Esperanto-Weltkongresses, der größten und wichtigsten Veranstaltung mit Teilnehmerzahlen zwischen 350 und 3000. Die größten Esperanto-Organisationen in Deutschland sind mit etwa 700 Mitgliedern der Deutsche Esperanto-Bund sowie dessen Jugendorganisation, die Deutsche Esperanto-Jugend, die mit ihren Orts-, Regional- und Landesverbänden etwa 100 Mitglieder hat. Diese ist gleichzeitig Mitglied der weltweiten Jugendorganisation TEJO. Im österreichischen Landesverband sind 72 Esperantisten organisiert, die Schweizerische Esperanto-Gesellschaft vertritt 170 Mitglieder inklusive der Jugendgruppe. In Japan gibt es die recht aktive Esperantistenbewegung „Swan“, die von dem reichen Unternehmer Etsuo Miyoshi finanziell stark unterstützt wird. Er publiziert auch seit Jahren in Europäischen Zeitungen (z. B. DIE ZEIT, Le Monde) große Anzeigen, in denen für das Erlernen von Esperanto geworben wird. Damit soll unter anderem erreicht werden, dass die EU Esperanto anerkennt und anwendet. Anzahl der Sprecher Esperanto als zweite Muttersprache Nach Darstellung des Esperanto-Aktivisten Renato Corsetti waren 1996 etwa 350 Familien bei der „Familia Rondo“ des Esperanto-Weltbundes registriert, in denen die Kinder mit Esperanto als zweiter Muttersprache aufwuchsen. Eine Schätzung der Vorsitzenden der Gesellschaft für Interlinguistik von 2012 geht von bis zu 2000 Muttersprachlern aus; der Esperanto-Weltbund gab im April 2017 eine Anzahl von 1000 Muttersprachlern an. Esperanto als Fremdsprache Die Schätzungen für die Zahl der heutigen Sprecher weichen stark voneinander ab – es finden sich Zahlen zwischen 100.000 und zehn Millionen. Dabei ist zu beachten, dass verschiedene Angaben sich auf unterschiedliche Niveaus der Sprachbeherrschung und -nutzung beziehen; oft wird von ein paar Millionen ausgegangen, die Esperanto gelernt haben, und ein paar hunderttausend, die Esperanto regelmäßig sprechen. Schätzungen gehen davon aus, dass in den über 130 Jahren seines Bestehens zwischen 5 und 15 Millionen Menschen Esperanto erlernt hätten. Im Jahr 1889 lebten noch über 90 % der Esperantosprecher in Russland. Eine umfassende Erhebung des deutschen Esperanto-Instituts im Jahr 1926 ergab eine Anzahl von 136.209 Sprechern weltweit, darunter über 120.000 in Europa, etwa 31.000 in Deutschland. Esperanto habe darüber hinaus eine lange Geschichte in Ländern wie China, Japan und Brasilien, und aktive Esperanto-Sprecher könnte man in den meisten Ländern der Welt finden, schreiben Byram und Hu. John R. Edwards zitiert einen Zeitungsartikel von People's Daily, laut dem es in China 2004 ca. 10.000 Esperanto-Sprecher gab, von denen etwa 10 % die Sprache fließend beherrschten. Bei der ungarischen Volkszählung für 2011 gaben 8397 Personen Esperanto-Kenntnisse an. Bei einer Einwohnerzahl von etwa 10 Millionen entspricht das einem Anteil von etwas weniger als 0,1 Prozent der Bevölkerung, die angaben, Sprachkenntnisse in Esperanto zu besitzen; im Vergleich zu anderen Fremdsprachen liegt Esperanto auf Platz 15. Seit 2001 sind in Ungarn etwa 39.000 staatlich anerkannte Esperanto-Sprachprüfungen abgelegt worden, also von etwa 0,4 % der Bevölkerung. Bei der russischen Volkszählung für 2021 gaben 753 Personen Esperanto-Kenntnisse an. Das linguistische Sammelwerk Ethnologue gab 2017 eine Zahl von zwei Millionen Menschen an, die Esperanto sprechen; diese Zahl basiert auf Schätzungen von 2004 und 2015. Mark Fettes, Vorsitzender der Universala Esperanto-Asocio (UEA) von 2013 bis 2019, schätzte im Jahr 2003 eine Zahl von weniger als 150.000 aktiven Sprechern weltweit; für diese Schätzung wurde angenommen, der Esperanto-Weltbund (UEA) habe 20 % der aktiven Esperanto-Sprecher als Mitglieder (damals etwa 20.000 Mitglieder in den Landesverbänden). Rudolf Fischer, damals Vorsitzender des Deutschen Esperanto-Bundes, vermutete 2008: Anzahl organisierter Esperanto-Sprecher Ende 2016 hatte der Esperanto-Weltbund (UEA) 4365 Einzelmitglieder und 8689 assoziierte Mitglieder. Das ist der niedrigste Stand seit der Neugründung der UEA 1947. Esperanto als Unterrichtsfach Esperanto in sozialistischen Staaten Während zu Zeiten des Kalten Kriegs in den sozialistischen Staaten Esperanto gefördert wurde, spielt Esperanto-Unterricht in Schulen oder Hochschulen des ehemaligen Ostblocks heute faktisch keine Rolle mehr. Nach Angaben aus dem Jahr 1982 wurde seinerzeit in 36 Ländern Esperanto-Unterricht aufgrund staatlicher Verfügungen erteilt. Dazu gehörten viele sozialistische Staaten, darunter Polen, Ungarn, Bulgarien und die baltischen Sowjetrepubliken. Hintergrund war die Tatsache, dass die damaligen sozialistischen bzw. kommunistischen Staaten Englisch als De-facto-Weltsprache und die damit einhergehende westliche Dominanz nicht akzeptieren wollten und daher Esperanto als Gegengewicht unterstützten. Dazu wurden die staatlich unterstützten Esperanto-Verbände eingesetzt. Lehrveranstaltungen an Universitäten gab es 1970 weltweit an 15 Hochschulen, 1980 an 51 und 1985 an 110 Hochschulen in 22 Ländern. Nach einer Schätzung des Esperantisten Humphrey Tonkin aus dem Jahr 1984 erlernten an 32 chinesischen Universitäten 120.000 Studenten Esperanto, während gleichzeitig etwa 10 Millionen chinesische Studenten Englisch lernten. Der wichtigste Esperanto-Studiengang bestand zwischen 1969 und 2002 an der Eötvös-Loránd-Universität in Budapest. Esperanto heute Anfang des 21. Jahrhunderts ist in Ungarn Esperanto als Prüfungsfach an einigen höheren Schulen zugelassen. Es existieren kleinere Schulprojekte an Grundschulen wie das britische Springboard to Languages, das an vier Grundschulen durchgeführt wird. Ein dreijähriger esperantosprachiger Studiengang „Interlinguistik“ wird seit 1998 an der Adam-Mickiewicz-Universität Posen angeboten; an der Universität Amsterdam existiert seit 2002 ein vom Esperanto-Weltbund finanzierter, jeweils auf fünf Jahre begrenzter Lehrstuhl für Interlinguistik und Esperanto. Bei Duolingo wird derzeit (2023) ein Esperanto-Sprachkurs auf Englisch angeboten. Für die noch existierenden Kurse auf Französisch, Portugiesisch und Spanisch kann man sich seit Januar 2023 nicht mehr neu anmelden. Duolingo begründet den Schritt damit, dass Updates wegen des geringen Interesses an diesen Kursen nicht rentabel seien. Ob die drei Kurse ganz verschwinden, ist unklar. Esperanto ist außerdem die zweite „Amtssprache“ der Mikronation Molossia. Esperanto im Rundfunk Radio Vatikan strahlt drei- bis viermal pro Woche eine knapp 10-minütige Sendung in Esperanto aus. Der freie Rundfunksender Radio F.R.E.I. in Erfurt hat bis Dezember 2021 einmal im Monat am zweiten Sonntag um 19 Uhr für eine Stunde eine UKW-Sendung in Esperanto angeboten. Immaterielles Kulturerbe in Polen und Kroatien In Polen gehört Esperanto „als Träger der Esperanto-Kultur“ seit 2014 zum offiziellen immateriellen Kulturerbe. Die Republik Kroatien hat die Esperanto-Tradition 2019 ebenfalls als immaterielles Kulturerbe anerkannt. Esperantide Sogenannte Esperantide (auch Esperantoide) sind Sprachen, die auf der Basis von Esperanto konzipiert wurden. Die erste dieser Art ist Mundolinco, die bereits 1888, also ein Jahr nach Esperanto, veröffentlicht wurde. Ido Ido ist eine 1907, also 20 Jahre nach Esperanto, publizierte Plansprache, die auf dessen Gerüst basiert. Es wurden einige Vereinfachungen und Vereinheitlichungen vorgenommen, wie zum Beispiel der Verzicht auf jegliche diakritische Zeichen. Einige Veränderungen erfolgten auch in der Grammatik, wobei es sich nicht um Grundlegendes handelt. Novial Novial ist ein 1928 von Otto Jespersen entwickelter Mittelweg zwischen Esperanto und Ido. Arcaicam Esperantom Arcaicam Esperantom wurde als „archaische Sprachform“ entwickelt, die in der Esperanto-Literatur als Stilmittel zur Verfügung steht. Kritik an Esperanto Gegen Esperanto wurde unter anderem Folgendes als Kritik vorgebracht: Gustav Landauer, Schriftsteller und Anarchist (1907): Der Geist hat zwei schlimme Feinde, erstens, die Dummheit, und zweitens, den Verstand. Oft finden sie sich vereinigt in Form kluger Geistlosigkeit; die hat auch das Esperanto erfunden. […] Die gewachsenen Sprachen können das: Zwischen den Worten lebt da gar vieles, was unsäglich und unaussprechlich ist. Esperanto aber kann nichts anderes sein als Schwätzen. Edgar von Wahl, Erfinder der Plansprache Occidental/Interlingue (1930): Eine „polnische“ Orthographie für den mehrheitlich „latino-romanischen“ Wortschatz führe zu einem fremden Schriftbild und häufigen Schreib- und Lesefehlern (colo ‚Zoll‘, aber kolo ‚Hals‘; caro ‚Zar‘, aber kara ‚lieb‘; deca ‚anständig‘, aber deka ‚zehnter‘). Die „polnische“ Betonung (immer auf der vorletzten Silbe) führe zu einem fremdartigen Klang, der Fehler provoziere (radío ‚Radio‘, regúlo ‚Regel‘, opéro ‚Oper‘). Die Einführung der slawischen Verbalaspekte stelle für Deutsche, Engländer und Japaner große Schwierigkeiten dar. Die „kindische Maskerade“ durch „seine willkürlichen Etiketten für grammatikalische Kategorien, wie die Endung -o für die Hauptwörter“, z. B. hundo ‚Hund‘, brusto ‚Brust‘, haŭto ‚Haut‘, Eŭropo ‚Europa‘, boao ‚Boa‘, knabo ‚Knabe‘. Die Ableitungssilben des Esperanto führen zu Formen, die zu den „international bekannten Formen“ in Gegensatz stehen, z. B. redaktisto ‚Redakteur‘, redaktejo ‚Redaktion‘, publikigaĵo ‚Publikation‘, aliformigilo ‚Transformator‘, katolikismo ‚Katholizismus‘. Esperanto führt deshalb zusätzlich noch „quasi-internationale“, aber nicht regelmäßig abgeleitete Formen ein, z. B. redaktoro, redakcio, transformatoro. „Wo Esperanto international ist, ist es nicht regelmäßig, und wo es regelmäßig ist, ist es nicht international, sondern groteske Willkür.“ Wolf Schneider, Journalist und Schriftsteller, zunächst Englisch-Dolmetscher (1994): Es gebe mit der englischen Sprache bereits eine funktionierende Weltsprache. Die Deklination sei kompliziert und schließe das Adjektiv ein. Jürgen Trabant, Romanist (2011): Hinter dem Lateinischen stehe eine große Literatur, die bei Esperanto völlig fehle. Daher sei die Kunstsprache ungeeignet als Alternative. Das Esperanto-Alphabet wird kritisiert für die Verwendung von Konsonanten-Buchstaben mit Zirkumflex, die in den Alphabeten der Welt sehr selten seien. Der Versuch, diese Zeichen zu ersetzen, führe zu Digraphen, welche für Esperanto untypisch und in Wörterbüchern und Suchabfragen problematisch seien. Auch seien in vielen Sprachen die Fragepronomen (wann, warum, wer, quand, pourquoi, qui, when, why, who, …) phonetisch deutlich voneinander abgegrenzt, was die Kommunikation erleichtere – die Fragewörter in Esperanto seien jedoch alle zweisilbig, mit derselben betonten Silbe „ki-“. Zudem lasse Esperanto als Plansprache keine natürliche Evolution zu; die Weiterentwicklung der Sprache geschehe bislang nur durch die Erweiterung des Vokabulars: Wenn die Sprecher je nach ihrer Herkunft und ihren Bedürfnissen grammatikalische Strukturen, Schreibweisen und die Aussprache veränderten, trete eine unerwünschte Regionalisierung der „Weltsprache“ ein. Siehe auch Liste von Plansprachen Literatur Zamenhofs Broschüre mit den Grundlagen der Sprache Sprachwissenschaft Geschichte Malte König: Esperanto in der Zwischenkriegszeit. Ein kosmopolitisches Projekt auf dem Prüfstand. In: Historische Zeitschrift 314.1 (2022), S. 68–104. Markus Krajewski: Globalisierungsprojekte: Sprache, Dienste, Wissen. In: Niels Werber u. a. (Hrsg.): Erster Weltkrieg. Kulturwissenschaftliches Handbuch. Stuttgart u. Weimar 2014, ISBN 978-3-476-02445-9, S. 51–84. Ross Perlin: Nostalgia for World Culture: A New History of Esperanto. Auf: Review of „Bridge of Words“ (englisch). Wörterbücher (in Buchform) Wörterbücher (online) tatoeba, ein vielsprachiges Sätze-Wörterbuch. Esperanto ist darin mit über 530.000 Beispielsätzen vertreten. (Stand April 2017) Vortaro, großes Online-Wörterbuch für die Übersetzung Esperanto->Deutsch / Deutsch->Esperanto Lehrbücher und Grammatiken Weblinks Deutscher Esperanto-Bund und Deutsche Esperanto-Jugend Internationaler Esperanto-Bund Lernu.net mit Kursen und Wörterbüchern ViVo Wörterbuch mit Verweis auf andere Wörterbücher Esperanto-Onlinetexte bei Project Gutenberg Digitale Medien (bes. Frühdrucke) Österreichische Nationalbibliothek Einzelnachweise Einzelsprache Plansprache Angewandte Linguistik Namensgeber für einen Asteroiden Ludwik Lejzer Zamenhof
Q143
716.500628
7513150
https://de.wikipedia.org/wiki/Hashtag
Hashtag
Ein Hashtag [] oder [] (Neutrum oder Maskulinum, zusammengesetzt aus für das Schriftzeichen Doppelkreuz [„#“] und für Markierung) ist ein mit Doppelkreuz versehenes Schlagwort, das dazu dient, Nachrichten mit bestimmten Inhalten oder zu bestimmten Themen in sozialen Netzwerken auffindbar zu machen. Die so ausgezeichnete Zeichenkette fungiert (pragmatisch) als Meta-Tag und Meta-Kommentierung. Diese Form der Verschlagwortung erfolgt in der Regel innerhalb des Fließtextes, wobei ein Hashtag auch vor oder hinter dem eigentlichen Text stehen kann. Kontaktnetze wie Pinterest, Facebook und Mikroblogging-Dienste wie Twitter nutzen diese Angaben, um die Suche innerhalb ihres Netzwerks nach so verschlagworteten Begriffen zu erleichtern. Ein Hashtag kann außerdem wie in gedruckten Lexika wahrgenommen werden: wie eine anderswo im selben Werk erklärte Bezeichnung (Schlagwort) zusammen mit einem Sonderzeichen unmittelbar davor oder dahinter als Hinweis auf die Existenz einer solchen Erklärung. Beispiele „#Wikipedia ist eine #Enzyklopädie“ Hier wurden die Wörter Wikipedia und Enzyklopädie als Hashtag markiert. Eine Suchanfrage nach Wikipedia würde dann gezielt Beiträge finden, die mit dem Hashtag #Wikipedia gekennzeichnet sind. Außerdem ist es mit Angabe eines Hashtags möglich, eine Aussage in einen besonderen Zusammenhang zu setzen: Bei Instagram sehen die „Bildunterschriften“ folgendermaßen aus: „#Instafood#Instaframe#Instamessage#l4l#c4c#f4f#s4s“ Etymologie Hashtag ist eine Komposition aus den englischen Wörtern hash und tag, wobei es sich bei hash um das englische Wort für das Doppelkreuz (#) handelt und tag für Markierung steht. Der Ausdruck hash steht im Commonwealth-Englisch auch für das Rautezeichen auf der Telefontastatur. Das Doppelkreuz wird zudem in URLs bereits als Fragmentbezeichner benutzt. Aus linguistischer Perspektive ist bis heute allerdings noch nicht eindeutig geklärt, ob es sich bei dem Hashtag um das Rautezeichen, die Zeichenfolge hinter diesem oder um die gesamte Zeichenfolge inklusive Rautezeichen handelt. Funktionen von Hashtags Die Funktionen von Hashtags sind: Postings einzelne Kategorien bzw. Einordnungen zu geben, unter denen sich alle Postings mit dem Hashtag sammeln Vereinfachte Suche bei Suchanfragen mit ähnlichen Suchbegriffen Besseres Sortieren und Filtern von Inhalten nach Hashtags, die wie eine Filterung nach Kategorien und Schlagwörtern funktionieren Suchmaschinenoptimierung und Social Media Optimization für ein Posting durch das Verwenden von Hashtags als Schlagworte Bekanntgeben von Standort- und Veranstaltungsdaten, z. B. durch den Namen der Stadt, des Gebäudes oder des Events als Hashtag Markieren von Freunden und Organisationen, sodass diese erkannt werden können und benachrichtigt werden Wunsch nach Interessensaustausch zu einem im Hashtag benannten Thema Bekenntnis bzw. Aufruf zu einer im Hashtag benannten sozialen oder politischen Aktion (z. B. #Je suis Charlie), Hinweis auf einen unter einem verbreiteten Schlagwort bekannten Missstand bzw. ein solches Problem (z. B. #GamerGate oder #MeToo) oder Zuweisung zu einer Eigenschaft bzw. einem Verhalten (z. B. #lazy) Analyse ihrer Verwendung als Indikator für Popularität und Reichweite eines Themas (Trend-Analyse und Social Media Monitoring) Ursprünge und Etablierung bei Twitter Das Chat-System IRC nutzt das Doppelkreuz, um Channel-Namen zu markieren. Dieses Konzept griff der Mikroblogging-Dienst Twitter auf, aber erst nach dem Vorschlag des Rechtsanwalts und Internet-Aktivisten Chris Messina, der am 23. August 2007 auf Twitter schrieb: Mit steigendem Bekanntheitsgrad dieser Markierungsmethode, die unter anderem für Twitter-Nachrichten über die Waldbrände in Südkalifornien 2007 benutzt wurde, reagierte Twitter und verlinkte alle Hashtags ab dem 1. Juli 2009. Seit Twitter eine Suchfunktion für Hashtags anbietet, ist der Nutzen von Hashtags umstritten. Alternative Twitter-Clients verlinken Hashtags automatisch auf eine entsprechende Trefferliste. Durch eine Analyse der Hashtags kann festgestellt werden, welche Twitter-Themen besonders beliebt sind. Diese werden in den sogenannten Trending Topics auf der Twitter-Startseite angezeigt. Nutzung bei Twitter Eigenschaften Im Rahmen der Internetgemeinschaft existieren keine Regeln, welche Zeichenketten für ein Hashtag benutzt werden. Die Zeichenkette kann aus Buchstaben und Ziffern bestehen, Satz- und Leerzeichen dürfen nicht enthalten sein. Verbreitung Einmal eingeführte Hashtags werden im Rahmen der Antworten auf einen Beitrag wieder aufgegriffen, was bei steigender Bekanntheit dafür sorgt, dass das so referierte Hashtag etabliert wird. So sorgte etwa das Hashtag #Aufschrei für eine deutschlandweite Bekanntheit, nachdem die Twitter-Nutzerin Anne Wizorek es 2013 im Rahmen einer Sexismus-Debatte einführte. Medien nutzten diesen Ausdruck als Schlagwort für weiterführende Sexismus-Berichterstattungen. Hashtags in anderen Diensten und Medien Mit der Etablierung des Hashtags wurden die Vorteile dieser Markierung auch von anderen Diensten genutzt. Im Juli 2011 schlug Messina die Nutzung innerhalb des sozialen Netzwerks Google+ vor. Google-Entwickler Joseph Smart reagierte auf den Vorschlag prinzipiell positiv. Im Oktober 2011 erläuterte Googles Senior Vice President for Social Media, Vic Gundotra, in einem Interview die Bedeutung des Hashtags in der Google+-Echtzeitsuche. In Instagram, tumblr und Pinterest werden Hashtags von Nutzern verwendet, um die selbst hochgeladenen Bilder in Bildunterschriften zu verschlagworten. Außerdem existieren Suchmaschinen für Hashtags. Zudem wird versucht, bei Veranstaltungen mit einer Twitterwall weiterführende Diskussionsaspekte zu gewinnen. LinkedIn führte die Hashtags im Februar 2013 ein. Hierbei kann man durch Klick auf ein gekennzeichnetes Wort eine Suche bedienen, die auf die Daten der nutzenden Person referenziert. Eine Suche nach dem Wort in Abhängigkeit von Gruppe, Alter, Ort oder Kontaktpfad ist möglich. Seit Mitte Juni 2013 hat auch Facebook Hashtags übernommen. Rezeption In Frankreich soll an Stelle des Wortes hashtag laut einer Bekanntmachung der Allgemeinen Kommission für Terminologie und Neuwortbildung die französische Bezeichnung mot-dièse verwendet werden. Die American Dialect Society hat hashtag zum Wort des Jahres 2012 erklärt. Die Aktion rund um das Twitter-Hashtag #aufschrei wurde im Mai 2013 mit einer lobenden Erwähnung beim Marlies-Hesse-Nachwuchspreis und mit dem Grimme Online Award ausgezeichnet. Das Symbol # war das Wort des Jahres 2014 der Schweiz. Online-Dienste bzw. Software, die Hashtags nutzen Diaspora Discord Facebook Friendica Instagram Intrexx (ab der Version 8) Kickstarter LinkedIn Mastodon Pinterest Sina Weibo Telegram TikTok Tumblr Twitter vk.com Yammer YouNow YouTube Musik Das Trio Y-Titty widmete dem Hashtag zusammen mit dem Rapper MC Fitti im Jahr 2014 den gleichnamigen Song #Hashtag. Siehe auch Internetphänomen Audio-Beiträge Christian Möller: Ein Kreuz macht Karriere – Kulturgeschichte des Hashtags. Deutschlandradio Kultur, 2016 Weblinks Philippe Wampfler: Hashtags kurz erklärt. Grundlagenartikel, Juni 2013 auf schulesocialmedia.com Andreas Bernard: Theorie des #Hashtags. In: Geschichte der Gegenwart. 18. Mai 2021 Einzelnachweise Indexierung Wort des Jahres Englische Phrase
Q278485
135.102392
6902
https://de.wikipedia.org/wiki/1580er
1580er
Ereignisse 1580: Heinrich I. von Portugal stirbt ohne einen direkten Nachkommen. Philipp II. erobert Portugal und vereint es mit Spanien. 1580: In Frankreich endet der Siebte Hugenottenkrieg mit dem Frieden von Fleix. 1581/1582: der Livländische Krieg wird beendet. 1582: Gregor XIII. unterschreibt die Bulle Inter gravissimas; in mehreren katholischen Ländern wird der Gregorianische Kalender (Korrektionsjahr) in Kraft gesetzt. 1583: In Florenz wird die Gelehrtengesellschaft Accademia della Crusca, die älteste Sprachgesellschaft, gegründet 1583: der Kölner Erzbischof Gebhard I. von Waldburg heiratet die Gräfin Agnes von Mansfeld-Eisleben und löst den Truchsessischen Krieg aus. 1583: Das Königreich England erhält seine erste Kolonie. Sir Humphrey Gilbert macht das Gebiet um St. John’s in Neufundland zur ältesten britischen Kolonie. 1583: Der Vertrag von Pljussa beendet den Livländischen Krieg zwischen Russland und Schweden. 1584: Zar Iwan IV. „der Schreckliche“ stirbt, sein geisteskranker Sohn Fjodor wird sein Nachfolger, die Regierungsgeschäfte führt Boris Godunow. 1585: Papst Gregor XIII. stirbt, Kardinal Felice Peretti di Montalto wird als Sixtus V. sein Nachfolger 1585: die Frankfurter Börse wird gegründet. 1586: Babington-Verschwörung in England, 1587: Hinrichtung von Maria Stuart in England 1588: Untergang der Spanischen Armada in Stürmen 1589: Baubeginn des Hofbräuhaus am Platzl in München Weblinks
Q48563
91.784166
1450
https://de.wikipedia.org/wiki/Elektrolyse
Elektrolyse
Elektrolyse nennt man einen chemischen Prozess, bei dem elektrischer Strom eine Redoxreaktion erzwingt. Sie wird beispielsweise zur Gewinnung von Metallen verwendet, oder zur Herstellung von Stoffen, deren Gewinnung durch rein chemische Prozesse teurer oder kaum möglich wäre. Beispiele wichtiger Elektrolysen sind die Gewinnung von Wasserstoff, Aluminium, Chlor und Natronlauge. Eine Elektrolyse erfordert eine Gleichspannungsquelle, welche die elektrische Energie liefert und die chemischen Umsetzungen vorantreibt. Ein Teil der elektrischen Energie wird in chemische Energie umgewandelt. Genau dem umgekehrten Zweck, der Umwandlung von chemischer Energie in elektrische, dienen Batterien, Akkumulatoren oder Brennstoffzellen: sie dienen als Stromquelle. Wenn man einen Akkumulator lädt, läuft eine Elektrolyse ab, die die chemischen Vorgänge während der Entladung rückgängig macht. Elektrolysen können daher der Energiespeicherung dienen, beispielsweise bei der Elektrolyse von Wasser, die Wasserstoff und Sauerstoff ergibt, die als Energieträger einer Wasserstoffwirtschaft vorgeschlagen wurden. Durch die Umkehrung der Wasserelektrolyse in einer Brennstoffzelle kann etwa 40 % der ursprünglich eingesetzten elektrischen Energie wieder zurückgewonnen werden. Die Abscheidung von Metallen aus einer Lösung, die die entsprechenden Metallionen enthält, durch einen von außen aufgeprägten Strom ist ebenfalls eine Elektrolyse. Dies kann zur Erzeugung von Metallschichten dienen, beispielsweise beim Verchromen; diese Art der Elektrolysen sind Gegenstand der Galvanotechnik. Die elektrolytische Auflösung und Wiederabscheidung von Metallen dient der Reinigung, z. B. von Kupfer, und wird elektrolytische Raffination genannt. Bei den chemischen Reaktionen, die bei der Elektrolyse ablaufen, werden Elektronen übertragen. Es sind daher immer Redoxreaktionen, wobei die Oxidation an der Anode (elektrischer Pol), die Reduktion an der Kathode ablaufen; Oxidations- und Reduktionsprozesse sind also räumlich zumindest teilweise voneinander getrennt. Geschichte Die Elektrolyse wurde im Jahr 1800 entdeckt, wobei die von Alessandro Volta erfundene erste brauchbare Batterie verwendet wurde, die Voltasche Säule. Die neu entdeckte Elektrolyse ermöglichte es Humphry Davy, in den Jahren 1807 und 1808 mehrere unedle Metalle erstmals elementar herzustellen, beispielsweise Natrium und Calcium. Michael Faraday untersuchte die Elektrolyse genauer und entdeckte ihre Grundgesetze, nämlich die Abhängigkeit der umgesetzten Massen von der Ladungsmenge und der Molmasse. Auf seine Anregung hin wurden auch die Begriffe Elektrolyse, Elektrode, Elektrolyt, Anode, Kathode, Anion und Kation geschaffen. Nach der Erfindung leistungsfähiger elektrischer Generatoren führten Elektrolysen Ende des 19. Jahrhunderts zu einer stürmischen Entwicklung in Wissenschaft und Technik, z. B. bei der elektrolytischen Gewinnung von Aluminium, Chlor und Alkalien, und bei der Erklärung des Verhaltens der Elektrolyte, zu denen auch Säuren und Basen zählen. Prinzip Durch zwei Elektroden wird ein elektrischer Gleichstrom in eine leitfähige Flüssigkeit (siehe Elektrolyt) geleitet. An den Elektroden entstehen durch die Elektrolyse Reaktionsprodukte aus den im Elektrolyt enthaltenen Stoffen. Die Spannungsquelle bewirkt einen Elektronenmangel in der mit dem Pluspol verbundenen Elektrode (Anode) und einen Elektronenüberschuss in der anderen, mit dem Minuspol verbundenen Elektrode (Kathode). Die Lösung zwischen der Kathode und Anode enthält als Elektrolyte positiv und negativ geladene Ionen. Positiv geladene Ionen (Kationen) oder elektroneutrale Stoffe nehmen an der Kathode Elektronen auf und werden dadurch reduziert. An der Anode läuft der entgegengesetzte Prozess ab, die Abgabe von Elektronen in die Elektrode, wobei Stoffe, z. B. Anionen, oxidiert werden. Die Menge der an der Anode übertragenen Elektronen ist gleich der an der Kathode übertragenen. Der Transport der Stoffe an die Elektroden erfolgt durch konvektiven Stoffübergang (Diffusion innerhalb der Flüssigkeit mit überlagerter Strömung der Flüssigkeit) und, soweit es Ionen betrifft, zusätzlich durch Migration (Wanderung durch Einwirkung des elektrischen Feldes zwischen den Elektroden). Die Spannung, die zur Elektrolyse mindestens angelegt werden muss, wird als Zersetzungsspannung (Uz oder Ez) bezeichnet. Diese oder eine höhere Spannung muss angelegt werden, damit die Elektrolyse überhaupt abläuft. Wird diese Mindestspannung nicht erreicht, wirkt der Elektrolyt beziehungsweise seine Grenzflächen zu den Elektroden, die auch elektrochemische Doppelschicht genannt werden, isolierend. Für jeden Stoff, für jede Umwandlung von Ionen zu zwei- oder mehratomigen Molekülen kann die Zersetzungsspannung, das Abscheidepotential anhand des Redoxpotentials ermittelt werden. Aus dem Redoxpotential erhält man noch weitere Hinweise, wie zur elektrolytischen Zersetzung von Metallelektroden in Säure oder zur Verminderung von Zersetzungsspannung durch Abänderung des pH-Wertes. So lässt sich durch das Redoxpotential berechnen, dass die anodische Sauerstoffbildung bei der Wasserelektrolyse von Wasser in basischer Lösung (Zersetzungsspannung: 0,401 V) unter geringerer Spannung abläuft als in saurer (Zersetzungsspannung: 1,23 V) oder neutraler (Zersetzungsspannung: 0,815 V) Lösung, an der Kathode hingegen bildet sich Wasserstoff leichter unter sauren Bedingungen als unter neutralen oder basischen Bedingungen. Sind in einer Elektrolytlösung mehrere reduzierbare Kationen vorhanden, so werden zunächst die Kationen reduziert, die in der Redoxreihe (Spannungsreihe) ein positiveres (schwächer negatives) Potential haben. Bei der Elektrolyse einer wässrigen Kochsalzlösung bildet sich an der Kathode normalerweise Wasserstoff und nicht Natrium. Auch beim Vorliegen von mehreren Anionenarten, die oxidiert werden können, kommen zunächst diejenigen zum Zuge, die in der Redoxreihe möglichst nahe am Spannungsnullpunkt liegen, also ein schwächeres positives Redoxpotential besitzen. Nach Überschreiten der Zersetzungsspannung wächst mit Spannungszunahme proportional auch die Stromstärke. Nach Faraday ist die Gewichtsmenge eines elektrolytisch gebildeten Stoffs proportional zu der geflossenen elektrischen Ladung (Stromstärke multipliziert mit der Zeit, siehe Faradaysche Gesetze). Für die Bildung von 1 g Wasserstoff (etwa 11,2 Liter, bei der Bildung eines Wasserstoffmoleküls werden zwei Elektronen benötigt) aus wässriger Lösung wird eine elektrische Ladung von 96485 C (1 C = 1 A·s) benötigt. Bei einem Strom von 1 A dauert die Bildung von 11,2 Litern Wasserstoff also 26 Stunden und 48 Minuten. Neben dem Redoxpotential ist noch die Überspannung (das Überpotential) von Bedeutung. Auf Grund von kinetischen Hemmungen an Elektroden benötigt man häufig eine deutlich höhere Spannung als sich dies aus der Berechnung der Redoxpotentiale errechnet. Die Überspannungseffekte können – je nach Materialbeschaffenheit der Elektroden – auch die Redoxreihe ändern, so dass andere Ionen oxidiert oder reduziert werden als dies nach dem Redoxpotential zu erwarten gewesen wäre. Kurz nach Abschaltung einer Elektrolyse kann man mit einem Amperemeter einen Stromausschlag in die andere Richtung feststellen. In dieser kurzen Phase setzt der umgekehrte Prozess der Elektrolyse, die Bildung einer galvanischen Zelle ein. Hierbei wird nicht Strom für die Umsetzung verbraucht, sondern es wird kurzzeitig Strom erzeugt; dieses Prinzip wird bei Brennstoffzellen genutzt. Mitunter ist es ratsam, zur Vermeidung unerwünschter chemischer Reaktionen Kathodenraum und Anodenraum voneinander zu trennen und den Ladungsaustausch zwischen Anoden- und Kathodenraum nur durch ein poröses Diaphragma – häufig ein Ionenaustauscherharz – stattfinden zu lassen. Bei der technischen Elektrolyse zur Herstellung von Natronlauge ist dies recht wichtig. Zur Verfolgung von Stoffumsatz, Wanderungsgeschwindigkeiten von Ionen kann auch das Wissen von molaren Grenzleitfähigkeiten wichtig sein. Wenn man durch eine Elektrolyse eine Trennung einzelner Moleküle oder Bindungen erzwingt, wirkt gleichzeitig ein galvanisches Element, dessen Spannung der Elektrolyse entgegenwirkt. Diese Spannung wird auch als Polarisationsspannung bezeichnet. Elektroden Es gibt nur wenige Anodenmaterialien, die während der Elektrolyse inert bleiben, also nicht in Lösung gehen, z. B. Platin und Kohlenstoff. Einige Metalle lösen sich trotz stark negativem Redoxpotential nicht auf, diese Eigenschaft wird als „Passivität“ bezeichnet. In saurer Lösung müssten sich nach der Nernst'schen Gleichung die Mehrzahl der Metalle unter Kationen- und Wasserstoffbildung auflösen. Bis auf Kupfer, Silber, Gold, Platin, Palladium besitzen fast alle Metall/Metallkationenpaare ein negatives Redoxpotential und wären für Elektrolysen in saurem Milieu ungeeignet, da sich das Gleichgewicht (Metallatom und Protonen) zur Kationenbildung und Wasserstoff verschiebt. Im schwefelsauren Milieu ist Blei ein preiswertes und beliebtes Kathodenmaterial, als Anode kann sowohl Blei als auch Bleioxid verwendet werden (Verwendung auch in Autobatterien). Bleisulfat ist schlecht löslich, so dass die Bleielektroden sich kaum auflösen. Eisen und Nickel können wegen der Passivität als Anoden manchmal auch in saurem Milieu verwendet werden, jedoch werden auch diese Anodenmaterialien vorzugsweise im basischen Milieu verwendet. Eine Eisenanode, die mit konzentrierter Salpetersäure behandelt wurde, löst sich nicht auf, durch die Passivierung gehen keine Eisen(II)- oder Eisen(III)-ionen in Lösung. Es hat sich eine sehr dünne und stabile Eisenoxidschicht (ähnlich wie beim Aluminium) gebildet, die die weitere Auflösung der Elektrode verhindert. Chloridionen oder höhere Temperaturen können jedoch die Passivität aufheben. Eisenanoden weisen im Vergleich zu anderen Anodenmaterialien nur eine sehr geringe Überspannung bei der Sauerstoffentwicklung auf, daher werden sie vorzugsweise bei der Erzeugung von Sauerstoff eingesetzt. Hemmungserscheinungen an der Anode, die bei der Sauerstoffbildung zu einer Überspannung führen, beobachtet man bei Kohle- und Platinanoden. Die Überspannung kann genutzt werden, um bei der Elektrolyse von wässriger Kochsalzlösung Chlor statt Sauerstoff zu erzeugen. An Zink-, Blei- und besonders Quecksilberkathoden zeigen Protonen eine erhebliche Überspannung und die Bildung von Wasserstoff erfolgt erst bei einer viel höheren Spannung. Die erhebliche Überspannung von Wasserstoff an der Quecksilberkathode, an der Natrium als Amalgam gebunden wird und so dem Gleichgewicht entzogen wird, nutzt man zur technischen Herstellung von Natronlauge. Durch die erhebliche Überspannung an dieser Elektrode bei der Wasserstoffbildung ändert sich die Redoxreihe, statt Protonen werden nun Natriumionen an der Quecksilberkathode reduziert. Geeignete Elektrodenmaterialien: (++) Gut geeignet, (+) geeignet, (−) nicht geeignet Überspannung Sowohl an der Kathode als auch an der Anode können Überspannungen auftreten und somit die benötigte Spannung gegenüber den Berechnungen nach der Nernst-Gleichung erhöhen. Die Überspannungen sind bei Gasbildungen (z. B. Wasserstoff- und Sauerstoffbildung) mitunter beträchtlich. Die an den Elektroden entstehenden Gase (siehe unten) bilden ihrerseits ein elektrochemisches Potenzial, das der anliegenden Spannung entgegenwirkt. Es kommt zu einer reversiblen elektrochemischen Polarisation. Die Polarisierung aufgrund von sich ausbildenden Oberflächenschichten wird auch beim Laden von Akkumulatoren und dem aktiven kathodischen Korrosionsschutz beobachtet. Die aufgebrachte Überspannungsenergie geht als Wärme verloren, trägt also bei Elektrolyse nicht zum Stoffumsatz bei. Je nach Metallart und Oberflächenbeschaffenheit der Elektroden variieren die Überspannungen. Stromstärke und Temperatur beeinflussen ebenfalls die Überspannung. Eine wachsende Stromstärke erhöht leicht die Überspannung, eine Temperaturerhöhung senkt dagegen die Überspannung. Die nachfolgenden Tabellen geben einen kurzen Überblick bezüglich der Überspannung bei der anodischen Sauerstoffentwicklung und der kathodischen Wasserstoffentwicklung (die Versuche wurden jedoch bei verschiedenen pH-Werten ausgeführt, zur Berechnung von pH-Änderungen siehe Nernst-Gleichung) Überspannung Sauerstoffbildung Konditionen: 1 N-wäss. KOH, 20 °C, Messung nach 20 min. Überspannung Wasserstoffbildung Konditionen: 1 N wäss. HCl, 16 °C. Bei anderen elektrolytischen Reduktionen (ohne Gasbildung) kann auch die Diffusionsüberspannung wichtig werden. Falls nach einigen Minuten die Konzentration des elektrolytisch umzusetzenden Stoffes vor der Elektrode absinkt, muss mehr Spannung aufgebracht werden, um die gleiche Stromstärke zu erzielen. Durch kontinuierliches Rühren oder mit rotierenden Scheiben-, Zylinderelektroden kann die Diffusionsüberspannung gesenkt werden. Die Wasserstoff- und die Sauerstoffüberspannung bleiben an vielen Metallen nicht konstant. Sie steigen mitunter sogar noch nach 60 Minuten leicht an. Zellwiderstand Der elektrische Widerstand einer Elektrolysezelle behindert den Stromfluss (ohmsches Gesetz) und sollte daher minimiert werden, andernfalls geht Energie in Form von Wärme verloren. Der Widerstand einer Elektrolysezelle hängt vom Elektrodenabstand, von der Größe der Elektrodenfläche und von der Leitfähigkeit ab. Allgemein gilt für die Berechnung des Widerstands einer Elektrolysezelle: In destilliertem Wasser ist die Leitfähigkeit sehr gering – der Widerstand also sehr hoch – und eine Elektrolyse schlecht möglich. Die Leitfähigkeiten von Lösungen geringer Konzentrationen lassen sich über die spezifische Elektrolytische Leitfähigkeit bzw. die Äquivalentleitfähigkeiten der Ionen berechnen. Die Leitfähigkeit von Lösungen sehr hoher Konzentration muss experimentell bestimmt werden. Obwohl bei starken Säuren die Leitfähigkeit höher als in basischen Lösungen gleicher Konzentration ist, werden viele Elektrolysen – aufgrund der anodischen Auflösungsvorgänge bzw. der verzögerten Sauerstoffbildung bzw. Halogenoxidation im sauren Bereich – vorwiegend in basischem Medium ausgeführt. Stromdichte Um die Wirtschaftlichkeit von elektrolytischen Verfahren zu steigern, sollten die Verfahren bei möglichst hohen Stromdichten durchgeführt werden. Dies erreicht man, indem man die Leitfähigkeit durch Salzzugabe oder durch Temperaturerhöhung (je Grad Temperaturzunahme steigt die spezifische Leitfähigkeit etwa um 1–2 %) erhöht. Häufig wird die Stromdichte durch den Diffusionsgrenzstrom limitiert. Aus Kenntnis des Diffusionsgrenzstromes lassen sich dimensionslose Kennzahlen ermitteln, um den Umsatz auch für größere Anlagen berechnen zu können. Es gibt für jede Elektrolyse eine kalkulatorisch optimale Stromdichte, sie ist größtenteils nicht die maximale Stromdichte. Um möglichst saubere, kompakte Metallabscheidungen zu erhalten, sollte bei geringer Stromdichte gearbeitet werden. Dies ist insbesondere für Gold-, Silber- und Kupferbezüge wichtig. Metallabscheidungen bei hohen Stromdichten bilden sogenannte Spieße, Stangen, Bäume aus und diese können zu Kurzschlüssen führen. Häufig – besonders in der organischen Chemie – sind thermische Verfahren aufgrund des höheren Stoffumsatzes pro Zeitspanne den elektrolytischen Verfahren überlegen. Wanderungsgeschwindigkeiten von Ionen Während der Elektrolyse können Kationen an der Kathode reduziert und an der Anode Anionen oxidiert werden. Da dicht vor der Elektrode Ladungsänderungen durch Reduktion oder Oxidation auftreten, muss die Ladungsdifferenz im Elektrodenraum durch Wanderungsprozesse ausgeglichen werden. Kationen und Anionen müssen im Elektrodenraum in identischer Konzentration vorliegen, es darf keinen Überschuss an positiven oder negativen Ionen geben. Der Ausgleich von Ionen in einer Elektrolysezelle wird durch die Ionenwanderung bewirkt. Die Wanderungsgeschwindigkeit ist abhängig von der angelegten Zellspannung und der Art der Ionen. Der Verlust an Kationen vor der Kathode kann durch die Wanderung von überschüssigen Kationen aus dem Anodenraum oder umgekehrt von überschüssigen Anionen aus dem Kathodenraum kompensiert werden. In der Regel stellt sich ein Kompromiss aus beiden Wanderungsrichtungen ein. Die Wanderungsgeschwindigkeiten lassen sich aus den Grenzleitfähigkeiten der Ionenarten berechnen. Mit der Überführungszahl kann die Änderung der Ionenzusammensetzung direkt bestimmt werden. Es gibt Ionen wie H+ oder OH-, die sehr schnell in einer Elektrolytlösung wandern. Aufgrund der unterschiedlichen Wanderungsgeschwindigkeiten können sich Ionenarten während der Elektrolyse in den Halbzellen der Elektrolysezelle anreichern. Bei einer Temperaturerhöhung um 1 °C nimmt die Leitfähigkeit um ca. 1–2,5 % zu. Die Zunahme der Wanderungsgeschwindigkeit könnte mit einer geringeren Viskosität der Solvathülle um die Ionen oder gar mit einer Abnahme der Solvathülle um die Ionen begründet werden. Zur Verknüpfung der Größen Wanderungsgeschwindigkeit , Ionenbeweglichkeit (die keine Geschwindigkeit ist!), elektrische Feldstärke , Äquivalentleitfähigkeit/Grenzleitfähigkeit (lambda) und von Ionen im elektrischen Feld beigebrachten Teilstrom siehe: Grundlagen und Berechnung der Überführungszahlen von Ionen sowie: Zahlenwerte der Ionenbeweglichkeit vieler Ionen Beispiele Elektrolyse von Wasser Die Elektrolyse von Wasser zerlegt dieses in die Elemente Sauerstoff und Wasserstoff. Wie alle Elektrolysen besteht sie aus zwei Teilreaktionen, die an den beiden Elektroden (Kathoden- und Anodenräumen) ablaufen. Das Gesamt-Reaktionsschema dieser Redoxreaktion lautet: Wasser wird durch elektrischen Strom in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. Die Elektroden tauchen in Wasser ein, welches durch die Zugabe von Säure oder Lauge besser leitend gemacht wird. Die Teilreaktionen lauten Kathodenraum: 2 H3O+ + 2 e− → H2 + 2 H2O (für saure Lösungen) oder: 2 H2O + 2 e− → H2 + 2 OH− (für basische Lösungen) Anodenraum: 6 H2O → O2 + 4 H3O+ + 4 e− (für saure Lösungen) oder: 4 OH− → O2 + 2 H2O + 4 e− (für basische Lösungen) Als Demonstrationsexperiment kann diese Reaktion im Hofmannschen Wasserzersetzungsapparat ausgeführt werden. Die Wasserelektrolyse kann zur Gewinnung von Wasserstoff als lagerbarer Energieträger an Bedeutung gewinnen. Der energetische Wirkungsgrad der Elektrolyse von Wasser liegt bei über 70 %. Elektrolyse von Zinkiodid Die Elektrolyse von Zinkiodid zerlegt dieses in die Elemente Zink und Iod. Wie alle Elektrolysen besteht auch diese aus zwei Teilreaktionen, die an den beiden Elektroden (Kathode und Anode) ablaufen. Das Gesamt-Reaktionsschema dieser Redoxreaktion lautet: Das Zinkiodid wurde durch elektrischen Strom in Zink und Iod gespalten. Die Reaktionen an den einzelnen Elektrodenräumen lauten: Kathodenreaktion: Zn2+ + 2 e− → Zn Anodenreaktion: 2 I− → I2 + 2 e− Durch die Energiezufuhr bewegen sich die Ionen in der Richtung Elektroden. Die Zink-Kationen wandern zur Kathode, nehmen dort zwei Elektronen auf (Reduktion) und es bildet sich elementares Zink. Die Iod-Anionen wandern zur Anode und werden zu elementarem Iod oxidiert. Anwendungen Stoffgewinnung Die Metalle Aluminium und Magnesium werden elektrolytisch mithilfe der Schmelzflusselektrolyse hergestellt. Elektrochemisch werden ferner Kupfer, Silber und Gold gewonnen, sowie zu großen Teilen auch Zink und Nickel. Weitere Alkalimetalle und die meisten Erdalkalimetalle werden ebenfalls durch Schmelzflusselektrolyse gewonnen. Sowohl dabei als auch bei Elektrolyse in wässrigen Medien werden je nach Ausgangsstoff die Halogene Fluor, Brom und Chlor frei, die in großem Maßstab für weitere Synthesen verwendet werden. In der Chloralkali-Elektrolyse wird aus Steinsalz Chlor, Wasserstoff und Natronlauge hergestellt. Galvanik Elektrolytische Metallabscheidungen gehören zu den wichtigsten Anwendungen, entweder zur Erzeugung von metallischen Überzügen bei der Galvanik (galvanisches Verzinken, Verchromen usw.) oder zur Herstellung und Verstärkung von Leiterbahnen in der Leiterplattenproduktion. Elektrolytische Raffination Die elektrolytische Raffination ist ein Verfahren zur Reinigung von Metallen. Die Reinigung wird dadurch erreicht, dass sich durch Elektrolyse eine Anode aus einem Rohmetall löst und sich an einer Kathode selektiv als reines Metall abscheidet. Verunreinigungen bleiben im Elektrolyt gelöst oder fallen als Anodenschlamm aus. Der Anodenschlamm und Elektrolyt werden wegen ihrer wertvollen Bestandteile aufgearbeitet. Elektrolytische Raffination wird insbesondere für die Reinigung von Kupfer, Nickel, Silber und Blei verwendet. Bei der elektrolytischen Raffination von Kupfer wird Elektrolytkupfer mit einer Reinheit von >99,5 % gewonnen und wird hauptsächlich für elektrische Leiter verwendet. Bei der Kupferraffination beträgt die Zellspannung wenige Zehntel Volt (hauptsächlich verursacht durch Überspannungen und den Zellwiderstand), die Stromdichte liegt im Bereich von 150 bis 240 A/m2. Der Anodenschlamm enthält insbesondere die Edelmetalle Gold und Silber, aber auch Selen und Antimon. Die unedleren Metalle, wie Eisen, Nickel, Cobalt und Zink, verbleiben im Elektrolyt. Bei der elektrolytische Bleiraffination dient die Raffination von Rohblei zur Abtrennung von Arsen, Antimon und Bismut. Kolbe-Elektrolyse Die Kolbe-Elektrolyse ist das älteste Beispiel einer organischen elektrochemischen Reaktion. Bei dieser Elektrolyse werden zwei Carbonsäuremoleküle unter CO2-Abspaltung gekuppelt. Weitere Anwendungen der Elektrolyse Analytische Chemie: Bei der Voltammetrie und Polarographie wird durch die Messung des Elektrolysestromes in Abhängigkeit von der Spannung ein Aufschluss über die chemische Zusammensetzung des Elektrolyten gewonnen. Bei der Elektrogravimetrie und Coulometrie wird die Umsetzung von Elektrolyten durch elektrischen Strom angewendet, um Informationen über den Metallgehalt einer Probe zu erlangen. Abwasserreinigung: Neben der Hydroxidfällung und der Reinigung von Abwasser mit Ionenaustauschern werden zur Reinigung von belasteten Abwässern aus der metallverarbeitenden Industrie, der Galvanik, Farbstoff-, Pharmaindustrie elektrochemische Reinigungsmethoden angewandt. An der Anode werden Cyanidsalze, organische Verbindungen durch Oxidation unschädlich gemacht. An der Kathode werden z. B. Blei, Arsen und Kupfer durch Reduktion entfernt, Chromat wird zu Cr3+ reduziert. Elektrochemisches Abtragen: Elektrochemisches Abtragen (ECM) wird auch elektrochemische Metallbearbeitung genannt. Dabei wird das Werkstück als Anode geschaltet und das Metall löst sich dann durch große Nähe zur Kathode auf. Durch die Formgebung der Kathode kann die Ablösung an der Anode beeinflusst werden. Als Metalle eignen sich Aluminium, Kobalt, Molybdän, Nickel, Titan, Wolfram, Stahl und Eisenlegierungen. Als Elektrolyt dient Natriumnitrat oder Natriumhydroxid. Isotopentrennung: Im natürlichen Wasser ist etwas Deuterium enthalten. Da Deuterium sehr viel langsamer als Wasserstoff an der Kathode zum Mischgasmolekül Deuteriumwasserstoff reagiert, lässt sich Deuterium elektrolytisch anreichern. Laden von Akkumulatoren: Beim Entladen von Akkumulatoren wird chemische Energie in nutzbare elektrische Energie umgewandelt. Lädt man einen Akku wieder auf, so erzwingt man durch die Ladespannung eine Umkehrung der bei der Entladung ablaufenden Redoxreaktion. Somit ist der Aufladevorgang nach der oben genannten Definition eine Elektrolyse. Diese Benennung ist aber unüblich. Wirtschaft Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes wurden im Jahr 2007 die folgenden Mengen an Metallen oder Chemikalien in Deutschland hergestellt. In den USA liegen die hergestellten Elektrolyseprodukte um den Faktor 2–3 höher. Dort werden ca. 5 % der gesamten Stromproduktion für die Elektrolyse benötigt. Die weltweite Gesamtmenge an mittels Elektrolyse hergestelltem Aluminium liegt bei etwa 50 Millionen Tonnen jährlich. Literatur Handbuch der experimentellen Chemie. Sekundarbereich II. Band 6: Elektrochemie. Aulis Verlag Deubner, 1994, ISBN 3-7614-1630-X. Ullmann Encyklopädie der technischen Chemie. 3. Auflage. Band 6, 1955, S. 253–304. (4. Auflage, Band 3, S. 262–298, 5. Auflage, Band A9, S. 220 ff.) Gerd Wedler: Lehrbuch der Physikalischen Chemie. Verlag Chemie, 1982, ISBN 3-527-25880-9, S. 172–212, S. 405–445, S. 821–836. Udo R. Kunze: Grundlagen der quantitativen Analyse. Georg Thieme Verlag, 1980, ISBN 3-13-585801-4, S. 169–171. Carl H. Hamann, Wolf Vielstich: Elektrochemie. 4. Auflage. WILEY-VCH Verlag, Weinheim 2005, ISBN 3-527-31068-1. Weblinks Allgemeine Beschreibung mit Zeichnung Information Portal on Hydrogen and Fuel Cells Videotutorial zur Elektrolyse Einzelnachweise Chemisch-technisches Verfahren
Q64403
127.704559
68858
https://de.wikipedia.org/wiki/Pel%C3%A9
Pelé
Pelé [] (* 23. Oktober 1940 in Três Corações; † 29. Dezember 2022 in São Paulo; bürgerlich Edson Arantes do Nascimento [], in seiner Geburtsurkunde als Edison Arantes do Nascimento vermerkt) war ein brasilianischer Fußballspieler, der auch als Sportminister für Brasilien tätig war. Er gilt weithin als einer der besten Fußballspieler aller Zeiten. Pelé gewann mit dem FC Santos in 17 Jahren insgesamt 26 nationale und internationale Titel, darunter zehnmal die Staatsmeisterschaft Campeonato Paulista (1958, 1960, 1961, 1962, 1964, 1965, 1967, 1968, 1969, 1973), viermal den Torneio Rio-São Paulo (1959, 1963, 1964, 1966), fünfmal die Taça Brasil (1961, 1962, 1963, 1964, 1965), jeweils zweimal die Copa Libertadores (1962, 1963) und den Weltpokal (1962, 1963) sowie jeweils einmal den Torneio Roberto Gomes Pedrosa (1968), die Supercopa de Campeones Intercontinentales (1968) und die Recopa Intercontinental (1968). Dabei wurde er in den verschiedenen Turnieren mehrfach Torschützenkönig. Nach seinem Wechsel 1975 zu New York Cosmos konnte er mit seinem neuen Verein einmal die US-Fußballmeisterschaft (1977) gewinnen. Mit der brasilianischen Nationalmannschaft, für die er im Alter von 16 Jahren debütierte, gewann er dreimal die Fußball-Weltmeisterschaft (1958, 1962, 1970), so viele Male wie kein anderer Spieler. Etwa 52 Jahre war er mit 77 Treffern in 92 Länderspielen Rekordtorschütze der brasilianischen Nationalmannschaft. Neymar überbot seine Marke im September 2023. Pelé wurde zudem Torschützenkönig der Copa América (1959). Neben dem dreifachen Gewinn der Weltmeisterschaft werden oftmals seine insgesamt 1303 Tore in 1392 Spielen (776 Tore in 841 Pflichtspielen mit weiteren Toren in Freundschaftsspielen mit FC Santos, New York Cosmos und Brasilien) als Argumente angegeben, Pelé zum besten Fußballspieler oder zumindest zu den besten Fußballspielern der Geschichte zu zählen. Pelé gewann die Wahl zu Südamerikas Fußballer des Jahres (1973) und Südamerikas Fußballer des 20. Jahrhunderts (1998). Im Januar 2000 wurde er von der International Federation of Football History & Statistics (IFFHS) zum World Player of the Century (Bester Fußballspieler des Jahrhunderts) gewählt. Er erhielt zudem 1999 von der FIFA zur Anerkennung seiner Sonderstellung (geteilt mit Diego Armando Maradona) die Auszeichnung Weltfußballer des 20. Jahrhunderts. Im gleichen Jahr wurde Pelé auch durch das Internationale Olympische Komitee (ohne Teilnahme an Olympischen Spielen) zum Sportler des Jahrhunderts ernannt. Vor den Olympischen Sommerspielen von Rio 2016 erhielt er in Santos den Olympischen Orden von IOK-Präsident Thomas Bach. Er erhielt nach seiner Karriere den Ehrenpreis des FIFA Ballon d’Or Prix d’Honneur (2013) für sein Lebenswerk. Herkunft und Jugend Pelé wurde am 23. Oktober 1940 in Três Corações, einer Kleinstadt im Süden des brasilianischen Bundesstaates Minas Gerais, geboren und war das älteste Kind aus der Ehe von João Ramos do Nascimento „Dondinho“ (2. Oktober 1917 bis 16. November 1997) mit Maria Celeste Arantes (* 20. November 1922). In Anlehnung an den weltberühmten Erfinder Thomas Alva Edison gaben seine Eltern ihm den Vornamen Edson („Édson“ ohne „i“, häufig auch „Edson“ ohne Akzent geschrieben, war bereits vor seiner Geburt ein in Brasilien gebräuchlicher Vorname), der allerdings in der Geburtsurkunde fälschlich als Edison vermerkt ist. Im Laufe seines Lebens erklärte Pelé mehrfach, dass er auf der Verwendung des Namens Edson bestehe. Pelés Vater Dondinho war ein talentierter Fußballer, der kurz davor stand, eine Profikarriere bei Atlético Mineiro zu beginnen. Nachdem er sich im ersten professionellen Spiel eine komplizierte Knieverletzung zugezogen hatte, die eine weitere Belastung auf diesem Niveau nicht mehr zuließ, war er fortan gezwungen, sich bei unterklassigen Vereinen anzubieten. 1944 wurde er vom Bauru Atlético Clube (BAC) unter Vertrag genommen und erhielt gleichzeitig eine Anstellung als Reinigungskraft im örtlichen Krankenhaus. Dondinho zog deshalb mit seiner Familie in die Stadt Bauru (Bundesstaat São Paulo). Die erhoffte Verbesserung der wirtschaftlichen Situation stellte sich durch den Ortswechsel jedoch nicht ein, auch in Bauru lebte die Familie weiterhin in ärmlichen Verhältnissen. Das Gehalt des Vaters reichte nicht aus, um die inzwischen fünf Familienmitglieder zu ernähren – der kleine Edson hatte mit Jair („Zoca“) und Maria Lúcia zwei Geschwister bekommen – auch die Mutter Dona Celeste verdiente als Wäscherin Geld dazu. Um selbst zum Lebensunterhalt der Familie beizutragen, verdiente sich Edson, den alle liebevoll „Dico“ nannten, als Schuhputzer am Bahnhof und in den wohlhabenden Stadtvierteln oder durch Botengänge für seine Mutter etwas dazu. In seiner Freizeit spielte Edson am liebsten Fußball und schon in jungen Jahren war ihm klar, dass er einmal in die Fußstapfen seines Vaters treten und Profispieler werden wollte. Diese Leidenschaft ging so weit, dass er dem Unterricht an der Grundschule Ernesto Monte häufig fernblieb und stattdessen in der Straßenmannschaft Sete de Setembro Fußball spielte. Die Mannschaft war auch unter dem Namen „die Schuhlosen“ bekannt, denn kein Kind konnte sich ordentliche Schuhe leisten und man spielte daher barfuß. Die Bälle bestanden lediglich aus zusammengebundenen Socken oder einer Grapefruit. Während dieser Zeit entstand sein Spitzname „Pelé“, dessen genaue Herkunft ungeklärt bleibt. In seiner Autobiografie behauptet er, als Kind für „Bilé“, den Torhüter von Vasco São Lourenço, geschwärmt zu haben. Durch seine ungenaue Aussprache entwickelte sich daraus „Pilé“, was letztendlich zu „Pelé“ wurde. Somit hat der Name des wohl berühmtesten Fußballers der Welt keine besondere Bedeutung und wurde von seinem Träger anfangs nicht einmal sonderlich gemocht. Im Jahr 1952 gründete der BAC die Jugendmannschaft „Baquinho“ und engagierte den ehemaligen brasilianischen Nationalspieler Waldemar de Brito als Trainer. Dieser sichtete einige Talente der Stadt, zu denen auch Pelé gehörte, und holte sie in die Mannschaft. Dort erhielt der mittlerweile Elfjährige eine professionelle Förderung und spielte erstmals in Fußballschuhen auf einem ordentlichen Spielfeld. Unter der Anleitung de Britos zählte Baquinho zu den besten Jugendmannschaften des Bundesstaates São Paulo und gewann zweimal die regionale Jugendmeisterschaft. Auch Dondinho förderte das Talent seines Sohnes und gab ihm zusätzliches Einzeltraining. Vereinskarriere FC Santos (1956 bis 1974) Trainer De Brito erkannte das enorme fußballerische Potential Pelés und arrangierte im Frühjahr 1956 ein Probetraining beim FC Santos, dem amtierenden Staatsmeister São Paulos. Den Verantwortlichen stellte er seinen Schützling mit den Worten vor, dieser habe das Talent, einmal „der größte Fußballer der Welt zu werden“. Pelé überzeugte im Training den Cheftrainer Lula, der ihn daraufhin sofort verpflichten wollte. Der Verein bot dem 15-Jährigen einen Amateurvertrag an, der neben einem Monatsgehalt von 6000 Cruzeiros auch eine Unterkunft in der Hafenstadt Santos und die Garantie, fortan mit dem Profikader trainieren zu dürfen, beinhaltete. Pelé nahm das Angebot an, beendete die Schule ohne Abschluss und verließ das Armenviertel seiner Heimatstadt. Wenige Monate später, am 7. September 1956, bestritt er im Freundschaftsspiel gegen Corinthians Santo André seine erste Partie für die Senioren. Pelé wurde zur zweiten Halbzeit eingewechselt und erzielte bei dem 7:1-Sieg einen Treffer. Zu Beginn des Jahres 1957 rückte Pelé dauerhaft in den Profikader des FC Santos auf und war nach wenigen Spielen Stammspieler im Sturm. Mit 16 Jahren wurde er in seiner ersten vollen Saison Torschützenkönig der Campeonato Paulista (36 Tore in 29 Spielen) und wurde von der Presse als Pérola Negra (Schwarze Perle) gefeiert. Im Juli 1957 wurde Pelé in den Kader der Nationalmannschaft berufen und gewann mit ihr bei der Weltmeisterschaft 1958 in Schweden den Titel. Pelé kehrte als Weltstar in sein Heimatland zurück und wurde ehrfurchtsvoll O Rei (der König) genannt. Durch seine starken Auftritte während des WM-Turniers in Schweden wurde Pelé von finanzstarken europäischen Vereinen wie Real Madrid, Juventus Turin, Inter Mailand und AC Mailand umworben. Diese boten hohe Ablösesummen und Gehälter, doch die brasilianische Staatsführung, in jener Zeit auf dem Weg in eine Militärdiktatur, erklärte den Ausnahmefußballer zum „nationalen Gut“ und verbot einen Transfer nach Europa. Pelé unterschrieb daraufhin seinen ersten Profivertrag bei Santos, der ihm ein monatliches Grundgehalt von umgerechnet 3579 Euro garantierte, womit dieses höher war als das Gehalt des brasilianischen Staatspräsidenten. Neben dem Erfolg mit der Nationalmannschaft stellten sich 1958 auch auf Vereinsebene die ersten Titel ein: Santos wurde Meister der Campeonato Paulista und Pelé mit 58 Treffern (bei 38 Spielen) erneut Torschützenkönig. Siege im Taça Brasil, dem Vorläufer einer nationalen Meisterschaft, sowie im prestigeträchtigen Torneio Rio-São Paulo folgten. Dies war der Beginn von „Super Santos“, das innerhalb weniger Jahre zur besten Vereinsmannschaft Südamerikas aufstieg. Das Spiel der Mannschaft zeichnete sich durch geradliniges Kurzpassspiel, elegante Kombinationen sowie nie vorherzusehende technischen Finten und Finessen aus, viele Gegner wurden regelrecht deklassiert, Kantersiege waren keine Seltenheit. Teilweise überforderte Gegenspieler wussten sich häufig nur mit rüder, überharter Spielweise oder verbalen Angriffen zu wehren. Zu Beginn der 1960er Jahre gewann die Mannschaft rund 85 Prozent ihrer Spiele, was ihr den Namen „ballet blanco“ (weißes Ballett) einbrachte. Den Zenit dieser Mannschaft markierten die Jahre 1962 und 1963. 1962 war mit fünf Titeln das bisher erfolgreichste Jahr der Klubgeschichte: Nach Siegen über Peñarol Montevideo (2:1, 2:3, 3:0) gewann Santos erstmals die Copa Libertadores, das südamerikanische Gegenstück zum Europapokal der Landesmeister, und den Weltpokal gegen Benfica Lissabon (3:2, 5:2). Im Folgejahr gelang sowohl in der Copa Libertadores (3:2 und 2:1 gegen die Boca Juniors) als auch im Weltpokal (2:4, 4:2 und 1:0 gegen den AC Mailand) die viel umjubelte Titelverteidigung. Unbestrittener Star der Mannschaft war Pelé, und obwohl er mit regelmäßig 40 bis 50 Saisontoren die mit Abstand meisten Treffer erzielte, war Santos keineswegs eine „One-Man-Show“. Seine Mitspieler stellten den Kern der brasilianischen Nationalmannschaft, darunter Torwart Gilmar, die Abwehrspieler Mauro Ramos, Carlos Alberto und Calvet, Spielmacher Zito, Linksaußen Pepe sowie Pelés Sturmpartner Coutinho. Während der 1960er Jahre war der FC Santos eine regelrechte „Fußballmaschine“, die zahlreiche finanziell lukrative Freundschaftsspiele in aller Welt absolvierte (22 Partien in sechs Wochen waren keine Seltenheit). In der Zeit vor der Informationsgesellschaft war dies die einzige Möglichkeit, dem weltweiten Publikum Superstar Pelé zu präsentieren und ihn spielen sehen zu können. Der Afrobrasilianer Pelé war aufgrund seiner Hautfarbe insbesondere für die Menschen in Afrika eine positive Symbolfigur und Hoffnungsträger, weshalb die Konfliktparteien des Biafra-Krieges die Kampfhandlungen 1969 unterbrachen, um dem FC Santos ein Freundschaftsspiel in Lagos zu ermöglichen. Nicht zuletzt standen auch kommerzielle Interessen der Vereinsführung hinter diesen Partien, die notwendig waren, um die hohen Spielergehälter zahlen zu können. Am 19. November 1969 schoss Pelé in der Partie gegen CR Vasco da Gama (2:1) sein 1000. Tor, das als „O Milésimo“ gefeiert wurde. Als der Angreifer, schon damals ein Nationalheld, in der 34. Minute den Treffer per Foulelfmeter erzielte, stürmten jubelnde Fans, Fotografen und Journalisten den Rasen des Estádio do Maracanã, weshalb das Spiel für 20 Minuten unterbrochen werden musste. In weiten Teilen Brasiliens läuteten Kirchenglocken und auch die Militärjunta wusste das Ereignis medienwirksam für sich zu nutzen, indem Präsident Emílio Médici Pelé öffentlich gratulierte und ihm einen goldenen Ball überreichte. Die brasilianische Post gab eigens aus diesem Anlass eine Briefmarke heraus. Anfang der 1970er Jahre neigte sich die erfolgreiche Ära des FC Santos ihrem Ende entgegen. Man war nicht mehr die dominierende Mannschaft des Landes und hatte den spielerischen Glanz vergangener Jahre verloren, auch bei Pelé wurden Anzeichen von körperlichem Verschleiß erkennbar. Alljährlich 80 bis 90 Partien, nicht selten verbunden mit anstrengenden Auslandsreisen, dazu unzählige Fouls gegen ihn waren an ihm nicht spurlos vorübergegangen und hatten ihren Tribut gefordert. Auf dem Spielfeld wirkte Pelé häufig nicht austrainiert, müde und abwesend. Nach 17 Jahren im Trikot des FC Santos verkündete Pelé 1974 seinen Rücktritt vom aktiven Profisport. Sein letztes Spiel bestritt er am 2. Oktober 1974 gegen AA Ponte Preta (2:0). New York Cosmos (1975 bis 1977) Aufgrund anhaltender finanzieller Probleme sah sich Pelé gezwungen, seine bereits beendete Karriere wiederaufzunehmen. Unseriöse Geschäftspartner hatten nahezu sein gesamtes Vermögen in einem riskanten Immobiliengeschäft veruntreut und die Gläubiger forderten rund zwei Millionen US-Dollar von ihm. Pelé kündigte seinen Rücktritt auf und unterschrieb 1975 einen Vertrag bei New York Cosmos aus der nordamerikanischen Profiliga NASL, der ihm rund sechs Millionen Dollar einbrachte. Ziel der Ligaverantwortlichen war es, dem Fußball in den USA mehr Popularität zu verschaffen, und da bot es sich an, den „König des Fußballs“ zu verpflichten. Pelé brachte einen nie geahnten Glanz in den bisher tristen US-Fußball, und weitere Altstars wie George Best, Giorgio Chinaglia, Johan Cruyff oder Franz Beckenbauer wechselten ebenfalls in die Vereinigten Staaten und sorgten für einen kurzlebigen „Fußball-Boom“. Im Juni 1975 stieg Pelé in den Spielbetrieb ein, und sein erster Auftritt in der Partie gegen Dallas Tornado (15. Juni 1975) wurde live durch den Fernsehsender CBS übertragen. Weitere Spitzenspieler wie Franz Beckenbauer und Carlos Alberto wechselten ebenfalls zu Cosmos, das 1977 durch einen 2:1-Sieg über die Seattle Sounders die US-Meisterschaft für sich entscheiden konnte. Am 1. Oktober 1977 beendete Pelé endgültig seine Karriere, und zu diesem Anlass veranstaltete man ein Abschiedsspiel zwischen Cosmos und dem FC Santos (2:1). Das US-Fernsehen übertrug das Sportereignis live und bettete das Spiel in einen glamourösen Show-Akt ein, bei dem neben Pelés Vater Dondinho und Bruder Zoca weitere Sportgrößen wie Muhammad Ali oder Bobby Moore eingeladen waren. Während Pelé in der ersten Halbzeit für New York Cosmos auflief, beendete er die zweite Hälfte im Trikot des FC Santos. Nationalmannschaft Nur sieben Monate nach seinem Pflichtspieldebüt für den FC Santos wurde der 16-jährige Pelé in den Kader der brasilianischen Nationalmannschaft berufen und absolvierte am 7. Juli 1957 gegen Argentinien (1:2) sein erstes Länderspiel. Dabei gelang ihm das einzige Tor für seine Mannschaft und er ist dadurch der bis heute jüngste Torschütze der Seleção. WM 1958 in Schweden Pelé gehörte zum brasilianischen WM-Kader 1958 und war mit 17 Jahren der jüngste Spieler der Endrunde in Schweden. Verletzungsbedingt wurde er in den ersten beiden Vorrundenspielen (3:0 gegen Österreich, 0:0 gegen England) nicht berücksichtigt, doch als die Mannschaft nach dem mäßigen Start von Nationaltrainer Vicente Feola Veränderungen forderte, stellte dieser mit Garrincha, Zito und eben Pelé drei neue Offensivspieler für die dritte Partie gegen die Sowjetunion auf. Mit ihrer revolutionären 4-2-4-Formation um die Offensivreihe Garrincha, Vavá, Pelé und Mário Zagallo begeisterten die spielfreudigen Brasilianer die Zuschauer und ließen der Sowjetunion beim 2:0-Sieg keine Chance. Nach dieser überzeugenden Leistung trafen sie im Viertelfinale auf Wales und rannten zunächst vergeblich gegen das walisische Abwehrbollwerk an. Schließlich war es Pelé, der Brasilien mit seinem entscheidenden Tor zum 1:0 ins Halbfinale vorstoßen ließ. Das Spiel gegen die starken Franzosen wurde sogar als vorweggenommenes Endspiel bezeichnet. Der überragende Pelé beförderte die Seleção mit einem Hattrick binnen 22 Minuten (53., 64., 75.) fast im Alleingang ins Finale (Endstand 5:2) und die Fußballwelt staunte über den leichtfüßigen schwarzen Jungen aus dem brasilianischen Hinterland, der die gestandenen europäischen Verteidiger scheinbar spielend leicht umdribbelte. Pelés Ballgefühl war unerreicht, seine spielerische Leichtigkeit und Frechheit beinahe „dreist“. Als eindeutiger Favorit ging Brasilien ins Endspiel gegen Gastgeber Schweden, die gegen den südamerikanischen Fußball vom anderen Stern absolut chancenlos waren und deutlich mit 5:2 unterlagen. Wiederum war Pelé der alles überragende Spieler. „Nach dem fünften Tor wollte sogar ich applaudieren“, sprach Sigvard Parling, einer der bedauernswerten Schweden. Und die Londoner „Times“ schwärmte von einer „Fußballkunst, die das Verständnis vieler überschreitet“. Von niemandem auszuschalten, krönte er seine Leistung mit zwei sehenswerten Toren. Brasilien war erstmals Fußballweltmeister und hatte sich vom „Fluch des Maracanaço“ befreit. Die ergreifenden Bilder des weinenden Pelé, der sich an Gilmars Schulter anlehnte, gingen um die Welt. Innerhalb weniger Tage war er zu einem Weltstar aufgestiegen und das Gesicht „des Königs“ (O Rei) prangte auf zahllosen Titelbildern. Mit sechs Treffern in vier Spielen war Pelé zweitbester Torschütze des Turniers und wurde nachträglich zum besten jungen Spieler der WM gewählt. Daneben hatte er zahlreiche Rekorde aufgestellt: jüngster Spieler, jüngster Torschütze und jüngster Endspielteilnehmer einer WM, sowie jüngster Weltmeister. WM 1962 in Chile Mit einem Großteil der Weltmeisterelf von 1958 reisten die Brasilianer für die WM 1962 nach Chile, lediglich der erkrankte Nationaltrainer Feola wurde durch Aymoré Moreira vertreten. Mit Spannung erwartete die Fußballwelt den Auftritt des Titelverteidigers und insbesondere Pelés, der beim 2:0 über Mexiko mit einem Tor sowie einer Vorlage die Erwartungen erfüllen konnte. Doch schon im zweiten Gruppenspiel gegen die ČSSR (0:0) war das WM-Turnier für ihn beendet: Bei einem Schussversuch zog sich Pelé eine Oberschenkelverletzung zu und musste für den Rest der Partie auf dem Flügel „geparkt“ werden, da zu dieser Zeit Spielerwechsel noch nicht erlaubt waren. Den weiteren Turnierverlauf verfolgte er als Zuschauer auf der Tribüne. Zwar kamen immer wieder Gerüchte auf, Pelé werde wieder gesund und könne zumindest im Endspiel auflaufen, doch die Welt hoffte vergeblich auf die Fähigkeiten des Masseurs und „Wunderheilers“ Mário Américo. Brasilien konnte den Verlust seines Superstars kompensieren und verteidigte den Titel souverän mit 3:1 im Finale gegen die ČSSR. WM 1966 in England Im Vorfeld der Weltmeisterschaft in England wurden die Brasilianer als großer Favorit gehandelt und strebten selbstbewusst die erneute Titelverteidigung an. Allerdings verlief die Vorbereitung auf die Endrunde eher problematisch: Trainer Feola gelang es nicht, eine funktionierende Stammformation zu finden, da sich geltungsbedürftige Verbandsfunktionäre immer wieder einmischten. Brasilien startete zwar mit einem 2:0 über Bulgarien (ein Freistoßtor von Pelé) ordentlich ins Turnier, doch Pelé wurde von den Gegenspielern extrem hart angegangen und beschwerte sich vergeblich bei der FIFA über dieses Vorgehen. Daher wurde er im folgenden Spiel geschont, doch das überhebliche Auftreten der Mannschaft führte zur sensationellen Niederlage gegen Ungarn (1:3). Zum Eklat kam es in der entscheidenden dritten Partie, als Pelé von den portugiesischen Verteidigern wie Freiwild regelrecht gejagt und zusammengetreten wurde. Verletzungsbedingt musste er das Spiel auf der Außenbahn beenden und konnte die 1:3-Niederlage nicht verhindern, die zum sensationellen Ausscheiden Brasiliens nach der Vorrunde führte. Pelé reagierte verärgert über die Tatenlosigkeit der FIFA und erklärte, nicht mehr an einer Weltmeisterschaft teilnehmen zu wollen. WM 1970 in Mexiko Unter dem neuen Nationaltrainer João Saldanha fand Pelé zunächst keine Berücksichtigung mehr für die Seleção und bestritt fast zwei Jahre lang kein Länderspiel. Saldanha demontierte den Nationalhelden sogar öffentlich, indem er behauptete, Pelé sei alt und übergewichtig geworden und leide zudem unter einer Sehschwäche. Erst unter massivem Druck der brasilianischen Regierung im Vorfeld der WM 1970 kehrte er in die Nationalmannschaft zurück. Der eigensinnige Saldanha war mit dieser Einmischung der Politik in seine Arbeit nicht einverstanden und trat von seinem Amt zurück. Nachfolger wurde Pelés ehemaliger Mitspieler Mário Zagallo, der ihn gleich wieder zum Stammspieler machte. Hochmotiviert ging Pelé in die Turniervorbereitung und nach harter, gewissenhafter Trainingsarbeit reiste er in Topform nach Mexiko. Dort wurde Brasilien vor Titelverteidiger England Sieger der Gruppe C (drei Pelé-Treffer) und wurde als absoluter Turnierfavorit bezeichnet. Zagallo war es gelungen, die hochbegabten Individualisten zu einer homogenen und funktionierenden Einheit zu formen. Die mit Ausnahmekönnern wie Pelé, Jairzinho, Tostão, Gérson und Roberto Rivelino besetzte Offensivreihe war von den Gegnern nicht zu kontrollieren. Durch ständige Positionswechsel waren sie kaum auszurechnen, und angetrieben von Pelé, der wie zu besten Zeiten spielte und die Mannschaft auf dem Feld führte, zeichneten sie sich durch unbedingten Siegeswillen aus. Viele Fußballexperten halten diese Seleção noch heute für die beste Mannschaft, die je bei einer Weltmeisterschaft gespielt hat. In der K.O.-Phase setzten sie sich ungefährdet gegen Peru (4:2) und Uruguay (3:1) durch und trafen im Finale auf Italien. Die überforderte „Squadra Azzurra“ wurde von den wie entfesselt aufspielenden Brasilianern mit 4:1 regelrecht überrollt, wobei Pelé mit einem sehenswerten Kopfballtor das wichtige 1:0 gelungen war. Nach dem Schlusspfiff nahm er ausgelassen den Coupe Jules Rimet entgegen. Die Weltmeisterschaft war die größte Bühne für Pelé, der sie mit 17, 21 und 29 Jahren gewann. Kein anderer Fußballspieler hat dieses Turnier so oft gewonnen. Dabei hat er insgesamt zwölf Tore erzielt, was ihm bis heute einen der vordersten Plätze in der ewigen Torjägerliste der WM garantiert. Am 18. Juli 1971 streifte sich Pelé gegen Jugoslawien (2:2) letztmals das gelbe Nationaltrikot über und wurde von 180.000 Zuschauern im Maracanã-Stadion enthusiastisch verabschiedet. Mit 77 von der FIFA anerkannten Treffern bei insgesamt 92 Spielen war er bis September 2023 etwa 52 Jahre Rekordtorschütze Brasiliens. Am 9. Dezember 2022 wurde dieser Rekord von Neymar im 124. Spiel eingestellt. Der brasilianische Fußballverband behauptet jedoch, Pelé habe 95 Tore in 113 Spielen geschossen und sei weiterhin alleiniger Torschützenkönig. Spielweise Pelé galt als ein kompletter Stürmer und Alleskönner. Er verfügte über eine hervorragende Technik, Schnelligkeit und Athletik, nutzte beide Füße gleichermaßen ohne Qualitätseinbußen und war sprung- und kopfballstark. Neben seiner Intuition, zu erkennen, wie und in welche Richtung sich Gegenspieler bewegen würden, um sich so von ihnen freilaufen und Torchancen kreieren zu können, wird Pelés Ausnahmestellung unter anderem damit begründet, dass er neben vielen und wichtigen Toren, die er schoss, auch variabel auf verschiedenen Positionen einsetzbar war. Er erkannte, wenn Lücken in der eigenen Defensive entstanden waren, und stopfte diese, hielt, wenn nötig, den Ballbesitz und das Spiel der eigenen Mannschaft aufrecht, konnte als Ballverteiler Angriffe aus dem Mittelfeld einleiten und behauptete Bälle auch unter Druck im gegnerischen Strafraum. Pelé konnte alles auf allerhöchstem Niveau: dribbeln, dirigieren, köpfen und schießen. Er gilt deshalb als einer der komplettesten Fußballspieler, den die Welt bis heute gesehen hat. Erfolge Vereine Staatsmeisterschaft Campeonato Paulista (10): 1958, 1960, 1961, 1962, 1964, 1965, 1967, 1968, 1969, 1973 Torneio Rio-São Paulo (4): 1959, 1963, 1964, 1966 Taça Brasil (5): 1961, 1962, 1963, 1964, 1965 Torneio Roberto Gomes Pedrosa (1): 1968 Copa Libertadores (2): 1962, 1963 Weltpokal (2): 1962, 1963 Supercopa de Campeones Intercontinentales (1): 1968 Recopa Intercontinental (1): 1968 Meister der North American Soccer League (1): 1977 Nationalmannschaft Weltmeister (3): 1958, 1962, 1970 Auszeichnungen Sportliche Ehrungen Südamerikas Fußballer des Jahres (1): 1973 FIFA Order of Merit: 1984 Südamerikas Fußballer des 20. Jahrhunderts: 1998 Spieler des 20. Jahrhunderts (FIFA): 1999 Spieler des 20. Jahrhunderts (Magazin World Soccer): 1999 Sportler des 20. Jahrhunderts (IOK): 1999 (ohne Teilnahme an Olympischen Spielen) Ehrenpreis des FIFA Ballon d’Or (FIFA Ballon d’Or Prix d’honneur): 2013 (für sein Lebenswerk) Olympischer Orden: 2016 Wahl ins Ballon d’Or Dream Team: 2020 Außersportliche Ehrungen 1965: Ehrenbürger von Santos, Brasilien Botschafter der UNESCO 1997: ehrenhalbe Aufnahme als Knight Commander in den Order of the British Empire 2005: Ehrenmitglied des deutschen Fußballvereins Rot-Weiss Essen 2006: Goldener Rathausmann der Stadt Wien 2007: Ehrenmitglied des deutschen Fußballvereins 1. FC Köln Torschützenkönig Verein (FC Santos) Torschützenkönig der Staatsmeisterschaft Campeonato Paulista (11): 1957 (20 Tore), 1958 (58 / Rekord), 1959 (45), 1960 (34), 1961 (47), 1962 (37), 1963 (22), 1964 (34), 1965 (49), 1968 (26), 1973 (11) Torschützenkönig des Torneio Rio-São Paulo (4): 1961 (7 Tore), 1963 (15), 1964 (3), 1965 (8) Torschützenkönig der Taça Brasil (2): 1961 (9 Tore), 1963 (12) Torschützenkönig der Copa Libertadores: 1963 (11 Tore) Nationalmannschaft Torschützenkönig der Copa América: 1959 (8 Tore) Rekorde Rekordtorschütze der brasilianischen Nationalmannschaft (77 Tore in 92 Länderspielen) Karrierestatistik Verein Quelle: RSSSF Nationalmannschaft Quelle: RSSSF Laufbahn nach dem aktiven Sport Nach Beendigung der aktiven Laufbahn war Pelé ein weltweit gefragter Werbeträger (u. a. American Express, Pepsi, Viagra) und gründete eine Sportmarketing-Agentur, die rund 20 Millionen US-Dollar jährlich umsetzte. Am 10. Juni 2010 präsentierte er in Johannesburg (Südafrika) die Marke „Pelé Sports“, deren erste Kollektion aus Fußballschuhen mit den Modellnamen „1958“, „1962“ und „1970“ sowie Sport- und Lifestyletextilien besteht. Seit seinem Karriereende 1977 war Pelé in seiner Eigenschaft als UN-Sonderbotschafter weltweit für zahlreiche Entwicklungsprojekte tätig. Ihm zu Ehren wurde die Kleine Fußball-Weltmeisterschaft der Senioren als Pelé-Cup (1987 bis 1995) benannt. 1992 erwog er, sich bei der Wahl 1994 um das Amt des brasilianischen Präsidenten zu bewerben. Von 1995 bis 1998 bekleidete er das Amt des außerordentlichen Sportministers (Ministério do Esporte) in der Regierung des brasilianischen Präsidenten Fernando Henrique Cardoso (Partido da Social Democracia Brasileira). Sein Einsatz für eine offenere Vermarktung von Fußballrechten rief Kritik hervor. Man warf ihm vor, nicht im Interesse des Fußballs, sondern in eigenem Interesse gehandelt zu haben, da eine von ihm erlassene Verordnung Sportmarketing-Firmen begünstige. Familie und Gesundheit Pelé heiratete am 21. Februar 1966 Rosemeri dos Reis Cholby; die Ehe wurde 1982 geschieden. Aus dieser Verbindung gingen zwei Töchter sowie ein Sohn hervor. Der Sohn, Edson Cholbi Nascimento, wurde ebenfalls Fußballspieler und war als Torwart u. a. beim FC Santos aktiv. Im Februar 2017 wurde er wegen Beteiligung an Geldwäsche im Zusammenhang mit Drogengeschäften zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. In erster Instanz war er 2014 bereits zu 33 Jahren Gefängnis verurteilt worden. In den 1990er Jahren erkannte Pelé die Vaterschaft für zwei uneheliche Töchter an. Zwischen 1994 und 2008 war Pelé mit der Gospelsängerin Assíria Lemos Seixas verheiratet, die am 28. September 1996 Zwillinge gebar. Im Alter von 80 Jahren ließ er sich im Albert-Einstein-Krankenhaus in São Paulo am 4. September 2021 einen Tumor am Dickdarm entfernen. Anfang Dezember 2022 wurde er auf die Palliativstation verlegt, nachdem sein Körper nicht mehr auf die Chemotherapie reagiert hatte. Zudem litt er zwischenzeitlich an einer Atemwegsinfektion im Zusammenhang mit SARS-CoV-2. Am 29. Dezember 2022 erlag Pelé im Alter von 82 Jahren im Albert-Einstein-Krankenhaus in São Paulo den Folgen seines Krebsleidens. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro rief eine dreitägige Staatstrauer und Brasiliens Fußballverband CBF eine siebentägige Trauer aus. Seine letzte Ruhestätte fand Pelé, der von seiner 100-jährigen Mutter überlebt wurde, in einem Mausoleum in der ersten Etage des Friedhofshochhauses Memorial Necrópole Ecumênica in Santos. Die Beisetzung fand am 3. Januar 2023 nach einem mehrstündigen Trauerzug durch die Straßen von Santos im Kreis seiner Familie statt. Sonstiges und Kurioses Spitznamen In seinem Heimatland wird er auch als Pérola Negra (Schwarze Perle), O Rei do Futebol (König des Fußballs), O Rei Pelé (König Pelé) oder einfach als O Rei (Der König) bezeichnet. Sein Name wurde von den Medien als Synonym für einen überragenden Fußballer verwendet wie bei Zico (weißer Pelé) oder Neymar (neuer Pelé); die Fußballer Abédi Pelé und Claus-Dieter Wollitz trugen den Spitznamen Pelé. Referee Guillermo Velásquez Am 17. Juli 1967 trat Pelé mit dem FC Santos in einem Saisonvorbereitungsspiel im Stadion El Campín von Bogotá gegen eine kolumbianische Jugendauswahl an. Das Spiel endete 4:2 für Santos. Als es nach der Anerkennung eines Tors der Auswahl durch Referee Guillermo Velásquez zu einem Spielerauflauf der Santosianer kam, unter ihnen Gilmar, Lima und Pepe, wurde Pelé des Feldes verwiesen. Die Zuschauer forderten jedoch nachdrücklich, Pelé zu sehen. Der Schiedsrichter übergab die Pfeife an einen seiner Assistenten, und Pelé kehrte aus der Kabine aufs Feld zurück. Velásquez erklärte später, er habe nur schwarze Spieler um sich gesehen und geglaubt, Pelé habe ihn gestoßen. 42 Jahre später kam es 2010 am selben Ort anlässlich eines Matchs der Millonarios gegen Santa Fe in Anwesenheit Pelés zu einer ehrenden Erinnerung daran. Trikot mit der Nummer 10 2002 wurde ein Fußballtrikot Pelés beim Londoner Auktionshaus Christie’s für 251.000 Euro versteigert. Das Trikot mit der Nummer 10, welches Pelé im WM-Finale von 1970 beim 4:1 gegen Italien getragen hatte, ging an einen anonymen Anrufer. Angeboten wurde es von dem ehemaligen italienischen Nationalspieler Roberto Rosato, welcher am Ende des Finals sein Trikot gegen das von Pelé getauscht hatte. Damit wäre es das teuerste auf einer Auktion verkaufte Fußballtrikot. Allerdings zweifelt der ehemalige brasilianische Nationaltrainer Mario Zagallo an der Echtheit des Trikots. Er sei angeblich im Besitz des Trikots, das Pelé in der 1. Halbzeit trug, und der damalige Konditionstrainer Admilo Chirol im Besitz desjenigen der 2. Halbzeit. 100-jähriges Bestehen der FIFA Pelé hat zum 100-jährigen Bestehen der FIFA am 4. März 2004 die Auswahl für die FIFA 100, eine Liste mit den 125 besten lebenden Fußballspielern, aufgestellt. „pelé“ im Wörterbuch Im April 2023 wurde das Adjektiv pelé zu den mehr als 167.000 Wörtern des in Brasilien gedruckten portugiesischen Michaelis-Wörterbuchs. Mit dem Wort kann etwas oder jemand Außergewöhnliches bezeichnet werden, in dem Sinne, in dem es in Brasilien bereits informell verwendet wird. In der Online-Version des Wörterbuchs wird „pelé“ als gleichbedeutend mit „außergewöhnlich, unvergleichlich, einzigartig“ geführt, die Definition des Begriffs lautet: „Etwas oder jemand, das oder der aus dem Rahmen fällt, etwas oder jemand, das oder der aufgrund seiner Qualität, seines Wertes oder seiner Überlegenheit mit nichts und niemandem sonst gleichgesetzt werden kann, wie Pelé, Spitzname von Edson Arantes do Nascimento (1940–2022), der als der größte Sportler aller Zeiten gilt.“. Zitate „Der beste Spieler der Geschichte war Alfredo Di Stefano. Ich weigere mich, Pelé als Spieler zu klassifizieren. Er war darüber.“ – Ferenc Puskás „Ich denke, er ist Fußball. Ihr habt den wirklichen Special One – Mr. Pelé.“ – José Mourinho, 2005 „Nach dem fünften Tor wollte sogar ich applaudieren.“ – Sigvard Parling, nach dem WM-Finale 1958 „Als ich Pelé spielen sah, wollte ich meine Fußballschuhe nur noch an den Nagel hängen.“ – Just Fontaine, WM-Torschützenkönig 1958 „Pelé war einfach der kompletteste Spieler, den ich je gesehen habe.“ – Bobby Moore, nach Brasiliens 1:0-Sieg über England im Vorrundenspiel in Guadalajara „Ich erinnere mich, wie Saldanha von einem brasilianischen Journalisten gefragt wurde, wer der beste Torwart in seinem Kader sei. Er antwortete „Pelé“. Der Mann konnte auf allen Positionen spielen.“ – Bobby Moore „Vor dem Endspiel sagte ich zu mir: Pelé ist aus Fleisch und Knochen, so wie ich. Danach erkannte ich, dass ich Unrecht hatte.“ – Tarcisio Burgnich nach dem WM-Finale 1970 „Der beste Spieler aller Zeiten? Pelé. Messi und Cristiano Ronaldo sind beides großartige Spieler mit außerordentlichen Fähigkeiten, aber Pelé war besser.“ – Alfredo Di Stéfano „Ich hatte noch nie Idole. Aber da ich Brasilianer bin, bin ich wie alle anderen in diesem Land. Da wir gute Brasilianer sind, ist Pelé unser Gott, zumindest ist er meiner. Das Spiel dürfte eigentlich nicht Fußball heißen, sondern Pelé.“ – Romário „Ein schweigender Pelé ist ein Poet.“ Romário über Pelés Aufforderung, seine Karriere zu beenden. – Romário „Es wird nur einen Pelé geben, wie es auch nur einen Frank Sinatra oder nur einen Michelangelo gegeben hat. Ich war der Beste.“ – Pelé „Arm, reich, hässlich oder schön, für Gott sind alle Menschen gleich. Warum er ausgerechnet mir diese Gabe geschenkt hat, weiß ich nicht. Ich hätte in meinem Leben nur Fußball spielen können. Michelangelo hat gemalt, Beethoven Klavier gespielt und ich Fußball.“ – Pelé Siehe auch Liste der Fußballspieler mit mindestens 50 Länderspieltoren Film Pelé spielte zusammen mit vielen anderen ehemaligen Profifußballspielern in dem Film Flucht oder Sieg (1981) mit. Er nahm die Rolle eines amerikanischen Kriegsgefangenen ein und zeigte auch sein fußballerisches Können: Per Fallrückzieher erzielte er den entscheidenden Treffer. Außerdem war er an der Erstellung der Choreographie für die Fußballszenen in dem Film beteiligt. Pelé und Garrincha – Brasilianische Fußballkönige. (Pelé, Garrincha, Dieux du Brésil.) Frankreich, 2002, 81 Min. Regie: Jean-Christophe Rose Pelé Eterno, Dokumentation, Brasilien, 2004, 125 Min. Regie: Anibal Massaini Neto Legenden: Pelé, Dokumentation, Deutschland, Erstausstrahlung: 29. Mai 2006, 45 Min. Buch und Regie: Christian Weisenborn, Produktion: ARD Pelé – Der Film, USA, 2016, 107 Min. Buch und Regie: Jeff Zimbalist. Biopic, welches die Anfangszeit der Karriere des Fußballers und die Beziehung zu seinem Vater in der Zeit behandelt. Der Film wurde erstmals im April 2016 auf dem Tribeca Film Festival in New York vorgeführt und im Mai 2016 veröffentlicht. Pelé, Dokumentation, 2021, 108 Min. Regie: Ben Nichols und David Tryhorn. Der Film erzählt die Geschichte um Pelé und Brasiliens. Seit 2021 auf Netflix. Literatur Edson Arantes do Nascimento (mit Orlando Duarte und Alex Bellos): Pelé – Mein Leben. Scherz, Frankfurt am Main 2006, ISBN 3-502-18000-8. Martin Klein: Pelé und ich. Carlsen, Hamburg 2006, ISBN 3-551-55415-3 (Kinderbuch) Harry Harris: Pelé. His life and times. Welcome Rain Publishers, New York 2002, ISBN 1-56649-223-8. Gerhard Hess: Pele. König auf dem grünen Rasen. Copress-Verlag, München 1991, ISBN 3-7679-0361-X. Fritz Hack: Schwarze Perle Pelé. Der beste Fußballspieler der Welt. Der Mann der 1000 Tore. Moewig, München 1969. Mauricio de Sousa: Pelezinho. Susanna Rieder Verlag, München 2013, ISBN 978-3-943919-21-9. Pelé und Brian Winter: Pelé – Warum Fußball? Hannibal Verlag, Höfen 2014, ISBN 978-3-85445-452-6 (Originalausgabe: Why Soccer Matters) Weblinks Website der Escola do Rei mit Biografie von Pelé Website von Pelé Sports Einzelnachweise FIFA 100 Fußballnationalspieler (Brasilien) Fußballspieler (FC Santos) Fußballspieler (New York Cosmos) Südamerikas Fußballer des Jahres Fußballweltmeister (Brasilien) Brasilianischer Meister (Fußball) Copa-Libertadores-Sieger Fußball-Weltpokal-Sieger UNESCO-Sonderbotschafter UN-Goodwill-Botschafter Sportminister (Brasilien) Honorary Knight Commander des Order of the British Empire Träger des Rio-Branco-Ordens Pseudonym Brasilianer Geboren 1940 Gestorben 2022 Mann
Q12897
110.478803
98092
https://de.wikipedia.org/wiki/Lesbos
Lesbos
Lesbos oder Lesvos () ist die drittgrößte Insel Griechenlands und mit einer Fläche von knapp 1636 km² die achtgrößte im Mittelmeer. Seit 2011 bildet die Insel den Regionalbezirk Lesbos (Περιφερειακή Ενότητα Λέσβου) in der Region Nördliche Ägäis. Nach der Volkszählung von 2011 hatte die Insel 86.436 Einwohner. Seit 2019 ist die Insel in zwei Gemeinden untergliedert. In Mytilini, dem Handels- und Wirtschaftszentrum der Insel, leben 37.890 Einwohner. Hinzu kommen noch ca. 12.000 Menschen, die sich im Flüchtlingslager Moria aufhielten, bis es im September 2020 bei einem Großbrand fast vollständig zerstört wurde. Name In der griechischen Mythologie hieß der Inselpatron „Lezbos“, der Sohn des Lapithes, der Methymna heiratete. Das Wort lesbisch, im Sinne von weiblich homosexuell, wird vom Namen der Insel abgeleitet, da die von dort stammende antike Dichterin Sappho in ihren Gedichten von der Liebe zu Frauen sang. Im 18. und 19. Jahrhundert war die gesamte Insel im restlichen Europa allgemein als Mytilene (fr. Mytilène) bekannt; der damals übliche türkische Name lautete Midilli. In deutschsprachigen Publikationen und Zeitungen wurde bis weit nach der Mitte des 19. Jahrhunderts hauptsächlich der Name Metelin verwendet, abgeleitet vom ital. Metelino. Den Namen „Lesbos“ gebrauchte man im Deutschen vor dem 20. Jahrhundert vor allem dann, wenn von der antiken Geschichte der Insel die Rede war. Geographie Lage Lesbos liegt in der nördlichen Ägäis und wird innerhalb der Nordostägäischen Inseln zu den Ostägäischen Inseln gezählt. Im Norden trennt der Golf von Edremit (Edremit Körfezi) die Insel von Kleinasien mit etwa neun Kilometern in kürzester Entfernung, im Osten die etwa 15 km breite Meerenge von Lesbos (Στενό Μυτιλήνης). Die nächstgelegenen größeren Inseln sind Chios 48 km südlich, Psara 65 km südwestlich, Agios Efstratios 76 km westlich sowie Limnos 74 km nordwestlich. Gestalt Lesbos ist vulkanischen Ursprungs und erhebt sich an mehreren Stellen bis nahezu tausend Meter über dem Meer. Die 1635,998 km² große Insel wird durch zwei von Süden her tief ins Inselinnere reichende Einbuchtungen gegliedert. Ihre maximale Ausdehnung von etwas mehr als 70 km erreicht Lesbos gemessen vom Kap Agrilia (Ακρωτήριο Αγριλιά) im Südosten bis zum Kap Saratsina (Ακρωτήριο Σαράτσινα) im Südwesten. Die längste Erstreckung in Nord-Süd-Richtung beträgt rund 45 km vom Kap Korakas (Ακρωτήριο Κόρακας) bis zum Kap Agios Fokas (Ακρωτήριο Άγιος Φωκάς). Bergmassive dominieren die Insel. Der Lepetymnos (Λεπέτυμνος) im Norden stellt mit 968 m den höchsten Gipfel der Insel dar, nahezu gleich hoch ist der Olymbos im Süden mit 967 m. Im westlichen weitläufigen Ordymnos-Massivs (Όρδυμνος) erreicht der Profitis Ilias eine Höhe von 799 m, im Südosten ist die Kourteri (Κουρτερή) mit 527 m die höchste Erhebung auf der Amali-Halbinsel (Χερσόνησος Αμαλή). Fast die Hälfte der Insel ist hügeliges Land mit Oliven- und Obstbäumen sowie Wäldern, vorwiegend mediterraner Kiefern mit Eichen und Walnussbäumen. Sie bedecken etwa 20 % der Inselfläche. Das Berg- und Hügelland wird immer wieder von Ebenen unterbrochen, die knapp ein Drittel der Insel ausmachen. Die größten liegen an den beiden binnenseeartigen Golfen. Lesbos hat mehr als ein Dutzend ganzjährig Wasser führende Flüsse und Bäche, die größten entspringen am Olymbos im Osten der Insel, der Evergetoulas mündet in den Golf von Gera. Von der Südküste her reichen zwei Meeresbuchten mit einer Wassertiefe je um rund 20 Meter weit in die Insel hinein. Der 43 km² große und etwa 6,5 km lange Golf von Gera (Κόλπος Γέρας) im Südosten ist über einen 200 bis 800 m breiten Kanal mit dem Meer verbunden. Der Golf von Kalloni (Κόλπος Καλλονής) mit einer Oberfläche 110 km² geht bis zu 21 km ins Inselinnere. Die übrige Küstenlinie ist durch zahlreiche kleinere Buchten gegliedert. An verschiedenen Stellen sind der Küste unbewohnte Inselchen vorgelagert. Die größte ist Megalonisi im äußersten Westen, ganz im Osten liegen die Tomaronisia. Auf dem Weg zwischen Antissa und Sigri gibt es einen versteinerten Wald aus der Zeit von vor 23 Millionen Jahren. In West-Lesbos gibt es mehr als 30 ehemalige Lavadome, sogenannte Necks, und mehrere vulkanische Kalderen (Skoutari, Vatousa, Agra und Anemotia). Der Osten der Insel ist bewaldet und zum Großteil nicht vulkanisch. Nur bei Polichnitos gibt es deutliche Zeichen von aktivem Vulkanismus und die heißesten Quellen Griechenlands (70–85 °C). Klima Starke ungleichmäßige räumliche und jahreszeitliche Niederschlagsverteilung und große Unterschiede zwischen Minimum und Maximum der Tagestemperaturen kennzeichnen das Klima der Insel. Lesbos liegt im Übergangsbereich des mediterranen Winterregenklimas zum kontinental geprägten Steppenklima Kleinasiens. Der semiaride Inselwesten wird durch eine etwa zehn Kilometer breite Übergangszone vom subhumiden Inselosten getrennt. Die Aufzeichnungen der Wetterstation Mytilini im Inselosten weisen auf einen heißen und trockenen Sommer von April bis Oktober mit einer mittleren Temperatur von 26,2 °C und einen kühl-feuchten Winter von November bis März mit einer mittleren Temperatur von 10,5 °C hin. Im Zeitraum von 1955 bis 1997 lag die absolute Höchsttemperatur in Mytilini bei 40,4 °C, die Tiefsttemperatur bei −4,4 °C. Während der heißen Zeit sind Regenfälle selten. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge liegt im Juli bei 2,7 mm und von Juni bis August bei insgesamt 14,7 mm. Die Niederschläge sind auf die nass-kalte Jahreszeit konzentriert, mit einem Spitzenwert von 152,7 mm im Dezember. Der durchschnittliche jährliche Niederschlag schwankt zwischen 725 mm im Osten und nur 414 mm im westlichen Teil der Insel. Die langfristigen Niederschlagsdaten für Mytilini zeigen eine Abnahme der Menge von etwa 35 % von 1980 bis 2000. Eine weitere Verringerung der mittleren jährlichen Niederschlagsmenge wird seit dem Jahr 2000 beobachtet. Im Zeitraum von 2000 bis 2008 hat sich im Vergleich zum Mittelwert von 1954 bis 1999 die Niederschlagsmenge nahezu halbiert. Dieser Trend wurde für alle Monate mit Ausnahme des Novembers festgestellt. Der Rückgang der Regentage beträgt etwa zwei Tage pro Monat. Dieser Rückgang der Niederschläge in Verbindung mit der Erhöhung der Lufttemperatur wurde bereits für andere Regionen des Mittelmeerraums nachgewiesen oder vorhergesagt. Niederschlagsdaten von verschiedenen Standorten auf der Insel zeigen, dass der westliche Inselteil lediglich 65 % der Regenmenge gegenüber den übrigen Gebieten erhält. Die reduzierten Niederschläge in West-Lesbos sind hauptsächlich auf starke Winde in diesem Gebiet zurückzuführen. Die mittleren Geschwindigkeiten sind etwa doppelt so hoch wie in den östlichen und zentralen Inselgebieten. Verwaltungsgliederung Mit der Umsetzung der Gemeindereform nach dem Kapodistrias-Programm im Jahr 1997 war die Insel Lesbos in 13 Gemeinden mit insgesamt 73 Gemeindebezirken untergliedert. Zum 1. Januar 2011 führte das Kallikratis-Programm die ehemaligen Gemeinden der Insel zur neu geschaffenen Gemeinde Lesvos (Dimos Lesvou Δήμος Λέσβου) zusammen, Verwaltungssitz war Mytilini. Diese Gemeinde wurde 2019 in die beiden Gemeinden Mytilini und Dytiki Lesvos aufgetrennt. Die größten Städte sind der Hauptort der Insel Mytilini sowie Kalloni, Mithymna, Plomari, Agiassos und Petra. Geschichte Urgeschichte Auf Lesbos wurde die archäologische Forschung lange vernachlässigt, daher ist die vorschriftliche Geschichte vergleichsweise schlecht erforscht. Früheste Spuren menschlichen Lebens sind Steinartefakte von Rodafnidia (Ροδαφνίδια) bei Lisvori. Die Abschläge in Levalloistechnik werden ins Mittelpaläolithikum datiert, nach jüngeren Forschungen dem Mittelpleistozän bzw. dem Acheuléen zugeordnet. Damit handelt es sich um die älteste Fundstätte Griechenlands. Die Wasserstraße östlich der Insel ist 50 m tief, was während der Kaltzeiten, als der Meeresspiegel bis zu 130 m unter dem heutigen Niveau lag, dazu führte, dass menschliche und tierische Zuwanderung leicht möglich war. Die mittelpaläolithischen Funde wurden auf mindestens 258.000 ± 48.000 Jahre datiert, die Werkzeugtechnologie deutet auf ein noch deutlich höheres Alter, ähnlich wie Kaletepe Deresi 3 oder gar die Olduwai-Stätten. Siedlungsaktivitäten der späten Jungsteinzeit und damit erster frühbäuerlicher Kulturen konnten an mehreren Orten im Inselinneren auf hoch gelegenen Hügeln und an der Küste nachgewiesen werden. Möglicherweise erklärt sich die relativ späte Neolithisierung, die allerdings nicht gesichert ist, daraus, dass das gegenüberliegende Festland auch eine Verzögerung aufweist. Eventuelle ältere Spuren könnten aber auch durch den ansteigenden Meeresspiegel und damit durch die Zerstörung küstennaher Siedlungen erklärlich sein. Nahezu 40 Siedlungsstätten bezeugen die anhaltende Besiedlung seit der Frühbronzezeit, also im 3. Jahrtausend v. Chr. Die Orte lagen bevorzugt an der Küste oder auf Schwemmland im Osten, Südosten und im Inselzentrum. Der westliche Inselteil wurde frühesten ab der Mittleren Bronzezeit, also im frühen 2. Jahrtausend v. Chr., und vor allem in der Küstenzone während der Spätbronzezeit besiedelt. Wichtige Höhensiedlungsstätten sind Angourelia Sarakinas, Saliakas (von dort ließ sich der Weg vom Südosten der Insel und deren Innenteil am Golf von Kalloni kontrollieren) und Prophitias Ilias. Dabei bildeten der Golf von Kalloni und die Ostküste die Hauptsiedlungszentren. Nur Thermi ist flächendeckend stratigraphisch erforscht, insgesamt wurden sieben Bauphasen nachgewiesen. Die Besiedlung von Thermi begann um etwa 3000 v. Chr. auf einer flachen Halbinsel an der Ostküste in einem der fruchtbarsten Gebiete der Insel. Begünstigt durch die Agrarwirtschaft und den Seehandel entwickelte sich Thermi während der ersten Hälfte des 3. Jahrtausend v. Chr. zu einem frühen urbanen Zentrum der nördlichen Ägäis. Die organisierte Ausweitung der Besiedelung auf eine Fläche von 1,5 Hektar war an den Bedürfnissen der stetig wachsenden Bevölkerung ausgerichtet. In der Phase Thermi IV hatte die Siedlung etwa 1200 Einwohner und wurde durch eine komplexe Befestigung geschützt. In der nachfolgenden Phase Thermi V. dominierten in der erneut befestigten Siedlung aneinandergebaute lange, schmale Häuser. Thermi V wurde schließlich in der 2. Hälfte des 3. Jahrtausends v. Chr., noch vor Ende von Troja II, verlassen. Die befestigte Siedlung von Kourtir bei Lisvori erreichte eine Fläche von etwa vier bis fünf Hektar, eine archäologische Notgrabung in begrenzten Umfang wurde durchgeführt. Spätbronzezeit, Hethiter In der Spätbronzezeit gehörte Lesbos ab dem späten 14. Jahrhundert v. Chr. zum Herrschaftsbereich des hethitischen Vasallenstaates Šeḫa. Zwei hethitische Texte aus dem 13. Jahrhundert v. Chr. bezeichnen die Insel als Lazba oder Lazpa. Der erste (KUB V, 6), der vermutlich aus der Zeit des hethitischen Großkönigs Muršili II. stammt, berichtet von der Überführung eines Götterbildes aus der vermutlich gleichnamigen Hauptstadt nach Ḫattuša. Der zweite (KUB 19.5), von Manapa-Tarḫunta stammend und an der hethitischen Großkönig Muwatalli II. gerichtet, erwähnt einen Angriff auf die Insel durch Piyamaradu, einen Fürsten aus dem ehemaligen Arzawa-Gebiet. Dieser entführte dabei mehrere Sarapitu, wohl Priester oder Handwerker, nach Itamar Singer Purpurfärber, die im Dienst der Könige von Mira, Seḫa, aber auch des hethitischen Großkönigs standen, nach Millawanda (sehr wahrscheinlich Milet), das von Aḫḫijawa beherrscht wurde und die Aktionen des Piyamaradu zumindest deckte. Antike Schon im 6. Jahrhundert v. Chr. kam es zu einer Blüte der Dichtkunst, die sich mit Namen wie Sappho († um 570 v. Chr.) oder Alkaios von Lesbos († um 580 v. Chr.) verbindet. Später kamen Musik und Philosophie hinzu; hier sind Aristoteles (er lebte 345/344 v. Chr. in Mytilini), Theophrastos († 287 v. Chr.), Epikur (geboren auf Samos) zu nennen. Um 600 v. Chr. traten Tyrannen auf, die sich erbitterte Kämpfe um Ansehen und Macht lieferten, nachdem die Insel schon zuvor heftige Auseinandersetzungen erlebt hatte. Dabei trägt vor allem das Werk des Alkaios zur vergleichsweise günstigen Quellenlage bei. Für die späte Phase der Tyrannis, gegen Ende des 6. Jahrhunderts, sind wir auf Herodot angewiesen, und seine Schilderung des Koes. Melanchros, „Tyrann von Mytilene“, wurde nach Alkaios in der 42. Olympiade, also zwischen 612/611 und 609/608 v. Chr., von Pittakos gestürzt. Der Beginn von dessen Aisymnetie wird meist in die Zeit um 598/597 datiert; zugleich ist der Krieg um Sigeion überliefert, einer Stadt auf dem kleinasiatischen Festland. Dennoch gilt seine Herrschaft, nach der Niederwerfung seiner Feinde, als vergleichsweise friedliche Zeit. Sein Amtsverzicht brachte ihn in den Rang eines der Sieben Weisen. Koes schließlich wurde Ende des 6. Jahrhunderts von den Persern als Tyrann installiert, auf welche Weise ist nicht bekannt. Der persische Feldherr Otanes eroberte mit Hilfe lesbischer Schiffe die Inseln Lemnos und Imbros, Koes selbst nahm 499 am persischen Feldzug gegen Naxos teil. Nach dem Scheitern dieses Feldzuges wurde Koes im Zuge des Ionischen Aufstandes der Griechenstädte gegen die Perser gefangen genommen und gesteinigt. Die zweite Form der Tyrannis war offenbar auf persischen Rückhalt angewiesen. Lesbos blieb vor allem wegen der Hafenstadt Mytilini und der Nähe zum Persischen Großreich von erheblicher Bedeutung. 478 v. Chr. wurde die Polis Mitglied im Attischen Seebund, doch fiel sie 428 von diesem Bund unter Führung Athens ab. Mytilini war neben Chios der letzte Bündner gewesen, der noch mit eigenen Schiffen die attische Flotte im Seebund unterstützt hatte. Doch die von den Führern der Aufstandsbewegung mit Waffen ausgerüsteten einfachen mytilenischen Bürger wollten nicht gegen die Athener kämpfen. Stattdessen erzwangen sie die Kapitulation und Auslieferung der Stadt an den athenischen Strategen Paches. Er ließ mehr als 1000 Hauptbetreiber des Abfalls vom Seebund zur Aburteilung durch die Volksversammlung nach Athen verbringen und ihr Land an attische Kleruchen verteilen. Die bereits angesetzte Aktion zur Hinrichtung und Versklavung der Gesamtbevölkerung Mytilenes – es sollte ein abschreckendes Exempel statuiert werden – konnte gerade noch verhindert werden. Mytilenes Befestigungen wurden allerdings geschleift und seine Schiffe von den Athenern übernommen. 406 v. Chr. belagerte die spartanische Flotte unter Kallikratidas die Stadt, der den Feldherrn Konon mit dem Gros der athenischen Flotte im Hafen eingeschlossen hatte. Die Athener sandten eine Hilfsflotte und konnten die Eingeschlossenen in der Schlacht bei den Arginusen – benannt nach einer östlich von Lesbos gelegenen Inselgruppe, heute Garip Adaları – befreien. Die Schlacht war die größte Seeschlacht des Peloponnesischen Krieges. Erst Jahrzehnte später verließ Lesbos den von Athen geführten Seebund. Die führende Macht wurde schließlich Makedonien. Als Alexander der Große begann, das Perserreich zu erobern, gelang es der persischen Flotte, Lesbos zu erobern. Die Admirale Pharnabazos und Autophradates versuchten die wichtigsten Inseln unter ihrer Kontrolle zu behalten. Alexander marschierte jedoch unbeirrt weiter ostwärts, so dass die makedonischen Nauarchen Hegelochos und Amphoteros ihrerseits systematisch die Inseln besetzen konnten, schließlich auch Lesbos. Dort handelte der athenische Söldnerführer Chares mit 2000 Mann freien Abzug aus. Nur drei der sechs Aeolischen Städte auf Lesbos bestanden auch in römischer Zeit. Diese waren Mytilene, Methymna und Eresos. Die Insel war unter diesen drei Städten aufgeteilt, wobei Mytilene auch auf dem Festland Besitz aufwies. Die vielen Dörfer auf der Insel unterstanden politisch diesen drei Städten. Die ägäischen Inseln bildeten eine eigene Provinz deren Sitz auf Rhodos war. Diese Provinz wiederum gehörte seit Diokletian zur Diözese Asia. Diese gehörte wieder zur östlichen Präfektur, der Präfekt saß in Konstantinopel. 535 bis 536 löste Kaiser Justinian I. fünf Provinzen aus dieser Präfektur, wodurch die quaestura exercitus entstand. Mittels dieser Konstruktion versorgten drei Provinzen, nämlich die besagten Inseln, dazu Karien und Zypern, die militarisierten Provinzen Thrakiens, nämlich Mysia II und Skythia. Die Christianisierung setzte auf der Insel vergleichsweise spät ein. Im Jahr 359 ist für Mytilene ein Bischof überliefert; dieser hatte Anfang des 5. Jahrhunderts die kirchliche Jurisdiktion auf der gesamten Insel, dazu kam Tenedos und die angrenzenden Festlandsgebiete. Tenedos, das im 4. Jahrhundert einen eigenen Bischof hatte, unterstand in dieser Hinsicht nur Lesbos, wenn die Insel auch kurzzeitig ab 431 abgelöst wurde. Diese Randgebiete wurden von untergeordneten Priestern geleitet, die gelegentlich den Titel chorepiskopoi trugen. 536 stand der Bischof von Mytilene im Rang eines Metropoliten, in Methymna ist ein Bischof um 520 belegt; wohl ein Anzeichen für das langsame Vordringen des Christentums auch im Norden von Lesbos. In der Spätantike bestanden etwa 60 Gemeinden, eine überraschend hohe Zahl, die sich aus den Häresien ableiten lässt, die die Insel vom 4. bis 6. Jahrhundert prägten. Auch bestanden im Norden noch lange pagane Gemeinden fort. Dabei sind weder Martyrien noch gewaltsame Akte überliefert, sondern die führenden Gemeindemitglieder beschlossen wohl aus Gründen der Anpassung an die übrige spätrömische Elite des Reiches, die Konversion. Ostrom-Byzanz (bis 1354), Genua (bis 1462), Seldschuken Im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit trug die Inseln meist den Namen Mitylene. Auf der Insel befanden sich zwei poleis, nämlich Mitylene im Osten, das im 4. Jahrhundert zum Bistum wurde, vor 536 zur Metropolis, und Methymna im Norden, das vor 787 zum Bistum wurde und ab 836 autokephal war. In frühbyzantinischer Zeit gehörte die landwirtschaftlich bedeutende Insel zur Provinz Nesoi, deren Hauptstadt Rhodos war. In mittelbyzantinischer Zeit gehörte die Insel zum Thema Aigaion Pelagos. Darin spiegelt sich eine hierarchisch organisierte Verwaltung, deren Spitzen seit dem frühen 7. Jahrhundert immer in der Hauptstadt Konstantinopel zu finden waren. Von dort ging die religiöse, politische und auch militärische Vereinheitlichung des Reiches aus. Umgekehrt standen den Provinzialen, die sich als Römer, griechische Muttersprachler und Orthodoxe sahen, alle Aufstiegsmöglichkeiten offen. Mit der Eroberung Anatoliens durch die Seldschuken geriet Byzanz spätestens seit der Schlacht bei Manzikert (1071) in die Defensive. Die Seldschuken drangen bis an die Ägäis vor und gründeten dort Emirate. 1090 gelang es Tzachas, dem Emir von Smyrna, die Insel zu erobern, doch wurde er von der byzantinischen Flotte vertrieben. 1124/25 besetzte eine venezianische Flotte Lesbos, als Venedigs Flotte auf dem Rückweg aus dem Heiligen Land war. Ihre Aufgabe bestand darin, dem Kaiser die Erneuerung eines Handelsvertrages abzuzwingen. Nach Benjamin von Tudela lebten 1165 zehn jüdische Familien in zehn Gemeinden. Mit der Eroberung Konstantinopels im Verlauf des Vierten Kreuzzugs (1204) fiel die Insel an das Lateinische Kaiserreich, jedoch gelang es einem der Nachfolgereiche des Byzantinischen Reiches, dem Kaiserreich Nikaia 1225, Lesbos zu erobern. Mit der Rückeroberung Konstantinopels 1261 endete die lateinische Periode. Alexios Philanthropenos, der 1295 in Kleinasien eine Rebellion angeführt hatte, wurde 1323 auf Fürsprache des Patriarchen Jesaias von Kaiser Andronikos II. begnadigt. Ihm gelang die Befreiung von Philadelphia von türkischer Belagerung, und er blieb dort als Gouverneur, bis ihn Andronikos 1326 (oder 1327) als Statthalter nach Lesbos schickte. Doch dessen Nachfolger Andronikos III. enthob ihn 1328 dieses Postens. Als Lesbos 1335 von einer Lateinertruppe unter dem genuesischen Herrn von Phokaia, Domenico Cattaneo, im Bund mit Nicolò I. von Naxos, eingenommen wurde, eroberte eine Flotte unter dem Kommando von Philanthropenos die Insel für den Kaiser zurück. Die Besatzung der Festung ergab sich allerdings erst im November 1336. Einen neuerlichen Angriff der Türken verhinderten Geldzahlungen. Philanthropenos blieb Gouverneur und starb auf Lesbos vermutlich in den 1340er-Jahren. 1354 ging Lesbos als Mitgift der Irene-Maria, Schwester Kaiser Johannes V. an den genuesischen Patrizier Francesco Gattilusio als Dank für dessen Waffenhilfe im Kampf gegen den Johannes VI. Kantakuzenos. Dabei blieb sie jedoch byzantinisches Territorium. Die Herrschaft der Gattilusio endete 1462 mit der Eroberung der Insel durch die Osmanen unter Mehmed II. Bereits 1450 war es zu einem Flottenunternehmen gegen Kallone gekommen. 1462 wurde etwa ein Drittel der Bewohner nach Konstantinopel deportiert. Lesbos wurde von den Türken nach der Hauptstadt der Insel Mitylene nunmehr „Midillü“ genannt, heute . Osmanische Zeit (1462–1912) Die osmanische Zeit ist wenig erforscht. „Castro“, wie die Hauptstadt im 19. Jahrhundert noch vielfach genannt wurde, hatte um 1800 etwa 10.000 Einwohner, „wovon die Türken beiläufig den 5ten Theil ausmachen“, wie William Wittman berichtet. 1463 eroberte Venedig nach der türkischen Eroberung des Peloponnes die Inseln Tenedos und Lesbos, 1473 attackierte eine venezianische Flotte Lesbos, woraufhin osmanische Streitkräfte einen Gegenangriff begannen, der 1470 zur Eroberung des bis dahin venezianischen Negroponte und 1479 des albanischen Shkodra führte. Aus der lesbischen Hauptstadt stammte auch Hızır, bekannter als Khair ad-Din Barbarossa, der dort um 1478 geboren wurde. Sein Vater Yakub, ein ehemaliger Janitschar oder Sipahi-Soldat, ein zum Islam konvertierter Grieche, hatte sich nach 1462 auf der Insel niedergelassen. Dort heiratete er Catalina, die Witwe eines griechischen Priesters. Gemeinsam hatten sie zwei Töchter und vier Söhne, von denen der spätere gefürchtete Korsar Hızır der jüngste war. Er half seinem Vater lange in der familieneigenen Töpferei, doch um 1500 verließen Hızır und sein vier Jahre älterer Bruder Oruç die Insel in Richtung Nordwestafrika, wo es Hızır gelang, eine eigene Herrschaft zu erringen. Als er in Bedrängnis geriet, begann er für die Osmanen zu kapern und es gelang ihm 1525 und 1534, Algier und Tunis zu erobern. Mit Solomon Abenayisch (1520(?)–1603) wurde ein sephardischer Jude dux von Lesbos. Geboren wurde er als Alvaro Mendes. Er war ein bedeutender Fürsprecher der anti-spanischen Flottenpolitik. Ab 1825 entstand in Mytilini eine Mosche, die Yeni Cami, was nichts anderes als Neue Moschee bedeutet. Sie wurde vom Gouverneur (nazır) Kulaksızzade Mustafa Ağa in Auftrag gegeben. Dort wurden, nachdem die Türken die Insel 1912 verlassen mussten, griechische Flüchtlinge untergebracht. Ein eher berüchtigter Lesbier aus osmanischer Zeit war Cemal Pascha, der im Mai 1872 im seinerzeitigen Midilli-Mytilini geboren wurde. Er war der Sohn eines Militärarztes. Als junger Offizier schloss er sich der jungtürkischen Bewegung an, die die grundlegende Erneuerung des türkischen Staatswesens verfolgte. Gemeinsam mit Ziya Gökalp und Mehmet Talaat war er einer der Gründer des Komitees für Einheit und Fortschritt, das sich die Übernahme der Staatsmacht zum Ziel setzte. 1908 übernahm die Bewegung im Zuge der Jungtürkischen Revolution die Macht. Mit dem Putsch von 1913 stieg Cemal zusammen mit Talaat Bey und Enver Pascha zu einem Triumvirat auf. Cemal wurde 1914 Marineminister, als Militärbefehlshaber und Generalgouverneur von Syrien war er mitverantwortlich für den 1915 von der Regierung angeordneten Völkermord an den Armeniern, denen er als „Aufseher des Völkermords“ gilt. Cemal wurde, 1919 in Abwesenheit wegen Kriegsverbrechen zum Tode verurteilt, 1922 ermordet. Griechenland (ab 1912/23) Die Insel wurde Ende 1912 im Zuge der Balkankriege von griechischen Truppen unter Pavlos Koundouriotis fast widerstandslos erobert und nach dem Ersten Weltkrieg durch die Verträge von Sèvres und von Lausanne endgültig Griechenland zugesprochen. Auf Lesbos lebten damals nur noch wenige Türken. Während des Exodus von Griechen aus Kleinasien nach 1923 war Lesbos ein nahe gelegener Fluchtort, und Zehntausende wurden dort sesshaft. Premierminister Eleftherios Venizelos war im Mai 1916 in einer Nachwahl auf der Insel mit überwältigender Mehrheit gewählt worden. Nach der für ihn und seine Partei enttäuschenden Parlamentswahl am 14. November 1920 emigrierte er nach Paris. Der kleinasiatische Feldzug, den seine Nachfolger fortsetzten, endete mit dem Verlust der in Sèvres gewonnenen ostthrakischen und kleinasiatischen Provinzen und der Vertreibung der dort und im übrigen Kleinasien ansässigen Griechen. Die Türken auf Lesbos mussten sich in Ayvalık (Quittenstadt) eine neue Heimat suchen. 1932 wurde der Flughafen Mytilini fertiggestellt. Er ging 1948 in Betrieb. Im Zweiten Weltkrieg begann die Wehrmacht am 6. April 1941 einen Angriff auf Jugoslawien und Griechenland. Griechenland kapitulierte am 23. April 1941. Am 27. April besetzten Wehrmachttruppen Athen und am 4. Mai 1941 Lesbos. Im Januar 1942 wurde in Mytilini die Ortskommandantur 982 für den Bereich dieser Inseln eingesetzt; dem „Befehlshaber Saloniki-Ägäis“ waren auch Milos, Limnos, Chios und die Nördlichen Sporaden unterstellt. Die Versorgungslage war Ende 1941 katastrophal. Generalleutnant Curt von Krenzki kabelte nach Berlin, schon seit 40 Tagen sei kein Brot mehr ausgegeben worden. Im Januar 1942 entstand zwar eine kommunistische Befreiungsbewegung, doch war sie eher das Werk lokaler Honoratioren, eines Offiziers, eines Venizelos-Abgeordneten, dann eines Großgrundbesitzers und des Inhabers einer Seifenfabrik. Ihr gemäßigt sozialreformerisches Programm veranlasste sie dazu, sich in die Volksbefreiungsarmee einzugliedern. Insgesamt wurden während der 40 Monate deutscher Besatzung, die am 10. September 1944 endete, 42 Menschen hingerichtet; die ersten drei am Hafen von Mytilini, die späteren – um Öffentlichkeit zu vermeiden – am Tzamakia-Strand. Dort wurde 1945 eine Gedenkstätte errichtet. Seit 2016 kennzeichnet eine zusätzliche Tafel den Ort als Platz des „Historischen Gedenkens“. Flüchtlingskrise (ab 2015) Auf der Insel (ebenso auf einigen Nachbarinseln, insbesondere Kos) kamen ab dem Frühjahr 2015 täglich mehrere hundert Flüchtlinge an, viele von ihnen aus Syrien. Sie wurden von 'Leuten mit Booten' von der Türkei auf die Insel gebracht. Im September 2015 warteten rund 11.000 Menschen darauf, auf das griechische Festland weiterreisen zu dürfen. Die Insel erlangte als ein Symbol der Flüchtlingskrise in Europa internationale Medienaufmerksamkeit. Nachdem die Balkanroute weitgehend geschlossen worden war und die Türkei Maßnahmen ergriffen hatte, um die illegale Migration von der Türkei in die EU zu verhindern, landeten bis Sommer 2019 deutlich weniger Flüchtlinge auf Lesbos. Doch im Juli und August 2019 landeten etwa 12.000 Personen mit Booten auf den griechischen Inseln. Das Flüchtlingslager Moria auf Lesbos war ab August mit dem Vierfachen seiner Aufnahmekapazität überbelegt. Im September trat Yannis Balpakakis von seinem Amt zurück, der das Lager seit 2016 geleitet hatte. Ende Januar 2020 zählte man bereits 19.000 Menschen in Moria, das nur für 3000 Flüchtlinge ausgelegt war. Damit ist Moria Europas größtes Flüchtlingslager. Um weitere Boote fernzuhalten wurde ein schwimmendes Schutzsystem vor der Ostküste der Insel angekündigt. Im Zuge des syrischen Bürgerkriegs ließ die türkische Regierung im Februar und März 2020 nach dem Bruch des EU-Türkei-Abkommens die Grenzen für Flüchtlinge öffnen, was zu einem Anstieg der Flüchtlingszahlen auch nach Lesbos führte. Daraufhin schloss Griechenland seine Landgrenzen zur Türkei. Ankommende Flüchtlinge, Journalisten, Polizisten und Mitglieder von Hilfsorganisationen, die nach der Öffnung der Grenzen auf Lesbos waren, wurden ungestraft attackiert. Am 1. März setzte Athen für 30 Tage das Asylrecht aus und ließ den seither angekommenen Flüchtlingen von der örtlichen Polizeidirektion die Mitteilung zukommen, sie seien „unerwünschte Migranten“ und würden abgeschoben. Anfang September 2020 ereigneten sich zwei Großbrände in dem Lager, das dabei fast vollständig zerstört wurde. Wirtschaft Lesbos weist eine Besonderheit vor dem patriarchalischen Hintergrund der griechischen Gesellschaft auf, die Hausmitgift (prika). Sie ist auf den Kykladen und in der Ostägäis nach wie vor gängig. Das heißt, eine Frau erhält von ihren Eltern bei der Hochzeit nicht nur die übliche Aussteuer, sondern ein Haus, in das das Paar einzieht, um eine Familie zu gründen. Dies bringt vielen Familien eine Statusverbesserung, wozu auch die Arbeitsmigration entscheidende Voraussetzung ist. Hingegen zog im übrigen Griechenland bis gegen Ende des Zweiten Weltkriegs die Frau in das Haus des Mannes, bzw. in das von dessen Eltern (Patrilokalität). Befürchtungen, die ostgriechische Tradition könnte Mitgiftjäger anziehen oder die Verheiratung armer Frauen verhindern, bis zur Frage, ob Mädchen dadurch weniger erwünscht seien könnten, erwiesen sich als nicht ausschlaggebend, obwohl die Institution heute nicht mehr juristisch geschützt ist. Dies hängt damit zusammen, dass jede Familie von Anfang in einem eigenen Haus beginnt, und sich die ökonomischen Bemühungen damit leichter um die nächste Generation drehen können. Im Falle einer Trennung verlässt der Mann nach wie vor das Haus. Im Laufe des Lebenszyklus' kann in ähnlicher Weise verfahren werden, dann allerdings an der Stätte der Arbeitsmigration. Meist kehren die Migranten nach Lesbos zurück. Lesbos ist seit Jahrtausenden landwirtschaftlich geprägt. Die Haupteinnahmequelle ist das qualitativ hochwertige Olivenöl mit geschützter geografischer Angabe innerhalb der EU. Nach einer botanischen Untersuchung der ostägäischen Inseln – Lesbos war kaum untersucht – bestand 1942 der Export fast ausschließlich aus Oliven. Ende 2017 zählte man auf der Insel 11 Millionen Olivenbäume. Die vorherrschenden Sorten sind Valanolia oder Kolovi, eine vorrangig auf Lesbos vorkommende Sorte, die für etwa 70 % der Produktion steht. Die Sorte Adramitiani oder Aivaliotiki stammt von etwa einem Fünftel der Baumbestände. Diese wachsen fast ausschließlich um Mytilene und liefern sowohl Öl als auch Tafeloliven. Schon um 1900 bedeckten 10 Millionen Olivenbäume die Insel weitgehend, wobei die massenhafte Abwanderung in der Zeit zwischen 1940 und 1981 einen Rückgang der Bevölkerung um 35 % bewirkte, und zugleich die Zahl der Betriebe noch stärker abnahm. Zugleich wurde aus der reinen Selbstversorgung zunehmend ein Ausfuhrprodukt. 2016/17 bestanden auf der Insel 54 Ölmühlen. Weitere Einnahmen werden durch Käse, darunter Feta, Kaseri und Ladotyri mit geschützter Ursprungsbezeichnung, die Ouzoproduktion sowie die Fischerei und Salzgewinnung im Golf von Kalloni erzielt. Die Destillerien der Insel decken etwa 50 % der gesamten griechischen Ouzoproduktion. Etwa 15 bis 20 % der lokalen Produktion wird auf der Insel verkauft oder konsumiert. Der Rest wird nach Athen, Thessaloniki und dem weltweiten Markt exportiert. Die Produkte der Destillerien Barbayanni und Ouzo Plomari aus Plomari zählen zu bekanntesten und qualitativ hochwertigsten. Eine weitere Einnahmequelle war bis 2016 der Tourismus, der zum einen durch den internationalen Flughafen Mytilini und zum anderen durch die gute Erreichbarkeit mit der Fähre begünstigt wird. Zu den touristischen Hochburgen zählen Plomari, Petra, Molyvos und Eresos. Seit 2015 findet in Molyvos jährlich im August das Molyvos International Music Festival statt. Ein alljährliches Festival zur Feier der lesbischen Liebe wird in Eresos im Westen der Insel veranstaltet – nach antiken Sagen der Geburtsort von Sappho. Auf Grund der hohen Zahl von Flüchtlingen, die über Lesbos den Zugang nach Europa suchen, hat sich die Anzahl der Touristen im Jahr 2016 im Vergleich zum Vorjahr um ca. 70 % vermindert. Kultur Museen Auf Lesbos gibt es zahlreiche Museen. In der Inselhauptstadt Mytilini sind folgende am bekanntesten: Das Archäologische Museum Mytilini (Αρχαιολογικό Μουσείο Μυτιλήνης); hier werden die wichtigsten archäologischen Funde der Insel ausgestellt. Schwerpunkt sind dabei Ausstellungsstücke aus dem Leben im 2. Jahrhundert v. Chr. Das Theofilos Museum (Μουσείο Έργων Θεόφιλου) befindet sich im Vorort Varia und zeigt Werke des naiven Malers Theofilos, der lange auf Lesbos gelebt hat. Das Teriade Museum (Μουσείο – Βιβλιοθήκη Στρατή Ελευθεριάδη) liegt in einem Gebäude neben dem Theofilos Museum. Hier sind Kunstbücher, die Werke von Marc Chagall, Le Corbusier, Alberto Giacometti, Henri Matisse, Joan Miró, Pablo Picasso und anderen modernen Künstlern abbilden, ausgestellt. Das Museum wurde von dem aus Varia stammenden Kunstförderer Stratis Eleftheraidis (Teriade) gespendet. Bekannt sind außerdem noch: Das Museum für die Naturgeschichte des versteinerten Waldes von Lesbos (Μουσείο Φυσικής Ιστορίας Απολιθωμένου Δάσους Λέσβου) in Sigri, in dem neben Funden aus dem versteinerten Wald auch die geohistorische Evolution von Lesbos dargestellt wird. Das Museum der industriellen Olivenöl-Produktion Lesbos (Μουσείο Βιομηχανικής Ελαιουργίας Λέσβου) in Agia Paraskevi. Es zeigt Schritt für Schritt, wie Olivenöl hergestellt wird. Das digitale Museum Georgios Iakovidis (Ψηφιακό Μουσείο Γεώργιος Ιακωβίδης) in Chydira ist dem dort geborenen Künstler Georgios Iakovidis (1853–1932) gewidmet. Es ist das erste digitale Kunstmuseum Griechenlands. Sport Der AEL Kalloni spielte für drei Jahre, von 2013 bis 2016, als erster Fußballverein aus Lesbos in der Super League, der ersten griechischen Liga. Reiseberichte Ab dem Hochmittelalter entstanden diverse Reiseberichte Insel und ihren Bewohnern. Der britische Orientalist Richard Pococke (1704–1765) hielt sich längere Zeit auf Lesbos auf und bereiste die ganze Insel. Er gibt einen Bericht über Lesbos (Mytilene) im vierten Kapitel seines Buchs A Description of the East and Some other Countries, Volume II, Part II: Observations on the Islands of the Archipelago, Asia Minor, Thrace, Greece, and some other Parts of Europe, London 1745, S. 15 ff. (Google) Dieser Band erschien in zweiter Auflage 1773 in Erlangen auch auf Deutsch: D. Richard Pococke's Beschreibung des Morgenlandes und einiger andern Länder. Dritter und letzter Theil. Der Abschnitt über Lesbos findet sich dort als 4. Kapitel des ersten Buchs. (Digitalisat SUB Göttingen) Der britische Diplomat und Journalist Eustace Grenville Murray (1824–1881) verbrachte die Monate von Oktober 1853 bis Juli 1854 auf Lesbos als Vertreter des dortigen britischen Vizekonsuls Charles T. Newton. Über seine Erlebnisse und Erfahrungen berichtete er in zahlreichen Zeitschriftenartikeln, die 1855 auch in seinem Buch Turkey, Being Sketches from Life. Reprinted in Part from “Household Words”, London: G. Routledge, erschienen. (Google) Der deutsche Archäologe Alexander Conze (1831–1914) besuchte Lesbos im Sommer 1858. Sieben Jahre später veröffentlichte er darüber das Buch Reise auf der Insel Lesbos, Hannover 1865. (Digitalisat UB Heidelberg) Literatur Ökologie, Paläobotanik Dimitra Mantzouka, Jakub Sakala, Zlatko Kvacek, Efterpi Koskeridou, Vasileios Karakitsios: Petrified Forest of Lesbos Island (Greece): A Palaeobotanical Puzzle of a Unique Geopark and the New Discoveries. World Multidisciplinary Earth Sciences Symposium (WMESS 2018) 3–7 September 2018, Prague, Czech Republic (=IOP Conference Series: Earth and Environmental Science, 221). (online) Nickolas C Zouros: The Miocene Petrified Forest of Lesvos, Greece: Research and Geoconservation Activities, in: Geoconservation Research 4 (2021) 635–649 (online) M. Paléologos Candargy: Flore De L'ile De Lesbos, in: Bulletin de la Société Botanique de France, 44 (1897) 145–162. (online) J. de Vos, J. van der Made, A. Athanassiou, G. Lyras, P. Sondaar, M. Dermitzakis: Preliminary note on the late Pliocene fauna from Vatera (Lesvos, Greece), in: Ann Géol Pays Helléniques 39 (2002) 37–69 (darunter Giraffen). Gesellschaft Ulrike Krasberg: Die Mitgift und die Stellung der Frau auf der griechischen Insel Lesbos, in: Ethnologia Europaea 25 (1995) 131–140. Geschichte Bronzezeit Kyriacos Lambrianides: The Early Bronze Age Sites of Lesbos and the Madra Çay Delta: New Light on a Discrete Regional Centre of Prehistoric Settlement and Society in the Northeast Aegean, in: H. Erkanal, H. Hauptmann, V. Şahoğlu, R. Tuncel (Hrsg.): The Aegean in the Neolithic, Chalcolithic and the Early Bronze Age. October 13th–19th 1997, Urla-İzmir (Turkey), Ankara, Ankara Üniversitesi Sualti Arkeolojik Arastirma ve Uygulama Merkezi, 1997, S. 333–354. Antike Robert Koldewey: Die antiken Baureste der Insel Lesbos. Mit 29 Tafeln und Textabbildungen, zwei Karten von Heinrich Kiepert und Beiträgen von H.G. Lolling, Berlin 1890. (Digitalisat UB Heidelberg) Gerd Sachs: Lesbos in der Antike. Archäologie, Geschichte, Kultur (= Antiquitates, 73), Verlag Dr. Kovač, Hamburg 2020. ISBN 978-3-339-11416-7 Warwick Wroth: Catalogue of the Greek Coins of Troas, Aeolis, and Lesbos, London 1894, S. 150–216/220 (auf den letzten Seiten werden nahe gelegene Inseln dargestellt). Anthony Kaldellis: Lesbos in Late Antiquity: Live Evidence and New Models for Religious Change, in: William Caraher, Linda Jones Hall, R. Scott Moore (Hrsg.): Archaeology and History in Roman, Medieval and Post-medieval Greece. Studies on Method and Meaning in Honor of Timothy E. Gregory, Ashgate, 2008, S. 155–167. Mittelalter Anthony Kaldellis, Stephanos Efthymiades: The Prosopography of Byzantine Lesbos, 284-1355 A.D. A Contribution to the Social History of the Byzantine Province (=Denkschriften der philosophisch-historischen Klasse, 403), Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien 2010. (academia.edu) Neuere Geschichte Ευρυδίκη Σιφναίου (Evrydiki Sifnaiou): Λέσβος, Οικονομική και Κοινωνική Ιστορία (1840–1912), Trochalia, Athen 1996, S. 395, ISBN 978-960-9653-31-2 (Wirtschafts- und Sozialgeschichte). Online (PDF; 70,6 MB) Weblinks Museum von Lesbos und Seite über den versteinerten Wald Museum über die Olivenölgewinnung auf Lesbos Die heißen Quellen von Polichnitos Einzelnachweise Insel (Europa) Insel (Mittelmeer) Insel der Region Nördliche Ägäis Insel (Ägäisches Meer) Archäologischer Fundplatz in Griechenland Archäologischer Fundplatz in Europa Regionalbezirk (Griechenland)
Q128087
105.328103
14435
https://de.wikipedia.org/wiki/Hausrind
Hausrind
Das Hausrind oder schlicht Rind (Bos taurus, lateinisch früher schlicht Bos) ist die domestizierte Form des eurasischen Auerochsen. Es wurde zunächst wegen seines Fleisches, später auch wegen seiner Milch und Leistung als Zugtier domestiziert. Seitdem hat der Mensch eine Anzahl unterschiedlicher Rinderrassen gezüchtet, in die teilweise auch Wildrinder (etwa der Amerikanische Bison beim Beefalo) eingekreuzt wurden. Rinder sind Spitzengänger und Paarhufer. Die Zebus (Bos indicus) stammen von der indischen Form des Auerochsen ab. In Abgrenzung von Rassen zebuinen Ursprungs bezeichnet man die in Europa üblichen Hausrinder als taurine Rinder. Der Vorfahr der Zebus wird von manchen Autoren auch als eigene Art (Bos namadicus) geführt, was aufgrund der Ähnlichkeit mit den restlichen Auerochsentypen und der uneingeschränkten Kreuzbarkeit des Zebus mit taurinen Hausrindern nicht vollständig geteilt wird. Vor allem in Asien sind weitere Tiere domestiziert worden, die von anderen Arten abstammen, so das Balirind (Bos javanicus f. domestica) aus dem Banteng (Bos javanicus), der Gayal (Bos gaurus f. frontalis) aus dem Gaur (Bos gaurus) und der Hausyak (Bos mutus f. grunniens) aus dem Wildyak (Bos mutus). Im Gegensatz zu den bisher genannten Arten, die der Gattung Bos (Eigentliche Rinder) angehören, zählt der Wasserbüffel (Bubalus arnee) zur Gattung Bubalus (Asiatische Büffel). Aus ihm wurde der Hausbüffel gezüchtet. Ursprung Heute geht man davon aus, dass die taurinen Hausrinder, die in Europa und Nordamerika üblicherweise gehalten werden, ursprünglich aus Anatolien und dem Nahen Osten stammen, wo der Auerochse, Bos primigenius, ebenfalls vorkam. DNA-Untersuchungen ergaben, dass sich bereits die Ahnen der taurinen Rinder und der Zebus genetisch unterschieden und somit unabhängig voneinander domestiziert wurden. Die Domestizierung zum taurinen Hausrind fand bereits vor rund 10.000 Jahren statt. Als Bestätigung gilt, dass um diese Zeit Ackerbauern zusammen mit Rindern und weiteren Nutztieren, die sich damals äußerlich noch nicht von den Wildtieren unterschieden, auf das bis dahin rinderlose Zypern gelangten. Die Zebus wurden aus der indischen Form des Wildrindes (Bos namadicus) gezüchtet; teilweise wird diese Wildform auch als Unterart des Auerochsen aufgefasst. 2012 stellte eine internationale Forschergruppe rund um Wissenschaftler der Universität Mainz fest, dass die heutigen taurinen Rinder letztendlich von 80 weiblichen Tieren aus dem „Fruchtbaren Halbmond“ abstammen. Introgression männlicher und mitunter sogar einzelner weiblicher Auerochsen in den Genpool europäischer Hausrinder wird in einigen Studien nicht ausgeschlossen bzw. sogar suggeriert. Mit der Domestizierung wurde die Anatomie der Auerochsen deutlich verändert. Nicht nur wurde stets nach den umgänglichsten Exemplaren selektiert, sondern auch nach den ertragreichsten. Dies führte dazu, dass der Rumpf der Rinder länger und massiger wurde, die Beine kürzer und das Euter größer und oft haarlos. Der einst geschwungene Rücken mit der kräftigen Nacken- und Schulterpartie des Wildrindes wurde gerade und niedrig. Auch haben viele Rinder ein pädomorphes „Kälbchengesicht“, d. h. eine verkürzte Schnauze und Stirn. Viele Züchtungen haben kleinere und manche keine Hörner. Auch traten beim Hausrind neue Farbschläge auf, etwa durch das Fehlen von Pigmenten, oder die für Haustiere typische gescheckte Zeichnung. Typisch für viele Hausrinderrassen ist auch eine starke Reduktion des Geschlechtsdimorphismus bezüglich Größe und Fellfarbe. Der Grad der züchterischen Modifikation des Hausrindes hängt von der Form der Landwirtschaft und dem Verwendungszweck ab. Einige Rinder in Südeuropa, vor allem Iberien, sind aufgrund der stellenweise noch sehr extensiven Haltung in ihrer Anatomie teilweise sehr ursprünglich. Sie sind robust genug, das ganze Jahr über frei auf der Weide zu leben und bekommen kaum Zufütterung. Sie haben kleine Euter und eine hochbeinige Statur. Oft ist auch noch eine ursprüngliche Hornform vorhanden. Genetisch älteste Rinderart Europas sind die Buša der Balkanhalbinsel. Sie besitzen eine Haplogruppe, die ansonsten nur bei neolithischen Rindern gefunden wurde. Keine andere Hausrinderart hatte bisher ein genetisches Merkmal zu diesen neolithischen Stammformen der heutigen domestizierten Hausrinder erbracht. Ein weiteres Merkmal der in historischer Zeit nicht mehr selektierten Buša-Rinder ist ihre hohe genetische Vielfalt – sie ist höher als in irgendeiner anderen europäischen Rinderrasse. Dieses Merkmal ist für den Erhalt der funktionellen und genetischen Vielfalt der Rinderrassen weltweit von Bedeutung. Kräftige Zugrassen wie Sayaguesa, Pajuna oder Maronesa haben zusätzlich noch die geschwungene Rückenlinie. Das Spanische Kampfrind wurde, da es primär für Kampflust gezüchtet wurde, ebenfalls wenig modifiziert und weist noch deutliche Ähnlichkeit mit dem Auerochsen auf. Da einige Rinderrassen ihrer Stammform näher sind als andere, gibt es seit langem die Idee, ein dem Auerochsen entsprechendes Rind rückzuzüchten. Das Heckrind war das erste Resultat dieser als Abbildzüchtung bekannten Zuchtmethode, doch wird dessen Authentizität oft für unzureichend befunden. Weitere Projekte sind das Taurusrind, das TaurOs Project und das Auerrindprojekt. Bezeichnungen Jungtiere Kalb und Jungrind Noch nicht zuchtreife (juvenile) Jungtiere werden bis zum siebenten Monat als Kalb bezeichnet und vom achten bis zum zwölften Monat dann als Jungrind. Erste Brunstanzeichen treten im Alter zwischen sechs und zwölf Monaten auf und zeigen die Geschlechtsreife an. Da die Jungrinder in diesem Alter körperlich noch nicht für eine Belegung gebaut sind, werden sie erst in einem Alter von 15 bis 20 Monaten zugelassen. Dann haben sie etwa ein Gewicht von 350 bis 400 Kilogramm Lebendmasse. Fresser Im Alter von etwa vier bis zwölf Monaten heißt das Jungtier auch Fresser (je nach Geschlecht Bullen- oder Färsefresser, bei der Abstammung von zwei verschiedenen Rassen Kreuzungsfresser), sofern es der Milchviehhaltung entstammt. Das Mutterrind eines Fressers ist demzufolge eine Milchkuh. Wie die Bezeichnung Fresser vermuten lässt, ist das Tier von diesem Alter an nicht mehr auf die Milch der Mutter oder sogenannte Milchaustauscher angewiesen. Es ernährt sich ausschließlich von Raufutter und Kraftfutter. Je intensiver die Haltung, desto früher erfolgt die Entwöhnung von der Mutter und der Milch: Milchviehhaltung: zwei bis drei Monate Mutterkuhhaltung: vier bis sechs Monate Dementsprechend wird das Tier früher oder später als Fresser bezeichnet. Absetzer Demgegenüber entstammen Absetzer – ebenfalls Kälber oder Jungrinder – dem Produktionsverfahren der Fleischrinderhaltung. Sie werden bis zum Zeitpunkt des Absetzens (im Alter von sechs bis elf Monaten) im Regelfall bei dem Mutterrind aufgezogen und anschließend als Absetzer vermarktet oder aber bis zur Verwendung in der Zucht weiterversorgt oder bis zur Schlachtung gemästet. Weibliche Rinder (adult) Färse Ein zuchtreifes (adultes) weibliches Rind wird mit circa 18 Monaten besamt (seltener bedeckt, gedeckt) und hat somit ein Erstkalbealter von etwa 27 Monaten. Bis dahin wird es als Färse oder im Süddeutschen/Österreichischen als Kalbin oder Kalbe (vgl. „Kalb“) bezeichnet. In der Schweizer Schriftsprache und in Baden-Württemberg bezeichnet man es auch oft einfach nur mit Rind. Weitere regionale Bezeichnungen sind zum Beispiel Quie/Quiene, Starke/Sterke und Queen/Queene/Beijst/Beijste in Norddeutschland sowie schweizerdeutsch Galtlig, Guschti/Gusti und Manse/Mänsche/Meis u. ä. Im Allgäuerischen bezeichnet man weibliche Jungtiere als Schump(e). Kuh Erst nach dem ersten Kalben wird das geschlechtsreife weibliche Hausrind als Kuh bezeichnet (ein sehr altes Wort: althochdeutsch kuo, indogermanisch *guou-). Zwischen Beginn der ersten bis zum Beginn der zweiten Laktation wird sie auch Jungkuh genannt. Dient die Kuh zur Milch- oder Fleischgewinnung, wird sie auch als Milchkuh bezeichnet. Eine Kuh, die ausschließlich ihr Kalb aufzieht, nennt man Mutterkuh. Eine Kuh, die (auch) fremde Kälber mit aufzieht, nennt man Ammenkuh. In alemannisch- und romanischsprachigen Alpendialekten wird die Kuh auch als Lobe bezeichnet. Schnitzkalbin Ein sterilisiertes weibliches Rind (jedweden Alters) nennt man Schnitzkalbin. Hierzu gehören auch weibliche Tiere aus Zwillingsgeburten, bei denen eines der Zwillingskälber ein Bulle ist (Zwicke, Freemartin). Der sich entwickelnde Hormonhaushalt des Bullenkalbes verhindert über Verbindungen der Blutgefäße (Anastomosen) beider Mutterkuchen (Plazentae) bei seiner Zwillingsschwester die vollständige Ausbildung der Eierstöcke, so dass weibliche Kälber aus zweigeschlechtlichen Zwillingsgeburten zu 95 % unfruchtbar sind. Männliche Rinder (adult) Bulle/Stier Das geschlechtsreife männliche Hausrind heißt Stier, in Deutschland auch Bulle, und wird auch als Samenochse, Samenrind, Farre (von mittelhochdeutsch phar/var), Farren, Fasel oder Faselochse (älter auch: Fasselochse) bezeichnet, im Südbadischen, Allgäuerischen und teilweise Schweizerdeutschen als Hage, Hägel, Häge, Hägi, Haigel, ebenfalls im Schweizerdeutschen als Muni und im Schwäbischen als (der) Hummel, was das Schimpfwort hummeldumm erklärt („dumm wie ein Stier“). Man unterscheidet zwischen Mastbullen und Zuchtbullen. Ein geschlechtsreifes, aber noch junges männliches Rind bis zu einem Höchstalter von 24 Monaten wird gemäß EU-Verordnung als Jungbulle oder Jungstier bezeichnet. Der dreijährige Stier findet sich als Terz genannt. Ochse Ein kastriertes männliches Rind jeglichen Alters heißt Ochse. Ein durch Verlagerung der Hoden an die Bauchdecke sterilisierter Bulle wird Muchse genannt. Weitere Bezeichnungen Jungvieh: Entgegen der eingangs beschriebenen Definition für Kälber und Jungrinder ist der Begriff Jungvieh weiter gefasst und umfasst neben den Genannten (juvenile) auch die Jungbullen und die Färsen (beide adulte). Galtvieh (von althochdeutsch galt „verhext“, da unfruchtbares Vieh als verhext galt), genannt auch Gelt und Gustvieh (siehe oben „Galtlig“): weibliche Rinder bis zur ersten Abkalbung (also weibliche Kälber, weibliche Jungrinder sowie Färsen), Bullen und Ochsen unter zwei Jahren, Schnitzkalbinnen sowie keine Milch gebende Mutterkühe, wie dies insbesondere zwischen zwei Laktationsperioden geschieht (Trockensteher). Melkvieh: ist (weibliches) Vieh, das gemolken wird. Goldvieh: Tragende Mutterkühe bezeichnet man regional als Goldvieh. Hausrinder und Menschen Nutzung Hausrinder sind in mehrerer Hinsicht für Menschen nützlich, wobei einige Rassen im Hinblick auf eine oder mehrere bestimmte Nutzungsarten besonders gezüchtet wurden. Man unterscheidet dabei die Zweinutzungsrassen von den milch- und fleischbetonten Rassen. Neben Milch, Fleisch, Leder oder Fellen liefern Rinder Gülle oder Jauche und Mist, die in der Landwirtschaft als natürliche Düngemittel oder auch als Brenn- und Baumaterial eine wichtige Rolle spielen, außerdem erfüllen besonders Ochsen in vielen Teilen der Welt noch heute als Zugtiere für Karren oder zum Pflügen eine wichtige Funktion. Des Weiteren sind Robustrassen wie das Schottische Hochlandrind, Ungarisches Steppenrind, Heckrind, Galloway-Rind oder südeuropäische Primitivrassen wie Sayaguesa ein wichtiger Faktor in der Landschaftspflege und im Naturschutz (Almwirtschaft). Bei den Rindern selbst lassen sich die Nutzungsrichtungen Milchproduktion und Fleischproduktion unterscheiden. Es gibt Rassen, die überwiegend auf eine der beiden Nutzungsrichtungen hin gezüchtet wurden, aber auch solche, bei denen beide Nutzungsrichtungen züchterisch bearbeitet werden (= Doppelnutzung, DN). Die Unterschiede zwischen beiden Richtungen sind genetisch bedingt. Die Spezialisierung auf einzelne Leistungsmerkmale setzte im 18. Jahrhundert ein, als Züchter wie Robert Bakewell lokale Rassen, die vorwiegend in der Subsistenzwirtschaft eine Rolle spielten, durch eine selektive Auswahl von qualitativ hervorstechenden Elterntieren gezielt auf einzelne Leistungsmerkmale verbesserten. Milchvieh Rassen mit hoher Milchleistung zeigen typischerweise hohe Spiegel endogen synthetisierter Wachstumshormone (Somatotropin, BST). Typische Milchvieh-Rassen sind beispielsweise Holstein-Friesian (= Rot- und Schwarzbunte, HF), Braunvieh (= Brown Swiss, BS) oder Fleckvieh (= Simmentaler, FV) als Doppelnutzungsrind. Siehe auch: Milchviehhaltung Fleischvieh Fleischrinder haben eine günstigere Struktur des Fleisches (Faserigkeit, Marmorierung). Früher wurden männliche Tiere zur Verbesserung des Fleisches kastriert und somit zu Ochsen gemacht. In Deutschland ist dies heutzutage nur noch in extensiven Haltungsformen üblich. Es werden sowohl männliche als auch weibliche Tiere geschlachtet. Verbreitete Fleischrassen sind beispielsweise Hereford, Charolais und Limousin, daneben andere, mehr regional verbreitete Rassen wie Angus und Galloway. Bei der Nutzungsrichtung Fleischproduktion wird zwischen Rassen unterschieden, die ein schnelles Wachstum aufweisen, aber nicht zwangsläufig großrahmig sind (zum Beispiel Limousin) und solchen Rassen, die auf ein hohes Endgewicht kommen (beispielsweise Charolais). Kultobjekt In vielen weidewirtschaftlich oder nomadisch geprägten Kulturen gelten Hausrinder als Statussymbol und Gradmesser des Vermögens. Dort kommt eine Schlachtung deswegen in der Regel nicht infrage. Insbesondere in Indien werden Hausrinder bis heute religiös verehrt. Markenzeichen, Figur Der Stier oder Bulle, engl. bull symbolisiert häufig Kraft, Stärke, Ausdauer, bekannt sind: Energydrink Red Bull PREFA, Dachschindel aus Alublech Skulptur Charging Bull im Börseviertel New Yorks. Die Kuh – auf der Weide oder Alm – ist häufig Markenzeichen für Milch und Milchprodukte, besonders bekannt ist die lila Kuh für Milka-Milchschokolade. Früher häufigere Kraftmess-Unterhaltungsautomaten auf Jahrmärkten weisen typisch Stierhörner auf, die nach Münzeinwurf mit den Händen gepackt und zueinander gedrückt werden müssen. Antiserum-Lieferant Vor Entwicklung humaner Antiseren galt für die ausschließlich verfügbaren tierischen Seren die Reihenfolge Pferd, Rind, Hammel. Dadurch sollte eine Sensibilisierung durch artfremdes Eiweiß umgangen werden. Diese Empfehlung galt bis zum letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Kuhnamen Je nach nationaler Gesetzgebung tragen Kühe eine Identifikationsnummer, wie in der EU in Form einer Ohrmarke. Eine namentliche Benennung ist damit nicht erforderlich. Dennoch tragen viele Kühe einen individuellen Namen. Dies geschieht vorwiegend als Merkhilfe, etwa um Verwandtschaftsverhältnisse durch gleiche Anfangsbuchstaben zu verdeutlichen. In Deutschland erstellt hierzu das Landeskuratorium der Erzeugerringe für tierische Veredelung (LKV) die Grundprinzipien zur Kuhnamensvergabe und das „Verzeichnis der Kuh-Namen“ in Buchform. In der Herdbuchzucht haben die meisten Zuchttiere Namen, denen oft eine Buchstabenkombination als fälschlich sogenannter Betriebssuffix vorangestellt ist. Amerikanische Kuh- und Bullennamen enthalten oft die Namen der Eltern wie Jenny-Lou Mrshl Toystory-ET den seiner Mutter Jenny-Lou und seines Vaters Marshall. Osborndale Ivanhoe hatte den Hofnamen der Osborndale-Farm vorangestellt. Verbreitung Das Hausrind ist weltweit verbreitet, wobei die Zebu-Rassen wesentlich besser an die Tropen angepasst sind als Rassen eurasischen Ursprungs. Im Mittelalter führten Europäer das Hausrind in Island und vorübergehend in Grönland ein. Seit dem Ende des 15. Jahrhunderts brachten Europäer das Hausrind dauerhaft nach Amerika, auf viele weitere Inseln und nach Australien und Neuseeland, wo sich bald große verwilderte Bestände entwickelten, die jedoch ab dem 18. Jahrhundert zusammenbrachen. Es gibt jedoch auch heute noch eine Reihe von wildlebenden Hausrinderpopulationen. Lange Tradition haben etwa die Chillingham-Rinder oder die Betizuaks (siehe wildlebende Hausrinder). Insgesamt leben etwa 1,5 Milliarden Rinder auf der Erde (Stand 2020). In den letzten Jahren ist die Anzahl der Rinder weltweit insgesamt leicht gestiegen. Deren Gesamtgewicht ist fast doppelt so hoch wie das aller Menschen. Merkmale Kühe wiegen etwa 500 bis 800 kg, Bullen 1000 bis 1200 kg. Die natürliche Lebenserwartung eines Rinds beträgt maximal 20 Jahre. Im Regelfall haben Rinder Hörner, hornlose Rinderrassen sind die Ausnahme. Bei einem Kalb kann das Hornwachstum durch einen heißen Metallstab, der auf die Hornansätze gepresst wird, verhindert werden. Dadurch können die Kosten für die Aufzucht weiter gesenkt werden. Infolgedessen liegt die Enthornungs-Quote in der Schweiz bei rund 90 Prozent. Rinder sind, wie Pferde auch, Pflanzenfresser, nutzen aber als Wiederkäuer wie beispielsweise auch Schafe die Nahrung weit besser aus. Sie können das Gras aber nicht so kurz abfressen wie Pferde. Das Gebiss des Rindes enthält beim erwachsenen Tier 32 Zähne. In jeder Hälfte des Unterkiefers befinden sich drei Schneidezähne und ein Eckzahn, der die gleiche Größe hat. Außerdem befinden sich auf jeder Seite sechs Backenzähne. Im Oberkiefer fehlen Eck- und Schneidezähne. Stattdessen ist dort eine Knorpelleiste vorhanden. Wie der Unterkiefer besitzt er auf jeder Seite ebenfalls sechs Backenzähne. Zwischen den Eckzähnen des Unterkiefers und der Knorpelleiste des Oberkiefers und den Backenzähnen ist jeweils eine große Lücke vorhanden. Kurzes Gras wird zwischen den Schneidezähnen und der Knorpelleiste eingeklemmt und mit einem Kopfruck abgerupft. Die Nahrung durchläuft vier Mägen (Pansen, Netzmagen, Blättermagen, Labmagen). Der Rinderkot, landläufig als Kuhfladen bezeichnet, hat einen nennenswerten Brennwert. Getrocknete Kuhfladen werden deshalb in Entwicklungsländern als raucharmer Brennstoff benutzt und geschätzt. Ein Rind macht beim Fressen und Wiederkäuen pro Tag 30.000 Kaubewegungen und produziert bis zu 150 Liter Speichel. So verwundert es nicht, dass es an heißen Tagen bis zu 180 Liter Wasser zu sich nimmt und dabei bis zu 25 Liter pro Minute schluckt. Hochleistungskühe produzieren unter günstigen Ernährungs- und Haltungsbedingungen innerhalb eines Jahres weit über 10.000 Liter Milch. Bei der Verdauung der Nahrung entstehen im Pansen wie bei allen Wiederkäuern Fermentationsgase, die vom Tier „herausgerülpst“ werden, und die beim Hausrind neben Kohlenstoffdioxid einen besonders hohen Anteil von Methan enthalten, insbesondere bei Raufutter. Methan ist nach Kohlenstoffdioxid das zweitwichtigste Treibhausgas der Erde. Methan hat ein etwa 28-mal so hohes Treibhauspotential wie Kohlenstoffdioxid und trägt massiv zur globalen Erderwärmung bei. Rassen Grundsätzlich unterscheidet man zwei Grundtypen von Hausrindern. Dies sind zum einen die taurinen oder buckellosen Rinder und zum anderen die Zebus oder Buckelrinder. Zebus stammen von einer anderen Unterart des Auerochsen ab als taurine Rinder. Nach Auffassung mancher Experten könnte die Urform des Zebus eine eigene Art (Bos indicus) neben dem Auerochsen darstellen. Genetische Untersuchungen belegen, dass die heutigen Hausrinder nicht, wie lange geglaubt, einem Stamm angehören, sondern von zwei verschiedenen Linien abstammen. Beide Formen scheinen sich schon im wilden Zustand vor rund 600.000 Jahren getrennt zu haben. Afrikanische Rinderrassen ähneln äußerlich entweder Indischen Zeburindern oder buckellosen Rindern. Ursprünglich wurden auf diesem Kontinent offenbar buckellose Rinder gezüchtet, während Tiere des Zebutyps erstmals vor rund 4000 Jahren eingeführt wurden und erst seit dem frühen Mittelalter (um 700 n. Chr.) im Zuge der Arabischen Invasion vermehrt auftraten. Eigenartigerweise zeigen sowohl die afrikanischen Buckelrinder als auch die afrikanischen buckellosen Rinder weit stärkere mitochondriale Übereinstimmung mit europäischen buckellosen Rassen als mit indischen Zeburindern. Das mitochondriale Genom wird ausschließlich maternal vererbt. Man nimmt daher an, dass männliche Zebus in die ursprünglichen afrikanischen Rassen eingekreuzt worden sind. Die buckellosen ursprünglichen Rassen Afrikas werden als Sanga-Rinder bezeichnet. Archäologische Funde deuten darauf hin, dass Sanga-Rinder auf ein Domestikationsereignis zurückgehen, das in Afrika stattfand. Demnach wäre der Afrikanische Auerochse unabhängig domestiziert worden. Es gibt eine große Zahl von Rinderrassen, die für verschiedene Ansprüche gezüchtet werden. Die für die Nutztierhaltung in Europa wichtigsten Rinderrassen sind: Milchrasse/Zweinutzungsrasse: Schwarzbunte/Rotbunte; Fleckvieh/Simmentaler; Braunvieh; Weissblaue Belgier; Gelbvieh; Angler; Jersey; Normande; Modicana; Valdostana. Fleischrassen: Angus, Blonde d’Aquitaine, Charolais, Chianina, Galloway, Hereford, Limousin, Marchigiana, Piemonteser. Allerdings gehen gerade in der heutigen Zeit wegen der durch den wirtschaftlichen Druck verstärkten Massentierhaltung und Technisierung der Landwirtschaft viele Rassen verloren. Aus diesem Grund wird jedes Jahr in Deutschland durch die GEH eine gefährdete Nutztierrasse des Jahres gewählt, um auf diese Situation aufmerksam zu machen. Insbesondere von diesem Rückgang betroffen sind Rassen, die für spezielle Lebensräume oder als Zugtiere optimiert wurden (wie die Arouquesa). Zur Katalogisierung der Rinderrassen und Kennzeichnung im Rinderpass gibt es einen verbindlichen Rasseschlüssel. Der Żubroń ist eine Kreuzung aus Hausrind und Wisent. Der Beefalo ist eine Kreuzung aus Hausrind und Amerikanischem Bison. Beide sind weniger anspruchsvoll und krankheitsresistenter als Hausrinder. Ein Dzo (männlich) oder Zhom (weiblich) ist die Kreuzung zwischen Yak und Hausrind. Das Tier wird vor allem in der Landwirtschaft in Nepal eingesetzt. Krankheiten und Parasiten Einige für die Nutztierhaltung wichtige Krankheiten des Rindes sind Infektionskrankheiten. Die wichtigsten bakteriell verursachten Krankheiten sind: Brucellose, Milzbrand, Paratuberkulose, Panaritium, Rauschbrand, Salmonellose und Tuberkulose. Die wichtigsten durch Viren hervorgerufenen Krankheiten sind: Bovines Herpesvirus IBR/IPV, Mucosal Disease/Virusdiarrhoe BVD, Maul- und Klauenseuche MKS. Die häufigsten Stoffwechselerkrankungen sind Ketose, Hypokalzämie und Tetanie. Die wichtigsten Parasiten sind: Lungenwürmer, Spulwürmer, Leberegel und Kokzidien. Weitere Erkrankungen von Bedeutung sind: BSE, Fremdkörpererkrankung des Netzmagens, Pansentympanie, Labmagenverlagerung und Trichophytie der Haut. Siehe auch Fistulierung Kuhschubsen Torbogenschema Individuelles Rind Literatur Florian Werner: Die Kuh. Leben, Werk und Wirkung. Nagel & Kimche, München 2009, ISBN 978-3-312-00432-4. Horst Lochner, Johannes Breker: Agrarwirtschaft, Fachstufe Landwirt; Fachtheorie für Pflanzliche Produktion: Planung, Führung, Verwertung und Vermarktung von Kulturen. Tierische Produktion: Haltung, Fütterung, Zucht und Vermarktung von Nutztieren. Energieproduktion: Erzeugung und Vermarktung regenerativer Energie. BLV Buchverlag, München 2007, ISBN 978-3-8354-0152-5. Ruth Bollongino: Die Herkunft der Hausrinder in Europa. Eine aDNA-Studie an neolithischen Knochenfunden. Habelt, Bonn 2006, ISBN 3-7749-3415-0. (UPA Band 130) Ruth Bollongino, J. Burger, K. W. Alt: Import oder sekundäre Domestikation? Der Ursprung der europäischen Hausrinder im Spiegel molekulargenetischer Analysen an neolithischen Knochenfunden. In: Beiträge zur Archäozoologie und Prähistorischen Anthropologie. Band IV, 2003, S. 211–217. Josef Boch, Rudolf Supperer: Veterinärmedizinische Parasitologie. Paul Parey Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-8304-4135-5. Gerrit Dirksen, Hans-Dieter Gründer, Matthaeus Stöber: Innere Medizin und Chirurgie des Rindes. Parey Verlag, Stuttgart 2006, ISBN 3-8304-4169-X. Weblinks Domestikation des Rindes (Uni Mainz) Rinder in der Landschaftspflege (LEL BW) Einzelnachweise Rinder und Waldböcke
Q830
736.255445
1192349
https://de.wikipedia.org/wiki/Badminton
Badminton
Die Ballsportart Badminton ist ein Rückschlagspiel, das mit einem Federball und jeweils einem Badmintonschläger pro Person gespielt wird. Dabei versuchen die Spieler, den Ball so über ein Netz zu schlagen, dass die Gegenseite ihn nicht den Regeln entsprechend zurückschlagen kann. Es kann sowohl von zwei Spielern als Einzel, als auch von vier Spielern als Doppel oder Mixed gespielt werden. Es wird in der Halle ausgetragen und erfordert wegen der Schnelligkeit und der großen Laufintensität eine hohe körperliche Fitness. Weltweit wird Badminton von über 14 Millionen Spielern in mehr als 160 Nationen wettkampfmäßig betrieben. Im Unterschied zum Freizeitspiel Federball, bei dem der Spielspaß mit möglichst langen Ballwechseln und ohne Spielfeld oder Netz im Vordergrund steht, ist Badminton ein Wettkampfsport mit festen Regeln und dem Ziel zu siegen. Allgemeines Badminton ist ein Rückschlagspiel für zwei Spieler (Einzel) oder vier Spieler (Doppel). Es hat gewisse Ähnlichkeit mit Tennis, unterscheidet sich davon jedoch in grundlegenden spieltechnischen und taktischen Aspekten. Das Badmintonspielfeld ist, verglichen mit dem Tennisspielfeld, deutlich kleiner. Ein Badmintonschläger ist wesentlich leichter als ein Tennisschläger. Der Spielball (Federball) darf den Boden nicht berühren. Er ist mit einem Feder- oder Plastikkranz bestückt, wodurch er seine besonderen Flugeigenschaften erhält. Badminton stellt hohe Ansprüche an Reflexe, Grundschnelligkeit und Kondition und erfordert weiterhin für ein gutes Spiel Konzentrationsfähigkeit und taktisches Geschick. Lange Ballwechsel und eine Spieldauer ohne echte Pausen fordern eine gut entwickelte Ausdauer. Die Tatsache, dass durch den leichten Schläger Änderungen in der Schlagrichtung ohne deutliche Ausholbewegungen zu erreichen sind, macht Badminton zu einem extrem raffinierten und täuschungsreichen Spiel. Dem schnellen Angriffsspiel ist nur durch gute Reflexe und sehr bewegliche Laufarbeit zu begegnen. Der Wechsel zwischen hart geschlagenen Angriffsbällen, angetäuschten Finten sowie präzisem, gefühlvollem Spiel am Netz ist es, was die Faszination von Badminton ausmacht. Gezählt wird nach Punkten und nach Sätzen. Seit 2006 wird nach der sogenannten Rally-Point-Methode gezählt. Dabei wird auf zwei Gewinnsätze bis auf 21 Punkte gespielt und jede Partei erzielt, unabhängig vom Aufschlagsrecht, bei einem Fehler des Gegners einen Punkt. In den Jahren davor wurden zwei Gewinnsätze bis 15 Punkte gespielt (Ausnahme ist das Dameneinzel – bis 11 Punkte), wobei nur die aufschlagende Partei punkten konnte. Als Fehler gilt es unter anderem, wenn der Ball das Netz nicht überfliegt oder Boden/Wand/Hallendecke (oder Gegenstände die darunter hängen) berührt, wobei eine Deckenberührung je nach Hallenhöhe immer oder nur beim Aufschlag eine Wiederholung nach sich ziehen kann. Auch eine Berührung des Balls durch den Spieler oder dessen Kleidung zählt als Fehler. Außerdem wird auch das Berühren des Netzes mit Körper oder Schläger als Fehler gewertet. Im Gegensatz zu den meisten anderen Rückschlagspielen wird beim Badminton auch dann weitergespielt, wenn der Ball beim Aufschlag das Netz berührt, solange er danach seinen Weg weiter in das Aufschlagfeld des Gegners fortsetzt. Geschichte Bereits lange vor der Entstehung des Namens Badminton gab es Rückschlagspiele, die dem heutigen Federball ähnelten. In Indien gefundene Höhlenzeichnungen belegen, dass dort bereits vor 2000 Jahren mit abgeflachten Hölzern kleine, mit Hühnerfedern gespickte Holzbälle geschlagen wurden. Auch bei den Inkas und den Azteken waren Rückschlagspiele mit gefiederten Bällen bekannt. In Europa zur Zeit des Barock entwickelte sich ein unter dem Namen Battledore and Shuttlecock oder Jeu de Volant bekanntes Federballspiel zu einer der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen des höfischen Adels. Ziel bei dieser Variante des Federballspiels war es, dass zwei Spieler sich mit einfachen Schlägern einen Federball so oft wie möglich zuspielen, ohne dass dieser den Boden berührt. Ein urkundlich erwähnter Rekord aus dem Jahre 1830 beläuft sich auf 2117 Schläge für einen Ballwechsel zwischen Mitgliedern der Somerset-Familie. Das heutige Spiel verdankt seinen Namen dem englischen Landsitz des Duke of Beaufort aus der Grafschaft Gloucestershire. Auf diesem Landsitz mit dem Namen Badminton House wurde 1872 das von dem britischen Kolonialoffizier aus Indien mitgebrachte und als Poona bezeichnete Spiel vorgestellt. 1893 wurde in England der erste Badmintonverband gegründet, und schon 1899 fanden die ersten All England Championships statt, die heutzutage unter Badmintonanhängern den gleichen Stellenwert haben wie das Turnier von Wimbledon für die Tennisfreunde. Der neue Sport erfreute sich großer Beliebtheit. Schwierigkeiten bereitete es nur, geeignete Sportstätten zu finden. Es musste oft an ungewöhnlichen Orten gespielt werden, denn die einzigen uneingeschränkt geeigneten Räumlichkeiten zu dieser Zeit waren Kirchen. Das hohe Mittelschiff einer Kirche bot dem Federball freie Flugbahn, und die Kirchenbänke dienten den Zuschauern als Logenplätze. Mitte der 1920er Jahre breitete sich der organisierte Badmintonsport vermehrt auch in Nordeuropa, Frankreich, Australien und Nordamerika aus, so dass bereits im Juli 1934 die International Badminton Federation (IBF), der Welt-Dachverband (heute BWF), gegründet werden konnte. Entwicklung in Deutschland In Deutschland wurde im Jahr 1902 der erste Badminton-Sportverein auf dem europäischen Festland gegründet – der Bad Homburger Badminton-Club. Fehlende Schläger und Federbälle verhinderten jedoch die weitere Ausbreitung der Sportart im Land, und auch der Homburger Verein löste sich wieder auf. Erst zu Beginn der 1950er Jahre erfuhr Badminton einen neuen Popularitätsschub in Deutschland. Die ersten deutschen Meisterschaften fanden am 17. und 18. Januar 1953 in Wiesbaden statt. Am selben Wochenende wurde der Deutsche Badminton-Verband (DBV) aus der Taufe gehoben, der noch im gleichen Jahr in die IBF eintrat. Erster Präsident des DBV war der Industrielle Hans Riegel aus Bonn (HARIBO). Er ließ im selben Jahr mit dem Haribo-Center direkt auf dem Betriebsgelände in Bonn-Kessenich die erste reine Badmintonhalle Deutschlands errichten. Im Mai des darauf folgenden Jahres wurde der DBV als 26. Fachverband in den Deutschen Sportbund (DSB) aufgenommen, und 1967 gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der European Badminton Union (EBU). 1958 entstand auch in der damaligen DDR ein Federballverband, dessen Landesverbände 1990 in den DBV eingegliedert wurden. Das bedeutendste Turnier des DBV sind die seit 1955 ausgetragenen Internationalen Deutschen Meisterschaften, die German Open. Während in den 1960er Jahren eine gewisse Stagnation der Mitgliederzahlen zu beobachten war, erfolgte in den 1970er Jahren im Zuge der Erstellung zahlreicher neuer Sporthallen ein wahrer Badminton-Boom. Dieser Aufschwung mit teilweiser Verdreifachung von Mitgliederzahlen in Verbänden und Vereinen hielt bis Ende der 1980er Jahre an, als viele Tennishallen zu Badminton-Zentren umgebaut wurden. In den 1990er Jahren wurde erneut eine leichte Stagnation spürbar, und seit der Jahrtausendwende sind die Mitgliederzahlen im DBV sogar leicht rückläufig, trotz der Integration von Badminton in den Schulsport. Dem Deutschen Badminton-Verband gehören derzeit 16 Landesverbände mit etwa 217.000 Mitgliedern in 2.700 Vereinen an. Darüber hinaus gibt es etwa 4,5 Millionen Freizeitspieler ohne Vereinszugehörigkeit, die Badminton mehr oder weniger regelmäßig in einem der vielen Zentren betreiben. Badminton international Große Popularität genießt Badminton in seinen europäischen und asiatischen Hochburgen England, Dänemark, China, Japan, Indonesien, Malaysia, Singapur, Thailand, Indien und Korea. In diesen Ländern haben große Badminton-Veranstaltungen ähnlichen Stellenwert wie in Deutschland Fußball oder Leichtathletik. In den Siegerlisten der bedeutenden internationalen Turniere findet man deshalb hauptsächlich dänische oder asiatische Namen. 1934 wurde die International Badminton Federation (IBF) als Dachorganisation gegründet. Der Name des Verbandes wurde 2006 in Badminton World Federation (BWF) geändert. Derzeit sind 156 Nationen, darunter auch Deutschland, mit insgesamt über 14 Millionen Spielern Mitglied in der BWF. Seit 1977 finden Weltmeisterschaften statt, seit 1983 alle zwei Jahre. Im Jahr 2006 wurde zu einem jährlichen Rhythmus übergegangen. Mit dem Davis-Cup im Tennis vergleichbar sind die Mannschaftsweltmeisterschaften im Badminton: seit 1949 der Thomas Cup für Herren-Nationalteams sowie seit 1957 der Uber Cup für Damen-Nationalteams. Im Jahr 1989 wurde der Sudirman Cup ins Leben gerufen, die offizielle Nationalmannschafts-Weltmeisterschaft für gemischte Teams (Damen und Herren). Das Turnier findet in einem zweijährigen Rhythmus statt und war ursprünglich an die Individual-WM gekoppelt. Seit 2003 wird der Sudirman Cup als eigenständige Veranstaltung ausgetragen. Die damalige IBF führte 1983 den Grand Prix Circuit ein. Hier wurden die internationalen Meisterschaften der verschiedenen Länder zusammengefasst. Von 1983 bis 1999 wurde das Jahr stets mit dem Grand Prix Final abgeschlossen, ein Turnier, bei dem die besten Spieler des Jahres gegeneinander antraten. Nach der Asienkrise Ende der 1990er Jahre fand das Turnier nicht mehr statt. Im Jahre 2007 führte die BWF die BWF Super Series ein, die den Grand Prix nach 23 Jahren ablöste. Zur Super Series gehören zwölf Turniere, bei denen die Turnierveranstalter ein Mindestpreisgeld von 200.000 US-Dollar aufbringen müssen. Acht Turniere finden in Asien und vier in Europa (England, Schweiz, Dänemark und Frankreich) statt. Die seit 1955 ausgetragenen Internationalen Deutschen Meisterschaften – German Open – gehören nicht mehr dazu. Sie sind derzeit mit einem Preisgeld von 120.000 US-Dollar dotiert. Olympische Spiele und Special Olympics Wettbewerbe Bereits 1972 bei den Olympischen Sommerspielen in München war Badminton als so genannte Demonstrationssportart vertreten, wurde jedoch erst 1985 vom IOC für 1992 ins olympische Programm aufgenommen. 1988 in Seoul konnte Badminton als Vorführsportart der künftigen olympischen Disziplin mit ausverkauften Wettkämpfen noch einmal punkten, ehe es 1992 in Barcelona mit vier Wettbewerben regulär im Programm der Spiele vertreten war. 1996 wurden dann alle fünf Disziplinen, inklusive des gemischten Doppels, bei den Spielen von Atlanta ausgetragen. Badminton (Special Olympics) beruht auf den Regeln von Badminton und wird in Wettbewerben und Trainingseinheiten der Organisation Special Olympics weltweit für geistig und mehrfach behinderte Menschen angeboten. Badminton ist seit 1995 bei Special Olympics World Games vertreten. Das Spiel Spielfeld In der Regel wird Badminton in der Halle gespielt, da schon leichte Luftbewegungen die Flugbahn des Balles stark beeinflussen können. Die Halle muss dabei eine Mindesthöhe von 5 m aufweisen. Üblicherweise gilt es als Fehler, wenn der Ball während des Spiels die Decke berührt, jedoch wird bei Deckenberührung beim Aufschlag oder bei Berühren von herunterhängenden Teilen (z. B. der Deckenkonstruktion) auf Wiederholung entschieden. Erst ab 9 m Deckenhöhe ist eine Halle uneingeschränkt bespielbar und damit jede Deckenberührung ein Fehler. Das Spielfeld ist dem des Tennis sehr ähnlich, ist allerdings mit 13,40 m Länge und 6,10 m Breite deutlich kleiner. Das Netz ist nach den Regeln so zu spannen, dass die Netzhöhe an den Pfosten 1,55 m und in der Netzmitte 1,524 m beträgt. Die Linien sind 4 cm breit und Teil des Spielfeldes, das sie begrenzen. Die Distanz vom Netz zur vorderen Aufschlaglinie beträgt 1,98 m. Einzel Im Einzel stellt die innere Begrenzungslinie die seitliche Feldbegrenzung dar, das Spielfeld ist somit nur 5,18 m breit. Der Aufschlag darf von der vorderen Aufschlaglinie bis zur hinteren Grundlinie ausgeführt werden. Doppel Beim Doppel ist das komplette Feld zu bespielen, der Aufschlag muss allerdings zwischen vordere und hintere Aufschlaglinie geschlagen werden. Schläger Die Form des Badmintonschlägers ist mit der eines Tennisschlägers vergleichbar. Er ist jedoch etwas kleiner, deutlich leichter als die Tennisvariante und dünner besaitet. In der einfachsten Ausführung mit Stahlschaft und Stahlkopf wiegt ein Badmintonschläger etwa 120 Gramm. Gehobenere Modelle bestehen aus einem Stück (Carbon) und wiegen nur noch 70 bis 80 Gramm. Je steifer der Rahmen, desto präziser lässt sich damit spielen. Dabei ist aber eine gute Schlagtechnik erforderlich, da bei ungenauem Treffen des Balles Vibrationen entstehen, die durch den steifen Rahmen durchgeleitet werden und unter Umständen zum sogenannten Tennisarm führen können. Je flexibler der Rahmen, desto ungenauer ist der harte Schlag, aber desto armschonender ist der Schläger bei normalem Spiel. Zur Bespannung bieten die Hersteller unterschiedliche Varianten an Saiten an. Im Anfängerbereich werden Schläger hauptsächlich mit einfachen, aber günstigen Kunststoffsaiten bespannt. Fortgeschrittene und Profis verwenden eher die teureren Naturdarmsaiten oder mehrfach geflochtene Kunststoffsaiten, die bessere Ballkontrolle und längere Haltbarkeit bieten. Je nach Spielertyp können Badmintonschläger unterschiedlich hart bespannt werden (Zugbelastung ca. 70 – 130 N, entspr. der Gewichtskraft von 7 – 13 kg). Im Unterschied zum Tennisschläger werden bei einem Badmintonschläger die Quersaiten meist um 0,5 – 1 kg härter bespannt als die Längssaiten. Je nach Bespannung verändern sich die Schlageigenschaften eines Schlägers. Mithilfe einer härteren Bespannung können Schläge präziser ausgeführt werden. Dies setzt jedoch einiges mehr an spielerischen Fertigkeiten voraus und ist deshalb nur für erfahrene Spieler geeignet. Eine weichere Bespannung ermöglicht unter vergleichsweise geringerem Kraftaufwand eine stärkere Ballbeschleunigung aufgrund der weiter nachgebenden Bespannung. Zur Verbesserung des Griffs wird in der Regel ein zusätzliches Griffband eingesetzt. Man setzt es ein, um eine bessere Schlägerkontrolle, bessere Dämpfung oder auch verbesserte Rutschfestigkeit beim Griff zu erreichen. Spielball Bei Wettkämpfen wird in den höheren Spielklassen und auf internationaler Ebene mit Naturfederbällen gespielt. Der Kopf ist aus Kork, der Federkranz besteht in der Regel aus 16 Gänse- oder Entenfedern, die in den Kork eingeklebt und miteinander verschnürt sind. Federbälle werden hauptsächlich in Asien handgefertigt und zeichnen sich durch besondere Flugeigenschaften aus. Durch die spezielle Anordnung der Federn wird der ca. 5 g leichte Naturfederball während des Fluges von der durchströmenden Luft in Rotation um seine Längsachse versetzt, wodurch der Flug stabilisiert wird. Dennoch wird er in besonderem Maße von den Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Luftdruck und Luftfeuchtigkeit beeinflusst. So können Flughöhe, Geschwindigkeit und damit Reichweite eines lang geschlagenen Balles in Hallen unterschiedlicher Höhenlage stark variieren. Um solche Einflüsse zu kompensieren, sind Naturfederbälle in unterschiedlichen Geschwindigkeiten erhältlich. Vor einem Spiel testen die Spieler durch das so genannte Durchschlagen die Geschwindigkeit der verwendeten Federbälle, indem die Bälle mit kraftvollen Unterhandschlägen von der hinteren Grundlinie flach über das Netz geschlagen werden. Solche, die innerhalb des Spielfelds in einem Bereich zwischen 53 und 99 cm entfernt von der gegenüberliegenden Grundlinie landen, haben die richtige Geschwindigkeit. Alle anderen werden bei internationalen Spielen meistens direkt aussortiert, oder es wird versucht, die Ballgeschwindigkeit zu beeinflussen, indem man die oberen 2 bis 3 mm der Federspitzen nach außen bzw. innen knickt. Der Ball bietet dadurch mehr oder weniger Luftwiderstand und fliegt entsprechend kürzer bzw. weiter. Es muss dafür gesorgt werden, dass stets genügend durchgeschlagene Bälle einer Sorte für die Dauer des Spiels zur Verfügung stehen. Dadurch soll vermieden werden, dass vor allem konditionsschwache Spieler das Durchschlagen von neuen Bällen mitten in einem Satz als Erholungspause nutzen. Naturfedern brechen relativ leicht, besonders bei technisch unsauber ausgeführten Schlägen. Bedingt durch den größeren Verschleiß und wegen der etwas höheren Kosten von Naturfederbällen haben sich im Freizeit- und Jugendbereich Imitate aus Kunststoff durchgesetzt. Sie sind günstiger und haltbarer, haben allerdings andere Flugeigenschaften als Naturfederbälle und bieten weniger Möglichkeiten für ein variantenreiches, schnelles Spiel. Fällt ein Naturfederball nach einem Clear (lange, hohe Flugbahn) fast senkrecht, so folgt der Kunststoffball noch weitgehend einer parabelförmigen Flugbahn, wodurch weite Bälle leichter erlaufen werden können. Technik Schlägerhaltung Es existieren verschiedene Möglichkeiten, den Badmintonschläger zu greifen. Typischer Anfängerfehler und aus dem Freizeitbereich bekannt ist der so genannte Bratpfannengriff, der für effizientes Spielen nur in zwei Situationen brauchbar ist. Das Töten am Netz und der Drive vor dem Körper sind mit dem Rush-Griff ausführbar. Alle anderen Schläge sind nur unzureichend zu realisieren. Bei der optimalen Schlägerhaltung bildet die Schlagfläche quasi eine Verlängerung der geöffneten Handfläche. Um dies zu erreichen, legt man die Handfläche auf die Bespannung und führt die Hand, ohne den Winkel zum Schläger zu verändern, in Richtung Griff. Am untersten Ende kurz vor dem spürbaren Wulst umschließt die Hand den Griff. Die schmale Schlägerseite liegt dabei im durch Zeigefinger und Daumen gebildeten V. Mit dieser Griffhaltung können im Prinzip alle Vorhandschläge ausgeführt werden. Für Schläge mit der Rückhand wird der Schläger leicht gedreht, so dass der Daumen auf der breiten Seite des Griffes Druck ausüben kann. Bei fortgeschrittener Spielweise sind weitere Schlägerhaltungen üblich. Der Schläger wird schlagabhängig in verschiedenen Positionen gehalten, wie z. B. der sog. Pinzettengriff für ein Spiel am Netz oder beim Aufschlag oder der Rush-Griff beim Drive vor dem Körper. Ebenso wird die Griffhaltung der Schlaghärte angepasst. Für die weiten, kräftigen Schläge wird eher an der Basis (Langgriff) zugegriffen. Bei kurzem und präzisem Netzspiel wandert die Hand dagegen weiter den Griff nach oben (Kurzgriff). Schlagarten Zum Schlagrepertoire eines guten Badmintonspielers gehört eine Reihe von Grundschlägen, die in zahlreichen Varianten angewendet werden können. Die wichtigsten Schläge sind: Clear Langer, hoher Ball bis zur Grundlinie als Befreiungsschlag (1); daher der Name (Clear, engl.: klar, frei). Eine Variante ist der so genannte Angriffs-Clear (2), der flacher und schnell gespielt wird, um den Gegner unter Druck zu setzen. Eine andere Variante ist der so genannte Unterhand-Clear, der dicht am Netz gespielt wird. Drive Schneller, flacher Ball auf Augenhöhe, knapp über das Netz geschlagen (3). Smash Der klassische Angriffsschlag. Ein hart geschlagener, geradliniger Schmetterschlag steil nach unten (4). Der Ball kann dabei eine Anfangsgeschwindigkeit von über 300 km/h erreichen. Drop Auch Stoppball genannt. Kurzer Ball knapp hinter das Netz (5). Er ist besonders wirkungsvoll, wenn bei der Schlagbewegung ein Clear oder Smash angetäuscht wird. Unterschieden werden dabei der langsame und der schnelle Drop. Der langsame Drop wird sehr dicht hinter das Netz geschlagen und soll dem Gegner eine möglichst tiefe Schlagposition aufzwingen und es damit schwer machen, den Ball hoch in die hinteren Regionen des Feldes zurückzubefördern. Daher wird er oft als Auftakt zum Angriffsspiel eingesetzt, da der Gegner im günstigsten Fall gezwungen ist, den Ball steil nach oben zu spielen und sich dadurch die Gelegenheit für einen Smash bietet. Durch den langsamen Flug birgt er allerdings das Risiko, am Netz vom Gegner getötet zu werden. Der schnelle Drop, auch geschnittener Drop, zeichnet sich durch einen schnellen Ballflug aus, um dem Gegner wenig Zeit zu lassen, den Ball zu erreichen. Er sollte jedoch nicht weiter als bis zur vorderen Aufschlaglinie fliegen, da ansonsten der Vorteil dieses Schlages verloren geht. Stop (Drop am Netz) Auch Netzspiel genannt. Der Ball muss so knapp wie möglich über die Netzkante gehoben werden (6). Gespielt werden können diese Schläge geradlinig (engl. longline) oder diagonal (cross). Daraus ergeben sich typische Spielzüge, die jeder Spieler auf sich und sein Spiel abstimmt und versucht, in sein Spiel einzubauen. Schlagbereiche Bei den einzelnen Schlägen unterscheidet man auch, wo der Ball getroffen wird. Aus der Schlagart und den Schlagbereichen setzt sich die genaue Beschreibung eines Badminton-Schlages zusammen. Beispiele: Aufschlag Neben den Grundschlägen aus dem Spiel heraus gibt es zahlreiche Aufschlagvarianten. Grundlegend unterscheidet man jedoch Vorhandaufschläge und Rückhandaufschläge. Bei den Vorhandaufschlägen wird der Schläger seitlich am Körper des Spielers vorbei beschleunigt und der Ball in die Bahn des Schlägers geworfen. Diese Variante eignet sich besonders für den hohen Aufschlag. Im Doppel und in höheren Spielklassen auch im Einzel wird zumeist auf den Rückhandaufschlag zurückgegriffen. Bei diesem wird der Schläger mit dem Griff nach oben vor dem Körper platziert, der Ball davor in Position gebracht und dann unter Einsatz des Daumens und mit einer Drehung des Handgelenkes gespielt. Der Aufschlag beim Badminton bietet zwar kaum die Möglichkeit, direkt zu punkten wie z. B. beim Tennis, Volleyball oder Faustball, dennoch versucht der Spieler, sich schon beim Aufschlag einen Vorteil zu verschaffen und die Oberhand für den kommenden Ballwechsel zu gewinnen. Ein regelgerechter Aufschlag gemäß internationaler Regeln muss beim Badminton in den diagonal gegenüberliegenden Teil des Spielfelds erfolgen. Des Weiteren muss der aufschlagende Spieler mit beiden Füßen im Aufschlagfeld stehen, ohne dabei die Linien zu berühren, und der gesamte Ball muss im Moment, in dem der Schläger den Ball trifft, weniger als 1,15 m vom Boden entfernt sein. Bei nationalen Veranstaltungen im Bereich des DBV gilt jedoch eine abgewandelte Variante: Der Ball muss sich – im Moment der Berührung mit dem Schläger – unterhalb der Taille des Aufschlägers befinden. Die Taille ist als imaginäre Linie um den Körper beschrieben und befindet sich dort, wo die unterste Rippe zu suchen ist. Zudem müssen der Schaft und der Schlägerkopf – im Augenblick des Treffpunktes mit dem Ball – in eine Abwärtsrichtung zeigen. Berührt der Ball beim Aufschlag das Netz, so ist das im Gegensatz zu vielen anderen Ballsportarten kein Fehler. Kurzer Aufschlag Der kurze Aufschlag (1) ist die Standard-Spieleröffnung beim Doppel und hat sich vorwiegend in höheren Spielklassen auch im Einzel durchgesetzt. Die Flugkurve des Balles sollte ihren höchsten Punkt vor dem Überqueren des Netzes haben und möglichst flach sein, so dass es dem Gegner nicht oder nur schwer möglich ist, mit einem direkten Angriff zu reagieren. Ein getäuschter (z. B. geschnittener) kurzer Aufschlag Richtung Außenlinie kann gerade im Doppel als erfolgreiche Variante eingesetzt werden, wenn der Gegner versucht, die Aufschläge besonders aggressiv zu attackieren. Drive-Aufschlag Ein Überraschungsaufschlag, bei dem versucht wird, durch einen schnellen, harten und möglichst flachen Aufschlag z. B. die Rückhandseite des Gegners anzuspielen oder direkt auf den Körper zu treffen (2). Der Schläger wird dabei möglichst hoch genommen, muss aber der Regel genügen, dass der Schlägerschaft abwärts gerichtet ist (Griff oben) und der Ball unterhalb der Taille getroffen wird. Eine Variante ist der Drive-Aufschlag vom Spielfeldrand (3). Der von der Seite kommende Ball ist schwer abzuschätzen, und die Aufschlagannahme ist schwierig, wenn der Ball auf die Rückhandseite gespielt wird. Swip-Aufschlag Bei dieser Variante wird ein kurzer Aufschlag angetäuscht, der Schläger aber im letzten Moment aus dem Handgelenk beschleunigt und der Ball überfliegt den Gegner (4). Der Aufschlag muss dabei so ausgeführt werden, dass der Gegner den Ball nicht schon im Vorbeiflug erwischt, sondern nur im Zurücklaufen. Die Flugbahn sollte auch nicht zu hoch sein, um dem Gegner möglichst wenig Zeit zum Erlaufen des Balles zu geben. Misslingt dieser risikoreiche Aufschlag, beendet meist ein Smash den Ballwechsel zu Ungunsten des Aufschlägers. Hoher Aufschlag Der hohe Aufschlag wird in der Regel mit der Vorhand ausgeführt. Er stellt besonders im Einzel eine Alternative zum kurzen Aufschlag dar. Der Ball wird kraftvoll möglichst hoch und bis zur hinteren Grundlinie des Feldes geschlagen (5). Im Idealfall ist der höchste Punkt der Flugkurve kurz vor der Grundlinie. Der Gegner wird so gezwungen, zum Erreichen des Balles bis zum Spielfeldende zu laufen. Der schnelle und steile Fall des Balles erschwert zudem das Abschätzen des optimalen Balltreffpunktes für den Rückschlag. Nachteilig wirkt sich jedoch die direkte Angriffsmöglichkeit des Gegners aus, weshalb diese Aufschlagvariante mit wachsendem Niveau des Gegners und der Spielklasse immer seltener gesehen wird. Lauftechnik Um aus der Ausgangsposition, der Spielfeldmitte, schnell die Feldecken erreichen zu können, ist eine ausgefeilte Lauftechnik erforderlich. Im Laufe der Zeit entwickelten sich, vor allem in den international erfolgreichen Badminton-Nationen, unterschiedliche Lauftechniken. So bevorzugten etwa die Engländer noch bis vor einigen Jahren lange, weiche, raumgreifende Schritte ohne Sprünge, während die Chinesen Ende der 1980er Jahre dazu übergingen, schnelle, kurze Schritte kombiniert mit einem abschließenden Sprung zum Ball in ihr Spiel zu integrieren. Diese Techniken wurden von den meisten asiatischen Spielern erfolgreich kopiert, da für sie die englischen Schrittfolgen aufgrund ihrer meist geringeren Körpergröße nicht hinreichend effektiv waren. Gute Lauftechnik zeichnet sich dadurch aus, dass der Spieler möglichst schnell und mit geringem Energieaufwand den Ball erreicht und anschließend zur Spielfeldmitte zurückkehrt. Automatisierte Schrittfolgen sorgen dafür, dass dies kraftsparend, raumgreifend und effektiv geschieht, diese sind jedoch nur durch jahrelanges Training zu erreichen. Zentrale Elemente der Lauftechnik sind: Stemmschritt Bei Situationen, in denen der Spieler viel Zeit zur Verfügung hat (beispielsweise nach hohem Aufschlag im Einzel) wird häufig der Stemmschritt eingesetzt. Bei dieser Technik wird das auf der Schlaghand befindliche Bein zunächst hinter dem Körper aufgestellt. Ein Abdruck von diesem hinteren Bein leitet die Vorwärtsbewegung ein. Die dadurch automatisch entstehende Rotation des Oberkörpers kann für effektive und kraftschonende Vorhandschläge genutzt werden. Ausfallschritt Um einen Ball im vorderen oder seitlichen Spielfeldbereich zu erreichen, stellt der Spieler am Ende seiner Vorwärtsbewegung das sich auf der Schlaghandseite befindliche Bein mit einem großen Ausfallschritt nach vorne, ähnlich wie ein Fechter beim Stoß. Dadurch bremst er abrupt seine Vorwärtsbewegung ab und kann nach dem Schlag sofort wieder in eine Rückwärtsbewegung übergehen. Umsprung Mit dieser Technik wird die Rückwärtsbewegung nach einem Schlag gestoppt. Beim Schlag findet während des Sprungs eine Drehung der Hüften statt, und das Bein, das sich auf der entgegengesetzten Körperseite der Schlaghand befindet, wird nach hinten gestellt, um die Rückwärtsbewegung abzufedern und den Körper wieder nach vorne zu beschleunigen. Chinasprung Diese Technik wurde in der Volksrepublik China entwickelt und dient dazu, einen Ball im Sprung zu erreichen. Im Gegensatz zum Umsprung wird die Bewegung jedoch mit dem Bein auf der Schlaghandseite gestoppt, was wegen der leichten Verdrehung des Oberkörpers beim Schlag anatomisch gesehen zwar ungünstig, aber in der Praxis dennoch effektiv ist. Sowohl der Absprung als auch die Landung finden hier immer mit beiden Beinen gleichzeitig statt. Ein Chinasprung kann sowohl parallel zum Netz auf die Vorhand- und Rückhandseite als auch diagonal nach hinten erfolgen. Der Schlag, der während des Sprunges ausgeführt wird, ist jedoch immer ein Vorhandschlag. Sprung-Smash Eine weitere chinesische Technik. Der Spieler springt beidbeinig hoch in die Luft und schlägt den Ball mit vollem Körpereinsatz ins gegnerische Feld, ähnlich wie beim Smash im Volleyball. Untersuchungen haben ergeben, dass hierdurch zwar keine höheren Geschwindigkeiten erzeugt werden können, jedoch kann der Spieler einen früheren Treffpunkt und einen besseren Winkel erreichen. Malayen-Schritt Technik, die es erlaubt, möglichst ökonomisch die hintere Rückhand-Ecke zu erreichen (bei Rechtshändern die hintere linke Ecke). Ziel ist dabei, die Rückhand zu umlaufen und mit dem wirksameren Links-vom-Kopf-Schlag höhere Variabilität zu erzielen. Der Malayen-Schritt ist gekennzeichnet durch einen raumgreifenden Schritt mit links nach hinten, einen kleinen Sprung mit links, um die Hüfte zu drehen, und ein bis drei Nachstellschritte. Zählweise Im Badminton wird, wie auch im Tennis oder Volleyball, nach Sätzen gespielt. Die seit dem 1. Februar 2006 bei internationalen IBF-Wettkämpfen testweise eingeführte sogenannte Rallypoint-Zählweise (auch Running Score genannt) ist seit der letzten Generalversammlung der IBF am 6. Mai 2006 in Tokio für alle IBF-Mitgliedsverbände gültig. Im Bereich des Deutschen Badminton-Verbandes (DBV) gilt die neue Zählweise seit dem 1. August 2006, also seit der Saison 2006/2007. Durch die bis zu diesem Zeitpunkt geltende Regel, dass Punkte nur bei eigenem Aufschlagrecht erzielt werden konnten, variierte die Spieldauer sehr stark, wodurch die Einhaltung eines Spielplanes z. B. bei Turnieren nur schwer zu erreichen war. Bei einem Feldtest während der Dutch International 2006 zeigte sich, dass kurze Spiele im Durchschnitt zwar etwas länger dauern als bei der alten Zählweise, die durchschnittliche Spielzeit sich bei der Rallypoint-Zählweise über ein ganzes Turnier jedoch um ca. 10 Minuten pro Spiel verringert. Insgesamt vereinfacht sich die Planung und Organisation von Turnieren durch die einheitlichere Spieldauer. Ein weiterer Grund für die Einführung der neuen Zählweise war, dass das Verschleppen eines Spielstandes für konditionsschwache Spieler nun nicht mehr möglich ist. Dadurch soll dem Leistungsgedanken vermehrt Rechnung getragen werden. Nicht zuletzt führt auch dies zu einer verkürzten Spielzeit. Rallypoint-Zählweise Jede Partei kann unabhängig vom Aufschlag punkten. Es werden zwei Gewinnsätze bis 21 Punkte je Satz gespielt. Pausenregelung: „Erreicht in einem Satz die führende Partei 11 Punkte, so gibt es eine Pause von maximal einer Minute. Zwischen zwei Sätzen (erstem zu zweiten, bzw. zweitem zu dritten) gibt es eine Pause von jeweils maximal zwei Minuten.“ Eine Partei hat einen Satz gewonnen, wenn sie als erste 21 Punkte erreicht und dabei mindestens 2 Punkte mehr als die gegnerische Partei hat. Bei 20:20 wird das Spiel solange verlängert, bis eine Partei mit 2 Punkten führt oder 30 Punkte erzielt hat. Ein Satzergebnis von 30:29 ist demnach möglich. Für jeden gewonnenen Ballwechsel wird ein Punkt vergeben. Zusätzlich erhält die Partei, die den vorangegangenen Ballwechsel für sich entschieden hat, das Aufschlagsrecht. Zu Beginn des Spiels wird ausgelost, wer Seitenwahl bzw. den ersten Aufschlag erhält. Eine gängige Methode der Auslosung ist, einen Badmintonball hochzuwerfen oder ihn umgekehrt auf die Netzkante zu legen und fallen zu lassen. Diejenige Partei, zu welcher der Korkfuß des Balles zeigt, darf wählen, ob sie den ersten Aufschlag machen möchte, ob sie den ersten Rückschlag machen möchte oder auf welcher Feldhälfte sie beginnen möchte (Seitenwahl). Die andere Partei entscheidet sich für eine der verbleibenden Möglichkeiten. Die Auslosung kann statt mit einem Federball auch mit einem anderen Los stattfinden. Nach jedem Satz werden die Seiten gewechselt. Die Partei, die den vorherigen Satz gewonnen hat, hat im folgenden Satz das Aufschlagrecht. Kommt es zu einem dritten Satz, wird erneut die Seite gewechselt, sobald eine der beiden Parteien 11 Punkte erreicht hat. Bei der Seitenwahl ist es aus taktischen Gründen sinnvoll, zunächst auf der Seite mit der „schlechteren“ Sicht zu spielen, weil man dann in der Schlussphase eines möglichen dritten Satzes auf der wieder „besseren“ Seite spielen darf. Die in anderen Rückschlagspielen weitgehend unbekannte Regelung, sich zwischen erstem Aufschlag und erstem Rückschlag entscheiden zu dürfen, hatte hauptsächlich nach der früheren Zählweise in den Doppeldisziplinen ihren Sinn, als man Punkte nur bei Besitz des Aufschlagrechts erzielen konnte. Eine weitere Neuerung ist die Erweiterung der Coaching-Regel. Ein am Feld sitzender Coach darf nun auch zwischen den Ballwechseln seinem Spieler durch Zuruf Ratschläge erteilen. Dies darf jedoch nicht den Gegner stören und darf auch nicht während eines laufenden Ballwechsels passieren. Besonderheiten der Zählweise in der Bundesliga In den Bundesligen gilt ebenso wie sonst die Rallypoint-Zählweise, jedoch werden verkürzte Sätze gespielt. Statt zwei Gewinnsätzen bis 21 werden hier drei Gewinnsätze bis 11 gespielt. Bei einem Stand von 10:10 wird so lange verlängert, bis eine Partei mit zwei Punkten führt oder ein Endstand von 14:15 erreicht wurde. Kommt es also dazu, dass es 14:14 steht, entscheidet der kommende Ballwechsel darüber, welche Partei den Satz gewinnt. Frühere Zählweise Bis zum 31. Juli 2006 konnte ein Punkt nur von der Partei erzielt werden, die auch den Aufschlag ausführt. Machte die aufschlagende Partei einen Fehler, verlor sie ein Aufschlagsrecht. Beim Doppel hatte jede Partei zwei Aufschlagsrechte: eins pro Spieler, beginnend bei dem Spieler, der zu diesem Zeitpunkt rechts stand. Ausnahme: Bei einem Fehler nach dem allerersten Aufschlag eines Satzes wechselte das Aufschlagsrecht direkt zur gegnerischen Partei. Ein Satz galt in der Regel als gewonnen, wenn eine Partei 15 Punkte erlangt hatte (Ausnahme: im Damen-Einzel auf 11). Ein Spiel war gewonnen, wenn eine Partei zwei Sätze für sich entschied. Nach jedem Satz erfolgte Seitenwechsel. Bei einem Entscheidungssatz (3. Satz) wurde die Seite gewechselt, wenn eine Partei 8 (im Damen-Einzel 6) Punkte erreicht hatte. Sonderregel „Verlängerung“: Bei einem Spielstand von 14:14 konnte die Partei auf 17 (im Damen-Einzel von 10:10 auf 13) verlängern, die den Spielstand von 14 (bzw. 10 im Dameneinzel) Punkten zuerst erreicht hatte. Wurde auf dieses Recht verzichtet, dann endete das Spiel bei 15 Punkten (11 Punkten). Eine noch ältere Regel, zusätzlich bereits beim Spielstand von 13:13 auf 18 zu verlängern, wurde zum 1. August 1998 gestrichen. Durch diese alte Regel erklären sich Satzergebnisse früherer Spiele von z. B. 18:17. Ebenso konnte vor diesem Zeitpunkt im Dameneinzel beim Stande von 9:9 oder 10:10 auf 12 verlängert werden. Schiedsrichter Ein Badmintonspiel wird in den höheren Spielklassen und im internationalen Wettkampf von einem Schiedsrichterteam („Technische Offizielle“) geleitet. Der Schiedsrichter sitzt, ähnlich wie beim Tennis, auf einem Hochstuhl und ist für den Ablauf des Spiels, für das Spielfeld und für direkt zum Spielfeld gehörende Dinge verantwortlich. Er wird von einem Aufschlagrichter unterstützt, der speziell den aufschlagenden Spieler beobachtet und eventuelle Regelverstöße durch den Ruf Fehler und entsprechende Handzeichen meldet. Darüber hinaus sind für jede Spielfeldhälfte bis zu fünf Linienrichter eingeteilt, die Seiten-, Mittel- und Grundlinien beobachten und Aus-Bälle ebenfalls durch Ruf- und Handzeichen melden. In unteren Spielklassen oder bei Turnieren kann von dieser aufwändigen Regel abgewichen werden. Dann leitet entweder ein einzelner Schiedsrichter eine Partie, oder die Spieler entscheiden selbst über Regelverstöße, Gut- oder Aus-Bälle. Da jeder vom anderen dieselbe Fairness erwartet, die er selbst zu geben bereit ist, ist diese Regelung durchaus praktikabel und bewährt. Selbst in der Badminton-Bundesliga wird typischerweise nur mit einem Schiedsrichter und ggf. einigen Linienrichtern für kritische Linien gearbeitet. Spielbetrieb Disziplinen Badminton wird wettkampfmäßig in fünf verschiedenen Disziplinen ausgetragen: Damen-Einzel Herren-Einzel Damen-Doppel Herren-Doppel Gemischtes Doppel (Mixed) Damen- und Herreneinzel In der Einzeldisziplin stehen sich zwei Spieler gleichen Geschlechts gegenüber. Beim Aufschlag muss der Aufschläger in seinem Aufschlag-Halbfeld stehen, der Rückschläger im Feld diagonal dazu. Der Federball muss beim Aufschlag in das diagonal gegenüberliegende Aufschlagfeld gespielt werden. Während des laufenden Ballwechsels dürfen sich beide Spieler beliebig in ihrer Feldhälfte aufhalten. Bei geradem Punktestand des Aufschlägers (0, 2, 4, …) erfolgt der Aufschlag aus der rechten Feldhälfte seiner Sicht, bei ungeradem Punktestand (1, 3, 5, …) von links. Beide Spieler können, unabhängig vom Aufschlagrecht, Punkte erzielen. Jeder Fehler führt also automatisch zu einem Punktgewinn für den Gegner. War der Gegner im vorangegangenen Ballwechsel der Rückschläger, erhält er zusätzlich das Aufschlagrecht. Aus taktischen Gründen versucht man, den Gegner durch Anspielen in die Eckpunkte des Spielfeldes in Schwierigkeiten zu bringen. Um alle Feldecken gleich schnell erreichen zu können, versucht deshalb jeder Spieler, nach jedem gespielten Ball so schnell wie möglich in die beste Ausgangsposition für den nächsten gegnerischen Ball zu gelangen. Diese befindet sich ca. eine Schrittlänge hinter dem T-Punkt. Von hier aus sind alle Feldbereiche mit wenigen kurzen, schnellen Schritten erreichbar. Damen- und Herrendoppel In der Doppeldisziplin stehen sich zwei Spielerpaare gleichen Geschlechts gegenüber. Beim Aufschlag befinden sich Aufschläger und Rückschläger im jeweiligen Aufschlag-Halbfeld, der Aufschlag muss diagonal gespielt werden. Die beiden nicht am Aufschlag beteiligten Spieler dürfen sich beliebig auf dem Spielfeld positionieren. Nach der alten Zählweise erfolgte der erste Aufschlag eines Satzes und jeder erste Aufschlag nach dem Wechsel des Aufschlagsrechts aus dem rechten Aufschlagfeld. Bei der neuen Rallypoint-Zählweise hingegen wechselt die Reihenfolge der Aufschläger nach jedem Fehler wie folgt: Erster Aufschläger (0:0, Beginn im rechten Aufschlagfeld) Partner des ersten Rückschlägers Partner des ersten Aufschlägers Erster Rückschläger Erster Aufschläger usw. Es gibt, entgegen der alten Zählweise, keinen zweiten Aufschlag mehr. Auch die Regel, den Aufschlag beim Wechsel des Aufschlagrechts immer von rechts auszuführen, existiert nicht mehr. Die Positionen der Spieler eines Doppels bleiben bei Aufschlag oder Rückschlag so lange bestehen, bis sie bei eigenem Aufschlag einen Punktgewinn erzielen. Erst dann wechseln sie zum nächsten Aufschlag das Halbfeld. Bei Punktgewinn mit gleichzeitigem Aufschlagwechsel wird die Position nicht gewechselt. Die Spieler merken sich also ihre letzte Position, nicht mehr (wie früher) die Aufstellung zu Satzbeginn. Aus der Aufschlagreihenfolge in Verbindung mit der neuen Zählweise im Doppel folgt, dass das Aufschlagfeld bei einem Aufschlagwechsel stets von der eigenen Punktezahl bestimmt wird (wie im Einzel): Aufschlagwechsel bei eigenem geraden Punktestand (0, 2, 4, …): Aufschlag durch den Spieler, der rechts steht Aufschlagwechsel bei eigenem ungeraden Punktestand (1, 3, …): Aufschlag von links „0“ gilt dabei als gerade Zahl, und somit wird auch bei der neuen Zählweise der erste Aufschlag jedes Satzes von rechts ausgeführt. Punkte können bei jedem Ballwechsel erzielt werden. Jedes Doppel hat solange Aufschlagrecht, bis es einen Fehler macht. Dann erhält die gegnerische Partei einen Punkt, zusätzlich wechselt entsprechend der Aufschlagreihenfolge das Aufschlagrecht zum gegnerischen Doppel. Bei einem Satzwechsel schlägt das Doppel auf, das den letzten Satz gewonnen hat. Die Aufstellung beider Spieler einer Doppel-Paarung während des laufenden Ballwechsels ist beliebig und wird von der aktuellen Spielsituation und den technischen Fähigkeiten der Spieler abhängig gemacht. Idealerweise stellen sich beide zur Abwehr nebeneinander und decken die jeweils eigene Seite des Spielfelds ab. Beim eigenen Angriff dagegen steht man hintereinander, der hintere attackiert mit harten, steil nach unten geschlagenen Angriffsbällen (Smash) oder mit gefühlvoll kurz hinter das Netz geschlagenen Stoppbällen (Drop), während sein Partner vorne am Netz agiert und versucht, schlecht abgewehrte gegnerische Bälle zu erreichen und zu verwerten. Diese ständig wechselnde Aufstellung innerhalb eines Ballwechsels erfordert jahrelange Übung, ein gutes Auge für die Spielsituation und Verständnis im Zusammenspiel mit dem Partner. Beispielhafter Ablauf eines Doppels Doppel A: Erster Aufschläger A1 und Partner des ersten Aufschlägers A2. Doppel B: Erster Rückschläger B1 und Partner des ersten Rückschlägers B2. 0:0 Aufschlag A1 (erster Aufschläger) von rechts. Punktgewinn aufschlagendes Doppel A. Das aufschlagende Doppel A wechselt die Positionen, Doppel B nicht. 1:0 Aufschlag A1 (erster Aufschläger) von links. Fehler durch aufschlagendes Doppel A. Aufschlagwechsel, alle Positionen werden beibehalten. 1:1 Aufschlag B2 (Partner des ersten Rückschlägers) von links. Fehler durch aufschlagendes Doppel B. Aufschlagwechsel, alle Positionen werden beibehalten. 2:1 Aufschlag A2 (Partner des ersten Aufschlägers) von rechts. Punktgewinn aufschlagendes Doppel A. Aufschlagendes Doppel A wechselt die Positionen, Doppel B nicht. 3:1 Aufschlag A2 (Partner des ersten Aufschlägers) von links. Fehler durch aufschlagendes Doppel A. Aufschlagwechsel, alle Positionen werden beibehalten. 3:2 Aufschlag B1 (erster Rückschläger) von rechts. usw. Im Beispiel erreichte Doppel B zwei Punkte, hat die Positionen aber nicht getauscht, da die Punkte nicht bei eigenem Aufschlag erzielt wurden. Doppel A erzielte hingegen zwei seiner drei Punkte bei eigenem Aufschlagrecht und tauschte deshalb jedes Mal die Positionen. Man kann hier auch gut erkennen, wie aus dem eigenen Punktestand auf das Aufschlagfeld geschlossen werden kann. Gemischtes Doppel Beim gemischten Doppel oder Mixed (engl.: gemischt) bilden ein weiblicher und ein männlicher Spieler zusammen eine Doppel-Paarung. Die Regeln sind identisch mit denen des Damen- bzw. Herren-Doppels. Aufstellung und taktisches Verhalten im gemischten Doppel weichen üblicherweise von dem der beiden anderen Doppel-Disziplinen ab, da man versucht, geschlechterspezifische Fähigkeiten ins eigene Spiel zu integrieren. So bewegt sich der Mann in der Regel hauptsächlich im hinteren Feldbereich, von wo aus er seine Reichweiten- und Kraftvorteile zu druckvollem Angriffsspiel nutzen kann. Die Frau dagegen übernimmt das präzise Spiel in der vorderen Feldhälfte, insbesondere am Netz. Um bereits zu Beginn des Ballwechsels zu dieser Aufstellung zu gelangen, steht der Mann meist schon beim Aufschlag hinter der Frau. Mannschaftsaufstellung Ein Mannschaftsspiel umfasst in den Seniorenklassen in der Regel folgende acht Einzelspiele: Vor Beginn der Saison gibt der Verein eine Mannschaftsmeldung mit Ranglisten für die Herren und die Damen an den Verband ab. Die Aufstellung der Paarungen für Herreneinzel und -doppel richtet sich nach dieser Rangliste. Dabei ist bei der Doppelpaarung die Summe der Ranglistenplätze der beteiligten Spieler ausschlaggebend (eigentlich werden vier gültige Badmintonpaarungen gemeldet, die dieser Regel unterliegen. Diese müssen vom regionalen Badminton-Verband genehmigt werden. Hier sind in Einzelfällen sogar Ausnahmen von der Summenregel möglich). Alle weiteren Spiele haben sich nicht nach der Rangliste zu richten, da sie nur einmal pro Begegnung ausgetragen werden. Eine komplette Mannschaft besteht aus mindestens vier Herren und zwei Damen. Jeder Spieler darf maximal zwei Spiele pro Begegnung bestreiten. Nach Ausfüllen des Spielberichtsbogens vor der Begegnung ist die Aufstellung unveränderbar. Vorgesehene Auswechselspieler müssen auf dem Bogen eingetragen sein und können nicht während der Begegnung nachgemeldet werden. Muss ein Spiel z. B. wegen Verletzung abgebrochen werden, gilt es als verloren. Allerdings kann eine Mannschaft mit bis zu acht Herren und vier Damen antreten, so dass alle Spieler nur ein Spiel bestreiten. Es ist aus taktischen Gründen gängige Praxis, mehr Spieler einzusetzen als nötig, um auf diese Weise spielstärkere Spieler gezielter einsetzen zu können. Abhängig von den Regeln der einzelnen Landesverbände ist es auch möglich, in den unteren Spielklassen Mannschaftsspiele mit weniger Spielern zu bestreiten (meist max. fünf Herren und drei Damen). Saison Innerhalb der Saison treten alle Mannschaften einer Liga/Klasse in jeweils einem Hin- und Rückspiel gegeneinander an und spielen auf diese Weise Auf- und Absteiger aus. In der höchsten Liga, der 1. Bundesliga (Deutschland, Österreich) bzw. NLA (Schweiz) wird die Meisterschaft ausgespielt. Ranglistenturniere Unabhängig von der Saison werden Ranglistenturniere in allen fünf Disziplinen ausgetragen. Für die nationalen Ranglisten unterschiedlicher Spielstärken qualifiziert man sich durch die Teilnahme in einer Liga höherer Spielstärke oder durch den Erwerb einer entsprechenden Anzahl an Ranglistenpunkten durch erfolgreiche Teilnahme an den Ranglistenturnieren geringerer Spielstärke. In der Badminton-Weltrangliste werden alle Badmintonspieler gelistet, die in den zurückliegenden 12 Monaten an mindestens zwei der von der Badminton World Federation dafür anerkannten, internationalen Turnieren teilgenommen haben. Die für das Ranking ausschlaggebende Punktzahl ergibt sich aus der Platzierung bei diesen Turnieren. Hohe Platzierungen in der Weltrangliste berechtigen zur Teilnahme an den Olympischen Spielen und den Weltmeisterschaften der einzelnen Disziplinen. Spielklassen Die Bezeichnung und Anzahl der Spielklassen, in denen im Badminton Mannschaftswettkämpfe ausgetragen werden, ist abhängig von den Ländern bzw. Landesverbänden. In Deutschland und Österreich heißen die höchsten Spielklassen 1. Bundesliga, in der Schweiz NLA, in den Niederlanden Eredivisie, in Indonesien Indonesian League. Sonstiges Fachjargon Innerhalb der Badmintonszene haben sich zwecks einfacher Verständigung unter Spielern und Trainern zahlreiche Begriffe entwickelt, um badmintonspezifische Sachverhalte zu bezeichnen: Bratpfannengriff Anfänger-Schlägerhaltung, bei der Rückhandschläge fast unmöglich sind, da der Schlägerkopf in einem 90-Grad-Winkel zum Arm steht, statt im üblichen 0-Grad-Winkel. Wird in Ausnahmefällen beim Töten oder Wischen benutzt. Chinasprung Schlag im seitlichen Sprung und Landung nicht im Umsprung, sondern Bein auf Schlaghandseite fängt den Sprung ab. Heben Spiel am Netz: leichtes Anheben des Balles, so dass er ohne zu trudeln so knapp wie möglich über die Netzkante fliegt. IGEA Isoliert gespannte erregte Aktionsbereitschaft: Grundhaltung eines Spielers, in der er den gegnerischen Ball erwarten soll. Pinzettengriff Schläger wird mit den Fingerspitzen gehalten. Bevorzugte Schlägerhaltung beim Spiel am Netz, besonders beim Stechen. Stechen Der Ball wird beim Spiel am Netz mit einer ruckartigen Vorwärtsbewegung ins Trudeln gebracht und dabei so knapp wie möglich über das Netz befördert. Durch das Trudeln ist er für den Gegner nur schwer zu kontrollieren. T (T-Punkt) Sinnbild für die vordere Aufschlaglinie in Verbindung mit der Mittellinie. Der T-Punkt ist der Kreuzungspunkt beider Linien. Ca. eine Schrittlänge dahinter befindet sich die Grundposition (ideale Ausgangsposition zur Erwartung des gegnerischen Balles). Töten Beenden des Ballwechsels durch schnelle, peitschenartige Bewegung des Schlägers vorne am Netz, der Ball wird steil nach unten geschlagen. Wischen Eine Variante des Tötens, bei der man, um das Netz nicht zu berühren, den Ball mit einer schnellen scheibenwischerähnlichen Bewegung trifft. Wissenswertes Badminton kann als eine der Sportarten angesehen werden, die höchste Ansprüche an den Spieler stellt. Um auch auf hohem Niveau siegreich sein zu können, werden ihm nicht nur körperliche Fähigkeiten unterschiedlichster Prägung abverlangt, sondern auch besondere geistige und charakterliche Voraussetzungen. Das in der Badminton-Szene viel zitierte, oft vereinfacht oder unvollständig wiedergegebene Zitat von Martin Knupp, einem Autor vieler Badminton-Lehrbücher, soll dies verdeutlichen: Diese metaphorisch formulierten Ansprüche werden, zumindest was die körperliche Fitness betrifft, durch einen wissenschaftlich nicht bestätigten Vergleich dänischer Sportjournalisten untermauert. Verglichen wurde das Badminton-WM-Finale von 1985 in Calgary zwischen Han Jian (Volksrepublik China) und Morten Frost (Dänemark) mit dem Tennis-Endspiel von Wimbledon im gleichen Jahr zwischen Boris Becker und Kevin Curren. Die Analyse beider Spiele liefert interessante Hinweise auf die Belastung bei beiden Sportarten: Bemerkenswert ist hierbei die Tatsache, dass die Badmintonspieler in weniger als der halben Spieldauer etwa doppelt so viel liefen und etwa doppelt so viele Ballberührungen hatten. Dies ist allerdings vor dem Hintergrund der Tatsache zu sehen, dass Rasentennisspiele wie das hier zum Vergleich herangezogene Wimbledon-Finale in dieser Beziehung für die Sportart Tennis eher untypisch sind. Besonders bei aufschlagstarken Serve-and-Volley-Spielern wie Becker und Curren sind auf diesem Belag die Ballwechsel und damit die Laufwege extrem kurz, und die körperliche Belastung ist entsprechend niedrig. Badminton ist die schnellste Ballsportart gemessen an der Geschwindigkeit, die der Ball nach dem Abschlag erreichen kann. Im August 2013 stellte Tan Boon Heong aus Malaysia einen neuen Weltrekord mit 493 km/h auf. Dieser Rekord ist von Guinness World Records zertifiziert. In keiner anderen Sportart erreichen Bälle eine derart hohe Geschwindigkeit. Varianten In den letzten Jahren haben sich, zum Teil aus kommerziellem Interesse, einige Varianten des Badmintonsports gebildet: Beachminton Beachminton (engl. „beach“: Strand) wurde 1997 erfunden und wird im Sand ausgetragen. Damit das Spiel auch außen, vornehmlich am Strand, ausgetragen werden kann, ist der Spielball im Vergleich zum Badmintonball deutlich weniger windanfällig. Speed Badminton Speed Badminton wurde 2001 vom Berliner Bill Brandes erfunden. Ziel war es, eine Sportart mit Badminton-Elementen zu entwickeln, die im Freien gespielt werden kann. Gespielt wird mit einem Schläger ähnlich dem Squash-Schläger, einem wenig windanfälligen Ball (dem so genannten Speeder) und ohne Netz. Seit dem 1. Januar 2016 heißt die Sportart offiziell Crossminton, um Verwechslungen mit der Speedminton GmbH zu vermeiden. Die beiden Feldhälften liegen 12,8 Meter auseinander; durch andere Flugeigenschaften und anderes Equipment vermischen sich bei Speed Badminton neben Elementen des Badmintons auch Aspekte des Squash und Tennis. Die Speed-Badminton-Bälle sind kleiner, aber dafür massiver als normale Badmintonbälle. Wettkampf-Bälle (sogenannte Match Speeder) können bis zu 290 km/h erreichen. Nächtliches Speed Badminton bzw. in dunkler Umgebung heißt Blackminton. Es gibt eine Blackminton-Variante, bei der die Spieler Leuchtbänder tragen. Eine aufwändigere Variante von Blackminton funktioniert mit UV-Licht-Lampen, bei der das Spielgerät, Feld und Spieler durch die Benutzung von fluoreszierenden Materialien und Farben kenntlich gemacht werden. Bei beiden Blackminton-Varianten werden die dafür verwendeten, speziellen Bälle (Night Speeder) mit so genannten Speedlights, ähnlich Knicklichtern beim Angeln, die in die Ballkappe gedrückt werden, zum Leuchten gebracht. Parabadminton Parabadminton ist eine Variante von Badminton für Menschen mit Körperbehinderung. Je nach Art der Behinderung erfolgt eine Einteilung in Wettkampfklassen, beispielsweise für Menschen mit Rollstuhl oder mit Prothesen. Grundlage des Spiels ist das übliche Badminton-Regelwerk, je nach Spielklasse werden Änderungen wie Herabsetzen der Netzhöhe oder Verkleinern des Felds vorgenommen. Parabadminton ist seit 2011 in die Badminton World Federation integriert und wird 2020 erstmals Teil der Paralympischen Spiele sein. Literatur Wend-Uwe Boeckh-Behrens: Badminton heute. intermedia, Krefeld 1983, ISBN 3-9800795-0-3. Bernd-Volker Brahms: Handbuch Badminton. Meyer & Meyer, Aachen 2009, ISBN 978-3-89899-428-6. Marcus Busch: Badminton Schlagtechnik-Übungen. SMASH, Velbert 2003, ISBN 3-9808183-1-4. Michael Dickhäuser: Badminton Tips & Tricks. Aktiv, Stans 1998, ISBN 3-909191-10-X. Barbara Engel: Badminton-Handbuch – Grundlagentraining mit Kindern. Nürtingen 1992, ISBN 3-928308-01-7. Klaus Fuchs, Lars Sologub: Badminton. Technik. Taktik. Training. Falken, Niedernhausen 1996, ISBN 3-8068-0699-3. Martin Knupp: Badminton-Praxis. Rowohlt, Reinbek 1989, ISBN 3-499-18629-2. Martin Knupp: Badminton verständlich gemacht. Copress, München 1993, ISBN 3-7679-0392-X. Martin Knupp: 1011 Spiel- und Übungsformen im Badminton. Hofmann, Schorndorf 1996 (6. Aufl.), ISBN 3-7780-6316-2. Hans Werner Niesner, Jürgen H. Ranzmayer: Badminton – Training, Technik, Taktik. Rowohlt, Reinbek 1985, ISBN 3-499-17042-6. Detlef Poste, Holger Hasse: Badminton Schlagtechnik. SMASH, Velbert 2002, ISBN 3-9808183-0-6. Weblinks Kroton.de – Badminton Ergebnisdienst (DBV-Bundesligen, DBV-Gruppen und 8 Landesverbände) Badminton Online-Magazin – News, Training, Interviews Verbände Badminton World Federation – Seite des Welt-Badminton-Verbandes Badminton Europe – Seite des europäischen Dachverbandes badminton.de – Seite des Deutschen Badminton-Verbands e. V. badminton.at – Seite des Österreichischen Badminton-Verbandes swiss-badminton.ch – Seite des Schweizerischen Badminton-Verbandes Regelwerke und Trainingstipps Neue Regeln, gültig ab 1. August 2006 (PDF) – Aktualisierte Badminton-Spielregeln (211 kB) Spielregeln des DBV Kurzübersicht Rallypoint-Zählweise (PDF; 200 kB) badminton.de – Inoffizielle Erläuterungen zur neuen Rallypoint-Zählweise im Badminton Badminton-Übungen – Übungen zum Badmintontraining Badminton-Tricks – Training, Technik und Regeln Quellen Rückschlagspiel Olympische Sportart
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493.075211
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pigmente
Pigmente
Pigmente (lateinisch pigmentum für „Farbe“, „Schminke“) sind Farbmittel, also farbgebende Substanzen. Im Gegensatz zu Farbstoffen sind sie im Anwendungsmedium praktisch unlöslich und liegen dort als Feststoff-Teilchen vor. Das Anwendungsmedium umschließt die Pigmente im Regelfall an allen Seiten. Verwendet werden meist Bindemittel wie Öle, Wachse oder Kunststoffe. In der Biologie werden alle farbgebenden Substanzen eines Organismus als Pigmente bezeichnet. Manche Farbstoffe lassen sich durch Zugabe von Fällungsmitteln in unlösliche Pigmente umwandeln, siehe Verlackung. Pigmente können nach ihrer chemischen Struktur (mineralisch bzw. anorganisch oder organisch), nach ihren optischen Eigenschaften (Farbigkeit und gegebenenfalls optische Interferenzeffekte) und nach ihren technischen Eigenschaften (Korrosionsschutz, Magnetismus) unterschieden werden. Der Farbreiz entsteht durch Absorption und Remission (Streuung oder Reflexion) bestimmter Frequenzanteile des sichtbaren Lichts. Maßgeblich für die Eigenschaften der Pigmente sind Festkörpereigenschaften wie Kristallstruktur, Kristallmodifikation, Teilchengröße und Teilchengrößenverteilung, letztere durch die spezifische Oberfläche. Pigmente werden in Ölfarben, Lacken, Dispersionsfarben, Druckfarben und Buntstiften verwendet, als Streichpigment (Weißpigmente) und Füllstoff bei der Papierherstellung sowie bei der Einfärbung von Textilien, Kunststoffen, Kosmetika und Kerzen. Geschichte Belege für die Verwendung von Erdfarben reichen weit in die Prähistorie zurück. Bei Fels- und Höhlenmalereien wurden vorwiegend Eisenoxidpigmente wie Ocker verwendet. Es ist davon auszugehen, dass diese seit der Frühzeit der Menschheit der Körperbemalung dienten. Neben weißer Kreide (Calciumcarbonat CaCO3) wurden häufig natürliche Pigmente mit ockergelben und rostroten bis braunen Farbtonabstufungen verwendet. Wichtige anorganische Farbmittel der Frühzeit waren Rötel (eine rote bis gelbliche Mischung aus Hämatit und Ton) und Braunstein. Seltener kommen grünliche Erden vor, ebenso schwarze Mineralien. Mit der Beherrschung des Feuers standen prähistorischen Malern schwarze Holz- oder Tierkohle (Beinschwarz) und ziegelrot gebrannter Ocker zur Verfügung. In Keramiken der Antike fanden sich Schwarzpigmente (Eisenoxidschwarz, Manganschwarz), die aus Tonen und Ockern im Keramikbrand bei Temperaturen um 1000 °C entstanden. Große Bedeutung hatte Kohlenstoffschwarz, das über Rauchungsverfahren auf den keramischen Gefäßkörpern abgeschieden wurde. Rotpigmente beruhen vorrangig auf den Eisenoxidroten, durch Brennen von Ockern oder eisenhaltigen Tonen gewonnen. Kolloiddisperses Kupfer, das beim reduzierenden Brennen aus basischen Kupfercarbonaten (Malachit, Azurit) entstand, war für Rottöne geeignet. Als Weißpigment stand neben Calciumcarbonat das Kaolinit zur Verfügung. Pigmente für Wand-, Stein- und Holzbemalung basieren ebenfalls auf Ockern und Tonen (Schwarz- und Rotpigmente). Grünpigmente beruhten auf Kupferverbindungen, wie etwa basisches Kupfercarbonat (Malachit und Azurit) und Kupferhydroxychloriden (Atakamit), die durch Eintauchen von Kupferblechen in Salzlösungen entstanden. Wegen des klaren Farbtons war das „Ägyptisch Blau“, ein Kupfercalciumsilikat, begehrt, das vermutlich durch Schmelzen von basischem Kupfercarbonat, Calciumcarbonat, Natron (Natriumhydrogencarbonat) und Quarzsand hergestellt wurde. Ebenfalls schon lange als blaues Pigment war das Cobaltaluminatblau eingesetzt, das erst 1804 als Thénards Blau wiederentdeckt wurde. In der späteren Malerei war lange Zeit Bleiweiß [Pb(OH)2 · 2 PbCO3] das einzig verfügbare weiße Pigment. Ab Anfang des 19. Jahrhunderts wurde dieses wegen seiner Toxizität durch Zinkweiß (ZnO) ersetzt. Heutzutage wird fast ausschließlich das erst im 20. Jahrhundert entwickelte Titanweiß (TiO2) verwendet. Einer der teuersten Farbtöne war bis zum 18. Jahrhundert Blau, für das es zuvor neben den synthetisch hergestellten Smaltepigmenten nur den seltenen Schmuckstein Lapislazuli als Rohstoff gab, letzterer ergibt nach einem arbeitsintensiven Prozess das Ultramarinblau. Das erste industriell hergestellte anorganische Pigment war Berliner Blau im Jahr 1704. Das erste organische Pigment, Pararot, C.I. Pigment Red 1, ein Azopigment der β-Naphthol-Gruppe folgte im Jahr 1885. Kupferphthalocyanin folgte 1935 und Chinacridon 1955. Die im Jahr 1986 entdeckte chemische Gruppe Diketo-Pyrrolo-Pyrrol, mit dem bekanntesten Vertreter „Ferrari-Rot“, war der letzte Pigmenttyp, der nennenswerte Marktanteile gewinnen konnte. Pigmente werden in vielen Branchen eingesetzt: Farben, Lacke, Druckfarben und Kunststoffe, sowie Kosmetik, Papier, Baumaterialien, Keramik und Glas. In der Textilindustrie werden lösliche Farbstoffe zunehmend durch Pigmente, dort als Dispersionsfarbstoffe bezeichnet, ersetzt. Im Jahr 2006 erreichte der weltweite Markt für anorganische, organische und Spezialpigmente ein Volumen von rund 7,4 Millionen Tonnen. Den mengenmäßig größten Anteil hat Asien vor Europa und Nordamerika. Dabei wurde ein Umsatz von rund 17,6 Milliarden US-Dollar (etwa 13 Milliarden Euro) erzielt. Im Jahr 2009 wurden weltweit Pigmente für rund 20,5 Milliarden US-Dollar verkauft, ca. 1,5 % – 2 % mehr als im Jahr zuvor. 2010 wird der Umsatz rund 24,5 Milliarden und 2018 rund 27,5 Milliarden US-Dollar erreichen. Verarbeitung Pigmente entstehen typischerweise in Form der Primärteilchen. Die Primärteilchen können über ihre Flächen zu Aggregaten zusammenwachsen. Von Agglomeraten spricht man, wenn Primärteilchen und/oder Aggregate über ihre Ecken/Kanten verbunden sind. Durch den Dispergierprozess (Dispergierung) beim Einarbeiten der Pigmente in ein Anwendungsmedium werden die Pigment-Agglomerate zerkleinert. Es entstehen kleinere Agglomerate, Aggregate und Primärteilchen. Diese werden, so vorhanden, durch ein Dispergiermedium benetzt. Dabei werden sie idealerweise statistisch über das Anwendungsmedium verteilt. In fester Form kann das Pigment pur eingesetzt werden (Primärpigment), als festes Gemisch zweier oder mehrerer Pigmente oder als Gemisch mit einem oder mehreren Füllstoffen. Durch die Mischung mit Füllstoffen wird die Farbstärke reduziert, wodurch geringe Einsatzmengen besser dosiert werden können. Diese Möglichkeit findet bei Pulverlacken Verwendung. Durch räumliche Nähe wirken primäre Pigmente intensiver (Simultankontrast). Bei flüssigen Lacken werden häufig (vorbereitete) Pigmentpräparationen eingesetzt, die entweder Bindemittel enthalten oder bindemittelfrei sind. Diese Pigmentpräparationen sind wie der Lack selbst formuliert, vordispergiert enthalten sie hohe Pigmentkonzentrationen je nach Einsatzgebiet in Additive, Lösemittel, Wasser oder Bindemittel. Vorteil von Pigmentpräparationen ist die einfache und exakte Einarbeitung, da das Pigment bereits dispergiert und standardisiert vorliegt. Nachteilig können Additive wirken, da die Pigmentpräparation unter Umständen nicht mehr mit allen Lacksystemen kompatibel ist. Als Tönsystem (englisch Tinting system) wird die Kombination aus mehreren (meist 12–20) Pigmentpräparationen, einer automatischen Dosieranlage und einer Rezeptiersoftware bezeichnet. Diese Methode findet bei Bautenfarben Verwendung. Pigmentpräparationen können als Mischung mit anderen Pigmenten oder Füllstoffen vorliegen. Neben den häufig eingesetzten flüssigen Pigmentpräparationen sind granulierte, mit leicht löslichen Bindemitteln hergestellte Präparationen erhältlich, wenn in der Lackformulierung zusätzliche Lösemittel unerwünscht sind. Eine dritte, vor allem in der Kunststoffindustrie weit verbreitete, Möglichkeit besteht in der Verwendung von festen oder flüssigen Pigmentpräparationen, den Masterbatches oder Flüssigfarben. Bei der Masterbatchherstellung werden die Pigmente bei erhöhter Verarbeitungstemperatur in eine Bindemittelmatrix einextrudiert oder geknetet. Nach dem Abkühlen werden die wieder festen Masterbatches meist granuliert, so dass sie bei der Einarbeitung in den Kunststoff exaktere und reproduzierbarere Farbtöne erzeugen. Masterbatches können je nach gewünschtem Effekt mehrere Pigmente oder Füllstoffe enthalten. Die Herstellung von flüssigen Pigmentpräparationen erfolgt bei Raumtemperatur batchweise. Die Rezepturkomponenten werden hierzu in ein vorher für die jeweilige Anwendung ausgewähltes Bindemittel verteilt und anschließend dispergiert. Dabei ist ein möglichst optimales Aufbrechen von Agglomeraten entscheidend, um eine hohe Effektivität der Farbkonzentrate und / oder der funktionellen Prozessadditive zu gewährleisten. Hier kommen meist Dissolver, Perlmühlen und Walzenmühlen zum Einsatz. Nomenklatur Pigmente werden üblicherweise mit Trivialnamen, Handelsnamen oder Bezeichnungen aus dem Colour Index (C.I. Generic Name) benannt, da systematische Nomenklaturen gemäß IUPAC (International Union of Pure and Applied Chemistry) oder nach CAS (Chemical Abstracts Service) zu unhandlichen und komplizierten Namen führen. Ein Beispiel Trivialname: Brillantgelb Handelsnamen: Aureolin, Benzimidazolon-Gelb Geschützter Handelsname: Hostaperm (TM) Yellow H4G C. I. Generic Name: C. I. Pigment Yellow 151 IUPAC Name: 2-[[1-[[(2,3-Dihydro-2-oxo-1H-benzimidazol-5-yl)amino]carbonyl]-2-oxopropyl]azo]-benzoesäure CAS index name: Benzoic acid, 2-[[1-[[(2,3-dihydro-2-oxo-1H-benzimidazol-5-yl)amino]carbonyl]-2-oxopropyl]azo]- Einteilung nach Eigenschaften Pigmente mit gemeinsamen Eigenschaften werden zu Gruppen zusammengefasst, die je nach Einsatzzweck zu unterschiedlichen Gliederungen führt. Die DIN 55943 unterteilt Farbmittel zunächst in organische und anorganische Farbmittel. Jede der beiden Gruppen wird in Farbstoffe und Pigmente eingeteilt. In der nächsten Ebene folgt die Einteilung nach der optischen Wirkung. Es wird unterschieden zwischen Weißpigmenten, Buntpigmenten und -farbstoffen, Schwarzpigmenten und -farbstoffen, Effektpigmenten sowie Leuchtpigmenten und -farbstoffen. Die Gruppen Weißfarbstoffe und Effektfarbstoffe sind physikalisch nicht möglich, da die Wirkung als Pigment ausschließlich auf Streuung (Weißpigmente) beziehungsweise Reflexion (Effektpigmente) beruht. Dies setzt eine Grenzfläche voraus, die die gelösten Farbstoffe nicht besitzen. Die anorganischen Farbmittel werden nicht weiter unterteilt, da es sich um eine Norm aus dem Lackbereich handelt und dort keine anorganischen Farbmittel verwendet werden. Eine nach Farbton geordnete Aufzählung einzelner Pigmente ist unter Liste der Pigmente angegeben. Anorganische Pigmente Einteilung in natürliche und synthetisch hergestellte Pigmente Bei den anorganischen Pigmenten wird zwischen natürlichen und synthetisch hergestellten Pigmenten unterschieden. Zur ersten Gruppe gehören Erden und Mineralien (Erdfarben, Mineralweiß), die zu ihrer Anwendung keiner oder nur einer mechanischen Aufbereitung (zumeist Trocknen und Mahlen) bedürfen. Zur zweiten Gruppe gehören anorganische Pigmente wie etwa Metalleffektpigmente, Ruß, Weißpigmente, Eisenoxidpigmente oder Zirkonsilikate, also Syntheseprodukte aus unterschiedlichen Herstellungsverfahren. Industriell werden aufgrund der stabileren Qualität und der höheren Reinheit synthetische anorganische Pigmente hergestellt. Nicht in jedem Fall ist es nötig die Einteilung zu wählen oder lässt sich am Material feststellen, ob es natürlicher oder künstlicher Herkunft ist. Solche Unterteilung ist bei eisenoxidhaltige Farbschichten der prähistorischen Malerei schwierig. Die Angabe Zinnober, die rote Modifikation des Quecksilbersulfids, gibt keine Auskunft über einen natürlichen Ursprung aus. Zudem war „zinnober“ im Altertum ein Synonym für jegliches Rot und gleichbedeutend mit der Mennige, dem Minium. Die Untergliederung der anorganischen Pigmente in natürliche und künstliche kam erst in den 1940er Jahren auf und besagt nichts über die chemische Struktur. Einteilung nach chemischen Klassen Chemisch können die industriell wichtigsten Pigmente in acht Stoffklassen eingeteilt werden. Im Einzelnen sind dies Titandioxid, Ruß, Bismutpigmente, Oxide und Hydroxide, Eisencyanblau, Ultramarin, Cadmiumpigmente und Chromatpigmente. Die Gruppe der Oxide und Hydroxide wird weiter unterteilt in Eisenoxidpigmente, Chromoxid und Mischphasenoxidpigmente wie Rinmans Grün, (letztere mit den Untergruppen Spinellpigmente, Hämatitpigmente, Inverse Spinellpigmente und Rutilderivate). Die Gruppe der Chromatpigmente unterteilt sich weiter in Chromgelb, Chromgrün und Molybdate. Ruß nimmt hierbei eine Sonderstellung ein. Ruß ist per Definition anorganisch. Er wird aufgrund der geringen Partikelgröße und der daraus resultierenden anwendungstechnischen Eigenschaften oft als organisches Pigment eingeordnet. Eigenschaften Die meisten anorganischen Pigmente zeichnen sich dadurch aus, dass sie mit dem Sauerstoff der Luft nicht chemisch reagieren, daher äußerst resistent gegen Alterung sind und ihren Farbton praktisch beliebig lange beibehalten, wobei diese jedoch durch die Alterung eines organischen Malmittels, wie etwa Öl, mit der Zeit beeinträchtigt werden kann. Ihre hohe Hitzebeständigkeit macht den Einsatz in der Porzellanmalerei möglich. Hier können nur anorganische Pigmente eingesetzt werden, da organische Pigmente nicht temperaturstabil sind und beim Brennen zerstört werden. In der industriellen Anwendung ist eine hohe Hitzebeständigkeit für Kunststoffeinfärbung, Pulverlacke oder Coil Coating wichtig, wobei wegen tieferer Temperaturen hitzebeständige organische Pigmente eingesetzt werden können. Frühere, heutzutage zumindest in Europa nur noch selten verwendete Pigmente wie Cadmiumsulfid, Bleichromat oder Molybdatrot sind gesundheitlich bedenklich, da es sich um Schwermetallverbindungen handelt. Der Farbton anorganischer Buntpigmente wird häufig als trüb im Vergleich zu organischen Pigmenten beschrieben. Für Pigmente wie die Eisenoxidpigmente oder Chromoxidgrün trifft dies uneingeschränkt zu, dennoch existieren einige anorganische Pigmente mit einem reinen Farbton. Von den industriell eingesetzten Pigmenten ist dies im Wesentlichen Bismutvanadat, und die in Verruf geratenen Pigmente Cadmiumsulfid, Bleichromat oder Molybdatrot zeigen einen brillanten Farbton bei gleichzeitig gutem Deckvermögen. Dazu kommen vergleichsweise selten eingesetzte Pigmente wie Kobaltblau oder Ultramarin. Industrielle Verwendung Wegen ihrer industriellen Bedeutung und Verbreitung nehmen die Weißpigmente eine Sonderstellung ein. Alleine in der Papierindustrie werden in Europa weit über 10 Millionen Tonnen pro Jahr verwendet, wobei die Weißminerale mit Calciumcarbonat mit Abstand den größten Anteil haben. Im Lackbereich ist Weiß von überragender Bedeutung. In Dispersionsfarben ist es die Basisfarbe für Tönsysteme und darüber hinaus der Hauptfarbton. Nach Wert und Produktionsmenge mit etwa 60 % aller Pigmente hat Titandioxid den weitaus größten Anteil. Weltweit wurden 2006 nahezu 4,5 Millionen Tonnen Titandioxid verbraucht. Diese Position hat das Weißpigment im Laufe der 1960er Jahre erreicht. Titanweiß verdrängte auf Grund seiner Echtheiten das Bleiweiß, dazu kommt ein starker Anstieg der Gesamteinsatzmenge in den Industriestaaten. Die leicht zugänglichen Eisenoxidpigmente folgen dem Wert nach mit 8 % und nach Produktionsmenge mit 22 % auf Rang 2 der Weltpigmentproduktion, gefolgt von Ruß mit wertmäßig 9 % und 4 % der Menge. Die anderen anorganischen und organischen Pigmente teilen sich in die verbleibende Menge. Durch das wesentlich höhere Preisniveau erreichen diese jedoch fast 30 % nach Wert. Unter den weiteren anorganischen Pigmenten sind vor allem Chrom(III)-oxid, Ultramarin, Bismutvanadat, Zirkonsilikate und die Gruppe der Mischphasenoxidpigmente bedeutsam. Calciumcarbonat wird auf Grund seines Brechungsindex vorzugsweise in der Lackindustrie nicht als Pigment, sondern als Füllstoff eingesetzt. Organische Pigmente Natürliche organische Pigmente Organische Pigmente kommen in der Natur als „Tier-“ oder „Pflanzenfarben“ vor. Einige solcher Pigmente lassen sich einfach herstellen. Rebschwarz ist ein unvollständig verbranntes Weinholz. Manche historisch wichtige Pigmente, wie das farbkräftige Indischgelb aus Urin von Kühen, verloren ihre Exklusivität durch die breite Palette von synthetischen Pigmenten. Die lösliche, nahezu farblose Leukoform von Indigo, das Leukoindigo oder Indigoweiß wird durch Oxidation mit Luftsauerstoff zum farbigen unlöslichen Pigment Indigo. Synthetische organische Pigmente Synthetische organische Pigmente werden nach ihrem chemischen Aufbau unterteilt. Die vielfältigste und zugleich größte Gruppe sind die Azopigmente. Diese Pigmente machen über 50 % der verkauften Menge organischer Pigmente aus. Die andere Gruppe wird zu den Polycyclischen Pigmenten oder umgangssprachlich Nichtazopigmenten zusammengefasst. Azopigmente Azopigmente sind Pigmente, deren Eigenschaft als Chromophor im Wesentlichen durch die Delokalisierung von Elektronen ausgehend von einer Azogruppe (-N=N-) ausgeht. Azopigmente sind also Pigmente, die mindestens eine Azo-Gruppe enthalten. Die Azopigmente werden weiter in Klassen unterteilt, deren Chemie eine grobe Aussage über die Echtheit der Pigmente erlaubt. Die tatsächliche Echtheit hängt im Wesentlichen von den verwendeten Substituenten sowie von der Partikelgröße ab. Es wird nach der Anzahl der enthaltenen Azo-Bindungen zwischen Monoazo- und Disazopigmenten unterschieden. Weiter wird nach den jeweiligen Substituenten unterschieden. Zu den Monoazopigmenten gehören die einfachen Monoazopigmente, wie die β-Naphthol-Pigmente sowie die Naphthol-AS-Pigmente und die verlackten Azofarbstoffe. Einige der wichtigsten eingesetzten organischen Pigmente gehören dieser Gruppe an, gleichzeitig ist es die älteste industriell verfügbare Gruppe. Beispiele sind die Arylidgelb-Pigmente C.I. Pigment Yellow 1, 3 und 74, C.I. Pigment Orange 5 oder C.I. Pigment Red 112. Ein Sonderfall sind die Benzimidazolonpigmente, die ihrerseits Monoazopigmente sind und polycyclische Substituenten besitzen. Diese führen zu einer sehr guten Wetterechtheit, so dass diese Pigmente die höchsten Echtheiten innerhalb der Azopigmente erreichen. Beispiele sind C.I. Pigment Yellow 154 oder C.I. Pigment Orange 36. Zu den Disazopigmenten gehören die Diarylgelb-Pigmente (C.I. Pigment Yellow 83), die Disazo-Kondensationspigmente (C.I. Pigment Yellow 128) oder die Acetessigsäureanilid-Pigmente (C.I. Pigment Yellow 155). Azo-Metallkomplex-Pigmente sind ein Sonderfall, da sie streng genommen keine echte Azo-Gruppe enthalten. Verlackte Pigmente, also mit Metallen in Salze überführte, ursprünglich lösliche Farbstoffe, finden in der Textilfärberei Anwendung. Farblacken bedeutet, dass lösliche Farbstoffe als (Färbemittel) auf der Faser durch Umsetzung mit Metallsalzen oder Tannin fixiert werden. Polycyclische Pigmente Polycyclische Pigmente sind Verbindungen, deren Eigenschaft als Chromophor durch eine Delokalisation von Elektronen über ein mehr oder weniger ausgedehntes Ringsystem erzeugt wird. Den Hauptanteil der polycyclischen Pigmente stellen die Kupferphthalocyaninpigmente, die etwa die Hälfte der polycyclischen Pigmente ausmachen. Die wichtigsten Vertreter dieser Gruppe sind die verschiedenen Typen des Phthalocyaninblaus sowie die halogenierten Typen (Phthalocyaningrün). Weitere wichtige polycyclische Pigmentklassen sind Chinacridone, Diketopyrrolopyrrol-Pigmente, Dioxazine, Perylene, Isoindoline und Inthanthrone. Weitere Gruppen Neben diesen beiden Substanzgruppen existieren noch eine Reihe organischer Pigmente unterschiedlicher Zusammensetzung. Sie besitzen oft einen speziellen Anwendungsbereich. Aus ökonomischen Überlegungen oder Anforderungen an die Echtheit ist oft nur eine chemische Verbindung dieser Struktur als Pigment geeignet. Vertreter dieser Gruppe sind verlackte Farbstoffe, die als Salze von Schwermetallen ihre Löslichkeit verloren haben und somit Pigmente sind. Eigenschaften Organische Pigmente unterscheiden sich von anorganischen Pigmenten meist durch die höhere Farbstärke, das geringere Deckvermögen, höhere Buntheit (Chroma) und geringere Wetterechtheit. Zudem sind organische Pigmente häufig teurer. Organische Pigmente sind nachbehandelt, um bestimmte anwendungstechnische Eigenschaften wie Dispergierbarkeit oder Deckvermögen zu verbessern. Durch die Nachbehandlung wird zudem die Partikelgröße eingestellt, die verantwortlich für Echtheitsniveau, Farbstärke und die Feineinstellung der Koloristik ist. Toxikologie Hinsichtlich der Toxikologie von organischen Pigmenten gilt allgemein, dass diese Pigmente für sich genommen aufgrund ihrer geringen Löslichkeit physiologisch praktisch inert sind. Gesundheitliche Bedenken ergeben sich als Feinstaub. Organische Pigmente gelten als biologisch praktisch nicht abbaubar. Da Pigmente im Zwischen- oder Endprodukt unter Verwendung von Dispergiermitteln, Bindemitteln, Lösemitteln oder dergleichen eingesetzt werden, ist gegebenenfalls die toxikologische Wirkung dieser Stoffe zu prüfen. Toxikologisch bedenklich können Abbauprodukte von Pigmenten sein, die beim Bestrahlen mit Laserlicht auftreten, beispielsweise bei der Entfernung von Pigmenten aus Tätowierungen. Bei der Spaltung des Tätowierungspigments C.I. Pigment Red 22 (CAS-Nr. ) durch Laserlicht wurde das giftige und krebserregende 2-Methyl-5-nitroanilin nachgewiesen, bei der Bestrahlung von Kupferphthalocyanin entsteht Blausäure. Abgrenzung Säure-Base-Indikatoren zählen nicht zu den Pigmenten: Es sind Farbstoffe, deren Farbe sich mit dem pH-Wert der Lösung ändert Substratfarben bestehen aus einer farbtongebenden Komponente und einem mehr oder weniger farblosen Pigment, dem Substrat. Beide Komponenten werden in einem Umwandlungsprozess wasser- und bindemittelunlöslich aneinander gebunden. In der Antike und im Mittelalter wurden meist Pflanzenfarbstoffe (Färberpflanze) auf ein weißes Substrat wie Kreide oder Bleiweiß aufgezogen; dabei wurden Beizstoffe wie Alaun und Soda zugesetzt, die die Verbindung zwischen Farbstoff und Substrat verbesserten. Verlackte Pigmente Verlackte Pigmente bestehen aus organischen und anorganischen Substanzen, wobei in der Regel organische Farbstoffe auf eine anorganische Matrix aufgebracht wird. Demnach sind die verlackten Pigmente nicht mehr unter Zersetzung löslich, da die Farbstoff-Moleküle fest in der Matrix verankert sind und vor Lösungsmitteln weitreichend abgeschirmt sind. Maya-Pigmente Die wohl bedeutendsten verlackten Pigmente stellen die Gruppe der Maya-Pigmente dar, wobei unter ihnen das Maya-Blau das bekannteste und älteste Pigment ist. Sie werden aus einem Schichtsilikat (in der Regel Palygorskit) und einem Farbstoff hergestellt, wobei durch gezielte Temperatureinwirkung die Farbstoffmoleküle in das Silikat-Gitter hineinrutschen und dort über Wechselwirkungen extrem stark gebunden sind. Maya-Blau ist gegenüber chemischen und physikalischen Einwirkungen sehr standhaft. Diese Gruppe der Pigmente erzielen zunehmend Beliebtheit bei Künstlern und Restauratoren, da sie verhältnismäßig günstig sind, vielfältig für Malmethoden geeignet sind und zudem stark lichtecht sind. Effektpigmente Metalleffektpigmente Messing und Aluminium sind die wichtigsten Pigmente zur Erzeugung eines Metall-Effektes. Farben erhalten durch Messingpartikel einen goldenen Anschein, während Aluminium in passender Plättchen-Form einen silbrigen erzeugt. Früher gebräuchliche Bezeichnungen sind Silberbronze für Aluminiumpigmente und je nach Farbton und Legierung Goldbronze, Bleichgold, Reichbleichgold und Reichgold für Messingpigmente. Der optische Eindruck ist winkelabhängig. In der Draufsicht (nahezu lotrecht) ist das heller erscheinende Metalleffektpigment zu sehen, während unter einem flachen Winkel der meist dunkel eingestellte Basisfarbton hervortritt. Dieser Effekt durch die plättchenförmige Form der Teilchen wird als Flop bezeichnet. Aluminiumplättchen in pigmentgeeigneter Partikelgröße ergeben Silberglanz, nahezu kugelige Teilchen gleicher Teilchengröße bilden eine einheitlich graue Oberfläche. Da unbehandelte Aluminiumpigmente insbesondere in wässrigen Systemen und unter Bewitterungseinfluss nur mäßig stabil sind, wurden oberflächenbehandelte Marken entwickelt, die diesen Nachteil ausgleichen. Die Farbtiefe steht mit der Korngröße in Beziehung. Das genaue Erscheinungsbild des Pigmentes wird im Wesentlichen von der Teilchengröße und der Regelmäßigkeit der Teilchenform bestimmt. Grobe Partikel erzeugen dabei einen glitzernden Eindruck, der als Sparkle bezeichnet wird. Feinteilige Partikel erzeugen einen sanfteren Flop, also einen weicheren Übergang bei Änderung des Betrachtungswinkels. Zur Erzielung des gewünschten Effekts werden oft beide Typen zugleich verwendet. Perlglanzpigmente Diese Pigmente werden als Interferenzpigmente bezeichnet. Sie bestehen aus plättchenförmigen Trägersubstraten mit niedrigem Brechungsindex, meist natürlicher Glimmer, Siliciumdioxid oder sehr dünnen Glasplättchen, die mit einer oder mehreren äußerst dünnen und sehr gleichmäßigen Oxidschichten mit hohem Brechungsindex beschichtet werden. Bevorzugt werden Titandioxid, Eisen(III)-oxid oder Zirkoniumdioxid, zudem kommen deren Mischoxide zum Einsatz. Als Beschichtungsverfahren werden im Wesentlichen Sol-Gel-, CVD oder PVD-Verfahren eingesetzt. Die erzeugten Schichtstärken liegen im Bereich von 100 nm. Bei der Herstellung ist eine präzise Kontrolle der Beschichtungsstärke (auf ± 3 nm) und deren Homogenität entscheidend. Durch die Wahl der Beschichtungparameter, vorrangig Brechungsindex, Schichtstärke und Schichtfolge, können durch den Effekt der Interferenz nahezu beliebige Farben und Farbtöne realisiert werden. Unter bestimmten Bedingungen können blickwinkelabhängige Farb-Flop-Farben erzeugt werden, bei denen sich je nach Betrachtungswinkel des Beobachters der Farbton ändert. Einige Perlglanzpigmente (zum Beispiel Bismutchloridoxid) sind gesundheitlich unbedenklich und von der FDA in den USA zum Einfärben von Lebensmitteln zugelassen. Leuchtpigmente Leuchtpigmente sind einerseits farbkräftige Fluoreszenzpigmente für Tagesleuchtfarben („Neonfarben“) und anderseits nachleuchtende phosphoreszierende Stoffe. Sie werden in Leuchtfärbemitteln eingesetzt. Üblicherweise bestehen Fluoreszenzpigmente aus in eine Matrix eingearbeiteten Fluoreszenzfarbstoffen, die dadurch Pigmenteigenschaften erhalten. Als Nachleuchtpigmente werden dotierte anorganische Stoffe mit Phosphoreszenz genutzt. Verbreitet sind die grünen Leuchtpigmente auf Zinksulfidbasis mit denen Fluchtwege markiert werden. Die radioaktiven Leuchtmittel werden nicht zu den Pigmenten gezählt, obwohl sie unlöslich sind. Es sind Selbstleuchter deren Abstrahlung nicht durch UV- oder Tageslicht, sondern durch radioaktive Anregung erfolgt. Normen EN ISO 4618 Beschichtungsstoffe: Begriffe DIN 55943 Farbmittel: Begriffe DIN 55944 Farbmittel: Einteilung nach koloristischen und chemischen Gesichtspunkten Literatur G. Pfaff: Inorganic Pigments, Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 2017, ISBN 978-3-11-048450-2. G. Buxbaum, G. Pfaff (Hrsg.): Industrial Inorganic Pigments. 3. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim 2005. DIN Deutsches Institut für Normung e.V. (Hrsg.): DIN-Taschenbuch 157: Farbmittel 2. Pigmente, Füllstoffe, Farbstoffe. Beuth Verlag GmbH, Berlin/Wien/Zürich 1997, 3. Auflage. W. Herbst, K. Hunger: Industrial Organic Pigments – Production, Properties, Applications. 3. Auflage, Wiley-VCH, Weinheim 2004. Ingo Klöckl: Chemie der Farbmittel in der Malerei. de Gruyter, Berlin 2015, ISBN 978-3-11-037453-7. Nicholas Estavaugh, Valentine Walsh, Tracey Chaplin, Ruth Siddall, Pigment Compendium. A Dictionary and Optical Microscopy of Historical Pigments, Routledge, London and New York 2008. Karin Lutzenberger: Künstlerfarben im Wandel – Synthetische organische Pigmente des 20. Jahrhunderts und Möglichkeiten ihrer zerstörungsarmen, analytischen Identifizierung, Herbert Utz Verlag, München 2009, ISBN 978-3-8316-0903-1. Gerhard Pfaff: Perlglanzpigmente. Chemie in unserer Zeit, VCH Verlagsgesellschaft mbH, Januar 1997. H. Smith (Hrsg.): High Performance Pigments. Wiley-VCH, Weinheim 2002. Temple C. Patton (Hrsg.): Pigment Handbook in 3 Bänden. Wiley-Interscience, New York London Sydney Toronto 1993. Kurt Wehlte: Werkstoffe und Techniken der Malerei. Otto Maier Verlag, Ravensburg 1967, ISBN 3-473-48359-1. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Rockabilly
Rockabilly
Der Rockabilly ist eine der Spielarten des Rock ’n’ Roll. Sie entwickelte sich bis Mitte der 1950er Jahre, als junge, hauptsächlich weiße Musiker in den amerikanischen Südstaaten den schwarzen Rhythm & Blues auf ihre Art und mit den ihnen vertrauten Instrumenten neu interpretierten und mit Country-Musik vermischten. Da der Boom dieser Musik, die zunächst keinen einheitlichen Namen hatte und zuweilen einfach unter Pop, Country oder Rhythm and Blues eingeordnet wurde, nicht über die Grenzen der Südstaaten hinausging, versuchten einige Interpreten etwa ab 1956, den ländlichen Unterton dieses Stils abzuschütteln, um auch überregional Erfolg zu haben. Der Begriff Rockabilly setzte sich nur allmählich durch, denn die Assoziation mit Hillbilly („Landei“, „Hinterwäldler“) betonte das Provinzielle, Ländliche dieser Musik. Populär und einem breiten Publikum bekannt wurde der Begriff erst im Zuge des Rockabilly-Revivals Anfang der 1980er Jahre. Geschichte Anfänge Im Zentrum der Entwicklung des Rockabilly stand das kleine Label Sun Records in Memphis, Tennessee. Gründer Sam Phillips war ein Bluegrassmusiker mit Affinität zum Rhythm & Blues, damals „Race Music“ genannt, der Musik der schwarzen Unterschicht. Eines der Zentren dieser Musik lag damals direkt in Memphis, nämlich in der berüchtigten Beale Street, wo neben den heißesten schwarzen Bluesclubs auch Prostitution, Glücksspiel und Karnevalsumzüge mit Voodooelementen zuhause waren. Phillips hatte sich schon Anfang der 1950er Jahre einen Namen in der R&B-Szene gemacht, indem er Big Joe Turner produzierte und auf diese Weise mithalf, den Beale-Street-Blues aus der Taufe zu heben und die schwarze Musik einem breiten, weißen Publikum zugänglich zu machen. Sein Label hatte sowohl weiße als auch schwarze Musiker unter Vertrag, was Anfang der 1950er Jahre äußerst ungewöhnlich war, denn damals herrschte im gesamten Süden eine derart restriktive Rassentrennung, dass man von zwei parallelen, fast hermetisch geschlossenen Musikwelten sprechen kann, die jeweils ihre eigenen Clubs, Labels, Plattenläden und Radiostationen unterhielten. In der weißen Mittelschicht brodelte schon seit Ende der 1940er Jahre eine Jugend-Protestkultur, die sich zunächst über „weiche Drogen“ und über die Literatur der Beat Generation definierte. Auch Bücher wie das 1951 erschienene Der Fänger im Roggen erlangten Kultstatus bei den Jugendlichen, weil sie erstmals ein speziell jugendliches Lebensgefühl beschrieben, in dem die gängige Moral als eng und störend empfunden wurde. Eine einheitliche Jugendmusik fehlte jedoch zunächst noch. Die Anhänger der Beat-Literatur bevorzugten den Bebop-Jazz, ansonsten war das heimliche Hören der schwarzen Radiostationen, deren Ghettomusik sexuell eindeutige Themen transportierte, ein weit verbreiteter Akt der Rebellion gegen die Eltern. Vor allem bei den Jugendlichen sah Sam Phillips eine Marktlücke für seine Idee einer neuen, schwarz-weißen Popmusik. Der junge Elvis Presley, ab 1954 bei Sun, diente ihm dabei neben anderen als Verbindungselement beider Musikhemisphären, denn er hatte einen guten Schuss Gospel und Rhythm & Blues in der Stimme. Mitte der 1940er Jahre entwickelte sich der Hillbilly Boogie, eine schon an den frühen Rockabilly erinnernde Variante der Country-Musik. Einer der ersten Hillbilly-Boogie-Titel war der Birmingham Bounce von Hardrock Gunter. Diese rhythmisch schnellere Variante der Country-Musik wurde noch mit den typischen Instrumenten Fiddle, Pedal Steel Guitar, Gitarre und Kontrabass gespielt, jedoch weichen die Texte schon weitestgehend von den sonst inhaltlich anspruchsvolleren Lyriken des Country ab, so verwendete man schon Ausdrücke wie „rock“ und „roll“; Ausdrücke, die zu dieser Zeit nur in der Umgangssprache der Afroamerikaner verwendet wurden. Einige namhafte Country-Musiker der späten 1940er Jahre sowie unbekannte Musiker schlossen sich dem Hillbilly Boogie an, unter anderem Tennessee Ernie Ford, The Delmore Brothers, The Carlisles, Merle Travis, Roy Hall und Red Foley. Aufstieg Musikhistoriker bezeichnen oftmals Bill Haleys Cover des R&B-Hits Rock the Joint aus dem Jahre 1952 als ersten Rockabilly-Song auf Schallplatte. Bei dieser Aufnahme konnte man erstmals Marshall Lytles Slap-Back-Technik am Bass der Saddlemen hören. Neben dem Slap-Bass, der E-Gitarre und der Akustikgitarre wurde Haley aber auch von einem Klavier und einer Steel Guitar begleitet. Craig Morrison, Autor des Buches Go Cat Go!, bezeichnet Haley und seine Saddlemen als eine „kleine Western-Swing-Formation, die R&B-Stücke spielte“. Des Weiteren sagt er aber auch, Rock the Joint würde sich in Richtung Rockabilly bewegen („Certainly ‘Rock the Joint’ does point towards Rockabilly“). Zudem wird Eddie Zacks I’m Gonna Roll and Rock ebenfalls als erster Rockabilly-Song gewertet. Wegen der Existenz dieser beiden Titel gehen die Meinungen über den ersten Rockabilly-Song auf Schallplatte bei Musikhistorikern auseinander. Als erster Sun-Rockabilly-Titel der Geschichte gilt die 1954 eingespielte Aufnahme That’s All Right des 19-jährigen Elvis Presley zusammen mit Scotty Moore (Gitarre) und Bill Black (Bass), der aus dem Mitschnitt einer Pausenspielerei entstand. Bei der bläser- und schlagzeugfreien Sparbesetzung handelt es sich um eine typische weiße Country-Besetzung, die auf das konservative Reglement der Grand Ole Opry in Nashville zurückgeht, der wichtigsten Country-Show der USA. In bewusster Abgrenzung zum damaligen Boom der Swing- und Bigbandmusik wollte man hier die Musik pflegen, wie sie die Altvorderen der Country-Musik vorgemacht hatten, etwa die Carter Family. Dementsprechend waren Schlagzeuge und Bläser auf der Bühne der Opry bis Mitte der 1950er Jahre nicht zugelassen. Um mit der Opry-kompatiblen Sparbesetzung trotzdem einen mitreißenden Rhythmus zu erzeugen, trat der Kontrabass an die Stelle des Perkussionsinstruments. Bill Black spielte in der Slap-Technik, eine im Dixieland Jazz entwickelte Spielweise, bei der die Saiten aufs Griffbrett klatschen. Außerdem kompensierte ein Bandecho das fehlende Schlagzeug und erzeugte einen charakteristischen, im Takt „blubbernden“ Groove. Dieser Echo-Groove kennzeichnet vor allem den Sun-Sound, aber er wurde auch von anderen Rockabilly-Interpreten eingesetzt, etwa von Gene Vincent, der damit seine Stimme unterstützte. Die Leadgitarre spielte sparsam gepickte, hohe Noten auf der zweiten Zählzeit des Taktes, sowie Boogielicks auf den Basssaiten. Gesungen wurde häufig in einem nervösen „Schluckauf-Stil“, manchmal countryhaft-nasal (Carl Perkins, Charlie Feathers), manchmal mit schwarzem Swing wie Charlie Rich oder sogar mit gospelhaften, schwarzen Verzierungen wie Elvis Presley. Nach der Frühphase des Rockabilly hielt dann das Schlagzeug Einzug in die Musik, vielfach auch das Klavier mit shuffleartigen Riffs in der linken Hand, nach Art des New Orleans Rhythm & Blues. Die bevorzugten Leadgitarren waren Archtopmodelle von Gibson oder Gretsch, später dann auch Massivholz-Gitarren wie die Fender Telecaster oder die Gibson Les Paul. Auch wenn die Titel von Presley, Moore und Black erstaunliche Verkaufserfolge in Memphis und Umgebung erzielten, seitdem sie im örtlichen Radio gespielt wurden, war es wohl eher auf die spektakulären Liveauftritte zurückzuführen, dass diese neue Musik schnell zum Gesprächsthema wurde und die Rechnung von Sam Phillips aufging. Die drei Musiker nannten sich bald The Bluemoon Boys und tourten ab 1954 allein oder zusammen mit anderen Sun-Musikern wie Carl Perkins und Johnny Cash durch den gesamten Süden der USA, wo sie vor allem wegen der wilden Bühnenshow von Bill Black und Presley Aufruhr, Hysterie und Empörung auslösten. Die umstrittenen Auftritte entzündeten ein regelrechtes Sun-Sound-Fieber. Überall, wo die Sun-Leute gastierten, taten sich wenig später Interpreten hervor, die zum Teil sehr eng am Vorbild liegende Kopien des Sun-Sounds lieferten. Ein Beispiel hierfür ist Charles Hardin Holley, ein junger Country-Musiker aus Lubbock in Texas, der 1956 in seinem Heimatort einen Auftritt von Presley sah und sich sofort eine elektrische Gitarre kaufte, um auf den neuen Stil umzuschwenken und unter dem Namen Buddy Holly Geschichte zu schreiben. Eddie Cochran ist hier ebenfalls zu nennen, und Gene Vincent, der einen eigenständigen, deutlich aggressiveren, urbaneren Rockabillystil entwickelte, in dem sogar manchmal Doo-Wop-Elemente anklangen. Gene Vincents Gitarrist Cliff Gallup war außerdem stark vom virtuosen Jazz-Pop Gitarristen Les Paul beeinflusst und baute überraschende Harmoniewechsel sowie technisch anspruchsvolle Licks in seine Soli ein. Trotzdem gelang es dem Rockabilly nur selten, überregionale Hits hervorzubringen. Die provinzielle Note war zu stark, der Südstaatenakzent vieler Sänger unüberhörbar. Nach etwa drei Jahren verebbte der Rockabillyboom wieder, und die meisten Interpreten wandten sich der traditionellen Country-Musik zu. Wenigen gelang es wie Elvis Presley, das Lokalkolorit abzulegen und mit einem angepassten Mainstream-Rock’n’Roll landes- oder gar weltweiten Erfolg zu verbuchen. Bereits 1956, auf dem Höhepunkt des Rockabillybooms, wechselte Presley von Sun zum Plattengiganten RCA Victor. Dieser Wechsel markiert die Abwendung vom Rockabilly, wenngleich Presleys erste RCA-Sessions, zunächst noch mit der alten Band eingespielt, noch eindeutig dem Rockabilly zuzurechnen sind. Einen guten Vergleich zwischen gemütlich-ländlichem Rockabilly und Mainstream-Rock’n’Roll bietet Carl Perkins’ Originalversion von Blue Suede Shoes gefolgt von Presleys Coverversion desselben Songs. Rockabilly in der Gegenwart Vor allem in Europa und Japan hat sich eine eigenständige Rockabilly-Gemeinde mit Foren, Festivals und Zeitschriften entwickelt. In England findet seit 1988 das Hemsby Rock’n’Roll Weekend statt, bei dem gleichermaßen neue und originale Musiker auftreten. In der Vergangenheit gab und gibt es weitere Veranstaltungen internationalen Formats, wie z. B. zwischen 1985 und 2004 in München das International Rock ’n’ Roll / Rockabilly Meeting, in England den Rockabilly Rave und die Rockabilly Reunion. Auch in den USA findet sich eine aktive Rockabilly-Szene. In Tennessee hat die Rockabilly Hall of Fame ihren Sitz, die Feste, Internetaktionen und ähnliches organisiert. Sie steht in Konkurrenz zur weniger populären International Rockabilly Hall of Fame aus Jackson, Tennessee. In Green Bay und Las Vegas finden jährlich die weltgrößten Rockabilly-Festivals statt. Innerhalb der Country-Szene spielte Rockabilly eine bedeutende Rolle als Stilelement oder als eigenständige Richtung, z. B. in der Musik der Bands BR5-49, The Derailers oder Asleep at the Wheel. Zentren des Rockabilly Allgemein gesehen spielte sich die Bewegung des Rockabilly in den Südstaaten der USA ab. Im Folgenden werden die wichtigsten, bekanntesten oder originärsten Zentren des Rockabilly beschrieben. In diesen Bereichen, meist ein Gebiet um eine Stadt herum, war die Musikszene durch ansässige Plattenlabels, Radioshows oder Clubs besonders lebendig. Memphis, Tennessee Memphis wird unumstritten als Geburtsort und ausgeprägtestes Zentrum des Rockabilly angesehen. Die Anfänge fanden sich darin, dass Rhythm and Blues sowie Country-Musik gleichermaßen hoch in der Stadt vertreten waren. Das Saturday Night Jamboree, von 1953 bis 1954 auf Sendung, gab den jungen Talenten erstmals die Möglichkeit, öffentlich im Radio und vor Publikum aufzutreten. Spätere wichtige Vertreter wie Johnny Cash, Eddie Bond, Elvis Presley oder der Bassist Marcus Van Story sammelten dort ihre ersten Erfahrungen. Das Saturday Night Jamboree war wahrscheinlich der erste Ort, an dem live Rockabilly gespielt wurde. Weiterhin begünstigten die Plattenlabels Sun und Meteor den Rockabilly. Viele Musiker reisten nach Memphis, in der Hoffnung, bei Sun einen Vertrag zu bekommen. Oftmals konnte Sam Phillips viele Künstler nicht unterbringen und leitete sie an Les Bihari, Besitzer der Meteor Records, weiter. Nach den Erfolgen von Sun gründeten sich Mitte und Ende des Jahrzehntes weitere Label wie Moon Records, Fernwood Records und Hi Records, die alle ebenfalls mehr oder weniger bekannte Vertreter der Musikszene aufnahmen. Bekannte Musiker aus Memphis oder die dort arbeiteten waren neben Presley, Perkins und Cash Warren Smith, Eddie Bond, Johnny Burnette, Jack Earls, Ray Harris, Charlie Feathers, Billy Lee Riley, Roy Orbison, Smokey Joe Baugh, Slim Rhodes, Wade and Dick, Brad Suggs, Johnny Bernero und Malcolm Yelvington. Texas Texas war neben Memphis und der Westküste eine der bedeutendsten Rockabilly-Zentren der 1950er-Jahre. Mit dem KRLD Big D Jamboree, das landesweit ausgestrahlt wurde, besaß die damalige Szene eine weitläufige Möglichkeit, sich zu präsentieren. Texas brachte bekannte Vertreter wie Buddy Holly, Sid King, Sonny Fisher, Don Woody, Mac Curtis oder George Jones, der Rockabilly als „Thumper“ Jones aufnahm, hervor. In Texas gab es viele verschiedene kleine Plattenlabel, die oft nur ein oder zwei Jahre Bestand hatten. Wichtige Labels waren Starday Records und Dixie Records, D Records, TNT Records und Lin Records. Der Rockabilly in Texas wurde oft auch Texabilly genannt. Westküste der Vereinigten Staaten Der Rockabilly der Westküste war oft von dem Western Swing beeinflusst, der in Spade Cooley in den 1950er-Jahren einen einflussreichen Vertreter Kaliforniens fand. Verschiedene Radiostationen wie KXLA boten Musikern Jobs in ihren Programmen an, was dessen Popularität oftmals beeinflusste. Die ab 1951 gesendete Town Hall Party war mit Rock ’n’ Roll und Rockabilly ab 1955 besonders beliebt und entwickelte sich zu einer der beliebtesten Radio- und Fernseh-Show Amerikas. Das ansässige Major-Label Capitol Records hatte ebenfalls einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Rockabilly. Capitol hatte bekannte und meist erfolgreiche Musiker wie Wanda Jackson, Gene Vincent, Joe Maphis und die Collins Kids unter Vertrag. Die kleineren Labels Four Star, Abbott und Fabor hatten ähnlich wie Sun die Aufgabe, die Talente zu entdecken und zu fördern, gaben sie dann aber an die größeren Firmen ab. Weitere Vertreter waren unter anderem Sammy Masters, Skeets McDonald, Glen Glenn, Tom Tall oder Ruckus Tyler. Der Rockabilly schuf eine wichtige Basis für den Anfang der 1960er-Jahre in Bakersfield entstehenden Bakersfield Sound. Dessen wichtigster Vertreter, Buck Owens, begann 1956 unter dem Pseudonym „Corky Jones“ mit Rockabilly-Titeln auf einem kleinen Label seine Karriere. Gleichzeitig war er für Capitol als Session-Musik aktiv und spielt so unter anderem auf Aufnahmen der Farmer Boys. Miami, Florida In Miami entwickelte sich ab 1955 eine eigenständige Szene. Die Künstler erlangten zwar meist nie mehr als regionale Berühmtheit, trotzdem hatte die Stadt eine aktive Musikszene aufzuweisen. Begünstigt durch Miamis „Blütezeit“ in den 1950er- und 1960er-Jahren und der Arthur Godfrey Talent-Show, die aus Miami ausgestrahlt wurde, gab es viele lokale Rockabilly-Musiker in Miami und dessen Schwesterstadt, Miami Beach. Nationale oder überregionale Labels gab es in der Stadt nur selten. Am bekanntesten sind Harold E. Doanes Art Records, Buck Trails Trail Records und Vincent Fiorinos Gulfstream Records. Neben den beiden ortsansässigen Radioshows, das Gold Coast Jamboree von WMIE und das Old South Jamboree von WMIL, fungierte für viele Musiker als Presentationsort und Plattform. Der wohl bekannteste Musiker aus Miami ist Tommy Spurlin, der mit seinen Southern Boys Mitglied des Gold Coast Jamboree war und bei Art und Perfect verschiedene Singles veröffentlichte. Sein Song Hang Loose nahm während des Rockabilly-Revivals enorm an Wert zu. siehe auch: Miami Rockabilly Phoenix, Arizona Phoenix war von 1955 bis 1956 ebenfalls ein Zentrum des Rockabilly, wenn auch in einem kleineren Ausmaß als Memphis oder Texas. Eine entscheidende Rolle spielte Lee Hazlewood, der damals mit lokalen Musikern seine ersten Erfahrungen als Produzent machte. Mit Sanford Clarks The Fool konnte er 1956 gleich seinen ersten Top-Ten-Hit verzeichnen. Zuvor hatte er schon Aufnahmen von Jimmy Johnson, Jimmy Dell und Duane Eddy gemacht. Wie in anderen Zentren gab es auch in Phoenix eine Radioshow, die die Szene beeinflusste oder förderte, der KRUX Arizona Hayride. Nach 1956 erlebte Phoenix’ Rockabilly-Szene einen großen Rückgang. Bedeutung des Rockabilly Obwohl es in der Blütezeit des Rockabilly (1954/55 – 1958) hunderte von Rockabilly-Künstlern gab, kamen nur die wenigsten in die Charts oder hatten anderweitigen kommerziellen Erfolg. Die meisten Künstler veröffentlichten daher meist nicht mehr als zwei oder drei Platten. Zudem beschränkte sich der Rockabilly, mit einigen Ausnahmen an der Westküste Kaliforniens und in Florida, auf die amerikanischen Südstaaten, was ebenfalls ein Grund für die Erfolglosigkeit der meisten Rockabilly-Sänger war. Der Rockabilly gilt in den meisten Kreisen als Stilrichtung der Country-Musik, jedoch haben sie oberflächlich nur wenig gemein. Fast alle Musiker hatten ihre Wurzeln aber in der Country-Musik oder nahmen sogar Country-Titel auf. Nachdem der Rockabilly 1960 endgültig zu Ende gegangen war, versuchten sich weiterhin viele Sänger als Country-Künstler, wie zum Beispiel Mac Curtis, Warren Smith, Eddie Bond oder Sanford Clark. Zudem ist der Rockabilly auch Teil des Rock’n’Rolls, der unverkennbare Gemeinsamkeiten aufweist, wie die oftmals harte Spielweise. Jedoch ist der Rockabilly kein entscheidender Teil, weder übte er einen besonders starken Einfluss auf den Rock ’n’ Roll aus, noch begann oder endete der Rock ’n’ Roll mit ihm. Einen starken Einfluss übte der Rockabilly jedoch auf die British Invasion aus, da sowohl die Beatles als auch die Rolling Stones mit Coverversionen von Carl Perkins, Buddy Holly und anderen ihre Karrieren begannen und bekennende Elvis-Fans waren. The Who, die keinen so starken Bezug zum Rockabilly hatten wie die Beatles oder die Rolling Stones, coverten Eddie Cochrans Summertime Blues auf ihrem Album Live at Leeds. Auch der Punk wurde vom Rockabilly mitbeeinflusst, besonders die Band The Clash, die sogar einige Rockabilly-Songs aufnahm. Sogar Hardrock-Musiker wie Jeff Beck oder Jimmy Page zollten dem Rockabilly Respekt, unter anderem mit Tribut-Alben. Jeff Beck nahm ein Album auf, das nur aus Gene Vincent-Songs besteht (Crazy Legs) und Jimmy Page gründete mit seinem ehemaligen Led-Zeppelin-Kollegen Robert Plant die Band The Honeydrippers, die stark vom Sound der 1950er beeinflusst war und live sogar einige Rockabilly-Klassiker coverte. Bereits zu Led-Zeppelin-Zeiten hatte man sich Elvis Presley als Backing Band angeboten, der dieses Angebot jedoch ablehnte. Mit dem Rockabilly der 1950er Jahre entstand jedoch auch die Basis für viele heutige Bands oder an den Rockabilly angelehnte Musikrichtungen, wie den Punkabilly, den Psychobilly oder den Gothabilly. Diese Stilrichtungen übernahmen nicht nur die sparsame Instrumentation, sondern oft auch den typischen „Schluck-auf“-Gesang. Hörbeispiele und weitere Vertreter Hörbeispiele Die typische Slap-Technik ist beispielsweise bei Elvis Presleys I Don’t Care if the Sun Don’t Shine und Baby Let’s Play House, Eddie Cochrans Twenty Flight Rock, Jimmys und Johnnys Sweet Love on My Mind, Skeets McDonalds You Oughta See Grandma Rock und Heartbreakin Mama sowie bei Rockin’ Rollin’ Stone des kaum bekannten Andy Starr zu hören. Die von der Leadgitarre gespielten hohen Noten auf der zweiten Zählzeit sowie die Boogie-Licks hört man vor allem bei Elvis Presleys Gitarrist Scotty Moore und bei Carl Perkins. Beispiele hierfür sind Carl Perkins mit Honey Don’t, und Elvis Presley mit Good Rocking Tonight. Beispiele des typischen „blubbernden Schluckaufgesangs“ in Verbindung mit dem Bandecho bietet, neben dem bereits genannten Baby Let’s Play House von Presley auch der aus Arkansas stammende Pat Cupp mit Do Me No Wrong. Die manchmal schon Punk-artig abgehackte Gesangsweise von Johnny Burnette ist ein weiteres Beispiel, vor allem sein Titel Train Kept A-Rollin’. Außerdem ist Gene Vincent zu nennen, der den von Sun entwickelten Echoeffekt zur Erzeugung des blubbernden Rockabilly-Grooves ebenfalls einsetzte. Als Beispiele lassen sich hier Bluejean Bop oder Race with the Devil anführen. Ein besonders deutliches Beispiel für den typischen Schluckauf-Gesang bietet Johnny Cashs Leave that Junk Alone. Ein Beispiel für die im Rockabilly selten vorkommenden schwarzen Verzierungen in der Stimme bietet Presleys Version des Stücks Milkcow Blues Boogie von Kokomo Arnold. Die unvermittelten „Falsett-Kiekser“ geben dem Lied zusätzlich ein weißes Cowboy-Feeling. Diese Interpretation ist schwarz und weiß zugleich, eine damals beunruhigende Querlegung zu gängigen Hörgewohnheiten. Der Titel Greenback Dollar von Ray Harris aus dem Jahr 1957 stellt ein besonders gutes Beispiel für den Rockabilly dar. Klar zu hören ist die Slapping-Bass-Spielart des Bassisten, der Schluckauf-Gesang Harris’ sowie die einfache Besetzung (Akustik-Gitarre, E-Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug, Klavier). Das Stück ist eigentlich ein altes traditionelles Volkslied, dass von Ray Harris 1957 in den Sun Studios aufgenommen wurde. Aufgrund des rauen Stils kam die Single jedoch nie über regionale Erfolge hinaus. Ebenfalls ein altes Volkslied, wurde Crawdad Hole 1956 von Jack Earls and the Jimbos aufgenommen. Mit der sparsamen Besetzung und der Slap-Technik ist das Stück typisch für den Rockabilly. Die Aufnahme wurde original von Sun Records, bei denen Earls die Aufnahme machte und zu der damaligen Zeit unter Vertrag war, nie veröffentlicht. Ungewöhnlich ist jedoch das, wenn auch kurze, Schlagzeug-Solo, ein seltenes Stilmittel im gewöhnlichen Rockabilly. Weitere Vertreter Rockabilly in Europa In Deutschland spielen eine ganze Reihe von Bands ihre eigenen auch deutschsprachigen Lieder („Deutsch-Rockabilly“), wie die Ace Cats, die 1984 einen Charterfolg mit dem Lied Linda hatten. Auch in Österreich hat sich seit den frühen 90er Jahren eine Rockabillyszene entwickelt. Seit dem Tod Elvis Presleys 1977 und dem damit ausgelösten Rockabilly-Revival wurden auch heute noch aktive Musiker wie Sleepy LaBeef oder Eddie Bond in Europa bekannt. Schon seit 1969 hatten Shakin’ Stevens and the Sunsets mit Coverversionen bekannter Rock-’n’-Roll- und Rockabilly-Titel Erfolge und trugen so zum Revival bei. Weitere britische Bands wie Crazy Cavan and the Rhythm Rockers und Matchbox waren ebenfalls erfolgreich. Shakin’ Stevens erreichte seit 1979 mehrmals Platz 1 der englischen und Matchbox Platz 8 der deutschen Charts mit dem Song Midnite Dynamos. Von England aus startete auch das Rockabilly-Revival in den 1980er-Jahren. Angeführt von Bands wie Stray Cats und Restless entstand so der sogenannte Neo-Rockabilly. Rockabilly in den Charts Die Zahl hinter dem Interpreten gibt die höchste Chartposition der Billboard Charts an. In der Regel erschienen die Songs in den Hot Country Songs von Billboard, ansonsten ist angegeben, in welchen anderen Hitparaden sich die Songs platzierten. 1955 Love Me – Jimmy Lee Fautheree & Wayne Walker; #75 (Chess, 9. April 1955) Baby, Let’s Play House – Elvis Presley; #5 (Sun, 10. Mai 1955) Cry! Cry! Cry! – Johnny Cash and the Tennessee Two; #14 (Sun, 21. Juni 1955) I Forgot to Remember to Forget – Elvis Presley; #1 (Sun, 6. August 1955) Mystery Train – Elvis Presley; #11 (Sun, 6. August 1955) 1956 Blue Suede Shoes – Carl Perkins; C&W #1 / Pop #1 / R’n’B #1 (Sun, 1. Januar 1956) So Doggone Lonesome – Johnny Cash and the Tennessee Two; #4 (Sun, 7. Januar 1956) Honky-Tonk Man – Johnny Horton; #9 (Columbia, 10. März 1956) Will You, Willyum – Janis Martin; Pop #35 (RCA, 7. April 1956) Boppin' the Blues – Carl Perkins; #7 (Sun, Mai 1956) Ooby Dooby – Roy Orbison; #59 (Sun, Mai 1956) Be-Bop-A-Lula – Gene Vincent; Pop #7 / C&W #5 / R’n’B #8 (Capitol, 2. Juni 1956) Hula Rock – Hank Snow; #4 (RCA, 23. Juni 1956) The Fool – Sanford Clark; C&W #15 / Pop #10 (Dot, Juni 1956) I Gotta Know – Wanda Jackson; #15 (Capitol, 21. Juli 1956) Dixiefried – Carl Perkins; #10 (Sun, 3. August 1956) Race with the Devil – Gene Vincent; Pop #96 (Capitol, 1. September 1956) Teenage Boogie – Webb Pierce; #10 (Decca, 2. September 1956) Go Cat Go – Bill Flagg and the Rockabillies; #77 [?] (Tetra, 15. September 1956) Bluejean Bop – Gene Vincent; Pop #34 (Capitol, 23. September 1956) My Pink Cadillac – Hal Willis; # (Atlantic, 10. November 1956) The Cheat – Sanford Clark; Pop #74 (Dot, 17. November 1956) Guitar Rock – Bill Flagg and the Rockabillies; #75 [?] (Tetra, Dezember 1956) 1957 I’m Coming Home – Johnny Horton; #11 (Columbia, 5. Januar 1957) Your True Love – Carl Perkins; #13 (Sun, 23. Januar 1957) So Long, I’m Gone – Warren Smith; #72 (Sun, 20. Mai 1957) Lotta Lovin’ – Gene Vincent; Pop #13 / R’n’B #7 (Capitol, 8. Juli 1957) Wear My Ring – Gene Vincent; Pop #13 (Capitol, 8. Juli 1957) Roc-A-Chica – Warner Mack; #74 (Decca, 21. Oktober 1957) Dance to the Bop – Gene Vincent; Pop #23 (Capitol, 23. Oktober 1957) Waitin' in School – Ricky Nelson; #12 (Imperial, 9. Dezember 1957) Big River – Johnny Cash and the Tennessee Two; #4 (Sun, Dezember 1957) Drive in Show – Eddie Cochran; Pop #82 (Liberty, 1957) 1958 Bop-A-Lena – Ronnie Self; Pop #63 (Columbia, 3. Februar 1958) Believe What You Say – Ricky Nelson; #10 (Imperial, 10. März 1958) My Bucket’s Got a Hole in It – Ricky Nelson; #10 (Imperial, 10. März 1958) Whole Lotta Woman – Marvin Rainwater; C&W #15 / Pop #60 (MGM, März 1958) Leory – Jack Scott; Pop #11 / R’n’B #5 (Carlton, 14. April 1958) Poor Little Fool – Ricky Nelson; #1 (Imperial, 23. Juni 1958) All Grown Up – Johnny Horton; #8 (Columbia, 21. Juli 1958) All Over Again – Johnny Cash and the Tennessee Two; C&W #4 / Pop #38 (Columbia, September 1958) Summertime Blues – Eddie Cochran; Pop #8 / R’n’B #11 1959 White Lightin’ – George Thumper Jones; C&W #1 / Pop #73 (Mercury, 9. Februar 1959) Luther Played the Boogie – Johnny Cash and the Tennessee Two; #8 (Sun, 15. Februar 1959) I Never Felt Like This – Jack Scott; Pop #78 (Carlton, 2. März 1959) The Way I Walk – Jack Scott; Pop #35 (carlton, 1. Juni 1959) Katy Too – Johnny Cash and the Tennessee Two; C&W #11 / Pop #66 (Sun, 2. Juni 1959) Who Shot Sam – George “Thumper” Jones; C&W #7 / Pop #93 (Mercury, Juni 1959) Tomorrow Night – Carl Smith; #24 (Columbia, Oktober 1959) Musikindustrie Institutionen Rockabilly Hall of Fame Rockabilly Music Association Schallplatten-Labels Viele Rockabilly-Aufnahmen wurden bei kleinen, unabhängigen “independent” Labels gemacht. Daher standen den Produzenten oft nicht die finanziellen Mittel zur Verfügung, um ihre Künstler wirkungsreich zu vermarkten. Original Labels der 1950er-Jahre: 4 Star Records Fernwood Records Goldband Records Hi Records King Records Meteor Records Moon Records Starday Records Sun Records Wiederveröffentlichungs-Labels: Ace Records Bear Family Records Buffalo Bop Collector Records Hydra Records Proper Records Redita Records Rollin’ Rock Records Stomper Time Records Sleazy Records Die Rockabilly-Mode Der ursprünglich nur für eine bestimmte Art von Musik genutzte Begriff des Rockabilly wurde erweitert und bezeichnet auch bestimmte Frisuren, Schmuck und Kleidung, die als charakteristisch empfundene und tatsächliche Stilmerkmale der 1940er und 1950er Jahre aufnehmen oder sogar kopieren. Dabei greifen Rockabilly-Fans auf die große stilistische Bandbreite dieser Jahrzehnte zurück. Diese Modezitate werden oft mit Tätowierungen kombiniert, wobei bestimmte Motive wie Kirschen, Totenköpfe, flammendes Herz usw. beliebt sind. Der in den Medien gern dargestellte sogenannte „Greaser Look“, bei dem die Männer ausladende Haartollen mit Pomade und langen, seitlichen Koteletten haben und Jeans oder schwarze Stoffhosen mit Creepers tragen und die Frauen mit Tellerröcken und Petticoats einherlaufen, ist mittlerweile zu einem fast festen Klischee erstarrt. Literatur Romane Price, Richard: Scharfe Zeiten, Rowohlt, Reinbek 1976 ISBN 3-498-052292, verfilmt unter dem Titel The Wanderers Uwek, Wolf: Teddy Boy, Bäßler, Berlin 1995 ISBN 3-930388-07-3 Aufarbeitungen Morrison, Craig: Go Cat Go!: Rockabilly Music and its Maker, Music in American Life 1998 ISBN 978-0252065385 Poore, Billy: Rockabilly: A Forty-year Journey, Hal Leonard Corporation 2002 ISBN 978-0793591428 El-Nawab, Susanne: Rockabillies – Rock ’n’ Roller – Psychobillies, Portrait einer Subkultur, Archiv der Jugendkulturen Verlag KG, Berlin 2005 ISBN 3-86546-035-6 Stobbe, Britta: Keep on rockin' – Ein Leben im Rock’n’Roll, Books on Demand, Norderstedt 2008 ISBN 978-3-8370-3369-4 Shaylor, Andrew: Rockin': The Rockabilly Scene, Merrell Publishers 2011 ISBN 978-1858945286 Beyer, Jennifer: Rockabilly und Rock'n'Roll zwischen Tradition und Modernisierung, Books on Demand, Norderstedt 2011 ISBN 978-3-640-96728-5 Décharné, Max: A Rocket in My Pocket: The Hipster's Guide to Rockabilly Music, Serpent's Tail 2011 ISBN 978-1846687211 Dregni, Michael: Rockabilly: The Twang Heard 'Round the World: The Illustrated History Buch, Voyageur 2011 ISBN 978-0760340622 Bregg, Billy: Roots, Radicals and Rockers, Faber and Faber Ltd. 2018, ISBN 978-0571327751 Dokumentarfilme Feldmann, Christin und Bach, CLaudia: Rockabilly Ruhrpott; Lighthouse Home Entertainment, Hamburg 2011 Widmer, Kurt: Die Generation Rock'n'Roll & Für immer Rock'n'Roll: Ein Lebensgefühl; NZZ-Format, Zürich 2012, als DVD unter dem Titel: Rock'n'Roll – Die Filme erhältlich Einzelnachweise Weblinks History of Rock Website der Rockabilly Hall of Fame Umfangreiche Datenbank zu Aufnahmen Country-Musik-Stil Jugendkultur Modestil Stilrichtung des Rock ’n’ Roll Stilrichtung der Rockmusik
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https://de.wikipedia.org/wiki/1693
1693
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Pfälzischer Erbfolgekrieg 22. Mai: Im Pfälzischen Erbfolgekrieg wird die Stadt Heidelberg von französischen Truppen genommen. Tags darauf ergibt sich auch die Besatzung des Heidelberger Schlosses. Die Franzosen verwüsten die Stadt und die Kurpfalz. Das Schloss wird in Brand gesetzt und teilweise gesprengt. 27. Juni: Eine französische Flotte unter Admiral Tourville erringt in der Seeschlacht bei Lagos einen Sieg über eine englisch-niederländische Flotte bei der portugiesischen Hafenstadt Lagos. 29. Juli: In der Schlacht von Neerwinden kämpfen ca. 80.000 Mann französische Truppen unter Marschall François-Henri de Montmorency-Luxembourg gegen ca. 50.000 Mann niederländisch-englische Truppen unter dem englischen König Wilhelm III. Die Franzosen erringen nur geringe Vorteile. 4. Oktober: Im Pfälzischen Erbfolgekrieg siegen die Franzosen auf dem italienischen Kriegsschauplatz in der Schlacht bei Marsaglia, wo sie verbündeten kaiserlichen und piemontesischen Truppen gegenüberstehen. Das Reichskammergericht übersiedelt auf Grund der Kriegswirren von Speyer nach Wetzlar. Weitere Ereignisse in Europa 9. Oktober: Der Hamburger Vergleich zwischen Dänemark und dem Fürstentum Lüneburg beendet die Auseinandersetzungen um die im Zuge der Besitzergreifung des Herzogtums Sachsen-Lauenburg durch den Herzog von Braunschweig-Lüneburg vorgenommene Befestigung der Stadt Ratzeburg. Der dänische König Christian V. hat diese als eine gegen die dänischen Interessen in Holstein gerichtete Provokation angesehen und die Stadt 1693 belagert und weitgehend zerstört. Wirtschaft 27. Februar: Unter dem Titel The Ladies’ Mercury erscheint die erste Frauenzeitschrift der Welt in London. Wenige Wochen später erleidet die vom Buchhändler John Dunton initiierte Zeitschrift ihr Aus. Kultur Architektur und Bildende Kunst Die nach 14-jähriger Arbeit unter der Projektleitung von Paul Strudel fertiggestellte Wiener Pestsäule wird geweiht. Musik und Theater 8. Mai: Die in nur vier Monaten durch Girolamo Sartorio errichtete Oper am Brühl, das erste Leipziger Opernhaus, wird in Anwesenheit von Kurfürst Johann Georg IV. mit der Oper Alceste von Hofkapellmeister Nicolaus Adam Strungk feierlich eröffnet. Der deutsche Text nach Aurelio Aureli stammt von Paul Thymich. 4. Dezember: Die Oper Médée (H 491) von Marc-Antoine Charpentier nach einem Libretto von Thomas Corneille hat ihre Uraufführung im Palais-Royale in Paris. Obwohl das Stück gut angenommen, mehrmals wiederholt und im Mercure galant wohlwollend besprochen wird, ist ihm kein weiterer Erfolg beschieden, wofür wahrscheinlich die scharfe Kritik durch die Anhänger Jean-Baptiste Lullys verantwortlich ist. Gesellschaft In der Londoner St. James Street gründet Francis White ein Chocolate House, den späteren White’s Club. Katastrophen 9./11. Januar: Schwere Erdbeben erschüttern die Insel Sizilien, Italien, etwa 60.000 Tote. 7. Juni: Teile der osmanischen Hauptstadt Istanbul fallen einem Brand zum Opfer. Winter 1693/1694: In Frankreich kostet der extrem kalte Winter Hunderttausende von Menschen das Leben. 1692–1694: In Italien, Frankreich und dem Südwesten Deutschlands grassieren verschiedene Epidemien, wie Ruhr, Typhus, Grippe und andere Fiebererkrankungen. Geboren Erstes Halbjahr 1. Januar: Johann Philipp Crollius, deutscher Pädagoge und Historiker († 1767) 19. Januar: Hyacinthe Collin de Vermont, französischer Maler († 1761) 20. Januar: Carlo Francesco Durini, italienischer Kardinal der Römischen Kirche († 1769) 23. Januar: Georg Bernhard Bilfinger, württembergischer Philosoph, Baumeister, Mathematiker und Theologe († 1750) 26. Januar: Beat Holzhalb, Schweizer Pietist († 1757) 7. Februar: Anna, Zarin von Russland († 1740) 9. Februar: Johann Ludwig Konrad Allendorf, deutscher Pädagoge, lutherischer Pfarrer und Dichter von Kirchenliedern († 1773) 24. Februar: Andreas Georg Wähner, deutscher Orientalist († 1762) 3. März: James Bradley, englischer Astronom († 1762) 5. März: Johann Philipp Seuffert, deutscher Orgelbauer († 1780) 7. März: Carlo della Torre Rezzonico, unter dem Namen Clemens XIII. Papst von 1758 bis 1769 († 1769) 16. März: Johann Engelhard Steuber, deutscher lutherischer Theologe († 1747) 17. März: Elisabeth Auguste Sofie von der Pfalz, Kurfürstin von der Pfalz († 1728) 20. März: Friedrich Wilhelm von Borcke, Geheimrat und Minister in Brandenburg-Preußen und Hessen-Kassel († 1769) 24. März: Pierre-Gabriel Buffardin, französischer Flötist († 1768) 24. März: Campegius Vitringa der Jüngere, niederländischer reformierter Theologe († 1723) 31. März: Elisabeth Albertine von Anhalt-Bernburg, Fürstin von Schwarzburg-Sondershausen († 1774) 1. April: Melusina von der Schulenburg, Countess of Walsingham, deutsch-englische Adelige († 1778) 3. April: John Harrison, englischer Uhrmacher und Erfinder des Schiffschronographen († 1776) 16. April: Anna Sophie von Reventlow, Gemahlin des dänischen Königs († 1743) 29. April: Asmus Ehrenreich von Bredow, preußischer Generalleutnant und Gouverneur von Kolberg († 1756) 30. April: Giuseppe Maria Feroni, italienischer Geistlicher und Kardinal der Römischen Kirche († 1767) 17. Mai: Georg Sigismund Caspari, deutscher Orgelbauer († 1741) 22. Mai: Johann Salomon Brunnquell, deutscher Rechtswissenschaftler († 1735) 24. Mai: Georg Raphael Donner, österreichischer Bildhauer († 1741) 31. Mai: Bartolomeo Nazari, italienischer Maler († 1758) 2. Juni: Alexei Petrowitsch Bestuschew-Rjumin, russischer Feldmarschall und Reichskanzler († 1766) 2. Juni: Johann Ernst Rentzsch (der Jüngere), deutscher Maler († 1767) 5. Juni: Heinrich Martin Thümmig, deutscher evangelischer Theologe († 1778) 7. Juni: Siegmund Jakob Apinus, deutscher Philologe und Pädagoge († 1732) 9. Juni: Bernd Siegmund von Blankensee, königlich-preußischer Generalmajor, Träger des Pour le Mérite († 1757) Zweites Halbjahr 4. Juli: Valentin Johann Beselin, deutscher Jurist und Erster Bürgermeister von Rostock († 1755) 21. Juli: Thomas Pelham-Holles, 1. Duke of Newcastle-upon-Tyne, britischer Politiker und Premierminister († 1768) Juli: Bampfylde Moore Carew, britischer Betrüger und Volksheld († 1759) 2. August: Johann Georg Zierenberg, Stadtvogt im Herzogtum Bremen († 1736) 8. August: Laurent Belissen, französischer Komponist des Spätbarock († 1762) 9. August: Sophie Wilhelmine von Sachsen-Coburg-Saalfeld, Fürstin von Schwarzburg-Rudolstadt († 1727) 7. September: Viktor I. Amadeus Adolf, Fürst von Anhalt-Bernburg-Schaumburg-Hoym († 1772) 16. August: Christian Ernst Endter, Arzt und Schriftsteller in Hamburg und Altona († 1775) 13. September: Joseph Emanuel Fischer von Erlach, österreichischer Architekt († 1742) 25. September: Johann Caspar Delius, Gründer der gleichnamigen Unternehmerdynastie in Bielefeld († 1756) 1. Oktober: Adam Rudolf Solger, deutscher evangelischer Geistlicher und Bibliothekar († 1770) 3. Oktober: Hermann Post, deutscher Jurist und der erste hauptamtliche bremische Staatsarchivar († 1762) 5. Oktober: Johann Christian Buxbaum, deutscher Botaniker († 1730) 8. Oktober: Gottfried Anshelm von Lindenau, Rittergutsbesitzer († 1749) 9. Oktober: Christian Hauschild, deutscher evangelischer Theologe († 1759) 11. Oktober: Friedrich Carl zu Stolberg-Gedern, Regent der Herrschaft Gedern († 1767) 15. Oktober: Franz Caspar Schnitger, niederländischer Orgelbauer († 1729) 24. Oktober: Hans Moritz von Brühl, Wirklicher Geheimer Rat, General der Kavallerie und Statthalter der Deutschordensballei Thüringen († 1755) 29. Oktober: Christian Gottlieb Buder, deutscher Jurist, Historiker und Bibliothekar († 1763) 10. November: Roland-Michel Barrin de La Galissonière, französischer Seeoffizier, Gouverneur von Neufrankreich und Förderer der naturwissenschaftlichen Forschung († 1756) 24. November: Johann Gottfried Lessing, deutscher lutherischer Theologe († 1770) 3. Dezember: Claus von Reventlow, dänisch-deutscher Jurist, Präsident des Højesteret und Domherr in Lübeck († 1758) 11. Dezember: Johann Wolfgang Textor, deutscher Reichs-, Stadt- und Gerichtschultheiß († 1771) 30. Dezember: Quirin Weber, deutscher Orgelbauer († 1751) Genaues Geburtsdatum unbekannt Christian Albrecht von Ahlefeldt, deutscher Kammerjunker und Obrist unter Karl XII. von Schweden († 1755) Ralph Allen, britischer Unternehmer († 1764) Franz Andreas von Borcke, königlich-preußischer Generalleutnant († 1766) Cartouche, französischer Räuber, Mörder und Bandenchef († 1721) Johann Georg Etgens, mährischer Barockmaler und Freskant († 1757) Josef Ferdinand Fromiller, österreichischer Maler († 1760) Charles Gough, englischer Seefahrer († 1774) Johannes Harpprecht, württembergischer Jurist († 1750) Ahmad ibn Said, Imam Omans und Begründer der Said-Dynastie († 1783) Martin Schipani, deutscher Uhrmachermeister († 1759) Gestorben Todesdatum gesichert 6. Januar: Mehmed IV., Sultan des Osmanischen Reiches (* 1642) 8. Januar: Jan Andrzej Morsztyn, polnischer Adliger, Politiker und Dichter (* 1621) 17. Januar: Giovanni Battista Ruoppolo, italienischer Maler (* 1629) 8. Februar: Stephan Pilarick, ungarischer Philosoph, ev.-luth. Geistlicher und Theologe (* 1615) 13. Februar: Johann Caspar Kerll, deutscher Organist, Cembalist und Komponist (* 1627) 15. Februar: Emilie von Hessen-Kassel, Fürstin von Tarent und Talmont (* 1626) 15. Februar: Christian von Klengel, deutscher Hochschullehrer und Jurist (* 1629) 22. Februar: Henrik Horn, schwedischer Feldmarschall und Generalgouverneur von Bremen und Verden (* 1618) 1. März: Niccolò Codazzi, italienischer Quadratur- und Vedutenmaler (* 1642 oder 1648) 16. März: Martin Weise, deutscher Mediziner (* 1605) 31. März: Jiři Melcl, tschechischer Komponist (* 1624) 5. April: Anne Marie Louise d’Orléans, La Grande Mademoiselle, Nichte Ludwigs XIII., Herzogin von Montpensier (* 1627) 5. April: Christian Scriver, deutscher Theologe des 17. Jh. und Kirchenliederdichter (* 1629) 9. April: Roger de Bussy-Rabutin, französischer General und Schriftsteller (* 1618) 17. April: Rutger von Ascheberg, deutsch-baltischer Feldmarschall (* 1621) 17. April: Xaver Jakub Ticin SJ, sorbischer Sprachwissenschaftler und Theologe (* 1656) 20. April: Claudio Coello, spanischer Maler (* 1642) 30. April: Johann Georg Rudolphi, deutscher Maler (* 1633) 2. Mai: Ernst I., Landgraf von Hessen-Rheinfels-Rotenburg (* 1623) 25. Mai: Marie-Madeleine de La Fayette, französische Schriftstellerin (* 1634) 3. Juni: Camille de Neufville de Villeroy, Erzbischof von Lyon (* 1606) 18. Juni: Johann Heinrich von Anethan, deutscher Generalvikar und Weihbischof (* 1628) 30. Juni: Christina zu Mecklenburg, Äbtissin des Stiftes Gandersheim (* 1639) 26. Juli: Ulrike Eleonore von Dänemark und Norwegen, Königin von Schweden (* 1656) 31. Juli: Willem Kalf, niederländischer Maler (* 1619) 7. August: Johann Georg II., regierender Fürst zu Anhalt-Dessau (* 1627) 25. August: Johann Christoph Bach d. Ä., Hofmusiker, Zwillingsbruder von Johann Ambrosius Bach, dem Vater Johann Sebastian Bachs (* 1645) 6. September: Odoardo II. Farnese, Sohn und Erbe des Herzogs Ranuccio II. Farnese von Parma und Piacenza (* 1666) 9. September: Lionel Copley, englischer Kolonialgouverneur von Maryland (* 1648) 19. September: Johann Weichard Valvasor, slowenischer Topograph und Historiker (* 1641) 9. Oktober: Marquard Sebastian Schenk von Stauffenberg, Fürstbischof und Domherr von Bamberg, Würzburg und Augsburg (* 1644) 17. Oktober: Karl von Schomberg, deutschstämmiger General im Dienst verschiedener Herren (* 1645) 25. Oktober: Theodor Heinrich von Strattmann, deutscher Diplomat und Reichskanzler unter Leopold I. (* 1637) 26. Oktober: Coenraad van Beuningen, Regent von Amsterdam (* 1622) 2. November: Theodor Kerckring, niederländischer Anatom und Alchemist (* 1638) 9. November: Cornelis Ryckwaert, niederländischer Baumeister 12. November: Maria van Oosterwijk, niederländische Barockmalerin (* 1630) 23. November: Job Adriaenszoon Berckheyde, niederländischer Maler (* 1630) 12. Dezember: Anna Magdalena von Pfalz-Birkenfeld-Bischweiler, deutsche Adelige (* 1640) 16. Dezember: Willem van de Velde der Ältere, niederländischer Maler (* um 1611) 22. Dezember: Elisabeth Hevelius, Danziger Astronomin (* 1647) Genaues Todesdatum unbekannt Otto von Ahlefeldt, deutscher Offizier und Gutsherr von Fresenburg (* 1620) Constantin Cantemir, Fürst von Moldau (* 1612) Elias Tillandz, finnischer Botaniker (* 1640) Weblinks
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https://de.wikipedia.org/wiki/Vier
Vier
Die Vier (4) ist die natürliche Zahl zwischen Drei und Fünf. Sie ist gerade und eine Quadratzahl. Mathematik Die Vier ist gerade. Sie ist die erste zusammengesetzte Zahl und damit die erste Nicht-Primzahl nach der Eins. Die Besonderheit der Vier ist, dass sowohl als auch und somit gilt. Dies lässt sich über die Pfeilschreibweise sogar verallgemeinern. Es gilt für ein beliebiges natürliches : . Die im berühmten pythagoräischen Tripel lässt sich über die (zur Berechnung aller primitiven pythagoräischen Tripel) benötigten Vierheit der Operatoren aus der im (entarteten) Tripel „schöpfen“. Vier Punkte spannen in der Ebene ein Viereck, eine Fläche mit vier Seiten, auf. Es ist die einfachste Figur, die sich unter Beibehaltung ihrer Seitenlängen verformen lässt, etwa vom Rechteck zum Parallelogramm. Im Raum lassen sich maximal vier Punkte äquidistant, d. h. im gleichen Abstand zueinander, anordnen. Diese bilden dann ein Tetraeder (Vierflächner), ein Körper mit vier gleichen dreieckigen Seitenflächen. Der Vier-Farben-Satz besagt, dass vier Farben ausreichen, um alle Flächen auf einer Landkarte so einzufärben, dass nirgends gleichfarbige Flächen (längs Grenzen) aneinanderstoßen, wohingegen drei Farben dafür nicht genügen. Eine weitere Besonderheit der Vier ist die Unmöglichkeit, eine algebraische Gleichung höheren Grades als vier mit Hilfe von Wurzelziehen sowie einfacher arithmetischer Grundoperationen aufzulösen. Der Mathematiker Niels Henrik Abel veröffentlichte im Jahr 1826 seinen Beweis hierzu. Vier ist eine Størmer-Zahl. Schreibweisen Die Zahl hat je nach Zeitalter und Sprache unterschiedliche Glyphen: Die Schreibweise in der römischen Zahlschrift ist IV, die arabische ٤. In Urdu (Indien, Pakistan) ist es ۴, in Devanagari (Indien) ist es ४ und in Hebräisch ד. Im europäischen Mittelalter war die Schreibung als halbe Acht gängig. In Deutschland wird die Ziffer 4 gemäß der Zahlenschreibweise der lateinischen Ausgangsschrift handschriftlich in zwei Zügen gezeichnet: ein rechter Winkel mit einem längeren senkrechten Abstrich. Diese Schreibweise deckt sich mit der Österreichischen Schulschrift (beide Versionen von 1969 und 1995) und der Schweizer Schnürlischrift. Im englischsprachigen Kulturkreis und in davon beeinflussten Gebieten wird eine 4 überwiegend geschlossen gezeichnet. Auf Zifferblättern von Uhren mit römischer Schreibung wird die Vier häufig als IIII dargestellt. Sprachliches Das lateinische Wort für vier ist quattuor, die zugehörige Ordnungszahl quartus (der vierte) und das Adjektiv quadrus (viereckig) fanden ins Deutsche Eingang bei Begriffen wie Quartal, Quarte, Quartil, Quartett oder Quadrat. Das griechische Präfix für Vier τετρα- (tetra-) fand bei Fremdwörtern Gebrauch wie Tetralogie, Tetrarchie, Tetraeder oder Tetrachord. Naturwissenschaften Astronomie Im Zusammenhang mit den annähernd kreisförmigen Bewegungen der Erde um die Sonne und des Mondes um die Erde sind seit alters her verschiedene Beobachtungen von vierteiligen Sachverhalten möglich, die häufig mit den vier Himmelsrichtungen im Zusammenhang stehen. Diese Beobachtungen haben zu mehreren Begriffsgruppen geführt, wie den vier Jahreszeiten, den vier Mondphasen sowie den ungefähr vierwöchigen Monaten und den vier Tageszeiten. Bei der astronomischen Beobachtung des Nachthimmels wird dementsprechend zwischen Frühlingshimmel, Sommerhimmel, Herbsthimmel und Winterhimmel unterschieden. Die vier Sternbilder (Löwe, Stier, Wassermann und Adler), die in einer babylonisch-jüdisch-christlichen Tradition den vier Evangelisten zugeordnet werden können, stehen in vier senkrecht aufeinander stehenden Himmelsrichtungen und können in unterschiedlichen Jahreszeiten beobachtet werden: Das Herbstviereck im Sternbild Pegasus wird auch Pegasusquadrat genannt. Biologie Die in der Desoxyribonukleinsäure gespeicherte Information des Genoms allen irdischen Lebens ist in Triplett-Sequenzen codiert, die aus vier verschiedenen Grundeinheiten bestehen: den Nukleinbasen Adenin (A), Thymin (T), Guanin (G) und Cytosin (C). Die Landwirbeltiere (Tetrapoden), die vierfüßigen Landwirbeltiere, weisen grundsätzlich je vier Extremitäten auf, deren elementare Bedeutung die Fortbewegung ist. Einzelne Tetrapoden können alle oder manche Extremitäten rück- oder umgebildet haben wie zum Beispiel Schlangen, die keine lokomotionsfähigen Extremitäten mehr aufweisen oder der Mensch, bei dem die Vorderextremitäten nicht mehr für die Fortbewegung geeignet sind. Zu den Tetrapoden zählen Lurche (Amphibien), Kriechtiere (Reptilien), Säugetiere und Vögel. Chemie Die Zahl 4 ist die Ordnungszahl des Erdalkalimetalls Beryllium im Periodensystem. Das Kohlenstoff­atom hat die Eigenschaft, vier kovalente Bindungen in Tetraederwinkeln zu knüpfen und kann dadurch den extrem harten Diamant und eine große Vielfalt an organischen Molekülen aus Ketten mit Verzweigungen, Chiralität, Doppelbindungen, bis hin zu Ringsystemen bilden. Medizin In der bis ins 19. Jahrhundert die Medizin bestimmenden Humoralpathologie gab es vier Körpersäfte. (Im Gegensatz zur der spirituellen Sphäre gehörigen Zahl wurde im Mittelalter die Vier der spirituellen zugeordnet, und somit auch der Medizin). In der Orthopädie ist das Viererzeichen ein klinischer Test zur Funktionsprüfung des Hüftgelenks beim Menschen. Dabei wird im Liegen ein Bein quer zur Körperachse zu einer Vier angewinkelt. Kultur, Literatur, Musik, Gesellschaft und Geistesleben Die griechischen Naturphilosophen sahen vier Elemente (Feuer, Wasser, Erde, Luft) als Grundbestandteile allen Seins: Die Vier-Elemente-Lehre wirkt bis in die heutige Zeit. Da es neben den vier Elementen vier Himmelsrichtungen, Jahreszeiten, Körpersäfte und Temperamente gibt, galt die Vier im Mittelalter als die Zahl des Irdischen, im Gegensatz zur Drei, der Zahl Gottes und der Trinität. Aus den rechnerischen Verbindungen dieser Zahlen Drei und Vier ergeben sich weitere im Christentum heilige Zahlen: Sieben und Zwölf. Aus dieser christlichen Zahlenlehre ergibt sich für die Musik die Auffassung, dass der 3/4-Takt als der Vollkommene gilt – früher dargestellt durch einen Kreis, während der 4/4-Takt als der unvollkommene, der irdische gilt, der bis heute in der musikalischen Notation durch einen Halbkreis, ein dem großen C ähnliches Zeichen angegeben wird. In der Zahlensymbolik steht sie unter anderem für das Kreuz. Sowohl in ihrer Darstellung kreuzt sie sich, als auch das Kreuz hat vier Ecken. Es steht somit für Tod und Leid generell. In der chinesischen Zahlensymbolik und auch in Korea und Japan gilt die Vier als Unglückszahl, da sie klanglich () dem chinesischen Wort für Tod ähnelt () siehe: Tetraphobie. Sport Die Rückennummer 4 gilt als Nummer des Vorstoppers/Innenverteidigers beim Fußball. Weitere Begriffe mit der Vier Vier Schätze des Gelehrtenzimmers (Gegenstände, die ein chinesischer Gelehrter zum Schreiben und Malen brauchte) Vier Jahreszeiten Vier Evangelisten Vier Kirchenväter Viererbande (Gruppe linksradikaler Führungskräfte der Kommunistischen Partei Chinas, die vor Mao Zedongs Tod große Macht ausübte) Vierer (Ruderboot mit oder ohne Steuermann) Vierung (Bezeichnung des Raums, der beim Zusammentreffen des Haupt- und Querschiffes einer Kirche entsteht) Quaternär (Objekte aus vier Teilen) Vier gewinnt, Strategiespiel Vier Pfoten, Tierschutzorganisation Vier-Spezies-Maschine, mechanische Rechenmaschine Mathematik Vier-Farben-Satz Vier-Quadrate-Satz Vier Vieren, ein Rechenrätsel Die vier Grundrechenarten Kommunikation Vier-Augen-Prinzip Vier-Seiten-Modell Sport Vier-Kontinente-Meisterschaften, Eiskunstlauf-Wettbewerb Die vier Musketiere, Tennismannschaft Vierschanzentournee, Skisprung-Wettbewerb Vier Tage von Dünkirchen, Radrennen Viererkette, eine Formation im Fußball Geschichte Die vier Freiheiten, von US-Präsident Roosevelt Vier Alte, Kampfbegriff der chinesischen Kulturrevolution Vier Grundprinzipien, politische Doktrin von Deng Xiaoping Vier Modernisierungen, chinesisches Wirtschaftsprogramm Vier Schönheiten, Gestalten der chinesischen Geschichte Medien Vier gegen Willi, TV-Show, ARD Hier ab vier, Live-Magazin MDR Bremen Vier, Radio Bremen Faktor vier, Umweltschutzbericht Religion Christentum Die vier Evangelisten, Verfasser der Evangelien im Neuen Testament Die Vier Apokalyptischen Reiter, biblisches Motiv Die vier Erzengel Die vier Kardinaltugenden in der Ethik Die vier letzten Dinge der Eschatologie Vier Marschälle Gottes, Heilige des frühen Christentums Vier Haupt-Kirchentonarten (Protus, Deuterus, Tritus und Tetrardus) Die vier Adventssonntage Weitere Vier Edle Wahrheiten, Buddhismus Die vier Unermesslichen, im Buddhismus Vier Bücher, kanonische Bücher des Konfuzianismus Vier Täler, sufistisch-mystisches Werk von Baha’u’llah Geografisches Vier- und Marschlande Verwaltungsgemeinschaft Vier Berge-Teucherner Land Literarische Titel Das Zeichen der Vier, Arthur Conan Doyle Vier klassische Romane, in der chinesischen Literatur Die großen Vier, Agatha Christie Die vier kunstreichen Brüder, Märchen der Brüder Grimm Die Vier (Comic) Filmtitel Die letzten Vier, US-amerikanisches Filmdrama von George Archainbaud Vier Fäuste gegen Rio, italienische Filmkomödie von E. B. Clucher (Pseudonym von Enzo Barboni) Vier Fäuste für ein Halleluja, italienische Westernparodie von Enzo Barboni Vier Frauen im Haus, deutsche Fernsehserie von Hans-Georg Thiemt und Hans-Dieter Schreeb, Regie: Hermann Leitner Vier Frauen und ein Todesfall, österreichische Krimiserie nach einer Idee von Wolf Haas Vier lieben dich, US-amerikanische Filmkomödie von Harold Ramis Vier im roten Kreis, französischer Kriminalfilm von Jean-Pierre Melville Vier schräge Vögel, US-amerikanische Kriminalkomödie von Peter Yates Die gefürchteten Vier, US-amerikanischer Spätwestern von Richard Brooks Die Vier im Jeep, Schweizer Filmdrama von Leopold Lindtberg Vier Brüder, US-amerikanischer Actionfilm von John Singleton Vier Minuten, deutsches Filmdrama von Chris Kraus Vier Schwestern, US-amerikanisches Filmdrama von George Cukor Ich bin Nummer Vier, US-amerikanischer Action-Thriller von D.J. Caruso Eine für 4, US-amerikanische Filmkomödie von Ken Kwapis Vier gegen die Bank (1976), deutsche Kriminalkomödie von Wolfgang Petersen Vier gegen die Bank (2016), deutsche Filmkomödie von Wolfgang Petersen Die Vier Federn, verschiedene Produktionen Vier, österreichischer Fernsehfilm von Marie Kreutzer aus der Landkrimi-Filmreihe Kunst Die Blaue Vier Ausstellungsgemeinschaft Die vier Apostel, Gemälde Die Vier Brunnen, Brunnenanlage in Rom Vier Weltweise, Motiv auf Kirchenuhren Vier Elemente (Arcimboldo) Vier Tageszeiten, Statuengruppe Musik Zu vier Händen, Spielanweisung für Piano Vier letzte Lieder, Richard Strauss Vierklang Die Fantastischen Vier, deutsche Hiphop-Band Weiteres Vier große Erfindungen des alten Chinas Vier sephardische Synagogen (Jerusalem), Jerusalem Vier für ein Ave Maria, Italo-Western Vier Künste Vier-Nationen-Turnier, für Frauenfußballmannschaften Vier-Reiche-Lehre, Bibel Viertaktmotor Vier-Wellen-Mischung Die vier letzten Dinge Vier-Ständesystem Rat der Vier, Entscheidungsträger nach dem Ersten Weltkrieg Vierervektor, Begriff der Relativitätstheorie Vier Mondphasen Die großen Vier (deutsche EVU) Die großen Vier (Japan) Siehe auch Big Four (Banken) Big Four (Wirtschaftsprüfungsgesellschaften) Big Four (Schlangen) The Big Four Live from Sofia, Bulgaria Literatur Paul von Naredi-Rainer: Die Vierzahl in Architektur und Städtebau. In: INSITU. Zeitschrift für Architekturgeschichte 4 (2/2012), S. 149–160. Weblinks Markus Will: Zahlen, bitte! Die Zahl 4 in heise.de vom 27. Juni 2023 Einzelnachweise 0004
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https://de.wikipedia.org/wiki/Hainan
Hainan
Hainan () ist seit 1988 eine Provinz im Süden der Volksrepublik China, die aus verschiedenen Inseln besteht. Zuvor war die südlichste Provinz der Volksrepublik ein administrativer Teil der Provinz Guangdong (Kanton) gewesen. Die größte der Inseln heißt ebenfalls Hainan und umfasst 97 % der Fläche der Provinz. Häufig fällt im Zusammenhang mit Hainan auch die Bezeichnung „Hawaii von China“. Geographie Die Insel Hainan () liegt im Südchinesischen Meer und ist über die ca. 15 bis 30 km breite und durchschnittlich 44 m tiefe Hainanstraße (Straße von Qiongzhou) vom chinesischen Festland abgetrennt und ist – nach Taiwan – mit 34.380 km² die zweitgrößte Insel der chinesisch geprägten Welt und die größte der Volksrepublik China. Die Hauptstadt ist Haikou. Zur Provinz Hainan gehören noch die Zhongsha-Inseln, die Paracel-Inseln und die Spratly-Inseln, wobei diese Inselgruppen auch von Taiwan und Vietnam beansprucht werden. Klima In Hainan herrscht über das gesamte Jahr ein tropisches Klima. Die dort im Jahresverlauf auftretenden Temperaturunterschiede fallen eher gering aus. Während die Temperatur von Mai bis September durchschnittlich zwischen 25 Grad Celsius und 32 Grad Celsius schwankt, variiert sie von November bis Februar zwischen 15 Grad Celsius und 21 Grad Celsius. Die Monate Juni bis September sind mit etwa neun Regentagen im Monat die regenreichsten Monate. Die restliche Zeit über regnet es an etwa ein bis fünf Tagen im Monat. Geschichte Dem chinesischen Großreich wurde Hainan bereits zu Zeiten der Han-Dynastie (206 v. Chr. bis 220 n. Chr.) angegliedert. Unter dem General Lu Bode () wurden die südchinesischen Küstenstreifen befriedet. Darunter fiel im Jahre 110 v. Chr. auch Hainan. Lange Zeit war die Insel Teil der chinesischen Provinz Guangdong. In den Jahren 1939 bis 1945 war Hainan japanisch besetzt. Am Ende des Chinesischen Bürgerkriegs im Mai 1950 wurde die Insel von den Kommunisten erobert. Damit endeten die letzten größeren Kampfhandlungen des Chinesischen Bürgerkrieges. Hainan wurde im April 1988 zu einer eigenständigen Provinz und zugleich zu Chinas größter wirtschaftlicher Sonderzone ernannt. Da die Volksrepublik China die Insel Taiwan als eigenständigen Staat nicht anerkennt, wird Hainan somit als die zweitgrößte Insel der Volksrepublik China geführt, mit einer Größe nur etwas geringer als Taiwan. Administrative Gliederung Bezirksebene In der Provinz Hainan gibt es vier bezirksfreie Städte, die Hauptstadt Haikou () im Norden, die Stadt Danzhou () im Nordwesten, die Stadt Sanya () im Süden und die Stadt Sansha () auf den Inseln im Südchinesischen Meer. Während Haikou und Sanya sich auf Kreisebene aus vier Stadtbezirken zusammensetzen, haben Danzhou und Sansha keine weiteren Untergliederungen auf Kreisebene. Gouverneur ist seit Mai 2017 Shen Xiaoming. Kreisebene Außer den acht Stadtbezirken Haikous und Sanyas unterstehen alle anderen Verwaltungseinheiten auf Kreisebene direkt der Provinzregierung. Es sind dies fünf kreisfreie Städte, vier Kreise, und sechs Autonome Kreise: Stadt Wuzhishan ; Stadt Qionghai ; Stadt Wenchang ; Stadt Wanning ; Stadt Dongfang ; Kreis Chengmai ; Hauptort: Großgemeinde Jinjiang ; Kreis Ding’an ; Hauptort: Großgemeinde Dingcheng ; Kreis Tunchang ; Hauptort: Großgemeinde Tuncheng ; Kreis Lingao ; Hauptort: Großgemeinde Lincheng ; Autonomer Kreis Changjiang der Li ; Hauptort: Großgemeinde Shilu ; Autonomer Kreis Baisha der Li ; Hauptort: Großgemeinde Yacha ; Autonomer Kreis Qiongzhong der Li und Miao ; Hauptort: Großgemeinde Yinggen ; Autonomer Kreis Lingshui der Li ; Hauptort: Großgemeinde Yelin ; Autonomer Kreis Baoting der Li und Miao ; Hauptort: Großgemeinde Baocheng ; Autonomer Kreis Ledong der Li ; Hauptort: Großgemeinde Baoyou . Größte Städte Die zehn größten Städte der Provinz mit Einwohnerzahlen der eigentlichen städtischen Siedlung auf dem Stand der Volkszählung 2010 sind die folgenden: Bevölkerung Hainan hatte im Jahre 2008 8.647.300 Einwohner. Davon gehörten 7.139.531 zu den Han-Chinesen und 1.507.721 zu Minderheiten, die sich wie folgt gliedern: Li 1.370.346 Miao 71.718 Hui-Chinesen 36.382 Zhuang 1.126 Sonstige 1.811 Aufgrund von Abtreibungen weiblicher Föten (Geschlechtsselektive Abtreibung) kommen in Hainan pro 100 Mädchen über 130 Jungen zur Welt. 2013 lag die durchschnittliche Lebenserwartung bei 76,3 Jahren. Wirtschaft Als Ministerpräsident Zhao Ziyang 1983 nach Hainan reiste, war er entsetzt. Er habe gedacht, dass sich die ärmsten Regionen der Welt in Afrika befänden. 1988 wurde Hainan zu einer eigenständigen Provinz und zu Chinas größter Sonderwirtschaftszone. Mit dem Status einer Sonderwirtschaftszone sollte Hainan vor allem für ausländische Geschäftsleute und Investoren interessant gemacht werden. Die großzügigen Freiheiten sollten wirtschaftlich eine Art „Start aus dem Stand“ initiieren, doch sie schufen auch einen Tummelplatz für Korruption. Seit Hainan 1988 zu einer wirtschaftlichen Sonderzone ernannt wurde, wuchs seine Wirtschaft kontinuierlich. Heute zählt die Insel zu den beliebtesten Tourismuszielen Chinas. Nach dem Tourismus ist die Landwirtschaft der zweitgrößte Wirtschaftsfaktor. Neben Kaffee, Bananen, Orangen, Ananas, Kokosnuss, Pfeffer, Cashewnüssen und Erdnüssen sind zahlreiche weitere subtropische Früchte von Bedeutung für den Agrarhandel. Daneben werden Perlen-, Fisch-, Hühner- und Entenzucht betrieben. Weiterhin entwickeln sich Industrien im Elektro- und Pharmabereich, im Textilbereich und der Autoindustrie (Hainan Mazda Motor Company „Haiman“). Hainan verfügt über Erdgas- und Erdölvorkommen in seinen Seegebieten, deren Ausbeutung vorangetrieben wird. Auf Hainan befindet sich auch eine der größten Papierfabriken Chinas, betrieben von der Asia Pulp and Paper Co. (APP). Seit 2015 ist an der Westküste im Autonomen Kreis Changjiang das Kernkraftwerk Changjiang in Betrieb. Zur 20-Jahr-Feier im Jahr 2008 gab Peking einen neuen Dreijahresplan für die Insel bekannt. Danach sollte ihre Entwicklung zu einem internationalen Anlaufpunkt für Umschlag, Handel und Tourismus vorangetrieben werden. Dazu gehören auch die Einrichtung von Freihandelszonen (Duty free shops) auf Hainan und der Ausbau des Hafens Yangpu an der Westküste der Insel zu einem Freihandelshafen. Im Jahr 2015 erwirtschaftete die Provinz ein BIP in Höhe von 370 Milliarden Yuan (59 Milliarden US-Dollar) und belegte damit Rang 28 unter den Provinzen Chinas. Das BIP pro Kopf betrug 44.252 Yuan (6.662 US-Dollar/ KKP: 12.742 US-Dollar) pro Jahr (Rang 17 unter den chinesischen Provinzen). Das Wohlstandsniveau in der Provinz lag damit ungefähr auf dem Niveau von Peru und betrug 82 % des chinesischen Durchschnitts. Militärstandorte Im Süden Hainans befindet sich die bedeutende Marinebasis Sanya. Darüber hinaus beherbergt die Insel eine Reihe von Luftwaffenstützpunkten und gilt – nicht zuletzt wegen ihrer strategischen Lage in der Nähe wichtiger Seehandelsrouten – als wichtiger Standort der elektronischen Aufklärung der Volksbefreiungsarmee. Weiters befinden sich in der Provinz von der Regierung betriebene leistungsstarke Rundfunk-Störsender, deren Störaussendungen auf Kurzwelle, welche den Vereinbarungen im Rahmen der Internationalen Fernmeldeunion widersprechen, unter günstigen atmosphärischen Bedingungen weltweit zu empfangen sind. Raumfahrt Nach langjährigen Machbarkeitsstudien beschloss der chinesische Staatsrat im Herbst 2007 den Bau eines neuen Raumfahrtzentrums bei Wenchang auf Hainan (siehe: Kosmodrom Wenchang), das von einheimischen Politikern vornehmlich aus wirtschaftlichen Gründen seit langem vehement befürwortet worden war. Die Grundsteinlegung erfolgte am 14. September 2009, am 10. September 2014 meldete Generalmajor Yang Liwei, stellvertretender Direktor des Büros für bemannte Raumfahrt, die Einsatzbereitschaft des Kosmodroms. Von dem über elf Quadratkilometer großen Gelände werden mit Trägerraketen vom Typ Langer Marsch 5, Langer Marsch 7 und Langer Marsch 8 Satelliten, Tiefraumsonden und Frachtraumschiffe vom Typ Tianzhou gestartet. Ab 2029 soll dort auch die projektierte Superschwerlastrakete Langer Marsch 9 zum Einsatz kommen. Außerdem wurde in Wenchang ein Themenpark für Luft- und Raumfahrt eingerichtet. Der am 23. Oktober 1981 entdeckte Asteroid (3024) Hainan trägt seit 1989 den Namen der damals neugegründeten Provinz. Tourismus Während die Insel früher ein Exil für in Ungnade gefallene chinesische Staatsdiener war und später hauptsächlich Rucksacktouristen kamen, gewinnt Hainan seit einigen Jahren zunehmend an Renommee und ist mittlerweile eines der bekanntesten Tourismusgebiete der Volksrepublik. Besonders Sanya wird als Urlaubsziel immer beliebter. Nach Statistiken der Lokalregierung kamen 2007 etwa 500.000 auswärtige Touristen nach Sanya, eine Steigerung von 30 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Durch die rasche Entwicklung des Tourismus boomen auch die Branchen Hotellerie und Immobilienwirtschaft. Aufgrund eines Sondererlasses der chinesischen Zentralregierung durften bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie Reisende aus 21 Ländern ohne Visum nach Hainan einreisen. Auf dem Gebiet des Autonomen Kreises Lingshui der Li, in der Nähe von Sanya, befindet sich das Naturschutzgebiet Nanwan-Affeninsel für Rhesusaffen, ein sehr beliebtes Touristenziel. Hainan wird auch das „Hawaii von China“ genannt. Auf der Insel stehen mehr als zwanzig Golfplätze zur Verfügung. In Bo'ao im Osten Hainans fand bis zum Beginn der COVID-19-Pandemie ein jährliches Treffen hochrangiger Politiker und Wirtschaftsmanager ostasiatischer Staaten statt, das Boao Forum. Die Hauptstadt der Provinz Hainan ist die Stadt Haikou. Die Stadt ist auch bekannt als Kokosnuss-Stadt und hat interessante historische Sehenswürdigkeiten und einen für die Provinz wichtigen Hafen. Der sogenannte „Tempel der Fünf Beamten“ besteht aus fünf traditionellen Tempeln und Hallen, die zu Ehren von fünf Beamten der Tang-Dynastie (618–907) und der Song-Dynastie (960–1279) errichtet wurden. Die Grabstätte des Hai Rui () ist ein nationales Kulturdenkmal und stammt aus dem Jahr 1589. Die Grabstätte wurde zum Gedenken an die vielen guten Dinge errichtet, die Hai Rui während seines Lebens getan hatte, und befindet sich im Südwesten der Stadt Haikou. Hai Rui war ein sehr beliebter Beamter mit hainanesischer Herkunft, der zur Zeit der Ming-Dynastie lebte. Er war berühmt für seine lebenslange Ehrlichkeit und seine Bereitschaft, sich für die lokale Bevölkerung starkzumachen. Später fiel er beim Kaiser in Ungnade und wurde verfolgt. Die Festung Xiuying-Barbette wurde 1891 gebaut, um den Südosten Chinas während des Sino-Französischen Krieges zu verteidigen. Die fünf großen Kanonen auf der Festung sind noch intakt und können besichtigt werden. Die Festung befindet sich an der Haixiu-Straße im Stadtbezirk Xiuying von Haikou. Die Insel Hainan hat viele Strände und auch heiße Quellen. Touristisch beliebte Gebiete sind die Yalong-Bucht und der Badeort Dadonghai in der Nähe von Sanya, der Surfer-Ort Houhaicun, der Sieben-Finger-Berg (Qizhi Shan), die heiße Quelle Guantang in Qionghai, der botanische Garten von Wanning und der Wanquan Fluss. Er entspringt am Wuzhi-Berg in Wuzhishan und ist mit einer Länge von 163 km der drittlängste Fluss in Hainan. An seinem Ober- und Unterlauf wachsen üppige Bäume und Palmen. Der Abschnitt in Qionghai wurde zu einem Touristengebiet erschlossen. Literatur Anmerkungen Weblinks Offizielle Website (chinesisch, englisch) Einzelnachweise Provinz (China) Verwaltungseinheit als Namensgeber für einen Asteroiden Sonderwirtschaftszone
Q42200
339.064341
15096
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Bochum
Die Stadt Bochum [] (westfälisch: Baukem aus altsächsisch Boc-hem []) ist eine Großstadt im Zentrum des Ruhrgebiets. Der Name der Stadt entstand aus früheren niederdeutschen Bezeichnungen wie Bukhem oder Bokheim, wobei boc das niederdeutsche Wort für Buche ist und hum oder hem wiederum für -heim steht. Demnach bezeichnete der Name einen Wohnort unter Buchen und ließe sich heute auch mit „Buchenheim“ übersetzen (vgl. auch Bocholt). Die kreisfreie Stadt im Regierungsbezirk Arnsberg ist neben Duisburg, Essen, Dortmund und Hagen eines der fünf Oberzentren des Ruhrgebiets und gehört zur Metropolregion Rhein-Ruhr. Mit ca. 370.000 Einwohnern ist Bochum die sechstgrößte Stadt Nordrhein-Westfalens, die zweitgrößte Stadt Westfalens und auf Platz 16 der 20 größten Städte Deutschlands. Bochum ist Mitglied im Landschaftsverband Westfalen-Lippe und im Regionalverband Ruhr. Die Einwohnerzahl der Stadt überschritt mit den Eingemeindungen 1904 die 100.000-Grenze und machte Bochum zur Großstadt. Mit der Eingliederung der bis dahin kreisfreien Stadt Wattenscheid (etwa 72.000 Einwohner) wuchs die Stadt 1975 markant. In Bochum befinden sich neun Hochschulen bzw. Dependancen von Hochschulen. Seit Gründung der im südlichen Stadtteil Querenburg gelegenen Ruhr-Universität im Jahr 1962, der ersten Universitätsneugründung in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg und mit über 40.000 Studenten eine der größten Universitäten Deutschlands, ist Bochum Universitätsstadt. Überregional bekannt sind darüber hinaus das Deutsche Bergbau-Museum, das Schauspielhaus, das Zeiss Planetarium Bochum, das Eisenbahnmuseum, das Bermuda3eck, das Ruhrstadion als Spielstätte des VfL Bochum, Tierpark und Fossilium sowie das am längsten am selben Standort laufende Musical der Welt, Starlight Express. Das Stadtbild wird unter anderem durch eine Kirchturm- und Hochhaus-Skyline sowie diverse Baudenkmale vor allem des Historismus, des Expressionismus und der Nachkriegsmoderne geprägt. Auf der Route der Industriekultur „im Herzen des Reviers“ sind die Industriedenkmale der Stadt miteinander verbunden. In Bochum gibt es ferner verschiedene Bergbauinstitutionen. Der Bochumer Verein, gegründet 1842, schrieb Industriegeschichte, als es dem Unternehmen Ende der 1840er Jahre gelang, Stahl in Formen zu gießen. Das bekannteste Produkt der Firma waren Glocken aus diesem Werkstoff. Die 15.000 kg schwere Glocke der Weltausstellung von 1867 vor dem Bochumer Rathaus erinnert an diese Epoche. Nach dem Ende des Bergbaus entwickelte sich Bochum vornehmlich zu einem Technologie- und Dienstleistungsstandort. Geographie Geographische Lage Bochum liegt auf dem flachhügeligen Bochumer Landrücken als Teil der Ruhrhöhen zwischen den Flüssen Ruhr und Emscher an der Grenze zwischen südlicher und nördlicher Ruhrkohlezone. Der höchste Punkt im Stadtgebiet liegt an der Kemnader Straße in Stiepel auf einer Höhe von , der niedrigste Punkt mit liegt am Blumenkamp in Hordel. Flachhügeliger Landrücken bedeutet, dass die Geländeform in Bochum durch gleichmäßige Steigungen und Gefälle, die selten mehr als 3 % betragen, geprägt ist. Einzelne steilere Geländeverläufe sind beispielsweise am Harpener Hellweg beim NSG Berghofer Holz (3,4 %), auf der Westenfelder Str. im Stadtbezirk Wattenscheid (3,47 %) oder auf der Kemnader Str., die vom Ruhrufer in Stiepel () aufwärts zur Ortsmitte von Stiepel (; 5,1 % Steigung) führt, zu finden. Auch Wegstrecken, die vom tiefer gelegenen Ruhrtal durch die zum Bochumer Süden gehörenden Orte führen, weisen eine stärkere Steigung auf (beispielsweise Kassenberger Str. und Dr.-C.-Otto-Str. in Dahlhausen, Blankensteiner Str. in Sundern). Die größte Ausdehnung des Stadtgebiets in Nord-Süd-Richtung liegt bei 13,0 und in West-Ost-Richtung bei 17,1 km. Die Länge der Stadtgrenze beträgt 67,2 km. Geologie Im südlichen Stadtgebiet stehen Sedimentgesteine des flözführenden Oberkarbons an. Diese werden im Norden von Meeresablagerungen der Oberkreide überlagert. Das Inlandeis der Saale-Eiszeit hinterließ eine Grundmoräne, Findlinge und Schmelzwasserablagerungen. In der Weichsel-Kaltzeit wurde Löss abgelagert. Die geologischen Schichten können im ehemaligen Steinbruch der Zeche Klosterbusch und im Geologischen Garten Bochum besichtigt werden. Gewässer Die Gewässer in Bochum entwässern nach Norden hin in die Emscher, nach Süden hin in die Ruhr, die im Bochumer Südosten zum Kemnader See aufgestaut ist. Nach Osten hin die Oelbach, welcher durch den Ümminger See fließt und in die Ruhr mündet. Vegetation Bochum besitzt im Süden einige Wälder, darunter das Weitmarer Holz. In der Regel handelt es sich um Eichen-Buchen-Mischwald. Das Vorkommen der Stechpalme weist auf das gemäßigte Klima hin. In Bochum sind mehrere Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiete ausgewiesen. Nachbargemeinden Stadtgliederung Das Stadtgebiet Bochum besteht aus sechs Stadtbezirken; jeder hat eine Bezirksvertretung, deren Vorsitzender der Bezirksbürgermeister ist. Die Stadtbezirke sind in Stadtteile eingeteilt. Klima Die durchschnittliche Temperatur in Bochum beträgt 10,1 °C im Jahresmittel. Der kälteste Monat ist der Januar mit 2,5 °C, der wärmste der Juli mit 18,4 °C. Die Niederschlagsmenge beträgt ca. 750 Millimeter pro Jahr, wobei der meiste Niederschlag mit 85 Millimeter im August fällt. Umweltzone Die Umweltzone in Bochum wurde am 1. Oktober 2008 eingerichtet und zum 1. Januar 2012 verändert. Sie umfasst gegenwärtig drei Viertel aller Haushalte der Stadt. Geschichte Archäologische Funde zeugen von einer sesshaften Besiedlung des heutigen Bochumer Stadtgebiets in der späten Jungsteinzeit im Bereich des Oelbachs. Die erste urkundliche Erwähnung findet sich 890 im Heberegister der Abtei Werden. Es wird aber vermutet, dass Karl der Große bereits um 800 am Schnittpunkt zweier Handelsstraßen südlich der heutigen Propsteikirche einen Reichshof anlegen ließ. Im Jahre 1041 wurde der Ort in einem Dokument der Kölner Erzbischöfe unter dem Namen „Cofbuokheim“ urkundlich erwähnt. 1321 bestätigte Graf Engelbert II. von der Mark Bochum in einer Urkunde bestehende Befugnisse des Schultheißen. Dies wird häufig als die Verleihung von Stadtrechten erwähnt. Die ab 1400 in mehreren Linien bis heute bestehende Familie von Berswordt ist mit der Zweiglinie von Berswordt-Wallrabe in Weitmar ansässig. Schon im 13. Jahrhundert wurde nachweislich im Ruhrtal Steinkohlenbergbau betrieben, so kann man dies auch für das Gebiet Bochums annehmen. Urkundlich taucht die Steinkohle im Bochumer Bereich erst 1537 in kirchlichen Rechnungsbücher auf. Der Bergbau wurde auch später nur im kleinen Umfang betrieben, Bochum bleibt bis ins 19. Jahrhundert hinein nur eine Ackerbürgerstadt mit einigen überörtlichen Behörden, zu denen 1738 für einige Jahre ein Bergamt kam. Zudem war Bochum eine innerländische Hansestadt. Siehe auch: Liste von Bergwerken in Bochum Bis 1806 gehörte die Stadt zur preußischen Grafschaft Mark, dann bis 1813 zum Ruhrdepartement des Großherzogtums Berg, anschließend vorübergehend zum preußischen Zivilgouvernement zwischen Weser und Rhein. 1815 kam die Stadt zu Preußen und wurde der Provinz Westfalen zugeordnet. 1817 wurde die Stadt Bochum Sitz des Kreises Bochum, aus dem sie jedoch 1876 ausschied, um kreisfreie Stadt zu werden. Der Kreis Bochum bestand noch bis 1929 und wurde dann aufgelöst. Der Aufstieg Bochums zur Zechenstadt begann 1844, als hinter der Stadtgrenze des noch selbständigen Hamme der erste Schacht der Zeche Präsident die regelmäßige Förderung aufnahm. Dies war die erste Tiefbauzeche des westfälischen Teils des Ruhrgebietes, wobei die Mergeldecke durchstoßen wurde. In den 1850er und 1860er Jahren folgte die Gründung von Tiefbauzechen, die zum Ende des 19. Jahrhunderts die Wirtschaftsstruktur neben der Stahlindustrie prägten. Technische Schwierigkeiten beim Aufbau der Zechen und damit bedingte finanzielle Engpässe führten dazu, dass sich die Zechen erst langsam entwickelten. Weiterhin bedingte die Konjunkturkrise nach der Reichsgründung, dass die Absatzmärkte für Kohle zeitweise einbrachen. Der entscheidende Aufstieg und weitere Ausbau der Zechen folgte in den 1880er Jahren. Alle Zechen verfügten mittlerweile über einen Bahnanschluss. Die als Koks veredelte Kohle wurde für die Stahlerzeugung benötigt; dies führte zu der Errichtung von Kokereien auf den Zechengeländen. Jacob Mayer erwarb 1843 ein Gelände an der Essener Chaussee, auf dem eine Fabrik zur Erzeugung von Gussstahl errichtet wurde. 1854, nach finanzieller Beteiligung Kölner Kaufleute, wurde der Betrieb in Bochumer Verein für Bergbau und Gußstahlfabrikation umbenannt. Unter dem technischen Direktor Louis Baare entwickelte sich der Bochumer Verein zu einem der führenden Unternehmen des Ruhrgebietes. 1843 wurde Max Greve zum Bürgermeister gewählt, der wesentlich den Aufbau Bochums zur Industriestadt unterstützte. Während seiner Amtszeit erfolgte die Gründung der Gasanstalt (1855), des Wasserwerkes (1871) und die Gründung der Handelskammer (1856). Der ökonomische Aufstieg der Zechen und der Stahlindustrie führten zu einem hohen Arbeitskräftebedarf, der durch die damalige Bevölkerung nicht zu decken war. Die Bevölkerung Bochums wuchs von 1843 bis 1873 von 4282 auf 25174 Einwohner. Um Arbeitskräfte anzuwerben wurden Wohnungen in Werksnähe geschaffen, die abseits der traditionellen Wohnbereiche lagen. Im Griesenbruch lagen die Werkswohnungen des Bochumer Vereins, durch die Gussstahlbahn vom Bochumer Stadtgebiet abgetrennt. 1860 erhielt Bochum Anschluss an die Bahnstrecke Witten/Dortmund–Oberhausen/Duisburg der Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft, 1874 folgte die Bahnstrecke Osterath–Dortmund Süd der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft, beide wurden ab 1880 verstaatlicht. Das Wachstum Bochums im auslaufenden 19. Jahrhunderts erfolgte ohne übergeordnete Planung, und so konnte sich vorerst keine geordnete Infrastruktur entwickeln. An den Zechenstandorten entstanden Industrieansiedlungen und Werkswohnungen, während die eingesessenen landwirtschaftlichen Betriebe um die Industriestandorte weiterhin Ackerbau betrieben. Den stärksten Bevölkerungszuwachs hatten die nördlichen und östlichen Vororte (Langendreer, Werne, Riemke, Hofstede). Die erste Straßenbahnlinie wurde 1894 in Betrieb gestellt, sie verband Bochum und Herne. Seit 1896 wird die Strecke von der Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (BoGeStra) betrieben. Zum Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich die Bebauung angrenzender Vororte bis an das Bochumer Stadtgebiet ausgedehnt, und es entwickelten sich Abhängigkeiten bei der Infrastruktur wie der Gas- und Wasserversorgung. Dies führte zur ersten Eingemeindungswelle, bei der Hamme, Hofstede, Grumme und Wiemelhausen der Stadt Bochum zugeschlagen wurden. 1905 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt die Grenze von 100.000 – Bochum war Großstadt. Die Bochumer Innenstadt hatte eine sehr heterogene Struktur, die noch stark von der Zeit als Kleinstadt geprägt war. Eine einheitliche Gestaltung der Innenstadt und ein planmäßiger Ausbau des Stadtteils Ehrenfeld erfolgten bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges. Die Folgen des Krieges – Arbeitslosigkeit, Streiks, die französische Besetzung, die Geldentwertung – unterbrachen das weitere Wachstum. Ein wirtschaftlicher Aufschwung folgte in den Jahren 1925 bis 1929. In dieser Zeit wurden weitere Vororte dem Bochumer Stadtgebiet zugeschlagen (u. a. Riemke, Langendreer, Stiepel, Querenburg). Das Stadtgebiet reichte nunmehr bis zum nördlichen Ruhrtal. Allerdings wurde dem Bochumer Begehren, einen Zugang zum wirtschaftlich wichtigen Rhein-Herne-Kanal auf dem Stadtgebiet herzustellen, nicht entsprochen. Am 9. November 1938, in den Novemberpogromen, kam es auch in Bochum zu Ausschreitungen gegen die Juden; die Synagoge wurde in Brand gesteckt. Erstmals wurden Juden in Konzentrationslager verschleppt und zahlreiche jüdische Einrichtungen und Wohnungen zerstört. Etwa 500 jüdische Bürger sind namentlich bekannt, die in den folgenden Jahren im Holocaust umkamen, darunter 19, die jünger als 16 Jahre alt waren. Im Dezember 1938 begann die jüdische Volksschullehrerin Else Hirsch mit der Organisation von insgesamt zehn Kindertransporten in die Niederlande und nach Großbritannien, um jüdische Kinder und Jugendliche zu retten. Auch viele Bochumer Kinder anderer verfolgter Gruppen wurden von niederländischen Familien aufgenommen und so vor Verschleppung und Ermordung bewahrt. Im Rahmen der NS-Zwangsarbeit wurden während des Zweiten Weltkriegs mehr als 30.000 Menschen als Zwangsarbeiter in Bochum und Wattenscheid eingesetzt. Während des Zweiten Weltkrieges wurde die Stadt durch Bombenangriffe schwer getroffen. Vom Mai 1940 bis März 1945 sind bei 12 Großangriffen und über 135 mittelschweren Bombardierungen, hauptsächlich durch die Royal Air Force, insgesamt über 500.000 Bomben abgeworfen worden. Große Teile der Gebäude waren beschädigt und über 20 % vollständig zerstört, in der Innenstadt sogar über 60 % der Häuser. Ein wichtiges Ziel unter anderem war der Bochumer Verein als drittgrößter Betrieb der Vereinigten Stahlwerke AG. Bis heute werden Fliegerbomben als Bombenblindgänger gefunden und müssen durch den Kampfmittelräumdienst entschärft werden. Aufgrund des Krieges flohen auch viele Bochumer aus der Stadt, und viele der Schulkinder wurden per Kinderlandverschickung meistens nach Pommern evakuiert. Am 10. April 1945 besetzte schließlich die US-Armee Bochum. Andernorts in Deutschland wurde der Krieg noch bis Anfang Mai fortgesetzt. Der Zweite Weltkrieg endete letztlich am 8. Mai mit der Bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht. Über 4.000 Bochumer starben bei den Bombardierungen, über 7.000 tote Soldaten aus Bochum waren zu beklagen und 1948 waren noch über 8.000 Bochumer vermisst oder in Gefangenschaft. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gehörte Bochum zur Britischen Besatzungszone. Von der britischen Militärverwaltung wurden in Bochum zwei DP-Lager eingerichtet zur Unterbringung so genannter Displaced Persons. Die Mehrzahl von ihnen waren ehemalige Zwangsarbeiter aus Polen. In der Nachkriegszeit entwickelte sich Bochum zu einem Kulturzentrum des Ruhrgebietes. 1962 eröffnete, unter anderem auf dem ehemaligen Zechengelände der Zeche Dannenbaum, die Adam Opel AG, eine Tochter von General Motors, in den Stadtteilen Laer und Langendreer die drei Opelwerke (Werk I, Werke II/III), die zum Symbol für den Strukturwandel im Ruhrgebiet wurden. 1964 wurde im Stadtteil Harpen mit dem Ruhr-Park das zweite Einkaufszentrum „auf der grünen Wiese“ in der Bundesrepublik fertiggestellt, heute das größte seiner Art in Deutschland. 1973 schloss die letzte Bochumer Zeche (Zeche Hannover). Neben ausgedehnten industriellen Zonen entstanden große durchgrünte, zum Teil fast ländlich wirkende Bereiche, die unter anderem bis zur Ruhr und zum Kemnader Stausee (Freigabe 1980) reichen. 1979 wurden die erste Stadtbahn-Strecke und das Ruhrstadion eröffnet. Seit 1965 ist Bochum Universitätsstadt (Ruhr-Universität mit über 40.000 Studierenden), seit 1988 auch Musical-Stadt. Am 12. Juni 1988 eröffnete die deutschsprachige Musicalproduktion Starlight Express von Andrew Lloyd Webber am Stadionring. 1989 nahm die Stadtbahnlinie U 35 von Bochum Hauptbahnhof nach Herne-Schloss Strünkede den Betrieb auf. 1993 schlossen sich die Städte Bochum, Hattingen, Herne und Witten zur Region Mittleres Ruhrgebiet zusammen. 2003 wurde das Veranstaltungszentrum RuhrCongress eingeweiht. Im Jahr 2005 erfolgte die Grundsteinlegung für die neue Synagoge der jüdischen Gemeinde Bochum–Herne–Hattingen. Im Jahr 2000 war der Tagesbruch des Höntroper Lochs wochenlang das bestimmende Thema der nationalen Medien, durch den mehrere Wohnhäuser über Nacht buchstäblich am Abgrund standen. Der Standort Bochum hatte seit der Finanzkrise 2008 mit der Schließung des Nokia-Werks und der sich bereits anbahnenden Schließung der Opel-Fahrzeugproduktion, die schließlich Ende 2014 vollzogen wurde, zu kämpfen. Allein der Wegfall der Fahrzeugproduktion kostete rund 3000 Beschäftigten den Arbeitsplatz. Eingemeindungen Am 1. April 1904 erfolgten die ersten Eingemeindungen: Grumme, Hamme, Hofstede und Wiemelhausen. Am 1. April 1926 gab es eine zweite Eingemeindungswelle: Altenbochum, Bergen, Hordel, Riemke, Weitmar sowie Teile von Eppendorf, Höntrop und Westenfeld wurden eingegliedert. In die benachbarte Stadt Wattenscheid wurden die Gemeinden Munscheid, Eppendorf, Günnigfeld, Höntrop, Westfälisch Leithe, Sevinghausen und Westenfeld sowie ein kleiner Teil von Königssteele eingegliedert. Am 1. August 1929 fand die dritte große Eingemeindung statt mit Gerthe, Harpen, Hiltrop, Laer, Langendreer, Linden-Dahlhausen, Querenburg, Stiepel und Werne. Am 1. Januar 1975 folgte noch die Vereinigung mit der seit April 1926 kreisfreien Stadt Wattenscheid zur neuen Stadt Bochum mit der bis heute gültigen Ausdehnung. Einwohnerentwicklung 1904 überschritt die Einwohnerzahl der Stadt Bochum die Grenze von 100.000, wodurch sie zur Großstadt wurde. Bis 1926 verdoppelte sich diese Zahl auf 200.000. Am 1. Januar 1975 erreichte die Bevölkerungszahl durch Eingemeindung der Stadt Wattenscheid (81.469 Einwohner, 1974) mit 417.336 ihren historischen Höchststand. Am 31. Dezember 2020 betrug die „Amtliche Einwohnerzahl“ für Bochum nach Fortschreibung des Landesbetriebs Information und Technik Nordrhein-Westfalen in der Landesdatenbank NRW 364.454, bis 2059 wird sie laut Prognose des Landesbetriebs auf 359.000 zurückgehen. Die Arbeitslosenquote in Bochum lag zum 31. Dezember 2021 bei 8,7 Prozent und damit über dem landesweiten Durchschnitt in Nordrhein-Westfalen (7,3 Prozent im März 2022). Religionen Die langfristige Entwicklung zeigt, dass sich seit 1990 der Anteil der Bochumer Bevölkerung mit katholischer und evangelischer Religionszugehörigkeit immer weiter angeglichen hat, jedoch für beide Religionsgemeinschaften mit sinkenden Anteilen. Dagegen steigt in den letzten Jahren der Anteil der Menschen, die einer sonstigen öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaft angehören oder keine Zugehörigkeit haben, kontinuierlich an. Konfessionsstatistik Im Jahr 1990 waren 42,1 % der Einwohner evangelisch und 39,4 % römisch-katholisch. Die langfristige Entwicklung seit 1990 zeigt, dass der Anteil der Bevölkerung, der einer anderen oder keiner christlichen Konfession oder einer anderen Glaubensgemeinschaft angehört, kontinuierlich steigt und im Jahr 2009 mit 33,8 % erstmals größer war als der Anteil der Bevölkerung mit evangelischer oder römisch-katholischer Konfession. Auch gibt es derzeit mehr Mitglieder der römisch-katholische Kirche als der evangelische Kirche in Bochum. Am Stichtag 31. Dezember 2022 waren von den 372.854 Einwohnern 26,0 % römisch-katholisch, 24,9 % evangelisch und 49,1 % gehörten einer anderen oder keiner Glaubensgemeinschaft an. Nach einer Schätzung aus den Zensuszahlen für die Personen mit Migrationshintergrund lag der Bevölkerungsanteil der Muslime in Bochum 2011 bei 7,4 % (rund 26.700 Personen). Christentum Römisch-katholische Kirche Bochum gehörte seit der Gründung zum Erzbistum Köln und war dem Archidiakonat des Kölner Dompropstes unterstellt. Um 1570 fasste die Reformation Fuß. Doch dauerte es noch bis 1613, als sich die lutherische Gemeinde von der katholischen Gemeinde trennte. Ab 1634 entstand auch eine reformierte Gemeinde. Die Gemeinden um Bochum herum, die heute auch zu der Stadt Bochum gehören, war danach überwiegend protestantisch. In der alten Stadt Bochum selber wurde 1659 die evangelische Kirche (heutige Pauluskirche) und 1698 die reformierte Kirche (die im Krieg zerstörte Johanniskirche) eingeweiht. 1821 wurde sie dem Bistum beziehungsweise Erzbistum Paderborn zugeordnet. Bochum wurde Sitz eines Dekanats, das später in die Dekanate Bochum-Mitte, Bochum-Süd und Bochum-Ost unterteilt wurde. Vom 31. August bis zum 4. September 1949 fand in Bochum der 73. Deutsche Katholikentag unter dem Motto „Gerechtigkeit schafft Frieden“ statt. 1958 wurde Bochum dem neu gegründeten Bistum Essen angegliedert. Zu den ältesten Gründungen des Ruhrgebietes gehört die Kirchengemeinde im Stadtteil Stiepel (885 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt) mit ihrem weithin bekannten und einzigen Marien-Wallfahrtsort des Bistums Essen. Stiepel entwickelte sich zu einem vielbesuchten Wallfahrtsort, der 1294 durch ein Dekret des Papstes Bonifaz VIII. bestätigt wurde. Jährlich besuchen etwa 70.000 Pilger die Stiepeler Wallfahrtskirche St. Marien mit dem Gnadenbild der „Schmerzhaften Mutter“, die zum Areal des von den Zisterziensern errichteten „Kloster Stiepel“ gehört. Die Pfarrgemeinden Bochums gehören heute zum Stadtdekanat Bochum bzw. Wattenscheid. Umstrukturierung des Bistums Essen Am 1. September 2008 wurden nach den Plänen des Bischofs von Essen alle Bochumer Pfarrgemeinden einschließlich der Urpfarrei St. Peter und Paul aufgelöst. Im Stadtgebiet gibt es jetzt vier Großpfarreien und eine Klosterpfarrei: St. Peter und Paul (für die Stadtteile Innenstadt, Ehrenfeld, Hamme, Hordel, Hofstede, Riemke und Grumme) Liebfrauen, Bochum (für die Stadtteile Altenbochum, Langendreer, Laer, Werne, Gerthe, Harpen und Hiltrop) St. Franziskus, Weitmar (für die Stadtteile Weitmar, Linden, Dahlhausen, Wiemelhausen, Querenburg, Hustadt und Steinkuhl) St. Gertrud (für ganz Wattenscheid) Für die Gesamtübersicht der Gemeindekirchen, Filialkirchen und weiteren Kirchen: → siehe auch Bistum Essen. Die Zisterzienser-Klosterpfarrei St. Marien in Stiepel bleibt als eigenständige Gemeinde bestehen und wird nicht in die neue Struktur des Bistums Essen eingegliedert. Im Jahr 2015 waren 113.657 Bochumer als Katholiken gemeldet. Rund 9800 Katholiken (9 %) besuchten im Schnitt die Gottesdienste in einer der 41 katholischen Kirchen in Bochum. Im Jahr 2018 waren 108.184 Bochumer als Katholiken gemeldet. Evangelische Kirche Die evangelischen Gemeinden Bochums kamen mit dem Übergang der Stadt an Preußen zur Evangelischen Kirche in Preußen beziehungsweise deren westfälischer Provinzialkirche. Bochum wurde Sitz einer Superintendentur, aus der der heutige Kirchenkreis Bochum innerhalb der Evangelischen Kirche von Westfalen hervorging. Dieser umfasst insgesamt 22 evangelische Kirchengemeinden innerhalb der Stadt Bochum. Infolge der von König Friedrich-Wilhelm III. von Preußen verordneten Union zwischen lutherischer Kirche und reformierter Tradition zur unierten Evangelischen Kirche in Preußen im Jahr 1817 entstand in Ablehnung dieser Union die Evangelisch-lutherische (altlutherische) Kirche. In Bochum finden sich bis heute zwei evangelisch-lutherische Kirchengemeinden, die Kreuzkirchengemeinde und die Epiphaniasgemeinde. Beide Kirchengemeinden gehörten zum Kirchenbezirk Westfalen der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche. In Bochum und darüber hinaus ist die Epiphaniaskirche als Autobahnkirche Ruhr bekannt. Im Jahr 2015 gehörten 90.795 Bochumer der evangelischen Kirche an. Die Zahl hatte sich gegenüber 2014 um 1898 vermindert. Freikirchen und andere christliche Gemeinden Neben den evangelischen und römisch-katholischen Gemeinden in Bochum gibt es auch noch verschiedene evangelische Freikirchen, darunter die Kirche im Pott, Gemeinde der Christen Ecclesia, die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden (Baptisten), Freie evangelische Gemeinden, die Siebenten-Tags-Adventisten, die Gemeinde Gottes und die Jesus Freaks. Auch die Neuapostolische Kirche und die Christengemeinschaft sowie die Zeugen Jehovas sind in Bochum vertreten. Mit der Kirche des Heiligen Georg, einer aufgegebenen ehemaligen katholischen Kirche, gibt es auch eine russisch-orthodoxe Kirche in Bochum. Judentum Die Alte Synagoge Bochum lag in der Nähe des heutigen Dr.-Ruer-Platz, bis sie bei den Novemberpogromen 1938 zerstört wurde. Die Zahl jüdischer Bürger in Bochum sank von über 1352 Mitgliedern im Jahr 1932 durch die Nazizeit auf 33 Menschen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Am 14. November 2005 wurde im Beisein des Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, der Grundstein für die Neue Synagoge Bochum der Jüdischen Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen an der Castroper Straße neben dem Zeiss Planetarium Bochum gelegt. In den offiziellen Grundstein legte Oberbürgermeisterin Ottilie Scholz neben einer aktuellen Tageszeitung einen silbernen Stadtbarren als Erinnerung an den Tag. Die Einweihung der Synagoge erfolgte am 16. Dezember 2007. Im Jahr 2021 zählte die Gemeinde Bochum-Herne-Hattingen 991 Mitglieder. Die meisten sind aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zugewandert. Islam Durch die Arbeitsmigration in den 1960er Jahren ließen sich viele muslimische Familien in Bochum nieder. Im Jahr 2012 lebten etwa 30.000 Muslime in Bochum. Im Jahr 2009 gründete sich die Arbeitsgemeinschaft Bochumer Moscheen. Dies ist ein Zusammenschluss aller Gemeinden in Bochum und verfolgt das Ziel, gemeinsame Projekte zu verwirklichen, um so eine Hilfe für die muslimischen Einwohner sowie auch ein besseres Sprachrohr in der Gesellschaft zu sein. In der Gemeinschaft sind zehn Bochumer Moscheen vertreten. Die Aleviten sind im Alevitischen Kulturverein organisiert. Buddhismus Im Jahr 2013 hat die thailändische Gemeinde in Bochum den buddhistischen Tempel „Wat Buddhabharami“ auf der Hannoverstraße eingeweiht. Jesidentum Im Jahr 2016 wurde eine Gemeinde für Jesiden namens „Gemeinde der Êzîdên“ gegründet; sie befindet sich in der Alten Wittener Straße 13. Politik Geschichtliche Entwicklung An der Spitze der Stadt stand zunächst der gräfliche Stadtschultheiß der Grafschaft Mark. Doch ist bereits seit 1321 ein Rat nachweisbar, dem zwei Bürgermeister und sechs Ratsmänner („Ratsfreunde“) angehörten. Die Bürgermeister wurden bis 1744 jährlich gewählt. Ab 1731 gab es einen „worthaltenden Bürgermeister“, der die Gesamtleitung der Stadt hatte und einen 2. Bürgermeister, der für Polizeiangelegenheiten und das Marktwesen zuständig war. Daneben gab es drei Senatoren, für Bau- und Wohnungswesen, für Feuerwesen und für die Kämmerei. Zwischen 1714 und 1765 wurde der Rat von der preußischen Regierung ernannt. Danach wurde er wieder gewählt. In französischer Zeit stand ein Maire, ab 1815 ein Bürgermeister an der Spitze der Stadt. 1843 wurde in der Stadt die Landbürgermeisterei abgetrennt und die revidierte Städteordnung eingeführt. Während der Zeit der Nationalsozialisten wurde der Oberbürgermeister (OB) von der NSDAP eingesetzt. Bochum wurde Verwaltungssitz des NS-Gaus Westfalen-Süd. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte die Militärregierung der Britischen Besatzungszone einen neuen OB ein und 1946 führte sie die Kommunalverfassung nach britischem Vorbild ein. Danach gab es einen vom Volk gewählten „Rat der Stadt“, dessen Mitglieder man als „Stadtverordnete“ bezeichnete. Der Rat wählte anfangs aus seiner Mitte den OB als Vorsitzenden und Repräsentanten der Stadt, der ehrenamtlich tätig war. Des Weiteren wählte der Rat ab 1946 ebenfalls einen hauptamtlichen Oberstadtdirektor als Leiter der Stadtverwaltung. 1994 wurde in der Stadtverwaltung die Doppelspitze aufgegeben. Seither gibt es nur noch den hauptamtlichen OB. Ernst-Otto Stüber war in Nordrhein-Westfalen der erste hauptamtliche Oberbürgermeister, alle anderen Kommunen wendeten das geänderte Landesgesetz von 1994 erst bei der Wahl 1999 an. Dieser ist Vorsitzender des Rates, Leiter der Stadtverwaltung und Repräsentant der Stadt. Zusammen mit dem Stadtdirektor, dem Stadtkämmerer und vier weiteren Dezernenten bildet er den Verwaltungsvorstand der Stadt Bochum. Er wurde 1999 erstmals direkt vom Volk gewählt. Stadtoberhäupter Bürgermeister Hauptamtliche Bürgermeister 1714–1721: Johann Wilhelm Mallinckrodt 1723–1761: Johann Karl Bordelius 1762–1772: Gerhard Wilbrand Lennich 1772: Johann Conrad Jacobi 1773–1817: Georg Friedrich Jacobi 1817–1835: Caspar Heinrich Steelmann 1835–1842: Heinrich von Lüdemann 1843–1873: Max Greve 1874–1876: Richard Karl Adalbert Prüfer Oberbürgermeister Hauptamtliche Oberbürgermeister 1877–1891: Carl Bollmann 1892–1899: Karl Hahn, Nationalliberale Partei 1900–1925: Fritz Wilhelm Georg Graff 1925–1933: Otto Ruer, parteilos 1933–1943: Otto Leopold Piclum, NSDAP 1944–1945: Friedrich Hesseldieck, NSDAP 1945: Ferdinand Bahlmann (kommissarisch) 1945–1946: Franz Geyer Ehrenamtliche Oberbürgermeister 1946: Tilmann Beckers, CDU (von der britischen Militärregierung nicht anerkannt) 1946–1952: Willi Geldmacher, SPD 1952–1969: Fritz Heinemann, SPD 1969–1975: Fritz Claus, SPD 1975–1994: Heinz Eikelbeck, SPD Hauptamtliche Oberbürgermeister 1994–2004: Ernst-Otto Stüber, SPD 2004–2015: Ottilie Scholz, SPD 2015–: Thomas Eiskirch, SPD Bei der Wahl des Oberbürgermeisters am 13. September 2020 gewann der Amtsinhaber Thomas Eiskirch (SPD) mit 61,76 % gegen seine Mitbewerber bei einer Wahlbeteiligung von 48,65 %. Oberstadtdirektoren 1946: Franz Geyer (von der britischen Militärregierung nicht anerkannt) 1946–1951: Franz Schmidt, CDU 1952–1976: Gerhard Petschelt, SPD 1976–1990: Herbert Jahofer, SPD 1990–1993: Dieter Bongert, SPD 1993–1994: Burkhard Dreher, SPD Stadtrat Seit 2014 sind im Stadtrat von Bochum 7 Parteien und 2 Wählergruppen vertreten. Sechs Parteien und eine Wählergruppe erreichten Fraktionsstatus, die Vertreter von Die PARTEI und STADTGESTALTERN schlossen sich zur Fraktion „Die PARTEI & STADTGESTALTER“ zusammen. SPD und Grüne bilden in der Wahlperiode 2020–2025 eine Koalition. Sie setzen damit ihre gemeinsame Arbeit der letzten beiden Wahlperioden fort. In den vergangenen Wahlperioden verteilten sich die Sitze im Stadtrat folgendermaßen: Nach der Stadtratswahl am 13. September 2020 gibt es im Stadtrat folgende Sitzverteilung (Stand: Oktober 2020). Wahlverhalten Ruhrparlament Im Rahmen der Kommunalwahlen in NRW wurde das Ruhrparlament, die Verbandsversammlung des Regionalverbandes Ruhr, erstmals direkt gewählt. In der Stadt Bochum lag die Wahlbeteiligung bei dieser Wahl bei 48,2 %. Dabei fielen 33,5 % der Bochumer Stimmen an die SPD, 22,6 % an die Grünen und 19,9 % an die CDU. Die restlichen Stimmen fielen auf sonstige Parteien. Diese Verteilung entspricht nur bedingt dem Gesamtergebnis der Ruhrparlamentswahlen. Abgeordnete Für Bochum im Landtag Nordrhein-Westfalen sitzen Andrea Busche (SPD), Bastian Hartmann (SPD) und Serdar Yüksel (SPD), im Deutschen Bundestag wird der Bundestagswahlkreis Bochum I durch Axel Schäfer (SPD) und der Bundestagswahlkreis Herne – Bochum II durch Michelle Müntefering (SPD) vertreten. Verschuldung Die Gesamtsumme der Verschuldung der Stadt Bochum belief sich zum Jahresende 2012 auf 2,341 Milliarden Euro. Jeder Einwohner war damit rechnerisch mit 6471 Euro verschuldet. Im Jahr 2017 sorgten die gesamten Kredite in Höhe von 1,79 Milliarden Euro für eine Pro-Kopf-Verschuldung von knapp 5000 Euro. Wappen Das Wappen der Stadt Bochum zeigt in Blau einen in drei Reihen weiß-rot geschachten Balken, den märkischen Schachbalken, belegt mit einem stehenden schwarzen Buch mit goldenem Schnitt, silberner Deckelprägung und zwei silbern verzierten schwarzen Schließen. Die Stadtfarben sind Blau-Weiß. Das heutige Wappen wurde nach der jüngsten Vergrößerung des Stadtgebiets 1975 angenommen. Der Rat der Stadt Bochum beschloss am 31. August 1978, das Wappen zu ändern, wobei der rot-weiße Balken aus dem alten Wattenscheider Wappen stammt. Gleichzeitig fiel die heraldische Mauerkrone weg. Da Bochum nie eine Stadtmauer hatte, wurde dies später bei der Änderung des Wappens auf der Amtskette als „heraldischer Tinnef“ bezeichnet. Das neue Wappen wurde mit dem 1. Januar 1979 eingeführt. Das zuvor verwendete Wappen zeigte lediglich das Buch ohne den weiß-roten Balken. Es wurde von einer Stadtmauer gekrönt. Dieses Wappen war 1913 amtlich festgelegt und 1953 durch die Hauptsatzung der Stadt bestätigt worden, wobei es bereits in den Siegelabdrucken aus dem 14. Jahrhundert zu sehen ist. Die Herkunft des Buches als Wappensymbol ist jedoch nicht bekannt. Es wurde gelegentlich auch als „redendes Wappen“ bezeichnet, weil man angenommen hatte, der Stadtname Bochum komme vom Wort Buch. Dies konnte jedoch nicht bestätigt werden. Tatsächlich waren es wohl die Bochum umgebenden Buchenwälder, die der Stadt zu ihrem Namen verholfen haben. Städtepartnerschaften und Städtepatenschaft Bochum unterhält mit folgenden Städten Städtepartnerschaften: Nach den Partnerstädten (mit Ausnahme von Xuzhou) sind Teile des Bochumer Rings und der ehemalige Opelring benannt. Bochum ist zudem Patenstadt des ehemaligen Landkreises Neidenburg im früheren Ostpreußen und der Stadt Neidenburg in Polen. Die Kreisgemeinschaft Neidenburg kümmert sich um die Verbindung der alten Bewohner des Kreises und ihrer Nachkommen untereinander. Für Geflüchtete aus dem Kreis Neidenburg wurde an der Neidenburger Straße eine kleine Siedlung für 16 Familien errichtet. Im Jahr 1961 wurden in der Siedlung ein Gedenkstein eingeweiht. Von 1960 bis 1971 hatte die Stadt Bochum die Namenspatenschaft für einen Minenleger der Bottrop-Klasse, der MS Bochum. Eine Boeing 707 wurde 1966 auf den Namen Bochum getauft. Von 1990 bis 2013 trug die Boeing 747-400 der Lufthansa mit der Registrierung D-ABVD den Taufnamen Bochum in alle Welt. Seit Ende 2017 ist ein Airbus A350-941 der Lufthansa mit der Registrierung D-AIXF auf den Namen der Stadt getauft. Seit 2003 trägt ein ICE-Triebzug der Deutschen Bahn den Namen Bochum. Öffentliche Sicherheit Für die öffentliche Sicherheit auf dem Gebiet der Stadt Bochum ist neben dem städtischem Ordnungsamt das Polizeipräsidium Bochum zuständig. Kultur und Sehenswürdigkeiten Bochum und das Ruhrgebiet waren erfolgreich unter dem Titel RUHR.2010 im Jahr 2010 Kulturhauptstadt Europas. Im Vorfeld fand am 12. Dezember 2009 in der Bochumer Jahrhunderthalle, umrahmt von einem europäischen Filmfest, die 22. Preisverleihung des Europäischen Filmpreises – des so genannten „europäischen Oscars“ – statt. Theater Bochum verfügt über mehr als 20 Theaterspielstätten (Constantin Musik Theater, Der Zauberkasten, Deutsches Forum für Figurentheater und Puppenspielkunst, Figurentheater-Kolleg, Freilichtbühne Wattenscheid, Jahrhunderthalle, Musisches Zentrum der Ruhr-Universität Bochum, Prinzregenttheater, Rottstraße 5 Theater, Stadtteilladen Regenbogen, RuhrCongress Bochum, Schauspielhaus Bochum, Stadthalle Wattenscheid, Starlight Express, Kulturhaus Thealozzi, Theater der Gezeiten, Theater Thespis, Theater Total, Varieté Et cetera, Volksbühne im Saalbau Spitz, Waldbühne Höntrop, Zeitmaultheater). Das Schauspielhaus Bochum ist eine der renommiertesten Bühnen für Sprechtheater in Deutschland. Das städtische Theater wurde 1915 in einem 1908 gebauten ehemaligen Varietétheater eröffnet. Während des Ersten Weltkrieges gastierte dort die städtische Bühne aus Düsseldorf. Seit 1919 mit einem eigenen Ensemble, machte sich das Theater als Shakespeare-Bühne einen Namen. Im Zweiten Weltkrieg fast völlig zerstört, entstand auf den alten Fundamenten bis 1954 das heutige Schauspielhaus, das auch architektonisch bemerkenswert ist (Architekt: Gerhard Graubner). Das Schauspielhaus Bochum ist nicht zuletzt wegen seiner Intendanten berühmt: Saladin Schmitt (1919–1949) Hans Schalla (1949–1972) Peter Zadek (1972–1979) Claus Peymann (1979–1986) Frank-Patrick Steckel (1986–1995) Leander Haußmann (1995–2000) Matthias Hartmann (2000–2005) Elmar Goerden (2005–2010) Anselm Weber (2010–2017) Olaf Kröck (2017–2018, Interimsintendant) Johan Simons (ab Mitte 2018) Starlight Express – Im Jahr 1988 produzierte Friedrich Kurz das Musical Starlight Express in Bochum und ließ dafür eigens das Starlight Express Theater bauen. Seit 1988 ist das Musical ein Publikumsmagnet in Bochum. Mit mittlerweile 30 Jahren Laufzeit am selben Standort und mit über 16 Millionen Besuchern ist es das erfolgreichste Musical der Welt. Jahrhunderthalle – die im Westpark gelegene Jahrhunderthalle ist eine der Hauptspielstätten der Ruhrtriennale und wird zudem für Großveranstaltungen jeglicher Art genutzt – so unter anderem für Konzerte (Rock/Pop, Bochumer Symphoniker), Kongresse, Preisverleihungen (zum Beispiel die Einslive-Krone oder der Steiger Award). Museen und Sammlungen Die Stadt Bochum beherbergt über zwölf Museen: Bauernhausmuseum bei Haus Kemnade, Deutsches Bergbaumuseum, Eisenbahnmuseum Bochum-Dahlhausen,Haus Kemnade mit Instrumentensammlung Grumbt, der Ostasiensammlung Ehrich und der Spardosen Sammlung der Sparkasse Bochum, Heimatmuseum Helfs Hof, Kunstsammlungen und Antikenmuseum der Ruhr-Universität, Medizinhistorische Sammlung der Ruhr-Universität Bochum, Museum Bochum – Kunstsammlung, Stadtarchiv Bochum mit eigenen und wechselnden Ausstellungen Situation Kunst (mit Museum unter Tage), Telefonmuseum, Zeche Hannover (mit Zeche Knirps), Brauereimuseum Fiege, Heimatmuseum Eppendorf. Museum Bochum – Kunstsammlung: Das Museum wurde 1960 in der Villa Marckhoff eröffnet. 1983 fand mit einem Neubau der dänischen Architekten Bo und Wohlert eine Erweiterung statt. Die Sammlung umfasst zum einen deutsche Kunst nach 1945 und zum anderen internationale Kunst des 20. Jahrhunderts. Das Museum liegt gegenüber dem südlichen Hauptzugang zum Stadtpark Bochum. 2020 wurde in der Villa Marckhoff eine Dauerausstellung der eigenen Sammlung eröffnet. Deutsches Bergbaumuseum: Das Bergbau-Museum wurde im Jahre 1930 von der Westfälischen Berggewerkschaftskasse und der Stadt Bochum gegründet. Es ist zudem Zentrum der Montangeschichtsforschung in Deutschland. Das 1974 von der Dortmunder Zeche „Germania“ an diesen Ort versetzte Fördergerüst über dem Museum ist zum weithin sichtbaren Wahrzeichen der Stadt geworden. Für Besucher besteht die Möglichkeit, von zwei Aussichtsplattformen aus (in 50 m und in 62 m Höhe) einen Blick über die Stadt zu werfen. In 20 Hallen werden zahlreiche Objekte aus der Bergbaugeschichte ausgestellt. Unter dem Museum befindet sich in einer Tiefe zwischen 17 und 22 m ein Anschauungsbergwerk. Auf einer Strecke von 2,5 km wird die Technik des Steinkohlen- und Eisenerzbergbaus bis in die neueste Zeit dargestellt. Die ständige Ausstellung wurde Mitte der 2010er neu gestaltet und passend zum Ende des Steinkohlenbergbau im Ruhrgebiet neu eröffnet. Heimatstube Langendreer: Diese Sammlung zur Geschichte des besagten östlichen Bochumer Stadtteils befindet sich im Untergeschoss des Amtshauses in Langendreer. Die Sammlungsgründer Friedhelm Vielstich und Heinz-Richard Gräfe geben mit einer Vielzahl von Fotos, Dokumenten, Fahnen, Uniformen und weiteren Exponaten aus verschiedenen Epochen einen Überblick über die historische Entwicklung „ihres“ Stadtteils. Eisenbahnmuseum Bochum: Das Eisenbahnmuseum Bochum in Dahlhausen gehört heute zu den größten Museen seiner Art in Deutschland. Die Fahrzeugsammlung umfasst mehr als 120 Schienenfahrzeuge aus der Zeit von 1853 bis zur Gegenwart. Anhand dieser Exponate gewinnen die Besucher einen umfassenden Überblick über die Entwicklung von Lokomotiven und Wagen der deutschen Eisenbahn. Neben bedeutenden und richtungsweisenden Lokomotivbauarten werden auch markante Personen- und Güterwagen der Nachwelt erhalten. Viele Exponate gelten als Rarität, da sie nur noch selten oder als einzig erhaltenes Exemplar vor der Verschrottung bewahrt werden konnten. 2020 wurde ein neues Eingangsgebäude erbaut, was mit einer Umgestaltung des kompletten Umfeldes des Museums einher geht. Künstler-Dokumentationsstätte Das Schlieker-Haus würdigt das Leben und Wirken des Informel-Künstlers Hans-Jürgen Schlieker (1924–2004). Musik Das 1919 gegründete Orchester der Stadt Bochum, die Bochumer Symphoniker, haben sich im Laufe ihrer Geschichte zu einem der wichtigsten Konzertklangkörper im Westen Deutschlands entwickelt. Das Anneliese Brost Musikforum Ruhr ist seit dem 28. Oktober 2016 feste Spielstätte. Mit Beginn der Konzertsaison 2021/22 ist Tung-Chieh Chuang Generalmusikdirektor der Bochumer Symphoniker und Intendant des Anneliese Brost Musikforum Ruhr. Der Philharmonische Chor Bochum gibt etwa vier bis fünf Konzerte im Jahr und tritt meistens zusammen mit den Bochumer Symphonikern auf. In einer der Spielstätten, dem Audimax der Ruhr-Universität Bochum, befindet sich auch eine der modernsten Orgeln aus der Orgelmanufaktur Klais mit 82 Registern. Seit 1986 findet in der Bochumer Innenstadt das kostenlose Rockfestival Bochum Total statt. Mittlerweile ist es mit 900.000 Zuschauern eine der größten Musikveranstaltungen Europas. Gruppierungen Alpha Boy School, Skaband Faithful Breath, Rockband Die Kassierer, Funpunkband Ruhrpott AG, Hip-Hop-Gruppe Solokünstler Herbert Grönemeyer Tommy Finke Wolfgang André Kino In Bochum gibt es zehn Kinos, unter anderem: Capitol (in der Fußgängerzone) Casablanca Kino (im innerstädtischen Bermuda3eck) Endstation (Kino im Kulturzentrum Bahnhof-Langendreer) Fiege-KinoOpenAir (im Sommer im Brauereihof) Märkisches Kino – Stadthalle Wattenscheid Metropolis Filmtheater (im Bochumer Hauptbahnhof) Union Kino Bochum (im innerstädtischen Bermuda3eck) UCI Kinowelt Ruhr-Park (Multiplex) Bauwerke und Sehenswürdigkeiten Rathaus Bochum – Mit dem Bau des Rathauses wurde 1926 begonnen. Im Jahr 1927 erfolgte die Grundsteinlegung und am 20. Mai 1931 die Eröffnung. Das Gebäude besitzt einen weitgehend symmetrischen Grundriss. In der Symmetrieachse des Ratshofes liegt der Saalbau mit Nebenhöfen an beiden Seiten. Die Außenseite ist schlicht gehalten und das Eingangsportal sowie der zweistöckige Vorbau an der rechten Front sind die einzigen Fassaden-Schmuckelemente. Der Sockel des Gebäudes besteht aus hartem Granitstein, für die Fassade wurde Muschelkalk verwendet und für das Dach Schiefer. In den Fluren und Repräsentationsräumen kamen Marmor, Bronze und dunkle Holztäfelungen zum Einsatz. Der Rathausbau kostete die für damalige Verhältnisse große Summe von 9,25 Millionen Reichsmark. Weitere Elemente des Innenhofs sind der Glockenturm und die aus Travertin und Bronze hergestellten Brunnen. Einer ist Fortuna gewidmet und mit symboltragenden Putten verziert: Ehering und Pantoffel stehen für Eheglück, der Apfel symbolisiert Fruchtbarkeit, das leere Portemonnaie Optimismus und Seifenblasen die Illusion. Das Glockenspiel von 1951 besteht aus 28 Gussstahlglocken mit einem Gesamtgewicht von 2300 Kilogramm, jede zwischen 375 und 4 Kilogramm. Es handelt sich dabei um das erste aus Gussstahl hergestellte Glockenspiel der Welt. Die Glocke vor dem Rathaus war 1867 als größte von vier Glocken eine Attraktion auf der Weltausstellung in Paris. Gegossen wurde sie vom Bochumer Verein für Bergbau und Gussstahlfabrikation AG. Sie stand bis 1979 als Denkmal auf dem Werksgelände. Die Firma Krupp übereignete sie 1979 der Stadt. Bei einem Durchmesser von 3,13 Metern hat sie ein Gewicht von 15.000 Kilogramm. Da sie im Zweiten Weltkrieg beschädigt wurde, kann sie nicht mehr geläutet werden. Propsteikirche St. Peter und Paul – Die Propsteikirche ist die älteste Kirche Bochums. Bereits zwischen 785 und 800 wurde von Kaiser Karl dem Großen auf dem Gelände ein Reichshof angelegt und seitdem mehrfach umgebaut. Im Innern der Propsteikirche sind zahlreiche Kunstwerke aus verschiedenen Epochen zu sehen. Hervorzuheben sind der romanische Taufstein aus der Zeit um 1175, der Reliquienschrein der Heiligen Perpetua und ihrer Sklavin Felicitas sowie der Hochaltar mit seiner Christusfigur aus dem Jahr 1352. Pauluskirche – Protestanten und Katholiken hatten sich nach der Reformation zunächst lange und nicht immer einvernehmlich die einzige Kirche Bochums, die heutige katholische Propsteikirche, geteilt. 1655 begann die lutherische Gemeinde mit Bau eines eigenen Gotteshauses. Das schlichte Renaissancegebäude wurde bis 1659 mit Spenden aus Holland, Schweden, Kurland und Dänemark errichtet. Ihren Namen erhielt die Pauluskirche erst nach 1874, als die Christuskirche am Rathaus gebaut worden war. Die Pauluskirche brannte infolge eines Bombenangriffs am 12. Juni 1943 bis auf die Außenmauern nieder, wurde aber nach dem Krieg in vereinfachten Formen wieder aufgebaut und erhielt damit ihr heutiges, eher einer mittelalterlichen Dorfkirche entsprechendes Aussehen. Um die Pauluskirche im Stadtbild besser zur Wirkung zu bringen, wurde ihr Turm 1949 erhöht, ein kleiner Platz geschaffen und die unmittelbare Nachbarbebauung niedrig gehalten. Die modernen Fenster im Altarraum, um 1960 vom Bochumer Künstler K. Willy Heyer geschaffen, zeigen die drei Stationen der Wandlung des Saulus zum Paulus, dem Namenspatron der Kirche. 1974 wurde der Innenraum erneut nach Plänen von Kurt Peter Kremer umgestaltet. Das Mahnmal des Friedens neben der Kirche, die sogenannte »Trauernde Alte«, stammt von dem Kölner Bildhauer Gerhard Marcks. Es soll an die Schrecken des Zweiten Weltkriegs und an den Bombenangriff auf Bochum am 4. November 1944 erinnern. Das Denkmal wurde 1956 enthüllt und ist aus Basaltlava gehauen. Dargestellt ist eine alte Frau, die – wohl vergeblich – nach jemandem Ausschau hält. Christuskirche Bochum – Die Christuskirche (errichtet 1877–1878) wurde im Zweiten Weltkrieg bis auf den Turm zerstört. Der Architekt Dieter Oesterlen fügte in den 1950er Jahren einen modernen Kirchenneubau hinzu. Da der Turm nach dem Ersten Weltkrieg in eine Kriegsheldengedenkhalle umgewidmet worden war, blieb er Jahrzehnte verschlossen. Mit der Neugestaltung des Vorplatzes zum »Platz des Europäischen Versprechens«, einem Konzeptkunstwerk von Jochen Gerz, eröffnet im Dezember 2015, wurde der Turm als Mahnmal wieder der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Marienkirche – Mit ihrem ungefähr 70 Meter hohen neugotischen Spitzhelm dominiert die von 1868 bis 1872 erbaute Kirche die sich unmittelbar an den Stadtkern anschließende Stadterweiterung nach Westen. Bis zum 28. Oktober 2016 wurde sie zum Anneliese Brost Musikforum Ruhr für die Bochumer Symphoniker umgebaut und integriert. Zeiss Planetarium Bochum – Das Planetarium, das nach Plänen von Karl-Heinz Schwarze als damaligem Leiter des Hochbauamtes von 1962 bis 1964 entstand, befindet sich in an der Castroper Straße in Bochum. Das Gebäude hat einen Durchmesser von rund 20 Metern und eine Projektionsfläche von etwa 600 m². Kernstück der Anlage ist der Planetar. Das erste Gerät dieser Art in Europa hat im April 2000 in Bochum seinen Dienst angetreten. Das Planetarium bietet mehrere unterschiedliche Programme an, auch speziell für Schulklassen. Sternwarte Bochum – Die Sternwarte im Stadtteil Sundern, im Volksmund in Bezug auf den Gründungsprofessor Heinz Kaminski „Kap Kaminski“ genannt, bietet freitags zwischen 19:30 und 21:30 die Möglichkeit zur Sternbeobachtung. Hierfür stehen zahlreiche Teleskope zur Verfügung. Im Inneren des Radoms befindet sich die 20-m-Parabolantenne sowie wechselnde Ausstellungen. Jahrhunderthalle – Die „Jahrhunderthalle“ wurde als Ausstellungshalle des Bochumer Vereins für die Düsseldorfer Gewerbeausstellung 1902 gebaut und anschließend als Gebläsemaschinenhalle für die Hochöfen des Bochumer Vereins wiederverwendet. Sie wurde mehrfach erweitert, der Name Jahrhunderthalle bezeichnet heute das gesamte Bauwerk, das sich über eine Fläche von 8900 m² erstreckt. Seit ihrer Sanierung wird die Halle für Veranstaltungen genutzt, wie etwa die Ruhrtriennale oder für Konzerte der Symphoniker. Mittlerweile ist sie das Zentrum des neu angelegten Westparks. Der Westpark wurde im ersten Bauabschnitt 1999 eröffnet. Die im Rat vertretenen Fraktionen diskutierten längere Zeit kontrovers darüber, ob sich die Stadt Bochum den Bau eines Konzerthauses für die Bochumer Symphoniker nach einem Entwurf von Thomas van den Valentyn in unmittelbarer Nachbarschaft der Jahrhunderthalle finanziell leisten kann. Kuhhirtendenkmal – Das zwischen Propsteikirche St. Peter und Paul und Pauluskirche stehende Denkmal zeigt einen Kuhhirten mit seinem Hund, der das Vieh der Bürger auf die Vöde (städtisches Weideland) trieb. Es soll eine Erinnerung an die „gute alte Zeit“ sein. Die Originalfigur von 1908 wurde im Zweiten Weltkrieg eingeschmolzen. 1962 wurde eine Neufassung angefertigt. Die lokale Legenden verbinden es mit Fritz Kortebusch als letzten Kuhhirten, dieser war zwar ein langjähriger und bekannter Kuhhirte, hieß aber Henrich und war nicht der letzte der Kuhhirten. Kemnader See – Dieser Stausee an der Ruhr dient vorwiegend der Wasserwirtschaft und der Naherholung. Um den See befinden sich zahlreiche Freizeiteinrichtungen und Sehenswürdigkeiten. Das Freizeitbad Heveney, das StrandDeck Kemnade, eine Beachvolleyballhalle, ein Golfplatz und ein Segelhafen liegen am Beginn des Sees. Eine 12 km langer Skaterrundkurs um den See wurde 2014 offiziell eröffnet. Vereine nutzen den See zum Fischen, sie geben auch Gastkarten heraus. Der Fischbestand reicht von Aal über Brassen, Karpfen, Rotaugen bis zu Zander. Auf dem See und der Ruhr verkehren die Fahrgastschiffe MS Kemnade und MS Schwalbe II. Sehenswert ist außerdem in der Nähe des Stauwehrs das Wasserburg Haus Kemnade im Stil der Renaissance und des Barocks. Hier gibt es neben einen alten Bauernhaus mit historischen Exponaten in der Wasserburg drei Sammlungen zu besichtigen: Musikinstrumentensammlung Grumbt, Ostasienausstellung Ehrich und die Spardosensammlung der Sparkasse Bochum. Stiepeler Dorfkirche – Um 1008 wurde eine kleine Saalkirche erbaut. Der Bau wurde von Gräfin Imma von Stiepel, einer Verwandten von Kaiser Heinrich II. und Kaiserin Kunigunde, veranlasst. Zwischen 1130 und 1170 wurde die alte Kirche durch eine romanische Basilika ersetzt. Von dieser Kirche sind heute noch der Turm und das Mittel- und Querschiff erhalten. Von 1150 bis 1200 wurden zahlreiche romanische Wand- und Deckenmalereien im Innenraum der Kirche angefertigt. Zisterzienserkloster und Wallfahrtskirche St. Marien – Zu den ältesten Gründungen des Ruhrgebietes gehört die Kirchengemeinde im Stadtteil Stiepel (885 n. Chr. erstmals urkundlich erwähnt) mit ihrem weithin bekannten und einzigen Marien-Wallfahrtsort des Bistums Essen. Stiepel entwickelte sich zu einem vielbesuchten Wallfahrtsort, der 1294 durch ein Dekret des Papstes Bonifaz VIII. bestätigt wurde. Auf der Strecke von Weitmar Richtung Hattingen bietet sich dem Auge am Ortseingang von Stiepel zur Rechten die Klosteranlage der Zisterzienser dar. In ihrem Zentrum erhebt sich die Pfarr- und Wallfahrtskirche St. Marien mit dem Gnadenbild der „Schmerzhaften Mutter von Stiepel“. Die Kirche wird von den Klosterbauten, einem Pilgerzentrum, dem „Klosterhof“, einem zur Wallfahrt eingerichteten Restaurant und von hochragenden Bäumen der Außenanlagen eingerahmt. Jährlich besuchen etwa 40.000 Pilger die zum Areal des Zisterzienserklosters gehörende Wallfahrtskirche. Ruhr-Park – Der Ruhr-Park im Ortsteil Harpen wurde im November 1964 eröffnet und in mehreren Bauabschnitten auf gegenwärtig etwa 126.000 m² erweitert. Er war nach dem Main-Taunus-Zentrum in Sulzbach das zweite Einkaufszentrum in Deutschland und eine Neuheit für die junge Bundesrepublik. Ruhrstadion – Das Ruhrstadion ist die Heimstätte des VfL Bochum, die zwischen März 1976 und Juli 1979 erbaut und mit einem Spiel gegen die SG Wattenscheid 09 eingeweiht wurde. Das Stadion verfügt über 27.599 Zuschauerplätze, davon 15.574 Sitzplätze. Eisenbahnmuseum Bochum – Das Eisenbahnmuseum liegt auf dem Gelände des ehemaligen Eisenbahn-Betriebswerkes Bochum-Dahlhausen. Die Anlage wurde 1916–1918 errichtet. Da Ende der 1960er Jahre die Kohleförderung im südlichen Ruhrgebiet unrentabel wurde und die Zechen schlossen, somit auch der Bahnbetrieb in diesem Bereich zurückging, wurde das Betriebswerk überflüssig. Es wurde am 1. August 1969 als selbständige Dienststelle geschlossen und teilweise zurückgebaut. Die Güterwagenausbesserung wurde 1982 eingestellt. Die Deutsche Gesellschaft für Eisenbahngeschichte e. V. konnte die Anlagen ab dem Jahr 1968 schrittweise wieder in den Betriebszustand zurückversetzen und das Museum in der heutigen Form aufbauen. Hauptfriedhof Freigrafendamm – Der im Stadtteil Altenbochum liegende Friedhof ist der größte der Stadt. Er wurde in den 1920er Jahren gärtnerisch geplant, die Hochbauten im Eingangsbereich wurden erst zwischen 1935 und 1939 errichtet. Das Eingangstor, die große und die kleine Trauerhalle sowie das Krematorium geben am deutlichsten den Baustil des Nationalsozialismus wieder. Im Zweiten Weltkrieg nutzte das Regime die Gebäude als Kulisse für die zentralen Trauerfeiern für die im Bombenkrieg umgekommenen Bochumer Einwohner. Neben der Zivilbevölkerung und einer Reihe deutscher Soldaten wurden auf dem Friedhof insgesamt 1720 Zwangsarbeiter aus der ehemaligen Sowjetunion beerdigt, die im Krieg in erster Linie in der Rüstungsindustrie eingesetzt waren. An sie erinnert heute ein Mahnmal in lateinischer und kyrillischer Schrift, sowie an drei der Gräberfelder Totenbücher mit den Namen der Opfer. Rudolf Steiner Schule Bochum, 1965. Das Gebäude in Langendreer ist der erste Schulbau in Europa, der im Stil der Organischen Architektur errichtet wurde. Er wurde Anfang der 1960er Jahre von dem Architekten Werner Seyfert und dem Künstler Wilfried Ogilvie entworfen. Der Architekt entwickelte auf Basis dieser Erfahrung weitere Waldorfschulen mit verschieden geformten Klassenräumen, je nach der Altersstufe der Schüler. Ein Ansatz, der bis heute nur in dieser Pädagogik angewendet wird. Von den ursprünglich sechs bedeutendsten öffentlichen Bauwerken der östlichen Innenstadt, die in der Zeit des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg geplant wurden, stehen heute nur noch der Hauptbahnhof (1955 bis 1957, Architekt Heinz Ruhl), das Stadtwerkehochhaus (1952 bis 1955, Architekt Ferdinand Keilmann), die Berufsschule für Jungen (1953 bis 1954) und die Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie (1952 bis 1955, ebenfalls von F. Keilmann). Dagegen wurde das Stadtbad Bochum entgegen dem zuvor bestehenden Denkmalschutz 1998 abgerissen; einige Jahre zuvor war bereits das in die städtebauliche Gesamtplanung zählende Arbeitsamt zugunsten eines Hotelneubaus beseitigt worden. Sport Überregionale Bedeutung im Sport hat Bochum u. a. durch die Fußballmannschaften des VfL Bochum und der SG Wattenscheid 09. Der VfL, der seine Heimspiele im 26.000 Zuschauer fassenden Ruhrstadion austrägt, spielt seit 1971 konstant in der ersten oder zweiten Bundesliga. Auch die SG Wattenscheid war insgesamt 24 Jahre lang in den obersten beiden Ligen vertreten, zuletzt jedoch 1999. Sie trägt ihre Partien im Lohrheidestadion mit gut 16.000 Plätzen aus. Nach zwischenzeitlicher Insolvenz und Einstellung des Spielbetriebs tritt die 1. Herrenmannschaft der Sportgemeinschaft zurzeit in der fünftklassigen Oberliga Westfalen an. Die Damenmannschaft der SG Wattenscheid 09 spielte zwei Jahre in der obersten Liga und wurde mittlerweile aus finanziellen Gründen in den VfL Bochum eingegliedert. Außer Fußball betreibt der VfL Bochum folgende Sportarten: Badminton, Basketball, Fechten (Fecht- und Sportgemeinschaft Ruhr Wattenscheid), Handball, Hockey, Leichtathletik, Schwimmen, Tanzsport, Tennis, Tischtennis, Turnen und Volleyball. Darüber hinaus ist Bochum durch den deutschen Meister im Steeldart, DSC Bochum, den vielfachen deutschen Meister im Billard, DBC Bochum 1926, die Handballerinnen von Teutonia Riemke, die Basketballer vom VfL SparkassenStars Bochum und des TV Gerthe, die zwölffachen deutschen Meister und mehrfachen deutschen Pokalsieger im Frauenwasserball von Blau-Weiß Bochum, die deutschland- und europaweit erfolgreichen Leichtathleten des TV Wattenscheid 01 Leichtathletik und die Sportgymnastinnen des TV Wattenscheid 01 sowie die Bochum Cadets (Herren), Bochum Rebels (Herren & Jugend) und Bochum Miners (Frauen) bekannt, die im American Football erfolgreich sind. Darüber hinaus besitzt Bochum einen deutschen Meister 2007 und zwei Europameister im Jahr 2008 (Kickerliga Bochum) im Tischfußball (P4P Rookie). Bochum ist Heimstatt des Linden-Dahlhauser Schwimmverein 1921. Auch die Tanzsportvereine VfL Bochum 1848 Tanzsportabteilung und T.T.C. Rot-Weiss-Silber Bochum sind hier ansässig. Deutschlandweite Beachtung findet das halbjährlich stattfindende Turnier mit Schaukampfrobotern der German-Roboteers-Association e. V. in der Skaterhalle der Bochum Lakers. Seit Juli 2019 gibt es in Bochum eine Discgolf-Anlage im Volkspark Langendreer, die vom L.F.C. Laer mitgeführt wird. 2021 bewarb sich die Stadt als Host Town für die Gestaltung eines viertägigen Programms für eine internationale Delegation der Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin. 2022 wurde sie als Gastgeberin für Special Olympics Finnland ausgewählt. Damit wurde sie Teil des größten kommunalen Inklusionsprojekts in der Geschichte der Bundesrepublik mit mehr als 200 Host Towns. Gastronomie/Ausgehen Das Bermuda3eck ist mit 60 gastronomischen Betrieben das wichtigste Kneipenzentrum des Ruhrgebiets. Über drei Millionen Gäste besuchen die Kneipenmeile in der Bochumer Innenstadt pro Jahr, bis zu 30.000 Gäste pro Tag im Sommer. Bei großen Ereignissen wie dem Festival Bochum Total, das jeweils am zweiten Wochenende im Juli stattfindet (wenn nicht etwas wie die Fußball-WM dazwischen kommt), kommen täglich bis zu 400.000 Besucher. Ferner hat jeder Stadtteil seine zum Teil alt eingesessenen Gaststätten, Kneipen und Cafés. Bochum ist Standort zahlreicher Clubs, Diskotheken und Kultureinrichtungen, zum Beispiel die Zeche Bochum, der Prater, das SAMS oder das Kulturzentrum Bahnhof-Langendreer. Früher hatten auch ehemalige Clubs wie der Zwischenfall und die Matrix Bochum überregionale Bekanntheit, oder eine der größten Diskotheken im Ruhrgebiet für schwule Männer, das Stargate. Das Rotlichtviertel der Stadt befindet sich am westlichen Rand der Innenstadt in der Nähe der Fertigungsstätten des Bochumer Vereins. Die Einrichtungen tragen im Volksmund mehr oder minder derbe Bezeichnungen wie „Gurke“, „Eierberg“ oder auch „Riemenwalzwerk“. Regelmäßige Veranstaltungen März/April: Bochumer Orgeltage (Beginn: Ostermontag) April: Maiabendfest (Letztes Wochenende im April) Mai: Figurentheater der Nationen Mai: Dampf-Festival auf der Zeche Hannover (im Zweijahresrhythmus) Juni: RUBissimo – Sommerfest der Ruhr-Universität (am Tag vor Fronleichnam) Juni: Ruhrgebiets-Amateurtheatertreffen Juni: ExtraSchicht – die Nacht der Industriekultur im ganzen Ruhrgebiet (Letztes Juni Wochenende) Juni/Juli: Ab anne Castroper (Sommerfest des VfL Bochum) Juli: Ruhr International Juli: Bochum Total (ab 2015 am zweiten Wochenende im Juli) Juli/August: Stadtparkfest (Familienfest am letzten Wochenende der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen) Juli/August: Bochum kulinarisch (oft am letzten Wochenende der Sommerferien in Nordrhein-Westfalen) August: Bochumer Musiksommer September: Open Flair (internationales Kabarett und Straßentheater) Oktober: Oktobermarkt Oktober/November: Bochumer Bachtage Oktober/November: Ruhrgebiets-Antiquariatstag November: Kinder- und Jugendtheatertage Dezember: Weihnachtsmarkt Wirtschaft und Infrastruktur Im Jahre 2016 erbrachte Bochum, innerhalb der Stadtgrenzen, ein Bruttoinlandsprodukt von 11,892 Milliarden € und belegte damit Platz 30 innerhalb der Rangliste der deutschen Städte nach Wirtschaftsleistung. Das BIP pro Kopf lag im selben Jahr bei 32.596 € (Nordrhein-Westfalen: 37.416 €/ Deutschland 38.180 €). In der Stadt waren 2016 ca. 184.000 erwerbstätige Personen beschäftigt. Die Arbeitslosenquote lag im Dezember 2018 bei 8,1 % und damit deutlich über dem Durchschnitt von Nordrhein-Westfalen mit 6,4 %. Die durch den Strukturwandel und aufgrund des Weggangs verschiedener Großunternehmen wirtschaftlich gebeutelte Stadt versucht, sich ein neues Image zu geben. Verkehr Schiene/ÖPNV Die Stadt ist über zahlreiche Eisenbahnverbindungen an die umliegenden Städte angeschlossen und hat insgesamt zehn Bahnhöfe bzw. Haltepunkte. Es verkehren sechs Regionalbahn- und Regional-Express-Linien (RE1, RE6, RE11, RE16, RB40, RB46) sowie zwei S-Bahn-Linien (S1, S3). Der Hauptbahnhof ist als einziger Bochumer Fernbahnhof regelmäßiger ICE- und IC-Halt der auf der Bahnstrecke Dortmund–Duisburg verkehrenden Linien. Hinzu kommt der kommunale Nahverkehr: In der Stadt gibt es eine größtenteils unterirdische Stadtbahn-Linie (U35 von Bochum-Hustadt nach Herne Schloss Strünkede) sowie sieben Straßenbahnlinien, die in der Innenstadt ebenfalls unterirdisch fahren. Die meisten Buslinien werden durch die Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG (BOGESTRA) im Rahmen des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr (VRR) betrieben. Straße Im Stadtgebiet von Bochum verlaufen die Bundesautobahnen A 40 (Dortmund – Venlo), A 43 (Münster – Wuppertal) und A 448 sowie eine autobahnähnliche Schnellstraße, der Bochumer Ring bzw. die ehemalige NS 7. Zudem durchqueren drei Bundesstraßen die Stadt: die B 51 (Osnabrück – Bochum – Trier), die B 226 (Hagen – Bochum – Gelsenkirchen) und die B 235 (Datteln – Bochum – Witten). Eine Verbindung von A 44 und A 40 über die ehemalige NS 7, die sogenannte Opel-Querspange, wurde im August 2021 fertiggestellt. Noch vor den Abschluss der Arbeiten ist der Abschnitt des Bochumer Rings zur Bundesautobahn 448 hochgestuft worden. Darüber hinaus ist die A 40 bis Essen sechsspurig ausgebaut worden. Diese Pläne sind bereits seit den 1990er Jahren beschlossen, ursprünglich, um eine bessere Anbindung des Opel-Werks 1 im Stadtteil Laer an das Verkehrsnetz zu gewährleisten. Heute steht die Verbesserung des Ost-West-Transits durch das Ruhrgebiet im Vordergrund. Mit dem Lückenschluss der A448 mit der A44 Ende 2021 besitzt Bochum als einzige Stadt in Deutschland einen geschlossenen Autobahnring auf der eigenen Stadtfläche. Der Radschnellweg Ruhr soll auch durch Bochum führen. Bisher ist nur ein ca. 900 Meter langes Stück in Bau. Stadt ohne Hafen Als eine der wenigen Städte des Ruhrgebiets liegt Bochum nicht an einer Bundeswasserstraße; der nächste Zugang befindet sich am Rhein-Herne-Kanal im nördlich gelegenen Herne. Verschiedene Denkschriften und Projekteideen zwischen den 1860er- und 1910er-Jahren zu einem Kanalanschluss Bochums sind über die Planungsphase nicht hinaus gekommen. Im Süden bildet die Ruhr die Bochumer Stadtgrenze. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts war sie einer der am stärksten befahrenen Flüsse Europas und diente im Wesentlichen der Kohleabfuhr. Damals bestand der kleine Rauendahler Hafen zur Kohleverladung in der Gemeinde Stiepel. Abgesehen vom Ausflugsverkehr mit der Schwalbe II und anderen Tagesausflugsschiffen ist die Ruhrschifffahrt jedoch längst eingestellt worden. Luftverkehr Die nächstgelegenen Flughäfen befinden sich in Dortmund (31 km) und Düsseldorf (47 km). Nach Düsseldorf bestehen mit ICE-, IC-, RE- und S-Bahnlinien direkte Verbindungen. Weitere Flughäfen in der Umgebung sind in Köln/Bonn, Münster/Osnabrück und Paderborn/Lippstadt; hinzu kommt der Flughafen Niederrhein. Ansässige Unternehmen Aral AG (Hauptsitz) – ein Unternehmen der Deutsche BP AG Bochumer Eisenhütte Heintzmann GmbH & Co. KG (Hauptsitz) – Bergbau, Tunnelbau und Wärmebehandlung Bochumer Verein Verkehrstechnik GmbH (Hauptsitz) – ehemaliger Konzernteil von ThyssenKrupp, vormals als Bochumer Verein der größte örtliche Betrieb, prägend für die Stadtentwicklung Bogestra (Hauptsitz) – Bochum-Gelsenkirchener Straßenbahnen AG, lokaler Nahverkehrsbetrieb Deutsches Anwaltsinstitut (Hauptsitz) Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See (Hauptsitz) – deutscher bundesunmittelbarer Sozialversicherungsträger Doncasters Precision Castings – Hersteller von Legierungskomponenten für die Luftfahrt-, Raumfahrt-, und Gasturbinenindustrie Dr. C. Otto & Comp. (Hauptsitz) – Feuerfeste Materialien, Bochumer Traditionsunternehmen Faber Lotto-Service (Unternehmenssitz) – Anbieter von Lotto-Spielgemeinschaften Fahrzeug-Werke Lueg (Hauptsitz) – einer der größten Mobilitätsanbieter in Deutschland und einer der wichtigsten Vertriebs- und Servicepartner der Daimler AG. G Data CyberDefense (Unternehmenssitz) – Anbieter von IT-Sicherheitslösungen. Bekanntes Produkt: G Data Antivirus GEA Refrigeration Technologies – Hersteller von Kältetechnik GLS Gemeinschaftsbank – Ökologische Bank mit Vorreiterrolle Gebr. Eickhoff Maschinenfabrik u. Eisengießerei GmbH – Bochumer Traditionsunternehmen im Maschinenbau Meteomedia GmbH (Hauptsitz) – privater Wetterdienst, deutsche Tochter der Schweizer Meteomedia AG Möbel Hardeck – Einrichtungshaus Opel Group Warehousing – Konzernteil der Opel Automobile GmbH Privatbrauerei Moritz Fiege – mittelgroße regionale Bierbrauerei in Familienbesitz QVC – Call Center GmbH & Co. KG Sparkasse Bochum – öffentlich-rechtliches Kreditinstitut ThyssenKrupp – Stahlkonzern, betreibt ehemalige Anlagen des Bochumer Verein im MDAX Tiemeyer Gruppe (Hauptsitz) – einer der bundesweit größten Volkswagen-Händler. Unicum-Unternehmensgruppe – Medienunternehmen United Cinemas International – Deutsche Zentrale des Kinounternehmens USB Umweltservice Bochum GmbH – städt. Entsorger (100%ige Tochter der Stadtwerke Bochum) Volkswagen Infotainment - 100-prozentige Konzerntochter der Volkswagen AG mit Schwerpunkt der Entwicklung von Kommunikations- und Steuergeräten in den Autos. Vonovia SE (ehemals Deutsche Annington Immobilien SE) (Unternehmenssitz) – Deutschlands größtes Immobilienunternehmen im DAX Viactiv BKK (Hauptsitz) – deutsche Betriebskrankenkasse Hochhäuser Die meisten Hochhäuser konzentrieren sich auf den südlichen Stadtkern sowie zur Nähe der Ruhr-Universität im Stadtteil Querenburg 1962 eröffnete im südlichen Stadtkern das Europahaus (60 Meter), das bis heute markant das Stadtbild prägt. Kurz darauf – 1971 bis 1975 – kamen vier weitere Gebäude dazu. Unter anderem das „Terrassen-Hochhaus“ (65 Meter), das bis heute höchste Wohngebäude Bochums und das Bominhaus (70 Meter) – Sitz der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See. Außerhalb des Bochumer Stadtrings und des Stadtteils Querenburg folgte auf der Entwicklungsachse Universitätsstraße im Jahre 2013 das Exzenterhaus mit 89 Metern – das höchste Gebäude der Region Mittleres Ruhrgebiet. In der Stadt stehen bereits eine breite Menge an über 50 Metern hohen Gebäuden. Medien Zeitungen Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung (WAZ) erscheint mit einer eigenen Lokalausgabe. Die Ruhr Nachrichten (RN) stellten ihren Bochumer Lokalteil am 31. Oktober 2014 ein. Seitdem erscheint in Bochum die Dortmunder Ausgabe. Außerdem erscheint samstags das kostenlose Anzeigenblatt „Stadtspiegel“. Darüber hinaus gibt es verschiedene kostenlose Stadtteilmagazine, zum Beispiel „VorOrt“ (für Weitmar/Eppendorf, Linden/Dahlhausen, Altenbochum/Wiemelhausen), den „Stiepeler Boten“ und den „Ehrenfelder“. Eine Alleinstellung hat die kostenlose „Langendreerer Dorfpostille“, die 1981 im Zuge soziokultureller Zeitschriftengründungen (1976 „Guckloch“ später in „Prinz“ umbenannt, 1978 „Marabo“, 1982 „Terminal“, 1983 „coolibri“) ins Leben gerufen wurde. Sie realisiert noch heute ihr ursprüngliches Konzept einer politischen Gegenöffentlichkeit bezogen auf einen begrenzten lokalen Raum. An der Ruhr-Universität Bochum erscheint die älteste, kontinuierlich erscheinende Studentenzeitung im deutschsprachigen Raum, die Bochumer Stadt- & Studierendenzeitung (:bsz). Hörfunk Seit 1990 sendet „Radio Bochum“, ehemals „Ruhrwelle Bochum“, ein lokales Radioprogramm in Kooperation mit Radio NRW aus Oberhausen. Chefredakteurin ist Andrea Donat. Für den Bereich Sport zuständig ist Michael Ragsch. Moderatoren der Frühsendung sind Anuschka Fritzsche und Ansgar Borgmann. Kultcharakter hat Fußball-Reporter Günther Pohl („Tooor im Ruhrstadion“) erlangt. Unter dem Namen Ruhrwelle ist der Sender gestartet, später wurde er in Radio 98.5 umbenannt. 98.5 Radio Bochum heißt er seit dem 24. Februar 2006. Seit 1997 sendet „CT das radio“ ein lokales Radioprogramm auf der Frequenz 90 MHz. Es ist das Radio der Bochumer Hochschulen und war das erste Campusradio auf eigener Frequenz in NRW. Zuvor war „Radio c.t.“ ein Programmelement im Bürgerfunk der Ruhrwelle. Onlinezeitungen und Blogs Die ehemalige Onlinezeitung Mein Bochum beschäftigt sich fast ausschließlich, oft kontrovers, mit Lokalpolitik. Das nichtkommerzielle Projekt bo-alternativ informiert seit Oktober 1999 zum kulturellen, sozialen und politischen Leben in Bochum. Bochumschau.de publiziert wöchentlich Filmbeiträge über aktuelle Ereignisse und Geschichten aus Bochum. Ferner existiert mit ja-zu-bochum.de ein weiteres „City-Portal“, das hauptsächlich auf ein studentisches Publikum ausgerichtet ist. Ruhrbarone berichtet seit 2007 aus dem Revier und hat seit 2010 eine Printausgabe. Die Sportredaktion von westline.de bietet außerdem eine umfangreiche und tägliche Berichterstattung über den VfL Bochum. Bochum in Film und Fernsehen Bochum bietet auf dem gesamten Stadtgebiet ganz unterschiedliche Motive für Filmaufnahmen, daher wurden bisher unzählige Produktionen in Bochum gedreht, sowohl Fernsehserien, -reihen und spielfilme, als auch Kinofilme. Kinofilme sind beispielsweise Sönke Wortmanns vielfach prämierte Produktion Das Wunder von Bern mit Peter Lohmeyer (u. a. gedreht im Eisenbahnmuseum Bochum), Ein Dichter in der Familie mit Tana Schanzara und Ernst Stötzner, Das Blaue vom Himmel mit Hannelore Elsner, Juliane Köhler und David Kross, Berlin 36 mit Karoline Herfurth und Thomas Thieme (u. a. diente das Rathaus Bochum im Film als „Haus des Sports“), Renn, wenn du kannst mit Robert Gwisdek sowie Jeder stirbt für sich allein mit Emma Thompson, Brendan Gleeson und Daniel Brühl (u. a. Dreharbeiten in den Innenhöfen des Rathauses). Im Film Arbeitsfalle (u. a. gedreht im Westpark und in Arbeitersiedlungen) spielt auch die Handlung in einer in Bochum imaginär existierenden Waschmaschinenfabrik. Als Motivgeber für Fernsehfilme ist unter anderem Dieter Wedels Vierteiler Der große Bellheim mit Mario Adorf, Will Quadflieg und Leslie Malton, zu nennen, für den als Drehort das Kaufhaus Kortum in der innenstädtischen FuZo Kortumstraße genutzt wurde. „Tatort Bochum“: aktuell flimmern zwei Kriminalserien mit dem Handlungsort Bochum und Umgebung über den Fernsehbildschirm: Einstein für Sat.1 und Heldt für das ZDF. Im Jahr 2014 ermittelten zudem Haferkamp und Koslowski für Das Erste. Zwei echte Polizisten sind auch zu nennen: die bundesweit bekannten Polizisten Toto & Harry sind als Doku-Serie in Sat.1 präsent. Die mit ihrem Hauptsitz in Bochum beheimatete Kinokette UCI nutzt gerne ihr Multiplexkino im Bochumer Einkaufszentrum Ruhrpark als Premierenkino. So hatte der Kinofilm Nicht mein Tag mit Moritz Bleibtreu, Anna Mühe und Ralf Richter hier seine Weltpremiere. Die Ruhrpottkomödie Bang Boom Bang wird als Kultfilm in dem genannten Kino seit Kinostart im Jahre 1999 dauerhaft gezeigt. Im Dezember 2009 schaute die internationale Filmwelt auf Bochum, als unter größter Öffentlichkeit und internationalem Staraufgebot der Europäische Filmpreis in der Jahrhunderthalle verliehen wurde. Es wird vor Ort auch etwas für den Nachwuchs getan: Die Schauspielschule Bochum, ehemals dem nach wie vor sehr renommierten Schauspielhaus Bochum angeschlossen, nun ein Studiengang der Folkwang-Universität, hat seit ihrer Gründung namhafte Absolventen, die bundesweit an den Theatern spielen und prominent in Film und Fernsehen besetzt sind. Die Schule hat neue Räumlichkeiten im ehemaligen Thürmer-Saal nahe dem Hauptbahnhof. Seit 2011 ist Bochum zusätzlich der einzige Standort einer Ausbildungsstätte des SAE Institute im Ruhrgebiet. Das Bochumer Amt für Wirtschaftsförderung arbeitet als Locationscout und hilft Filmproduktionen schnell und unkompliziert mit Drehgenehmigungen und Infrastruktur. Mit dem „blicke-filmfestival des ruhrgebietes“ sind zudem eine der renommierten deutschen Filmfestspiele in Bochum beheimatet. Der landesweite TV-Lernsender nrwision bündelt in seiner Mediathek Fernsehsendungen über Bochum bzw. von Fernsehmachern aus Bochum. Öffentliche Einrichtungen Stadtwerke Bochum Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege -BGW- Berufsgenossenschaft Rohstoffe und chemische Industrie -BG RCI- Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See – Hauptverwaltung Industrie- und Handelskammer im mittleren Ruhrgebiet zu Bochum – Kammerbezirk: Kreisfreie Städte Bochum und Herne sowie die Städte Hattingen und Witten des Ennepe-Ruhr-Kreises Stadtbücherei Bochum Bibliothek des Ruhrgebiets / Das Haus der Geschichte des Ruhrgebiets Volkshochschule (VHS) Bochum Landgericht Bochum Amtsgericht Bochum Arbeitsgericht Bochum Gesundheitswesen Mehrere Krankenhäuser liegen in der Innenstadt, während sich andere in den ehemaligen Gemeinden und heutigen Stadtteilen befinden. Einige von ihnen gehören dem 2008 aus dem ehemaligen Bochumer Modell hervorgegangenen Universitätsklinikum der Ruhr-Universität Bochum an. Berufsgenossenschaftliches Universitätsklinikum Bergmannsheil (Universitätsklinikum) Knappschaftskrankenhaus Bochum-Langendreer (Universitätsklinikum) St. Josef-Hospital Bochum (Universitätsklinikum) St. Josefs-Hospital Bochum-Linden St. Elisabeth-Hospital Bochum (Universitätsklinikum) Augusta-Kranken-Anstalt Zentrum für Psychiatrie (Universitätsklinikum) Klinik für Kinder- und Jugendmedizin (Universitätsklinikum) Martin-Luther-Krankenhaus Marien-Hospital Wattenscheid St. Maria-Hilf-Krankenhaus, Bochum-Gerthe Die Stadt Bochum engagiert sich seit einigen Jahren stark für die Entwicklung der Gesundheitswirtschaft. Ein wesentlicher Aspekt hierbei ist die Entwicklung des Bochumer Gesundheitscampus, der sich in den Gesundheitscampus NRW mit verschiedenen Einrichtungen des Landes NRW und den Gesundheitscampus Bochum als Gewerbepark aufteilt. Die Agentur GesundheitsCampus Bochum soll den Bochumer Gesundheitssektor stärken und Unternehmen optimale Rahmenbedingungen bieten, um innovative Versorgungslösungen zu entwickeln und zum Einsatz zu bringen. Hochschulen In Bochum befinden sich die folgenden neun Hochschulen: Ruhr-Universität Bochum, die größte Campus-Universität Deutschlands, gegründet 1965 Hochschule Bochum, gegründet 1972 aus mehreren Vorgängereinrichtungen, darunter die Staatliche Ingenieurschule für Maschinenwesen, die Staatliche Ingenieurschule für Bauwesen Recklinghausen und die Höhere Wirtschaftsschule Bochum Technische Hochschule Georg Agricola – Die Hochschule geht zurück auf die 1816 gegründete Bochumer Bergschule. 1971 wurde die Fachhochschule Bergbau errichtet, die 1990 in die Trägerschaft der Deutschen Montan Technologie-Gesellschaft für Lehre und Bildung mbH (DMT-LB) überführt wurde. Seit 2016 trägt die Hochschule ihren heutigen Namen. Evangelische Hochschule Rheinland-Westfalen-Lippe – Protestant University of Applied Sciences – Die 1971 staatlich anerkannte Fachhochschule geht auf mehrere kirchliche und diakonische Einrichtungen zurück. EBZ Business School – Die 2008 gegründete private Fachhochschule geht auf das Europäische Bildungszentrum der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft zurück. Hochschule für Gesundheit (HSG) – Die am 1. November 2009 gegründete Fachhochschule bietet die Studiengänge Gesundheit und Diversity in der Arbeit, Gesundheit und Diversity, Gesundheit und Sozialraum, Evidence-based Health Care, Ergotherapie, Logopädie, Hebammenwissenschaft, Pflege und Physiotherapie an. Die Hochschule hat den Betrieb zum Wintersemester 2010/11 aufgenommen und ist inzwischen in den Gesundheitscampus NRW umgezogen. Der Fachbereich Sozialversicherung der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Brühl besitzt, neben seinem Hauptsitz in Berlin, auch einen Sitz in Bochum (bei der Deutschen Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See). Schauspielschule Bochum – Die ehemalige Westfälische Schauspielschule ist seit 1. Januar 2000 der Folkwang Universität der Künste angeschlossen. Im Gebäude der Verwaltungs- und Wirtschaftsakademie befindet sich ein Studienzentrum der FOM Hochschule für Oekonomie & Management. Schulen In Bochum gibt es unter anderem 42 Grundschulen, sieben Förderschulen, verschiedene weiterführende Schulen sowie 6 berufsbildende Schulen (Berufskollegs). An der Musikschule Bochum werden derzeit ungefähr 7.000 Schüler unterrichtet. Die Bezirksschülervertretung Bochum (kurz BSV Bochum, Eigenschreibweise Bezirksschüler*innenvertretung) ist die am 21. Januar 2011 gegründete Interessenvertretung aller rund 35.000 Schüler der kreisfreien Stadt Bochum. Grundlage der Arbeit ist das Schulgesetz des Landes NRW sowie die Satzung der BSV Bochum. Die BSV Bochum ist eine Institution der Stadt Bochum und vom Regierungspräsidenten Düsseldorf anerkannt und setzt sich auf lokaler Ebene für schul- und bildungspolitische Belange ein. Sie besteht aus folgenden Organen: Bezirksdelegiertenkonferenz Bezirksvorstand Bezirkssekretariat Arbeitskreise Die Bezirksdelegiertenkonferenz ist das höchste beschlussfassende Organ der BSV Bochum. Sie ist öffentlich und tagt zwei- bis dreimal im Jahr und beschließt das Arbeitsprogramm. Zur BDK werden von den Bochumer Schulen Bezirksdelegierte entsandt. Auf der letzten BDK im Schuljahr findet die Vorstandswahl statt. Bei dieser werden die Vorstandsmitglieder und die drei Bochumer Delegierten für die Landesdelegiertenkonferenz der LandesschülerInnenvertretung Nordrhein-Westfalen|LSV NRW gewählt. Der Bezirksvorstand ist für die laufenden Geschäfte der BSV Bochum zuständig. Zum Tagesgeschäft gehören die Beantwortung von Presseanfragen, das Verfassen von Pressemitteilungen, die Organisation von Kooperationen und die Zusammenarbeit mit der Stadt Bochum. Außerdem organisiert er die BDKen. Das Bezirkssekretariat arbeitet ehrenamtlich und nach Weisung des Vorstandes. Es unterstützt den Vorstand operativ und organisiert die Kommunikation des BeVos. Die Arbeitskreise bilden die operative Ebene des BSV Bochum. Der Bezirksvorstand kann zu bestimmten Themen Arbeitskreise einberufen, die sich sowohl aus Mitgliedern des Bezirksvorstandes als auch aus Externen zusammensetzen können. Persönlichkeiten Zu bekannten gebürtigen und mit der Stadt Bochum verbundene Persönlichkeiten gehören verschiedene Personen aus Kunst und Kultur, Militär, Politik Religion, Sport, Wirtschaft und Wissenschaft. Eine vollständige Liste, inklusive Bürgermeister und Ehrenbürger, findet sich im Hauptartikel. Siehe auch Geschichte der Stadt Bochum Historische Karten der Stadt Bochum Liste von Kunstwerken im öffentlichen Raum in Bochum Literatur Uli Auffermann: Bochum-Stadtwanderführer: 20 Touren. Wartberg Verlag, April 2013, ISBN 978-3-8313-2334-0. Uli Auffermann: Unsere Kindheit in Bochum. Aufgewachsen in den 60er & 70er Jahren. Wartberg Verlag, März 2008, ISBN 978-3-8313-1846-9. Die Bau- und Kunstdenkmäler von Westfalen. Band 17: Bochum Stadt. Schoeningh, Münster 1906 online im Internet Archive. Bochum – Daten und Fakten für die Wirtschaft 2010, Stadt Bochum / Wirtschaftsförderung, PDF auf der Website der Stadt Bochum. Bochumer Bekannte – Porträts: Bd. 1 (2002, mit Dariusz Wosz, Frank Goosen, Christof Wackernagel, Dietrich Grönemeyer) ISBN 3-928781-81-2, Band 2 (2003, mit Armin Rohde, Hennes Bender) ISBN 3-928781-82-0, Band 3 (2004, mit Hugo Ernst Käufer, Chris Hopkins) ISBN 3-928781-83-9. Grundriss zur deutschen Verwaltungsgeschichte 1815–1945, hrsg. von Walther Hubatsch, Band 8: Westfalen. Marburg an der Lahn, 1980. Tobias Haucke, Timo Rieg (Hrsg.): Bochumer Lokalrunde – gewusst, geraten, gewonnen: 1080 Quiz-Fragen. Bochum 2002, ISBN 3-928781-99-5. Tobias Haucke, Robert Gorny: Bochumer Szenenwechsel – Bilder und Erinnerungen aus 5 Jahrzehnten Stadtgeschichte. Biblioviel-Verlag, Bochum 2003, ISBN 3-928781-90-1. Thorsten Klagges: Bochum: Trotz Cholera, Krieg und Krisen. Eine kleine illustrierte Stadtgeschichte. 2000, ISBN 3-89570-696-5. Wilhelm Herbert Koch: Bochum dazumal. Droste, Düsseldorf 1974, ISBN 978-3-7700-0372-3. Norbert Kozicki: Aufbruch im Revier. 1968 und die Folgen. Essen 1993, ISBN 3-88474-063-6. Stefan Pätzold: Bochum. Kleine Stadtgeschichte, Pustet, Regensburg 2017, ISBN 978-3-7917-2929-9. Axel Schäfer, Norbert Konegen, Hans H. Hanke (Hrsg.): Bochum entdecken. 20 Stadtteilrundgänge durch Geschichte und Gegenwart. Klartext, Essen 2010, ISBN 978-3-89861-735-2. Heinrich Schoppmeyer: Stadtmappe Bochum. Dortmund-Altenbecken 2004, ISBN 3-89115-168-3. Th. Sprenger, H. Schmitz (Hrsg.): Bochum, Stern des Ruhrgebiets. Beleke, Essen 2003, ISBN 3-922785-79-4. Ludger Tewes: Mittelalter im Ruhrgebiet Siedlung am westfälischen Hellweg zwischen Essen und Dortmund, Verlag Schöningh, Paderborn 1997, ISBN 3-506-79152-4 Johannes V. Wagner, Monika Wiborni (Hrsg.): Bochum. 2003, ISBN 3-8313-1036-X Westfälischer Städteatlas; Band: VIII; 1 Teilband. Im Auftrage der Historischen Kommission für Westfalen und mit Unterstützung des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, hrsg. von Heinz Stoob † und Wilfried Ehbrecht. Westfälisches Städtebuch. Band III/2 (= Teilband aus „Deutsches Städtebuch. Handbuch städtischer Geschichte – Im Auftrage der Arbeitsgemeinschaft der historischen Kommissionen und mit Unterstützung des Deutschen Städtetages, des Deutschen Städtebundes und des Deutschen Gemeindetages“, hrsg. von Erich Keyser). Stuttgart 1954 Irmtraud-Dietlinde Wolcke: Die Entwicklung der Bochumer Innenstadt; zugl. Kiel, Univ., Diss., 1966 (= Schriften des Geographischen Instituts der Universität Kiel; Bd. 28, H. 1, 1968)  s. a. UB Frankfurt/M Hundertsieben Sachen – Bochumer Geschichte in Objekten und Archivalien / Ingrid Wölk (Hrsg.). Essen: Klartext, 2017. ISBN 978-3-8375-1869-6. Weblinks Webseiten der Stadt Bochum Bochum auf stadtpanoramen.de Einzelnachweise Ort in Nordrhein-Westfalen Kreisfreie Stadt in Nordrhein-Westfalen Gemeinde in Nordrhein-Westfalen Hansestadt Deutsche Universitätsstadt Ort an der Ruhr Ort am Westfälischen Hellweg
Q2103
179.79191
18469
https://de.wikipedia.org/wiki/Zen
Zen
Der Zen-Buddhismus, kurz Zen ([, auch ], ; , , , ; ursprünglich von Dhyana), ist eine Strömung des Buddhismus. Er wird zu dessen Hauptrichtung Mahayana gezählt. Die zentrale Praxis des Zen-Buddhismus ist die Meditation. Das zentrale Anliegen dabei ist das Erleben des gegenwärtigen Augenblicks und des gegenwärtigen Bewusstseins („Erwachen“). Der Zen-Buddhismus warnt aber wie andere buddhistische Strömungen davor, seine Lehre für das Erwachen selbst zu halten. Von seinen Anhängern fordert er allgemein keinen Glauben. Üblicherweise lehrt er auch keinen Gegenstandsbereich, der jenseits möglicher Erfahrung bzw. vorfindlicher Wirklichkeit liegt (Transzendenz), wie zum Beispiel Gottheiten. Der Zen-Buddhismus entstand ab etwa dem 5. Jahrhundert in China als Chan-Buddhismus. In seiner Anfangszeit wurde er wesentlich vom Daoismus beeinflusst. Über Mönche verbreitete er sich unter den Nachbarvölkern Chinas. Es entstanden unter anderem eine koreanische (Seon, kor. ) und eine vietnamesische Tradition (, viet. ). Ab dem 12. Jahrhundert gelangte Chan nach Japan und erhielt dort als zen (jap. ) eine neue Ausprägung (siehe auch Zen-Buddhismus in Japan). Diese gelangte ab dem 20. Jahrhundert in wiederum neuer Interpretation in den Westen. Die in Europa und den USA verwendete Terminologie zum Zen stammt daher zum großen Teil aus dem Japanischen. Aber auch koreanische, vietnamesische und chinesische Schulen sind heute im westlichen Kulturraum vertreten. Etymologie Das Wort Zen leitet sich von der japanischen Aussprache (Kana , obsolet sen) des mittelchinesischen Wortes (mittelchin. []; heute Pinyin chán) ab. Chan wiederum ist vom Sanskrit-Wort dhyāna (Sanskrit ) abgeleitet und wurde zunächst als Chan’na (chin. ) ins Chinesische übertragen. Dhyana kann ungefähr mit „Versenkung“ oder „meditativer Zustand“ übersetzt werden, Dhyana ist im Hinduismus und Buddhismus daher ein Begriff für den Zustand meditativer Versenkung. Der eigentliche chinesische Begriff für die „Zen-Schule“ ist (Pinyin chánzōng, dt. „Chan-Schule“), während Chan sich nur auf die Praxis der Meditation selbst (chin. ) oder das Studium der Meditation (chin. ) bezieht, obwohl es oft als eine abgekürzte Form von Chanzong verwendet wird. Selbstverständnis und dessen geschichtlicher Hintergrund Seit der Song-Zeit (960 bis 1279) lässt sich der Zen-Buddhismus durch diese vier Zeilen prägnant charakterisieren. Die vier Verse wurden gemeinsam als Strophe erstmals 1108 in dem Werk Zǔtíng Shìyuàn () von Mù'ān Shànqīng () Bodhidharma zugeschrieben. Einzeln oder in verschiedenen Kombinationen tauchten die Zeilen bereits früher im chinesischen Mahayana-Buddhismus auf. Die Zuschreibung an die legendenumwobene Gründerfigur sieht man heute als Festlegung des Selbstverständnisses nach einer Phase des Richtungsstreites. Der vierte Vers liest sich auf Japanisch als kenshō jōbutsu (). Die programmatische Aussage gilt als charakteristisch für Chan/Zen, erscheint erstmals aber bereits früher (um 500) in einem Kommentar () zum Nirvana-Sutra. Lehre Der japanische Zen-Meister Kodo Sawaki (1880–1965) erläutert die Bedeutung der Lehre wie folgt:„Du redest über das Leben Buddhas und die heroischen Taten der Zenmönche der alten Zeit. Du erzählst, was du von den Sutren gelesen hast. Aber wen interessiert das schon? Die Buddhalehre liegt nicht in der Ferne. Sie ist kein getrockneter Kabeljau, unsere Buddhas leben nicht im Jenseits. Du glaubst, dass Dogen Zenji ein großartiger Zenmeister war? Aber was ist mit dir selbst? Das Problem, um das es gehen muss, bist du selbst. Es ist DEIN Problem, und um dieses Problem muss sich dein Leben drehen.“ Zentral in der Lehrentwicklung des Zen-Buddhismus war die Vorstellung der Buddha-Natur: die Idee, dass der erwachte Geist eines Buddhas bereits in jedem fühlenden Wesen vorhanden ist. Im Zen wird oft gesagt, dass Zen „nichts“ biete: keine Lehre, kein Geheimnis, keine Antworten. In einem Kōan () spricht der Zen-Meister Ikkyū Sōjun () zu einem Verzweifelten: Um Befreiung von Leiden zu erlangen, muss man sich gerade von all seinen Wünschen und dem Durst nach Dasein lösen – nicht nur vom Drang nach materiellem Besitz und sozialem Status, sondern auch vom Drang nach Erkenntnissen und (paradoxerweise) dem Drang nach „Erleuchtung“. Grundlage einer solchen Befreiung ist, dass die Trennung von Innenwelt und Außenwelt als Illusion entlarvt wird. Die Anhaftung an die Illusion eines vom Rest der Welt getrennten Ich ist die wesentliche Ursache für Leiden (Dukkha). Man sollte daher aufhören, sich mit diesem Ich zu identifizieren – und auch sonst an nichts „festhalten“: keinen Dingen, keinen Überzeugungen, keinen Gedanken. Die zen-buddhistische Erleuchtung wird somit nicht als ein Aufbruch in etwas Jenseitiges gedeutet. Stattdessen bedeutet sie ein Erwachen zur längst vorhandenen Welt, so, dass man es vermag, zu essen, wenn man hungrig ist, zu schlafen, wenn man müde ist etc. Zen entzieht sich daher der Sphäre des begrifflichen Denkens, denn sprachliche Abstraktion und begriffliche Kategorien befinden sich im Gegensatz zu einer unverstellten Erfahrung der Realität. Das scheinbar Mysteriöse des Zen rührt allein aus den Widersprüchen (Paradoxa), die der Versuch des begrifflichen Sprechens über eine nichtbegriffliche Wirklichkeit hervorbringt. Die Zen-Lehre wird von Zen-Lehrern gerne mit „dem Finger, der auf den Mond zeigt“, verglichen. Der Mond repräsentiert dabei das Erwachen („eine Erkenntnis der ungehinderten Durchdringung des Dharmadhatu“, der Theorie der universellen Ursache). Damit warnt sie davor, ihre Lehre für dieses Erwachen selbst zu halten. Die deutsche evangelische Theologin und Zenmeisterin Doris Zölls (* 1954) beschreibt das im Zen und in Japan oft verwendete poetische Bild des Mondes wie folgt:„Der Mond steht für das wahre Wesen allen Seins. Und wie in jedem Fluss und Bach, in jeder Pfütze sich immer nur der eine Mond spiegelt, so drückt sich in allen Formen das wahre Wesen aus. Und doch ist es nicht möglich, dieses wahre Wesen zu fassen. Ich kann den Mond im Wasser nicht fassen. Ich seh sein silbriges Licht, ich seh es flackern, und wenn ich hinlange, ist es nicht da. Es ist da und gleichzeitig nicht da. Und dieses wahre Wesen zu erfahren ist eigentlich die Übung, die wir im Zazen praktizieren. Der Mond ist eine poetische Form, dies auszudrücken.“Zum Teil wird der Zen-Buddhismus als eine „Religion der Immanenz“ bezeichnet, die ganz ohne ein transzendentes „göttliches Gegenüber“ auskomme. Die radikale Zuwendung zum „alltäglichen Geist“ in der Meditation führe dazu, dass „sowohl das ›Ich‹ als auch die Idee ›Gottes‹ gänzlich zerbrechen“. Aus religionswissenschaftlicher Sicht wird andererseits aber auch darauf hingewiesen, dass die Zuschreibungen des Ikonoklasmus (Bildersturm) und Antiritualismus die Folge einer modernen Sicht auf den Zen-Buddhismus seien. Insofern gebe es auch im vermeintlich ikonoklastischen Zen eine Verehrung von Bildnissen, Statuen und Reliquien, in denen die Präsenz des Göttlichen durch Rituale erweckt werde. Eine pauschale Aussage, inwieweit es sich beim Zen-Buddhismus um eine Religion handelt, lässt sich insgesamt kaum treffen, da eine solche Einordnung einerseits vom zugrundegelegten Religionsverständnis abhängt und andererseits davon, wie „religiös“ das Zen jeweils individuell praktiziert wird (siehe auch Buddhistische Philosophie #Philosophie oder Religion). Praxis Zen beinhaltet auch religiöse Aspekte und historisch gewachsene Lehren, etwa in der Sōtō- oder der Rinzai-Schule (siehe unten); zur subjektiven Erfahrung des Zen werden diese aber in der Regel für nicht unbedingt erforderlich gehalten, sondern es gilt das Primat der Praxis. Die Praxis-Grundübung ist das Zazen (von jap.: Za- [sitzen]; Zen- [Versenkung]), dem Sitzen in der Versenkung auf einem Kissen. In der äußeren Haltung sind dabei die Beine ineinander geschlagen wie beim Lotussitz im Yoga. Der Rücken ist gerade, aber vollkommen entspannt, und die Hände sind entspannt ineinander gelegt, wobei sich die Daumenspitzen leicht berühren. Die Augen bleiben halb geöffnet, der Blick bleibt entspannt ohne Umherschweifen zum Boden gesenkt. Für Anfänger werden auch einfachere Sitzweisen empfohlen, etwa der halbe Lotussitz (Hanka-Fuza), der sogenannte Burmesische Sitz oder der Fersensitz (Seiza). Dazu kommt im Rinzai-Zen vor allem das Koan, eine Denkaufgabe, die durch Denken nicht zu lösen ist. Ein anderer, ebenso wichtiger Teil der Zen-Praxis besteht aus der Konzentration auf den Alltag. Dies bedeutet einfach nur, dass man sich auf die Aktivität, die man gerade in diesem Augenblick ausübt, vollkommen konzentriert, ohne dabei irgendwelchen Gedanken nachzugehen. Beide Übungen ergänzen einander und sind dazu gedacht, den Geist zu beruhigen bzw. die „Gedankenflut“, welche einen durchgehend überkommt, einzudämmen. Primat der Praxis Zen ist der weglose Weg, das torlose Tor. Die dem Zen zugrundeliegende große Weisheit (Prajna) braucht gemäß der Lehre nicht gesucht zu werden, sie ist immer schon da. Vermöchten die Suchenden einfach nur ihre permanenten Anstrengungen aufzugeben, die Illusion der Existenz eines „Ich“ aufrechtzuerhalten, würde sich Prajna unmittelbar einstellen. Realistisch gesehen ist das Beschreiten des Zen-Weges jedoch eines der schwierigeren Dinge, die in einem menschlichen Leben unternommen werden können. Den Schülern wird die Bereitschaft zur Aufgabe ihres selbstbezogenen Denkens und letztlich des Selbst abverlangt. So dauert der Übungsweg gewöhnlich mehrere Jahre, bevor die ersten Schwierigkeiten überwunden sind. Dabei behilflich sind die Rōshi genannten Lehrmeister. Der Weg ist allerdings stets zugleich auch das Ziel; im Üben ist die Erfüllung stets gegenwärtig. Primäre Aufgabe des Schülers ist die fortgesetzte, vollständige und bewusste Wahrnehmung des gegenwärtigen Moments, eine vollständige Achtsamkeit ohne eigene urteilende Beteiligung (Samadhi). Diesen Zustand soll er nicht nur während der Meditation, sondern möglichst in jedem Augenblick seines Lebens beibehalten. Auf diese Weise kann sich die Erkenntnis der absoluten Realität einstellen (Satori, Kenshō). Die Frage nach dem Sinn des Lebens wird aufgehoben; die Kontingenz der eigenen Existenz, das In-die-Welt-geworfen-Sein kann angenommen werden. Vollkommene innere Befreiung ist die Folge: Es gibt nichts zu erreichen, nichts zu tun und nichts zu besitzen. Methoden Wie bei unseren täglichen Handlungen kommt es auch bei den hier beschriebenen Methoden nicht darauf an, was wir tun, sondern wie wir es tun. Dies veranschaulicht folgende Erzählung: Einst fragte ein Vinaya-Lehrer einen Zen-Meister: „Wie übst Du Zen in deinem täglichen Leben?“ Der Meister antwortete:„Wenn ich hungrig bin, esse ich.Wenn ich satt bin, spüle ich meine Essschale.Wenn ich müde bin, schlafe ich.“ Der Lehrer erwiderte: „Das tut jeder. Übt also jeder Zen wie Du?“ Der Zen-Meister erklärte: „Nein, nicht in gleicher Weise.“ Der Lehrer fragte „Warum nicht in gleicher Weise?“ Der Meister lächelte: „Wenn andere essen, wagen sie nicht zu essen. Ihr Denken ist angefüllt mit unendlich vielen Überlegungen. Darum sage ich: nicht in gleicher Weise.“ Mit der Zeit haben Zen-Meister verschiedene Techniken entwickelt, die den Schülern Hilfen bieten und Fehlentwicklungen vorbeugen sollen. Die Schulung der Aufmerksamkeit und der absichtslosen Selbstbeobachtung stehen dabei an erster Stelle; daneben wird das (ver)störende diskursive Denken an einen Endpunkt gebracht. Im eigentlichen Sinne gelehrt werden kann Zen nicht. Es können nur die Voraussetzungen für spontane, intuitive Einsichten verbessert werden. Zu den gebräuchlichen Methoden der Zen-Praxis gehören Zazen (Sitzmeditation), Kinhin (Gehmeditation), Rezitation (Texte rhythmisch vorlesen oder vortragen), Samu (Arbeitsmeditation) und zusätzlich im Rinzai-Zen das Lösen von Kōans (chinesisch Gongan, ), einer Art paradoxer Rätsel. Besonders intensiv werden diese Methoden während mehrtägiger Übungsperioden Sesshin bzw. Retreat (Klausuren) geübt. Der Schüler muss zumindest die Sitzmeditation in sein alltägliches Leben integrieren, denn Zen ist seinem Wesen nach stets nur Praxis. Allen Methoden ist gemeinsam, dass sie durch häufiges Üben in den Körper/Geist übergehen und so mit der Zeit, automatisch, natürlich und ohne diskursives Denken in voller Aufmerksamkeit ausgeübt werden. Dies gilt für die vorgenannten und für folgende Methoden: Dokusan (), wörtlich „Einzelbesuch“, ist die Begegnung unter vier Augen mit dem Meister im Rinzai-Zen (im Westen teilweise auch im Sōtō-Zen). Die besprochenen Inhalte, die oft sehr persönliche Fragen, Anliegen und Antworten des Schülers betreffen, unterliegen der absoluten Vertraulichkeit. Gasshô (), wörtlich „zusammengefügte Handflächen“, Geste des Grußes und Respektes, der Dankbarkeit oder der Verehrung, bei der die Handflächen auf Gesichtshöhe zusammengeführt werden. Diese Geste schafft von selbst Einheit und Harmonie. Kesa (), nähen. Traditionellerweise nähen im Sotô-Zen Nonne und Mönch ihr Kesa selbst und tragen es während Zazen. Das Kesa ist das Gewand der Weitergabe der wahren Unterweisung seit Buddha. Es ist immer neutral, erdfarben. Kinhin (), wörtlich „Zazen im Gehen“. Langsames meditatives Gehen im Rhythmus des Atems und zwischen zwei Zazen-Perioden. Kusen von Ku „Mund“ und sen „Unterweisung“. Im Sōtō-Zen ist es die Unterweisung durch den Meister oder einen älteren Schüler während des Zazen; es sind Worte, die direkt dem ursprünglichen Geist des Zazen entspringen. Mondō (), im Sōtō-Zen öffentlicher Zen-Dialog zwischen Meister und Schüler, in dem es um essentielle Probleme des Lebens geht. Ōryōki () oder Hatsutara (; Sanskrit pātra), wörtlich „dem Anlass angemessen“, ist eine kontemplative, ritualisierte Form des gemeinsamen Essens in tiefer Stille. Sanpai (), san bedeutet „sich beteiligen“ (gleichgeschrieben mit der literarischen Schreibung der Zahl Drei ) und pai ist die „Niederwerfung“. Rituelle Niederwerfungen, die die tiefe Achtung und Dankbarkeit zum Ausdruck bringen. Teishô (), wörtlich „Darlegung der Zen-Erfahrung durch einen Zen-Meister“. Indem während des Übens die Flut der Gedanken zur Ruhe kommt, wird das Erleben von Stille und Leere, Shunyata, möglich. Im Japanischen gibt es zwei Ausdrücke für Erleuchtung. Der eine ist Satori, ein Begriff, der in Zen-Kreisen Europas und Amerikas oft gebraucht wird. Es bedeutet vom Wort her „Verstehen“ und kann auch als Verstehen im allgemeinen Sinn, ohne Beziehung zum Zen, aufgefasst werden. Der andere Ausdruck für die Zen-Erleuchtung, Kenshō, bedeutet wörtlich „Wesensschau“ und kommt dem, was gemeint ist, viel näher als das Wort „Satori“. Es ist das Verstehen nicht nur des Menschseins, sondern des tiefsten Wesens allen Seins. Vor allem im Rinzai-Zen wird diese mystische Erfahrung der Erleuchtung (Satori, Kenshō), ein oft plötzlich eintretendes Erleben universeller Einheit, d. h. die Aufhebung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes, zum zentralen Thema. In diesem Zusammenhang ist oft von „Erwachen“ und „Erleuchtung“ (pali/sanskrit: Bodhi), vom „Buddha-Werden“, oder der Verwirklichung der eigenen „Buddha-Natur“ die Rede. Diese Erfahrung der Nicht-Dualität ist der sprachlichen Kommunikation kaum zugänglich und kann auch einer Person ohne vergleichbare Erfahrung nicht vermittelt werden. In der Regel wird darüber nur mit dem Zen-Lehrer gesprochen. Im Sōtō-Zen tritt die Erleuchtungserfahrung völlig in den Hintergrund. Zum zentralen Begriff von Zen-Praxis wird Shikantaza, „einfach nur sitzen“, d. h. die absichtslose, nicht auswählende Aufmerksamkeit des Geistes in Zazen, ohne einem Gedanken zu folgen oder ihn zu verdrängen. Zazen wird im Sōtō also nicht als Mittel zum Zweck der Erleuchtungssuche verstanden, sondern ist selbst Ziel und Endpunkt, was nicht bedeutet, dass während des Zazen oder anderen Tätigkeiten kein Erleuchtungszustand auftreten kann oder darf. Das große Kōan des Sōtō-Zen ist die Zazen-Haltung selbst. Zur Verwirklichung dieses absichtslosen Sitzens zentral ist Hishiryō, das Nicht-Denken, d. h. das Hinausgehen über das gewöhnliche, kategorisierende Denken. Dōgen schreibt im Shōbōgenzō Genjokoan dazu folgende Passage: Zen und Kultur Zen ist im Kern eine Kultur der Stille, die gleichzeitig für Einfachheit, schlichte Eleganz, Natürlichkeit und innere Verbundenheit mit der Natur steht. Auch die Kunst, der menschliche Alltag und der Lebensstil können davon tief geprägt sein. Zenwege (Dō) Bestimmte Künste wie Malerei, Kalligraphie, Poesie, Gartenarbeit, Ikebana, Chadō und andere werden als Teil des Zen-Trainings und der Zen-Praxis verwendet. Die japanische Kunst und Kultur wurde in den letzten 1000 Jahren stark vom Zen geprägt, insbesondere vom Zazen und der Impermanenz, dem ständigen Fluss des Erlebens, sowie der Einfachheit. Eine aus dem Zen gespeiste Kultur und Ästhetik hat sich auf folgenden verschiedenen Wegen (Dō) gebildet: Sadō (früher Chadō) – der Weg der Teezeremonie Kintsugi – Reparaturmethode für Keramik Hagi-yaki – kunsthandwerkliches Teegeschirr für den Alltagsgebrauch Shodō – der Weg der Schreibkunst (Kalligraphie) Bokuseki – der Weg der Tuschspuren, die der Ausdruck eines intensiv erlebten Augenblicks sind und aus dem Urgrund kommen Budō – der Weg des Kriegers oder der Kampfkünste Kyūdō – der Weg des Bogenschießens Iaidō – der Weg des Schwertziehens Aikidō – der Weg der defensiven Kampfkunst Judō – der sanfte/flexible Weg des „Siegen durch Nachgeben“ Karatedō – (früher Karate) der Weg der leeren Hand, mit Schlag-, Stoß-, Tritt- und Blocktechniken sowie Fußfegetechniken Sumi-e oder Suibokuga – der Weg der Pinsel- und Tuschemalerei Haiku – der Weg der Poesie und die kürzeste Gedichtsform der Welt Suizen – das kunstvolle Spiel der Shakuhachi-Bambusflöte, der wandernden Zenmönche (Honkyoku) Kare-san-sui – die Kunst der Steingartengestaltung Bonsai – Der Weg der Miniatur-Gartenkunst Kadō – (auch: Ikebana) der Weg des Blumenarrangements Zen-Künste und Zen-Wege erinnern an die Vergänglichkeit des Lebens, an das japanische Mono no aware (), weisen auf die Verbundenheit der Dinge untereinander hin und können vertiefte spirituelle Einsichten vermitteln. Für alle Zen-Künste galt und gilt auch heute, dass man lernen muss, wegzulassen. Der Praktizierende lernt zu sehen, was zum Wesen der Dinge gehört und was überflüssig ist. Zen und Bildende Kunst Klassische chinesische Künste wie Pinselmalerei und Kalligraphie wurden von Chan-Mönchen verwendet, um ihren Schülern ihr spirituelles Verständnis auf einzigartige Weise zu vermitteln. Zen-Gemälde werden auf Japanisch manchmal als „zenga“ bezeichnet. Hakuin war ein japanischer Zen-Meister, der dafür bekannt war, einen großen Korpus einzigartiger sumi-e (Tusche- und Lavamalereien) und japanischer Kalligraphie zu schaffen, um Zen auf visuelle Weise zu vermitteln. Sein Werk und das seiner Schüler waren im japanischen Zen sehr einflussreich. Ihre Motive waren die Pflanzen, Bäume, Landschaften, Menschen und Tiere. Der typische Zen-Stil ist geprägt durch klare Kompositionen und einfache Formen. Material, Textur und Form der Motive werden hervorgehoben. Die Ästhetik des Zen steht für Reduktion und Einfachheit, Natürlichkeit und Naturverbundenheit. Insbesondere die Schönheit im Alltäglichen inspiriert zur Einsicht in die Schönheit des Seins. In der Gestaltung wird Unnötiges weggelassen, sodass nichts vom Wesentlichen ablenkt. Zen und Poesie Matsuo Basho, ein japanischer Poet der frühen Edo-Zeit (1603–1868), war ein Meister der vom Zen geprägten Gedichtsform Haiku. Ein gutes Beispiel für die Einfachheit und Unmittelbarkeit von Basho ist folgendes Gedicht: Zen und Musik Ein weiteres Beispiel für Zen-Künste ist die kurzlebige Fuke-Schule (jap. ) des Zen in Japan, die eine einzigartige Form des „Blasen-Zen“ (suizen ) praktizierte, indem sie die Shakuhachi-Bambusflöte spielte. Die Shakuhachi () ist eine Bambuslängsflöte, die bereits im 8. Jahrhundert aus China eingeführt wurde und sich im 17. Jahrhundert zu einem Meditationsinstrument zenbuddhistischer Mönche in Japan entwickelt hat. Zen und Kampfkunst Traditionelle Kampfkünste, wie das japanische Bogenschießen (kyūdō), andere Formen der japanischen (budō) und chinesische Kampfkünste (gōngfu) wurden auch als Formen der Zen-Praxis gesehen. Diese Tradition geht auf das einflussreiche Shaolin-Kloster in Henan zurück, das die erste institutionalisierte Form des gōngfu entwickelte. Die Shaolin-Praktiken, die sich um das 12. Jahrhundert herum zu entwickeln begannen, wurden traditionell auch als eine Form der inneren Kultivierung des Chan-Buddhismus (heute wǔchán, ) gesehen. Die Shaolin-Künste machten auch Gebrauch von taoistischen Körperübungen (dǎoyǐn, ), Atem- und Energie-Kultivierungspraktiken (qìgōng, ). Sie wurden als therapeutische Praktiken angesehen, die die „innere Stärke“ (nèilì, ), die Gesundheit und die Langlebigkeit (yǎngshēng, ) verbesserten, sowie als Mittel zur spirituellen Befreiung. Der Einfluss taoistischer Praktiken kann auch in der Arbeit von Wang Zuyuan (ca. 1820 – nach 1882), einem Gelehrten und kleinen Bürokraten, der bei den Shaolin studierte, gesehen werden. Wangs Illustrierte Darstellung der inneren Techniken (Neigong tushuo) zeigt, wie Shaolin-Übungen von taoistischen Methoden abgeleitet wurden. In Japan stehen die klassischen Kampfkünste (budō) und die Zen-Praxis seit der Übernahme des Rinzai-Zen durch den Hōjō-Klan im 13. Jahrhundert, der die Zen-Disziplin auf seine Kampfpraxis anwendete, in Kontakt. Eine einflussreiche Persönlichkeit in dieser Beziehung war der Rinzai-Priester Takuan Sōhō, der für seine an die Samurai-Klasse gerichteten Schriften über Zen und Budō bekannt war. Diese energetischen Praktiken, die als Naikan bekannt sind, basieren auf der Konzentration des Geistes und der eigenen Lebensenergie (Ki) auf einen Punkt etwas unterhalb des Nabels (Tanden). Zengarten Sogenannte Zengärten, auch Kare-san-sui (jap. , dt. „trockene Landschaft“ bzw. „ausgetrocknete Landschaft“), aber auch Kasansui ( „unechte Landschaft“), Furusansui ( „alte Landschaft“) oder Arasensui ( „Trockenteich“), sind Steingärten, die lediglich aus Kies, Steinen und Felsbrocken bestehen. Mit Ausnahme von Moos werden keine weiteren Pflanzen verwendet. Wasser ist durch wellenförmige Strukturen in Kies- oder Sandflächen angedeutet. Sowohl das achtsame Rechen und Pflegen dieser Felsengärten als auch die Betrachtung dieser Kare-san-sui gilt im Zen als Teil der Meditation. Besondere Zeiten In manchen Zen-Einrichtungen werden in der Woche vor dem Erleuchtungstag Rohatsu Sesshins angeboten, die an die Erleuchtung Buddhas nach einer Woche Meditation anknüpfen. Seit der Zeit Buddhas sind bestimmte Perioden des Jahres für langfristige intensive spirituelle Retreats (Sesshins) vorgesehen. Sie entsprechen ursprünglich der Regenzeit (Monsunzeit) in Indien. Diese Tradition hat sich bis nach Europa ausgebreitet, wird hier fortgeführt und auch als Sommerlager bezeichnet. Gegenstände der Zen-Praxis (Auswahl) Geschichte Das Zen, wie wir es heute kennen, ist von vielen Kulturen über anderthalb Jahrtausende beeinflusst und bereichert worden. Seine Anfänge sind im China des 6. Jahrhunderts zu suchen, obwohl seine Wurzeln wahrscheinlich weiter zurückreichen und Einflüsse anderer buddhistischer Schulen ebenfalls vorhanden sind. Nachdem Bodhidharma der Legende nach im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung die Lehre des Meditationsbuddhismus nach China brachte, wo er zum Chan-Buddhismus wurde, flossen Elemente des Daoismus und Konfuzianismus/Neokonfuzianismus ein. Aus dem Daoismus übernahm der Zen die Betonung von Einfachheit, Natürlichkeit sowie Spontanität und die Friedfertigkeit des wu-wei. Eine Vielzahl von Schriften mit Gedichten, Anweisungen, Gesprächen und Kōans stammt aus dieser Zeit. Aus diesem Grunde findet man viele Begriffe und Personennamen heute sowohl in chinesischer als auch in japanischer Aussprache. Bis zum Ende des 1. Jahrtausends hatte das Zen seine klare Ausprägung gefunden. So betonte die Zen-Lehre das plötzliche Erwachen (satori) im Gegensatz zu einer stufenweisen Annäherung an das Erwachen und stellte radikal in Frage, dass eine dualistische Unterscheidung etwas Wirkliches wiedergebe. Des Weiteren lehrte die Zen-Schule, dass wir durch Nicht-Tun (wu-wei) die Natürlichkeit sowie Spontanität praktizieren sollten, und vertrat die Meinung, dass das Erwachen (bodhi) nicht gefunden werden kann, sondern man müsse seiner persönlich gewahr werden. Die Überbringung der Lehre durch Eisai (1141–1215) und Dōgen (1200–1253) in Kyōto nach Japan im 12. und 13. Jahrhundert hat wiederum zur Wandlung des Zen beigetragen, durch generelle japanische Einflüsse, aber auch mikkyō und lokale Religionen. Im 19. und insbesondere im 20. Jahrhundert machten die Zen-Schulen in Japan rasante Veränderungen durch. Dabei wurde von Laien eine neue Form des Zen begründet. Diese erreichte Europa und Amerika und wurde ebenfalls inkulturiert und erweitert. Seit dem 20. Jahrhundert wendeten sich selbst einige christliche Mönche und Laien der Meditation und dem Zen zu, wodurch, zum Teil getragen durch autorisierte Zen-Lehrer, die dem Christentum verbunden blieben, das sogenannte „Christliche Zen“ entstand (siehe Abschnitt „Zen und Christentum“ unten). Indien Der Legende nach soll der historische Buddha Siddhartha Gautama (wahrscheinlich 563–483 v. Chr.) nach der berühmten Predigt auf dem Geierberg eine Schar von Jüngern um sich versammelt haben, die seine Darlegung des Dharma hören wollten. Statt zu reden hielt er schweigend eine Blüte in die Höhe. Nur sein Schüler Mahakashyapa verstand diese Geste unmittelbar als zentralen Punkt der Lehre Buddhas und lächelte. Er war plötzlich zur Erleuchtung gekommen. Damit ist angeblich die erste Übertragung der wortlosen Lehre von Herz-Geist zu Herz-Geist (jap. Ishin Denshin) erfolgt. Da diese Einsicht des Kāshyapa nicht schriftlich zu fixieren ist, erfolgt die Übermittlung seitdem persönlich von Lehrer zu Schüler. Man spricht dabei von sogenannten Dharma-Linien (d. h. in etwa: Lehr-Richtungen). Diese unmittelbare Überlieferung setzte sich – der Legende nach – über 27 indische Meister bis zu Bodhidharma fort. China Der Mönch Bodhidharma soll die Lehre nach China gebracht haben und wird somit als erster Patriarch des Chan angesehen. Bodhidharma (sanskrit , chin. Dámó , jap. Daruma ) (~440–528) Dàzǔ Huìkě (, jap. Daiso Eka) (487–593) Jiànzhì Sēngcàn (, jap. Kanchi Sōsan) (?–606) Dàyī Dàoxìn (, jap. Dai'i Dōshin) (580–651) Dàmǎn Hóngrěn (, jap. Dai'man Konin) (601–674) Dàjiàn Huìnéng (, jap. Daikan Enō) (638–713) Nach dem 6. Patriarchen teilt sich die Linie in verschiedene Schulen auf. Für das China der Zeit um 950 spricht man von den 5 Häusern: Caodong () (jap. Sōtō) von Dōgen Zenji (1200–1253) nach Japan gebracht Fayan () (jap. Hōgen) Guiyang (chin. ) (jap. Igyō) Linji () (jap. Rinzai; ?–866/867) von Eisai Zenji nach Japan gebracht Yunmen () (jap. Ummon, 864–949) In der Folge entstanden bis in die Gegenwart weitere Schulen, darunter die drei noch heute existierenden Zen-Schulen Japans: Ōbaku-shū Rinzai-shū Sōtō-shū und die moderne: Sanbō Kyōdan Vietnam Chan wurde in Vietnam während der frühen chinesischen Besatzungszeit (111 v. Chr. bis 939 n. Chr.) als Thiền eingeführt. Während der Lý- (1009–1225) und der Trần-Dynastie (1225 bis 1400) stieg das Thiền unter den Eliten und am königlichen Hof auf und eine neue einheimische Tradition wurde gegründet, die Schule Trúc Lâm („Bambushain“), die auch konfuzianische und taoistische Einflüsse enthielt. Im 17. Jahrhundert wurde die Linji-Schule als Lâm Tế nach Vietnam gebracht, die ebenfalls Chan und „Reines Land“ vermischte. Lâm Tế ist bis heute der größte monastische Orden des Landes. Das moderne vietnamesische Thiền ist vom buddhistischen Modernismus beeinflusst. Wichtige Persönlichkeiten sind der Thiền-Meister Thích Thanh Từ (1924–), der Aktivist und Popularisierer Thích Nhất Hạnh (1926–2022) und der Philosoph Thích Thiên-Ân. Der vietnamesische Thiền ist vielfältig und umfassend und bringt viele Praktiken wie Atemmeditation, Mantra, Theravada-Einflüsse, Chanten, Sutra-Rezitation und engagierten buddhistischen Aktivismus mit sich. Korea Seon () wurde während der späten Silla-Periode (7. bis 9. Jahrhundert) allmählich nach Korea übertragen, als koreanische Mönche begannen, nach China zu reisen, um die sich neu entwickelnde Chan-Tradition von Mazu Daoyi zu lernen. Sie gründeten die ersten Seon-Schulen Koreas. Seinen wichtigsten Impuls und seine Konsolidierung erhielt das Seon durch den Goryeo-Mönch Jinul (1158–1210). Er gründete den Jogye-Orden, der bis heute die größte Seon-Tradition in Korea ist. Jinul schrieb auch umfangreiche Werke über Seon und entwickelte ein umfassendes System von Gedanken und Praxis. Während der streng konfuzianisch geprägten Joseon-Dynastie (1392–1910) wurde der Buddhismus weitgehend unterdrückt, und die Zahl der Klöster und Geistlichen ging stark zurück. Die Zeit der japanischen Besatzung (1910–1945) brachte auch zahlreiche modernistische Ideen und Veränderungen in den koreanischen Seon. Einige Mönche begannen, zu heiraten und Familien zu gründen. Heute erzwingt die größte Seon-Schule, das Jogye, das Zölibat, während die zweitgrößte, der Taego-Orden, verheiratete Priester zulässt. In Nordkorea wird Seon so wie jegliche Form der Spiritualität oder Religion durch die Regierung fast vollständig unterdrückt. Über die Stellung des Seon innerhalb der mittlerweile nur noch kleinen buddhistischen Gemeinde im Land kann aufgrund der Abschottung des Staates keine gesicherte Aussage getroffen werden. In Südkorea ist Seon die mit Abstand bedeutendste buddhistische Strömung mit vielen Millionen Anhängern; auch etwa 95–99 % der buddhistischen Tempel in Korea gehören zu einem Orden des Seon. Wie der gesamte Buddhismus litt der Seon seit der Gründung der Republik wiederholt unter der Unterdrückung der meist stark protestantisch geprägten Regierungen sowie vereinzelten Gewaltakten durch fundamentalistische Protestanten. In den letzten Jahren hat sich die Lage diesbezüglich allerdings beruhigt. Zeitgleich wächst, parallel zur weltweit steigenden Popularität von Zen, die Popularität von Seon in der Allgemeinbevölkerung stark. Seon wurde auch in den Westen übertragen, mit neuen Traditionen wie der Kwan Um Zen Schule. Seit 2002 existiert in Südkorea das vom Jogye-Orden gegründete und zeitweise auch staatlich unterstützte Programm Temple Stay für Aufenthalte in teilnehmenden Tempeln. Die angebotenen Aufenthalte reichen von kostenlosen, keine zwei Stunden langen Sesshins bis hin zu längeren, kostenpflichtigen Aufenthalten mit Unterkunft, Verpflegung sowie vielseitigerem Programm. Japan Trotz der großen Bedeutung des Zen (Chan) in China und der Regierungsnähe vieler dortiger Klöster wurde in der Nara-Zeit (710–794) keine Zen-Traditionslinie als Schule nach Japan gebracht. Spätere Versuche blieben bis in das 12. Jahrhundert historisch folgenlos. Bereits in der Nara-Zeit (710–794) taucht der Begriff Zenji (Zenmeister) in den ersten Schriften auf: Er beschreibt meist von der kaiserlichen Regierung nicht autorisierte, nicht offiziell ordinierte Praktizierende von buddhistischen Ritualen (meist in der bergigen Wildnis asketische Praktiken, Meditation, Rezitationen usw.). Man glaubte, durch diese Rituale erlangten die Praktizierenden große, aber ambivalente Kräfte. Ab der Kamakura-Zeit (1185–1333) konnte Zen Fuß fassen und es bildeten sich die Hauptschulen Sōtō (), Rinzai () und Ōbaku () heraus. Von diesen ist Sōtō die größte und Ōbaku die kleinste, mit Rinzai in der Mitte. Sōtō ist die japanische Linie der chinesischen Caodong-Schule, die während der Tang-Dynastie (617/18–907) von Dongshan Liangjie gegründet wurde. Die Sōtō-Schule hat seit Gentō Sokuchū (um 1800) die Kōans zurückgedrängt und stattdessen den Schwerpunkt auf Shikantaza gelegt. Dogen, der Begründer des Soto in Japan, betonte, dass Praxis und Erwachen nicht zu trennen sind. Durch das Praktizieren von Shikantaza werden Verwirklichung und Buddhaschaft bereits zum Ausdruck gebracht. Für Dogen ist Zazen, oder Shikantaza, die Essenz der buddhistischen Praxis. Nach der Meiji-Restauration (1868–1877) wurde der Buddhismus in Japan kurz verfolgt und von der neuen Politik zugunsten eines nationalistischen „Staats-Shintō“ (kokka shintō) als Religion der Machthabenden aufgegeben. In den Zeiten des immer rasanteren gesellschaftlichen, kulturellen und sozialen Wandels kam der shin-bukkyō, der neue Buddhismus, auf, der z. B. sozial tätig wurde. Die Abgeschlossenheit der Klöster lockerte sich ebenfalls, so wurden Laiengruppen in zazen und der Lehre des Zen unterrichtet. Zen im Westen Geschichtlicher Überblick 16. bis 19. Jahrhundert Bis zum neunzehnten Jahrhundert war in Europa wenig über den Buddhismus bekannt, außer den Kommentaren, die christliche Missionare seit dem sechzehnten Jahrhundert verfasst hatten. In ihren Beschreibungen finden wir die ersten Eindrücke des Buddhismus aus Japan und China. Während diese Beschreibungen eher von Ritualen und Verhaltensweisen handelten, gab es kaum detailliertere Kommentare zu Lehrfragen oder Meditationspraktiken. Die Inquisition kontrollierte dieses Gedankengut streng, obwohl der Einfluss der kontemplativen Zen-Praktiken bei prominenten christlichen Persönlichkeiten der Zeit, insbesondere bei Jesuiten, sichtbar war. Auch wenn es schwierig ist, den genauen Zeitpunkt zu bestimmen, an dem der Westen zum ersten Mal auf Zen als einer eigenständigen Form des Buddhismus aufmerksam wurde, wird der Besuch des japanischen Zen-Meisters Soyen Shaku (1859–1919) und seines Sekretärs Suzuki Daisetsu, die danach die ersten Zen-Zentren im Westen gründeten, in Chicago während des Weltparlaments der Religionen im Jahr 1893 oft als ein Ereignis genannt, das die Bekanntheit des Zen in der westlichen Welt erhöhte. Daisetz Teitaro Suzuki (1870–1966) wurde zu einem wichtigen japanischen Autor von Büchern über den Zen-Buddhismus in moderner Form. Nach Abschluss seiner Zen-Studien 1897 folgte Suzuki dem Ruf von Paul Carus nach Amerika und wurde dessen persönlicher Assistent. In den 1960er Jahren hatte Daisetz Teitaro Suzuki über seinen Schüler Alan Watts (1915–1973) und durch Charlotte Selver (1901–2003) einen Einfluss auf die humanistische Bewegung am Esalen-Institut (Human Potential Movement, Claudio Naranjo). Ebenso lernte Philip Kapleau (1912–2004) zunächst bei Suzuki, legte aber später entschieden mehr Wert auf Zen-Praxis. 20. Jahrhundert Im 20. Jahrhundert fing zwar ein reger Austausch zwischen östlichem Zen und dem Westen an. Aber erst in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren begann die Zahl der Westler, die nicht zu den Nachkommen asiatischer Einwanderer gehörten und sich ernsthaft für Zen interessierten, ein bedeutendes Ausmaß zu erreichen. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Europa erfährt Zen während dieser Zeit eine große Popularität. Im Gegensatz dazu steht das geringe Interesse, das Zen zur gleichen Zeit in Japan erfuhr. In den Vereinigten Staaten fasste das Sōtō-Zen dank Shunryū Suzuki während der späten 1950er Jahren in Kalifornien Fuß. 1948 veröffentlichte der deutsche Philosoph Eugen Herrigel seinen Bestseller Zen in der Kunst des Bogenschießens, einen Klassiker der westlichen Zen-Literatur mit hohen Auflagen im 20. Jahrhundert; 1953 erschien eine Übersetzung ins Englische und 1956 erschien das Werk sogar auf Japanisch. Viele Intellektuelle im Deutschland der Nachkriegszeit waren nach der Lektüre dieser Schrift . Das Buch prägte, auch über den deutschen Sprachraum hinaus, das populäre Bild von Zen mit. Der jesuitische Zen- und christliche Exerzitien-Meister Hugo Makibi Enomiya-Lassalle erteilte 1962 in Deutschland zum ersten Mal Exerzitien in Kombination mit Zazen. Im selben Jahr öffnete sich die katholische Kirche, infolge des Zweiten Vatikanischen Konzils, erstmals einem religiösen Pluralismus, der unter anderem auch die Akzeptanz von Zen förderte. Neben Pater Lassalle, der der Zen-Praxis zum Durchbruch verhalf, sorgte Karlfried Graf Dürckheim durch die Ausbildung von Zen-Lehrern für die Verbreitung von Zen in Deutschland. Karlfried Graf Dürckheim, zwischen 1939 und 1945 in Japan tätig, hat als Psychologe, Therapeut und Zen-Lehrer die Verbindung von Zen und Kunst gefördert. Ähnliche Brücken zwischen Therapie und Zen regte Maria Hippius Gräfin Dürckheim an. Das Paar gründete 1951 in Todtmoos eine Existentialpsychologische Bildungs- und Begegnungsstätte, in der unter anderem auch Zen praktiziert und gelehrt wurde. Gleichzeitig begann Dürckheim eine rege Publikationstätigkeit zum Thema Zen. Das japanische Zen hat im Westen die größte Popularität erlangt. Die verschiedenen Bücher über Zen von Reginald Horace Blyth, Alan Watts, Philip Kapleau und Daisetz Teitaro Suzuki, die zwischen 1950 und 1975 veröffentlicht wurden, trugen zu diesem wachsenden Interesse an Zen im Westen bei, ebenso wie das Interesse seitens Beat-Poeten wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg und Gary Snyder. Eine erste Fassung der Geschichte des Zen-Buddhismus wurde 1956 von Heinrich Dumoulin (1905–1995) veröffentlicht. Dieses Werk wurde bald zu einem Referenzwerk, das von Fachleuten in der ganzen Welt beachtet wurde. Seine 1985 veröffentlichte endgültige zweibändige Geschichte des Zen-Buddhismus gilt mittlerweile auch als Primärtext für die Rezeption des Zen-Buddhismus im Westen. 1958 spielte die US-amerikanische Literaturzeitschrift Chicago Review eine bedeutende Rolle bei der Einführung des Zen in die amerikanische Literaturgemeinschaft, als sie eine Sonderausgabe über Zen veröffentlichte, in der die bereits erwähnten Beat-Poeten und Werke in Übersetzung vorgestellt wurden. Im gleichen Jahr kam der Japaner Suzuki Shunryū (1905–1971) in die USA nach San Francisco und übernahm die Leitung der dortigen japanischen Sōtō-Gemeinde. Er gründete das erste Zen-Kloster außerhalb Asiens. Ein vielbeachtetes Buch war Zen-Geist – Anfänger-Geist. Erich Fromm (1900–1980) zitierte Daisetz Teitaro Suzuki 1960 in seinem Buch Psychoanalyse und Zen-Buddhismus. Fromm wollte einer ökonomisierten Welt die Werte von Liebe, Kunst und Mitgefühl entgegensetzen. In seinem Buch Haben oder Sein, in dem Fromm die westliche Gesellschaft analysiert, bemerkt er zum Zen-Buddhismus: „Es ist nicht so, dass der westliche Mensch östliche Systeme wie den Zen-Buddhismus nicht ganz begreifen kann (wie Jung meinte), sondern dass der moderne Mensch den Geist einer Gesellschaft nicht zu fassen vermag, die nicht auf Besitz und Habgier aufgebaut ist. In der Tat ist Meister Eckhart ebenso schwer zu verstehen wie Basho oder Zen, doch Eckhart und der Buddhismus sind in Wirklichkeit nur zwei Dialekte der gleichen Sprache“ 1967 kam der Soto Meister Taisen Deshimaru nach Frankreich, gründete 1970 die Gesellschaft Association Zen Internationale (AZI) und 1971 das Pariser Dōjō Pernety das zur Quelle der Verbreitung des Zen in Europa wurde. Die AZI ist heute die größte zen-buddhistische Gruppe in Europa. Houn Jiyu-Kennett (1924–1996) war die erste westliche weibliche Soto-Zen-Priesterin. Sie wurde 1963 Oshō, d. h. „Priester“ oder „Lehrer“. 1969 kehrte sie in den Westen zurück und gründete 1970 in Kalifornien das Kloster Shasta Abbey. 21. Jahrhundert In neuerer Zeit ist die Verbreitung des Zen in Japan zurückgegangen, jedoch wächst die Zahl der Anhänger in der westlichen Welt. Es entstanden . Der Religionswissenschaftler Michael von Brück beobachtet: . Die nordamerikanische Zen Buddhist Association verabschiedete am 8. Oktober 2010 ein Dokument zur Ehrung der weiblichen Überlieferungslinie in der Zen-Tradition. Weibliche Vorfahrinnen, die aus Indien, China und Japan stammen und bis zu 2.500 Jahre zurückreichen, können somit künftig in den Lehrplan, die Rituale und die Ausbildung westlicher Praktizierender einbezogen werden. Schulen des Zen im Westen Zen hat sich im Westen in verschiedenen Schulen verbreitet. Eine wesentliche Herausforderung und Aufgabe der Zenmeister ist es dabei, authentisches Zen in eine Form zu transformieren und weiterzugeben, welche für Menschen, die in westlich geprägten Kulturen sozialisiert wurden, nachvollziehbar und praktisch anwendbar sind. Sōtō Die Sōtō-Schule verbreitete sich vorwiegend durch Harada Sogaku (1870–1961), Maezumi Taizan (geb. 1931) und Yasutani Hakuun (1885–1973) im Abendland. Philip Kapleau (1912–2004) Schüler von Yasutani Hakuun, US-amerikanischer Autor und Zen-Mönch, gründete 1996 ein Zen-Zentrum in Rochester mit weltweiter Ausstrahlungskraft. Der japanische Zen-Meister Taisen Deshimaru Rōshi (1914–1982), Schüler des Sōtō-Zen-Meisters Kodo Sawaki Roshi, kam 1967 nach Frankreich, wo er bis zu seinem Tod 1982 die Zen-Praxis lehrte. Er hinterließ eine große Schülerschaft, die bis heute wächst und mit verschiedenen Zen-Organisationen in ganz Europa vertreten ist. Deshimaru gründete 1970 die Gesellschaft Association Zen Internationale (AZI). Das 1971 in Paris gegründete Dōjō Pernety wurde zur Quelle der Verbreitung des Zen in Europa. 1974 gründete Deshimaru in der Nähe der Stadt Avallon in der ehemaligen französischen Region Burgund das erste Zen-Kloster. Der erste Zen-Tempel Europas, la Gendronnière, wurde 1980 von Deshimaru und seinen Schülern, im Zentrum Frankreichs (15 km von Blois entfernt), gegründet. Brigitte D’Ortschy (1921–1990) war die erste deutsche Zen-Meisterin und bekannt unter dem Namen Koun-An Doru Chiko Roshi. Sie gilt als erste westliche Zen-Meisterin mit Schülern aus aller Welt. Ab 1973 hielt sie mit Yamada Koun Roshi die ersten Sesshins in Deutschland und gründete 1975 ihr eigenes Zendo in München-Schwabing, das später nach Grünwald auswich. Einflussreich war auch Bernard Glassman (1939–2018), ein US-Zenmeister, der einer jüdischen Familie entstammte. Glassman war Initiator und Manager verschiedener Sozialprojekte, u. a. der Zen-Peacemakers, einer Gruppe sozial engagierter Buddhisten. Ein Vertreter der Sōtō-Schule ist auch der US-Amerikaner und Vietnamveteran Claude AnShin Thomas (* 1947). Er hat ein Gelübde als Bettel- und Wandermönch abgelegt und lehrt überall dort, wohin er in der Welt eingeladen wird. Er ist der Gründer der Zaltho Foundation in den USA, einer gemeinnützigen Organisation, die sich insbesondere der Versöhnungsarbeit mit Opfern von Krieg und Gewalt widmet. Schwesterorganisation ist die Zaltho Sangha Deutschland. Claude AnShin Thomas studierte mehrere Jahre bei Thích Nhất Hạnh und wurde im Jahre 1995 von Bernard Tetsugen Glassman Roshi zum buddhistischen Mönch und Priester in der japanischen Sōtō-Zen-Tradition ordiniert. Die große Mehrheit der nordamerikanischen Sōtō-Priester schloss sich 1996 zur Soto Zen Buddhist Association zusammen. Obwohl die Soto Zen Buddhist Association institutionell unabhängig von der japanischen Sōtō-Schule ist, arbeitet sie eng mit ihr zusammen. Die Sōtō-Schule hat in den letzten Jahren auch im Ausland praktizierende, nicht-japanische Mönche und Nonnen mit einer „Lehrerlaubnis für den westlichen Weg“ ausgestattet (Dendokyoshi). Sie trägt mit dieser Ausbildung der Tatsache Rechnung, dass Zen-Praxis im Westen notwendigerweise anders organisiert ist als in Japan, wo „Zen-Mönch sein“ ein Hauptberuf ist (auch mit Familie), wohingegen in Europa Mönche und Nonnen in den meisten Fällen einen normalen Beruf, soziales Leben, Familie und Zen-Praxis koordinieren müssen und jahrzehntelange Erfahrung in Zen-Praxis außerhalb Japans erlangt haben. Die Sōtō-Zen Schule wird in Deutschland aktuell vertreten u. a. durch Fumon Shōju Nakagawa Roshi und Rev. Ludger Tenryu Tenbreul (* 1956). Der Sōtō-Zen Dachverband, das Sōtō-Zen Buddhism Europe Office, wird von Rev. Genshu Imamura geleitet und hat seinen Sitz in Mailand. Rinzai Senzaki Nyogen (1876–1958) war ein japanischer Rinzai-Zen-Meister, der als eine der Schlüsselfiguren in der Übertragung des Zen-Buddhismus in den Westen gilt. Senzaki übersiedelte 1905 in die USA. Er übersetzte im Laufe seines Lebens zahlreiche Texte der Überlieferung des Zen-Buddhismus ins Englische und erläuterte diese. Der japanische Zen-Meister Kyozan Joshu Sasaki (1907–2014) lehrte seit 1962 Zen in den USA. Seit 1979 kam er regelmäßig nach Österreich, um dort Vorträge zu halten und Sesshins durchzuführen. Sein Wirken und das seiner Schüler, allen voran die Aufbauarbeit von Genro Seiun Osho (1924–2010) in Wien und Süddeutschland, trugen wesentlich zur Etablierung der Rinzai-Zen Schule im deutschen Sprachraum bei. Die Österreicherin Irmgard Schlögl (1921–2007) ging 1960 nach Japan, um als eine der ersten westlichen Frauen dort authentisches Zen kennenzulernen. 1984 wurde sie schließlich mit dem Namen Myokyo-ni zur Zen-Nonne geweiht. Sie gründete schon 1979 das Zen Centre in London und wirkte fortan sowohl als Übersetzerin wichtiger Zen-Schriften als auch als Zen-Lehrerin. Ein ähnlicher Weg auch bei Gerta Ital (1904–1988) aus Deutschland: Als erster westlicher Frau wurde es ihr 1963 erlaubt, in einem japanischen Zen-Kloster sieben Monate lang gleichwertig mit den Mönchen zu leben und zu meditieren. Literarischer Ertrag dieser Zeit wurde ihr Buch Der Meister die Mönche und ich, eine Frau im Zen-Buddhistischen Kloster mit Eindrücken, die das Bild vom japanischen Zen im Westen prägen sollten. Weitere Publikationen zum Zen von ihr, verbunden mit engagierter Lehrtätigkeit, folgten. Ein Standbein des Rinzai-Zen im 21. Jahrhundert ist das durch den japanischen Zen-Meister Hozumi Gensho (* 1937) Roshi betreute und vom deutschen Zen-Meister Dorin Genpo Zenji (* 1955) geleitete Zen-Zentrum Bodaisan Shoboji in Dinkelscherben, das seit Herbst 2008 offiziell als Zweigtempel des Myōshin-ji, ein Tempel der großen Rinzai-Traditionen in Japan, gilt. Dorin Genpo Zenji betreute bis 2017 darüber hinaus auch die Hakuin-Zen-Gemeinschaft Deutschland e.V. Shōdō Harada Roshi (* 1940) ist Zen-Meister seit 1982 im Kloster Sōgen-ji in Okayama, wo er hauptsächlich ausländische Schüler unterrichtet. Er hat verschiedene Zentren (One Drop Zendo) in Europa, Indien und in den USA aufgebaut. Schulübergreifende Ansätze (Sanbo Kyodan) Sanbō (), das wörtlich „drei Schätze“ bedeutet, verweist auf die drei Hauptprinzipien des Buddhismus: Buddha, Dharma, Sangha. Kyōdan () ist der japanische Begriff für eine religiöse Organisation oder religiöse Gemeinschaft. Die Sanbō Kyōdan (), in der Sōtō und Rinzai vereint sind, ist auch für das westliche Sōtō-Zen von zentraler Bedeutung. Zu ihrer Linie, die mit Hakuun Yasutani beginnt, gehört Taizan Maezumi, der verschiedenen amerikanischen Schülern, darunter Tetsugen Bernard Glassman (1939–2018), Dennis Genpo Merzel, Charlotte Joko Beck (1917–2011) und John Daido Loori, den Dharma übertragen hat. Der erste Abt der Sanbôzen-Linie, Yasutani Roshi (1885–1973), unterrichtete Zen-Übende außerhalb des monastischen Zen sowohl in Japan als auch ab 1962 in Europa und den USA. Im Jahre 1970 übertrug er die Führung der Organisation an Yamada Kôun (1907–1989). Dieser setzte die Öffnung des ursprünglich monastischen Zen fort. Auch führte Yamada Kôun das Sanbô-Kyôdan-Projekt fort. Soto-Zen und Rinzai-Zen, die in Japan bis heute als strikt getrennte Traditionen nebeneinander existieren, hat er in seinem Zen-Training kombiniert. So konnten die Lernenden selbst herausfinden, welchem Zen-Weg sie letztendlich folgen wollten. In Europa war das Sanbo Kyodan durch Hugo Enomiya-Lassalle und durch Schüler von Dennis Genpo Merzel einflussreich, insbesondere in den Niederlanden. Sanbo Kyodan war auch mit der Soen Nakagawa-Eido Tai Shimano Linie verbunden, da Soen eine persönliche Vorliebe für die Unterrichtspraktiken von Harada Roshi hatte, der der Lehrer von Hakuun Yasutani war. Während die Rolle von Sanbo Kyodan in Japan begrenzt war, hatte die Vereinigung der Drei Juwelen einen deutlichen Einfluss auf die Vorstellungen des Zen im Westen und insbesondere in den Vereinigten Staaten. Dieser Einfluss ist weitaus größer als die relativ marginale Stellung, die der Sanbō Kyōdan in Japan einnimmt. Koreanische, chinesische und vietnamesische Tradition Im Westen konzentriert sich Zen nicht nur auf seine japanische Ausprägung. Die chinesischen (Chán), koreanischen (Seon) und vietnamesischen (Thiền) Traditionen haben dort ebenfalls wichtige Repräsentanten, Anhänger und lebendige Praxis-Gruppen gefunden: Die Kwan-Um-Zen-Schule ist eine Zen-Gemeinschaft, die in koreanischer Tradition steht und 1970 in den USA vom Zen-Meister Seung Sahn (1927–2004) gegründet wurde. Die Schule unterhält heute knapp hundert Zentren auf der ganzen Welt, mit Schwerpunkten in den USA, Europa und Asien. Der europäische Haupttempel wurde 1997 in Paris begründet und liegt seit 2008 in Berlin. Ein wichtiger zeitgenössischer Dharma-Lehrer war der Vietnamese Thích Nhất Hạnh (1926–2022), der Zen (Mahayana) mit Elementen des Theravada-Buddhismus (Vipassana) verknüpfte. Er war . Formen der Rezeption im Westen „Bindestrich-Zen“ und Instrumentalisierung Unter den kulturellen Einflüssen in den USA und in Europa wird Zen anders als in Japan praktiziert und kann dadurch eine neue z. B. instrumentalisierte Bedeutung erlangen. In solchen Veränderungen sieht Stephan Schuhmacher die Gefahr eines Verfalls von Zen im Westen: . Der Westen rezipiert Zen, , mit einer . Zen wird . Die Verzweckung von Zen hat im Westen dabei mehrere Dimensionen: therapeutisch: Zen als Allheilmittel gegen Neurosen und Depressionen. Zen wird dann leistungssteigernd: Zen hat konzentrative Energie, die Höchstleistung ermöglicht attraktivitätssteigernd: christliche Kirchen als alte Institutionen erregen wieder neu Aufmerksamkeit für sich durch das Angebot östlicher Meditationswege und die damit verbundene Exotik. Zen als solches scheint dem Westen also nicht zu genügen. Zen wird im Westen – nach Beobachtung von Koun-An Doru Chiko – geprägt von mancherlei Sekundärzielen. Zen verliert so seinen Eigencharakter und wird auf diesem Wege zum Dies-und-Das-Zen, zum Bindestrich-Zen. Beispiele dafür sind: Business-Zen Therapie-Zen Wellness-Zen Street-Zen Ökologie-Zen. Besorgt stellt Stephan Schuhmacher deshalb fest: Zen-Zentren des Westens mit ihren Programmen verkommen oft zu einem , und fragt: Mit dem „Zen der Patriarchen“ ist hier ein Zen gemeint, das die „Essenz“, den Geist der Gründerväter bewahrt, ohne ihn durch Sekundärziele sowie persönliche oder institutionelle Interessen zu verwässern und eine Art von „Zen light“ zu produzieren, dem es an der tiefgreifenden transformierenden Kraft des Zen der Patriarchen mangelt. Nacktes, von Buddhismus und äußeren Formen befreites Zen Willigis Jäger (1925–2020) stellte ein Zen, das den religiösen, kulturellen, rituellen Überbau der monastischen ostasiatischen Zen-Schulen in den Westen überträgt, in Frage. Nicht die Rückkehr zum Osten, sondern die konsequente Hinwendung zum Westen in Form von beherzter Inkulturation sah Jäger als Notwendigkeit und als einzig gangbaren Weg: Das bedeutete aber für Jäger die bewusste Abwendung von den monastischen Formen des östlichen Zen und die Hinwendung zu einem westlichen Laien-Zen: Toni Packer (1927–2013), eine Schülerin von Philip Kapleau und Gründerin des Springwater-Zentrums (bei Rochester), erreichte im Anschluss an Jiddu Krishnamurti (1895–1986) eine Lösung von den strengen Vorgaben des Zen hin zu einer Praxis des je eigenen Gewahrwerdens, ohne ein prägendes Lehrer-Schüler-Verhältnis zu tradieren. Packers Meditationswochen wurden beschrieben als ritualfreien Zen; und sie selbst als „… eine Zen-Lehrerin minus Zen und minus Lehrerin“. Aber auch nach dem Fallenlassen aller Rituale empfand sie die Praxis des Zazen als hilfreich. Das Haus der Stille bei Hamburg griff diese Form und Praxis auf. Zen und Christentum Der Beschluss des Zweiten Vatikanischen Konzils, dass die römisch-katholische Kirche das Gespräch mit anderen Religionen fördern sollte, hat ihr Verhältnis zu anderen Religionen grundlegend verändert. Seit dem Beginn des durch das Konzil begonnenen interreligiösen Austauschprogrammes (1979) besuchen buddhistische Mönche regelmäßig christliche Klöster in Europa; im Gegenzug reisen christliche Mönche nach Asien. Begünstigt durch den interreligiösen Dialog und einem dem Zen-Buddhismus fehlenden Dogmatismus gibt es gute Verbindungen des Zen zur katholischen Kirche. Vermittler als Ordensleute, Priester, Professoren und Theologen sind u. a.: Hugo Makibi Enomiya-Lassalle (1898–1990), SJ Willigis Jäger (1925–2020), Benediktiner, christlicher Priester und Zen-Meister (Ko’un Rōshi) Josef Sudbrack (1925–2010), Jesuit, Theologe und Mystikforscher David Steindl-Rast (* 1926), Benediktiner und Psychologe Johannes Kopp (1927–2016), Pallottiner und Zen-Meister (Ho-un-Ken Roshi) Peter Lengsfeld (1930–2009), Theologe, Universitätsprofessor und Zen-Lehrer (Chô-un-Ken Roshi) Willi Massa (1931–2001), Theologe, Hochschullehrer, Homiletiker (Lehrer der Predigtkunst) und Zen-Meditationslehrer Ama Samy (* 1936), Jesuit, christlicher Priester und ein Zen-Meister (Genun-ken Roshi) Niklaus Brantschen (* 1937), Jesuit, Zen-Meister und Mitgründer des Lassalle-Instituts innerhalb des Lassalle-Hauses Pia Gyger (1940–2014), Heilpädagogin, Psychologin, Kontemplationslehrerin, Zen-Meisterin und Mitgründerin des Lassalle-Instituts innerhalb des Lassalle-Hauses Jakobus Kaffanke (* 1949), Benediktiner, Theologe, Moderator, Autor und Herausgeber Stefan Bauberger (* 1960), Jesuit, Physiker, Philosoph, Priester und Zen-Meister Aber auch die Verbindung von evangelischer Theologie und Zen ist seit der Jahrtausendwende zu beobachten. Dafür steht u. a.: Michael von Brück (* 1949) als Hochschullehrer Doris Zölls (* 1954), mit dem Zen-Namen Myô-en An, Pfarrerin und Zen-Meisterin der Zenlinie Leere Wolke. Hintergrund dieser Begegnung war die Erkenntnis, die Hans Waldenfels 1979 so formulierte: Für Hans Küng stand Zen . Von daher war es für den christlichen Theologen Hans Küng in der Konsequenz keine Überraschung, . In den christlichen Kirchen gibt es also Strömungen, das Fremde am Zen interpretatorisch aufzuheben, so dass sich sogenanntes „christliches Zen“ entwickelte. Eine Alternative dazu sieht Ursula Baatz darin, die Begegnung von Christentum und Zen-Buddhismus nicht als „Vereinigung“ spiritueller Wege zu verstehen, die letztlich auf dasselbe hinauslaufen, sondern als Begegnung und Beziehung, bei der sich beides gegenseitig befruchtet und jedes sich damit auch verändert, ohne aber „eins“ zu werden. „Religiöse Zweisprachigkeit“ nennt Baatz das im Rückgriff auf Denkschulen, die unter anderem durch die Begegnung von Zen und Christentum im interkulturellen Kontext entstanden sind. Dann lässt sich nicht mehr von „christlichem Zen“ sprechen, wohl aber davon, dass ein Christ oder eine Christin Zen praktiziert und damit zusätzliche Erfahrungen in einer anderen religiösen Praxis sammelt. Vertreter aus dem Dialog zwischen Christentum und Zen (Auswahl) Zen und abendländische Philosophie Zu sehr nachhaltigen Begegnungen zwischen Zen und der abendländischen Philosophie kam es zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als erste Studierende aus Japan an europäischen Hochschulen deren philosophische Fakultäten aufsuchten. Eine deutlich ältere, allerdings nur indirekte Spur führt ins Mittelalter. Obwohl zwischen Vertretern des asiatischen Zen und Meister Eckhart im 13. und 14. Jahrhundert keine direkte Begegnung überliefert ist, konnten viele Parallelen im 20. Jahrhundert zwischen ihm und dem Zen herausgearbeitet werden. Auch der Graeco-Buddhismus in der Antike legte wahrscheinlich schon allererste philosophische Brücken an. Meister Eckhart Meister Eckhart (* um 1260–1328) war ein einflussreicher thüringischer Theologe und Philosoph des Spätmittelalters. Sein Hauptanliegen war, wie beim Zen, die Verbreitung von Grundsätzen für eine konsequent spirituelle Lebenspraxis im Alltag. Bezüglich Meister Eckhart werden oft Vergleiche seiner Lehre mit fernöstlichen Traditionen angestellt und insbesondere Übereinstimmungen mit dem Zen-Buddhismus herausgearbeitet. Zu den Autoren, die sich mit dieser Thematik auseinandergesetzt haben, zählen der Religionswissenschaftler Rudolf Otto (1869–1937), Heinrich Dumoulin, Karlfried Graf Dürckheim, Hugo M. Enomiya-Lassalle, Daisetz Teitaro Suzuki, der schweizerische Germanist, Philosoph und Mystikforscher Alois M. Haas (* 1934), die schweizerische Literaturwissenschaftlerin Hildegard Elisabeth Keller (* 1960) und der japanische Philosoph Shizuteru Ueda (1926–2019). Ueda war Repräsentant der dritten Generation der Kyōto-Schule. Karlfried Graf Dürckheim, der stark vom Zen-Buddhismus beeinflusst wurde, bekräftigt, dass er einem christlich-mystischen Ansatz nahe bleibt, der dem von Meister Eckhart ähnelt, den er als seine Referenz betrachtet. Er hebt die Ähnlichkeit der Erfahrungen dieser Spiritualitäten hervor. „Was mich an Zen interessiert hat, ist nicht der buddhistische Inhalt, sondern das universelle Prinzip, das dieser besondere Inhalt offenbart. Warum Zen und nicht ein anderer Zweig am Baum des Buddhismus? Weil die Philosophie des Zen zweifellos diejenige ist, die die menschliche Grundlage eines religiösen Lebens am direktesten berührt, und auch weil Zen einen Weg vorschlägt, der der Realität des Abendländers nahe kommt. Wenn ich mich am Zen festhalten konnte, so ist dies sehr wahrscheinlich auf meine Verbundenheit mit Meister Eckhart zurückzuführen“. Graeco-Buddhismus Der Graeco-Buddhismus ist das Ergebnis eines kulturellen Synkretismus zwischen der klassischen griechischen Kultur und dem Buddhismus, der sich über einen Zeitraum von 800 Jahren in dem Landstrich, der heute Afghanistan und Pakistan umfasst, entwickelte. Die griechische Philosophie des Westens beeinflusste dabei die Entwicklung des Mahayana-Buddhismus, der sich ab dem 5. Jahrhundert in das Kaiserreich China, nach Korea und Japan verbreitete, wo er bis hin zum Zen großen Einfluss auf Kunst und Kultur ausübte. Die Kyōto-Schule Zu nennen sind vor allem Vertreter der Kyōto-Schule, einer zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Kyōto entstandenen Schulrichtung der Philosophie in Japan. In ihrem Bestreben, dem Konzept des Absoluten Nichts (zettai-mu, ) philosophischen Ausdruck zu verleihen, kann die Kyōto-Schule auf die im Mahayana-Buddhismus entwickelte Vorstellung des Shunyata (Leere, Leerheit, , kū) und auf den besonders für den Daoismus und den Zen-Buddhismus charakteristischen Begriff Wu (, mu) zurückgreifen. Martin Heidegger Bereits in den zwanziger Jahren nahmen viele später bedeutende japanische Philosophen, die man zum Teil hernach der Kyōto-Schule zurechnete, an den Seminaren und Vorlesungen Martin Heideggers (1889–1976) teil, so zum Beispiel Tanabe Hajime, Watsuji Tetsurō und Nishitani Keiji. Dies führte für beide Seiten zu einem breiten Dialog und brachte auch Heidegger in Bekanntschaft mit Grundlinien des Zen. Indem Heidegger in seiner Philosophie Während seines Aufenthalts in Deutschland soll Nishitani Martin Heidegger den ersten Band von Daisetz Teitaro Suzukis Essays in Zen-Buddhism als Geburtstagsgeschenk überreicht haben und Heidegger auf diese Weise in Berührung mit dem Zen-Buddhismus, auf den er sich später vielfach bezog, gebracht haben. Nishitani Keiji Später war Nishitani ein Religionsphilosoph, der Erfahrungen aus der Praxis des Zen mit dem Existentialismus sowie mit Martin Bubers anthropologischem Ansatz verband. Durch seine detaillierte Kenntnis der westlichen und östlichen Philosophie gelang ihm eine Paralleldarstellung von Nihilismus und Shunyata, die auch in christlich-theologischer Sprache formulierbar wurde. Zen und westliche Kultur Daisetz Teitaro Suzuki (1870–1966) beeinflusste bis heute Generationen von westlichen Künstlern fast aller Kunstsparten. Andere Publikationen wie die Bücher „Zen in der Kunst des Bogenschießens“ von Eugen Herrigel (1884–1955) und „Die Ostasiatische Tuschmalerei“ (Ernst Grosse, Erstpublikation 1922) oder der Reisebericht „Un Barbare en Asie“ (Henri Michaux, Erstpublikation 1932) übten entscheidenden Einfluss auf Künstler ihrer Zeit aus. Einige reisten eigens nach Japan, um authentisch die Kultur zu erleben und die traditionellen Künste zu studieren; so Mark Tobey (1890–1976), Yves Klein (1928–1962), Pierre Alechinsky, Ad Reinhardt oder John Cage. Heute lässt sich unter zeitgenössischen Künstlern ein verstärkter Trend nachweisen, nach Japan zu reisen, um die Zen-Philosophie zu erfahren. Der Amerikaner Edward Espe Brown verbindet die Kunst des Kochens mit Zen und gibt Zen-Kochkurse. Der Film How to Cook Your Life von Doris Dörrie, 2007 gedreht unter anderem im Buddhistischen Zentrum Scheibbs, stellt eine Brücke zu wichtigen Einsichten des Zen her. Der Schweizer Zen-Meister Missen Michel Bovay entwickelte unter dem Titel „Zen-Geschichten“ einen Theaterabend, den er regelmäßig im deutsch- und französischsprachigen Raum aufführte. Zen und westliche Bildende Kunst Die asiatische Tuschezeichnung (Sumi-e), die von Anfang an in enger Verbindung mit dem Chan-Buddhismus steht, übt seit dem Impressionismus eine starke Faszination auf Maler und Zeichner wie Degas (1834–1917), Monet 14. November (1840–1926), Picasso (1881–1973) bis hin zu Horst Janssen 14. November (1929–1995) aus. Diese Künstler haben selbst Werke im Sumi-e-Stil geschaffen. Der deutsche Maler und Grafiker Paul Klee (1879–1940) beschäftigte sich ab 1933 mit dem Zen-Buddhismus und mit der Kalligrafie. Der Schweizer Helmut Brinker (1939–2012) beschäftigte sich mit den Berührungen zwischen Zen und Bildender Kunst. Beim deutschen Jens ShoShin Jansen, der Soto-Mönch und Streetart-Künstler ist, findet eine langjährige und tägliche Praxis der Meditation ihren Weg in die Ausdrucksform seiner Wandkompositionen. Bei seiner Mönch-Serie stellt Jens ShoShin Jansen die Haltungen und kleinen Gesten, die die Mönche und wir selbst jeden Tag neu ausüben, in den Vordergrund. Zen und westliche Musik John Cages (1912–1992) Beschäftigung mit Zen hatte einen wesentlichen Einfluss auf die Entstehung seines „stillen“ Stücks mit dem Titel 4′33″ gehabt, das zu einem seiner Hauptwerke wurde und zugleich zu einem Schlüsselwerk der Neuen Musik des 20. Jahrhunderts. Es regt dabei Zuhörer und Interpreten gleichermaßen zum Nachdenken über Musik und ihr Verhältnis zur Stille an. Gemäß Kyle Gann werde bei der Aufführung das Publikum dabei überlistet oder forciert oder verführt zu einer 5-minütigen Zen-Meditation, indem es sich durch das Zuhören im Moment des „Hier und Jetzt“ befinde. Während einer Reise durch Japan besuchte er den antiken Steingarten des Ryōan-ji-Tempels, der ihn zu musikalischen und visuellen Arbeiten anregte. Der schweizerische Nik Bärtsch (* 1971) ist ein Pianist, Komponist und Musikproduzent der von der japanischen Zen-Kultur fasziniert ist. Seine musikalische Haltung wird unter anderem auch von seinem Interesse für die japanische Kampfkunst (Aikidō) und Zen geprägt. Es ist seine Zen-Praxis der Aufmerksamkeit, die sich nicht im Vielen verliert, sondern das Viele so weit wie möglich reduziert und auf das Wesentliche konzentriert. Zen und westliche Literatur Auch literarische Brücken zum Zen entstanden vor allem seit der Beat-Generation der 1950er Jahre. Beispielhaft nennen lässt sich der Roman Gammler, Zen und hohe Berge, der 1958 von Jack Kerouac herausgegeben wurde. Zen und Architektur Der deutsche Architekt und Mitbegründer der modernen Architektur, Walter Gropius, war auf seinen Japan-Reisen fasziniert von der Übereinstimmung traditioneller, vom Zen beeinflussten japanischen Architektur. Ihre Schlichtheit war für ihn vereinbar mit den Anforderungen des westlichen Lebensstil. Der modulare Aufbau japanischer Häuser und die herausnehmbaren Schiebetüren und Wänden inspirierten Gropius in ihrer Einfachheit und Flexibilität und kamen für ihn den Erfordernissen des modernen Lebens entgegen. Zitate über Zen Literatur Klassische Werke Baek-Un: Jikji. Sammlung des koreanischen Zen-Buddhismus. Frankfurt 2010, ISBN 978-3-936018-97-4. Dôgen Zenji: Shôbôgenzô. Der Schatz des wahren Dharma. Gesamtausgabe. Angkor Verlag, Frankfurt 2008, ISBN 978-3-936018-58-5. Eihei Dogen Zenji: Shobogenzo – Ausgewählte Schriften. Anders Philosophieren aus dem Zen. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt, erläutert und herausgegeben von Ryōsuke Ōhashi und Rolf Elberfeld, Frommann-Holzboog, Stuttgart 2006, ISBN 978-3-7728-2390-9. Quellensammlungen Karlfried Graf Dürckheim: Wunderbare Katze und andere Zen-Texte. 10. Auflage. Barth, München u. a. 1994, ISBN 3-502-67159-1. Paul Reps (Hrsg.): Ohne Worte – ohne Schweigen: 101 Zen-Geschichten und andere Zen-Texte aus 4 Jahrtausenden. 7. Auflage. Barth, Bern u. a. 1989, ISBN 3-502-64502-7. Neuausgabe: 101 Zen-Geschichten. Patmos-Verlag, Düsseldorf 2002, ISBN 3-491-45022-5. Bodhidharmas Lehre des Zen: Frühe chinesische Zen Texte. Theseus-Verlag, Zürich/München 1990, ISBN 3-85936-034-5. Erich Fromm: Zen-Buddhismus und Psychoanalyse (mit Daisetz Teitaro Suzuki, Richard de Martino). 1971, ISBN 3-518-36537-1. Quellen in der Reihe Diederichs Gelbe Reihe in deutschen Übersetzungen 086 Im Garten der schönen Shin: die lästerlichen Gedichte des Zen-Meisters «Verrückte Wolke»; Ikkyu Sôjun; aus dem Japanischen übersetzt, kommentiert und eingeleitet von Shuichi Kato und Eva Thom; Diederichs 1990, Diederichs gelbe Reihe 86 090 Die Lehren des Meister Dōgen: der Schatz des Sōtō-Zen; Taisen Deshimaru; aus dem Französischen von Regina Krause; Eugen Diederichs 1991 Diederichs gelbe Reihe 90 Japan 098 Das Weisheitsbuch des Zen: Koans aus dem Bi-Yän-Lu; ausgewählt, bearbeitet und im Sinn des Zen erläutert von Achim Seidl auf der Grundlage von Wilhelm Gunderts Übertragung aus dem Chinesischen; Eugen Diederichs 1993 Diederichs gelbe Reihe 98 China 132 Zen-Geschichten: Begegnungen zwischen Schülern und Meistern; hrsg. von Thomas Cleary; aus dem Englischen von Konrad Dietzfelbinger; Diederichs 1997, deutsche Ausgabe in Diederichs gelbe Reihe 132. Japan Einführungen / Populäre Literatur Byung-Chul Han: Philosophie des Zen-Buddhismus. Reclam, Stuttgart 2002, ISBN 978-3-15-018185-0. Shunryu Suzuki: Zen-Geist Anfänger-Geist. Unterweisungen in Zen Meditation. Theseus, Bielefeld 2016, ISBN 978-3-95883-148-3. Daisetz T. Suzuki: Die große Befreiung: Einführung in den Zen-Buddhismus. 20. Auflage. Barth, München u. a. 2003, ISBN 3-502-67594-5. Alan Watts: The Spirit of Zen, 1936 deutsch: Vom Geist des Zen. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1986, ISBN 3-518-37788-4. Alan Watts: The Way of Zen. Pantheon Books, New York City, USA 1957 (englisch). deutsch von Manfred Andrae: Zen-Buddhismus. Tradition und lebendige Gegenwart. rowohlts deutsche enzyklopädie, Reinbek bei Hamburg 1961. Ingeborg Y. Wendt: Zen, Japan und der Westen. List, München 1961. Alfred Binder: Mythos Zen. Alibri Verlag, Aschaffenburg 2009, ISBN 978-3-86569-057-9. Robert Aitken: Zen als Lebenspraxis. 5. Auflage. Diederichs, München 1995, ISBN 3-424-00928-8. 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Michael von Brück: Wie Zen mein Christsein verändert; zus. mit Willigis Jäger, Niklaus Brantschen u. a., Herder, Freiburg 2004, ISBN 3-451-05499-X. Katsuki Sekida: Zen-Training. Praxis, Methoden, Hintergründe. 2. Auflage. Herder, Freiburg 2009, ISBN 978-3-451-05936-0. Toshihiko Izutsu: Philosophie des Zen-Buddhismus. rororo, Reinbek 1986, ISBN 3-499-55428-3. Horst Hammitzsch: Zen in der Kunst der Tee-Zeremonie. Otto Wilhelm Barth, München 2000, ISBN 978-3-502-67011-7. Helmut Brinker: Zen in der Kunst des Malens. Ex Libris, Zürich 1986, ISBN 3-502-64082-3. Karlfried Graf Dürckheim: Zen und wir. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1974, ISBN 3-596-21539-0. Hugo Munsterberg: Zen-Kunst. DuMont, Köln 1978, ISBN 3-7701-0994-5. Hilfsmittel Michael S. Diener: Das Lexikon des Zen. Goldmann, München 1996, ISBN 3-442-12666-5. Lexikon der östlichen Weisheitslehren. Patmos, Düsseldorf 2005, ISBN 3-491-96136-X. Stefan Winter: Zen. Bibliographie nach Sachgebieten. 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Q7953
284.062942
23165
https://de.wikipedia.org/wiki/Philatelie
Philatelie
Die Philatelie oder Briefmarkenkunde beschäftigt sich mit dem systematischen Sammeln von Postwertzeichen sowie von Belegen für ihre Verwendung auf Postsendungen jeglicher Art und der Erforschung postgeschichtlicher Dokumente. Begriff Der Begriff Philatelie wurde von Georges Herpin in der fünften Ausgabe der Pariser Briefmarkensammlerzeitschrift Le Collectionneur de timbres-postes vom 15. November 1864 geprägt als Zusammensetzung aus den griechischen Wörtern „Freund“ und „lasten-/steuerfrei“, genauer aus dem (von diesem abgeleiteten) Substantiv „Abgabenfreiheit“. Diese Abgabenfreiheit bezieht sich auf den Empfänger, der bei der zunächst ausschließlich üblichen Versandform unfrei für das Beförderungsentgelt aufzukommen hatte, wovon ihn die durch entsprechende Stempel oder Freimarken dokumentierte Frankierung, Freimachung auf Kosten des Absenders, befreite (französisch affranchir, wörtlich: befreien). Obwohl inhaltlich nicht auf Anhieb nachzuvollziehen, setzte sich der Wortbildungen wie Philosophie, Philanthropie und Philharmonie nachahmende Begriff in allen Sprachen durch. Andere Vorschläge wie Timbrophilie oder Timbrologie verschwanden bald wieder. Als deutsche Version für Philatelie wird häufig „Briefmarkenkunde“ und für die praktizierenden Personen „Briefmarkensammler“ oder „Briefmarkenliebhaber“ verwendet. Geschichte Die Anfangsjahre der Philatelie Die Philatelie hat ihre Anfänge kurz nach der Ausgabe der ersten Briefmarke der Welt. Dabei handelt es sich um die sogenannte One Penny Black, die am 6. Mai 1840 in Großbritannien ausgegeben wurde. Die Einführung der Briefmarke in anderen Ländern verhalf auch dem Briefmarkensammeln zu seiner Verbreitung. Zunächst sammelte man aus Spaß die kleinen Postwertzeichen aus der Tagespost und verwendete sie beispielsweise zum Bekleben von Lampenschirmen oder Tapeten, was die Sammelobjekte fast immer zerstörte. Erst langsam begann man, sich mit den Briefmarken genauer zu befassen. Die Zahl der Briefmarken, die zur damaligen Zeit ausgegeben wurden, war noch sehr klein. Für den damaligen Sammler war es selbstverständlich, sogenannte Generalsammlungen anzulegen. Dies bedeutet, dass der Philatelist alle Briefmarken der Welt in seine Sammlung aufnahm. In den frühen Anfangsjahren standen dem Philatelisten noch keinerlei Hilfsmittel oder Aufbewahrungsmöglichkeiten, wie Briefmarkenalben, zur Verfügung, was dazu führte, dass die Briefmarken oft durch unsachgemäße Aufbewahrung oder das behelfsmäßige Aufkleben postfrischer Marken beschädigt oder sogar zerstört wurden. Die ersten Hilfsmittel für den Philatelisten In den 1860er Jahren erschienen die ersten Briefmarkenalben der Welt. Das erste kommerzielle Album hatte der Pariser Philatelist Lallier 1862 herausgebracht. Dabei handelte es sich allerdings noch um eine einfache querformatige Mappe, die in Leder gebunden war. Für alle bisher erschienenen Briefmarken der Welt war auf den jeweils rechten Seiten ein Leerfeld angelegt, in das die Briefmarke hineingeklebt werden konnte. Auf den jeweils gegenüberliegenden linken Seiten befand sich das Wappen, die Flagge sowie eine kurze Beschreibung der Geographie und der bisher ausgegebenen Briefmarken des Landes. Das große Manko dieser Briefmarkenalben bestand darin, dass die einzelnen Briefmarken direkt mit Knochenleim oder Gummi arabicum in das Album geklebt werden mussten. Dies beschädigte die Briefmarke, vor allem beim Versuch des Ablösens, stark. Zahlreiche Philatelisten machten sich Gedanken über eine bessere Art der Aufbewahrung ihrer „Schätze“. Eine vernünftige Alternative wurde allerdings erst 21 Jahre später, im Jahr 1881, gefunden. Bereits ein Jahr später, 1861, entstanden die ersten Vorläufer der heutigen Briefmarkenkataloge. Der Brite John Edward Gray sowie der Straßburger Berger-Levrault entwickelten die ersten sogenannten Briefmarkenverzeichnisse. Zur selben Zeit kam es zur Gründung der ersten Briefmarkenvereine. In ihnen konnten Sammler zum ersten Mal ihre Erfahrungen und ihr Wissen sowie ihre Briefmarken austauschen. Im Jahr 1862 kam es zur Ausgabe der ersten philatelistischen Fachzeitschriften – zuerst erschien am 15. Dezember 1862 im Geburtsland der Philatelie „The Monthly Advertiser“. Kurz darauf erschienen auch die ersten Fachzeitschriften in Deutschland und Österreich-Ungarn. Bei dem ersten Briefmarkenfachblatt Deutschlands handelt es sich um das „Magazin für Briefmarken-Sammler“, das erstmals am 1. Mai 1863 vom Münzen- und Antiquitätengeschäft Zschiesche & Köder in Leipzig herausgegeben wurde. Die Briefmarkenzeitschriften förderten vor allem den Tausch von Briefmarken zwischen den Philatelisten. Außerdem berichteten sie über die Neuausgaben der ganzen Welt und informierten die Sammler über alles Wissenswerte der Philatelie. Im Jahre 1881 erschienen die ersten Falze für Briefmarken. Diese lösten längerfristig das Problem der Aufbewahrung von Briefmarken. Die Briefmarkenfalze wurden vom Frankfurter Briefmarkenhändler Dauth ausgegeben. Man nannte sie damals noch „Marken-Charniere“. 1000 Stück der ersten Briefmarkenfalze der Welt kosteten nur 75 Pfennig. Vor der Erfindung des Briefmarkenfalzes gab es einige einfallsreiche provisorische Lösungen, um das direkte Einkleben der Briefmarken in das Album zu verhindern. Man knickte beispielsweise die nicht benötigten Bogenränder der Briefmarken so um, dass ein Teil der Klebefläche auf die Briefmarke geklebt wird und der andere Teil des Bogenrandes auf die Unterlage. Der Briefmarkenfalz funktionierte nach dem Prinzip der Befestigung von Briefmarken auf Albumseiten mittels Bogenrändern, er wurde jedoch speziell dafür hergestellt. In den folgenden Jahrzehnten setzte sich der Briefmarkenfalz als Befestigungsmittel für Briefmarken bei den Philatelisten durch. Dies wurde natürlich auch bei der Herstellung der Briefmarkenalben berücksichtigt. Außerdem kamen immer mehr neue Formen auf den Markt. Heute werden keine Briefmarkenfalze mehr verwendet, da diese die Gummierung leicht beschädigen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie von Klemmtaschen und anderen Systemen der Briefmarkenaufbewahrung abgelöst, die es nicht mehr erforderten, die Marken irgendwo aufzukleben. Die Briefmarkenalben selbst wurden ebenfalls verbessert. Im Jahre 1884 vertrieb Dauth ein „Mechanisches Briefmarkenalbum“. Dies war das erste Briefmarkenalbum der Welt mit Schraubenheftung. Es ermöglichte ein einfaches Austauschen und Einfügen einzelner Blätter des Briefmarkenalbums. Entstehung von Vereinen und Veranstaltungen Neben den neuen Hilfsmitteln für den Philatelisten entstanden auch immer mehr Briefmarkenvereine und Veranstaltungen speziell für den Philatelisten. Bereits aus dem Jahre 1856 sind Treffen von Philatelisten in den Vereinigten Staaten bekannt. Im Jahre 1866 kam es zur offiziellen Gründung des ersten Briefmarkenvereines der Welt. Es handelt sich dabei um die Excelsior Stamp Association in den Vereinigten Staaten. Die weltweit älteste noch bestehende philatelistische Vereinigung wurde 1869 als The Philatelic Society, London gegründet. Heute ist sie als Royal Philatelic Society London bekannt. Im selben Jahr, im August 1869, kam es auch in Deutschland zur Gründung der ersten Briefmarkenvereine. Der erste deutsche Briefmarkensammlerverein, der Süddeutsche Philatelisten-Verein, wurde in Heidelberg gegründet. Es folgten in den nächsten drei Jahren Dresden, Berlin mit dem noch aktiven Berliner Philatelisten-Klub von 1888 e. V. und Hamburg nach. Auch der 1886 in Hannover gegründete Briefmarken-Club Hannover von 1886 e.V. ist nach über 130 Jahren weiterhin mit wöchentlichen Treffen aktiv. Die steigende Zahl philatelistischer Vereine führte zu zahlreichen Zusammenschlüssen. In Deutschland ist dies heute der Bund Deutscher Philatelisten, in Österreich der Verband Österreichischer Philatelistenvereine und in der Schweiz der Verband Schweizerischer Philatelistenvereine. Seit 1889 gibt es den Philatelistentag in Deutschland, der erstmals in Mainz stattfand. In den Jahren von 1947 bis 2011 wurde der Deutsche Philatelistentag jährlich durchgeführt. Entsprechend einem Mehrheitsbeschluss der BDPh-Hauptversammlung am 3. September 2011 in Wuppertal wurde für die Durchführung der Deutschen Philatelistentage ab 2011 ein zweijähriger Rhythmus festgelegt. In Österreich ist diesbezüglich die größte Veranstaltung die Wiener Internationale Postwertzeichen Ausstellung (WIPA). Mit der Zeit entstanden viele weitere große Veranstaltungen rund um die Briefmarke. In den 1990er Jahren nahm die Bedeutung des Briefverkehrs ab, und Briefmarken wurden auf Poststücken durch die Labelfreimachung ersetzt. Briefmarken sind nunmehr eine Randerscheinung des Postverkehrs und abgestempelt werden diese in Deutschland in Anlagen, die allesamt mit dem Begriff „Briefzentrum“ abstempeln. Hatte sich das Briefmarkensammeln von einer Freizeitbeschäftigung des Großbürgertums zu einem Volksphänomen entwickelt, so geht die Entwicklung auf das Sammeln von Seltenheiten zurück. Gegenwart Wie viele andere Hobbys sieht sich auch die Philatelie in der Gegenwart vor Herausforderungen gestellt. Im Vergleich zur Blütezeit etwa in den 1960er und 1970er Jahren, die auch zu Skandalen Anlass gab, steht sie heute stärker in Konkurrenz zu anderen Zeitvertreiben. Obwohl die Szene durchaus noch aktiv ist, hat das Hobby mit einem angestaubten Image zu kämpfen, und weithin wird in Briefmarkensammlervereinen über eine Überalterung des Mitgliederbestands geklagt. Philatelisten und berühmte Sammlungen Der erste Philatelist der Welt Der Brite John Edward Gray, der die ersten Vorläufer der Briefmarkenkataloge, die Briefmarkenverzeichnisse, herausgegeben hatte, behauptete von sich selbst, der erste Philatelist der Welt gewesen zu sein, da er bereits Marken gesammelt habe, bevor es überhaupt Briefmarken gab, nämlich Steuer- und Stempelmarken aller Art. Gleich am 6. Mai 1840, dem Tag der Einführung der ersten Briefmarken weltweit in Großbritannien, kaufte er sich mehrere Exemplare dieser Marken in der Absicht, sie nicht zu verbrauchen, sondern aufzubewahren. John Edward Gray war eigentlich ein bedeutender Zoologe, nach dem die Reiherart Ardeola grayii benannt wurde. Dieser Vogel wurde von der Postverwaltung von Bangladesch am 15. Juli 2000 auf einer eigenen Briefmarke verewigt. Die berühmtesten Sammlungen der Welt Berühmte Sammlungen von Staaten und Herrscherhäusern Die Grundsteine für die heute berühmtesten und größten Sammlungen wurden vor allem in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gelegt. Die Sammlung des Reichspostmuseums in Berlin zählt zu den größten und bedeutungsvollsten der Welt, obwohl während der Weltkriege und der Nachkriegszeit große Verluste entstanden. Die Sammlung musste mehrmals umziehen, da der ursprüngliche Aufbewahrungsort in der Leipziger Straße im Zweiten Weltkrieg schwer getroffen wurde. Das Museum für Kommunikation in Bern ist in Besitz einer der größten öffentlich zugänglichen Briefmarkensammlungen der Welt. Auch in den Gebäuden der Vereinten Nationen in Genf ist eine umfangreiche Briefmarkensammlung ausgestellt. Die Sammlung des britischen Königshauses gilt als die größte Briefmarkensammlung weltweit. Die Sammlung besteht aus mehr als 400 Briefmarkenalben, die die größten Raritäten der Philatelie in sich vereinigen. Ihr Wert kann kaum geschätzt werden, da zahlreiche Unikate im Besitz des britischen Königshauses sind. Die Briefmarkensammlung wurde vor allem in der Zeit von König George V. zusammengetragen. Eine weitere berühmte Sammlung war die Sammlung des Königs Faruk von Ägypten, die jedoch nach seiner Absetzung aufgelöst und versteigert wurde. Ebenfalls berühmt wurden die Sammlungen König Carols von Rumänien sowie des Zaren Nikolaus II. von Russland. Berühmte Sammlungen von Privatpersonen Zu der berühmtesten Sammlung einer Privatperson zählt sicherlich die Sammlung des Grafen Philipp la Renotière von Ferrary. Philipp von Ferrary konnte dank seines großen Vermögens so gut wie alle Weltraritäten kaufen. Zahlreiche Händler arbeiteten ausschließlich für ihn und suchten auf Auktionen auf der ganzen Welt nach den letzten fehlenden Stücken. Obwohl Philipp von Ferrary in Paris lebte, zog es ihn häufig nach Österreich und nach Deutschland. Er wurde schließlich österreichischer Staatsbürger, lebte aber weiterhin in Frankreich. Im Alter von 65 Jahren entschloss er sich, nach seinem Tode seine gesamten „Schätze“ dem von ihm sehr geschätzten Reichspostmuseum in Berlin zu hinterlassen. Der Erste Weltkrieg war jedoch bereits ausgebrochen und Philipp von Ferrary musste wegen seiner österreichischen Staatsangehörigkeit überstürzt in die Schweiz fliehen. Seine Sammlung hinterließ er vor seiner Abreise in der Österreichischen Botschaft. Die Sammlung (die aus ca. 120.000 Briefmarken bestand) wurde jedoch nach dem Krieg als Reparationszahlung angesehen und versteigert. Philipp von Ferrary erlebte die Zerstörung seines Lebenswerkes nicht mehr, da er ein Jahr vor Kriegsende verstarb. Die Versteigerung dauerte über sechs Jahre und brachte bis dahin nie erreichte Summen für die Briefmarken ein. Philipp von Ferrary war wohl auch der einzige Sammler in der Geschichte der Briefmarke, der von sich behaupten konnte, das Sammelgebiet „die ganze Welt“ komplett zu haben. Eine weitere berühmte Sammlung gehörte Arthur Hind, der ebenfalls dank seines großen Vermögens in den Besitz zahlreicher Raritäten kam. So kaufte er beispielsweise auf einer Ferrary-Auktion die legendäre British Guiana 1¢ magenta. Weitere berühmte Sammlungen wurden von Colonel Greens, Alfred Caspary sowie dem Schweizer Tabakmillionär Burrus aufgebaut. Legendär ist die Ganzsachensammlung der Brüder Ernst und Franz Petschek. Auch die Sammlung „Altdeutsche Staaten“ des Amerikaners John R. Boker dürfte zu den großen Sammlungen gehört haben; sie wurde inzwischen in mehreren eigenen Auktionen in Wiesbaden aufgelöst. Ebenfalls legendär ist die Sammlung von Erivan Haub, dem früheren Inhaber der Tengelmann-Gruppe. Erst nachdem er 2018 verstorben war, wurde bekannt, dass er seit seiner Jugend eine umfangreiche Briefmarkensammlung aufgebaut hat, die jedoch zu seinen Lebzeiten niemals öffentlich gezeigt wurde. Sie enthielt zahlreiche Seltenheiten von Weltrang. In der Altdeutschland-Philatelie gilt die Sammlung Haubs als die vollständigste jemals zusammengetragene Sammlung, die die Sammlungen von Philipp von Ferrary und John R. Boker noch übertrifft. Im Zeitraum vom Juni 2019 bis 2023 wird die Sammlung Erivan in mehr als 30 Auktionen durch die Auktionshäuser Heinrich Köhler in Wiesbaden, H. R. Harmer in New York und Corinphila in Zürich versteigert. Arten der Philatelie Wenn alle jemals erschienenen Marken der Welt gesammelt werden, dann wird das als eine Generalsammlung oder Universalsammlung bezeichnet. Vollständige Generalsammlungen sind aber heute bei der großen Vielzahl an Sammelstücken kaum noch realisierbar und Sammler spezialisieren sich typischerweise irgendwann auf bestimmte Sammelgebiete. Man unterscheidet in der Philatelie zwei grundsätzlich verschiedene Arten des Briefmarkensammelns: die klassische Philatelie und das Motivsammeln. Klassische Philatelie Bei der klassischen Philatelie beschäftigt man sich näher mit den Briefmarkenausgaben einzelner Staaten oder begrenzter Zeiträume (zum Beispiel Weimarer Republik oder Westberlin) in einem der beiden Erhaltungsformen „gestempelt“ oder „postfrisch“ (früher alternativ: mit Falz). Früher wurde angestrebt das betreffende Gebiet komplett zu machen insbesondere bei Vordruckalben, heute wird häufig auf Vollständigkeit weniger Wert gelegt, in diesem Fall ist das Ziel möglichst viele Sammelstücke in qualitativ hochwertiger Erhaltung zusammenzutragen, und Lücken nicht mit minderwertigeren Exemplaren zu füllen. Das Sammeln kann auf verschiedene Besonderheiten ausgeweitet werden. Zu den wichtigsten Besonderheiten zählen: Besonderheiten der Briefmarke selbst Bei den einzelnen Briefmarken wird vor allem auf Besonderheiten des Papiers geachtet. So gibt es zahlreiche Arten von Briefmarkenpapieren wie Faserpapier, Kreidepapier und Japanpapier; des Weiteren Briefmarkenpapier mit Sicherheitsmerkmalen wie Wasserzeichen, Lackstreifen, Fluoreszenz, Phosphoreszenz oder Hologrammen. Ferner kommt es vor, dass Briefmarken in verschiedenen Druckverfahren hergestellt werden, oder dass beim Druck Fehler wie beispielsweise Plattenfehler oder sonstige Abarten entstehen. Auch die Rückseite der Briefmarke ist für den Philatelisten interessant, da es verschiedene Arten sowie Besonderheiten bei der Gummierung gibt, wie beispielsweise den Spargummi oder die Gummiriffelung. Auch auf die Zähnung beziehungsweise auf die Art der Trennung der einzelnen Briefmarken wird geachtet. Postfälschungen und Spionage- und Propagandafälschungen genießen ebenfalls ein hohes Ansehen bei den Philatelisten. Besonderheiten der Entwertung Philatelisten interessieren sich meist für die Art der Entwertung der Briefmarke, da es neben dem Poststempel zahlreiche andere Entwertungsmöglichkeiten für Briefmarken gibt. Sonderstempel sowie Ersttagsstempel werden von Philatelisten gesondert bewertet. Besonderheiten der Frankatur Bei den Belegen wie Briefen oder Ganzsachen, die der Philatelist in seine Sammlung aufnimmt, achtet er besonders auf die Art der Frankatur. Man unterscheidet Einzelfrankaturen, Mehrfachfrankaturen sowie Mischfrankaturen, für die meistens verschiedene Preisansätze gelten. Eine vor allem in Frankreich beliebte Sonderform der Frankatur ist die Maximumkarte. Hier wird die Marke auf die Bildseite einer Ansichtskarte geklebt, die genau dieselbe Szene darstellt wie die Briefmarke. Spezialsammler Spezialsammler haben sich auf einen ganz bestimmten Zeitraum oder eine ganz bestimmte Serie spezialisiert. Sie versuchen, durch Glück, Spürsinn und gezielte Käufe ihre Sammlungen zu vervollständigen. Vor allem in Deutschland waren sehr beliebte Spezialgebiete die Briefmarkenausgaben der Zeit der deutschen Hochinflation um 1920 nach dem Ersten Weltkrieg oder die Bautenserie der Amerikanischen und Britischen Besatzungszone sowie die DDR-Fünfjahrplan-Serie nach dem Zweiten Weltkrieg. Vor allem die Bautenserie bietet eine sehr große Zahl verschiedener Abarten, Druckfehlern und Zähnungsunterschieden. Nebengebiete Nebengebiete, wie das Sammeln von Briefe oder Ganzsachen, sofern diese aus dem Postverkehr stammen und eine historische Relevanz besitzen. Dies ist nicht zu verwechseln mit den späteren Sonderstempeln, die später an Philatelisten verkauft wurden (wie Ersttagsbriefe, Ersttagsblätter, Numisbriefe und Schwarzdrucke) und nicht tatsächlich gelaufen sind. Motivsammlungen Beim Motivsammeln bzw. thematischen Sammeln werden Briefmarken aus aller Welt mit bestimmten Motiven bzw. Themen, wie z. B. Sport oder Komponisten gesammelt; dadurch unterscheidet es sich von der klassischen Philatelie. Der Vorwurf mancher klassischer Philatelisten, beim Motivsammeln handle es sich nur um ein Anhäufen von Briefmarken, ist mit nichts zu begründen. Motivsammler versuchen genau so ernsthaft, möglichst viele Marken und Sätze ihres Sammelgebiets zu erhalten und zu dokumentieren. Sehr viele Philatelisten sammeln neben ihrem klassischen Thema noch ein oder mehrere Motivgebiete. Bei Briefmarkenausstellungen sind Präsentationen von Motivsammlungen häufig interessanter und beliebter als klassische Sammlungen. Dies hängt damit zusammen, dass der klassische Sammler konkrete Themen, wie beispielsweise „100 Jahre Automobilbau“ oder „Olympische Spiele“, nur sehr eingeschränkt präsentieren kann. Der Motivsammler hat dagegen genau zu seinem Sammelgebiet umfangreiches Material. Seit Briefmarkenkataloge im Internet online eingesehen werden können und auch entsprechende Suchfunktionen vorhanden sind, haben Motivsammler erstklassige Möglichkeiten, nach Marken ihres Spezialgebiets zu suchen. Probleme haben Motivsammler seit vielen Jahren, weil insbesondere Entwicklungsländer Briefmarken speziell zu beliebten Motivthemen auflegen, um entsprechende Verkaufseinnahmen zu erzielen. In der Regel sind diese Marken frankaturgültig und damit reguläre Briefmarken. Seit dem Jahr 2000 ist verstärkt zu beobachten, dass Briefmarkenfälschungen zum Verkauf gebracht werden. Die Fälschungen werden insbesondere unter dem Namen von Ländern verkauft, in denen die staatliche Ordnung zusammengebrochen ist, wozu mehrere afrikanische Länder gehören. Über verschiedene Internetauktionshäuser werden zudem zahlreiche Produkte mit Bezeichnungen von ehemals sowjetischen Gebieten – oft mit dem Zusatz „Regionalmarken“ – angeboten. Hergestellt werden diese im philatelistischen Sinn wertlosen Fälschungen in professionellen Druckereien; sie sind von echten Briefmarken daher nicht zu unterscheiden. Beliebte Motive sind beispielsweise: Autos (Pkw) Berühmte Personen, wie Gelehrte und Künstler sowie ihre Werke, Politiker und Sportler (vgl. z. B. die Serien der DDR-Post „Berühmte Persönlichkeiten“ und „Bedeutende Persönlichkeiten“) Blumen andere (historische) Briefmarken Eisenbahnen Erstflugbriefe Feuerwehr Flugzeuge Geschichtliche Ereignisse Kakteen und andere Sukkulenten (vgl. z. B. die Serie der DDR-Post „Kakteen“) Kunstwerke, insbesondere Gemälde Lastkraftwagen Olympia Raumfahrt Schachmotive Schiffe Sport, Sportarten, sportliche Ereignisse Tiere Weihnachten Hilfsmittel eines Philatelisten Zum Umgang mit Briefmarken Ein Philatelist benötigt einige Werkzeuge zum angemessenen Umgang mit Briefmarken. Eine Briefmarken-Pinzette ist sein wichtigstes Hilfsmittel. Sie hat stets abgerundete Ecken und glatte, möglichst polierte Innenflächen, da sie so keine Schäden an der Gummierung der Briefmarke anrichten kann. Zum Erkennen der Zähnung einzelner Briefmarken benötigt der Philatelist einen Zähnungsschlüssel. Diesen gibt es in zahlreichen verschiedenen Ausführungen. Um ein Wasserzeichen im Briefmarkenpapier zu erkennen, kann der Sammler die Marke in eine Benzinschale mit chemisch reinem Benzin legen, worauf es nach kurzer Zeit sichtbar wird. Ein deutlich einfacheres Hilfsmittel sind moderne optische Wasserzeichensucher, sogenannte Signoskope. Hier wird die Rückseite der Marke unter Druck einer durchsichtigen Kunststoffplatte seitlich angeleuchtet. Um die verschiedenen Details einer Briefmarke genauer erkennen zu können, braucht der Briefmarkensammler eine Lupe. Um bestimmte Prüfzeichen erkennen zu können, werden verschiedene UV-Lampen benötigt. Eine UV-Lampe mit einer Wellenlänge von 380 nm dient zum Erkennen von optischen Aufhellern oder phosphoreszierendem Papier, das manchmal bei modernen Briefmarken verwendet wird. Auch fluoreszierende Merkmale können mit einer 254-nm-UV-Lampe überprüft werden. Mit einem Mikrometer kann man die – bei manchen Ausgaben schwankende – Papierstärke der Briefmarke bestimmen. Ein Farbkatalog ermöglicht das exakte Bestimmen der Farbe einer Marke. Zur Aufbewahrung der Briefmarken Bei den heutigen Briefmarkenalben handelt es sich fast immer um gebundene Einsteckbücher, seltener auch welche als Ringbinder. Es gibt jedoch auch so genannte Vordruckalben in Klemm- oder Ringbindern. Bei diesen steckt man die Briefmarke an einen vorgesehenen Platz. Von Nachteil ist, dass einzelne Besonderheiten wie Eckrandstücke oder Paare keine Berücksichtigung finden können und die Gestaltung der Alben mit Platzierung der Briefmarken in der Mittelachse sehr konservativ ist. Für die Aufbewahrung gibt es spezielle Folien, die so genannten Klemmtaschen. Früher kam es oft vor, dass für diese Klarsichtstreifen noch Kunststofffolien mit briefmarkenschädigenden Weichmachern verwendet wurden. Nach ein paar Jahren erschienen die Marken braungelb und wurden damit oft minderwertig bis wertlos. Unterlagen Zu den wichtigsten Unterlagen des Philatelisten zählt der Briefmarkenkatalog. Es gibt meist mehrere verschiedene Kataloge für ein bestimmtes Sammelgebiet. Für weitere ergänzende Informationen dienen Fachzeitschriften für Briefmarken, in denen meist auch die neuesten Briefmarken des jeweiligen Landes vorgestellt werden. Außerdem wird das Studium von Handbüchern bzw. Spezialliteratur zu einzelnen Sammelgebieten unerlässlich, wenn ein Philatelist sich spezialisiert, d. h. sich auf ein oder mehrere überschaubare Gebiete festlegt. Dieser weiterführenden philatelistischen Literatur ist sehr viel mehr zu entnehmen als den Briefmarkenkatalogen: z. B. Auflistung und Bewertung von Spezialitäten (Plattenfehlern, Stempeln u. ä.), genaue Beschreibung der Echtheitsmerkmale der einzelnen Ausgaben, Erkennen von Fälschungen u. v. a. m. Briefmarkenbezug im Abonnement Die meisten Postverwaltungen unterhalten Abteilungen für Philatelisten, bei denen die herausgegebenen Briefmarken im Abonnement bezogen werden können: In Deutschland beim Sammler-Service der Deutschen Post AG in Weiden in der Oberpfalz, in Österreich beim Sammler-Service der Österreichischen Post AG in Wien und in der Schweiz beim Sammler-Service der Schweizerischen Post in Bern. Diese Orientierung in den Postverwaltungen an Sammlern ist nicht unumstritten. Innerhalb der Philatelie wird oft kritisiert, dass viele Verwaltungen ihre Briefmarkenausgabe primär an Sammlern ausrichten, um diese zum Kauf zu veranlassen und so Einnahmen zu erzielen. Mitunter werden Staaten, die diese Praxis besonders aggressiv betreiben (beispielsweise durch sehr hohe Zahlen an Motivausgaben, Abgabe nur in Mehrfachblöcken, Vertrieb nur über Sammlerdienste oder kommerzielle Agenturen statt am Postschalter etc.), in der Szene verächtlich als „Raubstaaten“ bezeichnet. Angeboten wird das „Sammeln im Abonnement“ von postfrischen Briefmarken und von entwerteten. Die entwerteten haben meistens Stempel, die sich in der Aufmachung, der Druckqualität und häufig auch von der Position von jenen aus dem realen Postverkehr unterscheiden. Weiterhin werden auch andere Produkte angeboten, die sich an Sammler richten, beispielsweise Ersttagsblätter. Briefmarken als Wertanlage Die seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Umlauf befindlichen Briefmarken eignen sich kaum als Wertanlage. Es ist in der Geschichte der Philatelie zu einigen Spekulationen gekommen, in denen Ausgaben bestimmter Epochen und Regionen oder einzelne Stücke enorme Wertzuwächse zu verzeichnen hatten. Dies hängt auch von der jeweiligen Auflage bzw. noch verfügbaren Zahl der Exemplare ab. In Krisenzeiten galten Briefmarken, ähnlich wie Zigaretten, als beliebtes Tauschmittel, so etwa während oder nach den beiden Weltkriegen. Die größte Spekulationsblase in jüngster Zeit bildete sich in den 1960er Jahren, als in der Bundesrepublik Deutschland und in der Schweiz die Anzahl der Sammler anstieg. Daraufhin verteuerten sich die Preise älterer Ausgaben. Ein prominentes Beispiel war der Frankfurter Briefmarkenhändler Hartmut Schwenn, der über Bankfilialen Briefmarkenpakete als Geldanlage vertrieb. Zeitgenössische Händler empfahlen Einsteigern in die Philatelie den Erwerb von aktuellen Briefmarkenausgaben des eigenen Landes. 1977 und 1982 erreichten die Preise verschiedener Sammelgebiete spekulative Höchstpreise. Nach Ende dieses Briefmarkenbooms setzte jedoch ein Preisverfall ein, der auf ein erweitertes Angebot zurückzuführen ist. Viele Postverwaltungen hatten die Zahl der Neuemissionen und die Auflagen dieser Emissionen immer weiter erhöht. Es wurde zunehmend mit schönen Motiven geworben, die jedoch später nur einen geringen Wert auf dem Markt hatten. Zum Beispiel hat der kleine Staat San Marino durch den Verkauf seiner Briefmarken zeitweise zehn Prozent seines Bruttonationaleinkommens erwirtschaftet. Die heutige Situation ist so, dass Briefmarkensammlungen in durchschnittlicher Erhaltung oder geläufiger Abstempelung schwer verkäuflich sind, mitunter bezeichnet man diese als „Großvaterware“. Bestände aus dem „Sammeln im Abonnement“ erreichen bei Veräußerung häufig nicht einmal mehr den Nominalwert. Während die Deutsche Post keinen Umtausch älterer nicht-entwerteter Briefmarken in DM-Nominale mehr anbietet, lassen sich in der Schweiz alte Sammlungen immerhin noch zum Frankieren von Briefen verwerten. Allenfalls extrem seltene Einzelbriefmarken und Briefe aus der Zeit bis in das erste Drittel des 20. Jahrhunderts erreichten und erreichen immer wieder Spitzenpreise, ohne dass sich daraus ein regelmäßiger Wertzuwachs ableiten lässt. Die Philatelie folgt in der Wertermittlung eigenen Gesetzmäßigkeiten. Viele Briefmarken wären gestempelt in besten Erhaltungsgraden theoretisch erschwinglich, sind aber nur mit viel Mühe überhaupt aufzutreiben. Bekanntes Beispiel sind einige Briefmarken der Berliner Ausgaben der Dauerserie Frauen der deutschen Geschichte: Mit Vollstempeln aus dem Berliner Postverkehr sind diese kaum anzutreffen und noch seltener als Eckrandstücke, während die Katalognotierungen von Spitzenpreisen weit entfernt sind. Zudem gibt es viele Gefälligkeitsstempelungen, also Ganzsachen, die nicht tatsächlich gelaufen sind. Dazu gehören Ersttagsbriefe und Satzbriefe, die auf dem Markt meist nur einen geringen Wert erzielen. Siehe auch Vorphilatelie, Aerophilatelie Liste philatelistischer Themen Briefmarkenalbum Bedarfsbrief als Fachbegriff in der Philatelie Zähnungsschlüssel (nähere Erklärung) Briefmarken der Österreichischen Post Literatur Bücher Carlrichard Brühl: Geschichte der Philatelie. in zwei Bänden, Olms, Hildesheim 1985 und 1986. Wolfgang Maassen: Philatelie und Vereine im 19. Jahrhundert. Phil Creativ, Schwalmtal, Verlag 2006, ISBN 3-932198-69-7. Ullrich Häger: Großes Lexikon der Philatelie. Bertelsmann Lexikon, Gütersloh u. a. 1973, ISBN 3-570-03229-9. Heinz Kühne: Wir sammeln Briefmarken. Bertelsmann, Gütersloh 1970. Dirk Naguschewski, Detlev Schöttker (Hrsg.): Philatelie als Kulturwissenschaft. Weltaneignung im Miniaturformat. Kulturverlag Kadmos, Berlin 2019, ISBN 978-3-86599-422-6. Alfred Wieland: So sammelt man Briefmarken. Herder, Freiburg im Breisgau 1972, ISBN 3-451-16449-3. Frank Arnau: Lexikon der Philatelie. Briefmarkenkunde von A bis Z. Ullstein Taschenbuch, 1957. Frank Arnau: Juwelen aus Papier. Die kostbarsten und schönsten Briefmarken der Welt. Schuler, Stuttgart 1966. Wolfram Grallert: Lexikon der Philatelie. Phil Creativ, Schwalmtal 2003, ISBN 3-932198-36-0. Wolfram Grallert, Waldemar Gruschke: Lexikon der Philatelie. 5., bearb. u. erg. Auflage. transpress, Berlin 1981, . Zeitschriftenartikel R. Zimmerl: 125 Jahre Philatelie in Österreich. In: Phila Historica. Nr. 1/2013, S. 78–90; der Artikel ist ebenfalls als Erstveröffentlichung erschienen in der Schweizer Briefmarken Zeitung. Nr. 1–2/2013. Achim Thomas Hack: Timbrologie. Eine historische Grundwissenschaft? In: Achim Thomas Hack / Klaus Ries (Hg.): Geschichte zum Aufkleben. Historische Ereignisse im Spiegel deutscher Briefmarken, Stuttgart: Steiner 2020, ISBN 978-3-515-12658-8, S. 11–28. Weblinks Briefmarken-Datenbank, elektronischer Katalog mit Wertangaben für alle Briefmarken weltweit Briefmarken-Lexikon im Wiki-Format Briefmarken-Forum für Fortgeschrittene Stempeldatenbank mit fast 200.000 notierten Stempelgeräten, Bildern, Preisen Film zur Erhaltung und zu Besonderheiten von Briefmarken Film zur Aufbewahrung von Briefmarken in Alben Verband Philatelistischer Prüfer e. V. Bund philatelistischer Prüfer e. V. Einzelnachweise
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https://de.wikipedia.org/wiki/%C3%9F
ß
Das Schriftzeichen ẞ (Großbuchstabe) bzw. ß (Kleinbuchstabe) ist ein Buchstabe des deutschen Alphabets. Er wird als Eszett [], scharfes S oder Scharf-S bezeichnet, umgangssprachlich auch als „Doppel-S“ (in diesem Sinn nur vereinzelt in der Schweiz), „Buckel-S“, „Rucksack-S“, „Dreierles-S“ oder manchmal auch missverständlicherweise als „Ringel-S“, dies bezeichnet jedoch üblicherweise eine andere S-Variante. Das ß dient zur Wiedergabe des stimmlosen s-Lautes . Es ist der einzige Buchstabe des lateinischen Schriftsystems, der heutzutage ausschließlich zur Schreibung deutscher Sprachen und ihrer Dialekte verwendet wird, so in der genormten Rechtschreibung des Standarddeutschen und in einigen Rechtschreibungen des Niederdeutschen, sowie in der Vergangenheit auch in einigen Schreibungen des Sorbischen. Allerdings wird es nicht in der Schweiz und Liechtenstein verwendet. Der offizielle Gebrauch der deutschen Sprache in Belgien, Dänemark (Nordschleswig), und Namibia sowie Italien (Südtirol) orientiert sich bei der Verwendung des ß an den in Deutschland bzw. Österreich geltenden Rechtschreibregeln. Ebenso wird in Luxemburg verfahren. Historisch gesehen geht das ß in der deutschen Sprache auf eine Ligatur aus dem ſ (langen s) und z zurück. Bedeutsam für die Form des ß in den heutzutage üblichen Antiqua-Schriftarten war jedoch auch eine Ligatur aus langem ſ und rundem s, die bis ins 18. Jahrhundert auch in anderen Sprachen gebräuchlich war. Das ß dient überdies in mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Texten als Abkürzung für die Währung Schilling und „ßo“ steht für das Zählmaß Schock. Seit dem 29. Juni 2017 ist das große ß – ẞ – Bestandteil der amtlichen deutschen Rechtschreibung. Über seine Aufnahme in das deutsche Alphabet wurde seit Ende des 19. Jahrhunderts diskutiert. Entstehungsgeschichte Entstehung des ß in der deutschen Sprache Im Zuge der Zweiten Lautverschiebung im 7. und 8. Jahrhundert waren aus germanischem und // zwei verschiedene Laute entstanden – ein Frikativ und eine Affrikate –, die zunächst beide mit zz wiedergegeben wurden. Zur besseren Unterscheidung gab es seit dem Althochdeutschen Schreibungen wie sz für den Frikativ und tz für die Affrikate. Der mit ss geschriebene Laut, der auf ein ererbtes germanisches /s/ zurückgeht, unterschied sich von dem mit sz geschriebenen; das ss wurde als stimmloser alveolo-palataler Frikativ ausgesprochen, das sz hingegen als stimmloser alveolarer Frikativ [s]. Auch als damals diese zwei Laute zusammenfielen, behielt man beide Schreibungen bei. Man brachte sie aber dadurch durcheinander, weil niemand mehr wusste, wo ursprünglich ein sz gestanden hatte und wo ein ss. Bei der Einführung des Buchdrucks im späten 15. Jahrhundert wurden Druckschriften aus den damals geläufigen gebrochenen Schriften geschaffen. Dabei wurde für die häufig auftretende Buchstabenkombination aus langem ſ und z mit Unterschlinge („ſʒ“) eine Ligatur-Letter geschnitten. Diese Ligatur behielt man auch bei später eingeführten Druckschriften wie der Fraktur bei. Möglicher Einfluss tironischer Noten Der Typograph Max Bollwage vermutet, dass der Ursprung des Zeichens auf die tironischen Kürzungszeichen „sed“ und „ser“ zurückzuführen sei. Der Typograph und Sprachwissenschaftler Herbert Brekle widerspricht dieser These. Die Es-Zett-Ligatur lasse sich bis ins 14. Jahrhundert nachweisen. Die Kürzungszeichen seien nur für eine Übergangszeit „zur Repräsentation des stimmlosen s-Lautes umfunktioniert“ worden, druckschriftlich „setzt sich dagegen in der Schwabacher- und Frakturschrift ab dem frühen 16. Jh. die eigentliche Es-Zett-Ligatur durch.“ Das ß in der Antiqua In einigen der ab dem 15. Jahrhundert entstehenden Antiquaschriften ist es eine Ligatur von langem ſ und rundem s. Für das deutsche Eszett der gebrochenen Schriften wurde erst im 19. Jahrhundert ein Antiqua-Gegenstück entworfen. Dagegen gibt es für eine ſs-Ligatur viel ältere Belegstellen. Die genaue Beziehung des Antiqua-ß zu Eszett und ſs-Ligatur ist umstritten. Die ſ-s-Ligatur in der Antiqua In Italien, wo die Antiqua entwickelt worden war, entstand eigenständig eine kursive Ligatur aus langem ſ und rundem s, lange bevor das lange ſ im Laufe des 18. Jahrhunderts außer Gebrauch geriet. Die beiden Buchstaben wurden mit einem losen Bogen verbunden; dies war eine rein kalligrafische und typografische Variation ohne orthografische Funktion. Sie erscheint sowohl in Handschriften als auch im Druck bis Ende des 17. Jahrhunderts als eine Alternative für ſſ bzw. ss im Wortinneren. Die kursive Ligatur erscheint vor allem in Werken in lateinischer, italienischer und französischer Sprache. Die ß-Ligatur in der Antiqua findet sich erstmals bei einer um das Jahr 1515 entstandenen Schrift von Lodovico Vicentino degli Arrighi. Er nimmt sie auch 1522 in sein Kalligrafielehrbuch La Operina auf. In der „lateinischen“ Alltagsschrift des 17. und 18. Jahrhunderts erscheint in Frankreich, England und eingeschränkt in Deutschland als Äquivalent zu ß die Ligaturform ſs, wobei das lange s die Schleifen erhielt. Im Druck lässt sich die kursive ß-Ligatur bis auf einige Seiten (f. 299v.–302v.) einer Livius-Ausgabe aus dem Jahre 1518 zurückverfolgen, wo sie in freier Variation zur ſſ-Ligatur steht, die auch im restlichen Werk exklusiv vorkommt. Die Ausgabe trägt das Zeichen von Aldus Manutius, erschien aber drei Jahre nach seinem Tod als Gemeinschaftsarbeit nach seiner Grundidee. Im Jahre 1521 erschien in Basel eine deutsche Übersetzung (Leonis Judae) von Enchiridion militis Christiani von Erasmus von Rotterdam. Sie ist in einer Kursiv-Antiqua mit ß-Ligaturen gedruckt, wobei diese sich in Wortformen wie wyßheit, böß und schloß findet. Bis weit in das 17. Jahrhundert hinein gehörte es zu den typografischen Satzkonventionen in Italien, Frankreich und etwas weniger in Deutschland, vor allem in lateinischen, aber auch teilweise in italienischen und französischen Werken bei Antiquakursivsatz, die ß-Ligatur zu verwenden. Sie kommt auch auf einigen Titelblättern von um 1620 gedruckten Werken von Johannes Kepler vor. Erst mit zunehmendem Druck deutscher Texte in Antiqua im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert erhielten auch gerade Antiquaschriften eine ß-Ligatur, die je nach orthografischer Konvention alternierend zu ſs- oder ss-Sequenzen verwendet wurde. Davor gab es vereinzelte Vorkommen dieser Typen. Als die Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1941 die Fraktur und sonstige gebrochene Schriften abschafften und die Antiqua als „Normal-Schrift“ einführten, wurde von den zuständigen Ministerien auch eine Abschaffung des ß in Antiqua beschlossen, da der Buchstabe im Ausland unbekannt und selten in Antiqua-Schriften vorhanden war. Hitler intervenierte aber. Aus einem Schreiben des Reichsministers der Reichskanzlei: „Der Führer hat sich für eine Beibehaltung des ‚ß‘ in der Normalschrift entschieden. Er hat sich aber gegen die Schaffung eines großen ‚ß‘ ausgesprochen. Bei der Verwendung großer Buchstaben soll das ‚ß‘ vielmehr als ‚SS‘ geschrieben werden.“ Die deutsche Ersatzschreibung in Antiqua Antiquasatz In deutschem Antiquasatz wurde normalerweise bis ins 19. Jahrhundert an Stelle von ß entweder einfaches ss oder die Buchstabenfolge ſs (keine Ligatur) verwendet. Daneben traten nur selten die Sulzbacher Form des ß auf und – besonders in der von den Brüdern Grimm propagierten historischen Schreibweise – das sz. Die Verwendung von ſs erfolgte weiterhin, auch nachdem im Antiquasatz das gewöhnliche ſ im späten 18. Jahrhundert unüblich geworden war. Die Empfehlung der Orthographischen Konferenz von 1876 bestand darin, dass im Antiquasatz die Buchstabenfolge ſs verwendet werden sollte. Das eigentliche ß im Antiquasatz kam erst im späten 19. Jahrhundert auf und ist dann mit der Orthographischen Konferenz von 1901 zur amtlichen Norm erhoben worden. Lateinische Schreibschrift Auch in lateinischer Schreibschrift (Kursive) wurde ß bis Ende des 19. Jahrhunderts gerne durch ſs wiedergegeben. Da das Lang-ſ der Kursive grafisch mit dem h der Kurrentschrift übereinstimmte, wurde die ſs-Gruppe der lateinischen Schreibschrift oft als hs missgedeutet, was sich in ungewöhnlichen Schreibweisen von Familiennamen niedergeschlagen hat, beispielsweise „Grohs“ statt „Groß“, „Ziegenfuhs“ statt „Ziegenfuß“, oder „Rohs“ statt „Roß“ (siehe dazu auch rechts das Bild: „Claßen in lateinischer Schreibschrift“). Namensschreibungen wie die Variante Weiſs blieben aus juristischen Gründen auch nach 1901 in dieser Form erhalten und wurden durch keine Regel orthografisch angepasst. Im Deutschland der Zwischenkriegszeit waren alleine im standesamtlichen Bereich Schreibmaschinen in Verwendung, die ſs als Sondertype enthielten. Das deutsche Eszett in der Antiqua Als im späten 18. und im 19. Jahrhundert deutsche Texte vermehrt in Antiqua gesetzt wurden statt in der allgemein üblichen gebrochenen Schrift, suchte man eine Antiqua-Entsprechung für das Eszett der gebrochenen Schrift. Die Brüder Grimm benutzten in der Deutschen Grammatik 1. Band im Jahr 1819 noch die Fraktur, 1826 allerdings die Walbaum-Antiqua. In späteren Werken wollten sie dann das Eszett durch eine eigene Form des Buchstabens ersetzen, setzen aber schließlich sz in Ermangelung des ihnen vorschwebenden Druckbuchstabens. Der Duden von 1880 empfiehlt, das Eszett in Antiqua durch ſs zu ersetzen, lässt aber ausdrücklich auch einen ß-artigen Buchstaben zu. Blei-Antiquaschriften wurden üblicherweise ohne ß ausgeliefert, sodass deutsche Texte aus dieser Zeit in Schweizer Satz erscheinen. Die Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung von 1901 schrieb auch im Antiqua-Satz den Buchstaben ß vor. Schriftgießereien wurden verpflichtet, künftig bei Antiqua-Schriften ein ß mitzuliefern bzw. ein solches für Bestandsschriften nachzugießen. Buchstabenform Für die Form der Glyphe eines Antiqua-Eszett gab es verschiedene schriftgestalterische Ansätze. Erst im Anschluss an die I. Orthographische Konferenz von 1876 gab es erfolgreiche Bemühungen um eine einheitliche Form. 1879 veröffentlichte das Journal für die Buchdruckerkunst eine Tafel mit Entwürfen. Ein Ausschuss der Leipziger Typographischen Gesellschaft entschied sich für die sogenannte Sulzbacher Form. 1903, nach der Entscheidung für eine einheitliche Rechtschreibung, erkannte eine Kommission von Buchdruckerei- und Schriftgießereibesitzern die Sulzbacher Form an. In einer Bekanntmachung in der Zeitschrift für Deutschlands Buchdrucker beschreiben sie die charakteristischen Merkmale dieser sz-Form: „Das sogenannte lange Antiqua-ſ wird oben mit einem z verbunden, im Kopfe eingebogen und läuft im unteren Bogen in eine feine oder halbstarke Linie oder in einen Punkt aus.“ Die Sulzbacher Form wurde und wird aber nicht von allen Typographen akzeptiert. Etwa vier Grundformen finden größere Verbreitung: Einzelbuchstaben „ſ“ und „s“ sind eng zusammengerückt Ligatur aus „ſ“ und „s“ Ligatur aus „ſ“ und z mit Unterschlinge („ʒ“) Sulzbacher Form Heutzutage sind die meisten ß in Antiquaschriften entweder nach 2. oder nach 4. geformt, doch bisweilen findet sich auch eines nach 3., etwa auf Straßennamenschildern in Berlin und Bonn. Die Variante nach 1. wird selten verwendet. Rechtschreibung Das ß dient der Wiedergabe des stimmlosen s-Lautes, der Fortis , dessen Darstellung durch s, ß und ss sich mit der Zeit gewandelt hat, zuletzt mit der Rechtschreibreform von 1996. Konzepte der s-Schreibung Die Handhabung des ß gemäß den Regeln der Rechtschreibreform von 1996 folgt der sogenannten heyseschen s-Schreibung, die von Johann Christian August Heyse im Jahr 1829 formuliert wurde. Von 1879 an galt sie in Österreich, bis sie im Rahmen der Vereinheitlichung der deutschen Rechtschreibung durch die Orthographische Konferenz von 1901 für Schulen und Ämter in deutschsprachigen Staaten ungültig wurde. Stattdessen galt ab dann die adelungsche s-Schreibung des Orthographen Johann Christoph Adelung. Mit der Rechtschreibreform von 1996 wurde die heysesche s-Schreibung in Österreich wiedereingeführt. Heutige Rechtschreibregeln Gemäß den Regeln der Rechtschreibreform von 1996 schreibt man ß für den stimmlosen s-Laut: nach einem betonten langen Vokal: Straße, aßen, aß, Buße, grüßt; nach einem (gleichermaßen als lang geltenden) Doppelvokal (Diphthong): heißen, außen. Man schreibt aber s, wenn im Wortstamm ein Konsonant folgt: Trost, Faust, räuspern, geistig. Beim Vorliegen einer Auslautverhärtung schreibt man ebenfalls s, wenn der s-Laut in verwandten Wortformen stimmhaft ist: (ich) nieste (niesen); Gras (Gräser); löslich (lösen); Aas (des Aases). In der Schweiz und in Liechtenstein schreibt man statt ß immer ss. Ausnahmen und Sonderfälle: Eigennamen: Personen- und Ortsnamen werden von den obigen Regeln nicht berührt. So schreibt man weiterhin Theodor Heuss (trotz des Diphthongs) oder umgekehrt Schüßler-Salze, Litfaßsäule und Kößlarn (trotz des kurzen Vokals). Ausnahme: Bei Eigennamen wird in der Schweiz stets ss verwendet, z. B. Hoeness statt Hoeneß. Verschiedene Aussprachen schlagen sich in verschiedenen Schreibungen nieder: Sowohl Lössboden als auch Lößboden ist korrekt, da das ö kurz oder lang sein kann. Sodann schreibt man in Österreich Geschoß statt Geschoss, da dort das o lang ist; Ähnliches gilt für Spass als aussprachebedingte Variante von Spaß. Rechtschreibregeln von 1901 bis 1996 Nach den von 1901 bis 1996 gültigen Regeln schrieb man ß in denselben Fällen wie heute; zusätzlich stand ß statt ss am Wortende (auch in Zusammensetzungen): Kuß, kußecht, Paß, Paßbild sowie am Wortstammende, wenn ein Konsonant folgte: (du) mußt, (es) paßt, wäßrig, unvergeßne, Rößl. In der adelungschen s-Schreibung richtet sich somit die Verteilung von ß und ss teils nach graphotaktischen Kriterien (Berücksichtigung der graphischen Umgebung: Wortende, Wortfuge oder folgender Konsonantenbuchstabe) und teils nach dem Kriterium der Aussprache (Berücksichtigung der Länge des vorangehenden Vokals). Wenn der s-Laut ambisyllabisch ist, steht ss. Historischer Vergleich als Tabelle Ligaturen des Fraktursatzes sind nicht als solche dargestellt, um ihre Elemente möglichst getreu wiederzugeben. So ist das heute übliche Antiqua-ß hier nur für Lateinschreibung seit dem 20. Jahrhundert verwendet. In der Schweiz und in Liechtenstein Anstelle von ß wird in der Schweiz und in Liechtenstein immer ss geschrieben. In diesen Ländern steht ss – im Gegensatz zu anderen Doppelkonsonantenbuchstaben – nicht nur nach Kurz-, sondern auch nach Langvokalen und Diphthongen. Wie bei anderen Digraphen (z. B. ch) ist die Länge oder Kürze des vorangehenden Vokals nicht erkennbar (Masse steht sowohl für Maße wie für Masse, Busse steht sowohl für Buße wie für Busse; vgl. hoch und Hochzeit, Weg und weg). Dem steht entgegen, dass das s solcher Wörter als (in schweizerisch dialektgefärbter Aussprache deutlich gedehntes) Silbengelenk fungiert (ambisyllabisches s, d. h. das s wird sowohl der vorhergehenden wie der nachfolgenden Silbe zugerechnet – wie dies auch bei anderen Doppelkonsonanten der Fall ist). Die frühen Antiquadrucke kannten in der Schweiz wie auch in Deutschland kein ß. Im Bundesblatt der Schweizerischen Eidgenossenschaft fehlte nach der Umstellung von Fraktur auf Antiqua 1873 das ß zuerst, wurde aber bald darauf eingeführt, doch schon 1906 wieder aufgegeben. Der Beschluss der Zweiten Orthographischen Konferenz von 1901, ß auch für die Antiqua zwingend vorzuschreiben, fand in der Schweiz keine durchgängige Beachtung. In der Folge beschloss die Erziehungsdirektion (Kultusministerium) des Kantons Zürich in den 1930er Jahren, das ß vom 1. Januar 1938 an in den kantonalen Volksschulen nicht mehr zu lehren; die anderen Kantone folgten. Als letzte schweizerische Tageszeitung entschied die Neue Zürcher Zeitung, die am 1. August 1946 von Fraktur auf Antiqua umgestellt hatte, ab dem 4. November 1974 auf das ß zu verzichten. Mit der Reform von 2006 wurde es auch offiziell für den amtlichen Schriftverkehr abgeschafft. Schweizer Verlage, die für den gesamten deutschsprachigen Markt produzieren, verwenden das ß jedoch weiterhin. In der Schweiz war es in der Antiqua seit jeher üblich, ss in s-s aufzutrennen, auch wenn es für ein ß steht. Beispielsweise wird das Wort Strasse (für Straße) in Stras-se (für Stra-ße) getrennt. Diese schweizerische Trennung wurde mit der Rechtschreibreform von 1996 als allgemeine Regel übernommen (§ 108 (1996) bzw. § 110 (2006)). Ersatzformen In der deutschen Rechtschreibung darf im Satz das ß nur dann durch ss ersetzt werden, wenn in einer Schrift oder einem Zeichensatz das ß nicht vorhanden ist. Manuskripte ohne ß müssen deshalb den Regeln entsprechend umgesetzt werden. In der Schweiz und in Liechtenstein wird das ß regulär durch ss ausgerückt. Großschreibweise Es gab jahrhundertelang keine Großbuchstabenform des Buchstabens ß. Da das ß im Hochdeutschen nicht an einem Wortanfang stehen kann, wird ein solcher Großbuchstabe (Versal) ß im Hochdeutschen nur bei durchgängiger Großschreibung (Versalschrift) benötigt. Als Ersatz entstanden zunächst folgende orthographisch zulässige Lösungsmöglichkeiten: den Ersatz des ß durch SS (Regelfall) die Verwendung des kleinen ß inmitten eines in Großbuchstaben geschriebenen Wortes (in Ausnahmefällen wie amtlichen Dokumenten) den Ersatz des ß durch SZ (in Ausnahmefällen, bis 1996) Heute gibt es die weitere Option: das (große) ẞ Seit dem 29. Juni 2017 ist das große ß (ẞ) offiziell Bestandteil der amtlichen deutschen Rechtschreibung. Damit ist seither zum Beispiel die Schreibweise STRAẞE gleichberechtigt neben der Schreibweise STRASSE zulässig. Über Computer kann der Großbuchstabe ẞ meist durch Verwendung bestimmter Tastenkombinationen (je nach Tastatur/Computersystem unterschiedlich) eingegeben werden; Details siehe Hauptartikel Großes ß. Besonderheiten der Verwendung Alphabetische Sortierung In der alphabetischen Sortierung (DIN 5007) wird das ß wie ss behandelt. Bei Wörtern, die sich nur durch ss bzw. ß unterscheiden, kommt das Wort mit ss zuerst, z. B. Masse vor Maße (DIN 5007, Abschnitt 6.1); der Duden weicht in dieser Hinsicht von der Norm ab: hier kommt das Wort mit ß zuerst. In Dokumenten Personen mit ß im Familiennamen haben häufig Probleme, da viele elektronische Systeme ß nicht verarbeiten können und man auf die Umschreibung ss ausweichen muss. Gerade in Personalausweisen und Reisepässen ist der Name dann in zweierlei Weise geschrieben, einmal richtig mit ß und in der maschinenlesbaren Zone (MRZ) mit Umschrift als ss, was besonders im Ausland für Verwirrung und Verdacht auf Dokumentenfälschung sorgt. Österreichische Ausweisdokumente können (müssen aber nicht) eine Erklärung der deutschen Sonderzeichen (auf Deutsch, Englisch und Französisch, z. B. „ß“ entspricht / is equal to / correspond à „ss“) enthalten. Schon vor Einführung des großen ẞ erlaubte der Duden, bei Namen in Dokumenten aus Gründen der Eindeutigkeit ß auch als Großbuchstaben zu benutzen (z. B. HEINZ GROßE). Das deutsche Namensrecht (Nr. 38 NamÄndVwV) erkennt Sonderzeichen im Familiennamen als Grund für eine Namensänderung an (auch eine bloße Änderung der Schreibweise, z. B. von Weiß zu Weiss, gilt als solche). Am 1. Oktober 1980 stellte das Bundesverwaltungsgericht noch einmal fest, dass die technisch bedingte fehlerhafte Wiedergabe von Sonderzeichen auf elektronischen Systemen ein wichtiger Grund für die Änderung des Familiennamens sein kann (der Kläger wollte die Schreibweise seines Namens von Götz in Goetz ändern, war aber damit zunächst beim Standesamt gescheitert; Aktenzeichen: 7 C 21/78). Im fremdsprachigen Raum Wegen des Fehlens auf der dort verwendeten Tastatur und seiner optischen Ähnlichkeit mit dem B wird im Ausland manchmal fälschlicherweise der Großbuchstabe B als Ersatz verwendet, was für den deutschsprachigen Leser befremdlich wirkt. Niederlande Obwohl der Buchstabe im Niederländischen nicht benutzt wird, hat er dort einen eigenen Namen – Ringel-S (auf Niederländisch „ringel-s“ geschrieben). Das ß wird im Niederländischen immer durch ss ersetzt: So schreibt man „edelweiss“ (statt Edelweiß) und „gausscurve“ (statt Gauß-Kurve). Englischsprachiger Raum Im englischsprachigen Raum, in dessen Alphabet der Buchstabe nicht vorkommt, wird das ß bei manchen wegen seiner Form umgangssprachlich als German B (deutsches B) bezeichnet. Deshalb wird das „ß“ auch von den meisten Englischsprechenden als „B“ gelesen, z. B. die Bezeichnung „Weißer“ als „Weiber“. So kommt es auch vor, dass das „ß“ einfach als „b“ wiedergegeben wird; zum Beispiel „Sesamstrabe“ in einem britischen Satelliten-TV-Programmheft, das auch das Programm deutscher Sender listet. Gelegentlich wird das ß auch mit dem griechischen Buchstaben β (beta) verwechselt. Die korrekte Bezeichnung im Englischen lautet Sharp S oder Eszett wie im Deutschen. Sorbisch Bis zur Durchsetzung der auf dem Tschechischen basierenden und bis heute im Wesentlichen gültigen „analogen Rechtschreibung“ unter Federführung von Jan Arnošt Smoler in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde das Sorbische mithilfe der Schwabacher geschrieben. In dieser auf dem Deutschen basierenden Schriftnorm wurde das ß zur Darstellung des scharfen S-Lautes verwendet. Im Niedersorbischen war diese alte Schreibweise noch weit bis ins 20. Jahrhundert hinein gebräuchlich. Darstellung in Computersystemen und Ersetzung Im Computerbereich wird das ß oft als Umlaut bezeichnet, da es die gleiche Art von Problemen hervorruft wie die echten Umlaute: Es ist vor allem nicht in ASCII enthalten, dem „kleinsten gemeinsamen Nenner“ der lateinischen Zeichensätze. Daher wird es in verschiedenen Fällen verschieden kodiert. Kodierung und Eingabe Im ASCII-Zeichensatz aus dem Jahr 1963 ist das Zeichen nicht enthalten, weshalb viele ältere Computersysteme es nicht darstellen konnten. Allerdings enthielten bereits die ASCII-Erweiterungen ISO 6937 von 1983 und ISO 8859-1 (auch als Latin-1 bekannt) 1986 das Eszett. Fast alle modernen Computer verwenden den im Jahr 1991 eingeführten Unicode-Standard, womit das Eszett problemlos zu verarbeiten und darzustellen ist. Lediglich einige Programme, die noch auf älteren Zeichensätzen beruhen, können beim Datenaustausch Probleme bereiten. Das ß wird im internationalen Zeichenkodierungsstandard Unicode, im Internet-Dokumentenformat HTML und in UTF-8 folgendermaßen definiert und kodiert; es kann über folgende Tastenkombinationen des Betriebssystems oder des jeweiligen Texteditors eingefügt werden: Auf manchen neueren Windows-Systemen kann das große scharfe S mit + 7838 eingegeben werden. Da nahezu alle modernen Computersysteme und -schriften auf Unicode basieren, kann das Eszett heutzutage theoretisch weltweit dargestellt, verarbeitet, übertragen und archiviert werden. Eine Ersetzung aus technischen Gründen ist deshalb nur noch selten nötig. Tastatur Nur auf der Tastatur nach deutscher Norm liegt die Eszett-Taste in der oberen Tastenreihe zwischen der Taste für die Ziffer Null und der Taste für den Akutakzent. Wie die US-amerikanische Tastatur verfügt auch die schweizerische Tastatur über keine standardisierte Taste für das Eszett. Auf der niederländischen und türkischen Tastatur sowie auf der US-internationalen Tastaturbelegung kann es in Windows allerdings über + eingegeben werden, beim deutschschweizerischen Layout dagegen ist es nur unter Linux (+) und auf einem Mac möglich (+). Das große ß – ẞ – kann mit der Neo-Tastaturbelegung nativ über + eingegeben werden. Ersetzung und ähnliche Zeichen Kann das Zeichen „ß“ nicht dargestellt werden, weil es in der verwendeten Schriftart oder dem Zeichensatz fehlt, so sollte es durch „ss“ ersetzt werden (aus „Straße“ wird „Strasse“). In den (behördlichen) Fernschreiben wurde das „ß“ bis in das frühe 21. Jahrhundert durch „sz“ ersetzt. Dies war unter anderem bei Familiennamen wichtig („Straßer“ wurde im Text zu „Straszer“). Im Fernschreibverkehr und bei Schreibmaschinen ohne ß-Letter wurde das „ß“ durch „:s“ ersetzt, um zwischen Familiennamen wie etwa Strasser, Straszer und Straßer zu unterscheiden. Die Ersetzung durch „β“ (Beta) oder „B“ ist nicht mehr üblich. In der chinesischen Schrift erscheint die Form 阝 als Radikal 163 bzw. Radikal 170 und in Schriftzeichen, die auf diesen aufgebaut sind. Literatur Herbert E. Brekle: Zur handschriftlichen und typographischen Geschichte der Buchstabenligatur ß aus gotisch-deutschen und humanistisch-italienischen Kontexten. In: Peter Amelung, Irmgard Bezzel, Otto Böcher, Aloys Ruppel (Hrsg.): Gutenberg-Jahrbuch. Jg. 76, Mainz 2001, ISBN 3-7755-2001-5, S. 67–76. Max Bollwage: Ist das Eszett ein lateinischer Gastarbeiter? Mutmaßungen eines Typografen. In: Aloys Ruppel, Stephan Füssel, Hans Widmann, Hans J. Koppitz (Hrsg.): Gutenberg-Jahrbuch. Jg. 74, Mainz 1999, ISBN 3-7755-1999-8, S. 35–41. Hansjürgen Bulkowski: Liebe zur Sache. Die Dinge, mit denen wir leben. Kadmos, Berlin 2010, ISBN 978-3-86599-096-9, S. 26 f. Utz Maas: Grundzüge der deutschen Orthographie. Niemeyer, Tübingen 1992, ISBN 3-484-31120-7, S. 310–317. Peter Gallmann: Warum die Schweizer weiterhin kein Eszett schreiben (PDF-Datei; 23 kB). In: Sprachspiegel. 1996, , S. 124–130.Auch in: Gerhard Augst (Hrsg.): u. a.: Zur Neuregelung der deutschen Orthographie. Niemeyer, Tübingen 1997, ISBN 3-484-31179-7. Wolf-Dieter Michel: Die graphische Entwicklung der s-Laute im Deutschen. In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur. 1959, , S. 456–480. Thorwald Poschenrieder: S-Schreibung – Überlieferung oder Reform? In: Hans-Werner Eroms, Horst Haider Munske: Die Rechtschreibreform, Pro und Kontra. Erich Schmidt, Berlin 1997, ISBN 3-503-03786-1. Frauke Rüdebusch: Das ß. In: Sprachdienst 4–5, 2017, S. 243–245. Uta Stötzner: Die Geschichte des versalen Eszetts. In: Das große Eszett.(Signa: Beiträge zur Signographie, Band 9), Denkmalschmiede Höfgen, Grimma 2006, ISBN 3-933629-17-9, S. 21–37. Jan Tschichold: Herkunft und Form des ß in der Fraktur und der Antiqua. In: Schriften 1925–1947. Band 1, Brinkmann & Bose, Berlin 1991, ISBN 3-922660-37-1, S. 242–244. Weblinks Eszett, Umlaute und deren Sortierung (FAQ-Liste des Usenet-Forums de.etc.sprache.deutsch) Wilfried Kürschner: Der Buchstabe ß – Form und Name Eberhard Dilba: Typografie-Lexikon (PDF), Stichwort „Scharfes s“ und „Langes s“ Reinhard Markner: Ironie der Schriftgeschichte Unicode Character 'LATIN SMALL LETTER SHARP S' (U+00DF) Empfehlung des ständigen Ausschusses für Geographische Namen (StAGN) vom 17. September 1999 – zur Anpassung der Rechtschreibung von Toponymen an die reformierten Regeln Über s, ss und ß (Lehrvideo) Duden zu s-Schreibung: s, ss und ß Anmerkungen Einzelnachweise Lateinischer Buchstabe Typografie Währungssymbol
Q9691
102.58979
1290
https://de.wikipedia.org/wiki/Ethik
Ethik
Die Ethik ist jener Teilbereich der Philosophie, der sich mit den Voraussetzungen und der Bewertung menschlichen Handelns befasst. Ihr Gegenstand ist damit die Moral insbesondere hinsichtlich ihrer Begründbarkeit und Reflexion. Cicero übersetzte als erster êthikê téchnē (die ethische Kunst) in den seinerzeit neuen Begriff philosophia moralis (Philosophie der Sitten). In seiner Tradition wird die Ethik auch heute noch als Moralphilosophie bezeichnet. Die Ethik und ihre benachbarten Disziplinen (z. B. Rechts-, Staats- und Sozialphilosophie) werden auch als „praktische Philosophie“ zusammengefasst, da sie sich mit dem menschlichen Handeln befasst. Im Gegensatz dazu steht die „theoretische Philosophie“, zu der als klassische Disziplinen die Logik, die Erkenntnistheorie und die Metaphysik gezählt werden. Ihr entsprechen in der Religionswissenschaft die religionsgeschichtliche Erforschung der Sittlichkeit (Moral) sowie vor allem die kath. Moraltheologie und die ev. theologische Ethik, die wiederum Teilgebiete der christlichen systematischen Theologie sind. Wortherkunft Das deutsche Wort Ethik stammt von „das sittliche (Verständnis)“, von ēthos „Charakter, Sinnesart“ (dagegen ἔθος: Gewohnheit, Sitte, Brauch). Ursprung Bereits die Sophisten (im 5. bis 4. Jahrhundert v. Chr.) vertraten die Auffassung, es sei für ein Vernunftwesen wie den Menschen unangemessen, wenn dessen Handeln ausschließlich von Konventionen und Traditionen geleitet wird. Im Zuge der sokratischen Wende rückte Sokrates (5. Jahrhundert v. Chr.) die Ethik ins Zentrum des philosophischen Denkens. Ethik als Bezeichnung für eine philosophische Disziplin geht auf Aristoteles (4. Jahrhundert v. Chr.) zurück, der damit die wissenschaftliche Beschäftigung mit Gewohnheiten, Sitten und Gebräuchen (ethos) meinte. Er war der Überzeugung, menschliche Praxis sei grundsätzlich einer vernünftigen und theoretisch fundierten Reflexion zugänglich. Ethik war somit für Aristoteles eine philosophische Disziplin, die den gesamten Bereich menschlichen Handelns zum Gegenstand hat und diesen Gegenstand mit philosophischen Mitteln einer normativen Beurteilung unterzieht und zur praktischen Umsetzung der auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse anleitet. Ziele und Fragestellungen Die (allgemeine) Ethik wird heute als die philosophische Disziplin verstanden, die Kriterien für gutes und schlechtes Handeln und für die Bewertung seiner Motive und Folgen aufstellt. Sie ist von ihrer Zielsetzung her eine praktische Wissenschaft. Es geht ihr nicht um ein Wissen um seiner selbst willen (theoria), sondern um eine verantwortbare Praxis. Sie soll dem Menschen Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern. Dabei kann die Ethik allerdings nur allgemeine Prinzipien und Normen guten Handelns oder ethischen Urteilens überhaupt oder Wertvorzugsurteile für bestimmte Typen von Problemsituationen begründen. Die situationsspezifische Anwendung dieser Prinzipien auf neue Situationen und Lebenslagen ist nicht durch sie leistbar, sondern Aufgabe der praktischen Urteilskraft und des geschulten Gewissens. Die drei Fragen nach dem „höchsten Gut“, dem richtigen Handeln in bestimmten Situationen und der Freiheit des Willens stehen im Zentrum. Als philosophische Disziplin bearbeitet die Ethik moralische Fragen auf der Grundlage lebensweltlicher Einstellungen, Wertüberzeugungen und rationaler Argumente. Auch in den jüdischen, christlichen und islamischen Theologien werden ethische Fragen behandelt. In der Theologischen Ethik werden unterschiedliche Voraussetzungen und Vorgehensweisen zugrunde gelegt: Während sogenannte Glaubensethiken religiöse Überzeugungen, einschließlich offenbarungstheologisch vermittelter Traditionen, als Argumentationsgrundlage voraussetzen, werden v. a. seit den 1970er Jahren auch Ansätze vertreten, wonach die Begründung ethischer Normen nur voraussetzt, was unabhängig von spezifischen religiösen oder weltanschaulichen Verortungen rational einsichtig zu machen ist. Beispiele dafür sind die Vorschläge sogenannter „Autonomer Moral“ von Alfons Auer oder Franz Böckle. Abgrenzung Rechtswissenschaft Auch die Rechtswissenschaft fragt danach, wie gehandelt werden soll. Im Unterschied zur Ethik (welche seit Christian Thomasius und Kant von der Rechtslehre unterschieden wird) bezieht sie sich jedoch im Allgemeinen auf eine bestimmte, faktisch geltende Rechtsordnung (positives Recht), deren Normen sie auslegt und anwendet. Wo die Rechtswissenschaft als Rechtsphilosophie, Rechtspolitik oder Gesetzgebungslehre auch die Begründung von Rechtsnormen behandelt, nähert sie sich der Ethik an. Auch das Vernunftrecht zeigt Parallelen zur Ethik. Empirie Mit gesellschaftlichen Normen des Handelns befassen sich auch empirische Wissenschaften wie Soziologie, Ethnologie und Psychologie. Im Unterschied zur normativen Ethik im philosophischen Sinne geht es dort jedoch um die Beschreibung und Erklärung faktisch bestehender ethischer Überzeugungen, Einstellungen und Sanktionsmuster und nicht um deren Rechtfertigung oder Kritik. Beziehungen bestehen also zur deskriptiven Ethik. Theorie der rationalen Entscheidung Auch die Theorie der rationalen Entscheidung beantwortet die Frage: Wie soll ich handeln? Jedoch unterscheidet sie sich von ethischen Fragestellungen dadurch, dass Theorien rationalen Handelns nicht in jedem Falle auch Theorien des moralisch Guten sind. Von ethischen Theorien mit einem allgemeinverbindlichen Anspruch unterscheiden sich Theorien rationaler Entscheidung dadurch, dass nur die Ziele und Interessen eines bestimmten Individuums oder eines kollektiven Subjekts (z. B. eines wirtschaftlichen Unternehmens oder eines Staates) berücksichtigt werden. Disziplinen Metaethik Metaethik stellt die Grundlage der anderen Disziplinen dar und beschäftigt sich mit ihren allgemeingültigen Kriterien und Methoden. Sie analysiert die allgemeinen logischen, semantischen und pragmatischen Strukturen moralischen und ethischen Sprechens und sich v. a. mit der Bedeutung ethischer und verwandter Begriffe, der Verwendung ethischer Begriffe in moralischen Sätzen und der Frage nach der Begründbarkeit von Werturteilen beschäftigt. Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird sie als eigenständige Disziplin betrachtet. Normative Ethik Normative Ethik erarbeitet und untersucht allgemeingültige Normen und Werte sowie deren Begründung. Sie ist der Kern der allgemeinen Ethik. Als Reflexionstheorie der Moral wertet und urteilt sie über das Gute und Richtige. Angewandte Ethik Angewandte Ethik baut auf der normativen Ethik auf. Sie äußert sich als Individual- und Sozialethik sowie in den Bereichsethiken zu spezifischen Lebensbereichen, beispielsweise Medizinethik oder Wirtschaftsethik. Ethikkommissionen, -räte und -institute erarbeiten Normen oder Handlungsempfehlungen für bestimmte Bereiche. Deskriptive Ethik Häufig nicht zum klassischen Kanon der Ethik gerechnet wird die deskriptive Ethik, die sich versteht als empirische Untersuchung, Beschreibung und ursächlichen Erklärung von Normensystem innerhalb einer Gesellschaft, und dabei keine moralischen Urteile fällt. Begründungen normativer Sätze Gründe für und gegen Moral Die Frage, ob man überhaupt moralisch sein soll, wird in Platons Politeia im ersten Kapitel aufgeworfen. In der Moderne wurde der Diskurs um die Frage von Bradley und Prichard eingeleitet. Metaethische Kognitivisten behaupten, erkennen zu können, wie man moralisch handeln solle. Somit stellt sich ihnen die Frage, ob man das überhaupt tun soll nicht mehr, da sie auch gleich mit erkennen, dass man dies tun soll. Metaethische Nonkognitivisten hingegen müssen die Frage, ob man moralisch handeln soll, klären. Die Diskussion wird in der Philosophie zumeist anhand der Frage „Warum soll man moralisch sein?“ geführt. Das Sollen innerhalb der Frage ist dabei kein moralisches Sollen, sondern verweist auf eine Akzeptanz besserer Gründe, z. B. anhand der Theorie der rationalen Entscheidung. Die Antwort auf die Frage hängt also ab vom jeweiligen Verständnis von Vernunft. Die Frage, ob man moralisch sein soll oder nicht, wird beantwortet mit: „Ja“ von allen, die Gründe für Moral anführen, „Nein“ von den Amoralisten, „Das muss jeder für sich selbst entscheiden“ von Dezisionisten. Die Situation des Menschen, der sich zwischen diesen Antworten entscheiden muss, hat ihre klassische Gestaltung in der so genannten Prodikos-Fabel von Herakles am Scheideweg gefunden, die auch von vielen christlichen Autoren rezipiert wurde. Absolute Begründung der Moral Eine bekannte absolute Moralbegründung ist die der Letztbegründung von Karl-Otto Apel. Angenommen jemand lehnt es ab, über Zwecke zu reden, dann sei diese Ablehnung bereits ein Reden über Zwecke. Insofern ist dies ein so genannter performativer Selbstwiderspruch. Moralbegründung aus Sicht der Systemtheorie verzichtet darauf, zu begründen, warum Individuen moralisch handeln sollen. Stattdessen wird dargelegt, warum Moral als Regulierungsfunktion des Kommunikationssystems unentbehrlich ist (s. a. AGIL-Schema). Relative Begründungen der Moral Viele Philosophen behaupten, dass man zwar nicht beweisen kann, dass Amoralismus logisch widersprüchlich ist, dass aber im wirklichen Leben Amoralisten viele Nachteile haben, so dass moralisches Verhalten größere Rentabilität im Sinne der Theorie der rationalen Entscheidung besitzt. Ethik wird mit dieser Form von Moralbegründung zu einer Spezialform von Zweckrationalität. Einer der wichtigsten Vertreter dieser Argumentationslinie ist David Gauthier. Viele Philosophen dieser Richtung berufen sich auf den Grundsatz quid pro quo oder auf Tit for Tat-Strategien. Andere meinen, Amoralisten seien auf Einsamkeit festgelegt, da man ihnen nicht vertrauen könne und auch sie niemandem vertrauen könnten. Daher könnten sie eines der wichtigsten Lebensgüter, soziale Gemeinschaft und Anerkennung, nie erreichen. Nach R. M. Hare können Amoralisten keine moralischen Begriffe gebrauchen und daher nicht von ihren Mitmenschen fordern, sie fair zu behandeln. Die Möglichkeit entsprechender Lügen sah Hare nicht. Hare behauptete zudem, der Aufwand, den Amoralisten treiben müssten, um ihre Überzeugung zu verschleiern, wäre so groß, dass sie sozial immer im Nachteil seien. Amoralisten kritisieren verschiedene Moralbegründungen, indem sie darauf verweisen, dass es in vielen Teilen der Welt relativ stabile Verhältnisse gibt, die üblichen moralischen Vorstellungen widersprechen, z. B. völkerrechtswidrige Kriege um Ressourcen, Sklaverei oder erfolgreiche Mafia-Organisationen. Siehe ethischer Relativismus. Dezisionismus Dezision (von latein. decidere: entscheiden, fallen, abschneiden) bedeutet so viel wie Entscheidung. Der Begriff des Dezisionismus wird oft in pejorativer Bedeutung gebraucht von Metaethischen Kognitivisten gegenüber Philosophen, die nur relative Begründungen der Moral anerkennen, z. B. Hare oder Popper und Hans Albert. Dezisionisten sehen keine Alternative zu Prinzipienentscheidungen, die aus logischen oder pragmatischen Gründen ihrerseits nicht mehr weiter begründet werden können. So behauptete z. B. Henry Sidgwick, der Mensch müsse sich zwischen Utilitarismus und Egoismus entscheiden. Dem Dezisionismus wird von seinen Kritikern ähnlich wie dem metaethischen Nonkognitivismus entgegengehalten, dass auch Entscheidungen wiederum einer Bewertung unterzogen werden könnten: Man entscheide sich nicht für bestimmte ethische Prinzipien, sondern diese würden umgekehrt die Grundlage von Entscheidungen darstellen. Außerdem argumentieren Vertreter des Naturrechts dafür, dass sich die Objektivität der Ethik (also das Sollen) auf die Natur bzw. das Wesen des Seienden und letztlich auf das Sein selbst (z. B. Gott) zurückführen ließen. Ethische Grundbegriffe Moralische Handlungen Im Mittelpunkt deontologischer Ethiken steht der Begriff der Handlung. Sie wird in erster Annäherung definiert als „eine von einer Person verursachte Veränderung des Zustands der Welt“. Die Veränderung kann eine äußere, in Raum und Zeit beobachtbare oder eine innere, mentale Veränderung sein. Auch die Art und Weise, wie man von außen einwirkenden Ereignissen begegnet, kann im weiteren Sinne als Handlung bezeichnet werden. Absicht und Freiwilligkeit Handlungen unterscheiden sich von Ereignissen dadurch, dass wir als ihre Ursache nicht auf ein weiteres Ereignis verweisen, sondern auf die Absicht des Handelnden. Die Absicht (lateinisch ; nicht zu verwechseln mit dem juristischen Absichtsbegriff, dem 1. Grades) ist ein von der Handlung selbst zu unterscheidender Akt. Geplanten Handlungen liegt eine zeitlich vorausgehende Absicht zugrunde. Wir führen die Handlung so aus, wie wir sie uns vorher schon vorgenommen hatten. Der Begriff der Absicht ist von dem der Freiwilligkeit zu unterscheiden. Die Freiwilligkeit ist eine Eigenschaft, die zur Handlung selbst gehört. Der Begriff der Freiwilligkeit ist weiter als der der Absicht; er umfasst auch die spontanen Handlungen, bei denen nicht mehr von einer Absicht im engeren Sinne gesprochen werden kann. Wissen und Willen Eine Handlung ist dann freiwillig, wenn sie mit Wissen und Willen durchgeführt wird. Die Unwissenheit kann dabei allerdings nur dann die Freiwilligkeit einer Handlung aufheben, wenn die handelnde Person sich nach besten Kräften vorher informiert hat, und sie mit dem ihr fehlenden Wissen anders gehandelt hätte. War dem Handelnden eine Kenntnis der Norm oder der Folgen zuzumuten, ist er für ihre Übertretung verantwortlich (ignorantia crassa oder supina). Noch weniger entschuldigt jene Unkenntnis, die absichtlich zum Vermeiden eines Konflikts mit der Norm herbeigeführt wurde (ignorantia affectata), wenn also z. B. bewusst vermieden wird, sich über ein Gesetz zu informieren, um sagen zu können, man hätte von einem bestimmten Verbot nicht gewusst. Das Sprichwort sagt zu Recht: „Unwissenheit schützt vor Strafe nicht“. Auch im deutschen Strafrecht wird diesem Sachverhalt Rechnung getragen. So heißt es z. B. in § 17 StGB: Für die sittliche Bewertung einer Handlung ist außerdem das effektive Wollen wesentlich, die Absicht ihrer Verwirklichung. Das setzt voraus, dass zumindest der Handelnde der Auffassung war, dass ihm eine Verwirklichung seiner Absicht möglich sei, d. h., dass das Ergebnis von seinem Handeln kausal herbeigeführt werden könne. Unterliegt der Handelnde einem äußeren Zwang, hebt dieser die Freiwilligkeit der Handlung im Allgemeinen auf. Handlungsprinzipien Absichten finden ihren Ausdruck in praktischen Grundsätzen. Diese können zunächst einmal in inhaltliche und formale Grundsätze unterschieden werden. Inhaltliche Grundsätze legen konkrete inhaltliche Güter (Leben, Gesundheit, Besitz, Vergnügen, Umwelt etc.) als Bewertungskriterium für das Handeln zugrunde. Sie sind teilweise subjektiv und haben unter Umständen einen dezisionistischen Charakter. In diesen Fällen können sie ihre eigene Vorrangstellung nicht gegenüber anderen, konkurrierenden inhaltlichen Grundsätzen begründen. Formale Grundsätze verzichten auf einen Bezug zu konkreten inhaltlichen Gütern. Das bekannteste Beispiel ist der Kategorische Imperativ Kants. Es lassen sich grundsätzlich drei Ebenen der praktischen Sätze voneinander unterscheiden: ein oberstes Prinzip praktischer Überlegungen (wie z. B. der Kategorische Imperativ) praktische Grundsätze, die sich aus dem obersten Prinzip ableiten (wie z. B. die zehn Gebote) Sätze, die Entscheidungen formulieren, indem sie Maximen auf konkrete Lebenssituationen anwenden Die Ethik ist häufig nur in der Lage, Aussagen zu den ersten beiden Ebenen zu machen. Die Übertragung von praktischen Grundsätzen auf eine konkrete Situation, erfordert das Vermögen der praktischen Urteilskraft. Nur mit seiner Hilfe können eventuell auftretende Zielkonflikte gelöst und die voraussichtlichen Folgen von Entscheidungen abgeschätzt werden. Handlungsfolgen Wesentlich für die ethische Bewertung von Handlungen sind die mit ihnen verbundenen Folgen. Diese werden unterschieden in motivierende und in Kauf genommene Folgen. Motivierende Folgen sind solche, um derentwillen eine Handlung ausgeführt wird. Sie werden vom Handelnden unmittelbar angezielt („Voluntarium in se“). In Kauf genommene Folgen („Voluntarium in causa“) werden zwar nicht unmittelbar angezielt, aber als Nebenwirkung der motivierenden Folgen vorausgesehen und bewusst zugelassen (Prinzip der Doppelwirkung). So unterliegt beispielsweise bewusste Fahrlässigkeit als bedingter Vorsatz (dolus eventualis) der ethischen und rechtlichen Verantwortung: Volltrunkenheit entschuldigt nicht bei einem Verkehrsunfall. Tun und Unterlassen Bereits Thomas von Aquin unterscheidet eine zweifache Kausalität des Willens: die „direkte“ Einwirkung des Willens, in der durch den Willensakt ein bestimmtes Ereignis hervorgerufen wird, und die „indirekte“, in der ein Ereignis dadurch eintritt, dass der Wille untätig bleibt. Tun und Unterlassen unterscheiden sich hierbei nicht hinsichtlich ihrer Freiwilligkeit. Beim Unterlassen verzichtet jemand auf das Eingreifen in einen Prozess, obwohl er die Möglichkeit dazu hätte. Auch das Unterlassen kann daher als Handlung aufgefasst werden und strafbar sein. Die strikte Unterscheidung zwischen diesen beiden Handlungsformen, die z. B. in der medizinischen Ethik eine große Rolle spielt (vgl. aktive und passive Sterbehilfe etc.), erscheint daher vom ethischen Standpunkt aus gesehen als teilweise fragwürdig. Das Ziel menschlichen Handelns Im Mittelpunkt teleologischer Ethiken steht die Frage, was ich mit meiner Handlung letztlich bezwecke, welches Ziel ich mit ihr verfolge. Der Begriff „Ziel“ (finis, telos;) ist hier insbesondere als „letztes Ziel“ oder „Endziel“ zu verstehen, von dem all mein Handeln bestimmt wird. Glück als letztes Ziel In der Tradition wird als letztes Ziel des Menschen häufig das Glück oder die Glückseligkeit (beatitudo) genannt. Der Ausdruck „Glück“ wird dabei in einem mehrdeutigen Sinne gebraucht: zur Bezeichnung eines gelungenen und guten Lebens, dem nichts Wesentliches fehlt („Lebensglück“, eudaimonia) zur Bezeichnung günstiger Lebensumstände („Zufallsglück“, eutychia) zur Bezeichnung des subjektiven Wohlbefindens (Glück als Lust, hedone) Philosophiegeschichtlich konkurrieren die Bestimmungen von Glück als „Lebensglück“ und als subjektives Wohlbefinden miteinander. Für die Eudämonisten (Platon, Aristoteles) ist Glück die Folge der Verwirklichung einer Norm, die als Telos im Wesen des Menschen angelegt ist. Glücklich ist dieser Konzeption zufolge vor allem, wer auf vernünftige Weise tätig ist. Für die Hedonisten (Sophisten, klassische Utilitaristen) gibt es kein zu verwirklichendes Telos des Menschen mehr; es steht keine objektive Norm zur Verfügung, um zu entscheiden, ob jemand glücklich ist. Dies führt zu einer Subjektivierung des Glücksbegriffs. Es obliege allein dem jeweiligen Individuum, zu bewerten, ob es glücklich ist. Glück wird zum Teil auch mit dem Erreichen von Gütern wie Macht, Reichtum, Ruhm etc. gleichgesetzt. Sinn und Ziel Das Wort „Sinn“ bezeichnet grundsätzlich die Qualität von etwas, das dieses verstehbar macht. Wir verstehen etwas dadurch, indem wir erkennen, worauf es „hingeordnet“ ist, wozu es dient. Die Frage nach dem Sinn steht also in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach dem Ziel oder Zweck von etwas. Auch der Sinn einer Handlung oder gar des ganzen Lebens kann nur beantwortet werden, wenn die Frage nach seinem Ziel geklärt ist. Eine menschliche Handlung bzw. ein gesamtes Leben ist dann sinnvoll, wenn es auf dieses Ziel hin ausgerichtet ist. Das Gute Der Begriff „gut“ „Gut“ gehört wie der Begriff „seiend“ zu den ersten und daher nicht mehr definierbaren Begriffen. Es wird zwischen einem adjektivischen und einem substantivischen Gebrauch unterschieden. Als Adjektiv bezeichnet das Wort „gut“ generell die Hinordnung eines „Gegenstandes“ auf eine bestimmte Funktion oder einen bestimmten Zweck. So spricht man z. B. von einem „guten Messer“, wenn es seine im Prädikator „Messer“ ausgedrückte Funktion erfüllen – also z. B. gut schneiden kann. Analog spricht man von einem „guten Arzt“, wenn er in der Lage ist, seine Patienten zu heilen und Krankheiten zu bekämpfen. Ein „guter Mensch“ ist demnach jemand, der in seinem Leben auf das hin ausgerichtet ist, was das Menschsein ausmacht, also dem menschlichen Wesen bzw. seiner Natur entspricht. Als Substantiv bezeichnet das Wort „das Gut“ etwas, auf das hin wir unser Handeln ausrichten. Wir gebrauchen es normalerweise in dieser Weise, um „eine unter bestimmten Bedingungen vollzogene Wahl als richtig oder gerechtfertigt zu beurteilen“. So kann beispielsweise eine Aussage wie „Die Gesundheit ist ein Gut“ als Rechtfertigung für die Wahl einer bestimmten Lebens- und Ernährungsweise dienen. In der philosophischen Tradition war man der Auffassung, dass prinzipiell jedes Seiende – unter einer gewissen Rücksicht – Ziel des Strebens sein könne („omne ens est bonum“). Daher wurde die „Gutheit“ des Seienden zu den Transzendentalien gerechnet. Gemäß der Analyse von Richard Mervyn Hare werden wertende Wörter wie „gut“ oder „schlecht“ dazu verwendet, in Entscheidungssituationen Handeln anzuleiten bzw. Empfehlungen zu geben. Die Wörter „gut“ oder „schlecht“ haben demnach keine beschreibende (deskriptive), sondern eine vorschreibende (präskriptive) Funktion. Dies kann an einer außermoralischen Verwendung des Wortes „gut“ verdeutlicht werden. Wenn ein Verkäufer zum Kunden sagt: „Dies ist ein guter Wein“, dann empfiehlt er den Kauf dieses Weines, er beschreibt damit jedoch keine wahrnehmbare Eigenschaft des Weines. Insofern es jedoch sozial verbreitete Bewertungsstandards für Weine gibt (er darf nicht nach Essig schmecken, man darf davon keine Kopfschmerzen bekommen etc.), so bedeutet die Bewertung des Weines als „gut“, dass der Wein diese Standards erfüllt und dass er somit auch bestimmte empirische Eigenschaften besitzt. Die Bewertungskriterien, die an eine Sache angelegt werden, können je nach dem Verwendungszweck variieren. Ein herber Wein mag als Tafelwein gut, für sich selbst getrunken dagegen eher schlecht sein. Der Verwendungszweck einer Sache ist keine feststehende Eigenschaft der Sache selbst, sondern beruht auf menschlicher Setzung. Eine Sache ist „gut“ – immer bezogen auf bestimmte Kriterien. Wenn der Verkäufer sagt: „Dies ist ein sehr guter Tafelwein“ dann ist er so, wie er gemäß den üblichen Kriterien für Tafelwein sein soll. Wenn das Wort „gut“ in moralischen Zusammenhängen gebraucht wird („Dies war eine gute Tat“), so empfiehlt man die Tat und drückt aus, dass sie so war, wie sie sein soll. Man beschreibt damit jedoch nicht die Tat. Wird auf allgemein anerkannte moralische Kriterien Bezug genommen, drückt man damit zugleich aus, dass die Tat bestimmte empirische Eigenschaften besitzt, z. B. eine Zurückstellung des Eigeninteresses zugunsten überwiegender Interessen von Mitmenschen. Das höchste Gut Als das höchste Gut (summum bonum) wird das bezeichnet, was nicht nur unter einer bestimmten Rücksicht (für den Menschen) gut ist, sondern schlechthin, da es dem Menschen als Menschen ohne Einschränkung entspricht. Es ist identisch mit dem „unbedingt Gesollten“. Seine inhaltliche Bestimmung hängt ab von der jeweiligen Sicht der Natur des Menschen. In der Tradition wurden dabei die unterschiedlichsten Lösungsvorschläge präsentiert: das Glück (Eudämonismus) die Lust (Hedonismus, klassischer Utilitarismus) Macht (Machiavelli) Einheit mit Gott bzw. Gott selbst (christliche Philosophie) Erwachen (bodhi) zu Weisheit und Mitgefühl (Buddhismus) Bedürfnisbefriedigung (Hobbes) Einheit von Tugend und Glück (Kant) Freiheit (Sartre) Werte Der Begriff „Wert“ stammte ursprünglich aus der Politischen Ökonomie, in der Adam Smith, David Ricardo und später Karl Marx unter anderem die Unterscheidung von Gebrauchs- und Tauschwert untersuchten. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde „Wert“ ein philosophischer Terminus, der im Rahmen der Wertphilosophie (Max Scheler u. a.) eine zentrale Bedeutung einnahm. Dort führte man ihn als Gegenbegriff zur Kantischen Pflichtethik ein, in der Annahme, dass Werten vor allen Vernunftüberlegungen eine „objektive Gültigkeit“ zukommen würde. In der Alltagssprache taucht der Begriff auch in jüngster Zeit wieder verstärkt auf, gerade wenn von „Grundwerten“, einem „Wertewandel“ oder einer „neuen Wertedebatte“ die Rede ist. Der Wertbegriff weist große Ähnlichkeiten mit dem Begriff des Guten auf. Er wird wie dieser grundsätzlich in einer subjektiven und einer objektiven Variante gebraucht: als „objektiver Wert“ bezeichnet er den „Wert“ von bestimmten Gütern für den Menschen – wie z. B. den Wert des menschlichen Lebens, der Gesundheit etc. Dies entspricht der Bedeutung von „bonum physicum“ („physisches Gut“). als „subjektive Werthaltung“ bezeichnet er das, was mir wertvoll ist, meine „Wertvorstellungen“ – wie Treue, Gerechtigkeit etc. Dies entspricht der Bedeutung von „bonum morale“ („sittliches Gut“). Im Vergleich zum Begriff des Guten kommt dem Wertbegriff allerdings eine stärkere gesellschaftliche Bedingtheit zu. So spricht man von einem „Wertewandel“, wenn man ausdrücken will, dass sich bestimmte, in einer Gesellschaft allgemein akzeptierte Handlungsnormen im Verlauf der Geschichte verändert haben. Damit meint man aber in der Regel nicht, dass das, was früher für gut gehalten wurde, nun „tatsächlich“ nicht mehr gut sei, sondern nur, dass sich das allgemeine Urteil darüber geändert habe. Tugend Die richtige Abwägung ethischer Güter und ihre Durchsetzung setzt Tugend voraus. In ihrer klassischen Definition formuliert sie Aristoteles als jene feste Grundhaltung, von der aus [der Handelnde] tüchtig wird und die ihm eigentümliche Leistung in vollkommener Weise zustande bringt (NE 1106a). Die Leistung der ethischen Tugenden besteht vor allem darin, im Menschen eine Einheit von sinnlichem Strebevermögen und sittlicher Erkenntnis zu bewirken. Ein Mensch gilt erst dann als „gut“, wenn er zur inneren Einheit mit sich selbst gekommen ist und das als richtig Erkannte auch affektiv voll bejaht. Dies ist nach Aristoteles nur durch eine Integration der Gefühle durch die ethischen Tugenden möglich. Ungeordnete Gefühle verfälschen das sittliche Urteil. Das Ziel der Einheit von Vernunft und Gefühl führt über eine bloße Ethik der richtigen Entscheidung hinaus. Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern auch wer wir sind. Tugend setzt neben Erkenntnis eine Gewöhnung voraus, die durch Erziehung und soziale Praxis erreicht wird. Wir werden gerecht, mutig etc., indem wir uns in Situationen begeben, wo wir uns entsprechend verhalten können. Die wichtigste Rolle kommt dabei der Tugend der Klugheit (phronesis) zu. Ihr obliegt es, die rechte „Mitte“ zwischen den Extremen zu finden und sich für die optimale Lösung in der konkreten Situation zu entscheiden. Sollen Der Begriff „sollen“ ist ein Grundbegriff deontologischer Ethikansätze. Er bezieht sich – als Imperativ – auf eine Handlung, mit der ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Dabei müssen folgende Bedingungen erfüllt sein: das vorgegebene Ziel kann verfehlt werden das vorgegebene Ziel steht nicht in Konkurrenz zu anderen, übergeordneten Zielen das vorgegebene Ziel kann prinzipiell erreicht werden („Jedes Sollen impliziert ein Können“) Sprachanalytisch lässt sich das Sollen mit Hilfe der sogenannten deontischen Prädikatoren erklären. Diese beziehen sich auf die sittliche Verbindlichkeit von Handlungen. Folgende Varianten sind dabei zu unterscheiden: moralisch möglich, moralisch notwendig, moralisch unmöglich. Moralisch mögliche Handlungen sind sittlich erlaubt, d. h. man darf so handeln. Moralisch notwendige Handlungen sind sittlich geboten. Hier spricht man davon, dass wir etwas tun sollen bzw. die Pflicht haben, etwas zu tun. Moralisch unmögliche Handlungen sind sittlich verbotene Handlungen, die wir nicht ausführen dürfen; siehe auch Sünde. Das Verhältnis zum Guten Die Begriffe „gut“ und „gesollt“ sind zwar eng miteinander verwandt aber nicht deckungsgleich. So können wir in Situationen stehen, in denen wir nur zwischen schlechten Alternativen wählen können. Hier ist es gesollt, dass wir uns für das „geringere Übel“ entscheiden. Umgekehrt ist nicht alles Gute auch gesollt. Das kann z. B. der Fall sein, wenn das Erreichen eines Gutes ein anderes Gut ausschließt. Hier muss eine Güterabwägung erfolgen, die zum Verzicht eines Gutes führt. Gerechtigkeit Der Begriff der Gerechtigkeit ist seit der intensiven Diskussion um die „Theorie der Gerechtigkeit“ von John Rawls und vor allem seit der aktuellen politischen Debatte um die Aufgaben des Sozialstaates (Betonung der Chancen- und Leistungsgerechtigkeit gegenüber der Verteilungsgerechtigkeit) wieder stark ins Blickfeld geraten. „Gerecht“ wird – wie der Begriff „gut“ – in vielerlei Bedeutungen gebraucht. Es werden Handlungen, Haltungen, Personen, Verhältnisse, politische Institutionen und zuweilen auch Affekte (der „gerechte Zorn“) als gerecht bezeichnet. Grundsätzlich kann zwischen einem „subjektiven“ und einem „objektiven“ Gebrauch unterschieden werden, wobei beide Varianten aufeinander bezogen sind. Die subjektive oder besser personale Gerechtigkeit bezieht sich auf das Verhalten oder die ethische Grundhaltung einer Einzelperson. Eine Person kann gerecht handeln ohne gerecht zu sein und umgekehrt. Damit im Zusammenhang steht die kantische Unterscheidung zwischen Legalität und Moralität. Legale Handlungen befinden sind nach außen hin betrachtet in Übereinstimmung mit dem Sittengesetz, geschehen aber nicht ausschließlich aufgrund moralischer Beweggründe, sondern z. B. auch aus Angst, Opportunismus etc. Bei moralischen Handlungen dagegen stimmen Handlung und Motiv miteinander überein. In diesem Sinne wird Gerechtigkeit als eine der vier Kardinaltugenden bezeichnet. Die objektive oder institutionelle Gerechtigkeit bezieht sich auf die Bereiche Recht und Staat. Hier geht es immer um Pflichten innerhalb einer Gemeinschaft, die das Gleichheitsprinzip berühren. Es ist grundsätzlich zu unterscheiden zwischen der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitita commutativa) und Verteilungsgerechtigkeit (iustitita distributiva). Bei der ausgleichenden Gerechtigkeit tritt der Wert einer Ware oder Leistung in den Vordergrund. Bei der Verteilungsgerechtigkeit geht es um den Wert der beteiligten Personen. Die Gerechtigkeit der Einzelpersonen und der Institutionen sind in einem engen Zusammenhang zueinander zu sehen. Ohne gerechte Bürger werden keine gerechten Institutionen geschaffen oder aufrechterhalten werden können. Ungerechte Institutionen erschweren andererseits die Entfaltung der Individualtugend der Gerechtigkeit. Das Anliegen der Ethik beschränkt sich nicht auf das Thema „Gerechtigkeit“. Zu den Tugenden gehören noch diejenigen, die man vor allem sich selbst gegenüber hat (Klugheit, Mäßigung, Tapferkeit). Zu den ethischen Pflichten gegenüber anderen zählt noch die Pflicht des Wohltuns (beneficientia), die über die Gerechtigkeit hinausgeht und ihre Wurzel letztlich in der Liebe hat. Während der Gerechtigkeit das Gleichheitsprinzip zugrunde liegt, ist dies beim Wohltun die Notlage oder Bedürftigkeit des anderen. Diese Unterscheidung entspricht der zwischen „iustitia“ und „caritas“ (Thomas von Aquin), Rechts- und Tugendpflichten (Kant) bzw. in der Gegenwart der zwischen „duties of justice“ und „duties of charity“ (Philippa Foot). Ethische Theorien Klassen ethischer oder moralphilosophischer Theorien lassen sich danach unterscheiden, welche Kriterien sie für die Bestimmung des moralisch Guten zugrunde legen. Das moralisch Gute kann bestimmt werden durch: die Folgen (Teleologische Ethiken, Konsequentialismus); die Verhaltensdispositionen, Charaktereigenschaften und „Tugenden“ (Tugendethiken); die Absichten des Handelnden (Gesinnungsethiken); objektive moralische Tatsachen, etwa objektive moralische Güter oder Handlungsbewertungen betreffend (Deontologische Ethiken); die Optimierung die Interessen der Betroffenen (Präferenz-Utilitaristische Ethiken), das Glück (Eudämonie) oder die Wohlfahrt. Dabei werden unterschiedlichste Kombinationen und feinere moraltheoretische Bestimmungen vertreten. Teleologische oder deontologische Ethik Die verschiedenen Ethikansätze werden traditionell prinzipiell danach unterschieden, ob sie ihren Schwerpunkt auf die Handlung selbst (deontologische Ethikansätze) oder auf die Handlungsfolgen (teleologische Ethikansätze) legen. Die Unterscheidung geht zurück auf C. D. Broad und wurde bekannt durch William K. Frankena. In dieselbe Richtung geht auch die Aufteilung Max Webers in Gesinnungs- und Verantwortungsethiken, wobei diese von ihm als Polemik gegenüber Gesinnungsethiken verstanden wurde. Teleologische Ethiken Das griechische Wort „telos“ bedeutet so viel wie Vollendung, Erfüllung, Zweck oder Ziel. Unter teleologischen Ethiken versteht man daher solche Theorieansätze, die ihr Hauptaugenmerk auf bestimmte Zwecke oder Ziele richten. In ihnen wird die Forderung erhoben, Handlungen sollten ein Ziel anstreben, das in einem umfassenderen Verständnis gut ist. Der Inhalt dieses Zieles wird von den verschiedenen Richtungen auf recht unterschiedliche Art und Weise bestimmt. Teleologische Ethiken geben valuativen Sätzen einen Vorrang gegenüber normativen Sätzen. Für sie stehen Güter und Werte im Vordergrund. Die menschlichen Handlungen sind insbesondere insofern von Interesse, als sie hinderlich oder förderlich zum Erreichen dieser Güter und Werte sein können. Eine Handlung ist dann auszuführen und nur dann, wenn sie oder die Regel, unter die sie fällt, ein größeres Überwiegen des Guten über das Schlechte herbeiführt, vermutlich herbeiführen wird oder herbeiführen sollte als jede erreichbare Alternative (Frankena). Innerhalb teleologischer Ethikansätze wird wiederum zwischen „onto-teleologischen“ und „konsequentialistisch-teleologischen“ Ansätzen unterschieden. In onto-teleologischen Ansätzen – klassisch vertreten durch Aristoteles – wird davon ausgegangen, dass das zu erstrebende Gut in gewisser Weise dem Menschen selbst als Teil seiner Natur innewohne. Es wird gefordert, dass der Mensch so handeln und leben solle, wie es seiner Wesensnatur entspricht, um so seine artspezifischen Anlagen auf bestmögliche Weise zu vervollkommnen. In konsequentialistisch-teleologischen Ansätzen hingegen wird nicht mehr von einer letzten vorgegebenen Zweckhaftigkeit des menschlichen Daseins ausgegangen. Das zu erstrebende Ziel wird daher durch einen außerhalb des handelnden Subjekts liegenden Nutzen bestimmt. Dieser Ansatz wird bereits in der Antike (Epikur) und später in seiner typischen Form durch den Utilitarismus vertreten. Deontologische Ethiken Das griechische Wort to deon bedeutet „das Schickliche, die Pflicht“. Deontologische Ethiken kann man daher mit Sollensethiken gleichsetzen. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass bei ihnen den Handlungsfolgen nicht dieselbe Bedeutung zukommt wie in teleologischen Ethiken. Innerhalb der deontologischen Ethiken wird häufig zwischen aktdeontologischen (z. B. Jean-Paul Sartre) und regeldeontologischen Konzeptionen (z. B. Immanuel Kant) unterschieden. Während die Regeldeontologie allgemeine Handlungstypen als verboten, erlaubt oder geboten ausweist (vgl. z. B. das Lügenverbot oder die Pflicht, Versprechen zu halten), bezieht sich den aktdeontologischen Theorien zufolge das deontologische Moralurteil unmittelbar auf spezifische Handlungsweisen in jeweils bestimmten Handlungssituationen. In deontologischen Ethiken haben normative Sätze eine Vorrangstellung gegenüber valuativen Sätzen. Für sie bilden Gebote, Verbote und Erlaubnisse die Grundbegriffe. Es rücken die menschlichen Handlungen in den Vordergrund, da nur sie gegen eine Norm verstoßen können. Robert Spaemann charakterisiert sie als moralische Konzepte, […] für welche bestimmte Handlungstypen ohne Beachtung der weiteren Umstände immer verwerflich sind, also z. B. die absichtliche direkte Tötung eines unschuldigen Menschen, die Folter oder der außereheliche Beischlaf eines verheirateten Menschen. Kritik an der Unterscheidung Die Unterscheidung zwischen teleologischen und deontologischen Ethiken wird von einigen Kritikern als fragwürdig bezeichnet. In der Praxis sind auch selten Ansätze zu finden, die eindeutig einer der beiden Richtungen zugeordnet werden könnten. Einer strikten deontologischen Ethik müsste es gelingen, Handlungen aufzuzeigen, die „in sich“, völlig losgelöst von ihren Folgen, als unsittlich und „in sich schlecht“ zu bezeichnen wären. Diese wären dann „unter allen Umständen“ zu tun oder zu unterlassen gemäß dem Spruch Fiat iustitia et pereat mundus („Gerechtigkeit geschehe, und sollte die Welt darüber zugrunde gehen“, Ferdinand I. von Habsburg). Bekannte Beispiele solcher Handlungen sind die „Tötung Unschuldiger“ oder die nach Kant unzulässige Lüge. In den Augen der Kritiker liegt in diesen Fällen häufig eine „petitio principii“ vor. Wenn z. B. die Tötung Unschuldiger als Mord und dieser wiederum als unsittliche Handlung definiert wird, könne sie natürlich in jedem Fall als „in sich schlecht“ bezeichnet werden. Das Gleiche gelte für die Lüge, wenn sie als unerlaubtes Verfälschen der Wahrheit bezeichnet wird. Gerade in der Analyse ethischer Dilemmasituationen, in denen nur die Wahl zwischen mehreren Übeln möglich ist, zeige sich, dass es kaum möglich sein dürfte, bestimmte Handlungen unter allen Umständen als „sittlich schlecht“ zu bezeichnen. Nach einer strikten deontologischen Ethik wäre die „Wahl des kleineren Übels“ nicht möglich. An strikt teleologisch argumentierenden Ethikansätzen wird kritisiert, dass sie das ethisch Gesollte von außerethischen Zwecken abhängig machen. Damit bleibe die Frage unbeantwortet, weshalb wir diese Zwecke verfolgen sollen. Eine Güterabwägung werde damit unmöglich gemacht, da die Frage, was ein oder das bessere „Gut“ ist, nur geklärt werden könne, wenn vorher allgemeine Handlungsprinzipien definiert wurden. In vielen teleologischen Ansätzen würden diese Handlungsprinzipien auch einfach stillschweigend vorausgesetzt, wie z. B. im klassischen Utilitarismus, für den Lustgewinnung und Unlustvermeidung die Leitprinzipien jeglicher Folgenabschätzung darstellen. Wollen und Sollen in Ansätzen der Ethik Ethische Positionen lassen sich auch danach unterscheiden, wie sich das Gesollte aus einem bestimmten Wollen ergibt. Die aufgelisteten Positionen liegen auf unterschiedlichen logischen Ebenen und schließen sich deshalb auch nicht logisch aus. So ist z. B. die Verbindung einer religiösen Position mit einer intuitionistischen Position möglich. Denkbar ist auch eine Verbindung der konsenstheoretischen Position mit einer utilitaristischen Position, wenn man annimmt, dass sich ein Konsens über die richtige Norm nur dann herstellen lässt, wenn dabei der Nutzen (das Wohl) jedes Individuums in gleicher Weise berücksichtigt wird. Außerdem ist zu beachten: Einige dieser Ansätze haben ausdrücklich nicht den Anspruch, umfassende ethische Konzepte zu sein, sondern z. B. nur Konzepte für die Beurteilung, ob eine Gesellschaft in politisch-ökonomischer Hinsicht gerecht eingerichtet ist; z. B. bei John Rawls, im Unterschied zu umfassenderen Ansätzen, die auch Fragen privater, individueller Ethik betreffen – etwa, ob es eine moralische Pflicht gibt, zu lügen, wenn genau dies notwendig ist, um ein Menschenleben zu retten (und wenn ohne diese Lüge niemand sonst stattdessen gerettet würde). Auch z. B. Habermas beantwortet diese Frage nicht „inhaltlich“, aber sein Konzept beinhaltet den Bereich auch solcher Fragen, indem es „formal“ postuliert, richtig sei, was in dieser Frage alle, die an einem zwanglosen und zugleich vernünftigen Diskurs dazu teilnehmen würden, als verbindlich für alle dazu herausfinden und akzeptieren würden. Inhaltliche Richtigkeit und formale Verbindlichkeit von Normen Wenn man fragt, warum Individuum A eine bestimmte Handlungsnorm N befolgen soll, so gibt es zwei Arten von Antworten. Die eine Art von Antworten bezieht sich auf eine Institution oder ein Verfahren, wodurch die Norm gesetzt wurde. Beispiele hierfür sind: A soll N befolgen, weil … … A dies versprochen hat, … der Verstorbene dies in seinem Testament so festgelegt hat, … das geltende Recht dies vorschreibt, … der Eigentümer es so will, … es mehrheitlich so beschlossen wurde etc. Die andere Art von Antworten bezieht sich auf die inhaltliche Beschaffenheit der Norm. Beispiele für diese Art von Antworten sind: A soll N befolgen, weil … … N gerecht ist, … N für alle das Beste ist, … die Befolgung von N zum größten Wohl aller führt, … N der Menschenwürde entspricht etc. Offensichtlich liegen diese Begründungen auf zwei verschiedenen Ebenen, denn man kann ohne logischen Widerspruch sagen: „Ich halte den Beschluss der Parlamentsmehrheit zwar für inhaltlich falsch, aber dennoch ist er für mich verbindlich. Als Demokrat respektiere ich die Beschlüsse der Mehrheit.“ Man kann die ethischen Theorien nun danach unterscheiden, wie sie mit dem Spannungsverhältnis zwischen der Ebene der verfahrensmäßigen Setzung von verbindlichen Normen und der Ebene der argumentativen Bestimmung von richtigen Normen umgehen. Auf der einen Seite stehen ganz außen die Dezisionisten. Für sie ist nur die verbindliche Setzung von Normen bedeutsam. Sie bestreiten, dass man in Bezug auf Normen überhaupt von inhaltlicher Richtigkeit und von einer Erkenntnis der richtigen Norm sprechen kann. Das Hauptproblem der Dezisionisten ist, dass es für sie keine Berechtigung für einen Widerstand gegen die gesetzten Normen geben kann, denn „verbindlich ist verbindlich“. Außerdem können Dezisionisten nicht begründen, warum man das eine Normsetzungsverfahren irgendeinem anderen Verfahren vorziehen soll. Auf der anderen Seite stehen ganz außen die ethischen Kognitivisten. Für sie ist das Problem ethischen Handelns allein ein Erkenntnisproblem, das man durch die Gewinnung relevanter Informationen und deren Auswertung nach geeigneten Kriterien lösen kann. Eine Legitimation von Normen durch Verfahren ist für sie nicht möglich. Das Hauptproblem der Kognitivisten ist, dass es auch beim wissenschaftlichen Meinungsstreit oft nicht zu definitiven Erkenntnissen kommt, die als Grundlage der sozialen Koordination dienen könnten. Es werden deshalb zusätzlich verbindliche und sanktionierte Normen benötigt, die für jedes Individuum das Handeln der anderen berechenbar macht. Erkenntnistheoretische und metaphysische Probleme der Ethik Sein und Sollen Teleologische Ethiken sind in der Regel Güter-Ethiken; sie bezeichnen bestimmte Güter (z. B. „Glück“ oder „Lust“) als für den Menschen gut und damit erstrebenswert. Schon David Hume hat den Einwand erhoben, dass der Übergang von Seins- zu Sollensaussagen nicht legitim sei („Humes Gesetz“). Unter dem Stichwort „Naturalistischer Fehlschluss“ hat George Edward Moore damit eng verwandte Fragen aufgeworfen, die aber genau genommen nicht dieselben sind. Hume kritisiert an den ihm bekannten Moralsystemen, Für Hume sind logische Schlussfolgerungen von dem, was ist, auf das, was sein soll, unzulässig, denn durch logische Umformungen könne aus Ist-Sätzen kein völlig neues Bedeutungselement wie das Sollen hergeleitet werden. Wie später die Positivisten betont haben, muss erkenntnistheoretisch zwischen Ist-Sätzen und Soll-Sätzen wegen ihres unterschiedlichen Verhältnisses zur Sinneswahrnehmung differenziert werden. Während der Satz „Peter ist um 14 Uhr am Bahnhof gewesen“ durch intersubjektiv übereinstimmende Beobachtungen überprüfbar, also verifizierbar oder falsifizierbar ist, lässt sich der Satz „Peter soll um 14 Uhr am Bahnhof sein“ mit den Mitteln von Beobachtung und Logik allein nicht begründen oder widerlegen. Die erkenntnistheoretische Unterscheidung zwischen Sein und Sollen liegt den modernen Erfahrungswissenschaften zugrunde. Wer diese Unterscheidung nicht akzeptiert, der muss entweder ein Sein postulieren, das nicht direkt oder indirekt wahrnehmbar ist, oder er muss das Gesollte für sinnlich wahrnehmbar halten. Beiden Positionen mangelt es bisher an einer intersubjektiven Nachprüfbarkeit. Die vermeintliche Herleitung ethischer Normen aus Aussagen über das Seiende wird oft nur durch die unbemerkte Ausnutzung der normativ-empirischen Doppeldeutigkeit von Begriffen wie „Wesen“, „Natur“, „Bestimmung“, „Funktion“, „Zweck“, „Sinn“ oder „Ziel“ erreicht. So bezeichnet das Wort „Ziel“ einmal das, was ein Mensch tatsächlich anstrebt („Sein Ziel ist das Diplom“). Das Wort kann jedoch auch das bezeichnen, was ein Mensch anstreben sollte („Wer nur am Materiellen ausgerichtet ist, der verfehlt das wahre Ziel des menschlichen Daseins“). Die unbemerkte empirisch-normative Doppeldeutigkeit bestimmter Begriffe führt dann zu logischen Fehlschlüssen wie: „Das Wesen der Sexualität ist die Fortpflanzung. Also ist Empfängnisverhütung nicht erlaubt, denn sie entspricht nicht dem Wesen der Sexualität.“ Aus der logischen Unterscheidung von Sein und Sollen folgt jedoch keineswegs, dass damit eine auf Vernunft gegründete Ethik unmöglich ist, wie dies sowohl von Vertretern des logischen Empirismus als auch des Idealismus geäußert wird. Zwar ließe sich allein auf Empirie und Logik keine Ethik gründen, aber daraus folgt noch nicht, dass es nicht andere allgemein nachvollziehbare Kriterien für die Gültigkeit ethischer Normen gibt. Ein aussichtsreiches Beispiel für eine nachpositivistische Ethik ist die am Kriterium des zwangfreien Konsenses orientierte Diskursethik. Mit der Feststellung, dass das Gesollte nicht aus dem Seienden logisch ableitbar ist, wird eine Begründung von Normen noch nicht aussichtslos. Denn neben den Seinsaussagen und den normativen Sätzen gibt es Willensäußerungen. Die Willensäußerung einer Person: „Ich will in der nächsten Stunde von niemandem gestört werden“ beinhaltet die Norm: „Niemand soll mich in der nächsten Stunde stören“. Die Aufgabe der Ethik ist es, allgemeingültige Willensinhalte bzw. Normen zu bestimmen und nachvollziehbar zu begründen. Die logische Unterscheidung zwischen Ist-Sätzen und Soll-Sätzen wird vor allem von Vertretern idealistischer Positionen als eine unzulässige Trennung von Sein und Sollen angesehen und es wird eingewandt, dass ihr ein verkürzter Seinsbegriff zugrunde liege. So argumentiert Vittorio Hösle, das Sollen könne nur vom realen, empirischen Sein strikt abgegrenzt werden, „... ein ideales Sein, das nicht vom Menschen gesetzt ist, wird dem Sollen damit ebenso wenig abgesprochen wie eine mögliche Prinzipiierungsfunktion gegenüber dem empirischen Sein“. Es könne gerade als Aufgabe des Menschen angesehen werden, „damit fertig zu werden, dass das Sein nicht so ist, wie es sein soll“. Das Gesollte solle eben sein und sei als solches bereits Prinzip des Seins: Die Möglichkeit einer teleologischen Ethik scheint mit der logischen Unterscheidung von Seins- und Sollens-Aussagen grundsätzlich in Frage gestellt. Aus Sicht der klassischen Position des Realismus bezüglich der Ethik, insbesondere des Naturrechts, ist es aber gerade das Sein, aus dem das Sollen abgeleitet werden muss, da es (außer dem Nichts) zum Sein keine Alternative gibt. Weil das Gute das Seinsgerechte, also das dem jeweiligen Seienden gerechte bzw. entsprechende ist, muss demnach das Wesen des Seins zunächst erkannt und aus ihm die Forderung des Sollens (ihm gegenüber) logisch abgeleitet werden. Das Problem des Bösen Trotz der teilweise apokalyptischen geschichtlichen Ereignisse des 20. Jahrhunderts wird der Begriff „böse“ in der Umgangssprache nur noch selten gebraucht. Stattdessen werden meist die Begriffe „schlecht“ („ein schlechter Mensch“) oder „falsch“ („die Handlung war falsch“) verwendet. Das Wort „böse“ gilt im gegenwärtigen Bewusstsein generell als metaphysikverdächtig und aufgrund der allgemeinen Dominanz des naturwissenschaftlichen Denkens als überholt. In der philosophischen Tradition wird das Böse als eine Form des Übels betrachtet. Klassisch geworden ist die Unterscheidung von Leibniz zwischen einem metaphysischen (malum metaphysicum), einem physischen (malum physicum) und einem moralischen Übel (malum morale). Das metaphysische Übel besteht in der Unvollkommenheit alles Seienden, das physische Übel in Schmerz und Leid. Diese Übel sind Widrigkeiten, die ihren Ursprung in der Natur haben. Sie sind nicht „böse“, da sie nicht das Ergebnis des (menschlichen oder allgemeiner gesagt geistigen) Willens sind. Das moralische Übel oder das Böse hingegen besteht in der Nicht-Übereinstimmung einer Handlung mit dem Sittengesetz bzw. Naturrecht. Es kann, wie Kant betont, nur „die Handlungsart, die Maxime des Willens und mithin die handelnde Person selbst“ böse sein. Das Böse ist also als Leistung oder besser Fehlleistung des Subjekts zu verstehen. Reduktionistische Erklärungsversuche Die Verhaltensforschung führt das Böse auf die allgemeine „Tatsache“ der Aggression zurück. Diese sei einfachhin ein Bestandteil der menschlichen Natur und als solcher moralisch irrelevant. Daher spricht Konrad Lorenz auch vom „sogenannten Bösen“. Dieser Erklärung wird von Kritikern eine reduktionistische Betrachtungsweise vorgeworfen. Sie übersehe, dass dem Menschen auf der Grundlage der Freiheit die Möglichkeit gegeben ist, zu seiner eigenen Natur Stellung zu nehmen. In der Philosophie stellte sich bereits Platon die Frage, wie das Böse überhaupt möglich sei. Das Böse werde nur getan, weil jemand im irrtümlichen Glauben annimmt, er (oder jemand) habe einen Nutzen davon. Somit wolle er aber den mit dem Bösen verbundenen Nutzen. Das Böse um seiner selbst willen könne niemand vernünftigerweise wollen: Nicht-reduktionistische Erklärungsversuche Dieses in der Antike noch weit verbreitete Verständnis, das Böse ließe sich durch die Vernunft überwinden, wird allerdings durch die geschichtlichen Erfahrungen, insbesondere die des 20. Jahrhunderts in Frage gestellt. Diese lehren in den Augen vieler Philosophen der Gegenwart, dass der Mensch durchaus im Stande sei, das Böse auch um seiner selbst willen zu wollen. Als Motiv für das Böse kann zunächst einmal der Egoismus ausgemacht werden. Er äußert sich in vielen Spielarten. In seiner harmlosen Variante zeigt er sich im Ideal einer selbstbezogenen Bedürfnisbefriedigung. In dieser Form stellt er letztlich auch die „Vertragsgrundlage“ des Utilitarismus dar, der nichts anderes als einen Interessensausgleich zwischen den Individuen schaffen möchte. Dieser Aspekt trifft – wie die geschichtliche Erfahrung zeigt – noch nicht den eigentlichen Kern des Bösen. Dieser wird erst dann sichtbar, wenn die eigene Bedürfnisbefriedigung nicht mehr im Vordergrund steht: Die Ursache dieses „radikal Bösen“ ist nach Kant weder in der Sinnlichkeit noch in der Vernunft zu sehen, sondern in einer „Verkehrtheit des Herzens“, in der sich das Ich gegen sich selbst wendet: Dieser Grundgedanke Kants von der Selbstwidersprüchlichkeit des Ichs als Ursache des Bösen wird vor allem in der Philosophie des Idealismus noch einmal vertieft. Schelling unterscheidet zwischen einem alle Bindung verneinenden „Eigenwillen“ und einem sich in Beziehungen gestaltenden „Universalwillen“. Die Möglichkeit zum Bösen bestehe darin, dass der Eigenwille sich seiner Integration in den Universalwillen widersetzt. Das radikal Böse bewirke einen Umsturz der Ordnung in mir selbst und in Bezug zu anderen. Es erfolge um seiner selbst willen, denn „wie es einen Enthusiasmus zum Guten gibt, ebenso gibt es eine Begeisterung des Bösen“. Nach der klassischen Lehre (Augustinus, Thomas von Aquin etc.) ist das Böse selbst letztlich substanzlos. Als privativer Gegensatz des Guten besteht es nur in einem Mangel (an Sein bzw. an Gutem). Im Gegensatz zum absolut Guten (Gott) gibt es demnach das absolut Böse nicht. Durchsetzungsproblem Das Durchsetzungsproblem der Ethik besteht darin, dass die Einsicht in die Richtigkeit ethischer Prinzipien zwar vorhanden sein kann, daraus aber nicht automatisch folgt, dass der Mensch auch im ethischen Sinne handelt. Die Einsicht in das richtige Handeln bedarf einer zusätzlichen Motivation oder eines Zwangs. Das Problem erklärt sich daraus, dass die Ethik einerseits und das menschliche Eigeninteresse als Egoismus andererseits oft einen Gegensatz bilden. Das Durchsetzungsproblem gewinne zudem durch die Globalisierung eine neue Dimension, die zu einer Ethik der Neomoderne führe. Beispiel Die Tatsache, dass die Menschen im Land X Hunger leiden und ihnen geholfen werden sollte, ja es moralisch geboten erscheint ihnen zu helfen, wird niemand bestreiten. Die Einsicht es auch zu tun, einen Großteil seines Vermögens dafür herzugeben, wird es im nennenswerten Umfang erst geben, wenn eine zusätzliche Motivation auftaucht, etwa die Gefahr einer Migration wegen Hungers ins eigene Land unmittelbar bevorsteht. Das Durchsetzungsproblem zeigt sich auf andere Weise auch in der Erziehung, etwa wenn fest verinnerlichte Verhaltensregeln später auf entwickelte ethische Prinzipien stoßen. Lösungsansätze Erkenntnisse der Evolutionären Spieltheorie lassen Rückschlüsse darauf zu, dass das Durchsetzungsproblem durch Selbstdurchdringung gelöst werden kann. Diese Auffassung vertraten zuerst Vertreter der Neuen Institutionenökonomik. So wiesen Eirik Furubotn und Rudolf Richter darauf hin, dass der Aufbau einer Reputation eine dominate Spielstrategie sein kann. Siehe auch Gerechtigkeitstheorien Liste bekannter Ethiker Liste der Ethik-Modelle Ethische Bewegung Ethisches Dilemma Welfarismus White-Professur für Moralphilosophie Literatur Einführungen Arno Anzenbacher: Einführung in die Ethik. 3. Auflage. Patmos, Düsseldorf 2003, ISBN 3-491-69028-5 (gut lesbare Einführung) Dieter Birnbacher: Analytische Einführung in die Ethik. De Gruyter, Berlin u. a. 2003, ISBN 3-11-017625-4 (systematische Darstellung der normativen Ethik aus Sicht eines analytischen Philosophen; moderne Ansätze stehen im Vordergrund) Dagmar Fenner: Ethik. Wie soll ich handeln? UTB, Stuttgart 2008, ISBN 978-3-8252-2989-4 (gut strukturierte Einführung, etwas schulbuchhaft) Dietmar Hübner: Einführung in die philosophische Ethik. UTB, 2. Aufl., Göttingen 2018, ISBN 978-3-8252-4991-5 (klare Systematik mit historischen Vertiefungen) Annemarie Pieper: Einführung in die Ethik. 5. Auflage. Francke, Tübingen u. a. 2003, ISBN 3-8252-1637-3, ISBN 3-7720-1698-7 (vielzitierte Einführung in die Ethik) Louis P. Pojman, James Fieser: Ethics. Discovering Right and Wrong. Wadsworth Pub. 2008, ISBN 978-0-495-50235-7. (exzellente, sehr klare, oft als Lehrbuch verwendete erste Einführung) (Inhaltsverzeichnis) (MS Word; 177 kB) Der blaue reiter. Journal für Philosophie. Themenheft: Ethik. Nr. 3, 1995. Verlag der blaue reiter, ISBN 978-3-9804005-2-7. Karl Hepfer. Philosophische Ethik. Eine Einführung. Göttingen 2008 (UTB 3117), ISBN 978-3-8252-3117-0 (Sehr übersichtliche und gut lesbare Darstellung aller gängigen Begründungsmodelle) Michael Quante: Einführung in die allgemeine Ethik. Darmstadt 2003, ISBN 3-534-15464-9 (lehrbuchartig aufgebautes Werk mit Zusammenfassungen, Lektürehinweisen und Übungen am Ende jedes Kapitels; geht ausführlich auf metaethische Fragen ein) Hans Reiner: Ethik. Eine Einführung. Studienausgabe, PAIS-Verlag, Oberried 2010, ISBN 978-3-931992-27-9 (gut verständliche Einführung) Andreas Vieth: Einführung in die Philosophische Ethik. Münster/ München 2015, ISBN 978-3-7380-2658-0, PDF (themenorientiert, metaethisch, visuelle Themenaufbereitung, Lehrbuch) Gesamtdarstellungen Marcus Düwell, Christoph Hübenthal, Micha H. Werner (Hrsg.): Handbuch Ethik. 2. akt. Auflage. Metzler, Stuttgart u. a. 2006, ISBN 3-476-02124-6 (derzeit das Standardhandbuch zur Ethik; enthält einen historischen und einen begrifflichen Teil; breite Berücksichtigung der aktuellen Diskussion; zum Teil sehr anspruchsvoll) Hugh LaFollette (Hrsg.): Blackwell Guide to Ethical Theory. Blackwell, Oxford 2000. (Inhaltsverzeichnis) Friedo Ricken: Allgemeine Ethik. 4. Auflage. Kohlhammer, Stuttgart 2003, ISBN 3-17-017948-9 (sehr fundiert und anspruchsvoll; versucht eine Synthese aus Aristotelischen und Kantischen Ansätzen mit Anleihen aus der analytischen Philosophie) Hugh LaFollette (Hrsg.): Ethics in Practice: An Anthology. 4. Auflage. Wiley-Blackwell, Oxford 2014, ISBN 978-0-470-67183-2. Lexika und Grundbegriffe Otfried Höffe (Hrsg.): Lexikon der Ethik. 6. Auflage. Beck, München 2002, ISBN 3-406-47586-8 (das Standardlexikon zur Einführung in die Begriffe der Ethik) Gerhard Schweppenhäuser: Grundbegriffe der Ethik zur Einführung. 2. Auflage. Junius, Hamburg 2006, ISBN 3-88506-632-7 (konzentriert sich auf die Behandlung zentraler Grundbegriffe der Ethik) Ethik in der Wissenschaft Hans Lenk (Hrsg.): Wissenschaft und Ethik, Philipp Reclam jun., Stuttgart 1991, ISBN 3-15-008698-1. Weblinks Karl-Heinz Brodbeck: (PDF; 1,5 MB) Verlag BWT, Würzburg 2003, ISBN 3-9808693-1-8. (Freies, einführendes E-Book) Roger Crisp: Ethics. In: E. Craig (Hrsg.): Routledge Encyclopedia of Philosophy. London 1998. Einzelnachweise Philosophische Disziplin
Q9465
654.789138
17443
https://de.wikipedia.org/wiki/Burjatien
Burjatien
Burjatien (, Transkription Burjatija, burjatisch Буряад Улас, Transkription Burjaad Ulas) ist eine autonome Republik in Russland. Geographie Die Republik Burjatien liegt im Föderationskreis Ferner Osten an der Grenze zur Mongolei. Sie umfasst das Ostufer des Baikalsees und reicht bis zum Jablonowygebirge. Die wichtigsten Flüsse der Republik sind die Selenga, der Bargusin und die Obere Angara. Bevölkerung Die Burjaten sind die Titularethnie der Republik Burjatien. Bei der Volkszählung 2010 wurden 972.021 Einwohner ermittelt. Davon stellten die Burjaten 30 % und die Russen 66 %. Weitere größere Volksgruppen sind die Ukrainer und die Tataren. Von den „indigenen kleinen Völkern des russischen Nordens“ leben vorwiegend im Norden der Republik die Ewenken mit 2974 Einwohnern. Im Ostsajan am Oberlauf der Oka im äußersten Südwesten der Republik liegt das Siedlungsgebiet des kleinen turksprachigen Volkes der Sojoten, von denen 3579 in diesem Landesteil leben. Amtssprachen sind die burjatische Sprache und die russische Sprache. Die Burjaten bekennen sich hauptsächlich zum Buddhismus (Vajrayana bzw. Lamaismus). Burjatien ist neben Kalmückien und Tuwa eines der Zentren des tibetisch geprägten Vajrayana-Buddhismus in Russland; es gibt einige Klöster. Verwaltungsgliederung Burjatien ist in zwei Stadtkreise und in 21 Rajons (Landkreise) eingeteilt. Siehe: Verwaltungsgliederung der Republik Burjatien Städte und städtische Siedlungen Die Hauptstadt Ulan-Ude ist die einzige Großstadt. Mit großem Abstand folgen Sewerobaikalsk, Gussinoosjorsk und Kjachta. Insgesamt gibt es in der Republik sechs Städte und 14 Siedlungen städtischen Typs. Geschichte Die Burjaten gehörten zum Mongolenreich Dschingis Khans, das auch nach dessen Tod dort weiter Bestand hatte. Aus dem Bau einer Kosaken-Festung im Jahre 1666 zwischen den beiden Flüssen Uda und Selenga ging die ursprünglich russische Stadt Werchne-Udinsk hervor, die später in Ulan-Ude umbenannt wurde. Mit dem Bau der Transsibirischen Eisenbahn begann das wirtschaftliche Wachstum der Region. 1923 wurde die Burjatische Autonome Sozialistische Sowjetrepublik (ASSR) gegründet. Vorher gab es eine starke Bewegung in Burjatien, das Gebiet mit der Mongolei zu vereinigen. Mit dem Ende der Sowjetunion erklärte sich Burjatien als souverän und wurde 1992 autonome Republik innerhalb Russlands. Präsident der Republik ist Alexei Zydenow. Bei Einführung der Föderationskreise im Jahr 2000 wurde die Republik Burjatien dem Föderationskreis Sibirien zugeordnet. Als das Parlament „zur Kosteneinsparung“ das Oberste Gericht auflöste, meldete sich eine Partei zu Wort, die von einer russischen Okkupation sprach und eine Unabhängigkeit Burjatiens anstrebte. Zugleich wurde 2018 die Vertretung Burjatiens in der Mongolei aufgehoben, offensichtlich um die Etablierung näherer Beziehungen zwischen den Mongolenvölkern zu unterbinden; die offizielle russische Vertretung in der Botschaft erfolge durch einen Verantwortlichen, der burjatischen nationalen Angelegenheiten abhold sei. Am 3. November 2018 wechselte die Republik Burjatien zusammen mit der Region Transbaikalien vom Föderationskreis Sibirien zum Föderationskreis Ferner Osten. Beim russischen Überfall auf die Ukraine ab dem 24. Februar 2022 wurden offenbar besonders viele Soldaten aus Burjatien eingezogen. Jedenfalls war ihre Todesrate im ersten Monates des Krieges fünfmal so hoch wie im Durchschnitt der bis zum 25. März 2022 Gefallenen der russischen Armee, deren Herkunft sich ermitteln ließ. Selbstverständlich blieben diese Volksangehörigen trotzdem eine absolute Minderheit von wenigen Prozenten unter den Angehörigen der Streitkräfte und wurden doppelt missbraucht: Einerseits wurden die Minderheitenvölker propagandistisch missbraucht, um einen Kampf des «multinationalen russischen Volks» gegen die Ukraine zu behaupten, andererseits wurden gerade diese Minderheitenvölker in Russland der begangenen Gräueltaten der Streitkräfte bezichtigt, während russische Soldaten angeblich nur «Kätzchen retteten». Verkehr und Wirtschaft Durch Burjatien verläuft die Transsibirische Eisenbahn. Der größte Flughafen ist der Flughafen Baikal bei Ulan-Ude. Die Region zählt zu den gut erschlossenen innerhalb Sibiriens und ist reich an Bodenschätzen. Bergbau, Holzindustrie, aber auch die Landwirtschaft zählen zu den wichtigsten Wirtschaftszweigen. Weblinks Webseite der Republik Burjatien Einzelnachweise Föderationssubjekt der Russischen Föderation
Q6809
487.369209
8567
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Singapur
Singapur (amtlich Republik Singapur, [], , , meist: , Tamil Ciṅkappūr Kudiyarasu) ist ein Insel- und Stadtstaat und der flächenkleinste Staat Südostasiens. Er ist Mitglied im Commonwealth of Nations. Entstanden ist er 1963 aus einer Föderation unter dem Namen Malaysia, die die frühere britische Kronkolonie 1965 allerdings wieder verlassen hat. Der Staatspräsident der Republik ist mit Vetorechten in einigen Schlüsselbereichen ausgestattet. Der Präsident wird seit 1993 nur theoretisch alle sechs Jahre direkt vom Volk gewählt. 1993 wurde Ong Teng Cheong als Präsident erwählt. Die Wahlen fielen danach 1999, 2005 und 2017 de facto aus. Nur im Jahre 2011 gab es eine Wahl, die Tony Tan Keng Yam gewann. Nach frühen Jahren politischer Krisen und trotz fehlender natürlicher Ressourcen und eines Hinterlandes entwickelte sich die Nation zu einem der vier asiatischen Tigerstaaten. Singapur ist das einzige Land in Asien mit einer „AAA“-Bonitätsbewertung aller großen Bewertungsagenturen. Es ist ein wichtiger Finanz- und Versandknotenpunkt. Singapur hat einen hohen Stellenwert bei wichtigen sozialen Indikatoren: Bildung, Gesundheitsversorgung, Lebensqualität, persönliche Sicherheit und öffentlicher Wohnungsbau mit einer Wohneigentumsquote von 91 Prozent. Singapurer genießen eine der längsten Lebenserwartungen, die schnellsten Internetverbindungsgeschwindigkeiten und eine der niedrigsten Kindersterblichkeitsraten der Welt. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen zählt Singapur zu den Ländern mit sehr hoher menschlicher Entwicklung. International umstritten ist jedoch das sehr strenge Recht des Landes, das auch Körperstrafen für eine Reihe von – nach europäischem Maßstab – als Ordnungswidrigkeiten zu betrachtenden Taten bis hin zur Todesstrafe bei schweren Verbrechen besonders zur Abschreckung vorsieht. Singapur ist eines der reichsten Länder (und Städte) weltweit und gilt als eine der Städte mit den weltweit höchsten Lebenshaltungskosten. Zudem zählt der Stadtstaat mit mehr als elf Millionen ausländischen Touristen im Jahr zu den zehn meistbesuchten Städten der Welt und gilt neben Hongkong als wichtigster Finanzplatz Asiens. Die Republik Singapur hat das friedliche multiethnische Zusammenleben zwischen Chinesen, Malaien und Indern, die die größten Bevölkerungsgruppen stellen, angeordnet. Geografie Lage und Fläche Singapur liegt an der Südspitze der Malaiischen Halbinsel, von dieser getrennt durch die Straße von Johor. Es besteht aus der bei weitem größten Hauptinsel Pulau Ujong, drei größeren Inseln (Pulau Ubin, Pulau Tekong und Jurong Island) sowie 58 kleineren Inseln. Die Inseln Singapurs sind der südlichste Ausläufer der Hinterindischen Halbinsel. Südlich verläuft die Straße von Singapur, an diese im Westen anschließend die Straße von Malakka, eine der am stärksten befahrenen Wasserstraßen der Welt. Benachbarte Staaten sind im Norden Malaysia und im Süden Indonesien mit Sumatra und den Riau-Inseln. Es bestehen zwei Verbindungen zum Malaiischen Festland: im Norden der Johor–Singapore Causeway, ein nach Johor Bahru führender künstlicher Damm und im Westen der Malaysia-Singapore Second Link, eine nach Gelang Patah führende Brücke. Die höchste Erhebung des Landes ist mit der Bukit Timah Hill im Bukit-Timah-Reservat. Der MacRitchie-Stausee wurde 1868 erbaut. Die Gesamtfläche Singapurs entspricht knapp der von Hamburg. Landgewinnung spielt für das in der Fläche kleine Land eine große Rolle. Das Erdmaterial für die Aufschüttungen wird von eigenen Bergen, dem Meeresboden oder von Nachbarstaaten entnommen. Dadurch stieg die Landfläche von 581,5 km² in den 1960er Jahren auf heute 725,1 km² und soll bis 2030 auf rund 800 km² wachsen. Die Stadt Singapur liegt auf der Hauptinsel Pulau Ujong bei den Koordinaten . Klima Das Klima ist tropisch-feucht (Typ Af nach Köppen). Die Temperatur beträgt fast das ganze Jahr über etwas mehr als 28 Grad Celsius. In den Monaten Oktober bis Februar sind die Temperaturen bedingt durch den Monsun nur etwas niedriger als im restlichen Jahr, bei stärkeren Niederschlägen. Bevölkerung Die korrekte deutsche Bezeichnung für Bürger des Staates Singapur lautet „Singapurer“ bzw. „Singapurerin“; das bisweilen verwendete „Singapuri“ beruht auf falscher Analogie zu anderen Wortbildungen. Demographie Singapur hatte 2020 5,7 Millionen Einwohner. Die Einwohnerzahl sank um 0,3 %. Die Anzahl der Geburten pro Frau lag 2020 statistisch bei 1,1, die der Region Ostasien und Ozeanien betrug 1,6. Die Lebenserwartung der Einwohner Singapurs ab der Geburt lag 2020 bei 83,7 Jahren (Frauen: 86,1, Männer: 81,5). Der Median des Alters der Bevölkerung lag im Jahr 2020 bei 41,2 Jahren. Im Jahr 2020 waren 12,2 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre, während der Anteil der über 64-Jährigen 13,2 Prozent der Bevölkerung betrug. Bevölkerungsstruktur Die Staatsbürger und die Einwohner mit dauerhafter Aufenthaltserlaubnis (Permanent Residents) gehören zu unterschiedlichen ethnischen Gruppen: 76,8 Prozent sind Chinesen, 13,8 Prozent Malaien, 7,9 Prozent Inder und 1,4 Prozent andere. Es befinden sich laut Department of Statistics etwa 1,2 Millionen Arbeitsmigranten und Ausländer in Singapur. Statistiken zur Ethnizität der vorgenannten Gruppen werden nicht veröffentlicht. Sprachen Nationale Sprache Singapurs ist Malaiisch in Lateinischer Schrift. Neben Malaiisch sind Mandarin (Chinesisch), Tamil und Englisch offizielle Sprachen. Parlamentsabgeordnete müssen mindestens eine dieser Sprachen ausreichend beherrschen, um an der Parlamentsarbeit teilzunehmen. Im Geschäftsleben und als Verkehrssprache wird vor allem Englisch gebraucht. Ebenso ist an einem Großteil der Schulen Englisch die Unterrichtssprache. Da ein Großteil der singapurischen Bevölkerung aus Südchina kommt, werden in Singapur viele südchinesische Dialekte gesprochen (zum Beispiel Teochew oder Hokkien). Um den Einfluss des Hochchinesischen zu stärken, startet die Regierung jedes Jahr die sogenannte „Speak-Mandarin“-Kampagne. Mittlerweile (Stand: 2015) sprechen die meisten ethnischen Chinesen daheim vorwiegend die Hochsprache oder Englisch; nur 16 % sprechen noch vorwiegend „Dialekte“. Insgesamt wird daheim am häufigsten Englisch bzw. Singlish gesprochen (37 %), gefolgt von Hochchinesisch (35 %), chinesischen Dialekten (12 %), Malaiisch (11 %) und Tamil (3 %). Religion Die in Singapur am weitesten verbreiteten Religionen sind der Buddhismus (33 % der Gesamtbevölkerung ab 15 Jahren), das Christentum (19 %, zum Beispiel 2,8 % römisch-katholisch), der Islam (14 %), der Daoismus (10 %) und der Hinduismus (5 %). Die jüdische Gemeinde folgt dem sephardischen Ritus und verfügt über die Synagogen Maghain Aboth (seit 1878) und Chesed-El (seit 1905), sie hat rund 2500 Mitglieder. 18,5 % der Bevölkerung Singapurs bekennen sich keiner Religion zugehörig. In Singapur finden sich wegen seiner beschränkten Fläche Institutionen verschiedener Religionen in unmittelbarer Nähe zueinander. Buddhistische und hinduistische Tempel, christliche Kirchen und islamische Moscheen liegen teils nebeneinander oder direkt gegenüber. Auseinandersetzungen wegen der Enge gibt es nicht. Diese friedliche Koexistenz ist das Resultat jahrelanger Anstrengung, Gleichberechtigung und Gewährleistung gegenseitigen Respekts. Zum Beispiel halten sich die Kantinen aller staatlichen Schulen an die islamischen Halāl­vorgaben – das Halālgeschirr wird von den anderen getrennt. Die Schüler oder Studenten essen jedoch zusammen; sie bringen nur ihr Geschirr nach dem Essen zu anderen Orten zurück. Dies ist nur einer von vielen Lösungsansätzen in Singapur, um enge Interaktionen zwischen Menschen verschiedener Religion zu ermöglichen und gleichzeitig jedem den Freiraum für seine eigene Religion zu gewährleisten. Der Sri Mariyamman Tempel mitten in Chinatown ist ein weiteres Beispiel für das ungewöhnliche Zusammenleben der Menschen in Singapur. Bildung Kindergärten Viele Eltern lassen ihre Kinder frühzeitig unterrichten, mitunter bereits im ersten Lebensjahr. Es gibt für jedes Kind einen Platz im Kindergarten. Je nach Alter kann der Aufenthalt von zwei Stunden bis ganztags variieren. Neben dem staatlichen Kindergarten (PAP) existieren private Horte in allen Variationen, von Montessori- bis zu zwei- oder dreisprachigen Kindergärten. Des Weiteren hat Singapur internationale Schulen und Kindergärten. Viele Kinder eignen sich dort dauerhaft Singlish an, eine Varietät des Englischen, die Anteile aus den Muttersprachen dieser Kinder enthält. Unterrichtssprache ist jedoch Englisch. Singapurische Schule Singapurer können zwischen staatlichen und privaten Schulen wählen. Außerdem gibt es staatliche und private Eliteschulen. Um diese Schulen besuchen zu dürfen, ist die Teilnahme an einem Auswahlverfahren verpflichtend, zudem hat sich ein Interessent ein bis zwei Jahre im Voraus zu bewerben. Die weiterführenden Schulen sind: Einige der bekanntesten Schulen für die siebte bis zehnte Klasse sind Raffles Institution, Raffles Girls’ School, Hwa Chong Institution, Anglo-Chinese Independent School, Nanyang Girls’ School. Für die elfte und zwölfte Klasse (Abitur-Jahre) sind es Schulen wie National Junior College (das erste Junior College Singapurs), Hwa Chong Institution, Raffles Junior College, Victoria Junior College und Temasek Junior College. Die Schüler in den 18 Junior Colleges machen ihr Abitur (die „“) üblicherweise in zwei Jahren. Nur in einem Centralised Institute (Millennia Institute) machen die Schüler es in drei Jahren. Außerdem haben normalerweise nur Schüler mit sehr guten Noten aus der sechsten Klasse die Möglichkeit, eine weitere Fremdsprache (eine dritte Sprache) (Französisch, Deutsch, Japanisch, Malaiisch, Indonesisch und Arabisch) am Sprachzentrum des Bildungsministeriums (MOELC) zu erlernen. Einige Schulen wie National Junior College und Raffles Junior College haben auch eigene Sprachprogramme für einige Stufen. In der letzten Zeit gibt es auch durch die Unterstützung des Bildungsministeriums mehr Möglichkeiten für Austauschprogramme, besonders zwischen den Schulen innerhalb ASEAN. Die Schulen in Singapur gelten als außerordentlich leistungsfähig, insbesondere in Mathematik und Naturwissenschaften. So erreichen die Schüler aus Singapur bei TIMSS regelmäßig Spitzenplätze. Im PISA-Ranking von 2015 belegen die Schüler des Landes in allen drei Kategorien (Naturwissenschaften, Mathematik und Lesen) den ersten Platz unter 72 teilnehmenden Ländern. Der Leistungsdruck an Schulen gilt als sehr hoch. Als Erfolgsschlüssel gilt die hohe Integration von Informations- und Kommunikationstechnik in den Unterricht seit dem ersten ICT-Education-Masterplan 1997. Premier Goh Chok Tong forderte in der Rede Thinking Schools, Learning Nation 1997 die hohen Anstrengungen im Bildungssystem: „A nation’s wealth in the 21th century will depend on the capacity of its people to learn.“ Hinzu kamen Reformen, die Kommunikation, Interdisziplinarität und Innovationen wie Digitalität in der Bildung förderten, weg von der traditionellen Lernschule, so die auf Deeper Learning gerichtete Initiative Teach Less, Learn More! (2008). Internationale Schulen Es gibt eine reiche Auswahl für Expatriates (ausländische Führungskräfte). Singapurer dürfen keine internationalen Schulen besuchen, es sei denn, sie besitzen eine weitere Staatsangehörigkeit. Nachfolgend hier die elf wichtigsten Internationalen Schulen: Dover Court Preparatory School – hier können auch Kinder mit speziellen Problemen unterkommen und betreut werden French School of Singapore German European School Singapore Overseas Family School Singapore American School Singapore International School Swiss School Association Singapore – Schweizer Schule Singapur Tanglin Trust School – basiert auf dem britischen System The Australian International School Singapore The Canadian International School Singapore United World College of South East Asia Universitäten Singapur hat die folgenden staatlichen Universitäten: Die älteste Universität der Stadt, die National University of Singapore (NUS), befindet sich 12 Kilometer außerhalb des Stadtzentrums in Kent Ridge. Sie zählt laut dem „World University Ranking“ des britischen „Times Higher Education Supplement“ (2006) zu den 20 besten Universitäten der Welt. Die Nanyang Technological University (NTU) befindet sich im äußersten Westen der Hauptinsel Singapurs in Jurong, etwa 25 km außerhalb des Stadtzentrums. Die Universität wurde am 1. Juli 1991 per Parlamentsbeschluss gegründet. Sie ging aus dem ehemaligen Nanyang Technological Institute (NTI) hervor, das im August 1981 gegründet wurde. Erreichbar ist die Universität über die MRT bis Boon Lay oder Pioneer, von dort aus fahren zwei Buslinien bzw. eine der beiden Buslinien und ein Shuttlebus direkt zum Campus der NTU. An die NTU ist das National Institute of Education (NIE) angegliedert. Dort werden die Lehrer für die Gymnasien Singapurs ausgebildet. Die Singapore Management University (SMU) wurde im Jahr 2000 gegründet und hat im Sommer 2005 ihren neuen Innenstadt-Campus in Bras Basah bezogen. Die Singapore University of Social Sciences (SUSS) wurde im Jahr 2005 gegründet. Die Singapore University of Technology and Design (SUTD) wurde im Jahr 2009 gegründet. Das Singapore Institute of Technology (SIT) wurde ebenfalls im Jahr 2009 gegründet. Neben den staatlichen Universitäten gibt es eine ganze Reihe privater, zu einem Großteil auch ausländischer Universitäten und Bildungseinrichtungen, wie etwa die französische Insead oder auch die ESSEC. Eine weitere Universität ist eine Zweigstelle der Sorbonne in Singapur. Dort werden Theologie, Politik und Wirtschaftswissenschaften gelehrt. Auch die Technische Universität München betreibt mit dem TUM Asia genannten German Institute of Science and Technology (GIST) seit 2002 eine Dependance in Singapur. Weiter betreibt die Universität St. Gallen mit dem St.Gallen Institute of Management in Asia eine Zweigstelle in Singapur. Die Universitäten organisieren seit mehreren Jahren regelmäßig Veranstaltungen, in deren Rahmen private Beziehungen und Familiengründungen zwischen Akademikern gefördert werden sollen. In Singapur gibt es auch ein Qantm- bzw. SAE Institute, in dem die Studenten Medienberufe erlernen und einen Bachelor-Abschluss erwerben können. Geschichte Namensherkunft Der Name Singapur entstammt dem Sanskrit und setzt sich zusammen aus Singha ( „Löwe“) und Pura ( „Stadt“), bedeutet also Löwenstadt. Der Legende nach erreichte Sang Nila Utama, ein Prinz aus Palembang, der damaligen Hauptstadt des Srivijaya-Reichs, im Jahr 1299 Singapur und gründete das Königreich Singapura. Nach seiner Ankunft soll der Prinz im dichten Dschungel einen Löwen gesehen haben – vermutlich hat es sich jedoch um einen malaysischen Tiger gehandelt, da in dieser Region keine Löwen gelebt haben. Beeindruckt von der Begegnung, interpretierte er diese als gutes Omen und entschied sich den Ort fortan „Löwenstadt“ zu nennen und eine Siedlung zu errichten. Das Wahrzeichen Singapurs ist seit dem Jahr 1964 der Merlion, ein Fabelwesen mit einem Löwenkopf und einem Fischkörper. Handelsplatz Die ersten Aufzeichnungen Singapurs stammen aus chinesischen Texten des 3. Jahrhunderts. Die Insel diente als Außenposten des auf Sumatra beheimateten Srivijayareiches. Ursprünglich trug Singapur den javanischen Namen Temasek. Nachdem Temasek anfangs zu einer bedeutenden Handelsstadt aufgestiegen war, verlor es bald wieder an Bedeutung. Außer ein paar archäologischen Spuren ist kaum mehr etwas aus jener Zeit erhalten. Am 28. Januar 1819 kam Sir Thomas Stamford Raffles, Handelsagent der Britischen Ostindien-Kompanie, in Singapur an und gründete am 6. Februar desselben Jahres die erste britische Niederlassung. Dieses Datum wird als Geburtsstunde des modernen Singapur betrachtet. Die Insel war zuvor nur von schätzungsweise 1000 Orang Laut besiedelt, die als Seenomaden lebten. Bis 1824 hatte die Kompanie die gesamte Insel vereinnahmt, die sie dem Sultan von Johor für 60.000 US-Dollar und eine Jahresrente von 24.000 US-Dollar abgekauft hatte. Britische Kronkolonie 1826 wurde Singapur Teil der Straits Settlements und 1836 deren Hauptstadt. Am 1. April 1867 wurden die Straits Settlements vor dem Hintergrund weiterer territorialer Expansionen zur britischen Kronkolonie – und so auch Singapur. Bald wuchs die Bedeutung von Singapur als Umschlaghafen aufgrund seiner geographischen Lage entlang der verkehrsträchtigen Schifffahrtswege zwischen China und Europa. Im Jahr 1881 betrug die Einwohnerzahl ganz Singapurs 172.993. Das Aussehen der Stadt und ihrer Menschen zu jener Zeit wurde auf zahllosen Fotos durch G. R. Lambert & Co. festgehalten. Im Zweiten Weltkrieg marschierten japanische Truppen in Malaysia ein und umzingelten die Insel. Die unzulänglich vorbereiteten britischen, australischen und indischen Soldaten unter Arthur Percival konnten sich trotz ihrer zahlenmäßigen Überlegenheit nicht halten. Sie unterlagen in der Schlacht um Singapur der japanischen Armee und kapitulierten im Februar 1942. Die Japaner benannten Singapur in Folge in Shōnan-tō (), kurz für Shōwa no jidai ni eta minami no shima () „Insel im Süden, die in der Shōwa-Zeit gewonnen wurde“ um und hielten es bis zur japanischen Kapitulation im September 1945. 1945 kam Singapur damit wieder unter britische Herrschaft. Unter britischer Verwaltung erhielten Frauen am 18. Juli 1947 das aktive und passive Wahlrecht und übten diese Rechte bei den Wahlen zum Legislative Council von 1948 erstmals aus. 1959 wurde Singapur eine selbstregierte Kronkolonie, deren Regierung nach den 1959 von der People’s Action Party (PAP) gewonnenen Wahlen Lee Kuan Yew als erster Premierminister führte. Unabhängigkeit Nach einem landesweiten Referendum 1962 wurde Singapur in eine Föderation mit Malaya, Sabah und Sarawak entlassen und somit am 1. September 1963 vom Vereinigten Königreich unabhängig. Im Herbst 1964 kam es zu massiven Unruhen zwischen chinesischen und nicht-chinesischen Einwohnern. Heftige ideologische Konflikte zwischen der von der PAP gestellten Regierung und der Föderationsregierung in Kuala Lumpur sowie Befürchtungen auf malaysischer Seite, dass sich die Unruhen über die Grenzen der Stadt ausweiten könnten, führten am 7. August 1965 zum Ausschluss Singapurs aus der Föderation. Zwei Tage später, am 9. August 1965, erkannte Malaysia Singapurs Souveränität als erster Staat an. Seither ist der 9. August Singapurs Nationalfeiertag. Bei der Unabhängigkeit 1965 wurde das aktive und passive Frauenwahlrecht bestätigt. Die junge und territorial eingeschränkte Nation musste um ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit kämpfen und sah sich mit Problemen wie Massenarbeitslosigkeit, Knappheit an Wohnraum, Ackerland und Rohstoffen wie etwa Erdöl konfrontiert. Lee Kuan Yew bekämpfte in seiner Amtszeit als Premierminister von 1959 bis 1990 erfolgreich die Massenarbeitslosigkeit, der Lebensstandard und Singapurs Wirtschaftskraft stiegen. Als einer der vier Tigerstaaten schaffte Singapur innerhalb einer Generation den Sprung vom Entwicklungsland hin zu einem Industriestaat. Am 26. November 1990 übernahm Goh Chok Tong das Amt des Premierministers. Unter seiner Regierung war das Land mit neuen Problemen beschäftigt: 1997 kam es zu einem wirtschaftlichen Einbruch im Rahmen der Südostasienkrise. 2003: die Infektionskrankheit SARS dämpfte die wirtschaftliche Entwicklung; hinzu kam die terroristische Bedrohung durch die Jemaah Islamiyah (JI). Am 12. August 2004 wurde Lee Hsien Loong, der älteste Sohn von Lee Kuan Yew, in dem nach wie vor von der PAP dominierten Parlament zum dritten Premierminister Singapurs gewählt. Politik Politisches System Staatsoberhaupt ist der Präsident, der mit Vetorechten in einigen Schlüsselbereichen ausgestattet ist und die obersten Richter benennt. Der Präsident wird seit 1993 theoretisch alle sechs Jahre direkt vom Volk gewählt. 1993 wurde Ong Teng Cheong als Präsident erwählt. Seitdem fielen die Wahlen 1999 und 2005 aus, weil nur ein Kandidat – Sellappan Ramanathan – von der Wahlkommission akzeptiert wurde. Erst nach 18 Jahren im Jahre 2011 gab es wieder eine Wahl, die Tony Tan Keng Yam gewann. Zu den Wahlen im September 2017 trat Halimah Yacob als einzige Kandidatin an, weshalb auch in diesem Jahr keine Wahl stattfand. Halimah wurde am 13. September 2017 zum achten Präsidenten ernannt, die offizielle Vereidigung fand am 14. September statt. Seit seiner Amtseinführung am 14. September 2023 bekleidet Tharman Shanmugaratnam das Amt des Präsidenten. Die Legislative ist das Parlament. Die Exekutive wird durch das Kabinett gebildet, das der Premierminister als Regierungsoberhaupt leitet. Es besteht Wahlpflicht (Nichtwähler werden aus den Wählerlisten entfernt, und erst auf Antrag wieder hinzugefügt, unter Umständen gebührenpflichtig). Die Politik Singapurs wird seit der Unabhängigkeit 1965 von der People’s Action Party (PAP) dominiert. Von Kritikern wird Singapur daher auch als Einparteienstaat eingeordnet, und der PAP werden rigide Handlungen gegen die Oppositionsparteien vorgeworfen. Dabei soll die PAP manipulierend einwirken oder durch zivilrechtliche Klagen (Verleumdung) unliebsame Gegner aus dem Weg schaffen. Auch das überaus strikte Mehrheitswahlrecht trägt zur dominanten Stellung der PAP bei und führte dazu, dass stets nur einige wenige Oppositionelle im Parlament saßen. Ebenso sind die Restriktionen im öffentlichen und Privatleben zu nennen. Des Weiteren behaupten Kritiker, dass Singapurs Gerichte auf Seiten der Regierung stünden, auch wenn einige Verfahren von der Opposition gewonnen wurden. Westliche Demokratien betrachten Singapurs Regierungsform daher manchmal dem Autoritarismus näher als einer Demokratie im westlichen Sinne. Der Bertelsmann Transformation Index 2022 ordnete Singapur den autokratisch regierten Staaten zu, insbesondere aufgrund der Unterdrückung der Opposition. Singapur hat eine sehr erfolgreiche Marktwirtschaft. Die Politik der PAP enthält sozialistische Aspekte, wie zum Beispiel ein großangelegtes öffentliches Wohnraumprogramm und eine Dominanz staatlicher Unternehmen in der lokalen Wirtschaft. Die PAP distanzierte sich jedoch in der Vergangenheit teilweise vom westlichen Wertesystem. Der frühere Premierminister Lee Kuan Yew zitierte in diesem Zusammenhang die Inkompatibilitäten westlicher Demokratien mit „asiatischen Werten“. In jüngerer Vergangenheit lockerte die PAP Teile ihrer gesellschaftlich konservativen Politik. Als charakteristisch für Singapur gilt das Zusammenspiel aus konfuzianisch orientierter, staatlich-öffentlich kommunizierter Ethik, strengen Gesetzen, einem hohen Grad an Überwachung und sehr geringer Korruption. Verfechter dieser Leitlinien sehen darin die Ursachen, dass eine wohlhabende Gesellschaft entstand, die eine der niedrigsten Kriminalitätsraten der Welt hat. Kritiker bemängeln die autoritären Ausprägungen des singapurischen Staatswesens, beispielsweise die Vorschrift, dass eine staatliche Lizenz verlangt wird, wenn mehr als drei Menschen öffentlich über Politik, Religion oder innere Angelegenheiten des Staates reden wollen. Politische Indizes Verwaltung Administrative Gliederung Die administrative Gliederung Singapurs umfasst fünf sogenannte CDC-Distrikte (Community Development Council District), die von Bürgermeistern (Mayor) und örtlichen Räten (Community Development Council) verwaltet werden. Diese werden weiter untergliedert in 17 Town Councils. Die Town Councils bestehen aus insgesamt 31 Constituencies („Wahlkreis, Interessengemeinschaft“). Diese 31 Constituencies setzen sich zusammen aus 14 „SMC-Vertretungen“ (Single Member Constituencies – SMC, etwa „Wahlkreis mit einer Einzelpersonvertretung“) und 17 „GRC-Vertretungen“ (Group Representation Constituencies – GRC, etwa „Wahlkreis mit einer mehrköpfigen Mannschaftsvertretung“) (Stand: 2022): Central Singapore District North East District North West District South East District South West District Landesplanerische Gliederung Die fünf Distrikte der Verwaltungsgliederung sind nicht identisch mit den fünf Regionen der Landesplanung. Ursprünglich war nur der Süden des Landes am Singapore River bewohnt. Die restlichen Teile des Staates bestanden aus tropischem Regenwald oder wurden landwirtschaftlich genutzt. In den 1960er Jahren wurden neue Stadtgebiete vor allem als Satellitenstädte außerhalb des ursprünglichen Stadtgebietes errichtet. Die Regierungsbehörde Urban Redevelopment Authority (URA) ist verantwortlich für die Stadtentwicklung. Ein besonderer Wert wird dabei auf effiziente Landnutzung und Landverteilung sowie Verkehrsplanung gelegt. In einem Entwicklungsplan wird die Landnutzung für die 55 Planungsgebiete (planning areas) einschließlich der 2 Wasserschutzgebiete, die zu fünf Regionen gruppiert werden, festgelegt. Die einzelnen Planungsgebiete werden ihrerseits in eine verschieden große Anzahl von sogenannten Subzonen unterteilt. Beziehung zwischen Staat und Religion Der singapurische Staat fasst sein Verhältnis zur Religion in der Öffentlichkeit im Konzept des muscular secularism (englisch, sinngemäße Übersetzung: „wehrhafter“ oder „wachsamer Säkularismus“) zusammen. Ziel dieser politischen Haltung ist laut wiederholter Verlautbarungen amtlicher singapurischer Stellen die Gewährleistung des sozialen Zusammenhalts einerseits und der Schutz des multiethnischen und multireligiösen Stadtstaates vor religiösem Extremismus andererseits. Im Wesentlichen bilden vier Gesetzestexte die Rechtsgrundlage des singapurischen Säkularismus; der Internal Security Act („Gesetz über die innere Sicherheit“), der Sedition Act („Gesetz gegen Volksverhetzung, öffentliche Aufruhr“), der Undesirable Publications Act („Gesetz über unerwünschte Schriften“) sowie der Maintenance of Religious Harmony Act („Gesetz zur Aufrechterhaltung des religiösen Ausgleichs“). Zivilgesellschaftliche Akteure des Landes stellen dieser Politik die Antithese des liberal secularism gegenüber, die den Rückzug des Staates aus interreligiösen Meinungsverschiedenheiten einerseits und eine Erleichterung religiöser Aktivitäten im öffentlichen Raum andererseits fordert. Sicherheitspolitik Singapur konzipiert seine Sicherheitspolitik seit 1984 als Vernetzung aller öffentlichen Lebensbereiche, lokal als Total Defence (deutsch etwa: „vollumfängliche Abwehrbereitschaft“) bekannt. Total Defence gründet auf fünf Säulen, nämlich auf militärischen, zivilen, wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Ausprägungen. Der Ansatz ist vor dem Hintergrund mehrerer Faktoren zu sehen, so zum Beispiel der Abhängigkeit Singapurs von malaysischen Frischwasserimporten. Kriminalitätsrückgang Ein Kriminalitätsrückgang wird zwar weltweit beobachtet, in Singapur erreichen die Kriminalitätsraten jedoch extrem niedrige Werte. Für den überdurchschnittlichen Rückgang leistete auch die Politik ihre Beiträge. Für Vergleiche der Gewaltneigung über lange Zeiträume und große räumliche Distanzen hinweg wird die Rate der Tötungsdelikte als Index verwendet. Singapur kam hierbei im Jahr 2017 auf nur 0,2 Fälle pro 100.000 Einwohner. Ostasiatische Staaten lagen durchschnittlich bei 0,6. Im Vergleich dazu lag Deutschland bei 1 pro 100.000 Einwohner, was dem Durchschnitt in Westeuropa entspricht. Singapur hatte nicht immer niedrige Kriminalitätsraten. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (, UNODC) erforscht Veränderungen der Kriminalität in unterschiedlichen Ländern und stellt sie gesellschaftlichen und politischen Veränderungen in denselben Zeiträumen gegenüber. Aus diesen Vergleichen werden Faktoren identifiziert, die die Kriminalitätsentwicklung positiv oder negativ beeinflussen. In einem Beispiel werden vom UNODC Jamaika und Singapur verglichen. Diese zwei tropischen und multiethnischen Inselstaaten haben eine Bevölkerungszahl in derselben Größenordnung und liegen auf dem Globus genau gegenüber. Auch auf der Länderliste sortiert nach Tötungsraten liegen sie an den gegenüberliegenden Extremen. Das war nicht immer so. Als ehemalige britische Kolonien ähnelten sie sich in vielen Aspekten. Aus dieser Zeit stammt auch ihr vom Vereinigten Königreich übernommenes politisches und juristisches System. Das Entwicklungsniveau beider Staaten war vergleichbar. Auch die Tötungsraten (als Index für die Kriminalität insgesamt) entwickelten sich parallel bis kurz vor der Unabhängigkeit, die in beiden Ländern in den frühen 1960er Jahren erlangt wurde. Die Raten lagen damals bei vier bis 5 pro 100.000 Einwohner. Noch vor Erreichung der Souveränität begann die Auseinanderentwicklung. Die Kriminalität nahm in Jamaika zu und die in Singapur ab. Auf Jamaika stieg die Rate bis auf über 60 in den 2000er Jahren. In Singapur stagnierte sie bis in die 1990er Jahre bei etwa 2 pro 100.000 und fiel dann auf 0,2 bis 0,3. Im Jahr 2017 waren das 11 Tötungsdelikte in Singapur und 1647 in Jamaika. Die relativ neue Auseinanderentwicklung der beiden Staaten macht es unwahrscheinlich, dass die Ursachen in jahrhundertealten Faktoren wie der Vergangenheit mit Sklaverei in Jamaika liegen. Das UNODC sieht die Kriminalitätsentwicklung mehr von indirekten Faktoren beeinflusst als von auf Kriminalität abzielender politischer Maßnahmen. Als wesentliche Ursache, die zu dem großen Kriminalitätsrückgang in Singapur führte, nennt das UNODC die Politik des Landes, die eng mit dem ersten Premierminister Lee Kuan Yew verbunden ist. Konkret genannt werden die Förderung der Rechtsstaatlichkeit, Korruptionsbekämpfung, eine leistungsorientierte Verwaltung mit wettbewerbsfähiger Bezahlung, strategische Investitionen in Allgemeinbildung und in ein Gesundheitssystem, sowie sozialer Wohnungsbau, um soziale Ausgrenzungen zu minimieren. Außerdem seien Wertestrategien eingeführt worden, die harte Arbeit, sozialen Zusammenhalt und gegenseitigen Respekt fördern. Es sei auch möglich, dass gezielte Maßnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung eine Rolle gespielt hätten, wie Law and Order und Resozialisierungsprogramme. Als wirkungsloses Instrument identifizierte das UNODC beispielsweise die Todesstrafe. Singapur hatte eine der höchsten Exekutionsraten der Welt. Zwischen 1994 und 2004 wurde die Todesstrafe häufig verhängt, führte jedoch zu keiner anderen Entwicklung der Mordraten als in Hongkong, wo die Todesstrafe bereits 1993 abgeschafft wurde. Beide Länder hatten in diesem Zeitraum ähnlich fallende Raten. Grundsätzlich werden vom UNODC zur Bekämpfung von Kriminalität eine verantwortungsbewusste Regierungsführung, Rechtsstaatlichkeit und ein konsistentes Verhältnis zwischen Staat und Zivilgesellschaft als förderlich hervorgehoben. Es ist fragwürdig, wie weit nationale Politik allein für eine spezifische Kriminalitätsentwicklung verantwortlich ist. Veränderungen von Werten, soziale und gesellschaftliche Prozesse, aber auch grenzüberschreitende Kriminalität wirken auch in die Nachbarstaaten. So liegt der Karibikstaat Jamaika in der Region der Erde mit den höchsten Mordraten und der einzigen Weltregion mit dokumentiertem Anstieg der Kriminalität in den letzten Jahrzehnten. Der grenzüberschreitende Drogenhandel intensiviert dort die fatale Verbundenheit. Ein positives Beispiel sind Singapur, Thailand, Kambodscha, Hongkong, China und Japan. In diesen asiatischen Ländern gehen die Kriminalitätsraten seit Jahrzehnten zurück. Auch in westlichen Länder ist die kulturelle Verbundenheit offensichtlich und ein jahrhundertelanger, paralleler Kriminalitätsrückgang gut dokumentiert. Militär Die Singapore Armed Forces umfassen die Teilstreitkräfte Heer, Marine und Luftwaffe. Das Heer verfügte 2020 über etwa 45.000 aktive Soldaten und eine Reserve von 170.000 Mann. Zur Ausrüstung zählen AMX-13-SM1-Kampfpanzer und Schützenpanzer der Typen Bionix AFV und M113. 102 Leopard 2A4 wurden ab dem Jahr 2008 in Dienst gestellt. Im Mai 2014 wurde bekannt, dass Singapur unter den Ländern, in die Waffen aus Deutschland exportiert werden, eine Spitzenposition einnimmt. Die 7.000 Mann starke Marine verfügt 2020 über fünf Stealthfregatten sowie Korvetten, Patrouillenboote und Landungsfahrzeuge. Die U-Boot-Flotte verfügt über Boote der schwedischen Sjöormen-Klasse, die bis 2010 durch Boote der Archer-Klasse ergänzt wurden. Seit 2017 wurden auch moderne deutsche U-Boote angeschafft. Die nach dem Rückzug der Royal Air Force 1968 aufgestellten Luftstreitkräfte umfassten 2020 8.000 Mann und sind mit Flugzeugen der Typen F-16, F-15, F-5 und C-130 Hercules sowie Hubschraubern der Typen AS 332, Apache, CH-47 und S-70 ausgerüstet. Singapur gab 2020 knapp 3,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung oder 10,7 Milliarden Dollar für seine Streitkräfte aus. Singapur lag 2018 auf Platz 2 im Globalen Militarisierungsindex (GMI). Außenpolitik Singapur verfolgt eine flexible und pragmatische Außenpolitik. Ihre wichtigsten Ziele sind: Förderung eines weltoffenen Handelssystems; zugleich Abschluss bilateraler Freihandelsabkommen. In Kraft sind Abkommen bereits mit den ASEAN-Staaten (ASEAN-Freihandelszone), Australien, VR China, Costa Rica, den EFTA-Ländern, den Ländern des Golf-Kooperationsrats, Indien, Japan, Jordanien, Neuseeland, Panama, Peru, Südkorea, Taiwan, den Gründungsstaaten der Trans-Pazifischen Partnerschaft (neben Singapur: Brunei, Chile, Neuseeland) und den Vereinigten Staaten. Mit der Türkei wurde ein Freihandelsabkommen unterzeichnet. Im September 2013 haben die EU und Singapur nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen ein Freihandelsabkommen paraphiert. Derzeit ist der Europäische Gerichtshof mit Kompetenzfragen auf europäischer Seite befasst. Gewährleistung der nationalen Sicherheit durch fortgesetzte Modernisierung der Streitkräfte und Abstützung auf militärische Präsenz der Vereinigten Staaten in der Region. Pflege der bilateralen Beziehungen zu den Nachbarstaaten und Zusammenarbeit insbesondere mit den Partnern im Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN). Weiterentwicklung der Beziehungen zu den Vereinigten Staaten, China, Japan und Europa (Prozess der Europäisch-Asiatischen Gipfeltreffen / ASEM). Singapur ist seit dem 21. September 1965 aktives Mitglied der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen. Von 2000 bis 2002 war Singapur erstmals als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen vertreten. Es ist auch Mitglied des Commonwealth und – in seiner Rolle als Koordinator der „Global Governance Group“ – regelmäßiger Gast der G20-Treffen, zuletzt beim Außenministertreffen in Bonn im Februar 2017. Im ASEAN-Verbund spielt Singapur eine maßgebliche Rolle. Mit der regionalen Zusammenarbeit in der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft (APEC) und im ASEAN-Rahmen verfolgt es das Ziel, sein außenpolitisches Gewicht, seine Sicherheit, seine Exportmärkte und Investitionschancen in der Region zu stärken. Singapur ist Sitz des Sekretariats der APEC. Im von den ASEAN-Ländern ins Leben gerufenen ASEAN-Regionalforum (ARF) ist Singapur aktiv bemüht, den Sicherheitsdialog auch mit Staaten wie den Vereinigten Staaten und China zu fördern. Recht Viele Gesetze Singapurs sind sehr streng. Ein englisches Sprichwort sagt, „Singapore is a fine city“ (fine hat die Bedeutung schön, aber auch Geldstrafe). Die unten aufgeführten zum Teil horrenden Strafen für vergleichsweise geringe Vergehen werden in der Praxis kaum durchgesetzt und dienen eher der Abschreckung. Straftatbestände Vandalismus und Graffiti können Haftstrafen sowie auch Prügel mit dem Rohrstock zur Folge haben. Der Verkauf von Kaugummi war von 1992 bis Mai 2004 verboten. Die Einfuhr von Kaugummi ist verboten, ausgenommen solcher zum medizinischen Gebrauch. Mittlerweile ist der Verkauf von Kaugummi zwar gestattet, jedoch weiterhin stark eingeschränkt. Der Käufer muss ein Arztrezept und seinen Personalausweis vorzeigen. Falls der Apotheker es versäumt, den Namen des Käufers aufzuzeichnen, kann gegen ihn eine Geldstrafe von 3000 Singapur-Dollar verhängt werden. Über die Gründe für die Aufhebung gibt es verschiedene Meinungen. Auf Druck von Wrigley wurden auch andere zuckerfreie und „der Gesundheit dienliche“ Kaugummisorten freigegeben. Hohe Geld- und Sozialarbeitsstrafen (zum Beispiel mit einer neonleuchtenden Weste und der Aufschrift „ORDER FOR corrective work“ den Strand säubern) werden gegen Personen verhängt, die Müll (auch Zigarettenkippen) achtlos auf die Straße werfen. Essen, Trinken, Rauchen und der Transport gefährlicher Güter in öffentlichen Verkehrsmitteln unterliegen hohen Strafen (500 bis 5.000 Singapur-Dollar). Der Transport der geruchsintensiven Durianfrüchte in öffentlichen Verkehrsmitteln ist zwar ebenfalls verboten, allerdings wird von einer Strafandrohung abgesehen. Aufgrund der großen Beliebtheit der Frucht wird das Verbot in Bussen weitgehend ignoriert. Es herrscht generelles Rauchverbot in öffentlichen Gebäuden, öffentlichen Verkehrsmitteln und Restaurants sowie in Personengruppen mit mehr als fünf Personen (zum Beispiel bei Warteschlangen). Seit dem 1. Juli 2007 ist auch das Rauchen in Bars und Diskotheken nicht mehr gestattet. Im Außenbereich von Bars und Restaurants gibt es Raucherzonen, in Diskotheken Raucherräume. Bei Einreise aus Malaysia gibt es keine Zollfreigrenze für im Ausland erworbene Waren. Bei Einreise aus Indonesien sind die Zollfreigrenzen gestaffelt, je nachdem, wie lange (24, 48 oder 72 Stunden) man Singapur verlassen hat. Singapur ist der einzige Staat der Erde, in dem Zigaretten nicht duty free eingeführt werden dürfen. Die Geldstrafe für die Einfuhr einer Stange Zigaretten beträgt das Zehnfache des Preises innerhalb Singapurs (derzeit 110 Singapur-Dollar, folglich 1100 Singapur-Dollar, also rund 740 Euro). Selbst wenn man eine angebrochene Schachtel mit sich trägt, darf diese maximal 17 Zigaretten beinhalten. Bei der Ausreise können Tabakwaren aber offiziell am Flughafen gekauft werden. Lügen wird bei Nachweisbarkeit mit hohen Strafen ähnlich wie Betrug geahndet (2.000 bis 10.000 Singapur-Dollar). Zusätzlich kann der Strafbestand auch Prügel mit dem Rohrstock zur Folge haben. Üblicherweise liegen die Strafen bei der sogenannten „Lügerei“ bei drei bis acht Schlägen. Sexualpraktiken, die von der Regierung als „unnatürlich“ angesehen werden, waren zeitweise illegal. Im Oktober 2007 wurde dann der Oral- und Analverkehr für heterosexuelle Personen und homosexuelle Frauen ab 16 Jahren legalisiert. Die weiterhin bestehenden gesetzlichen Verbote der Homosexualität unter Männern (vgl. Homosexualität in Singapur). wurden faktisch jedoch seit 2007 nicht mehr angewendet. Im August 2022 kündigte dann der Regierungschef Singapurs, Lee Hsien Loong, an, dass künftig homosexueller Geschlechtsverkehr zwischen Männern entkriminalisiert werde. Zugleich kündigte der Regierungschef an, an der klassischen Definition der Ehe zwischen Mann und Frau festzuhalten und somit keine gleichgeschlechtliche Ehe rechtlich einzuführen. Körperstrafen In Singapur werden bei schweren Straftaten (zum Beispiel Vergewaltigungen), häufig aber auch bei einer Reihe von nach europäischem Maßstab als Ordnungswidrigkeiten zu betrachtenden Taten, zusätzlich zu einer Gefängnisstrafe auch Körperstrafen verhängt. Vollstreckt werden diese ausschließlich gegen Männer im Alter zwischen 16 und 50 Jahren, die altersunabhängig mit bis zu 24 Hieben in einem Durchgang auf das entblößte Gesäß gezüchtigt werden. Bei diesem sogenannten wird der Delinquent über einen Prügelbock gespannt und erhält von einem speziell ausgebildeten Justizbeamten in einem festgelegten Verfahren mit einem langen Rohrstock schwere Schläge, die zu bleibenden Narben führen. Der Zweck ist das Erreichen maximaler Qualen bei kleinstem dauerhaften Schaden. Der dabei verwendete Rohrstock ist etwa 1,20 Meter lang und 13 Millimeter dick, jedoch extrem elastisch; die Ausbilder sind gehalten, mit dem Stock Geschwindigkeiten von mindestens 160 Kilometern pro Stunde zu erreichen und beim Auftreffen auf das Gewebe den Stock zu ziehen, um bei jedem Schlag die Haut aufzureißen. Diese Strafart kommt auch bei Touristen und anderen Nichteinheimischen zum Einsatz und wurde in der Vergangenheit wiederholt international kritisiert. Seit 2006 werden in großem Umfang illegale Arbeitsimmigranten, ohne Vorliegen einer Straftat außer dem Versuch der Arbeitsaufnahme in Singapur, vor der Abschiebung mit einigen Monaten Gefängnis und drei bis sechs Rohrstockhieben bestraft. Todesstrafe Als Antwort auf einen Bericht von Amnesty International hat die singapurische Regierung im Januar 2004 eine Übersicht veröffentlicht, in der die Anzahl der Hinrichtungen zwischen 1990 und 2005 dargestellt wird. Seit 1991 wurden mindestens 420 Menschen hingerichtet, im Durchschnitt alle 14 Tage eine Person, 85 bis 90 Prozent davon wegen Drogenhandels. Unter ihnen befanden sich auch einige westliche Ausländer. Hochgerechnet auf die Einwohnerzahl Deutschlands entspräche dies im gleichen Zeitraum etwa 8000 hingerichteten Menschen, in den Vereinigten Staaten 28.000 (tatsächlich: 884). Die Vorschriften für Betäubungsmittel sind sehr streng. Wer mit mehr als 15 Gramm Heroin, 30 Gramm Morphin (bzw. ab 1200 Gramm Opium, sofern 30 Gramm Morphingehalt nicht bereits vorher erreicht wurde), 30 Gramm Kokain, 250 Gramm Methamphetamin oder 500 Gramm Cannabis festgenommen wurde, musste mit der Todesstrafe rechnen. Seit November 2012 schreibt das Gesetz Singapurs die Todesstrafe bei Drogenhandel und Tötungsdelikten nicht mehr zwingend vor, sondern gibt den Richtern Ermessensspielraum, für bloße Drogenkuriere und Täter, die mit den Ermittlungsbehörden kooperieren, eine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen. Im März 2002 erregte der Fall einer jungen Deutschen große Aufmerksamkeit, der wegen Drogenhandels die Todesstrafe drohte. Erst durch eine nachträgliche Laboranalyse des sichergestellten Cannabis wurde ein Reinheitswert von weniger als 500 Gramm ermittelt, wodurch die Frau dem Tod durch den Strang entging und stattdessen zu einer fünfjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, die später wegen guter Führung um zwei Jahre verkürzt wurde. Insgesamt ist die Abschreckung durch die Todesstrafe im Drogenbereich, der 90 Prozent der Todesstrafen ausmachte, gescheitert, lediglich der Cannabisgebrauch ist niedrig, in Asien allerdings nicht unüblich. Heroin ist laut einem staatlichen Bericht von 2012 die am meisten konsumierte Droge. Der Heroinpreis ist verglichen mit den Risiken sehr niedrig. Wie in den Vereinigten Staaten nimmt der Gebrauch von Methamphetamin, das großteils in Singapur selbst produziert wird, stark zu. Allein zwischen 2011 und 2012 erhöhte sich die sichergestellte Menge um 261 Prozent. Der Anstieg der konsumierten Menge dürfte jedoch noch höher liegen. Kritik an den Strafmaßen In den letzten Jahren hat die singapurische Regierung einige der strengen Gesetze gelockert. Beispielsweise wurde Bungeespringen legalisiert und die Filmzensur gelockert. Auch die Todesstrafe wird von Menschenrechtsaktivisten kritisiert. Kleine Verbände, die sich gegen die Todesstrafe aussprechen, existieren und werden von der Regierung geduldet. Ein besonders kritischer Punkt war die bis 2012 geltende zwingende Verhängung des Todesurteils aufgrund des Besitzes von Rauschmitteln oberhalb einer festgelegten Menge. Gegner dieser Regelung sahen darin eine Untergrabung richterlicher Autorität. Wirtschaft Wirtschaftsstruktur Als einer der sogenannten Tigerstaaten schaffte Singapur innerhalb weniger Jahrzehnte den Sprung von einem Schwellenland zu einem Industriestaat bzw. einer primär auf Dienstleistungen ausgerichteten Volkswirtschaft. Schon im 19. Jahrhundert, als Singapur zu einer britischen Kolonie wurde, galt es mit seiner sehr günstigen Wasserverkehrslage zwischen China und Europa als großer Warenumschlagplatz. Demzufolge liegen Gewerbe- und Industrieflächen vor allem an den Küsten. In den 1960er Jahren nach dem Erreichen der Unabhängigkeit von Großbritannien kam es zu einer schnellen Industrialisierung im Land und die Industrie wurde zum Hauptantreiber der wirtschaftlichen Entwicklung. Viele Produkte werden in Singapur lediglich verarbeitet oder veredelt, zum Beispiel Nahrungsmittel, Erdöl, Kautschuk, Stahl und Maschinen. Singapurs Handelspartner sind die Vereinigten Staaten, das Vereinigte Königreich, China, Japan, Hongkong, Malaysia und Thailand. Trotz seiner geringen Größe und kleinen Bevölkerung war Singapur 2016 mit Exporten von Gütern und Dienstleistungen im Wert von 511 Milliarden US-Dollar die elftgrößte Exportnation der Welt. Singapur war zudem eine der wenigen Nationen der Welt, in welcher der Wert der Exporte die des Bruttoinlandsprodukts überstiegen, was die enge Vernetzung Singapurs in den Welthandel zeigt. In der Rangliste der Volkswirtschaften mit den höchsten Wachstumschancen (vgl. Global Competitiveness Index) des Weltwirtschaftsforums belegte Singapur 2019 den ersten Rang ebenso wie im IMD World Competitiveness Ranking (2020). Mit Malaysia gibt es bis heute Streitigkeiten über die Wasserversorgung und die Verrechnung der entstandenen Kosten. Singapur ist dringend auf Wasserimporte angewiesen. Wasser wird von Malaysia geliefert und von Singapur aufbereitet. Des Weiteren bestehen (Grenz-)Streitigkeiten über Singapurs Landgewinnung, Brückenbau und Seegrenzen. Malaysia garantiert vertraglich die Wasserversorgung bis 2061. Singapur lag in der von der Weltbank durchgeführten Ease of Doing Business Survey im Jahr 2018 weltweit auf dem zweiten Platz. Singapur gilt somit als unternehmensfreundlich regulierte Marktwirtschaft. Der Stadtstaat zählt zu den liberalsten Volkswirtschaften der Welt. Der Wohnungsmarkt ist hingegen stark reguliert und 79 % der Einwohner Singapurs wohnen im öffentlichen Wohnungsbau des Housing and Development Board (HDB). Einfluss auf das wirtschaftliche Geschehen hat der Staat zudem durch die Holding Temasek, die sich im Besitz der Regierung befindet. Temasek investiert strategisch in die Unternehmen des Landes. Singapur ist bestrebt, ein biotechnologisches Zentrum in Asien zu werden. Die A:STAR, die Agency for Science, Technology and Research, eine Regierungsbehörde, unterstützt Forschungskapazitäten in Singapur. In der neugeschaffenen Biopolis sind private und staatliche Institute, Biotech- und Pharmaunternehmen angesiedelt. Der Hafen Singapurs ist einer der modernsten und größten Umschlagplätze der Welt. Der Straits Times Index ist der führende Aktienindex an der Singapore Exchange. Besondere Bedeutung hat Singapur als internationaler Finanzplatz und in der sogenannten Vermögensverwaltung, das heißt als Steueroase. Singapur wurde 2017 von der Organisation Global Citizens auf Platz 4 der Liste der 17 größten Steueroasen der Welt gestellt. Nach der Finanzkrise 2008/09 verdoppelte sich das Volumen der in Singapur verwalteten Vermögen bis 2015 auf etwa 2,5 Billionen Singapur-Dollar. Ein Teil dieser Mittel floss in riesige Einkaufszentren, Hotels und andere Investitionen vor Ort, so dass Überkapazitäten im Handel beklagt werden. Seit 2014 zeichnet sich eine Konsolidierungsphase des Banksektors ab. Einige europäische Banken schlossen ihre Tochtergesellschaften. In einer Rangliste der wichtigsten Finanzzentren weltweit belegte Singapur im Jahr 2018 den vierten Platz. Mit 11,8 Millionen ausländischen Besuchern 2015 war Singapur eine der am meisten besuchten Städte der Welt. Der Tourismus wird von der Regierung mit Vermarktungskampagnen gezielt gefördert und erwirtschaftet jährlich Milliardeneinnahmen. Beim sogenannten Henley Passport Index 2023 liegt Singapur auf dem fünften Platz mit 171 Indexpunkten nach Deutschland (zweiten Platz) mit 174 Indexpunkten. Die Staatsbürger Singapurs selbst dürfen in 132 (125) Länder visafrei einreisen, womit die Einwohner Singapurs über einen der mächtigsten Reisepässe weltweit verfügen. 2017 lag Singapur mit 159 Punkten beim Henley Passport Index auf Platz eins, da Paraguay die Visa-Restriktionen für Singapur am 24. Oktober 2017 aufhob und Deutschland dadurch mit 158 Punkten auf Platz 2 steht. Singapur hat nach Einschätzung von Transparency International von allen Ländern Asiens die niedrigste Korruption. Es rangiert in der Korruptionswahrnehmungsindex () weltweit auf dem fünften Platz mit vier Plätzen vor Deutschland (Platz neun) (Stand:2022). Zudem rangiert Singapur in Asien auf Platz 1 im Global Competitiveness Ranking bezüglich dem Schutz von intellektuellem Eigentum. Das World Justice Project, Rule of Law Index 2018 führt Singapur auf Platz 13 weltweit und auf Platz 1 in Asien. Zudem erzielte Singapur in der International Arbitration Survey (2018) Platz 1 in der Kategorie Most efficient framework in settling disputes und auf Platz 3 weltweit in der Kategorie Preferred Seat for International Arbitration. Laut dem Economist Intelligence Unit ist Singapur im Jahre 2014 weltweit die teuerste Stadt. In einer Rangliste der Städte nach ihrer Lebensqualität belegte Singapur im Jahre 2018 den 25. Platz unter 231 untersuchten Städten weltweit. Kenndaten Bruttoinlandsprodukt (2021): 397 Milliarden Euro; Anteile (2021): 30,6 % Industrie, 69,4 % Dienstleistungen Die Bewohner Singapurs gehören zu den wohlhabendsten der Welt. BIP/Kopf (KKP) (2021): 116.487 US-Dollar BIP/Kopf (2016): 72.794 US-Dollar Beschäftigte (2004): Dienstleistungen 67,4 %, Industrie 32,6 %, Landwirtschaft ist fast nicht vorhanden Arbeitslosigkeit (2021): 2,6 % Außenhandel (2020): 328,6 Milliarden Euro (davon aus Deutschland: 6,1) Import und 373,7 Milliarden Euro (davon nach Deutschland: 4,9) Export Singapur ist unter anderem Mitglied der APEC und gehört dem P4 Agreement an, einem Freihandelsabkommen, zu dem noch Brunei, Chile und Neuseeland gehören. Ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union war im Oktober 2014 beschlussreif; am 19. Oktober 2018 unterzeichnete die EU im Rahmen des ASEM-Gipfels ein Freihandels- und Investitionsabkommen mit Singapur. Entwicklung wichtiger Wirtschaftskennzahlen Die wichtigen Wirtschaftskennzahlen Bruttoinlandsprodukt, Inflation, Haushaltssaldo und Außenhandel entwickelten sich in den letzten Jahren folgendermaßen: Staatshaushalt Der Staatshaushalt umfasste 2017 Ausgaben von umgerechnet etwa 51,9 Milliarden US-Dollar, dem standen Einnahmen von umgerechnet 50,9 Milliarden US-Dollar gegenüber. Daraus ergibt sich ein Haushaltsdefizit in Höhe von 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die Staatsverschuldung betrug 186,6 Milliarden US-Dollar oder 113,1 Prozent des BIP im Jahr 2009, 106,7 Prozent des BIP im Jahr 2014. Damit lag Singapur im Jahr 2014 weltweit auf Platz 11 der Staaten mit der höchsten Verschuldung bezogen auf das BIP. 2015 wird ein Haushaltsdefizit von etwa 6 Milliarden Singapur-Dollar erwartet; die geplante Ausweitung der Infrastrukturinvestitionen kann nicht mehr aus Rücklagen bezahlt werden. (Die Verschuldung der Unternehmen und der privaten Haushalte betrug demgegenüber 251 Prozent des BIP.) Aufgrund seines hohen Auslandsvermögen ist Singapur jedoch ein Nettokreditor gegenüber dem Ausland. Singapurs Staatsfonds, die Government of Singapore Investment Corporation, verfügte 2018 über investiertes Kapital in Höhe von 390 Milliarden US-Dollar. Von der Bewertungsagentur Standard & Poor’s wurden die Staatsanleihen des Landes im Jahr 2018 mit der Bestnote „AAA“ bewertet. Infrastruktur Straßenverkehr Aufgrund der britischen Kolonialvergangenheit herrscht Linksverkehr. Es bestehen zwei Landverbindungen mit Malaysia. Der Johor-Singapur-Damm (Johor–Singapore Causeway) im Norden, eröffnet in den 1920er Jahren, verbindet Woodlands (Singapur) mit Johor Bahru (Malaysia) für Kraftfahrzeuge und Bahn. Außerdem trägt er die Hauptverbindung für die Wasserversorgung Singapurs. Eine zweite Brücke (Malaysia-Singapore Second Link), die 1996 fertiggestellt wurde, liegt im Westen Singapurs. Sie verbindet Tuas (Singapur) mit Gelang Patah (Malaysia). Es gab Überlegungen, den Kanal, der Singapur von Malaysia trennt, aufzuschütten und so die Insel mit dem Festland zu verbinden. Dieser Plan wurde aber aufgrund von Grenzproblemen aufgegeben. Singapur hätte die Hauptkosten getragen, Malaysia bestand allerdings auf der Beibehaltung der heutigen Grenzziehung in der Mitte des Kanals. Der von Malaysia propagierte Ersatz des Fahrdamms durch eine neue Brücke scheitert im Gegenzug am Widerstand Singapurs. Dies muss auch vor einem wirtschaftlichen Hintergrund gesehen werden, da eine Änderung des Status quo die Schiffbarkeit der Johorstraße und damit den Wettbewerb zwischen den Häfen Malaysias und Singapurs beeinflusst. Im Rahmen einer restriktiven Verkehrspolitik unterliegt der private Autobesitz strengen Regulierungen. Jeder potenzielle Autokäufer muss zuerst eine Berechtigung (Certificate of Entitlement, COE) ersteigern. Regelmäßig entscheidet die staatliche Land Transport Authority (LTA) über die Erteilung von Lizenzen, die in einem Bieterverfahren ersteigert werden können, nach zehn Jahren aber wieder verfallen. Dies ist ein wirksames Instrument, um die Anzahl von Pkw in Singapur zu begrenzen. Die Zahl der 2023 registrierten 532.000 Autos gilt als absolute Obergrenze. Der Import von Kraftfahrzeugen ist mit Abgaben von teilweise über 200 Prozent besteuert, hat aber eine hohe Bedeutung als Statussymbol. Weiterhin wird der Verkehr im Stadtzentrum durch ein elektronisches Mautsystem mit hohen Abgaben belegt. In Singapur wurde bereits 1975 die erste Innenstadtmaut weltweit eingeführt. Luftverkehr Im Osten des Stadtstaates befindet sich der Flughafen Changi, einer der bedeutendsten Flughäfen Südostasiens. Er wird von über 100 internationalen Fluglinien angeflogen. Ein Teil der Zivilflüge besteht aus Transitverkehr, der in Singapur – vor allem auf der Kangaroo-Route – nur zwischenlandet. Die fünf am häufigsten angeflogenen Ziele sind (in dieser Reihenfolge, Stand 2017) Kuala Lumpur, Jakarta, Bangkok, Hongkong und Manila. Der Flughafen besteht aus vier Terminals. Eine Verbindung der Terminals wird mit einer Einschienenbahn (Skytrain) sichergestellt. Zwischen Terminal 2 und 3 befindet sich die MRT-Haltestelle, von der aus man preisgünstig in die Innenstadt kommt. Ein weiterer Flughafen in Seletar ist von geringerer Bedeutung für den zivilen Luftverkehr. Schienenverkehr Es existiert eine eingleisige Eisenbahnverbindung (nicht elektrifiziert) mit Malaysia, betrieben von der KTM (Keretapi Tanah Melayu). Der Hauptbahnhof Singapurs befindet sich im südlichen Teil der Insel. Die gesamte Eisenbahnanlage ist exterritorial, das heißt Eigentum Malaysias. Daher passiert man die malaysische Grenzkontrolle kurz vor dem Einsteigen in den Zug und reist nach Malaysia ein, verlässt aber erst beim Erreichen der singapurischen Grenzkontrolle im Woodlands Train Checkpoint (WTCP) am Causeway den Stadtstaat. Die Fahrtdauer von Singapurs Tanjong Pagar Station (auch Keppel Road Station) nach Kuala Lumpur Sentral beträgt rund sieben Stunden, die durchschnittliche Zuggeschwindigkeit 40 bis 60 km/h. Malaysia hatte die Absicht, diese Verbindung auf zwei Gleise zu erweitern sowie zu elektrifizieren, sodass Schnellzüge darauf fahren können. Der gegenwärtige malaysische Ministerpräsident hat diese Pläne gestoppt. Seit Juli 2011 verkehren die Züge nur noch von und bis zum WTCP, wo auch die malaysische Grenzkontrolle eingezogen ist. Das alte Bahnhofsgebäude an der Keppel Road soll erhalten bleiben. Öffentlicher Nahverkehr Singapur hat einen engmaschigen, hochgetakteten und relativ preiswerten öffentlichen Personennahverkehr, der systematisch ausgebaut wird. Gut ausgebaut ist das U-Bahn-Netz, genannt Mass Rapid Transit (MRT), betrieben von der SMRT Corporation und SBS Transit. Das Nahverkehrsbussystem ist ebenfalls gut ausgebaut. Es bestehen keine festen Fahrpläne. Stattdessen ist an den Haltestellen die durchschnittliche Taktrate angegeben (zum Beispiel alle zehn Minuten), in der die Busse fahren. Die Haltestellen stehen im Abstand von wenigen hundert Metern auseinander und werden nur bei Bedarf angefahren. Fahrgäste müssen daher dem Busfahrer von der Haltestelle aus ein Signal (Handbewegung nach unten) geben. Es gibt klimatisierte und nicht klimatisierte Busse. Für letztere zahlt man einen geringfügig günstigeren Fahrpreis. Die Landverkehrsbehörde hatte ihre Busse seit September 2016 nach der 33-jährigen Dominanz mit SBS Transit und SMRT Buses in das Bus Contracting Model mit Tower Transit Singapore und Go-Ahead Singapore übertragen. Taxis sind weit verbreitet und günstig. Allerdings kommt es zu starken Engpässen während der Hauptverkehrszeit, samstags, bei Regen und zwischen 23:30 Uhr und 1 Uhr. In diesen Zeiten sind die Grundfahrpreise zwischen 10 und 50 Prozent höher. Eine am 17. Februar 1974 eröffnete Seilbahn (Mount Faber Cablecar) verbindet die Touristeninsel Sentosa im Süden mit Mount Faber auf der Hauptinsel. Eine Zwischenstation befindet sich auf dem HarbourFront Centre (dem ehemaligen World Trade Center) im Hafen der Stadt. Sie ist täglich von 8:30 bis 23 Uhr in Betrieb. Schiffsverkehr Der Hafen Singapurs ist einer der geschäftigsten der Welt und der weltweit bedeutendste Umschlagplatz für Container. Dies liegt unter anderem, insbesondere hinsichtlich seiner historischen Entwicklung, an der günstigen Lage am Seeweg von China und Japan nach Europa. Feuerwehr In der Feuerwehr in Singapur waren im Jahr 2019 landesweit 2.742 Berufsfeuerwehrleute organisiert, die in 21 Feuerwachen und Feuerwehrhäusern, in denen 86 Löschfahrzeuge und 23 Drehleitern bzw. Teleskopmasten bereitstehen, tätig sind. Der Frauenanteil beträgt 17 Prozent. Die singapurischen Feuerwehren wurden im selben Jahr zu 194.330 Einsätzen alarmiert, dabei waren 2.862 Brände zu löschen. Hierbei wurden eine tote Person von den Feuerwehren bei Bränden geborgen und 243 Verletzte gerettet. Die nationale Feuerwehrorganisation Singapore Civil Defense Force repräsentiert die singapurischen Feuerwehren. Kultur Multiethnisches Singapur Seitens des Staates wird sehr viel Wert darauf gelegt, dass alle ethnischen Gruppen in Harmonie zusammenleben. Dies wird teilweise staatlich festgelegt, wie beispielsweise im sozialen Wohnungsbau (HDB – Housing Development Board) durch sogenannte ethnische Gruppenquoten. So darf von einem Wohnungsblock nur ein bestimmter Prozentsatz an Chinesen, Malaien und Inder verkauft werden. Der große Anteil der Chinesen in der Bevölkerung führt oft zu der falschen Annahme, dass die anderen Bevölkerungsgruppen in ihrem täglichen Leben benachteiligt werden. Die Forderung nach Kenntnissen der chinesischen Sprache bei einem Stellenangebot ist zwar nicht ungewöhnlich, dies geschieht jedoch meistens nur bei internationalen Betrieben, die ausschließlich ausländische chinesische Kunden ohne Englischkenntnisse betreuen, oder bei kleineren chinesischen Familienbetrieben. Der Markt wird durch die Chinesen wegen ihrer Anzahl zwar dominiert, aber nicht kontrolliert. Es mangelt bei den Führungspositionen und an Hochschulen nicht an Indern und Malaien. Auch in der Regierung sind diese ethnischen Gruppen vertreten. Ehe Wegen der eher seltenen Erscheinung interkultureller Ehen wird oft angenommen, dass eine Segregation zwischen den verschiedenen ethnischen Gruppen im Land herrscht. Tatsächlich dominieren Ehen innerhalb der eigenen ethnischen Gruppen. Zum einen ist eine Dominanz der interkulturellen Varianten bei dem hohen Anteil von Chinesen statistisch ausgeschlossen. Zum anderen gibt es eine Reihe von sozialen und religiösen Gründen, die interkulturelle Partnerschaften zwischen Frau und Mann erschweren. Schon bei den jungen unverheirateten Paaren ist die interkulturelle Variante selten. Während die malaiische und chinesische Jugend sich manchmal zusammenfinden, halten Kastensystem und Tradition oft die indischen Eltern davon ab, ihren Kindern die Wahl des eigenen Partners zu überlassen. Manchmal werden chinesische Frauen auch durch die Notwendigkeit, zum Islam zu konvertieren, von einer Ehe mit einem Malaien abgeschreckt. Dennoch ist es bemerkenswert, dass Ehen zwischen Malaien und Chinesen in Singapur eine Tradition haben, die ins frühe 20. Jahrhundert zurückverfolgt werden kann. Daraus ist die Nyonya- oder Peranakankultur entstanden, die heutzutage vom Aussterben bedroht ist. Von den Einheimischen eher belächelt wird die staatliche SDU (Social Development Unit) für die Anbahnung von Paarbeziehungen von Akademikern und Universitätsabsolventen. Im Alltag, vor allem in den Schulen und bei der Arbeit, findet durchaus die Interaktion mit Menschen aus anderen Kulturräumen statt. Eine Segregation ist jedoch zwischen den Einheimischen und den dort lebenden sogenannten „Expatriates“ zu beobachten; ihre Kinder besuchen verschiedene Schulen und beim Berufsalltag mischen sie sich eher selten. Singlisch Die Verflechtung der Kulturen ist unter anderem in der Sprache, Küche und Lebensart evident. Das Singlish, eine Variante der englischen Sprache, ist gespickt mit Begriffen und Grammatik aller vier Amtssprachen. Im Gegensatz zu Spanglish, das die aus Spanisch und Englisch zusammengesetzte Umgangssprache der Latinos in den Vereinigten Staaten ist, wird Singlish ständig von den verschiedenen ethnischen Gruppen unabhängig voneinander erweitert und durch ihre Interaktion wieder zusammengefügt. Dazu zählt das Sarong Partygirl, eine Kombination von englischer Personenbezeichnung mit einem traditionellen Kleidungsstück. Weitere Beispiele: Sätze wie „Referee kayu! Xiao liao ah?“ („Der Schiedsrichter hat sich geirrt! Ist er verrückt?“) oder „Careful, wait you gana knock down!“ („Pass auf, du könntest überfahren werden!“) sind Resultate aus jahrelanger Interaktion zwischen der chinesischen und malaiischen Sprache. Dadurch wandert das Vokabular und die Grammatik einer Sprache ständig zu einer anderen durch gemeinsame Nutzung des Singlish. Auf diese Sprache ist die Regierung allerdings nicht sehr stolz. Ihr Versuch, die Vorliebe des Volks für Singlish durch die Förderung des „normalen“ Englisch durch einheimische Sitcoms wie zum Beispiel „Phua Chu Kang“ zu ändern, wurde von dem Spaß liebenden Volk eher nicht ernst genommen. Umgangsformen Wie auch in anderen asiatischen Ländern spielt Höflichkeit in Singapur eine wichtige Rolle. Es gibt zum Beispiel die Regel, dass der Kontaktpartner nicht „sein Gesicht verlieren“ darf. Das bedeutet, dass man einen Gesprächspartner auf begangene Fehler nicht direkt anspricht, sondern diese beiseiteschiebt und zu einem späteren Zeitpunkt anzusprechen versucht oder eine dritte Person einschaltet. Gerne werden Visitenkarten verteilt. Diese überreicht man dem Gesprächspartner mit beiden Händen. Es ist unhöflich, Visitenkarten, die man vom Gegenüber bekommen hat, einfach einzustecken. Vielmehr muss diese mit Respekt behandelt werden und auf dem Tisch noch eine Weile offen hingelegt werden. Die Höflichkeitsregeln entsprechen dem, was in China üblich ist. Generell ist das gesellschaftliche Leben stark durch das Gedankengut des Konfuzianismus geprägt. Trotz der Wertschätzung von Höflichkeit ist in Singapur die Kiasu-Mentalität (Angst, zu verlieren) immer noch recht verbreitet, was bei manchen Bürgern zu einem egoistisch wirkenden Verhaltensmuster führt. Medien Druckmedien, Fernsehen und Radio sind staatlich kontrolliert, auch halbstaatliche Medien sind zugelassen. Der Zugang zur Internet-Liveübertragung ist möglich. Mit der Absicht ein Medienzentrum der Region zu werden, investiert der Staat massiv in Breitbandtechnologien, Onlinedienste und neue Medien. Im Jahr 2020 nutzten 76 Prozent der Einwohner Singapurs das Internet. Zensur Pressefreiheit existiert in Singapur nicht: Die Medien unterliegen einer strengen staatlichen Zensur. Außerdem führt der permanente staatliche Druck zu einer Selbstzensur. Die Regeln der Berichterstattung für ausländische Korrespondenten beinhalten das Verbot, sich kritisch zur Regierungspolitik zu äußern. Der private Besitz von Satellitenschüsseln ist untersagt. Über Kabel besteht ein Zugang zu ausgewählten internationalen Programmen (Deutsche Welle, BBC, CNN und andere). Die Nichtregierungsorganisation Reporter ohne Grenzen hält die Lage der Pressefreiheit im Land für „sehr ernst“. Als politisch „sensibel“ geltendes Material ist verboten. Pornografie ist verboten; die Darstellung von Sex und Nacktheit ist eingeschränkt. Daher sind der Playboy und andere „Erwachsenenmagazine“ in Singapur verboten. Einige weniger freizügige Magazine sind jedoch im Handel erhältlich. Falls Sex und Nacktheit erlaubt sein sollen, müssen sie zum Kontext passen. Filme, die Nacktheit, Sex oder übermäßige Gewalt zeigen, erhalten normalerweise die Altersfreigabe Mature 18 (M18), in Ausnahmefällen Restricted 21 (R21). Die Regierung zeigt jedoch Interesse daran, diese Beschränkungen aufzuweichen, und hat daher kürzlich die Altersfreigabe M18 geschaffen, um für über 18-Jährige mehr Erwachsenenmaterial zugänglich zu machen. Es bleiben allerdings die geltenden Freigaben NC16 („No Children“) und R21 („Restricted“) bestehen. (Zu Altersfreigaben in Singapur siehe auch die Veröffentlichung der „Media Development Authority“.) Schriften und Medien, die das Zusammenleben der Bevölkerungsgruppen stören und religiöse Gefühle beleidigen, sind verboten. Aufgrund dieser Gesetze ist auch die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas einschließlich ihrer Literatur seit 1972 verboten. Küche Die Küche Singapurs zeichnet sich durch die kulturellen Einflüsse der vertretenen Ethnien aus. Deren gegenseitige Einflüsse sind in der Stadt allgegenwärtig. Neben den traditionellen Rezepten entstehen permanent neue Abwandlungen. Hierdurch entstanden Gerichte wie Laksa, Yong Tau Foo oder Roti Prata, die mit der Zeit als Bestandteile der umfangreichen Reihe der Nationalgerichte gelten. Die im Ausland bekannten Singapur-Nudeln sind in dem Land selbst unbekannt. Feiertage In Singapur gibt es elf Feiertage, von denen drei weltlich und die restlichen kulturelle, religiöse oder ethnische sind. Weltliche Feiertage Neujahr (1. Januar) Tag der Arbeit (1. Mai) Nationalfeiertag (9. August; Unabhängigkeitstag von 1965) Sonstige Feiertage Chinesische Feiertage Chinesisches Neujahrsfest nach dem Chinesischen Kalender (21. Januar bis 21. Februar) 2. Neujahrstag nach dem Chinesischen Kalender (22. Januar bis 22. Februar) Buddhistische Feiertage Vesakh (1. Mai bis 30. Mai) Islamische Feiertage Fest des Fastenbrechens (Hari Raya Puasa) Islamisches Opferfest (Hari Raya Haji) Hinduistische Feiertage Diwali (15. Oktober bis 15. November) Christliche Feiertage Karfreitag Weihnachten (25. Dezember) Da sich die islamischen Feiertage nach einem Mondkalender bestimmen, gibt es jeweils alle 32 bis 33 Jahre einen Feiertag im Jahr doppelt. Dafür kann das Fest des Fastenbrechens mit dem Chinesischen Neujahrsfest zusammenfallen. Die chinesischen Neujahrsfeiertage bestimmen sich nach dem Chinesischen Kalender. Hari Raya Puasa ist am ersten Tag des zehnten Monats im Islamischen Kalender, Hari Raya Haji am zehnten Tag des zwölften Monats. Der Vesak-Tag findet am ersten Vollmond im Mai statt, Diwali am letzten Tag des Monats Asvina nach dem Indischen Kalender. Sehenswürdigkeiten Tourismus ist in Singapur eine wichtige Einkommensquelle, im Jahr 2017 besuchten 17,4 Millionen Touristen Singapur. Zu den Hotels der gehobenen Klasse gehört das Raffles Hotel, in dem berühmte Persönlichkeiten wie Charlie Chaplin, Rudyard Kipling oder Winston Churchill zu Gast waren. Die meisten Hotels liegen im Zentrum oder am Pearls Hill Park. Für Touristen ist Singapur vorwiegend Zwischenziel, an dem diese durchschnittlich 3,67 Tage verweilen. Dennoch bietet die Stadt zahlreiche Attraktionen: Stadtviertel Das Stadtzentrum mit der Einkaufsstraße Orchard Road Der Marina Bay-Bereich mit dem Hotel Marina Bay Sands, dem Marina Bay Street Circuit, dem Singapore Flyer und den Gardens by the Bay Das arabische Viertel Kampong Glam, in dem die Sultan-Moschee und die Arab Street zu finden sind Das indische Viertel Little India, in dem der Sri Veeramakaliamman Tempel zu finden ist Mohamed Sultan Road, eine für ihr Nachtleben bekannte Straße Geylang District, eines der vier Rotlichtviertel von Singapur, in dem legal der Prostitution nachgegangen werden kann Die Vergnügungsviertel Boat Quay und Clarke Quay am Singapore River mit einer Vielzahl von Restaurants, Kneipen, Bars und Diskotheken Das Kolonialviertel mit Fort Canning, dem alten Parlament, dem Victoria Theatre and Concert Hall sowie dem Cricket Club Die Ausflugsinsel Sentosa mit einer Vielzahl von Attraktionen wird vor allem von Familien am Wochenende gerne besucht. Sehenswert sind unter anderem ein begehbares Aquarium, Fort Siloso, der Orchard Garten, der Butterfly Park sowie der Themenpark Vulcanoland Das chinesische Viertel Chinatown Das Ausgehviertel Holland Village ist vor allem bei Expats beliebt. Lage und Aussehen der Stadtviertel für die ethnischen Gruppen: Chinesen, Malayen, Inder, Moslems und andere, wie sie heute zu sehen sind, ließ Thomas Stamford Raffles schon bald nach seiner Ankunft in Singapur anlegen. Außerdem verfügte Raffles, dort durchgehend sog. Shop Houses zu bauen (unten Geschäftsräume mit überdachtem Gehweg, oben Wohnung), wie er sie von der Insel Penang her kannte. Historische Gebäude Das Raffles Hotel mit der berühmten Long-Bar, in dem der Singapore Sling erfunden wurde sowie dem hoteleigenen Museum The Fullerton Hotel war früher ein Bürogebäude, in dem unter anderem das General Post Office untergebracht war Das Victoria Theatre and Concert Hall befindet sich im ehemaligen Rathaus mit seinem markanten Glockenturm Das Chijmes, ehemals Kloster, heute kulturelle Attraktion. Museen Die Museen befinden sich teilweise in historischen Gebäuden: Das Singapore Art Museum zeigt vor allem asiatische Kunst Die National Gallery Singapore zeigt moderne Kunst (19. und 20. Jhdt.) aus Singapur und Südostasien Das Singapore Science Centre bietet interessierten Besuchern über 500 interaktive Experimente Das National Museum of Singapore erläutert die Geschichte Singapurs und stellt darüber hinaus Kunsthandwerk und ausgewählte Prunkstücke der Singapurer Sammlungen aus, wie John Singer Sargents Öl-Porträt des britischen Verwalters Sir Frank Swettenham aus dem Jahre 1904. Im Asian Civilisations Museum werden Sammlungen aus dem chinesischen, malaiischen, islamischen und indischen Kulturkreis gezeigt. In der Battle Box, dem ehemaligen Befehlsstand der Alliierten in Singapur, wird der Fall der Stadt vor den anrückenden Japanern dargestellt. Images of Singapore zeigt die lokale Geschichte sowie Sitten und Gebräuche in der Stadt Das Singapore Philatelic Museum zeigt seltene Briefmarken aus Asien sowie Exponate zur Postgeschichte Singapurs Im Live Turtle and Tortoise Museum im Chinesischen Garten kann man eine Vielzahl an Schildkröten sehen. Durch die große Sammlung hat es das Museum geschafft, einen Eintrag im Guinness-Buch der Rekorde zu erhalten. Parks und Gärten Der Jurong Bird Park, ein Vogelpark mit 400 Vogelarten in zum Teil sehr großen Volieren Das 1883 gegründete, 165 Hektar große Bukit-Timah-Reservat, ein fast primäres Stück Dschungel (Küstenberg-Wald Dipterocarpus) mit der höchsten Erhebung des Inselstaates Die 1993 eröffnete Sungei Buloh Wetland Reserve im Nordwesten der Insel, ein 139 Hektar großer Nationalpark mit Feuchtgebieten und Mangrovenwäldern Der Pasir Ris Park im Nordosten der Insel. Auf Stegen kann man in diesem drittgrößten Park Singapurs die Mangrovensümpfe erkunden. Der Zoo, der zur Beobachtung der nachtaktiven Tiere eine Nacht-Safari anbietet Der 1822 von Sir Thomas Stamford Raffles gegründete Singapore Botanic Gardens mit mehr als einer halben Million Pflanzen und einer spektakulären Orchideensammlung Der East Coast Park mit vielen Freizeitangeboten sowie einer Reihe von Fisch-Restaurants Fort Canning Park beinhaltet zwei gotische Tore, den ältesten christlichen Friedhof der Stadt, den ASEAN Sculpture Park, die Battle Box sowie den Spice Garden, den ersten botanischen Garten der Stadt aus dem Jahre 1822 In der Parklandschaft rund um das MacRitchie Reservoir lädt ein weitläufiges Netz von Wegen zum Wandern ein. Der Chinesische Garten mit Pagoden liegt auf einer Insel im Jurong Lake. Der Japanische Garten Butterfly Park and Insect Kingdom beherbergen mehr als 1500 Schmetterlings- sowie über 2500 Insektenarten. Der Jurong Reptile Park mit ehemals mehr als 400 Reptilienarten wurde im September 2006 geschlossen. Die Gardens by the Bay, auf künstlich gewonnenem Land östlich der Marina Bay angelegt. Bestehend aus dem 2011 eröffneten Bay East Garden (32 Hektar) und dem 2012 eröffneten Bay South Garden (54 Hektar). Bestandteil dieser Anlage sind auch die Heritage Gardens. Eine Erweiterung um den Bay Central Garden (15 Hektar) ist geplant. Ebenfalls auf dem Parkgelände angesiedelt sind die Hallen „Cloud Forest“ und „Flower Dome“ sowie künstliche Riesenbäume. Der Bishan Park besteht aus einem zu einem Fluss umgebauten Kanal. Der Thomson Naturpark zwischen den Straßen Old Upper Thomson Road und Upper Thomson Road wurde Ende 2019 eröffnet. Die Singapurer Regierung verfolgt das stadtplanerische Ziel, durch Fassadenbegrünung die natürliche, tropische Umgebung mit dem Baubestand zu verbinden. Das Stadtbild ist geprägt von Straßenbäumen, Grünanlagen und unzähligen kleinen und größeren Parks, die in und um die Wohneinheiten liegen. Über 3320 Hektar des Landes sind Parks oder grüne Freiflächen. Denkmäler Das Wahrzeichen Singapurs, der Merlion, eine Kombination aus Löwe und Fisch Eine Plakette markiert die Stelle, an der Sir Thomas Stamford Raffles angeblich zum ersten Mal den Boden Singapurs betreten hat. Das Lim Bo Seng Memorial gedenkt des von den Japanern im Zweiten Weltkrieg umgebrachten Kriegshelden Lim Bo Seng Sonstige Sehenswürdigkeiten Die Esplanade, ein 2002 eröffnetes Kulturzentrum in Form einer Stinkfrucht, deswegen in Singapur besser bekannt unter dem Namen Durian. Pulau Ubin, eine Insel nordöstlich der Hauptinsel Singapurs ist im Gegensatz zum restlichen Singapur noch beinahe komplett unbebaut und naturbelassen. Die kleine Insel wird häufig von Einheimischen für Wochenendausflüge und Fahrradtouren in die Natur aufgesucht. Der Aussichtspunkt Mount Faber mit einem 360°-Blick über Singapur. Eine Seilbahn verbindet den Berg mit Sentosa. Die Haw Par Villa ist ein Vergnügungspark, gestaltet nach Themen aus der chinesischen Mythologie. Die Insel Saint John’s Island (Pulau Sakijang Bendera) ist Singapur vorgelagert und bietet Ausflüglern Gelegenheit zum Baden und Wandern. Am 18. März 2010 eröffneten die Universal Studios Singapore, ein Themenpark der auf der Ferieninsel „Resorts World Sentosa“ Attraktionen und Shows zu filmbezogenen Themen bietet. In Singapur steht das mit einer Höhe von 165 Metern zweitgrößte Riesenrad der Welt, der Singapore Flyer. Hotel Marina Bay Sands mit Aussichtsplattform, Bar und Schwimmbecken auf 200 Meter Höhe. Kusu Island, eine kleine zum Teil aufgeschüttete Insel vor Singapur. Der Springbrunnen des Reichtums galt 1998 als größter Brunnen der Welt. Sport Sportler Bis zu den Olympischen Spielen 2012 in London war der Gewichtheber Tan Howe Liang einziger olympischer Medaillengewinner Singapurs, der bei den Olympischen Spielen 1960 in Rom Silber im Leichtgewicht gewann. In London 2012 gewann die Tischtennisspielerin Feng Tianwei Bronze sowohl im Einzel, als auch in der Mannschaftswertung mit Li Jiawei und Wang Yuegu. Die Badmintonspielerin Li Li gewann den Dameneinzeltitel bei den Commonwealth Games 2002. Bekannt sind auch der Badmintonspieler Ronald Susilo und seine Frau, die Tischtennisspielerin Li Jia Wei. Der chinesische Schach-Großmeister Zhang Zhong spielt seit 2007 für den Schachverband von Singapur. Der Schwimmer Joseph Schooling sorgte bei den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro für Aufmerksamkeit und gewann Gold über 100 m Schmetterling und ist seitdem einer der bekanntesten Sportler Singapurs. Loh Kean Yew wurde am 19. Dezember 2021 Badminton-Weltmeister in Huelva und ist damit der erste Badminton-Weltmeister aus Singapur. Fußball Die Singapore Premier League ist die höchste Spielklasse im singapurischen Fußball und wird von der Football Association of Singapore, dem Fußballverband Singapurs, organisiert. Darüber hinaus hat Singapur auch eine Nationalmannschaft, die als viermalige Sieger der Fußball-Südostasienmeisterschaft derzeit die stärkste südostasiatische Nationalmannschaft ist. Olympische Jugendspiele 2010 war Singapur die erste Stadt, in der die Olympischen Jugendspiele stattfanden. Vom 14. bis 26. August 2010 haben jugendliche Sportler aus aller Welt in Singapur um die olympischen Medaillen gekämpft. Special Olympics Special Olympics Singapur wurde 1983 gegründet und nahm mehrmals an Special Olympics Weltspielen teil. Der Verband hat seine Teilnahme an den Special Olympics World Summer Games 2023 in Berlin angekündigt. Die Delegation wird vor den Spielen im Rahmen des Host Town Programs vom Landkreis Börde, Haldensleben, Helmstedt und dem Landkreis Helmstedt betreut. Marathon Jedes Jahr findet Anfang Dezember der Singapur-Marathon statt, der mittlerweile zu den teilnehmerstärksten der Welt gehört. Formel 1 Das erste Formel-1-Rennen in Singapur fand am 28. September 2008 auf dem Marina Bay Street Circuit statt. Es war gleichzeitig das erste Nachtrennen in der Formel-1-Geschichte. Fernando Alonso gewann das Rennen. Der erfolgreichste Formel-1 Fahrer auf dieser Strecke ist Sebastian Vettel, mit 5 Siegen (Stand 2020). Rugby Rugby Union gelangte im späten 19. Jahrhundert in die britische Kolonie Singapur. Als ab Anfang des 20. Jahrhunderts der Malay Cup – eine der ältesten Trophäen im Rugby – zwischen Malaysia und Singapur ausgetragen wurde, genoss der Sport eine regelmäßige Präsenz in Singapur. In Singapurs Nationalstadium wird ein jährliches Siebener-Rugby-Turnier ausgetragen, die Singapore Sevens. Cricket Cricket gelangte wie die meisten anderen Sportarten während der britischen Kolonialzeit nach Singapur. Die Singapurische Cricket-Nationalmannschaft ist eine der besten Mannschaften Asiens außerhalb der ICC-Mitglieder mit ODI-Status und erreichte mit dem 20. Platz in der T20I-Rangliste des ICC im März 2020 ihre beste Platzierung bisher. Persönlichkeiten In Singapur geborene Persönlichkeiten Abu Bakar von Johor (1833–1895), Sultan von Johor Eduard Lorenz Lorenz-Meyer (1856–1926), deutscher Unternehmer, Kunstsammler, Heraldiker und Kunstmäzen Carl Detmar Stahlknecht (1870–1946), deutscher Jurist und Politiker Ernest Wilton (1870–1952), britischer Diplomat Robert Walter Campbell Shelford (1872–1912), britischer Entomologe, Museumsdirektor und Naturforscher Leslie Charteris (1907–1993), britisch-amerikanischer Krimi-Schriftsteller Benjamin Henry Sheares (1907–1981), Politiker David Saul Marshall (1908–1995), Politiker Tan Chin Tuan (1908–2005), chinesisch-singapurischer Manager Francis Chan (1913–1967), katholischer Bischof von Penang Lim Yew Hock (1914–1984), Politiker Lim Kim San (1916–2006), Politiker Mohamad bin Hamzah (1918–1993), Vexillograph und Architekt Lee Kuan Yew (1923–2015), Politiker Sellapan Ramanathan (1924–2016), Politiker, Staatspräsident (1999–2011) Chia Boon Leong (1925–2022), Fußballspieler Richard Hu (1926–2023), Politiker, Finanzminister (1985–2001) Heather Chasen (1927–2020), britische Schauspielerin Ewen Fergusson (1932–2017), britischer Diplomat und Rugbyspieler Ong Teng Cheong (1936–2002), Politiker Lam Lay Yong (* 1936), Mathematikhistorikerin Nicholas Chia (* 1938), chinesischer Geistlicher Allan Massie (* 1938), schottischer Schriftsteller und Journalist Shunmugam Jayakumar (* 1939), Politiker Tony Tan Keng Yam (* 1940), Politiker Tony Anholt (1941–2002), britischer Schauspieler Han Sai Por (* 1943), Bildhauerin Wong Kan Seng (* 1946), Politiker Kishore Mahbubani (* 1948), Politikwissenschaftler und Diplomat Phoon Yew Tien (* 1952), Komponist Chieh Tsao (1953–1996), Komponist, Ingenieur und Mathematiker Paul Lim (* 1954), Dartspieler Brad Cooper (* 1954), australischer Schwimmer Khoo Boon Hui (* 1954), Politiker George Yeo (* 1954), Politiker Terry Butcher (* 1958), englischer Fußballspieler und -trainer Julia Nickson-Soul (* 1958), Schauspielerin Simryn Gill (* 1959), bildende Künstlerin Ravi Veloo (* 1959), Journalist und Schriftsteller Lui Tuck Yew (* 1961), Politiker Lee Yi Shyan (* 1962), Politiker Joseph Prince (* 1963), Pastor und Buchautor Paul Howe (* 1965), britischer Schwimmer Gayle San (* 1967), Musikproduzentin Chin Han (* 1969), Schauspieler Deborah Hawksley (* 1970), britische Opern- und Konzertsängerin Colin Lynch (* 1970), irischer Paracycler Louis Theroux (* 1970), britischer Journalist James Le Mesurier (1971–2019), britischer Offizier und Zivilschützer Nazri Nasir (* 1971), Fußballspieler Annabel Chong (* 1972), Pornodarstellerin Nanni Erben (* 1974), deutsche Filmproduzentin Tan Paey Fern (* 1974), Tischtennisspielerin Aide Iskandar (* 1975), Fußballspieler Daniel Kowalski (* 1975), australischer Schwimmer François Perrodo (* 1977), französischer Unternehmer, Polospieler und Autorennfahrer Alfian bin Sa’at (* 1977), Schriftsteller und Dichter Cyril Wong (* 1977), Dichter Gwendoline Yeo (* 1977), sino-amerikanische Schauspielerin Vanessa-Mae (* 1978), britische Violinistin Indra Sahdan Bin Daud (* 1979), Fußballspieler Cheryl Chin (* 1979), Schauspielerin Kaylani Lei (* 1980), US-amerikanische Stripperin und Pornodarstellerin Kai Wong (* 1980), US-amerikanischer französischer Schauspieler, Musiker und Produzent Michael Yani (* 1980), US-amerikanischer Tennisspieler Tila Tequila (* 1981), US-amerikanisches Model und Sängerin Lionel Lewis (* 1982), Fußballspieler Aliff Shafaein (* 1982), Fußballspieler Rachel Yang (* 1982), Stabhochspringerin Kelly B. Jones (* 1983), thailändisch-walisische Schauspielerin, Synchronsprecherin, Moderatorin und Model Jackson Rathbone (* 1984), US-amerikanischer Schauspieler und Musiker Sofiyan Abdul Hamid (* 1985), Fußballspieler Michelle Ng (* 1986 oder 1987), eine chinesische Theater- und Filmschauspielerin, Filmproduzentin, Fernsehmoderatorin und Model Isa Halim (* 1986), Fußballspieler Gary Yeo Foo Ee (* 1986), Sprinter Muhammad Taqi (* 1986), Fußballschiedsrichter Adrian Zaugg (* 1986), Autorennfahrer Youri Ziffzer (* 1986), deutscher Eishockeytorhüter Jamal Amirudin (* 1987), Sprinter Elfi Mustafa (* 1987), Sprinter Fairoz Hasan (* 1988), Fußballspieler Irwan Shah (* 1988), Fußballspieler Roy Hobbs (* 1989), Tennisspieler Fabian Kwok (* 1989), Fußballspieler Ross Butler (* 1990), US-amerikanischer Schauspieler Faritz Hameed (* 1990), Fußballspieler Hariss Harun (* 1990), Fußballspieler Nazrul Nazari (* 1991), Fußballspieler Raihan Rahman (* 1991), Fußballspieler Soh Rui Yong (* 1991), Langstreckenläufer Shahfiq Ghani (* 1992), Fußballspieler Goh Chui Ling (* 1992), Leichtathletin Meg Lanning (* 1992), australische Cricketspielerin Safirul Sulaiman (* 1992), Fußballspieler Wai Loon Ho (* 1993), Fußballspieler Syahiran Miswan (* 1994), Fußballspieler Deborah Tsai (* 1994), australische Synchronschwimmerin Timothee Yap Jin Wei (* 1994), Leichtathlet Ammirul Emmran (* 1995), Fußballspieler Taufik Suparno (* 1995), Fußballspieler Tim David (* 1996), singapurisch-australischer Cricketspieler Mukundan Maran (* 1996), Fußballspieler Zubin Percy Muncherji (* 1996), Sprinter Shanti Pereira (* 1996), Sprinterin Calvin Quek (* 1996), Hürdenläufer Suhairi Sabri (* 1996), Fußballspieler Darren Teh (* 1996), Fußballspieler Amir Zalani (* 1996), Fußballspieler Hariz Farid (* 1997), Fußballspieler Adam Hakeem (* 1997), Fußballspieler Faisal Shahril (* 1997), Fußballspieler Danish Uwais (* 1997), Fußballspieler Hafiz Ahmad (* 1998), Fußballspieler Shaheed Alam (* 1998), Tennisspieler Naufal Azman (* 1998), Fußballspieler Max Goh (* 1998), Fußballspieler Amer Hakeem (* 1998), Fußballspieler Syed Firdaus Hassan (* 1998), Fußballspieler Haiqal Pashia (* 1998), Fußballspieler Prakash Raj (* 1998), Fußballspieler Rusyaidi Salime (* 1998), Fußballspieler Idraki Adnan (* 1999), Fußballspieler Saifullah Akbar (* 1999), Fußballspieler Ikhsan Fandi (* 1999), singapurisch-südafrikanischer Fußballspieler Amirul Haikal (* 1999), Fußballspieler Nazhiim Harman (* 1999), Fußballspieler Irfan Najeeb (* 1999), Fußballspieler Kishon Philip (* 1999), Fußballspieler Carolyn Rayna Buckle (* 2000), australische Synchronschwimmerin Khairul Hairie (* 2000), Fußballspieler Glenn Kweh (* 2000), Fußballspieler Jacob Mahler (* 2000), singapurisch-dänischer Fußballspieler Shahib Masnawi (* 2000), Fußballspieler Martyn Mun (* 2000), Fußballspieler Qayyum Raishyan (* 2000), Fußballspieler Aravindhan Ramanathan (* 2000), Fußballspieler Rezza Rezky (* 2000), Fußballspieler Jordan Vestering (* 2000), Fußballspieler Azim Akbar (* 2001), Fußballspieler Wayne Chew (* 2001), Fußballspieler Prathip Ekamparam (* 2001), Fußballspieler Fudhil I’yadh (* 2001), Fußballspieler Haziq Kamarudin (* 2001), Fußballspieler Keshav Kumar (* 2001), Fußballspieler Puvan Raj (* 2001), Fußballspieler Kayla Sanchez (* 2001), kanadische Schwimmerin Jared Gallagher (* 2002), Fußballspieler Naufal Ilham (* 2002), Fußballspieler Andreas Jungdal (* 2002), dänischer Fußballspieler Hariysh Krishnakumar (* 2002), Fußballspieler Marc Brian Louis (* 2002), Leichtathlet Amir Mirza (* 2002), Fußballspieler Ilhan Noor (* 2002), Fußballspieler Jarrel Ong (* 2002), Fußballspieler Dylan Pereira (* 2002), Fußballspieler Ryan Praveen (* 2002), Fußballspieler Fathullah Rahmat (* 2002), Fußballspieler Nicky Melvin Singh (* 2002), Fußballspieler Marc Ryan Tan (* 2002), Fußballspieler Andrew Aw Yong Rei (* 2003), Fußballspieler Syafi Hilman (* 2003), Fußballspieler Raimi Ishraq (* 2003), Fußballspieler Aidil Johari (* 2003), Fußballspieler Irfan Mika'il (* 2003), Fußballspieler Glenn Ong (* 2003), Fußballspieler Aniq Raushan (* 2003), Fußballspieler Syafi’ie Redzuan (* 2003), Fußballspieler Ajay Robson (* 2003), Fußballspieler Umayr Sujuandy (* 2003), Fußballspieler Shakthi Vinayagavijayan (* 2003), Fußballspieler Ong Yu En (* 2003), Fußballspieler Muhammad Asis (* 2004), Fußballspieler Kenji Austin (* 2004), Fußballspieler Christos Chua (* 2004), Fußballspieler Irfan Iskandar (* 2004), Fußballspieler Hilman Norhisam (* 2004), Fußballspieler Febryan Putra Pradana (* 2004), Fußballspieler Adam Reefdy (* 2004), Fußballspieler Amir Syafiz (* 2004), Fußballspieler Kieran Teo (* 2004), Fußballspieler Aizil Yazid (* 2004), Fußballspieler Aqil Yazid (* 2004), Fußballspieler Junki Kenn Yoshimura (* 2004), Fußballspieler Fairuz Fazli (* 2005), Fußballspieler Kian Ghadessy (* 2005), Fußballspieler Anton Yen Goh (* 2005), Fußballspieler Ikram Mikhail Mustaqim (* 2005), Fußballspieler Raoul Suhaimi (* 2005), Fußballspieler Kai Yamamoto (* 2005), japanisch-US-amerikanischer Fußballspieler Jovan Ang (* 2006), Fußballspieler Caelan Cheong (* 2006), Fußballspieler Iryan Fandi (* 2006), Fußballspieler Matthias Koesno (* 2006), Fußballspieler Kegan Phang (* 2006), Fußballspieler Jonan Tan (* 2006), Fußballspieler George Thomas (* 2006), englischer Fußballspieler Idzham Eszuan (* 2007), Fußballspieler Danish Haqimi (* 2007), Fußballspieler Kai Sheng Loo (* 2007), Fußballspieler Nathan Mao (* 2008), Fußballspieler Siehe auch Liste der Außenminister von Singapur Liste der deutschen Botschafter in Singapur Liste der Botschafter der Vereinigten Staaten in Singapur Liste der olympischen Medaillengewinner aus Singapur Liste der höchsten Gebäude in Singapur Erzbistum Singapur#Bischöfe Literatur Beng Huat Chua: Liberalism Disavowed: Communitarianism and State Capitalism in Singapore. Cornell University Press, Ithaca 2017, ISBN 978-1-5017-1343-9. (englisch) Paul Linnarz: Harmonie im Staatsauftrag. Wie Singapur mit Einwanderung und Integration umgeht, KAS-Auslandsinformationen. 04/2011, Berlin 2011, S. 101–116. Rolf A. Schütze, René-Alexander Hirth: Einführung in das Recht Singapurs. Verlag C.H. Beck, München 2007, ISBN 978-3-406-55730-9. Michael Hill, Kwen Fee Lian: The Politics of Nation Building and Citizenship in Singapore. Routledge, London / New York 1995, ISBN 0-415-12025-X. (englisch) Weblinks Website der Regierung der Republik Singapur (englisch) Botschaft der Republik Singapur in Berlin (deutsch, englisch) deutsches Auswärtiges Amt – Länderinformationen Singapur Maritime and Port Authority of Singapore (englisch) Website der Region Mandai Singapur (englisch) Andrea Kath: 01.09.1963 – Singapur wird unabhängig, Westdeutscher Rundfunk, ZeitZeichen vom 1. September 2013 (Podcast) Einzelnachweise Staat in Asien Hauptstadt in Asien Ort in Singapur Ort mit Seehafen Millionenstadt Mitgliedstaat der Vereinten Nationen Indochina Inselstaat Hochschul- oder Universitätsstadt Mitgliedstaat des Commonwealth of Nations Mitgliedstaat der ASEAN
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3,994.495655
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https://de.wikipedia.org/wiki/Ceuta
Ceuta
Ceuta (, ; ) ist eine spanische Stadt an der nordafrikanischen Küste und der Straße von Gibraltar mit Einwohnern (Stand ). Ceuta gehört als spanische Exklave zur Europäischen Union, nicht aber zur NATO, und verfügt über einige Sonderrechte. Insbesondere ist es gemäß dem Zollkodex der Union vom Zollgebiet der Union ausgenommen. Ceuta gehört auch nicht zum Schengen-Raum. Ceuta war seit dem Jahr 1415 zunächst in portugiesischem und später in spanischem Besitz; auch nach der Unabhängigkeit Marokkos 1956 blieben Ceuta und das ebenfalls in Nordafrika gelegene Melilla spanisch. Von marokkanischer Seite wird der Gebietsanspruch auf die beiden Städte grundsätzlich betont, konkrete Schritte zu dessen Durchsetzung wurden und werden aber nicht unternommen. Seit 1995 haben Ceuta und Melilla den Status einer „autonomen Stadt“ (ciudad autónoma), der ihnen einige der Befugnisse der autonomen Gemeinschaften verleiht. Ceuta hat seit 1993 einen Grenzzaun zu Marokko, um Einwanderung in die EU zu verhindern. Lage Die 18,5 Quadratkilometer große spanische Exklave liegt auf der Spitze einer Halbinsel der westlichen Mittelmeerküste Marokkos. Das Gebiet hat eine Landgrenze mit Marokko und ist etwa 21 Kilometer von der Iberischen Halbinsel entfernt. Die Fährverbindung nach Algeciras dauert ca. eine Stunde. Die nächste größere Stadt auf marokkanischem Boden ist das etwa 40 Kilometer südlich gelegene Tétouan. Bevölkerung Im Jahr 2006 war die eine Hälfte der Einwohnerschaft christlichen und die andere Hälfte muslimischen Glaubens. Geschichte Etymologie „Sieben Brüder“ war der antike Name des Bergmassivs Jbel Musa. Aus der Ortsbezeichnung „Bei den Sieben Brüdern“ entstand als römische Lehnübersetzung Ad Septem Fratres und daraus die Kurzform Septem → Septa. Im Arabischen gibt es kein /p/, weshalb es durch /b/ ersetzt wurde: arabisch Sabta. Zur Umlautung /a/ → /e/ siehe Arabische Dialekte: Imāla. Die portugiesische und spanische (und internationalisierte) Namensform lautet Ceuta. Die Substituierung des Lautes /b/ (in arab. Sabta) durch den Laut /u/ (in Ceuta) entspricht dem häufigen Tausch der Grapheme „b“ und „v/u“ in den iberoromanischen Sprachen. Antike und Mittelalter Die Geschichte der Stadt begann mit den Griechen – phönizische Spuren wurden bislang nicht entdeckt. Es ist aber nicht gesichert, ob an der Stelle des heutigen Ceuta dauerhafte Siedlungen existierten. Die Griechen nannten den Ort , was sich auf sieben Berge der Umgebung bezieht. Im Jahr 319 v. Chr. übernahmen die Karthager die Stadt. Nach dem Zweiten Punischen Krieg wurde Ceuta als Septem Fratres römisch, und die Einwohner erhielten das römische Bürgerrecht. Ceutas strategische und wirtschaftliche Bedeutung wuchs, und die Stadt wurde – neben dem konkurrierenden Tingis (= Tanger) – zur bedeutendsten der römischen Provinz Mauretania Tingitana. Im Jahre 429 eroberten Vandalen die Stadt. 534 fiel sie an das Byzantinische Reich als Nachfolger des Römischen Reiches. 616 wurde sie von den Westgoten erobert. Im frühen 8. Jahrhundert soll in Ceuta möglicherweise noch ein byzantinischer Statthalter fungiert haben (siehe Julian), doch nahmen schließlich die Araber und die mit ihnen verbündeten Berberstämme die Stadt ein. In der Folgezeit unterstand Ceuta den spanischen Umayyaden sowie den berberischen Almoraviden, Almohaden und Meriniden (kurzzeitig auch den tunesischen Hafsiden). Portugal und Spanien (1415–1668) Am 21. August 1415 eroberten die Truppen von König Johann I. in einer großangelegten Militäraktion die Stadt im Rahmen der Reconquista. Für Portugals Ambitionen, den Seeweg nach Indien zu finden, war der Ort strategisch eher unbedeutend. 1578 starb der junge portugiesische König Sebastian I. in der Schlacht von Alcácer-Quibir und blieb ohne direkte Nachkommen. Durch die damit verbundene Änderung der Erbfolge fiel Ceuta 1580 zusammen mit dem Mutterland an die spanische Krone (Personalunion). 1640 erklärte sich Portugal wieder für unabhängig, was heftigen politischen Streit auslöste. Nach zwei militärischen Niederlagen im Restaurationskrieg erkannte Spanien im Frieden von Lissabon (1668) die Unabhängigkeit Portugals an. Spanien (ab 1668) 1668 wurden Ceuta und die Isla Perejil im Rahmen des Friedensvertrages von Lissabon von Portugal an Spanien abgetreten. Das Stadtwappen Ceutas blieb jedoch bis auf den heutigen Tag identisch mit dem Staatswappen Portugals. Die heutigen Grenzen wurden 1860 nach dem Spanisch-Marokkanischen Krieg im Friedensvertrag von Tétouan festgelegt. Daher wurde Ceuta 1912 auch nicht Teil des spanischen Protektorats in Marokko, sondern blieb als Plaza de soberanía direkt der spanischen Regierung unterstellt. Da die Stadt nicht Teil des Protektorats war, blieb sie auch nach der marokkanischen Unabhängigkeit (1956) Teil von Spanien. Bis zum 14. März 1995 gehörte Ceuta zur Provinz Cádiz. Seither ist sie eine „autonome Stadt“ (Ciudad autónoma) und genießt ähnliche Rechte wie die autonomen Gemeinschaften des Mutterlandes. Letzteres gilt auch für Melilla. Migration und Grenzzaun Ceuta hat seit 1993 einen Grenzzaun zu Marokko, um Einwanderung in die EU zu verhindern. 1995 wurde die Grenzanlage erweitert und 2005 der Zaun von drei auf sechs Meter erhöht. Die gesamte Anlage ist (Stand 2008) 24 km lang. Seit 2005 kam es immer wieder zu kritischen Situationen, bei denen große Menschengruppen versuchten, den Zaun zu überwinden. Mehrfach konnten dabei hunderte bis Tausende von Flüchtlingen die Grenzanlagen überwinden, wobei zumeist anschließend eine Abschiebung der Migranten zurück nach Marokko erfolgte. Im Zuge der Flüchtlingskrise in Europa ab 2015 war Ceuta zunehmend in den Fokus der internationalen Politik geraten, da Migranten aus Afrika in großer Zahl versuchten, die Grenzzäune um die Stadt zu überwinden, um ein Aufenthaltsrecht in der Europäischen Union zu erlangen. Im Mai 2021 gelangten tausende von Flüchtlingen nach Ceuta, indem sie durch das Meer schwammen. Zuvor hatten stets marokkanische Polizisten die Wassergrenze bewacht. Der Rückzug der marokkanischen Sicherheitskräfte wurde offenbar von Marokkos König Mohammed VI. angeordnet, der die Migrationspolitik offenbar regelmäßig benutzt, um Druck auf Spanien und Europa auszuüben. Politik Partnerstädte Aci Catena, Italien Algeciras, Spanien Alhaurín de la Torre, Spanien Cádiz, Spanien Guadalajara, Mexiko Melilla, Spanien Santarém, Portugal Wirtschaft und Infrastruktur Die wichtigsten Wirtschaftszweige im Primärsektor sind die Fischzucht in Aquakulturen und die Fischverarbeitung – Landwirtschaft gibt es auf dem Gebiet der Exklave nicht. In der Vergangenheit spielte auch der Bausektor eine bedeutende Rolle, doch seit etlichen Jahren stagniert das Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum und damit auch die Bauindustrie. Vom Freihafen aus werden vor allem in der Umgebung von Tétouan weiterverarbeitete Nordseekrabben sowie Fisch und Obst exportiert. Der grenzüberschreitende Handel sowie finanzielle Transfers vom spanischen Festland oder der restlichen EU sind weitere wirtschaftliche Stützen der Stadt. Das einzige gesetzliche Zahlungsmittel ist der Euro, doch werden in vielen Geschäften auch marokkanische Dirhams sowie Britische Pfund, US-Dollar u. ä. angenommen. Im Vergleich mit dem BIP der EU ausgedrückt in Kaufkraftstandards erreicht Ceuta einen Index von 97 (EU-27:100) (2006). Im Jahr 2017 betrug die Arbeitslosenquote 22,4 % und gehört damit zu den höchsten innerhalb der Europäischen Union. Bis 1958 besaß Ceuta mit der Bahnstrecke Ceuta–Tétouan eine Bahnverbindung nach Marokko. Kultur und Sehenswürdigkeiten Das historische Zentrum von Ceuta wurde als Kulturgut (Bien de Interés Cultural) der Kategorie Conjunto histórico-artístico eingelistet. Militärische Bauten Ältestes Zeugnis dieser Art ist die im Westen der Stadt gelegene merinidische Stadtmauer aus dem 13./14. Jahrhundert. Sie ist in der für Marokko typischen Stampflehmbauweise errichtet, die zwar Gewehrkugeln standhält, aber bei einem Beschuss mit schwerer Artillerie keine Sicherheit mehr bietet. Nach der Eroberung der Halbinsel durch die Portugiesen wurden sicherlich auch Befestigungsanlagen errichtet, doch ist von ihnen nichts erhalten. Der Foso de San Felipe stammt aus dem 16. Jahrhundert, seine beiden geböschten Endbastionen (baluartes) wurden im 17. Jahrhundert ergänzt. Neben den Befestigungswerken auf der Insel Malta gehört der seitlich durch hohe Mauern gesicherte Graben zu den mächtigsten europäischen Militäranlagen des gesamten Mittelmeerraumes. Im 17. Jahrhundert wurden überall auf der Halbinsel kleinere Bastionen errichtet. Die Fuerte de Aranguren entstammt dieser Zeit und befindet sich auf einem Hügel westlich der Stadt. Ein ähnlicher Bau, die Fuerte de Ányera, befindet sich in der zerklüfteten Berglandschaft des Monte Hacho. Die gesamte Spitze der Halbinsel mit dem Monte Hacho an ihrer höchsten Stelle ist durch eine Reihe von kleineren Forts gesichert. Die ehemalige Festung El Desnarigado ist mit Kanonen gegen Angriffe von der Seeseite gesichert. Heute befindet sich hier ein Militärmuseum. Religiöse Bauten Die Kathedrale Santa María de la Asunción wurde bereits im 15. Jahrhundert auf den Fundamenten einer Moschee gegründet, in der Folgezeit jedoch immer wieder erweitert und umgebaut. Ihr heutiges Aussehen entspricht im Wesentlichen dem halb barocken, halb neoklassischen Zeitgeschmack des 17. und 18. Jahrhunderts; die letzten Veränderungen des dreischiffigen Innenraumes erfolgten in den Jahren 1954/1955. Seit dem Jahr 1851 Bischofssitz, bildet sie ein gemeinschaftliches Bistum mit der spanischen Stadt Cádiz. Die Kirche Santa María de África ist möglicherweise älter als die Kathedrale; die letzten Umbauten erfolgten jedoch erst im 18. Jahrhundert. Sie beherbergt eine Marienfigur der Nuestra Señora de África, die als Schutzpatronin der Stadt verehrt wird. Die Moschee Muley el Mehdi entstand in der Mitte des 20. Jahrhunderts und orientiert sich mit ihrem quadratischen Minarett an den almohadischen Moscheebauten Marokkos (vgl. Koutoubia-Moschee). Zivile Bauten Die aus dem 12./13. Jahrhundert stammenden fensterlosen arabischen Bäder (baños árabes) werden ausschließlich durch – manchmal sternförmige – Oberlichter erhellt. Das für den Betrieb des Hammām notwendige Wasser wurde in Zisternen (aljibes) mit einem Fassungsvermögen von mehreren hundert Kubikmetern aufgefangen. Wie schon die römischen Thermenanlagen, so gehörten auch die islamischen Badehäuser zu den wenigen Gewölbebauten der jeweiligen Architekturtradition. Die Anlage wurde in christlicher Zeit überbaut und erst in den 1960er-Jahren wieder freigelegt. Das im neogotischen Stil errichtete Monumento de los Heroes de África erinnert an die auf spanischer Seite gefallenen Soldaten während des Spanisch-Marokkanischen Krieges (1859–1860). Ceuta hat mehrere recht originelle Wohnbauten – hier sind vor allem die Casa de los Dragones oder das erst zu Beginn des neuen Jahrtausends entstandene Gebäude Pret a Porter zu nennen. Parkanlagen In den umfangreichen Grünanlagen des in den 1940er- und 1950er-Jahren gestalteten Parque de San Amaro leben auch Berberaffen. Der Parque Marítimo del Mediterráneo wurde in den 1990er-Jahren nach Entwürfen des Architekten César Manrique gestaltet. Persönlichkeiten Söhne und Töchter der Stadt: al-Idrisi (1100–1166), Kartograph, Geograf und Botaniker Pedro Sarsfield (1781–1837), spanischer General irischer Abstammung und Vizekönig von Navarra Antonio Dorregaray (1820–1882), General Rafael Lesmes (1926–2012), Fußballspieler Manuel Chaves (* 1945), Politiker José Martínez Sánchez „Pirri“ (* 1945), Fußballspieler Miguel Bernardo Bianquetti (* 1951), Fußballspieler Nayim (* 1966), Fußballspieler Carmen Miriam Jiménez Rivas (* 1982), Mitglied der Popband Bellepop Guillermo Molina (* 1983), Wasserball-Nationalspieler (Weltmeister 2001) Alicia Sanz (* 1988), Schauspielerin Gonzalo Campos López (* 1991), Musicaldarsteller Olga Parres Azcoitia (* 1993), Tennisspielerin Siehe auch Liste der Exklaven und Enklaven Weblinks Offizielle Webseite der Stadt Ceuta (spanisch) Ceuta, historische Bauten – Seite noch nicht fertig (spanisch) Leonie Wild: Blind Date mit Europa: Die Lidl-Flüchtlinge von Ceuta. Spiegel Online, 17. Dezember 2007 1415 – Eroberung von Ceuta auf WDR 3 am 21. August 2015. Einzelnachweise Municipio in Spanien Ort in Spanien Conjunto histórico-artístico Ort in Afrika Spanische autonome Gemeinschaft Umstrittenes Territorium Halbinsel (Afrika) Halbinsel (Spanien) Halbinsel (Mittelmeer) Exklave Archäologischer Fundplatz in Spanien Karthagische Stadt Ort mit Seehafen Marokkanisch-portugiesische Beziehungen Spanische Kolonialgeschichte (Afrika) Portugiesische Kolonialgeschichte (Afrika) Grenze zwischen Marokko und Spanien
Q5823
703.864312
40700
https://de.wikipedia.org/wiki/Genf
Genf
Genf (, , , ) ist eine Stadt und politische Gemeinde sowie der Hauptort des Kantons Genf in der Schweiz. Die Stadt liegt am südwestlichen Zipfel der französischen Schweiz (Romandie) in der Genferseeregion am Ausfluss der Rhone aus dem Genfersee. Mit ihren Einwohnern () ist Genf nach Zürich die zweitgrösste Stadt der Schweiz. Prozent der Einwohner verfügen nicht über das Schweizer Bürgerrecht, womit Genf neben Basel und Lausanne zu den Schweizer Städten mit sehr hohem Ausländeranteil zählt. Die statistische Bevölkerungsdichte hat mit Einwohnern pro Quadratkilometer einen äusserst hohen Wert für Schweizer Verhältnisse. Die 1,3 Millionen Einwohner (2020) zählende Metropolregion Genf-Lausanne ist ein erweiterter Ballungsraum und ist der bedeutendste der französischen Schweiz. Die Stadt Genf beheimatet neben New York City weltweit die meisten internationalen Organisationen, darunter UNO, CERN, IKRK, WHO, IAO, IOM, ISO, IEC, ITU, WIPO, WMO, WOSM und WTO. Zusammen mit Basel (Bank für Internationalen Zahlungsausgleich), New York City (UNO-Hauptquartier) und Strassburg (Europarat) zählt Genf zu den wenigen Städten der Welt, die als Sitz einer der gemeinhin als wichtigsten erachteten internationalen Organisationen fungieren, ohne die Hauptstadt eines Staates zu sein. Zudem sind hier 175 Staaten diplomatisch vertreten; so unterhalten einige die diplomatische Repräsentanz in der Schweiz nicht in der Bundesstadt Bern, sondern in Genf. Genf ist nach Zürich der zweitgrösste Finanzplatz der Schweiz, danach folgt Lugano. In einer Rangliste der wichtigsten Finanzzentren weltweit belegt Genf im Jahr 2018 den 26. Platz. Seit Jahren wird Genf neben Zürich und Basel als Teil der zehn Städte mit der weltweit besten Lebensqualität und zugleich mit den global höchsten Lebenshaltungskosten gelistet. 2018 waren 18,6 Prozent der Bevölkerung Millionäre (gerechnet in US-Dollar). Genf ist damit, hinter Monaco, die Stadt mit der zweithöchsten Millionärsdichte weltweit. Geographie Lage und Besonderheiten Genf liegt zwischen den Voralpen und dem Jura. Der Mont Salève im Süden der Stadt gilt als ihr Hausberg, er liegt allerdings bereits auf französischem Staatsgebiet. Die Stadtfläche beträgt 15,89 Quadratkilometer. Stadtgliederung Das Stadtgebiet setzt sich aus den vier Stadtbezirken () Cité, Plainpalais, Eaux-Vives und Petit-Saconnex zusammen. Die drei letzten entsprechen den 1930 eingemeindeten Gemeinden. Die Stadtbezirke sind weiter in so genannte Stadtviertel Quartiers untergliedert: Klima Die Jahresmitteltemperatur für die Normalperiode 1991 bis 2020 beträgt 11,0 Grad Celsius, wobei im Januar mit 2,1 Grad Celsius die kältesten und im Juli mit 20,6 Grad Celsius die wärmsten Monatsmitteltemperaturen gemessen werden. Im Mittel sind hier rund 73 Frosttage und 7 Eistage zu erwarten. Sommertage gibt es im Jahresmittel rund 64, während normalerweise 17 bis 18 Hitzetage zu verzeichnen sind. Die Wetterstation von MeteoSchweiz liegt auf einer Höhe von am Flughafen Genf, ca. 6 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt (Luftlinie). Die höchste je in Genf gemessene Temperatur betrug 39,7 Grad Celsius (7. Juli 2015). Dies ist gleichzeitig auch der höchste, je auf der Alpennordseite gemessene Wert. Der Höchstwert bei der Durchschnitts-Sonnenscheindauer des Monats Januar wurde 2020 mit 114,4 Stunden erreicht. Damit wurde der bisherige Rekord von 2008 (104,3 Stunden) gebrochen. Geschichte Ursprung und Erstdokumentation Genf war in der Keltenzeit eine befestigte Grenzstadt der Allobroger gegen die Helvetier. Der erstmals in Caesars De bello Gallico bezeugte Ortsname (58 v. Chr. Genava) wird herkömmlich auf keltisch *genaua ‹Mündung› (vgl. ) zurückgeführt, wie ähnlich Genua und Arguenon. Da Genf nicht an einer Mündung, sondern an einem Abfluss liegt, wurde als Alternative vorgeschlagen, den Namen von indogermanisch *genu-, *gneu- ‹Knie, Ecke, Winkel› herzuleiten. Wechselnde Herrscher bis in das 15. Jahrhundert Genf gelangte um 120 v. Chr. unter die Herrschaft der Römer. Zur Zeit des Römischen Reiches diente es als Brückenkopf, von 400 bis 1536 war es ein Bischofssitz. Im fünften und neunten Jahrhundert fungierte es zudem als Sitz der burgundischen Könige. Im Jahr 563 wurden beim Tauredunum-Ereignis, einem Tsunami im Genfersee, viele Einwohner getötet. Seit dem 10. Jahrhundert hat der Genfer Bischof eigene Silbermünzen prägen lassen. Ab dem Jahr 1026 gehörte Genf zum burgundischen Reichsteil des Heiligen Römischen Reichs, innerhalb dessen es ein bischöfliches Territorium wurde. Am 1. August 1034 wurde der Erwerb Burgunds durch Konrad II. (HRR) in der Genfer Kathedrale gefeiert. Der Rechtsbezirk des Bischofs wurde gegenüber den Ansprüchen des Grafen von Genf in der Urkunde Placitum de Seyssel von 1124 umschrieben. 1162 verlieh Friedrich I. dem Bistum Unabhängigkeit und Reichsunmittelbarkeit. Im 13. Jahrhundert wurde Genf eine bedeutende Messestadt, was dem städtischen Bürgertum mehr Einfluss brachte. Der Genfer Bischof verlieh der Stadt Genf 1387 verschiedene Freiheitsrechte wie etwa das Bürgerrecht. 1467 gewährten die Savoyer den Genfern Handelsfreiheit auf ihrem Territorium. Bischof Antoine Champion versammelte im Jahr 1493 etwa 500 Priester in der Kirche St. Pierre und prangerte den lasterhaften Lebenswandel der Geistlichen an: Genf zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert 1526 trat Genf einem Städtebund zusammen mit Bern und Freiburg bei. Nach überzeugenden Predigten von Guillaume Farel wurde im Jahr 1536 die Reformation eingeführt und die unabhängige Republik Genf ausgerufen. Freiburg löste daher sein Bündnis mit Genf, worauf die Stadt mehrmals vergeblich versuchte, als Zugewandter Ort in die Schweizerische Eidgenossenschaft aufgenommen zu werden. Nur die evangelischen Städte Bern und Zürich schlossen 1584 ein Burgrecht mit Genf. Der französische Reformator Johannes Calvin gründete im Jahr 1559 die Genfer Akademie, aus der sich die heutige Universität Genf entwickelte. Nach dem missglückten Versuch, die Stadt in einer Dezembernacht 1602 zu überfallen (Escalade de Genève), erkannte Savoyen die Unabhängigkeit von Genf 1603 im Vertrag von Saint-Julien an. Genf war ab 1540 bis 1700 für französische und italienische evangelische Glaubensflüchtlinge, den Hugenotten und Waldensern, ein wichtiger Zufluchtsort und eine neue Heimat geworden. Die zugewanderten Familien waren aber nicht nur eine Last für die Stadt, sondern auch eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Bereicherung durch ihre Bildung und Kenntnisse in Seidenproduktion und -handel und in der Uhrmacherkunst, die sie mitbrachten und in Genf und Umgebung ansiedelten. Im Jahr 1781 errangen Bürgertum und Arbeiterschaft die Vorherrschaft, woraufhin eine repräsentativ-demokratische Verfassung angenommen wurde, bevor im Jahr darauf mit Hilfe bernisch-savoyischer Truppen das Patriziat erneut die Macht ergriff und viele Industrielle als Exponenten des Bürgertums in die Emigration gingen. Vom Stadtstaat zum Schweizer Kanton (1798 und 19. Jahrhundert) Am 15. April 1798 wurde Genf von Frankreich annektiert. Der Vereinigungsvertrag vom 26. April 1798 regelte die Überführung der Republik Genf in den französischen Staat. Im August 1798 wurde die Stadt Hauptort des neu geschaffenen Départements Léman. Während der französischen Periode wurde der Code civil eingeführt, und die Stadt wurde zum Mittelpunkt der Verwaltung der ganzen Region, was ihr auch wirtschaftliche Vorteile brachte. Allerdings wurden seit 1802 in Genf auch Truppen für die Napoleonischen Kriege ausgehoben. Am 31. Dezember 1813 wurde Genf von österreichischen Truppen besetzt. Nachdem zuerst die Unabhängigkeit der Stadtrepublik ausgerufen worden war, bat Genf um Aufnahme in die Eidgenossenschaft. Am 1. Juni 1814 landeten schweizerische Truppen in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Wiener Kongresses in Genf, und am 12. September bestätigte die eidgenössische Tagsatzung offiziell die Aufnahme Genfs als 22. Kanton in die Eidgenossenschaft. Der Vereinigungsvertrag wurde am 19. Mai 1815 unterzeichnet. Die Stadt Genf wurde damit zum Hauptort des neugebildeten gleichnamigen Kantons Genf. Die britische Schriftstellerin Mary Shelley klagte in einem Brief vom 1. Juni 1816 über den Abriss des Genfer Theaters, das streng puritanische Genf war dennoch weltläufig und aufgeschlossen genug, um 1818 das Musée académique zu gründen, das zwei Jahre später in der Grand-Rue 11 eröffnete. Der Kanton wurde im Zweiten Pariser Frieden (1815) und im Vertrag von Turin um französische und sardische Gebiete erweitert, so dass das Genfer Gebiet eine Landverbindung zur restlichen Schweiz erhielt. Um Genf wirtschaftlich nicht von seinem Umland abzuschnüren, wurden sukzessive mehrere Zollfreizonen um Genf geschaffen, die bis 1860 schliesslich fast das ganze ehemalige Gebiet des Départements Léman umfassten. 1821 wurde am Vorbild der Basler Mission die Société genevoise des missions évangéliques gegründet. Im Mai 1838 entstand in Genf der Grütliverein. 1863 wurde der Landschaftsarchitekt Charles-Guillaume Nitzschner mit der Planung der städtischen Promenaden und Parkanlagen beauftragt. Genf wurde 1864 Sitz des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz. Im selben Jahr rief Johann Philipp Becker in Genf eine deutschsprachige Sektion der Ersten Internationale ins Leben, die im September 1866 den ersten Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation (IAA) abhielt. Forderungen der 25 Sektionen und elf kooperierenden Gesellschaften waren der Arbeiterschutz, der Achtstundentag und das Verbot der Kinderarbeit. Im ausgehenden 19. Jahrhundert profitierte die Entwicklung der Uhrenindustrie vom Aufbau eines Druckwassernetzes zur Energie- und Trinkwasserversorgung der Stadt. Mit der 1886 in Betrieb genommenen Usine des Forces Motrices wurde auch die Regelung des Wasserspiegels für den Genfersee eingeführt. Der zunehmende Energiebedarf der Industrie machte den Bau der Usine de Chèvres, des damals grössten Kraftwerks Europas, nötig. In Genf lebten Arbeiter und Bourgeoisie. Karl II. Herzog von Braunschweig hatte der Stadt 1873 ein Vermögen von 1 Milliarde Franc hinterlassen, von dem sie 2 Millionen für den Bau des Monument Brunswick aufbrauchte. Mit einem guten Teil des verbleibenden Erbes schuf sie sich zwischen 1873 und 1879 das Grand Théâtre de Genève. Das damals grösste Theater der Schweiz, entworfen von Gottfried Semper, zählte 1450 Sitzplätze. Zur Eröffnung spielte die Oper Wilhelm Tell von Gioachino Rossini. Der Abbruch der Stadtmauern unter James Fazy machte ab 1849 Platz für nichtreformierte Gotteshäuser wie jener der Anglikanischen Gemeinschaft, der Synagoge Beth-Yaacov, oder im Jahr 1866 der russisch-orthodoxen Kreuzerhöhungskathedrale. Unter den nicht wenigen russländischen Gästen Genfs befand sich, auf der Flucht vor seinen Gläubigern, von August 1867 bis Mai 1868 auch Fjodor Dostojewski. Ebenfalls auf dem Grund der Stadtmauer entstand 1890–1892 das Hôtel des Postes, als Poste du Mont-Blanc bekannt, entworfen von Marc Camoletti. 1873 wurde die Universität Genf, aber auch die Antiautoritäre Internationale gegründet. Dazu reiste Michail Bakunin an. Der russische Adlige und Revolutionär war mit Genf vertraut, wo er 1867 die Internationale Friedensliga gegründet hatte. 1896 fand die zweite Schweizerische Landesausstellung mit dem folkloristischen Village Suisse statt, das den Genfern inländische Kultur als exotische Attraktion näher brachte und nur durch die Völkerschau eines Village Noir übertroffen wurde. Der Parc de Plaisance bot ein Kongolesisches Panorama nach belgischen Vorstellungen, ein Javanesisches Theater, arabische Musik und weitere Lustbarkeiten. Dem Bedarf nach Kunstgewerbe der Luxusgüterindustrie entsprechend, gab es seit 1885 ein Musée des Arts décoratifs in der Uhrmacherschule. Der Anarchist Luigi Lucheni erstach im September 1898 Elisabeth von Österreich-Ungarn. 1895 kam Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, in Genf zu Gesprächen mit Georgi Walentinowitsch Plechanow. Der Völkerbund und das internationale Genf Von 1920 bis 1946 war Genf Sitz des Völkerbundes, dem die Schweiz nach der Volksabstimmung vom 19. Mai 1920 beitrat. Die Eröffnungsrede der konstituierenden Versammlung hielt Bundespräsident Giuseppe Motta. Der Völkerbund bezog das Palais Wilson. Vom 4. bis 23. Mai 1927 wurde in Genf die erste Weltwirtschaftskonferenz abgehalten. Im März 1930 gründete der Libanese Chakib Arslan in Genf die Zeitung La Nation arabe. Vom 16. bis 25. August 1939 fand in Genf der 21. Zionistenkongress statt. Genf wurde Sitz der jüdischen Organisation World ORT. 1931 wurden die früheren Gemeinden Eaux-Vives, Le Petit-Saconnex und Plainpalais mit der Stadt Genf fusioniert. Am 9. November 1932 kam es zu einem Massaker, der sogenannten «Blutnacht von Genf», als Soldaten 13 antifaschistische Demonstranten erschossen und 60 schwer verletzten. Bei den Wahlen ins Kantonsparlament erzielte die extreme Rechte im November 1933 einen Stimmenanteil von 9 %. 21. Jahrhundert Genf ist eine von elf Schweizer und eine von über einhundert europäischen Städten, die 2015 von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa den Ehrentitel «Reformationsstadt Europas» verliehen bekommen haben. Wappen Bevölkerung Demografie Genf war bis 1870 die bevölkerungsreichste Stadt der Schweiz. Diesen Platz hat danach die Stadt Zürich übernommen, wobei zwischen 1910 und 1995 auch die Stadt Basel bevölkerungsmässig grösser war. Per zählte die Stadt Genf Einwohner. Die Agglomeration Genf wird alle zehn Jahre anlässlich der Volkszählung neu festgelegt und umfasste im Jahr 2007 471'314 Einwohner respektive landesübergreifend mit Frankreich 780'000 Einwohner. Der Ausländeranteil (gemeldete Einwohner ohne Schweizer Bürgerrecht) belief sich am auf Prozent (97'949 Einwohner). Dies erklärt sich insbesondere durch die Anzahl der internationalen Organisationen in der Stadt und die grenznahe Lage zu Frankreich (der Kanton Genf wird beinahe vollständig von Frankreich umschlossen). Genfs Stadtfläche beträgt 15,89 Quadratkilometer. Daraus ergibt sich eine statistische Bevölkerungsdichte von Einwohnern pro Quadratkilometer (). Der erweiterte Ballungsraum, die Metropolregion Genf-Lausanne, zählt 1,2 Millionen Einwohner. Religionen Im Jahr 2012 bekannten sich 49,2 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren zum christlichen Glauben. 34,2 Prozent waren Angehörige der römisch-katholischen Kirche, 8,8 Prozent gehörten der evangelisch-reformierten Kirche und damit der Église Protestante de Genève an, 6,2 Prozent anderen christlichen Glaubensgemeinschaften. 38,0 Prozent waren konfessionslos, 6,1 Prozent gehörten islamischen Glaubensgemeinschaften und 1,6 Prozent jüdischen Gemeinschaften an. Politik Legislative – Gemeinderat Die gesetzgeberische Gewalt wird durch den Munizipalrat () wahrgenommen. Er zählt 80 Sitze und wird alle fünf Jahre direkt vom Volk im Proporzwahlverfahren mit einer Sieben-Prozent-Hürde gewählt. Der Munizipalrat bestimmt das Stadtbudget und stimmt über Vorlagen der Stadtregierung () ab. Ausserdem kann er selbst Vorstösse lancieren. Die rechts stehende Grafik zeigt die Sitzverteilung nach den letzten Gemeindewahlen vom März 2020. Frühere Wahlergebnisse seit 1914 finden sich im Artikel Ergebnisse der Kommunalwahlen in Genf. Exekutive – Stadtregierung Die Stadtregierung () besteht aus fünf gleichberechtigten Mitgliedern, die alle vier Jahre vom Volk in einer Majorzwahl einzeln gewählt werden. Das Amt des Stadtpräsidenten () wechselt jährlich im Turnus zwischen den Regierungsmitgliedern. Für den Zeitraum 1. Juni 2023 bis 31. Mai 2024 setzt sich die Stadtregierung wie folgt zusammen: Nationalratswahlen Bei den Schweizer Parlamentswahlen 2019 betrugen die prozentualen Wähleranteile in Genf: Volksrechte Das aktive Wahlrecht haben alle in der Stadt Genf wohnhaften Schweizer Bürger sowie ausländische Bürger (Einwohner ohne Schweizer Bürgerrecht), die seit mindestens acht Jahren in der Schweiz wohnhaft sind. Diese Regelung gilt seit 2005, als eine entsprechende kantonale Volksinitiative angenommen wurde. Das passive Wahlrecht ist weiterhin Schweizer Bürgern vorbehalten. Mit den Unterschriften von fünf Prozent der Wahlberechtigten kann eine Volksabstimmung über einen Beschluss des Gemeinderates (Referendum) erzwungen oder ein eigener Vorschlag (Volksinitiative) eingereicht werden. Wirtschaft Genf als Finanzplatz Die Stadtrepublik Genf prägte bis zum Jahr 1850 («Bundesgesetz über das eidgenössische Münzwesen») ihre eigenen Münzen. Diese waren für eine gewisse Zeit, wie in Frankreich lange Zeit üblich, in Sols unterteilt, danach wurden Francs geprägt. Industrie Als Heimat von Luxusuhrenherstellern wie Rolex (Hauptsitz), Omega, Patek Philippe, Vacheron Constantin, Frédérique Constant oder Baume & Mercier ist Genf eine der wichtigsten Uhrenstädte der Welt. Bekannt sind die vom heimischen Handwerk eingeführten Qualitätsmerkmale wie Genfer Siegel (Poinçon de Genève) und Genfer Streifen (Côtes de Genève, Filets). Ausserdem haben zahlreiche multinationale Unternehmen wie Procter & Gamble und Ralph Lauren ihren (europäischen) Hauptsitz in Genf. Über 28'000 Menschen arbeiten direkt für die in Genf ansässigen 30 internationalen Organisationen und die 172 akkreditierten Missionen; der Beitrag an der Wirtschaftsleistung des Kantons beträgt 9,2 Prozent. Verkehr Mit dem Bahnhof Genève-Cornavin ist Genf gut ins europäische Schienennetz eingebunden. Von dem Kopfbahnhof Gare des Eaux-Vives bestand zudem eine Bahnverbindung nach Annemasse. Die neue Bahnstrecke Genève–Annemasse (CEVA), in Bau ab 1995, verbindet das schweizerische und das französische Netz seit dem 15. Dezember 2019. Genf verfügte bis 2012 über eine Verladestelle für Autoreisezüge, ab 2016 fand dort kein Autotransport mehr statt. Im Genfer Vorort Cointrin liegt der zweitgrösste Flughafen der Schweiz, der Aéroport International de Genève. Genf liegt an der Schweizer Autobahn A1 und den französischen Autobahnen A 40 und A 41. Der öffentliche Personennahverkehr wird in der Stadt durch die Transports publics genevois (TPG) abgewickelt, diese betreiben auch die Strassenbahn Genf mit vier Linien und den Trolleybus Genf mit sechs Linien. Ferner ist Genf durch die Personenschifffahrt auf dem Genfersee mit zahlreichen Uferorten des Genfersees verbunden. Wegen der engen Platzverhältnisse und des stetigen Wachstums der Stadt sind die Verkehrswege stark überlastet. Die Mobilitätsfrage gehört neben der Wohnungsnot zu den dringendsten Themen der Stadt und des Kantons Genf. Versuche, dem drohenden Verkehrskollaps Abhilfe zu schaffen, beispielsweise durch eine Brücke oder einen Tunnel zur Seequerung, scheiterten bisher insbesondere an den politischen Auseinandersetzungen zwischen der Stadt- und der Kantonsregierung. Neben Lyon, Kopenhagen und Luxemburg ist Genf eine Pilotstadt für autonome Minibusse im Rahmen des Horizon-2020-Projektes Autonomous Vehicles to Evolve to a New Urban Experience (Avenue). Die Hans-Wilsdorf-Brücke überquert die Arve. Kunsthandel Das Metropolitan Museum of Art hat 2006 im Zentrum von Genf ein neues Büro eingerichtet, das als Kontaktstelle für Sammler und Künstler dienen soll. In der Rhonestadt gibt es 120 Galerien und ein Zollfreilager, das wegen der dort zwischengelagerten Kunstwerke als grösstes «Museum» der Welt gilt, das allerdings nicht öffentlich zugänglich ist. Bildung, Kunst, Kultur und Sport Schulen, Hochschulen Wie jeder Schweizer Kanton hat der Kanton Genf sein eigenes Schulsystem. Es bestehen Primarschulen, untere Sekundarschulen (Cycle d’Orientation, Orientierungsschule), elf vierjährige Gymnasien (davon acht auf dem Stadtgebiet: Collège Calvin, Collège de Candolle, Collège Rousseau, Collège Sismondi, Collège Voltaire, Collège Nicolas-Bouvier, Collège Emilie-Gourd und Collège André-Chavannes) und andere Schulen der Sekundarstufe II. Die Fachhochschule Westschweiz (Haute école spécialisée de Suisse occidentale) ist hier als Zentralhochschule vertreten mit den Hochschulen für Kunst und Design; Landschaftsplanung, Ingenieurberufe und Architektur; Business Administration; Gesundheit; Sozialarbeit und Musik. Die Universität Genf wurde 1559 gegründet. Aus autonomen Universitätsinstituten wurde 2008 das Hochschulinstitut für internationale Studien und Entwicklung gebildet. Daneben existiert eine Vielzahl kleinerer Privatuniversitäten wie die International Institute in Geneva (früher International University in Geneva) und die Webster University Geneva. Museen Musée d’art et d’histoire, Kunst- und Geschichtsmuseum Musée d’art moderne et contemporain Musée Ariana, Keramik- und Glasmuseum Musée d’ethnographie de Genève, Völkerkundemuseum Muséum d’histoire naturelle de la Ville de Genève, naturhistorisches Museum Musée Rath, Kunstmuseum mit Sonderausstellungen Internationales Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum Internationales Museum der Reformation Sehenswürdigkeiten Collège Calvin Jardin Anglais (englischer Landschaftsgarten) Jet d’eau (Fontäne) Parc La Grange Jardin botanique de Genève (botanischer Garten) Kathedrale St. Peter (um 1232 vollendet) Basilika Notre-Dame de Genève (1852 bis 1857) Temple de la Fusterie (1713–1715) Genfer Moschee (Moschee Petit-Saconnex; 1978) Palais des Nations (Völkerbundpalast), Avenue de la Paix, Sitz der UNO, bis 1939 des Völkerbundes, mit dem Denkmal Broken Chair Rathaus (spätes 15. Jahrhundert) Internationales Reformationsdenkmal (1917) Servetus-Gedenkstein (1903) Geburtshaus von Jean-Jacques Rousseau Für besondere Verdienste um den Ortsbildschutz erhielt Genf vom Schweizer Heimatschutz im Jahre 2000 den Wakkerpreis. Sport Nationale und internationale Bekanntheit erlangte die Stadt Genf im Sport unter anderem durch den Fussballverein Servette FC Genève, der 17-mal den Schweizer Meistertitel erringen konnte, sowie durch das Eishockeyteam Genève-Servette HC. Eine örtliche Grossveranstaltung ist der jährliche Genf-Marathon. Darüber hinaus ist Genf auch der Start- und Endpunkt der Segelregatta Bol d’Or sowie der Tour du Léman für Ruderboote, die jeweils auf dem Genfersee ausgetragen werden. Regelmässige Veranstaltungen und Messen Jährlich am 12. Dezember wird mit der Escalade de Genève die misslungene Eroberung durch Savoyen im Jahre 1602 gefeiert. Im Messekomplex Palexpo werden zahlreiche Publikumsmessen und Fachmessen organisiert. Die wichtigsten internationalen Messen sind: EBACE, Luftfahrtmesse Internationaler Autosalon Internationale Messe für Buch und Presse Internationale Messe für Erfindungen ITU Telecom World, Telekommunikationsmesse Salon International de la Haute Horlogerie (SIHH), Luxusuhren-Messe Musik Jährlich finden regelmässig internationale Musikfestivals statt: Fête de la musique, seit 2010 Plein-les-Watts-Festival, seit 2006 Fête de l’Olivier, Festival arabischer Musik, organisiert durch das ICAM seit 1980 The Geneva Brass Festival, Gründer Christophe Sturzenegger, 2010 Preise Die Stadt Genf vergibt seit 1947 alle vier Jahre Preise an Personen, die zur Ausstrahlung der Stadt in Kultur und Wissenschaft beigetragen haben (Prix de la Ville de Genève). Die Stadt Genf verleiht seit 1997 jährlich mehrere Preise für Comics (ab 2015 in Zusammenarbeit mit dem Kanton Genf), siehe Prix Rodolphe-Töpffer. Küche Genfer Spezialitäten sind die Longeole (Genfer Saucisson) und der Cardon épineux de Plainpalais, die beide vom Bundesamt für Landwirtschaft als AOC bzw. geschützte Herkunftsbezeichnung zertifiziert wurden; daneben auch das Entrecôte Café de Paris. Zur Escalade werden traditionell aus Schokolade geformte Töpfe mit Marzipanfüllung verzehrt, die Marmites d’Escalade. Internationale Organisationen und vertretene Staaten Genf beherbergt 34 internationale Organisationen (einschliesslich 5 der 15 spezialisierten Organisationen der Vereinten Nationen), unzählige Programme der Vereinten Nationen und Fonds sowie weitere Organisationen. Des Weiteren sind in Genf 175 Staaten vertreten. Insgesamt befinden sich 256 Ständige Vertretungen, Repräsentationen und Delegationen in der Stadt. Städtepartnerschaften Die Stadt Genf kennt keine expliziten Städtepartnerschaften, sondern erklärt sich mit der ganzen Welt verbunden. Unabhängig davon ist Genf Sitz verschiedenster internationaler Organisationen. Persönlichkeiten Söhne und Töchter der Stadt Zeitweilige Bewohner Nachfolgend eine unvollständige Aufzählung von Frauen und Männern des öffentlichen Lebens mit Bezug zur Stadt Genf: Vitale Albera (1799–um 1850), Doktor der Rechte, Revolutionär, Flüchtling, Anhänger Giuseppe Mazzinis Kofi Annan (1938–2018), ehemaliger UN-Generalsekretär Ernest Ansermet (1883–1969), schweizerischer Dirigent Louis Appia (1818–1898), schweizerischer Chirurg Théodore Agrippa d’Aubigné (1552–1630), französischer Adeliger und protestantischer Militär Claude Baduel (1491–1561), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Wilhelm Steiger (1809–1836), reformierter Theologe und Hochschullehrer Caroline Barbey-Boissier (1847–1918), Botanikerin und Schriftstellerin Antoine Jean Baumgartner (1859–1938), evangelischer Theologe und Hochschullehrer Marguerite de Beaumont (1895–1986), Schwester der reformierten Frauengemeinschaft Communauté de Grandchamp Giovanni Benci (1394–1455), Generaldirektor der Bank Medici Georges Berguer (1873–1945), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Henri Berguer (1854–1937), evangelischer Geistlicher Johann I Bernoulli (1667–1748), schweizerischer Mathematiker und Arzt Bonaventure Corneille Bertram (1531–1594), französischer evangelischer Theologe und Hochschullehrer Théodore de Bèze (1519–1605), Genfer Reformator französischer Herkunft Marc Birkigt (1878–1953), schweizerischer Konstrukteur Louis Blondel (1885–1967), Archäologe und Mitbegründer der Pfadfinderbewegung Gottfried Bohnenblust (1883–1960), Hochschullehrer, Germanist, Literaturhistoriker, Komponist und Schriftsteller Jorge Luis Borges (1899–1986), argentinischer Schriftsteller und Bibliothekar Jules Breitenstein (1873–1936), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Félix Bungener (1814–1874), französisch-schweizerischer evangelischer Geistlicher Micheline Calmy-Rey (* 1945), schweizerische Politikerin (alt Bundesrätin), Bundespräsidentin 2011 Johannes Calvin (1509–1564), Reformator französischer Abstammung und Begründer des Calvinismus Sebastian Castellio (1515–1563), französischer humanistischer Gelehrter, Philosoph und protestantischer Theologe Charles Cellérier (1890–1966), evangelischer Geistlicher Jacob-Elisée Cellérier (1785–1862), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Jean-Isaac-Samuel Cellérier (1753–1844), evangelischer Geistlicher Michel de Certeau (1925–1986), französischer Jesuit, Soziologe, Historiker und Kulturphilosoph Antoine de Chandieu (1534–1591), Reformator Samuel Chappuzeau (1625–1701), reformierter Reisender, Arzt, Schriftsteller und Lehrer aus Frankreich Giuseppe Chiostergi (1889–1961), Freimaurer, Republikaner und Antifaschist Albert Cohen (1895–1981), schweizerischer Schriftsteller Mathurin Cordier (1479–1564), französischer Pädagoge Georges Marie Martin Cardinal Cottier (1922–2016), schweizerischer Ordensgeistlicher, Theologe und Kardinal der römisch-katholischen Kirche John Cougnard (1821–1896), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer François de Curtine (15.–16. Jahrhundert), savoyischer Baumeister Jean-Philippe Dardier (1831–1923), französisch-schweizerischer Evangelist Marie Dentière (1495–1561), reformierte Theologin, Schriftstellerin und Reformationshistorikerin Nicolas Des Gallars (1520–1581), französisch-genferischer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Rudiger Dornbusch (1942–2002), deutsch-US-amerikanischer Ökonom Ruth Dreifuss (* 1940), schweizerische Politikerin, Bundespräsidentin 1999 Guillaume-Henri Dufour (1787–1875), schweizerischer Humanist, General, Politiker, Kartograf und Ingenieur Ubbo Emmius (1547–1625), evangelisch-reformierter Theologe, Historiker, Pädagoge und Gründungsrektor der Universität Groningen (Niederlande) Guillaume Farel (1489–1565), erster Reformator Genfs 1532–1538 Gaston Frommel (1862–1906), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Jean Gaberel (1810–1889), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Agénor Étienne de Gasparin (1810–1871), reformierter Publizist und Kämpfer für die Religionsfreiheit in Frankreich Alberto Giacometti (1901–1966), schweizerischer Bildhauer, Maler und Grafiker der Moderne Alberto Ginastera (1916–1983), argentinischer Komponist Carlotta Grisi (1819–1899), italienische Tänzerin Emile Guers (1794–1882), französisch-schweizerischer Geistlicher und Begründer der Genfer Freikirche Alexandre Guillot (1849–1930), evangelischer Geistlicher und Schriftsteller Robert Haldane (1764–1842), schottischer Offizier und Laienprediger, der einen massgeblichen Einfluss auf die Erweckungsbewegung in Genf hatte Ludwig Hohl (1904–1980), schweizerischer Schriftsteller Wladimir Iljitsch Uljanow (Lenin) (1870–1924), russischer kommunistischer Politiker und Revolutionär sowie marxistischer Theoretiker Werner Helwig (1905–1985), deutscher Schriftsteller und Mitglied des Nerother Wandervogels Ferdinand Hodler (1853–1918), schweizerischer Maler des Symbolismus und des Jugendstils Marcel Junod (1904–1961), schweizerischer Arzt Jan Krugier (1928–2008), polnisch-schweizerischer Galerist und Kunstsammler Paul Lachenal (1884–1955), Politiker, mitverantwortlich für die Sicherstellung und Ausstellung der Werke des Prados in Genf 1939 François Lachenal, Diplomat und Verleger Antoine de La Faye (1540–1615), französisch-genferischer evangelischer Geistlicher und Rektor der Universität Franz Jehan Leenhardt (1902–1990), französischer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Antoine Léger der Ältere (1594–1661), französisch-schweizerischer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Auguste Lemaître (1887–1970), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Bernard Martin (1905–1995), evangelischer Geistlicher Jacques Martin (1794–1874), Soldat, evangelischer Geistlicher und Schriftsteller Raynald Martin (1906–1998), evangelischer Geistlicher Antoine Maurice der Ältere (1677–1756), französisch-genferischer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Edouard Montet (1856–1934), französisch-schweizerischer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Bernard Morel (1921–1996), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Gianni Motti (* 1958), schweizerischer Künstler italienischer Herkunft Robert Musil (1880–1942), österreichischer Schriftsteller und Theaterkritiker Vladimír Neff (1909–1983), tschechischer Schriftsteller, Übersetzer, Drehbuchautor und Vater des Schriftstellers Ondřej Neff Edin Omeragić (* 2002), Fußballtorhüter Alexander Iwanowitsch Ostermann-Tolstoi (1770/72–1857), Offizier der russischen Armee in der Zeit der Napoleonischen Kriege Jean Piaget (1896–1980), schweizerischer Biologe und Pionier der kognitiven Entwicklungspsychologie sowie Begründer der genetischen Epistemologie Robert Pinget (1919–1997), schweizerischer Schriftsteller Ludwig Quidde (1858–1941), deutscher Historiker, Publizist, Pazifist und linksliberaler Politiker Grisélidis Réal (1929–2005), schweizerische Prostituierte, Künstlerin und Buchautorin Urs Richle (* 1965), schweizerischer Schriftsteller Johann Jakob Romang (1831–1884), Schriftsteller Henri Roehrich (1837–1913), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Wilhelm Röpke (1899–1966), deutscher Ökonom und Sozialphilosoph Pellegrino Rossi (1787–1848), Jurist, Nationalökonom, Diplomat und Politiker Jean-Jacques Rousseau (1712–1778), Genfer Schriftsteller, Philosoph, Pädagoge, Naturforscher und Komponist der Aufklärung Jean-François Salvard (1530–1585), französischer evangelischer Geistlicher Ferdinand de Saussure (1857–1913), Begründer des Strukturalismus und der modernen Linguistik Jacques de Senarclens (1914–1971), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Agostino Giorgio Soldati (* 17. November 1910 in Buenos Aires; † 11. Februar 1966 in Genf), Beobachter der Schweiz bei der UNO nach New York, Botschafter der Schweiz in Frankreich Mario Soldini (1913–1993), Lehrer, Politiker (Union nationale (Schweiz)), Genfer Grossrat, Nationalrat und Oberst Willy Suter (1918–2002), Maler, Lithograf und Kunstpädagoge Eduard H. Steenken (1910–1989), deutsch-schweizerischer Journalist, Übersetzer, Herausgeber und Autor Anne-Lou Steininger (* 1963), Schriftstellerin Frank Thomas (1862–1928), evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer Abraham Trembley (1710–1784), Genfer Zoologe Bénédict Turrettini (1588–1631), Genfer reformierter Theologe Voltaire (1694–1778), französischer Philosoph und Schriftsteller Ludwig von Mises (1881–1973), austro-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler und Theoretiker des klassischen Liberalismus und Libertarismus Jean-François Vuarin (1769–1843), baute die katholische Gemeinde in Genf auf Alfred Werner (Pfarrer) (1914–2005) Schweizer Pfarrer, Journalist, Schriftsteller und Musikwissenschaftler Jean Ziegler (* 1934), schweizerischer Soziologe, Politiker, Sachbuch- und Romanautor Feststehende, mit Genf verbundene Begriffe Genfer Konventionen Genfer Nomenklatur der Internationalen Union für reine und angewandte Chemie Genfer Schema der Arbeitsbewertung Genfer Kreuz, weniger gebräuchlicher Name des Roten Kreuzes Rezeption Der Schweizer Autor Friedrich Glauser lässt seinen Kriminalroman Der Tee der drei alten Damen (1934) in Genf spielen. Siehe auch Im Jahr 563 verwüstete eine durch einen Felssturz ausgelöste Riesenwelle grosse Teile Genfs (Tauredunum-Ereignis). Literatur Autorenkollektiv: Histoire de Genève. 3 Bände. Éditions Alphil, Neuenburg 2014, ISBN 978-2-88930-011-2. Charles Bonnet: Les premiers monuments chrétiens de Genève (= Schweizerische Kunstführer. Nr. 547). Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK). Bern 2004, . Philippe Broillet, Isabelle Brunier u. a.: Les monuments d’art et d’histoire du Canton de Genève. La Genève sur l’eau (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 89). Band I. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK). Wiese Verlag, Basel 1997, ISBN 3-909164-61-7. Philippe Broillet, Isabelle Brunier u. a.: Les monuments d’art et d’histoire du Canton de Genève. Genève, Saint-Gervais: du Bourg au Quartier (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 97). Band II. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK). Chêne–Bourg 2001, ISBN 3-906131-01-7. Matthieu de La Corbière, Isabelle Brunier u. a.: Les monuments d’art et d’histoire du Canton de Genève. Genève, Ville forte (= Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Band 117). Band III. Hrsg. von der Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte (GSK). Marti Media AG, Hinterkappelen 2010, ISBN 978-3-906131-92-4. Weblinks Offizielle Webpräsenz der Stadt Genf Einzelnachweise Ort im Kanton Genf Schweizer Gemeinde Hauptort eines Kantons (Schweiz) Rotes Kreuz Ortsbild von nationaler Bedeutung im Kanton Genf Ort an der Rhone Hochschul- oder Universitätsstadt in der Schweiz Ortsname keltischer Herkunft Stadtrechtsverleihung im 13. Jahrhundert
Q71
888.196786
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https://de.wikipedia.org/wiki/Aminos%C3%A4uren
Aminosäuren
Aminosäuren (AS), unüblich aber genauer auch Aminocarbonsäuren, veraltet Amidosäuren genannt, sind chemische Verbindungen mit einer Stickstoff (N) enthaltenden Aminogruppe und einer Kohlenstoff (C) und Sauerstoff (O) enthaltenden Carbonsäuregruppe. Aminosäuren kommen in allen bekannten Lebewesen vor. Sie sind die Bausteine von Proteinen (Eiweiß) und werden frei bei der Zerlegung von Proteinen (Proteolyse). Essentielle Aminosäuren kann ein Organismus nicht selbst herstellen, sie müssen daher mit der Nahrung aufgenommen werden. Zur Klasse der Aminosäuren zählen organische Verbindungen, die zumindest eine Aminogruppe (–NH2 bzw. substituiert –NR2) und eine Carboxygruppe (–COOH) als funktionelle Gruppen enthalten, also Strukturmerkmale der Amine und der Carbonsäuren aufweisen. Chemisch lassen sie sich nach der Stellung ihrer Aminogruppe zur Carboxylgruppe unterscheiden – steht die Aminogruppe am Cα-Atom unmittelbar benachbart zur endständigen Carboxygruppe, nennt man dies α-ständig und spricht von α-Aminosäuren. Ausgewählte α-Aminosäuren sind die natürlichen Bausteine von Proteinen. Sie werden miteinander zu Ketten verknüpft, indem die Carboxygruppe der einen Aminosäure mit der Aminogruppe der nächsten eine Peptidbindung eingeht. Die auf diese Weise zu einem Polymer verketteten Aminosäuren unterscheiden sich in ihren Seitenketten und bestimmen zusammen die Form, mit der das Polypeptid im wässrigen Milieu dann zum nativen Protein auffaltet. Diese Biosynthese von Proteinen findet in allen Zellen an den Ribosomen nach Vorgabe genetischer Information statt, die in Form von mRNA vorliegt. Die Basensequenz der mRNA codiert in Tripletts die Aminosäurensequenz, wobei jeweils ein Basentriplett ein Codon darstellt, das für eine bestimmte proteinogene Aminosäure steht. Die hiermit als Bausteine für die Bildung von Proteinen in einer bestimmten Reihenfolge angegebenen Aminosäuren formen die Proteine. Beim Menschen sind es 21 verschiedene proteinogene Aminosäuren, neben den standardmäßig 20 (kanonischen) Aminosäuren auch Selenocystein. Nach der Translation können die Seitenketten einiger im Protein eingebauter Aminosäuren noch modifiziert werden. Das Spektrum der Aminosäuren geht allerdings über diese rund zwanzig proteinogenen weit hinaus. So sind bisher über 400 nichtproteinogene natürlich vorkommende Aminosäuren bekannt, die biologische Funktionen haben. Die vergleichsweise seltenen D-Aminosäuren stellen hierbei eine spezielle Gruppe dar. Die Vielfalt der synthetisch erzeugten und die der theoretisch möglichen Aminosäuren ist noch erheblich größer. Einige Aminosäuren spielen als Neurotransmitter eine besondere Rolle, ebenso verschiedene Abbauprodukte von Aminosäuren; biogene Amine treten nicht nur als Botenstoffe im Nervensystem auf, sondern entfalten auch als Hormone und Gewebsmediatoren vielfältige physiologische Wirkungen im Organismus. Die einfachste Aminosäure, Glycin, konnte nicht nur auf der Erde, sondern auch auf Kometen, Meteoriten und in Gaswolken im interstellaren Raum nachgewiesen werden. Geschichte Die erste Aminosäure wurde 1805 im Pariser Labor von Louis-Nicolas Vauquelin und dessen Schüler Pierre Jean Robiquet aus dem Saft von Spargel (Asparagus officinalis) isoliert und danach Asparagin genannt. Als letzte der üblichen proteinaufbauenden Aminosäuren wurde das Threonin 1931 im Fibrin entdeckt sowie 1935 seiner Struktur nach geklärt von William Rose. Rose hatte durch Experimente mit verschiedenen Futtermitteln herausgefunden, dass die bis dato entdeckten 19 Aminosäuren als Zusatz nicht ausreichten. Er stellte auch die Essentialität anderer Aminosäuren fest und ermittelte je die für ein optimales Wachstum mindestens erforderliche Tagesdosis. In der Zeit zwischen 1805 und 1935 waren viele der damals bekannten Chemiker und Pharmazeuten daran beteiligt, Aminosäuren erstmals zu isolieren sowie deren Struktur aufzuklären. So gelang Emil Fischer, auf den auch die Fischer-Projektion zurückgeht, die finale Aufklärung der Struktur von Serin (1901), Lysin (1902), Valin (1906) und Cystein (1908). Auch Albrecht Kossel (1896 Histidin aus Störsperma), Richard Willstätter (1900 Prolin via Synthese) und Frederick Hopkins (1901 Tryptophan aus Casein) wurden später Nobelpreisträger. Der deutsche Chemiker Ernst Schulze isolierte drei Aminosäuren erstmals – 1877 Glutamin aus Rüben, 1881 Phenylalanin und 1886 Arginin aus Lupinen – und war an der Strukturaufklärung weiterer Aminosäuren beteiligt. Zuvor hatte Heinrich Ritthausen 1866 Glutaminsäure aus Getreideeiweiß, dem Gluten, kristallin gewonnen. Wilhelm Dittmar klärte 1872 die Struktur von Glutamin und Glutaminsäure, deren Salze Glutamate sind, auf. Bereits 1810 entdeckte William Hyde Wollaston das schwefelhaltige Cystin als „cystic oxide“ in Blasensteinen, doch erst 1884 Eugen Baumann das monomere Cystein. 1819 trennte Henri Braconnot das Glycin aus Leim ab und Joseph Louis Proust das Leucin aus Getreide. Eugen von Gorup-Besánez isolierte 1856 das Valin aus Pankreassaft. Schon 1846 hatte Justus von Liebig aus Casein erstmals das Tyrosin abtrennen können, dessen Struktur 1869 Ludwig von Barth klärte. Im Hydrolysat des Casein entdeckte Edmund Drechsel 1889 auch das Lysin und später John Howard Mueller 1922 das schwefelhaltige Methionin als 19. Aminosäure, deren Strukturformel George Barger und Philip Coine 1928 angaben. In Melasse hatte Felix Ehrlich schon 1903 als 18. das Isoleucin gefunden, ein Strukturisomer des Leucin. Friedrich Wöhler, dessen Synthesen in den 1820er Jahren das Gebiet der Biochemie eröffneten, entdeckte keine Aminosäure, doch waren drei seiner Schüler daran beteiligt, neben den erwähnten Gorup-Besánez und Schulze auch Georg Städeler (1863 Serin aus Rohseide). 18 der 20 entdeckten Aminosäuren wurden aus pflanzlichem oder tierischem Material isoliert, nur die beiden Aminosäuren Alanin (1850 Adolph Strecker) und Prolin (Willstätter) durch organische Synthese erhalten. Während die Analyse der stofflichen Zusammensetzung bis hin zur Summenformel mit den damaligen Methoden gut zu bewerkstelligen war, konnte die Strukturformel vieler Aminosäuren oftmals nur durch Teilschritte der Synthese endgültig aufgeklärt werden, was manchmal erst Jahre später gelang. Die Struktur des Asparagins und die von Asparaginsäure klärte Hermann Kolbe erst 1862 auf, 57 Jahre nach der ersten Beschreibung. Den Gattungsnamen verdanken Aminosäuren zwei funktionellen Gruppen, ihre Einzelnamen mal einem hellen Aussehen (z. B. Arginin, Leucin), einem süßen Geschmack (z. B. Glycin) oder dem Material, in dem sie gefunden wurden (z. B. Asparagin, Cystein, Serin, Tyrosin), Merkmalen der chemischen Struktur (z. B. Prolin, Valin, Isoleucin) bzw. beidem (z. B. Glutamin, Glutaminsäure) und mal auch den Edukten ihrer Synthese (z. B. Alanin). Dass Proteine als Ketten aus Aminosäuren, verbunden durch Peptidbindungen, aufgebaut sind, schlugen zuerst 1902 auf der Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Karlsbad gleichzeitig und unabhängig voneinander sowohl Emil Fischer als auch Franz Hofmeister vor (Hofmeister-Fischer-Theorie). Struktur Aminosäuren bestehen aus mindestens zwei Kohlenstoffatomen. Die instabile Carbamidsäure besitzt lediglich ein Kohlenstoffatom und ist damit keine Aminosäure, sondern ein Kohlensäureamid. Aminosäuren lassen sich in Klassen einteilen je nach dem Kohlenstoffatom, an dem sich die Aminogruppe relativ zur Carboxygruppe befindet. Sind im Molekül mehrere Aminogruppen vertreten, so bestimmt das Kohlenstoffatom, dessen Aminogruppe dem Carboxy-Kohlenstoff am nächsten steht, um welche Klasse von Aminosäuren es sich handelt. α-Aminosäuren: Die Aminogruppe der α-Aminosäuren befindet sich am zweiten Kohlenstoffatom, einschließlich des Carboxy-Kohlenstoffatoms. Die Zählung beginnt immer mit dem Carboxy-Kohlenstoff. Die IUPAC-Bezeichnung lautet daher 2-Aminocarbonsäuren. Der einfachste Vertreter der α-Aminosäuren ist die proteinogene Aminosäure Glycin. Alle proteinogenen Aminosäuren sind α-Aminosäuren. Mit dem Ausdruck Aminosäuren ist oft eine bestimmte Gruppe von α-Aminosäuren gemeint, die hauptsächlich aus L-α-Aminosäuren besteht: die proteinogenen Aminosäuren. Diese sind die Bausteine sämtlicher Proteine allen Lebens auf der Erde und neben den Nukleinsäuren Grundbausteine des Lebens. β-Aminosäuren: Die Aminogruppe der β-Aminosäuren befindet sich am dritten Kohlenstoffatom (das Carboxy-Kohlenstoffatom mitgezählt). Die IUPAC-Bezeichnung lautet 3-Aminocarbonsäuren. Der einfachste Vertreter ist β-Alanin. γ-Aminosäuren: Die Aminogruppe der γ-Aminosäuren befindet sich am vierten Kohlenstoffatom (das Carboxy-Kohlenstoffatom mitgezählt). Die IUPAC-Bezeichnung lautet 4-Aminocarbonsäuren. Der einfachste Vertreter ist γ-Aminobuttersäure (GABA). Die Bezeichnung weiterer Klassen der Aminosäuren ergibt sich nach dem gleichen Schema. Die Aminosäuren einer Klasse unterscheiden sich durch ihre Seitenkette R. Ist die Seitenkette R verschieden von den anderen Substituenten, die sich am Kohlenstoff mit der Amino-Gruppe befinden, so befindet sich hier ein Stereozentrum und es existieren von der entsprechenden Aminosäure zwei Enantiomere. Enthält die Seitenkette R selbst weitere Stereozentren, so ergeben sich auch Diastereomere und die Zahl möglicher Stereoisomerer nimmt entsprechend zur Anzahl der weiteren Stereozentren zu. Von Aminosäuren mit zwei verschieden substituierten Stereozentren gibt es vier Stereoisomere. Aminoacyl-Gruppe Aminoacyl-Gruppe bezeichnet die einwertige Gruppe, die aus einer Aminosäure durch Entfernen der Hydroxygruppe (–OH) aus der Carboxygruppe (–COOH) entsteht, also das univalente Radikal. Aus einer α-Aminosäure wird so eine α-Aminoacyl-Gruppe gebildet; aus der Aminosäure Tyrosin beispielsweise entsteht so die Tyrosylgruppe als eine spezielle α-Aminoacyl-Gruppe. Proteinogene Aminosäuren Als proteinogene Aminosäuren werden Aminosäuren bezeichnet, die in Lebewesen als Bausteine der Proteine während der Translation nach Vorgabe genetischer Information verwendet werden. Bei der Biosynthese von Proteinen, die an den Ribosomen einer Zelle stattfindet, werden im Zuge der Proteinbiosynthese ausgewählte Aminosäuren durch Peptidbindungen in bestimmter Reihenfolge zur Polypeptidkette eines Proteins verknüpft. Die Aminosäurensequenz des ribosomal gebildeten Peptids wird dabei vorgegeben durch die in der Basensequenz einer Nukleinsäure enthaltene genetische Information, wobei nach dem genetischen Code eine Aminosäure durch ein Basentriplett codiert wird. Die proteinogenen Aminosäuren sind stets α-Aminosäuren. Bis auf die kleinste, Glycin, sind sie chiral und treten mit besonderer räumlicher Anordnung auf. Eine Besonderheit weist die Aminosäure Prolin auf, deren Aminogruppe ein sekundäres Amin besitzt und die sich daher nicht so flexibel in eine Proteinfaltung einfügt wie andere proteinogene Aminosäuren – Prolin gilt beispielsweise als Helixbrecher bei α-helikalen Strukturen in Proteinen. Aufgrund der sekundären Aminogruppe wird Prolin auch als sekundäre Aminosäure – öfters fälschlicherweise bzw. veraltet auch als Iminosäure – bezeichnet. Von den spiegelbildlich verschiedenen Enantiomeren sind jeweils nur die L-Aminosäuren proteinogen (zur D / L-Nomenklatur siehe Fischer-Projektion; in Fällen wie Hydroxyprolin gibt es weitere Stereoisomere). Die molekularen Komponenten des zum Aufbau der Proteine notwendigen zellulären Apparats – neben Ribosomen noch tRNAs und diese mit Aminosäuren beladende Aminoacyl-tRNA-Synthetasen – sind selber auch chiral und erkennen allein die L-Variante. Dennoch kommen in Lebewesen vereinzelt auch D-Aminosäuren vor. Diese werden jedoch unabhängig von proteinogenen Stoffwechselwegen synthetisiert und dienen nicht dem ribosomalen Aufbau von Proteinen. So wird zum Beispiel D-Alanin in Peptidoglycane der bakteriellen Zellwand eingebaut oder D-Valin in bakterielle Cyclo-Depsipeptide wie Valinomycin. Verschiedene Arten von Archaeen, Bakterien, Pilzen und Nacktkiemern verfügen über nichtribosomale Peptidsynthetasen genannte Multienzymkomplexe, mit denen solche (nichtproteinogenen) Aminosäuren in ein nichtribosomales Peptid eingebaut werden können. Kanonische Aminosäuren Für 20 der proteinogenen Aminosäuren finden sich Codons in der (am häufigsten gebrauchten) Standardversion des genetischen Codes. Diese werden daher als Standardaminosäuren oder auch kanonische Aminosäuren bezeichnet. In Aminosäuresequenzen werden die Aminosäuren meist mit einem Namenskürzel im Dreibuchstabencode angegeben oder im Einbuchstabencode durch ein Symbol dargestellt. Neben den oben angegebenen Codes werden zusätzliche Zeichen als Platzhalter benutzt, wenn aus der Proteinsequenzierung oder Röntgenstrukturanalyse nicht auf die genaue Aminosäure geschlossen werden kann. Nichtkanonische Aminosäuren Zu den natürlich vorkommenden Aminosäuren gehören außer den kanonischen die übrigen als nichtkanonische Aminosäuren bezeichneten Aminosäuren, wozu proteinogene und nicht-proteinogene zählen. Hierbei lassen sich mehrere Gruppen unterscheiden: Zur ersten Gruppe gehören jene proteinogenen Aminosäuren, die durch eine Recodierung des genetischen Materials in Proteine eingebaut werden. Die 21. und die 22. proteinogene Aminosäure gehören hierzu: Selenocystein (bei Eukaryoten und manchen Bakterien und Archaeen) und Pyrrolysin (bei manchen Bakterien und Archaeen). Für beide Aminosäuren wurden spezifische tRNAs – tRNASec bzw. tRNAPyl – gefunden, die während der Translation einen Einbau am Ribosom möglich machen. Deren Anticodon paart, abhängig von Strukturelementen im Kontext der mRNA (siehe Secis), mit dem Codon UGA bzw. UAG; im Standardcode stellen diese ein Stopcodon dar. Doch nicht alle Organismen verwenden die nichtkanonischen proteinogenen Aminosäuren dieser Gruppe. {| class="wikitable" |- class="hintergrundfarbe6" ! Aminosäure ! Abk. ! Symbol |- style="text-align:center;" | Pyrrolysin | Pyl | O |- style="text-align:center;" | Selenocystein | Sec | U |} Das übliche Startcodon AUG codiert für die Aminosäure Methionin. Bakterien verfügen neben der tRNAMet über eine besondere tRNAfMet, die ebenfalls mit Methionin beladen wird und als Initiator-tRNA dient. Die an tRNAifMet gebundene Aminosäure aber wird in Bakterien am N-Terminus formyliert zu N-Formylmethionin (fMet), noch bevor sie bei der Initiation am Ribosom zur ersten Aminosäure einer Peptidkette werden kann. Dieses Aminosäurederivat Formylmethionin wird daher gelegentlich auch als (23.) proteinogene Aminosäure gezählt. Auch Mitochondrien und Chloroplasten nutzen fMet initial. Dagegen wird es im Cytosol eukaryotischer Zellen und in Archaeen nicht bei der Translation verwendet. Eine zweite Gruppe bilden die im engen Sinn nicht proteinogenen Aminosäuren, die aus kanonischen Aminosäuren entstehen, wenn der Aminosäurerest R nach dem Einbau in Proteine verändert wird, d. h. durch eine der vielfältigen posttranslationale Modifikationen. So kann Prolin zu Hydroxyprolin, Serin zu O-Phosphoserin, Tyrosin zu O-Phosphotyrosin und Glutamat zu γ-Carboxyglutamat umgewandelt werden. Eine wichtige Änderung des Aminosäurerestes stellt auch die Glykosylierung dar: Hier werden Kohlenhydratreste auf die Aminosäurereste übertragen, wodurch Glykoproteine entstehen. Als dritte Gruppe lassen sich die strenggenommen nicht proteinogenen Aminosäuren fassen, die der Organismus nicht von den kanonischen Aminosäuren unterscheiden kann und die er so anstelle dieser in Proteine unspezifisch einbaut. Dazu gehört Selenomethionin, das anstelle des Methionins eingebaut werden kann, oder das Canavanin, das der Organismus nicht vom Arginin unterscheiden kann oder auch die Azetidin-2-carbonsäure, die als giftiges Prolin-Analogon wirkt. Viele der Aminosäuren dieser Gruppe sind toxisch, da sie oft zu einer Fehlfaltung des Proteins führen, wodurch die Form und somit die Funktionsfähigkeit des Proteins beeinträchtigt werden kann. So ist Azetidin-2-carbonsäure ein toxischer Bestandteil des Maiglöckchens, wobei sich das Maiglöckchen selber mit einer hochspezifischen Prolyl-tRNA-Synthetase vor dem unkontrollierten Einbau dieser Aminosäure in ihre Proteine schützt. Der Mensch nutzt neben den 20 kanonischen auch Selenocystein als proteinogene Aminosäure. Von den 20 kanonischen Aminosäuren werden 12 vom menschlichen Organismus beziehungsweise durch im menschlichen Verdauungstrakt lebende Mikroorganismen synthetisiert. Die restlichen 8 Aminosäuren sind für den Menschen essentiell, das heißt, er muss sie über die Nahrung aufnehmen. Der Einbau künstlicher, nahezu beliebig gebauter Aminosäuren im Zuge eines Proteindesigns ist unter anderem über die Ersetzung des Liganden in der entsprechenden Aminoacyl-tRNA-Synthetase möglich. Diese Verfahren sind teilweise so weit fortgeschritten, dass damit gezielt bestimmte Proteine eine Markierung erhalten können, die beispielsweise das Protein nach Behandlung mit spezifischen Reagenzien zur Fluoreszenz anregen (Beispiel: Einbau von Norbornen-Aminosäure via Pyrrolysyl-tRNA-Synthetase/Codon CUA). Damit ist eine genaue Lokalisierung des Proteins auch ohne Produktion und Reaktion mit Antikörpern möglich. Biochemische Bedeutung Aminosäuren als Bausteine von Proteinen L-Aminosäuren sind in der Biochemie von großer Bedeutung, da sie die Bausteine von Peptiden und Proteinen (Eiweißen) sind. Bisher sind über zwanzig sogenannte proteinogene Aminosäuren bekannt. Dies sind zunächst jene 20 L-α-Aminosäuren, die als Standard-Aminosäuren durch Codons von je drei Nukleinbasen in der DNA nach dem Standard-Code codiert werden. Zu diesen kanonisch genannten Aminosäuren sind inzwischen zwei weitere hinzugekommen, Selenocystein und Pyrrolysin. Beide nicht-kanonischen sind ebenfalls α-Aminosäuren, bezogen auf die endständige Carboxygruppe ist die Aminogruppe am unmittelbar benachbarten Kohlenstoffatom gebunden (Cα). Darüber hinaus gibt es noch weitere Aminosäuren, die als Bestandteil von Proteinen oder Peptiden auftreten, jedoch nicht codiert werden. Aminosäureketten mit einer Kettenlänge unter zirka 100 Aminosäuren werden meist als Peptide bezeichnet, bei den größeren ribosomal gebildeten spricht man von Makropeptiden oder Proteinen. Die einzelnen Aminosäuren sind dabei innerhalb der Kette je über Peptidbindungen (Säureamid) verknüpft. Ein automatisiertes Verfahren zur Synthese von Peptiden liefert die Merrifield-Synthese. In Form von Nahrung aufgenommene Proteine werden bei der Verdauung in L-Aminosäuren zerlegt. In der Leber werden sie weiter verwertet. Entweder werden sie zur Proteinbiosynthese verwendet oder abgebaut (siehe auch: Aminosäureindex). Die wichtigsten Mechanismen des Aminosäurenabbaus sind: Transaminierung Desaminierung Decarboxylierung Essentielle Aminosäuren Aminosäuren, die ein Organismus benötigt, jedoch nicht selbst herstellen kann, heißen essentielle Aminosäuren und müssen mit der Nahrung aufgenommen werden. Alle diese essentiellen Aminosäuren sind L-α-Aminosäuren. Für Menschen sind Valin, Methionin, Leucin, Isoleucin, Phenylalanin, Tryptophan, Threonin und Lysin essentielle Aminosäuren. Seit 1985 wird von der WHO auch die Aminosäure Histidin als essenzielle Aminosäure eingestuft. Es gibt somit neun essenzielle Aminosäuren. Bedingt essentielle oder semi-essentielle Aminosäuren müssen nur in bestimmten Situationen mit der Nahrung aufgenommen werden, zum Beispiel während des Wachstums oder nach schweren Verletzungen. Die übrigen Aminosäuren werden entweder direkt synthetisiert oder aus anderen Aminosäuren durch Modifikation gewonnen. So kann Cystein aus der essentiellen Aminosäure Methionin synthetisiert werden. Solange das Vermögen, aus Phenylalanin die Aminosäure Tyrosin herzustellen, noch nicht ausgereift ist, zählt auch diese neben den anderen zu den essentiellen Aminosäuren im Kindesalter. Aus ähnlichem Grund muss auch bei einer Phenylketonurie Tyrosin zugeführt werden. Daneben gibt es andere Erkrankungen, die den Aminosäurestoffwechsel beeinträchtigen und die Aufnahme einer eigentlich nicht-essentiellen Aminosäure unter Umständen erfordern. Pflanzen und Mikroorganismen können alle für sie notwendigen Aminosäuren selbst synthetisieren. Daher gibt es für sie keine essentiellen Aminosäuren. Chemisch-physikalische Eigenschaften Die proteinogenen Aminosäuren lassen sich nach ihren Resten in Gruppen aufteilen (siehe Tabellenübersicht der Eigenschaften). Dabei kann eine Aminosäure in verschiedenen Gruppen gleichzeitig auftauchen. In einem Mengendiagramm lassen sich die Überlappungen der Gruppen grafisch darstellen. Die Eigenschaften der Seitenkette von Cystein betreffend haben die Autoren unterschiedliche Ansichten: Löffler hält sie für polar, während Alberts sie für unpolar hält. Richtigerweise handelt es sich bei Schwefel um ein Heteroatom, folglich gilt: Die Seitenkette von Cystein hat schwach polare Eigenschaften. Säure- und Basen-Verhalten Aufgrund der basischen Aminogruppe und der sauren Carbonsäuregruppe sind Aminosäuren zugleich Basen und Säuren. Als Feststoffe und in neutralen wässrigen Lösungen liegen Aminosäuren als Zwitterionen vor, das heißt, die Aminogruppe ist protoniert und die Carboxygruppe ist deprotoniert. Verallgemeinert lässt sich das Zwitterion so darstellen: Als Zwitterion kann die protonierte Aminogruppe als Säure (Protonendonator) und die Carboxylatgruppe kann als Base (Protonenakzeptor) reagieren. In sauren Lösungen liegen Aminosäuren als Kationen und in basischen Lösungen als Anionen vor: Die Ladung eines Aminosäuremoleküls hängt vom pH-Wert der Lösung ab. Bei einem Zwitterion mit einer sauren und einer basischen Gruppe ist bei neutralem pH-Wert die Gesamtladung des Moleküls null. Daneben besitzen die Seitenketten der Aminosäuren teilweise saure oder basische geladene Gruppen. Der pH-Wert mit einer Nettoladung von Null ist der isoelektrische Punkt (pHI, pI) einer Aminosäure. Am isoelektrischen Punkt ist die Wasserlöslichkeit einer Aminosäure am geringsten. Für das Säure-Base-Verhalten proteinogener Aminosäuren ist vor allem das Verhalten ihrer Seitenkette (fortan mit R bezeichnet) interessant. In Proteinen sind die NH2- und COOH-Gruppen bei physiologischem pH-Wert (um pH 7) wegen der Peptidbindung nicht protonierbar und damit auch nicht titrierbar. Ausnahmen sind der Amino- und der Carboxy-Terminus des Proteins. Daher ist für das Säure-Base-Verhalten von Proteinen und Peptiden der Seitenkettenrest R maßgeblich. Das Verhalten der Seitenkette R hängt von ihrer Konstitution ab, das heißt, ob die Seitenkette selbst wieder als Protonenakzeptor oder als Protonendonator wirken kann. Die proteinogenen Aminosäuren werden nach den funktionellen Gruppen eingeteilt in solche mit unpolarer oder polarer Aminosäureseitenkette und weiter unterteilt in nach Polarität sortierte Untergruppen: aliphatische, aromatische, amidierte, Schwefel-enthaltende, hydroxylierte, basische und saure Aminosäuren. Die Seitenketten von Tyrosin und Cystein sind zwar im Vergleich zu den anderen unpolaren Seitenketten relativ sauer, neigen aber erst bei unphysiologisch hohen pH-Werten zum Deprotonieren. Prolin ist eine sekundäre Aminosäure, da der N-Terminus mit der Seitenkette einen fünfatomigen Ring schließt. Innerhalb eines Proteins bindet der Carboxy-Terminus einer vorhergehenden Aminosäure an den Stickstoff des Prolins, welcher aufgrund der bereits erwähnten Peptidbindung nicht protonierbar ist. Histidin, Tyrosin und Methionin kommen jeweils in zwei Untergruppen vor. Aliphatische Aminosäureseitenketten Alanin Glycin Isoleucin Leucin Methionin Prolin Valin Aromatische Aminosäureseitenketten Phenylalanin Tryptophan Tyrosin Amidierte Aminosäureseitenketten Asparagin Glutamin Schwefel-enthaltende Aminosäureseitenketten Cystein Methionin Hydroxylierte Aminosäureseitenketten Serin Threonin Tyrosin Basische Aminosäureseitenketten Lysin Arginin Histidin Saure Aminosäureseitenketten Asparaginsäure (dissoziiert zu Aspartat) Glutaminsäure (dissoziiert zu Glutamat) Der pK-Wert ist der pH-Wert, bei dem die titrierbaren Gruppen zu gleichen Teilen protoniert und deprotoniert vorliegen; die titrierbare Gruppe liegt dann zu gleichen Teilen in ihrer basischen wie in ihrer sauren Form vor (siehe auch: Henderson-Hasselbalch-Gleichung). Es ist meist üblich, anstatt vom pKS vom pK zu sprechen, so vom pK der Säure. In diesem Sinne müsste allerdings vom pK des Lysins als pKB, vom pK der Base gesprochen werden. Aus Gründen der Vereinfachung wird diese Notation aber allgemein weggelassen, da sich auch aus dem Sinnzusammenhang ergibt, ob die Gruppe als Base oder Säure wirkt. Der pK ist keine Konstante, sondern hängt von der Temperatur, der Aktivität, der Ionenstärke und der unmittelbaren Umgebung der titrierbaren Gruppe ab und kann daher stark schwanken. Ist der pH höher als der pK einer titrierbaren Gruppe, so liegt die titrierbare Gruppe in ihrer basischen (deprotonierten) Form vor. Ist der pH niedriger als der pK der titrierbaren Gruppe, so liegt die titrierbare Gruppe in ihrer sauren (protonierten) Form vor: Für Asp (pK = 3,86) bei pH 7: Die Seitenkette ist nahezu vollständig deprotoniert. Für Lys (pK = 10,53) bei pH 7: Die Seitenkette ist nahezu vollständig protoniert. Die Seitenketten basischer Aminosäuren sind in ihrer protonierten (sauren) Form einfach positiv geladen und in ihrer deprotonierten (basischen) Form ungeladen. Die Seitenketten der sauren Aminosäuren (einschließlich Cystein und Tyrosin) sind in ihrer protonierten (sauren) Form ungeladen und in ihrer deprotonierten (basischen) Form einfach negativ geladen. Da das Verhalten der Seitenkette ein ganz anderes ist, wenn sie geladen bzw. ungeladen ist, spielt der pH-Wert für die Eigenschaften der Seitenkette eine so wichtige Rolle. Die titrierbaren Seitenketten beeinflussen zum Beispiel das Löslichkeitsverhalten der entsprechenden Aminosäure. In polaren Lösungsmitteln gilt: Geladene Seitenketten machen die Aminosäure löslicher, ungeladene Seitenketten machen die Aminosäure unlöslicher. In Proteinen kann das dazu führen, dass bestimmte Abschnitte hydrophiler oder hydrophober werden, wodurch die Faltung und damit auch die Aktivität von Enzymen vom pH-Wert abhängt. Durch stark saure oder basische Lösungen können Proteine daher denaturiert werden. Tabellenübersicht der Eigenschaften Stereochemie 18 der 20 proteinogenen Aminosäuren haben gemäß der Cahn-Ingold-Prelog-Konvention am α-Kohlenstoff-Atom die (S)-Konfiguration, lediglich Cystein besitzt die (R)-Konfiguration, da hier der Kohlenstoff mit der Thiolgruppe eine höhere Priorität als die Carbonsäuregruppe hat. Glycin ist achiral, daher kann keine absolute Konfiguration bestimmt werden. Zusätzlich zum Stereozentrum am α-C-Atom besitzen Isoleucin und Threonin in ihrem Rest R je ein weiteres stereogenes Zentrum. Proteinogenes Isoleucin [R = –C*H(CH3)CH2CH3] ist dort (S)-konfiguriert, Threonin [R = –C*H(OH)CH3] (R)-konfiguriert. Nichtproteinogene Aminosäuren Es sind bislang über 400 nichtproteinogene (d. h. nicht während der Translation in Proteine eingebaute) Aminosäuren, die in Organismen vorkommen, bekannt. Dazu gehört etwa das L-Thyroxin, ein Hormon der Schilddrüse, L-DOPA, L-Ornithin oder das in fast allen Arten von Cyanobakterien nachgewiesene Neurotoxin β-Methylaminoalanin (BMAA). Die meisten nichtproteinogenen Aminosäuren leiten sich von den proteinogenen ab, die L-α-Aminosäuren sind. Dennoch können dabei auch β-Aminosäuren (β-Alanin) oder γ-Aminosäuren (GABA) entstehen. Zu den nichtproteinogenen Aminosäuren zählen auch alle D-Enantiomere der proteinogenen L-Aminosäuren. D-Serin wird im Hirn durch die Serin-Racemase aus L-Serin (seinem Enantiomer) erzeugt. Es dient sowohl als Neurotransmitter als auch als Gliotransmitter durch die Aktivierung des NMDA-Rezeptors, was zusammen mit Glutamat die Öffnung des Kanals erlaubt. Zum Öffnen des Ionenkanals muss Glutamat und entweder Glycin oder D-Serin binden. D-Serin ist an der Glycin-Bindungsstelle des Glutamatrezeptors vom NMDA-Typ ein stärkerer Agonist als Glycin selbst, war aber zum Zeitpunkt der Erstbeschreibung der Glycin-Bindungsstelle noch unbekannt. D-Serin ist nach D-Aspartat die zweite D-Aminosäure, die in Menschen gefunden wurde. Zu den synthetischen Aminosäuren gehört die 2-Amino-5-phosphonovaleriansäure (APV), ein Antagonist des NMDA-Rezeptors und das ökonomisch wichtige D-Phenylglycin [Synonym: (R)-Phenylglycin], das in der Seitenkette vieler semisynthetischer β-Lactamantibiotica als Teilstruktur enthalten ist. (S)- und (R)-tert-Leucin [Synonym: (S)- und (R)-β-Methylvalin] sind synthetische Strukturisomere der proteinogenen Aminosäure (S)-Leucin und werden als Edukt in stereoselektiven Synthesen eingesetzt. Es gibt auch Aminosulfonsäuren [Beispiel: 2-Aminoethansulfonsäure (Synonym: Taurin)], α-Aminophosphonsäuren und α-Aminophosphinsäuren. Das sind auch α-Aminosäuren, jedoch keine α-Aminocarbonsäuren. Statt einer Carboxygruppe (–COOH) ist eine Sulfonsäure-, Phosphonsäure- bzw. Phosphinsäuregruppe in diesen α-Aminosäuren enthalten. Nachweis Ein quantitativer photometrischer Nachweis von Aminosäuren kann unter anderem per Kaiser-Test mit Ninhydrin oder mit dem Folin-Reagenz erfolgen, wodurch primäre Amine nachgewiesen werden. Für sekundäre Amine werden der Isatin-Test oder der Chloranil-Test verwendet. Ebenso können Trennung und Nachweis von Aminosäuren per Kapillarelektrophorese oder per HPLC erfolgen, teilweise als Flüssigchromatographie mit Massenspektrometrie-Kopplung. Während die meisten Aminosäuren kein UV-Licht mit Wellenlängen über 220 nm absorbieren, sind die Aminosäuren Phenylalanin, Tyrosin, Histidin und Tryptophan aromatisch und absorbieren UV-Licht mit einem Maximum zwischen 260 nm und 280 nm. Die Aminosäurezusammensetzung eines Proteins kann durch Hydrolyse des Proteins untersucht werden. Die langsam eintretende Racemisierung der Aminosäuren in den ursprünglich ausschließlich aus L-Aminosäuren aufgebauten Proteinen wird bei der Aminosäuredatierung untersucht. Gewinnung und Produktion Aminosäuren werden entweder aus Naturstoffen durch Auftrennung eines hydrolysierten Proteins oder auf synthetischem Wege gewonnen. Ursprünglich diente die Entwicklung einer Synthese für die diversen Aminosäuren hauptsächlich der Strukturaufklärung. Inzwischen sind diese Strukturfragen gelöst und mit den verschiedenen Synthesen, soweit sie noch aktuell sind, werden gezielt die gewünschten Aminosäuren dargestellt. Bei den Synthesen entstehen zunächst racemische Gemische, die getrennt werden können. Eine Methode hierfür ist eine selektive enzymatische Hydrolyse, die zur Racematspaltung eingesetzt wird. Nachfolgend ein Überblick über diverse Synthesen, die von Chemikern bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Einige dieser älteren Synthesen sind wegen geringer Ausbeuten oder sonstiger Probleme nur von historischem Interesse. Allerdings wurden diese alten Verfahren teilweise weiterentwickelt und einige sind auch noch heute zur Darstellung von Aminosäuren aktuell. Weitergehende Einzelheiten zu diesen Synthesen einschließlich der Gleichungen für die Synthesen sind unter den Links zu den Synthesen und den angegebenen Aminosäuren angeführt. Mit der Cyanhydrinsynthese des Chemikers Adolph Strecker 1850 wurde Alanin erstmals aus Acetaldehyd synthetisiert (siehe Strecker-Synthese). Eine Synthese für die Darstellung von Glycin über die α-Fettsäuren, die durch Reaktion von Brom- oder Chlorfettsäuren mit Ammoniak hergestellt werden, wurde von William H. Perkin sen. und Baldwin F. Duppa bereits 1859 entwickelt. Josef Pöchl entdeckte 1883 die Azlactonsynthese zur Darstellung von Aminosäuren. Deren genauer Ablauf wurde aber erst 1893 von Emil Erlenmeyer jun. aufgeklärt. Diese Methode wird deshalb auch Erlenmeyer-Synthese genannt. Mit diesem Verfahren wurden 1911 Histidin sowie Phenylalanin und Tyrosin hergestellt. Durch Reduktion von einer α-Oximinosäure wurde erstmals 1887 Asparaginsäure synthetisiert. Nach der gleichen Methode wurde 1906 von Louis Bouveault Isoleucin aus dem Oxim des Methyläthyl-brenztraubensäureesters dargestellt. Nach der von Siegmund Gabriel entwickelten Gabriel-Synthese, wurde 1889 Glycinhydrochlorid über Phthalimidkalium als Ausgangschemikalie synthetisiert. Obwohl diese Synthese für die Darstellung von Glycin überholt ist, eignet sie sich wegen ihrer hohen Ausbeuten für die Gewinnung anderer Aminosäuren. Mit der Cyanhydrinsynthese stellte Emil Fischer 1902 erstmals Serin über Glykolaldehyd her. 1906 wurde mit der von ihm entwickelten Malonestersynthese Leucin synthetisiert. Isoleucin, Norleucin, Methionin und Phenylalanin sind weitere Aminosäuren, die mit dieser Synthese leicht darstellbar sind. Theodor Curtius benutzte den von ihm entwickelten Curtiusschen Abbau für die Darstellung von α-Aminosäuren durch die Verwendung von Malonesterderivaten zur Synthese von Glycin, Alanin, Valin und Phenylalanin. 1911 wurde Tyrosin, Phenylalanin und Tryptophan über eine Kondensation aromatischer Aldehyde mit Hydantoin gewonnen. Mit einer kombinierten Phthalimid-Malonester-Synthese wurde 1931 von George Barger Methionin synthetisiert. Nach der gleichen Methode können auch Phenylalanin, Prolin, Tyrosin, Asparaginsäure und Serin hergestellt werden. Vincent du Vigneaud stellte 1939 DL-Cystin mit dieser Methode her. Industriell werden Aminosäuren heute nach folgenden Verfahren hergestellt: Extraktionsmethode: Hierzu werden Proteine zunächst mit Säuren hydrolysiert. Nach Fällung des Aminosäuregemischs aus dem Hydrolysat erfolgt eine chromatographische Trennung per Ionenaustauschchromatographie. Bei der Elution werden die unterschiedlichen Polaritäten der Aminosäuren ausgenutzt. Chemische Synthese: Es gibt eine Vielzahl von Synthesemethoden. Beispiele sind die Strecker-Synthese von D,L-Valin, die Degussa-Synthese von D,L-Cystein und die Synthese von D,L-Methionin aus Methylmercaptan, Acrolein und Blausäure. Da die hergestellten Aminosäuren dabei als Racemat erhalten werden, müssen anschließend noch Verfahren zur Enantiomerentrennung erfolgen, wenn reine L- oder D-Aminosäuren benötigt werden. Enzymatische Verfahren: Dieses Verfahren hat den Vorteil enantiomerenreine L- oder D-Aminosäuren mit geeigneten Enzymen als Biokatalysatoren zu liefern. Beispiele sind die Herstellung von L-Asparaginsäure aus Fumarsäure mit L-Aspartase und die Herstellung von L-Tryptophan aus Indol und Brenztraubensäure mit Tryptopharase. Fermentationsverfahren: Bei der Fermentation werden die Aminosäuren mit Hilfe geeigneter Mikroorganismen hergestellt. Der Syntheseprozess läuft dabei über sehr komplexe Zwischenschritte innerhalb der Zellen ab. Ein Beispiel ist die Herstellung von L-Glutaminsäure aus Glucose. Hierbei kann man aus 2 Gramm Glucose 1 Gramm Glutaminsäure gewinnen. Die meisten Aminosäuren werden heute durch Fermentation hergestellt. Jährlich werden so weltweit 6 Millionen Tonnen an Glutaminsäure und Lysin produziert, teilweise aus hydrolysierter Stärke oder Melasse unter Verwendung der Bakterien Escherichia coli oder Corynebacterium glutamicum. Verwendung Aminosäuren haben für die Ernährung des Menschen eine fundamentale Bedeutung, insbesondere weil die essentiellen Aminosäuren nicht selbst erzeugt werden können. In der Regel wird im Zuge einer ausgewogenen Ernährung der Bedarf an essentiellen Aminosäuren durch tierische oder eine geeignete Kombination verschiedener pflanzlicher Proteine (etwa aus Getreide und Hülsenfrüchten) vollkommen gedeckt. Pflanzliche Proteine haben meist eine geringere biologische Wertigkeit. Futtermittel in der Nutztierhaltung werden zusätzlich mit Aminosäuren angereichert, z. B. DL-Methionin und L-Lysin, aber auch verzweigte Aminosäuren (Leucin, Isoleucin, Valin), wodurch deren Nährwert erhöht wird. Verschiedene Aminosäuren werden als Nahrungsergänzungsmittel verkauft. Aminosäuren bzw. ihre Derivate finden Verwendung als Zusatz für Lebensmittel. Die menschliche Zunge besitzt einen Glutamatrezeptor, dessen Aktivierung allgemein mit einem gesteigerten Geschmack assoziiert ist. Daher wird als Geschmacksverstärker Natriumglutamat verwendet. Der Süßstoff Aspartam enthält eine Aminosäure. Aminosäuren sind Vorstufen für bestimmte Aromastoffe, die beim trockenen Garen von Speisen über die Maillard-Reaktion entstehen. Aminosäuren werden in der Zellbiologie und Mikrobiologie als Bestandteile von Zellkulturmedien verwendet. In der Biochemie werden Derivate von Aminosäuren wie Photo-Leucin oder Photo-Methionin zur Strukturaufklärung von Proteinen und andere zur Molekülmarkierung verwendet. Daneben werden Aminosäuren auch als Hilfsstoffe eingesetzt, z. B. als Salzbildner, Puffer. In der Pharmazie bzw. Medizin werden L-Aminosäuren als Infusionslösungen für die parenterale Ernährung und als Stabilisatoren bei bestimmten Lebererkrankungen angewendet. Bei Krankheiten mit einem Mangel von Neurotransmittern verwendet man L-Dopa. Für synthetische Peptidhormone und für die Biosynthese von Antibiotika sind Aminosäuren notwendige Ausgangsstoffe. Magnesium- und Kalium-Aspartate spielen bei der Behandlung von Herz- und Kreislauferkrankungen eine Rolle. Cystein, beziehungsweise die Derivate Acetylcystein und Carbocystein, finden zudem eine Anwendung bei infektiösen Bronchialerkrankungen mit erhöhtem Bronchialsekret. Zudem wird L-Cystein als Reduktionsmittel in der Dauerwelle eingesetzt. Aminosäuren werden in der Kosmetik Hautpflegemitteln und Shampoos zugesetzt. Metabolismus Aminosäuren können nach ihren Abbauwegen in ketogene, glucogene und gemischt keto- und glucogene Aminosäuren eingeteilt werden. Ketogene Aminosäuren werden beim Abbau dem Citrat-Zyklus zugeführt, glucogene Aminosäuren der Gluconeogenese. Weiterhin werden im Stoffwechsel aus Aminosäuren verschiedene Abbauprodukte mit biologischer Aktivität (z. B. Neurotransmitter) gebildet. Tryptophan ist der Vorläufer von Serotonin. Tyrosin und sein Vorläufer Phenylalanin sind Vorläufer der Catecholamine Dopamin, Epinephrin (synonym Adrenalin) und Norepinephrin (synonym Noradrenalin). Phenylalanin ist der Vorläufer von Phenethylamin in Menschen. In Pflanzen ist Phenylalanin der Vorläufer der Phenylpropanoide. Glycin ist der Ausgangsstoff der Porphyrinsynthese (Häm). Aus Arginin wird der sekundäre Botenstoff Stickstoffmonoxid gebildet. Ornithin und S-Adenosylmethionin sind Vorläufer der Polyamine. Aspartat, Glycin und Glutamin sind Ausgangsstoffe der Biosynthese von Nukleotiden. Bei verschiedenen Infektionen des Menschen mit Pathogenen wurde eine Konkurrenz mit dem Wirt um die Aminosäuren Asparagin, Arginin und Tryptophan beschrieben. Literatur Bücher Harold Hart: Organische Chemie: Ein kurzes Lehrbuch. VCH, 1989, ISBN 3-527-26480-9. Jeremy M. Berg, Lubert Stryer, John L. Tymoczko, Gregory J. Gatto: Biochemistry. Macmillan Learning, 2015, ISBN 978-1-4641-2610-9. G. C. Barrett: Amino Acids and Peptides. Cambridge University Press, 1998, ISBN 0-521-46827-2. Uwe Meierhenrich: Amino Acids and the Asymmetry of Life. Springer-Verlag, Heidelberg/ Berlin 2008, ISBN 978-3-540-76885-2. Hubert Rehm, Thomas Letzel: Der Experimentator: Proteinbiochemie / Proteomics. 6. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2009, ISBN 978-3-8274-2312-2. Zeitschriftenartikel Lei Wang, Peter G. Schultz: Die Erweiterung des genetischen Codes. In: Angewandte Chemie. Band 117, Nr. 1, 2005, S. 34–68. H. Uneyama, H. Kobayashi, N. Tonouchi: New Functions and Potential Applications of Amino Acids. In: Advances in Biochemical Engineering/Biotechnology. Band 159, 2017, S. 273–287, . PMID 27872968. Bernd Hoppe, Jürgen Martens: Aminosäuren – Bausteine des Lebens. In: Chemie in unserer Zeit. 17. Jahrg., Nr. 2, 1983, S. 41–53. Bernd Hoppe, Jürgen Martens: Aminosäuren – Herstellung und Gewinnung. In: Chemie in unserer Zeit. 18. Jahrg., Nr. 3, 1984, S. 73–86. Weblinks Lerne die 20 proteinogenen Aminosäuren Tabelle mit Eigenschaften und Häufigkeit von Aminosäuren (engl.) Einzelnachweise Biomonomer Stoffgruppe Proteinstruktur
Q8066
668.874883
6070
https://de.wikipedia.org/wiki/1996
1996
Jahreswidmungen Die Hainbuche (Carpinus betulus) ist Baum des Jahres (Kuratorium Baum des Jahres/Deutschland). Der Habichtspilz (Sarcodon imbricatus) ist Pilz des Jahres (Deutsche Gesellschaft für Mykologie). Der Kiebitz (Vanellus vanellus) ist Vogel des Jahres (NABU/Deutschland). Der Frauenschuh (Cypripedium calceolus) ist Orchidee des Jahres (Arbeitskreis Heimische Orchideen/Deutschland). Der Feldhamster (Cricetus cricetus) ist Tier des Jahres (Schutzgemeinschaft Deutsches Wild). Die Meerforelle (Salmo trutta trutta) ist der Fisch des Jahres (Verband Deutscher Sportfischer e. V.). Die Gewöhnliche Kuhschelle (Pulsatilla vulgaris) ist die Blume des Jahres (Stiftung Naturschutz Hamburg und Stiftung Loki Schmidt). Ereignisse Politik und Weltgeschehen Januar 1. Januar: Jean-Pascal Delamuraz wird erneut Bundespräsident der Schweiz. 1. Januar: Schweiz: Herabsetzung des Alters der Mündigkeit bzw. Volljährigkeit von 20 auf 18 Jahre gemäß Art. 14 ZGB 1. Januar: Slowenien wird Mitglied in der CEFTA (Mitteleuropäisches Freihandelsabkommen). 1. Januar: Die Türkei tritt der EU-Zollunion bei. 11. Januar: Das japanische Parlament wählt den Liberaldemokraten Ryūtarō Hashimoto zum neuen Premierminister. Er löst den Sozialdemokraten Murayama Tomiichi ab. 18. Januar: Neue Verfassung in Kamerun. 18. Januar: In Lübeck sterben bei einem Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft zehn Menschen. 26. Januar: letzter der 210 Atombombentests Frankreichs auf dem Mururoa-Atoll 27. Januar: Militärputsch des Generalstabschefs Oberst Ibrahim Baré Maïnassara in der Republik Niger 29. Januar: Der französische Staatspräsident Jacques Chirac gibt das Einstellen weiterer französischer Kernwaffentests bekannt. 31. Januar: Selbstmordattentate der Liberation Tigers of Tamil Eelam mit einem Lkw voller Sprengstoff auf die Zentralbank Sri Lankas sowie auf ein Hochhaus in Colombo verursachen zusammen 88 Tote und etwa 1.000 Verletzte. Februar 7. Februar: Lesotho. Letsie III. wird als Staatspräsident vereidigt. 22. Februar: Papst Johannes Paul II. erlässt das Dekret Universi Dominici Gregis über das Konklave. 24. Februar: Abschuss von zwei kleinen Verkehrsflugzeugen über internationalen Gewässern durch Kuba 25. Februar: Äquatorialguinea: Vorgezogene Präsidentschaftswahlen 28. Februar: Russland wird Mitglied im Europarat. März 2. März: Parlamentswahlen in Australien 3. März: Parlamentswahlen in Spanien 9. März: Jorge Sampaio wird Staatspräsident in Portugal. 11. März: John Howard wird Regierungschef in Australien. 12. März: Treffen von 30 Staats- und Regierungschefs in Scharm asch-Schaich, Beratung über Frieden im Nahen Osten 13. März: Im schottischen Dunblane tötet Thomas Hamilton bei einem Amoklauf 16 Grundschüler und ihre Lehrerin mit einem Revolver; danach erschießt er sich selbst. 15. März: Die Duma erklärt die Auflösung der Sowjetunion für nichtig. 16. März: Komoren. Wahl von Staatspräsident Mohammed Taki Abdoulkarim 18. März: In Benin wird Mathieu Kérékou Staatspräsident. 23. März: Bei der ersten Direktwahl des Präsidenten der Republik China wird auf Taiwan Amtsinhaber Lee Teng-hui mit 54 Prozent der Wählerstimmen bestätigt. Die gleichzeitig abgehaltene Wahl zur Nationalversammlung gewinnt die Kuomintang. 24. März: Jan Philipp Reemtsma wird für 33 Tage entführt. 29. März: Ahmad Tejan Kabbah wird Staatspräsident in Sierra Leone. April 10. April: Die – abgesehen von Tornados – höchste je auf der Erde gemessene Windgeschwindigkeit wird mit 408 km/h auf Barrow Island, 50 km nordwestlich von Australien, registriert. 15. April: Die Politikerin und frühere Ministerin Mona Sahlin verzichtet als Folge der Toblerone-Affäre auf ihr Mandat im schwedischen Reichstag. 17. April: Bei Eldorado do Carajás im Bundesstaat Pará räumt brasilianische Militärpolizei mit Waffengewalt eine Straße, die von Mitgliedern der Bewegung der Landarbeiter ohne Boden (MST) blockiert wird. Bei der Aktion werden 21 MST-Aktivisten getötet. Eine Säule der Schande erinnert später an das Ereignis. 18. April: Das Bundesverfassungsgericht entscheidet, dass die in den Jahren 1945 bis 1949 in der Sowjetischen Besatzungszone durchgeführten Enteignungen von Grundbesitz im Sinne des Einigungsvertrages von 1990 nicht rückgängig zu machen sind. 21. April: Armenien unterzeichnet das Abkommen über Partnerschaft und Zusammenarbeit mit der EU in Luxemburg. 21. April: Parlamentswahlen in Italien 22. April: Aserbaidschan unterzeichnet in Brüssel das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen mit der EU. 22. April: Umsturzversuch in Paraguay durch General Lino Oviedo 24. April: Andorra wird Mitglied in der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE). 29. April: Bei einem Amoklauf im australischen Port Arthur tötet Martin Bryant 35 Menschen und verletzt 21. Der geistig beeinträchtigte Täter wird später zu 35-mal lebenslänglich verurteilt. Mai 5. Mai: Spanien. José María Aznar wird Ministerpräsident. 25. Mai: Der ehemalige bulgarische Zar Simeon II. besucht Bulgarien. 27. Mai: Beginn der Parlamentswahl in Indien 28. Mai: Die kanadische Polizei stürmt das taiwanische Frachtschiff Maersk Dubai aufgrund von Mordvorwürfen gegen den Kapitän. Dieser soll Schiffbrüchige über Bord geworfen haben, wird jedoch 2003 in Taiwan freigesprochen. 29. Mai: Mazedonien unterzeichnet die Schlussakte von Helsinki. Juni 12. Juni: freie Parlamentswahlen in Bangladesch 16. Juni: Präsidentschaftswahl in Russland: Da keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit erreicht, kommt es zur Stichwahl zwischen Amtsinhaber Boris Jelzin und Gennadi Sjuganow. 20. Juni: Handels- und Kooperationsabkommen zwischen Mazedonien und der EU. 22. Juni: Ägypten. Der Arabische Gipfel in Kairo bestätigt den arabischen Willen zum Frieden und erteilt Ägypten das Mandat, gegenüber Israel auf Fortsetzung des Friedensprozesses zu drängen. 29. Juni: Präsidentschaftswahl in Island 1996: Ólafur Ragnar Grímsson wird zum fünften Staatspräsidenten Islands bestimmt. 28. Juni: Anschlag auf die Quebec Barracks der britischen Streitkräfte in Osnabrück durch die Provisional Irish Republican Army. 30. Juni: Parlamentswahlen in der Mongolei 1996. Juli 3. Juli: Konkordat zwischen dem Heiligen Stuhl und Sachsen. 3. Juli: Zweiter Wahlgang der russischen Präsidentschaftswahl: Boris Jelzin wird im Amt bestätigt. 7. Juli: Präsidentschaftswahlen in Niger. 25. Juli: Militärputsch durch Major Pierre Buyoya in Burundi. 31. Juli: Wirtschaftssanktionen gegen Burundi als Folge des Militärputsches. August 12. August: Änderung des Namens der Hauptstadt des indischen Bundesstaates Maharashtra von 'Bombay' in Mumbai durch die „Corporation Resolution No.512“ sowie den „Maharashtra Act, XXV of 1996“. 16. August: Dominikanische Republik. Leonel Fernández Reyna wird Staatspräsident. 31. August: Russland. In Chassawjurt unterzeichnen der russische Tschetschenienbeauftragte Alexander Lebed und der Generalstabschef der tschetschenischen Unabhängigkeitskämpfer, Aslan Maschadow, ein Friedensabkommen. Der Vertrag erklärt die militärischen Auseinandersetzungen für beendet, schiebt aber die Entscheidung über den politischen Status Tschetscheniens bis Ende 2001 auf. September 4. September: Madagaskar. Per Gericht wird Präsident Albert Zafy die Amtsausübung untersagt. 13. September: Rapper Tupac Shakur (2pac) wird in Las Vegas von einem oder mehreren Unbekannten getötet. 18. September: Am frühen Morgen wird an der Ostküste Südkoreas ein auf Felsen aufgelaufenes U-Boot der Sang-o-Klasse der Marine Nordkoreas entdeckt und das südkoreanische Militär alarmiert. 27. September: Der frühere afghanische Staatschef Mohammed Nadschibullah wird von Taliban-Kämpfern in Kabul hingerichtet. Oktober 2. Oktober: Bulgarien. Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Andrei Lukanow 12. Oktober: Parlamentswahlen in Neuseeland 17. Oktober: Nauru wird Mitglied in der UNESCO. 20. Oktober: Nach einer Mordserie an sexuell missbrauchten Kindern und der Aufdeckung einer Kinderschänderbande in der Affäre um Marc Dutroux gehen 250.000 Belgier in Brüssel auf die Straße, um mangelhaftes Handeln der Exekutive anzuprangern. 20. Oktober: Bei der Unterhauswahl in Japan verteidigt die Koalition von Premierminister Ryūtarō Hashimoto ihre Mehrheit. 24. Oktober: Das Übereinkommen über nukleare Sicherheit tritt in Kraft. 27. Oktober: Petar Stojanow wird Präsident Bulgariens. November 5. November: Bill Clinton wird als Präsident der Vereinigten Staaten wiedergewählt. 6. November: Kroatien wird in den Europarat aufgenommen. 12. November: Mena-Konferenz in Kairo (Ägypten) 17. November: Der deutsche Agent Werner Mauss wird in Medellín verhaftet. 22. November: Polen tritt der OWZE bei. Dezember 1. Dezember: Bulgarien wird Mitglied in der Welthandelsorganisation WTO. 1. Dezember: Komoren. Parlamentswahlen 2. Dezember: OSZE-Gipfeltreffen in Lissabon (Portugal) 21. Dezember: Bulgarien. Rücktritt des Ministerpräsidenten Schan Widenow 29. Dezember: Die Regierung Guatemalas schließt mit den Rebellen der Unidad Revolucionaria Nacional Guatemalteca (URNG) ein Friedensabkommen. Der Guatemaltekische Bürgerkrieg geht damit nach 36 Jahren zu Ende. 31. Dezember: Bayern. Das Sicherheitswachtgesetz tritt in Kraft. Gründung des International Policy Institute for Counter-Terrorism Wirtschaft 22. Februar: Der Immobilienspekulant Jürgen Schneider wird von den USA an Deutschland ausgeliefert. 10. Februar: Edelweiss Air macht ihren Erstflug. 15. März: Der niederländische Flugzeughersteller Fokker meldet Insolvenz an. Das deutsche Mutterunternehmen Daimler-Benz hatte sich im Januar vom Unternehmen getrennt. 29. Mai: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Russland 28. Juli: Der Pay-TV-Sender DF1 der Kirch-Gruppe beginnt in Deutschland mit der Ausstrahlung von Digitalfernsehen, zunächst lokal im Bereich um München. 2. Oktober: Nach über 113 Jahren Unternehmensgeschichte – zeitweilig als einer der größten Elektrokonzerne der Welt – wird die Firma AEG im Handelsregister von Frankfurt am Main gelöscht. 15. Oktober: In Japan geht das Geldinstitut Nichei Finance in Konkurs. Es ist der bisher größte Firmenbankrott in der Geschichte des Landes. 1. November: Nach dem Gesetz über Europäische Betriebsräte können nunmehr in EU-weit tätigen Unternehmen mit mindestens tausend Beschäftigten länderübergreifend Arbeitnehmervertretungen gebildet werden. 1. November: Der neue arabische Nachrichtensender Al Jazeera beginnt mit den Sendungen aus Doha in Katar über Satellit. 14. November: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Belarus 18. November: Die Deutsche Telekom geht an die Börse. 29. November: Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Estland Gründung des Supply-Chain Councils Die beiden Basler Chemiekonzerne Ciba-Geigy & Sandoz fusionieren zur Novartis. Es ist die damals größte Firmenfusion der Welt. Wissenschaft und Technik 30. Januar: Der Komet Hyakutake wird entdeckt. 9. Februar: Forscher der Gesellschaft für Schwerionenforschung in Darmstadt geben die Entdeckung des später auf den Namen Copernicium getauften Elements bekannt. 10. Februar: Mit Deep Blue bezwingt erstmals ein Schachcomputer einen Schachweltmeister, den Russen Garry Kasparow, in einer Partie unter Turnierbedingungen. 20. März: Britische Wissenschaftler vermuten einen Zusammenhang zwischen BSE und Creutzfeldt-Jakob-Krankheit. Ab April: Die Veröffentlichung des Buches Hitlers willige Vollstrecker (orig. Hitler's Willing Executioners) des US-Amerikaners Daniel Goldhagen löst eine internationale Geschichtsdebatte über die Täter des Holocaust aus. 3. Mai: Der Be 4/4 8 der Meiringen-Innertkirchen-Bahn wird in Dienst gestellt. 23. Juni: Der japanische Videospiel- und Konsolenhersteller Nintendo veröffentlicht in Japan das Nintendo 64. 30. Juni: Der amerikanische Unterhaltungselektronik-Hersteller Atari Corporation fusioniert mit dem Festplatten-Hersteller JTS, einem Tochterunternehmen der Tandon Corporation. 5. Juli: Das Schaf Dolly, erstes geklontes Säugetier der Welt, wird geboren. 28. Juli: Am Ufer des Columbia River werden im US-Bundesstaat Washington die Überreste des Kennewick-Mannes gefunden. 17. August: Mit der Mission Sojus TM-24 startet die erste französische Raumfahrerin Claudie André-Deshays zur russischen Raumstation Mir. 22. September: Der Fernsehsender h1 geht als Offener Kanal Hannover erstmals auf Sendung. 10. Oktober: In Deutschland geht der Nachrichtendienst Skyper über Funkmeldeempfänger in Betrieb. 19. Oktober: Greenpeace stellt das erste Dreiliterauto vor: Einen umgebauten Serienwagen, den Twingo Smile. 19. November: Das Space Shuttle Columbia startet zur Mission STS-80, bei der zwei Satelliten ausgesetzt und später wieder eingefangen werden sollen. Wegen schlechter Wetterbedingungen gegen Ende der Mission entsteht der bislang längste Flug in der Shuttle-Geschichte. BMW bringt den Z3-Roadster auf den Markt VBA löst das alte WordBasic als Office-Makrosprache ab. Start des Ansari X-Prize Der österreichische Wissenschaftspreis START-Preis wird ins Leben gerufen. Kultur Kunst 8. Februar: 24 Hours in Cyberspace, die erste weltweite Online-Veranstaltung findet statt. 16. April: Der Schatz des Priamos wird erstmals nach 51 Jahren wieder der Öffentlichkeit im Puschkin-Museum in Moskau gezeigt. 4. Mai: Gründung des Migros Museum für Gegenwartskunst in Zürich 3. Oktober: In Basel eröffnet das Museum Tinguely. Das Werk Jean Tinguelys gilt als repräsentativ für kinetische Kunst. 4. Dezember: Das Nürnberger Kulturzentrum K4 wird eröffnet. 7. Dezember: Die gotische Lonja de la Seda in Valencia wird von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. 7. Dezember: Das Bauhaus und seine Stätten in Weimar, Dessau und Bernau werden von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt. Erstausgabe der Kunstzeitung Das Kunsthaus Kaufbeuren wird gebaut. Erstmalige Vergabe des Central-Kunstpreises Erstmaliges Stattfinden der Kunstausstellung Manifesta Musik 13. Februar: Die britische Pop-Gruppe Take That gibt ihre Trennung bekannt, nachdem bereits im Vorjahr Robbie Williams die Band verlassen hatte. 18. Mai: Eimear Quinn gewinnt in Oslo mit dem Lied The Voice für Irland die 41. Auflage des Eurovision Song Contest, der deutsche Kandidat Leon scheitert in der Vorrunde. 11. August: Die britische Rockband Oasis bricht in Knebworth, England, mit 250.000 Besuchern an zwei Tagen einen Rekord für die meisten Zuschauer in Konzerten mit freier Stehplatzwahl. 7. September: Der US-amerikanische Musiker Tupac Shakur wird angeschossen und erliegt seinen Verletzungen sechs Tage später. Die Toten Hosen veröffentlichen Opium fürs Volk. Evil Empire erscheint, das zweite Album der Band Rage Against the Machine. Gründung der Band Xero, später Linkin Park. Gründung der Band Sportfreunde Stiller. Gründung der Band Sunnyglade, später Juli. Gründung der Band Nightwish. Gründung der Band Freundeskreis. Gründung der Band Within Temptation. Gründung der Band Coldplay. Siehe auch: :Kategorie:Musik 1996 Sonstiges 7. Februar: Die gemischte Kulturkommission tritt in Luxemburg zusammen. 27. Februar: In Japan erscheinen die Spiele Pokémon Grün und Rot. 19. März: Kulturabkommen zwischen Deutschland und Bulgarien. In Kraft seit dem 13. August 1997 22. Juni: In Nordamerika wird der Ego-Shooter Quake veröffentlicht. 1. Juli: Mit der Wiener Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung wird die Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 in Gang gesetzt. Eröffnung des Ciutat de les Arts i les Ciències in Valencia Der Verein Schulen ans Netz entsteht. Gründung des Virginia Holocaust Museum Der Freizeitpark Plohn wird eröffnet. Samuel P. Huntingtons Buch Kampf der Kulturen: Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert erscheint in den Vereinigten Staaten sowie in deutscher Übersetzung. Erstmalige Vergabe der Leo-von-Klenze-Medaille Gründung des amerikanischen Spielenetzwerks IGN Gesellschaft 13. August: Der Belgier Marc Dutroux und zwei Komplizen werden wegen Verdachts auf Entführung von Sabine Dardenne und Laetitia Delhez verhaftet. Bei den weiteren polizeilichen Ermittlungen werden mehrere Kindesentführungen zum Zweck sexuellen Missbrauchs der Opfer und Ermordungen aufgedeckt. 19. Oktober: Die Polizei findet mit Hilfe von Spürhunden im Taunus die Leiche eines vermögenden Frankfurter Bürgers. Nach der Entführung von Jakub Fiszman waren vier Millionen DM Lösegeld bezahlt worden. Tatverdächtige sitzen im polizeilichen Gewahrsam. Religion 27. Mai: In Konstanz weiht der alt-katholische Bischof Joachim Vobbe zwei Frauen zu den ersten Priesterinnen der Altkatholischen Kirche in Deutschland. 23. Oktober: Papst Johannes Paul II. akzeptiert die Vereinbarkeit zwischen Theistischer Evolution und Darwinscher Evolutionstheorie beim christlichen Glauben mit der Bemerkung, dass es sich bei ihr um mehr als nur eine Hypothese handle. Sport Einträge von Leichtathletik-Weltrekorden siehe unter der jeweiligen Disziplin unter Leichtathletik. 2. März: Das Ernst-Lehner-Stadion in Augsburg wird eröffnet. 10. März bis 13. Oktober: Austragung der 47. Formel-1-Weltmeisterschaft 16. März: Mike Tyson gewinnt seinen Boxkampf um den Weltmeistertitel im Schwergewicht gegen Frank Bruno im MGM Grand, Las Vegas, durch technischen K. o. 17. März: Sri Lanka gewinnt den sechsten Cricket World Cup in Indien, Pakistan und Sri Lanka, indem sie im Finale Australien mit 7 Wickets besiegt. 31. März bis 20. Oktober: Austragung der 48. FIM-Motorrad-Straßenweltmeisterschaft 11. April: Panathinaikos Athen besiegt den FC Barcelona im Finale des Europapokals der Landesmeister im Basketball in Paris mit 67:66. 11. Mai: Durch die Niederlage des FC Bayern München sichert sich Borussia Dortmund vorzeitig die deutsche Meisterschaft. 15. Mai: FC Bayern München wird UEFA-Cup-Sieger nach einem 3:1-Sieg im Rückspiel (Hinspiel 2:0) gegen Girondins Bordeaux. 25. Mai: Nach dem Abstieg aus der ersten Bundesliga bezwingt der 1. FC Kaiserslautern den Karlsruher SC mit einem 1:0 im DFB-Pokalfinale in Berlin und holt sich den zweiten Pokalsieger-Titel. 1. Juni: Durch die Fusion von TuS und BW-Ahlen wird der Sport- und Fußballvereins LR Ahlen gegründet. 1. Juni: Der SK Rapid Wien wird zum 30. Mal österreichischer Fußballmeister. 8. Juni: Mit dem Eröffnungsspiel England−Schweiz beginnt die zehnte Fußball-Europameisterschaft in England. 10. Juni: Uwe Krupp schießt die Colorado Avalanche zum ersten Stanley-Cup-Sieg ihrer Geschichte. 30. Juni: Deutschland wird im Wembley-Stadion von London durch das erste Golden Goal in der Geschichte, erzielt von Oliver Bierhoff, zum dritten Mal Europameister. 29. Juni bis 21. Juli: Die 83. Tour de France wird von Bjarne Riis als erstem Skandinavier gewonnen. 19. Juli bis 4. August: XXVI. Olympische Sommerspiele in Atlanta/USA. 13. Oktober: Damon Hill wird Formel-1-Weltmeister, damit holt erstmals in der Formel 1 der Sohn eines früheren Weltmeisters (Graham Hill) den Titel. 23. November: Henry Maske verliert im letzten Kampf seiner Profi-Karriere gegen Virgil Hill nach Punkten. Erstmaliges Stattfinden der Spezialradmesse. Michael Schumacher wechselt von Benetton zu Ferrari. Katastrophen 8. Januar: Kinshasa, Demokratische Republik Kongo. Eine Antonow An-32 der African Air verursacht die Flugzeugkatastrophe von Kinshasa, bei der mindestens 297 Menschen sterben. 3. Februar: In Yunnan Sheng, nahe Lijiang, Volksrepublik China ereignet sich ein Erdbeben der Stärke 7,0, etwa 300 Tote. 6. Februar: Eine Chartermaschine der türkischen Birgenair, eine Boeing 757 mit der Flugnummer 301, stürzt kurz vor Mitternacht Ortszeit nach dem Start vom Flughafen Puerto Plata in der Dominikanischen Republik in den Atlantik. 189 Menschen sterben, darunter 164 deutsche Touristen. Ursache des Absturzes ist technisches Versagen, gefolgt von menschlichem Versagen. 15. Februar: Der Tanker Sea Empress läuft nach einem Lotsenfehler auf einem Felsen bei Milford Haven auf. 71.800 Tonnen auslaufendes Rohöl verursachen eine schwere Ölverschmutzung an der walisischen Küste. 17. Februar: ein Erdbeben der Stärke 8,2 in der Region Irian Jaya, Indonesien. 166 Tote 29. Februar: Arequipa, Peru. Eine aus Lima kommende Boeing 737 auf Faucett-Perú-Flug 251 prallt beim Landeanflug gegen einen Berg, wobei alle 123 Passagiere umkommen. 18. März: In Manila sterben bei einem Brand in einer Diskothek wegen verschlossener Notausgänge 150 Menschen. 11. April: Bei der Brandkatastrophe im Düsseldorfer Flughafen, ausgelöst durch Schweißarbeiten, starben 17 Menschen und 88 weitere wurden verletzt. 11. Mai: Everglades, Florida, USA: Nach einem Feuer im Frachtraum stürzt auf ValuJet-Flug 592 von Miami nach Atlanta eine Douglas DC-9 ab. Alle 110 Insassen sterben. 13. Mai: Bangladesch. Ein Tornado tötet über 500 und verletzt fast 33000 Personen. 21. Mai: Die Fähre MV Bukoba kentert und sinkt auf dem Victoriasee. Über 700 Menschen ertrinken. 17. Juli: Kurz nach dem Start von New York City explodiert die Boeing 747-131 des Trans-World-Airlines-Fluges 800 in circa vier Kilometern Höhe. Alle 230 Menschen an Bord kommen ums Leben. 7. August: Biescas, Spanien. Der Murgang von Biescas tötet 87 Menschen und verletzt 187 weitere. 29. August: Spitzbergen, Norwegen. Eine russische Tupolew Tu-154 prallt gegen einen Berg. Alle 141 Menschen an Bord sterben. 7. November: Lagos, Nigeria. Absturz einer Boeing 727 auf ADC-Airlines-Flug 86. Alle 143 Menschen sterben. 12. November: Bei der Flugzeugkollision von Charkhi Dadri zwischen einer Boeing 747 der Saudi Arabian Airlines und einer Iljuschin Il-76 der Kazak Airlines sterben alle 349 Personen in beiden Flugzeugen. 23. November: Komoren. Der entführte Ethiopian-Airlines-Flug 961 zerbricht bei der Notwasserung und sinkt. 125 der 175 Insassen kommen dabei um. 25. Dezember: Beim Umstieg von Migranten vom Frachter Yiohan kentert das maltesische Boot F174 und es ertrinken in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember mindestens 283 Menschen vor Sizilien. Natur und Umwelt 2. Januar: Auf der Halbinsel Kamtschatka kommt es zur einzigen historisch bekannten Eruption des Stratovulkans Akademija Nauk. 10. April: Auf der westaustralischen Insel Barrow Island wird – abgesehen von Tornados – mit 408 km/h die höchste Windgeschwindigkeit gemessen. 11. September: Bei Teutschenthal in Sachsen-Anhalt ereignet sich ein Gebirgsschlag. Seismographen auf der ganzen Welt zeichnen das ausgelöste Erdbeben der Stärke 5,5 auf der Richterskala auf. Geboren Januar 1. Januar: Adem Furkan Avcı, türkischer Boxer 1. Januar: Mahmoud Dahoud, deutsch-syrischer Fußballspieler 1. Januar: Pan Dandan, chinesische Ruderin 1. Januar: Andreas Pereira, brasilianisch-belgischer Fußballspieler 2. Januar: Maurice Litka, deutscher Fußballspieler 2. Januar: Laila Youssifou, niederländische Ruderin 3. Januar: Ernst Boutkan, niederländischer Politiker 3. Januar: Naomi Van Den Broeck, belgische Sprinterin 3. Januar: Florence Pugh, britische Schauspielerin 3. Januar: Matthias Weger, österreichischer Kanute 4. Januar: Valerie Huber, österreichische Schauspielerin und Model 5. Januar: Nicol Delago, italienische Skirennläuferin 5. Januar: Joschka Ferner, deutscher Basketballspieler 6. Januar: Sebastian Arnold, deutscher Handballspieler 6. Januar: Mitsuru Maruoka, japanischer Fußballspieler 7. Januar: Lionel Enguene, kamerunischer Fußballspieler 7. Januar: Carina Mair, österreichische Skeletonpilotin 7. Januar: Alex Nedeljkovic, US-amerikanischer Eishockeytorwart 8. Januar: Emma Heesters, niederländische Popsängerin 8. Januar: Kevin Brandstätter, österreichischer Fußballspieler 9. Januar: Oana Gregory, rumänische Schauspielerin 9. Januar: Sebastian Kolbe, deutsch-spanischer Fußballtorhüter 10. Januar: Larissa Crummer, australische Fußballspielerin 10. Januar: Andrea Migno, italienischer Motorradrennfahrer 11. Januar: Kamer Krasniqi, kosovarischer Fußballspieler 11. Januar: Leroy Sané, deutsch-französischer Fußballspieler 12. Januar: Liviu Dubălari, moldauischer Biathlet und Skilangläufer 12. Januar: Ella Henderson, englische Singer-Songwriterin 13. Januar: Christian Heinrich, deutscher Fußballspieler 13. Januar: Aníta Hinriksdóttir, isländische Leichtathletin 13. Januar: Maximilian Werner, deutscher Schauspieler 14. Januar: Victor Edvardsen, schwedischer Fußballspieler 14. Januar: Jon Gorenc Stankovič, slowenischer Fußballspieler 15. Januar: Dove Cameron, US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin 15. Januar: Romano Fenati, italienischer Motorradrennfahrer 15. Januar: Huang Kaixiang, chinesischer Badmintonspieler 15. Januar: Katharina Truppe, österreichische Skirennläuferin 16. Januar: Cameron Carolissen, südafrikanischer Dartspieler 16. Januar: Jennie Kim, südkoreanische Sängerin 17. Januar: Victor Lafay, französischer Radrennfahrer 17. Januar: Caitlin Sanchez, US-amerikanische Schauspielerin 18. Januar: Sarah Gilman, US-amerikanische Schauspielerin 18. Januar: Elisabeth Mayr, deutsch-österreichische Fußballspielerin 18. Januar: Marek Szotkowski, tschechischer Fußballspieler 19. Januar: Mathias Graf, österreichischer Skirennläufer und Freestyle-Skier 19. Januar: Marcel Hartel, deutscher Fußballspieler 19. Januar: Breezy Johnson, US-amerikanische Skirennläuferin 20. Januar: Franziska Jaser, deutsche Fußballspielerin 20. Januar: Jovana Preković, serbische Karateka 20. Januar: Michelle Uhrig, deutsche Eisschnellläuferin 21. Januar: Marc Jurczyk, deutscher Radsportler 21. Januar: Jorge Lendeborg Jr., US-amerikanischer Schauspieler 21. Januar: Marco Asensio, spanischer Fußballspieler 21. Januar: Julia Schwaiger, österreichische Biathletin 21. Januar: Florian Wilmsmann, deutscher Freestyle-Skier 23. Januar: Julia Albrecht, deutsche Schauspielerin 23. Januar: Liam Kelly, schottischer Fußballspieler 23. Januar: Ruben Loftus-Cheek, englischer Fußballspieler 23. Januar: Felix Schröter, deutscher Fußballspieler 24. Januar: Iyayi Believe Atiemwen, nigerianischer Fußballspieler 24. Januar: Bianca Blöchl, deutsche Fußballspielerin 24. Januar: Patrik Schick, tschechischer Fußballspieler 25. Januar: Carissa Christensen, US-amerikanisch-philippinische Fußballspielerin 25. Januar: Adama Traoré, spanischer Fußballspieler 26. Januar: Zakaria Bakkali, belgischer Fußballspieler 26. Januar: Igor Decraene, belgischer Radrennfahrer († 2014) 26. Januar: Jankey Sowe, gambische Leichtathletin 27. Januar: Adur Etxezarreta, spanischer Skifahrer 27. Januar: Istok Rodeš, kroatischer Skirennläufer 27. Januar: Esmee Visser, niederländische Eisschnellläuferin 28. Januar: Jacqueline Cabaj Awad, schwedische Tennisspielerin 28. Januar: Darija Blaschko, ukrainische Biathletin 28. Januar: Samed Kılıç, türkisch-französischer Fußballspieler 29. Januar: Elena Møller Rigas, dänische Eisschnellläuferin 29. Januar: Max van Splunteren, niederländischer Autorennfahrer 30. Januar: Eero Hirvonen, finnischer Nordischer Kombinierer 30. Januar: Sinje Irslinger, deutsche Schauspielerin 30. Januar: Daniel Florin Vizitiu, rumänischer Gewichtheber 31. Januar: Joel Courtney, US-amerikanischer Schauspieler 31. Januar: Ana Golja, kanadische Schauspielerin und Sängerin Februar 1. Februar: Dionne Bromfield, britische Soulsängerin 1. Februar: Valmir Sulejmani, deutsch-albanischer Fußballspieler 2. Februar: Dylan Authors, kanadischer Schauspieler 3. Februar: Jorge Navarro, spanischer Motorradrennfahrer 4. Februar: Jonathan Elias Weiske, deutscher Schauspieler 6. Februar: Meike Pfister, deutsche Skirennläuferin 7. Februar: Aaron Ekblad, kanadischer Eishockeyspieler 7. Februar: Ruby O. Fee, deutsche Schauspielerin 7. Februar: Pierre Gasly, französischer Automobilrennfahrer 7. Februar: Piera Hudson, neuseeländische Skirennläuferin 8. Februar: Kenedy, brasilianischer Fußballspieler 9. Februar: Jimmy Bennett, US-amerikanischer Schauspieler 9. Februar: Kelli Berglund, US-amerikanische Schauspielerin und Sängerin 9. Februar: Chungha, südkoreanische Sängerin 9. Februar: Alec Potts, australischer Bogenschütze 10. Februar: Valentin Ponkratz, deutscher Schlagersänger 10. Februar: Anica Röhlinger, deutsche Schauspielerin 10. Februar: Robert Vişoiu, rumänischer Automobilrennfahrer 11. Februar: Felix Platte, deutscher Fußballspieler 11. Februar: Jonathan Tah, deutscher Fußballspieler 12. Februar: Brooke Austin, US-amerikanische Tennisspielerin 13. Februar: Sindre Fjellheim Jorde, norwegischer Biathlet 14. Februar: Wiktor Kowalenko, ukrainischer Fußballspieler 14. Februar: Roni Remme, kanadische Skirennläuferin 15. Februar: Lukas Zumbrock, deutscher Schauspieler 17. Februar: Louis Held, deutscher Schauspieler und Sänger 17. Februar: Sasha Pieterse, US-amerikanische Schauspielerin 19. Februar: Jelisaweta Belezkaja, kasachische Biathletin 20. Februar: Lennart Betzgen, deutscher Schauspieler 20. Februar: Bicho, spanischer Fußballspieler 20. Februar: Dennis Lippert, deutscher Fußballspieler 20. Februar: Mabel, britisch-schwedische R&B-Sängerin und Songwriterin 21. Februar: Søren Bjerg, dänischer League-Of-Legends-Spieler 21. Februar: Laserluca, deutscher Webvideoproduzent 21. Februar: Sophie Turner, britische Schauspielerin 23. Februar: Niccolò Antonelli, italienischer Motorradrennfahrer 23. Februar: Osisang Chilton, palauische Schwimmerin 23. Februar: Chris Herndon, US-amerikanischer American-Football-Spieler 26. Februar: Yan Xingyuan, chinesischer Biathlet 27. Februar: Ahmet Bahçıvan, türkischer Fußballspieler 27. Februar: Valentin Hasse-Clot, französischer Autorennfahrer 27. Februar: Aurélien Paret-Peintre, französischer Radrennfahrer 27. Februar: Kirill Strelzow, russischer Biathlet 28. Februar: Lucas Boyé, argentinischer Fußballspieler 28. Februar: Shi Yuqi, chinesischer Badmintonspieler 28. Februar: Karsten Warholm, norwegischer Leichtathlet März 1. März: Alexei Gassilin, russischer Fußballspieler 2. März: Alessandro Fedeli, italienischer Radrennfahrer 2. März: Lisa Zimmermann, deutsche Freestyle-Skierin 3. März: Julia Wiedemann, deutsche Schauspielerin 4. März: Timo Baumgartl, deutscher Fußballspieler 5. März: Franco Acosta, uruguayischer Fußballspieler († 2021) 6. März: Lisa Hörnblad, schwedische Skirennläuferin 6. März: Petar Mamić, kroatischer Fußballspieler 6. März: Timo Werner, deutscher Fußballspieler 6. März: Sabrina Wollweber, deutsche Schauspielerin 7. März: Johannes Kreidl, österreichischer Fußballtorwart 7. März: Bart Nieuwkoop, niederländischer Fußballspieler 10. März: Aylin Bok, deutsche Handballspielerin 11. März: Elio Capradossi, ugandisch-italienischer Fußballspieler 12. März: Tom Booth-Amos, britischer Motorradrennfahrer 12. März: Philo Paz Patrick Armand, indonesischer Automobilrennfahrer 12. März: Serhou Guirassy, guineisch-französischer Fußballspieler 12. März: Cene Prevc, slowenischer Skispringer 15. März: Levin Öztunali, deutscher Fußballspieler 16. März: Ajiona Alexus, US-amerikanische Schauspielerin 16. März: Ruben Reisig, deutsch-ghanaischer Fußballspieler 18. März: Madeline Carroll, US-amerikanische Schauspielerin 19. März: Christian Borgnaes, österreichischer Skirennläufer 19. März: Barbara Haas, österreichische Tennisspielerin 19. März: Marija Pudowkina, ukrainische Billardspielerin 20. März: Pascal Stenzel, deutscher Fußballspieler 21. März: Dennis Barthel, deutscher Volleyballspieler 22. März: Lea Freund, deutsche Schauspielerin 22. März: Callum Goffin, walisischer Dartspieler 22. März: Lxandra, Sängerin, die in Berlin lebt 23. März: Alexander Albon, britisch-thailändischer Automobilrennfahrer 24. März: Marlon Frey, deutscher Fußballspieler 25. März: Gabrielė Leščinskaitė, litauische Biathletin 25. März: Richárd Rapport, ungarischer Schachgroßmeister 28. März: Benjamin Pavard, französischer Fußballspieler 31. März: Lennart König, deutscher Schauspieler April 1. April: Dennis Lippert, deutscher Motorradrennfahrer († 2019) 2. April: Stefan Babinsky, österreichischer Skirennläufer 2. April: Jonas Müller, deutscher Handballspieler 2. April: Martin Rump, estnischer Autorennfahrer 3. April: Sarah Jeffery, kanadische Schauspielerin 3. April: Fabián, spanischer Fußballspieler 4. April: Jeanne Goursaud, deutsch-französische Schauspielerin 4. April: Gustav Schmidt, deutscher Schauspieler 4. April: Jannik Steimle, deutscher Radrennfahrer 6. April: Tomáš Portyk, tschechischer Nordischer Kombinierer 8. April: Ann-Marie Hepler, marshallische Schwimmerin 9. April: Ida Šimunčić, kroatische Leichtathletin 10. April: Andreas Christensen, dänischer Fußballspieler 10. April: Loïc Nottet, belgischer Sänger 12. April: Matteo Berrettini, italienischer Tennisspieler 12. April: Alina Grijseels, deutsche Handballspielerin 12. April: Ylber Ramadani, albanisch-kosovarischer Fußballspieler 12. April: Anton Salétros, schwedischer Fußballspieler 13. April: Marko Grujić, serbischer Fußballspieler 14. April: Abigail Breslin, US-amerikanische Schauspielerin 14. April: Dennis Olsen, norwegischer Automobilrennfahrer 15. April: Boubacar Barry, deutsch-guineischer Fußballspieler 16. April: Alberto Cerri, italienischer Fußballspieler 16. April: Anya Taylor-Joy, argentinisch-britisch-amerikanische Schauspielerin 18. April: Ski Mask the Slump God, US-amerikanischer Rapper 20. April: Anže Lanišek, slowenischer Skispringer 20. April: Elias, deutscher Rapper 20. April: Emelie Kundrun, deutsche Schauspielerin 20. April: Lucca Mesinas, peruanischer Surfer 21. April: Janine Berger, deutsche Kunstturnerin 21. April: Luisa Neubauer, deutsche Klimaschutzaktivistin 22. April: Adrian Pertl, österreichischer Skirennläufer 23. April: Matthieu Bailet, französischer Skirennläufer 23. April: Álex Márquez, spanischer Motorradrennfahrer 23. April: Charlie Rowe, britischer Schauspieler 23. April: Alexander Anatoljewitsch Wlassow, russischer Radrennfahrer 24. April: Ashleigh Barty, australische Tennisspielerin 25. April: Allisyn Ashley Arm, US-amerikanische Schauspielerin 25. April: Liam Henderson, schottischer Fußballspieler 25. April: Miguel Herrán, spanischer Schauspieler 25. April: Daniel Felipe Martínez, kolumbianischer Radrennfahrer 26. April: Jordan Siebatcheu, US-amerikanischer Fußballspieler 26. April: Alexander Ursenbacher, Schweizer Snookerspieler 29. April: Katherine Langford, australische Schauspielerin 29. April: Michael Augustin, österreichischer Fußballspieler 30. April: Florian Alt, deutscher Motorradrennfahrer Mai 2. Mai: Julian Brandt, deutscher Fußballspieler 3. Mai: Alex Iwobi, nigerianischer Fußballspieler 3. Mai: Noah Munck, US-amerikanischer Schauspieler 3. Mai: Philipp Öttl, deutscher Motorradrennfahrer 3. Mai: Domantas Sabonis, litauischer Basketballspieler 3. Mai: Annina Walt, Schweizer Schauspielerin 4. Mai: Maximilian Steiner, österreichischer Skispringer 5. Mai: Jai Hindley, australischer Radrennfahrer 7. Mai: Robin Fluß, deutscher Fußballspieler 7. Mai: Khari Willis, US-amerikanischer Footballspieler 8. Mai: Tim Suton, deutsch-kroatischer Handballspieler 9. Mai: Noah Centineo, US-amerikanischer Schauspieler 9. Mai: Lorenzo Fortunato, italienischer Radrennfahrer 9. Mai: Diana Mironowa, russische Billardspielerin 12. Mai: Raoul Hyman, südafrikanischer Automobilrennfahrer 12. Mai: Sebastian Ofner, österreichischer Tennisspieler 13. Mai: Max Häfner, deutscher Handballspieler 14. Mai: Martin Garrix, niederländischer DJ 14. Mai: McKaley Miller, US-amerikanische Schauspielerin 15. Mai: Shannon-Ogbani Abeda, eritreisch-kanadischer Skirennläufer 15. Mai: Birdy, britische Popsängerin 15. Mai: Patrick Kujala, finnischer Automobilrennfahrer 16. Mai: Louisa Chirico, US-amerikanische Tennisspielerin 18. Mai: Dsmitryj Assanau, weißrussischer Boxer 18. Mai: Lukas Kleckers, deutscher Snookerspieler 19. Mai: Pelle Clement, niederländischer Fußballspieler 19. Mai: Luca Waldschmidt, deutscher Fußballspieler 20, Mai: Antonio Fuoco, italienischer Automobilrennfahrer 23. Mai: Katharina Althaus, deutsche Skispringerin 23. Mai: Ryan Fulton, schottischer Fußballtorwart 23. Mai: Elias Kolega, kroatischer Skirennläufer 25. Mai: Dorian Godon, französischer Radrennfahrer 25. Mai: Dominic Schmuck, deutscher Biathlet 26. Mai: Lukas Klünter, deutscher Fußballspieler 27. Mai: Minjee Lee, australische Profigolferin 27. Mai: Elena Stoffel, Schweizer Skirennläuferin 28. Mai: José Gutiérrez, mexikanischer Autorennfahrer 29. Mai: Halvor Egner Granerud, norwegischer Skispringer 30. Mai: Cristian Garín, chilenischer Tennisspieler 30. Mai: Erik Jones, US-amerikanischer Automobilrennfahrer Juni 1. Juni: Burhan Arman, türkischer Fußballspieler 1. Juni: Matteo Cairoli, italienischer Automobilrennfahrer 1. Juni: Edvinas Gertmonas, litauischer Fußballtorwart 1. Juni: Tom Holland, britischer Tänzer und Schauspieler 3. Juni: Han Tianyu, chinesischer Shorttracker 3. Juni: Lukas Klostermann, deutscher Fußballspieler 4. Juni: Jesper Verlaat, niederländischer Fußballspieler 5. Juni: Ko Eun-jung, südkoreanische Biathletin 7. Juni: Jasper Harris, britischer Schauspieler 7. Juni: Christian McCaffrey, US-amerikanischer American-Football-Spieler 8. Juni: Iwan Andrejewitsch Kusnezow, russischer Skirennläufer 9. Juni: Gervane Kastaneer, niederländischer Fußballspieler 9. Juni: Stephen Williams, walisischer Radrennfahrer 10. Juni: Eric Granado, brasilianischer Motorradrennfahrer 12. Juni: Anna Margaret Collins, US-amerikanische Sängerin, Songschreiberin und Schauspielerin 13. Juni: Kingsley Coman, französischer Fußballspieler 14. Juni: Katharina Hennig, deutsche Skilangläuferin 15. Juni: Alessandro Casillo, italienischer Popsänger 15. Juni: Aurora Aksnes, norwegische Sängerin 17. Juni: Sophie Imelmann, deutsche Schauspielerin 18. Juni: Alen Halilović, kroatischer Fußballspieler 19. Juni: Lorenzo Pellegrini, italienischer Fußballspieler 20. Juni: Sigtryggur Daði Rúnarsson, isländischer Handballspieler 22. Juni: Rodri, spanischer Fußballspieler 24. Juni: Edoardo Affini, italienischer Radrennfahrer 25. Juni: Pietro Fittipaldi, brasilianischer Automobilrennfahrer 26. Juni: Laura Lindemann, deutsche Triathletin 28. Juni: Marie-Therese Sporer, österreichische Skirennläuferin 30. Juni: Matilda Merkel, deutsche Schauspielerin Juli 1. Juli: Eliana Bandeira, portugiesisch-brasilianische Leichtathletin 4. Juli: James Allen, australischer Autorennfahrer 5. Juli: Ajdin Hrustić, australisch-bosnischer Fußballspieler 6. Juli: Mark Padun, ukrainischer Radrennfahrer 7. Juli: Zekeria Ebrahimi, afghanischer Schauspieler 7. Juli: Serghei Krîjanovski, moldauischer Billardspieler 9. Juli: Katarina Beton, slowenische Badmintonspielerin 9. Juli: Alec Ingold, US-amerikanischer Footballspieler 9. Juli: Scott McMann, schottischer Fußballspieler 9. Juli: Rafael Miguel, brasilianischer Schauspieler († 2019) 10. Juli: Mun Ka-Young, südkoreanische Schauspielerin 10. Juli: Ozan Papaker, türkischer Fußballspieler 11. Juli: Andrija Živković, serbischer Fußballspieler 12. Juli: Moussa Dembélé, französischer Fußballspieler 12. Juli: Valentin Madouas, französischer Radrennfahrer 13. Juli: Andreas Obst, deutscher Basketballspieler 14. Juli: Edin Bahtic, österreichischer Fußballspieler 15. Juli: Carole Bissig, Schweizer Skirennläuferin 15. Juli: Lisa Klein, deutsche Radrennfahrerin 16. Juli: Nathaël Julan, französischer Fußballspieler († 2020) 16. Juli: Kevin Abstract, US-amerikanischer Rapper, Sänger und Musikproduzent 19. Juli: Deniz Undav, deutsch-türkischer Fußballspieler 20. Juli: Robby Foley, US-amerikanischer Autorennfahrer 23. Juli: Danielle Bradbery, US-amerikanische Countrysängerin 24. Juli: Davide Plebani, italienischer Radrennfahrer 25. Juli: Filippo Ganna, italienischer Radrennfahrer 25. Juli: Jacob Tuioti-Mariner, US-amerikanischer Footballspieler 26. Juli: Jenny Rautionaho, finnische Skispringerin 26. Juli: Carla Sénéchal, französische Bobfahrerin 27. Juli: Lisa Arnholdt, deutsche Volleyballspielerin 27. Juli: Ashlyn Sanchez, US-amerikanische Schauspielerin 29. Juli: Juri Michailowitsch Jelissejew, russischer Schachgroßmeister († 2016) August 2. August: Pomme, französische Sängerin und Musikerin 2. August: Elisabeth Reisinger, österreichische Skirennläuferin 3. August: Luca Tribondeau, österreichischer Freestyle-Skier 5. August: Daichi Kamada, japanischer Fußballspieler 10. August: Laura Aarts, niederländische Wasserballspielerin 11. August: Thomas Gradinger, österreichischer Motorradrennfahrer 12. August: Arthur, brasilianischer Fußballspieler 12. August: Amelie Herres, deutsche Schauspielerin 12. August: Torri Webster, US-amerikanische Schauspielerin 13. August: Susan Külm, estnische Biathletin 13. August: Ryan Meikle, englischer Dartspieler 14. August: Joelinton, brasilianischer Fußballspieler 14. August: Matteo Moschetti, italienischer Radrennfahrer 14. August: Neal Maupay, französischer Fußballspieler 15. August: Lumor, ghanaischer Fußballspieler 15. August: Alihan Öztürk, türkischer Fußballspieler 15. August: Samuel Röthlisberger, Schweizer Handballspieler 15. August: Stefan Salger, deutscher Handballspieler 15. August: Milan Tučić, slowenischer Fußballspieler 16. August: Maximilian Lahnsteiner, österreichischer Skirennläufer 20. August: Max Hopp, deutscher Dartspieler 20. August: Luca Pfeiffer, deutscher Fußballspieler 21. August: Taras Lessjuk, ukrainischer Biathlet 22. August: Doğan Erdoğan, türkischer Fußballspieler 22. August: Jenny Gaugigl, deutsche Fußballspielerin 22. August: Sascha Horvath, österreichischer Fußballspieler 23. August: Vincent Gross, Schweizer Schlagersänger 23. August: Berry van Peer, niederländischer Dartspieler 24. August: Luca Amato, deutscher Motorradrennfahrer 25. August: Donis Avdijaj, deutscher Fußballspieler 28. August: David Siegel, deutscher Skispringer 29. August: Joseph Efford, US-amerikanischer Fußballspieler 29. August: Chris Mueller, US-amerikanischer Fußballspieler 29. August: Pvlace, deutscher Musikproduzent 31. August: Fabio Jakobsen, niederländischer Radrennfahrer 31. August: Chiara Mair, österreichische Skirennläuferin September 1. September: Zendaya Coleman, US-amerikanische Schauspielerin 1. September: Edward Dunbar, irischer Radrennfahrer 3. September: Erik Arvidsson, US-amerikanischer Skirennläufer 3. September: Linus Mathes, deutscher Handballtorwart 3. September: Park Soo-young, südkoreanische Sängerin und Schauspielerin 3. September: Aljaksej Mschatschyk, weißrussischer Gewichtheber († 2021) 3. September: Neilson Powless, US-amerikanischer Radrennfahrer 5. September: Raquel Galdes, maltesische Sängerin 5. September: Ivo Oliveira, portugiesischer Radrennfahrer 5. September: Rui Oliveira, portugiesischer Radrennfahrer 5. September: Richairo Živković, niederländischer Fußballspieler 6. September: Lil Xan, US-amerikanischer Rapper und Songwriter mit mexikanischem Hintergrund 7. September: Tomoya Gotō, japanischer Dartspieler 7. September: Natalja Uschkina, russisch-rumänische Biathletin 8. September: Qadree Ollison, US-amerikanischer Footballspieler 9. September: Bersant Celina, norwegischer Fußballspieler 9. September: Lennard Kämna, deutscher Radrennfahrer 9. September: Jaïro Riedewald, niederländischer Fußballspieler 11. September: Travis Cooper, US-amerikanischer Biathlet 12. September: Colin Ford, US-amerikanischer Schauspieler und Synchronsprecher 13. September: Cheick Diallo, malischer Basketballspieler 13. September: Lili Reinhart, US-amerikanische Schauspielerin 14. September: Bilal Nichols, US-amerikanischer American-Football-Spieler 16. September: Álvaro Hodeg, kolumbianischer Radrennfahrer 17. September: Justin Holborow, australischer Schauspieler 17. September: Esteban Ocon, französischer Automobilrennfahrer 17. September: Anton Plesnoi, georgischer Gewichtheber ukrainischer Abstammung 17. September: Slayyyter, US-amerikanische Singer-Songwriterin 19. September: Jaxon Evans, neuseeländischer Autorennfahrer 20. September: Lisa Lösch, deutsche Fußballspielerin 20. September: Marlos Moreno, kolumbianischer Fußballspieler 21. September: Thilo Kehrer, deutscher Fußballspieler 22. September: Anthoine Hubert, französischer Automobilrennfahrer († 2019) 22. September: Michail Ussow, russisch-moldawischer Biathlet 23. September: Kevin Bickner, US-amerikanischer Skispringer 23. September: Sierra Kidd, deutscher Rapper 25. September: Lina Arndt, deutsche Popsängerin 25. September: Max Christiansen, deutscher Fußballspieler 30. September: Nico Elvedi, Schweizer Fußballspieler 30. September: Alexander Nübel, deutscher Fußballtorhüter 30. September: Isaiah Oliver, US-amerikanischer Footballspieler Oktober 2. Oktober: Guilherme Samaia, brasilianischer Automobilrennfahrer 2. Oktober: Larry ten Voorde, niederländischer Autorennfahrer 3. Oktober: Lena Arnaud, französische Biathletin 3. Oktober: Patrik Kovács, ungarischer Dartspieler 3. Oktober: Kelechi Iheanacho, nigerianischer Fußballspieler 4. Oktober: Ryan Lee, US-amerikanischer Schauspieler 5. Oktober: David Bates, schottischer Fußballspieler 5. Oktober: Imaan Hammam, niederländisches Model 6. Oktober: Lachlan Frear, neuseeländischer Eishockeyspieler 7. Oktober: Lewis Capaldi, schottischer Sänger und Songtexter 7. Oktober: Hamidou Traoré, malischer Fußballspieler 8. Oktober: Sara Takanashi, japanische Skispringerin 9. Oktober: Bella Hadid, US-amerikanisches Model 9. Oktober: Sondre Ringen, norwegischer Skispringer 10. Oktober: David Gaudu, französischer Radrennfahrer 10. Oktober: Jack Main, englischer Dartspieler 10. Oktober: Oscar Zia, schwedischer Sänger 11. Oktober: Fynn Henkel, deutscher Schauspieler († 2015) 12. Oktober: Riechedly Bazoer, niederländischer Fußballspieler 12. Oktober: Verena Gasslitter, italienische Skirennläuferin 13. Oktober: Atakan Karazor, deutscher Fußballspieler 13. Oktober: Joshua Wong, chinesischer Dissident aus Hongkong 15. Oktober: Jerome Müller, deutscher Handballspieler 16. Oktober: Toprak Razgatlıoğlu, türkischer Motorradrennfahrer 17. Oktober: Patrick Jakob, österreichischer Biathlet 17. Oktober: Benjamin Szőllős, ungarisch-israelischer Skirennläufer 18. Oktober: Olivia Burkhart, deutsche Schauspielerin 18. Oktober: Bradford Jamieson IV, US-amerikanischer Fußballspieler 18. Oktober: Christoph Seifriedsberger, österreichischer Ruderer († 2023) 21. Oktober: Lovelyn Enebechi, deutsches Model 21. Oktober: Paola Piazzolla, italienische Ruderin 23. Oktober: Ronaldo, brasilianischer Fußballspieler 23. Oktober: Sam Berns, Progerieleidender († 2014) 25. Oktober: Lara Casanova, Schweizer Snowboarderin 28. Oktober: Jasmine Jessica Anthony, US-amerikanische Schauspielerin 29. Oktober: Richard Neudecker, deutscher Fußballspieler 30. Oktober: Ryquell Armstead, US-amerikanischer Footballspieler 30. Oktober: Mohammed Baghdadi, deutsch-libanesischer Fußballspieler 30. Oktober: Selina Hocke, deutsche Schwimmerin November 1. November: Sean Gelael, indonesischer Automobilrennfahrer 1. November: Lil Peep, US-amerikanischer Rapper († 2017) 1. November: Daniela Melchior, portugiesische Schauspielerin 3. November: Aria Wallace, US-amerikanische Schauspielerin 5. November: Sebastian Dahlström, finnischer Fußballspieler 6. November: Lorenzo Baldassarri, italienischer Motorradrennfahrer 7. November: Lorde, neuseeländische Sängerin 8. November: William Borland, schottischer Dartspieler 9. November: Giovanni Lonardi, italienischer Radrennfahrer 10. November: Sina Hinteregger, österreichische Triathletin 11. November: Gianluca Gaudino, deutscher Fußballspieler 12. November: Vincenzo Albanese, italienischer Radrennfahrer 12. November: Nyheim Hines, US-amerikanischer Footballspieler 13. November: Luisa Hornung, deutsche Skeletonpilotin 15. November: Vanessa Nakate, ugandische Klimaschutzaktivistin 15. November: Taulant Seferi, albanisch-nordmazedonischer Fußballspieler 15. November: Demi Vollering, niederländische Radsportlerin 19. November: Diego Elías, peruanischer Squashspieler 19. November: Tanguy Nef, Schweizer Skirennfahrer 19. November: Yannik Oettl, deutscher Fußballspieler 20. November: Denis Zakaria, Schweizer Fußballspieler 21. November: Maximilian Rolka, polnisch-deutscher Handballspieler 21. November: Billy Major, britischer Skirennläufer 22. November: Madison Davenport, US-amerikanische Schauspielerin 22. November: Jamule, deutscher Rapper 22. November: Leon Seidel, deutscher Schauspieler und Hörspielsprecher 23. November: Helene Luise Doppler, deutsche Schauspielerin 23. November: Anna Fernstädt, deutsch-tschechische Skeletonpilotin 26. November: Louane Emera, französische Sängerin und Schauspielerin 29. November: Nicolas Abdat, deutscher Fußballspieler 29. November: Lawrence Ati Zigi, ghanaischer Fußballtorwart 30. November: Patrick Pflücke, deutscher Fußballspieler Dezember 1. Dezember: Nico Dannowski, deutscher Badmintonspieler 1. Dezember: Patrick Feurstein, österreichischer Skirennläufer 3. Dezember: Tigist Assefa, äthiopische Mittelstreckenläuferin 3. Dezember: Dajana Dengscherz, österreichische Skirennläuferin 4. Dezember: Urška Žigart, slowenische Radrennfahrerin 5. Dezember: Sterling Hofrichter, US-amerikanischer Footballspieler 5. Dezember: Phan Khắc Khoan, vietnamesischer Hürdenläufer 6. Dezember: Stefanie Scott, US-amerikanische Schauspielerin 9. Dezember: Pol Moya, andorranischer Leichtathlet 10. Dezember: Jonas Vingegaard, dänischer Radrennfahrer 11. Dezember: Hailee Steinfeld, US-amerikanische Schauspielerin 12. Dezember: Miguel Bernardeau, spanischer Schauspieler 12. Dezember: Martine Veldhuis, niederländische Ruderin 12. Dezember: Mathéo Tuscher, Schweizer Automobilrennfahrer 13. Dezember: Asja Zenere, italienische Skirennläuferin 16. Dezember: Anton Smolski, belarussischer Biathlet 17. Dezember: Anton Dudtschenko, ukrainischer Biathlet 17. Dezember: Paul Falk, deutscher Musiker, Schauspieler, Musicaldarsteller und Synchronsprecher 17. Dezember: Kungs, französischer DJ 18. Dezember: Connor Wilson, südafrikanischer Skirennläufer 19. Dezember: Felix Auböck, österreichischer Schwimmer 19. Dezember: Diede de Groot, niederländische Rollstuhltennisspielerin 20. Dezember: Ben Barnicoat, britischer Automobilrennfahrer 21. Dezember: Kaitlyn Dever, US-amerikanische Schauspielerin 21. Dezember: Cosima Henman, deutsche Schauspielerin 23. Dezember: Melvin Twellaar, niederländischer Ruderer 25. Dezember: David Atanga, ghanaischer Fußballspieler 25. Dezember: Mathlynn Sasser, marshallische Gewichtheberin 26. Dezember: Mexify, deutscher Webvideoproduzent und Bestsellerautor 26. Dezember: Frederik Schandorff, dänischer Autorennfahrer 27. Dezember: Timon Haugan, norwegischer Skirennläufer 29. Dezember: Dylan Minnette, US-amerikanischer Schauspieler und Musiker 30. Dezember: Moussa Koné, senegalesischer Fußballspieler 31. Dezember: Felix Leitner, österreichischer Biathlet Datum unbekannt Leon Blaschke, deutscher Schauspieler Alida Bohnen, deutsche Schauspielerin Eric Cordes, deutscher Schauspieler Tillmann Eckardt, deutscher Schauspieler Sofie Eifertinger, deutsche Schauspielerin Runa Greiner, deutsche Schauspielerin Alicia Joe, deutsche Webvideoproduzentin Hauke Petersen, deutscher Schauspieler Linda Belinda Podszus, deutsche Schauspielerin und Sprecherin Matti Schmidt-Schaller, deutscher Schauspieler Anna-Lena Schwing, deutsche Schauspielerin Pauline Werner, deutsche Schauspielerin Luisa Wöllisch, deutsche Schauspielerin Gestorben Dies ist eine Liste der bedeutendsten Persönlichkeiten, die 1996 verstorben sind. Für eine ausführlichere Liste siehe Nekrolog 1996. Januar 2. Januar: Theodor Joedicke, deutscher Generalstabsarzt (* 1899) 3. Januar: Reinhard Goerdeler, deutscher Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer (* 1922) 4. Januar: Bob Flanagan, US-amerikanischer Schriftsteller und Künstler (* 1952) 5. Januar: Thomas Ruf, deutscher Politiker (* 1911) 6. Januar: Willy Czernik, deutscher Operetten- und Filmkomponist (* 1901) 6. Januar: Kurt Schmücker, deutscher Politiker (* 1919) 7. Januar: William H. Clothier, US-amerikanischer Kameramann (* 1903) 7. Januar: John A. Gronouski, US-amerikanischer Politiker (* 1919) 7. Januar: Max Wiener, österreichischer Motorradrennfahrer (* 1947) 8. Januar: Teobaldo Depetrini, italienischer Fußballspieler und -trainer (* 1913) 8. Januar: John William Hargreaves, australischer Schauspieler (* 1945) 8. Januar: François Mitterrand, französischer Politiker, 1981–1995 Staatspräsident von Frankreich (* 1916) 11. Januar: Walter M. Miller, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1923) 12. Januar: Bartel Leendert van der Waerden, niederländischer Mathematiker (* 1903) 14. Januar: Onno Tunç, türkischer Musiker, Komponist und Arrangeur (* 1948) 15. Januar: Jack Barkin, kanadischer Sänger (* 1914) 15. Januar: Les Baxter, US-amerikanischer Orchesterleiter und Arrangeur (* 1922) 15. Januar: Moshoeshoe II., König von Lesotho (* 1938) 18. Januar: Leonor Fini, argentinische Malerin des Surrealismus (* 1907) 18. Januar: Endel Puusepp, sowjetischer Kampfpilot estnischer Abstammung im Zweiten Weltkrieg (* 1909) 19. Januar: Upendranath Ashk, indischer Schriftsteller, Journalist und Verleger (* 1910) 19. Januar: Ulrich Hausmann, deutscher Archäologe (* 1917) 20. Januar: Gerry Mulligan, US-amerikanischer Jazzmusiker und Komponist (* 1927) 22. Januar: Bill Cantrell, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1908) 23. Januar: Clifford Griffith, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1916) 23. Januar: Horst Wende, deutscher Orchesterleiter, Arrangeur und Akkordeonist (* 1919) 25. Januar: Ruth Berghaus, deutsche Regisseurin des Musiktheaters (* 1927) 25. Januar: Antonio Buenaventura, philippinischer Komponist (* 1904) 25. Januar: Siegfried Sommer, deutscher Chronist und Journalist (* 1914) 26. Januar: Peter Aust, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1939) 26. Januar: Harold Brodkey, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1930) 26. Januar: Saul Goodman, US-amerikanischer Paukist, Komponist und Musikpädagoge (* 1907) 28. Januar: Joseph Brodsky, russisch-US-amerikanischer Dichter und Literaturnobelpreisträger (* 1940) 28. Januar: Jerry Siegel, US-amerikanischer Autor und Mit-Erfinder des Comics Superman (* 1914) Februar 1. Februar: Willi Bäuerle, deutscher Politiker, MdB (* 1926) 2. Februar: Gene Kelly, US-amerikanischer Schauspieler und Tänzer (* 1912) 3. Februar: Ibrahim Hélou, libanesischer Erzbischof (* 1925) 4. Februar: Sara C. Bisel, US-amerikanische Archäologin (* 1932) 4. Februar: Manolo Fábregas, mexikanischer Schauspieler, Regisseur und Filmproduzent spanischer Herkunft (* 1921) 5. Februar: Ludwig Ratzel, deutscher Politiker (* 1915) 7. Februar: Boris Alexandrowitsch Tschaikowski, russischer Komponist (* 1925) 7. Februar: Pat West, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1923) 8. Februar: Heinz Aull, deutscher Politiker (* 1926) 9. Februar: Alistair Cameron Crombie, australischer Wissenschaftshistoriker (* 1915) 9. Februar: Logan R. Frazee, US-amerikanischer Specialeffectskünstler (* 1913) 9. Februar: Adolf Galland, deutscher Luftwaffenoffizier und Jagdflieger (* 1912) 9. Februar: August Kühn, deutscher Schriftsteller (* 1936) 9. Februar: Robin Stille, US-amerikanische Schauspielerin (* 1961) 11. Februar: Sten Olov Åhlund, schwedischer Fußballspieler und -trainer (* 1920) 11. Februar: Pierre Verger, Fotograf (* 1902) 12. Februar: Bob Shaw, britischer SF-Autor (* 1931) 12. Februar: Shiba Ryōtarō, japanischer Schriftsteller (* 1923) 13. Februar: Arthur William Hope Adkins, britischer Klassischer Philologe (* 1929) 13. Februar: Martin Balsam, US-amerikanischer Schauspieler (* 1919) 14. Februar: Cenek Kottnauer, tschechisch-britischer Schachspieler (* 1910) 14. Februar: Bob Paisley, englischer Fußballspieler und -trainer (* 1919) 15. Februar: Liselotte Dross, deutsche Malerin und Illustratorin (* 1887) 15. Februar: McLean Stevenson, US-amerikanischer Schauspieler (* 1927) 16. Februar: Edmund G. Brown sen., US-amerikanischer Politiker (* 1905) 16. Februar: Brownie McGhee, US-amerikanischer Blues-Sänger und Gitarrist (* 1915) 17. Februar: Hervé Bazin, französischer Schriftsteller (* 1911) 17. Februar: Michel Pablo, Trotzkist aus Griechenland (* 1911) 18. Februar: Andy Marefos, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1917) 18. Februar: Josef Meinrad, österreichischer Kammerschauspieler (* 1913) 19. Februar: Antonio Creus, spanischer Automobilrennfahrer (* 1924) 19. Februar: Ernest Manning, kanadischer Politiker (* 1908) 19. Februar: Dorothy Maynor, US-amerikanische Sängerin (* 1910) 20. Februar: Solomon Asch, polnisch-US-amerikanischer Gestaltpsychologe (* 1907) 20. Februar: Toru Takemitsu, japanischer Komponist (* 1930) 21. Februar: Rudolf Braunburg, deutscher Schriftsteller (* 1924) 21. Februar: Morton Gould, US-amerikanischer Komponist, Dirigent und Pianist (* 1913) 23. Februar: William Bonin, Serienmörder (* 1947) 23. Februar: Alan Dawson, US-amerikanischer Jazz-Schlagzeuger (* 1929) 23. Februar: Willy Hüttenrauch, deutscher Politiker in der DDR (* 1909) 23. Februar: Helmut Schön, deutscher Fußballtrainer und -spieler (* 1915) 24. Februar: Akram al-Haurani, syrischer Politiker (* 1915) 24. Februar: Wolfgang Schieren, deutscher Manager und Vorstandsvorsitzender der Allianz AG (* 1927) 26. Februar: Mieczysław Weinberg, russischer Komponist polnischer Abstammung (* 1919) 27. Februar: Sarah Palfrey Cooke, US-amerikanische Tennisspielerin (* 1912) 29. Februar: Øystein Gaukstad, norwegischer Musikwissenschaftler und Bibliothekar (* 1912) März 2. März: Walter Kaaden, deutscher Ingenieur (* 1919) 3. März: Marguerite Duras, französische Schriftstellerin, Drehbuchautorin und Filmregisseurin (* 1914) 3. März: John Joseph Krol, Erzbischof von Philadelphia und Kardinal (* 1910) 4. März: Gerhard Schaffran, Bischof von Dresden-Meißen (* 1912) 5. März: Fritz Huschke von Hanstein, deutscher Motorsportler (* 1911) 9. März: George Burns, US-amerikanischer Schauspieler (* 1896) 9. März: Alfredo Vicente Scherer, Erzbischof von Porto Alegre und Kardinal (* 1903) 10. März: Joseph Braunstein, Musiker, Schriftsteller, Bergsteiger (* 1892) 11. März: Biljana Jovanović, serbische Schriftstellerin, Bürgerrechtlerin und Friedensaktivistin (* 1953) 12. März: Paul Scherman, kanadischer Geiger und Dirigent (* 1907) 13. März: Lucio Fulci, italienischer Filmregisseur und Produzent (* 1927) 13. März: Krzysztof Kieślowski, polnischer Filmregisseur und Drehbuchautor (* 1941) 15. März: Wolfgang Koeppen, deutscher Schriftsteller (* 1906) 17. März: René Clément, französischer Filmregisseur (* 1913) 17. März: Christa Wehling, deutsche Schauspielerin (* 1928) 18. März: Odysseas Elytis, griechischer Künstler (* 1911) 18. März: Maxl Graf, deutscher Schauspieler und Sänger der volkstümlichen Musik (* 1933) 19. März: Colin Pittendrigh, US-amerikanischer Biologe und Mitbegründer der Chronobiologie (* 1918) 21. März: Inés Puyó, chilenische Malerin (* 1906) 23. März: C. C. Bergius, deutscher Schriftsteller (* 1910) 26. März: Edmund Muskie, US-amerikanischer Politiker (* 1914) 26. März: David Packard, Mitbegründer des US-amerikanischen Technologiekonzern Hewlett-Packard (* 1912) 26. März: Käte Strobel, deutsche Politikerin (* 1907) 27. März: Alfred Hirschmeier, deutscher Filmarchitekt (* 1931) 28. März: Hans Blumenberg, deutscher Philosoph (* 1920) 28. März: Barbara McLean, US-amerikanische Filmeditorin, Oscar-Preisträgerin (* 1903) April 2. April: Karl Gößwald, deutscher Zoologe (* 1907) 2. April: Pierre Lelong, französischer Autorennfahrer (* 1919) 3. April: Ron Brown, US-amerikanischer Politiker (* 1941) 4. April: Barney Ewell, US-amerikanischer Leichtathlet und Olympiasieger (* 1918) 5. April: Monika Dannemann, deutsche Freundin des Musikers Jimi Hendrix (* 1945) 6. April: Greer Garson, britische Filmschauspielerin (* 1904) 7. April: Michael Holzinger, Schriftsteller in Banater Mundart (* 1920) 8. April: León Klimovsky, argentinischer Regisseur und Drehbuchautor (* 1906) 16. April: George Gordon Abel, kanadischer Eishockeyspieler (* 1916) 16. April: Stavros Niarchos, griechischer Reeder (* 1909) 17. April: Johanne Autenrieth, deutsche Paläografin und Mittellateinische Philologin (* 1923) 17. April: Paul Bleiß, deutscher Politiker (* 1904) 17. April: Madeleine Bourdouxhe, belgische Schriftstellerin (* 1906) 17. April: José Luis López-Aranguren, Philosoph und Essayist (* 1909) 18. April: Piet Hein, dänischer Wissenschaftler, Mathematiker, Erfinder und Literat (* 1905) 21. April: Dschochar Mussajewitsch Dudajew, erster tschetschenische Präsident (* 1944) 21. April: Zora Arkus-Duntov, US-amerikanischer Ingenieur (* 1909) 21. April: Adolf Windorfer, deutscher Kinderarzt (* 1909) 23. April: P. L. Travers, australische Schriftstellerin (Mary Poppins) (* 1899) 24. April: Walter Dreizner, deutscher Fotograf (* 1908) 26. April: Wolfgang Franz, deutscher Mathematiker (* 1905) 27. April: Rudolf Schulten: Nukleartechnologe, Entwickler des Kugelhaufenreaktors (* 1923) 28. April: Lester Sumrall: US-amerikanischer Heilungsevangelist, Pfingstprediger und Gründer von LeSEA (* 1913) 29. April: Peter Griese, deutscher Science-Fiction-Autor (* 1938) 29. April: François Picard, französischer Automobilrennfahrer (* 1921) April: Bernard Morel, Schweizer evangelischer Geistlicher und Hochschullehrer (* 1921) Mai 1. Mai: Herbert Brownell junior, US-amerikanischer Politiker und Justizminister (* 1904) 1. Mai: David M. Kennedy, US-amerikanischer Politiker (* 1905) 1. Mai: Irene Koss, deutsche Schauspielerin und Fernsehansagerin (* 1928) 2. Mai: Christopher Bird, US-amerikanischer Botaniker und Schriftsteller (* 1928) 3. Mai: Dimitris Fampas, griechischer Gitarrist und Komponist (* 1921) 3. Mai: Maxim Hermaniuk, ukrainischer Erzbischof (* 1911) 3. Mai: Hermann Kesten, deutscher Schriftsteller (* 1900) 3. Mai: Gilberto Monroig, puerto-ricanischer Sänger (* 1930) 3. Mai: Patsy Montana, US-amerikanische Countrysängerin (* 1908) 5. Mai: Ai Qing, chinesischer Dichter und Maler (* 1910) 5. Mai: Salli Terri, US-amerikanische Sängerin und Gesangspädagogin (* 1922) 6. Mai: Heini Kaufeld, deutscher Schauspieler (* 1920) 6. Mai: Léon-Joseph Suenens, belgischer Theologe, Erzbischof von Mechelen und Kardinal (* 1904) 8. Mai: Ludwig Hoelscher, deutscher Cellist (* 1907) 10. Mai: Gerd Duwner, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1925) 10. Mai: Ethel Smith, US-amerikanische Organistin (* 1902) 11. Mai: Ademir de Menezes, brasilianischer Fußballspieler (* 1922) 11. Mai: Nnamdi Azikiwe, nigerianischer Politiker (Staatspräsident) (* 1904) 11. Mai: Scott Fischer, US-amerikanischer Bergführer (* 1955) 11. Mai: Rob Hall, neuseeländischer Bergführer (* 1961) 11. Mai: Jerry Murad, US-amerikanischer Mundharmonikaspieler (* 1918) 12. Mai: Homer Keller, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge (* 1915) 13. Mai: Hans Sauer, deutscher Erfinder (* 1923) 14. Mai: Ludwig Preiß, deutscher Politiker (* 1910) 14. Mai: Adolf Rambold, deutscher Ingenieur (* 1900) 17. Mai: Rudolf Angerer, österreichischer Illustrator und Karikaturist (* 1923) 17. Mai: Nikolaus Utermöhlen, deutscher Musiker und Künstler (* 1958) 17. Mai: Johnny „Guitar“ Watson, US-amerikanischer Blues-, Soul- und Funk-Musiker (* 1935) 19. Mai: Spiros Argiris, griechischer Dirigent (* 1948) 20. Mai: Rajmund Ambroziak, polnischer Pianist und Dirigent (* 1932) 20. Mai: Willi Daume, deutscher Sportfunktionär (* 1913) 21. Mai: Abu Ubaida al-Banschiri, ägyptischer Terrorist (* 1950) 21. Mai: Fritz Ligges, deutscher Vielseitigkeits- und Springreiter (* 1938) 23. Mai: Bernhard Klodt, deutscher Fußballspieler (* 1926) 23. Mai: Peter Pasetti, deutscher Schauspieler (* 1916) 24. Mai: John Abbott, britischer Schauspieler (* 1905) 24. Mai: Jacob Druckman, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge (* 1928) 25. Mai: Keith Ballisat, britischer Automobilrennfahrer (* 1928) 25. Mai: Bradley Nowell, US-amerikanischer Sänger und Gitarrist (* 1968) 27. Mai: Wilhelm Mayrhofer, österreichischer Politiker (* 1923) 28. Mai: Jimmy Rowles, US-amerikanischer Jazzpianist (* 1918) 29. Mai: Antonín Mrkos, tschechischer Astronom (* 1918) 29. Mai: Isidro Maiztegui, argentinischer Komponist (* 1905) 30. Mai: Léon-Etienne Duval, Erzbischof von Algier und Kardinal (* 1903) 30. Mai: John Kahn, US-amerikanischer Bassist (* 1947) 31. Mai: Timothy Leary, US-amerikanischer Psychologe und Autor (* 1920) 31. Mai: Ton de Leeuw, niederländischer Komponist und Musikpädagoge (* 1926) Mai: Giorgio Agliani, italienischer Filmproduzent (* 1910) Juni 1. Juni: Otto Meier, deutscher Künstler (Keramik) (* 1903) 2. Juni: John Alton, US-amerikanischer Kameramann, Oscar-Preisträger (* 1901) 2. Juni: Amos Tversky, israelischer Psychologe (* 1937) 3. Juni: Connie Brown, kanadischer Eishockeyspieler (* 1917) 3. Juni: Tito Okello, Staatsoberhaupt von Uganda 1985–1986 (* 1914) 5. Juni: Jan Kerouac, US-amerikanische Autorin (* 1952) 6. Juni: Harry Andersson, schwedischer Fußballspieler (* 1913) 6. Juni: George Davis Snell, US-amerikanischer Mediziner, Nobelpreisträger für Medizin (* 1903) 7. Juni: Ulrich Koch, deutscher Bratschist (* 1921) 7. Juni: Friedrich von Stülpnagel, deutscher Leichtathlet (* 1913) 8. Juni: Gustav Heckmann, deutscher Philosoph (* 1898) 10. Juni: Hugh Mitchell, US-amerikanischer Politiker (* 1907) 10. Juni: Marie-Louise von Motesiczky, österreichische Malerin des Expressionismus (* 1906) 11. Juni: Brigitte Helm, deutsche Filmschauspielerin (* 1908) 13. Juni: Glen Stewart Morley, kanadischer Dirigent, Komponist und Cellist (* 1912) 15. Juni: Ella Fitzgerald, US-amerikanische Jazz-Sängerin (* 1917) 15. Juni: Paul Schultz-Liebisch, deutscher Maler und Grafiker (* 1905) 17. Juni: Thomas S. Kuhn, US-amerikanischer Physiker, Wissenschaftstheoretiker und -historiker (* 1922) 17. Juni: Reinhard Lettau, deutsch-amerikanischer Schriftsteller (* 1929) 18. Juni: Branko Bošnjak, Professor für Philosophie in Zagreb (* 1923) 20. Juni: Karl Ackermann, deutscher Journalist und Verleger (* 1908) 20. Juni: Herbert Gerigk, deutscher Musikwissenschaftler und Nationalsozialist (* 1905) 21. Juni: Gerhard Wendland, deutscher Schlagersänger (* 1916) 22. Juni: Terrel Bell, US-amerikanischer Politiker (* 1921) 26. Juni: Veronica Guerin, irische Journalistin (* 1958) 26. Juni: Max Klankermeier, deutscher Motorrad- und Automobilrennfahrer (* 1909) 26. Juni: Vicentico Valdés, kubanischer Sänger (* 1919) 27. Juni: Khachatur Avetisyan, armenischer Komponist (* 1926) 28. Juni: Friedrich Adler, deutscher Ingenieur (* 1916) 28. Juni: Julio Bolbochán, argentinischer Schachspieler (* 1920) Juli 1. Juli: William T. Cahill, US-amerikanischer Politiker (* 1912) 1. Juli: Margaux Hemingway, US-amerikanische Schauspielerin und Model (* 1954) 1. Juli: Ota Janeček, tschechischer Illustrator, Maler, Graphiker (* 1919) 3. Juli: Barry Crump, neuseeländischer Schriftsteller (* 1935) 3. Juli: Luis Alfonzo Larrain, venezolanischer Komponist und Musiker (* 1911) 4. Juli: Arlie Duff, US-amerikanischer Country-Musiker (* 1924) 5. Juli: Predrag Ostojić, jugoslawischer Schachspieler (* 1938) 5. Juli: Clyde E. Wiegand, US-amerikanischer Physiker (* 1915) 7. Juli: J. Hermann Siemer, deutscher Politiker (* 1902) 8. Juli: Albrecht von Bayern, Chef des Hauses Wittelsbach (* 1933) 8. Juli: Mario Camorani, italienischer Schachproblemkomponist (* 1912) 8. Juli: Adelheid Duvanel, Schweizer Schriftstellerin (* 1936) 8. Juli: Richard Groschopp, Regisseur und Kameramann (* 1906) 12. Juli: Gottfried von Einem, österreichischer Komponist (* 1918) 13. Juli: Käte van Tricht, deutsche Organistin, Pianistin, Cembalistin und Musikpädagogin (* 1909) 14. Juli: Volker Georg Ludwig Aschoff, deutscher Professor (* 1907) 14. Juli: Jeff Krosnoff, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1964) 14. Juli: Jean Rudolf von Salis, Schweizer Historiker, Schriftsteller und Publizist (* 1901) 15. Juli: Erwin Fischer, deutscher Jurist (* 1904) 15. Juli: Rabe Perplexum, deutsche Malerin und Performance-Künstlerin (* 1956) 16. Juli: Adolf von Thadden, deutscher Politiker (* 1921) 17. Juli: Chas Chandler, britischer Musiker, Musikproduzent und Manager (* 1938) 18. Juli: Donny the Punk, US-amerikanischer Aktivist für Gefangenenrechte (* 1946) 18. Juli: Hans Katzer, deutscher Politiker (* 1919) 19. Juli: Alfred Kunze, Dozent für Fußball an der deutschen Hochschule für Körperkultur und Sport (* 1909) 20. Juli: František Plánička, tschechischer Fußballspieler (* 1904) 21. Juli: Waluliso, Friedensaktivist und stadtbekanntes Original in Wien (* 1914) 22. Juli: Tamara Danz, Sängerin (* 1952) 22. Juli: Franco Lini, italienischer Journalist und 1967 Teamchef der Scuderia Ferrari (* 1924) 22. Juli: Peter Ludwig, deutscher Industrieller und Kunst-Mäzen (* 1925) 23. Juli: Milagros Beras Dalmasí, dominikanischer Pianist und Musikpädagoge (* 1945) 26. Juli: Heriberto Herrera, paraguayisch-spanischer Fußballspieler und -trainer (* 1926) 30. Juli: Magda Schneider, deutsche Schauspielerin (* 1909) 31. Juli: Hans Schwier, deutscher Politiker (* 1926) August 1. August: Mohammed Farah Aidid, Führer des somalischen Habr Gidr-Klans (* 1934) 1. August: Pierre Ailleret, französischer Elektroingenieur (* 1900) 1. August: Frida Boccara, französische Sängerin (* 1940) 1. August: Tadeus Reichstein, Schweizer Chemiker (* 1897) 2. August: Anthony Rayappa Arulappa, Erzbischof von Madras-Mylapore (* 1912) 2. August: Vera Auer, österreichische Akkordeonistin und Vibraphonistin (* 1919) 2. August: Michel Debré, französischer Politiker (* 1912) 4. August: Kiyoshi Atsumi, japanischer Schauspieler (* 1928) 5. August: Roman Schnur, deutscher Staatsrechtler (* 1927) 6. August: Bud Svendsen, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1915) 7. August: Danny Wolfe, US-amerikanischer Songschreiber und Rockabilly-Musiker (* 1928) 8. August: Joseph Asajirō Satowaki, Erzbischof von Nagasaki und Kardinal (* 1904) 8. August: Nevill F. Mott, englischer Physiker (* 1905) 9. August: Frank Whittle, englischer Pilot, Erfinder und Geschäftsmann (* 1907) 9. August: John W. King, US-amerikanischer Politiker (* 1916) 10. August: Walter MacNutt, kanadischer Organist, Komponist, Chorleiter und Musikpädagoge (* 1910) 11. August: Rafael Kubelík, Schweizer Dirigent und Komponist tschechischer Herkunft (* 1914) 12. August: Wiktor Hambardsumjan, sowjetischer und armenischer Astrophysiker (* 1908) 13. August: Willi Heeks, deutscher Automobilrennfahrer (* 1922) 13. August: António de Spínola, portugiesischer General und Politiker (* 1910) 13. August: David Tudor, US-amerikanischer Pianist und einer der Pioniere für elektronische und experimentelle Musik (* 1926) 14. August: Sergiu Celibidache, rumänischer Dirigent (* 1912) 14. August: Camilla Horn, deutsche Schauspielerin (* 1903) 15. August: Liesel Christ, Frankfurter Volksschauspielerin (* 1919) 15. August: Albert Osswald, Ministerpräsident des Landes Hessen (* 1919) 15. August: Max Thurian, Schweizer Theologe (* 1921) 16. August: Miles Goodman, US-amerikanischer Komponist (* 1949) 20. August: Rio Reiser, deutscher Rockmusiker (Ton Steine Scherben) (* 1950) 22. August: Wilhelm Angele, deutsch-US-amerikanischer Ingenieur für Raketensteuerungstechnik (* 1905) 22. August: Erwin Leiser, deutsch-schwedischer Publizist (* 1923) 23. August: Jurriaan Andriessen, niederländischer Komponist und Lehrer (* 1925) 24. August: Jean Aurel, französischer Drehbuchautor und Filmregisseur (* 1925) 24. August: James Saunders, US-amerikanischer Balletttänzer und Choreograph (* 1946) 25. August: Reinhard Libuda, deutscher Fußballspieler (* 1943) 26. August: Alejandro Agustín Lanusse Gelly, argentinischer Militär und Politiker (* 1918) 27. August: Wayne D. Overholser, US-amerikanischer Westernautor (* 1906) 30. August: Laura Adani, italienische Schauspielerin (* 1906) 30. August: Josef Müller-Brockmann, Grafikdesigner, Typograph, Autor und Lehrer (* 1914) 31. August: Milt Larkin, US-amerikanischer Jazztrompeter (* 1910) September 1. September: Vagn Holmboe, dänischer Komponist (* 1909) 2. September: Hans Peter Heinzl, österreichischer Kabarettist (* 1942) 2. September: Otto Luening, US-amerikanischer Komponist (* 1900) 5. September: Anselm Strauss, US-amerikanischer Soziologe (* 1916) 5. September: Erhard Ueckermann, deutscher Jagd- und Forstwissenschaftler (* 1924) 6. September: Ginette Martenot, französische Pianistin, Ondes-Martenot-Spielerin und Musikpädagogin (* 1902) 6. September: Ester Soré, chilenische Sängerin (* 1915) 7. September: Arthur Flemming, US-amerikanischer Politiker (* 1905) 7. September: Gilda, argentinische Popsängerin (* 1961) 9. September: Manuel Marino Miniño, dominikanischer Komponist, Dirigent und Musikpädagoge (* 1930) 9. September: Bill Monroe, US-amerikanischer Musiker (* 1911) 10. September: Hans List, österreichischer Unternehmer (* 1896) 12. September: Eleazar de Carvalho, brasilianischer Komponist und Dirigent (* 1912) 12. September: Ernesto Geisel, Präsident von Brasilien während der Militärdiktatur der 1970er Jahre (* 1908) 12. September: Richard Maling Barrer, neuseeländischer Chemiker (* 1910) 13. September: Ricardo García Perdomo, kubanischer Gitarrist und Sänger (* 1920) 13. September: Tupac Shakur, US-amerikanischer Musiker (* 1971) 14. September: Bruno Menzel, deutscher Politiker (* 1932) 14. September: Rose Ouellette, kanadischer Komikerin, Schauspielerin und Sängerin (* 1903) 16. September: Gene Nelson, US-amerikanischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent (* 1920) 17. September: Spiro Agnew, US-amerikanischer Politiker (* 1918) 17. September: Marianne Bachmeier, deutsche Mutter, die im Gerichtssaal den Mörder ihrer Tochter erschoss (* 1950) 17. September: Arnold Peters, kanadischer Politiker (CFF, NDP) (* 1922) 18. September: Annabella, französische Filmschauspielerin (* 1907) 19. September: Helmut Heißenbüttel, deutscher Schriftsteller (* 1921) 20. September: Franco Angrisano, italienischer Schauspieler (* 1926) 20. September: Cheb Aziz, algerischer Raï-Sänger (* 1968) 20. September: Paul Erdős, Mathematiker (* 1913) 20. September: Nelson Wesley Trout, US-amerikanischer lutherischer Bischof (* 1920) 21. September: Erika Cremer, deutsche Physikerin (* 1900) 21. September: Claus Holm, deutscher Schauspieler (* 1918) 22. September: Mohamed Ben Ahmed Abdelghani, algerischer Premierminister (* 1927) 22. September: Arthur Dom, niederländisch-deutscher Motorradrennfahrer und Ingenieur (* 1903) 22. September: József Sir, ungarischer Sprinter und Olympionike (* 1912) 23. September: František Rauch, tschechischer Pianist und Musikpädagoge (* 1910) 25. September: Heinz Engelmann, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1911) 26. September: Sir Geoffrey Wilkinson, britischer Chemiker (* 1921) 27. September: Mohammed Nadschibullah, afghanischer Staatspräsident (* 1947) 28. September: Mennato Boffa, italienischer Automobilrennfahrer (* 1929) 28. September: Bob Gibson, US-amerikanischer Folkmusiker (* 1931) 29. September: Endō Shūsaku, japanischer Schriftsteller (* 1923) 30. September: Gerhard Trede, deutscher Komponist (* 1913) Oktober 1. Oktober: Alfred Vogel, Schweizer Heilpraktiker und Pharma-Unternehmer (* 1902) 2. Oktober: Joonas Kokkonen, finnischer Komponist (* 1921) 2. Oktober: Helmut Artzinger, deutscher Politiker (* 1912) 3. Oktober: Arturo Gatica, chilenischer Sänger (* 1921) 4. Oktober: Humphrey Edward Gregory Atkins, britischer Politiker (* 1922) 4. Oktober: Silvio Piola, italienischer Fußballspieler (* 1913) 5. Oktober: Seymour Cray, Informatiker (* 1925) 6. Oktober: Harry Glickman, russischer Geiger (* 1910) 8. Oktober: Mignon G. Eberhart, US-amerikanische Schriftstellerin (* 1899) 9. Oktober: Joachim Wohlgemuth, deutscher Schriftsteller (* 1932) 11. Oktober: Lars Valerian Ahlfors, finnisch-US-amerikanischer Mathematiker (* 1907) 11. Oktober: Pierre Grimal, französischer Altphilologe (* 1912) 11. Oktober: William Vickrey, US-amerikanischer Ökonom (* 1914) 12. Oktober: René Lacoste, Tennisspieler aus Frankreich (* 1904) 12. Oktober: Roger Lapébie, französischer Radrennfahrer (* 1911) 13. Oktober: Pawel Alexandrowitsch Solowjow, sowjetischer Triebwerkskonstrukteur (* 1917) 13. Oktober: Henri Nannen, deutscher Verleger und Publizist (* 1913) 13. Oktober: Elisabeth Pitz-Savelsberg, deutsche Politikerin (* 1906) 14. Oktober: Jean Grimaldi, kanadischer Schauspieler, Sänger und Autor (* 1898) 15. Oktober: Karl-Heinz Ahlheim, deutscher Schachkomponist (* 1933) 16. Oktober: Eric Malpass, englischer Schriftsteller (* 1910) 17. Oktober: Berthold Goldschmidt, deutscher Komponist (* 1903) 17. Oktober: Gerhard Holtz-Baumert, deutscher Schriftsteller (* 1927) 18. Oktober: Hans Drachsler, deutscher Politiker (* 1916) 18. Oktober: Otto Heinrich Kühner, deutscher Schriftsteller (* 1921) 19. Oktober: Josef Becker, deutscher Politiker (* 1905) 21. Oktober: Léon Yehouda Ashkénasi, französischer Rabbiner (* 1922) 23. Oktober: Harold Hughes, US-amerikanischer Politiker (* 1922) 23. Oktober: Alexander Kelly, schottischer Pianist und Musikpädagoge (* 1929) 24. Oktober: Arthur Axmann, Reichsjugendführer in der Zeit des Nationalsozialismus (* 1913) 24. Oktober: Edgar Augustin, deutscher Bildhauer und Zeichner (* 1936) 24. Oktober: Gladwyn Jebb, britischer Politiker, 1. Generalsekretär der Vereinten Nationen (* 1900) 26. Oktober: Miquel Asins Arbó, spanischer Komponist, Dirigent und Lehrer (* 1916) 26. Oktober: Angélica Ortiz, mexikanische Filmproduzentin und Drehbuchautorin (* 1924) 28. Oktober: Maria Grevesmühl, deutsche Violinistin und Hochschuldozentin (* 1936) 28. Oktober: Franca Magnani, italienische Journalistin (* 1925) 28. Oktober: Hans Otto, deutscher Organist und Kantor (* 1922) 31. Oktober: Marcel Carné, französischer Filmregisseur (* 1906) 31. Oktober: Grachan Moncur II., US-amerikanischer Jazzbassist (* 1915) November 1. November: Margot Rojas Mendoza, kubanische Pianistin und Musikpädagogin (* 1903) 2. November: Eva Cassidy, US-amerikanische Sängerin (* 1963) 2. November: Tobias Gruben, deutscher Underground-Musiker (* 1963) 3. November: Jean-Bédel Bokassa, Präsident und Kaiser der Zentralafrikanischen Republik (* 1921) 3. November: Abdullah Çatlı, türkischer Krimineller (* 1956) 6. November: Mario Savio, US-amerikanischer Bürgerrechts-Aktivist (* 1942) 6. November: Toni Schmücker, deutscher Industriemanager, 1975–1981 VW-Vorstandsvorsitzender (* 1921) 7. November: Dietrich Andernacht, deutscher Historiker und Archivar (* 1921) 8. November: Georg Schreiber, deutscher Mediziner und Medizinjournalist (* 1921) 12. November: Ishigaki Ayako, japanische Autorin und Feministin (* 1903) 14. November: Joseph Louis Bernardin, Erzbischof von Chicago und Kardinal (* 1928) 14. November: Meridel Le Sueur, US-amerikanische Schriftstellerin und Frauenrechtlerin (* 1900) 15. November: Alger Hiss, US-amerikanischer Rechtsanwalt (* 1904) 16. November: Holger Hagen, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher (* 1915) 17. November: Michele Abbruzzo, italienischer Schauspieler (* 1904) 21. November: Elmo Langley, US-amerikanischer Automobilrennfahrer (* 1928) 21. November: Abdus Salam, pakistanischer Physiker und Nobelpreisträger (* 1926) 22. November: Garrett Birkhoff, US-amerikanischer Mathematiker (* 1911) 22. November: Maria Casarès, französische Schauspielerin (* 1922) 22. November: Erich Pizka, österreichischer Hornist und Professor (* 1914) 22. November: Ray Blanton, US-amerikanischer Politiker, Gouverneur von Tennessee (* 1930) 26. November: Hans Klein, deutscher Politiker (* 1931) 26. November: Paul Rand, US-amerikanischer Designer von Firmenlogos (* 1914) 26. November: Rudolph Schulze, Minister für Post- und Fernmeldewesen der DDR (* 1918) 26. November: Diedrich Wattenberg, deutscher Astronom und Publizist (* 1909) 28. November: Donald McNeill, US-amerikanischer Tennisspieler (* 1918) 30. November: Tiny Tim, US-amerikanischer Sänger (* 1932) 30. November: Dainius Trinkūnas, litauischer Pianist und Politiker (* 1931) Dezember 1. Dezember: Babrak Karmal, afghanischer Politiker (* 1929) 2. Dezember: Jean Jérôme Hamer, Kardinal der römisch-katholischen Kirche (* 1916) 6. Dezember: Pete Rozelle, US-amerikanischer Sport-Funktionär (* 1926) 6. Dezember: Victor Bruns, deutscher Fagottist und Komponist (* 1904) 9. Dezember: Wilhelm Hahn, deutscher CDU-Politiker, 1964–1978 Kultusminister v. Baden-Württemberg (* 1909) 9. Dezember: Mary Leakey, britische Archäologin (* 1913) 9. Dezember: Heinrich Schmidt-Barrien, deutscher Schriftsteller (* 1902) 10. Dezember: Faron Young, US-amerikanischer Country-Sänger (* 1932) 11. Dezember: Danuta Gleed, kanadische Schriftstellerin (* 1946) 11. Dezember: Erich Zöllner, österreichischer Historiker (* 1916) 12. Dezember: Vance Packard, US-amerikanischer Publizist (* 1914) 13. Dezember: Otto Kurth, deutscher Schauspieler und Regisseur (* 1912) 15. Dezember: Harry Kemelman, US-amerikanischer Schriftsteller (* 1908) 15. Dezember: Jean-Pierre Lévy, Résistance-Mitglied, Gründer der Gruppe Franc-Tireur (* 1911) 15. Dezember: Tristan Keuris, niederländischer Komponist und Musiker (* 1946) 16. Dezember: Laurens van der Post, südafrikanisch-britischer Schriftsteller (* 1906) 17. Dezember: Armando Luis Gallop, US-amerikanischer DJ und Musikproduzent (* 1970) 17. Dezember: Magda Rose-Weingardt, deutsche Malerin (* 1902) 19. Dezember: Marcello Mastroianni, italienischer Filmschauspieler (* 1924) 20. Dezember: Alan Graham Apley, englischer Orthopäde und Herausgeber (* 1914) 20. Dezember: Carl Sagan, US-amerikanischer Astronom (* 1934) 21. Dezember: Christine Brückner, deutsche Schriftstellerin (* 1921) 21. Dezember: Hans-Joachim Fränkel, deutscher evangelischer Bischof und Menschenrechtler (* 1909) 21. Dezember: Josef Landlinger, österreichischer Politiker (* 1919) 23. Dezember: Clarisse Nicoïdski, französische Schriftstellerin (* 1938) 25. Dezember: Bill Osmanski, US-amerikanischer American-Football-Spieler (* 1915) 25. Dezember: August Wenzinger, Schweizer Cellist, Gambist, Musikpädagoge und Dirigent (* 1905) 26. Dezember: Narciso Jubany Arnau, Erzbischof von Barcelona und Kardinal (* 1913) 28. Dezember: Hans Baumgartner, Schweizer Fotograf (* 1911) 28. Dezember: Wassili Iwanowitsch Rakow, sowjetischer Pilot (* 1909) 29. Dezember: Dorothy Livesay, kanadische Lyrikerin (* 1909) 29. Dezember: Daniel Mayer, Résistancemitglied (* 1909) 30. Dezember: Eugen Kramár, slowakischer Architekt (* 1914) 30. Dezember: Karl Josef Partsch, deutscher Jurist und Professor (* 1914) 30. Dezember: Lew Ayres, US-amerikanischer Schauspieler und Regisseur (* 1908) 30. Dezember: Jack Nance, US-amerikanischer Schauspieler (* 1943) Tag unbekannt Karl Andres, deutscher Ministerialbeamter (* 1906) Lilly Kröhnert, deutsche Malerin und Bildhauerin (* 1912) Jerzy Zgodziński, polnischer Perkussionist und Musikpädagoge (* 1927) Wissenschaftspreise Nobelpreise Physik: David M. Lee, Douglas D. Osheroff und Robert C. Richardson Chemie: Robert F. Curl, Harold Kroto und Richard E. Smalley Medizin: Peter Doherty und Rolf Zinkernagel Literatur: Wisława Szymborska Friedensnobelpreis: Carlos Filipe Ximenes Belo und José Ramos-Horta Wirtschaftswissenschaft: James Mirrlees und William Vickrey Turing Award Amir Pnueli, für Temporale Logik; Programm- und Systemverifizierung, insbesondere bei nebenläufigen und reaktiven Systemen (mit dem Paper The Temporal Logic of Programs) Sonstiges 24. Dezember: Eine geistig verwirrte Frau richtet in einer Frankfurter Kirche mit zwei Handgranaten ein Blutbad an. Weblinks Jahresrückblick von tagesschau.de Jahreschronik vom Haus der Geschichte der BRD Einzelnachweise
Q2070
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https://de.wikipedia.org/wiki/Tyrosin
Tyrosin
Tyrosin (abgekürzt Tyr oder Y) ist in seiner natürlichen L-Form eine nichtessentielle proteinogene α-Aminosäure, die in den meisten Proteinen vorkommt. Tyrosin ist Ausgangssubstanz für die Biosynthese von DOPA, Katecholaminen (z. B. Dopamin), Melanin, Thyroxin und Tyramin. Die Biosynthese erfolgt in vielen Tieren aus der essentiellen Aminosäure Phenylalanin, eine Beeinträchtigung dieses Weges kann vielfältige Defekte auslösen. Isomere Tyrosin besitzt ein Stereozentrum, somit existieren zwei Enantiomere. Wenn in diesem Text oder in der wissenschaftlichen Literatur „Tyrosin“ ohne weiteren Namenszusatz (Präfix) erwähnt wird, ist das natürlich vorkommende L-Tyrosin gemeint. Vorkommen L-Tyrosin wurde von Justus von Liebig 1846 erstmals als Proteinbestandteil von Käse (altgriechisch τύρος týros ‚Käse‘) charakterisiert, daher leitet sich auch der Name ab. Es kommt in großen Mengen im Casein vor. Die folgenden Beispiele geben einen Überblick über Tyrosingehalte und beziehen sich jeweils auf 100 g des Lebensmittels, zusätzlich ist der prozentuale Anteil von Tyrosin am Gesamtprotein angegeben: Alle diese Nahrungsmittel enthalten praktisch ausschließlich chemisch gebundenes L-Tyrosin als Proteinbestandteil, jedoch kein freies L-Tyrosin. Eigenschaften Als Monomer Abhängig vom pH-Wert kann Tyrosin als „inneres Salz“ bzw. Zwitterion vorliegen. Das Proton der Carboxygruppe lagert sich hierbei an das freie Elektronenpaar des Stickstoffatoms der Aminogruppe an: Die Zwitterionen wandern nicht im elektrischen Feld, da sie nach außen hin ungeladen sind. Der isoelektrische Punkt liegt bei pH = 5,66 für Tyrosin; es hat bei diesem pH-Wert seine geringste Löslichkeit in Wasser. Isoliertes L-Tyrosin fluoresziert – wie viele andere aromatische Verbindungen – bei Anregung mit UV-Licht. Van-der-Waals-Volumen: 141 Hydrophobizitätsgrad: −1,3 Tyrosin bildet mit einer geeigneten Diazo-Komponente einen roten Azofarbstoff und lässt sich auf diese Weise mit der Pauly-Reaktion qualitativ nachweisen. In Proteinen Das L-Tyrosin ist eine proteinogene Aminosäure. Es wird als Baustein für den Aufbau zahlreicher Proteine bei der Translation benötigt. Eine besondere Bedeutung hat das L-Tyrosin in Proteinen, die an Signaltransduktionsprozessen beteiligt sind. Es fungiert hier als Empfänger von Phosphat-Gruppen, die durch Proteinkinasen übertragen werden und das Zielprotein, eines Rezeptors in seiner Aktivität verändern (siehe Rezeptor-Tyrosinkinasen). Eine wichtige Rolle spielt L-Tyrosin auch bei der Photosynthese, indem es im Photosystem II als Elektronendonor das oxidierte Chlorophyll reduziert. Es verliert hierbei zunächst das Proton seiner phenolischen OH-Gruppe, wird zu einem neutralen Radikal, und wird dann vom im Photosystem II befindlichen vierkernigen Mangancluster wieder reduziert. Metabolismus Biogenese Pflanzen und die meisten Mikroorganismen synthetisieren Tyrosin im Shikimisäureweg über Chorisminsäure. Nach der Umlagerung von Chorismat in Prephenat entsteht mittels einer Prephenatdehydrogenase das 4-Hydroxyphenylpyruvat, aus dem durch Transaminierung unter Wirkung einer Transaminase dann Tyrosin gebildet wird. Im tierischen Organismus entsteht Tyrosin durch Biopterin-abhängige 4-Hydroxylierung am Phenylring von L-Phenylalanin. Das diese Reaktion katalysierende Enzym ist die Phenylalaninhydroxylase (), eine Monooxygenase. Dabei wird ein Sauerstoffmolekül (O2) benötigt und bei dieser Reaktion entsteht ein Wassermolekül (H2O). Das Vorprodukt, die essentielle Aminosäure L-Phenylalanin, wird mit der Nahrung aufgenommen. Infolge einer Phenylketonurie (PKU) kann es zu einem Mangel an L-Tyrosin kommen. Über Nahrung aufgenommenes L-Phenylalanin kann dabei nicht korrekt in der para-Stellung hydroxyliert werden, sodass kein L-Tyrosin aus Phenylalanin gebildet werden kann. In diesem Fall muss L-Tyrosin dem Körper zugeführt werden. Präkursor Tyrosin dient als Ausgangsstoff (Präkursor) für die Biosynthese verschiedener anderer Stoffe. Die Bildung der Schilddrüsenhormone L-Triiodthyronin (T3) und L-Thyroxin (T4) im Kolloid der Schilddrüse beruht auf Tyrosin-Untereinheiten. Die Decarboxylierung durch das Enzym Aromatische-L-Aminosäure-Decarboxylase (AADC) ergibt das biogene Amin Tyramin. Eine Hydroxylierung mit Hilfe des Enzyms Tyrosinhydroxylase – in Melanozyten häufig über das Enzym Tyrosinase – führt zu DOPA. DOPA ist wiederum Präkursor für verschiedene Neurotransmitter sowie für Melanin. Im Nebennierenmark ermöglicht die Decarboxylase die Produktion der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin, die als Botenstoffe an das Blut abgegeben werden. Die Produktion von Dopamin aus DOPA erfolgt membranständig in Nervenzellen. Melanin aus DOPA wird insbesondere von Melanocyten der Haut produziert und abgegeben sowie in den Pigmentzellen der Augen, wo es eingelagert bleibt. Pathophysiologie Bei nitrosativem Stress wird aus Peroxinitrit und Tyrosin mittels nukleophiler aromatischer Substitution Nitrotyrosin gebildet. Nitrotyrosin dient in der Labordiagnostik als Biomarker für nitrosativen Stress beziehungsweise Apoptose (programmierter Zelltod). Abbau Der Abbau von L-Tyrosin (para-Hydroxyphenylalanin) beginnt mit einer α-Ketoglutarat-abhängigen Transaminierung durch die L-Tyrosin-Transaminase () zu p-Hydroxyphenylpyruvat. Den nächsten Schritt katalysiert die 4-Hydroxyphenylpyruvat-Dioxygenase () unter Einbau von Sauerstoff und Abspaltung von CO2 zum Homogentisat (2,5-Dihydroxyphenyl-1-acetat). Um den aromatischen Ring des Homogentisats zu spalten, wird eine weitere Dioxygenase, die Homogentisat-Oxigenase (), benötigt. Dabei entsteht durch Einlagerung eines weiteren O2-Moleküls das Maleylacetacetat. Mit der Maleylacetacetat-cis-trans-Isomerase () entsteht in diesem Fall Fumarylacetat durch Rotation der durch Oxidation (aus der Hydroxygruppe) entstandenen Carboxygruppe. Diese cis-trans-Isomerase enthält Glutathion als Koenzym. Fumarylacetacetat kann schließlich durch die Fumarylacetacetat-Hydrolase durch Wassereinlagerung gespalten werden. Dabei werden Fumarat (auch ein Metabolit des Citrat-Zyklus) und Acetacetat (Butan-(3)-on-Säure) frei. Acetacetat ist ein Ketonkörper, welcher mit Succinyl-CoA aktiviert wird, und danach in zwei Moleküle Acetyl-CoA (für Citratzyklus und Fettsäuresynthese) umgesetzt werden kann. Anwendungen Tyrosin ist ein Vorläufer von Neurotransmittern, insbesondere Dopamin und Noradrenalin. Durch vermehrte Zufuhr von Tyrosin kann deren Synthese vorübergehend deutlich gesteigert werden, für etwa eine halbe Stunde. Auf die Stimmungslage hat dies aber nur geringen Einfluss. Der für die Umwandlung im Stoffwechsel geschwindigkeitsbestimmende Schritt wird durch die Tyrosinhydroxylase katalysiert und limitiert, weshalb die Effekte geringer als bei Zufuhr von L-DOPA ausfallen. Aus Tierversuchen ist bekannt, dass deren Enzymaktivität bei hohen Dosen von Tyrosin durch Substratüberschusshemmung stark abnimmt, sodass der Dopaminspiegel absinkt. Einige Studien fanden einen Nutzen unter Stressbelastung, Kälte oder Übermüdung. Eine Steigerung des Leistungsvermögens im Ausdauersport (anderthalbstündiges Radfahren) durch Tyrosinaufnahme konnte nicht festgestellt werden, hingegen durch Kohlenhydrataufnahme. Die diätetische Zuführung von L-Tyrosin dient als Substitutionstherapie oder Supplementation bei Mangel, so z. B. bei Phenylketonurie, da ansonsten eine Unterproduktion von Melanin (Albinismus) und L-Thyroxin (Kretinismus) resultiert. Zudem können Probleme bei der Herstellung von Katecholaminen bestehen. Daneben wird L-Tyrosin aufgrund seiner Protein-adsorbierenden Eigenschaften seit Jahren als adjuvanter Depotträger bei der spezifischen Subkutanen Immuntherapie (SCIT) eingesetzt. L-Tyrosin zeichnet sich gegenüber anderen Depotträgern wie Aluminiumhydroxid oder Calciumphosphat dabei unter anderem durch den Vorteil der vollständigen Metabolisierbarkeit und eine geringere Halbwertszeit von 48 Stunden an der Injektionsstelle aus. Im Schulunterricht kann Tyrosin als Ersatzstoff für giftige Amine gemäß RiSU zur Herstellung von Azofarbstoffen verwendet werden. Herstellung Die saure Hydrolyse keratinhaltiger Proteine (Haare, Klauen/Nägel, Federn) ergibt nach der Neutralisation ein Proteinhydrolysat, das aus den etwa 20 proteinogenen α-Aminosäuren besteht. Daraus lässt sich eine L-Cystin- und L-Tyrosin-reiche Fraktion einfach durch Abtrennung der gut wasserlöslichen Aminosäuren gewinnen, da L-Cystin- und L-Tyrosin sich nur wenig in Wasser lösen. L-Tyrosin wird nach dieser einfachen Trennmethode kommerziell gewonnen. Literatur Jeremy M. Berg, John L. Tymoczko, Lubert Stryer: Biochemie. 5. Auflage. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2003, ISBN 3-8274-1303-6. Weblinks Einzelnachweise Hydroxyphenylethylamin Alpha-Aminopropansäure Proteinogene Aminosäure Arzneistoff Aromastoff (EU) Futtermittelzusatzstoff (EU)
Q188017
131.441765
149706
https://de.wikipedia.org/wiki/Rosenkriege
Rosenkriege
Als Rosenkriege () werden die mit Unterbrechungen von 1455 bis 1485 geführten Kämpfe zwischen den beiden rivalisierenden englischen Adelshäusern York und Lancaster bezeichnet. Die Adelshäuser waren verschiedene Zweige des Hauses Plantagenet und führten ihre Stammlinie auf König Eduard III. zurück, woraus sie ihren Anspruch auf die englische Königskrone ableiteten: Die Lancasters waren 1399 auf den Thron gelangt, doch das Haus York sah sich übergangen. Als König Heinrich VI. aus dem Haus Lancaster in geistige Umnachtung fiel, löste dies schließlich den offenen Bürgerkrieg aus. Die Auseinandersetzungen forderten einen sehr hohen Blutzoll im britischen Adel und beendeten unter anderem die männlichen Linien dieser beiden Häuser. Die Kriege erbrachten zunächst den Sieg des Hauses York, das 1461 in der Schlacht von Towton die Königswürde für Eduard IV. in den Jahren 1461–1470 und 1471–1483 sichern konnte. Eine zwischenzeitliche Rückkehr der Lancasterianer an die Macht 1470 endete 1471 mit dem endgültigen Sieg Eduards IV. in der Schlacht von Tewkesbury und dem Auslöschen der männlichen Linie der Lancasters. Nach Eduards Tod 1483 endeten die Kriege aber letztlich doch 1485 mit einem Sieg der Lancaster-Partei über das Haus York in der Schlacht von Bosworth, in der Richard III., der letzte König aus dem Haus Plantagenet, den Tod fand. Henry Tudor, der nur entfernt über seine Mutter mit dem Königshaus verbundene Thronprätendent der Lancasters, wurde daraufhin als Heinrich VII. zum König gekrönt und verband durch seine Heirat mit Elizabeth of York die beiden Häuser im Haus Tudor. Ein letztes Aufbäumen der Yorkisten, bei dem sich der Hochstapler Lambert Simnel als Edward Plantagenet, 17. Earl of Warwick, ausgab, wurde 1487 in der Schlacht von Stoke niedergeschlagen. Der echte Edward wurde von Heinrich VII. gefangen gehalten und 1499 enthauptet. Damit war auch der Mannesstamm des Hauses York erloschen. Die Wappen der beiden gegnerischen Familien enthielten Rosen (eine rote Rose für Lancaster, eine weiße Rose für York), sodass sich für diesen Konflikt später die Bezeichnung „Rosenkriege“ etablierte. Allerdings lässt sich in den zeitgenössischen Quellen die Zuordnung der Rosen zu den jeweiligen Häusern nur bedingt nachweisen. Vorgeschichte Der Urgrund des Konflikts lag schon im Jahr 1399, trat aber erst ab 1455 offen zutage. Im Jahr 1399 setzte das englische Parlament König Richard II. ab und bestimmte dessen Cousin Heinrich zum neuen König. Heinrich begründete das Haus Lancaster, nachdem er England in einem Siegeszug erobert hatte. Richard II. war der Sohn von Edward, Prince of Wales, genannt „Der Schwarze Prinz“. Dieser war der älteste der fünf Söhne Eduards III., der nunmehr gekrönte Heinrich IV. der Sohn des drittältesten Sohnes, John, Duke of Lancaster. Der zweitälteste Sohn Eduards III., Lionel, Duke of Clarence, hatte zwar keinen direkten Erben hinterlassen, doch der Enkel seiner Tochter, Edmund Mortimer, Earl of March, galt als Erbe seines Thronanspruchs. Da dieser 1399 jedoch erst acht Jahre alt und damit viel zu jung für die Königswürde war, wurde er übergangen. Heinrich IV. ließ ihn verhaften und in eine irische Festung einsperren. 1413 holte sein Nachfolger Heinrich V. Mortimer zurück an seinen Hof, und dieser begnügte sich damit, Heinrichs Herrschaft anzuerkennen. Als Mortimers Schwager Richard, Earl of Cambridge, 1415 eine Verschwörung gegen Heinrich V. initiierte und als dessen Nachfolger Edmund Mortimer vorschlug, benachrichtigte dieser stattdessen den König, und Cambridge wurde als Hochverräter hingerichtet. Nach Mortimers Tod 1425 ging sein Thronanspruch jedoch auf den Sohn Cambridges und seiner Schwester Anne Mortimer, Richard, Duke of York, über, der über seinen Vater zudem in direkter männlicher Linie von Edmund, Duke of York, dem viertältesten Sohn Eduards III., abstammte. Heinrich VI. Lancaster, der Sohn des 1422 verstorbenen Königs, hatte im Alter von nur sieben Jahren den Thron bestiegen. An seinem Hof bildeten sich verschiedene Parteien, die versuchten, den König zu beeinflussen. Richard von York schloss sich der Partei Humphreys, Duke of Gloucester und Onkel des Königs, an, deren Führer er nach Gloucesters Tod 1447 wurde. Als Duke of York, Earl of March und Earl of Cambridge war er der mächtigste Vasall Heinrichs VI. Als England 1453 den Hundertjährigen Krieg gegen Frankreich verlor und der König als Reaktion darauf in geistiger Umnachtung versank, konnte York, neben zahlreichen anderen, dieses Machtvakuum nutzen, um seine Macht zu vergrößern. Er sammelte die zahlreiche Opposition gegen Heinrich VI. um sich, die diesem den verlorenen Krieg persönlich anrechnete. Diese Niederlage machte Heinrich VI. in ihren Augen zu einem unfähigen Herrscher – in Teilen durchaus keine Fehleinschätzung, da Heinrich VI. bereits vor dem Ausbruch seiner Geisteskrankheit nur wenig Tatkraft gezeigt und den Verlust der englischen Gebiete in Frankreich zu verantworten hatte. Richard von Yorks Hauptgegner war Edmund Beaufort, 1. Duke of Somerset, der gemeinsam mit Heinrichs Gattin Margarete von Anjou die Regierungsgeschäfte für den kranken König leitete. Dabei ging es auch um Geld: Solange Somersets Partei die Hofpartei blieb, drohte Richard der finanzielle Ruin, denn der König war bei beiden verschuldet. Er konnte letztendlich den einen nur bezahlen, indem er den anderen ausnutzte. York befand sich in einer prekären Lage; Somerset musste beseitigt werden. Problematisch ist die Bewertung dieser Vorgeschichte und des gesamten Krieges allerdings aufgrund der Tatsache, dass die letztendlich siegreichen Tudors vom Haus Lancaster abstammten. Das Haus York, ihren Kriegsgegner, kennzeichneten sie in ihrer Geschichtsschreibung dementsprechend negativ. Kriegsverlauf Ausbruch des Krieges und erste Kriegsjahre Das Jahr 1453 war geprägt von mehreren entscheidenden Ereignissen: Neben dem bereits erwähnten Ende des Hundertjährigen Krieges und dem darauf folgenden Nervenzusammenbruch Heinrichs VI. waren es die Geburt des Thronfolgers Edward am 13. Oktober und die Gefangensetzung Somersets im November. Als Folge der anhaltenden Geisteskrankheit des Königs wurde Richard von York im März 1454 zum Lordprotektor bestellt. Dies veranlasste die Lancastrische Partei um Königin Margarete zum Handeln. York wurde 1455 zur Aufgabe seines Amtes gezwungen und zog sich auf seine Ländereien im Norden zurück. Für den 21. Mai 1455 wurde ein Großer Rat (Great Council) in Leicester in Mittelengland einberufen. York sammelte inzwischen Truppen, mit denen er auf London marschierte und seine Gegner am 22. Mai bei St Albans nördlich von London angriff. Die Erste Schlacht von St Albans endete mit einem vollständigen Sieg Yorks, der zahlreiche seiner Gegner beseitigen konnte, darunter Somerset und den Earl of Northumberland, und der den König in seine Gewalt brachte und seine früheren Ämter wieder übernahm. Sein wichtigster Verbündeter wurde dabei Richard Neville, Earl of Warwick, der als „Königsmacher“ in die Geschichte einging und mit dem Haus York über seine Frau Cecily Neville verwandt war. Die Jahre bis 1459 waren von politischen Machtkämpfen zwischen Richard von York, nunmehr Lord Lieutenant of Ireland, und Königin Margarete gekennzeichnet. 1459 brachen die Feindseligkeiten zwischen den Parteien erneut aus. Auf einen Sieg der Yorkisten bei Blore Heath im September folgte die Niederlage von Ludlow, nach der sich ihre Armee faktisch auflöste. Richard von York floh mit seinem zweitältesten Sohn Edmund, Earl of Rutland, nach Irland, sein ältester Sohn Edward, Earl of March, mit Warwick nach Calais, wo Warwick der Befehlshaber der dortigen Truppen war. Als die beiden im folgenden Jahr mit den Truppen aus Calais nach England zurückkehrten, gelang ihnen die erneute Gefangennahme des Königs in der Schlacht von Northampton am 10. Juli 1460, dabei starben wiederum zahlreiche lancastrische Anführer. Daraufhin kehrte York im Oktober nach London zurück und zog unter dem königlichen Banner ins kurzfristig einberufene Parlament ein. Doch Richards Erwartungen auf ein sofortiges Königtum erfüllten sich nicht, aber im Act of Accord vom 25. Oktober ließ er sich zu König Heinrichs Nachfolger erklären und enterbte damit dessen Sohn Edward. Um die restlichen lancastrianischen Truppen zu zerstreuen, die sich unter der Führung von Königin Margarete und Henry Beaufort, Duke of Somerset, dem Sohn und Erben von Edmund Beaufort, nach Norden zurückgezogen hatten, zog der Duke of York mit seinen Truppen ebenfalls dorthin. Doch Henry Beaufort lauerte ihm bei Wakefield auf. Im folgenden Gefecht fiel Richard, wie auch sein Schwager Richard Neville, Earl of Salisbury, und sein Sohn Edmund, Earl of Rutland. Daraufhin übernahm Richards ältester Sohn Edward die Führung des Hauses York. Aus Wales versuchte Jasper Tudor, Earl of Pembroke und König Heinrichs Halbbruder, Königin Margarete Verstärkung zu bringen, doch er wurde von Edward Anfang Februar 1461 in der Schlacht von Mortimer’s Cross besiegt. Als daraufhin die lancastrianischen Truppen bei St Albans einen Sieg gegen die Yorkisten unter Warwicks Führung errangen, bei der auch König Heinrich aus der Gefangenschaft befreit werden konnte, verwehrte die Stadt London Margarete von Anjou und ihrer Armee den Zutritt, und sie mussten nach Norden fliehen. Am 29. März 1461 besiegte Edward mit Hilfe Warwicks die von Somerset geführte Armee der Königin in der Schlacht von Towton, die als eine der blutigsten Englands gilt – von den etwa 80.000 Soldaten auf beiden Seiten kamen 20.000 bis 30.000 ums Leben. Als er sich am 28. Juni zu Eduard IV. von England krönen ließ und Heinrich VI. und seine Frau daraufhin nach Schottland flohen, fand die erste Phase der Rosenkriege ihren Abschluss, und es begann die Königsherrschaft des Hauses York. Nur im Norden nahe der schottischen Grenze leisteten die lancastrianischen Truppen noch Widerstand. 1462 versöhnte sich Henry Beaufort zum Schein mit Eduard IV. und wurde von diesem wieder zum Duke of Somerset gemacht, doch der Versuch scheiterte, Somerset kehrte nach eineinhalb Jahren wieder zu den Lancastrianern zurück und fiel im Mai 1464 bei der Schlacht von Hexham. Wechselnde Koalitionen In den folgenden Jahren kam es zu einer Entfremdung zwischen Eduard IV. und seinem wichtigsten Verbündeten, seinem Cousin Richard Neville, dem Earl of Warwick. Der Grund dafür war, dass Warwick sich unentwegt darum bemüht hatte, eine französische Braut für den König zu finden und ihn zu einer Allianz mit Frankreich zu überreden, während dieser heimlich Elizabeth Woodville heiratete, eine verwitwete Ex-Lancastrianerin. Auch andere Faktoren spielten eine Rolle, beispielsweise wollte König Eduard eher ein Bündnis mit Burgund, Frankreichs Erzfeind, schließen und hörte dabei auf William Herbert, Earl of Pembroke, den Warwick darum hasste. Auch verabscheute er die inzwischen mächtige Familie der Königin, die von Eduard IV. mit zahlreichen Adelstiteln belehnt wurde. 1469 kam es endgültig zum Bruch und Richard Neville startete eine Rebellion gegen den König. Dabei verbündete er sich mit dessen Bruder George, Duke of Clarence, dem er seine Tochter Isabel zur Frau gab und den er anstatt Eduard IV. auf dem Thron sehen wollte. Es gelang ihm, Teile der verhassten Woodville-Familie zu beseitigen, den Earl of Pembroke hinrichten zu lassen und sogar den König gefangen zu nehmen und in Warwick Castle festzusetzen. Als Eduard IV. jedoch von seinem Bruder Richard, Duke of Gloucester, befreit wurde, ihre Truppen Warwicks Rebellen schlugen und Richard Neville allmählich isoliert wurde, floh er mit dem Schiff nach Calais. Doch als die Besatzung, deren Befehlshaber er immer noch war, ihn nicht an Land gehen lassen wollte, verbündete er sich plötzlich mit Königin Margarete, die in Frankreich Asyl gefunden hatte, und dem Haus Lancaster. Durch die Heirat von Warwicks Tochter Anne mit Edward, dem Erben des Hauses Lancaster, wurde das Bündnis der ehemaligen Feinde besiegelt. Mitte 1470 führte der Earl of Warwick ein lancastrianisches Heer nach England, vertrieb Eduard IV., ohne eine Schlacht geschlagen zu haben, und brachte Heinrich VI., der die letzten Jahre im Tower of London eingekerkert gewesen war, wieder an die Macht. Eduard IV. floh in die Niederlande zu seinem Schwager Charles, dem Herzog von Burgund. König Heinrich VI. war unfähig zu regieren, da er geistig verwirrt war. Die Regierungsgeschäfte wurden deshalb von Warwick und einem von ihm ausgewählten Kronrat ausgeübt, weswegen ihm mehrere seiner Verbündeten aber zunehmend misstrauten. Als Eduard IV. im März 1471 mit burgundischen Truppen in Ravenspur landete, lief der Earl of Northumberland, ein Lancastrianer, zu ihm über. An Ostern konnte er die lancastrianische Übermacht nahe bei St Albans stellen und in der Schlacht von Barnet besiegen. Richard Neville fiel in dieser Schlacht. Daraufhin landeten Königin Margarete und ihr Sohn, die bis zuletzt in Frankreich geblieben waren, in England, sammelten die zerstreuten Truppen um sich und zogen nach Wales, von wo sie sich Unterstützung erhofften. Doch vor der Grenze holte Eduard IV. sie ein und schlug sie in der Schlacht von Tewkesbury vernichtend. Kronprinz Edward kam um, auf welche Weise ist aber umstritten. Als kurz darauf auch Heinrich VI. im Tower of London ermordet wurde, war die direkte Linie des Hauses Lancaster ausgelöscht. Der letzte lebende lancastrianische Thronprätendent, Henry Tudor, wurde von seinem Onkel Jasper nach der erneuten Thronbesteigung Eduards IV. in die Bretagne nach Frankreich gebracht, wo er seinen Anspruch für die nächsten Jahre aus dem Exil heraus vertrat. Diesen leitete er von seiner Mutter Margaret her (auch Eduard hatte sein Königtum über eine Frau geerbt), die eine Urenkelin von John, Duke of Lancaster, Sohn von König Eduard III. und Stammvater des Hauses Lancaster, war. Dadurch war sie eine Cousine 2. Grades von König Heinrich und, nachdem das Haus Lancaster nahezu ausgestorben war, die Einzige, die den Anspruch an ihren Sohn weitervererben konnte. Das Ende des Hauses York In den folgenden Jahren konnte Eduard IV. unangefochten regieren und bescherte England neuen Wohlstand. Als er Ostern 1483 starb, hinterließ er den Thron seinem ältesten Sohn Eduard, der aber erst zwölf Jahre alt war. Nachdem sein Onkel Richard, Duke of Gloucester, den Machtkampf mit der Familie der Königinwitwe Elizabeth Woodville um die Vormundschaft des kleinen Königs für sich entschieden und seine Gegner hinrichten lassen hatte, brachte er seinen Neffen mitsamt dessen jüngerem Bruder Richard in den Tower of London, um den König dort auf seine Krönung vorzubereiten. Im Juni ließ Gloucester plötzlich William Hastings, den wichtigsten Vertrauten seines Bruders und seinen vormaligen Verbündeten, hinrichten, da er angeblich eine Verschwörung gegen ihn geplant hätte. Kurz danach erklärte das Parlament ihn zum einzigen rechtmäßigen Thronfolger Eduards IV., seine Krönung als Richard III. fand am 6. Juli 1483 statt. Dieses Handeln wurde einige Monate später durch das Dokument Titulus Regius gerechtfertigt, in dem die Kinder von Richards Bruder als illegitim dargestellt wurden. Die beiden Prinzen im Tower, die legitimen Erben, verschwanden in der folgenden Zeit spurlos. Da manche der Lords begannen, Richard für den Mörder der Prinzen zu halten, fielen sie von ihm ab und liefen zu Henry Tudor in Frankreich über. Dieser Widerstand gegen Richard wurde allerdings von den Geschichtsschreibern der Tudorzeit stark ausgeschmückt. Im Herbst 1483 schlug eine Revolte unter dem Duke of Buckingham fehl, an der Tudor beteiligt war. Als die Überläufer aus England zwei Jahre später zahlreicher wurden, setzte Tudor erneut nach England über und landete in Milford Haven in Wales. Auf seinem Marsch durch England wuchs seine Streitmacht weiter an und am 22. August 1485 besiegte er mithilfe seines Stiefvaters Thomas Stanley, der dem König im entscheidenden Moment in den Rücken fiel, in der Schlacht von Bosworth Field Richard III., der kämpfend erschlagen wurde. Tudor trat seine Nachfolge als Heinrich VII. an, heiratete die älteste Tochter Eduards IV., Elisabeth of York, und vereinigte somit die beiden Adelshäuser Lancaster und York im Haus Tudor. Dies gilt allgemein als Ende der erbittert geführten Rosenkriege und als Beginn einer Friedensepoche. Heinrich VII. hatte sich jedoch auch danach gegen echte sowie falsche yorkistische Prätendenten zu behaupten, so dass einige Historiker den Ausklang der Rosenkriege einige Jahre später datieren. 1487 gab sich beispielsweise Lambert Simnel als Edward, Earl of Warwick aus, den Neffen Eduards IV. und Richards III. Er setzte mit einem Söldnerheer von Irland aus, einer Hochburg des Hauses York, nach England über. Er gewann dort die Unterstützung von John de la Pole, Earl of Lincoln, den Richard III. zu seinem Thronfolger bestimmt hatte. König Heinrich VII. schlug dessen Heer am 16. Juni 1487 in der Schlacht von Stoke, nördlich von Nottingham. Simnel geriet in Gefangenschaft und Lincoln fiel. In den 1490er Jahren trat Perkin Warbeck als Prätendent auf. Die Rosenkriege in der Belletristik Acht Historiendramen William Shakespeares, die York-Tetralogie (Heinrich VI., drei Teile, und Richard III.) und die Lancaster-Tetralogie (Richard II., Heinrich IV., Teil 1 und Teil 2, und Heinrich V.), spielen vor und in der Zeit der Rosenkriege. Zu den Klassikern gehört Robert Louis Stevensons Der Schwarze Pfeil (Originaltitel: The Black Arrow: A Tale of the Two Roses) aus dem Jahr 1883. In jüngerer Zeit haben sich u. a. folgende Autoren dieses Themas angenommen: Rebecca Gablé, Das Spiel der Könige (Ehrenwirth 2007). Die Handlung setzt im England des Jahres 1455 ein. Conn Iggulden, Buchreihe Die Rosenkriege (Wars of the Roses): Sturmvogel. Heyne Verlag, 2014. ISBN 978-3-453-41796-0 (Originaltitel: Wars of the Roses – Stormbird) Das Bündnis. Heyne Verlag, 2015. ISBN 978-3-453-41861-5 (Originaltitel: Wars of the Roses – Trinity) Drei Könige. Heyne Verlag, 2016. ISBN 978-3-453-41862-2 (Originaltitel: Wars of the Roses – Bloodline) Brüderschlacht. Heyne Verlag, 2017. ISBN 978-3-453-42210-0 (Originaltitel: Wars of the Roses – Ravenspur: Rise of the Tudors) Philippa Gregory, Romane über die Königinnen zur Zeit der Rosenkriege: The White Queen. Touchstone, 2009, ISBN 978-1-4165-6368-6. über Elizabeth Woodville, die neben Edward IV Königin von England war. Übersetzung: Die Königin der weißen Rose. rororo, 2011, ISBN 978-3-499-25484-0. The Red Queen. Simon & Schuster, 2010, ISBN 978-1-84737-457-8 über Margaret Beaufort, die Mutter von König Heinrich VII. Übersetzung: Der Thron der roten Königin. rororo, 2011, ISBN 978-3-499-25672-1. The Lady of the Rivers. Simon & Schuster, 2011, ISBN 978-1-84737-459-2 über Jacquetta von Luxemburg, die Mutter von Elizabeth Woodville. Übersetzung: Die Mutter der Königin. rororo, 2012, ISBN 978-3-499-25673-8. The Kingmaker's Daughter. Touchstone, 2012, ISBN 978-1-4516-2607-0 über Anne Neville, die Tochter des Königmachers Richard Neville und neben Richard III Königin von England. Übersetzung: Dornenschwestern. rororo, 2013, ISBN 978-3-499-26712-3. The White Princess. Touchstone, 2013, ISBN 978-1-4516-2609-4 über Elizabeth of York, die Tochter von Elizabeth Woodville und Königin von England als Gemahlin von Heinrich VII. Übersetzung: Das Erbe der weißen Rose. rororo, 2014, ISBN 978-3-499-26713-0. The King's Curse. Touchstone, 2014, ISBN 978-1-4516-2611-7 über Margaret Pole., die durch ihre Abstammung aus dem Haus Plantagenet einen Anspruch auf den englischen Thron hatte. Übersetzung: "Der Königsfluch", Rowohlt Taschenbuch, ISBN 978-3-499-27042-0. Toby Clements, Krieg der Rosen: Winterpilger (Bastei Lübbe); Originaltitel: Kingmaker: Winter Pilgrims (Century 2014). England im Winter 1460. Endet mit der Schlacht von Towton 1461. Die Rosenkriege waren laut George R. R. Martin eine Inspiration für Das Lied von Eis und Feuer und die darauf aufbauende Serie Game of Thrones. Literatur Christine Carpenter: The Wars of the Roses. Politics and the Constitution in England, c. 1437–1509. Cambridge University Press, Cambridge u. a. 1997, ISBN 0-521-26800-1. Keith Dockray: Henry VI, Margaret of Anjou and the Wars of the Roses. A source book. Sutton, Stroud 2000, ISBN 0-7509-2163-3. David Grummitt: The Wars of the Roses. I.B. Tauris, London 2013. [aktuelle Einführung mit Überblick zur älteren Literatur] Michael Hicks: The Wars of the Roses. Yale University Press, New Haven CT u. a. 2010, ISBN 978-0-300-11423-2. Michael Hicks: The Wars of the Roses 1455–1487 (= Essential Histories. A multi-volume History of War seen from political, strategic, tactical, cultural and individual Perspectives. Bd. 54). Osprey, Oxford 2003, ISBN 1-84176-491-4 [Einführung]. Ernest F. Jacob: The Fifteenth Century, 1399–1485 (= Oxford History of England. Bd. 6). Clarendon Press u. a., Oxford u. a. 1961. Matthew Lewis: The Wars of the Roses. The Key Players in the Struggle for Supremacy. Amberley Publishing, Stroud 2015, ISBN 978-1-4456-4635-0. Charles Ross: Edward IV. Methuen, London 1974, ISBN 0-413-28680-0 (mehrere NDe). Charles Ross: The Wars of the Roses. A concise History. Thames and Hudson, London 1976, ISBN 0-500-25049-9. Jürgen Sarnowsky: England im Mittelalter. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2002, ISBN 3-534-14719-7. Weblinks Die Rosenkriege – Ein Nachspiel des Hundertjährigen Krieges auf kriegsreisende.de Anmerkungen Krieg (15. Jahrhundert) Bürgerkrieg !Rosenkriege
Q127751
90.459353
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https://de.wikipedia.org/wiki/Pfefferartige
Pfefferartige
Die Pfefferartigen (Piperales) sind eine Pflanzenordnung in der informellen Gruppe der Magnoliopsida. Sie enthält fünf Familien. Beschreibung Es sind verholzende oder krautige Pflanzen. Die einfachen Laubblätter weisen oft Drüsen auf, die ätherische Öle absondern. Die Blattspreiten weisen oft eine handförmige (palmate) Nervatur auf. Die Blütenstände sind ährig bis traubig. Die Blüten der Piperales fallen durch das Fehlen perianther Blütenorgane auf. Dadurch sind die sich ausbildenden Staub- und Fruchtblätter ungeschützt, die bei den meisten Eudikotyledonen vorhandenen Calyx und Corolla fehlen bei dieser Ordnung. Die Pollenkörner sind meist monosulcat. Systematik Den Pfefferartigen (Piperales) werden fünf Pflanzenfamilien zugeordnet: Osterluzeigewächse (Aristolochiaceae) Pfeffergewächse (Piperaceae) Eidechsenschwanzgewächse (Saururaceae) Hydnoraceae Lactoridaceae Quellen Die Ordnung bei der APWebsite (Abschnitt Systematik und Beschreibung) Andreas Bresinsky, Christian Körner, Joachim W. Kadereit, Gunther Neuhaus, Uwe Sonnewald: Strasburger – Lehrbuch der Botanik. Begründet von E. Strasburger. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2008 (36. Aufl.) ISBN 978-3-8274-1455-7 S. 851 (Abschnitt Beschreibung) Einzelnachweise Weblinks Beschreibung bei der Uni Hamburg. Steckbrief des Botanischen Gartens Tübingen.
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133.323498
939853
https://de.wikipedia.org/wiki/M%C3%A4use
Mäuse
Die Mäuse (Mus) sind eine Nagetiergattung aus der Gruppe der Altweltmäuse (Murinae). Die Gattung umfasst knapp 40 Arten, von denen die Hausmaus die bekannteste und am weitesten verbreitete ist. Die meisten anderen Arten leben in Afrika sowie in Süd- und Südostasien. Merkmale Mäuse erreichen eine Kopf-Rumpf-Länge von 4,5 bis 12,5 Zentimetern, hinzu kommt ein 3 bis 11 Zentimeter langer Schwanz. Das Gewicht, soweit bekannt, liegt zwischen 12 und 35 Gramm. Das Fell ist je nach Art weich, rau oder stachelig, seine Färbung reicht an der Oberseite von hellgrau über verschiedene Grau- und Brauntöne bis schwarzbraun, die Unterseite ist heller. Der Schwanz erscheint unbehaart, ist aber mit feinen Haaren bedeckt. Verbreitung und Lebensraum Das ursprüngliche Verbreitungsgebiet umfasste offenbar Afrika, Südeuropa sowie weite Teile des südlichen und südöstlichen Asiens. Die Hausmaus hat im Gefolge des Menschen eine weltweite Verbreitung erlangt und lebt als einzige Art auch in Amerika und Australien. Mäuse kommen in verschiedenen Lebensräumen vor, darunter Wälder, Savannen, Grasländer und felsige Gebiete. Manche Arten haben sich aber derart auf ihre Rolle als Kulturfolger spezialisiert, dass man sie meistens in der Nähe menschlicher Behausungen findet. Neben der Hausmaus gilt dies für die Afrikanische Zwergmaus, in eingeschränktem Maße auch für die Reisfeldmaus und die Falbmaus. Lebensweise Die wildlebenden Arten sind überwiegend nachtaktiv, die kulturfolgenden Arten hingegen können zu jeder Tages- und Nachtzeit aktiv sein. Sie sind überwiegend Bodenbewohner, können aber gut klettern sowie – zumindest im Fall der Hausmaus – auch schwimmen. Als Ruheplätze dienen ihnen Felsspalten, selbst gegrabene Erdbaue oder menschengemachte Unterschlupfe. Mäuse ernähren sich von vielerlei pflanzlichen Materialien, etwa Samen, Wurzeln, Blätter und Stängel. Einige Arten fressen auch Insekten und andere Kleintiere, wenn verfügbar. Die kulturfolgenden Arten fressen jedes verfügbare menschliche Nahrungsmittel. Systematik Wilson & Reeder (2005) führen die Mäuse als Namensgeber der Mus-Gattungsgruppe, die daneben noch die Äthiopische Streifenmaus (Muriculus imberbis) umfasst. Nach den genetischen Untersuchungen von Lecompte et al. (2008) bilden die Mäuse eine eigene Tribus, Murini, innerhalb der Altweltmäuse. Insgesamt sind 39 Arten bekannt, die in 4 Untergattungen unterteilt werden können: Untergattung Mus Die Kleine Indische Maus (Mus booduga) ist auf dem indischen Subkontinent verbreitet. Die Reisfeldmaus (Mus caroli) bewohnt das südliche China und Südostasien. Die Falbmaus (Mus cervicolor) ist bruchstückhaft vom nördlichen Indien bis Indonesien verbreitet. Die Cook-Maus (Mus cookii) bewohnt das nördliche Süd- und Südostasien. Die Zypern-Maus (Mus cypriacus) ist auf Zypern endemisch. Die Südindische Maus (Mus famulus) kommt an der Südspitze Indiens vor. Die Laos-Maus (Mus fragilicauda) ist von wenigen Fundorten in Thailand und Laos bekannt. Die Makedonische Hausmaus (Mus macedonicus) lebt auf der Balkanhalbinsel und in Kleinasien. Die Hausmaus (Mus musculus) lebte ursprünglich in Eurasien, hat aber im Gefolge des Menschen eine weltweite Verbreitung erreicht. Die Ährenmaus (Mus spicilegus) ist im mittleren und östlichen Europa verbreitet. Die Algerische Maus (Mus spretus) kommt im westlichen Mittelmeerraum, im nordwestlichen Afrika und den Balearischen Inseln vor. Die Erdfarbene Maus (Mus terricolor) ist auf dem indischen Subkontinent verbreitet. Untergattung Nannomys Die Baoulei-Zwergmaus (Mus baoulei) kommt von Guinea bis Togo vor. Die Krötenzwergmaus (Mus bufo) bewohnt ein kleines Gebiet am Ostafrikanischen Grabenbruch. Die Callewaert-Zwergmaus (Mus callewaerti) lebt im Süden der Demokratischen Republik Kongo und in Angola. Die Gounda-Zwergmaus (Mus goundae) ist nur von einem Fundort in der Zentralafrikanischen Republik bekannt. Die Hausa-Zwergmaus (Mus haussa) bewohnt ein großes Gebiet in Westafrika. Die Wüsten-Zwergmaus (Mus indutus) kommt in Trockengebieten im südlichen Afrika vor. Die Mahomet-Zwergmaus (Mus mahomet) ist vom Äthiopischen Hochland bis Uganda und Kenia beheimatet. Die Matthey-Zwergmaus (Mus mattheyi) lebt im westlichen Afrika von Senegal bis Ghana. Die Afrikanische Zwergmaus (Mus minutoides) ist vom südlichen Sudan bis Südafrika verbreitet. Die Temminck-Zwergmaus (Mus musculoides) bewohnt weite Teile des westlichen und mittleren Afrika. Die Neave-Zwergmaus (Mus neavei) bewohnt Sambia und Südafrika, möglicherweise auch noch weitere Länder. Die Südafrikanische Zwergmaus (Mus orangiae) kommt in höher gelegenen Gebieten in Südafrika und Lesotho vor. Die Oubangui-Zwergmaus (Mus oubanguii) ist nur von einem Fundort in der Zentralafrikanischen Republik bekannt. Die Peters-Zwergmaus (Mus setulosus) hat ein bruchstückhaftes Verbreitungsgebiet im westlichen und mittleren Afrika. Die Setzer-Zwergmaus (Mus setzeri) ist aus Namibia, Botswana und Sambia bekannt. Die Thomas-Zwergmaus (Mus sorella) lebt im Bereich des Ostafrikanischen Grabenbruchs. Die Ostafrikanische Zwergmaus (Mus tenellus) bewohnt Trockengebiete vom Sudan und Äthiopien bis Tansania. Die Tritonsmaus (Mus triton) ist im mittleren und östlichen Afrika verbreitet. Untergattung Coelomys Die Sumatra-Zwergmaus (Mus crociduroides) lebt im westlichen Sumatra. Die Mayor-Maus (Mus mayori) ist auf Sri Lanka endemisch. Die Sikkim-Maus (Mus pahari) lebt in weiten Teilen Südostasiens. Die Java-Zwergmaus (Mus vulcani) kommt nur in Gebirgsregionen im westlichen Java vor. Untergattung Pyromys Die Ceylon-Stachelzwergmaus (Mus fernandoni) ist auf Sri Lanka endemisch. Die Phillips-Stachelzwergmaus (Mus phillipsi) lebt in Indien. Die Flachkopf-Stachelzwergmaus (Mus platythrix) bewohnt das mittlere und südliche Indien. Die Felsenstachelmaus (Mus saxicola) bewohnt den indischen Subkontinent. Die Shortridge-Stachelmaus (Mus shortridgei) kommt im nördlichen Südostasien vor. Die Algerische Maus, die Makedonische Hausmaus, die Ährenmaus und die Zypern-Maus wurden lange als Unterarten der Hausmaus angesehen, erst durch jüngere morphologische und biochemische Analysen wurde ihre Eigenständigkeit erwiesen. Gefährdung Die meisten Mäusearten sind häufig und nicht gefährdet. Einige Arten mit kleinem Verbreitungsgebiet zählen jedoch zu den bedrohten Arten. Die IUCN listet 2022 M. famulus und M. fernandoni als „stark gefährdet“ (endangered) sowie M. mayori als „gefährdet“ (vulnerable). Für M. callewaerti, M. crociduroides, M. goundae, M. neavei und M. oubanguii liegen zu wenig Daten vor und werden als (data deficient) gelistet. Literatur Emilie Lecompte, Ken Aplin, Christiane Denys, François Catzeflis, Marion Chades, Pascale Chevret: Phylogeny and biogeography of African Murinae based on mitochondrial and nuclear gene sequences, with a new tribal classification of the subfamily. In: BMC Evolutionary Biology. Bd. 8, 199, 2008, S. 1–21, doi:10.1186/1471-2148-8-199. Ronald M. Nowak: Walker’s Mammals of the World. 2 Bände. 6. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore MD u. a. 1999, ISBN 0-8018-5789-9. Don E. Wilson, DeeAnn M. Reeder (Hrsg.): Mammal Species of the World. A taxonomic and geographic Reference. 2 Bände. 3. Auflage. Johns Hopkins University Press, Baltimore MD 2005, ISBN 0-8018-8221-4. Weblinks Schädling im Feld- und Gartenbau Vorratsschädling oc:Garri
Q39275
123.921982
823624
https://de.wikipedia.org/wiki/Spritzw%C3%BCrmer
Spritzwürmer
Die Spritzwürmer (Sipuncula von ) sind eine 320 Arten umfassende Gruppe bodenbewohnender Meereswürmer. Sie sind nicht segmentiert. Der schlanke rüsselartige Vorderkörper kann in den Hinterleib eingezogen werden. Am Ende des Vorderkörpers sitzt ein Kranz mit Fühlern, mit denen sie ihre Nahrung, Detritus und kleine Organismen, aufnehmen. Die Tiere erreichen Längen zwischen einem und 50 Zentimeter. Systematik Äußere Systematik Die verwandtschaftliche Zuordnung der Tiere war bis vor kurzem vollkommen unklar. Bis weit in die 1960er Jahre wurden sie beispielsweise mit Stachelhäutern (Echinodermen) in Verbindung gebracht, außerdem auch mit Weichtieren (Mollusken). Eine andere Deutung stellte Beziehungen zu Ringelwürmern (Anneliden) her, wobei hier sowohl eine Art Vorläuferstatus der Spritzwürmer, als auch ein abgeleiteter Status (also sekundärer Verlust einer Körpersegmentierung, ausgehend von dem ringelwurmartigen Ausgangsstadium) postuliert wurde. Die letztgenannte Interpretation wird neuerdings durch molekulargenetische Studien stark unterstützt. Demnach sind die Spritzwürmer eine Innengruppe der Vielborster (Polychaeta), bei denen ohnehin zahlreiche Fälle von sekundären Segmentierungsverlusten bekannt sind. Diese Einordnung impliziert, dass die Nuchalorgane (spezielle chemosensorische Sinnesorgane) der Spritzwürmer homolog zu den Nuchalorganen der Vielborster sind, was vorher von der traditionellen Morphologie aufgrund feinbaulicher Unterschiede weitgehend abgelehnt worden war. Mit dieser Einordnung bei den Ringelwürmern müsste auch der bisherige Status der Spritzwürmer als eigener Tierstamm aufgegeben werden. Allerdings sind in dieser Hinsicht auch die Ringelwürmer zurzeit in Auflösung begriffen, so dass man zunächst die Neuordnung der Ringelwürmer abwarten muss. Ganz allgemein könnte man die Spritzwürmer als Gliedertiere (Articulata) im weitesten Sinne bezeichnen, doch selbst diese einst sehr anerkannte Großgruppe wird neuerdings aufgrund der Etablierung der Häutungstiere (Ecdysozoa) als Abstammungsgemeinschaft angezweifelt. Innere Systematik Klasse Sipunculidea Ordnung Sipunculiformes Familie Sipunculidae Ordnung Golfingiiformes Familie Golfingiidae Familie Phascolionidae Familie Themistidae Klasse Phascolosomatidea Ordnung Phascolosomatiformes Familie Phascolosomatidae Ordnung Aspidosiphoniformes Familie Aspidosiphonidae Literatur Hynek Burda, Gero Hilken, Jan Zrzavý: Systematische Zoologie. UTB, Stuttgart; : 1. Aufl. 2008, Seite 121, ISBN 3-8252-3119-4 Einzelnachweise Weblinks Sipuncula Taxa with Synonyms (en.) Ringelwürmer
Q205712
227.947133
136882
https://de.wikipedia.org/wiki/Gravur
Gravur
Gravuren sind Einschneidungen von Ornamenten, Schriften und Verzierungen in Metallen, wie z. B. Messing, Kupfer und Silber; Stahl, Glas, Stein, und anderen festen Werkstoffen. Der Beruf zu einer Ausbildung heißt Graveur. Die formgebende Bearbeitung von Holz, Elfenbein und anderen weichen Materialien bezeichnet man in der Regel als Schnitzen. Die klassische Handgravur auf metallischen Oberflächen oder auf Glas wird mit dem Stichel als Werkzeug (oder Schleifwerkzeug bei Glas) ausgeführt. Ziel ist es, durch Abtragen von Material eine Oberflächenstruktur zu schaffen, die sich gegen den Hintergrund abhebt. Die mit den verschiedenen Formen des Stichels geschaffenen Vertiefungen können zusätzlich mit Farbpaste ausgelegt und optisch hervorgehoben werden. Diese spezielle Technik wird z. B. seit Jahrhunderten in der künstlerischen Drucktechnik angewendet. Bei Metallen, z. B. Silber, wird ein ähnlicher Effekt durch eine spezielle Aufschmelztechnik erzeugt (Niellotechnik oder Schwarzfleck). Grundlagen Die Gravur, ob per Hand oder per Maschine, ist eine spanende Bearbeitung, die lokal Material vom Werkstück abträgt. Bei der Glasgravur ist dies auch der Fall, da der Vorgang des Schleifens unter dem Mikroskop gesehen ein mehrfacher, durch die Schleifkörper verursachter Schneidvorgang ist. Dies unterscheidet die Gravur deutlich von der Radierung, Ritzung oder der Punzierung (z. B. beim Treiben von Kupfer), die technisch gesehen Einprägungen sind. Hier erfolgt der Arbeitsvorgang ausschließlich spanlos. Dies drückt sich besonders bei der Ausdrucksweise einer Darstellung im unterschiedlichen Duktus bzw. Manier aus. Während bei einer Radierung oder Ritzung die Linienstärke nur schwach veränderbar ist, kann bei einem Stich mit dem Stichel die Linienstärke von sehr dünn bis sehr breit ausgeführt werden. Gravierung im Bereich der Tafelmalerei Viele mittelalterliche Goldgrundbilder besitzen gravierte Goldgründe. Die Möglichkeiten dieser Verzierungsform sind groß. Sie reichen von einfachen Linienornamenten, Zickzacklinien, sogenannte Wuggelungen oder auch Tremolierungen bis zu stilisierten Pflanzen- oder Tiermotiven. Diese Gravierungen erfolgten vor der Vergoldung mit unterschiedlich geformten Graviereisen, indem man die Formen aus der dick aufgetragenen Grundierung »herausschnitt«. Als Vorbilder dienten reich ornamentierte Brokatstoffe, die seit dem 14. Jahrhundert im Handel waren. Früheste Beispiel dieser Technik finden sich an katalanischen Malereien des späten 13. Jahrhunderts. Im süddeutschen Raum findet man diese Technik erstmals ab 1400. Ihren Höhepunkt hat sie im 15. Jahrhundert. Eine spezielle Technik der Gravierung ist das Wuggeln, Stelzeln oder wie man heute sagt das Tremolieren. Beim Tremolieren arbeitet der Künstler mit einem Flach- oder Hohleisen und drückt es in Links- und Rechtswendungen leicht in die grundierte Fläche. Dadurch entsteht ein zickzackförmiger Abdruck. Diese Technik setzt sich nach 1450 nördlich der Alpen allgemein durch. Nach dem Verzieren erfolgte der Bolusauftrag, die Vergoldung und das Polieren. Unmittelbar nach dem Polieren der Goldoberfläche erfolgte das Trassieren, d. h. das Eindrücken ornamentaler Linien in die Goldoberfläche. Gravur im Bereich des Vergolders Auch bei der Polimentvergoldung kommt die sogenannte Kreidegrundgravur vor. Der Untergrund, z. B. eine Sperrholzplatte, wird zuerst mit warmer Leimtränke bestrichen, dass sich die Poren öffnen und die Holzfasern aufstellen. Dadurch gibt es eine bessere Verbindung zwischen Untergrund und Kreidegrund. Nun beginnt das Auftragen des Steingrundes, welcher aus Hasenleim und Steinkreide besteht. Gegebenenfalls wird etwas Venezianerterpentin hinzugefügt, um die Bindung zu verbessern. Grobe Unebenheiten werden mit einem Kreidekitt geebnet. Dann erfolgt das zügige Auftragen des Weißgrundes, der aus einer Kombination von Hautleim, Champagnerkreide, Chinakreide und/oder Bologneserkreide besteht. Der Auftrag wird etwa 20-mal wiederholt, bis eine etwa 1 mm dicke Schicht entstanden ist. Geschlossene Räume und eine Weißgrundtemperatur von max. 40 °C sind wichtig, um Nissen zu vermeiden. Diese sind kleine Luftbläschen, die sich erst beim Trocknen des Kreidegrundes bemerkbar machen. Sie dürfen keineswegs zugespachtelt werden, da sonst eine ungleichmäßige Oberflächenspannung entsteht, was zu Rissen führt. Die Oberfläche wird mit Schleifpapier unterschiedlicher Körnung geglättet, damit die optimale Haftung des Blattgoldes gewährleistet ist und um den Charakter massiven Metalls perfekt imitieren zu können. Dann beginnt die eigentliche Gravur. Mit einem Gravurhaken werden Ornamente oder Muster in den harten Kreidegrund graviert. Dabei muss man äußerst aufpassen, nicht abzurutschen, denn eine Korrektur ist, außer man trägt erneut Kreidegrund auf, nicht möglich. Dann wird das gelbe und für eine Glanzvergoldung später zusätzlich das rote Poliment aufgetragen. Den roten Bolus trägt man zweimal auf. Der Auftrag erfolgt mit einem feinen Haarpinsel im Kreuzzug. Das Poliment besteht aus dem farbigen Bolus (Tonerde) und Gelatine. Früher wurde das Poliment mit Eigelb gebunden. Nun ist der Haftgrund für die Vergoldung gegeben. Nach dem Vergolden sind kleinste Kratzer und Unebenheiten sofort zu erkennen. Diese Technik ist anstrengend und sehr zeitaufwändig. Elektrogravur Ein besonderes Verfahren ist die Elektrogravur, bei der durch einen schwingenden Stift in kurzen Abständen Funken erzeugt werden, die das Material nur oberflächlich durch Schmelzen und Verdampfen verändern. Entsprechende Werkzeuge erzeugen die Schwingungen durch einen Magnetanker im Wechselfeld eines Elektromagneten und liefern zugleich den erforderlichen Stromfluss, der bei jeder Berührung eine Materialveränderung auf der zu gravierenden Metallfläche verursacht. Das Verfahren ist verwandt mit dem Erodieren, wird jedoch meist von Hand und ohne dazwischen befindliche Flüssigkeit ausgeführt. Anwendungen sind u. a. das Eingravieren von Serien- und Chargennummern in Maschinenteile. Maschinengravur Bei der Fertigung von Schildern oder im Formenbau findet die Maschinengravur Anwendung, bei welcher das Material durch rotierende Fräser (Frässtichel) abgetragen wird. Zur Herstellung dauerhafter Schilder können aus verschiedenfarbigen Schichten bestehende Plastwerkstoffe eingesetzt werden, wobei die Gravurtiefe bis in eine andersfarbige Schicht hineinreicht. Auch Leiterplattenprototypen können auf diese Weise hergestellt werden. Mit dem Einsatz computergesteuerter Graviermaschinen können diverse Vektordateiformate eingesetzt werden. Die Vektordaten ermöglichen es eine verlustlose Replikation der Gravurmotive, die mit der manuellen Fertigung nicht möglich wären. Lasergravieren Die modernste Graviertechnik ist die Lasergravur, hierbei wird das Material durch den auftreffenden Laserstrahl so stark erhitzt, dass es die Farbe kontrasterzeugend ändert, verdampft oder verbrennt. Anwendungsgebiete sind die dauerhafte Markierung elektronischer Bauelemente, Frontplatten, Typenschilder oder die Beschriftung von Computertastaturen. Auch die Gravur von Trinkgläser und von Flutlichtschildern aus Plexiglas sind Anwendungsgebiete. Der Laserstrahl wird dabei der Kontur nachgeführt oder mit einem Laserscanner zeilenweise über das Werkstück geführt, dabei wird der Laser in schneller Folge ein und ausgeschaltet, um an den erforderlichen Stellen einen Abtrag hervorzurufen. Durch Steuerung der Pulsfolge oder -energie ist es sogar möglich, Halbtöne zu erzeugen und auf diese Weise z. B. Fotos auf Metall- oder Glasoberflächen zu übertragen. Ein weiteres Verfahren ist die Maskengravur, bei der eine im Laserstrahl liegende, die Vorlage bildende Maske verkleinert auf dem Werkstück abgebildet wird. Diese Maske kann feststehend oder eine sich wie ein Typenrad drehende Folge von Zeichen sein. Der Laserpuls ist dabei so energiereich und kurz, dass er mit einem einzigen Puls die gesamte abgebildete Kontur der Maske abträgt. Ein besonderes Verfahren ist die Glasinnengravur um im inneren eines Glasblockes ein dreidimensionales Bild zu erzeugen. Dafür wird ein Laserstrahl stark aufgeweitet und im Inneren des Glases auf einen mikroskopischen Punkt fokussiert, an dieser Stelle wird das Glas undurchsichtig milchig. Durch eine Vielzahl an Punkten ergibt sich so ein Bild. Weblinks Bundesinnungsverband der Galvaniseure Graveure und Gürtler Lasergravieren im Veredelungslexikon der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig Einzelnachweise Beschriftungstechnik Drucktechnik (Kunst) Radierung
Q139106
206.754681
46791
https://de.wikipedia.org/wiki/Rhodos
Rhodos
Rhodos ( ; , ) ist mit rund 1401 Quadratkilometern die viertgrößte Insel Griechenlands und die Hauptinsel der griechischen Inselgruppe Dodekanes in der Südost-Ägäis. Nach der Volkszählung von 2011 hatte die Insel 115.490 Einwohner. Davon lebt fast die Hälfte in der Stadt Rhodos, dem Hauptort und touristischen Zentrum im Norden. Die Einwohner heißen Rhodier. Das Wappentier von Rhodos ist der springende Hirsch, der Elafos genannt wird. Die Insel bildet seit der Verwaltungsreform 2011 die Gemeinde Rhodos und zusammen mit den Inselgemeinden Megisti, Symi, Tilos und Chalki den Regionalbezirk Rhodos (), der 20 Abgeordnete in den 51-köpfigen Regionalrat der Region Südliche Ägäis entsendet. Name Der Name Rhodos leitet sich nicht von altgriechisch ‚Rose‘ ab, sondern ist vorgriechisch. Eher besteht ein Zusammenhang mit dem wohl phönizischen Ursprung des neugriechischen Wortes für Granatapfel, (rodia). Bis 1982 wurde der Name im Neugriechischen wie im Altgriechischen mit dem Hauchzeichen (Spiritus asper) geschrieben, was im Deutschen durch h wiedergegeben wird (Rhodos). Geographie Lage Rhodos liegt auf der Trennlinie zwischen der inselreichen Ägäis, von der es einen Teil des Südostrandes bildet, und dem inselarmen Levantischen Meer, beides Teilmeere des Mittelmeers. Rhodos ist 78 km lang und 38 km breit. Ihr Zentrum ist von Athen, der griechischen Hauptstadt auf dem europäischen Festland, rund 430 km entfernt. Von der Nordwestküste am Rhodes International Airport (Diagoras) sind es in Richtung Norden bis zur türkischen Südwestküste nur etwa 17,5 km, was die geringste Entfernung der Insel zu Kleinasien ist. Der Westküste sind die kleineren Inseln Chalki (9 km) und Alimia (7 km) sowie weitere sogenannte Schäferinseln vorgelagert. Landschaftsbild Die Landschaft ist insbesondere im Inneren von Bergen und Kiefernwäldern geprägt. Die höchsten Erhebungen sind der Attavyros mit über dem Meer, der Akramitis mit , sowie der Profitis Ilias mit . Die bis an die Küsten reichenden Berge fallen meist steil zum Meer ab. Der Süden und Norden der Insel sind deutlich flacher. Im Süden liegt die kleine Halbinsel Prasonisi. Klima Rhodos zählt mit über 3000 Sonnenstunden im Jahr zu den sonnigsten Regionen Europas. Von Mitte Mai bis Mitte September ist kaum Regen zu erwarten. Die ausreichende Wasserversorgung ist dank der Kalkgebirge ganzjährig gesichert. Unter anderem werden auch die Nachbarinseln Symi und Chalki durch Schiffslieferungen mitversorgt. In den Monaten Juli und August sind Temperaturen bis 40 °C nicht nur im Landesinneren keine Seltenheit. Der Seewind kühlt allerdings an der Westküste die Temperaturen auf etwa 28 bis 32 °C, an der Ostküste sind dann meist 35 bis 40 °C zu erwarten. Die relativ niedrige Luftfeuchtigkeit macht die Hitze erträglich. Nachts sinken die Temperaturen auf 23 bis 20 °C. Die Wassertemperatur erreicht im August etwa 27 °C. Baden ist bis in den November möglich. Die kühlste Zeit ist in den Monaten Januar und Februar. Tagsüber liegen die Temperaturen zwischen 12 und 18 °C, nachts bei 8 bis 12 °C. Frost kann praktisch ausgeschlossen werden, obwohl auf dem Attavyros (1.215 m), dem höchsten Berg auf Rhodos, manchmal Schneefall zu verzeichnen ist. Die tiefsten Wassertemperaturen werden Ende Februar bzw. Anfang März mit 16 bis 17 °C erreicht. Verwaltungsgliederung bis 2011 Von 1997 bis 2010 war die Insel Rhodos nach dem Kapodistrias-Programm in zehn Gemeinden mit insgesamt 43 Gemeindebezirken untergliedert. Die Umsetzung der Verwaltungsreform 2010 führte die ehemaligen Gemeinden der Insel zur neu geschaffenen Gemeinde Rhodos (Dimos Rodou Δήμος Ρόδου) zusammen mit dem Verwaltungssitz in der Stadt Rhodos. Die bisherigen Gemeinden bilden seither Gemeindebezirke, diese wiederum untergliedern sich je nach Einwohnergröße in Stadtbezirke oder Ortsgemeinschaften. Mythologie Der griechischen Mythologie zufolge soll Rhodos aus dem Meer entstanden sein. Eines Tages beschloss der Göttervater Zeus, sein Reich unter den Göttern des Olymp aufzuteilen. Der Sonnengott Helios wünschte sich eine fruchtbare Insel, die er auf seinen Reisen um die Erde gesehen hatte. Er bekam die gewünschte Insel und nannte sie Rhodos, nach der bezaubernden Nymphe Rhode, die dort lebte. Später nahm Helios Rhode zur Frau. Das Paar soll sieben Söhne gehabt haben, die sogenannten Heliadai. Der Älteste von ihnen soll wiederum drei Söhne gehabt haben, die in die Geschichte als die Gründerväter der Insel Rhodos eingingen: Kameiros, Ialysos und Lindos. Insbesondere in der älteren Forschung wollte man die biblischen Rodanim, Nachkommen Jawans, mitunter auf Rhodos lokalisieren. Geschichte Besiedlung Rhodos ist spätestens seit der Jungsteinzeit besiedelt, als die Siedlung Ialysos entstand. Menschliche Überreste aus dem Neolithikum fanden sich in Neolithischen Höhlen von Rhodos wie der Kalythies-Höhle. Bedeutendere Ansiedlungen entstanden während der frühen Bronzezeit (etwa 2800–2000 v. Chr.). Ab dem frühen 2. Jahrtausend ließen sich Minoer nieder, die im 16. Jahrhundert die Siedlung Trianda im Nordwesten gründeten. Im 14. Jahrhundert v. Chr. kamen Mykener auf die Insel, wobei ihre zahlreichen Gräber auf eine Kolonisierung hinweisen. Ab dem 11. Jahrhundert v. Chr. ließen sich dorische Griechen auf Rhodos nieder. Von diesen wurden später auch die drei Städte Ialysos, Kameiros und Lindos gegründet. In Lindos befanden sich Tempel mit überregionaler Bedeutung. Rhodos lag an einem stark frequentierten Seeweg von Griechenland in die Levante und konnte dank seiner guten Häfen vom Fernhandel profitieren. Von den rhodischen Städten wurden Kolonien gegründet, wie Gela auf Sizilien und Phaselis in Lykien. Bündnisse Die drei Städte Ialysos, Kameiros und Lindos hatten als eigenständige Poleis lange Zeit große Bedeutung. Sie schlossen mit Kos und den festländischen Städten Knidos und Halikarnassos einen Sechsstädtebund, der über Jahrhunderte Bestand hatte, die Dorische Hexapolis. Spätestens in der Archaik galt Rhodos als integraler Bestandteil der griechischen Welt und wurde dementsprechend auch in der Ilias erwähnt: Am Krieg der Griechen gegen Troja soll sich Rhodos laut Homer mit neun Schiffen unter der Führung des Tlepolemos beteiligt haben. Nach der Niederlage des benachbarten Lydien gegen die Perser 546 v. Chr. geriet Rhodos in den Einflussbereich des Perserreichs der Achämeniden. Gegen dieses Reich beteiligten sich die von lokalen Tyrannen geführten Poleis der Insel am gescheiterten ionischen Aufstand der übrigen Griechenstädte Kleinasiens (500–494), doch mussten sie sich 490 v. Chr. unterwerfen. Nach der Niederlage der Perser bei Plataiai 479 v. Chr. traten die drei Städte von Rhodos 478 v. Chr. dem attischen Seebund bei und befreiten sich so von persischer Herrschaft. 412 bis 411 v. Chr. erhob sich die Insel gegen die athenische Vorherrschaft und wechselte auf die Seite Spartas. Eigenstaatlichkeit (ab 408/407 v. Chr.) 408/407 v. Chr. begann eine neue Epoche in der Geschichte der Insel: Die drei Städte schlossen sich zusammen und gründeten gemeinsam eine neue Stadt an der Nordspitze der Insel, wo sich die Stadt Rhodos befindet. Damit wurde die Insel ein zusammenhängendes Herrschaftsgebiet. Gebaut wurde nach den Plänen des Hippodamos von Milet, eines berühmten Städteplaners seiner Zeit. Schon im nächsten Jahrhundert überflügelte die Neugründung sogar Athen als Handelsplatz. Das Herrschaftsgebiet der Rhodier erweiterte sich um Besitzungen auf dem Festland (Rhodische Peraia), für die eigene Silbermünzen nach dem Vorbild der Prägungen auf der Insel mit Helioskopf und Rose, vermutlich in Kaunos, geprägt wurden. Nach der Auflösung des Attischen Seebunds 404 v. Chr. wurde Rhodos vollständig unabhängig. Als 395 v. Chr. die pro-spartanischen Diagoridai von einer pro-athenischen Faktion gestürzt wurden, kam es zu einem Bürgerkrieg. Die Insel bewahrte im Antalkidasfrieden 387 v. Chr. ihre Unabhängigkeit gegenüber Persien und wurde 378/377 v. Chr. erneut Bündnispartner Athens, doch drängte sie der Karer Maussolos als persischer Satrap aus dem Bündnis. Rhodos verbündete sich 364 v. Chr. mit Theben gegen den Zweiten Attischen Seebund. 357 bis 332 v. Chr. dominierten wiederum die Karer. Im Krieg Makedoniens gegen Athen und Theben stand Rhodos auf Seiten Philipps II. Nach dem Tod seines Sohnes, Alexanders des Großen, der die Insel 332 v. Chr. mit einer auf Ablehnung stoßenden Besatzung ausstattete, wurde sie wieder unabhängig. Die Gründung der hellenistischen Staaten intensivierte den Handel im östlichen Mittelmeer, wovon Rhodos, das Delos in dieser Rolle ablöste, stark profitierte. Der Feldherr und Sohn des makedonischen Diadochen Antigonos, Demetrios I. Poliorketes, belagerte Rhodos 305/304 ein Jahr lang, weil die Stadt sich weigerte, ein Bündnis gegen die ägyptischen Ptolemäer einzugehen und die Flotte des Demetrios aufzunehmen. Dazu errichtete dieser die größte Belagerungsmaschine der Antike, die Helepolis, brach die Belagerung jedoch kurz vor dem endgültigen Durchbruch ab. Aus dem Verkauf der Belagerungsmaschinen konnte Rhodos den Bau des Kolosses von Rhodos finanzieren, eines der sieben Weltwunder, das etwa 34 m hoch war. Allerdings fiel er einem Erdbeben im Jahre 227 v. Chr. zum Opfer. Er stand hier einer späteren Legende zufolge über der Hafeneinfahrt zum Mandraki-Hafen. Moderne Forschungen gehen jedoch von einer Statue auf nur einem Sockel und an einem anderen Standort, in der Stadt, aus. Der Koloss stellte den Sonnengott Helios dar, dem die Insel geweiht war und dem der Sieg von 304 zugeschrieben wurde. Die Insel wurde in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts zur stärksten Seemacht in der Ägäis, während die Ptolemäer ihre Vorherrschaft trotz des fortbestehenden Bündnisses mit Rhodos einbüßten. Zugleich wurden die Festlandsstädte integraler Bestandteil des rhodischen Territoriums und ihre Bürger in die insularen Demen integriert. Dies galt auch für eine Reihe von Inseln, wie Karpathos. Im Hellenismus erlebte Rhodos seine größte Blüte. Durch eine geschickte Politik der Anlehnung an Rom konnte die Insel im frühen 2. Jahrhundert v. Chr. zu einer sehr wohlhabenden Handelsmetropole aufsteigen. 188 wurde es für seine Unterstützung Roms gegen die Seleukiden in der Schlacht bei Apamea mit Besitzungen in Karien und Lykien belohnt. Eingliederung in das Römische Reich 168 v. Chr. versuchte Rhodos, zwischen Rom und dem makedonischen König Perseus zu vermitteln, statt die Römer bedingungslos zu unterstützen. Dadurch verlor die Insel, ähnlich wie auch Pergamon, die Gunst der neuen Großmacht. Der römische Senat erwog sogar einen Krieg und beschloss dann 167/166 die Einrichtung eines Freihafens auf der Insel Delos, was Rhodos empfindlich traf, das zudem seinen Festlandbesitz verlor. 164 v. Chr. trat Rhodos in ein ungleiches Bündnis mit Rom ein, was das Ende seiner Rolle als unabhängige Macht bedeutete. Doch blieben seine Flotte und seine Rolle im Fernhandelszentrum, vor allem als Zentrum des Getreidehandels, bis Anfang des 1. Jahrhunderts v. Chr. bedeutend. Da die Römer keine ständige Flotte in der Ägäis unterhielten, übernahm Rhodos für sie 155 – 153 v. Chr. die Aufgabe der Bekämpfung der kretischen Piraten. Gleichzeitig wurde Rhodos zu einem bedeutenden Bildungszentrum, wo vor allem römische Aristokraten studierten. Erst später verlagerte sich das Zentrum des Ost-West-Handels zwischen Syrien und Italien, vor allem des Sklavenhandels, nach Delos. Einer Belagerung während des 1. Mithridatischen Krieges hielt Rhodos 88 v. Chr. stand. Die Römer unter dem Caesarmörder Cassius, der einst auf der Insel Rhetorik studiert hatte, eroberten und plünderten die Stadt Rhodos während des Bürgerkrieges im Jahr 43 v. Chr., doch gliederte Rom die Insel erst unter Kaiser Vespasian 74 n. Chr. zusammen mit Lykien auch formal seinem Reich an. Fortan gehörte Rhodos zur Provinz Lycia et Pamphylia; in der Spätantike war es Teil der Provinz Insulae der Diözese IV (Asiana). In der Zeit zwischen 168 v. und 74 n. Chr. war Rhodos wegen seiner philosophischen Schule und seiner Bildhauerei berühmt und prosperierte weiterhin ökonomisch. Bis zum schweren Erdbeben im Jahr 142 galt die Stadt als besonders schön. Byzantinische Zeit Mit der faktischen Teilung des Römischen Reichs im Jahr 395 wurde Rhodos Teil des Oströmischen Reichs, das später Byzantinisches Reich genannt wurde. Die byzantinische Herrschaft dauerte mit Unterbrechungen bis zum Jahr 1309. Zwischenzeitlich erlebte die Insel andere Herrscher, etwa eine zweijährige Besetzung durch Genuesen (1248–1250). 469 wurde die Insel wahrscheinlich von isaurischen Piraten geplündert. Im Jahr 653 oder 654 besiegte vor Rhodos erstmals eine arabische Flotte die der Oströmer, die Insel wurde von den Muslimen – wohl eher Syrern, Kopten und Griechen – erstmals geplündert. 672 wurde Rhodos vorübergehend von Alexandria aus besetzt, ebenso wie 674 Kreta. In der Zeit nach dem Ersten Kreuzzug plünderte Domenico Michiel, Doge der Republik Venedig, auf der Rückfahrt aus dem Heiligen Land 1124 einige byzantinische Inseln, darunter Rhodos. Mit dem vierten Kreuzzug 1204 fiel die Insel formal an Venedig, doch war sie bereits kurz zuvor unabhängig geworden. Unter Leon Gabalas führte sie innerhalb der Staatenlandschaft, in die das Byzantinische Reich seit 1204 zerfallen war, ein Eigenleben. 1232/1233 ließ Kaiser Johannes III. von Nikaia, einem der Teilreiche im Westen Kleinasiens, eine Expedition gegen die Insel ausstatten. Sie griff unter Führung des Megas Domestikos Andronikos Palaiologos, Stammvater der Dynastie der Palaiologen, die Insel an, doch Gabalas konnte sich noch bis in die 1240er Jahre halten. Er nannte sich „Kaisar“ und schloss im August 1234 ein Bündnis mit den Venezianern. In einem erneuten Wechsel der Fronten nahm Gabalas an der Belagerung Konstantinopels teil, durch die Johannes Vatatzes 1235 vergeblich versuchte, die alte Hauptstadt zurückzugewinnen. Gabalas geriet auch in Kämpfe mit Venedig. Spätestens 1248 muss Leon Gabalas tot gewesen sein, denn sein Bruder Johannes Gabalas nannte sich nunmehr „Herr“ der Insel (jedoch nicht mehr „Kaisar“). Im selben Jahr besetzten Genuesen die Insel, doch gelang es dem Kaiserreich Nikaia 1250, Rhodos wieder in seinen Besitz zu bringen, ebenso wie 1261 Konstantinopel. Johanniter 1306 schloss der Genuese Vignolo de‘ Vignoli, der im Dodekanes verschiedene Lehen innehatte und auf der seit 1250 oder 1261 zum Byzantinischen Reich gehörenden Insel Rhodos eine eigene Herrschaft errichten wollte, einen Vertrag mit den Rittern des Ordens Sankt Johannis. Für ihre Hilfeleistung bei der Umsetzung seiner Pläne sicherte er den Ordensrittern unter ihrem Großmeister Fulko de Villaret ein eigenes Herrschaftsgebiet auf der Insel zu. Diplomatisch abgesichert durch die Unterstützung des Papstes, der ihnen Rhodos 1307 als immerwährendes Eigentum zusprechen sollte, begannen die Johanniter mit der planmäßigen Eroberung der Insel. Neben byzantinischen Truppen waren dabei auch diverse genuesische Konkurrenten Vignolis und sogar eine Gruppe von Türken, die dem Beylik Mentesche unterstanden, ihre Gegner. Die Inbesitznahme von Rhodos nahm daher mehrere Jahre in Anspruch und endete mit der Unterwerfung der Griechen, der politischen Entmachtung der Genuesen und der Vertreibung der Türken. Nachdem der byzantinische Kommandant die belagerte Inselhauptstadt 1309 übergeben hatte, war die Eroberung von Rhodos im Wesentlichen abgeschlossen. Rhodos-Stadt wurde von den Johannitern stark befestigt und gegen diverse Attacken der umliegenden muslimischen Staaten verteidigt. 1440 und 1444 widerstand es den Angriffen der Mamluken unter Dschakmak, 1480 einem Großangriff der Osmanen (siehe auch Belagerung von Rhodos (1480)). Osmanen Erst unter Suleiman dem Gesetzgeber konnte die Inselfestung 1522 nach mehreren Monaten von den Osmanen mit schwerer Artillerie sturmreif geschossen werden, woraufhin die Ritter unter Großmeister Philippe de Villiers de l’Isle-Adam kapitulierten und zu Neujahr 1523 die Insel verließen. Unmittelbar nach der Eroberung wurde 1523 die Süleyman-Pascha-Moschee durch Sultan Süleyman erbaut. Die osmanische Herrschaft dauerte bis zum Mai des Jahres 1912. Innerhalb der Stadtmauern durften nur noch Osmanen und Juden leben, die Griechen lebten in den Vorstädten. Italienische Besetzung (1912–1943) Während des Italienisch-Türkischen Krieges besetzten Truppen des Königreichs Italien am 4. Mai 1912 Rhodos sowie in der Folge andere Teile des Dodekanes. Dies führte dazu, dass Rhodos nicht von dem griechisch-türkischen Abkommen von 1922 betroffen war, das die Zwangsumsiedlung der Türken Griechenlands in die Türkei und der kleinasiatischen Griechen nach Hellas vorsah: Auf Rhodos gibt es daher noch immer eine türkische, muslimische Minderheit. Seit der italienischen Besatzung 1912 wird die Hafeneinfahrt von den Statuen eines Hirsches (Elafos) und einer Hirschkuh (Elafina) begrenzt, die als neues Wahrzeichen von Rhodos gelten und der Legende nach dort stehen, wo sich im Altertum die Sockel des Kolosses von Rhodos befanden. Eine der Statuen wurde allerdings durch die römische Kapitolinische Wölfin ersetzt. Die entfernte Figur bekam einen neuen Platz auf einem kleinen Sockel am Rande des Mandraki-Hafens. Auf Postkarten war die Kapitolinische Wölfin an der Hafeneinfahrt oft als Motiv zu sehen. Auch der Großmeisterpalast in der Altstadt wurde wiedererrichtet. Da dieser aber in der anderthalbfachen Größe „wiedererbaut“ wurde, befindet sich die damals noch vorhandene Kirche jetzt an der Hafenpromenade. Besondere Bedeutung hatten die baulichen und stadtplanerischen Interventionen des Architekten Florestano Di Fausto. Mit dem Vertrag von Lausanne im Juli 1923 wurde der Dodekanes als Italienische Ägäis-Inseln zum Hoheitsgebiet Italiens. Deutsche Besatzung (1943–1945) und Deportation der Juden Nach dem Waffenstillstand von Cassibile folgte die Kriegserklärung Italiens an das Deutsche Reich. Daraufhin besetzten Truppen der Wehrmacht im Herbst 1943 die Inseln. Die italienische Lokalverwaltung auf den Ägäis-Inseln blieb jedoch bestehen. In der Zeit der deutschen Besatzung wurden vor allem militärische Einrichtungen angelegt, wie die Stellungen am Berg Filerimos oder die zahllosen Bunker an der Ostküste. Auch kann man zwischen Archangelos und Lindos die Überreste eines Flugplatzes der deutschen Luftwaffe ausmachen. Zwar war die jüdische Gemeinde auf Rhodos zunächst von antijüdischen Maßnahmen weitgehend verschont geblieben, am 13. Juli 1944 aber ordnete Generalleutnant Ulrich Kleemann, der auf der Insel stationierte Kommandant Ost-Ägäis, die Inhaftierung der Juden an. Ein wesentlicher Grund für diese Anordnung war der rasche Verfall der auf Rhodos gültigen italienischen Lira, der es den deutschen Besatzern zunehmend erschwerte, die laufenden Kosten für die Besatzung zu decken und die für die Truppe notwendigen Güter einzukaufen. Das Hab und Gut der Juden war daher als begehrtes Tauschobjekt dazu ausersehen, Zahlungsschwierigkeiten und Versorgungsengpässe auf deutscher Seite zu verhindern. Die Deportation der rhodischen Juden begann am 24. Juli 1944. Zunächst wurden sie auf dem Seeweg nach Piräus gebracht, von dort erfolgte der Weitertransport per Bahn in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau, wo sie am 16. August 1944 ankamen. Insgesamt waren 1673 jüdische Bewohner von Rhodos und 94 von der benachbarten Insel Kos deportiert worden. 54 Juden auf Rhodos und 6 auf Kos hatten es geschafft, der Deportation zu entgehen. Nur 151 Angehörige der Gemeinde auf Rhodos und 12 derjenigen auf Kos überlebten. 1947 zählte Rhodos noch 60 jüdische Einwohner, Kos nur mehr einen. Bis zum Kriegsende blieb Rhodos unter deutscher Herrschaft. Die Insel wurde jedoch von britischen Seestreitkräften vollständig blockiert und konnte aus der Luft nur unzureichend versorgt werden. Nach der bedingungslosen Kapitulation der Wehrmacht gingen die deutschen Truppen am 9. Mai 1945 in britische Kriegsgefangenschaft. Nachkriegszeit Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Rhodos und die anderen Inseln des Dodekanes zunächst ein Protektorat unter britischer Aufsicht. 1947 wurden sie an das Königreich Griechenland angeschlossen. Wirtschaft, Infrastruktur und Bildung Hauptwirtschaftszweig ist der Tourismus (etwa 85 %). Landwirtschaftlich wird die Insel vor allem für Wein- und Oliven-Anbau genutzt. Ein Teil des rhodischen Weins wird ins Ausland exportiert (die zwei größten Kellereien Cair und Emery S. A. exportieren rund 5 %). Halbwilde Ziegen und Schafe bevölkern die Insel außerhalb der Siedlungen. Aus ihrer Milch wird Käse zubereitet. Verkehr Insbesondere im Norden fahren regelmäßig Busse in die Stadt Rhodos. Der touristisch weniger erschlossene Süden ist hingegen nicht gut an das Busnetz angebunden. Zahlreiche Taxen ermöglichen es, alle Orte der Insel problemlos zu erreichen. Schiffsverbindungen, zum Teil Auto-Fähren, gibt es täglich zu den benachbarten Inseln und in die Türkei. Die Passagen sind, besonders wenn ältere Boote bevorzugt sind, sehr günstig. Der meiste Verkehr zwischen den Inseln und dem Festland wird mit großen Katamaranen abgewickelt, die erheblich schneller als die Dampfer sind. Der Flughafen Rhodos (Rhodes International Airport, Diagoras-Airport) ist 16 km von Rhodos Stadt entfernt. Fernsehen Auf Rhodos gibt es die Regionalsender TV7, Kanali 4, Rhodos TV, Rhodos Cosmos, Tharri TV, Omega TV, Rhodos Channel und Irida TV. Bildung Die Universität der Ägäis hat den Sitz ihrer humanwissenschaftlichen Fakultät auf Rhodos, auch bekannt als „Universität von Rhodos“. Der deutschsprachige Verein ELGESEM (griechisch-deutschsprachiger Verein für Wissenschaft und Bildung) unterhält eine Schule für deutschsprachige Kinder im Alter von 3 bis 17 Jahren. Religion Die größte Religionsgemeinschaft auf Rhodos ist die griechisch-orthodoxe Kirche. Rund 90 % der Bevölkerung bezeichnen sich als gläubige Orthodoxe; die restlichen 10 % verteilen sich auf die römisch-katholische Kirche, den Islam und das Judentum. Seit 1928 gibt es das römisch-katholische Erzbistum Rhodos, das seit 1970 vom Erzbischof von Athen als Administrator verwaltet wird. In der Innenstadt von Rhodos gibt es die Franz-von-Assisi-Kathedrale. Die ehemalige Kathedrale (Our Lady of the Castle) von Rhodos, die sich in der Altstadt am Beginn der Ritterstraße befindet, beherbergt heute ein Museum. International bekannt ist die Muttergottes vom Berg Philermos. Sehenswert ist die Marienkirche in Lindos. Das Jüdische Museum Rhodos ist ein kleines Museum in der Stadt Rhodos, das die lokale Geschichte des Judentums dokumentiert. Eröffnet wurde das Museum 1977 in einem Anbau der 1577 erbauten Kahal-Shalom-Synagoge in der Polydorou-Straße, 2006 wurde es grundlegend renoviert und wird seitdem von der Israelitischen Gemeinde von Rhodos betreut. Bekannte Sakralbauten auf Rhodos sind unter anderem: Agios Nikolaos Foundoukli, byzantinische Kapelle (15. Jh.) Franz-von-Assisi-Kathedrale, römisch-katholische Kathedrale des Erzbistums Rhodos (1936–1939) Kahal-Shalom-Synagoge, jüdische/sephardische Synagoge (16. Jh.) Marienkirche mit der Panagia von Lindos, (15. Jh.) Süleyman-Pascha-Moschee, osmanische Moschee (16. Jh.) Tsambika, orthodoxes Marienkloster (19. Jh.) Sport Der AS Rhodos spielt in der Football League 2, der dritthöchsten Fußballklasse des Landes. In den frühen 1980er Jahren spielte er in der höchsten Spielklasse. Ein weiterer Fußballverein auf Rhodos ist der Diagoras F.C., der in den späten 1980er Jahren ebenfalls die erste Liga erreichte, die Alpha Ethniki. 2009 erreichte dieser Verein in der Beta Ethniki, der zweiten griechischen Liga, den achten Platz. Die Basketball-Mannschaft Kolossos Rhodos spielt in der A1 Ethniki, der ersten griechischen Liga. Eine für griechische Verhältnisse lange Tradition im Tennis und im Fahrradsport ist ebenfalls vorhanden. Aufgrund der starken saisonalen Winde in diesem Teil der Ägäis ist der Segelsport stark ausgeprägt. Segelregatten wie die Aegean Regatta werden in regelmäßigen Abständen auch mit Rhodos als Etappe ausgetragen. Des Weiteren hat sich entlang des nördlichen Teiles der Westküste von Rhodos sowie am südlichsten Punkt der Insel, Prasonisi, eine Wind- und Kitesurf-Szene entwickelt. An einigen Buchten der windabgewandten Ostseite wie Kallithea bestehen viele Tauchschulen. 2007 war Rhodos Gastgeber der Island Games und belegte dabei den zweiten Platz. Tourismus und Sehenswürdigkeiten Rhodos gehört neben Kreta zu den wichtigsten touristischen Regionen in Griechenland. Saison ist von Anfang Mai bis Ende Oktober. Der Tourismus konzentriert sich eher auf die nördliche Hälfte der Insel, jedoch wird der Süden mehr und mehr touristisch erschlossen. Rhodos-Stadt Etwa die Hälfte der Inselbewohner lebt im Hauptort Rhodos, dem touristischen Zentrum an der Nordspitze der Insel. Die Altstadt mit Großmeisterpalast und mächtigen Stadtmauern wurde von der UNESCO zum Weltkulturerbe ernannt. Der Palast beherbergt unter anderem Mosaike und eine Kopie der Laokoon-Gruppe. Die touristisch genutzten Strände der Stadt sind überwiegend der Westküste zuzuordnen. Westseite Von Rhodos-Stadt aus gesehen ist fast die gesamte Westküste bis Ialysos eine Kette von Hotels, Diskotheken und Bars. In Trianda (1967 noch ein beschauliches kleines Dörfchen, das gemäß Namen aus 30 noch vorhandenen Sommervillen an der Küstenstraße bestand) kann man zum Filerimos, einer Anlage der italienischen Franziskaner, sowie zu den Ruinen von Ialysos abbiegen. Im Nordwesten der Insel, etwas im Inneren gelegen, befindet sich das Tal der Schmetterlinge (πεταλούδες, Petaloudes), das gegen Eintritt besucht werden kann. In diesem Tal ist der Russische Bär, auch bekannt als Spanische Flagge (Euplagia quadripunctaria), die zur Familie der Bärenspinner gehört, in großer Zahl anzutreffen. Grund dafür ist, dass dieses Tal von einem bedeutenden Vorkommen des Orientalischen Amberbaums (Liquidambar orientalis) besiedelt wird, dessen Harzgeruch die Schmetterlinge anzieht. Der Gepunktete Harlekin ist insbesondere durch seine leuchtend rote Farbe auf der Flügelunterseite zu erkennen. Die Population hat in den letzten Jahren drastisch abgenommen, da die Falter durch die Touristen am Tag nicht zur Ruhe kamen, um die nötige Energie für die nächtliche Paarung zu sammeln. Ebenfalls auf der Westseite der Insel befinden sich die Ruinen der Stadt Kameiros. Weiter im Süden, direkt an der Küste, liegt einer der drei Punkte, an denen die Johanniter ihre Insel verteidigten. Auf einem Felsendom, dessen Felswände bis zu 240 m hoch ragen, liegt die Ruine von Monolithos mit Resten der alten Burg, in der sich später ein Kloster befand. Noch steht dort eine kleine Kapelle. Ostseite Das Zentrum des Tourismus liegt auf der Ostseite der Insel. Grund dafür sind die klimatischen Verhältnisse, da auf der Westseite viel stärkerer Wind herrscht und stärkerer Wellengang. An der Ostküste südwärts von Rhodos-Stadt befinden sich die Thermen von Kallithea, die rekonstruiert und im Sommer 2007 neu eröffnet wurden. Etwas weiter südlich liegt die Region um Faliraki, die Hochburg des Tourismus. Der Ort bestand noch 1970 aus einem kleinen Dorf. Für kulturell und historisch interessierte Besucher hat die Stadt nichts zu bieten. Eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten der Insel ist die Stadt Lindos mit der Akropolis. Sie kann gegen Eintritt besichtigt werden und ist nach der Akropolis von Athen die meistbesuchte Akropolis Griechenlands. Sehenswert sind die zahlreichen Kapitänshäuser sowie die Marienkirche mit zahlreichen Fresken. Weiter die Küstenstraße nach Süden folgen Urlaubsorte (Kolymbia, Gennadi). In Kattavia ist die Abzweigung nach Prasonisi erreicht, eine Halbinsel, die über eine manchmal vom Meer überspülte Sandbank mit dem Südende der Insel Rhodos verbunden ist. Siehe auch Antirhodos Hic Rhodus, hic salta Literatur Geologie Ulrich Linse: Die Insel Rhodos (Griechenland). Geologische Stratigraphie und politische Strategie. Zweihundertfünfzig Jahre Forschungs-Geschichte (1761–2008). Verlag Documenta Naturae, München 2008, ISBN 978-3-86544-552-0. Flora und Fauna Thomas Bader, Christoph Riegler, Heinz Grillitsch: The herpetofauna of the Island of Rhodes (Dodecanese, Greece) / Die Herpetofauna der Insel Rhodos (Dodekanes, Griechenland). In: Herpetozoa. 21 (2009), S. 147–169 (). Michael Hassler, Bernd Schmitt: Flora of Rhodes (online). Quellen Leza M. Uffer (Hrsg.): Peter Füesslis Jerusalemfahrt 1523 und Brief über den Fall von Rhodos 1522. In: Mitteilungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich. 50/3, 1982. Geschichte Χριστόδουλος Παπαχριστοδούλου: Ιστορία τής Ρόδου: Από τούς προϊστορικούς χρόνους έως τήν ενσωμάτωση τής Δωδεκανήσου (1948). Δέμοδ Ρόδου, Σεγέ Γαμματόν καί Τεχόν Δώδεκανήσου, Αθήνα 1994. (Σείρα αυτότελόν εκδορεόν. αρ. 1). Christódoulos Papachristodoúlou: Geschichte von Rhodos. Von der Vorgeschichte bis zur Eingliederung des Dodekanes. (Enosis, 1948). Athen 1994, ISBN 960-85568-0-5. Mario Benzi: Rodi e la civiltà micenea. In: Incunabula Graeca. 94, Gruppo Ed. Internazionale, Rom 1992 . 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Weblinks Offizielle Website (englisch) Einzelnachweise Insel (Europa) Insel (Mittelmeer) Insel der Region Südliche Ägäis Insel (Ägäisches Meer) Insel (Südliche Sporaden) Geschichte des Malteserordens Gemeinde in der Region Südliche Ägäis
Q43048
278.059651
4618
https://de.wikipedia.org/wiki/Sp%C3%A4tmittelalter
Spätmittelalter
Als Spätmittelalter wird der Zeitraum der europäischen Geschichte von der Mitte des 13. bis zum Ende des 15. oder Anfang des 16. Jahrhunderts bezeichnet (also ca. 1250 bis 1500, in der Germanistik auch 1250 bis 1450). Sie stellt die Endphase des Mittelalters dar, auf welche die Frühe Neuzeit folgt. Eine generelle zeitliche Eingrenzung des Übergangs vom Spätmittelalter in die Renaissance ist nicht möglich, da letztere wesentlich aus der kulturphilosophischen und kunstgeschichtlichen Entwicklung heraus definiert ist. Je nachdem, wie offen die jeweiligen Gelehrten und Mäzene in den europäischen Kulturzentren der neuen Entwicklung gegenüberstanden, breitete sich die Renaissance in den europäischen Regionen unterschiedlich schnell aus. Vor allem in Südeuropa wird im 15. Jahrhundert von der Frührenaissance gesprochen, teils schon im 14. Jahrhundert und (schon bei Vasari) sogar bereits am Ende des 13. Jahrhunderts (vgl. Cimabue, Duccio, Pisano und Arnolfo di Cambio, mit Llull, Dante und Giotto als Übergang zur Zeit der einflussreichen Humanisten Petrarca und Boccaccio), während gleichzeitig nördlich der Alpen traditionell noch vom späten Mittelalter die Rede ist (siehe auch Epochen innerhalb der Frühen Neuzeit). Das Spätmittelalter wurde in der älteren Forschung aufgrund von bestimmten Erscheinungen in Kunst und Kultur, Agrarproblemen sowie politischen Veränderungen im römisch-deutschen Reich oft als Krisenzeit betrachtet. Diese negative Bewertung betraf vor allem die deutsche Mediävistik, weil dort die Abfolge des Mittelalters in drei Stufen prägend war und man für das Spätmittelalter nicht zuletzt eine politische Krisenzeit festzustellen glaubte, eine „Verfallszeit“. In Italien oder Frankreich wurde keine derartig scharfe Trennung vorgenommen. In der neueren deutschsprachigen Forschung wird ebenfalls sehr viel differenzierter geurteilt, vor allem aufgrund neuer Forschungsansätze und neuer Quellenbefunde: Bei allen auftretenden Problemen war das Spätmittelalter geprägt von einer gestiegenen Mobilität und Internationalität, Veränderungen in diversen Lebensbereichen und schließlich dem Übergang in die Frühmoderne. Insofern hat ein deutlicher Paradigmenwechsel in der deutschen Spätmittelalterforschung stattgefunden. Überblick Um 1300 breiteten sich Hungersnöte und Seuchen wie die Hungersnot von 1315–1317 und der Schwarze Tod 1347–1353 aus und reduzierten die Bevölkerung auf etwa die Hälfte. Soziale Erhebungen und Bürgerkriege führten in Frankreich und England zu schweren Volksaufständen (Jacquerie und der Bauernaufstand von 1381 in England), und zwischen diesen beiden Staaten brach der Hundertjährige Krieg aus. Die Einheit der Kirche wurde durch das Große Schisma erschüttert. Am Ende der Kreuzzüge (1095–1291) war das Byzantinische Reich zu einer unbedeutenden Regionalmacht herabgesunken. Der Islam breitete sich im Zuge der Islamischen Expansion bis nach Zentralasien und über die Iberische Halbinsel aus. Der 200 Jahre dauernde Konflikt hatte die Kriegsführung und auch die Gesellschaft verändert. Die Verlierer jener Ära waren vor allem die Lehnsherren und das Rittertum. Doch auch Papsttum und Kaisertum mussten Autorität einbüßen. Die Gesamtheit dieser Ereignisse wurde oft Krise des Spätmittelalters genannt, wenngleich dieses Modell inzwischen sehr umstritten ist. Die moderne Forschung hat neue Quellen erschlossen, neue Fragestellungen entwickelt und ist zu einer deutlich positiveren Bewertung dieser Zeit gelangt. Das 14. Jahrhundert war auch eine Zeit des künstlerischen und wissenschaftlichen Fortschritts. Die Wiederentdeckung der Texte des alten Griechenlands und Roms führten zur Renaissance, der „Wiedergeburt“ des antiken Geisteslebens. Diese Entwicklung hatte schon mit dem Kontakt zu den Arabern während der Kreuzzüge begonnen und wurde durch die Eroberung Konstantinopels durch das Osmanische Reich beschleunigt. Viele byzantinische Gelehrte flohen in den Westen, insbesondere nach Italien. Die Erfindung des Buchdrucks erleichterte die Verbreitung des Geschriebenen und demokratisierte das Lernen als wichtige Voraussetzung für die spätere protestantische Kirchenreformation. Der Aufstieg des Osmanischen Reiches bis zum Fall Konstantinopels (1453) hatte die Verkehrswege nach Osten abgeschnitten. Doch die Suche nach einem Seeweg nach Indien hatte sowohl die Entdeckung Amerikas 1492 als auch die erste Weltumsegelung zur Folge und leitete das Zeitalter der Entdeckungen und die Europäische Expansion ein. Die Gewinner waren Händler und Handwerker, Bankiers und Ratsherren, die im Schutz der sich entwickelnden Städte ein zunehmend freies, von weltlichen und kirchlichen Obrigkeiten unabhängigeres Leben führen konnten. Die Reformation (1517) und der Deutsche Bauernkrieg (1525/26) leiteten die Frühe Neuzeit ein. All diese Entwicklungen markieren das Ende des Mittelalters und den Beginn der Neuzeit. Dabei ist anzumerken, dass diese Einteilung willkürlich bleibt, da das antike Wissen niemals ganz aus der europäischen Gesellschaft verschwunden war. Es gab seit der klassischen Antike eine gewisse Kontinuität, außerdem bestanden erhebliche regionale Unterschiede. Einige Historiker – speziell in Italien – sprechen nicht vom Spätmittelalter als der Übergangepoche zwischen Mittelalter und Neuzeit, sondern betrachten die Renaissance als solche. Politische Geschichte Heiliges Römisches Reich Nach dem Tod des Stauferkaisers Friedrich II. am 13. Dezember 1250 begann im Heiligen Römischen Reich das Interregnum, eine Zeit der Instabilität mit mehreren Königen und Gegenkönigen, in der vor allem die Macht des sich nun endgültig formierenden Kurfürstenkollegiums gestärkt wurde (siehe für die folgende Zeit Deutschland im Spätmittelalter). Das Interregnum endete erst 1273 mit der Wahl Rudolfs von Habsburg zum König. Nach Auseinandersetzungen mit dem König von Böhmen, Přemysl Ottokar II., den Rudolf in der Schlacht auf dem Marchfeld am 26. August 1278 besiegte, erwarb er Österreich, die Steiermark und die Krain und legte so die Grundlage für den Aufstieg des Hauses Habsburg zur mächtigsten Dynastie im Reich. Rudolfs Nachfolger, Adolf von Nassau und Albrecht I., standen im Konflikt mit den Kurfürsten, die 1308 den Luxemburger Heinrich VII. zum König wählten. Heinrich versuchte, das Kaisertum in Anlehnung an die Stauferzeit zu erneuern. Er unternahm 1310 einen Italienzug und wurde im Juni 1312 als erster römisch-deutscher König nach Friedrich II. zum Kaiser gekrönt, starb jedoch schon im August 1313. Das wirtschaftlich bedeutende Reichsitalien entglitt in der Folgezeit immer mehr dem Zugriff des römisch-deutschen Königtums. 1314 kam es zu einer Doppelwahl: Ludwig der Bayer aus dem Hause Wittelsbach konkurrierte mit Friedrich dem Schönen aus dem Hause Habsburg, wobei sich Ludwig schließlich durchsetzen konnte, bald aber in einen schwerwiegenden Konflikt mit dem Papsttum geriet (siehe Johannes XXII. und Clemens VI.). Im Reich nutzten die Luxemburger die Aufforderung des Papstes zur Wahl eines neuen Königs aus und 1346 wurde Karl IV. aus dem Hause Luxemburg von vier Kurfürsten zum König gewählt. Zu einem Kampf zwischen Karl und Ludwig kam es nicht mehr, da letzterer kurz darauf verstarb. Karl IV. erließ 1356 die Goldene Bulle, eine Art Grundgesetz des Heiligen Römischen Reiches. Mit ihr wurde der Kreis der Kurfürsten, die zur Königswahl zugelassen waren, offiziell festgelegt. Karl betrieb darüber hinaus eine überaus erfolgreiche Hausmachtpolitik. Sein Sohn und Nachfolger Wenzel konnte jedoch nicht an die Politik seines Vaters anknüpfen; er wurde schließlich im Jahr 1400 wegen Unfähigkeit von den Kurfürsten abgesetzt, die Ruprecht von der Pfalz zum neuen König wählten. Dieser agierte bemüht, aber letztendlich, auch aufgrund unzureichender Geldmittel, erfolglos. Mit dem Tod König Sigismunds 1437 ging die Königswürde von den Luxemburgern dauerhaft an die Habsburger über. Das Reich blieb zersplittert und große Teile der realen Macht lagen bei den weltlichen und geistlichen Territorialherren sowie im Norden bei der Hanse. 1495 wurde auf dem Wormser Reichstag eine Reichsreform beschlossen, die unter anderem jegliche Art von Fehde verbot (Ewiger Landfrieden) und eine jährliche Einberufung des Reichstags, eine Reichssteuer und ein vom König unabhängiges Reichskammergericht einführte. Dadurch setzten die Fürsten ihre Forderung nach mehr Beteiligung der Reichsstände durch. Frankreich Frankreich entwickelte sich unter den Kapetingern im 13. Jahrhundert zur bedeutendsten politischen Kraft in Westeuropa. Bereits in der späten Stauferzeit hatte Frankreich im Grenzraum zum römisch-deutschen Reich eine Expansionspolitik betrieben, wobei die Intensität nach dem Tod Friedrichs II. zunahm. Zwischen dem machtbewussten Philipp IV. und Papst Bonifatius VIII. kam es zu Beginn des 14. Jahrhunderts aufgrund der Besteuerung des französischen Klerus durch Philipp zum Konflikt. Bonifatius erließ die berühmte päpstliche Bulle Unam Sanctam, worin der absolute Führungsanspruch des Papsttums auch in weltlichen Fragen postuliert wurde, doch gelang es Philipp, den Papst zeitweilig festnehmen zu lassen. Kurz darauf starb Bonifatius, sein Nachfolger Benedikt XI. amtierte nur knapp ein Jahr, und der darauffolgende Clemens V. konnte sich gegen den französischen König in vielen Fragen nicht behaupten; es war der Beginn des sogenannten Avignonesischen Papsttums. 1328 folgte den in männlicher Linie ausgestorbenen Kapetingern das Haus Valois nach. Aufgrund konkurrierender Thronansprüche des englischen Königs Eduard III. Plantagenet begann 1337 der bis 1453 andauernde Hundertjährige Krieg. Die englischen Truppen, die besser geführt wurden und über die gefürchteten Langbogenschützen verfügten, erzielten beachtliche Erfolge und kontrollierten um 1360 große Teile Frankreichs; die Bevölkerung litt zudem unter plündernden Söldnerverbänden (Armagnacs) und Epidemien (Schwarzer Tod). Ende des 14. Jahrhunderts waren die Engländer durch einen Abnutzungskrieg auf einige wenige Stützpunkte an der Atlantikküste und am Ärmelkanal zurückgedrängt. 1415 erneuerte jedoch Heinrich V. den Krieg; er vernichtete in der Schlacht von Azincourt am 25. Oktober 1415 das französische Heer. Schließlich trat Philipp der Gute, der mächtige Herzog von Burgund, nach der Ermordung seines Vaters durch Anhänger der Valois auf die Seite Englands, auch wenn das Bündnis einige Jahre später wieder zerbrach. 1420 erkannte der französische König Karl VI. im Vertrag von Troyes die Ansprüche Heinrichs an, doch starb dieser bald darauf; die von ihm erhoffte Vereinigung Frankreichs mit England war damit gescheitert, wenn auch valoistreue Truppen nur noch Gebiete im Süden Frankreichs kontrollierten. Das Erscheinen der Jeanne d’Arc (Johanna von Orleans) wendete den Kriegsverlauf jedoch zugunsten Frankreichs. Sie führte 1429 den Dauphin Karl VII. zur Königssalbung nach Reims. Karl VII. konnte sich 1435 jedoch mit dem Herzog von Burgund einigen, wobei der König dem Herzog eine große Selbständigkeit gewährte (die erst unter Ludwig XI. 1477 beendet werden sollte). Die Engländer waren nun endgültig in die Defensive gedrängt und zogen sich 1453 zurück; nur Calais verblieb ihnen als letzter Stützpunkt auf dem Kontinent. Frankreich wurde nun wieder expansiv tätig: Karl VIII. fiel 1494 in Italien ein, womit das bis dahin dort herrschende Mächtegleichgewicht empfindlich gestört wurde. Knapp 30 Jahre darauf griff auch Kaiser Karl V. in Italien ein; es begann ein jahrzehntelanger Kampf zwischen den Häusern Valois und Habsburg um die Vorherrschaft in Europa. Britische Inseln Die Schlacht von Bannockburn beendete 1314 die englischen Versuche, Schottland zu unterwerfen, und erlaubte den Schotten die Bildung eines starken Staatswesens unter den Stuarts. Ab 1337 richtete England seine Aufmerksamkeit vorwiegend auf den Hundertjährigen Krieg mit Frankreich. Heinrich V. rückte mit seinem Sieg bei Azincourt 1415 die Vereinigung beider Königreiche in greifbare Nähe, doch sein Sohn Heinrich VI. vergeudete den Vorteil. Fast sofort nach dem Kriegsende 1453 begannen die dynastischen Auseinandersetzungen der Rosenkriege (1455–1485). Sie endeten mit der Thronfolge Heinrichs VII. und der starken Zentralgewalt der Tudor-Monarchie. Während Englands Aufmerksamkeit so abgelenkt war, gelangte Irland unter seiner formalen Oberherrschaft zu einer praktisch weitgehenden Unabhängigkeit. Skandinavien Nach dem Scheitern der Union zwischen Schweden und Norwegen (1319–1365) wurde 1397 die skandinavische Kalmarer Union gegründet. Die Schweden zögerten, sich an der dänisch dominierten Union zu beteiligen, und traten nach dem Stockholmer Blutbad 1520 aus. Norwegen andererseits verlor seinen Einfluss und blieb mit Dänemark bis 1814 vereinigt. Die norwegische Kolonie auf Grönland ging im 15. Jahrhundert unter, vermutlich aufgrund der sich verschlechternden klimatischen Bedingungen. Siehe auch: Geschichte Skandinaviens, Geschichte Dänemarks, Geschichte Norwegens und Geschichte Schwedens Südeuropa 1469 heirateten Isabella von Kastilien und Ferdinand II. von Aragon und bildeten damit das Territorium des modernen Spanien. 1492 wurden die Mauren von Granada vertrieben, die Reconquista (Rückeroberung) war damit abgeschlossen. Portugal hatte während des 15. Jahrhunderts langsam die Küste Afrikas erforscht und 1498 fand Vasco da Gama den Seeweg nach Indien. Die spanischen Herrscher begegneten dieser Herausforderung, indem sie Kolumbus’ Expedition unterstützten, der einen westlichen Seeweg nach Indien suchte – er entdeckte Amerika im selben Jahr, in dem Granada fiel. In Italien profitierten im 13. Jahrhundert lokale Machthaber der Guelfen und Ghibellinen vom Rückgang der Reichsherrschaft. Während die Ghibellinen sich im Regelfall mehr auf den Adel stützten, wies das Guelfentum eine gewisse Nähe zum „Republikanismus“ auf und wurde von der Kirche, Frankreich und den Anjous im Kampf gegen die Herrschaft der römisch-deutschen Könige unterstützt: Im Wortgebrauch der guelfischen Florentiner war „Ghibelline“ etwa synonym mit „Alleinherrscher“. Hauptsächlich dienten die Begriffe aber der Bezeichnung konkurrierender Stadtparteien. Florenz und Venedig wuchsen durch Finanzgeschäfte und Handel zu mächtigen Stadtrepubliken heran, welche die politischen Hauptakteure in der Toskana und im Norden waren. Die in Florenz seit 1434 vorherrschende Familie der Medici förderte die Künste und wurde dadurch eine Triebkraft der Renaissance. Mit der Rückkehr des Papsttums nach Rom 1378 wurde diese Stadt ein weiteres Mal politische und kulturelle Metropole. Im Norden hingegen erlosch nach dem Ende der Staufer der seit der Zeit Ottos I. vorhandene Einfluss der römisch-deutschen Herrscher fast vollkommen. Der Italienzug Heinrichs VII. (1310–13) stellte den letzten ernsthaften Versuch dar, den Reichsrechten in Ober- und Mittelitalien gegenüber den Kommunen, dem Papst und dem König von Neapel (siehe Robert von Anjou) wieder Geltung zu verschaffen, womit Heinrich aber, auch bedingt durch seinen frühen Tod, scheiterte. Ludwig der Bayer und Karl IV. wurden in Italien, von ihren Italienzügen abgesehen, kaum aktiv, während Ruprecht von der Pfalz von Gian Galeazzo Visconti an den Alpen blutig abgeschlagen wurde. Der Frieden von Lodi von 1454 mit der Vollform der italienischen lega universale gilt bereits als Ereignis der Renaissance, der Übergangszeit zur Neuzeit. Politisch war Italien nach dem Neapelfeldzug Karls VIII. erschüttert. Dies markierte den Beginn der sich bis ins 16. Jahrhundert hinziehenden Kriege um die Hegemonie in Italien und das endgültige Ende des Mittelalters in dieser Region. Siehe auch: Geschichte Spaniens, Geschichte Italiens, Geschichte Portugals, Republik Venedig, Venezianische Kolonien, Genua, Republik Genua, Genueser Kolonien, Geschichte Pisas und Kirchenstaat Osteuropa Das Byzantinische Reich hatte Südosteuropa politisch und kulturell über Jahrhunderte dominiert. Schon vor dem Fall Konstantinopels 1453 war es jedoch zu einem tributpflichtigen Vasallen des Osmanischen Reichs herabgesunken, nur noch bestehend aus der Stadt Konstantinopel und einigen griechischen Enklaven. Nach dem Fall Konstantinopels standen die von ihm einst beherrschten Teile Südosteuropas fest unter türkischer Kontrolle und blieben es bis zur gescheiterten zweiten türkischen Belagerung Wiens 1683 und der Schlacht am Kahlenberg. Für die Griechen begann eine bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts andauernde Fremdherrschaft, in der nur die orthodoxe Kirche als Bezugspunkt bestehen blieb. Auch die übrigen Balkanländer wie Bosnien, Kroatien, Serbien, Albanien (siehe Skanderbeg) und Bulgarien wurden Teil des Osmanischen Reiches. Als die Osmanen im Jahr 1453 Konstantinopel eroberten, rief Papst Calixt III. die Christenheit zum Kreuzzug auf. Im christlichen Heer, das im Jahr 1456 das osmanische Heer in der Schlacht bei Belgrad besiegte, befand sich auch eine große Zahl an Kroaten, die der Franziskaner Johannes von Kapistran anführte. Im Jahr 1519 bezeichnete Papst Leo X. die Kroaten anerkennend als Antemurale Christianitatis (lat. „Bollwerk der Christenheit“, wörtlich „Vormauer“), weil sie gegen die Ausbreitung des Osmanischen Reiches gen Europa Widerstand leisteten. Nachdem das christliche Heer von den Türken in der Schlacht bei Mohács im Jahre 1526 aufgerieben worden war, kam auch das Königreich Ungarn unter osmanische Fremdherrschaft, und die Osmanen bedrohten nunmehr auch das übrige Europa. Das Ergebnis der Verteidigungsbemühungen der Kroaten im 15. Jahrhundert waren 30 Kriegszüge und 70 zerstörte Städte. Im Norden bestand die wesentliche Entwicklung jener Jahre im enormen Wachstum des litauischen und dann polnisch-litauischen Königreichs. Weit im Osten verlor die Goldene Horde 1380 die Schlacht auf dem Kulikowo Pole (Schnepfenfeld) und musste die Vorherrschaft des Großfürstentums Moskau als Regionalmacht anerkennen, der auch die niedergehende Kiewer Rus weichen musste. 1480 beendete Iwan der Große nach dem Stehen an der Ugra endgültig die mongolische Herrschaft in Russland und legte die Grundlagen des russischen Nationalstaates. Siehe auch: Geschichte Bulgariens, Geschichte Kroatiens, Geschichte Griechenlands, Geschichte Polens, Geschichte Litauens und Geschichte Russlands Gesellschaft und Wirtschaft Am 18. Mai 1291 nahmen moslemische Armeen Akkon, die letzte christliche Festung im Heiligen Land, ein. Dieses Ereignis bedeutete nur noch formal das Ende der Kreuzzüge. Schon lange zuvor hatte sich die Lage des „Abendlandes“ verändert. Die Kreuzzüge schufen die Voraussetzung für kulturelle und wirtschaftliche Kontakte mit Byzanz und den weiter östlich gelegenen islamischen Gebieten. Byzanz war der Marktplatz, auf dem es praktisch alles gab, und Europa lernte neue Handelswaren kennen, Seidenstoffe, Gewürze, Obst und Spiegel aus Glas. Die meisten Güter waren nur für die reichen Europäer erschwinglich, doch mit dem Handel und Transport ließ sich Geld verdienen. Die neu erwachte Geldwirtschaft war noch jung, in Oberitalien entstanden die ersten banche, die Stuben der italienischen Geldwechsler und Kreditverleiher, schließlich die großen Handelskompanien – Gesellschaften, die internationalen Handel und Produktion im großen Stil finanzierten, und dafür vom Staat oftmals besondere Privilegien und Monopole erhielten. Die größten Finanziers bezahlten sogar die Kriege der Herrschenden. Familien wie die deutschen Fugger, die italienischen Medici und die de la Poles in England erreichten enorme politische und wirtschaftliche Macht. Doch die Wirtschaft konnte nicht allein auf den Importen beruhen, es entstand auch reger Export nach Osten: Europäische Händler schickten Schiffsladungen mit Wollstoffen, Korn, Flachs, Wein, Salz, Holz und Fellen in den Orient. Die Tatsache, dass das Mittelmeer von islamischer Vorherrschaft (und damit verbundenen Zollforderungen) befreit war, förderte den Drang der Europäer, trotz geringer Erfahrung Handelsflotten aufzubauen. Vor allem Genua und Venedig verdankten ihren Aufstieg dem blühenden Ost-West-Handel. Neue Fertigungsmethoden verbreiteten sich, vor allem bei Stoffen, Geweben und Metallen. Die Nachfrage wurde durch die Entstehung von spezialisierten Märkten und Messen angekurbelt. Die Lehnsherren sorgten für einen reibungslosen Ablauf dieser Veranstaltungen, sie bewahrten den Marktfrieden und erhielten Einnahmen aus Zöllen und Handelssteuern. Besonders bekannt waren zu jener Zeit die jährlichen Champagnemessen in der französischen Champagne. Händler aus ganz Europa und dem Nahen Osten zogen von Ort zu Ort, kauften und verkauften und schufen ein Handelsnetz bis nach Schottland und Skandinavien. Indem sich die Händler vereinigten, um ihre Waren in größeren Handelszügen sicherer durch die Lande zu transportieren, bekamen sie auch mehr Einfluss, z. B. wenn es darum ging, Preise und billigere Wegezölle zu vereinbaren. Die mächtigste Gemeinschaft von Handelspartnern, die von ähnlichen Interessen geleitet waren, stellte die Hanse dar. Die 1254 gegründete Vereinigung norddeutscher Kaufleute baute an Ost- und Nordsee ein regelrechtes Imperium unter den Augen verschiedener lokaler Herrscher auf und erkämpfte sich diesen gegenüber Eigenständigkeit und Macht – falls nötig mit Waffengewalt. Im 15. Jahrhundert nahm die Bedeutung der Champagnemessen für den Nord-Süd-Handel ab. Stattdessen wurde der Seeweg zwischen Flandern und Italien bevorzugt. Ferner begannen mehr und mehr englische Wollhändler, zum Schaden der holländischen Tuchmanufakturen statt Wolle Kleidung zu exportieren. Entscheidend war auch die Behinderung des Handels mit der Levante durch den Wechsel vom byzantinischen zum Osmanischen Reich. Alternative Handelswege mussten eröffnet werden – um die Südspitze Afrikas herum nach Indien und über den Atlantik nach Amerika. Diese Veränderungen förderten auch die Gründung und das Wachstum der Städte. Vom Niedergang des römischen Imperiums bis etwa ins Jahr 1000 waren in Europa kaum neue Stadtgründungen zu verzeichnen. Mit dem Aufblühen der Handelsbeziehungen folgte auch bald das Erfordernis neuer Handelsplätze und die Gründung neuer Städte an den Handels- und Transportwegen. Von etwa 1100 bis 1250 verzehnfachte sich die Zahl der Stadtrechte in Europa, eine Entwicklung, die sich im Spätmittelalter zunächst fortsetzte, dann aber durch die demographische Katastrophe infolge der Großen Pest unterbrochen wurde. Städte wie Innsbruck, Frankfurt, Hamburg, Brügge, Gent und Oxford nahmen erst jetzt einen Aufschwung. Eine kleine Stadt zählte meist rund 2500 Einwohner, eine bedeutende Stadt rund 20.000. Heutige Millionenstädte wie London und Genua brachten es auf 50.000 Einwohner. Die größten Metropolen mit etwa 100.000 Einwohnern waren Paris, Venedig und Mailand. „Stadtluft macht frei“ war das Motto der Zeit. Unzählige Unfreie, Leibeigene und verarmte Bauern zogen in die Städte, eine rege Bautätigkeit unterstützte die Entwicklung. Die Städte entwickelten ein politisches Bewusstsein, sie machten sich frei von Adel und Kirche, erhoben eigene Zölle und Steuern und begründeten eine eigene Rechtsprechung. In Nord- und Mittelitalien entstanden die ersten Kommunalverwaltungen und wurden rasch in ganz Europa imitiert. In den Städten entwickelten sich auch Handwerker- und Händlerzünfte, die entscheidenden Einfluss auf das Wirtschaftsleben gewannen. Bildung und Universitäten Im frühen und hohen Mittelalter war elementare Bildung, wie Lesen, Schreiben und Rechnen, nur einem kleinen Kreis von Menschen zugänglich. Die breite Masse des Volkes, selbst der Adel, besaß kaum oder nur sehr geringe Bildung. Lediglich in den Klosterschulen war es möglich, sich Bildung anzueignen, doch nur für jene, die bereit waren, sich dem Dienst im Orden zu verpflichten. Ab etwa dem Jahr 1000 entstanden, parallel zum Aufblühen der Städte, sogenannte Kathedralschulen. Sie bildeten auch Adels- und Bürgersöhne, ja sogar Leibeigene aus, ohne sie dem Ordensleben zu unterwerfen. Die Kathedralschulen, die sich besonders stark in Frankreich entwickelten, beschränkten den Unterrichtsstoff auf die sieben „freien Künste“, deren Erlernen schon im alten Rom für freie Bürger charakteristisch war, das Trivium (Grammatik, Logik, Rhetorik) und das Quadrivium (Arithmetik, Astronomie, Geometrie, Musik). Gelesen wurden nur wenige anerkannte Schriftsteller der Spätantike und des frühen Mittelalters wie Boëthius, Cassiodor oder Isidor von Sevilla. Mit den Kreuzzügen bekam das christliche Abendland Kontakt zur Geisteswelt des Islams. Viele bildungshungrige Europäer lernten arabische Mathematik, Astronomie, Medizin und Philosophie kennen, in den Bibliotheken des Orients lasen sie erstmals die griechischen Klassiker wie Aristoteles (im Mittelalter sehr häufig „der Philosoph“ genannt) im Originaltext. Auch über den islamisch besetzten Teil Spaniens kamen viele Impulse besonders nach Frankreich. Das damals vorbildliche Ausbildungssystem der islamischen Welt wurde bereitwillig aufgenommen. Die Regelungen und Lehrpläne der europäischen Kloster- und Kathedralschulen taten sich mit der Integration der neuen Inhalte schwer. Obwohl Anfang des 12. Jahrhunderts Petrus Abaelardus als einer der Vorreiter dieser Entwicklung noch kirchlicher Verfolgung besonders durch Bernhard von Clairvaux ausgesetzt war, ließ sich die Entstehung von freien Universitäten nicht mehr verhindern. Mit dem Wachstum der erfolgreichen Handelsmetropolen entstanden ab der Mitte des 13. Jahrhunderts auch die Universitäten: Bologna, Padua, Paris, Orléans, Montpellier, Cambridge und Oxford, um nur einige Gründungen dieser Zeit zu nennen. Schon bald gehörte es für eine reiche Stadt zum guten Ton, bekannte Gelehrte und viele Studenten in ihren Mauern zu beherbergen. Die frühen Universitäten des Spätmittelalters besaßen keine festen Gebäude oder Vorlesungsräume. Je nach Situation nutzte man öffentliche Räume für Vorlesungen: In Italien waren es oft die Stadtplätze, in Frankreich Kreuzgänge in Kirchen und in England fanden die Vorlesungen nicht selten an Straßenecken statt. Erst später mieteten erfolgreiche Lehrer, die von ihren Studenten direkt je Vorlesung bezahlt wurden, Räumlichkeiten für ihre Vorlesungen. Und bald gab es schon die ersten Studentenunruhen: Auch wenn eine Universität der Stolz einer Stadt war, gab es doch häufig Streitigkeiten mit den in Bünden organisierten Studenten wegen zu hoher Preise für Kost und Logis und Kritik wegen zu viel Schmutz auf den Straßen oder betrügerischer Gastwirte. In Paris gingen die Auseinandersetzungen im Jahr 1229 so weit, dass die Universität nach dem gewaltsamen Tod mehrerer Studenten mit Umsiedlung in eine andere Stadt drohte. Papst Gregor IX. erließ daraufhin eine Bulle, die die Eigenständigkeit der Universität von Paris garantierte. Fortan konnten zunehmend selbst die mächtigen Bürgerschaften den Universitäten keine Vorschriften mehr machen. Der Philosoph Wilhelm von Ockham, bekannt durch das Prinzip von Ockhams Rasiermesser, und der Nominalismus leiteten das Ende stark theoretischer scholastischer Debatten ein und machten den Weg für empirische und experimentelle Wissenschaft frei. Ockham zufolge sollte sich die Philosophie nur mit Dingen beschäftigen, über die echtes Wissen erreicht werden kann (Prinzip der Sparsamkeit, engl. parsimony). Mittelalterliche Vorläufer der experimentellen Forschung kann man bereits in der Wiederentdeckung des Aristoteles und im Werk Roger Bacons sehen. Besonders kritisch äußert sich über die Scholastiker Nikolaus von Kues. Aus prinzipiellen Gründen wendet er sich auch gegen eine Zentralstellung der Erde und nimmt in diesem Punkt das heliozentrische Weltbild des Nikolaus Kopernikus vorweg. Kurz vor und nach dem Fall Konstantinopels strömten auch verstärkt byzantinische Gelehrte nach Europa (z. B. Bessarion), wie auch bereits vorher byzantinische Kodizes nach Europa gelangt waren (etwa durch Giovanni Aurispa). Die meisten technischen Errungenschaften des 14. und 15. Jahrhunderts waren nicht europäischen Ursprungs, sondern stammten aus China oder Arabien. Die umwälzende Wirkung folgte nicht aus den Erfindungen selbst, sondern aus ihrer Verwendung. Schießpulver war den Chinesen schon lange bekannt gewesen, doch erst die Europäer erkannten sein militärisches Potenzial und konnten es zur neuzeitlichen Kolonialisierung und Weltbeherrschung nutzen. In diesem Zusammenhang sind auch die Fortschritte der Navigation wesentlich. Kompass, Astrolabium und Sextant erlaubten gemeinsam mit weiterentwickeltem Schiffbau das Bereisen der Weltmeere. Gutenbergs Druckerpresse machte nicht nur die protestantische Reformation möglich, sondern trug auch zur Verbreitung des Wissens bei und damit zu einer Gesellschaft mit mehr Lesekundigen. Klima und Landwirtschaft Um 1300–1350 ging die Mittelalterliche Warmzeit in die folgende Kleine Eiszeit über. Das kältere Klima reduzierte die Ernten; Hungersnot, Seuchen und Bürgerkriege folgten. Die wichtigsten Ereignisse waren die Große Hungersnot 1315–1317, der Schwarze Tod, und der Hundertjährige Krieg. Als die Bevölkerung Europas auf die Hälfte abnahm, wurde reichlich Land für die Überlebenden verfügbar, und in der Konsequenz wurde die Arbeit teurer. Versuche der Landbesitzer, die Löhne gesetzlich zu begrenzen – wie mit dem englischen Statute of Labourers 1351, waren zum Scheitern verdammt. Es war praktisch das Ende der Leibeigenschaft im größten Teil Europas. In Osteuropa andererseits gab es nur wenige große Städte mit einem lebendigen Bürgertum, um den Großgrundbesitzern Paroli zu bieten. Daher gelang es diesen dort, die Landbevölkerung in noch stärkere Unterdrückung zu zwingen. Religion Die in Teilen, aber keineswegs insgesamt herrschende apokalyptische Stimmung führte vielfach zum Wunsch der direkten Gotteserfahrung. Das Bibelstudium vermittelte den Menschen das Bild der einfachen Lebensweise Jesu Christi und der Apostel, ein Vorbild, dem die existierende Kirche nicht gerecht wurde, gerade weil das Papsttum seit 1309 in Avignon (Avignonesisches Papsttum) residierte und sich immer mehr von den Menschen entfernte. Hinzu kam das abendländische Schisma von 1378, welches erst durch den Konziliarismus beendet werden konnte (Konzil von Konstanz). Infolge der Glaubenskrise entstanden vermehrt Bettelorden und apostolische Gemeinden, die sich dem einfachen Leben widmen wollten. Viele davon wurden von der Kirche wegen Ketzerei verfolgt, so beispielsweise die Waldenser, Katharer oder die Brüder und Schwestern des freien Geistes. Im Spätmittelalter traten in ganz Europa aus ähnlichen Gründen Judenverfolgungen auf, viele Juden wanderten nach Ostmitteleuropa aus. Das Große Abendländische Schisma Seit dem frühen 14. Jahrhundert gelangte das Papsttum zunehmend unter den Einfluss der französischen Krone, bis hin zur Verlagerung seines Sitzes nach Avignon 1309. Als der Papst 1377 beschloss, nach Rom zurückzukehren, wurden in Avignon und Rom unterschiedliche Päpste gewählt, mit dem Resultat des sogenannten Abendländischen Schismas (1378–1417). Die Kirchenspaltung war eine ebenso politische wie religiöse Angelegenheit; während England den römischen Papst unterstützte, stellten sich seine Kriegsgegner Frankreich und Schottland hinter den Papst in Avignon. Italien und insbesondere Rom urteilten in dem Selbstverständnis, der alte Imperiumssitz sei der rechtmäßige Ort für den Sitz der Kirche Jesu Christi. Allerdings waren im Thronkampf von Neapel die älteren Anjou notgedrungen für Avignon, Visconti-Mailand schwankend aufgrund der Beziehungen zu Frankreich. Auf dem Konzil von Konstanz (1414–1418) wurde das Papsttum wieder in Rom vereinigt. Obgleich die Einheit der Westkirche danach noch hundert Jahre andauerte und obgleich der Heilige Stuhl einen größeren Reichtum aufhäufte als jemals zuvor, hatte das Große Schisma doch irreparablen Schaden verursacht. Die inneren Konflikte der Kirche förderten den Antiklerikalismus bei Herrschern und Beherrschten und die Teilung ermöglichte Reformbewegungen mit schließlich einschneidenden Veränderungen. Reformbewegungen John Wyclif Obwohl die Westkirche lange gegen häretische Bewegungen gekämpft hatte, entstanden im Spätmittelalter innerkirchliche Reformbestrebungen. Deren erste entwarf der Oxforder Professor John Wyclif in England. Wyclif sprach sich dafür aus, die Bibel als einzige Autorität in religiösen Fragen zu betrachten und lehnte Transsubstantiation, Zölibat und Ablässe ab. Er übersetzte auch die Bibel ins Englische. Obwohl sie einflussreiche Freunde in der englischen Aristokratie hatte, etwa John of Gaunt, wurde Wyclifs Partei, die Lollarden, letztendlich unterdrückt. Jan Hus Die Lehren des böhmischen Priesters Jan Hus basierten mit wenigen Änderungen auf jenen von John Wyclif. Dennoch hatten seine Anhänger, die Hussiten, viel größere politische Auswirkungen als die Lollarden. Hus sammelte in Böhmen zahlreiche Anhänger und als er 1415 wegen Häresie verbrannt wurde, verursachte dies einen Volksaufstand. Die folgenden Hussitenkriege endeten zwar nicht mit der nationalen oder religiösen Unabhängigkeit Böhmens, aber Kirche und deutscher Einfluss wurden geschwächt. Martin Luther Die Reformationszeit liegt genaugenommen nicht mehr im Spätmittelalter, doch sie beendete die Einheit der Westkirche, die eines der wichtigsten Merkmale des Mittelalters gewesen war. Martin Luther, ein deutscher Mönch, löste die Reformation durch seine zahlreiche theologische Fragen betreffende Position aus. Die gesellschaftliche Basis dieser Bewegung setzte sich aus Arbeitern, Studierenden und Jugendlichen zusammen, besonders seine Kritik von Ablasshandel und Bußwesen. Eine wichtige Station dabei war die Verteilung von 95 Thesen an seine dozierenden Kollegen (der Legende nach soll er sie auch an die Schlosskirche zu Wittenberg genagelt haben). Papst Leo X hatte 1514 für den Bau des neuen Petersdoms den Ablasshandel erneuert. Luther wurde vom Reichstag zu Worms (1521) aufgefordert, seine als Häresie verurteilten Ansichten zu widerrufen. Als er sich weigerte, belegte ihn Karl V. mit der Reichsacht. Unter dem Schutz Friedrichs des Weisen von Sachsen konnte er sich zurückziehen und unter anderem eine vollständige Neuübersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche anfertigen, die 1534 um eine Neuübersetzung des Alten Testaments ergänzt wurde. Für viele weltliche Fürsten war die Reformation eine willkommene Gelegenheit, ihren Besitz und Einfluss zu vergrößern, auch das städtische Bürgertum und Bauern konnten von ihr profitieren. Gegen die Reformation wendete sich die katholische Gegenreformation. Europa war nun geteilt in den protestantischen Norden und den katholischen Süden, Grundlage der Religionskriege des 16. und 17. Jahrhunderts. Kultur Kunst Die bildende Kunst erfuhr im Spätmittelalter eine enorme Weiterentwicklung. Im frühen 14. Jahrhundert entstanden die Werke Giottos als Vorläufer der Renaissance. In der Malerei spricht man von der nördlichen Renaissance mit Zentrum in den Niederen Landen und der italienischen Renaissance mit Florenz als Angelpunkt. Während die nördliche Kunst mehr auf Muster und Oberflächen gerichtet war, etwa die Gemälde des Jan van Eyck, erforschten italienische Maler auch Bereiche wie Anatomie und Geometrie. Die Entdeckung der Fluchtpunkt-Perspektive (Zentralprojektion), die Brunelleschi zugeschrieben wird, war ein wichtiger Schritt zu optisch realistischen Darstellungen. Die italienische Renaissance erreichte ihren Höhepunkt mit der Kunst Leonardo da Vincis, Michelangelos und Raffaels. Architektur Während die gotische Kathedrale in den nordeuropäischen Ländern sehr in Mode blieb, konnte sich dieser Baustil in Italien nie recht durchsetzen. Hier ließen sich die Architekten der Renaissance von klassischen Gebäuden inspirieren, das Meisterwerk dieser Zeit war Filippo Brunelleschis Dom Santa Maria del Fiore in Florenz. Literatur Die wichtigste Entwicklung in der spätmittelalterlichen Literatur war der zunehmende Gebrauch der Volkssprachen gegenüber dem Latein. Beliebt waren Romane, die oft die Legende vom Heiligen Gral zum Thema hatten. Der Autor, der vor allen anderen die neue Zeit ankündigte, war Dante Alighieri. Seine Göttliche Komödie, in italienischer Sprache geschrieben, beschreibt zwar eine mittelalterlich-religiöse Weltsicht, in der er auch verankert war (siehe Monarchia), bedient sich aber dazu eines Stils, der auf antiken Vorbildern basiert. Andere Förderer des Italienischen waren Francesco Petrarca, dessen Canzoniere als erste moderne Gedichte gelten, und Giovanni Boccaccio mit seinem Decamerone. In England trug Geoffrey Chaucer mit seinen Canterbury Tales dazu bei, Englisch als Literatursprache zu etablieren. Wie Boccaccio beschäftigte sich Chaucer mehr mit dem alltäglichen Leben als mit religiösen oder mythologischen Themen. In Deutschland wurde schließlich Martin Luthers Übersetzung der Bibel zur Basis für die deutsche Schriftsprache. Literatur David Abulafia, Christopher Allmand, Michael Jones u. a. (Hrsg.): The New Cambridge Medieval History. Band 5–7. Cambridge 1998–2000 (die umfassendste Darstellung des europäischen Spätmittelalters mit sehr ausführlicher Bibliographie). Ulf Dirlmeier, Gerhard Fouquet, Bernd Fuhrmann: Europa im Spätmittelalter 1215–1378 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte. 8). Oldenbourg, München 2003, ISBN 978-3-486-48831-9 (Rezension). Willi Erzgräber (Hrsg.): Europäisches Spätmittelalter. Wiesbaden 1978 (= Klaus von See (Hrsg.): Neues Handbuch der Literaturwissenschaft. Band 8). Joachim Heinzle: Wann beginnt das Spätmittelalter? In: Zeitschrift für deutsches Altertum und deutsche Literatur. Band 112, 1983, S. 207–223. Johan Huizinga: Herbst des Mittelalters. Stuttgart 1975 (Klassische Darstellung). Peter Moraw: Von offener Verfassung zu gestalteter Verdichtung. Das Reich im späten Mittelalter 1250 bis 1490. Propyläen Verlag, Berlin 1985, ISBN 3-549-05813-6. Malte Prietzel: Das Heilige Römische Reich im Spätmittelalter (= Geschichte kompakt). Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2004, ISBN 3-534-15131-3 (Einführung zur politischen Geschichte Deutschlands im Spätmittelalter). Hans-Friedrich, Hellmut Rosenfeld: Deutsche Kultur im Spätmittelalter 1250–1500 (= Handbuch der Kulturgeschichte. Band I, [5]). Wiesbaden 1978, ISBN 3-7997-0713-1. Bernd Schneidmüller: Grenzerfahrung und monarchische Ordnung: Europa 1200–1500. Beck, München 2011, ISBN 978-3-406-61357-9. Ernst Schubert: Einführung in die deutsche Geschichte im Spätmittelalter. 2., bibliographisch aktualisierte Auflage. Primus-Verlag, Darmstadt 1998, ISBN 3-89678-313-0. John Watts: The Making of Polities: Europe, 1300–1500 (= Cambridge Medieval Textbooks). Cambridge 2009 (gutes Überblickswerk mit kommentierter Bibliographie). Weblinks Anmerkungen !Spatmittelalter Historisches Zeitalter es:Edad Media#Baja Edad Media (siglos XI al XV) pt:Idade Média#Baixa Idade Média
Q212976
228.331286
88614
https://de.wikipedia.org/wiki/Teleologie
Teleologie
Teleologie (, Gen. τέλεος téleos ‚Zweck‘, ‚Ziel‘, ‚Ende‘) ist die Lehre ( lógos), der zufolge Handlungen und Dinge oder überhaupt die Prozesse ihrer Entstehung und Entwicklung durchgängig zielorientiert ablaufen. Woraus die Ziele bestehen und wer oder was ihre Ursache sei – ob ein Gott, ob ein schöpferisches Energiepotential oder der Mensch mittels einer unzulässigen Anthropomorphisierung – ist der Gegenstand von seit der Antike anhaltenden Diskussionen, an denen Philosophie, Wissenschaft und Theologie gleichermaßen beteiligt sind. Je nach Konfession, Weltbild und Schärfe des Denkens ihrer Akteure bieten sie mehr oder minder übereinstimmende oder eher unvereinbare Antworten. Es gibt also verschiedene Zwecklehren mit je eigenen Vorgeschichten; der sie unter sich zusammenfassende Begriff Teleologie wurde erstmals vom deutschen Philosophen Christian Wolff in seiner Philosophia rationalis, sive logica (1728) eingeführt. Allgemeines Teleologische Weltanschauungen (Übersicht) Wissenschaftliche Teleologien der jüngeren Gegenwart stammen von Karl Popper, Sigmund Freud und W. Stegmüller. Ihre Gemeinsamkeit stellt dar, dass sie sich auf Darwins Evolutionstheorie beziehen, wobei unter dem Zweck dieses Geschehens allgemein etwas verstanden wird, durch das sich die Phänomene an ihre jeweils unmittelbare Umgebung anpassen. Gemäß Freuds Erörterung der ökonomischen Koordinate seiner Metapsychologie liegt dem ein immanentes Streben nach energetischer Selbstoptimierung zugrunde (Ausmerzung ‚sinnlos‘ energievergeudender Aspekte oder Umwege) – also nicht die Erlangung eines Ziels, das ihnen von einem fremden Willen auferlegt oder eingepflanzt worden sei. Auch die moderne Kosmologie vermutet hinter allem phänomenalen Geschehen kein göttliches Wollen; annehmbar sei allenfalls eine so genannte Singularität. Hierbei handelt es sich zwar um keinen empirisch fassbaren Gegenstand (physikalisch sind jenseits der Planck-Grenze sinnvolle Aussagen unmöglich), nichtsdestotrotz gilt sie als undimensionales Potential all jener Energien, die durch den Urknall raumzeitliche Formen (Dimensionen) anzunehmen begannen, d. h. sich als Kosmos manifestierten. Energeia stellt für den griechischen Philosoph Aristoteles nun keinen bloß physikalischen Sachverhalt dar, als vielmehr den metaphysischen Inbegriff aller schöpferischen Tätigkeit, bzw. mit Denkvermögen begabter Bewegung. So führt er eine den Lebewesen wie unbelebten Dingen innewohnende Zweckmäßigkeit auf den Unbewegten Beweger als die erste Ursache des Kosmos insgesamt zurück. Weiterhin ist Aristoteles einer der ersten Philosophen, die mit der Untergliederung der Naturforschung in verschiedene Fachgebiete begannen und dabei nach rein vernünftigen Kriterien zu urteilen bemüht waren, so unterscheiden sich solche wissenschaftlichen Teleologien inhaltlich von den Zwecklehren der monotheistischen Religionen. Während für erstere die zu entdeckenden Naturgesetze maßgeblich sind, um den Menschen von seiner ersten Ursache her verstehen und wo erforderlich Empfehlungen im Sinne eines fundierten Glückszustandes geben zu können (s. Nikomachische Ethik), orientieren sich die Glücks- oder Erlösungsvorstellungen letzterer dogmatisch an den moralischen Verhaltensvorschriften u. a. des alttestamentarischen Dekalogs. Mythische Erzählungen wie das vom biblischen Gott im Paradiesgarten erlassene Verbot der Berührung des Baumes der Erkenntnis und des Verstoßes dagegen bieten dem Betrachter eine Art Rechtfertigung für die Herkunft des menschlichen Leidens auf Erden: dass es nämlich im Sinne einer Strafe zu verstehen sei, die die Menschheit zunächst abzubüßen hätte, bevor ihr die Erlösung zuteilwerden kann. Transzendente und immanente Teleologien Diese Begriffe unterscheiden, ob einer jeweiligen Weltanschauung die Annahme einer entweder äußeren (transzendenten) oder aber inneren immanenten Zweckursache zugrunde liegt. Transzendente Auffassungen Mittels der göttlichen Vernunft des Nous wird bei Anaxagoras die zweckmäßige Ordnung der Welt durch das Wirken einer Urkraft erzeugt, die nicht räumlich in den Dingen vorhanden ist, somit das sinnlich Erfahrbare übersteigt oder transzendiert, sich von ihnen aber auch nicht konkret abtrennbar denken lässt. So stellt für Heraklit ein dem Urfeuer des Logos innewohnender Mangel i. S. von Begehren (s. a. Eros) geradezu die Ursache der Weltbildung dar, Sättigung entsprechend die ihrer Vernichtung. Ähnlich argumentiert Freud im Kontext seiner universalen „Libido“-Energie : Jegliches seelische Geschehen wurzele im Spannungsauf- und -abbau dieser Energie, die dem Lebewesen in Form des Wechsels von der Bedürfnisregung hin zur Bedürfnisstillung spürbar und bewusst werde. Platon, aus dessen Darlegung des Eros anhand der Kugelmenschen Freud eine wichtige Anregung zur genaueren Gestaltung der Libidotheorie übernahm, führt die Welt mit ihren einzelnen Phänomen auf einige wenige Ideen zurück, deren höchste repräsentiert ist durch die form-, farb- und geruchlose Wesenheit einer reinen Dynamis und Anaximander ortet die Ursache allen kosmischen Geschehens im Apeiron, das als das unerschaffen-unzerstörbare Unbegrenzte (Unfassbare) die fassbaren seienden Dinge in sich – wie aus dem 'Nichts' – entstehen und auch wieder vergehen lässt, indem sie aneinander Strafe und Buße tuen für ihre Ungerechtigkeit, nach dem Befehl der Zeit. Von einer transzendenten Zweckursache sowohl der Welt als auch der 10 Gebote handelt – nach Auffassung der christlichen Theologie sowie mancher ihrer Gegner – ebenfalls die alt- und neutestamentarische göttliche Vorsehung mit ihrem respektiven Gottesbegriff. Immanente Teleologien Anders als Platon, der für das Reich seiner im Alter zunehmend mathematisch formulierten Ideen einen überhimmlisch gelegenen Aufenthaltsort konzipiert, verlegt Aristoteles die Zweckursache der Welt ins Innere der anfänglich formlos gedachten Materie und schreibt der Herausbildung ihrer konkreten Formen sowie des weiteren Verhaltens solcher Dinge und Lebewesen ein Streben nach bestimmten Zielzuständen zu, mit deren Erlangung sich ihr Dasein vollendet. Der Zielzustand des Menschen (Anthropos) verwirkliche sich in seinem So-Sein als Zoon politikon und durch die davon bedingte Glückseligkeit (Eudämonie). Teleologie und evolutive Kausalität Wie bei der Gegenüberstellung von Transzendenz und Immanz, wurde in der Philosophiegeschichte des Abendlandes auch bezüglich des Gegensatzes von Monismus und Dualität der Versuch unternommen, für die Telelogie gültige Unterscheidungen zu treffen. Während dualistische Konzepte Teleologie und Kausalität als sich gegenseitig ausschließende Begriffe auffassen, betrachten monistische Positionen beide als einander ergänzende Aspekte. Teleologie und Kausalität stehen somit nicht im Widerspruch zueinander, sondern bilden durch die Annahme einer ersten Ursache, die das energetisch-mechanische Weltgeschehen bestimme, eine philosophisch übergeordnete Synthese. Einen Monismus diesen Sinnes vertritt Sigmund Freuds Metapsychologie, indem sie den kausalen Prozessen der Evolution mit der „Libido“ ein teleologisches Moment voraussetzt, das sich die Lebewesen anhand natürlicher Zuchtwahl zur Schönheit entwickeln lässt. Das Ziel (telos) besteht nicht aus einem erst nach und nach zu erlangenden Maximum an Komplexität, wie es eine Interpretation der klassischen Geschichte des Menschen als Krone der Schöpfung behauptet, sondern aus Anpassung an die Faktoren der jeweiligen Umgebung. Da diesem evolutiven Geschehen der Prozess einer energetischen Optimierung zugrunde liegt, baut er aufwendig komplex oder stark entwickelte Organe auch wieder ab, sofern sie sich als überflüssig oder weniger beansprucht erweisen. (Beispiel: Abschwächung des Gebisses bei parallelem Wachstum des Gehirns im Zuge der Hominisation; ebenfalls die teils vollständige Rückbildung der Augen bei einigen Arten der Höhlenfische). Dieser sich energetisch selbstoptimierende Prozess inkludiert, neben dem objektiven Schönen der entstehenden Strukturen, das Gut ihrer Stabilität gegenüber angreifenden Faktoren. (Vgl. Florian Freistetters Fachartikel Goldener Schnitt, die irrationalste aller Zahlen.) Der konstitutiven Rolle, die die Teleologie in diesen Ansätzen ausübt, lässt sich ein im „regulativen“ Sinne zu verstehender heuristischer Gebrauch gegenüber stellen. So studiert die moderne Wissenschaft der Teleologie analoge Vorgänge unter der Bezeichnung Teleonomie. Negationen der Teleologie Strikt anti-teleologisch ausgerichtet sind die rein mechanistisch-kausal konzipierten Weltanschauungen (Lucrez, Hobbes, Descartes), darunter insbesondere der eliminative Materialismus. Der Akt der Elimination wendet sich hier allerdings nicht lediglich gegen die Hypothese eines teleologisch wirkenden Faktors, vielmehr wird das Vorhandensein eines Ziele setzen könnenden geistigen Prinzips in der Materie grundsätzlich zu einem Irrglaube erklärt. Der Körper bzw. die Physis (griechisch: Natur) – auch beim Menschen – ist demnach prinzipiell geistlos. Philosophiegeschichte Dieser Satz, überlieferungsgemäß Leukipp zugeschrieben, weist entschieden jedwede Teleologie zurück, denn unter „Grund“ (lógos) ist hier nichts anderes zu verstehen als das mathematisch-mechanische Gesetz, welchem die Atome in ihrer Bewegung mit unbedingter Notwendigkeit folgen. Verschiedene Denker nehmen an, dass die Teleologie insgesamt in der Theologie beheimatet sei: dass nämlich ein unfehlbarer Baumeister – im Sinne einer nicht weiter hinterfragbaren ersten Ursache – den Kosmos so eingerichtet habe, dass der Mensch, der seine eigene, freilich fehlbare Vernunft etwa beim Maschinenbau in analoger Weise anzuwenden lernte, jenes hypothetische Konstruktionsverfahren (welches mündet in seiner eigenen 'Herstellung' als dessen Krone) rückblickend als zweckmäßig erkennen muss. Aristoteles scheint im Wesentlichen ein Vertreter dieser Position zu sein. In seine Erwägungen bezieht er frühere Philosophen wie Empedokles, Anaxagoras, Sokrates und Platon mit ein, doch sieht er sich selbst als den Begründer einer besonderen Zwecklehre. Der These einer rein theologisch angelegten Teleologie steht freilich gegenüber, dass die Annahme einer Ersten Ursache nichts darstellt, das die monotheistischen Religionen für sich allein beanspruchen könnten. Eher als um ein Dogma religiöser oder ideologischer Art, handelt es sich um eine philosophisch-erkenntnistheoretische Maßnahme, deren Zweck darin liegt, die Problemstellung des sog. Infiniten Regresses zu unterbinden. Jedoch ist Aristoteles in der Tat der erste, der das Zweckprinzip zum Gegenstand einer Untersuchung erhoben hat: Das Wesen und die erste Ursache jedes Dinges ist der in ihm ruhende Zweck. Damit stellt er sich in ausgesprochenen Gegensatz zur mechanischen Weltauffassung Demokrits, welche er tadelt, weil sie die Zweckursachen außer Acht lasse und alles auf die bloße Notwendigkeit zurückführe: nennbare Ursachen, für die ihrerseits präzise Ursachen anzugeben seien usw. ad infinitum. Aristoteles Lehre von einem kausal nicht weiter hinterfragbaren, ersten „immanenten“ Zweck, basiert auf der definiten Ausschaltung des infiniten Regress und darüber hinaus auf einem Superlativ (Ideal) des menschlichen Vernunftdenkens: Unfehlbarkeit und Allwissenheit. Allerdings wird die Idee eines personalen Gottes zugunsten eines abstrakten Pantheismus aufgegeben. Intention vs. Zufall Gegen die These der göttlichen Unfehlbarkeit (u. a. bei der Herstellung des Menschen als Fernziel der Schöpfung) wendet sich wiederum Heraklit. Wie Aristoteles unterbindet er den Infiniten Regress durch das Argument, dass das Urfeuer eine aus sich selbst emporwachsende Kraft sei, darüber hinaus aber vergleicht er das schöpferisches Prinzip dieser Energie (pantheistisch: Kampfdrang; erste Ursache des Kosmos; Herrscher über das All) einem spielenden Kind, intentioniert von einem vitalen Spieltrieb, wie beim kindlichen Trial and Error am Schachbrett. (Hermann Diels, Aphorismen 54–55; 115). Diese grundsätzliche Unberechenbarkeit (Alles Fließt) vermag Erfahrungen zu sammeln, scheint also mit den Prinzipien der Evolutionstheorie überein zu stimmen: Mutation und evolutives Speichern genetischer Information. Genauer betrachtet jedoch setzte Darwin in seiner Evolutionstheorie anstelle eines vitalen Spieltriebs den geistlosen (Intentions-freien) Zufall als Urgrund der unvorhersehbaren Variabilität. Dieser Standpunkt fußt im Mechanizismus, und dies gilt ebenfalls für die Quantenphysik – abermals konterkariert vom Quantendarwinismus: Mittels der Annahme, dass es zwischen den Quantensystemen im Augenblick des Zusammenbruches ihrer sog. Superpositionen zu einer Einigung käme, wird in dies Geschehen am Grunde der unbelebten Natur (Licht- und Materiewellen) ein psychologisches Moment wieder eingeführt: Nicht erst der Mensch als Beobachter z. B. von Schrödingers Katze, sondern bereits die Umgebung selbst wirke als zugleich Einfluss nehmender Zeuge. Der Aristotelismus, der seinem Demiurg – als Unbewegten Beweger – von vornherein Unfehlbarkeit und Allwissenheit zuschreibt, nimmt einen grundsätzlich anderen Weg als Heraklits Vergleich der Gottheit mit einem unwissenden, spielenden Kind. Darüber hinaus kennt Aristoteles für das Gestaltungsprinzip seines Weltschöpfers neben der causa finalis (Endzweckursache) drei weitere Arten von Ursachen, die für diese Variante der Teleologie relevant sind, nämlich die causa efficiens (Wirkursache; Ökonomie der Prozesse), die causa materialis (Ursache des Materials) sowie die causa formalis (Formursache). Mit ihrer Zusammenfassung unter dem Gedanken der Zweckursache werden – wie gesagt analog zu den menschlich planvollen Handlungen – alle natürlichen Prozesse zu erklären versucht, indem solche Teleologien Auskunft geben über die Herkunft ihrer Ökonomie, die daran beteiligten Materialien und deren Formen. Zeit und Ewigkeit Dem christlichen Mittelalter leuchtete die Idee ein, dass auch der zeitliche Ablauf der Begebenheiten des Menschenlebens und die Abfolge der Generationen einen zweckvollen Gesamtsinn habe: Aufgrund der Erbsünde Adam und Evas (dem Mythos nach vor ca. 7000 Jahren im Paradiesgarten Mesopotamiens begangen) sah Gott Vater eine sich langwierig hinziehende Bestrafung all seiner Menschenkinder vor – von ihrer Verbannung aus Eden über einen geplanten Genozid (s. Sintflut im Atraḫasis-Epos) bis hin zur provisorischen Entgeltung der Schuld mittels ersatzweiser Hinrichtung seines Sohnes Jesus Christus (Opferlamm) –, dies soll aber demnächst, nicht ohne ein Letztes Gericht, in die Erlösung der Menschheit von ihrem selbstverschuldeten Leiden einmünden, den von den Kirchenvätern postulierten Gesamtsinn vollendend. Insofern erhebt sich hier neben einer naturgesetzlichen Teleologie des Kosmos diejenige der die Menschheit anbetreffenden Geschichte aus einer auf religiöse Weise moral-gesetzlich begründeten Perspektive. Der Gedanke eines zeitlichen Moments, das die Naturvorgänge bestimme, ist an sich aber nicht neu, sondern fast ebenso alt wie die abendländische Philosophiegeschichte: Bereits Anaximander – nach Thales der zweite der überlieferten Naturphilosophen – unterwirft das Werde-Vergehen der Phänomene (begrenzten Dinge) aus und zurück in das Unbegrenzte (ihren Quelle und Ziel) dem „Befehl der Zeit“. Bemerkenswert ist seine Formulierung der Beschaffenheit der seienden Dinge und der sich ihm daraus erklärenden Art und Weise ihres (Wieder)Vergehens: Die Phänomene seien wesenhaft ungerecht und löschen sich daher gegenseitig aus (Annihilation, gemäß Befehls der Zeit), dadurch wieder zu dem Unbegrenzten (Apeiron) werdend, woraus sie einst entstanden. Natur- und moralgesetzliches Denken Von Bedeutung für die philosophische Einordnung der verschiedenen Teleologien ist die Frage, welche Kriterien jeweils zur Anwendung kommen. Ist die eben angedeutete Variante eines 'Jüngsten Gerichts' (Wiederherstellung absoluter Gerechtigkeit) in moralischen Ver- und Geboten wie denen des mosaischen Dekalogs verankert, oder entspricht sie einer Auffassung, die den Gerechtigkeitsbegriff mit den naturgesetzlichen Gegebenheiten abzustimmen bemüht ist? Naheliegend wäre ein z. B. geometrisch konzipierter Gerechtigkeitsbegriff: Einstein zufolge ist die Raum-Zeit in Anwesenheit von Masse gekrümmt – sonst glatt bzw. eben – geometrisch gerecht. Das gleiche Kriterium umfasst die Wahrscheinlichkeits-Wellen der Quantenphysik und das respektive Vermögen der Materie- und Antimateriewellen, sich wechselseitig vollständig zu vernichten (Annihilation; negative Interferenz). Solch ein Vorgang, bei dem genau genommen die frei gesetzte, gemäß des Erhaltungssatzes auch unzerstörbare Energie sofort neue Wellen in Form von Licht erzeugt, ist möglich, weil den sich vernichtenden Materiewellen Zeitpfeile zugrunde liegen, die in jeweils gegensätzliche Richtungen deuten: voran und zurück. Auch Solon argumentiert geometrisch, indem er das Wesen der Gerechtigkeit einem Gewässer vergleicht, dessen Oberfläche nie von einem Windhauch berührt wurde, und noch Harald Lesch beginnt seinen berühmten Vortrag Was ist ein Symmetriebruch? mit einer unbegrenzt ausgedehnten kosmischen Wasserkugel, um anhand ihrer völligen Glätte den Zustand vor einem ersten Bruch der Symmetrie zu illustrieren: „Kein Lüftchen regt sich.“ Zum Symmetriebruch – und somit Anfang einer exakt physikalischen Schöpfungsgeschichte – kommt es nach diesem Bild, indem Herrn Leschs 'auf den Wassern schwebendes Bewusstsein' eine erste Welle (raumzeitliche Krümmung) auf oder innerhalb der Wasserkugel entstehen lässt. Die Vorstellung eines grundsätzlich aus Wasser bestehenden Weltalls deckt sich mit der Lehre Thales und einem Gedanken Heraklits, der zudem von einer Äquivalenzbeziehung analog den zwei Seiten einer Gleichung wie E=mc² zu berichten scheint: Feuers Umwende (ist): Wasser. Umtausch des Feuers gegen die Welt und der Welt gegen das Feuer, wie beim Tausch des Goldes gegen Waren und der Waren gegen das Gold. Anthropomorphe Kosmogonie Die Idee eines Weltalls aus reinstem Wasser, in das ein göttliches Prinzip gestaltend einzugreifen vermag, ist uralt: Die Schöpfungsgeschichte der Sumerer in Mesopotamien setzt an mit einem kosmisch-allumfassenden Süßwasserozean, in dessen Kugelform der Geist des Gottes Enlil eintaucht, um in ihrem Mittelbereich zuerst Luft und Erde ('lichtes Oben' und 'dunkles Unten') voneinander zu trennen; so entsteht unser Planet als mythischer Weltenberg mit einer an seinem oberen Teil wie eine Blase haftenden Atmosphäre, rings umgeben vom kosmischen Gewässer. Danach beginnt diese Kultur mit der Urbarmachung Edens (Sumerisch für Steppe), wodurch die öde Landschaft in einen blühenden Garten verwandelt wird: Dem Epos Atrahasis zufolge erschaffen die unteren (Erd-)Götter zwei große Flüsse – Euphrat und Tigris – als Bewässerungskanäle, während die oberen die Führung innehaben, jedoch hält die friedliche Kooperation beider Parteien nicht lange an: Aufgrund der als ungerecht empfundenen Aufgabenteilung kommt es zu einem Konflikt (Revolte der unteren Götter), den die Herrscher dieser Kultur mittels der Herstellung eines ersten Paares von Menschen (Arbeitssklaven) zu befrieden versuchen. Die Folgen stellen eine 'Bevölkerungsexplosion' (Verknappung von Nahrung u. a.) und der letztlich scheiternde Versuch eines Genozids an der künstlich erschaffenen Menschheit dar, den die im Abendland später entstandenen Religionen unter dem Begriff der Sintflut übernahmen. Philosophie vs. Religion Abwegige Vorstellungen und Irrtümer zu erkennen, um über deren methodische Elimination fundierte Weltbilder zu entwickeln, z. B. bereinigt von durch unbewusste Projektion entstellten Menschheits-, Gottes- und Gerechtigkeitsbegriffen, kennzeichnet erst die hellenische Naturphilosophie. Offen und scharf wendet sich auch Spinoza gegen den Anthropomorphismus der seinerzeit vom Monotheismus des Christen- und Judentums in Beschlag genommenen Teleologie. Es sei absurd, von einer planvollen Zielstrebigkeit der Gottheit und gar solchen Zwecken zu reden, die sich auf den Menschen beziehen. Da alles mit ewiger Notwendigkeit aus dem Wesen der Gottheit folge – die er als unzerstörbare, unerschaffene und unteilbare Substanz definiert – und der Kosmos in jedem Moment perfekt eingerichtet sei (vgl. Leibnitz' Prästabilierte Harmonie), existiere für eine Zwecktätigkeit (die als solche zeitlicher Abstände bedarf) keinerlei Raum. Aus Spinozas Sicht stellt daher die Erklärung der Naturdinge anhand eines vermenschlichten Wollen Gottes ein Asyl der Ignoranz für jene Naturforscher dar, die zwar den Begriff Gott verwenden, dessen fundierte Bestimmung aber nicht leisten können oder -wollen. Francis Bacon hat schon das eigentlich Neue, das Kopernikus, Kepler und Galilei durch die Methode gezielt vorgenommener Experimente in die Geistesgeschichte des Abendlandes eingeführt hatten, nicht realisiert. Und trotz mach scharfer Polemik gegen die aristotelische Betrachtungsweise, hielt er wesentliche ihrer Postulate aufrecht, nämlich die Formenlehre und Teleologie – allerdings nur rein formal: ohne sich erkenntnistheoretisch mit ihnen auseinanderzusetzen. Kopernikanische Wende in der Erkenntnistheorie Immanuel Kant relativiert in seiner Kritik der Urteilskraft die Annahme zweckgerichteter Prozessen in der Natur, bzw. grenzt den Gültigkeitsbereich des Begriffes Teleologie auf den Bereich der Organismen ('Biologie') ein. Für ihn stellen die Phänomene, ob mit oder ohne eine ihnen zugeschriebene Teleologie, grundsätzlich nur Vorstellungen dar, synthetische Erkenntnisse aposteriori. Der Verstand konstruiert sie unter dem Einfluss der an sich noumenalen Sinnesreize und reicht sie weiter an die Vernunft, damit sie etwas habe, um sich in der Welt der Reize zu orientieren, den Organismus sinnvoll steuernd. Die Vernunft projiziert solche Vorstellungen während dessen unbewusst auf die Reizquellen zurück – auch also, um zu adäquaten Beschreibungen der an sich noumenal beschaffenen Naturprozesse zu gelangen –, so komme dieser Erkenntnisart keinerlei objektive Wahrheit zu. Eine solche wohne erst den 12 voraussetzungslos gegeben (apriorischen) Urteilsformen des Verstandes und dem ebenso noumenalen Urgrund des Denkens inne: dem Ding an sich. Während die apriorischen Urteilsformen dasjenige sind, was das Tohuwabohu der einströmenden Sinnesreize sinnvoll zu Vorstellungen wie die einer blühenden Rose oder eines Atoms gruppiert, ist das allem zugrunde liegende Ding an sich für Kant der Prüfstein der Wahrheit. Schopenhauer formuliert diesen eher technischen Begriff – den Kant auch den Imaginären Bezugspunkt nennt – um zu jenem Willen, der die Welt als Summe aller synthetisch aposteriorischen Vorstellungen gestaltet und sich am deutlichsten mitteile über die Werke der Kunst, insbesondere die Musik (siehe Die Welt als Wille und Vorstellung). Solch Wille ist nach wie vor unvorstellbar noumenal im Sinne des Dinges an sich (s. a. Kants Thesen über das Nichts), jedoch spürbar. Für die Naturwissenschaft könne eine „objektive“ Teleologie daher niemals etwas anderes sein als ein heuristisches Prinzip, denn Naturwissenschaft als solche reiche nur so weit, als die mechanisch-kausale Erklärung der Dinge. Indem Kant postuliert, die Naturwissenschaft werde einer umfassend fundierten Erklärung der Welt und ihrer Einzeldinge oder -wesen niemals genügen, denkt er an die Physik (griech. physis; Natur), d. h. daran, dass deren mechanistischer Ansatz grundsätzlich nur im Zusammenhang von Ursache und Wirkung operiere – dass sich hier also das Denken strikt innerhalb des kausalen Nexus bewege. Da für die Kausalität als solche keine empirisch bestimmbare Grenze existiert, jenseits derer die teleologische Erklärungsweise notwendig in Kraft trete, ist die mechanische Erklärung für Kant ein potentiell ins Unendliche verlaufender Prozess (vgl. infiniten Regress), bei welchem hinter einer bekannten Wirkung stets eine neue bis dahin unbekannt gewesene Ursache auftauchen muss usw. All diese Teilursachen aber sind, so Kant, in der Urteilsform der Allheit zusammengefasst, im Anschluss an die der Ein- und Vielheit. Mit dieser Herangehensweise erklärt seine Erkenntnistheorie Natur- und Geisteswissenschaft (physis und psyche) zu apriorisch polaren Aspekten, die in den Urteilsformen der Quanti- und Qualität fußen (über die der Relation vereinigt im Ding an sich als die erste Modalität), und leitet den Begriff der objektiven Teleologie hin zu dem der Organismen (von griech. organon; Werkzeug): „Ein organisiertes Produkt der Natur ist dasjenige, in welchem alles Zweck und wechselseitig auch Mittel ist.“ Daher existieren für dasselbe zwei scheinbar ebenbürtige Optionen, über seine Herkunft und den Sinn des Daseins zu denken: Einerseits unter der Prämisse, selbst ein sinn- und zweckloses Erzeugnis rein zufälliger Begebenheiten zu sein ('mechanistische Physik'), und andererseits unter der, das Geschöpf eines noumenal wirkenden Willens ('teleologische Psychologie'). Nach Kant Kants Analyse und Erklärung des Begriffes Teleologie gilt unter den Befürwortern seiner Metaphysik als Ausgangspunkt einer „Philosophie der Biologie“. So entwickelte Konrad Lorenz seine Evolutionäre Erkenntnistheorie und Freud die Metapsychologie. Lacan macht über das Wesen der im Unbewussten schöpferisch tätigen Libido (Energie) das Kant'sche Noumenon bewusst. Hegel hingegen begrüßt lediglich die aristotelische Idee des immanenten Zwecks, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der dem Unbewegten Beweger zugeschriebenen Attribute: Unfehlbarkeit und Allwissenheit. Beide übernimmt Hegel aus leicht einsehbarem Anlass für seinen den Kosmos und vor allem die Geschicke der Menschheit zum Ende lenkenden Weltgeist, dessen „System“ er in Napoleon bereits zu Pferde heranreiten sah. (Ein komödiantisches Analogon aus Kubricks Feder wäre u. U. Dr. Seltsams Ritt auf einer Atomrake oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben) Ludwig Feuerbach stellt sich dazu wieder in Gegensatz, genauer gesagt auf die Seite des Mechanizismus Demokrits. Die Aufnahme einer Zwecklehre schade der Physik nur. „Die Teleologie ist unfruchtbar und gebiert nichts, gleich einer gottgeweihten Jungfrau.“ Kants Erkenntnistheorie mit ihrem Entwurf einer höheren, Physiko- und Psychologie in der Kategorie der Ganzheit zusammenfassenden Synthese, scheint ihm demnach fremd, jedoch zielt seine Kritik auf die animistisch-anthropomorphe Teleologie des Christentums und Hegels. Friedrich Nietzsche bemüht sich in seinen Worten um eine Beseitigung der Teleologie: Metaphysisches Denken sei teleologisches Denken und dies wiederum die Denkungsart der Vernunft gemäß ihres schematischen Interpretierens im „großen Fangnetz-Gewebe der Ursächlichkeit“. Somit fasst er erneut den Kausal-Kontext ins Auge, jedoch wird seine Kritik am Teleologie-Begriff zum Brennpunkt seiner Kritik an der Metaphysik überhaupt. Kant sah die Philosophie insgesamt mit der Metaphysik stehen und fallen – wollte Nietzsche beide beseitigen? Aufschluss gäbe u. U. sein Wille zur Macht. Friedrich Engels verspottet „die flache Wolffsche Teleologie, wonach die Katzen geschaffen wurden, um die Mäuse zu fressen, die Mäuse, um von den Katzen gefressen zu werden, und die ganze Natur, um die Weisheit des Schöpfers darzutun. Es gereicht der damaligen Philosophie zur höchsten Ehre, daß sie sich durch den beschränkten Stand der gleichzeitigen Naturkenntnisse nicht beirren ließ, daß sie – von Spinoza bis zu den großen französischen Materialisten – darauf beharrte, die Welt aus sich selbst zu erklären, und der Naturwissenschaft der Zukunft die Rechtfertigung im Detail überließ.“ Wolffs empirische Teleologie (Von den Endabsichten der natürlichen Dinge) reize die Lachmuskeln durch ihre kleinbürgerlichen Gesichtspunkte. Engels verwirft die Unterstellung absichtsvoller Handlungen in der Natur als Pantheismus oder Deismus und besteht auf Kausalerklärung, wie sie auch Darwins Evolutionstheorie darstelle. In der Wissenschaftstheorie Wissenschaftstheoretiker wie Hempel, Oppenheim oder Stegmüller sehen in kausalen Erklärungen das oberste Ziel von empirischer Wissenschaft. Hans Albert zufolge darf es in der Wissenschaft überhaupt nur eine Methode der Erklärung geben. Die Getrenntheit in je eigene Gebiete – etwa auf der Achse von „Geistes-“ und „Naturwissenschaft“ (nomothetisch vs. idiographisch) – sei zwar aus Gründen der spezialisierten Arbeitsteilung zweckmäßig, letztlich aber nicht aufrechtzuerhalten. Demnach stellen 'Geist' und 'Körper' keine wechselseitig unvereinbaren Positionen oder eigenständige Entitäten dar (s. a. Leib-Seele-Problem), es bleibt aber unklar, ob der Autor das von diesen Begriffen Bezeichnete etwa als von vornherein gegebene Kategorien gemäß des Kant'schen Apriori auffasst, oder wie er seine These sonst begründet. Für Karl Popper liefert die Untergliederung der Wissenschaft in eher geistige und eher natürliche Gebiete – z. B. die mathematische gegenüber der praktischen Physik – kein triftiges Argument, teleologische Erklärungen vom methodisch forschenden Denken auszuschließen. Annahmen eines immanenten oder setzbaren Ziels seien daher für Natur- und Geisteswissenschaften gleichermaßen zulässig. So vertrat er eine teleologische Sicht im Hinblick auf die Entstehung der Arten. Im Sinne der eingangs erwähnten monistischen Position hebt Stegmüller hervor, dass die Berücksichtigung kausaler Zusammenhänge teleologische Erklärungen nicht ausschließe, vielmehr ergänze sich beides zu einer höheren Synthese. Daher integriere jede echte Teleologie – zu einer solchen zählt u. a. die Rückführung des menschlichen Verhaltens auf die erste Ursache (Quelle) und das Ziel seiner Bedürfnisse – eine kausale Erklärung. Von der echten teleologischen Erklärung unterscheidet er die scheinbar echte, welche ein Naturphänomen darlegen soll, das sich zwar auf einen bestimmten Zustand hinbewegt („Zielgerichtetheit“), jedoch ohne dass dafür eine Zwecksetzung („Zielintention“) nachweisbar sei. So streben aus physikalischer Perspektive alle Phänomene ein möglichst niedriges Energieniveau an (fallen Gegenstände von 'Oben' nach 'Unten' herab; wird Heißes kalt), nur eben nicht aufgrund eines ihnen immanenten Bedürfnisses oder Auftrags von Seiten einer übernatürlichen Intelligenz. Dieser Versuch einer Unterscheidung der echten von den scheinbar echt teleologischen Erklärungen bildet den Kern der wissenschaftstheoretischen Auseinandersetzung um die Teleologie. Während metaphysische Positionen wie die von Platon und Kant jegliches Phänomen als synthetische Vorstellung aposteriori darlegen (zusammengefügt unter dem Mitwirken apriorischer Urteilsformen; Ideen) und daher die bewusste Wahrnehmung – den zentralen empirischen Akt – als noumenal-/unvorstellbares wiewohl spürbares Geschehen auffassen, lehnt die Position des Empirismus diese Perspektive ab mit dem Argument, dass für noumenale Postulate kein Beleg zu haben sei, der der Sinnlichkeit (Empirie) entstammt. Dabei handelt es sich um einen Zirkelschluss, der sich abgesehen davon, dass er Noumena wie Kants Ding an sich, Schopenhauers Wille oder Anaximanders Apeiron (Quelle und Ziel aller Phänomene) negiert, implizit gegen die Hypothese des Bewusstseins wendet und daher Strömungen wie die des eliminativen Materialismus begünstigt. Für diesen ist das Leibniz'sche Mühlengleichnis also kein Problem; es gibt einfach keinen 'Geist in der Maschinerie' – weder in der der Mühle, noch in der des Menschen. Demzufolge wird eine Kantisch metaphysische Erklärung dessen, was Kausalität und zulässige Teleologie seien,* von manchen empiristischen Wissenschaftlern keine Gültigkeit beigemessen. (* Siehe oben: Ein potentiell ins Unendliche laufender Prozess aus immer nächsten Ursachen, und die Sicht der organisierten Naturprodukte, für die ihrer erstursächlichen Bedürfnisse wegen deren Stillung der Zweck all ihres Tuens ist). Stattdessen favourisieren sie Modelle, die den kausalen Nexus ggf. mit einer per Definition physikalisch Ersten Ursache beginnen lassen: dem sog. Urknall, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die Singularität, welche die Mathematik dem Urknall logisch 'voraus' setzt, ein rein geistiges (noumenales) Postulat darstellt, das sich „an sich“ prinzipiell nicht empirisch verifizieren lässt. (Gilt demnach das materielle Dasein des Kosmos als 'tautolgischer Beweis' der Singularität?) Konsequent weiter gedacht kann aus dieser Perspektive im Kosmos kein noumenaler Wille im Sinne etwa der göttlichen Substanz Spinozas oder Platons Dynamis walten; so unternimmt man den Versuch, die Evolution der unbelebten Phänomene – ausgehend von Superstrings oder rein mathematischen Strukturen? – zu Atomen, Licht, Sternen, Planeten, Galaxien und Lebewesen 'geistfrei' zu erklären – etwa über das Konzept der sog. Selbstregulation. Hierbei gehorchen die Phänomene einem „Programm“, das sich auszeichnet durch Lernfähigkeit, respektive das Vermögen, sich ohne externe Steuerung an neue Faktoren anzupassen. Dies ist für Stegmüller kein Anlass, sich gegen sein Postulat der echten Teleologie zu wenden; im Gegenteil müsse der Versuch unternommen werden, entsprechende Phänomene ergänzend mit Hilfe der Funktionalanalyse zu erklären. Wichtig wäre hier die Frage, an welche Art Nachweis bezüglich der implizit angenommen „Zielintention“ er denkt. Im Gegensatz zu manchen Wissenschaftstheoretikern hält v. Wright teleologische (intentionale) und kausale Erklärungen insbesondere in jenen Wissenschaftsgebieten für notwendig, die sich mit der Erforschung des Menschen befassen (u. a. Kulturanthropologie, Historik, Humanetho- und Psychologie), da bezüglich des Phänomens Homo sapiens in der Regel nicht bezweifelt wird, dass es mit Bewusstsein ausgestattet sei. Daher wird in diesen Gebieten das jeweilige Wissen und Glauben über unser Verhalten (Griechisch Ethos) in die Beschreibung mit einbezogen: sowohl bezüglich seiner kosmologischen und biologisch-evolutionären Ursachen, als auch in Hinblick auf seine bewussten Ziele und unbeabsichtigten Folgen. Naturphilosophische Emergenz Kant führte den Begriff der Selbstorganisation in seiner Kritik der Urteilskraft ein, um die belebte Sphäre zu charakterisieren: Demnach sagt man von der Natur mit ihrem Vermögen, Organismen zu erzeugen, bei weitem zu wenig, wenn man diesen Vorgang ein Analogon der Kunst nennt. Denn in der Kunst denkt man sich den Künstler (ein vernünftiges Wesen) als eine außerhalb seiner Werke stehende Instanz. Die Natur jedoch organisiert sich selbst, zwar in jeder Gattung ihrer Produkte nach einem gleichen Muster, doch in den einzelnen Organsimsmen auch mit Abweichungen, die ihrer Selbsterhaltung gegenüber den umgebenden Faktoren förderlich sind. Diese Auseinandersetzung mit der damals jungen Evolutionstheorie, parallel zu seiner in den Prolegomena dargelegten Erweckung aus dem „dogmatischen Schlummer“ durch die Konfrontation mit dem Empirismus David Humes, führte Kant zu der doppelten Erkenntnis, dass ebenso wie einerseits der Physik – die als reine 'Körper'-Wissenschaft im 'geistlosen' Mechanizismus des Folgens von Wirkungen aus Ursachen ankert – inhärente Erklärungsgrenzen gesetzt sind, es andererseits nicht möglich ist, die Herkunft des 'Geistes' kausal zu erklären – überhaupt die Kausalität aus der Empirie herzuleiten. F. Schelling, als Begründer der „dynamistischen Naturphilosophie“ einer der Exponenten des Deutschen Idealismus, griff Kants Überlegungen auf und erweiterte dessen Konzept der das Bewusstsein im Menschen selbstorganisierenden Natur zu einer auch die Sphäre des Anorganischen umfassenden Naturphilosophie. Dabei erkannte er, dass es nicht hinreicht, lediglich das offenbare Selbsterhaltungsstreben der verschiedenen Systeme zu thematisieren. Vielmehr müssten sie von ihrem „ersten Ursprung“ her erkannt werden. Selbst das „dynamische Gleichgewicht“ stelle keine erste Ursache dar, vielmehr handelt es sich auch hierbei um das Produkt eines tiefergehenden Prozesses der hervorbringenden Natur (natura naturans). Schellings Naturphilosophie, die an die Kosmogonie Platons u. a. im Timaios anknüpft, ist daher im Kern eine Theorie der Emergenz. In der Biologie Anders als in der frühen Neuzeit erhebt die moderne Biologie Anspruch, Herkunft, Beschaffenheit und Dynamik der Organismen erklären zu können, ohne dafür auf zwecksetzende Instanzen zurückzugreifen. Diese Negation einer transzendenten oder immanenten ersten Ursache im Sinne einer „höheren Absicht“ oder eines noumenalen Willens, teilt die moderne Biologie seit Darwins Evolutionstheorie insbesondere mit der Physik als das klassische Grundgebiet aller Naturwissenschaften, so verfolgt sie jenen Ansatz, den Kant als Mechanismus bezeichnet: Beschreibung der Phänomene, welche als Wirkungen von Ursachen gelten, hinter denen beim erneuten und möglichst noch genauerem Hinsehen (mittels verbesserter Mikro- und Teleskope) bis dato unbekannte Phänomene auftauchen, die ihrerseits Ursachen haben müssen usw. ins Unendliche. Ordnung vs. Babylonische Begriffsvielfalt Diese Herangehensweise revolutionierte ab dem frühen zwanzigsten Jahrhundert die naturwissenschaftliche Forschung: Weder lassen sich Raum und Zeit voneinander getrennt denken (Relativitätstheorie), noch die sich in diesem Kontinuum strukturierenden Phänomene überhaupt beliebig exakt messen (Unschärferelation), ja wurde erkannt, dass es eine prinzipielle Grenze gibt (Planck-Einheiten), ab der es unmöglich wird, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten, respektive rational nachvollziehbare Gedanken zu fassen. Demnach waltet ‚hinter‘ unseren Vorstellungen zwar kein Nichts, aber eine mathematische Singularität – das Reservoir oder Potential jener Energie, die durch den Urknall als Kosmos – ex 'nihilo' – materialisiert. Der Kosmos gilt als Phänomen und dem Werde-Vergehen unterworfen, die Energie selbst als unentstanden-unzerstörbar (s. Erhaltungssatz). Somit ankert die moderne Naturwissenschaft auf einem durch die Mathematik präzise formulierten Gedanken, dessen methodischer Anwendung zweifellos unzählige großartige Errungenschaften zuzuschreiben sind (ohne sie gäbe es weder moderne Kosmologie noch Computer noch Gentechnologie), freilich eruiert sie aus der Singularität keinerlei Sinn und Zweck. Weder für den Kosmos im Ganzen noch für den Menschen im Einzelnen. Teleologien, die dies aufgrund ihres Fundaments in der Metaphysik zu leisten versprechen, indem sie den Begriff beleuchtet, darüber hinaus weitere wie Raum und Zeit, Körper und Geist (Physis und Psyche) als Antinomien darlegt und in eine gemeinsame Struktur apriorischer Urteilsformen einbettet, nimmt man in Physik und Biologie kaum zur Kenntnis oder erklärt sie infolge des vermeintlich rein spekulativen Charakters der Metaphysik von vornherein für ungültig. Erwägungen zur ersten Ursache im Sinne eines Sinns des Kosmos und des menschlichen Daseins überlässt man – teils unter neu gebildeten Begriffen wie dem des Naturalismus – der Philosophie oder erklärt sie zum Aberglauben mancher Theologen. Nach Gerhard Vollmer etwa zeichnet sich der naturalistische Ansatz nicht durch eine seines Erachtens wünschenswert vollständige Eliminierung metaphysischer Voraussetzungen aus (vgl. eliminativer Materialismus), sondern lediglich durch deren Minimierung. Allerdings wird der Teleologiebegriff oft nicht gründlich untersucht, etwa indem man nach echten (‚psychologischen‘) und scheinbar echten (‚physikalischen‘), wissenschaftlich fundierten und religiös-/ideologischen Zwecklehren wie Hegels vom Kommunismus übernommenem „Weltgeist“ differenziert. Auf diese Weise werde eine fundierte Eindordnung des Begriffes zusätzlich erschwert. Laut Ernst Mayr indess ließen sich dreierlei Bedeutungen von Teleologie differenzieren: unilineare evolutionäre Sequenzen (Progressionismus, Orthogenese); scheinbare oder echte zielgerichtete Prozesse; teleologische Systeme. Eine scheinbar zweckvoll angelegte Herkunft der Lebewesen, Systemen wie dem seit Äonen zwischen bestimmen Mini- und Maxima schwankenden Gleichgewicht des Klimas auf diesem Planeten oder ebenso stabiler wie schöner Strukturen wie den Spiralgalaxien im Kosmos gemäß der von Florian Freistetter dargelegten „Irrationalsten von allen Zahlen“, wird unter Begriffen wie evolutive Anpassungen oder Selbstregulation zusammengefasst. Unerwähnt bleibt oft, dass Kant dem gegenüber von Selbstorganisation spricht und dabei der Auffassung ist, dass es nicht genüge, die natürlichen Prozesse nur mit der schöpferischen Tätigkeit eines Künstlers vergleichen. Vielmehr scheint er das Argument umzudrehen, indem er anhand dieser von ihm kritisch betrachteten „Analogie“ darauf hinweist, dass der Künstler als intelligentes Wesen außerhalb seines Werkes stehe. Demnach stellt das menschliche Bewusstsein das beeindruckendste der ihm selbst bislang bekannten Werke einer sich immanent selbst organisierenden Natur dar. Offenbar ohne Kenntnis von Kant führte 1958 Colin S. Pittendrigh das Konzept der Teleonomie ein, um den Eindruck der scheinbaren Zweckmäßigkeit des evolutiven Geschehens, dem wir laut Darwin die erstaunliche Volumenzunahme unseres Gehirns zu verdanken haben, auf automatisch ablaufende Programme – wie beispielsweise unser Genom – zurückzuführen. Diesem Gedanken hält man entgegen, dass er die Frage nach dem Wesen der Teleologie auf ein rein terminologisches Problem reduziere, indem er durch das Benennen eines programmatischen Ablaufs zwar die Nebenbedeutung der inneren Absicht oder übernatürlichen Steuerung eliminiere, dabei aber unberührt lasse, dass ein Programm oder Algorithmus (Denk- oder Handlungsanweisung) im üblichen Verständnis des Begriffes eines Programmierers bedarf. So bleiben nach wie vor folgende Optionen offen bzw. nebeneinander stehen: Entweder liegt der Tatsache des Daseins des unter anderem uns hervorbringenden genetischen Programms ein geistloser Mechanismus als erste Ursache zugrunde. Oder ein lernfähig schöpferischer Spieltrieb im Sinne der Feuer=Welt-Äquivalenzgleichung Heraklits oder Freuds noumenaler Libido-Energie. Oder ein allmächtiger religiöser Schöpfer, der in seiner Unfehlbarkeit bereits die ersten von ihm hergestellten Menschen eine strafwürdige Fehlleistung begehen ließ. Oder eine höhere Intelligenz wie der von vornherein allwissende Demiurg Aristoteles‘, der somit ebenfalls eine Art von Erste Ursache darstellt, die die heutigen Biologen und Physiker – da sie als solche weder Theologen noch Metaphysiker noch Philosophen sind – ohnehin ablehnen würden. Schließlich – so Bartels und Stöckler – sei auch die u. a. von Stegmüller empfohlene Kopplung des biologischen Funktionsbegriffes an mathematische Funktionen nicht hilfreich, da dies dem tatsächlichen Gebrauch in der Biologie nicht gerecht würde. Hier stellt sich die Frage, ob den Autoren unbekannt wäre, dass weder die Berechnung der mechanischen Flugeigenschaften einer Fliege noch die Rückverfolgung Millionen Jahre alter Genlinien beim Erforschen der evolutiven Verwandtschaft zwischen Homo sapiens und Schimpansen ohne Anwendung mathematischer Funktionen machbar sind, bzw. an welche Art von „tatsächlichem Gebrauch“ sie denken. In der Psychologie Die Individualpsychologie nach Alfred Adler und Rudolf Dreikurs geht davon aus, dass der tiefenpsychologische Grundantrieb des Menschen teleologisch ist. Die Individualpsychologie spricht in diesem Zusammenhang von „Finalität“. Adler nennt die grundlegende Finalität eines Menschen den „Lebensstil“. Auch die Analytische Psychologie nach C. G. Jung vertritt diesen Ansatz einer finalen Methodik aus einem nicht nur kausal-mechanistischen, sondern auch aus einem psychoenergetischen Standpunkt heraus. In der Handlungstheorie In der Handlungstheorie der praktischen Philosophie dient Teleologie als ein Grundprinzip zur Beschreibung und Erklärung. Teleologie ist die Berufung auf das Ziel der Handlung, dessen Realisierung der Handelnde als Handlungsfolge zusammen mit den anderen Folgen zu verantworten hat. Es wird daraufhin geprüft, ob diese praktischen Folgen (etwa Annehmlichkeit, Nützlichkeit) zur Realisierung eines Werts beitragen. Das Begründungsverfahren lässt Zwischenstufen zwischen gut und schlecht zu. In der normativen Ethik Außerdem bezeichnet man Ethiken als teleologisch, wenn diese Handlungen lediglich an dem herbeigeführten Zustand messen, ohne dabei auf Handlungsmotive oder moralische Pflichten zu rekurrieren. Die utilitaristische Ethik vertritt ein solches Modell, wenngleich es auch hier Bestrebungen gibt, den Utilitarismus um die Einbeziehung von Handlungsmotiven zu erweitern. Es gibt auch anti-teleologische Ethiken, beispielsweise die von John Rawls in A Theory of Justice entwickelte Theorie der Gerechtigkeit. Viele Theorien in der Philosophie sind auch im universalistischen Sinne teleologisch: So ist für den Eudämonismus der objektive Erfolg in Bezug auf besondere Lebensziele entscheidend, für einen Hedonisten hingegen das subjektive Glückserleben (z. B. durch sinnliche Reize oder Erfolgserlebnisse), für den Utilitaristen die Befriedigung von Bedürfnissen und für den Perfektionisten beste Ergebnisse in der Kultur das Ziel. In der Rechtswissenschaft In den Rechtswissenschaften wird als „Teleologie“ eine besondere Auslegungsmethode bezeichnet. Sie wird als die vierte klassische Auslegungsmethode aufgeführt, neben der grammatischen (der Wortlautanalyse), der systematischen (der Frage nach der Stellung im Rechtssystem) und der historischen (welche den „gesetzgeberischen Willen“ mitberücksichtigt und hermeneutisch zu verstehen versucht). Die teleologische Auslegung fragt nach Sinn und Zweck eines Gesetzes, der sogenannten ratio legis. Überprüft wird dabei, ob dieser Sinn und Zweck im Einzelfall erfüllt wird. Siehe auch Deontologie Entelechie Gottesbeweis Individualpsychologie Konsequentialismus Natürliche Theologie Teleologisches Argument Teleologische Ethik Teleologische Extension Teleologische Restriktion Literatur C. Allen, M. Bekoff, G. Lauder (Hrsg.): Nature’s Purposes. MIT Press, Cambridge, MA 1998. A. Ariew, R. Cummins, M. Perlman (Hrsg.): Functions. New Essays in the Philosophy of Psychology and Biology. 2002. Hans Peter Balmer: Figuren der Finalität. Zum teleologischen Denken der Philosophie. readbox unipress, Münster 2017, ISBN 978-3-95925-053-5. (Open-Access: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:19-epub-38464-2) Morton Beckner, Karen Neander: Teleology. (Beckner 1967) / Teleology (Addendum). (Neander 2005), In: Encyclopedia of Philosophy. S. 384–388/ 388–390. D. Buller (Hrsg.): Function, Selection, and Design. SUNY Press, Albany, NY 1999. H. Busche: Teleologie; teleologisch. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 10, S. 970–977. Nicolai Hartmann: Teleologisches Denken. Berlin 1966. Eve-Marie Engels: Die Teleologie des Lebendigen. Eine historisch-systematische Untersuchung. Duncker & Humblot, Berlin 1982. Karen Neander: The Teleological Notion of Function. In: Australasian Journal of Philosophy. 69 (1991), S. 454–468. Juergen-Eckardt Pleines (Hrsg.): Zum teleologischen Argument in der Philosophie. Aristoteles – Kant – Hegel. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1991. J.-E. Pleines (Hrsg.): Teleologie. Ein philosophisches Problem in Geschichte und Gegenwart. Verlag Königshausen & Neumann, Würzburg 1994. Nicholas Rescher (Hrsg.): Current Issues in Teleology. University Press of America, Lanham, MD 1986. Robert Spaemann, Reinhard Löw: Die Frage Wozu? Geschichte und Wiederentdeckung des teleologischen Denkens. 3. Auflage. München 1991, ISBN 3-492-10748-6. Wolfgang Stegmüller: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie. Band I (Wissenschaftliche Erklärung und Begründung.) Springer Verlag, 1982. Michael Stöltzner, Paul Weingartner: Formale Teleologie und Kausalität. Mentis, Paderborn 2005. Georg Henrik von Wright: Erklären und Verstehen. Frankfurt 1974. Larry Wright: Teleological Explanation. University of California Press, Berkeley 1976. Weblinks Einzelnachweise Metaphysik Natürliche Theologie Ethische Theorie Wissenschaftstheorie der Biologie
Q192121
115.003841
131381
https://de.wikipedia.org/wiki/Konquistador
Konquistador
Konquistador ( und ‚Eroberer‘) wird als Sammelbegriff für die Soldaten, Entdecker und Abenteurer benutzt, die während des 16. und 17. Jahrhunderts große Teile von Nord-, Mittel- und Südamerika sowie der Philippinen und anderen Inseln als Kolonien in Besitz nahmen. Der über ein Jahrhundert andauernde Prozess der Eroberung und Erschließung des mittel- und südamerikanischen Festlandes wird als Conquista (‚Eroberung‘) bezeichnet. In den Augen der meisten Spanier der damaligen Zeit war sie die zeitliche und kohärente Folge der im Jahr 1492 abgeschlossenen Rückeroberung (reconquista) der Iberischen Halbinsel aus den Händen der Mauren. Motivation und Grundlagen In dem Jahrhundert nach der Entdeckung Amerikas durch Christoph Kolumbus betraten Abenteurer und Glücksritter die Neue Welt, die später von spanischen Chronisten als conquistadores bezeichnet wurden. Im Prinzip konnte jeder Konquistador werden, dem es gelang, finanzielle Unterstützung zu finden. Zunächst schloss der Konquistador einen Vertrag (capitulación, asiento) mit der Casa de Contratación. Der Vertrag hatte den Charakter einer Lizenz oder eines Monopols und legte die Rahmenbedingungen für das Unternehmen fest. Nur wenige Konquistadoren konnten es sich leisten, echte Söldner anzuheuern. Oft handelte es sich bei den Mannschaften der Konquistadoren um mittellose Spanier oder Veteranen der Reconquista. Sie waren keine offiziellen Soldaten, sondern freie Bürger und direkt am Gewinn beteiligt. Für ihre Rüstung, Waffen und Pferde mussten sie selbst aufkommen. Die Möglichkeit des gesellschaftlichen Aufstieges machte den Dienst sehr attraktiv. Während erstgeborene Söhne in Spanien das Erbe der Väter antraten, blieb den nachgeborenen Söhnen oft nur der Weg, sich als Konquistador mit Waffengewalt eigenen Besitz und damit gesellschaftliche Anerkennung zu erobern. Der Lizenznehmer verpflichtete sich zur Erschließung einer Provincia, eines begrenzten Gebietes, dessen Ausdehnung aufgrund der unklaren geographischen Verhältnisse oft unterschätzt wurde. Dazu gehörte insbesondere der Bau von Siedlungen und Städten sowie die Bekehrung der indianischen Bevölkerung zum christlichen Glauben. Außerdem wurden in dem Vertrag die Zollbestimmungen für die Ein- und Ausfuhr von Waren genau festgelegt. Der fünfte Teil aller Erträge der Kolonie musste als Steuer an die Krone abgeführt werden (Quinto Real, ‚königliches Fünftel‘). Im Gegenzug durfte der Lizenznehmer mit dem Gouverneur (Adelantado) und dem Generalkapitän (Capitán General) die jeweils höchsten zivilen und militärischen Repräsentanten bestimmen und hatte bei der Durchführung des Unternehmens weitgehend freie Hand. Die von Konquistadoren in Form von Raub- und Eroberungszügen organisierten bewaffneten Expeditionen in bis dahin noch nicht von Europäern besiedelte und ihnen oft völlig unbekannte Gegenden der Neuen Welt, in denen sie zu erbeutende Schätze erwarteten, wurden in den Quellen armada de rescate („bewaffneter Beutezug“), jornada („Reise“) oder schlicht entrada („Reingehen“) genannt. Diesen spanischen Begriff übernahmen auch nichtspanischsprachige Konquistadoren wie die deutschen Welser-Konquistadoren. Das oberste Ziel der Konquistadoren war dabei zunächst nicht die Gründung von Siedlungen, sondern die Unterwerfung einheimischer Völker und der Gewinn von Reichtümern wie Gold und Silber. Um dieses Ziel zu erreichen, gingen sie meist mit großer Brutalität gegen die indigene Bevölkerung vor. Das im Jahr 1513 eingeführte Requerimiento gab den Konquistadoren und den sie begleitenden Missionaren eine pseudooffizielle Genehmigung und Rechtfertigung ihres Tuns. Nach dem Gewinn der Beute versuchten viele Konquistadoren, sowohl den Staat als auch ihre eigenen Gefolgsleute und Geldgeber zu benachteiligen. Zwischen rivalisierenden Gruppen, die das gleiche Gebiet beanspruchten, gab es Auseinandersetzungen um Ansprüche bis hinzu zu Schlachten zwischen Konquistadoren. Unzufriedene Konquistadoren, die oft vor dem Ruin standen, und Neuankömmlinge unternahmen immer neue Züge in unbekannte Regionen. Gerüchte wie der Mythos von El Dorado spielten hier eine bedeutende Rolle. In den eroberten Gebieten regierten zunächst die Konquistadoren uneingeschränkt. Nach und nach aber entsandte die spanische Krone Gouverneure und Beamte, die die Kontrolle übernahmen. Die Vizekönigreiche Neuspanien und Peru wurden gegründet. Viele Conquista-Unternehmen endeten in einem Rechtsstreit. So verbrachte Hernán Cortés seinen Lebensabend mit Rechtsstreitereien mit der spanischen Krone, ebenso wie zuvor die Erben des Kolumbus. In Peru führte der Zugriff der Krone zur offenen Rebellion. Ab etwa 1560 verringerte sich der Einfluss Spaniens; erstmals stritten sich auch englische und französische Konquistadoren um lukrative Provinzen. Mit der zunehmenden Besiedlung und der Konsolidierung der Vizekönigreiche endete ca. 1600 die Zeit der Konquistadoren. Der Untergang der indigenen Großreiche Die militärischen Vorteile der Eroberer Bei den Eroberungen der Großreiche der Azteken und Inkas standen die Konquistadoren oft einer erdrückenden Überzahl an Indianern gegenüber (z. B. 170 Spanier gegen ungefähr 4000 bis 7000 Inkas in der Schlacht von Cajamarca). Die Azteken unterschätzten ebenso wie die Inka die waffentechnische Überlegenheit der Konquistadoren und vor allen Dingen ihre Überlegenheit im taktisch-strategischen Eroberungskampf. In der Reconquista hatten die Spanier über Jahrhunderte, häufig in Unterzahl, erfolgreiche Kampftaktiken gegen die Mauren entwickelt. Die eigene vielfache Überlegenheit an verfügbaren Kriegern machte es den Indianern schlicht unmöglich, die Gefährlichkeit der zahlenmäßig kleinen fremden Truppen richtig einzuschätzen. Die fehlende Kenntnis des kulturellen Hintergrunds der spanischen Gegner, ihrer wahren Intentionen und die eigenen Fesseln der Religion machten es den indianischen Herrschern schwer, richtig zu reagieren. In jedem Naturereignis sahen die indigenen Priester schreckliche Vorzeichen der Götter, die häufig eine Lähmung der politischen Führung bewirkten. Die Reiche der Inkas und der Azteken waren ihrerseits durch Eroberungskriege aufgebaut worden. Die eroberten Völker leisteten Tributzahlungen an die indianischen Eroberer und waren häufig nicht in das Reich integriert. Es gab in den Großreichen viele verschiedene Völker, Sprachen und Religionen. Es gab keine einheitliche Verwaltung (außer im Inkareich), keine einheitliche Rechtsprechung und kein stehendes Heer, das die unterworfenen Regionen ständig besetzt hielt. Die Reiche waren dementsprechend instabil. Die Konquistadoren nutzten die Unzufriedenheit der unterworfenen Völker aus und gewannen sie als Verbündete gegen die Herrscher der Großreiche. Zusammenbruch der einheimischen Bevölkerung Man schätzt die Zahl der Indios, die in Neuspanien zwischen den Jahren 1500 und 1600 direkt durch die Konquistadoren oder indirekt durch Hungersnöte oder aus Europa eingeschleppte Krankheiten wie die Pocken ihr Leben verloren, auf ca. 15 Millionen. Die Bevölkerungszahl des Inkareiches wird für das Jahr 1492 auf 4 bis 15 Millionen Menschen geschätzt. Aufgrund des geringen Datenmaterials aus dieser Zeit sind genauere Angaben nicht möglich. Ende des 16. Jahrhunderts lebten wahrscheinlich nur noch eine Million Menschen in diesem Gebiet. Der Einfluss der Epidemien auf die indianische Gesellschaft ist nicht zu unterschätzen. Die Krankheiten der Europäer rafften nicht nur das einfache Volk hinweg. Sie machten auch nicht Halt vor den Häuptlingen, Medizinmännern und Geschichtenerzählern. So wurden ganze Völker oft innerhalb weniger Wochen ihrer kulturellen Identität und ihres Zusammenhalts beraubt. Das machte sie anfällig für den missionarischen Eifer der Konquistadoren. Bewaffnung der Konquistadoren Die übliche Grundausstattung der Konquistadoren umfasste eine Rüstung (Spanische Rüstung), einen Helm und als Bewaffnung einen Degen. Reiter Das Pferd war ein in Amerika unbekanntes Tier und die Indianer hielten es zuerst für ein Ungeheuer. Der Anblick der spanischen Reiter auf dem Pferd vermittelte den Indianern den Eindruck, es handele sich hierbei um ein einziges Wesen. Die Reiter waren bewaffnet mit Rapier und leichter Lanze. Geschützt wurden sie durch eine leichte Rüstung mit Halsberge, Helm sowie Stahlschienen und Knieschützer an den Beinen. Der Hauptvorteil der Kavallerie bestand in ihrer Geschwindigkeit. Sie erlaubte es den Konquistadoren, nach Belieben über die indianischen Gegner herzufallen und blitzartig Verwüstungen anzurichten. Im Kampf verausgabte ein sachkundiger Reiter sein Pferd nie; er hielt es in ständigem, gleich bleibendem Trab, mit leicht verhängtem Zügel. Wenn er einen Gegner vor seiner Lanze hatte, verkürzte das Pferd mit nur wenigen Galoppsprüngen die Distanz, so dass der Reiter den Indianer töten konnte. Die Kavallerie war die ideale Waffe, sowohl beim Angriff, als auch beim sich anschließenden Rückzug der Indianer, da die Spanier ihre Gegner nach Möglichkeit nicht entkommen ließen. Die Reiter arbeiteten stets in kleinen Gruppen von drei oder vier Mann zusammen, um sich gegenseitig zu unterstützen. Bei einer Schlacht mit einem zahlenmäßig überlegenen Gegner hielt sich die Reiterei zurück und wartete auf die Salven der Armbrustschützen und Arkebusiere. Nach der Salve preschten die Reiter vor, in die Lücke, welche die Salve in die gegnerischen Reihen gerissen hatte und richteten dort ihre Verwüstungen an. Bei anderen Gelegenheiten griff die Reiterei zuerst an und brachte den Feind zum Wanken. Das Fußvolk griff erst dann ein, wenn sich die Indianer zur Flucht wandten. Fußsoldaten Obwohl die Kavallerie die stärkste Waffe der Spanier war, trug die Hauptlast des Kampfes die Infanterie mit ihren Lanzenträgern, Hellebardenträgern und Schwertkämpfern (Rodeleros), Armbrustschützen und Arkebusieren. Die Infanterie schützte sich gewöhnlich mit Stahlhelm (Cabasset oder Morion), Halsschutz, Brustpanzer und mit dem Unterleibsschutz (diese Rüstung wurde Dreiviertel-Rüstung genannt). Einige Soldaten gebrauchten einen leichteren und flexibleren Panzer aus Leder, der zusätzlich mit Stahlplatten belegt war. Bei der Eroberung Neuspaniens (Mexiko) gab es eine Besonderheit. Hier legten mit der Zeit viele spanische Soldaten, Hernán Cortés eingeschlossen, den schweren und hinderlichen Panzer ab. Sie tauschten ihn gegen eine Rüstung aus dicker gepolsterter Baumwolle ein. Diese leichte Panzerung hatten sie den Azteken abgeschaut. Sie bestand aus einer zwei Finger dicken Schicht aus Baumwolle und war ähnlich widerstandsfähig wie Filz. Da es an vielen anderen Orten der Neuen Welt keine Baumwolle gab, behielten die Konquistadoren dort ihre eiserne Rüstung. Da die Indianer eher individuell statt unter Einsatz von Gruppentaktiken kämpften, war es den Europäern möglich, einer sehr großen Übermacht von Kriegern standzuhalten. Schulter an Schulter standen die spanischen Eroberer mit ihren Hellebarden und überraschten die Indianer so mit den ihnen unbekannten Waffen. In den hinteren Reihen der Infanterie standen die Armbrustschützen. Sie traten nur für den Schuss nach vorn. Dann luden sie ihre Waffe hinter den Schilden, Schwertern und Hellebarden ihrer Kameraden nach. Die Armbrustschützen schossen gezielt auf gegnerische Anführer. Den Bolzen der Armbrüste waren die Indianer fast schutzlos ausgeliefert, da selbst die starken Schilde aus Holz und die Rüstungen aus Baumwolle oder Leder durchschlagen wurden. Im Nahkampf gebrauchten die Konquistadoren das Rapier. Da viele der Männer Hidalgos waren, übten sie mit dieser Waffe seit ihrer Kindheit. Der tägliche Drill hatte sie zu erfahrenen Kämpfern gemacht. Mit ihren sehr scharfen, jedoch viel schwereren Waffen aus Holz und Stein waren die Indianer den Konquistadoren mit ihren gut ausbalancierten Degen hoffnungslos unterlegen, denn die Indianer nutzten ihre Obsidianschwerter oder Keulen immer als Hiebwaffen. Durch die lange Ausholbewegung ist der Hieb stets langsamer als der Stoß. Zudem hatten die Konquistadoren mit dem geringen Gewicht ihres Degens einen weiteren Vorteil: Sie ermüdeten nicht so schnell und der niedrige Schwerpunkt ihrer Waffe ermöglichte ihnen im Nahkampf durch Parade und Riposte sofortige Gegenangriffe. Arkebuse Bei den Schusswaffen war es die Arkebuse, die den größten Schrecken auslöste, obwohl diese Waffe nicht immer wunschgemäß funktionierte und ihre Handhabung gefährlich war. Ihre Wirkungen war wohl eher psychischer Natur durch den Lärm und die Feuerblitze. Effektiv war sie wohl nicht entscheidend. Die wirksamste Entfernung des Schusses waren etwa fünfzig Meter. Doch es wurde empfohlen, nicht zu schießen, bis der Feind auf etwa fünfzehn Meter heran war. Die Arkebusiere arbeiteten gewöhnlich in einem Zweierteam. Während ein Soldat ständig lud, feuerte der andere. Dies erhöhte die Feuerkraft und die Schnelligkeit, mit der die Schüsse abgefeuert wurden. Artillerie Das wichtigste Geschütz der Artillerie war die Feldschlange aus Bronze. Diese Waffe ließ sich auch in der offenen Feldschlacht gut gebrauchen. Mit ihr konnten die Spanier Geschosse mit einem Gewicht von acht bis dreizehn Kilogramm abfeuern. Auch wenn der Schuss nur wenig genau war, öffnete er jedoch stets eine Bresche und verursachte ungeheure Verwüstungen in den Reihen des Gegners. Doch es wurden auch große Bombarden zum Durchbrechen von Mauern und kleine Falkonetts auf Brustwehren und Wasserfahrzeugen eingesetzt. Kriegshunde Gewaltigen Schrecken verbreiteten auch die Kriegshunde der Konquistadoren. Oft fertigten die Männer ihren Hunden Lederkoller an, die sie zu einem großen Teil vor Hieben und Wurfgeschossen schützten. Die Angriffslust und die Kampfkraft dieser Hunde überraschte die Indianer sehr, weil sie zuvor nur viel kleinere Rassen gekannt hatten. Berühmte Konquistadoren (Sortierung nach Jahr der Eroberung) Vasco Núñez de Balboa (um 1475–1519), Eroberer Dariéns (1510) und europäischer Entdecker des Pazifiks (25. September 1513) Juan Ponce de León (1460–1521), europäischer Entdecker Floridas (27. März 1513) Hernán Cortés (um 1485–1547), Eroberer des Aztekenreichs (1519–1521) Cristóbal de Olid (1487–1524), Eroberungsversuch von Honduras (1523) Pedro de Alvarado (um 1486–1541), Eroberer von Guatemala und El Salvador (1523–1525) Sebastián de Belalcázar (um 1479–1551), Eroberer von Nicaragua (1524) und Ecuador (1533) Francisco de Montejo (um 1479–1553), Eroberer von Yucatán (1527–1547) Pánfilo de Narváez (1470–1528), unternahm eine gescheiterte Expedition nach Florida (1528) Diego de Mazariegos (um 1500–um 1536), Eroberer von Chiapas (1528) Nuño Beltrán de Guzmán (um 1490–1544), Eroberer des Nordwestens Mexikos (Reino de Nueva Galicia 1529–1536) Francisco Pizarro (um 1477–1541), Eroberer des Inkareichs (1531–1535) Diego de Almagro (um 1479–1538), Begleiter Pizarros; führte die erste Expedition nach Chile (1535–1537) Hernando de Soto (um 1496 oder 1500–1542), Begleiter Pizarros; Anführer der größten Expedition durch den Südosten der heutigen USA (1538–1542) Pedro de Valdivia (1497–1553), Eroberer Chiles (ab 1541) Lope de Aguirre (um 1511–1561), suchte nach Eldorado (1559–1561) Filme Aguirre, der Zorn Gottes (1972), Film von Werner Herzog Mission (1986), Film von Roland Joffé Cabeza de Vaca (1990), Film von Nicolás Echevarría (wurde im Wettbewerb der Berlinale 1991 gezeigt) 1492 – Die Eroberung des Paradieses (1992), Film von Ridley Scott Söhne des Windes (2000), spanischer Fernsehfilm mit Bud Spencer in einer Nebenrolle The Fountain (2006), Film von Darren Aronofsky Apocalypto (2006), Action- und Historiendrama des Regisseurs Mel Gibson Siehe auch Spanische Eroberung Mexikos Spanische Eroberung Perus Literatur Vitus Huber: Beute und Conquista. Die politische Ökonomie der Eroberung Neuspaniens (= Campus historische Studien. Band 76). Zugleich: Dissertation, Ludwig-Maximilans-Universität München, 2017. Campus, Frankfurt am Main / New York 2018, ISBN 978-3-593-50953-2, E-Book ISBN 978-3-593-43995-2. Vitus Huber: Die Konquistadoren. Cortés, Pizarro und die Eroberung Amerikas. C. H. Beck, München 2019. Matthew Restall, Felipe Fernández-Armesto: The Conquistadors. A very short introduction. Oxford University Press, Oxford 2012. Stefan Rinke: Conquistadoren und Azteken. Cortés und die Eroberung Mexikos. C. H. Beck, München 2019. Fernand Salentiny: Santiago! Die Zerstörung Altamerikas. Umschau Verlag, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-524-69021-1. Hugh Thomas: Rivers of Gold. The Rise of the Spanish Empire. London 2003 (ND New York 2005). Hugh Thomas: The Golden Empire. Spain, Charles V, and the Creation of America. New York 2010. Hugh Thomas: World Without End. Spain, Philip II, and the First Global Empire. New York 2014. Max Zeuske: Die Conquista. Ed. Leipzig, Leipzig 1992, ISBN 3-361-00369-5. Weblinks Einzelnachweise Spanische Kolonialgeschichte Transkulturation Spanische Militärgeschichte Militärgeschichte Lateinamerikas
Q126236
164.925393
13488
https://de.wikipedia.org/wiki/Fische
Fische
Fische oder Pisces (Plural zu „Fisch“) sind aquatisch lebende Wirbeltiere mit Kiemen. Im engeren Sinne wird der Begriff Fische eingeschränkt auf aquatisch lebende Tiere mit Kiefer verwendet. Im weiteren Sinne umfasst er auch Kieferlose, die unter den rezenten Arten noch mit den Rundmäulern vertreten sind. In beiden Fällen fehlt wenigstens ein Nachfahre der Fische (nämlich die Landwirbeltiere) in ihrer Abstammungsgemeinschaft. Daher bilden die Fische keine geschlossene Abstammungsgemeinschaft in der biologischen Systematik, sondern ein paraphyletisches Taxon. Sie sind lediglich eine unvollständige Abstammungsgemeinschaft, bestehend aus einem jüngsten Vorfahren und dem aquatisch lebenden Teil seiner Nachfahren. Die Lehre von der Biologie der Fische ist die Ichthyologie (von „Fisch“ und -logie) oder Fischkunde. Etymologie Das gemeingermanische Substantiv mittelhochdeutsch visch, althochdeutsch fisk bzw. fisc hat außergermanische Entsprechungen nur in lateinisch piscis und altirisch īasc. Systematik Im engeren Sinne sind Fische die nicht zu den Landwirbeltieren gehörenden Kiefermäuler. Unter den heute lebenden Tiergruppen zählen hierzu die: Knorpelfische mit den fast ausschließlich im Meer lebenden Haien, Rochen und Seekatzen; Knochenfische im weiteren Sinne, zusammengesetzt aus Fleischflossern und Strahlenflossern. Die Fleischflosser umfassen die marinen Quastenflosser und die im Süßwasser der Südhemisphäre lebenden Lungenfische. Die Strahlenflosser schließen alle übrigen Fischgruppen mit ein, darunter auch alle europäischen Süßwasserfische. Weitere zu den Kiefermäulern gehörende Fischtaxa, die aber nur fossil überliefert und seit dem Erdaltertum ausgestorben sind, werden repräsentiert durch die: Placodermi und die Stachelhaie (Acanthodii). Im weiteren Sinne zu den Fischen gezählt werden auch die Kieferlosen: die rezenten Rundmäuler – Schleimaale und Neunaugen verschiedene ausgestorbene Gruppen, die als Ostracodermi zusammengefasst werden. Daraus ergibt sich folgende innere Systematik der Fische (im weiteren Sinne): Fische Kiefermäuler (Gnathostomata) ohne Landwirbeltiere (LWT) † Placodermi Eugnathostomata (Kiefermäuler-Kronengruppe) ohne LWT Knorpelfische (Chondrichthyes) Teleostomi ohne LWT † Stachelhaie (Acanthodii) Euteleostomi ohne LWT (= Knochenfische (Osteichthyes)) Strahlenflosser (Actinopterygii) Fleischflosser (Sarcopterygii) ohne LWT Kieferlose (Agnatha) † Ostracodermi Rundmäuler (Cyclostomata) Schleimaale Neunaugen Die Kiefermäuler (unter Einschluss der Landwirbeltiere) sind ein monophyletisches Taxon (Klade), ohne die Landwirbeltiere jedoch paraphyletisch, da sie nicht alle Nachfahren ihres gemeinsamen Urahns enthalten. Daher ist das Taxon der Fische (im engeren Sinne) paraphyletisch. Die Kieferlosen werden als paraphyletisch angesehen. Daher wäre auch das Taxon der Fische (im weiteren Sinne) paraphyletisch, wenn entweder die Kiefermäuler von den Kieferlosen abstammten, oder andersrum (beides gilt als plausibel.) Das würde auch gelten, wenn die Kieferlosen monophyletisch wären, da schon die Kiefermäuler (ohne Landwirbeltiere) paraphyletisch sind. Würde jedoch keine der beiden Gruppen von der anderen abstammen, wären die Fische (im weiteren Sinne) polyphyletisch, da sie ihren jüngsten gemeinsamen Vorfahren nicht enthielten. Da Fische im Sinne der Kladistik kein monophyletisches Taxon darstellen, werden sie in der zoologischen Systematik häufig mit Anführungszeichen geschrieben („Fische“, „Pisces“), um sie damit als nicht-monophyletisches Taxon zu kennzeichnen. Evolution und Artenvielfalt Die ältesten bekannten kieferlosen Fischartigen (z. B. die Pteraspidomorphi) stammen aus dem frühen Ordovizium vor rund 450–470 Millionen Jahren. Die Knorpelfische tauchen ab Grenze Silur/Devon vor etwa 420 Millionen Jahren auf. Knochenfische gibt es im Meer seit dem Devon, sie begannen ihre Entwicklung aber möglicherweise auch schon im Silur. Etwas über die Hälfte aller lebenden Wirbeltierarten, nämlich derzeit rund 32.500 Arten gemäß FishBase (Stand: April 2013), gehören zu den „Fischen“. Die Zahl anerkannter (sogenannter „valider“) Arten ändert sich einerseits wegen zahlreicher Neuentdeckungen, andererseits infolge kontinuierlicher taxonomischer Revisionen einzelner Fischgruppen. Gefährdung Durch Überfischung und Schleppnetze sind viele Fischarten weltweit bedroht. Auf die ökologische Gefährdung der Fische speziell in Deutschland soll seit 1984 die regelmäßige Ausrufung je einer Art (ausnahmsweise auch eine Gruppe verwandter Arten) als deutscher Fisch des Jahres aufmerksam machen. Einige Arten wie etwa die Bachforelle wurden schon zweimal zum Fisch des Jahres gekürt. Seit 2002 wird auch ein österreichischer Fisch des Jahres ernannt, seit 2010 ein Schweizer Fisch des Jahres. Um Fischwanderungen über Kraft- und Stauwerke hinweg zu ermöglichen, wurden mancherorts Fischtreppen gebaut. Zudem wurden Fließgewässer teilweise einer Renaturierung unterzogen, um sie wieder als Lebensraum für Fische attraktiv zu machen. Unter anderem können Hitzewellen dramatische Fischsterben verursachen, wie z. B. während der Hitzewelle in Europa 2003 in der Schweiz. Bedeutung Wirtschaft In wirtschaftlicher Hinsicht bedeutend ist die Fischerei von Speisefischen, aber auch der Handel mit Zierfischen. Die Fischerei kann jedoch die Fischbestände bedrohen. Schadstoffbelastung, Flussverbauungen, Erwärmung, Aussetzen gebietsfremder Arten und Austrocknungen sind weitere Gefahren für die Fische. Ökotoxikologie Fische sind der Wasserqualität (Sauerstoffkonzentration, pH-Wert, Temperatur, gelöste natürliche und anthropogene Stoffe) über ihre Kiemen sehr direkt ausgesetzt und reagieren rasch und empfindlich auf Verschmutzungen. Sie dienen daher auch als verbreitete Test- und Monitoring-Arten und als wissenschaftliche Modellorganismen in der Ökotoxikologie. Kultur Der Fisch dient im Christentum als Symbol und Erkennungszeichen und ist in der Heraldik ein verbreitetes Wappentier. In China galt der Fisch aufgrund einer Lautgleichheit als Symbol für Reichtum. Erste fischkundlich bedeutsame Abbildungen von Fischen enthält ein 1551 in Paris erschienenes Fischbuch von Pierre Belon. Als erstes in deutscher Sprache gedrucktes Werk mit naturgetreuen Darstellungen von Fischen gilt die von Alexander und Samuel Weißenhorn in Ingolstadt gedruckte Vischordnung von 1553 (mit auch in der, ebenfalls in der Druckerei Weißenhorn hergestellten, Bayerischen Landesordnung 1553 (Bairische Lanndtsordnung) verwendeten Holzschnitten, die möglicherweise auf den Münchner Hofmaler und Holzschnittzeichner Caspar Clofigl zurückgehen). In der paläolithischen Kunst wurden – neben Mammuten, Wildpferden und Löwen – auch Fische dargestellt. Bei archäologischen Ausgrabungen im Abraum der Vogelherdhöhle (Schwäbische Alb) wurde 2008 eine fragmentierte Figur eines Fisches entdeckt. Die knapp fünf Zentimeter große Skulptur aus Mammutelfenbein stammt aus dem Aurignacien und ist Teil des UNESCO-Welterbes „Höhlen und Eiszeitkunst im Schwäbischen Jura“. Sie ist – wie 15 weitere Artefakte – im Museum Alte Kulturen im Schloss Hohentübingen ausgestellt. Der seit 1.500 Jahren zu Zierzwecken gezüchtete Koi hat kulturelle Bedeutung als Glücksbringer, vor allem in der japanischen Gesellschaft. Wie der Koi zählt auch der vom Giebel abstammende und vor etwa eintausend Jahren im östlichen China durch züchterische Selektion entstandene Goldfisch zu den ältesten bekannten Haustieren, die ohne direkten wirtschaftlichen Nutzen als Haltungs- und Zuchtgrund gehalten werden. Auch er hat kulturelle Bedeutung als Glücks- und Fruchtbarkeitssymbol. Siehe auch Zur Anatomie, Physiologie und Fortpflanzungsbiologie siehe Knochenfische. Ichthyologische Fachliteratur Quentin Bone, Richard H. Moore: Biology of Fishes. 3. Auflage, Taylor & Francis, 2008, ISBN 978-0-415-37562-7. Thomas Braunbeck, David E. Hinton, Bruno Streit: Fish Ecotoxicology. Birkhäuser, Basel-Berlin-Boston 1998, ISBN 3-7643-5819-X. Kurt Fiedler: Lehrbuch der Speziellen Zoologie (2. Band, 2. Teil: Fische). Gustav Fischer Verlag., Jena 1991, ISBN 3-334-00339-6. Karl A. Frickhinger: Mergus Fossilien-Atlas Fische. Mergus Verlag, Melle 1991, ISBN 3-88244-018-X. Harald Gebhardt, Andreas Ness: Fische. Die heimischen Süßwasserfische sowie Arten der Nord- und Ostsee. 7. Aufl., BLV Verlag, München 2005, ISBN 3-405-15106-6. Wilfried Westheide, Reinhard Rieger: Spezielle Zoologie. Teil 2: Wirbel- oder Schädeltiere. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg 2004, ISBN 3-8274-0900-4. Kulturgeschichtliche Literatur Ch. M. Danoff, J. Wiesner, J. E. Skydsgaard: Fische. In: Lexikon der Alten Welt. 1990, Band 1, Sp. 971–977. Weblinks FishBase – Datenbank der beschriebenen Fischarten (31.500 Arten) FischDB – Fischdatenbank, enthält biochemische Daten Fische – Anatomie Aqua4Fish: Fischatlas – Datenblätter Süßwasserfischverzeichnis Rote Liste, Literatur und Datenbank zu einheimischen Fischen, Neunaugen und Krebsen Welt der Fische - aktuelle Liste aller neuen Fischarten, mit Links zu Abstracts / Beschreibungen Einzelnachweise Ichthyologie
Q152
1,915.905518
6048
https://de.wikipedia.org/wiki/1938
1938
Ereignisse Politik und Weltgeschehen Das Deutsche Reich und dessen Expansion „Anschluss“ Österreichs 12. Februar: Der österreichische Kanzler Kurt Schuschnigg muss bei seinem Treffen mit Adolf Hitler auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden Zugeständnisse an die Nationalsozialisten machen. 15. Februar: Bei einer Regierungsumbildung in Österreich werden aufgrund des Berchtesgadener Abkommens die beiden Nationalsozialisten Arthur Seyß-Inquart als Sicherheitsminister und Edmund Glaise-Horstenau als Minister ohne Portefeuille in die Regierung aufgenommen. 24. Februar: Kurt Schuschnigg beschwört in einer öffentlichen Rede die Unabhängigkeit Österreichs. Am 9. März gibt er bekannt, dass am 13. März eine Volksabstimmung über die österreichische Unabhängigkeit abgehalten werden soll, ein Coup, der nicht mit seinem Kabinett abgesprochen ist. Adolf Hitler befiehlt daraufhin die Mobilmachung der für den Einmarsch vorgesehenen 8. Armee und weist Arthur Seyß-Inquart am 10. März an, ein Ultimatum zu stellen und die österreichischen Parteianhänger zu mobilisieren. Die Volksabstimmung wird daraufhin abgesagt. 11. März: Der österreichische Bundeskanzler Kurt Schuschnigg tritt nach einem Ultimatum Adolf Hitlers zurück. „Vor der Gewalt weiche“ er eher, als einen Kampf zu beginnen, erklärt Schuschnigg in einer Rundfunkansprache. Der Nationalsozialist Arthur Seyß-Inquart bildet eine neue Regierung. 12. März: Adolf Hitler lässt deutsche Wehrmachttruppen in Österreich einmarschieren und vollzieht mit dem sogenannten Unternehmen Otto den ersten Schritt für den Anschluss an das Deutsche Reich. 13. März: Mit dem Gesetz über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich beginnt die Zeit des Nationalsozialismus in Österreich. Bundespräsident Wilhelm Miklas weigert sich, das Gesetz zu unterzeichnen, und tritt zurück. Arthur Seyß-Inquart setzt das Gesetz als interimistisches Staatsoberhaupt in Kraft. 15. März: Adolf Hitler hält vor zehntausenden jubelnden Menschen eine Rede auf dem Heldenplatz: Als Führer und Kanzler der deutschen Nation und des Reiches melde ich vor der deutschen Geschichte nunmehr den Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich. 18. März: Kardinal Theodor Innitzer befürwortet in einer feierlichen Erklärung, die er mit Heil Hitler! unterzeichnet, den Anschluss Österreichs. 10. April: Bei der sogenannten Wahl zum Großdeutschen Reichstag erreicht die Einheitsliste der NSDAP offiziell 99,1 % der Stimmen und erhält somit alle 814 Sitze im Reichstag. Gleichzeitig mit der Wahl findet auch die nachträgliche Volksabstimmung über die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich statt. Politiker aller politischen Lager wie Karl Renner werben für eine Zustimmung. 23. April: Josef Bürckel wird Reichskommissar für die Wiedervereinigung Österreichs mit dem Deutschen Reich. Der Name Österreich wird in der Folge durch Ostmark ersetzt. 24. Mai: Odilo Globocnik wird zum Gauleiter für den Reichsgau Wien ernannt. Sein Vorgänger Franz Richter wechselt als Abgeordneter in den nationalsozialistischen Reichstag. 11. September: Ernst Kaltenbrunner wird zum Höheren SS- und Polizeiführer Donau ernannt. 7. Oktober: Nach dem Rosenkranzfest mit Kardinal Innitzer kommt es vor dem Wiener Stephansdom zur spontanen Rosenkranz-Demonstration, an der rund 6.000 katholische Jugendliche teilnehmen. Am Abend des 8. Oktober stürmen und verwüsten daraufhin Mitglieder der Hitlerjugend das Erzbischöfliche Palais. Sudetenkrise und Zerschlagung der Tschechoslowakei 28. März: Adolf Hitler beauftragt bei einem Gespräch in Berlin den Führer der Sudetendeutschen Partei, Konrad Henlein, der tschechoslowakischen Regierung gegenüber Forderungen zu erheben, denen sie nicht entsprechen kann. Die so geschürte Krise über das Sudetenland endet im Herbst im Münchner Abkommen. 21. April: Hitler weist den Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generaloberst Wilhelm Keitel, an, eine erste Studie für ein künftiges Vorgehen gegen die Tschechoslowakei zu erarbeiten. 24. April: Konrad Henlein präsentiert in Karlsbad das Karlsbader Programm mit acht Forderungen an die tschechoslowakische Regierung. In den nächsten zwei Wochen schließen sich weitere Volksgruppen diesen Forderungen an. Ministerpräsident Milan Hodža zeigt sich kompromissbereit, während Staatspräsident Edvard Beneš die Forderungen ablehnt. 21. Mai: Die tschechoslowakische Regierung ordnet eine partielle Mobilmachung der Truppen an. 28. Mai: In Erwartung eines baldigen Angriffs auf die Tschechoslowakei und eine mögliche Reaktion Frankreichs weist Adolf Hitler den Generalinspektor für den Straßenbau Fritz Todt an, gegenüber der französischen Maginotlinie eine deutsche Festungslinie zu errichten. Als Fertigstellungstermin für die veranschlagten 5000 Betonwerke wird der 1. Oktober anberaumt. Am 14. Juni bekommt Todt von Hitler die Vollmacht, nach eigenem Ermessen Materialien und Arbeiter für das Bauvorhaben zu requirieren. Die Organisation Todt beginnt mit dem Bau des später so genannten Westwalls. 1. Juni: Hermann Göring schlägt bei einer Unterredung mit dem ungarischen Botschafter Döme Sztójay vor, Ungarn solle ebenfalls Gebietsansprüche an die Tschechoslowakei stellen. 17. Juni: Hermann Göring schlägt bei einer Unterredung mit dem polnischen Botschafter Józef Lipski vor, Polen solle ebenfalls Gebietsansprüche an die Tschechoslowakei stellen. 17. September: Auf Befehl Hitlers wird das Sudetendeutsche Freikorps gegründet, das in den folgenden Wochen auf dem Höhepunkt der Sudetenkrise staatliche Einrichtungen der Tschechoslowakei überfällt. 3. September: Hitler erteilt der Wehrmacht die Weisung sich am 27. September für den Angriff auf das Sudetenland bereitzuhalten. Anfang September: In einem internen Schreiben schlägt Edvard Beneš vor, Deutschland einen Teil des Sudetenlandes abzutreten und gleichzeitig einen großen Teil der in der Tschechoslowakei verbleibenden deutschsprachigen Bevölkerung, nach Benešs überschlägigen Berechnungen etwa 2,2 Mio. Personen, zwangsauszusiedeln. 7. September: The Times schlägt in einem Leitartikel die Abtretung des Sudetenlandes vor. 28. September: Als Adolf Hitler einer Konferenz in München zur friedlichen Beilegung der Sudetenkrise zustimmt, bricht die Septemberverschwörung innerhalb der Wehrmacht in sich zusammen. 30. September: Die Regierungschefs von Großbritannien, Frankreich, Italien und dem Deutschen Reich unterzeichnen das Münchener Abkommen. Unter Vermittlung des italienischen Diktators Benito Mussolini geben der britische Premierminister Neville Chamberlain und der französische Ministerpräsident Édouard Daladier ihre Zustimmung zur Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich. Die Tschechoslowakei ist zu diesem Treffen nicht eingeladen. Das Abkommen stellt einen Höhepunkt der britischen Appeasement-Politik dar. 1. Oktober: Wehrmachttruppen marschieren in das Sudetenland ein. Gleichzeitig besetzt Polen das Olsagebiet um Teschen. 5. Oktober: Edvard Beneš tritt als Staatspräsident zurück und fliegt wenige Tage später nach London. 6. Oktober: Die Slowakei erklärt ihre Autonomie innerhalb der Tschechoslowakei. 31. Oktober: Hitler erlässt eine Richtlinie zur endgültigen Zerschlagung der Tschechoslowakei und Abtrennung der Slowakei. 2. November: Im Ersten Wiener Schiedsspruch durch die Außenminister Italiens und des Deutschen Reichs werden Gebiete mit ungarischer Bevölkerungsmehrheit in der Südslowakei und in der Karpatoukraine von der Tschechoslowakei abgetrennt und Ungarn zugesprochen. 5. November: Die Königlich Ungarische Armee marschiert in den abgetretenen Gebieten ein. 22. November: Mit dem Autonomiegesetz wird die Zweite Tschecho-Slowakische Republik gegründet. 30. November: Emil Hácha wird von der Nationalversammlung zum Präsidenten der Tschecho-Slowakei gewählt. 4. Dezember: Bei der Sudetendeutschen Ergänzungswahl zur Reichstagswahl 1938 erhält der Reichstag weitere 41 Sitze, die alle der NSDAP zufallen. Innenpolitik und Judenverfolgung 1. Januar: Aufgrund der steigenden Zahl von Verkehrsopfern treten neue Verkehrsregeln in Kraft. Dazu gehört vor allem das unbedingte Rechtsfahrgebot auf allen Straßen. 1. Januar: Alle nach den Nürnberger Gesetzen jüdischen Ärzte werden aus der Ersatzkassenpraxis im Deutschen Reich ausgeschlossen, ihre ärztlichen Leistungen in der Folge nicht mehr von den Krankenkassen vergütet. 1. Januar: Juden im Deutschen Reich wird das Betreiben von Einzelhandelsgeschäften und Handwerksbetrieben, das Anbieten von Waren und Dienstleistungen untersagt. 5. Januar: Das „Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen“ zwingt Juden in Deutschland, aus einer bestimmten, eng begrenzten Zahl „typisch jüdischer“ Vor- und Zunamen ihren Erst- oder Zweitnamen zu wählen. Januar/Februar: infolge der Blomberg-Fritsch-Krise kommt es zu einem großen Revirement in der Führungsspitze des Dritten Reiches. 5. Februar: Die von Adolf Hitler geführte Reichsregierung kommt letztmals zu einer Kabinettssitzung zusammen. 1. April: Das Groß-Hamburg-Gesetz § 2 tritt in Kraft: Mehrere Gemeinden und Städte werden mit der freien Reichsstadt Hamburg zu einer Gemeinde mit dem Namen Hansestadt Hamburg zusammengefasst. 26. Mai: Grundsteinlegung für die Stadt Wolfsburg und des Volkswagen-Werkes. 6. bis 15. Juli: Bei der Konferenz von Évian treffen sich Vertreter von 32 Nationen auf Initiative des amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt, um die Möglichkeiten der Auswanderung von Juden aus Deutschland und dem angeschlossenen Österreich zu verbessern. Außer Costa Rica und der Dominikanischen Republik weigern sich alle Teilnehmerstaaten, mehr jüdische Flüchtlinge aufzunehmen. Letztlich ist das einzige konkrete Ergebnis der Konferenz die Gründung des Intergovernmental Committee on Refugees. 22. Juli: In Deutschland wird, verbunden mit Nachteilen für Juden, als Inlandsausweis die Kennkarte eingeführt. Der Personalausweis löst später diesen Lichtbildausweis ab. 27. September: In der Fünften Verordnung zum Reichsbürgergesetz wird während der Zeit des Nationalsozialismus jüdischen Rechtsanwälten die Zulassung ab 30. November 1938 entzogen. Das bereits restriktive Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft von 1933 hatte jüdischen Anwälten in Deutschland in Grenzen die Berufsausübung gestattet. 6. Oktober: Die Regierung Polens verfügt, dass alle Pässe von im Ausland lebenden Polen ungültig werden, sofern sie nicht einen „Prüfvermerk“ enthalten. 24. Oktober: Der deutsche Außenminister von Ribbentrop schlägt seinem polnischen Kollegen Józef Beck ein Acht-Punkte-Programm zur Lösung der deutsch-polnischen Probleme vor. 27. Oktober: Das Auswärtige Amt des Deutschen Reiches verfügt die „vollständige Ausweisung aller Juden polnischer Staatsangehörigkeit“. Noch am selben Abend beginnt die Gestapo in Deutschland in aller Öffentlichkeit mit den Verhaftungen. In der „Polenaktion“ werden in der folgenden Nacht 17.000 jüdische Männer, Frauen und Kinder nach Polen deportiert. 7. November: Der 17-jährige Herschel Grynszpan schießt auf den deutschen Diplomaten Ernst Eduard vom Rath. Dieses Attentat benutzen die Nationalsozialisten als Vorwand für die Reichspogromnacht. 8. November: Ein Attentatsversuch des Schweizers Maurice Bavaud beim Gedenkmarsch zur Münchner Feldherrnhalle scheitert, weil er nicht nahe genug an Adolf Hitler herankommt. 9. November auf 10. November „Reichspogromnacht“: Pogrom gegen die Juden in Deutschland und Österreich. Das Vermögen wohlhabender Juden wird arisiert, etwa 30.000 „Aktionsjuden“ werden in Konzentrationslager deportiert. 12. November: Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben 14. November: Im Rahmen der Repressalien nach den Novemberpogromen ordnet Reichserziehungsminister Bernhard Rust die sofortige Entlassung jüdischer Schüler aus staatlichen Schulen an. Die Teilnahme am Unterricht wird ihnen verboten. 23. November: Die deutschen Feuerwehren werden reichsweit der Polizei unterstellt. Es wird festgelegt, dass alle Feuerwehrfahrzeuge mit blauen Rundumkennleuchten und Folgetonhorn zu kennzeichnen sind. 2. Dezember: Hitler hält in Reichenberg vor einer Versammlung der Hitlerjugend eine (oft zitierte) Rede. Darin spricht er über die Erziehung im Nationalsozialismus und die Indoktrination und Formung der Jugend. 3. Dezember: Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens. 16. Dezember: Hitler stiftet per Verordnung das Mutterkreuz als Auszeichnung für kinderreiche Mütter. Die ersten Verleihungen finden am 21. Mai 1939 statt. Schweiz 1. Januar: Der Freisinnige Johannes Baumann wird Bundespräsident der Schweiz. 20. Februar: Rätoromanisch wird vierte Landessprache der Schweiz. 10. Dezember: In der Schweiz löst der Vorsitzende Ernst Leonhardt die aus dem Volksbund hervorgegangene Nationalsozialistische Schweizerische Arbeiterpartei auf. Ihre Kundgebungen und die Parteizeitung sind wenige Wochen zuvor behördlich verboten worden. Wenig später gründet er die Schweizerische Gesellschaft der Freunde einer autoritären Demokratie mit dem Ziel, die Eidgenossenschaft in einen nationalsozialistischen Führerstaat umzuwandeln. Ab 1938 wird die faschistische Nationale Front als Teil der schweizerischen Frontenbewegung verstärkt polizeilich überwacht. Spanischer Bürgerkrieg 27. Februar: Mit dem Sieg in der seit 15. Dezember dauernden Schlacht von Teruel gelingt den Nationalisten endgültig die Einnahme der Stadt Teruel. 6. März: Die Seeschlacht von Cabo de Palos, die größte Seeschlacht des Spanischen Bürgerkrieges, endet mit einem Republikanischen Sieg. 7. März bis 19. April: Die Aragonoffensive bringt den Nationalisten den Gewinn von Aragonien, Teilen Kataloniens und der Levante ein und teilt mit dem Durchbruch ans Mittelmeer das Gebiet der Regierung in zwei Teile. 5. Mai: Der Vatikan erkennt die Regierung Francisco Francos in Spanien als rechtmäßig an. 25. Juli bis 16. November: Die Ebroschlacht ist die letzte große Offensive der Zweiten Republik und endet mit deren Niederlage. 9. Oktober: Beim Luftangriff auf Sant Vicenç de Calders wird ein Personenzug bombardiert. 60 Menschen kommen bei dem Angriff ums Leben. 23. Dezember: Der Beginn der Katalonienoffensive der franquistischen Truppen läutet die letzte Phase im Spanischen Bürgerkrieg ein. Sowjetunion 2./13. März: In Moskau wird im Rahmen der Stalinschen Säuberungen der dritte Prozess gegen den rechten Block und die Trotzkisten durchgeführt. Angeklagt sind Alexei Rykow, Nikolai Bucharin, Nikolai Krestinski, Genrich Jagoda, Christian Rakowski, Wladimir Iwanow und 15 andere Funktionäre. 15. März: Großer Terror: Nikolai Bucharin, Alexei Rykow und weitere im dritten Moskauer Schauprozess zum Tode Verurteilte werden hingerichtet. Weitere Ereignisse in Europa 1. Januar: Änderung des dänischen Erbgesetzes: Uneheliche Kinder werden ehelichen Kindern gleichgestellt. 11. Februar: Die autoritäre litauische Verfassung von 1938 wird erlassen. 25. Juni: Der Dichter Douglas Hyde wird erster Präsident von Irland. Alle politischen Parteien haben sich auf ihn geeinigt. Japanisch-Chinesischer Krieg 1. Januar: Der chinesische Ministerpräsident Chiang Kai-shek legt sein Amt nieder. Januar: Japan beginnt nach dem Scheitern der Verhandlungen mit der nationalen chinesischen Regierung im Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieg mit einer Offensive in Richtung Wuhan. 24. März bis 7. April: Die Chinesen schlagen die japanischen Truppen in der Schlacht um Tai’erzhuang zurück und brechen damit den Mythos der Unbesiegbarkeit der Japaner. Die seit Dezember des Vorjahres tobende Schlacht um Xuzhou geht im Mai dennoch verloren, doch die meisten chinesischen Soldaten entkommen dem Kessel und die chinesischen Einheiten sind nicht aufgerieben worden. Die Verluste der Chinesen belaufen sich auf etwa 100.000 Soldaten und die der Japaner liegt bei rund 30.000. 11. Mai: Im mongolisch-chinesischen Grenzgebiet kommt es zu Kampfhandlungen zwischen der Mongolischen Revolutionären Volksarmee und der Armee des Kaiserreichs Mandschukuo. 11. Juni: Nach einem Befehl des Kuomintang-Führers Chiang Kai-shek kommt es zur vorsätzlich herbeigeführten Überschwemmung dreier chinesischer Provinzen durch den Gelben Fluss. Damit sollen die in Richtung Wuhan vorrückenden japanischen Truppen aufgehalten werden. Das Sprengen der Deiche ohne Warnung der Zivilbevölkerung kostet nach Schätzungen zwischen 500.000 und einer Million Chinesen das Leben, zerstört 4000 Dörfer und mehrere Städte und macht Millionen Menschen obdachlos. 15. Juli: Der Versuch Japans, das Staatsgebiet seines Marionettenstaates Mandschukuo nach Norden auszudehnen, führt zum Japanisch-Sowjetischen Grenzkonflikt. Der japanische Botschafter fordert die Sowjetunion auf, sich von zwei strittigen Anhöhen im Grenzgebiet zurückzuziehen, was von dieser zurückgewiesen wird. Am 29. Juli kommt es zu ersten Kampfhandlungen, der Konflikt endet am 11. August, nachdem der japanische Botschafter um Frieden gebeten hat. 12. August: Chongqing wird provisorische Hauptstadt Chinas. 12. Oktober: Die Japaner erobern Guangzhou. 25. Oktober: Die Japaner erobern Wuhan. Dezember: Wang Jingwei, bisheriger Vertrauter von Chiang Kai-shek und Staatspräsident Lin Sen, flieht von Chongqing nach Hanoi und nimmt Friedensverhandlungen mit der japanischen Regierung, vertreten durch Doihara Kenji, auf. Weitere Ereignisse in Asien 7. September: Aus dem Sandschak Alexandrette wird die Republik Hatay gegründet. 16. Dezember: Wegen eines Finanzskandals tritt die Regierung um Phraya Phahon Phonphayuhasena zurück. Neuer Ministerpräsident Siams wird Plaek Phibunsongkhram, dem die autoritären Regime in Deutschland, Italien und Japan als Vorbild dienen. Amerika 17. Mai: Der Naval Expansion Act ermöglicht die Erhöhung der Flottenausgaben der USA um 1 Milliarde Dollar innerhalb von 10 Jahren. 28. Juli: Die brasilianische Polizei erschießt im nordöstlichen Bundesstaat Sergipe in einem Feuergefecht mit Cangaceiros den bekannten Bandenführer Virgulino Ferreira da Silva, genannt „Lampeão“, seine Frau Maria Bonita und weitere neun Gefolgsleute. Das letzte Mitglied dieser Banden Gesetzloser wird im Jahr 1940 getötet, womit die Zeit der später heroisierten Cangaços endet. Wirtschaft 24. Februar: Das US-amerikanische Unternehmen DuPont stellt die ersten Zahnbürsten mit Nylon-Borsten her. 1. März: Das südkoreanische Unternehmen Samsung wird in Daegu von Lee Byung-Chull als Lebensmittelladen gegründet. 4. März: Die US-Gesellschaft Standard Oil of California findet nach mehrmonatigen erfolglosen Probebohrungen in Saudi-Arabien im Bohrloch Damman Nummer 7 Erdöl. Die Stadt Dammam am Persischen Golf wird in der Folge ein wichtiges Förderzentrum für das „Schwarze Gold“. 18. März: Der mexikanische Staatspräsident Lázaro Cárdenas del Río lässt die Mineralölunternehmen des Landes verstaatlichen und gründet das Staatsunternehmen PEMEX. Mehrere Staaten, insbesondere die USA, Großbritannien und die Niederlande, die bis dahin im Besitz der Erdölunternehmen waren, boykottieren daraufhin mexikanisches Erdöl. Trotzdem wird Mexiko in den nächsten Jahren zu einem der weltweit größten Erdölexporteure. 1. April: In der Schweiz wird erstmals der Instantkaffee Nescafé verkauft. 1. September: Reichsfinanzminister Schwerin von Krosigk warnt Hitler in einem Brief vor einer „schweren finanziellen Krise“ bzw. vor dem Staatsbankrott. 27. September: Das mehr als ein halbes Jahrhundert weltweit größte Passagierschiff, die Queen Elizabeth, wird in Dienst gestellt. Wissenschaft und Technik Luftfahrt 20. Juni: Carl Bode fliegt mit seinem Hubschrauber Focke-Wulf Fw 61 230,3 km: Weltrekord. 10. Juli: Der flugbegeisterte Howard Hughes umrundet in einer Lockheed 14 mit seinen Begleitern in 91 Stunden die Erde; es ist die bis dahin schnellste Weltumrundung. 8. Dezember: In Kiel geht der Stapellauf des ersten und einzigen deutschen Flugzeugträgers vor sich. Die Graf Zeppelin wird aber später nicht mehr fertiggestellt. 31. Dezember: Das erste mit einer Druckkabine ausgestattete Zivilflugzeug, die Boeing 307 Stratoliner, absolviert seinen Erstflug. Naturwissenschaften 6. Juli: Seth Barnes Nicholson entdeckt den Jupitermond Lysithea (Jupiter X). 16. November: Im Rahmen seiner Forschungen zum Mutterkorn stellt der Schweizer Chemiker Albert Hofmann erstmals Lysergsäurediethylamid (LSD) her. 17. Dezember: Otto Hahn und sein Assistent Fritz Straßmann entdecken im Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie in Berlin die Kernspaltung des Urans, die wissenschaftliche und technologische Grundlage der Kernenergie. 22. Dezember: An der Ostküste Südafrikas stößt Marjorie Courtenay-Latimer, Kuratorin am Museum of East London, im Fang eines Trawlers auf einen Fisch, der am 16. Februar 1939 von James Leonard Brierley Smith als Komoren-Quastenflosser, eine Art der als seit dem Ende der Kreidezeit ausgestorben geltenden Quastenflosser, ein sogenanntes „lebendes Fossil“, identifiziert wird. Sonstige technische Errungenschaften 22. Oktober: Unter Zuhilfenahme einer mit einem Tuch elektrisch aufgeladenen Metallplatte, Schwefelpuder, staubfeinen Bärlappsporen und einer Wachsplatte führen Chester Carlson und Otto Kornei die erste Fotokopie (Trockenkopie) durch. Der Bau der Linzer Nibelungenbrücke beginnt. Konrad Zuse stellt die Zuse Z1 fertig. Kultur Bildende Kunst 27. Januar bis 14. Februar: Die Exposition Internationale du Surréalisme wird von André Breton und Paul Éluard in der Pariser Galerie Beaux-Arts von Georges Wildenstein organisiert. 18. Juni: Durch den Führervorbehalt sichert sich Adolf Hitler den Erstzugriff auf beschlagnahmte Kunstwerke (auch Raubkunst) für seine Kunstsammlung Sonderauftrag Linz. Film 20. April: Unter dem Titel Olympia veröffentlicht Leni Riefenstahl eine zweiteilige Dokumentation über die Olympischen Sommerspiele 1936 in Berlin. Der Film wird nachträglich vielfach als ästhetisches Meisterwerk gelobt, aber auch für seine propagandistischen und ideologischen Elemente kritisiert. 19. August: Die Filmkomödie Blockheads von Laurel und Hardy erscheint und wird von der Kritik positiv aufgenommen. 21. September: Der mit Jugendverbot belegte Kriminalfilm Verwehte Spuren von Veit Harlan mit Kristina Söderbaum und Frits van Dongen hat im Berliner Gloria-Palast seine Uraufführung. Das Drehbuch basiert beruht auf dem gleichnamigen Hörspiel von Hans Rothe. 7. Oktober: The Lady Vanishes (Eine Dame verschwindet), eine Kriminalkomödie von Alfred Hitchcock mit Margaret Lockwood und Michael Redgrave, wird in London uraufgeführt. Publikum und Kritik nehmen den Film gleichermaßen enthusiastisch auf. November: Die Deutsche Filmakademie Babelsberg nimmt ihre Arbeit auf. Literatur Juni: In den USA erscheint die erste Ausgabe der Action Comics mit dem ersten von Jerry Siegel und Joe Shuster entworfene Superman-Comic im Verlag National Publications. Das Heft wird ein phänomenaler Verkaufserfolg. 16. Juli bis 3. September: Der Roman The Code of the Woosters (Alter Adel rostet nicht) von P. G. Wodehouse erscheint in den USA erstmals als Fortsetzungsgeschichte in der Saturday Evening Post. In Buchform erscheint der Roman erstmals am 7. Oktober in den Großbritannien, nachdem er vom 14. September bis zum 6. Oktober auch in der Londoner Daily Mail veröffentlicht worden ist. Der italienische Autor Antonio Delfini veröffentlicht Il ricordo della Basca (Der letzte Tag der Jugend), eine thematische verbundene Sammlung von elf Erzählungen. Musik und Theater 16. Januar: Benny Goodman gibt sein berühmtes Carnegie Hall Konzert, an dem sich u. a. Musiker der Bands von Duke Ellington und Count Basie beteiligen. 12. Mai: Die Uraufführung der heiteren Oper Schneider Wibbel von Mark Lothar mit dem Libretto von Hans Müller-Schlösser nach dessen eigenem gleichnamigen Lustspiel erfolgt an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. 21. Mai: Furcht und Elend des Dritten Reiches, ein Theaterstück des deutschen Dramatikers Bertolt Brecht, wird in einigen Szenen in Paris uraufgeführt. 28. Mai: Die Uraufführung der Oper Mathis der Maler von Paul Hindemith findet am Stadttheater Zürich statt. 24. Juli: Artie Shaw spielt seinen Hit Begin the Beguine ein. 30. Juli: Im nächtlich erleuchteten Park des Nymphenburger Schlosses findet die dritte Nacht der Amazonen statt. 19. Oktober: Die Uraufführung des Musicals Knickerbocker Holiday von Kurt Weill mit dem Libretto von Maxwell Anderson erfolgt am Ethel Barrymore Theatre in New York. 30. Dezember: Das Prokofjew-Ballett Romeo und Julia nach dem gleichnamigen Shakespeare-Stück wird in Brünn uraufgeführt. 31. Dezember: Die Operette Saison in Salzburg von Fred Raymond wird an den Städtischen Bühnen in Kiel uraufgeführt. Das Libretto stammt von Max Wallner und Kurt Feltz. Rundfunk Die Ausstrahlung des von Orson Welles inszenierten Radio-Hörspiels Der Krieg der Welten nach dem von Howard Koch für den Rundfunk adaptierten Roman von H. G. Wells im New Yorker Radioasender CBS löst Zeitungsberichten zufolge in Teilen der USA panikartige Reaktionen aus. Sonstiges 25. August: In Uruguays Hauptstadt wird am Nationalfeiertag der an die erste Verfassung erinnernde Obelisk von Montevideo eingeweiht. Gesellschaft 7. November: Nach dem Mord an einem Taxifahrer wird die erste Fernsehfahndung ausgestrahlt (mit Kriminalkommissar Theo Saevecke im Fernsehsender Paul Nipkow). Obwohl es zu diesem Zeitpunkt in Berlin erst 28 öffentliche „Fernsehstuben“ gibt, gehen zahlreiche Hinweise ein; der Täter wird gefasst. Katastrophen 10. Januar: Eine große Menge Munition, die während des Bürgerkriegs in einem U-Bahn-Tunnel der Metro Madrid eingelagert ist, explodiert. Mindestens 96 Menschen kommen bei der Explosion in der Metro Madrid ums Leben. 27. Januar: Die Kanada und die USA über den Niagara River hinweg verbindende Upper Steel Arch Bridge bricht zusammen, nachdem Im Fluss treibende Eisplatten auf die Kämpfer der Brücke gedrückt haben. Nachdem sie am 12. März ihren letzten Funkspruch abgesetzt hat, geht die deutsche Viermastbark Admiral Karpfanger auf ihrer ersten Auslandsreise mit 50 Mann Besatzung im Seegebiet um Kap Hoorn verschollen. 16. Mai: Der Frontalzusammenstoß eines Personenzuges bei Milokang, Hunan, der von Wuhan nach Kanton unterwegs ist, mit einem Güterzug, der in der Gegenrichtung verkehrt, fordert mehr als 100 Menschenleben. 21. September: Ein Hurrikan, bezeichnet als Neuengland-Hurrikan, zieht über große Gebiete der Ostküste der Vereinigten Staaten. Zwischen 682 und 800 Menschen kommen dabei ums Leben. 25. September: Beim Eisenbahnunfall von Martorell stoßen bei Martorell zwei Züge frontal zusammen. Etwa 65 Menschen sterben. Grund für den Unfall sind ein fehlerhaft arbeitendes Signalsystem und eine unübersichtliche Kurve. 10. Oktober: Beim Flugzeugabsturz bei Soest bricht ein Flugzeug auseinander und alle 20 Insassen sterben. Sport 9. Januar: Der FC Schalke 04 gewinnt den Tschammerpokal 1937 mit einem 2:1 gegen Fortuna Düsseldorf und damit nach der Meisterschaft 1936/37 auch das Double. 28. Januar: Auf der Reichsautobahn Frankfurt–Darmstadt bei Mörfelden kommt der Rennfahrer Bernd Rosemeyer bei Weltrekordversuchen in einem Auto-Union-Rennwagen ums Leben: eine Windbö erfasst den Wagen bei ca. 400 km/h und wirft ihn gegen eine Brückenböschung. Weniger als eineinhalb Stunden vor Rosemeyers tödlichem Unfall gelingt Rudolf Caracciola auf Mercedes-Benz ein neuer Geschwindigkeitsweltrekord auf einer normalen Straße mit 432,692 km/h. 3. April: Im Praterstadion in Wien findet das „Anschlussspiel“ zwischen einer deutschen und einer österreichischen Fußballauswahl statt. Die Auswahlmannschaft der „Ostmark“, die statt in den traditionellen schwarz-weißen Dressen in rot-weiß-rot spielt, gewinnt gegen das „Altreich“ durch Tore von Matthias Sindelar und Karl Sesta mit 2:0. 19. Juni: Italien gewinnt die Fußball-Weltmeisterschaft 1938 in Frankreich. 3. Juli: Hannover 96 wird zum ersten Mal deutscher Fußballmeister. 3. Juli bis 11. September: Austragung der 6. Grand-Prix-Europameisterschaft 21. bis 24. Juli: Erstbegehung der Eiger-Nordwand durch Heinrich Harrer und Fritz Kasparek (Österreich), Anderl Heckmair und Ludwig Vörg (Deutsches Reich) 11. September: Rudolf Caracciola gewinnt zum dritten Mal die Grand-Prix-Europameisterschaft. Das weltweit wohl erste Inlinehockey-Spiel wird in Wien ausgetragen, überliefert ist es in einem Wochenschaubericht des Giornale Luce vom 3. November 1938. Nobelpreise Geboren Januar 1. Januar: Ertan Adatepe, türkischer Fußballspieler 1. Januar: Wladimir Alexandrow, sowjetischer Physiker und Klimatologe (verschwunden 1985) 1. Januar: Carlo Franchi, italienischer Automobilrennfahrer († 2021) 1. Januar: Frank Langella, US-amerikanischer Schauspieler 1. Januar: Staņislavs Lugailo, sowjetischer Volleyballspieler († 2021) 2. Januar: Hermann Avenarius, deutscher Jurist 2. Januar: Ian Brady, britischer Serienmörder († 2017) 2. Januar: Hans Herbjørnsrud, norwegischer Autor von Erzählungen und Kurzgeschichten 2. Januar: Goh Kun, südkoreanischer Politiker 3. Januar: Ove Andersson, schwedischer Rallyepilot († 2008) 3. Januar: Kel Carruthers, australischer Motorradrennfahrer 4. Januar: Jim Norton, irischer Schauspieler 4. Januar: Jerzy Witkowski, polnischer Pianist († 1999) 5. Januar: Terry Davis, britischer Politiker und Generalsekretär des Europarats 5. Januar: Keith Greene, britischer Automobilrennfahrer († 2021) 5. Januar: Juan Carlos I., König von Spanien 5. Januar: Jim Otto, US-amerikanischer American-Football-Spieler 5. Januar: Ngũgĩ wa Thiong’o, kenianischer Schriftsteller und Kulturwissenschaftler 6. Januar: Adriano Celentano, italienischer Sänger und Schauspieler 6. Januar: Mario Rodríguez Cobos, argentinischer Schriftsteller († 2010) 6. Januar: Jozef Golonka, slowakischer Eishockeyspieler und -trainer 6. Januar: Karl-Heinz Kunde, deutscher Radrennfahrer († 2018) 7. Januar: Rauno Aaltonen, finnischer Rallye-Rennfahrer 7. Januar: Christfried Berger, deutscher evangelischer Theologe († 2003) 7. Januar: Patrick John, dominicanischer Politiker und Ministerpräsident von Dominica († 2021) 7. Januar: Morgan Powell, US-amerikanischer Komponist, Jazzposaunist und Musikpädagoge 7. Januar: Paul Revere, US-amerikanischer Musiker († 2014) 7. Januar: Rory Storm, britischer Rockmusiker, Sänger († 1972) 7. Januar: Roland Topor, französischer Autor, Schauspieler und Maler († 1997) 10. Januar: Gary Chapman, US-amerikanischer baptistischer Pastor, Anthropologe, Berater und Autor 10. Januar: Donald E. Knuth, emeritierter Professor für Informatik an der Stanford University 10. Januar: Samir Khalil Samir, ägyptischer Islamwissenschaftler, Semitist, Orientalist und katholischer Theologe 10. Januar: Renate Schostack, deutsche Journalistin und Schriftstellerin († 2016) 11. Januar: Fischer Black, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler († 1995) 11. Januar: Arthur Scargill, Gründer der Socialist Labour Party 12. Januar: Qazi Hussain Ahmad, pakistanischer Theologe und Politiker († 2013) 12. Januar: Luis Omedes Calonja, spanischer Ruderer und Rennrodler († 2022) 12. Januar: Alan Rees, britischer Automobilrennfahrer und Teammanager 12. Januar: Monika Schindler, deutsche Filmeditorin 13. Januar: Daevid Allen, australischer Rockmusiker († 2015) 13. Januar: Richard Anthony, französischer Sänger († 2015) 13. Januar: Shiv Kumar Sharma, indischer Santurvirtuose († 2022) 14. Januar: Jack Jones, US-amerikanischer Sänger 14. Januar: Dražen Marović, kroatischer Schachgroßmeister 16. Januar: Adolf Beck, bayerischer Politiker und MdL († 2009) 16. Januar: Hermann Seimetz, deutscher Politiker und MdL († 2022) 18. Januar: Anthony Giddens, britischer Soziologe 18. Januar: Paul G. Kirk, US-amerikanischer Politiker 18. Januar: Werner Olk, deutscher Fußballspieler und Fußballtrainer 19. Januar: Hartwig Henze, Richter am Bundesgerichtshof 19. Januar: Manfred Osten, deutscher Autor und Kulturhistoriker 21. Januar: James Patrick Anderton, neuseeländischer Politiker († 2018) 21. Januar: Romano Fogli, italienischer Fußballspieler und -trainer († 2021) 21. Januar: Wolfman Jack, US-amerikanischer Discjockey († 1995) 22. Januar: Friedrich Müller, deutscher Rechtswissenschaftler und Dichter 22. Januar: Peter Beard, US-amerikanischer Fotograf, Künstler und Autor († 2020) 22. Januar: Ekkehard Jost, deutscher Musikwissenschaftler und Baritonsaxophonist († 2017) 22. Januar: Hans Otto Thiele, deutscher Jurist († 2022) 23. Januar: Peter Aniol, deutscher Politiker († 2015) 23. Januar: Georg Baselitz, deutscher Maler und Bildhauer 23. Januar: Bill Duniven, US-amerikanischer Rock-’n’-Roll-Musiker († 1999) 23. Januar: Theo-Ben Gurirab, Premierminister der Republik Namibia († 2018) 24. Januar: Arndt von Bohlen und Halbach, letzter Spross der Krupp-Dynastie († 1986) 24. Januar: Julius Arthur Hemphill, US-amerikanischer Jazzmusiker († 1995) 25. Januar: Etta James, US-amerikanische R&B, Blues und Gospel-Sängerin († 2012) 25. Januar: Leiji Matsumoto, japanischer Mangaka († 2023) 25. Januar: Wladimir Wyssozki, russischer Sänger, Poet und Schauspieler († 1980) 26. Januar: Carl-Detlev Freiherr von Hammerstein, deutscher Politiker 26. Januar: Henry Jaglom, englischer Filmregisseur, Drehbuchautor und Schauspieler 26. Januar: Klaus Müller, deutscher Handballspieler und -trainer 27. Januar: Mary Anne Witchger, US-amerikanische Schwimmerin († 2021) 28. Januar: Tomas Lindahl, schwedischer Krebsforscher, Chemienobelpreisträger 28. Januar: William Voltz, deutscher Schriftsteller († 1984) 29. Januar: Henry Ely, dominikanischer Operntenor 29. Januar: Kai Hermann, deutscher Journalist, Publizist und Autor 30. Januar: Kathrin Ackermann, deutsche Schauspielerin und Synchronsprecherin 31. Januar: Beatrix, Königliche Hoheit Prinzessin der Niederlande 31. Januar: Lynn Carlin, US-amerikanische Schauspielerin 31. Januar: Eike Reuter, deutscher Kirchenmusiker, Landeskirchenmusikdirektor von Thüringen († 2005) Februar 1. Februar: Rita Atschkina, sowjetische Skilangläuferin 1. Februar: Jimmy Carl Black, US-amerikanischer Schlagzeuger und Sänger († 2008) 1. Februar: Alfons Mayer, kanadischer Sportschütze († 2021) 1. Februar: Horst Bosetzky, deutscher Soziologe und Schriftsteller († 2018) 2. Februar: Bobby Cruz, puerto-ricanischer Sänger und Komponist 2. Februar: Bo Hopkins, US-amerikanischer Schauspieler († 2022) 2. Februar: Sergio Ortega, chilenischer Komponist und Pianist († 2003) 3. Februar: Tony Marshall, deutscher Schlagersänger († 2023) 4. Februar: Ralph Bellamy, australischer Ingenieur und Rennwagen-Konstrukteur 4. Februar: Martin Greif, US-amerikanischer Anglist und Autor († 1996) 4. Februar: Birju Maharaj, indischer Sänger, Choreograph, Komponist, Sänger, Musiker und Lyriker († 2022) 4. Februar: Peter Schubert, deutscher Albanologe und Diplomat († 2003) 5. Februar: Ed Doemland, US-amerikanischer Komponist, Organist, Jazzpianist und Perkussionist († 2012) 5. Februar: John Guare, US-amerikanischer Bühnenautor 5. Februar: Fritz Kramer, deutscher Politiker der CDU 6. Februar: Ellsworth Milburn, US-amerikanischer Komponist und Pianist († 2007) 7. Februar: Friedrich Karl Barth, Pfarrer und Liedautor 11. Februar: David Allen Aaker, US-amerikanischer Wirtschaftswissenschaftler 11. Februar: Mohamed Gammoudi, tunesischer Leichtathlet 11. Februar: Edith Mathis, Schweizer Sopranistin 11. Februar: Manuel Noriega, panamaischer Diktator († 2017) 11. Februar: Willy Oliveira, brasilianischer Komponist 11. Februar: Hans-Peter Wirsing, deutscher Maler und Grafiker († 2009) 13. Februar: Carmela Corren, israelische Schlagersängerin († 2022) 13. Februar: Oliver Reed, britischer Schauspieler († 1999) 13. Februar: Jan Siebelink, niederländischer Schriftsteller 15. Februar: Andrés Navarro, spanischer Boxer († 2021) 15. Februar: Gina Romand, mexikanische Schauspielerin und Sängerin († 2022) 16. Februar: John Corigliano, US-amerikanischer Komponist 17. Februar: Saul Malatrasi, italienischer Fußballspieler 18. Februar: Michel Aglietta, französischer Wirtschaftswissenschaftler 18. Februar: Louis-Marie Billé, französischer Erzbischof und Kardinal der römisch-katholischen Kirche († 2002) 18. Februar: Elke Erb, deutsche Lyrikerin und Schriftstellerin 18. Februar: István Szabó, ungarischer Filmregisseur 18. Februar: Manfred Wolter, deutscher Autor und Regisseur († 1999) 19. Februar: Josef Duchač, deutscher Politiker 19. Februar: Oliver Taylor, australischer Boxer 20. Februar: Richard Beymer, US-amerikanischer Schauspieler 20. Februar: Inge Lønning, norwegischer Theologe und Politiker († 2013) 20. Februar: Paolo Kardinal Romeo, Erzbischof von Palermo 21. Februar: Beryl Franklin Anthony, Jr., US-amerikanischer Politiker 21. Februar: Lester Bird, antiguanischer Politiker († 2021) 21. Februar: Dany Mann, deutsche Schlagersängerin und Schauspielerin († 2010) 21. Februar: Richard Oldcorn, britischer Fechter († 2022) 22. Februar: John Cunningham, britischer römisch-katholischer Kanonist, Theologe und Bischof von Galloway († 2021) 22. Februar: Barry Dennen, US-amerikanischer Schauspieler († 2017) 22. Februar: Karin Dor, deutsche Schauspielerin († 2017) 22. Februar: Christa Luft, deutsche Politikerin, Wirtschaftsministerin 22. Februar: Predrag Ostojić, jugoslawischer Schachmeister († 1996) 22. Februar: Artavazd Pelechian, armenischer Filmemacher 23. Februar: Alan Ford, britischer Schauspieler 23. Februar: Paul Morrissey, US-amerikanischer Filmregisseur 24. Februar: Emma Gaptschenko, sowjetische Bogenschützin († 2021) 24. Februar: Jürgen Günther, deutscher Comiczeichner († 2015) 24. Februar: Philip Knight, Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmer 25. Februar: Maryanne Amacher, US-amerikanische Komponistin und Improvisatorin († 2009) 25. Februar: Doris Ebbing, deutsche Kommunalpolitikerin († 2009) 25. Februar: Herb Elliott, australischer Mittelstreckenläufer 25. Februar: John Foster, Segler und Bobfahrer von den Amerikanischen Jungferninseln 25. Februar: Reinhold Wosab, deutscher Fußballspieler 26. Februar: Hans Haid, österreichischer Volkskundler, Bergbauer und Mundartdichter († 2019) 26. Februar: Monika Lennartz, deutsche Schauspielerin 26. Februar: Horst Lohr, deutscher Endurosportler 26. Februar: Mark Sopi, albanischer Bischof der römisch-katholischen Kirche († 2006) 28. Februar: Machiel Kiel, niederländischer Osmanist 28. Februar: Klaus Staeck, deutscher Grafiker März 1. März: Habib al-Adli, ägyptischer Politiker 1. März: Rolf Kramer, deutscher Sportreporter und Fernsehmoderator 1. März: Adi Rinner, österreichischer Komponist und Dirigent 2. März: Pierre Aguet, Schweizer Politiker 2. März: Ricardo Lagos, chilenischer Präsident 2. März: Egon Matzner, österreichischer Volkswirtschaftler und Finanzwissenschaftler († 2003) 2. März: Slawa Saizew, russischer Modemacher († 2023) 3. März: Bruno Bozzetto, italienischer Cartoonanimator 3. März: Douglas Leedy, US-amerikanischer Komponist, Dirigent, Hornist, Cembalist, Sänger und Musikpädagoge († 2015) 3. März: Wu Jin-yun, taiwanesische Leichtathletin († 2022) 4. März: Werner Jacob, deutscher Organist und Komponist († 2006) 4. März: Kito Lorenc, sorbisch-deutscher Schriftsteller, Lyriker und Übersetzer († 2017) 4. März: Adam Daniel Rotfeld, polnischer Politiker 5. März: Wulf Arlt, deutscher Musikwissenschaftler 5. März: Lynn Margulis, US-amerikanische Biologin und Hochschullehrerin († 2011) 5. März: Hayden Thompson, US-amerikanischer Rockabilly- und Country-Musiker 6. März: Anna Absolon, deutsche Politikerin 6. März: Nat Indrapana, thailändischer Sportfunktionär († 2018) 7. März: David Baltimore, US-amerikanischer Mikrobiologe 7. März: Albert Fert, französischer Physiker und Nobelpreisträger für Physik 7. März: Aristide Guarneri, italienischer Fußballspieler 7. März: Jalal Zolfonoun, iranischer Tar- und Setarspieler, Komponist und Musikpädagoge († 2012) 8. März: Friedrich Laux, deutscher Prähistoriker 8. März: Tom Nicholas, US-amerikanischer Jazzschlagzeuger († 2023) 8. März: Giorgio Puia, italienischer Fußballspieler und -trainer 8. März: Vreni Spoerry, Schweizer Politikerin 9. März: Peter Heusch, deutscher Schauspieler, Regisseur, Rundfunkautor und Hörspielsprecher († 2014) 9. März: Lill-Babs, schwedische Schlagersängerin († 2018) 10. März: Carson Baird, US-amerikanischer Automobilrennfahrer 10. März: Peter Bossard, Schweizer Politiker und Unternehmer († 2001) 10. März: Ron Mix, US-amerikanischer American-Football-Spieler und Rechtsanwalt 10. März: Venetia Stevenson, britisch-amerikanische Schauspielerin und ein Model († 2022) 11. März: Christian Wolff, deutscher Schauspieler 13. März: Hans-Joachim Hespos, deutscher Komponist und Verleger († 2022) 13. März: Albrecht Schmidt, deutscher Jurist und Bankmanager 14. März: Anar, aserbaidschanischer Schriftsteller 14. März: Pierluigi Angeli, italienischer Politiker 14. März: Günter Harder, deutscher Mathematiker 14. März: Takehisa Kosugi, japanischer Geiger, Komponist, Klang-, Multimedia- und Installationskünstler († 2018) 14. März: Angus MacLise, US-amerikanischer Schlagzeuger, Komponist, Dichter und bildender Künstler († 1979) 14. März: Barbara Morawiecz, deutsche Schauspielerin († 2017) 14. März: Glauber Rocha, brasilianischer Filmregisseur († 1981) 15. März: Dieter Hömig, Richter am Bundesverfassungsgericht († 2016) 15. März: Charles Lloyd, US-amerikanischer Jazz-Saxophonist und Flötist 15. März: Jürgen Schweinebraden, Galerist und Publizist († 2022) 16. März: Gus Anton, deutscher Dirigent und Komponist 16. März: Carlos Salvador Bilardo, argentinischer Fußballspieler und -trainer 16. März: Ray Pickrell, britischer Motorradrennfahrer († 2006) 17. März: Rudolf Chametowitsch Nurejew, russisch-österreichischer Ballett-Tänzer († 1993) 17. März: Keith Patrick O’Brien, Erzbischof von St. Andrews und Edinburgh und Kardinal († 2018) 18. März: Álfrún Gunnlaugsdóttir, isländische Schriftstellerin († 2021) 18. März: Karin Hausen, deutsche Historikerin 19. März: Robert McKnight, kanadischer Eishockeyspieler († 2021) 20. März: Sergei Petrowitsch Nowikow, russischer Mathematiker 21. März: Karl Kraus, theoretischer Physiker († 1988) 21. März: Fritz Pleitgen, deutscher Journalist und ehemaliger Intendant des WDR († 2022) 23. März: Silvano Agosti, italienischer Filmeditor und Regisseur 23. März: Peter Anheuser, deutscher Politiker († 2016) 23. März: Bertie Auld, schottischer Fußballspieler († 2021) 23. März: Federica de Cesco, Schweizer Schriftstellerin 24. März: Holger Czukay, deutscher Musiker († 2017) 24. März: David Irving, britischer Historiker und Holocaustleugner 24. März: Steve Kuhn, US-amerikanischer Jazzpianist 24. März: Jimmy Voytek, US-amerikanischer Country- und Rockabilly-Musiker († 1980) 24. März: Larry Wilson, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2020) 25. März: Hoyt Axton, US-amerikanischer Country-Musiker († 1999) 25. März: Daniel Buren, französischer Maler und Bildhauer 25. März: Fritz d’Orey, brasilianischer Automobilrennfahrer († 2020) 25. März: Dietrich Stobbe, deutscher Politiker, Regierender Bürgermeister von Berlin († 2011) 26. März: Anthony James Leggett, Professor für Physik und Nobelpreisträger 27. März: Hansjörg Schneider, Schweizer Schriftsteller und Dramatiker 28. März: Udo Bermbach, deutscher Politikwissenschaftler 28. März: Stanisław Olejniczak, polnischer Basketballspieler († 2022) 28. März: Jean-François Piot, französischer Rallye- und Rundenstreckenrennfahrer († 1980) 29. März: Manuel Monteiro de Castro, portugiesischer Kurienkardinal 29. März: Peter Kimmel, deutscher Jurist († 2021) 30. März: Klaus Schwab, Schweizer Wirtschaftswissenschaftler, Gründer des Weltwirtschaftsforums 31. März: Jimmy Johnson, US-amerikanischer American-Football-Spieler 31. März: Dietmar Schlee, deutscher Politiker († 2002) April 1. April: Ingrid Spors, deutsche Politikerin 2. April: Martine Franck, belgische Fotografin († 2012) 2. April: Ralf Petersen, deutscher Komponist († 2018) 2. April: Hans-Michael Rehberg, deutscher Schauspieler und Regisseur († 2017) 2. April: Lothar Schünemann, deutscher Endurosportler 2. April: Darius Young, US-amerikanischer Sportschütze († 2021) 3. April: Jeff Barry, US-amerikanischer Sänger, Komponist, Songwriter und Musikproduzent 4. April: Emile Daems, belgischer Radrennfahrer 7. April: Jerry Brown, US-amerikanischer Politiker und Gouverneur von Kalifornien 7. April: Spencer Dryden, US-amerikanischer Schlagzeuger († 2005) 7. April: Freddie Hubbard, US-amerikanischer Jazz-Trompeter († 2008) 7. April: Justin Metsing Lekhanya, lesothischer Politiker († 2021) 7. April: Alexander von Schlippenbach, deutscher Jazzpianist und Komponist 8. April: Kofi Annan, Generalsekretär der Vereinten Nationen, Friedensnobelpreisträger († 2018) 8. April: Thomas Langhoff, deutscher Theaterregisseur († 2012) 8. April: Günter Schubert, deutscher Schauspieler († 2008) 9. April: Wiktor Tschernomyrdin, russischer Politiker († 2010) 10. April: Günther Kaunzinger, deutscher Organist und Hochschullehrer 10. April: Denny Zeitlin, US-amerikanischer Jazzpianist und Psychiater 11. April: Mohammad Ebrahimi, afghanischer Ringer († 2022) 11. April: Eckart Kuhlwein, deutscher Politiker († 2022) 11. April: Kurt Moll, deutscher Opernsänger († 2017) 11. April: Franz Nuscheler, deutscher Politologe 12. April: Ernst Halter, Schweizer Schriftsteller, Übersetzer und Herausgeber 12. April: Norman Paech, deutscher Völkerrechtler, Professor und MdB 13. April: Heinz Holecek, österreichischer Sänger, Schauspieler, Parodist und Entertainer († 2012) 13. April: Klaus Lehnertz, deutscher Leichtathlet 14. April: Bruce Alberts, US-amerikanischer Biochemiker und Präsident der National Academy of Sciences 14. April: Heiner Friedrich, deutscher Kunsthändler und Galerist 14. April: Wolfgang Hellstern, deutscher Fußballspieler und -trainer 15. April: Claudia Cardinale, italienische Filmschauspielerin 15. April: Walter Scholz, deutscher Trompeter (volkstümliche Musik) 15. April: Manfred Zucker, deutscher Schachproblemkomponist († 2013) 16. April: Gabriella Andreini, italienische Schauspielerin und Synchronsprecherin 17. April: Teddy Parker, deutscher Sänger und Rundfunkmoderator († 2021) 17. April: Willem Vanderpol, kanadischer Wasserballspieler († 2022) 18. April: Hannes Androsch, österreichischer Politiker, Unternehmer 18. April: Roberto Anzolin, italienischer Fußballspieler († 2017) 18. April: Walentina Jakowlewna Koslowskaja, russische Schachspielerin 19. April: Katsuhito Asano, japanischer Politiker 20. April: Betty Cuthbert, australische Leichtathletin († 2017) 20. April: Manfred Kinder, deutscher Leichtathlet 20. April: René Mazzia, französischer Automobilrennfahrer († 2012) 21. April: Nodar Kantscheli, russischer Bauingenieur († 2015) 22. April: Hans-Hermann Weyer, deutscher Titelhändler († 2023) 23. April: Milena Vukotic, italienische Schauspielerin 24. April: Michael Koser, deutscher Schriftsteller 25. April: Hubert Ausbie, US-amerikanischer Basketballspieler der Harlem Globetrotters 26. April: Hudson Austin, grenadischer General und Revolutionär († 2022) 26. April: Manuel Blum, venezolanischer Informatiker 26. April: Duane Eddy, US-amerikanischer Gitarrist 26. April: Ellen Schlüchter, deutsche Rechtswissenschaftlerin († 2000) 27. April: Zdeňka Počtová, tschechoslowakische Kanutin († 2023) 27. April: Reinhard von Schorlemer, deutscher Politiker 28. April: Gerlinde Locker, österreichische Schauspielerin 29. April: Ann Bell, britische Schauspielerin 29. April: Bernard L. Madoff, US-amerikanischer Anlagebetrüger († 2021) 29. April: Alfredo del Mónaco, venezolanischer Komponist († 2015) 29. April: Klaus-Henning Rosen, deutscher Jurist und Publizist 29. April: Klaus Voormann, deutscher Musiker und Grafiker 30. April: Antonia Arslan, armenische Archäologin und Professorin für moderne und zeitgenössische italienische Literatur 30. April: Fips Asmussen, deutscher Komiker und Alleinunterhalter († 2020) 30. April: Larry Niven, US-amerikanischer Science-Fiction-Schriftsteller 30. April: Jürgen Schmidt, deutscher Schauspieler († 2004) Mai 1. Mai: Renate Köhler, deutsche Politikerin (DVU) († 2014) 1. Mai: Erika Vötzsch, deutsche Speerwerferin († 2023) 2. Mai: Jacques Bienvenue, kanadischer Automobilrennfahrer 2. Mai: Moshoeshoe II., König von Lesotho († 1996) 3. Mai: Umar Abd ar-Rahman, ägyptischer Islamist († 2017) 3. Mai: Fernando Arias-Salgado, spanischer Diplomat 3. Mai: Lindsay Kemp, britischer Tänzer, Pantomime, Schauspieler und Regisseur († 2018) 3. Mai: Arístides Incháustegui, dominikanischer Sänger († 2017) 5. Mai: Jerzy Skolimowski, polnischer Filmregisseur und Schauspieler 8. Mai: Jean Giraud, französischer Comic-Zeichner († 2012) 9. Mai: Youssoupha Ndiaye, senegalesischer Jurist, Sportfunktionär und Politiker († 2021) 10. Mai: John Harris, britischer Autorennfahrer († 2021) 10. Mai: Manuel Santana, spanischer Tennisspieler († 2021) 10. Mai: Marina Vlady, französische Schauspielerin 11. Mai: Sig Ohlemann, kanadischer Mittelstreckenläufer und Sprinter († 2022) 12. Mai: Andrei Alexejewitsch Amalrik, russischer Historiker, Publizist, Schriftsteller und Dissident († 1980) 13. Mai: Giuliano Amato, italienischer Politiker; Ministerpräsident 13. Mai: Horst Tappe, deutscher Fotograf († 2005) 14. Mai: Clive Rowlands, walisischer Rugbyspieler und Trainer († 2023) 15. Mai: Mireille Darc, französische Schauspielerin († 2017) 16. Mai: Monique Laederach, Schweizer Schriftstellerin und Literaturkritikerin († 2004) 16. Mai: Boris Melnikow, sowjetischer Fechter († 2022) 16. Mai: Albrecht Müller, deutscher Volkswirt, Publizist und Politiker (SPD) 16. Mai: Ivan Sutherland, US-amerikanischer Pionier der Computergrafik 17. Mai: Ronald Theseira, malaysischer Fechter († 2022) 18. Mai: Erich Arndt, deutscher Tischtennisspieler 18. Mai: Ole Haldrup, deutscher Arzt und Limerickautor 18. Mai: Jan Málek, tschechischer Komponist 19. Mai: Moisés da Costa Amaral, osttimoresischer Politiker († 1989) 19. Mai: Horst Jonischkan, deutscher Schauspieler († 1979) 20. Mai: Christina Baas-Kaiser, niederländische Eisschnellläuferin († 2022) 20. Mai: Rainer Basedow, deutscher Schauspieler und Kabarettist († 2022) 20. Mai: Hanna Eigel, österreichische Eiskunstläuferin 20. Mai: Astrid Kirchherr, deutsche Fotografin und Künstlerin († 2020) 21. Mai: Urs Widmer, Schweizer Schriftsteller († 2014) 22. Mai: Alain Gagnon, kanadischer Komponist und Musikpädagoge († 2017) 22. Mai: Klaus Reichert, deutscher Anglist 22. Mai: Rafael Romero, venezolanischer Leichtathlet († 2021) 23. Mai: Gisela Babel, deutsche Politikerin und MdB 23. Mai: Klaus Dahlen, deutscher Schauspieler († 2006) 23. Mai: Daniel Humair, Schweizer Jazz-Schlagzeuger 24. Mai: Georges Andrey, Schweizer Historiker 24. Mai: Johnny Angel, US-amerikanischer Rocker 24. Mai: Prince Buster, jamaikanischer Ska-Musiker († 2016) 24. Mai: Tommy Chong, Schauspieler und Musiker 24. Mai: Prince Buster, jamaikanischer Ska-Musiker († 2016) 24. Mai: Franz Kaspar, deutscher Theologe 24. Mai: Kai Simons, finnischer Mediziner und Biochemiker 25. Mai: Raymond Carver, US-amerikanischer Autor von Kurzgeschichten und Gedichten († 1988) 25. Mai: John Davies, neuseeländischer Mittelstreckenläufer († 2003) 25. Mai: Johnny Powers, US-amerikanischer Rockabilly-Musiker († 2023) 25. Mai: Slavko Špan, jugoslawischer Leichtathlet († 2021) 26. Mai: Günter Augustat, deutscher Fußballspieler († 2022) 26. Mai: William Bolcom, US-amerikanischer Komponist 26. Mai: Jaki Liebezeit, deutscher Schlagzeuger († 2017) 26. Mai: Teresa Stratas, kanadische Sopranistin griechischer Abstammung 26. Mai: Peter Westbury, britischer Automobilrennfahrer († 2015) 27. Mai: Karl-Heinz Gierke, deutscher Schauspieler († 2020) 27. Mai: Igor Arkadjewitsch Saizew, russischer Schachgroßmeister 27. Mai: Christian Federico von Wernich, deutsch-argentinischer Priester 28. Mai: Siegfried Schoenbohm, US-amerikanisch-deutscher Opernregisseur († 2006) 28. Mai: Jerry West, US-amerikanischer Basketballspieler 28. Mai: Eppie Wietzes, kanadischer Automobilrennfahrer († 2020) 30. Mai: Konrad Krauss, deutscher Schauspieler 30. Mai: Hanns-Ekkehard Plöger, deutscher Rechtsanwalt und Notar († 2005) 30. Mai: Peter Riebensahm, deutscher Leichtathlet 31. Mai: John Prescott, britischer Politiker, stellvertretender Premierminister Juni 1. Juni: Carlo Kardinal Caffarra, Erzbischof von Bologna († 2017) 2. Juni: Désirée Silfverschiöld, schwedische Prinzessin 3. Juni: Johannes Anderegg, Schweizer Germanist und Literaturwissenschaftler 4. Juni: Ulrich Grasnick, deutscher Autor 5. Juni: Karin Balzer, deutsche Leichtathletin († 2019) 7. Juni: Wolfram Angerbauer, deutscher Archivar († 2011) 7. Juni: Joel Blahnik, US-amerikanischer Komponist und Lehrer 8. Juni: Angelo Amato, italienischer Ordenspriester und Kurienkardinal 9. Juni: Emeric Arus, rumänischer Fechter († 2022) 9. Juni: Charles Wuorinen, US-amerikanischer Komponist († 2020) 10. Juni: Hans-Joachim Girlich, deutscher Mathematiker († 2018) 10. Juni: Alexander von Stahl, deutscher Jurist 11. Juni: Peter Eigen, deutscher Jurist 11. Juni: Doris Fuchs-Brause, US-amerikanische Kunstturnerin 11. Juni: Stu Martin, US-amerikanischer Jazzschlagzeuger († 1980) 13. Juni: Utz Aichinger, deutscher Hockeyspieler († 2023) 14. Juni: Roberto Antonelli, italienischer Schauspieler 14. Juni: Julie Felix, US-amerikanische Folkrock-Sängerin († 2020) 14. Juni: Ewald Kooiman, niederländischer Musiker († 2009) 15. Juni: Tony Oxley, britischer Schlagzeuger 16. Juni: Michael Culver, britischer Schauspieler 16. Juni: Joyce Carol Oates, US-amerikanische Schriftstellerin 17. Juni: Ferenc Jánosi, ungarischer Volleyballspieler († 2023) 18. Juni: Michael Sheard, britischer Schauspieler († 2005) 19. Juni: Karl Moik, österreichischer Fernsehmoderator und Entertainer († 2015) 20. Juni: Leeman Bennett, US-amerikanischer Footballtrainer 20. Juni: Dennis Budimir, Jazzgitarrist († 2023) 22. Juni: Peter Griese, deutscher Science-Fiction-Autor († 1996) 22. Juni: Virginio De Paoli, italienischer Fußballspieler und -trainer († 2009) 22. Juni: Jim Shea senior, US-amerikanischer Skilangläufer und Nordischer Kombinierer 24. Juni: Klaus Angermann, deutscher Sportjournalist 25. Juni: Mick Allan, australischer Ruderer († 2021) 26. Juni: Neil Abercrombie, US-amerikanischer Politiker 26. Juni: Eric George Adelberger, US-amerikanischer experimenteller Kernphysiker und Gravitationsphysiker 26. Juni: Bernd Mühleisen, deutscher Handballspieler 27. Juni: Bruce Babbitt, US-amerikanischer Politiker 27. Juni: Konrad Kujau, Maler, Fälscher der Hitler-Tagebücher († 2000) 28. Juni: Gerhard Dickel, Kirchenmusikdirektor, Kantor, Organist und Musikprofessor († 2003) 28. Juni: Leon Panetta, US-amerikanischer Politiker 29. Juni: Giampaolo Menichelli, italienischer Fußballspieler 29. Juni: Rolf Peffekoven, deutscher Finanzwissenschaftler († 2019) 30. Juni: Chris Hinze, niederländischer Jazzmusiker 30. Juni: Billy Mills, US-amerikanischer Langstreckenläufer Juli 2. Juli: Marcel Artelesa, französischer Fußballspieler († 2016) 2. Juli: David Owen, britischer Außenminister, EU-Sonderbeauftragter für den Balkan 2. Juli: Manfred Sondermann, deutscher Karikaturist 2. Juli: Hauke Strübing, deutscher Radiomoderator und Herausgeber († 2022) 3. Juli: John Heard, US-amerikanischer Jazz-Bassist und bildender Künstler († 2021) 4. Juli: Robert Abrams, US-amerikanischer Politiker 4. Juli: Ernest Pieterse, südafrikanischer Automobilrennfahrer († 2017) 4. Juli: Bill Withers, US-amerikanischer Sänger und Songschreiber († 2020) 7. Juli: Franco Andolfo, italienisch-österreichischer Entertainer, Schlagersänger und Komponist († 2012) 7. Juli: Jan Assmann, deutscher Ägyptologe, Religionswissenschaftler, Kulturwissenschaftler und Emeritus 8. Juli: Siegfried Hornung, deutscher Politiker 8. Juli: Felice Salis, italienischer Hockeyspieler († 2021) 8. Juli: Günter Lüttge, deutscher Politiker († 2000) 9. Juli: Brian Dennehy, US-amerikanischer Schauspieler († 2020) 9. Juli: Sanjeev Kumar, indischer Filmschauspieler († 1985) 9. Juli: Eleanor Rosch, US-amerikanische Psychologin 10. Juli: Paul Andreu, französischer Ingenieur, Architekt und Autor († 2018) 10. Juli: Hans Peter Hallwachs, deutscher Filmschauspieler († 2022) 10. Juli: Christoph Lindert, deutscher Schauspieler († 2005) 10. Juli: Paul Stremler, französischer Automobilrennfahrer († 1894) 12. Juli: Jürgen Christoph Volker Ludwig Aschoff, deutscher Neurologe, Hochschullehrer und Schriftsteller 12. Juli: Rodger Doner, kanadischer Ringer († 2022) 13. Juli: Helga Königsdorf, deutsche Mathematikerin und Schriftstellerin († 2014) 13. Juli: Myroslaw Skoryk, ukrainischer Komponist († 2020) 13. Juli: Michael Verhoeven, deutscher Filmregisseur 14. Juli: Jerry Rubin, US-amerikanischer Sozialaktivist († 1994) 14. Juli: Mosche Safdie, israelisch-kanadisch-amerikanischer Architekt 15. Juli: Enrique Figuerola, kubanischer Leichtathlet und Olympiateilnehmer 16. Juli: Piero Antinori, italienischer Winzer 16. Juli: Frank Hoffmann, deutsch-österreichischer Schauspieler († 2022) 17. Juli: Franz Alt, deutscher Journalist und Buchautor 17. Juli: Hartmut Bagger, deutscher General und Generalinspekteur der Bundeswehr 17. Juli: John Land, englischer Hockeyspieler († 2021) 17. Juli: Peter Schumann, deutscher Fußballspieler 18. Juli: Buschi Niebergall, deutscher Musiker († 1990) 18. Juli: Renzo Pasolini, italienischer Motorradrennfahrer († 1973) 18. Juli: Jan Stanisław Skorupski, polnischer Dichter 18. Juli: Ian Stewart, britischer Pianist († 1985) 18. Juli: Paul Verhoeven, niederländischer Filmregisseur 19. Juli: Kurt van Haaren, Vorsitzender der Deutschen Postgewerkschaft († 2005) 19. Juli: Wachtang Kikabidse, georgischer Filmschauspieler und Sänger († 2023) 19. Juli: Dom Moraes, indischer Schriftsteller, Poet und Journalist († 2004) 20. Juli: Aslan Abaschidse, adscharischer Staatspräsident 20. Juli: Carlo Ausino, italienischer Filmschaffender († 2020) 20. Juli: Jo Ann Campbell, US-amerikanische Sängerin 20. Juli: Diana Rigg, britische Schauspielerin († 2020) 20. Juli: Heinz Strehl, deutscher Fußballspieler († 1986) 20. Juli: Natalie Wood, US-amerikanische Schauspielerin († 1981) 21. Juli: Les Aspin, US-Politiker und -Verteidigungsminister († 1995) 21. Juli: Francesco Gioia, Erzbischof der römisch-katholischen Kirche 21. Juli: Hermann Schulz, deutscher Schriftsteller und Verleger 21. Juli: Karlheinz Wagner, deutscher Endurosportler 22. Juli: Terence Stamp, britischer Schauspieler 23. Juli: Juliet Anderson, US-amerikanische Pornodarstellerin († 2010) 23. Juli: Ronny Cox, US-amerikanischer Schauspieler und Sänger 23. Juli: Götz George, deutscher Schauspieler († 2016) 23. Juli: Bill Schermbrucker, kanadischer Schriftsteller und Hochschullehrer kenianischer Herkunft († 2019) 24. Juli: José João Altafini, brasilianischer Fußballspieler 24. Juli: Luiz Olavo Baptista, brasilianischer Jurist, Hochschullehrer und Mitglied des Appellate Body der WTO († 2019) 24. Juli: Eugene James Martin, US-amerikanischer Künstler († 2005) 25. Juli: Marie-Luise Nikuta, deutsche Mundartsängerin († 2020) 26. Juli: Lothar Böhme, deutscher Maler 26. Juli: Joanne Brackeen, US-amerikanische Jazzpianistin und Hochschullehrerin 27. Juli: Isabelle Aubret, französische Sängerin 27. Juli: Gary Gygax, US-amerikanischer Spieleautor († 2008) 27. Juli: Jerry Juhl, US-amerikanischer Drehbuchautor († 2005) 28. Juli: Alberto Fujimori, peruanischer Politiker und Präsident Perus (1990–2000) 28. Juli: Chuan Leekpai, thailändischer Staatsmann, Premierminister 29. Juli: Enzo G. Castellari, italienischer Regisseur 29. Juli: Walter Gillik, deutscher Bobfahrer 29. Juli: Peter Jennings, US-amerikanischer Journalist († 2005) 29. Juli: Klaus Töpfer, deutscher Politiker 30. Juli: Dia Succari, französischer Komponist und Musikpädagoge syrischer Herkunft († 2010) August 1. August: Georges Kahhalé Zouhaïraty, syrischer Bischof in Venezuela 1. August: Gunter Friedrich, deutscher Filmregisseur 1. August: Bernward Vesper, deutscher Schriftsteller, politischer Aktivist und Verleger († 1971) 2. August: Brunhilde Hendrix, deutsche Leichtathletin († 1995) 2. August: Friedhelm Konietzka, deutscher Fußballspieler († 2012) 3. August: Ingrid Caven, deutsche Chanson-Sängerin und Schauspielerin 4. August: Mapita Cortés, puerto-ricanische Schauspielerin († 2006) 4. August: Kurt Jaworski, deutscher Manager und Autor († 2014) 4. August: Simon Preston, britischer Organist, Dirigent und Komponist († 2022) 4. August: Bernd Wiesemann, deutscher Komponist, Pianist, Musikpädagoge und Konzeptkünstler († 2015) 5. August: Erika Strößenreuther, deutsche Speerwerferin († 2021) 6. August: Rudolf Avenhaus, deutscher Physiker und Statistiker 6. August: Alain Levié, französischer Automobilrennfahrer 7. August: Ludwig Valentin Angerer, deutscher Architekt, Maler, Bildhauer und Autor 7. August: Helen Caldicott, australische Ärztin, Buchautorin und Anti-Kernwaffen-Aktivistin 7. August: Giorgio Giugiaro, italienischer Industriedesigner 8. August: Jacques Hétu, kanadischer Komponist († 2010) 9. August: Leonid Kutschma, ukrainischer Politiker 9. August: Rod Laver, australischer Tennisspieler 9. August: Clarisse Nicoïdski, französische Schriftstellerin († 1996) 9. August: Otto Rehhagel, deutscher Fußballtrainer und -spieler 9. August: Micheline Coulombe Saint-Marcoux, kanadische Komponistin († 1985) 9. August: Robert Zollitsch, 14. Erzbischof der Erzdiözese Freiburg 10. August: Grit Boettcher, deutsche Schauspielerin 10. August: Antje Hagen, deutsche Schauspielerin 11. August: Najat Essaghira, ägyptische Schauspielerin und Sängerin 11. August: Mamadou Sarr, senegalesischer Leichtathlet († 2022) 12. August: Emiliano Fabbricatore, italienischer römisch-katholischer Abt und Theologe († 2019) 13. August: Dave Cortez, US-amerikanischer R&B-Musiker und Orgelspieler 13. August: Oscar Ghiglia, italienischer Gitarrist 15. August: Ottavio Cinquanta, italienischer Sportfunktionär († 2022) 16. August: Corinna Genest, deutsche Schauspielerin in Fernsehen und Theater 16. August: Rocco Granata, Unterhaltungskünstler und Schlagersänger 16. August: Werner Hansch, deutscher Sportjournalist 17. August: Abu Bakar Bashir, indonesischer Islamist 17. August: Ann Marie Flynn, US-amerikanische Hochspringerin († 2021) 17. August: Hubert Markl, deutscher Zoologe, Verhaltensforscher und Wissenschaftsmanager († 2015) 18. August: John Mulhall, britischer Turner († 2022) 18. August: Krystyna Stypułkowska, polnische Schauspielerin († 2020) 20. August: Anne Cameron, kanadische Schriftstellerin und Drehbuchautorin 20. August: Kaneaster Hodges, US-amerikanischer Politiker († 2022) 21. August: Nicolás Ardito Barletta Vallarino, 39. Staatspräsident von Panama 21. August: Kenny Rogers, US-amerikanischer Countrysänger und Schauspieler († 2020) 21. August: Wolfgang Wiltschko, Zoologe und Verhaltensforscher 22. August: Jens-Rainer Ahrens, deutscher Politiker 22. August: Keith Ward, britischer Philosoph, Theologe, anglikanischer Priester und Autor 24. August: Elmar Altvater, deutscher Politikwissenschaftler († 2018) 24. August: Mason Williams, US-amerikanischer Gitarrist und Komponist 25. August: Frederick Forsyth, britischer Schriftsteller 26. August: Marcello Avallone, italienischer Filmregisseur 26. August: Marcello Gandini, italienischer Fahrzeugdesigner 26. August: Erwin Schmider, deutscher Endurosportler 28. August: Hans-Peter Kirchhof, Richter am Bundesgerichtshof 28. August: Paul Martin, kanadischer Politiker, Premierminister 28. August: Mario Martiradonna, italienischer Fußballspieler († 2011) 29. August: Elliott Gould, US-amerikanischer Schauspieler 29. August: Hermann Nitsch, österreichischer Maler († 2022) 29. August: Alberto Pagani, italienischer Motorradrennfahrer († 2017) 30. August: Lee Kinsolving, US-amerikanischer Schauspieler († 1974) 30. August: Abel Laudonio, argentinischer Boxer († 2014) 31. August: Martin Bell, britischer Nachrichtensprecher und Politiker 31. August: „Spider“ John Koerner, US-amerikanischer Sänger, Gitarrist und Songwriter 31. August: Wieland Kuijken, belgischer Viola-da-gamba-Spieler und Cellist September 1. September: Virginia Aldridge, US-amerikanische Schauspielerin und Drehbuchautorin 1. September: Alan M. Dershowitz, US-amerikanischer Publizist 1. September: Per Kirkeby, dänischer Maler († 2018) 1. September: Guy Kirsch, luxemburgischer Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler 2. September: Giuliano Gemma, italienischer Schauspieler († 2013) 2. September: Ursula Lillig, deutsche Schauspielerin († 2004) 3. September: Caryl Churchill, englische Autorin von Dramen 4. September: Michel Rateau, französischer Komponist († 2020) 5. September: Piotr Lachert, polnischer Komponist, Pianist sowie Dichter († 2018) 7. September: Milena Dvorská, tschechische Schauspielerin († 2009) 8. September: Wolfgang Bötsch, deutscher Politiker († 2017) 8. September: Wibke Bruhns, deutsche Journalistin († 2019) 8. September: Larry Dickson, US-amerikanischer Automobilrennfahrer 8. September: Louis Mahoney, britischer Schauspieler († 2020) 9. September: Henri-Claude Fantapié, französischer Dirigent 11. September: Perry Anderson, britischer Historiker 12. September: Klaus Peter Brehmer, Künstler († 1997) 12. September: Anne Helm, Schauspielerin 13. September: Janusz Głowacki, polnischer Schriftsteller († 2017) 13. September: John Smith, britischer Politiker († 1994) 14. September: Heide Buscher, deutsche Literaturhistorikerin 14. September: Kakuei Kin, japanischer Schriftsteller († 1985) 15. September: Alain Abbott, französischer Akkordeonspieler und Komponist 15. September: Rudolf Ahlswede, deutscher Mathematiker († 2010) 15. September: Rafael Osuna, mexikanischer Tennisspieler († 1969) 16. September: Jere Hutcheson, US-amerikanischer Komponist und Musikpädagoge 16. September: Gerd Peter Werner, deutscher Politiker und Heilpraktiker († 2019) 17. September: Bernd von Droste zu Hülshoff, deutscher Gründer des UNESCO-Welterbezentrums 17. September: Francisco Aritmendi, spanischer Leichtathlet († 2020) 17. September: Dilip Chitre, indischer Schriftsteller († 2009) 17. September: Aydın İbrahimov, sowjetischer Ringer († 2021) 19. September: Alain Serpaggi, französischer Automobilrennfahrer 20. September: Pia Lindström, schwedische Journalistin 20. September: Gilda Mirós, US-amerikanische Schauspielerin, Rundfunk- und Fernsehproduzentin und Autorin 21. September: Atli Heimir Sveinsson, isländischer Komponist und Dirigent († 2019) 21. September: Yūji Takahashi, japanischer Komponist und Pianist 22. September: David Gorsuch, US-amerikanischer Skirennläufer († 2021) 22. September: Dean Reed, US-amerikanischer Schauspieler, Rock-'n'-Roll-Star und Countrysänger († 1986) 23. September: Pierre Kröger, deutscher Maler und Grafiker († 2022) 23. September: Maria Perschy, österreichische Filmschauspielerin († 2004) 23. September: Romy Schneider, deutsch-französische Schauspielerin († 1982) 24. September: Steve Douglas, US-amerikanischer Rock-Saxophonist († 1993) 24. September: Miguel González, spanischer Basketballspieler († 2022) 25. September: Neville Lederle, südafrikanischer Automobilrennfahrer († 2019) 25. September: Giuseppe Merisi, italienischer Priester, Bischof von Lodi 25. September: Bill Owens, US-amerikanischer Fotograf und Brauer 26. September: Egon Eigenthaler, Werbegrafiker und Politiker 27. September: Günter Brus, österreichischer Aktionskünstler und Maler 27. September: Sharifa Fadel, ägyptische Schauspielerin und Sängerin († 2023) 27. September: Mo Nunn, englischer Ingenieur und Motorsport-Teambesitzer († 2018) 27. September: Alberto Orlando, italienischer Fußballspieler 28. September: Charles Richard Ashcraft, US-amerikanischer Politikwissenschaftler († 1995) 28. September: Metschyslau Hryb, Präsident von Weißrussland 28. September: Ben E. King, afro-amerikanischer Soulsänger († 2015) 29. September: Roy Pike, US-amerikanischer Automobilrennfahrer und Unternehmer 29. September: Wim Kok, niederländischer Politiker, 1994–2002 Ministerpräsident († 2018) 29. September: Stefano Stefani, italienischer Politiker 29. September: Michael Stürmer, deutscher Historiker 30. September: Gerd Aberle, deutscher Wirtschaftswissenschaftler 30. September: Walter Aufhammer, deutscher Pflanzenbauwissenschaftler und Universitätsprofessor 30. September: Dieter Hundt, deutscher Unternehmer 30. September: Kees Vlak, niederländischer Komponist und Musiker († 2014) Oktober 1. Oktober: Leo Cella, italienischer Motorrad-,Rallye- und Automobilrennfahrer († 1968) 1. Oktober: Les Scheinflug, australischer Fußballspieler und -trainer 1. Oktober: Gerhard Schwenzer, deutscher Theologe 1. Oktober: Stella Stevens, US-amerikanische Schauspielerin († 2023) 2. Oktober: Günther Storck, katholischer Priester und sedisvakantistischer Bischof († 1993) 3. Oktober: Eddie Cochran, US-amerikanischer Rock-’n’-Roll-Star († 1960) 3. Oktober: Gerhard Waibel, deutscher Flugzeugkonstrukteur 4. Oktober: Mark Levine, US-amerikanischer Jazzpianist und -posaunist († 2022) 4. Oktober: Willi Schulz, deutscher Fußballspieler 4. Oktober: Kurt Wüthrich, Schweizer Chemiker 5. Oktober: Horst Heinrich, bayerischer Politiker († 2002) 6. Oktober: Peter Gosse, deutscher Lyriker, Prosaautor und Essayist 7. Oktober: Ann Haydon-Jones, britische Tennis- und Tischtennisspielerin 8. Oktober: Sonny Barger, Gründer der Hells Angels († 2022) 8. Oktober: Galina Kostenko, sowjetische Leichtathletin († 2021) 8. Oktober: Bronislovas Lubys, litauischer Industrieller und Politiker († 2011) 8. Oktober: Yukitsuna Sasaki, japanischer Lyriker und Literaturwissenschaftler 8. Oktober: Fred Stolle, australischer Tennisspieler 8. Oktober: Walter Trefz, deutscher Förster, Umweltaktivist und Naturphilosoph († 2021) 9. Oktober: Heinz Fischer, österreichischer Bundespräsident 9. Oktober: Gunter Kahlert, deutscher Dirigent und Musikpädagoge 9. Oktober: Arno Wyzniewski, deutscher Schauspieler († 1997) 10. Oktober: Alan Bradley, kanadischer Autor 10. Oktober: Philippe Léger, französischer Jurist und Generalanwalt am EuGH 10. Oktober: Daidō Moriyama, japanischer Fotograf 10. Oktober: Horst Rehberger, deutscher Politiker 13. Oktober: Christiane Hörbiger, österreichische Schauspielerin († 2022) 14. Oktober: John Dean, Rechtsberater von Richard Nixon 14. Oktober: Farah Diba, Kaiserin von Iran 14. Oktober: Melba Montgomery, US-amerikanische Country-Musikerin 15. Oktober: Rafael Aponte-Ledée, puerto-ricanischer Komponist 15. Oktober: Marie-Luise Scherer, deutsche Schriftstellerin und Reporterin († 2022) 16. Oktober: Hans Rudolf Güdemann, deutscher Architekt und Stadtplaner († 2020) 16. Oktober: Nico, deutsches Model und Sängerin († 1988) 17. Oktober: Norm Gerrard Armstrong, kanadischer Eishockeyspieler († 1974) 17. Oktober: Evel Knievel, US-amerikanischer Motorradstuntman († 2007) 18. Oktober: Guy Roux, französischer Fußballtrainer 19. Oktober: Renata Adler, US-amerikanische Journalistin und Schriftstellerin 19. Oktober: Eugenio Montejo, venezolanischer Dichter und Essayist († 2008) 19. Oktober: Jörn Rüsen, deutscher Historiker und Kulturwissenschaftler 20. Oktober: Bärbel Wachholz, deutsche Sängerin († 1984) 22. Oktober: Claus Hipp, deutscher Unternehmer 22. Oktober: Derek Jacobi, britischer Schauspieler 22. Oktober: Christopher Lloyd, US-amerikanischer Schauspieler 23. Oktober: Henry John Heinz III, US-amerikanischer Senator († 1991) 23. Oktober: Eugenio Fascetti, italienischer Fußballspieler und -trainer 24. Oktober: Fernand Goyvaerts, belgischer Fußballspieler († 2004) 24. Oktober: Walter Kappacher, österreichischer Schriftsteller 24. Oktober: Odean Pope, US-amerikanischer Jazzmusiker 24. Oktober: Jörg Schröder, deutscher Verleger und Schriftsteller († 2020) 25. Oktober: Michael Buselmeier, deutscher Schriftsteller 25. Oktober: Basile Georges Casmoussa, irakischer katholischer Erzbischof 25. Oktober: Claude Minière, französischer Lyriker und Essayist 26. Oktober: Wolfgang Behrendt, deutscher Politiker, MdB 26. Oktober: Filippo De Luigi, italienischer Regisseur 26. Oktober: Ernest Fernando, sri-lankischer Ringer († 2022) 26. Oktober: Wilfried Scharnagl, deutscher Journalist und Politiker († 2018) 27. Oktober: Elliot del Borgo, US-amerikanischer Komponist und Professor († 2013) 27. Oktober: Maurice Hinchey, US-amerikanischer Politiker († 2017) 27. Oktober: Edda Moser, deutsche Sängerin 28. Oktober: Keigo Abe, japanischer Karateka († 2019) 28. Oktober: József Gerlach, ungarischer Wasserspringer († 2021) 28. Oktober: Dieter Holzapfel, deutscher Politiker 28. Oktober: Bernadette Lafont, französische Theater- und Filmschauspielerin († 2013) 28. Oktober: Laurence Lesser, US-amerikanischer Cellist und Musikpädagoge 28. Oktober: Anne Perry, britische Schriftstellerin († 2023) 28. Oktober: Volker Schneller, deutscher Handballspieler und Handballtrainer 28. Oktober: Jan-Jürgen Wasmuth, deutscher Komponist und Kirchenmusiker 29. Oktober: Ralph Bakshi, US-amerikanischer Filmregisseur 29. Oktober: Wilbert McClure, US-amerikanischer Boxolympiasieger († 2020) 29. Oktober: Peter Krassa, österreichischer Autor († 2005) 29. Oktober: Gerhard Neuser, deutscher Fußballspieler († 1993) 30. Oktober: Werner Lensing, deutscher Politiker und MdB († 2020) 31. Oktober: Henning Scherf, deutscher Politiker November 1. November: Marcel Rüedi, Schweizer Bergsteiger († 1986) 2. November: Pat Buchanan, US-amerikanischer Politiker, Journalist 2. November: Paul Coppo, US-amerikanischer Eishockeyspieler († 2022) 2. November: Lutz von Rosenstiel, Professor für Organisations- und Wirtschaftspsychologie († 2013) 2. November: Richard Serra, US-amerikanischer Künstler des Minimalismus 2. November: Sophia von Griechenland, Königin von Spanien 3. November: Wolfgang Gerber, Richter am Bundesgerichtshof 3. November: Terrence McNally, US-amerikanischer Dramatiker († 2020) 4. November: Salvatore Morale, italienischer Leichtathlet 5. November: Joe Dassin, französischer Sänger († 1980) 5. November: César Luis Menotti, argentinischer Fußballspieler und -trainer 5. November: Armido Torri, italienischer Ruderer († 2022) 6. November: Joachim Starck, deutscher Richter am Bundesgerichtshof 7. November: Sigitas Tamkevičius, litauischer Erzbischof, Kardinal 8. November: Pedro D. Arigo, philippinischer Priester 8. November: Louis Kébreau, haitianischer Ordenspriester und Erzbischof 8. November: Murtala Mohammed, Militärdiktator, Staatspräsident von Nigeria († 1976) 9. November: Richard Eckert, deutscher Politiker 10. November: Eberhard Rinne, Richter am Bundesgerichtshof von 1986 bis 2003 († 2023) 11. November: Ants Antson, estnischer Eisschnellläufer und Sportfunktionär († 2015) 11. November: Narvel Felts, US-amerikanischer Country- und Rockabilly-Musiker 11. November: Lloyd Miller, US-amerikanischer Musiker und Musikethnologe 12. November: Richard May, britischer Jurist und Politiker († 2004) 12. November: Benjamin William Mkapa, tansanischer Politiker († 2020) 12. November: Mort Shuman, US-amerikanischer Songschreiber und Sänger († 1991) 13. November: Herbert Ammer, deutscher Fußballspieler († 2011) 13. November: Jean Seberg, US-amerikanische Schauspielerin († 1979) 14. November: Karla Schneider, deutsche Schriftstellerin 16. November: Robert Nozick, US-amerikanischer Philosoph († 2002) 17. November: Juan Azúa, chilenischer Dirigent († 2006) 17. November: Heinz Fuhrmann, deutscher Wirtschaftsingenieur und Politiker 17. November: Gordon Lightfoot, kanadischer Folk-Musiker († 2023) 18. November: Karl Schranz, österreichischer Skirennläufer 19. November: Ted Turner, US-amerikanischer Medienunternehmer 20. November: Richard Aoki, US-amerikanischer Bürgerrechtler († 2009) 22. November: Gunter Schmidt, deutscher Sexualforscher 23. November: Herbert Achternbusch, deutscher Schriftsteller, Regisseur und Maler († 2022) 24. November: Oscar Robertson, US-amerikanischer Basketballspieler 24. November: Francisco Rodríguez, 42. Staatspräsident von Panama 24. November: Charles Starkweather, US-amerikanischer Serienmörder († 1959) 25. November: Hans Brenner, österreichischer Schauspieler († 1998) 26. November: Samuel Bodman, US-amerikanischer Politiker († 2018) 26. November: Porter Goss, US-amerikanischer Politiker 26. November: Rich Little, kanadischer Komiker 26. November: Rodolfo Da Ponte, paraguayischer Fechter († 2021) 26. November: Luisa Valenzuela, argentinische Schriftstellerin und Journalistin 26. November: Hans Georg Wagner, deutscher Politiker 27. November: Neil W. Ashcroft, britischer Festkörperphysiker († 2021) 27. November: Rotraut, deutsch-französische Künstlerin 29. November: Eberhard Hertel, deutscher Sänger 30. November: Jean Eustache, französischer Filmregisseur († 1981) 30. November: Tomislav Ivančić, kroatischer Theologe († 2017) Dezember 1. Dezember: Carlos Garnett, US-amerikanischer Jazz-Saxophonist († 2023) 1. Dezember: Evelyn Gressmann, deutsche Schauspielerin, Synchronsprecherin († 2018) 1. Dezember: Toni Schumacher, deutscher Fußballtorwart 3. Dezember: Claude Lapointe, französischer Kinderbuchillustrator 3. Dezember: José Serebrier, uruguayischer Dirigent und Komponist 3. Dezember: Werner Thissen, deutscher Theologe, Erzbischof von Hamburg 3. Dezember: Gernot Weser, deutscher Motorradrennfahrer († 2015) 4. Dezember: Dimitri T. Analis, griechischer Schriftsteller und Diplomat († 2012) 4. Dezember: George Eyre Andrews, US-amerikanischer Mathematiker 5. Dezember: Alois Brandstetter, österreichischer Schriftsteller und Philologe 5. Dezember: J. J. Cale, US-amerikanischer Musiker und Komponist († 2013) 5. Dezember: Julius Natterer, deutscher Ingenieur († 2021) 5. Dezember: Heidi Schmid, Florettfechterin 5. Dezember: J. D. McDuffie, US-amerikanischer NASCAR-Rennfahrer († 1991) 6. Dezember: Patrick Bauchau, belgischer Schauspieler 8. Dezember: John Agyekum Kufuor, Präsident von Ghana 9. Dezember: David Houston, Country-Sänger und -Songschreiber († 1993) 9. Dezember: Deacon Jones, US-amerikanischer American-Football-Spieler († 2013) 9. Dezember: William Thomas McKinley, US-amerikanischer Komponist, Jazzpianist und Musikpädagoge († 2015) 11. Dezember: Gerd Cintl, deutscher Ruderer und Olympiasieger († 2017) 11. Dezember: Sonja Kurowsky, deutsche Fernsehansagerin und Moderatorin († 2017) 11. Dezember: McCoy Tyner, US-amerikanischer Jazzpianist († 2020) 12. Dezember: Luis „Artillero“ Artime, argentinischer Fußballspieler 13. Dezember: Joachim Dorfmüller, deutscher Musikwissenschaftler und Organist 13. Dezember: Heiner Kappel, deutscher Pfarrer und Politiker 13. Dezember: Heino, deutscher Schlagersänger und Sänger 14. Dezember: Leonardo Boff, brasilianischer Theologe 15. Dezember: Klaus Hänsch, MdEP für die SPD 15. Dezember: Billy Shaw, US-amerikanischer American-Football-Spieler 15. Dezember: Juan Carlos Wasmosy, Staatspräsident von Paraguay 16. Dezember: Simon Yussuf Assaf, libanesischer Priester und Poet († 2013) 16. Dezember: Frieder Nake, deutscher Mathematiker, Computerkünstler 16. Dezember: Tommaso de Pra, italienischer Radrennfahrer 16. Dezember: Liv Ullmann, norwegische Schauspielerin, Regisseurin 17. Dezember: John Semmelink, kanadischer Skirennläufer († 1959) 17. Dezember: Peter Snell, neuseeländischer Leichtathlet († 2019) 18. Dezember: Chas Chandler, britischer Musiker, Musikproduzent († 1996) 18. Dezember: Roger E. Mosley, US-amerikanischer Schauspieler († 2022) 19. Dezember: Heinrich August Winkler, deutscher Historiker 21. Dezember: Felix Huby, deutscher Journalist, Drehbuchautor und Schriftsteller († 2022) 21. Dezember: Manfred Schneider, deutscher Manager 22. Dezember: Lucas Abadamloora, ghanaischer Bischof († 2009) 22. Dezember: Ursula Apel, deutsche Hermann-Hesse-Forscherin 22. Dezember: Lucien Bouchard, kanadischer Politiker 22. Dezember: Georg Gölter, deutscher Politiker, MdB, MdL 22. Dezember: Brian Locking, britischer Musiker, (The Shadows) († 2020) 23. Dezember: Robert E. Kahn, US-amerikanischer Informatiker 23. Dezember: Siegfried Rauhut, deutscher Endurosportler 24. Dezember: Hartmuth Arenhövel, deutscher theoretischer Kernphysiker 24. Dezember: Mesías Maiguashca, ecuadorianischer Komponist 25. Dezember: Ivonne Haza, dominikanische Sopranistin († 2022) 25. Dezember: Günter Mäder, deutscher Fußballspieler († 2018) 25. Dezember: Jens Winther, dänischer Automobilrennfahrer 26. Dezember: José Luis Alcaine, spanischer Kameramann 26. Dezember: Hein Bruehl, deutscher Hörspielautor und -regisseur 26. Dezember: Eberhard Gwinner, deutscher Ornithologe und Verhaltensforscher († 2004) 27. Dezember: Rolf Wolfshohl, deutscher Radrennfahrer 28. Dezember: Hans Werner Aufrecht, deutscher Unternehmer 29. Dezember: Bart Berman, niederländischer Pianist 29. Dezember: Gianluigi Saccaro, italienischer Fechter († 2021) 29. Dezember: Jon Voight, US-amerikanischer Schauspieler Genaues Geburtsdatum unbekannt Sidi Mohamed Ould Cheikh Abdallahi, mauretanischer Politiker († 2020) Ahmed Ben Cheikh Attoumane, komorischer Politiker Azriel Auerbach, israelischer Rabbiner und Posek Sid Auffarth, deutscher Architekt, Stadtbau-Historiker und Autor Bobby Brown, US-amerikanischer Rockabilly- und Rock-’n’-Roll-Musiker Peter Bundschuh, deutscher Mathematiker Robin J. S. Cooke, australischer Vulkanologe († 1979) David Kantilla, australischer Footballspieler († 1978) Wilson Kiprugut, kenianischer Leichtathlet († 2022) Sheila Moore, kanadische Schauspielerin Scott Nickrenz, US-amerikanischer Bratschist Joachim Raschke, deutscher Politologe Michael Rüth, deutscher Schauspieler und Synchronsprecher Gisela Zenz, deutsche Rechtswissenschaftlerin und Psychologin Gestorben Januar 1. Januar: Enrique Reoyo, spanischer Librettist (* vor 1900) 3. Januar: Arturo Berutti, argentinischer Komponist (* 1858) 5. Januar: Karl Scharfenberg, deutscher Eisenbahningenieur (* 1874) 5. Januar: Karel Baxa, tschechischer Rechtsanwalt, Politiker und erster Bürgermeister Prags (* 1863) 8. Januar: Friedrich von Kalitsch, deutscher Forstmann (* 1858) 8. Januar: Christian Rohlfs, deutscher Maler (* 1849) 14. Januar: Hans von Ramsay, deutscher Offizier und Forschungsreisender (* 1862) 18. Januar: Alexandre Georges, französischer Organist, Musikpädagoge und Komponist (* 1850) 17. Januar: Roy Eccles, britischer Autorennfahrer (* 1900) 18. Januar: Josef Schey von Koromla, österreichischer Rechtswissenschaftler (* 1853) 19. Januar: Rosa Mayreder, österreichische Frauenrechtlerin (* 1858) 20. Januar: Erik Carl Emanuel Åkerberg, schwedischer Komponist (* 1860) 21. Januar: Georges Méliès, ursprünglich Magier, bedeutende Gestalt des frühen Kinos (* 1861) 21. Januar: Mary Wurm, englische Pianistin, Komponistin und Musikpädagogin (* 1860) 22. Januar: Richard Franck, deutscher Komponist und Pianist (* 1858) 24. Januar: Robert Franz Arnold, österreichischer Literaturhistoriker und Bibliothekar (* 1872) 25. Januar: William Slavens McNutt, US-amerikanischer Drehbuchautor und Schriftsteller (* 1885) 27. Januar: Max Oscar Arnold, deutscher Unternehmer und Politiker (* 1854) 28. Januar: Bernd Rosemeyer, deutscher Rennfahrer (* 1909) 28. Januar: Giacinto Sertorelli, italienischer Skirennläufer (* 1915) 29. Januar: Johannes Werthauer, deutscher Jurist und Strafrechtsreformer (* 1866) Januar: Gertrude Aretz, deutsche Historikerin (* 1889) Februar 1. Februar: Julian Arendt, deutscher Literat (* 1895) 1. Februar: Carl Heicke, deutscher Gartenarchitekt (* 1862) 1. Februar: Hans Heinrich XV. Fürst von Pless, deutscher Standesherr und Montanindustrieller (* 1861) 2. Februar: Friedrich Adler, österreichischer Schriftsteller (* 1857) 3. Februar: George Auriol, französischer Lyriker, Liedtexter, Grafiker und Künstler (* 1863) 5. Februar: Hans Litten, deutscher Rechtsanwalt und Strafverteidiger (* 1903) 5. Februar: Ernst Theodor Haux, deutscher Unternehmer (* 1863) 6. Februar: Marianne von Werefkin, russische Malerin (* 1860) 8. Februar: Nikolaus von Griechenland, griechischer Prinz (* 1872) 9. Februar: Hermann Ludwig Kutzschbach, deutscher Dirigent und Musikpädagoge (* 1875) 10. Februar: Alexander Jakowlewitsch Arossew, russisch-sowjetischer Schriftsteller, Politiker und Diplomat (* 1890) 12. Februar: Paolo Troubetzkoy, italienisch-russischer Bildhauer (* 1866) 13. Februar: Karl Ludwig Schemann, deutscher Schriftsteller, Übersetzer und „Rassenforscher“ (* 1852) 14. Februar: Arthur Eloesser, deutscher Journalist und Literaturhistoriker (* 1870) 16. Februar: Otto zur Linde, deutscher Schriftsteller (* 1873) 18. Februar: Edward Anseele, belgischer Politiker (* 1856) 18. Februar: Leopoldo Lugones, argentinischer Dichter und Essayist (* 1874) 19. Februar: Edmund Landau, deutscher Mathematiker (* 1877) 19. Februar: Gottlob Krause, deutscher Afrikareisender (* 1850) 21. Februar: Wilhelm Lütgert, deutscher protestantischer Theologe (* 1867) 21. Februar: George Ellery Hale, US-amerikanischer Astronom (* 1868) 22. Februar: Miguel Llobet, spanischer Gitarrist und Komponist (* 1878) März 1. März: Gabriele D’Annunzio, italienischer Schriftsteller (* 1863) 4. März: Moses Levi, deutscher Jurist (* 1873) 6. März: Joseph Arend, deutscher Politiker (* 1885) 7. März: Juan Bautista Massa, argentinischer Komponist (* 1885) 7. März: James B. A. Robertson, US-amerikanischer Politiker (* 1871) 13. März: Clarence Darrow, US-amerikanischer Rechtsanwalt (* 1857) 15. März: Nikolai Iwanowitsch Bucharin, russischer Politiker, marxistischer Wirtschaftstheoretiker und Philosoph (* 1888) 16. März: Egon Friedell, österreichischer Schriftsteller, Philosoph, Schauspieler (* 1878) 17. März: Ernst Deutsch-Dryden, österreichischer Grafik- und Modedesigner (* 1887) 18. März: Cyril Rootham, englischer Komponist (* 1875) 21. März: Omer Letorey, französischer Komponist und Organist (* 1873) 22. März: Hermann Schubert, deutscher Politiker (* 1886) 23. März: Thomas Walter Scott, kanadischer Politiker (* 1867) 24. März: Eduard Ameseder, österreichischer Maler (* 1856) 27. März: William Stern, deutscher Psychologe, Begründer der Differenziellen Psychologie (* 1871) 30. März: Norbert Lichtenecker, österreichischer Geograph (* 1897) 31. März: Jacobus Marinus Janse, niederländischer Biologe (* 1860) April 1. April: Richard Du Moulin-Eckart, deutscher Historiker (* 1864) 1. April: Rafaela Serrano Rodríguez, kubanische Pianistin und Musikpädagogin spanischer Herkunft (* 1862) 5. April: Auguste Bodoignet, französischer Autorennfahrer (* 1896) 7. April: Suzanne Valadon, französische Malerin (* 1865) 8. April: Franja Tavčar, slowenische Frauenrechtlerin (* 1868) 10. April: Joe King Oliver, US-amerikanischer Kornettist (* 1885) 12. April: Johannes Thienemann, deutscher Ornithologe (* 1863) 16. April: Steve Bloomer, englischer Fußballspieler (* 1874) 18. April: Miguel Oquelí Bustillo, honduranischer Politiker und Vorsitzender der Regierungsjunta von 1907 (* 1856) 22. April: Rudolf von Arx, Schweizer Lehrer, Jurist und Politiker (* 1851) 22. April: Robert Seitz, deutscher Schriftsteller (* 1891) 23. April: Eric Fernihough, britischer Motorradrennfahrer (* 1905) 23. April: Elisabeth Tombrock, Gründerin des Ordens Missionsschwestern von der unbefleckten Empfängnis (* 1887) 25. April: August Luchs, deutscher Altphilologe (* 1849) 26. April: Rafael Arnáiz Barón, Trappist, Mystiker (* 1911) 26. April: Erich Kühn, deutscher Schriftsteller und Redakteur (* 1878) 27. April: Edmund Husserl, österreichisch-preußischer Philosoph (* 1859) Mai 4. Mai: Kanō Jigorō, japanischer Lehrer, Begründer der Kampfsportart Judo (* 1860) 4. Mai: Carl von Ossietzky, deutscher Redakteur und Herausgeber, Friedensnobelpreisträger und Opfer des Nationalsozialismus (* 1889) 10. Mai: Antoine Jean Baumgartner, Schweizer evangelischer Theologe und Hochschullehrer (* 1859) 11. Mai: Friedrich Knutzen, deutscher Politiker (* 1881) 15. Mai: Gheorghe Marinescu, rumänischer Neurologe und Neuropathologe (* 1863) 15. Mai: Eugenio Siena, italienischer Automobilrennfahrer (* 1905) 16. Mai: László Hartmann, ungarischer Automobilrennfahrer (* 1901) 16. Mai: Friedrich Springorum, deutscher Manager und Industrieller (* 1858) 19. Mai: Adolf Schlatter, Schweizer evangelischer Theologe (* 1852) 22. Mai: Jacob Wackernagel, Schweizer Altphilologe und Indogermanist (* 1853) 26. Mai: John Jacob Abel, US-amerikanischer Biochemiker (* 1857) 28. Mai: Diedrich Speckmann, deutscher Schriftsteller (* 1872) 30. Mai: Raden Soetomo, indonesischer Arzt (* 1888) 31. Mai: Ludwig Hermann, deutscher Chemiker und Unternehmer (* 1882) Juni 1. Juni: Ödön von Horváth, österreichisch-ungarischer Schriftsteller (* 1901) 3. Juni: Marion Butler, US-amerikanischer Politiker (* 1863) 4. Juni: John Flanagan, US-amerikanischer Polizist, Leichtathlet und Olympiateilnehmer (* 1873) 13. Juni: Charles Édouard Guillaume, schweizerisch-französischer Physiker (* 1861) 15. Juni: Ernst Ludwig Kirchner, deutscher Maler (* 1880) 19. Juni: Henry W. Keyes, US-amerikanischer Politiker (* 1863) 20. Juni: Josef Brandl, deutscher Orgelbauer (* 1865) 20. Juni: Liselotte Herrmann, deutsche Widerstandskämpferin und Opfer des Nationalsozialismus (* 1909) 20. Juni: David Ogden Watkins, US-amerikanischer Politiker (* 1862) 22. Juni: Vladimir R. Đorđević, serbischer Musikwissenschaftler und -ethnologe (* 1869) 25. Juni: Nikolai Sergejewitsch Trubetzkoy, russischer Sprachforscher (* 1890) Juli 4. Juli: Jean-Baptiste Dubois, kanadischer Cellist, Dirigent und Musikpädagoge (* 1870) 5. Juli: Otto Bauer, österreichischer Politiker (* 1881) 9. Juli: H. Benne Henton, US-amerikanischer Saxophonist (* 1877) 11. Juli: Ynes Mexia, mexikanisch-US-amerikanische Botanikerin und Forschungsreisende (* 1870) 13. Juli: Emil Kirdorf, deutscher Industrieller (* 1847) 18. Juli: Marie von Edinburgh, Königin von Rumänien (* 1875) 20. Juli: Alois Scheiwiler, Bischof von St. Gallen (* 1872) 24. Juli: Obadiah Gardner, US-amerikanischer Politiker (* 1852) 24. Juli: Carl Ferdinand Friedrich Lehmann-Haupt, deutscher Altorientalist und Althistoriker (* 1861) 26. Juli: Daisy Greville, Countess of Warwick, britische High-Society-Lady und Mätresse (* 1861) 27. Juli: Thomas Crean, irischer Polarforscher (* 1877) 29. Juli: Pawel Dybenko, russischer Revolutionär und sowjetischer Offizier (* 1889) 30. Juli: Eva Adelheid von Arnim-Fredenwalde, deutsche Schriftstellerin (* 1863) August 2. August: Edmund Duggan, australischer Schauspieler und Dramatiker (* 1862) 2. August: Fritz Held, deutscher Unternehmer und Automobilrennfahrer (* 1867) 4. August: Rudolf G. Binding, deutscher Schriftsteller (* 1867) 4. August: James Black, US-amerikanischer Politiker (* 1849) 4. August: Heinrich Held, bayerischer Ministerpräsident (* 1868) 6. August: Joseph Fifer, US-amerikanischer Politiker (* 1840) 7. August: Rochus Schmidt, preußischer Offizier und Kolonialpionier (* 1860) 7. August: Konstantin Stanislawski, russischer Schauspiellehrer (* 1863) 9. August: Leo Frobenius, deutscher Ethnologe (* 1873) 12. August: Ludwig Borchardt, deutscher Architekt und Archäologe (* 1863) 14. August: Landon Ronald, englischer Dirigent, Musikpädagoge und Komponist (* 1873) 15. August: Nicola Romeo, italienischer Ingenieur und Unternehmer (* 1876) 16. August: Robert Johnson, US-amerikanischer Musiker (King of the Delta-Blues) (* 1911) 16. August: Andrej Hlinka, slowakischer Priester, Politiker und Nationalistenführer (* 1864) 17. August: Wage Rudolf Soepratman, Komponist der indonesischen Nationalhymne (* 1903) 18. August: Antoinette Szumowska-Adamowska, polnische Pianistin und Musikpädagogin (* 1868) 23. August: Bálint Kuzsinszky, ungarischer Archäologe (* 1864) 23. August: Jessie Mackay, neuseeländische Dichterin, Journalistin und Feministin (* 1864) 26. August: Migjeni, albanischer Dichter (* 1911) 29. August: Béla Kun, ungarischer Politiker (* 1886) 30. August: Friedrich Opel, deutscher Radsportler, Ingenieur, Automobilrennfahrer und Unternehmer (* 1875) September 2. September: Ángel Arocha Guillén, spanischer Fußballer (* 1907) 3. September: Bart de Ligt, niederländischer Theologe, Autor und Anarchist (* 1883) 4. September: Paul Arbelet, französischer Romanist und Stendhal-Spezialist (* 1874) 6. September: Johnny Hindmarsh, britischer Automobilrennfahrer und Flieger (* 1907) 8. September: Alfons Maria Augner, Schweizer Benediktinermönch (* 1862) 10. September: Johannes Angern, preußischer Generalmajor (* 1861) 13. September: Samuel Alexander, britischer Philosoph (* 1859) 14. September: Adam Karrillon, deutscher Arzt und Schriftsteller (* 1853) 14. September: Dionys Schönecker, österreichischer Fußballspieler, Trainer und Funktionär (* 1888) 15. September: Gustav Karl Wilhelm Aubin, deutsch-österreichischer Nationalökonom und Wirtschaftshistoriker (* 1881) 15. September: Ferdinand Hueppe, deutscher Mediziner und erster Präsident des DFB (* 1852) 15. September: Thomas Wolfe, US-amerikanischer Dichter (* 1900) 17. September: Murakami Kijō, japanischer Lyriker (* 1865) 18. September: Ole Hjellemo, norwegischer Komponist (* 1873) 22. September: Karl Brunner, deutscher Ethnologe (* 1863) 23. September: Aurelio Giorni, italienisch-amerikanischer Pianist und Komponist (* 1895) 25. September: Paul Olaf Bodding, norwegischer Missionar und Linguist (* 1865) 26. September: Maximilian Zupitza, deutscher Arzt und Offizier (* 1868) 28. September: Joseph Hayes Acklen, US-amerikanischer Politiker (* 1850) 28. September: Edgar Atzler, deutscher Physiologe (* 1887) Oktober 2. Oktober: André Lagache, französischer Automobilrennfahrer und erster Sieger der 24 Stunden von Le Mans 1923 (* 1885) 2. Oktober: Ferdinand Schrey, Mitbegründer der Stenografie (* 1850) 3. Oktober: Alexandru Averescu, rumänischer General und Ministerpräsident (* 1859) 5. Oktober: John Alfred McDowell Adair, US-amerikanischer Politiker (* 1864) 7. Oktober: Hermann Köhl, deutscher Flugpionier, erster Überquerer des Atlantiks in Ost-West-Richtung (* 1888) 11. Oktober: Hermann Rodewald, deutscher Agrarwissenschaftler (* 1856) 13. Oktober: Elzie Segar, US-amerikanischer Comiczeichner (* 1894) 15. Oktober: Adolf Hamm, deutscher Organist (* 1882) 17. Oktober: Karl Kautsky, Theoretiker der deutschen und internationalen Sozialdemokratie (* 1854) 17. Oktober: Lily Alice Lefevre, kanadische Lyrikerin (* 1853) 17. Oktober: Aleksander Michałowski, polnischer Pianist, Musikpädagoge und Komponist (* 1851) 20. Oktober: Herbert Berg, deutscher Automobilrennfahrer (* 1910) 21. Oktober: Henry Heitfeld, US-amerikanischer Politiker (* 1859) 24. Oktober: Ernst Barlach, deutscher Bildhauer (* 1870) 27. Oktober: Lascelles Abercrombie, englischer Schriftsteller (* 1881) November 8. November: Fritz Bleichröder, deutscher Arzt (* 1875) 9. November: Wassili Blücher, Marschall der Sowjetunion (* 1889) 9. November: Ernst Eduard vom Rath, deutscher Diplomat und Botschaftssekretär (* 1909) 10. November: Mustafa Kemal Atatürk, Staatsgründer und erster Präsident der Republik Türkei (* 1881) 11. November: Josiah O. Wolcott, US-amerikanischer Jurist und Politiker (* 1877) 11. November: Mary Mallon, Person der amerikanischen Medizingeschichte (* 1869) 14. November: Max Götze, deutscher Krimineller (* 1891) 14. November: Walter Götze, deutscher Krimineller (* 1902) 15. November: Felix Oppenheimer, österreichischer Schriftsteller (* 1874) 16. November: Frank D. Jackson, US-amerikanischer Politiker (* 1854) 16. November: Abbas Mirsa Scharifsade, aserbaidschanischer Schauspieler (* 1893) 19. November: Remigio Renzi, italienischer Organist, Komponist und Musikpädagoge (* 1857) 21. November: Leopold Godowsky, polnisch-amerikanischer Pianist und Komponist (* 1870) 23. November: Eduard Engel, deutscher Literaturhistoriker und Stilist (* 1851) 27. November: Otto Dempwolff, deutscher Sprachwissenschaftler und Volkskundler (* 1871) 29. November: Durk van Blom, niederländischer Ökonom (* 1877) 30. November: Corneliu Zelea Codreanu, rumänischer Nationalist und Führer der Eisernen Garde (* 1899) Dezember 3. Dezember: Antonia Pozzi, italienische Dichterin (* 1912) 4. Dezember: Jacob Astor, deutscher Politiker (* 1867) 8. Dezember: Károly Aszlányi, ungarischer Schriftsteller, Dramatiker und Journalist (* 1908) 8. Dezember: Friedrich Glauser, Schweizer Schriftsteller (* 1896) 8. Dezember: Cyrus Woods, US-amerikanischer Jurist, Politiker und Diplomat (* 1861) 10. Dezember: Paul Morgan, österreichischer Schauspieler (* 1886) 12. Dezember: Theodor Heller, österreichischer Heilpädagoge (* 1869) 14. Dezember: Maurice Emmanuel, französischer Komponist (* 1862) 16. Dezember: Adelheid von Bennigsen, deutsche Frauenrechtlerin (* 1861) 22. Dezember: Maximilian Graf von Wiser, deutscher Augenarzt (* 1861) 24. Dezember: Carl Miele, deutscher Konstrukteur und Industrieller (* 1869) 24. Dezember: Bruno Taut, deutscher Architekt und Stadtplaner (* 1880) 25. Dezember: Theodor Fischer, deutscher Architekt und Stadtplaner (* 1862) 25. Dezember: Karel Čapek, tschechischer Schriftsteller, Übersetzer, Journalist und Fotograf (* 1890) 26. Dezember: Irene von Chavanne, österreichische Alt-Sängerin (* 1863) 26. Dezember: Max Eckert-Greifendorff, deutscher Geograph (* 1868) 27. Dezember: Susan Macdowell Eakins, US-amerikanische Malerin, Fotografin und New Woman (* 1851) 27. Dezember: Ossip Mandelstam, russischer Dichter (* 1891) 27. Dezember: Arnold Spychiger, Schweizer Unternehmer und Politiker (* 1869) 27. Dezember: Émile Vandervelde, belgischer Politiker (* 1866) Genaues Todesdatum unbekannt Carl Arend, deutscher Architekt (* 1870) Pjotr Andrejewitsch Arschinow, russischer Anarchist (* 1887) Papa Charlie Jackson, US-amerikanischer Blues-Musiker (* 1890) Enayat Khan, indischer Sitar- und Surbaharspieler (* 1894) Elmina Moissán, chilenische Malerin (* 1897) Esteban Peña Morell, dominikanischer Komponist (* 1894) Weblinks Chronik 1938 auf Lebendiges virtuelles Museum Online Einzelnachweise
Q18645
1,752.195509
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https://de.wikipedia.org/wiki/Arch%C3%A4ologie
Archäologie
Die Archäologie ( und λόγος lógos ‚Lehre‘; wörtlich also „Lehre von den Altertümern“) ist eine Wissenschaft, die mit naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Methoden die kulturelle Entwicklung der Menschheit erforscht. Sie hat sich weltweit zu einem Verbund unterschiedlichster theoretischer und praktischer Fachrichtungen entwickelt. Die Archäologie befasst sich mit materiellen Hinterlassenschaften des Menschen, wie etwa Gebäuden, Werkzeugen und Kunstwerken. Sie umfasst einen Zeitraum von den ersten Steinwerkzeugen vor etwa 2,5 Millionen Jahren bis in die nähere Gegenwart. Aufgrund neuer Funde in Afrika, die etwa 3,3 Millionen Jahre alt sind, wird auch ein deutlich früherer Beginn der Werkzeugherstellung in Betracht gezogen. Materielle Hinterlassenschaften der jüngsten Geschichte (beispielsweise Konzentrationslager und Bunkerlinien aus dem Zweiten Weltkrieg) werden heute ebenfalls mit archäologischen Methoden ausgewertet, auch wenn dieser Ansatz einer „zeitgeschichtlichen“ Archäologie fachintern umstritten ist. Obwohl die Archäologie eine verhältnismäßig junge Wissenschaft ist, ist es kaum mehr möglich, alle Zeiträume zu überblicken, so dass sich verschiedene Fachrichtungen herausbildeten. Dabei können die Epochen regional unterschiedlich datiert sein, teilweise sind sie nicht überall dokumentierbar. Neben der Orientierung an Epochen (z. B. Mittelalterarchäologie) oder Regionen (z. B. Vorderasiatische Archäologie) gibt es auch die Spezialisierung auf bestimmte Themengebiete (z. B. Christliche Archäologie, Rechtsarchäologie, Industriearchäologie). Die Archäologie untersucht Quellen unterschiedlicher Art. In der Vor- und Frühgeschichte hat man es hauptsächlich mit materieller Kultur zu tun, in der Frühgeschichte wird auch auf Schriftquellen zurückgegriffen. Diese stehen für Archäologen im Gegensatz zu Wissenschaftlern anderer Teildisziplinen der Geschichtswissenschaft aber nicht im Mittelpunkt. Auch Erkenntnisse zur Klima- und Umweltgeschichte, zur Ernährung oder zur Datierung von Funden tragen zur Rekonstruktion vergangener Kulturen bei. Forschungsgeschichte Anfänge der Altertumsforschung in Europa In Europa entwickelte sich die Archäologie um 1450, weil man Zeugnisse für die in den Quellen der Antike geschilderten Ereignisse finden wollte. Cyriacus von Ancona (* um 1391; † um 1455), ein italienischer Kaufmann und Humanist, gilt als einer der Gründungsväter der modernen Klassischen Archäologie. Die in der Renaissance einsetzende Wiedergeburt klassisch-antiker Gelehrsamkeit führte im 15. und 16. Jahrhundert zu einem gesteigerten Interesse an griechischen und römischen Altertümern und zu einer Welle der Sammelleidenschaft bezüglich antiker Kunstgegenstände. Doch auch weniger reisefreudige Gelehrte begannen, sich für die vorhandenen Zeugnisse vergangener Zeiten zu interessieren. Ab Mitte des 16. Jahrhunderts trat an die Stelle der Sammelleidenschaft die akribische Erfassung der Denkmäler. In dieser Zeit wurden zahlreiche Enzyklopädien und Kataloge veröffentlicht, im späten 16. Jahrhundert vielfach mit Kupferstichen und Holzschnitten illustriert. In England veröffentlichte William Camden (1551–1632) im Jahre 1586 seine Britannia, einen Katalog der sichtbaren Altertümer. Bemerkenswert ist, dass er bereits Bewuchsmerkmale in Kornfeldern bemerkte und als solche interpretierte. Michele Mercati (1541–1593) gilt als der erste europäische Gelehrte, der Steinwerkzeuge als solche einstufte; sein Werk wurde jedoch erst 1717 veröffentlicht. Trotz großer Popularität hatte die Archäologie als Wissenschaft noch keinen Stellenwert, denn es herrschte die Ansicht vor, dass ausschließlich historische Quellen und die Bibel zur Interpretation der Vergangenheit geeignet seien. So galt es noch lange als ein Faktum, dass – wie James Ussher aus der Bibel ableitete – die Menschheit im Oktober 4004 v. Chr. entstand. 1655 wagte es Isaac de La Peyrère, die sogenannten Donnerkeile (Steinzeitartefakte) Menschen zuzuordnen, die vor Adam lebten (Präadamiten-Hypothese). Nach einer Intervention der Inquisition widerrief er seine Theorie. In Skandinavien wurden Bodendenkmäler schon früh beachtet. Bereits 1588 grub man einen Dolmen bei Roskilde aus. Im Jahre 1662 erhielt Uppsala einen Lehrstuhl für Altertumskunde. 1685 wurde in Houlbec-Cocherel in Nordfrankreich eine neolithische Grabkammer ausgegraben. Sie gilt als die älteste archäologische Grabung, weil hier 1722 der erste erhaltene Grabungsbericht erstellt wurde. Der Kieler Professor Johann Daniel Major führte um 1690 umfangreiche Ausgrabungen in Jütland durch und ließ zahlreiche Hügelgräber öffnen. Sein Ziel war es, die Herkunft der Einwohner der Halbinsel mit archäologischen Methoden zu klären. Bernard de Montfaucons L’Antiquité expliquée erschien ab 1719. In zehn Bänden stellte er Kunstgegenstände aus dem Mittelmeerraum dar. Montfaucons Werk blieb für lange Zeit das Standardwerk. Mitte des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts Archäologische Forschungsmethoden setzten sich nun sukzessiv durch. Oftmals trafen einzelne Gelehrte schon früh bahnbrechende Schlussfolgerungen, die aber oft – da noch nicht zeitgemäß – unbeachtet blieben. Einer der Bahnbrecher war der französische Amateurarchäologe Jacques Boucher de Perthes, der als Erster prähistorische Artefakte richtig zuordnete, wofür ihm aber erst mehr als 20 Jahre später, durch die Bestätigung Charles Lyells (1797–1875), Anerkennung zuteilwurde. Eine wichtige Erkenntnis war die Entdeckung des stratigraphischen Prinzips. Bereits lange vorher war die Zusammengehörigkeit und somit Gleichaltrigkeit von Funden, die sich in einer Schicht befanden (beispielsweise ein Steinartefakt im Fundzusammenhang mit einer ausgestorbenen Tierart), immer wieder diskutiert, aber nicht allgemein akzeptiert worden. Ein Modell, das in seinen Grundzügen noch heute gilt, wurde 1836 von Christian Jürgensen Thomsen veröffentlicht. Er war Kurator in Kopenhagen und erfand das „Dreiperiodensystem“, das die Vorgeschichte der Menschheit in drei Phasen einteilt: die Steinzeit, die Bronzezeit und die Eisenzeit. Etwa 30 Jahre später, um 1865, unterschied J. Lubbock die Steinzeit noch in die des geschlagenen und die des geschliffenen Steins. Die Begriffe „Paläolithikum“ (Altsteinzeit) und „Neolithikum“ („Neusteinzeit“ / Jungsteinzeit) waren geboren. Die Epochen sind in sich vielfach untergliedert, aber die damals gefundene Unterteilung gilt – mit Einschränkungen – bis heute. Die ersten großen Ausgrabungen fanden in den antiken Städten Pompeji und Herculaneum statt. Beide waren laut einem Bericht des römischen Schriftstellers Plinius des Jüngeren am 24. August 79 nach Christus durch den Ausbruch des Vesuvs ausgelöscht worden. Pompeji wurde Ende des 16. Jahrhunderts beim Bau einer Wasserleitung wiederentdeckt. 1748 begannen die Grabungen. In Herculaneum wurde erstmals 1709 gegraben, 1738 ließ Karl III. von Neapel die Stadt gezielt ausgraben. 1768 konnte das Theater, die Basilika und die Villa dei Papiri freigelegt werden. Mit seinem Sendschreiben von den Herculanischen Entdeckungen, der ersten archäologischen Publikation, begründete Johann Joachim Winckelmann 1762 die neue Wissenschaft der Archäologie und gilt seither als Vater der (Klassischen) Archäologie. Winckelmann war auch der Erste, der eine Periodisierung und geschichtliche Einordnung der griechischen Kunst versuchte. Seine Entwicklungsstufen (alter Stil – hoher Stil – schöner Stil – Stil der Nachahmer – Verfall der Kunst) sind durch die enthaltene Wertung jedoch überholt. Für die Verbreitung seiner Forschung und deren Rezeption in der zeitgenössischen Literatur und Kunst war der Göttinger Professor Christian Gottlob Heyne entscheidend, der mit Winckelmann korrespondierte, seine Schriften rezensierte und bekanntmachte und in seinen Vorlesungen verwendete. 1802 wurde an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel der erste Lehrstuhl für klassische Archäologie eingerichtet. Die ägyptischen Baudenkmäler, allen voran die Pyramiden, waren bereits im Altertum beliebte Reiseziele (siehe Weltwunder). Im 17. Jahrhundert hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es sich hierbei um Königsgräber handelt. Die Ägyptologie nahm mit Napoléon Bonapartes Ägypten-Feldzug 1798 ihren Anfang. In Begleitung des Heeres befanden sich auch Wissenschaftler. Von besonderer Bedeutung war der Fund des Steins von Rosetta, der 1822 Jean-François Champollion die Entzifferung der Hieroglyphen ermöglichte. Von besonderer Bedeutung für die ägyptische Archäologie ist Auguste Mariette (1821–1881), der ab 1858 als Direktor des ägyptischen Altertümerdienstes mehr als dreißig Fundstätten ausgrub. Seine Methoden waren brachial (beispielsweise Sprengladungen). Die Feststellung der Fundumstände und wissenschaftliche Auswertungen waren damals noch nicht festgelegt, aber er beendete die Ära der reinen Schatzsucher (so Giovanni Battista Belzoni, 1778–1823), die zuvor zahllose Funde nach Europa geschafft hatten. Mariette selbst hat seit 1850 rund 7000 Objekte nach Paris (Louvre) gebracht. Nun setzte er sich jedoch vehement dafür ein, dass Ägyptens Altertümer nicht mehr außer Landes verschleppt wurden. Zur Aufbewahrung der Funde gründete Mariette den Vorläufer des Ägyptischen Nationalmuseums in Kairo. Karl Richard Lepsius (1810–1884) erstellte zwischen 1842 und 1845 eine umfassende Aufnahme ägyptischer und nubischer Denkmäler. 1859 wurde das Ergebnis in den zwölf Bänden der Denkmaeler aus Aegypten und Aethiopien veröffentlicht, welche allein 894 Farbtafeln enthalten. Um die archäologische Erforschung Griechenlands machte sich um 1840 besonders Ludwig Ross verdient, der als erster systematische Ausgrabungen auf der Akropolis von Athen durchführte. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts Mitte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich die Archäologie zunehmend zur Wissenschaft. Unterschieden sich die Ausgräber bisher nur unwesentlich von Schatzsuchern und Grabräubern, wurden nun die Grabungstechniken verfeinert, eine gute Dokumentation und exakte Einordnung der Funde wurden immer wichtiger. Erst ab 1859 wurde das hohe Alter der Menschheit allgemein anerkannt. Im selben Jahr erschien Darwins Über die Entstehung der Arten. Der bereits 1856 entdeckte Fund des Neandertalers, der von Johann Carl Fuhlrott und Hermann Schaaffhausen vergeblich als eiszeitlich eingestuft wurde, konnte sich als solcher in Deutschland erst ab 1902 durchsetzen, als Rudolf Virchow starb, der als pathologische Autorität jede weiterführende Diskussion unterbunden hatte. In Schweden entwickelte Oscar Montelius (1843–1921) ein System der differenzierten Typologie zur Einordnung (Periodisierung) von Fundstücken und schafft die Grundlage einer relativen Chronologie. 1853/54 wurden aufgrund eines ungewöhnlich niedrigen Wasserstandes bei Obermeilen am Zürichsee hölzerne Pfeiler, Steinbeile und Keramik entdeckt. Die Siedlung wurde von Ferdinand Keller untersucht. Lange Zeit glaubt man, bei diesen Feuchtbodensiedlungen habe es sich um Pfahlbauten im Wasser gehandelt. Ab den 1920er Jahren entspann sich eine heftige Diskussion um die Lage der Pfahlbauten. Es konkurrierten Ufer- und Wasserpfahlbauten. Heute weiß man, dass es Land- und Wasserpfahlbauten gab. Die neuen Untersuchungen in Hornstaad am Bodensee belegen Pfahlbauten im Wasser, bis zu 5 Meter vom Seeboden abgehoben. Rekonstruktionen (beispielsweise in Unteruhldingen am Bodensee) zeigen nicht nur die verschiedenen Lösungsvorschläge der Archäologie, sondern auch den aktuellen Forschungsstand nach den Befunden der Unterwasserarchäologie (Pfahlbaumuseum Unteruhldingen). 1846 beginnen die Ausgrabungen in Hallstatt. Die archäologische Erforschung der Kelten begann 1858, als Oberst Schwab die ersten Ausgrabungen in La Tène am Neuenburgersee (Schweiz) durchführte. 1872 wurde die Eisenzeit Europas erstmals in eine ältere Phase (Hallstattzeit) und eine jüngere Phase (Latènezeit) unterteilt. Édouard Lartet (1801–1871) untersuchte 1860 eine Fundstätte in den Pyrenäen (Massat) und fand dabei auch eine Geweihspitze mit eingraviertem Bärenkopf, der erste Fund jungpaläolithischer Kunst. Später grub er mehrere französische Höhlenfundplätze (Gorge d’Enfer, Laugerie-Haute, La Madeleine und Le Moustier) aus. Besondere Aufmerksamkeit erlangten die großartigen Höhlenmalereien, die 1879 in der Höhle von Altamira entdeckt wurden. Die Entwicklung der Klassischen Archäologie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde von Heinrich Schliemann (1822–1890) dominiert. Der Geschäftsmann und „Hobbyarchäologe“ Schliemann gilt als Begründer der Vorgeschichtsarchäologie Griechenlands und des ägäischen Raumes. 1869 grub er auf Ithaka und 1871 begann er in Hissarlik zu graben. Dort vermutet er das Troja Homers und wird recht behalten, obwohl er sich in der Bauperiode selbst täuschte. Seine Ausgrabungsmethoden waren sehr umstritten, so mancher Fachmann hielt von Schliemanns Fähigkeiten nichts. Sein Ruhm stützt sich vor allem auf die wertvollen Funde (beispielsweise „Schatz des Priamos“). Seine Entdeckung prähistorischer (vorhomerischer) Kulturen und Siedlungen löste zahlreiche weitere Grabungen im ägäischen Raum aus. Lange unterschätzt wurden die durch ihn bewirkten methodischen Fortschritte, wie die Betonung der Stratigraphie oder der Einsatz der Fotografie als Mittel der archäologischen Dokumentation. 1892 erhielt der Gründer des Instituts für Ur- und Frühgeschichte an der Universität Wien, Moritz Hoernes, die erste das Gesamtgebiet der Prähistorischen Archäologie umfassende Lehrbefugnis Europas. 20. Jahrhundert In Ägypten leistete ab 1880 Sir William Matthew Flinders Petrie (1853–1942) als Forscher und Ausgräber Pionierarbeit. Ein Meilenstein der archäologischen Forschung sind seine Methoden und Ziele der Archäologie, die er 1904 veröffentlichte. Darin legte Flinders Petrie vier Prinzipien dar: Sorgfalt im Umgang mit den Monumenten, die man ausgräbt und Rücksichtnahme auf potenzielle künftige Ausgräber peinliche Sorgfalt bei der Ausgrabung und Registrierung jedes vorgefundenen Details detaillierte und saubere Vermessung und Kartierung komplette Veröffentlichung der Resultate 1913 erschien der erste Band des Handbuchs der Archäologie, Herausgeber war Heinrich Bulle (1867–1945). Als vorbildliche Grabung dieser Zeit galt die 1922 begonnene Ausgrabung des Gräberfeldes von Assini (Argolis), die von schwedischen Archäologen vorgenommen wurde. Der gesamte Aushub wurde gesiebt und eine erstklassige Grabungsdokumentation erstellt. Der berühmteste archäologische Fund des 20. Jahrhunderts gelang Howard Carter (1873–1939) im selben Jahr. Er fand nach sechsjähriger Suche das Grab des Tut-anch-Amun. Pionier der Luftbildarchäologie war nach dem Ersten Weltkrieg der britische Pilot Osbert G. S. Crawford, er fotografierte vom Flugzeug aus archäologische Fundstätten in England. Gustaf Kossinna (1858–1931) stellte 1920 seine siedlungsarchäologischen Methoden vor. Seine Interpretationen, die den Germanen eine überragende kulturelle Bedeutung zuschrieben, dienten dem Nationalsozialismus als Beweis für die Überlegenheit der Germanen und der arischen Rasse. Die Diskreditierung in der Nachkriegszeit führte dazu, dass auf Jahrzehnte eine Anbindung archäologischer Funde an ethnische Gruppen obsolet war. Die erste ordentliche Professur wurde 1927 in Marburg geschaffen und im folgenden Jahr mit Gero Merhart von Bernegg aus Bregenz besetzt. Er hatte sich 1924 mit Die Bronzezeit am Jenissei habilitiert. Bei ihm promovierten bis zu seiner Zwangspensionierung durch die Nationalsozialisten im Jahr 1942 29 Studenten, nach dem Krieg kamen fünf weitere hinzu. Ab 1950 dominierte in Deutschland die Marburger Schule, die diese Akademiker bildeten. Gero von Merhart, wie er meist genannt wird, legte das Fach auf strenge Erfassung, Systematisierung und Katalogisierung fest und mied weitgehend die kulturgeschichtliche Deutung. Thor Heyerdahl fuhr 1947 mit einem Floß von Südamerika nach Polynesien und wird als einer der Begründer der Experimentellen Archäologie betrachtet. Seit dem 20. Jahrhundert greift die Archäologie vermehrt auf naturwissenschaftliche Methoden zurück. Dazu gehören die 1949 entwickelte 14C-Datierung zur Datierung von organischen Stoffen und die Strontiumisotopenanalyse zur Erforschung der Wanderbewegungen der ur- und frühzeitlichen Menschen. Auch Methoden der Fernerkundung wurden immer stärker bei archäologischen Forschungen angewandt. Die Archäologie hat sich zur Verbundwissenschaft entwickelt. Die Erforschung der 1991 in den Ötztaler Alpen gefundenen vorgeschichtlichen Leiche (Similaun-Mann/Ötzi) ist hierfür beispielhaft. Mit Hilfe der DNA-Analyse konnten weltweit erstmals die Verwandtschaftsbeziehungen von 40 Individuen aus einer bronzezeitlichen Begräbnisstätte in der Lichtensteinhöhle rekonstruiert werden. Die New Archaeology der 1960er Jahre brachte die Forderung, Erkenntnisse aus Lebenswissenschaften in die Archäologie einzuführen. Das Konzept der Tragfähigkeit stammt aus der Ökologie und wurde angewandt, um Fragen von Bevölkerungsdichte und Siedlungsentwicklung zu untersuchen. Optimal Foraging konnte Reaktionen auf Klimaveränderungen gleichermaßen erklären, wie jahreszeitliche Wanderungen und Landnutzungsformen. Zudem wurden mathematische Simulationen und Modellbildungen und computergestützte Geoinformationssysteme als Methoden in die Archäologie eingebracht. Die New Archaeology war besonders im angelsächsischen Kulturraum stark entwickelt und konnte sich im deutschen Sprachraum nie durchsetzen. Als Grund gilt, dass in der angelsächsischen Tradition die Archäologie traditionell zur Anthropologie gehört, nicht zu den Geschichts- oder Kulturwissenschaften. Als Antwort auf die New Archaeology entstand in den 1980er Jahren die Postprozessuale Archäologie, die Methoden aus den Kultur- und Sozialwissenschaften stärker in den Vordergrund rückte. Ein Kernbegriff ist die aus der Soziologie stammende Agency, die Handlungsmotive und -optionen betrachtet. Berücksichtigt man zusätzlich die inhärente Subjektivität jeglicher Interpretation einer Kultur, von der nur die materiellen Artefakte erhalten sind, setzen postprozessuale Archäologen auf hermeneutische einerseits und selbstreflektierende Praktiken andererseits. Heutige Nachfahren der zu untersuchenden Kulturen werden gleichermaßen in die Arbeit der Archäologen einbezogen, wie bislang vernachlässigte soziale Perspektiven. 21. Jahrhundert Zusammen mit anderen Gedächtnisinstitutionen sind archäologische Funde und Ausgrabungsstätten das besonders sensible kulturelle Gedächtnis und oft wirtschaftliche Grundlage (z. B. Tourismus) eines Staates, einer Kommune oder einer Region. Gerade archäologische Funde und Ausgrabungsstätten haben auch politische Brisanz und sind in vielen bewaffneten modernen Konflikten des 21. Jahrhunderts als Teil des kulturellen Erbes eines der Primärziele und damit von Zerstörung und Plünderung bedroht. Oft soll dabei das kulturelle Erbe des Gegners nachhaltig beschädigt oder gar vernichtet werden beziehungsweise werden dabei archäologische Funde gestohlen und verbracht. Internationale und nationale Koordinationen hinsichtlich militärischer und ziviler Strukturen zum Schutz von archäologische Funde und Ausgrabungsstätten betreibt das Internationale Komitee vom Blauen Schild (Association of the National Committees of the Blue Shield, ANCBS) mit Sitz in Den Haag. Umfangreiche Missionen dazu gab es zum Beispiel 2011 in Ägypten und in Libyen, 2013 in Syrien, 2014 in Mali bzw. im Irak und seit 2015 im Jemen. Fachgebiete Archäologie ist ein Sammelbegriff vieler archäologischer Disziplinen, welche meist bestimmte Zeitabschnitte oder Regionen bezeichnen. Die einzelnen Disziplinen unterscheiden sich nicht nur im behandelten Forschungsgegenstand, sondern auch in den verwendeten Methoden, z. B. bei der Unterwasserarchäologie. Daneben bilden archäologische Methoden einen Teilaspekt einer eigenständigen Wissenschaft, beispielsweise in der Forensik. In Fächern wie der Altamerikanistik oder auch der Klassischen Archäologie können die inhaltlichen Schwerpunkte nicht-archäologischer Natur sein. Nach Epochen und Regionen Die Disziplinen der Archäologie unterscheiden sich thematisch, zeitlich und räumlich. Dementsprechend unterschiedlich sind die Quellen derer sie sich bedienen. Während in der Prähistorischen Archäologie keine oder sehr spärlich schriftliche Quellen vorliegen und man sich vorwiegend auf die materiellen Hinterlassenschaften dieses Zeitabschnitts beruft, können andere archäologische Fachrichtungen zusätzlich Schriftquellen auswerten. Prähistorische Archäologie oder Vor- (Ur-) und Frühgeschichte Die Prähistorische Archäologie befasst sich mit einem Zeitraum, welcher mit den ersten Steingeräten vor etwa 2,5 Millionen Jahren beginnt und mit der Frühgeschichte (Völkerwanderungszeit, Römische Kaiserzeit, frühes Mittelalter) und den ersten Schriftquellen endet. Provinzialrömische Archäologie Dieses Spezialgebiet ist in der Schnittstelle zwischen der Ur- und Frühgeschichte und der Klassischen Archäologie angesiedelt. Mit den Methoden der Ur- und Frühgeschichte sind die römischen Provinzen Ziel der Forschung. Klassische Archäologie Der Schwerpunkt der Klassischen Archäologie liegt in den Hinterlassenschaften der antiken Welt. Genauer der Griechen, Etrusker und Römer in historischer Zeit (etwa zwischen dem 2. Jahrtausend v. Chr. und dem 5. Jahrhundert n. Chr.). Zur Klassischen Archäologie zählen auch die Etruskologie und die Ägäische Vorgeschichte, die sich mit kykladischen, minoischen und mykenischen Funden befasst. Mittelalterarchäologie oder Archäologie des Mittelalters Die Mittelalterarchäologie beginnt fließend mit dem Ende der Frühgeschichte (etwa 9. Jahrhundert) und endet theoretisch mit dem Übergang zur Neuzeitarchäologie (ca. 16. Jahrhundert). Im Unterschied zur prähistorischen Archäologie arbeitet sie in einem Zeitraum, über den in zunehmendem Maße auch Schriftquellen vorliegen. Zudem ist häufig aufgehender Baubestand vorhanden, den die Archäologie des Mittelalters mit den Methoden der historischen Bauforschung (Bau- oder Monumentenarchäologie) untersucht. Neuzeitarchäologie mit der Industriearchäologie Historische Archäologie Historische Archäologie ist ein Begriff, der die Parallelüberlieferung von materiellen archäologischen Quellen und schriftlicher Überlieferung umschreibt. Er wird einerseits pragmatisch für die Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit oder nur die der Neuzeit verwendet. Im methodologisch-phänomenologischen Sinne zielt er andererseits weltweit auf Kulturen bzw. Epochen mit sogenannter dichter (schriftlicher) Überlieferung ab. Die nachfolgenden Disziplinen stellen geografische Schwerpunkte dar: Ägyptologie Die Ägyptologie befasst sich mit dem antiken Ägypten (etwa 5. Jahrtausend v. Chr. bis 4. Jahrhundert n. Chr.). Die Koptologie, welche die Kultur der frühen Christen in Ägypten untersucht, ist ein Teilbereich der Ägyptologie. Vorderasiatische Archäologie Dieses Fachgebiet geht aus der überwiegend philologisch ausgerichteten Altorientalistik hervor und widmet sich den alten Kulturen des Nahen Ostens, im Wesentlichen das Gebiet der Türkei, des Iraks, des Irans, Syriens, Libanons, Israels und Jordaniens (Babylon, Assyrien, Sumer, Akkad, Elam, Hethiter und Urartu), aber auch mit den Nachfolgestaaten. Der untersuchte Zeitraum reicht vom 11. Jahrtausend v. Chr. bis zum 7. Jahrhundert n. Chr. Die Vorderasiatische Archäologie steht in enger Verbindung zur Biblischen Archäologie, welche die Siedlungs- und Kulturgeschichte Palästinas erforscht und der Ägyptologie, da in manchen Epochen Ägypten das Gebiet des heutigen Israel und Libanon beherrschte, sich zu anderen Zeiten orientalische Reiche Ägypten einverleibten. Archäologie der Neuen Welt, ein Teilgebiet der Altamerikanistik Spezialgebiete Nach Phasen und Aspekten der kulturellen Entwicklung Primatenarchäologie (früheste Phase der Menschheit, erste Werkzeuge) Siedlungsarchäologie (ab dem Neolithikum) Montanarchäologie (Bergbau und Hüttenwesen, ab der Bronzezeit) Christliche Archäologie (vor allem Spätantike) Kirchenarchäologie Rechtsarchäologie (vor allem Mittelalter) Industriearchäologie Nach besonderen Fundplätzen Gletscherarchäologie Küstenarchäologie Schlachtfeldarchäologie (Zeithorizont: Bronzezeit bis 20. Jahrhundert) Stadtarchäologie (Grabungen in heutigen Städten) Trassenarchäologie (entlang von Bahn-, Kanal-, Leitungs- und Straßenbaumaßnahmen) Unterwasserarchäologie Besondere Untersuchungsgegenstände Textilarchäologie (Kleidung) Musikarchäologie (Musikinstrumente) Besondere Fragestellungen Umweltarchäologie (Frage nach den Mensch-Umweltbeziehungen in der Vergangenheit) Kognitive Archäologie (Frage nach dem damaligen Bewusstsein) Archäologische Geschlechterforschung (Frage nach den damaligen Rollen der Geschlechter) Besondere Methoden Archäoinformatik (Einsatz moderner Datenverarbeitung) Archäometrie (Einsatz moderner naturwissenschaftlicher Methoden) Geoarchäologie (Einsatz geowissenschaftlicher Methoden) Luftbildarchäologie Experimentelle Archäologie Hilfswissenschaften Archäozoologie und Archäobotanik (Schnittstelle zur Biologie) Analyse von Tierknochen-, Pollen- und Pflanzenfunden, um die Umweltbedingungen zu rekonstruieren. Zu den Untersuchungsobjekten gehören Bodenproben ebenso wie Mageninhalte, Abfallgruben und Latrinen. Paläopathologie (Schnittstelle zur Medizin) Paläopathologen führen medizinische Untersuchungen an menschlichen Knochen und Geweben durch, um Alter und Geschlecht der Individuen zu bestimmen und auf ihren Gesundheitszustand zu schließen. Die Paläopathologie ermöglicht Erkenntnisse über Lebensbedingungen, Ernährungsgewohnheiten und Krankheiten. Des Weiteren sind Rückschlüsse auf die medizinische Versorgung und den sozialen Zusammenhalt unserer Vorfahren möglich. Archäoastronomie oder Astroarchäologie, auch Paläoastronomie (Schnittstelle zur Astronomie) Zur Analyse prähistorischer Kultstätten wird die Archäoastronomie benötigt. Beispielsweise werden die Sonnwendpunkte einer bestimmten Zeit berechnet, um die mögliche astronomische Bedeutung von Fundstätten zu erschließen. Historische Bauforschung (Schnittstelle zur Architektur) Nachbardisziplinen Geschichtswissenschaft Anthropologie Paläontologie Geophysik Numismatik Epigraphik Paläographie Philologie Historische Klimatologie und Paläoklimatologie Forschungsmethoden Archäologische Forschungsmethoden gliedern sich in solche der Quellenerschließung und solche der Interpretation. In der Öffentlichkeit wird meist nur die Erschließung der Quellen zur Kenntnis genommen. Zur Quellenerschließung zählt auch die typologische und chronologische Auswertung. Erst nach der Quellenerschließung und Aufbereitung folgt die historische Interpretation. Quellenerschließung Die Ausgrabung ist zwar die bekannteste Forschungsmethode, jedoch nur ein kleiner Teilbereich der archäologischen Arbeit. Die Dokumentation, Auswertung, Konservierung und Archivierung der Funde stellt den weitaus größten Teil der archäologischen Tätigkeit dar. Außerdem muss die Grabung sorgfältig vorbereitet werden. Prospektion und Voruntersuchungen Die Prospektion umfasst zerstörungsfreie Methoden, mit deren Hilfe eine Untersuchung potenzieller oder bekannter Fundplätze ermöglicht wird. Dazu gehören die Geländebegehung (Survey), die Luftbildarchäologie und geophysikalische Methoden (Geoelektrik, elektromagnetische Induktion, geomagnetische Kartierung sowie Bodenradar und LIDAR). Ebenfalls prospektiv einsetzen lässt sich die Phosphatanalyse. Eingeleitet wird eine Ausgrabung durch archäologische Voruntersuchungen. Zum Einsatz kommen hier Suchgräben, magnetische Sondierung, Bodenwiderstandsmessung, Luftbilder und andere Methoden der Bodenforschung. Die Voruntersuchungen dienen dazu, sich ein Bild der potenziellen Grabungsstelle zu machen, um die eigentliche Grabung besser planen zu können. Ausgrabung Die meisten Fundplätze werden heute durch Baumaßnahmen entdeckt. Über Notgrabungen, auch Rettungsgrabungen genannt, versucht die archäologische Denkmalpflege diese Befunde vor ihrer endgültigen Zerstörung auszuwerten. Seltener sind Forschungsgrabungen, bei denen unter primär wissenschaftlichen Interessen Fundplätze zur Grabung ausgewählt und ohne äußeren Zeitdruck untersucht werden können. Bei der Grabung werden verschiedene Grabungstechniken angewandt. Eine moderne Grabung ist befundorientiert, d. h. die Funde werden in ihrer räumlichen und zeitlichen Einbettung auf Befunde bezogen. Da jede Ausgrabung zur Zerstörung eines Befundes führt, soll eine exakte Dokumentation den Fundplatz, zumindest auf dem Papier, auch später bis ins Detail rekonstruierbar machen. Die wichtigsten Arbeitsmittel der Ausgrabung sind deshalb, neben der Kelle, „Papier und Buntstift“. Bauforschung Die Bauforschung ist ein wesentlicher Teil sowohl der klassischen Archäologie als auch der Archäologie des Mittelalters; wohingegen sie in der Ur- und Frühgeschichte mangels aufgehend erhaltener Bauwerke nur eine untergeordnete Rolle spielt. Eine der Dokumentationsmethoden ist die Photogrammetrie. Auswertung Gerade am sehr populären Beispiel der Gletschermumie Ötzi ist zu erkennen, dass die Ausgrabung nur einen Bruchteil der archäologischen Arbeit darstellt. Der 1991 entdeckte Fund wird bis heute wissenschaftlich untersucht. Typologie Die Typologie ist die Klassifikation von Objekten nach Kriterien von Form und Material. Sie ist grundlegend für die Einordnung des Fundmaterials, da sie Vergleiche mit Fundsituationen an anderen Fundplätzen ermöglicht und zur Grundlage von Kombinationsanalysen (zur relativchronologischen Datierung wie zur sozioökonomischen Einordnung) und Verbreitungsanalysen wird. Materialbestimmungen Wie bei der Prospektion und der Altersbestimmung werden auch für Materialbestimmungen moderne naturwissenschaftliche Techniken eingesetzt (siehe Archäometrie). Zur Identifikation und Detailuntersuchung von Artefakten dienen u. a. die Mikroskopie, Infrarot- und Ultraschallaufnahmen, Röntgen, chemische Analysen, Spektralanalysen und Laserscans. Altersbestimmung Ein Schwerpunkt der Fundanalyse ist die Datierung der Befunde (z. B. Grab) anhand der Funde (z. B. Grabbeigabe). Bei der Altersbestimmung wird zwischen absoluter Chronologie und relativer Chronologie unterschieden. Die relative Chronologie setzt einen Fund dabei in Bezug zu einem anderen. Ist er jünger, älter oder gar gleichzeitig? J.J. Winckelmanns „vergleichendes Sehen“ ist eine der ersten Methoden zur relativen Chronologie. Fundkombination von geschlossenen Funden (siehe auch Seriation und Korrespondenzanalyse). Chorologie Stratigraphie Bei der absoluten Chronologie wird einem Fund ein absolutes Datum (Jahr, Jahrhundert) zugeordnet 14C-Datierung (für organische Stoffe) Thermolumineszenzdatierung auch: TL-Datierung (für Keramik) Dendrochronologie (für Holz) Kalium-Argon-Methode (für Gestein) Interpretation Die Methoden der Interpretation sind in der Regel eher geisteswissenschaftlich. Für die prähistorische Archäologie ist der Analogieschluss die wesentliche Möglichkeit der Interpretation. In der historischen Archäologie (z. B. Klassische Archäologie oder Archäologie des Mittelalters) ist es der Vergleich mit Informationen aus anderen Quellen, wie schriftlicher oder bildlicher Überlieferung. Funde Archäologie in Deutschland In Deutschland gehört die archäologische Denkmalpflege (Bodendenkmalpflege) zu den Aufgaben der Bundesländer (Landesarchäologe), meist als eigener Fachbereich innerhalb des Denkmalamtes organisiert. Größere Städte haben oft eine eigene Stadtarchäologie. Die Mehrzahl der Grabungen wird heute im Rahmen denkmalpflegerischer Notgrabungen entweder von den betreffenden Ämtern selbst oder im Rahmen der Firmenarchäologie von beauftragten Spezialfirmen durchgeführt. Gezielte Forschungsgrabungen sind die Ausnahme, da unnötige Bodeneingriffe auch hier vermieden werden und eine Finanzierung nur über Drittmittel möglich ist. Mehrere Institutionen fördern Forscher und Projekte durch Archäologiepreise. Ein wichtiger Geldgeber für Forschungsgrabungen ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Deutsche Grabungen im Ausland werden hingegen im Rahmen von Forschungsprojekten der Universitäten, des Deutschen Archäologischen Instituts oder des Römisch-Germanischen Zentralmuseums durchgeführt. Archäologie außerhalb Europas Archäologie in Amerika Die Archäologie gehört in Amerika zur Anthropologie (Völkerkunde) und hat aus diesem Grund eine völlig andere Ausrichtung als die europäische Forschung. Dies folgt vor allem aus dem Umstand, dass zum Zeitpunkt der Besiedlung der neuen Welt zuerst ethnographische Untersuchungen an noch existierenden Ureinwohnern stattfanden. Die eher spärlichen präkolumbischen Funde sind ein weiterer Grund für den in der Erforschung kultureller Prozesse liegenden Schwerpunkt amerikanischer Archäologie. Als Pionier der amerikanischen Archäologie gilt Thomas Jefferson (1743–1826), welcher ab 1784 einige Grabhügel untersuchte, um ihr Alter zu bestimmen. Jefferson setzte dabei erstmals eine Methode ein, die als Vorläufer der Dendrochronologie angesehen werden kann: er zählte die Jahresringe der auf den Grabhügeln stehenden Bäume. Die ersten großen Ausgrabungen in Mittelamerika wurden Ende des 19. Jahrhunderts im Mayazentrum Copán durchgeführt. 1911 entdeckte Hiram Bingham die Inkastadt Machu Picchu. Im Jahre 1990 fanden Archäologen in der Nähe von Mexiko-Stadt über 10.000 Artefakte aus der Zeit der spanischen Eroberung des Landes. Man fand nicht nur menschliche Knochen, sondern auch Waffen, Kleidung, Haushaltsgeräte und Gegenstände aus dem persönlichen Besitz von Hernán Cortés. Die Fundstelle Tecoaque (vorspanischer Name: Zultepec) wurde als UNESCO-Welterbe vorgeschlagen. Archäologie in Indien und China 1863 wurde in Indien die Archaeological Survey of India gegründet. 1921/1922 entdeckte man eine der ältesten Hochkulturen der Menschheit, die Indus-Kultur. Ausgegraben wurden u. a. die Städte Harappa und Mohenjo-Daro. Archäologie in China begann mit dem schwedischen Geologen Johan Gunnar Andersson (1874–1960), der 1921 bei Yang Shao Tsun in Honan eine neolithische Wohnhöhle entdeckte (Yangshao-Kultur) und damit bewies, dass China in vorgeschichtlicher Zeit bewohnt war. 1928 wurde Anyang ausgegraben, die Hauptstadt der Shang-Dynastie des 2. Jahrtausends v. Chr. 1974 wurde die Terrakottaarmee rund um das Grab des chinesischen Kaisers Qin Shihuangdi bei Xi’an entdeckt. Archäologie in Afrika Afrika ist nicht nur in paläoanthropologischer Hinsicht die Wiege der Menschheit, sondern auch die unserer Kultur. Nur in Afrika kommen Steingeräte vor, die 2,5 Millionen Jahre alt sind und deren Herstellung mit den ersten Homo-Arten unserer Spezies in Verbindung gebracht wird. Die betreffenden Werkzeuge – einfache Geröllgeräte vom Oldowan-Typ, später die Faustkeile, um die Leitformen zu nennen – kommen auch in anderen Teilen der Welt vor, nur sind sie dort deutlich jünger. In Europa datieren die ältesten Stellen auf eine Million Jahre. Neue, etwa 3,3 Millionen Jahre alte Funde in Lomekwi 3, Kenia, werden als Beleg für eine eigenständige archäologische Kultur interpretiert, vorschlagsweise Lomekwian genannt. Bereits seit dem 17. Jahrhundert ist der Nordosten Afrikas Gegenstand intensiver Forschungen durch die Ägyptologie und Koptologie. Diese Region des Kontinents ist auch im internationalen Vergleich hervorragend dokumentiert. Da jedoch die ältesten Schriftquellen im subsaharischen Afrika nicht weiter als 600 Jahre zurückreichen, kommt der Archäologie gerade hier eine besondere Bedeutung zu. Aufgrund der kurzen Forschungstradition im Vergleich zu Mitteleuropa steht man hier allerdings noch vielfach am Anfang. Aufbereitung für die Öffentlichkeit und Schutz Die Vermittlung archäologischer Forschungsergebnisse erfolgt auf verschiedene Weise: durch Fachbücher und Fachzeitschriften durch populärwissenschaftliche Publikationen in Museen (vgl. Archäologische Sammlung) in situ: Funde und Befunde können in Form eines Archäologischen Fensters dauerhaft am Ort des Fundes oder an einem anderen geeignetem Ort präsentiert und zugleich vor Eingriffen und Witterung geschützt werden. im Gelände: Oberirdisch sichtbare Bodendenkmäler können durch Ausschilderung oder im Rahmen eines Wanderlehrpfades erschlossen werden (vgl. Archäologische Wanderung, wie zum Beispiel der Archäologisch-naturkundliche Wanderweg Lübeck). In einem Archäologischen Park treten zumeist Rekonstruktionen hinzu. Rekonstruktionen oder der Wiederaufbau sind wissenschaftlich sehr umstritten, da eine Rekonstruktion immer spekulativ ist und nur den aktuellen Wissensstand widerspiegelt. Zudem oftmals gefärbt durch den herrschenden Zeitgeist. Es ergeben sich jedoch auch Schnittstellen zur Experimentellen Archäologie, indem die Machbarkeit und der Praxisbezug einer Theorie überprüft werden können. durch Führungen durch museumsdidaktische Vorführungen (meist als Experimentelle Archäologie deklariert). Vielerorts bestehen regionale Gesellschaften und Vereine, die sich der Archäologie widmen und entsprechende Aktionen tragen (siehe Liste der Archäologischen Gesellschaften in Deutschland). Zunehmend wird international auch der Schutz der archäologischen Funde für die Öffentlichkeit im Hinblick auf Katastrophen, Kriege und bewaffnete Auseinandersetzungen durchgesetzt. Das geschieht einerseits durch internationale Abkommen und andererseits durch Organisationen die den Schutz überwachen beziehungsweise durchsetzen. Als weltweites Beispiel gilt Blue Shield International mit seinen Archäologen und lokalen Partnerorganisationen. Die Wichtigkeit der archäologischen Funde im Bezug auf Identität, Tourismus und nachhaltiges Wirtschaftswachstum werden immer wieder betont. So wurde auch vom Präsident von Blue Shield International, Karl von Habsburg, bei einem Kulturgutschutz-Einsatz im April 2019 im Libanon mit der United Nations Interim Force in Lebanon erläuterte: „Kulturgüter sind ein Teil der Identität der Menschen, die an einem bestimmten Ort leben. Zerstört man ihre Kultur, so zerstört man damit auch ihre Identität. Viele Menschen werden entwurzelt, haben oft keine Perspektiven mehr und flüchten in der Folge aus ihrer Heimat.“ Archäologische Institute Film "Unter dem Boden", ein Film von Erich Langjahr Literatur Buchpublikationen (chronologisch sortiert) Einführungen G. Th. Schwarz: Archäologen an der Arbeit. Franke, 1965. Johannes Bergemann: Orientierung Archäologie – was sie kann, was sie will. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 2000, ISBN 3-499-55612-X (Klassische Archäologie). Colin Renfrew, Paul G. Bahn: Archaeology – Theories, Methods and Practice. 5. Auflage. Thames & Hudson, London 2008, ISBN 978-0-500-28719-4 (gute englischsprachige Einführung); gekürzte deutsche Übersetzung von Helmut Schareika: Basiswissen Archäologie. Theorien – Methoden – Praxis, Philipp von Zabern, Mainz 2009, ISBN 978-3-8053-3948-3. Manfred K. H. Eggert: Prähistorische Archäologie. Konzepte und Methoden. 4. überarb. Auflage. UTB Francke, Tübingen/Basel 2008, ISBN 978-3-8252-3696-0. Hans Jürgen Eggers: Einführung in die Vorgeschichte. Neu herausgegeben von Christof Krauskopf. Mit einem Nachwort von Claudia Theune. 6. Auflage. scrîpvaz, Schöneiche bei Berlin 2010, ISBN 978-3-942836-17-3. Mit einem Verzeichnis der Schriften von Hans Jürgen Eggers. Manfred K. H. Eggert, Stefanie Samida: Ur- und frühgeschichtliche Archäologie. 2. Auflage. UTB, Tübingen 2013, ISBN 978-3-8252-3890-2. Barbara Scholkmann, Hauke Kenzler, Rainer Schreg (Hrsg.): Archäologie des Mittelalters und der Neuzeit. Grundwissen. Wiss. Buchgesellschaft, Darmstadt 2016, ISBN 978-3-534-26811-5. Überblick Paul G. Bahn (Hrsg.): Archaeology. Cambridge Illustrated History. Cambridge University Press, Cambridge 1996, ISBN 0-521-45498-0. Reinhard Bernbeck: Theorien in der Archäologie (UTB Wissenschaft Band 1964). Francke Verlag, Tübingen/Basel 1997, ISBN 3-8252-1964-X, ISBN 3-7720-2254-5. Marion Benz, Christian Maise: Archäologie. Theiss, Stuttgart 2006, ISBN 3-8062-1966-4. Manfred K. H. Eggert: Archäologie. Grundzüge einer Historischen Kulturwissenschaft. Francke, Tübingen 2006, ISBN 3-8252-2728-6. Der Brockhaus Archäologie. Hochkulturen, Grabungsstätten, Funde. F.A. Brockhaus, Mannheim/Leipzig 2008, ISBN 978-3-7653-3321-7. Alain Schnapp: Die Entdeckung der Vergangenheit. Ursprünge und Abenteuer der Archäologie (aus dem Französischen von Andreas Wittenburg). Klett-Cotta, Stuttgart 2009, ISBN 978-3-608-93359-8 (Rezension von Lutz Bunk Archäologische Detektivarbeit). Jeorjios Martin Beyer: Archäologie. Von der Schatzsuche zur Wissenschaft. Philipp von Zabern, Mainz 2010, ISBN 978-3-8053-4166-0. Matthias Knaut, Roland Schwab (Hrsg.): Archäologie im 21. Jahrhundert. Innovative Methoden – bahnbrechende Ergebnisse. Konrad Theiss, Stuttgart 2010, ISBN 978-3-8062-2188-6. Geoffrey John Tassie, Lawrence Stewart Owens: Standards of Archaeological Excavations: A Fieldguide to the Methology, Recording Techniques and Conventions, London 2010, ISBN 978-1-906137-17-5. Marco Kircher: Wa(h)re Archäologie. Die Medialisierung archäologischen Wissens im Spannungsfeld von Wissenschaft und Öffentlichkeit (Reihe Historische Lebenswelten), transcript. Verlag für Kommunikation, Kultur und soziale Praxis, Bielefeld 2012, ISBN 978-3-8376-2037-5. Aedeen Cremin: Große Enzyklopädie der Archäologie. Die wichtigsten archäologischen Stätten der Welt. Konrad Theiss, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-8062-2753-6. Bruce Trigger: A History of Archaeological Thought. Cambridge University Press, Cambridge 1990, ISBN 0-521-33818-2. S. Wolfram, U. Sommer: Macht der Vergangenheit – Wer macht Vergangenheit. Archäologie und Politik. In: Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas. Band 3. Beier & Beran, Wilkau-Hasslau 1993. Archäologie in Deutschland Martin Kuckenburg: Siedlungen der Vorgeschichte in Deutschland, 300 000 bis 15 v. Chr. DuMont, Köln 1994, ISBN 3-7701-2922-9. Wilfried Menghin, Dieter Planck (Hrsg.): Menschen Zeiten Räume Archäologie in Deutschland. Theiss, Stuttgart 2002, ISBN 3-8062-1596-0. Uta von Freeden, Siegmar von Schnurbein (Hrsg.): Spuren der Jahrtausende. Archäologie und Geschichte in Deutschland. Theiss, Stuttgart 2003, ISBN 3-8062-1337-2 (Zusammen mit dem nächsten Band die „Leistungsschau der deutschen Landesarchäologien“). Archäologie in Europa Barry Cunliffe: Illustrierte Vor- und Frühgeschichte Europas. Campus, Frankfurt/Main 2000, ISBN 3-88059-979-3. Peter F. Biehl, Alexander Gramsch, Arkadiusz Marciniak (Hrsg.): Archäologien Europas. Geschichte, Methoden und Theorien. (= Tübinger Archäologische Taschenbücher Bd. 3.) Waxmann, Münster 2002, ISBN 3-8309-1067-3. Schriftenreihen Grazer altertumskundliche Studien, Verlag Peter Lang, Frankfurt am Main u. a. Archäologische Berichte der Deutschen Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte Archäologische Zeitschriften Wörterbücher und Enzyklopädien Andrea Gorys: Wörterbuch Archäologie, CD-ROM, Directmedia Publishing, Berlin 2004, ISBN 978-3-89853-482-6. Eric M. Meyers (Hrsg.): The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East. 5 Bände. New York/ Oxford 1997. Heinrich Otte: Archäologisches Wörterbuch zur Erklärung der in den Schriften über christliche Kunstalterthümer vorkommenden Kunstausdrücke: Deutsch, Lateinisch, Französisch und Englisch. Leipzig 1877, Reprint der Originalausgabe durch Reprint-Verlag Leipzig 2001, ISBN 3-8262-1513-3. Online-Publikationen Guido Nockemann: The DAS Project – Digitization of an archaeological collection, 2011, e-paper for the Day Of Archaeology 2011 (englisch) Literaturrecherche Propylaeum Fachinformationsdienst Altertumswissenschaften Weblinks Internet-Portal zur Archäologie Der mit großem Abstand umfangreichste deutschsprachige Zugang zur Archäologie im Internet, wird ständig aktualisiert. Onlineportal zur Prähistorischen Archäologie. Onlineportal mit umfangreicher Wissensdatenbank zur prähistorischen Archäologie Luftbildarchäologie Bilder (ungarisch) Experimentelle Archäologie, Archeoparagliding, Rekonstruktionen Website von Marek Poznański (mehrsprachig) Vereine und Organisationen Deutscher Archäologen-Verband Deutsches Archäologisches Institut Deutsche Gesellschaft für Ur- und Frühgeschichte e. V. (DGUF) Stiftung Archäologie Liste aller Landesämter für Archäologie in Deutschland Archäologische Gesellschaft Innsbruck Website der Archäologischen Gesellschaft Innsbruck Archäologiemuseen bei webmuseen.de www.exar.org EXAR – Europäische Vereinigung zur Förderung der Experimentellen Archäologie e. V. EXARC (European EXchange on Archaeological Research and Communication) Zusammenschluss europäischer Institutionen zur Experimentellen Archäologie. AG Computeranwendungen und Quantitative Methoden in der Archäologie Arbeitsgruppe „Archäologie und Archäobotanik Afrikas“ im Institut für Archäologische Wissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt Webseite zur Bodendenkmalpflege in Krefeld Dachverband Archäologischer Studierendenvertretungen Liste der in Österreich tätigen Grabungsfirmen und Institutionen Einzelnachweise
Q23498
1,472.332442
2537
https://de.wikipedia.org/wiki/Juni
Juni
Der Juni (früher auch Brachmonat) ist der sechste Monat des Jahres im gregorianischen Kalender. Er hat 30 Tage und enthält den Tag der Sonnenwende (21. Juni, abhängig von der Himmelsmechanik auch am 20. oder 22. Juni möglich), der auf der Nordhalbkugel der längste Tag mit der kürzesten Nacht des Jahres ist; auf der Südhalbkugel ist er dagegen der kürzeste Tag mit der längsten Nacht des Jahres. Im römischen Kalender war der Iunius ursprünglich der vierte Monat und hatte 29 Tage. Benannt ist er nach der römischen Göttin Juno, der Gattin des Göttervaters Jupiter, Göttin der Ehe und Beschützerin von Rom. Zur Regierungszeit Kaiser Neros wurde der Monat in Germanicus umbenannt, einen der Namen des Kaisers, was sich allerdings nicht durchsetzte. Unter Kaiser Commodus hieß der Monat dann Aelius nach einem von dessen Namen; auch diese Umbenennung wurde nach dem Tod des Kaisers rückgängig gemacht. Der alte deutsche Monatsname ist Brachet oder Brachmond. In der Zweifelderwirtschaft und der Dreifelderwirtschaft des Mittelalters begann in diesem Monat die Bearbeitung der Brache. In Gärtnerkreisen spricht man auch vom Rosenmonat, da die Rosenblüte im Juni ihren Höhepunkt erreicht; aus diesem Grund wurde der Juni früher auch Rosenmond genannt. Um in der mündlichen Kommunikation eine Verwechslung mit dem ähnlich klingenden Monatsnamen Juli zu vermeiden, wird der Juni – insbesondere im Telefongespräch oder auch beim Diktat – häufig auch als „Juno“ ([] oder []) gesprochen. Aus gleichem Grund wird umgekehrt der Juli oftmals als „Julei“ ([] oder []) artikuliert. Kein anderer Monat des laufenden Kalenderjahres beginnt mit demselben Wochentag wie der Juni. Der Februar des Folgejahres hingegen beginnt mit dem gleichen Wochentag wie der Juni des laufenden Jahres. Feier- und Gedenktage Der Juni enthält in den deutschsprachigen Ländern keine festen Feiertage. Von den beweglichen fällt in seltenen Fällen Christi Himmelfahrt, häufiger jedoch Pfingsten und Fronleichnam in den Juni. In der katholischen Kirche ist der Juni der Monat der Herz-Jesu-Verehrung. In vielen Gegenden wird die Sommersonnenwende und der Johannistag gefeiert. Weitere Feier- und Gedenktage siehe Liste der Gedenk- und Aktionstage im Juni. Bauernregeln zum Juni siehe Liste von Bauernregeln#Juni Weblinks Anmerkungen Monat des gregorianischen und julianischen Kalenders Juno
Q120
2,571.127945
79571
https://de.wikipedia.org/wiki/Sprint
Sprint
Als Sprint oder Kurzstreckenlauf bezeichnet man in der Leichtathletik und anderen Sportarten, in denen es auf das Zurücklegen einer Strecke in möglichst kurzer Zeit ankommt, jene Disziplinen, in denen die größtmöglichen Geschwindigkeiten erzielt werden, die der menschliche Organismus erlaubt. Sprint in der Leichtathletik In der Leichtathletik sind die Sprintstrecken 50 bis 400 Meter lang. Man unterscheidet im Allgemeinen auch zwischen Kurz- und Langsprint, wobei Strecken über 200 Metern Länge als Langsprint bezeichnet werden. Die Strecken 100, 200 und 400 Meter, 100 Meter Hürden (Frauen), 110 Meter Hürden (Männer) und 400 Meter Hürden sind olympische Disziplinen. Daneben werden bei Hallenwettkämpfen meist 50 Meter und 60 Meter Hürden gelaufen. Im Training werden auch fliegende Sprints über 20 oder 30 Meter gelaufen, das heißt, der Läufer nimmt Anlauf und hat beim Start der Zeitmessung schon volles Tempo erreicht. Der Kurzstreckenlauf ist die älteste olympische Disziplin. Es war schon als Lauf über ein Stadion (ca. 190 Meter) Teil der griechischen Agonistik und wichtiger Bestandteil der antiken Olympischen Spiele. Entscheidend für die Abgrenzung von Mittel- und Langstrecken ist bei den Laufstrecken der Leichtathletik die Energieversorgung: Sie erfolgt beim Sprint überwiegend durch Umsetzung energiereicher Phosphatreserven (ATP, Kreatinphosphat) und Milchsäuregärung (vgl. hierzu den Artikel Energiebereitstellung). Die hierbei erzielten Geschwindigkeiten kann der Sportler bis zu etwa 40 Sekunden aufrechterhalten. Aufgrund der Energieversorgung ist der Sprint besonders anfällig für Doping mit anabolen Steroiden und die Verwendung von Kreatin (was kein Doping darstellt). Den Weltrekord der Männer über 100 Meter und 200 Meter hält momentan der jamaikanische Sprinter Usain Bolt. Für die 100 Meter brauchte er 2009 in Berlin 9,58 Sekunden und für die 200 Meter ebenfalls in Berlin 19,19 Sekunden. Andere Sportarten Beim Schwimmsport gelten als Sprintstrecken 25- bis 200-Meter-Distanzen. Die Strecken 50, 100 und 200 Meter sind olympische Disziplinen. Für die Schwimm-Sprintstrecken gilt die Abgrenzung über die Form der Energiebereitstellung nur eingeschränkt, bereits die 200-Meter-Distanz ist unter diesem Kriterium als Ausdauerdistanz aufzufassen. Bahnradsportler, die sich auf die Kurzzeitdisziplinen, wie z. B. Sprint (auch „Fliegerrennen“, früher „Malfahren“), Teamsprint oder Keirin spezialisiert haben, werden als Bahnsprinter bezeichnet. Im Straßenradsport werden Fahrer als Sprinter bezeichnet, die Rennen vornehmlich im Endspurt aus größeren Gruppen heraus gewinnen, meist nach flacher Streckenführung. Diese Fahrer gewinnen in Etappenrennen oft auch die Punktewertung. Im Gegensatz zu den Bahnsprintern handelt es sich bei Straßensprintern um Ausdauersportler. Im Eisschnelllauf werden als Sprintstrecken 100, 500 und 1000 Meter gelaufen. Die 100 Meter werden derzeit nicht gelaufen, die beiden anderen Strecken sind auch olympische Disziplinen. Im American Football gilt der sogenannte 40-Yard-Sprint als gängigster Indikator für Beschleunigung und Geschwindigkeit eines Spielers. In anderen Sportarten, etwa Rudern, Kanu oder Skilanglauf (Skisprint), ist gelegentlich in der Umgangssprache von Sprintstrecken die Rede. Allerdings sind diese Disziplinen unter dem Gesichtspunkt der Energiebereitstellung eindeutig Ausdauerdisziplinen. Weblinks Leichtathletikdisziplin Radsportbegriff
Q624482
174.756719
34565
https://de.wikipedia.org/wiki/Zirkus
Zirkus
Ein Zirkus (, ‚Ring‘, ‚runde Arena‚; Plural: Zirkusse) – oder auch Circus – ist meist eine Gruppe von Artisten, die eine Vorstellung mit verschiedenen artistischen (zirzensischen) Darbietungen (Akrobatik, Clownerie, Zauberei, Tierdressuren) zeigt. Wirtschaftlich gesehen ist ein Zirkus ein Unterhaltungsunternehmen. Begriffsklärung Die Schreibweise „Circus“ benutzen die meisten Zirkusse wegen des lateinischen Ursprungs, zum Beispiel im Eigennamen „Circus Krone“. Das deutsche Wort Zirkus leitet sich vom griechischen kírkos oder lateinischen circus (‚Kreis‘) her. Beide Begriffe bezeichneten im antiken Griechenland und Rom eine kreis- oder ellipsenförmige Arena, in der in erster Linie Wagenrennen und seltener Tierkämpfe der Gladiatoren stattfanden (z. B. Circus Maximus). Mehr als die Form der „Bühne“ hat der neuzeitliche Zirkus mit dem antiken Circus nicht gemeinsam. Manege im Amphitheater oder Zelt Der klassische in Europa bekannte Zirkus ist der Wanderzirkus: Er ist oftmals ein Familienunternehmen, das mit einem Zirkuszelt, auch als Chapiteau bezeichnet, von Ort zu Ort zieht. Das Zirkuszelt, das heute für die meisten Menschen selbstverständlich zum Zirkus gehört, gab es allgemein erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Zuvor mussten Zirkusvorstellungen in provisorisch errichteten Schaubuden, in Theatergebäuden oder im Freien abgehalten werden. Zirkusgebäude sind oft rund oder oval wie ein Amphitheater. Die Bezeichnung Zirkus leitet sich von der Form der „Bühne“ ab, der runden oder ellipsenförmigen Manege. Meistens werden Manegen mit einem Durchmesser von 13 Metern gewählt, da dies ein perfektes Maß ist, um ein Pferd im Kreis laufen zu lassen. Bei zu kleinen Manegen legt sich das Pferd zu sehr in die Kurve, für einen Reiter sind akrobatische Darbietungen dann kaum möglich. Neben den Wanderzirkussen gibt es noch vereinzelt Zirkusse mit festen Gebäuden. Moderne fixe Zirkusgebäude, die ein ganzjähriges Zirkusprogramm beherbergen, gibt es noch in den ehemals sozialistischen Staaten, etwa den Hauptstädtischen Großzirkus im Budapester Stadtwäldchen und insbesondere in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion (wie in Riga, Chișinău, Moskau oder Taschkent). In Frankreich gibt es noch eine Reihe fester Zirkusgebäude, die nur noch teilweise als Zirkus genutzt werden, wie den Pariser Cirque d’hiver. In München unterhält der Circus Krone mit dem Kronebau eine feste Spielstätte. Historisch bedeutsam sind unter anderem die Zirkusbauten des Circus Renz und des Circus Schumann. Das Theater Carré in Amsterdam war ursprünglich ein reines Zirkusunternehmen. Geschichte Die Entstehung des Zirkus ist vor allen Dingen eine Geschichte von einzelnen Zirkus-Dynastien, also Artistenfamilien und -gruppen. In seiner Geschichte hat der Zirkus zahlreiche Wandlungen erfahren: sowohl in seiner äußeren Gestalt – vom festen Zirkusbau über die Wandermenagerien zum flexiblen Chapiteau bis hin zu Theaterbühnen – als auch in der Form seiner Darbietungen – vom Pferdetheater über monumentale Pantomimen zum Cirque Nouveau. Als Vater des klassischen Zirkus gilt Philip Astley (1742–1814). Die ursprünglich dargebotene Kunst waren Pferdedressuren, weitere Artisten folgten. „Wilde“ und exotische Tiere waren eine relativ späte Neuerung. Unterschiedliche Gewichtungen je nach Region führten zur Entstehung nationaler Eigenheiten. England im 18. Jahrhundert Die Wiege des klassischen Zirkus war das industrialisierte England. Seit Mitte des 18. Jahrhunderts emanzipierte sich hier die Reitkunst vom höfischen oder militärischen Anlass. Erste Kunstreiter traten auf. Die Auftrittsorte der sogenannten Kunstreitergesellschaften waren bretterumzäunte Flächen unter freiem Himmel. Hier entwickelte sich auch die runde Form der Manege: Für die akrobatischen Kunststücke auf dem Rücken der Pferde wurde die Zentrifugalkraft genutzt. 1769 erwarb Astley für seine Riding School ein Gelände an der Westminster Bridge, überdachte die Galerien der Zuschauer und erweiterte seine Truppe um Reiter, Akrobaten und einen Clown. Ab 1770 führte Astley regelmäßige Programme mit zunehmender Einbeziehung weiterer Künste wie chinesischem Schattentheater oder Ballett auf. Die Idee eines die Pferdedressuren umrahmenden Programms war nicht neu, wurde aber nur sporadisch verwirklicht. 1778/79 eröffnete Astley ein festes Haus in London, und die Aufführungen entwickelten sich zu einem dauerhaften Bestandteil der städtischen Veranstaltungskultur. 1782 eröffnete er ein weiteres Haus in Paris. Astleys Ziel war es, ein für jeden verständliches Theater zu schaffen, das mit wenig Worten auskommen sollte. Er entwickelte das Genre „Hippodrama“, das die Aufführung von Pantomimen (bilderreiche Theaterstücke) mit Pferden bezeichnete. Dargestellt wurden vor allem Schlachten und tagesaktuelle Ereignisse, wie zum Beispiel der Sturm auf die Bastille einen Monat nach dem Geschehen 1789. Das Nachstellen markanter Momente der jüngsten Vergangenheit war im populären Theater üblich. Diese Art Darbietungen fand regen Zuspruch bei der in die Städte strömenden Bevölkerung. – Den Begriff „Circus“ bekämpfte Astley zeit seines Lebens. Frankreich im 19. Jahrhundert Der Begriff Zirkus setzte sich in den Jahren nach Astley insbesondere durch Veranstaltungen des Antoine Franconi (1737–1836) gehörenden Cirque Olympique in Paris durch. Er bezog sich seit Beginn des 19. Jahrhunderts nicht mehr nur auf die Form des Gebäudes, sondern auch auf den Inhalt der Darbietung, die so vom Theater unterschieden wurde. Die Abgrenzung wurde durch das Napoleonische Theaterdekret aus dem Jahr 1807 befördert, in dem verboten wurde, das Aufführen von Kuriositäten, Raritäten und Ähnlichem weiterhin als Theater zu bezeichnen. Die Darbietungen entwickelten sich in dieser Zeit immer mehr zu ausgefeilten Pantomimen, in denen die Sprache auch wieder verstärkt zum Einsatz kam. Die Pantomimen waren gekennzeichnet durch kostbare Kostüme, aufwändige Bühnenbilder und mehrere hundert Statisten. Obwohl weiterhin andere artistische Darbietungen in den Programmen Platz fanden, verloren sie an Bedeutung: Pferdevorführungen bildeten die Grundlage des Programms, dessen Höhepunkt die Hohe Schule war. Im Paris des beginnenden 19. Jahrhunderts waren die Schlachten und Taten Napoleons, der als eine Art Volksheld galt, das hervorstechende Thema der Pantomimen. In der Pantomime Die Löwen von Mysore (1831) waren zum ersten Mal dressierte Löwen im Zirkus zu sehen. Es war ein durchschlagender Erfolg, der den Weg zu weiteren Tierdressuren ebnete. Mit der Entstehung der Music Halls seit der Mitte des 19. Jahrhunderts spalteten sich die Kleinkunst-Darbietungen vom Zirkus ab. Innovationen aus Amerika Bis zum Ende des 19. Jahrhunderts fand Zirkus nur in festen Spielhäusern statt. Eine Innovation, die dieses Bild bis heute grundlegend ändern sollte, kam aus den Vereinigten Staaten: hier entwickelte sich Ende des 19. Jahrhunderts der Zeltzirkus. Der Zirkusdirektor Aron Turner benutzte bereits 1830 ein regenschirmähnliches, einmastiges Leinwandzelt. 1873 wurde in Konstanz die Zeltbaufirma Ludwig Stromeyer gegründet, die sich zum Hauptlieferanten der deutschen Zirkusse entwickelte. Paul Busch trat 1884 seine erste Reise mit Chapiteau an. Ab 1900 verbreiteten sich die Zelte rasch in Deutschland. Das hatte den Vorteil, dass man auch in Städten spielen konnte, die zu klein waren, um einen festen Zirkusbau zu besitzen. Mit dem Wanderzirkus, der sich daraufhin in Deutschland durchsetzte, brach das goldene Zeitalter des Zirkus an. Die Anzahl der Zirkusse stieg, das Niveau dieser Neugründungen aber war sehr verschieden, ebenso die Fähigkeiten ihrer Direktoren. Bis Kriegsbeginn hatte etwa die Hälfte ihren Betrieb wieder eingestellt. Weder vorher noch nachher gab es in Europa so viele Zirkusse wie in den 1920er Jahren. Das Reisen hatte auch zur Folge, dass die an Ausstattung sehr aufwändigen Pantomimen an Bedeutung verloren und sich stattdessen mehr und mehr ein Nummernprogramm herausbildete. Ebenso löste sich die Zirkusmusik in Besetzung und Programm von der Bühnenmusik im Theater, von der sie herstammte. Weitere heute originär mit dem Bild des Zirkus verbundene Elemente, die aus den Vereinigten Staaten kamen, waren das Reisen mit der Eisenbahn oder die Vereinigung von Menagerie und Zirkus (Zurschaustellung wilder Tiere bestand bis dahin separat vom Zirkus, so wie die Sideshows) und die Verwendung von Sägespänen anstelle von Manegenteppichen oder Sand. Durch William Frederick Cody (1846–1917), der als „Buffalo Bill“ allgemein bekannt war, erhielt der europäische Zirkus eine weitere Bereicherung: die große Popularität des Wild-West-Zirkus hatte zur Folge, dass Kunstschützen in die europäischen Zirkusse einzogen und der verwegenen Reiterei (oft „Dschigiten“ genannt) der Vorrang gegenüber der klassischen Reitkunst eingeräumt wurde. Raubtierdressuren lösten zum Teil die bis dahin dominierenden Pferdenummern ab, und große Tierschauen ergänzten die Vorstellung. Zusätzlich fanden zunehmend Sensationsnummern Eingang. Zirkus in Deutschland Deutschland im ausgehenden 19. Jahrhundert Neue Impulse für die Zirkuskunst gingen ab der Mitte des 19. Jahrhunderts von Deutschland aus. Ernst Jakob Renz (1815–1892) war der erste Deutsche, der den Zirkus auch im internationalen Maßstab wesentlich beeinflussen konnte. Außerdem entwickelte er den Sattel zu einem Gurt weiter, damit die Artisten noch mehr Halt hatten. Nach Circus Renz wurde Circus Busch zum Synonym für den deutschen Zirkus. Renz und Busch unterhielten Zirkusse mit mehreren Häusern in den großen Städten des deutschen Sprachraums: Berlin, Breslau, Wien, Hamburg. Die Programme zeichneten sich durch eine ungeahnte Vielfalt aus. Alles, was neu und originell war, fand Eingang in diesen Zirkus: Wasserspiele, Eiskunstlauf, Ballett, Sängerinnen und sogar Siamesische Zwillinge. An erster Stelle standen weiterhin die Pferde. In dieser Zeit, Anfang des 20. Jahrhunderts, erhielt die Artistik einen höheren Stellenwert in den Programmen. Ausschlaggebend dafür war unter anderem die rasche Verbreitung des Varietés in enger Verbindung mit dem englisch-französischen Music Hall und dem amerikanischen Vaudeville, in deren Rahmen eine Ausdifferenzierung der artistischen Genres erfolgte: in der Jonglage unterschied man zum Beispiel zwischen Kraft- und Salonjonglage. Die Clownerie erhielt bei Renz besondere Bedeutung: an einem Abend konnten bis zu 14 Clowns auftreten. Die große Nachfrage an artistisch hochwertigen und neuen Nummern für Varieté und Zirkus hatte zur Folge, dass vermehrt sportliche Disziplinen wie Rollschuhlauf, Eislaufen und Kunstschwimmen in die Programme Aufnahme fanden. Gerade die Akrobatik wurde zu einem Hauptbestandteil der Vorführungen. In großen Ausstattungspantomimen arbeiteten Renz und Busch mit viel Technik: Wasserfälle, Fontänen, Segelboote und Aufzüge wurden eingesetzt. Die Handlungen der Pantomimen umfassten alles nur Denkbare: von Heldensagen über Märchen und Historien, über Opern und Tragödien bis zu aktuellen Ereignissen. Bei Busch wurden später eigens Schriftsteller zum Schreiben der Stücke engagiert. Der deutsche Zirkus bis zum Ende der 1920er Jahre Während für viele Zirkusdirektoren der Beginn des 20. Jahrhunderts eine Blütezeit darstellte, verdienten die Artisten, Dresseure und Clowns – von einigen ungewöhnlichen Darbietungen abgesehen – wenig. Besonders schlecht bezahlt wurden Musiker und Tänzerinnen. Erst 1920 kam es zur Bildung des Allgemeinen Circus-Direktoren-Verbandes (ACDV), zu dessen Vorsitzendem Paul Busch gewählt wurde. Noch im gleichen Jahr konnte mit der von Max Buldermann geführten Internationalen Artisten-Loge (IAL) ein einheitlicher Tarifvertrag für alle Zirkuskünstler verabschiedet werden. Zu berücksichtigen bleibt, dass die Artisten zahlenmäßig den kleinsten Teil der Zirkusmitarbeiter ausmachten. Alle anderen Arbeiter und Angestellten blieben weiterhin ohne Rechte. Erhebliche Schwierigkeiten entstanden für die Zirkusse durch den Ersten Weltkrieg und später die Weltwirtschaftskrise. Viele Unternehmen mussten geschlossen werden, andere umgingen die Probleme durch lange Reisen in weniger betroffene Länder. Oft mussten die Zirkusse verkleinert werden, um die Kosten zu senken, oder sie teilten sich, um in verschiedenen Ländern Einnahmequellen zu finden. In dieser Zeit entstanden neue Genres wie die Trampolinakrobatik und die Zirkusmagie. Deutschland im Zweiten Weltkrieg und in der Nachkriegszeit Durch die Judenverfolgungen und die Verfolgung von Reisenden verloren viele Zirkusse ihre Mitarbeiter im KZ. Während des Zweiten Weltkrieges litten die Unternehmen unter Beschlagnahmungen von Material und später unter Kriegsverlusten durch Bombardierungen. So wurden etwa während der Luftangriffe auf Dresden das Gebäude des Circus Sarrasani und nahezu alle Materialien zerstört und die Tierbestände vernichtet. In der Nachkriegszeit gab es sowohl in der Bevölkerung als auch bei den Besatzern einen großen Bedarf nach Zerstreuung. Das hatte die Gründung einer Vielzahl von Zirkusunternehmen zur Folge, die sich in den nachkommenden Jahren auch nicht alle halten konnten und deren künstlerisches Niveau zum Teil sehr gering war. Auch alle namhaften Zirkusse der Vorkriegszeit spielten wieder. Der durch die Kriegsauswirkung entstandene Mangel an Männern führte zu einem Überangebot an künstlerisch tätigen Frauen, die sich in erster Linie den Varieté-Genres Tanz und Musik zuwendeten. So standen diese Künste in den Programmen im Vordergrund. Allerdings blieb das eine vorübergehende Erscheinung, die mit der Normalisierung des Lebens wieder zurückging. Der Zirkus in den beiden deutschen Staaten Die Zahl der Zirkusunternehmen ging in beiden deutschen Staaten zurück, allerdings aus unterschiedlichen Gründen: In Westdeutschland erreichte das Zirkussterben Mitte der 1950er Jahre seinen Höhepunkt. Gründe dafür waren unter anderem die Konkurrenz, die das Fernsehen darstellte, und steigende Reisekosten. Die Organisation der Zirkusse als Familienunternehmen blieb erhalten. Neue Einflüsse auf den Zirkus gab es Ende der 1970er Jahre mit Roncalli. Nach einer Zeit der Erstarrung und immer gleichen klassischen Nummernprogrammen entwickelte Bernhard Paul die Idee des Zirkus als eines Gesamtkunstwerkes: Der Zirkus beginne nicht erst mit dem Programm, sondern bereits beim Eintritt in die Manege und ende mit dem Austritt aus derselben. Es entstanden Stücke mit durchgehender Handlung, in die die artistischen Nummern eingebettet wurden. Da in der DDR gerade in den 1950er Jahren das Kulturangebot in vielen Orten nicht sehr umfangreich war, hatten die Zirkusvorstellungen eine herausgehobene Stellung im Veranstaltungskalender. So konnten in dieser Zeit die drei großen verstaatlichten Zirkusse (Barlay, Busch und Aeros) mehr Besucher verzeichnen als alle Theater der DDR. Zum 1. Januar 1960 wurde der VEB Zentralzirkus gegründet. Im Jahr 1980 erfolgte die Umbenennung des VEB Zentralzirkus in „Staatszirkus der DDR“. Die Artisten hatten einen Rentenanspruch, wurden auch in den Wintermonaten bezahlt, und es wurde eine Regelung zur Berufsunfähigkeit eingeführt. Damit verbesserten sich die Lebensumstände, was allerdings die Betriebe unrentabel machte. Privatzirkusse verschwanden fast gänzlich. Mit den ersten Absolventen der 1956 in Berlin gegründeten und noch heute vom Berliner Senat unterhaltenen Fachschule für Artistik kamen neue Nummern in den Zirkus, besonders Gruppennummern wurden ausgebildet. Das traditionelle Nummernprogramm herrschte in allen Zirkussen vor. Zirkus in Österreich Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es in Wien drei große Zirkusgebäude: Zirkus Renz, Zirkus Busch und Zirkus Schumann. Das Wiener Renz-Gebäude war 1853 als ständige Spielstätte für Ernst Renz errichtet worden. Renz war der Sohn eines Seiltänzers und verhalf ab der Mitte des 19. Jahrhunderts dem Zirkus im deutschen Sprachraum zu künstlerischem und gesellschaftlichem Ansehen. Neben den Zirkusgebäuden in deutschen Großstädten wie Berlin und Hamburg entwickelte sich auch das Gebäude in der Wiener Zirkusgasse in der Nähe des Praters zu einer Manege für die Pferdedressuren und akrobatischen Reiterkunststücke, die in allen Zirkusgebäuden sowohl von Männern als auch von Frauen dargeboten wurden. Daneben wurden die berühmten Clown-Figuren und die Zirkuspantomime weiterentwickelt. Das Gebäude wurde im Jahr 1957 wegen Kriegsschäden abgetragen, nachdem es ab 1924 dem Zirkus Carl Hagenbeck als feste Spielstätte gedient hatte. In den 1960er Jahren schloss der Cirkus Rebernigg, Mitte der 1990er der von Elfi Althoff-Jacobi. In Österreich ist seit dem 1. Januar 2005 ein generelles „Wildtierverbot“ in Kraft, welches Zirkussen untersagt, Wildtiere zu halten oder in ihren Programmen auftreten zu lassen. Nach langen zähen Verhandlungen mit der EU-Kommission wurde am 12. Dezember 2006 das österreichische Verbot anerkannt. Immer wieder versuchen ausländische Zirkusse erfolglos das bestehende österreichische Gesetz zu umgehen. Zirkus in der Schweiz Der Zirkus als europäisches Kulturgut Am 13. Oktober 2005 verabschiedete das Europäische Parlament in Brüssel eine Entschließung, die den Rang des Zirkus als europäisches Kulturgut bekräftigte. Den Entwurf hatte die Europa-Abgeordnete Doris Pack (CDU) ausgearbeitet und begründet. Mit der Entschließung wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, den Zirkus als Teil der Kultur Europas anzuerkennen, soweit sie dies nicht bereits getan haben. Die Europäische Kommission wurde aufgefordert, konkrete Schritte einzuleiten, um zu einer Anerkennung des Zirkus als Teil der Kultur Europas zu gelangen. In den einleitenden Bemerkungen wurde klargestellt, dass der klassische Zirkus „einschließlich der Tiervorführungen“ gemeint ist. Ansonsten behandelte die Entschließung die schulische und berufliche Bildung sowie Arbeitsbedingungen bei Zirkusmitarbeitern und Sicherheitsnormen für Zirkuszelte und andere mobile Zirkuseinrichtungen. Zirkus heute Derzeit reisen in Deutschland um die 300 Zirkusunternehmen unterschiedlicher Größe – angefangen bei kleinen Familienzirkussen bis hin zu mittelständisch geführten Zirkusunternehmen mit viel Personal, Material und Tieren. Das wachsende Kultur- und Freizeitangebot, steigende Kosten, diverse Auflagen, Werbeverbote in einigen Städten und die Bebauung beziehungsweise die Verlagerung der Spielorte an die Stadtränder sind Probleme, die die Unternehmen zu meistern haben. Seit den 1970er Jahren gab es von Frankreich ausgehend neue Impulse für den Zirkus, die in die Entwicklung des sogenannten Cirque Nouveau mündeten. Das wohl größte und bekannteste Unternehmen dieses Genres ist der Cirque du Soleil aus Kanada. Daneben gibt es auf allen Kontinenten eigene Entwicklungen. Zu nennen sind hier zum Beispiel der Chinesische Staatszirkus oder Circus Baobab aus Afrika. Pädagogische Formen des Zirkus entwickeln sich in der Bundesrepublik seit Beginn der 1970er Jahre und parallel dazu auch in anderen europäischen Ländern: der Kinderzirkus und die Zirkuspädagogik. In Deutschland gibt es die Tendenz, Gastspiele als „Event“ zu inszenieren, z. B. als Weihnachtszirkus. Auswirkungen Coronavirus-Pandemie auf Zirkusunternehmen Die Zirkusunternehmen sind von den Auswirkungen der Coronavirus-Pandemie stark betroffen. Da Zirkus in Deutschland als Gewerbe gilt, gibt es keine Subventionen und Fördermittel wie für Theater oder Museen. Zirkusdarbietungen Zu den traditionellen Darbietungen gehören Akrobaten, Artisten, Clowns, Jongleure, Zauberkünstler und Tierdressuren. Früher gehörte zu manchen Zirkusdarbietungen auch das Zurschaustellen von „missgestalteten“ Menschen (Freak Show, oft als Sideshow), exotischen „Völkerschauen“ sowie die Inszenierung „patriotischer Schauspiele“. Diese Teile der Zirkustradition wurden im Laufe des 20. Jahrhunderts aufgrund ethischer Erwägungen oder wegen mangelnden Zuschauerinteresses aufgegeben. Akrobatik Jonglage Unter Jonglage fallen alle Nummern, die auf dem geschickten Werfen oder Manipulieren (z. B. Drehen, Schlagen, Balancieren) von Gegenständen basieren. Solche Gegenstände sind zum Beispiel Bälle, Keulen, Ringe, Teller, Hüte, Zigarrenkisten, Diabolos, Devilsticks und Fackeln. Außerdem unterschieden wird die Kontaktjonglage. Neben Einzeljonglagen gibt es auch Partner- und Gruppenjonglagen. Handstandakrobatik, Hand-auf-Hand Bei der Handstand-Akrobatik werden verschiedene Kunststücke im Handstand – auch einarmigem – gezeigt, beispielsweise das Besteigen einer Treppe im Handstand oder das Balancieren mit den Händen auf Blöcken auf den Spitzen vertikaler Stangen. Eng verwandt ist Partner-Akrobatik, bei der ein Partner mit den Händen auf den Händen des anderen Partners, seinem Kopf oder anderen Körperteilen balanciert, während besondere Figuren und Bewegungsabläufe gezeigt werden. Menschliche Pyramiden & Kaskadeure Eine der ältesten akrobatischen Disziplinen ist das Bilden menschlicher Pyramiden, bei denen mehrere Obermänner auf den Schultern mehrerer Untermänner balanciert werden und dabei mehrere Figuren zeigen. Damit verwandt sind Kaskadeure, die auf den Schultern des Untermannes stehen und dann verschiedene Fallfiguren zeigen oder auch über Tische springen etc. Diese Artisten zeigen häufig auch aus dem Bodenturnen stammende Figuren wie Radschlag, Flic-Flac und andere Bodensprünge, meist in raschen Folgen mehrerer Sprünge. Kontorsion Kontorsion wird auch Kautschuk genannt. Hier wird der Körper (meist die Wirbelsäule) extrem gebogen oder extrem gedehnt, zum Beispiel im Spagat oder in Verbiegungen, wie eine weit überdehnte Brücke. Kontorsionisten werden auch Schlangenmenschen genannt. Trapez & Luftring Beim Trapez werden an einer Stange, die an zwei oder mehr Seilen befestigt ist, verschiedene Hänge, Handstände, Kopfstände etc. ausgeführt. Neben dem statischen Trapez gibt es auch das Schwungtrapez. Meist werden Kunststücke am statischen Trapez und am Schwungtrapez kombiniert. Eng mit dem Einzeltrapez verwandt sind Darbietungen an einem in der Luft hängenden Ring, Kugel, Vertikalnetz und ähnlichen Konstruktionen. Auch sie können statisch, schwingend oder kreisend vorgeführt werden. In der Regel werden die entsprechenden Darbietungen einzeln oder zu zweit (selten zu dritt) gezeigt. Eine Besonderheit ist der sogenannte Fangstuhl, der nur für Partnerdarbietungen genutzt wird. Der Fangstuhl trägt einen Fänger, der einen Flieger schwingen, werfen und fangen kann. Fliegendes Trapez Einen gänzlich anderen Charakter als Darbietungen mit dem Einzeltrapez hat das Fliegende Trapez, bei dem die Artisten zwischen mehreren Trapezen fliegen und dabei Pirouetten, Salti und andere Figuren zeigen. Damit verwandt sind auch Darbietungen, bei denen auf Trapeze verzichtet wird und die Artisten für ihre Sprünge von den Händen ihrer Kollegen geworfen werden. Ebenfalls verwandt ist das Luftreck. Während bei statischem Trapez, Schwungtrapez, Luftring, Luftkugel, Vertikalnetz etc. Einzel- und Doppeldarbietungen üblich sind, wird das Fliegende Trapez von größeren Gruppen mit mindestens einem Fänger und in der Regel mehreren Fliegern gezeigt. Vertikalseil, Vertikaltuch, Strapaten Das Vertikalseil ist ein tauähnliches Seil, das von der Decke herabhängt. An ihm werden ebenfalls verschiedene Hänge und Figuren durchgeführt. Neben dem Vertikalseil gibt es noch das Vertikaltuch, das aus einem oder zwei (am selben Haken befestigten) Tüchern besteht. Durch geschicktes Umwickeln der Körperteile findet man Halt. Das Tuch ist länger als bodenlang, etwa zwei Meter, da es auch in aufgewickeltem Zustand auf dem Boden schleifen muss. Eng mit dem Vertikalseil und dem Vertikaltuch verwandt sind die Strapaten, lange Bänder, deren Ende um die Handgelenke gewickelt wird und an denen verschiedene Figuren gezeigt werden. Ebenso wie bei anderen Geräten der Luftakrobatik können diese Geräte statisch, schwingend oder kreisend genutzt werden. Meist sind Einzeldarbietungen üblich, jedoch ist auch hier Partnerakrobatik möglich. Schwungseil, Schwungtuch Bei dem Schwungseil und Schwungtuch handelt es sich um ein Seil bzw. Tuch, das an beiden Seiten aufgehängt und ähnlich dem Schwungtrapez genutzt wird. Auch hier sind Einzel- und Partnerdarbietungen möglich. Schlappseil Das Schlappseil ist ein zwischen zwei festen Punkten lose hängendes Seil. Auf diesem werden im Balancieren verschiedene Kunststücke vorgeführt. Leichte seitliche Schwingbewegungen halten den Artisten im Gleichgewicht. Neben dem Laufen und Drehen auf dem Schlappseil gibt es viele verschiedene Tricks wie Einradfahren, Jonglieren, Hand- und Kopfstand, Schwingen und Rola-Rola. Draht- beziehungsweise Hochseillauf Es wird auf einem gespannten Drahtseil balanciert, klassische Utensilien sind Fächer oder Schirm. Eine weitere Hilfe ist die Balancierstange, sie ist aber erst auf dem Hochseil wirklich von Nutzen, besonders wenn im Freien oder mit einem Zweiten auf den Schultern gearbeitet wird. In Amateurzirkussen werden dazu oft Hochsprungstangen benutzt. Auf dem gespannten Drahtseil können auch Radschläge, Bögen, Spagat oder Sprünge gemacht werden, man kann mit einem speziell präparierten Einrad darauf fahren oder mit einem Stuhl darauf sitzen. Todesrad Das Todesrad besteht aus einer länglichen Stahlkonstruktion, die um ihre Mitte rotiert und an deren Enden (seltener nur an einem Ende) rhönrad-große Tretmühlen befestigt sind. Die Artisten können sowohl in ihrem Inneren als auch außen auf diesen Konstruktionen laufen und dabei verschiedene Sprünge, Salti etc. zeigen. Trampolin Das Trampolin wurde aus dem Sport übernommen. Es wird teilweise mit anderen Geräten, Plattformen etc. kombiniert, die in die Darbietung eingebunden werden. Auch möglich ist die Kombination eines horizontalen Trampolins mit schräg aufgestellten Trampolinen, so dass Sprünge zwischen diesen Trampolinen gezeigt werden können. Schleuderbrett und Russische Schaukel Das Schleuderbrett ist eine Wippen-ähnliche Konstruktion, die es erlaubt, darauf stehende Artisten durch Sprünge auf das andere Ende sehr hoch in die Luft zu schleudern, so dass sie während des Fluges verschiedene Figuren vorführen können und häufig auf Schultern anderer Artisten landen. Sehr ähnlich ist die Russische Schaukel, eine Schaukel-ähnliche Konstruktion, auf der die Artisten vor dem Absprung stehen. Russischer Barren Beim Russischen Barren handelt es sich um eine elastische Stange, die von zwei Untermännern getragen wird und auf der Artisten stehend oder sitzend hochgeschleudert werden, um während der Flugphase verschiedene Figuren zu zeigen. Antipoden und Ikarier Bei Antipoden-Darbietungen liegt der Artist in einem speziellen Stuhl oder nur auf dem Boden und jongliert diverse Gegenstände mit seinen Füßen. Verwandt sind die Ikarier-Darbietungen, bei denen statt Gegenständen ein Partner auf den Füßen des Untermannes balanciert wird und verschiedene Sprünge und Salti zeigt, nach denen er immer wieder auf den Füßen des Untermannes landet. Leiterakrobatik Bei der Leiterakrobatik werden an ein oder zwei freistehenden Leitern Handstände, Kopfstände oder sogenannte Absteher vollführt. Aufgrund ihrer fehlenden Befestigung müssen die Leitern während dieser Kunststücke kontinuierlich in Balance gehalten werden. Rola-Rola / Rola-Bola Das Rola-Rola (oder auch: Rola-Bola) gehört zur Gruppe der Balancegeräte. Dabei balanciert der Artist auf einem Brett, das auf einer oder mehreren Rollen balanciert wird und auf dem er verschiedene Kunststücke, Jonglagen, oder ähnliches zeigt. Vertikalstange und Reck Das aus dem Sport stammende Reck hat auch im Zirkus Eingang gefunden. Dort werden häufig mehrere Reckstangen kombiniert, so dass mehrere Artisten gleichzeitig daran arbeiten können oder auch Sprünge zwischen den Reckstangen möglich sind. Auch die Vertikalstange (manchmal auch „Chinesischer Mast“ genannt) wird häufig für artistische Darbietungen genutzt. Kunstrad und Einrad Hier werden auf Fahrrädern und Einrädern (darunter auch Giraffen (hohe Einräder) und Hochrädern) verschiedene Kunststücke, Sprünge, Jonglagen etc. gezeigt. Cyr-Rad und Rhönrad Das aus der Sportgymnastik stammende Rhönrad hat auch Einzug in die Zirkusakrobatik gefunden. Eine Abwandlung ist das Cyr-Rad, bei dem nur in einem einzelnen Ring während dessen Rotieren und Rollen verschiedene Figuren gezeigt werden. Hula Hoop Auch Hula Hoop-Reifen wird von Artisten genutzt. Dabei werden nicht nur Kunststücke mit einem einzelnen Reifen gezeigt, sondern insbesondere auch mit mehreren Reifen, die gleichzeitig um den Körper oder auch verschiedene Körperteile rotieren. Rollschuhartistik Verschiedene Artisten haben sich auf Darbietungen mit Rollschuhen spezialisiert. In der Regel werden diese Darbietungen zu zweit gezeigt, wobei ein Partner sich auf Rollschuhen im Kreis dreht, während der andere von ihm durch die Luft gedreht wird und dabei Pirouetten und ähnliche Figuren zeigt. Weiteres Daneben gibt es zahlreiche Mischformen aus den genannten Disziplinen und auch Darbietungen, die sich keiner klassischen Form eindeutig zuordnen lassen. Auch bei den verwendeten Gerätschaften gibt es häufig Abwandlungen. Insbesondere auf anderen Kontinenten haben sich teilweise ganz andere Darbietungen herausgebildet. So sind im chinesischen Zirkus beispielsweise Reifenspringen und Stuhlpyramiden klassische Darbietungen. Tierdressur Aufgrund der gestiegenen Sensibilität für die artgerechte Haltung und den Transport von Tieren sowie der Kritik an den Darbietungen verzichten viele Zirkus-Unternehmen heute gänzlich auf Tiere oder sie verzichten auf Wildtiere und zeigen nur Darbietungen mit Pferden, Ponys, Hunden und (seltener) Hauskatzen und ähnlichen Kleintierdressuren. In einigen Staaten ist die Haltung von Wildtieren in Zirkussen gesetzlich eingeschränkt oder vollständig verboten. Kleintierdressur In vielen Zirkussen werden Auftritte von Hunden, Ziegen, Schweinen, Katzen, Schafen, Papageien und anderen kleineren dressierbaren Tierarten gezeigt. Oftmals werden die Tiere in eine komische Nummer (Clownerie oder Slapstick) integriert. Pferdedressur Im Zirkus werden neben der Hohen Schule (Dressurreiten) auch Freiheitsdressur (eine Gruppe von Pferden, die Walzerlaufen, Achterlaufen, Gegenlaufen, Steigen, Pirouette etc. zeigen), Ungarische Post (ein Reiter hält, auf einem oder zwei Pferden stehend, die Zügel von mehreren weiteren), Voltigieren oder akrobatische Reitertruppen gezeigt. Exotendressur Kamele, Zebras, Lamas und Rinder zeigen als Dressurgruppe Figurenlaufen oder werden als „Exotentableau“ teilweise auch mit Affen, Giraffen, Straußen, Antilopen, Nashörnern, Flusspferden, Tapiren oder Krokodilen in der Manege präsentiert. Seelöwen werden humoristisch vorgeführt. Elefanten werden beritten und in Dressurgruppen gezeigt. Raubtierdressur Großkatzen (Löwen, Tiger, seltener auch Leopard, Puma oder Jaguar) und Bären, vereinzelt auch Hyänen, werden im Zentralkäfig vorgeführt, der über den Laufgang mit Gehegewagen und Außengehege verbunden ist. Mit Raubtieren wird meistens auf Distanz gearbeitet. Mögliche Kunststücke sind Balkenlaufen, Sprünge zum Beispiel über Hürden, von Podest zu Podest und über Artgenossen, „lebender Teppich“ (= Abliegen), Hochsitz, Hochstehen, Löwen- oder Tigerbar (= Hochstehen am Balken) etc. Eine der gefährlichsten Übungen ist es, wenn die Raubkatze durch einen Reifen springt, den der Dompteur hält. Eine Großkatze, die einmal einen Menschen angefallen hat, wird in der Regel nicht mehr für die Dressur eingesetzt. Clowns Zu den meisten Zirkusprogrammen gehören auch ein oder mehrere Clowns, die das Publikum mit Späßen zum Lachen bringen sollen und die Sympathieträger der Kinder sind. Klassische Clownfiguren sind der aus der Commedia dell’arte stammende Weißclown sowie der Dumme August, wobei der Weißclown die Autorität darstellt, während der Dumme August ständig alles falsch macht und mit seiner Tollpatschigkeit den Weißclown ärgert. Dennoch hat der Dumme August auch eine gewisse Schlitzohrigkeit, so dass er die Sympathien des Publikums auf seiner Seite hat. Häufig gibt es auch mehrere Dumme Auguste. Einige Darbietungen verzichten jedoch auf diese klassische Unterscheidung (insbesondere auf den Weißclown). Typisch für Clowns sind oft auch der Einsatz von Musikinstrumenten oder kleinere artistische Kunststücke, die in eine komische Handlung eingebunden werden. Auftritte der Clowns lassen sich in Entree und Reprise unterscheiden: während das (meist längere) Entree der eigentliche Solo-Auftritt der Clowns ist, dienen die Reprisen der Überbrückung der Umbaupausen zwischen anderen Darbietungen. Teilweise gibt es in einem Programm sowohl Entree-Clowns als auch Reprisenclowns. Eng verwandt mit dem Reprisenclown ist die Figur der komischen Requisiteure, die im Gegensatz zum Reprisenclown direkt an den Umbauarbeiten zwischen den Darbietungen beteiligt sind. Daneben kann unterschieden werden zwischen Clowns, die Sprache nutzen und Clowns, die ohne Sprache arbeiten. Manche Clowns beziehen das Publikum direkt in ihre Auftritte mit ein, während andere dies ablehnen, da dies manchen Zuschauern unangenehm ist. Einige moderne Zirkusse verzichten ganz auf Clowns. Berühmte Clowns waren/sind Charlie Rivel, Grock, Oleg Popov, Trio Fratellini, Peter Bento Familie, Luftmann-Familie, Los Rivelinos, Toni Alexis Family, David Larible, Bello Nock, Die Chicky’s, Les Rossyann, Les Muñoz und der in Zirkuskreisen als Legende geltende Francesco Caroli als Weißclown der Les Francescos. Neben den klassischen Clowns gibt es auch einen Übergangsbereich zwischen Clown und Pantomime. Berühmte Vertreter dieser Form sind Peter Shub, David Shiner und Pic. Bekannte Zirkusse Im Nachkriegs-Deutschland sehnten sich die Menschen nach Abwechslung und Unterhaltung und so florierten zahlreiche Circus-Unternehmen. Neben diversen kleinen Unternehmen gab es zahlreiche Großzirkusse. Teilweise waren dies Unternehmen, die bereits vor dem Krieg aktiv waren und nun wieder ihren Betrieb aufnahmen, wie zum Beispiel der Circus Krone, der Circus Althoff, der 1976 mit dem Circus Williams zum Circus Williams-Althoff fusionierte (siehe Circus Althoff), der Circus Barum, der Circus Sarrasani, der Circus Busch, der 1963 mit dem Circus Roland zum Circus Busch-Roland fusionierte und der Circus Hagenbeck. Jedoch wurden auch neue Unternehmen gegründet: 1975 der Circus Roncalli, der mit Poesie und Nostalgie den Circus zum einen modernisieren, aber auch zu seinen Wurzeln zurückführen wollte, 1981 der Circus Fliegenpilz, 1995 der Zirkus Charles Knie, dessen Gründer mit den Gründern des Schweizer Circus Knie und des österreichischen Circus Louis Knie verwandt war, 2001 der Circus Universal Renz. In der DDR war vor allem der Zirkus Probst bekannt, der zwar von der Staatsführung missbilligt und mehrfach enteignet wurde, sich jedoch bis über die Wiedervereinigung hinaus bis ins Jahr 2014 erhalten konnte. Die meisten dieser Unternehmen sind im Laufe der Jahrzehnte wieder vom Markt verschwunden. Das größere Freizeitangebot und veränderte Freizeitverhalten ist ebenso ein Grund wie teilweise das Problem geeignete Nachfolger zu finden, wenn eigene Nachkommen das Unternehmen nicht fortführen wollten. Die hohen Betriebs- und Reisekosten taten ihr übriges zur Verschärfung des Problems. Und so sind heute (Stand 2021) in Deutschland neben einigen kleinen Unternehmen nur noch drei Großzirkusse tätig: Circus Krone, Zirkus Charles Knie und Circus Roncalli. Die anderen Unternehmen wurden größtenteils ganz aufgelöst oder haben ihr Geschäftsfeld geändert. Seit Mitte der 1990er Jahre sind in Deutschland Weihnachtszirkusse in Mode gekommen, die teilweise von klassischen Zirkusunternehmen präsentiert werden, teilweise jedoch auch von Agenturen in gemieteten Zelten zusammengestellt werden. Zeitweise zeigen Agenturen auch spezielle Zirkusproduktionen mit Artistik aus China, Russland, Afrika und der Mongolei. Festivals Es gibt weltweit mehrere regelmäßig (in der Regel jährlich) stattfindende Zirkusfestivals, in denen sich entsprechende Darbietungen der breiten Öffentlichkeit, aber auch einem Fachpublikum präsentieren können und wo in der Regel auch Darbietungen ausgezeichnet werden. Daneben dienen diese Festivals auch der Kontaktaufnahme zu Kollegen. Häufig sind solche Festivals der Beginn internationaler Karrieren. Die großen Festivals werden auch aufgezeichnet und deren Höhepunkte sind in zahlreichen Ländern regelmäßig im Fernsehen zu sehen. Zu den größten und bekanntesten Festivals gehören: Internationales Zirkusfestival von Monte-Carlo (Festival International du Cirque de Monte-Carlo), seit 1974 in Monaco stattfindendes Festival. Weltfestival des Circus von Morgen (Festival Mondial du Cirque de Demain), seit 1977 in Paris stattfindendes Festival, das einen modernen Zirkus fördern möchte und von Beginn an auf Tierdarbietungen verzichtet hat. European Youth Circus, alle zwei Jahre in Wiesbaden stattfindendes Festival für junge Nachwuchsartisten. Zirkusschulen/Artistenschulen In zahlreichen Staaten gibt es staatliche und/oder private Zirkusschulen, die schwerpunktmäßig Akrobatik und teilweise auch Clownerie unterrichten. Während der Nachwuchs von Zirkusartisten häufig durch die Eltern und andere Artisten ausgebildet wird, richten sich solche Schulen auch an Personen, die keine Verbindungen in diesen Bereich haben und eine Artisten-Laufbahn in Zirkus, Varieté etc. anstreben. In Deutschland gibt es drei Vorbereitungsschulen, die eine Ausbildung zum staatlich geprüften/staatlich anerkannten Artisten anbieten. Die Staatliche Ballettschule und Schule für Artistik und die private Etage in Berlin, sowie seit 2015 der Circartive in Gschwend bieten als Berufsfachschulen eine vollwertige Ausbildung und sollen Kinder und Jugendlichen mit hervorgehobenen Talent das Bachelorstudium der Artistik ermöglichen. Beispiele für Hochschulen mit dem Lehrgang Artistik sind die École nationale de cirque (eine der renommiertesten Performing-Arts-Education-Schulen), der Codarts in Rotterdam oder die Fontys Academy for Cicus Arts and Performance (ACAPA) in Tilburg. Davon zu unterscheiden sind die namensgleichen Zirkusschulen, die als mitreisende Schulen bei größeren Zirkusunternehmen den Kindern der Beschäftigten den Schulbesuch ermöglichen, ohne dass sie Internate oder ständig wechselnde Schulen besuchen müssten. An diesen reisenden Kleinst-Schulen wird nur die Primarstufe (Grundschule) und bei der Sekundarstufe maximal der Hauptschulabschluss angeboten. Tierhaltung in Zirkusunternehmen Kritik an den Haltungsbedingungen Seit den 1990er Jahren wird die Zirkuswelt mit Kritik von Tierschutzverbänden und Tierrechtlern konfrontiert. Sie werfen den Zirkusbetreibern vor, Tiere und insbesondere exotische Wildtiere nicht artgerecht zu halten. Unter artgerechter Haltung wird unter Tierrechtlern dabei meist eine Tierhaltung verstanden, durch die das jeweilige Tier seine natürlichen artspezifischen Bedürfnisse (Körperpflege, Ernährung, Bewegung, soziale Kontakte zu Artgenossen u. a.) weitestgehend befriedigen kann. Eine artgerechte Haltung sei im Rahmen des Zirkusbetriebs gar nicht möglich. Die Gehege seien in jedem Fall zu klein, um den natürlichen Bewegungsbedürfnissen gerecht zu werden. Ankettung sei außerdem immer noch gängige Praxis in Zirkussen. Zirkusleute halten dem entgegen, dass Zirkustiere heute nicht mehr aus der freien Wildbahn stammen, sondern in menschlicher Obhut geboren wurden. Sie seien somit von klein auf an den Kontakt und die Zusammenarbeit mit ihren menschlichen Partnern gewöhnt. Die meisten Zirkusse hätten ihre Stallungen um Außengehege und artspezifisch auch um Wasserbecken ergänzt, selbst für Raubtiere. Der Verhaltensbiologe Immanuel Birmelin sagt, es komme auch nicht in erster Linie auf die Quadratmeter der Gehege an, denn: „Wie der Mensch finden auch Tiere das größte Glück in dem, was sie erleben. Die ganze Neurobiologie spricht deshalb ganz eindeutig zugunsten des Zirkus. Unterhaltung, Lernen, Training – das alles ist doch für Tiere extrem wichtig.“ Peter Singer führt dagegen wissenschaftliche Beobachtungen ins Feld, die belegen sollen, dass selbst über Generationen gezüchtete Nutztiere ihre instinktiven Bedürfnisse nicht verlieren. Unbestreitbar ist, dass die Haltung von Wildtieren umso aufwendiger und kostspieliger ist, je mehr sie auf die Bedürfnisse der Tiere Rücksicht nimmt. Viele Zirkusunternehmen stehen jedoch unter wirtschaftlichem Druck und müssen hart kalkulieren. Theo Mantel, Ehrenpräsident der Bundestierärztekammer, der 30 Jahre lang als Amtstierarzt gearbeitet und immer wieder Zirkusse kontrolliert hat, sagt dazu: „Es gibt reisende Zirkusse, die um Fressen für die Tiere betteln müssen. Denen steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals.“ Reisende Zirkusse könnten die besonderen Haltungsanforderungen bei Wildtieren in der Regel nicht einhalten. Die Kosten seien für kleinere und mittlere Betriebe zu hoch. Und Elefanten könne man „im kalten deutschen Winter schlicht nicht artgerecht halten“. Laut Immanuel Birmelin gehören Schimpansen nicht in den Zirkus: „Ein Gehege, das ihrem Spieltrieb gerecht wird, kann kein Zirkus dieser Welt finanzieren.“ Es wird weiterhin kritisiert, dass für viele Tiere zwei bis drei Auftritte pro Tag und die hohe Geräuschkulisse enormen Stress darstellten. Befürworter der Tierdressur halten die hohe Geräuschkulisse bei Auftritten für unproblematisch, solange der Tierlehrer die Konzentration seiner Schützlinge auf sich lenken könne. Erst wenn die Tiere ihre Aufmerksamkeit auf die Umgebung richteten, würde der Publikumslärm zum Stressfaktor. Tierrechtler kritisieren insbesondere auch die häufigen Transporte der Tiere. Die Reise eines Menschen in einem Autositz sei nicht vergleichbar mit der anstrengenden Reise eines Tieres in einem beengten Tiertransportanhänger. Zirkusleute argumentieren, die Tiere seien an die Transporte gewöhnt. Dieter Seeger, Vorsitzender des Verbandes deutscher Circusunternehmen, beschreibt es so: „Von Reitställen kennt man es, dass die Pferde teilweise auf den Anhänger gezerrt werden müssen. Bei uns reicht es aber aus, wenn der Tierlehrer zweimal in die Hände klatscht und das Pferd trabt freiwillig in den Transporter.“ Wie der Verhaltensbiologe Immanuel Birmelin berichtet, zeigen Cortisol-Tests an Löwen und Elefanten, dass sich der Stresspegel auch bei langen Transporten nicht auffällig verändert und sich nach der Reise nicht wesentlich von den Werten unterscheidet, die an freilebenden Tieren gemessen wurden. Birmelin betont auch, dass Zirkustiere im Vergleich zu Zootieren viel weniger unter Langeweile litten. Er kam insgesamt zu einem positiven Urteil über die Tierhaltung im Zirkus: „Aus verhaltensbiologischer Sicht gibt es keinen Grund, Elefanten oder Raubtiere im Zirkus zu verbieten, mit nur einer Ausnahme, den Bären. […] Die Zirkusleute sind einfühlsame Tierkenner und große Tierfreunde. Weder könnten sie es sich leisten, ihre Tiere schlecht zu behandeln, noch brächten sie es übers Herz. […] Im Zirkus habe ich Sternstunden der Mensch-Tier-Kommunikation erlebt. Die Leute lieben ihre Tiere – und ihre Tiere lieben sie.“ Stellvertretend für viele Tierschützer sagt Peter Höffken von der Organisation PETA, Birmelin sei ein Beispiel für „tendenziöse Wissenschaftler“, deren „zirkusfreundliche Untersuchungen“ mit Vorsicht zu betrachten seien. Laut einer repräsentativen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen lehnten im Jahr 2015 zwei Drittel der Deutschen Wildtiere wie Elefanten, Giraffen oder Tiger in Zirkusbetrieben ab. Ihnen gegenüber stehen die Freunde des klassischen Zirkus, die auch oder gerade wegen der Tiere den Zirkus besuchen wollen. Kritik an der Dressur Tierschützer wie die Organisation PETA behaupten, dass die Dressur im Zirkus von Gewalt geprägt sei. Zur Dressur würden auch Peitschen, Knüppel, Elektroschocker und Elefantenhaken eingesetzt, mit denen den Tieren Schmerzen zugefügt werden. Laut dem Aktionsbündnis „Tiere gehören zum Circus“ können Zirkustiere sehr wohl „sanft und tiergerecht“ ausgebildet werden. Die Tierdarbietungen beruhten auf einem engen Vertrauensverhältnis zwischen Mensch und Tier, das gar nicht entstehen könne, wenn das Tier gequält werde. Bei einer tiergerechten Dressur durch einen einfühlsamen Tierlehrer zeigten die Tiere bei den Proben und Auftritten in der Regel ein entspanntes Verhalten. Unfälle und Ausbrüche von Wildtieren Laut der Organisation PETA gab es im Zeitraum 1980 bis 2010 in Deutschland 24 Unfälle mit Zirkuselefanten. Außerdem erlitten Menschen Bisse von Affen, Bären, Leoparden, Tigern und Kamelen. Im Zusammenhang mit Ausbrüchen der Wildtiere kam es auch zu Verkehrsunfällen. Beispielsweise kam es am 22. August 2017 in der Nähe von Treuenbrietzen in Brandenburg zu einem Verkehrsunfall, nachdem zwei Watussirinder aus dem Lager eines Zirkus ausgebrochen waren. Ein 56 Jahre alter Autofahrer starb, als sein Wagen nach der Kollision mit den Rindern auf einen Baum prallte. Eine Debatte löste 1994 die Elefantenkuh Tyke aus, die bei einer Vorstellung in Honolulu ihren Trainer tötete und dann aus dem Zirkus ausbrach. Sie lief eine halbe Stunde durch die Stadt, bis sie von Polizisten mit 86 Schüssen getötet wurde. Tierschutzgesetz und Leitlinien Im deutschen Tierschutzgesetz ist seit Juli 2013 die Möglichkeit vorgesehen, dass Behörden die Wildtierhaltung in einem Zirkus – der Gesetzestext spricht vom „Zurschaustellen von Tieren wildlebender Arten an wechselnden Orten“ – verbieten oder einschränken, wenn die Haltung oder der Transport der Tiere „nur unter erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden“ möglich ist ( Abs. 4 des Tierschutzgesetzes). Dies wird von Tierschutzverbänden als völlig unzureichend kritisiert. Von einem ernstzunehmenden Tierschutz könne bei derart niedrigen Anforderungen nicht die Rede sein. Die neuere Zielformulierung in § 11, erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden zu vermeiden, sei sogar ein Rückschritt im Vergleich zu . Dort steht nämlich, dass der Halter oder Betreuer eines Tieres „das Tier seiner Art und seinen Bedürfnissen entsprechend […] verhaltensgerecht unterbringen“ muss und „die Möglichkeit des Tieres zu artgemäßer Bewegung“ nicht so einschränken darf, dass ihm Schmerzen oder vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden ( des Tierschutzgesetzes). Die allgemeinen Formulierungen des Tierschutzgesetzes bieten auch keine Orientierung bei der Frage, wie die Haltung bestimmter Tierarten konkret ausgestaltet werden soll. In Deutschland konkretisieren die „Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen“ die Vorgaben für den Tierschutz in Zirkusbetrieben. Die Leitlinien legen zahlreiche Anforderungen im Detail fest, zum Beispiel, dass ein Außengehege für bis zu fünf Großkatzen eine Mindestfläche von 50 m² haben muss und für jedes weitere Tier zusätzlich 5 m². Der Verhaltensbiologe Immanuel Birmelin bewertet die Leitlinien als „angemessen“ und „tiergerecht“. Tierschützer kritisieren zum einen, dass die Leitlinien nur empfehlenden Charakter und keine Gesetzeskraft haben. Ein Sprecher der Organisation Animals United kommentierte zum Beispiel: „Das sind keine Gesetze – und Richtlinien kann man einhalten oder nicht.“ Deutschland sei „ein rechtsfreier Raum für Zirkusbetriebe“. Zum anderen widerspreche die Haltung in engen Gehegen und Käfigen grundsätzlich den Bedürfnissen von Wildtieren. Die Haltung im Zirkus bedeute für die Tiere „lebenslangen Verzicht auf die Ausübung ihrer natürlichen Verhaltensweisen sowie ständige Transporte auf engstem Raum“. Kontrollen Kontrollen der Veterinärämter an den Gastspielorten sollen die Einhaltung des Tierschutzes im Zirkus sicherstellen. Tierschützer weisen darauf hin, dass aufgrund der Ortswechsel der Zirkusbetriebe die Zuständigkeit ständig zwischen verschiedenen Veterinärämtern wechselt, was eine effektive Kontrolle erheblich erschwert. Zudem könnten die Veterinäre auch nur überprüfen, ob die dürftigen Vorgaben des Tierschutzgesetzes eingehalten werden, und nicht von sich aus mehr Tierwohl einfordern. Die seit 2008 bestehende Zirkusregisterverordnung soll dazu beitragen, die Kontrolle des Tierschutzes in Zirkussen sicherzustellen. Theo Mantel, Ehrenpräsident der Bundestierärztekammer, hält aufgrund seiner praktischen Erfahrung als Amtstierarzt das Zirkuszentralregister für einen „Papiertiger“. Laut Mantel haben Zirkusse verschiedene Möglichkeiten, das Register zu umgehen: „Einige Zirkusse treten manchmal innerhalb kürzester Zeit unter bis zu vier verschiedenen Namen auf.“ Und die Informationen würden nicht schnell genug zwischen den Bundesländern weitergeleitet. Da viele Zirkusbetriebe grenzüberschreitend in mehreren europäischen Ländern auftreten, erarbeitete die Europäische Gemeinschaft bereits im Jahr 2005 eine entsprechende Verordnung „zur Festlegung der Veterinärbedingungen für die Verbringung von Zirkustieren zwischen Mitgliedstaaten“. Im Anhang der Verordnung befinden sich Formulare zur Erfassung des Tierbestandes sowie der Reisen und Auftritte des Zirkus und Muster für individuelle Tierpässe. Verbote Laut einer Liste des Österreichischen Tierschutzvereins zum Stand 2018 ist die Tierhaltung in Zirkussen in Griechenland, Malta, Bolivien, Guatemala und Honduras komplett verboten. In Italien wurde im November 2017 ein Gesetz verabschiedet, das „die schrittweise Überwindung der Auftritte von Tieren im Zirkus“ vorsieht, wie Kulturminister Dario Franceschini kommentierte. In etwa 25 anderen Ländern sind speziell Wildtiere im Zirkus verboten, davon in Europa: Belgien, Bosnien und Herzegowina, Bulgarien, Dänemark, Estland, Irland, Kroatien, Lettland, Niederlande (seit 15. September 2015), Norwegen, Österreich, Rumänien (ab 2017, aber mit 18-monatiger Übergangsfrist), Schottland, Serbien, Slowenien; in England soll ab 2020 dieselbe Regelung gelten. In mehr als 10 weiteren Ländern gelten bei der Haltung von Wildtieren im Zirkus Einschränkungen, zum Beispiel sind in dem betreffenden Land bestimmte Wildtierarten verboten. Zu einigen Ländern machen die Tierschutzorganisationen unterschiedliche Angaben, so bezüglich Nordmazedonien und Zypern. Im September 2020 kündigte Frankreich ein Verbot von vielen Wildtierspezies in Wanderzirkussen an. Darüber hinaus soll auch die Zucht der gelisteten Arten in Zirkussen verboten werden. Wanderzirkusse mit Wildtieren sollen in Frankreich keine neue Genehmigung erhalten. Der Trend geht zu mehr Verboten, aber in vielen Ländern sind Wildtiere im Zirkus nach wie vor erlaubt, so auch in Deutschland und Spanien. Das Thema bleibt umstritten, auch in der deutschen Politik. Im Juni 2015 forderten zehn Tierschutz- und Artenschutz-Verbände den damaligen Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft Christian Schmidt auf, die Haltung von Wildtieren in Zirkussen „endlich zu verbieten“. Für ein Wildtierverbot sprechen sich (Stand 2018) die Grünen, die Linke und die SPD aus; gegen ein solches Verbot argumentieren die Union, die FDP und das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft unter Ministerin Julia Klöckner (CDU). Der Bundesrat hat in den Jahren 2003, 2011 und 2016 versucht, ein bundesweites Verbot von Wildtieren wie Elefanten, Flusspferden, Nashörnern, Giraffen, Bären und Affen in Zirkussen anzustoßen. Diese drei Anläufe wurden jeweils von den Unionsparteien und dem zuständigen Bundesministerium blockiert, hauptsächlich mit dem Argument, dass ein solches Verbot einem Berufsverbot gleichkomme und deshalb nicht zu rechtfertigen sei. Im November 2020 stellte Bundesministerin Julia Klöckner einen Verordnungsentwurf vor, der einige Wildtierarten in Zirkussen in Zukunft verbieten sollte, darunter Elefanten, Flusspferde, Nashörner, Giraffen und Großbären. Der Bundesrat lehnte im Juni 2021 jedoch Klöckners Verordnung ab, ebenso der Bundestag bereits im Oktober 2019 einen Antrag der Grünen, Wildtiere im Zirkus zu verbieten. Zahlreiche Gemeinden in Deutschland haben inzwischen beschlossen, keine öffentlichen Grundstücke mehr an Zirkusse zu vermieten, die Wildtiere oder bestimmte Wildtiere halten. Im Oktober 2016 waren es mehr als 50 Kommunen, im März 2017 bereits mehr als 70 Kommunen. Laut Angaben von PETA war Ansbach im Juni 2018 die 100. deutsche Stadt mit kommunalem Zirkus-Wildtierverbot. Die kommunalen Verbote sind jedoch rechtlich umstritten. Zumindest vorrangig ist der Gesetzgeber auf Bundesebene zuständig, der kein allgemeines Zirkus-Wildtierverbot kennt. Einige Zirkusbetreiber haben sich erfolgreich gegen kommunalen Verbote wehren können. Mehrere Verwaltungsgerichte haben geurteilt, dass eine Kommune nicht berechtigt sei, Zirkusaufführungen mit Wildtieren zu verbieten. Beispielsweise urteilten sowohl das Verwaltungsgericht Hannover im Januar 2017 als auch in zweiter Instanz das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht im März 2017, dass das Wildtierverbot der Stadt Hameln rechtswidrig sei. Die kommunalen Verbote können als politisches Signal an den Gesetzgeber aufgefasst werden, dass ein bundesweites gesetzliches Verbot von Wildtieren im Zirkus erwünscht sei. Mit dieser Begründung führt die Organisation PETA in ihrer Liste der kommunalen Verbote auch jene Städte weiterhin auf, deren Verbot für rechtswidrig erklärt wurde oder die ihr Verbot aufgrund der Rechtslage zurückgezogen haben. Viele Zirkusunternehmen sind ohnehin dazu übergegangen, Zahl und Bedeutung der Tiere im Zirkusprogramm zu verringern, sei es wegen der strenger werdenden tierschutzrechtlichen Anforderungen, wegen der anhaltenden öffentlichen Kritik und einer kritischen Einstellung in Teilen des Publikums oder auch wegen des hohen Aufwandes für die Tierhaltung. Es gibt mittlerweile einige Zirkusse, die ganz auf Tiere verzichten. So tritt der Circus Roncalli seit 2018 ohne Tierdarbietungen auf. Weltzirkustag An jedem dritten Samstag im April findet der World Circus Day (WCD) statt. Er wurde 2009 von der Fédération Mondiale du Cirque (Zirkus-Weltverband), deren Ehrenpräsidentin Prinzessin Stéphanie von Monaco ist, ins Leben gerufen und zielt darauf, den Zirkus an einem bestimmten Tag international zu feiern und all seine Facetten zu verdeutlichen. 2022 (16. April) wurde darauf aufmerksam gemacht, dass sich Artisten unterschiedlicher Herkunft, Sprache, Hautfarbe, Religion und politischer Gesinnung für eine Saison zusammenfinden, um das Publikum gemeinsam zu erfreuen. 2023 (15. April) waren alle Zirkusse aufgerufen, angesichts des anhaltenden Krieges die Zirkusse und Zirkusschulen in der Ukraine zu unterstützen. Siehe auch Flohzirkus Schausteller Fahrendes Volk Liste von Zirkusfilmen Zirkusmusical Literatur Geschichte Noel Daniel (Hrsg.): The Circus. 1870–1950. Taschen, Köln 2008, ISBN 3-8228-5153-1. Ernst Günther / Dietmar Winkler: Zirkusgeschichte: Ein Abriß der Geschichte des deutschen Zirkus. Henschel, Berlin 1986, ISBN 3-362-00060-6. Sylke Kirschnick: Koloniale Szenarien in Zirkus, Panoptikum und Lunapark. In: Ulrich van der Heyden, Joachim Zeller (Hrsg.) „… Macht und Anteil an der Weltherrschaft“ – Berlin und der deutsche Kolonialismus. Unrast, Münster 2005, ISBN 3-89771-024-2. Sylke Kirschnik: Manege frei! Die Kulturgeschichte des Zirkus. Theiss Verlag, Stuttgart 2012, ISBN 978-3-8062-2703-1. Rolf Lehmann: Circus. Magie der Manege. Hoffmann und Campe, Hamburg 1979. F. K. Mathys: Circus. Faszination gestern und heute. AT Verlag, Aarau 1986, ISBN 3-85502-251-8. Natias Neutert: Wo ist der Zirkus? Woanders! Eine Kritik in Die Zeit 16. November 1984. online Winfried Christian Schmitt / Volker W. Degener: Zirkus. Geschichte und Geschichten. Lentz, München 1991, ISBN 3-88010-228-7. Volkhard Stern: Der Zirkus kommt! Immer auf Achse – Zirkuszüge in Deutschland von 1900 bis 2000. EK-Verlag, Freiburg 2012, ISBN 978-3-88255-889-0. Dietmar Winkler: Zirkus in der DDR. Im Spagat zwischen Nische und Weltgeltung. Edition Schwarzdruck, Berlin 2009, ISBN 978-3-935194-30-3. Tierhaltung und Dressur C. Kröplin u. a.: Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen. Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Berlin 2009. online (PDF; 142 kB) Hans-Jürgen und Rosemarie Tiede: Die hohe Schule der Raubtierdressur. Freizeit-News, Kaufbeuren 1997, ISBN 3-928871-04-8. Klaus Zeeb: Wie man Tiere im Circus ausbildet. Enke, Stuttgart 2001, ISBN 3-7773-1937-6. Zirkusschulen Einzelne Unternehmen Franz Althoff: So’n Circus. Franz Althoff erzählt. Dreisam-Verlag, Freiburg im Breisgau 1982, ISBN 3-921472-55-5. Ernst Günther: Sarrasani – wie er wirklich war. Henschel, Berlin 1984. Werner Köhler / Edmund Labonté (Hrsg.): Circus Roncalli. Geschichte einer Legende. Hoffmann und Campe, Hamburg 1997, ISBN 3-455-11190-4. Klaus-Dieter Kürschner: Von der Menagerie zum größten Circus Europas: Krone. 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https://de.wikipedia.org/wiki/Droge
Droge
Das Wort Droge (auch Rauschdroge, Rauschmittel oder Rauschgift, von ‚Rausch‘; umgangssprachlich auch Stoff) bezeichnet jeden Wirkstoff, der kein Nahrungsmittel ist, sowie Zubereitungen aus solchen Wirkstoffen. Drogen sind also Substanzen, die in einem lebenden Organismus Funktionen zu verändern vermögen. Dies betrifft immer Funktionen der Psyche und meistens auch andere Körper­funktionen. Einige Drogen werden in Teilen der Welt traditionell als Genussmittel angesehen und von breiten Teilen der Gesellschaft konsumiert. Hierzu zählen unter anderem Alkohol (z. B. in Form von Bier, Wein oder Schnaps; siehe Alkoholkonsum), Nikotin (Tabak, siehe Rauchen), Koffein (Kaffee, Tee), Cannabis (Marihuana, Haschisch), Kokain (Kokablätter), Betel sowie Kath. Viele Genussmittel können bei entsprechender Dosierung zu einem veränderten Bewusstseinszustand führen und mit schädlichen Folgen bis hin zu Abhängigkeit und Tod verbunden sein. Es besteht keine allgemeine Einigkeit darüber, ob und in welchem Ausmaß Drogenkonsum gesellschaftlich und volkswirtschaftlich angemessen und tolerierbar ist. Durch nationale Gesetzgebung und internationale Abkommen sind Handel, Umlauf und Einnahme von Drogen weitgehend reglementiert und eingeschränkt. So führte die 1971 von den Vereinten Nationen beschlossene Konvention über psychotrope Substanzen zum weltweiten Verbot fast aller damals bekannter Drogen; Ausnahmen bildeten lediglich wenige, – meist in der westlichen Welt – bereits etablierte Drogen wie Alkohol, Nikotin und Koffein. Faktisch ist jedoch aufgrund der hohen Nachfrage nach anderen Drogen eine weltweite Schattenwirtschaft entstanden. Zum Begriff Die deutsche gemeinsprachliche Verwendung des Begriffs Droge unterscheidet sich von der im englischsprachigen Raum: Denn dort wird drug meist im Sinne von Arzneidroge benutzt und steht allgemein für Arzneistoffe. Recreational drugs dagegen sind jene Drogen, die statt zu therapeutischen Zwecken als Freizeitvergnügen (auch Freizeitdroge genannt) eingenommen werden. Dieser Begriff entspricht somit am ehesten dem deutschen Droge. Der Begriff Droge stammt vom niederländischen droog für trocken ab (vgl. auch das ursprünglich niederdeutsche und weitgehend bedeutungsgleiche Wort dröge). Das wiederum wurde als drogue ins Französische übernommen und gelangte von dort gegen 1600 als Lehnwort ins Deutsche. Die weitere Bedeutungsentwicklung verlief über die (mittel-)niederländische bzw. (mittel-)niederdeutsche Wendung droge vaten, was wörtlich trockene Fässer hieß und Behälter für Trockenwaren bezeichnete. Im weiteren Verlauf wurde das Adjektiv droge bzw. später droog allmählich als Ersatz für die Wendung gebraucht und bezeichnete schließlich nur noch den Inhalt solcher Behälter. Dies waren zu Zeiten der niederländischen Kolonialherrschaft insbesondere getrocknete Pflanzenprodukte, wie etwa Tee und Gewürze. Aus dieser Bedeutung entstand danach über den Umweg über das Französische sowohl die heutige deutsche Bedeutung des Wortes Droge als auch das englische drug, welches auch (und vor allem) im Sinne von Medikament gebraucht wird; siehe dazu auch das deutsche Wort Drogerie und den Artikel Droge (Pharmazie). „Betäubungsmittel“ ist in Deutschland ein Sammelbegriff für Substanzen unterschiedlicher Herkunft, Zusammensetzung und Wirkung, deren Anbau, Herstellung, Ein- und Ausfuhr, Vertrieb, Erwerb, Besitz und Handel unter Strafe gestellt sind, wenn keine Erlaubnis des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vorliegt. Die gemeinsprachliche Bezeichnung „Droge“ wird im Betäubungsmittelgesetz nicht genannt, ebenso die stark negativ konnotierte Bezeichnung „Rauschgift“. Drogenkonsum in Ur- und Frühgeschichte Der Gebrauch von Drogen lässt sich bereits für die Jungsteinzeit nachweisen. Schon um 6000 v. Chr. wurde Weinbau im westlichen Zentralasien betrieben, und spätestens 3000 v. Chr. wurde im alten Ägypten und in Mesopotamien Bier gebraut. Die Verwendung von Hanf als Faserpflanze ist für das 3. Jahrtausend v. Chr. belegt; von den Assyrern wurde Cannabis bereits in vorchristlicher Zeit als Räucherwerk verwendet und die berauschende Wirkung wird auch in den indischen Veden erwähnt. Im 4. Jahrtausend v. Chr. begann in Vorderasien die Kultivierung des Schlafmohns, von wo aus er sich im Mittelmeerraum sowie in Asien bis hin nach China verbreitete. Die Verwendung als schmerzstillendes und schlafförderndes Mittel ist für 1300 v. Chr. nachgewiesen. Auf der Grundlage linguistischer Analysen existieren Hinweise darauf, dass die Wirkung des Fliegenpilzes in Sibirien bereits vor mehr als 5000 Jahren bekannt war; auf 1000 bis 2000 v. Chr. datierte Felszeichnungen zeigen Figuren mit pilzartigen Köpfen. Hinweise auf den Gebrauch von psilocybinhaltigen Pilzen werden auf ca. 5000 v. Chr. datiert. In der Tassiliebene in Algerien wurden Felszeichnungen entdeckt, die pilzförmige Gottheiten zeigen. In Zentral- und Südamerika finden sich sogenannte Pilzsteine, die auf 1000 bis 500 v. Chr. datiert werden. Um 300 v. Chr. beschrieb Theophrastos von Eresos die psychoaktiven Eigenschaften des Stechapfels; ungefähr für dieselbe Zeit ist der Tabakgebrauch auf dem amerikanischen Kontinent belegt. Drogenkonsum im gesellschaftlichen Kontext Rituelle und religiöse Nutzung Eine Reihe von natürlich vorkommenden Drogen, die sogenannten Entheogene, werden traditionell in einem kultischen oder schamanischen Kontext genutzt, so etwa der Fliegenpilz in Sibirien, psilocybinhaltige Pilze von Ureinwohnern Südwestmexikos und Ayahuasca von den Amazonasindianern. Es existieren einige offiziell anerkannte Gemeinschaften, in denen der geregelte Gebrauch halluzinogener Substanzen eine zentrale Rolle einnimmt, etwa die Santo-Daime-Kirche und die Native American Church. Im Hinduismus ist der entheogene Gebrauch von Cannabis allgemein üblich; psychoaktive Hanfzubereitungen werden unter anderem auf religiösen Festen zu Ehren des Gottes Shiva konsumiert, welcher der Menschheit die Hanfpflanze überbracht haben soll. Nutzung zu Genuss- und Rauschzwecken Legale und illegale Drogen werden in weiten Teilen der Bevölkerung zu nichtkultischen und nichtmedizinischen Zwecken genutzt. Hierbei wird meist eine Intensivierung oder Veränderung des Erlebens, teilweise auch ein Rauschzustand angestrebt. In vielen Ländern gilt der Konsum von Drogen als kulturelle Tradition, in der westlichen Welt etwa das Trinken von Alkohol. Die Einbindung der Droge in die Gesellschaft soll nach Meinung einiger das Risiko von Abhängigkeit senken, welche sich sonst unbemerkt von der Umgebung ausbilden könnte. Diese Auffassung ist jedoch angesichts von in Deutschland etwa 1,5 bis 2,5 Millionen Alkoholkranken umstritten. Die größte Wahrscheinlichkeit eines ersten Kontakts mit Drogen besteht im Jugendalter, wobei Alkohol, Tabak und Cannabis mit Abstand am verbreitetsten sind. Nur ein kleiner Teil von Erstkonsumenten geht dabei zu einem regelmäßigen Konsum über. Rund ein Viertel der erwachsenen Deutschen und ebenso der Europäer allgemein haben in ihrem Leben mindestens eine illegale Droge konsumiert, wobei ebenfalls einmaliger oder seltener Konsum die Regel sind. In Regionen mit erheblichem Drogenkonsum lassen sich die Substanzen in kommunalen Abwässern nachweisen. Medizinische Nutzung Viele Drogen sind verkehrsfähige Medikamente, etwa Benzodiazepine, Antidepressiva und einige Opioide. Werden diese nicht wie vorgesehen eingesetzt, z. B. chronisch überdosiert, oder ohne Indikation eingenommen, spricht man von einem schädlichen Gebrauch (umgangssprachlich: Medikamentenmissbrauch). Drogenkonsum erfolgt oft auch als ein Versuch der Selbstmedikation, besonders bei einer bestehenden oder entstehenden psychischen Erkrankung. Einige Drogen verfügen über ein bedeutendes medizinisches Wirkungsspektrum, etwa bei der Behandlung von Cluster-Kopfschmerzen. Derzeit werden auch Einsatzmöglichkeiten von LSD, Psilocybin und MDMA in der Psychotherapie erforscht (siehe Psychotherapie mit Psychedelika). Cannabis ist mittlerweile in vielen Ländern, so auch Deutschland, als Arzneimittel zugelassen. Versuche, Ayahuasca in einem therapeutisch-rituellen Rahmen in Europa zu etablieren, sind gescheitert, da die weitgehende Ablehnung von Spiritualität innerhalb der westlichen Kultur eher einen rein genussmäßigen, konsumierenden Gebrauch von Substanzen befördert. Teilnehmer von Ayahuasca-Zeremonien fühlten sich daher fast immer überfordert. Weitere gesellschaftliche Funktionen Der Kulturhistoriker Mike Jay nennt in seinem Buch High Society diverse Funktionen von Drogen in heutigen und historischen Gesellschaften. So war es bei den Inkas ausschließlich Aristokraten gestattet, Kokablätter zu kauen, wodurch sie sich von der Allgemeinbevölkerung abhoben. In vielen Gesellschaften stellen oder stellten bestimmte Drogen als teures Luxusprodukt ein Statussymbol dar; in diesem Fall wohnt dem Konsum oft eine demonstrative Komponente inne (Geltungskonsum). Folglich werden statusbehaftete Drogen nicht nur im unmittelbaren privaten Umfeld, sondern auch in der Öffentlichkeit an Lokalitäten wie Clubs und Restaurants sowie während gesellschaftlicher Feierlichkeiten konsumiert. Ist der Drogenkonsum darüber hinaus ritualisiert, kann dadurch die Gemeinschaft, welche den Konsum durchführt, gestärkt werden. Klassifizierung Da die verschiedenen Wirkstoffe von Drogen komplexe, völlig verschiedenartige Wirkmechanismen und Effekte aufweisen, sind mehrere Formen der Klassifizierung möglich, wobei jede Klassifizierung nur bestimmte Aspekte einer Substanz betrachten kann. Zur Abschätzung der generellen Wirkung sowie möglicher Risiken einer Substanz ist es daher meist nötig, ihre Einordnung innerhalb mehrerer Klassifizierungen zu betrachten. Im Folgenden werden jeweils besonders verbreitete oder bekannte Substanzen beispielhaft aufgelistet. Ausführlichere Informationen finden sich in den entsprechenden Unterartikeln. Klassifizierung nach Stoffklasse Aufgrund der chemischen Struktur lassen sich Drogen verschiedenen Stoffklassen zuordnen. Viele Drogen können den Alkaloiden (stickstoffhaltigen organischen Verbindungen) oder den Terpenoiden (sauerstoffhaltigen Ableitungen des Isoprens) zugerechnet werden. Innerhalb einer Stoffklasse weisen die jeweiligen Wirkstoffe oft einen gemeinsamen Aspekt der Wirkung auf; so sind etwa alle Amphetamine unter anderem stimulierend und die meisten Tryptamine halluzinogen. Klassifizierung nach Wirkung Allen Rauschdrogen zugrundeliegende Wirkstoffe sind auch psychotrope Substanzen. Drogen lassen sich anhand ihrer pharmakologischen Zuordnung daher nach psychischer Wirkungsweise einteilen, wobei einige Drogen mehreren Gruppen angehören. Diese Klassifizierung ist die allgemeinste und am häufigsten verwendete; zur genaueren Abschätzung der zu erwartenden Wirkung kann die Stoffklasse hinzugezogen werden. Ein stark vereinfachter Ansatz unterteilt Drogen in Upper (stimulierende Substanzen), Downer (dämpfende Substanzen) und Halluzinogene (bewusstseinsverändernde Substanzen), wobei die Übergänge je nach Substanz und Dosierung fließend sein können. Klassifizierung nach Ursprung Drogen können sowohl direkt als Naturstoffe aus Lebewesen gewonnen, auf der Grundlage solcher Naturstoffe synthetisiert, wie auch vollsynthetisch hergestellt werden. Einige Nutzer von Drogen zeigen eine starke Präferenz, ausschließlich natürliche oder synthetische Drogen zu konsumieren, obwohl vergleichbare Substanzen beider Gruppen sich nicht zwangsläufig in ihrer pharmakologischen Potenz und Wirkungsweise unterscheiden. Insgesamt ist allerdings ein Trend hin zum Konsum synthetischer Drogen (vor allem amphetaminartiger Aufputschmittel) beziehungsweise zum Medikamentenmissbrauch (hier insbesondere Opioide und Benzodiazepine) zu beobachten. Dies ist eine direkte Folge des weltweiten Rückgangs des Koka- und Opiumanbaus. Zur Verbreitung halluzinogener Substanzen existieren hingegen bisher keine gesicherten Daten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Anzahl der Nutzer im Vergleich zu Nutzern reiner Upper und Downer relativ gering ist, da ein gewohnheitsmäßiger langfristiger Konsum aufgrund der intensiven bewusstseinsverändernden Effekte so gut wie auszuschließen ist. Es könnte allerdings durch die Erhältlichkeit psychoaktiver Pilze, Salvia divinorum und anderer Psychedelika in Smartshops seit den späten 1990er Jahren durchaus zu einer Popularisierung gekommen sein. Biogene pflanzliche Drogen Die meisten traditionell genutzten Drogen sind pflanzlichen Ursprungs. Fast alle als oder für Drogen verwendeten Pflanzen werden gezielt gezüchtet und angebaut. Meist werden Pflanzenteile direkt konsumiert (durch Verzehr, Rauchen oder Bereitung eines Aufgusses) oder als wirksamer Bestandteil einer Zubereitung verwendet. Bei einigen biogenen Drogen ist es in Hinsicht auf die Erlangung eines Rauschzustandes üblich, den Hauptwirkstoff zwecks Wirkungsverstärkung oder besserer Dosierbarkeit zu extrahieren. Dies kann durch Überführung in eine Lösung und anschließendes Trennen geschehen, oder auch durch die direkte Verdampfung des Wirkstoffs in einem Vaporizer. Trotz der recht hohen Anschaffungskosten werden Vaporizer von einigen Nutzern biogener Drogen zum Konsum verwendet, vorwiegend weil das Rauchen von Pflanzenteilen aus gesundheitlichen Gründen abgelehnt wird. Biogene Drogen aus Pilzen Pilzdrogen gehören zu den ältesten Drogen der Menschheit und wurden aufgrund ihrer vorwiegend psychedelischen Wirkungen bereits in der Jungsteinzeit in schamanischen und religiösen Zusammenhängen genutzt. Psychoaktive Pilze werden oft in der Natur gesammelt, zum Teil aber auch im kleinen Maßstab gezüchtet. Es werden fast immer die Fruchtkörper direkt verzehrt, manchmal auch die Sklerotia. Halbsynthetische Drogen Einige Wirkstoffe von Drogen werden ausgehend von Naturstoffen synthetisiert. Auch einige an sich biogene Drogen (z. B. Kokain) können durch Teilsynthese aus natürlichen Vorläuferstoffen hergestellt werden. Hierzu ist zumindest ein grundlegend ausgestattetes Chemielabor sowie Zugang zu Ausgangschemikalien nötig, welche ihrerseits aufgrund eben der Möglichkeit der Herstellung illegaler Drogen gesetzlich reguliert sein können. Trotz dieser Hindernisse bedienen zahlreiche versteckt betriebene Labors, umgangssprachlich mitunter als Drogenküchen bezeichnet, die Nachfrage nach illegalen halb- und vollsynthetischen Drogen. Synthetische Drogen Sehr viele Drogen werden ohne Zuhilfenahme eines natürlichen Ausgangsstoffs vollsynthetisch hergestellt. In diese Kategorie fallen viele ursprünglich als Medikament entworfene Substanzen sowie die meisten verkehrsfähigen Medikamente, aber auch sogenannte Designerdrogen bzw. research chemicals, welche gezielt auf eine Rauschwirkung und/oder die Umgehung vorhandener Substanzgesetzgebung hin konzipiert wurden. Die Einnahme erfolgt meist oral, oft auch durch die Nase (schnupfen, ziehen). Klassifizierung nach hart und weich Die Unterscheidung zwischen hart und weich stellt den Versuch dar, das Gefährdungspotenzial bestimmter Drogen, vor allem in Hinblick auf die rechtliche Einstufung, in einem zweigliedrigen Schema abzubilden. Dieser Ansatz ist umstritten. Populär wurde diese Klassifizierung in erster Linie durch die öffentliche Diskussion sowie die mediale Berichterstattung aus dem Justizumfeld. Ihren Ursprung und die konkrete Anwendung findet die Unterteilung im niederländischen Opiumgesetz (niederländisch: Opiumwet), siehe Weiche Droge (Niederländisches Recht). Klassifizierung nach Schadenspotenzial Die Risikobewertung auf Basis evidenzbasierter Methoden ist schwierig. Ein möglicher Ansatzpunkt ist der Vergleich von Todesfällen und Konsumeinheiten. Nach Angaben der Bundesregierung sterben in Deutschland jährlich rund 74.000 Menschen an den direkten und indirekten Folgen von Alkoholmissbrauch. Gleichzeitig wird von einem jährlichen Pro-Kopf-Verbrauch von zehn Litern reinen Alkohols pro Person (in der Bevölkerung ab 14 Jahren) ausgegangen, was somit einem Todesopfer auf ca. 9.000 bis 10.000 konsumierte Liter reinen Alkohols entspricht. Ausgehend von einem Alkoholgehalt von 4,8 Prozent fordern somit in Deutschland – rechnerisch – je knapp 600.000 kleine Bier (0,33 L) ein Todesopfer. Demgegenüber steht ein Todesopfer dem Konsum von – je nach Untersuchung – 1.000.000 bis 17.000.000 Ecstasy-Pillen gegenüber. Problematisch bei diesem Ansatz ist, dass zwar die Zahl der drogenbezogenen Todesfälle bekannt ist, nicht jedoch immer die Zahl der Konsumenten. (Siehe hierzu auch den Abschnitt „Tod“ unten). Im März 2007 wurde in der renommierten medizinischen Fachzeitschrift The Lancet eine von einem Forscherteam um David Nutt durchgeführte Studie veröffentlicht. Darin wurden drei Hauptfaktoren definiert, die das Schadenspotenzial des Konsums einer Droge ausmachen: der (körperliche und gesundheitliche) physische Schaden für das Individuum, den die Droge verursachen kann; das potenzielle Ausmaß der Abhängigkeit des Individuums von der Droge; die möglichen Auswirkungen des Drogengebrauchs auf die Familie, die Gemeinde und die Gesellschaft, in welcher der Drogennutzer lebt, also der soziale Schaden. Jede dieser Kategorien ist wiederum in drei Unterkategorien unterteilt. Psychiater und unabhängige Experten vergaben für alle Substanzen 0 bis 3 Punkte in jeder Unterkategorie. Die gemittelten Bewertungen aller Kategorien wurden für jede Substanz addiert, um einen Wert für das generelle Schadenspotenzial zu erhalten. Beachtenswert ist, dass im Ergebnis die legalen Drogen Alkohol und Tabak unter den zehn schädlichsten Drogen zu finden sind. Nutt, damaliger Drogenbeauftragter der britischen Regierung, kritisierte aus diesem Grunde die Drogenpolitik als „den Erkenntnissen der Forschung widersprechend“, woraufhin er seines Amtes enthoben wurde. In Deutschland verursachen alleine diese beiden Drogen zusammen mehr als 99 Prozent der Todesfälle durch Drogenkonsum. (Siehe hierzu den Abschnitt „Tod“ unten). Im November 2010 wurde im Lancet eine Folgestudie basierend auf verbesserter Methodik veröffentlicht. Das Schadenspotenzial setzte sich nunmehr aus 16 gewichteten Einzelfaktoren zusammen, welche sich auf die Gruppen physischer, psychischer und sozialer Schaden innerhalb der Dimensionen Selbstschädigung und Fremdschädigung verteilen. Als Droge mit dem insgesamt größten Schadenspotenzial wurde Alkohol mit einer Bewertung von 72 von 100 Punkten identifiziert, gefolgt von Heroin (55) und Crack (54). Das hohe Schadenspotenzial von Alkohol insbesondere in der Dimension Fremdschädigung lässt sich vermutlich teilweise mit der leichten Verfügbarkeit und dem weit verbreiteten und gesellschaftlich tolerierten Konsum erklären. Andere Drogen mit insgesamt hoher Risikobewertung weisen hingegen ein höheres absolutes Selbstschädigungspotenzial auf. Dies dürfte vor allem auf die bei diesen Drogen ausgeprägte Gefahr einer schnellen Abhängigkeitsentwicklung zurückzuführen sein. Gesundheitliche Risiken Schädlicher Gebrauch und Abhängigkeit Viele Drogen können unter geeigneten Voraussetzungen eine psychische oder neurochemische Abhängigkeit hervorrufen, welche umgangssprachlich oft mit dem veralteten Begriff Sucht bezeichnet wird. Verschiedene Faktoren haben einen Einfluss darauf, ob und wie schnell eine Abhängigkeit entsteht. So spielt bei Crack die kurze Wirkdauer von ca. 10 Minuten, bei gleichzeitiger Stimulation des Belohnungszentrums, eine entscheidende Rolle bei der Abhängigkeitsentwicklung. Die individuelle Persönlichkeitsstruktur und Lebenssituation sind in jedem Fall von besonderer Bedeutung; prinzipiell kann jedoch bei entsprechender persönlicher Prädisposition fast jede rauscherzeugende Substanz dahingehend verwendet werden, dass es zu einer psychischen Abhängigkeit oder Gewohnheitsbildung kommt. Heroin, Tabak und Crack gehören hierbei zu den abhängigkeitsgefährlichsten Substanzen, bereits wenige Dosen können eine sehr starke Abhängigkeit nach sich ziehen. Je nach neurochemischer Wirkungsweise und Einnahmedauer kann es beim Absetzen bestimmter Drogen zu einem psychischen oder körperlichen Entzugssyndrom kommen. Hierzu zählen unter anderem Drogen, welche primär auf das Dopaminsystem und dort insbesondere auf das Belohnungszentrum wirken (z. B. Kokain, Crack und Amphetamin), ferner Agonisten am µ-Opioidrezeptor (z. B. Heroin, Codein und Tramadol), Agonisten am Nikotinischen Acetylcholinrezeptor (Alkohol und Nikotin), sowie Agonisten am GABA-Rezeptor (Benzodiazepine, Barbiturate und GBL). Bei Nichtverfügbarkeit oder Selbstentzug einer Droge, von der eine Abhängigkeit besteht, kann es zum Ausweichen auf eine andere Droge und damit zu einer Abhängigkeitsverlagerung kommen. Die gleichzeitige Abhängigkeit von mehreren Drogen ist ebenfalls möglich und wird als Polytoxikomanie bezeichnet. Von einer Abhängigkeit Betroffenen steht die Möglichkeit zur Verfügung, eine Drogenberatung oder Selbsthilfegruppen wie z. B. Narcotics Anonymous oder die Anonymen Alkoholiker aufzusuchen. In schweren Fällen kann eine Entziehungskur oder Substitutionstherapie, üblicherweise im Rahmen einer Drogentherapie, vorgenommen werden. In Drogen-Notfällen können Selbst- und Fremdgefährdung auftreten. Hierbei ist Bewusstlosigkeit nach Drogenkonsum für den Konsumenten eine Gefahr. Weiterhin stellt das „Verdünnen“ von Drogen mittels Streckungsmitteln, um den Profit zu steigern, ein Gesundheitsrisiko dar, wenn die Streckungsmittel schädliche Substanzen mit für Konsumenten unbekannten (Neben)Wirkungen sind, wie etwa Phenacetin, Levamisol und Lidocain in Kokain. Da jeder Zwischenverkäufer unterschiedliche Streckungsmittel einsetzen kann, können diese auch als Indikator fungieren und eventuell den Transportweg der Drogen nachvollziehbar machen. Nach Substanz Auch als Genussmittel akzeptierte legale Drogen sind nicht frei von Risiken und keineswegs als harmlos zu betrachten. So kann der Konsum großer Mengen Alkohol zu einer gefährlichen, im schlimmsten Fall tödlichen Alkoholvergiftung führen; chronischer Alkoholmissbrauch kann unter Umständen schwere Leberschäden, Hirnschäden (Korsakow-Syndrom), sowie diverse Krebserkrankungen und Formen der Alkoholpsychose, wie z. B. die Alkoholhalluzinose (ICD-10 F10.52) nach sich ziehen. Tabakrauch enthält mehr als 4000 z. T. zell- und erbgutschädigende sowie krebserregende Substanzen. Ferner kann Rauchen direkt oder indirekt alle Organsysteme des Körpers schädigen und ist die Hauptursache für Lungenkrebs. Psychedelika wie LSD oder psilocybinhaltige Pilze sind aufgrund ihrer Wirkungsweise und des kaum vorhandenen Missbrauchspotenzials weitestgehend frei von körperlichen wie auch psychischen Risiken. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass bei entsprechender Veranlagung u. U. eine substanzinduzierte Psychose oder eine bereits angelegte Schizophrenie ausgelöst wird. Bei Cannabisprodukten sind die Gesundheitsrisiken ebenfalls relativ niedrig anzusetzen. Wird Cannabis geraucht, entstehen bei seiner Verbrennung ähnlich wie beim Tabak karzinogene Stoffe, doch gibt es – im Gegensatz zum Tabakrauch – keine Belege dafür, dass Cannabisrauch (ohne Tabakrauch) Krebs auslösen kann. Die Weltgesundheitsorganisation benennt epidemiologische Beweise dafür, dass der Cannabiskonsum das Risiko von Lungen-, Kopf- und Halskrebs nicht erhöht. Wird Cannabis allerdings zusammen mit Tabak geraucht konsumiert, setzt sich der Konsument grundsätzlich den gleichen oder unter Umständen sogar nochmals verstärkten Risiken wie beim Tabakrauchen aus. Aus diesem Grunde erfreuen sich Joints ohne Tabak sowie Vaporizer unter Cannabisnutzern zunehmender Popularität. Bei einzelnen Drogen kann hingegen bereits der Gebrauch üblicher Mengen, selbst bei einmaliger Einnahme, zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Insbesondere gewohnheitsmäßiger hochdosierter Konsum solcher Drogen kann den Körper schädigen, Folgekrankheiten verursachen und die Lebenserwartung senken. So kann z. B. eine Überdosis an Heroin oder anderen Opioiden akut lebensgefährlich sein, auch bei Menschen, die durch regelmäßigen Konsum und entsprechende Ausbildung einer Opioidtoleranz körperlich an die Substanz gewöhnt sind. Selbst eine relativ geringe Dosis kann ohne ausgebildete Toleranz gefährliche körperliche Auswirkungen haben. Hierbei sind auch Drogennutzer gefährdet, die nach längerer Abstinenz erneut Opioide konsumieren. Mischkonsum Der gleichzeitige Konsum mehrerer Drogen kann ein großes akutes Gesundheitsrisiko darstellen, weil er je nach Kombination und Dosierung eine signifikante Belastung des Organismus nach sich ziehen kann. Auch mit eingenommenen Medikamenten können während eines Mischkonsums Wechselwirkungen auftreten. Schlimmstenfalls ist ein medizinischer Notfall die Folge. Allerdings lassen sich derartige Risiken erheblich verringern, indem generell von besonders riskantem Mischkonsum abgesehen oder zumindest nur ein Bruchteil der sonst üblichen Dosierung der Einzelsubstanzen eingenommen wird. Drogen in der Schwangerschaft Fast jeglicher Drogenkonsum in der Schwangerschaft, also auch das Trinken von Alkohol, kann Fruchtschäden zur Folge haben, bis hin zu einer Fehlgeburt oder lebenslangen gesundheitlichen Einschränkungen des Kindes. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft ist die häufigste nicht genetisch bedingte Ursache für geistige Behinderungen, etwa aufgrund eines fetalen Alkoholsyndroms. Doch auch ein Substanzentzug während der Schwangerschaft kann für Mutter und Ungeborenes gefährlich sein, daher ist in jedem Fall eine ärztliche Betreuung vonnöten. Unter Umständen ist ein völliges Absetzen der Drogen – auch Alkohol – kontraindiziert und die werdende Mutter muss stattdessen substituiert werden. Kinder von drogenabhängigen Müttern werden oft mit Entzugserscheinungen geboren. Tod Jährlich sterben in Deutschland geschätzt 121.000 Menschen an den Folgen des Tabakkonsums sowie 74.000 an den Folgen des Alkoholkonsums. Dem steht die geringere Zahl von rund 1000 Menschen gegenüber, die pro Jahr an den Folgen des Konsums von illegalen Drogen sterben. Drogenkriminalität Illegale Drogen Umgangssprachlich werden in Deutschland als illegale Drogen Substanzen bezeichnet, welche als nicht verkehrsfähig in des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) aufgeführt sind, deren Handel und Abgabe also grundsätzlich strafbar ist. Auch der Umgang mit Substanzen aus BtMG (verkehrsfähige, aber nicht verschreibungsfähige Betäubungsmittel) ohne Erlaubnis der Bundesopiumstelle ist strafbar. Die Straftaten sind nach , , , , BtMG geregelt. Andere Drogen werden als legal bezeichnet, selbst wenn Handel beziehungsweise Abgabe Beschränkungen unterliegen, wie z. B. verkehrsfähige und verschreibungsfähige Betäubungsmittel der des BtMG. Abgesehen von der expliziten Aufführung als nicht verkehrsfähig in den Anlagen des BtMG kann die Herstellung und das Inverkehrbringen von Drogen, sofern diese der Definition des Arzneimittelbegriffes entsprechen, den Regelungen des Arzneimittelgesetzes (AMG) unterliegen. Legale Drogen Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofs und bestätigt durch den Bundesgerichtshof fallen sogenannte neue psychoaktive Substanzen (Legal Highs), welche nicht in Anlage I–III des BtMGs aufgeführt sind, z. T. ausdrücklich als legaler Ersatz für Cannabis vertrieben werden und keinen unmittelbaren gesundheitlichen Nutzen haben, nicht unter den Arzneimittelbegriff. In seinem Urteil verfügte der Europäische Gerichtshof abschließend: Im Gegenzug hat das Bundeskabinett am 4. Mai 2016 den „Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Verbreitung neuer psychoaktiver Stoffe“ vorgelegt (NpSG). Die Weitergabe steht inzwischen unter Strafe. Das NpSG enthält in Ergänzung zum einzelstofflichen Ansatz des Betäubungsmittelgesetzes eine Stoffgruppenregelung, um NPS zukünftig rechtlich effektiver begegnen zu können. Kritiker eines Legal High-Verbotes sehen jedoch die Gefahr, dass der illegale Drogenhandel auf offener Straße sowie die Beschaffungskriminalität zunehmen werden, und dass Legal Highs ähnlich illegalen Drogen mit Streckmitteln ergänzt werden. Das NpS-Gesetz bereitet auch nach Worten der Münchner Oberstaatsanwältin Susanne Wosylus „in der praktischen Anwendung große Schwierigkeiten“, da Abs. 1 NpSG nur den Handel, das Inverkehrbringen und das Verabreichen, aber nicht den Besitz, Erwerb oder Konsum von neuen psychoaktiven Substanzen unter Strafe stellt. Die beiden Stoffgruppen von NPS, die dem Verbot unterliegen, sind in der Anlage des Gesetzes aufgeführt: Von 2-Phenylethylamin abgeleitete Verbindungen (d. h. mit Amphetamin verwandte Stoffe, einschließlich Cathinone) Cannabinoidmimetika / synthetische Cannabinoide (d. h. Stoffe, die die Wirkung von Cannabis imitieren) Besitz geringer Mengen Der Besitz einer (rechtlich definierten) geringen Menge einer illegalen Droge (umgangssprachlich: Eigenbedarf) führt nicht zwangsläufig zu einer Anklage oder Strafverfolgung, sofern die Droge zum Eigenverbrauch bestimmt ist und keine Fremdgefährdung vorliegt. In einem solchen Fall kann von einem öffentlichen Interesse an einer Strafverfolgung nicht ausgegangen werden und es kann von einer Anklage abgesehen oder ein bereits laufendes Verfahren eingestellt werden. In jedem Fall wird die Droge beschlagnahmt, da die enthaltene Wirkstoffmenge labortechnisch festgestellt werden muss. Der Besitz größerer Mengen wird als Verbrechen verfolgt. Nachweis Bei Verdacht auf Drogenkonsum, insbesondere während einer Verkehrskontrolle, kann die Polizei den Anfangsverdacht mittels eines Alkoholtests respektive Drogenwischtests verifizieren. Da die Schnelltests mit einer gewissen Unsicherheit behaftet sind, sind für ein rechtskräftiges Ergebnis darüber hinaus eine Blut- oder Urinprobe erforderlich. Im Rahmen einer MPU, aber auch bei bloßer aktenkundiger Einnahme illegaler Drogen, kann nach positivem Befund ein sogenanntes Screening angeordnet werden, wobei als Abstinenznachweis über den Zeitraum eines halben bis einen Jahres mehrere Urinproben beziehungsweise Haaranalysen durchgeführt werden. Die Termine werden jeweils kurzfristig anberaumt, damit möglicherweise konsumierte Substanzen mit hoher Sicherheit nachgewiesen werden können. Politische Situation Drogenpolitik Im Bericht 2014 des nationalen REITOX-Knotenpunkts der Deutsche Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht an die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht wird der Begriff Drogenpolitik für Deutschland folgend definiert: Zwischenstaatliche Abkommen Als Resultat der Internationalen Opiumkonferenzen von 1912 und 1925, welche auf Initiative der USA hin stattfanden, wurde zunächst eine strenge Kontrolle der Produktion und des Handels von Morphin (Morphium) sowie Kokain beschlossen, später wurde Letzteres, darüber hinaus auch Heroin, völlig unter Prohibition gestellt. Der Export und die Einfuhr von Cannabis zu medizinischen und wissenschaftlichen Zwecken blieb teilweise erlaubt. Das Einheitsabkommen über die Betäubungsmittel von 1961 schließlich legte die Basis für die bis heute bestehende weltweite Kontrolle bestimmter Drogen. Neben synthetischen Opioiden wurden ab 1971 in der Konvention über psychotrope Substanzen auch Psychedelika, Barbiturate und Benzodiazepine reglementiert. 1988 wurde das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen den unerlaubten Verkehr mit Suchtstoffen und psychotropen Stoffen verabschiedet, welches die unterzeichnenden Staaten verpflichtet, strafrechtlich gegen die unerlaubte Produktion und den unerlaubten Handel mit sogenannten Betäubungsmitteln vorzugehen. Mittlerweile ist in drei indischen Bundesstaaten der Anbau von Schlafmohn zur Opiumgewinnung legal möglich. Aus dem Rohopium werden Morphin und Codein für den Export in westliche Staaten gewonnen. Trotz der strengen Auflagen und Kontrollen gelangt ein Teil des Opiums auf den Schwarzmarkt, hauptsächlich zur Synthese von Heroin für den europäischen und russischen Markt. Eine Legalisierung des Opiumanbaus wird dennoch auch für Afghanistan erwogen, da dieser einen wichtigen Wirtschaftszweig des Landes darstellt und ein repressives Vorgehen sehr vielen Bauern die Lebensgrundlage entziehen würde. Staatliche Maßnahmen bezüglich Konsum und illegalen Handels Von allgemein akzeptierten Volksdrogen abgesehen verfolgen viele Staaten eine repressive Prohibitionspolitik. In den meisten westlichen Ländern sind Herstellung, Besitz und Handel mit illegalen Drogen grundsätzlich unter Strafe gestellt, allerdings kann z. B. in den Niederlanden oder Deutschland bei Besitz einer geringen Menge illegaler Drogen, im Regelfall Cannabis, von der Strafverfolgung abgesehen oder das Verfahren nach Ermessen des Richters eingestellt werden. Die USA verfolgen im Rahmen des War on Drugs weiterhin eine sehr repressive und auch außenpolitisch agierende Drogenpolitik; insbesondere kam es wiederholt zu militärischen Interventionen in den Andenstaaten aufgrund des dortigen Koka-Anbaus und des Schmuggels großer Mengen von Kokain. Seit den 1990er Jahren tobt zudem in Mexiko ein regelrechter Krieg unter und zwischen Drogenkartellen, Militär und Polizei, dessen Ende nicht abzusehen ist. Insgesamt bleibt festzustellen, dass selbst groß angelegte und mit aller Härte durchgeführte Maßnahmen zur Eindämmung des illegalen Drogenhandels und -konsums weitgehend erfolglos geblieben sind. Legalisierung Die Möglichkeit einer kontrollierten Legalisierung des Besitzes, der Produktion und der Weitergabe von bislang illegalen Drogen wird diskutiert, wobei das Hauptaugenmerk auf Cannabis liegt. Die Debatte ist überwiegend stark ideologisch gefärbt, was eine Lösungsfindung sehr erschwert; selbst gemäßigte Positionen werden mitunter heftig angegriffen. Argumente sind teilweise schwer verifizier- oder widerlegbar, da die wissenschaftliche Forschung an illegalen Drogen durch die rechtliche Lage erschwert ist, oder aber Forschungsergebnisse ignoriert oder ausschließlich im eigenen Sinne ausgelegt werden. Dennoch wurden seit den 1990er Jahren in einigen Ländern experimentelle Vorhaben zur zumindest teilweisen Entkriminalisierung des Besitzes illegaler Drogen umgesetzt. Die freizügigste Gesetzgebung innerhalb Europas herrscht derzeit in Portugal, wo die Regierung 2001 den Besitz aller illegalen Drogen, auch solcher mit hohem Abhängigkeitspotenzial, komplett entkriminalisierte; der Besitz konsumüblicher Mengen ist nunmehr ausschließlich eine Ordnungswidrigkeit. Mehreren in den Folgejahren durchgeführten Studien nach ist seitdem der Konsum illegaler Drogen in Portugal insgesamt weder nennenswert gestiegen noch gesunken, noch setzte ein Drogentourismus ein. Jedoch hat der Konsum besonders abhängigkeitsgefährlicher Drogen deutlich abgenommen, während bei Cannabiskonsum ein Anstieg zu verzeichnen ist. Zudem werden Behandlungsangebote eher in Anspruch genommen. Inwieweit sich diese Ergebnisse auf andere europäische Staaten übertragen lassen, wird noch untersucht. In Neuseeland trat im Juli 2013 eine überarbeitete Fassung des Psychoactive Substances Act in Kraft, welche nunmehr auch Designerdrogen bzw. Legal Highs auf Basis wissenschaftlicher Evidenz reguliert. Diese Art Drogen dominiert in Neuseeland im Besonderen den Markt, da das Land aufgrund seiner abgeschiedenen Lage und der geringen Einwohnerzahl nicht nennenswert in den internationalen Handel mit etablierten Drogen eingebunden ist. Neuartige synthetische Drogen müssen hierbei ähnlich Medikamenten umfangreiche Tests auf Toxizität und Unbedenklichkeit durchlaufen, bevor sie zugelassen werden und legal verkauft werden dürfen. Dieser Schritt wurde global mit einigem Interesse zur Kenntnis genommen, da die zunehmende Geschwindigkeit, mit der ständig neue Designerdrogen auf dem Markt erscheinen, eine ernste Herausforderung für Gesetzgeber darstellt. Als erstes Land der Welt reguliert Uruguay seit Mai 2014 vollständig die Produktion und den Vertrieb von Cannabis. Registrierte Konsumenten können pro Monat bis zu 40 Gramm Marihuana aus Apotheken beziehen; auch der Selbstanbau von bis zu sechs Hanfpflanzen ist legal möglich. Hierdurch erhofft sich das südamerikanische Land ein effizienteres Vorgehen gegen Drogenkartelle, da legales Marihuana zu einem Bruchteil des Schwarzmarktpreises angeboten werden kann. Cannabis für medizinische Zwecke ist aktuell (2022) in 37 Bundesstaaten der USA sowie dem Bundesdistrikt Washington, D.C. legal. Cannabis zum Freizeitgebrauch ist aktuell (2021) in 18 US-Bundesstaaten und Washington, D.C. legal. Die Freigabe von Cannabis begann 1996 in Kalifornien mit der Freigabe für medizinische Zwecke. Cannabis zum Freizeitgebrauch wurde erstmals im Jahr 2012 legalisiert (Bundesstaaten Colorado und Washington). In Kanada wurde Cannabis zum Freizeitgebrauch 2018 legalisiert. Das Verfassungsgericht Südafrikas hat im September 2018 den Anbau von Cannabis zum Eigenverbrauch sowie den Konsum von Cannabis außerhalb der Öffentlichkeit legalisiert. Auch EU-Staaten arbeiten zurzeit an der Legalisierung von Cannabis. In Malta wurde im Dezember 2021 der Besitz und Anbau von Cannabis zum Eigenbedarf legalisiert. Die Ampelkoalition, die sich nach der Bundestagswahl 2021 in Deutschland gebildet hat, hat in ihrem am 24. November 2021 veröffentlichten Koalitionsvertrag festgelegt, dass die kontrollierte Abgabe von Cannabis an Erwachsene zu Genusszwecken in lizenzierten Geschäften legalisiert wird. In Italien wird an einem Gesetzentwurf gearbeitet, der den Anbau von bis zu vier Cannabispflanzen legalisieren soll. In Mexiko wurde der Anbau von Cannabis 2021 durch das Verfassungsgericht freigegeben – eine Regelung durch den Gesetzgeber steht jedoch noch aus. In Israel wurde 2021 in der Knesset über die Legalisierung von Cannabis abgestimmt. Der Gesetzentwurf verfehlte nur knapp die Mehrheit. Zunehmend schalten sich auch prominente Persönlichkeiten in die Legalisierungsdebatte ein. So sprach sich der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter in der New York Times gegen den Drogenkrieg aus, nachdem der Erstbericht der wenige Monate zuvor von ehemaligen Politikern und Menschenrechtlern gegründeten Global Commission on Drug Policy erschienen war. In diesem wird auf die effektive Unwirksamkeit repressiver politischer Maßnahmen hingewiesen, welche in erster Linie keinesfalls zu einer Konsumverminderung, sondern zu einer Ausgrenzung und Stigmatisierung nicht-fremdschädigender Konsumenten führen. Parallel dazu wird die Ausbildung organisierter krimineller Strukturen begünstigt, während Produktion, Handel und Konsum illegaler Drogen im Gegenzug kontinuierlich gestiegen sind. Die detaillierte Analyse eines hochkarätig besetzten Expertenausschusses der London School of Economics and Political Science kommt zu ähnlichen Ergebnissen, wobei darüber hinaus angemerkt wird, dass trotz Prohibition der Straßenpreis illegaler Drogen gesunken und die Reinheit gestiegen sei. Als Folgen repressiver Drogenpolitik werden politische Destabilisierung ganzer Staaten, Korruption, ausufernde Gewalt, bewaffnete Konflikte, massenhafte Menschenrechtsverletzungen, globale Knappheit an Schmerzmitteln sowie HIV-Epidemien benannt. Anbau, Herstellung und Handel illegaler Drogen Viele Drogen (vornehmlich Marihuana und Stimulanzien wie Amphetamin und Ecstasy) werden überwiegend und zunehmend in dem Land produziert, in dem sie auch konsumiert werden, und tragen damit nicht wesentlich zum internationalen Drogenhandel bei. Dies verhält sich bei Drogen anders, deren weltweite Produktion sich auf wenige Länder oder Regionen konzentriert; hier sind insbesondere das aus dem Opium hergestellte Heroin sowie das Kokain bedeutsam. Der mit Abstand weltweit bedeutendste Opiumproduzent ist Afghanistan, gefolgt von Myanmar, Mexiko und Kolumbien. Die Hauptabnehmer für Heroin sind Westeuropa, wohin die Droge über den Iran, die Türkei und den Balkan gelangt, sowie Russland. Kokain wird vor allem in den Andenstaaten produziert, wobei Kolumbien, Peru und Bolivien die größten Erzeuger sind. Das Kokain wird über Transitländer in Mittelamerika beziehungsweise der Karibik zu den Hauptabnehmern Nordamerika und Europa geschmuggelt. Zum Endverbraucher gelangen illegale Drogen zumeist im klassischen Straßenhandel über Kleindealer. Eine zunehmende Rolle spielt der Drogenhandel im Internet; per verschlüsselten Netzwerken wie Tor erreichbare Darknet-Märkte stellen hierfür eine anonyme Plattform dar. Prävention und Safer Use Der Begriff Prävention umfasst im Zusammenhang mit der Nutzung von Drogen jegliche Maßnahmen der Schadensvermeidung. Von offizieller Seite wird zu diesem Zweck fast immer ein völliger Konsumverzicht propagiert, welcher jedoch oft keine gewünschte oder mögliche Option ist. Daher existieren verschiedene weitere Ansätze, mögliche Risiken des Drogenkonsums und das Auftreten riskanter Konsummuster zu minimieren. Durch die chemische Analyse einer Droge (Drug-Checking) lässt sich ermitteln, ob tatsächlich die Substanz enthalten ist, die der Erwartung eines potenziellen Konsumenten entspricht. Das Testen von ausschließlich auf dem Schwarzmarkt erhältlichen Drogen ist eine Maßnahme zur Schadensminderung, da Konsumenten vor besonders gefährlichen Wirkstoffen, eventuellen schädlichen Beimengungen oder zu hoch dosierten Präparaten gewarnt werden können. Drug-Checking ist sowohl als Schnelltest mit beschränkter Aussagekraft als auch als qualitativ hochwertiger Labortest möglich. Allerdings sind alle staatlichen Labore in Deutschland angewiesen, keine Proben von zivilen Organisationen anzunehmen. Unter Safer Use werden Maßnahmen verstanden, welche die vermeidbaren Schäden beim Drogenkonsum minimieren. So ist bei nasalem Konsum oder intravenösem Gebrauch einer Droge (Slamming) das Risiko einer Infektion über die Schleimhäute bzw. die Blutbahn gegeben. Konsumenten wird daher die Möglichkeit geboten, Spritzentausch in Anspruch zu nehmen und auf Partys saubere Schnupfröhrchen zu beziehen. Gesundheitshinweise zum Konsum von Drogen, z. B. Dosierungshinweise oder Informationen zu möglichen schädlichen Wechselwirkungen bei Mischkonsum, werden ebenfalls als Safer Use bezeichnet. Die Aufklärung in Hinsicht auf gefahrenminimierenden Konsum wird häufig als Aufruf zum Drogenkonsum kritisiert, andererseits wird von Safer-Use-Organisationen auf den trotz gesetzlicher Beschränkungen stattfindenden Konsum verwiesen, und dass man eine gefährliche durch die Illegalität der Substanzen und die daraus folgende Tabuisierung entstandene Informationslücke schließe. Siehe auch Kategorie: Psychotrope Substanz Allgemeines Drogenszene Drogen-Glossar Coffeeshop (Niederlande) Drogenmündigkeit Growshop Psychedelische Kunst Psychedelic Rock Psytrance Gesundheitliches Abhängigkeit (Medizin) Co-Abhängigkeit Coffeinismus Opiatabhängigkeit Schädlicher Gebrauch von Benzodiazepinen Substanzungebundene Abhängigkeit Suchtmedizin Tabaksucht Toleranzentwicklung Überdosis Politisches Alkoholprohibition in den Vereinigten Staaten Drogenbeauftragter der Bundesregierung Erster und Zweiter Opiumkrieg Schildower Kreis Schwedische Alkoholpolitik Rechtliches Cannabis Social Club Opioid-Ausweis Recht auf Rausch Rechtliche Aspekte von Hanf Literatur Alfred Hasterlik: Von Reiz- und Rauschmitteln. Unsere wichtigsten Genussmittel nach Zusammensetzung, Gewinnung und Mengen. Franckh’sche Verlagshandlung, Stuttgart 1918, DNB-Link. Maximilian von Heyden: Handbuch Psychoaktive Substanzen. Springer, Berlin/ Heidelberg 2017, ISBN 978-3-642-55124-6 (). Richard J. 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TV-Dokumentation von Isabelle Lange, Jan Karitzky; mitwirkend: Harald Lesch; ZDF 2018; zuletzt gesendet auf ZDFinfo am 30. April 2022. Terra X: Drogen - Eine Weltgeschichte (2/2) Zwischen Medizin und Missbrauch. TV-Dokumentation von Isabelle Lange, Jan Karitzky; mitwirkend: Harald Lesch; ZDF 2018; zuletzt gesendet auf ZDFinfo am 30. April 2022. Weblinks Erowid – Sehr umfangreiche englischsprachige Datenbank zum Thema Drogen, Gesellschaft und Spiritualität Weitere große englischsprachige Datenbank über Drogen Umfangreiches englischsprachiges Literaturarchiv zum Thema The Deoxyribonucleic Hyperdimension – Artikel- und Gedankensammlung zu drogen-, geist- und gesellschaftsbezogenen Themen (englisch) Drug Scouts – Drogenlexikon Psychotropicon – Enzyklopädie der Psychoaktiva Medienprojekt PSI-TV – Videoreferate zum Thema Drogen MAPS – Multidisciplinary Association for Psychedelic Studies, Finanzierung medizinischer Studien an Psychedelika und Cannabis (englisch) Einzelnachweise
Q8386
308.038241
1349199
https://de.wikipedia.org/wiki/Jamendo
Jamendo
Jamendo ist ein Online-Musikdienst zur Veröffentlichung von GEMA-freier Musik. Musiker können dort ihre Lieder unter einer der Creative-Commons-Lizenzen veröffentlichen. Dadurch kann der Benutzer diese Musik für den privaten Gebrauch kostenlos streamen und herunterladen. Welche der angebotenen Lieder keine Freie Musik und damit kommerziell nicht frei nutzbar sowie in Analogie zur halbfreien Software nur halbfreie Musik ist, kann nur auf explizite Nachfrage geklärt werden. Geschichte Jamendo (laut einer früheren Version der Webseite eine Wortschöpfung aus jam und crescendo) wurde im Juni 2005 offiziell gestartet. Die Plattform wird entwickelt und betrieben von der Firma Jamendo SA mit Sitz in Luxemburg. Nach dem Start wurde Jamendo zunächst vor allem im französischsprachigen Raum bekannter; so wurden Jamendo-Vertreter zum Beispiel zu Beratungen ins französische Innenministerium geladen. Auch in Deutschland wuchs die Bekanntheit unter anderem nach Berichten in diversen Blogs und verschiedenen Medien. Im Juli 2007 gab Jamendo bekannt, dass Mangrove Capital Partners, einer der frühen Risikokapitalgeber für Skype, in die Firma investiert. Im Januar 2010 stand die Medienplattform kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Jamendo erwirtschaftete zwar im Jahr 2009 mit dem PRO-Shop 300.000 Euro von 2300 Kunden, konnte sich jedoch nicht mit Mangrove Capital Partners über eine Anschlussfinanzierung einigen. Am 17. Februar gab der Gründer der Seite, Sylvain Zimmer, bekannt, dass Jamendo einen neuen Partner gefunden habe und außerdem in Zukunft mehr versuchen würde, auf die große Community zu bauen. Jamendo ist von Musicmatic gekauft worden. Seit dem Start der Plattform stieg sowohl die Zahl der Nutzer als auch die der verfügbaren Alben kontinuierlich an. Im Jahr 2010 hatte Jamendo nach eigenen Angaben 800.000 Nutzer, die auf ein Repertoire von mehr als 35.000 Alben von über 19.000 Musikern zugreifen konnten. Konzept Von Beginn an basierte Jamendo auf freier Musik. Musiker können dabei zwischen den verschiedenen Creative-Commons-Lizenzen sowie der Lizenz Freie Kunst wählen. Hochgeladen werden dabei komplette Alben, die nach einer Prüfung (vor allem, um Urheberrechtsverletzungen zu verhindern) freigeschaltet werden. Alben können dabei von Nutzern kategorisiert, bewertet und rezensiert werden. Auch kann man an Künstler spenden. Die Webseite bietet darüber hinaus weitere Online-Community-Funktionen für dessen Zugang eine kostenlose Registrierung nötig ist. Zunächst bot die Webseite die Möglichkeit, die Musiktitel direkt zu streamen und mittels der Filesharing-Netzwerke BitTorrent oder eDonkey2000 herunterzuladen. Letzteres wurde mit der Zeit durch eine direkte Downloadfunktion auf der Webseite ersetzt. Ferner, wird eine Schnittstelle angeboten, über die Programme direkt auf Jamendo zugreifen können; genutzt wird diese z. B. durch Amarok, Clementine, Rhythmbox, Banshee oder VLC media player. Es existieren eigene Programmwerkzeuge für Jamendo, die sogenannten „Jamendo-Werkzeuge“. Zu diesen Werkzeugen zählen unter anderem der Jamplayer zum Abspielen sowie der Jamcorder und der Jamloader zum Hochladen neuer Alben. Geschäftsmodell Jamendo finanzierte sich bis Dezember 2010 unter anderem durch Werbung auf der Webseite. Die Download-Archive mit der Musik sind dagegen frei von Werbung. Fans haben die Möglichkeit, direkt über die Jamendo-Website an bestimmte Künstler zu spenden. Die Abwicklung für die Künstler ist dabei auf PayPal beschränkt, Auszahlung findet bei einer Summe von 100 Euro oder (auf Nachfrage) alle 3 Monate statt. Anfang 2009 startete Jamendo PRO, das Lizenzierung von Musik für kommerzielle Zwecke erlaubt, zusätzlich zu den jeweils bestehenden Creative-Commons-Lizenzen. Künstler, die an diesem Programm teilnehmen, müssen bestätigen, nicht Mitglied einer Verwertungsgesellschaft zu sein. Lizenznehmer erhalten von Jamendo erweiterte kommerzielle Nutzungsrechte und ein Zertifikat, das bestätigt, dass sie die Nutzungsrechte an der Musik besitzen und dass keine weiteren Gebühren, beispielsweise bei der GEMA, fällig werden (siehe GEMA-Vermutung). Jamendo garantiert, dass die teilnehmenden Künstler mit mindestens 50 % der Einnahmen beteiligt werden. Im Falle von Creative-Commons-Lizenzen, die keine NonCommercial-Klausel enthalten (z. B. „Attribution ShareAlike“) und damit eine kommerzielle Nutzung bereits gestatten, besteht der Mehrwert für den Musiknutzer in der Darstellung von Jamendo vor allem in dem oben genannten Zertifikat und einer Lizenz, die „juristisch einwandfrei“ garantiere, „dass [die] kommerzielle Verwendung der Musik […] keine Ansprüche von Verwertungsgesellschaften […] nach sich ziehen“ werde. Weblinks Offizielle Website Statistische Daten zu Jamendo auf der Creative-Commons-Website Quellen Musikwirtschaft BitTorrent Online-Musikdienst
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